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Full text of "Mitteilungen aus dem Germanischen nationalmuseum, hrsg. vom direktorium .."

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Mitteilungen  aus  dem 
Germanischen  Nationalmuseum 


Germanisches  Nationalmuseum  Nürnberg 


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Mitteilungen 


AUS  DEM 


Germanischen  Nationalmuseum 


HERAUSGEGEBEN 


VOM  DiRECTORIUM. 


JAHRGANG  1904. 

MIT  ABBILDUNOEN. 


NÜRNBERG 

Vi:RLAGSE1GENTUM  des  germanischen  MUSEUMS 
1904. 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR,  O'ITO  LAUFFER-FRANKFÜRT  A.  M.  * 

m. 

Die   Hindelooper  »Kamer«. 
Mit  einer  Tafel. 

Von  Diepholz  begeben  wir  uns  nach  Hindeloopen.  Wir  verlassen  damit 
die  im  Museum  sich  findende  Reihenfolge  der  Stuben,  weil  dieselbe 
lediglich  durch  die  äufseren  Verhältnisse  des  verfügbaren  Raumes  bedingt 
worden  ist.  Def  Weg  führt  uns  von  Diepholz  durch  das  Münsterland  über 
die  Ems  hinüber  in  die  Niederlande  nach  Westfriesland,  wo  südwestlich  von 
Leeuwarden  an  der  Zuider  See  das  Städtchen  Hindeloopen  gelegen  ist,  von 
welchem  die  Hindelooper  Kamer,  eine  der  merkwürdigsten,  einheitlichsten 
und  in  der  Ausstattung  sicher  die  prunkvollste  unserer  Stuben,  Herkunft  und 
Namen  hat. 

Es  ist  in  Nürnberg  nicht  das  einzige  Mal,  dafs  ein  deutsches  Museum 
eine  Hindelooper  Kamer  zur  Aufstellung  gebracht  hat.  Auch  im  Kunst- 
gewerbe-Museum zu  Düsseldorf  befindet  sich  eine  solche,  von  der  ein  im 
Dezember  1896  ausgegebener  Führer  S.  6  sagt:  »Ein  holländisches  Zimmer 
—  sogen.  »Hindelooper  Kamer«  —  ist  in  allen  se.inen  Teilen  aus  Vorhandenem 
nach  den  Raum  Verhältnissen  zusammengebaut.«  Weiterhin  besitzt  das  Ber- 
liner »Museum  für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes« 
eine  Hindelooper  Kamer.  Da  ich  nun  nach  näheren  Angaben  über  Hinde- 
loopen suchte,  wandte  ich  mich  an  den  Vorstand  dieses  Museums,  und  Herr 
Sökeland  hatte  die  grofse  Freundlichkeit,  mir  den  Inhalt  eines  von  ihm 
beabsichtigten  Vortrages  in  der  uneigennützigen  Weise  mitzuteilen,  durch 
welche  das  von  ihm  geleitete  Unternehmen  sich  so  ehrenvoll  auszeichnet. 
Seine  Mitteilungen,  für  die  ich  ihm  auch  öffentlich  verbindlichst  danke,  bilden 
die  erste  Unterlage  für  den  folgenden  Bericht.  Dieselbe  wurde  dann  noch 
wesentlich  vermehrt  durch  das  gütige  Entgegenkommen  des  Herrn  Konser- 
vator Dr.  P.  C.  J.  A.  Boeles,  des  Vorstandes  des  »Museum  van  het  friesch 
genootschap  van  geschied-,  oudheid-  en  taalkunde  te  Leeuwarden,«  wo  eben- 
falls zwei  Hindelooper  Kamern  aufgestellt  sind.  Nicht  nur  verdanke  ich  jenem 
Herrn  den  eingehenden  Katalog  des  Museums  (Leeuwarden.  H.  Kuipers  1881), 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


sondern  vor  allem  hat  er  mir  auch  das  vergriffene  und  schwer  erreichbare 
Werk  zugänglich  gemacht:  S.  O.  Roosjen  en  N.  D.  Kroese  te  Hindeloopen, 
en  W.  Eekhoff,  >Merkwaardigheden  van  Hindeloopen;  bevattende  historische 
bijzonderheden  omtrent  de  woningen,  kleeding,  gebruiken  en  taal  der  Hinde- 
loopers,  benevens  taalproeven  in  rijm  en  onrijm.«  Te  Leeuwarden,  bij  W. 
Eekhoff  1855. 

Zur  Geschichte  von  Hindeloopen  ist  demnach  folgendes  zu  berichten. 
Das  Städtchen  liegt,  von  mehreren  Kanälen  durchzogen,  auf  einer  etwas  vor- 
springenden Landzunge  des  östlichen  Ufers  der  Zuydersee.  Sein  Kirchturm, 
der  früher  auch  als  Leuchtturm  gedient  haben  soll,  ist  weithin,  selbst  von 
der  Nordsee  aus  sichtbar.  Über  Ursprung  und  Alter  der  Stadt,  die  zwei 
springende  Hirsche  im  Wappen  führt,  ist  nichts  bekannt,  nur  die  Sage,  die 
an  den  Namen  der  Stadt  anknüpft,  berichtet,  dafs  ehemals  grofse  Waldungen 
an  jener  Stelle  gewesen  seien,  wovon  die  Stadt  den  Namen  Hindeloopen  = 
Hirschkuhlaufen  erhalten  habe.  In  anderem,  geistlichem  Sinne  dagegen  suchte 
die  Priesterschaft  den  Namen  auszudeuten,  indem  sie  über  den  Eingang  der 
alten  schmucklosen  Kirche  die  Worte  schrieb: 

»Des  Herren  woord 

Met  aandacht  hoort! 

Komt  daartoe  met  hopen  [=  in  Haufen], 

Als  hinden  loopen!« 
Schon  im  Jahre  779  ist  der  Ort  einmal  durch  die  Normannen  geplündert 
worden,  1225  wurde  er  zur  Stadt  erhoben  und  erfuhr  —  seit  1368  zum 
Hansabunde  gehörig  —  im  Jahre  1378  eine  gröfsere  Erweiterung  des  Stadt- 
gebietes. Die  Stadt  hat  dann  im  Laufe  der  Zeiten  mehrere  schwere  Schick- 
salsschläge zu  erleiden  gehabt:  sie  ist  im  Jahre  1491  und  abermals  zwölf 
Jahre  später,  im  Jahre  1503  abgebrannt,  sie  ist  dann  1515  von  einem  See- 
räuber geplündert  und  gebrandschatzt,  und  nicht  besser  erging  es  ihr  1574 
durch  die  Spanier.  Endlich  ist  sie  1701  zum  dritten  Male  abgebrannt,  aber 
in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  hat  sich  die  Stadt  schnell  von 
jenem  Umglück  erholt,  und  1744  zählte  man  fast  2000  Einwohner.  Es  folgt 
dann  eine  kurze  Zeit  der  Blüte,  die  durch  eine  ausgedehnte  Handelsschiffahrt, 
vornehmlich  nach  Rufsland,  sodann  aber  auch  nach  Dänemark,  Norwegen  und 
Schweden  herbeigeführt  wurde,  und  für  die  das  Bestehen  grofser  Gesellschaften 
mit  weiten  Handelsbeziehungen  und  mit  eigenen  Kontoren  in  Amsterdam, 
Enkhuizen  und  anderen  Hafenplätzen  Zeugnis  ablegt.  Allein  die  Glanzzeit 
dauerte  nicht  lange,  denn  seit  etwa  1780  ist  die  Stadt  wohl  infolge  der  poli- 
tischen Veränderungen  mehr  und  mehr  zurückgegangen,  und  während  sich 
die  Bevölkerung  von  Friesland  seit  jener  Zeit  etwa  versechsfacht  hat,  ist  die- 
jenige von  Hindeloopen  auf  die  Hälfte  herabgesunken,  im  Jahre  1855  hatte 
es  nur  ca.  1200 — 1300  Einwohner^^),  welche  nach  wie  vor  hauptsächlich  von 
der  Schiffahrt,  zum  Teil  auch  vom  Fischfange  lebten.  Heute  ist  es  eine  tote 
Stadt. 


51)  Vgl.  Roosjen-Kroese-Eekhoff  a.  a.  O.  S.  4. 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFÜRT  A.  M. 


Man  mufs  die  Geschichte,  von  Hindeloopen  kennen,  wenn  man  das 
häusliche  Leben  seiner  Einwohner  in  den  äufseren  Erscheinungsformen,  die 
in  der  »Hindelooper  Kamer«  uns  entgegentreten,  verstehen  will.  Der  weit- 
ausgedehnten Handelsschiffahrt  und  dem  dadurch  bedingten  vielfachen  Ver- 
kehr mit  fremden  Völkern,  der  Jahrhunderte  lang  angedauert  hat,  dem  Reich- 
tum, welcher  Üppigkeit  und  Prachtliebe  begünstigte,  dem  besonderen  Ge- 
schmack für  stark  gefärbte  und  handfeste  Stoffe,  dazu  der  scharfen  Trennung 
zwischen  den  seefahrenden  Familien  Hindeloopens  und  der  Ackerbau  treiben- 
den Bevölkerung  der  Umgegend  u.  s.  w.  ist  es  wahrscheinlich  zuzuschreiben, 
dafs  die  Sprache,  die  Sitten,  die  Kleidung  und  die  Lebensweise  der  Ein- 
wohner dieser  Stadt  soviel  Merkwürdiges  haben ,  was  von  den  friesischen 
Sitten  der  umliegenden  Orte  bedeutend  abweicht.  Die  Verfasser  der  »Merk- 
waardigheden«  betonen  das  ausdrücklich  **). 

Die  Hindelooper  haben  dann  ihre  besonderen  Sitten  mit  jener  Beharr- 
lichkeit, die  allen  Friesen  in  hervorragendem  Mafse  zu  eigen  ist,  bis  in  die 
Mitte  des  19.  Jahrhunderts  zähe  bewahrt,  wobei  ihnen  freilich  ihre  abgeschie- 
dene Lage  auch  wieder  beträchtlich  zu  statten  gekommen  ist.  Erst  in  den 
letzten  50  Jahren  sind  wie  die  alten  und  sehr  eigentümlichen  Trachten  so 
auch  die  Hauseinrichtungen  völlig  verschwunden,  und  man  kann  sie  jetzt  nur 
noch  in  den  Museen  kennen  lernen.  Das  Germanische  Museum  darf  sich 
daher  glücklich  schätzen,  dafs  es  ihm  noch  möglich  gewesen  ist,  eine  ganze 
originale  Hindelooper  Kamer  aufbauen  zu  können. 

Schon  aus  der  mehrfach  betonten  Tatsache,  dafs  die  Hindelooper  seit 
alters  Seefahrer  sind,  hat  der  Leser  entnommen,  dafs  wir  es  bei  der  >  Hinde- 
looper Kamer«  —  einem  Räume,  der  dem  Namen  nach  nicht  eine  Kammer 
in  unserem  Sinne,  sondern  schlechthin  ein  Wohngemach  darstellt  —  nicht 
mit  einer  eigentlichen  Bauernstube  zu  tun  haben  können.  Die  Einwohner 
dieses  Hauses  sind  keine  Bauern;  der  Ackerbau  mit  seinen  einzelnen  Han- 
tierungen hat  auf  die  Entwicklung  und  Ausgestaltung  dieses  Raumes  keinen 
Einflufs  gehabt,  sondern  es  sind  ganz  andere  wirtschaftliche  Verhältnisse,  die 
sein  Wesen  bestimmt  haben.  Die  Hindelooper  Kamer  ist  eine  Bürgerstube, 
und  man  würde  sie  gründlich  falsch  beurteilen,  wenn  man  nicht  die  aus- 
gedehnten Handelsbeziehungen  ihrer  Erbauer  in  reifliche  Erwägung  ziehen 
wollte.  Es  ist  eine  Bürgerstube,  die  infolge  der  gleichen  Lebensverhältnisse 
und  infolge  der  gleichen  Anschauungsweise  aller  Ortseinwohner  typisch  ge- 
worden ist  für  die  Wohnungsausstattung  des  ganzen  Städtchens. 

Man  darf  nun  aber  nicht  etwa  glauben,  die  Erscheinung,  dafs  sich  hier 
auch    in    den   bürgerlichen  Verhältnissen  —  im  Gegensatz  zum  Bauernleben, 

52)  S.  3/4.  » Aan  deze  omstandigheden,  welke  eeuwen  lang  bestendig  voortduurden ; 
aan  den  rijkdom,  die  weelde  en  prachtliefde  begunstigde;  aan  den  bijzonderen  smaak 
voor  sterk  gekleurde  en  deugdzame  Stoffen;  aan  de  scherpe  afscheiding  tusschen  de 
zeevarende  familien  dezer  stad  en  de  meer  landbouwende  bewoners  der  omstreken,  en 
ZOO  veel  meer,  is  het  waarschijnlijk  toe  te  schrijven,  dat  de  taal,  zeden,  kleeding  en 
levenswijze  der  bewoners  dezer  stad  zoo  veel  merkwaardigs  hebben,  dat  van  de  Frieschc 
zeden  der  omliggende  plaatsen  grootelijks  afwijkt.< 


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DIE  BAÜERNbTUBEK  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


von  dem  wir  in  der  Einleitung  sprachen  -7-  ein  Typus  der  Wohnungsaus- 
stattung zeigt,  sei  eine  kulturhistorische  Spezialität  von  Hindeloopen.  Das 
ist  durchaus  nicht  der  Fall.  Die  Geschichte  von  Möbeln  und  Hausrat  auch 
der  bürgerlichen  Verhältnisse  kennt  seit  den  Zeiten  der  Renaissance  eine 
grofse  Reihe  von  typischen  Erscheinungsformen,  die  den  verschiedenen  Land- 
schaften als  eigenster  Besitz  zukommen.  Man  kann  bis  in  die  erste  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  hinein  nicht  nur  die  süddeutschen  Möbeln  deutlich  von 
den  norddeutschen  unterscheiden,  sondern  auch  für  die  einzelnen  Hauptstädte 
und  ihren  Kulturbereich  zeigen  die  Möbeln  in  Bau  und  Dekoration  —  oder 
nur  in  einem  von  beiden  —  gewisse  Eigentümlichkeiten,  die  ihnen  einen 
durchaus  lokalen  Charakter  verleihen.  Auch  die  bürgerlichen  Möbeln  waren 
früher  an  landschaftlich  übliche  Formen  gebunden,  und  erst  mit  dem  Rokoko 
setzt  hier  der  Weltstil  ein.  Die  in  Hindeloopen  zu  Tage  tretende  Erscheinung 
des  bürgerlichen  lokalen  Wohntypus  hat  also  an  und  für  sich  für  den  Kultur- 
historiker nichts  Auffallendes.  Was  sie  aber  aus  anderen  Parallelverhältnissen 
heraushebt,  das  ist  die  erstaunliche  Dauerhaftigkeit,  die  trotz  der  reichlichen 
Verkehrsbeziehungen  nach  auswärts  diesen  Typus  bis  in  die  Mitte  des 
19.  Jahrhunderts  hat  fortleben  lassen.  Wenn  die  Museen  sich  also  berechtigt 
fühlen,  neben  den  deutschen  Bauernstuben  auch  eine  Hindelooper  Kamer 
aufzubauen,  so  liegt  der  Grund  dafür  nicht  etwa  in  der  Gemeinsamkeit  der 
Entstehungsbedingungen,  sondern  eigentlich  nur  in  der  gleich  langen  Lebens- 
dauer. 

Man  mufs  diese  Verhältnisse  sich  vor  Augen  halten,  wenn  man  beim 
Durchgange  durch  die  Reihe  der  Bauernstuben  plötzlich  die  Hindelooper 
Kamer  als  ein  nicht  ganz  gleiches  Glied  aus  der  Kette  hervorragen  sieht. 
Die  Verschiedenheit  wird  nun  freilich  durch  ein  zweites  Moment  noch  etwas 
erhöht.  Wir  sahen  ja  schon,  dafs  Hindeloopen  direkt  am  Meere  gelegen  ist, 
und  dafs  es  aufserdem  noch  von  mehreren  Kanälen  durchzogen  wird.  Diese 
äufseren  Verhältnisse,  die  die  Einwohner  zwangen,  bei  dem  Wohnbau  und 
seiner  Einrichtung  nicht  nur  auf  gelegentliche  Überschwemmungen,  sondern 
auch  auf  eine  fortwährende  starke  Bodenfeuchtigkeit  Rücksicht  zu  nehmen, 
haben  in  der  »Kamer«  und  ihrer  Einrichtung  manche  Erscheinungsformen 
entstehen  lassen,  die  das  an  und  für  sich  schon  Auffallige  dieses  Wohnraumes 
noch  erhöhen.  Wir  werden  bei  der  Schilderung  der  Einzelheiten  noch  darauf 
zu  sprechen  kommen.  — 


Die  meisten  Häuser  Hindeloopens  waren  aufsen,  nach  der  Darstellung 
der  »Merkwaardigheden«  S.  8,  noch  im  Jahre  1855  nur  ein  Stockwerk  hoch, 
mit  spitzen  Giebeln  gebaut  und  mit  Ziegeln  gedeckt.  Früher  wurde  ein  voll- 
ständiges Hindelooper  Haus  eingeteilt  in:  das  >Binnenhaus«  (binnenhuis),  das 
Mittelhaus  (middelhuis),  das  Aufsenhaus  (buitenhuis)  und  das  Kleinhaus  (lyts- 
oder  kleinhuis).  Dieses  letztere  war  durchgehends  ein  kleines  Gebäude,  eine 
Sommerwohnung  am  Meeresufer,  die  meistens  im  Frühjahr  bezogen  wurde, 
um  das  grofse-  oder  Wohnhaus  im  Sommer  so  viel  als  möglich  rein  zu  halten. 


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VON  DR.  OTTO  LACFFER-FRANKFÜRT  A.  M. 


Im  Wohnhause  wurde  das  vordere  Zimmer  an  der  Strafse  die  »Binnenkamer« 
genannt  und  das  hintere  Zimmer  die  »Buitenkamert  **). 

Dieses  hintere  Zimmer,  die  »Buitenkamer«  ist  es,  die  im  Museum  auf- 
gebaut  ist,   und  wenn  wir  durch  den   nur  0,70  m  breiten  Eingang,   der  bei 


Fig.  21.    Grundrifs  der  Hindelooper  Kamer. 

53)  »Merkwaardigheden«,  S.  8.  >Uitwendig  zijn  de  meeste  huizen  thans  nog  van 
^^ne  verdieping  hoogte  net  spitse  gevels  gebouwd  en  met  pannen  gedeckt.  Eertijds 
werd  een  volledig  Hindelooper  huis  verdeeld  in:  het  binnenhuis,  het  middelhuis,  het 
buitenhuis  en  het  lyts-  of  kleinhuis.  Dit  laatste  was  doorgaans  een  klein  gebouw  of 
vertrek  aan  den  waterkant,  dat  veelal  in  het  voorjaar  werd  betrokken,  om  het  groot-  of 
woonhuis  in  den  zomer  zoo  veel  mogelijk  zendelijk  te  houden.  —  De  voorkamer  aan  de 
straat  wordt  de  binnenkamer  geheeten  en  de  achterkamer  de  buitenkamer.« 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


einer  Höhe  von  2  m  eine  Länge  1,35  hat,  in  den  Raum  hineintreten,  so 
müssen  wir  uns  vorstellen,  dafs  wir  die  nach  der  Strafse  zugelegene  Vorder- 
stube bereits  durchschritten  haben  und  jetzt  auf  die  hintere  Hauswand  zu- 
schreiten, durch  dessen  Fenster  der  Blick  in  den  Hof  fallt. 

Wir  befinden  uns  in  einem  sehr  geräumigen  Gemache,  Fig.  21  (5,25  m  lang 
und  5, 13  m  breit),  welches  die  stattliche  Höhe  von  3,25  m  hat,  eine  Höhe,  die  meines 
Wissens  von  keiner  einzigen  Bauernstube  Deutschlands  —  das  Flet  ist,  wie  wir 
sahen,  etwas  völlig  anderes  —  auch  nur  annähernd  erreicht  wird.  Freilich  ist  uns 
ein  solcher  Raum  nicht  völlig  unbekannt,  denn  es  sind  dieselben  hohen  und 
lichten  Gemächer,  die  uns  auf  den  Bildern  der  holländischen  Maler  des  17.  Jahr- 
hunderts entgegentreten.  Ich  erinnere  in  dieser  Hinsicht  nur  an  J.  Koedycks 
im  Kgl.  Belgischen  Museum  zu  Brüssel  befindliche  »Holländische  Stube«,  ein 
Bild,  welches  durch  seine  Reproduktion  im  »Klassischen  Bilderschatz«  (Nr.  749) 
leicht  zugänglich  ist,  und  auf  dem  wir  einen  ähnlichen  hohen  von  gleich- 
mäfsigem  Lichte  durchfluteten  Raum  dargestellt  finden  wie  die  Hindelooper 
»Kamer.« 

Blicken  wir  uns  nun  in  dieser  Stube  etwas  näher  um,  so  fällt  uns  so- 
gleich auf,  dafs  die  vier  Wände  zweierlei  grundverschiedene  Gesichter  zeigen, 
da  zwei  von  ihnen  eine  kräftig  gebräunte  Vertäfelung  von  Eichenholz  tragen, 
während  die  beiden  anderen  bis  an  die  Decke  hinauf  mit  blaudekorierten 
Wandplättchen  belegt  sind.  Dieser  Fliesenbelag,  so  schmuckvoll  er  uns  auch 
anmutet,  ist  doch  nicht  etwa  nur  als  Dekoration  aufzufassen,  er  hat  vielmehr 
eine  sehr  wichtige  Funktion  im  Hause  zu  verrichten,  denn  die  beiden  Wände, 
die  er  bedeckt,  sind  die  gegen  die  Wetterseite  gerichteten  Aufsenwände  des 
Hauses,  und  die  Wandplättchen  haben  den  ganz  bestimmten  Zweck,  dem 
Eindringen  der  Feuchtigkeit  zu  wehren.  Daneben  aber  bestimmen  diese 
Plättchen  durch  ihre  Dekoration  ganz  wesentlich  den  Eindruck  des  gesamten 
Gemaches.  Sie  sind  nicht  alle  gleich  ausgestattet.  Bis  etwa  in  Reichhöhe 
zeigen  sie  in  blauer  Bemalung  zahllose  verschiedene  biblische  Darstellungen, 
die  freilich  auf  einen  hohen  künstlerischen  Wert  keinen  Anspruch  machen 
können,  vielfach  sind  es  sogar  die  reinen  KarrikatureÄ,  auf  denen  die  Personen 
mit  schiefen  Köpfen  und  dick  vorquellenden  Stirnen  einen  mehr  lächerlichen 
als  heiligen  Eindruck  machen.  Diese  Platten  können  bei  ihre!*  grofsen  Anzahl 
eben  alle  nur  sehr  flüchtig  dekoriert  werden,  die  Bemalung  ist  nur  Handwerks- 
arbeit, aber  vielleicht  gerade  deshalb  sieht  man  ihr  an,  dafs  sie  dem  Maler 
sicher  und  flott  von  der  Hand  gegangen  ist,  und  sie  gibt,  auf  dem  in  pein- 
licher Sauberkeit  erglänzenden  weifsen  Grunde,  der  Wand  etwas  Warmes  und 
Schmuckvolles. 

Über  dieser  unteren  Plattenwand  nun  zieht  sich  eine  Borte  von  schmalen 
Kantenfliesen  hin,  welche,  wie  Fig.  22  zeigt,  der  Wand  eine  leichte  und  feine 
Gliederung  geben  und  auch  die  Ecken  des  Kamins  und  die  Rahmen  der 
Fenster  mit  einer  fortlaufenden  kobaltblauen  Blumenranke  umziehen.  Ober 
dieser  Kante  nun  wird  die  Wand  bis  zur  Decke  hinauf  mit  einer  anderen 
Art  von  Plättchen  bedeckt,  welche  nur  an  den  vier  Ecken  naturalistische 
Verzierung   zeigen,    während   der   ganze   übrige  Teil  jedes  Plättchens,   durch 


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VON  DR.  orro  laüffer-frankfurt  a.m. 


einen  dreifachen  Kreis  umgrenzt,  einen  Fond  bildet,  in  dessen  Mitte  ein 
laufendes  oder  springendes  Tier  steht,  als  Hund,  Hase,  Reh,  Antilope, 
Kameel  etc.,  hier  und  da  auch  ein  Mensch,  aber  auch  dieser  wie  es  scheint 
immer  in  laufender  Bewegung.  Diese  Platten  werden  nach  den  darauf  be- 
findlichen Darstellungen  als  »Springer«  bezeichnet.  Sie  geben  der  Wand  nach 
oben  hin  einen  etwas  helleren  Abschlufs. 

Im  ganzen  entspricht  diese  Ausstattung  der  Wände  dem,  was  die  Merk- 
waardigheden  darüber  sagen:  »AI  de  muren  zijn  met  blaauw  geschilderde 
Vierkante  tegeltjes,  meest  bijbelsche  voorstellingen  bevattende,  opgezet.«    (S.  8.) 

Wenn  man  die  Museums-Stube,  wie  ich  bereits  andeutete,  vom  Haus- 
innern  aus  betritt,  so  sind  es  die  rechtsliegende  ungegliederte  Wand  und  die 
gegenüberliegende  Fensterwand,  die  mit  Fliesen  belegt  sind.  Jene  ist,  wie  man 
sich  vorstellen  mufs,  die  Aufsenwand  gegen  die  Strafse,  diese  führt  nach  dem 
Hofe.  Sie  ist,  wie  man  aus  Fig.  22  Tafel  I  ersieht,  lebhaft  gegliedert.  Die 
Mitte  nimmt  der  Kamin  ein,  den  wir  später  noch  näher  besprechen  werden. 
Daneben  liegen  beiderseits  zwei  grofse  Fenster  —  2,23  m  hoch  und  1,05  m 
breit  —  aus  fünf  mal  fünf  eingekitteten  Scheiben  bestehend,  deren  Rahmen 
und  Fensterstege  in  ihrer  farbigen  Ausstattung  einen  leichten  Kontrast  zu 
dem  blau-weifs  der  Fliesen  bilden.  Sie  sind  schwarzblau  und  weifs  marmoriert 
und  zeigen  rote  Abfassungen. 

Über  diesen  beiden  grofsen  Fenstern  nun  aber  liegen,  was  die  Wand 
besonders  eigenartig  erscheinen  läfst,  noch  je  zwei  kleinere  Rundbogenfenster 
mit  zweimal  vier  Scheiben  in  gleichfalls  bunt  bemalten  Rahmen.  Sie  reichen 
fast  unmittelbar  bis  zur  Decke  hinauf,  und  sie  zeigen  deutlich  das  Bestreben, 
dem  graulichen  und  etwas  gedämpften  Tageslicht  der  westfriesischen  Küste 
so  viel  als  irgend  möglich  den  Zutritt  in  das  hohe  Zimmer  zu  ermöglichen. 
Alles  in  allem  entsprechen  auch  diese  Fenster  denjenigen,  die  uns  auf  hol- 
ländischen Bildern  zu  begegnen  pflegen,  und  wenn  sie  auch  nicht  mehr  wie 
im  17.  Jahrhundert  verbleit  sind,  so  machen  sie  mit  ihren  kleinen  Scheiben 
und  ihren  weiten  Lichtöflfnungen  doch  denselben  oder  wenigstens  einen  sehr 
ähnlichen  Eindruck  wie  »z.  B.  die  Fenster  auf  dem  genannten  Gemälde  von 
Koedyck  oder  auf  dem  im  Buckingham  Palace  zu  London  befindlichen  Bilde 
der  »Spitzenklöpplerin«  des  Pieter  van  Slingeland.  (Klassischer  Bilderschatz 
Nr.  1212.) 

Neben  der  linken  Fenstergruppe  ist  aus  dem  sonst  durchaus  viereckigen 
Gemach  ein  Verschlag  ausgespaart.  Derselbe  bildet  einen  kleinen  Flur,  der 
den  Ausgang  zum  Hofe  vermittelt  und  für  das  Zimmer  als  eine  Art  Wind- 
fang dient.     Er  ist  auf  der  Zeichnung  von  Fig.  23  nicht  mehr  zu  sehen. 

Fassen  wir  nun  die  beiden  anderen  Wände  in's  Auge,  so  bietet  sich 
uns  ein  völlig  anderer  Eindruck.  Figur  23  läfst  den  Kontrast  der  verschie- 
denen Wände  deutlich  erkennen.  Wir  sehen  dort  die  gegen  das  Vorderhaus 
zu  gelegene  Wand,  die  der  Fensterwand  gegenüber  liegt.  Durch  den  kleinen 
Gang  auf  der  rechten  Seite  mit  der  hinteren  Abschlufstür  haben  wir  das 
Zimmer  betreten.  Die  ganze  Wand  ist,  wie  auch  Fig.  23  deutlich  zeigt,  nach 
den  Worten   der  »Merkwaardigheden«    von  geglättetem  Eichenholz  gefertigt, 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalm useam.    19(H.  2 


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10 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


3 


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VON  DR.  OTl'O  LAÜFFER-FftANKFURT  A.  M.  1 1 

mit  Pfeilern,  Schnitz-  und  Rahmenwerk  gegliedert  und  zeigt  nur  oberhalb  eines 
quer  überlaufenden  Teilerbortes  eine  ebenmäfsig  glatte  Fläche  ^^).  Aufser 
dem  genannten  Gange  wird  fast  die  ganze  Breite  der  Wand  eingenommen 
durch  zwei  neben  einander  liegende  Butzcn,  jene  in  die  Wand  eingebauten 
Bettstätten,  die  uns  schon  in  der  niederdeutschen  Dönse  begegnet  sind,  und 
die  in  Hindeloopen  und  wohl  in  ganz  Westfriesland  als  »bedschutting«  be- 
zeichnet werden  ^'^).  Diese  Betten  liegen  etwa  80  cm  über  dem  Fufsboden 
in  der  Wand.  Der  unter  ihnen  befindliche  Sockel  ist  gewöhnlich  mit  den 
bereits  geschilderten  blaudekorierten  Wandplättchen  belegt**).  In  unserem 
Falle  zeigt  er  eine  Bretterverschalung,  die  mit  gutem  Geschmack  dekoriert 
ist,  indem  auf  ihren  weifsgestrichenen  Grund  mit  erstaunlicher  Sicherheit  ein 
grofszügiges  naturalistisches  Rankenwerk  in  blau  aufgesetzt  ist,  welches  sich  in 
der  Wirkung  den  blau  und  weifsen  Wandfliefsen  völlig  anschmiegt.  Zwischen 
diesen  Ranken  finden  sich  Chinoiserien  eingestreut,  welche  darauf  hinweifsen, 
dafs  diese  ganze  Art  der  Dekoration  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts 
ihren  Ursprung  verdankt,  seit  welcher  Zeit  sie  sich,  also  mindestens  100  Jahre 
lang,  den  Einflüssen  der  neueren  modischen  Kunst  zum  Trotz,  im  Gebrauch 
erhalten  hat. 

Die  Doppeltüren  der  darüber  liegenden  Butzen  zeigen  unten  Rahmen- 
werk in  Eichenholz,  sind  aber  in  dem  oberen  Felde*  durch  ein  zierlich 
gedrehtes  Säulengitterwerk  durchbrochen.  Dieses  Gitter  dient  dazu,  den 
dringend  erforderlichen  Luftwechsel  zwischen  den  Bettkästen  und  dem  übrigen 
Stubenraum  zu  ermöglichen,  und  es  bildet  hygienisch  betrachtet  einen  grofsen 
Vorzug,  den  diese  westfriesischen  Betten,  soviel  mir  bekannt  ist,  vor  sämt- 
lichen schlecht  gelüfteten  niederdeutschen  Butzen  voraus  haben.  Die  Mafs- 
verhältnisse  des  Gitters,  wie  die  Einteilung  und  Gliederung  der  ganzen  Paneel- 
wand zeigen  einen  so  feinen  und  sicheren  Geschmack,  wie  er  uns  in  den 
kleinbürgerlichen  Kreisen,  mit  denen  wir  es  hier  zu  tun  haben,  geradezu  mit 
Bewunderung  erfüllen  mufs.  Schliefslich  ist  noch  zu  erwähnen,  dafs  die 
linke  Seite  des  Durchganges,  gegen  die  Betten  zu,  zwei  Türen  über  einander 
trägt,  die  obere  für  die  Bettstätten,  die  untere  für  einen  kleinen  Keller. 
Die  auf  unserer  Abbildung  Fig.  23  sichtbare  Tür  in  der  rechten  Seitenwange 
des  Ganges  erschliefst  den  Zugang  zu  einer  nach  dem  Boden  hinführenden 
steilen  Treppe.  Auch  diese  Tür  ist  oben  mit  Gitterwerk  durchbrochen.  Alle 
die  verschiedenen  Türen  dieses  Durchganges  werden  von  den  Bewohnern  mit 
bestimmten  Namen  benannt,  die  wir  teilweise  kennen  lernen,  wenn  die  Merk- 
waardigheden  darüber  berichten:  »In  dem  Durchgange  befindet  sich  die 
»Meldoar«  oder  Mitteltür  und  dahinter  die  Treppentür  nach  dem  Boden  und 
den   Schlafstätten    (die   sogenannte    »Optredsdoar«),  unter  letzterer   diejenige 


54)  »Vervaardigd  van  glad  eikenhout  met  pilaren,  snij  en  paneelwerk  en  is  boven 
de  lijst  effen  glad.« 

55)  Vergl.  Catalogus  van  het  Museum  van  het  friesch  genootschap  van  geschied- 
oudheid  en  taalkunde  te  Leeuwarden.    Leeuwarden.    H.  Kuipers.     1881.     S.  291. 

56)  Merkwaardigheden  S.  8:  >AI  de  muren  zijn  met  tegeltjes  opgezet,  even  als  het 
muurtje  beneden  de  bedschutting.« 


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12  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


nach  dem  Keller*').  Auf  die  Ausstattung  der  Wände  mit  Möbeln  und  Zierrat 
werden  wir  später  zu  sprechen  kommen. 

Die  letzte  Wand  der  >  Kamer«  verbindet  die  linke  Seite  der  auf  Fig.  22 
abgebildeten  Fensterwand  mit  der  rechten  Ecke  der  soeben  besprochenen 
Panneelwand  (Fig.  23).  Sie  zerfällt  deutlich  in  drei  Teile.  Zunächst  legt 
sich  vor  das  an  die  Fensterwand  anstofsende  Drittel  der  bereits  erwähnte, 
in  das  Stubenviereck  eingeschobene  Flur,  an  dessen  Schmalseite  die  Tür 
liegt.  Er  wird,  wenn  die  äufsere  —  im  Museum  nicht  sichtbare  —  Eingangs- 
türe verschlossen  ist,  von  der  Kamer  aus  erhellt,  denn  von  hier  aus  führt 
ein  Fenster  nach  ihm  hin,  welches  ihm  ein  meist  wohl  nur  spärliches  Licht 
gewährt  und  zugleich  den  Bewohnern  einen  Überblick  über  den  Flur  gestattet. 

Die  Tür  ist  schiefgestellt,  und  sie  entspricht  darin  völlig  den  Angaben, 
die  die  Merkwaardigheden  darüber  machen  mit  den  Worten:  > Nächst  der 
Seitenbettstatt  liegt  eine  schief  gestellte  Tür  zu  einem  Eingang,  durch  den 
man  auf  den  Hof,  den  sogenannten  Wall  kommt. 

In  diesem  Zusammenhange  möchte  ich,  um  nach  Möglickeit  einen  Be- 
griff von  dem  ganzen  Hauswesen  zu  geben,  auch  gleich  anfügen,  dafs  nach 
Angabe  der  Merkwaardigheden  am  Ende  des  Hofes  das  »Lytshuis«  ,  die 
Sommerwohnung,  gelegen  ist,  bei  welcher  sich  eine  eigene  Feuerstätte,  der 
»Smoeger«,  d.  i.  eine  Art  kleine  Küche,  und  die  Bleiche  befinden.  Gärten 
und  ähnliche  Anpflanzungen  kannte  man  in  Hindeloopen  nicht,  ebenso  wie 
auch  Bäume  lange  Zeit  an  jenen  Küstenplätzen  zu  den  Seltenheiten  ge- 
hörten ^^). 

Das  zweite  Drittel  der  ganzen  Wand  wird  ähnlich  wie  bei  der  Rück- 
wand (Fig.  23)  durch  eine  Butze  eingenommen,  welche  das  in  die  Stube  ein- 
gebaute Flur-Viereck  in  gewissem  Sinne  fortsetzt  und  dadurch  das  Störende 
dieses  Einschiebsels^  wesentlich  mindert.  Die  Butze  selbst  zeigt  ebenso  wie 
die  bereits  geschilderten  eine  dunkelbraune  Holz vertä feiung  sowie  in  den 
Türen  das  erwähnte  Holzgitter. 

Das  letzte  Drittel  endlich  in  der  hinteren  Stubenecke  bildet  zwischen 
der  Schmalseite  der  Butze  und  dem  rechts  vom  Gange  (Fig.  23)  gelegenen 
Teile  der  Hinterwand  eine  Nische ,  welche  fast  ganz  von  einem  grofsen, 
schweren  Eichenschranke  eingenommen  wird,  den  wir  später  noch  etwas  näher 
besprechen  wollen. 

Haben  wir  nunmehr  die  vier  Wände  kennen  gelernt,  so  erübrigt  es 
noch,  auf  Fufsboden  und  Decke  einen  Blick  zu  werfen.  Der  erstere  ist  durch- 
weg mit  grofsen  quadratischen  Bodenplatten  belegt,  und  wir  sahen  bereits, 
dafs  diese  sehr  dauerhafte  Art  durch  die  örtlichen  Verhältnisse  bedingt  wird, 

57)  Merkwaardigheden  ^  10/11:  »In  den  doorgang  .  .  bevindt  zieh  de  meldoar  of 
middeldeur,  en  daarachter  de  trapsdeur  naar  den  zolder  en  de  slaapplaats  i  de  optredsdoar), 
benevens  die  naar  den  kelder». 

58)  Merkwaardigheden  S.  11:  »Naast  de  zijdbedstede  leidt  eene  schuins  geplaatste 
deur  naar  een  portaal,  waar  door  men  komt  op  de  binnenplaats,  de  wal  gcnaamd,  aan 
wier  einde  het  lytshuis  of  de  zomerwoning  is,  waarbij  eene  stookplaats  (de  smoeger)  en 
de  bleek.  Tuinen  of  beplantingen  kende  men  hier  niet,  gelijk  boomen  in  dcze  zeeplaats 
langen  tijd  zeldzaamheden  waren.« 


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VON  DR.  OTTO  LAUPFER-FRANKFÜRT  A.  M. 


13 


da  ein  hölzerner  Fufsboden  infolge  der  anhaltend  greisen  Bodenfeuchtigkeit 
sich  nicht  empfiehlt.  Auch  hier  sehen  wir  nun  sogleich  wieder  einen  ge- 
wissen Farbensinn  obwalten,  denn  der  Boden  besteht  nicht  durchgehend  aus 
einfarbigen  Platten,  vielmehr  sind  dieselben  abwechselnd  rotbraun  und  schwarz 
zusammengesetzt,  sodafs  der  ganze  Boden  mit  einem  Schachbrettmuster  über- 
deckt ist,  welches  mit  seinen  warmen  gedämpften  Tönen  das  Behagliche  des 
Raumes  nicht  unwesentlich  erhöht*'). 

Diefer  gemusterte  Boden  ist  nicht  nur  für  Hindeloopen  typisch,  er  be- 
gegnet auch  sonst  häufig  auf  holländischen  Bildern.  Ich  brauche  in  dieser 
Hinsicht  nur  auf  das  als  »Häusliche  Scene«  bezeichnete  Bild  von  Pieter  de 
Hooch  zu  verweisen,  welches  sich  im  Rijksmuseum  zu  Amsterdam  befindet, 
und  welches  den  schachbrettgemusterten  Boden  in  zwei  Gemächern  neben- 
einander sehen  läfst  (Klassischer  Bilderschatz  Nr.  815).  Dieselbe  Art  bemerken 
wir  auf  Jan  Steens  Wirtshausbilde  in  der  Gallerie  des  Haag  und  auf  dem 
»Dreikönigsfest«  desselben  Meisters  im  Buckinghampalast  zu  London"^).  Auf 
die  allgemeine  Geschichte  der  gemusterten  Fliesenböden  im  einzelnen  einzu- 
gehen, kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein®^). 

Die  Decke  mit  ihren  zahlreich  durchlaufenden  Balkenträgem  ist  auf 
Fig.  23  noch  zum  Teil  sichtbar.  Sie  besteht  —  wie  auch  äie  Merkwaardig- 
heden  S.  9  ausdrücklich  angeben  —  aus  bestem  Fichtenholz.  Sie  wird  nicht 
gestrichen,  sondern  sie  zeigt  das  naturfarbene  Holz,  welches  jährlich  einmal 
durch  Scheuern  gereinigt  wird.  — 

Damit  haben  wir  die  bauliche  Ausstattung  der  Stube  kennen  gelernt, 
und  wir  würden  uns  jetzt  der  Einrichtung  derselben  mit  Möbeln  und  Schmuck- 
stücken zuwenden,  wenn  nicht  vorher  noch  ein  wichtiger  Teil  des  Hauses  unsere 
Aufmerksamkeit  fesselte.  Das  ist  die  Heiz-  und  Kocheinrichtung.  Beide  sind 
in  einem  vereinigt,  aber  es  ist  nicht,  wie  es  uns  im  niederdeutschen  Flett 
begegnete,  das  freilodernde  Feuer  eines  Herdes,  welches  zugleich  die  Wärme 
zu  spenden  hat,  sondern  es  ist  die  nichtgermanische,  von  den  Romanen  ent- 
wickelte Art  des  Kamins,  die  uns  hier  begegnet.  Der  Kamin  liegt,  wie 
Fig.  21  zeigt,  zwischen  den  beiden  früher  geschilderten  Fenstergruppen,  d.  h. 
also  an  der  Aufsenwand.  Auch  diese  Situation  der  Feuerstelle  ist,  wie  ich 
hier  gelegentlich  bemerke,  nicht  deutsch,  denn  im  niederdeutschen  Hause 
liegt  der  Herd  bei  allereinfachster  Hausform  —  nur  Flett  ohne  Stuben  — 
in  einiger  Entfernung  vor  der  Hinterwand  und  gestattet  also  den  Bewohnern 
die  Kreislagerung  um  das  Feuer.  Er  rückt  erst  an  die  Wand  heran,  wenn 
ihm  in  der  komplizierteren  Hausform  durch  die  neu  angefügten  Stuben  die 
Funktion  der  Erwärmung  zum  Teil  abgenommen  ist,  und  selbst  da  geschieht 
es,    wie    wir   z.  B.    bei    Diepholz     sahen,    längst .  nicht    immer.      Im    zwei- 

59)  Merkwaardigheden  S.  9:  »De  vloer  der  kamer  bestaat  uit  roode  en  z warte 
verglaasde  vloersteenen  of  estrikken.« 

60)  Vgl.  H.  Knackfufs,    »Künstlermonographien  XIX«.   Jan  Steen.    Abb.  12  u.  17. 

61)  Ich  verweise  in  dieser  Hinsicht  auf:  K.  G.  Stephani,  >Der  älteste  deutsche 
Wohnbau  und  seine  Einrichtung.  II.«  S.  259 ff.  (Leipzig  1903)  und  auf:  Ed.  Becking, 
»Fliesenböden  nach  Gemälden  des  15.  und  16.  Jahrh.«     Stuttgart  1903. 


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14  DIE  BAÜERNSTÜBEK  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

feuerigen  oberdeutschen  Hause  liegen  die  Verhältnisse  ganz  anders,  aber 
auch  dort  finden  wir  die  beiden  neben  einander  auftretenden  Feuerstellcn, 
nämlich  Ofen  und  Herd,  immer  an  die  beiden  Seiten  der  Trennungswand 
zwischen  Stube  und  Küche  angelehnt.  Sie  rücken  dann  wohl  an  die  Längs- 
wand des  Hauses  heran,  niemals  aber  finden  wir  eines  von  ihnen  an  die 
Giebelwand  angelehnt,  wie  solches  bei  unserem  Kamin  der  Fall  ist. 

Im  einzelnen  brauchen  wir  hier  diesen  Unterschieden,  die  für  die  Ge- 
schichte der  volkstümlichen  Bauweise  von  grofser  Wichtigkeit  sind,  nicht 
näher  nachzugehen.  Ich  habe  nur  deshalb  darauf  hingewiesen,  damit  der 
Besucher  der  Hindelooper  Stube  sich  darüber  klar  wird,  dafs  er  sich  nicht 
mehr  auf  dem  Boden  des  deutschen  Wohnbaues  befindet,  dafs  vielmehr  der 
seiner  Herkunft  nach  urdeutsche  Westfriese,  bei  dem  wir  in  Hindeloopen  zu 
Gaste  sind,  ein  Haus  bewohnt,  welches  in  Anlage  und  Einrichtung  eine 
Mischung  von  deutschen  und  romanischen  Elementen  darstellt.  Eine  nähere 
Untersuchung  ist,  soviel  ich  sehe,  über  dieses  Verhältnis  bislang  nicht  ange- 
stellt worden,  sie  würde  aber  für  die  westfriesische  Lokalforschung  eine  dank- 
bare Aufgabe  sein. 

Für  den  Kamin  ist  zwischen  den  Fenstern  eine  mit  einem  flachen  Bogen 
überwölbte  Nische  ausgespart,  die  sich  über  einer  auf  dem  Boden  aufliegen- 
den Sandsteinplatte  erhebt.  Darüber  hängt  der  wenig  vorspringende  Rauch- 
fang, der  wie  ein  grofses  viereckiges  Rohr  vor  die  Wand  gelegt  ist  und  — 
hier  ohne  jegliche  Verjüngung  —  bis  zur  Decke  hinaufsteigt.  Sein  unterer 
Abschlufs  besteht  in  einem  profilierten  Holzrand  mit  Tellerbord ,  von  dem 
ein  kurzer,  buntfarbig  geblümter  Kattunstreifen  zu  leichten  Vertikalfalten  ge- 
kräuselt vorhangartig  herabfällt*^).  Der  Rauchfang  sowohl  wie  die  Nische 
sind  mit  ihrer  Ausstattung  insofern  völlig  in  die  Wand  einbezogen,  als  auch 
sie  durchaus  mit  Wandplättchen  belegt  und  an  ihren  Rändern  von  den  be- 
reits geschilderten  schmalen  Kantenfliesen  umsäumt  sind.  Nur  in  der  Mitte 
der  Nische,  da  wo  die  Wand  am  meisten  der  Einwirkung  der  Glut  ausgesetzt 
ist,  wird  der  Fliesenbelag  durchbrochen  durch  eine  in  die  Wand  eingesetzte 
gufseiserne  Kaminplatte.  Dieselbe  trägt  unten  die  Bezeichnung  »H.  H.  S.  1665« 
und  zeigt  eine  Verzierung  mit  Flankensäulen  und  Kartuschenwerk,  von  wel- 
chem zur  Mitte  ein  Reif  mit  darinsitzendem  Papagei  herabhängt.  Diese  Kamin- 
platten sind  vielfach  in  beträchtlicher  Gröfse  und  in  reicher  Dekoration  ge- 
gossen worden.  Ich  verweise  in  Rücksicht  auf  sie  auf  die  Arbeit  von  Jos. 
Fischer,  >  Plaques  de  cheminee  et  de  foumeau«  Luxembourg,  Beifort  1900, 
die  mir  hier  leider  nicht  zugänglich  war.  Wie  weit  sie  mit  den  sogen.  Taken- 
platten  verwandt  sind,  kann  ich  nicht  entscheiden  ®^). 

In  gleicher  oder  sehr  ähnlicher  Anlage,  wie  die  bislang  beschriebene 
bauliche  Ausführung  des  Hindeloopener  Kamins'  zeigt,  begegnet  uns  die  Feuer- 
stätte bereits  auf  den  holländischen  Bildern  des  17.  Jahrhunderts.     Ich  kann 

62)  Vergl.  Merkwaardigheden  S.  9 :  » Aan  den  grooten  en  wijden  schoorsteenmantel 
hangt  een  schoorsteenkleed  van  Oostindisch  bont,  met  eeri  dito  van  wit  linnen  er  önder.« 

63)  Vergl.  Franz  v.  Pelser-Berensberg,  >Mitteilungen  über  alte  Trachten  und 
Hausrat,  Wohn-  und  Lebensweise  der  Saar-  und  Moselbevölkerung«.  2.  Aufl.  Trier  1901.  S.  25. 


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VON  DR.  OTTO  LAUFFEB-FRANKFURT  A.  M. 


15 


in  dieser  Hinsicht  wiederum  auf  die  schon  genannten  Bilder  von  S.  Koedyck 
und  P.  van  Slingeland  verweisen,  die  freilich  beide  ein  wenig  anders  seitlich 
eingefafst  sind:  das  erste  zeigt  die  einzig  sichtbare  Kaminwange  hermenartig 
ausgestaltet,  auf  dem  zweiten  ist  der  Kamin  durch  zwei  Säulen,  dip  den 
Schornstein  tragen,  flankiert.  Aufserdem  scheint  auf  dem  Koedyck'schen 
Bilde  auch  der  Schornstein  nach  oben  schräg  in  der  Wand  zu  verlaufen. 
Vor  allen  Dingen  möchte  ich  aber  zum  Vergleich  ein  Bild  heranziehen,  wel- 
ches ich  in  Fig.  24  reproduziere.  Es  stammt  aus  dem  für  die  Geschichte 
des  westfriesischen  Wohnungswesens  überaus  wichtigen  Werke  von  J.  Luiken: 
»Het  leerzam  huisraad  verstoom  in  vyftig  konstige  figuuren  met  godlyke  sprenken 
en  stichtelyke  verzen«,   einem  Buche,   welches  im  Jahre  1711  in  Amsterdam 


Fig.  24.    Jan  Luikens  Bild:  „De  Haardstee.** 

erschienen  ist  und  in  den  30er  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  eine  neue  Auf- 
lage erlebt  hat.  In  demselben  schildert  der  Verfasser  auf  fünfzig  selbst- 
gefertigten Kupferstichen  die  holländische  Wohnung  mit  ihren  Möbeln  und 
Geräten  und  begleitet  diese  Bilder  mit  einem  Text,  der  die  einzelnen  Stücke 
in  religiös-symbolischen  Sinne  ausdeutet®'*).     Leider  gibt  dieser  Text  selbst 


64)  Des  grofsen  Interesses  halber  führe  ich  die  einzelnen  Stücke  in  alphabetischer 
Reihe  nach  Luikens  Register  hier  auf:  S.  138.  Asschop  =  Aschenschüppe.  S.  142.  As- 
veeger  =  Aschenfeger.  S.  8.  Bed  =  Bett.  S.  146,  Bezem  =  Besen.  S.  92.  Blaasbalk  = 
Blasebalg.  S.  72.  Boekekas  —  Bücherschrank.  S.  18.  Doofpot  =  Kohlendämpfer.  S.  88. 
Emmer  =  Eimer.  S.  12.  Hardstee  =  Herdstätte.  S.  168.  Heugel  =  Kesselhaken.  S.  64. 
Horlogie  =  Uhr.    S.  176.  Juweel-Koffer  =  Schmuckkasten.    S.  50.  KaarsnuiJter  =r  Licht- 


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16  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


für  die  Geschichte  des  lokalen  Wohnungswesens  eigentlich  gar  nichts,  dafür 
aber  sind  die  zahlreichen  Abbildungen  um  so  wertvoller.  Dort  ist  denn  auch 
(S.  12)  der  Kamin  unter  der  Bezeichnung  »De  haardstee«  in  der  Weise  ab- 
gebildet, wie  es  unsere  Fig.  24  in  Originalgröfse  wiedergibt.  Man  sieht  dort 
die  niedrige  Herdplatte,  auf  der  das  Feuer  brennt,  darüber  den  weiten  Rauch- 
fang mit  dem  Schornsteinkleide.  Die  Rückwand  ist  mit  Fliesen  bedeckt,  ab- 
gesehen von  der  dem  Feuer  direkt  ausgesetzten  unteren  Hälfte  der  Kamin- 
nische, über  die  eine  breite  Eisenplatte  gelegt  ist,  die  wir  durch  den  Rauch 
hindurchschimmern  sehen. 

Diese  holländischen  Kamine,  von  denen  Joh.  Karl  Gottfried  Jacob s- 
sons  technologisches  Wörterbuch  (Berlin,  Fr.  Nicolai  1782)  II,  S.  276  sagt,  sie 
haben  einen  mit  dem  Fufsboden  gleichen  Herd  als  besonderes  Merkmal, 
müssen  nach  desselben  Schriftstellers  Berichten  auch  in  denjenigen  Gegenden 
Deutschlands,  wo  man  überhaupt  Kamine  benutzte,  nicht  eben  selten  gewesen 
sein.  Dazu  scheint  die  Art,  in  der  die  Holländer  ihre  Kamine  zu  dekorieren 
pflegten,  in  Deutschland  Anklang  gefunden  zu  haben.  Deshalb  und  besonders 
auch  weil  wir  in  den  »Bauernstuben«  des  Museums  nur  dieses  eine  Mal  einem 
Kamine  begegnen,  möchte  ich  das,  was  Jacobsson  II,  S.  342  darüber  sagt, 
hier  mitteilen.  Es  heifst  dort:  »Man  verstehet  jetzt  gewöhnlich  unter  Kamin 
einen  in  Stuben,  grofsen  Zimmern  und  Sälen  in  der  Wand  angebrachten  und 
zierlich  gebauten  Ort  oder  Öffnung,  worinn  man  Feuer  machen  und  die  Zim- 
mer damit  einigermafsen  (!)  erwärmen  kann.  Nach  den  verschiedenen  Manieren 
seiner  Einrichtung  heifst  ein  Kamin  entweder  ein  italienischer  oder  holländi- 
scher oder  französischer.  Die  erste  Art  wird  bei  den  Deutschen  nicht  son- 
derlich nachgemacht;  die  holländischen  aber  und  vornehmlich  die  französischen 
findet  man  fast  allenthalben  in  deutschen  Gebäuden  ....  Die  Einfassung 
ist  von  Steinen  oder  von  echtem  oder  gemachtem  Marmor.  Die  Simse 
über  der  Einfassung,  die  nicht  von  allen  Baumeistern  geduldet  werden,  be- 
setzt man  mit  allerhand  Porzellangeschirren,  Galanterien,  Vasen  und  anderen 
Marmorbildern.  Man  hängt  auch  wohl  Spiegel  oder  Gemälde  über  die  Kamine. 
Der  Rücken  oder  die  inwendige  Seite  des  Kamins,  woran  das  Feuer  liegt, 
kann  mit  einer  zierlich  gegossenen  eisernen  Rückenplatte  bekleidet  werden.« 

putzscherc.  S.  194.  Kabinet.  S.  30.  Kachel  =  Ofen.  S.  162.  Kan  =  Kanne.  S.  46. 
Kandelaar  =  Leuchter.  S.  60.  Kapstock  =  Haubenstock.  S.  22.  Kas  =  Schrank.  S.  26. 
Kist  =  Truhe.  S.  114.  Kleerben  =  Kleiderkorb.  S.  90.  Lamp  =  Lampe.  S.  156.  Lantaaren 
=  Laterne.  S.  74.  Luiwagen  =  Schrubber.  S.  130.  Mcs  =  Messer.  S.  104.  Mortier  = 
Mörser.  S.  126.  Pan  =  Pfanne.  S.  118.  Porselyn  =  Porzellan.  S.  34.  Pot  =  Topf.  S.  78. 
Raagbol  =  Spinnebesen.  S.  134.  Rooster  =  Rost.  S.  108.  Rustbank  =  Ruhebank.  S.  68. 
Schilderij  =  Gemälde.  S.  38.  Schotel  =  Schüssel.  S.  172.  Schrijf-lij  =  Schreibzeug. 
S.  68.  Schuijer  r=  Bürste.  S.  148.  Schuurtuig  =  Scheuerzeug.  S.  150.  Servet  =  Serviette. 
S.  54.  Spiegel.  S.  80.  Spinnewiel  =  Spinnrad.  S.  6.  Stoel  =  Stuhl.  S.  100.  Suikerbos 
=  Zuckerbüchse.  S.  96.  Sulferbak  =  Schwefelkasten.  S.  2.  Tafel  =  Tisch.  S.  16.  Tang 
=  Zange.  S.  160.  Thee-en  Koffy  -  Gerecdschap  =  Thee-  und  Kaffeegeschirr.  S.  122. 
Vleeskuip  =  Fleischkübel.  S.  42.  Vuurslag  =  Feuerzeug.  S.  84.  Wastobben  =  Waschtrog. 
S.  110.  Wieg  =  Wiege.  Wenn  diese  Zusammenstellung  nur  einen  mehr  lexikalen  Eindruck 
macht,  so  liegt  das  daran,  dafs  mir  das  von  der  Königl.  Bibliothek  in  Amsterdam  gütigst 
geliehene  Werk  bei  der  Niederschrift  nicht  mehr  zur  Verfügung  stand. 


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VON  na  OTTO  lauffer-frankfürt  a.  m. 


17 


Im  übrigen  setzt  sich  Jacobsson  zum  Teil  mit  dem,  was  wir  am  Hinde- 
loopener  Kamine  bemerken,  in  Widerspruch.  Während  wir  den  Kamin  an 
die  Fensterwand  gesetzt  fanden  und  zwar  mitten  zwischen  die  Fenster,  so 
warnt  Jacobsson  gerade  vor  dieser  Anlage  ausdrücklich,  indem  er  sagt:  »Die 
beste  und  schönste  Lage  der  Kamine  ist  an  den  schmälsten  Wänden  der 
Zimmer,  nur  ja  nicht  gegen  die  Fenster,  und  noch  weniger  zwischen  diese.« 
Ferner  hatten  wir  selbst  früher  schon  einen  Unterschied  des  Hindeloopener 
Schornsteins  von  demjenigen,  den  J.  Koedyck  auf  seinem  Bilde  der  »Hollän- 
dischen Stube«  darstellt,  insofern  gefunden,  als  unserer  sich  nicht  verjüngt, 
während  der  dort  abgebildete  sich  in  der  Wand  verläuft.  Die  gleiche  Ten- 
denz ist  auf  J.  Luikens  Kupferstich  deutlich  zu  bemerken  (vgl.  Fig.  24).  So 
äufsert  sich  denn  auch  Jacobsson:  »Man  vergesse  nicht,  die  Schornsteine 
der  Kamine  mitten  zum  Dach  hinaus  gehen  und  sie  unten  weiter  als  oben 
machen  zu  lassen,  weil  sie  sonst  rauchen.«  Wie  es  kommt,  dafs  der  Hinde- 
loopener Schornstein  dieser,  wie  es  scheint,  recht  eindringlichen  und  für  das 
Wohnungswesen  sehr  wichtigen  Heizerfahrung  nicht  entspricht,  weifs  ich 
nicht  zu  erklären,  es  müfste  denn  sein,  dafs  die  Verjüngung  erst  oberhalb 
der  Stubendecke  beginnt. 

Das  Brennmaterial  besteht  auf  dem  Luiken'schen  Bilde  aus  Holzscheiten. 
Wie  hoch  das  Gebrauchsverhältnis  derselben  neben  dem  sonst  in  Holland 
üblichen  Torf  sich  belief,  kann  ich  nicht  angeben.  Jedenfalls  sagt  Jacobsson 
(II,  S.  276)  von  den  holländischen  Kaminen  im  allgemeinen,  dafs  ihre  ÖfTnung 
höher  und  breiter  sei,  »weil  in  diesem  Kamin  Torf  aufgeth&rmet  wird.«  In 
Hindeloopen  selbst  wurde,  wie  die  Merkwaardigheden  S.  9  ausdrücklich  an- 
geben, Torf  gebrannt,  und  so  geschieht  es  auch  wohl  heute  noch.  Sicher 
ist  auch,  dafs  der  Torf  in  den  friesischen  Gegenden  ein  altbeliebtes  Heiz- 
material bildete,  als  solches  ist  er  speziell  im  Gebiete  von  Utrecht  schon  um 
die  Wende  des  ersten  Jahrtausends  nach  Christi  Geburt  bezeugt®'^). 

Schliefslich  möchte  ich  noch  anführen,  was  die  »Merkwaardigheden« 
S.  9  über  den  Kamin  und  seine  Ausstattung  berichten.  Es  heifst  dortf  »Die 
Herdplatte  des  Kamins  ist  glatt  gescheuert  ebenso  wie  das  dazugehörende 
Feuerherdchen  mit  Dreh-Dreifufs:  die  beiden  letzteren  sind  auch  von  neuerer 
Erfindung,  während  man  früher  die  Öffnung  in  der  Platte  der  Herdgrube  ein- 
fach mit  einem  Rost  bedeckte,  über  dem  man  die  Torfstücke  aufstapelte^**). 
Ich  gestehe,  dafs  mir  diese  Bemerkungen  nicht  in  allen  Einzelheiten  verständ- 
lich sind.  Sie  bedürfen  einer  genaueren  Erklärung  durch  die  westfriesische 
Lokalforschung. 

Damit  könnten  wir  nun  die  Behandlung  des  Hindeloopener  Kamins  be- 
schliefsen,  wenn  er  uns  nicht  in  der  Stube  des  Museums  —  so  wie  er  auch 
auf  Fig.  21  abgebildet    ist  —    in   einer  Ausstattung   entgegenträte,    die    viel- 


65)  Vergl.  Stephani,  a.  a.  O.  II.  S.  567.  Anm.  4. 

66)  »De  haardplaat  van  den  schoorsteen  is  glad  geschuurd,  even  als  het  daarbij 
behoorende  vuurhaardtje  met  draaitreeft:  beide  laatste  zijn  ook  van  latere  uitvinding, 
daar  men  vroeger  de  opening  in  de  plaat  of  haardkolk  enkel  bedekte  met  een  rooster, 
waarop  men  de  turven  stapelde.« 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    19(M.  3 


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1^  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

leicht  den  merkwürdigsten  Feuerherd  darstellt,  den  man  sich  überhaupt 
denken  kann. 

Wir  erinnern  uns,  dafs  der  Kamin  in  der  kalten  Winterszeit  zugleich 
zwei  Funktionen  zu  erfüllen  hatte,  indem  er  die  Kochstelle  bildete  und  da- 
neben die  einzige  Wärmequelle  für  das  Zimmer  darbot.  Diese  beiden  ver- 
schiedenen Aufgaben  erfordern  sehr  verschiedene  Massen  an  Brennmaterial, 
was  sofort  in  die  Erscheinung  tritt,  wenn  eine  der  beiden  Aufgaben  des 
Kamins  fortfällt,  wie  es  im  Sommer  geschieht,  wenn  der  Kamin  lediglich  als 
Kochstelle  zu  dienen  hat.  Die  Menge  des  nötigen  Materials  —  in  Hinde- 
loopen  also  des  Torfes  —  wird  dann  sofort  beträchtlich  verringert,  immerhin 
wird  aber  auch  dann  noch  bei  der  offenen  Feuerungsart  ziemlich  viel  mehr 
verbraucht,  als  für  den  Zweck  nötig  wäre.  Die  Absicht  nun,  die  Menge  des 
Brennmaterials  auf  das  mindestmögliche  Mals  zu  beschränken,  und  daneben 
ein  ausgesprochener  Reinlichkeitssinn,  wie  er  den  Friesen  nachgerühmt  wird, 
scheinen  mir  die  beiden  Gründe  zu  sein,  aus  dem  die  merkwürdige  sommer- 
liche Umwandlung  des  Kamins,  die  wir  auf  Figur  21  erblicken,  hervorge- 
gangen ist. 

Die  Merkwaardigheden  sagen  S.  9  darüber  nur:  »Des  Sommers  wird 
die  Herdplatte  (=  eazen)  mit  einem  gemalten  kleinen  Boden  überdeckt, 
welcher  »eazenboord«  genannt  wird«  *').  Weshalb  sich  die  Verfasser  nur 
mit  dieser  Bemerkung  begnügten,  ist  mir  nicht  recht  verständlich,  denn  aufser 
dem  niedrigen  lackbemalten  Holzdeckel,  den  Fig.  21  deutlich  erkennen  läfst, 
finden  wir  in  der  Hindeloopener  Stube  des  Museums,  auf  jenen  Holzboden 
gestellt  noch  einen  geschnitzten  und  bemalten  hölzernen  Schemel.  Auf  diesem 
Untersatze  erst  steht  mit  drei  kurzen  Beinen  —  und  zu  Transportzwecken  mit 
einem  eisernen  Kesselring  versehen  —  das  runde  Becken  zur  Aufnahme  des 
Torfes.  Dadurch  kommt  dann,  im  ganzen  betrachtet,  eine  überaus  merk- 
würdige Feuerstätte  zu  stände,  deren  grofse  Sauberkeit  nicht  genug  gerühmt 
werden  kann. 

Über  dem  Feuer  schwebt  ein  Wasserkessel,  der  an  einem  aus  dem 
Schornstein  herabhängenden  Kesselhaken  (=  heugel  oder  haal)  aufgehängt 
ist.  Ein  besonders  merkwürdiges  Herdgerät  bemerken  wir  aufserdem  über 
dem  Kohlenbecken  angebracht.  Es  ist  eine  Art  Schwebebaum  im  kleinen: 
an  der  rechten  Seite  des  Kamins  läuft  der  Fensterwange  entlang  eine  Eisen- 
stange herab,  und  über  dieser  Stange  spielt  mit  einem  Kniestück  ein  aus 
Ring  und  Eisenstiel  bestehender  Topfhalter,  der  auf  der  Seitenstange  beliebig 
verschoben  werden  kann  und  nur  durch  seine  Hebelkraft  sich  in  der  gewählten 
Höhe  festhält.  Den  volkstümlichen  holländischen  Namen  und  die  Geschichte 
dieses  Gerätes  habe  ich  bislang  nicht  feststellen  können. 

Zur  weiteren  Ausstattung  des  Kamins  gehört  noch  ein  lackbemalter 
hölzerner  Ofenschirm,  eine  kupferne,  mit  messingenen  Ringen  und  Deckel 
versehene  Wasserkanne,   dazu  —  wie   man   aus   Fig.  21    ersieht  —  ein   lack- 


67)  »Des  zomers  wordt  de  haardplaat  (eazen)  overdekt  met  een  beschilderd  zoldertje, 
het  eazenboord  geheeten.« 


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VON  bR.  O'ITO  LAÜFFER-FRANKFURT  A.  M.  19 

bemalter  Blasebalg,  ferner  eine  aus  Messing  hergestellte  Garnitur  von  Feuer- 
schaufel mit  Zange  und  Handbesen,  von  denen  der  letztere  eine  auch  in  Nord- 
friesland begegnende  mehr  pinselartige  Gestalt  hat,  deren  Borsten  durch  eine 
annähernd  halbkugelförmige  Messingkappe  zusammengehalten  werden.  — 


Wenn  wir  nunmehr  von  der  Betrachtung  des  Kamins  Abstand  nehmen 
und  uns  den  Möbeln  zuwenden,  so  können  wir  dabei,  was  die  allgemeine 
Ausstattung  angeht,  schon  auf  einige  früher  genannte  Einzelstücke  uns  be- 
ziehen. Denn  schon  mehrfach  haben  wir  Gelegenheit  gehabt,  auf  die  in 
Lackfarben  ausgeführte  bunte  Behandlung  von  Möbeln  und  Geräten  hinzu- 
weisen. Wir  befinden  uns  in  einem  Wohnraum,  der  von  einem  ausgesprochenen 
intensiven  Colorismus  beherrscht  wird.  Wohin  wir  nur  blicken,  überall  er- 
kennen wir  eine  unendlich  lebhafte  Freude  an  der  Farbe,  die  in  allen  Einzel- 
heiten zu  Tage  tritt.  So  schliefsen  sich,  wie  wir  bereits  sahen,  an  die  bunten 
Bodenplatten  die  blaugemalten  Fliesen  der  Wand  an,  und  ebenso  werden  wir 
weiterhin  in  der  Ausstattung  des  Raumes  eine  erstaunliche  Menge  von  blau- 
gemalten Porzellanen  zum  Schmuck  verwandt  finden.  Dazu  kamen  die  bunten, 
farbigen  geblümten  Kattune  der  Vorhänge,  mit  denen  auch  die  in  farbigen 
Reizen  schwelgenden  Kleider  der  Frauen  übereinstimmten,  von  deren  Schil- 
derung wir  hier  absehen  müssen.  Kein  Wunder,  wenn  zu  alledem  auch 
bunte  Möbel  sich  gesellten,  die  mit  ihrer  vielseitigen  und  überaus  zierlichen 
farbigen  Behandlung  uns  geradezu  in  Erstaunen  versetzen. 

Die  mit  Lackfarben  hergestellte  Bemalung  gibt  den  gröfseren  Flächen 
am  Möbel  meist  einen  einfarbigen  Grund  in  einem  leuchtenden  rot,  weifs  oder 
blau,  indem  bei  dem  Rahmenwerk  häufig  ein  roter  Rahmen  zu  einer  weifsen 
Füllung  vervÄindt  wird.  Dieser  ganze  Grund  aber  ist  dicht  übersät  mit  den 
allerzierlichsten  Blumenranken  mit  den  kleinsten  Knöspchen,  Blüten  und 
Blättchen,  die  aus  winzig  feinen  Stengelchen  herauswachsen.  Es  macht  das 
alles  eigentlich  viel  mehr  den  Eindruck  von  Miniaturmalerei  als  den  einer  uns 
sonst  gewohnten  farbigen  Ausstattung  am  Möbel,  denn  die  Einzelheiten  sind 
auf  eine  auch  nur  mäfsige  Entfernung  schon  nicht  mehr  zu  erkennen.  Das 
einzige,  was  auch  in  etwas  weiterem  Abstand  noch  erkennbar  bleibt,  sind  die 
in  den  Herzfeldern  der  Füllungen  angebrachten  allegorischen  und  biblischen 
Darstellungen.  Alles  aber  ist  mit  einer  unendlichen  Liebe  und  Sorgfalt  aus- 
geführt, und  trotzdem  alle  Farben,  die  die  Palette  nur  darbietet,  an  diesen 
Möbeln  sich  finden,  machen  sie  doch  in  der  Ausstattung  niemals  einen  un- 
ruhigen Eindruck. 

Die  geschilderten  feinen  Blumenmalereien  finden  wir  nun  fast  überall, 
wo  es  nur  irgend  möglich  war,  an  den  Möbeln  angebracht,  an  dem  Schreib- 
pult, den  Kasten  und  Kästchen,  den  dreibeinigen  Klapptischen,  die  eben 
deshalb  zum  Teil  zusammengeklappt,  nur  als  Dekorationsstücke  an  der  Wand 
stehen,  an  den  Betttreppen,  der  Wiege,  dem  Kleiderkorb,  dem  geschnitzten 
Schlitten  auf  dem  Schranke,  sowie  an  der  Tür  zu  dem  Flur.  Kurz,  die  Malerei 
der  Möbel  macht  wesentlich  den  Eindruck  des  ganzen  Zimmers  mit  aus. 


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20  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Ober  das  Alter  dieser  Art  der  Möbelbemalung  kann  man  im  ganzen 
wohl  eine  ziemlich  sichere  Angabe  machen:  viel  vor  der  Wende  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts  kann  sie  nicht  aufgekommen  sein,  denn  auf  den  holländischen 
Gemälden  des  17.  Jahrhunderts  wird  sie  meines  Wissens  noch  nicht  ange- 
troffen. Vermutlich  ist  sie  durch  die  überseeischen  Handelsbeziehungen  an- 
geregt, besonders  ist  hier  an  den  Verkehr  mit  Ostindien  zu  denken,  dem  ja 
auch  die  Kattune  ihre  Einführung  und  Verbreitung  in  Holland  und  dann  im 
Abendlande  verdanken. 


Fig.  25.    Lackgomalte  Wiege  aus  Hindeloopen. 

Ganz  ohne  Wechsel  ist  im  Laufe  der  Zeit  auch  diese  farbige  Aus- 
stattung der  Möbel  nicht  geblieben.  So  gibt  es  Stücke,  die  auf  den  er- 
wähnten farbigen  Wechsel  zwischen  Rahmen  und  Füllung  verzichten,  und  das 
ganze  Möbel  gleichmäfsig  mit  einem  weifsen  Grunde  überziehen,  auf  dem 
dann  die  zierlichen  Blümchen  ausgebreitet  sind.  Durch  diese  einfarbig  weifse 
Behandlung  machen  die  betreffenden  Möbel  dann  einen  etwas  schlichteren 
Eindruck,  immer  aber  wirken  auch  sie  ungemein  gefällig,  sauber  und  freund- 
lich, ja  zumeist  machen  sie  mit  ihren  zarten  Blumenkränzchen  einen  so 
heiteren  Eindruck,  wie  kaum  irgend  ein  anderes  Möbel.  Diese  weifse  Art 
ist  in  den  Sammlungen  des  Museums  nicht  vertreten. 

Einen  ferneren  Wandel  in  der  Dekoration  bemerken  wir  sodann  an  der 
Wiege,  die  auf  Fig.  23  im  Vordergrunde  steht,  und  von  der  ich  eine  bereits 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFEK-FRANKFÜRT  A.  M. 


21 


durch  Dr.  H.  Stegmann  gegebene  Abbildung  in  Fig.  25  wiederhole*").  Deut- 
lich erkennt  man  dort  den  geschmackvoll  angeordneten,  im  Vergleich  zu  den 
anderen  Stücken  aber  immer  noch  grofs  gehaltenen  und  nicht  einmal  besonders 
reichen  Blumenschmuck,  der  über  das  Möbel  ausgestreut  ist.  Weniger  gut 
sieht  man  die  an  den  Wiegenpfosten  und  an  den  Rändern  des  Untersatzes 
angebrachte  Marmorierung  in  schwarz  und  weifs.  Ich  halte  dieselbe,  da  nach 
den  Medaillons  zu  urteilen,  die  Wiege  nicht  vor  der  Wende  des  18.  zum 
19.  Jahrhundert  entstanden  sein  kann,  für  ein  neueres  Moment  in  der  lokalen 
farbigen  Möbelausstattung,  und  ich  möchte  mit  ihr  die  an  den  Fenstersprossen 
bereits  erwähnte  Marmorierung  in  schwarzblau,  rot  und  weifs  zusammenstellen. 
Das  Merkwürdigste  an  dieser  Bemalung,  in  der  die  Möbel  mit  so  vielem 
Geschmack  verziert  sind,  bleibt  die  Tatsache,  dafs  sie  wirklich  nur  der  lokalen 
Kunstübung  entsprossen  ist.  Wenn  die  Besitzer  auch  eines  beträchtlichen 
Wohlstandes  sich  erfreuten,  so  ist  das,  was  wir  an  dieser  farbigen  Aus- 
stattung der  Möbel  geradezu  bewundern  müssen,  doch  nicht  etwa  ein  Er- 
zeugnis des  grofsen  internationalen  Kunstgewerbes,  das  für  den  Weltmarkt 
arbeitet,  sondern  es  ist  eine  aus  rein  örtlichen  Überlieferungen  erwachsene, 
bodenständige  Dekoration,  die  zwar  fremde  Einflüsse  zur  Genüge  erkennen 
läfst,  die  aber  doch  dem  westfriesischen  Möbel  eigentümlich  geblieben  ist. 
Darin  liegt  schliefslich  auch  der  Grund,  weshalb  diese  durchweg  viel  feiner 
gemalten  Stücke  sich  doch  nicht  gerade  wesentlich  von  den  farbig  behandelten 
Möbeln  der  übrigen  Bauernstuben  des  Museums  unterscheiden.  Hier  wie 
dort  ist  es  eine  »Kunst  des  Volkes«,  mit  der  wir  es  zu  tun  haben,  und  auch 
auf  sie  passen  die  schönen  —  leider  etwas  unbeholfen  übersetzten  —  Worte, 
die  William  Morris  im  Jahre  1893  zu  den  Mitgliedern  des  Kunstgewerbe- 
vereins in  Birmingham  gesprochen  hat:  »Diese  Dinge  sind  die  gewöhnlichen 
Hausgeräte  aus  jenen  vergangenen  Tagen.  Es  waren  zu  ihrer  Zeit  gewöhn- 
liche Dinge,  die  man  im  Gebrauch  hatte,  ohne  zu  fürchten,  sie  zu  verderben 
oder  zu  zerbrechen  —  keine  Seltenheit  damals  —  und  doch  haben  wir  sie 
»wundervoll«  genannt.  Und  wie  sind  sie  entstanden?  Entwarf  ein  grofser 
Künstler  die  Zeichnungen  dazu  —  ein  hochgebildeter,  glänzend  bezahlter,  mit 
ausgewählten  Speisen  genährter,  behaglich  wohnender  Mann,  kurzum  ein  Mann, 
der  in  Watte  gewickelt  war,  wenn  er  nicht  bei  der  Arbeit  war?  Wundervoll 
wie  diese  Werke  sind,  wurden  sie  von  »gewöhnlichen  Leuten«  gemacht,  wie 
die  Redensart  lautet,  während  sie  bei  ihrer  gewöhnlichen  täglichen  Arbeit 
waren.  Solcher  Art  waren  die  Männer,  die  wir  ehren,  indem  wir  solche  Werke 
ehren.  Und  ihre  Arbeit  —  glauben  Sie,  dafs  sie  ihnen  eine  Last  war?  Die- 
jenigen unter  Ihnen,  die  Künstler  sind,  wissen  wohl,  dafs  es  nicht  der  Fall 
war,  nicht  der  Fall  sein  konnte.  Manches  vergnügte  Lächeln,  behaupte  ich 
—  und  Sie  werden  mir  nicht  widersprechen  —  begleitete  das  Zustandekommen 
jener  verflochtenen,  verschlungenen  Muster  voll  geheimnisvoller  Schönheit,  die 
Erfindung  jener  seltsamen  Tiere  und  Vögel  und  Blumen«  ®*). 

68)  Vergl.  »Anzeiger  des  Museums«.    Jahrg.  1902.     S.  153.     Abb.  12. 

69)  William   Morris,    > Kunsthoffnungen    und   Kunstsorgen.    II.    Die    Kunst   des 
Volkes.«     Leipzig  1901.    S.  23--24. 


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22 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS, 


Eine  besondere  Eigentümlichkeit  der  Möbel  möchte  ich  noch  erwähnen, 
bevor  wir  uns  der  Betrachtung  der  Einzelstücke  zuwenden.  Dieselbe  haftet 
allerdings  nicht  den  Möbeln  selbst  an,  sondern  sie  betrifft  nur  mehr  die  Art 
ihrer  Aufstellung,  ist  darum  aber  nicht  minder  auffallend.  Es  sind  nämlich 
alle  Kastenmöbeln  nicht  wie  gewöhnlich  direkt  auf  den  Boden  aufgesetzt, 
sondern  sie  sind  ein  gutes  Stück  über  denselben  erhoben,  indem  sie  auf 
bock-  oder  schemelartige  Untersätze  gestellt  wurden,  wie  dieselben  z.  B.  auf 
Fig.  22  als  Träger  der  seitlich  aufgestellten  Kasten  deutlich  erkennbar  sind. 
Selbst  der  schwere  Eichenschrank  ruht,  wie  wir  sehen  werden,  auf  solchen 
Schemeln.  Dieselben  sind  durchgängig  sehr  zierlich  gearbeitet,  im  Vergleich 
zu  dem  Gewicht  des  Schrankes  mufs  man  sie  sogar  geradezu  als  gebrechlich 
bezeichnen.  Sie  ruhen,  wie  Fig.  22  zeigt,  nicht  auf  gedrehten  etc.  Beinen, 
sondern  auf  je  zwei  Fufsbrettem.  die  in  geschweiften  Konturen  ausgesägt, 
mit  Kerbschnittmustern  überdeckt  und  dann  farbig  ausgestattet  sind.  Um 
das  Ausweichen  der  Schemel  zu  verhüten,  sind  die  Fufsbretter  mit  dem 
oberen  Tragbrette  durch  schräggestellte  Versteifungen  fest  verbunden.  Trotzdem 
aber  machen  diese  Stelzen  nicht  völlig  den  Eindruck,  dafs  sie  zum  Tragen  der 
darauf  gestellten  Last  durchaus  hinreichen.  Der  Sinn  für  das  Zierliche,  den 
wir  bei  der  Hindelooper  Bevölkerung  schon  mehrfach  beobachtet  haben,  ist 
an  diesen  Stücken,  wie  es  scheint,  bis  zu  der  äufserst  zulässigen  Grenze 
gegangen. 

Fragen  wir  uns  nun  nach  dem  Ursprung  dieser  merkwürdigen  Untersätze, 
so  müssen  wir  uns  wohl  erinnern,  dafs  die  Hindelooper  wie  alle  Bewohner 
der  umliegenden  Küstenplätze  mit  grofser  Bodenfeuchtigkeit  und  selbst  mit 
gelegentlichen  Überschwemmungen  zu  rechnen  hatten,  und  es  ist  begreiflich, 
wenn  man  unter  solchen  Umständen  die  Kasten  samt  ihrem  Inhalt  nicht  direkt 
auf  den  Boden  aufstellen  wollte.  Die  verhältnismäfsig  hohe  Anbringung  der 
Schlafstätten  ist  wohl  auf  dieselbe  Ursache  zurückzuführen  und  ebenso  die 
auf  Fig.  25  ersichtliche  Gewohnheit,  die  Wiege  auf  einen  eigens  dazu  gebauten 
hölzernen  Untersatz  zu  stellen.  Selbst  an  den  Stühlen  scheinen  die  zur  Ver- 
steifung durchaus  nicht  mehr  nötigen  Zargen,  die  etwa  spannenhoch  über 
dem  Fufsboden  zwischen  den  Stuhlbeinen  angebracht  sind,  den  Zweck  zu 
haben,  dafs  der  auf  dem  Stuhle  Sitzende  die  Füfse  nicht  auf  den  nafskalten 
Boden  zu  setzen  brauchte,  sie  vielmehr  etwas  heraufziehen  und  auf  den 
Zargen  aufstellen  könnte  (vergl.  Fig.  24).  Aber  selbst  für  die  Stühle  scheinen 
hölzerne  Untersätze  ähnlich  demjenigen,  auf  dem  die  Wiege  steht,  seit  Jahr- 
hunderten in  Gebrauch  gewesen  zu  sein,  wenn  wir  einen  Beleg  verallgemeinern 
dürfen,  den  ein  Bild  von  Gabriel  Metsu  (1630 — 1667)  darbietet.  Dasselbe 
befindet  sich  unter  dem  Namen  »Der  Liebesantrag  an  die  Friesin«  in  der 
Galerie  zu  Karlsruhe  (Klass.  Bilderschatz  Nr.  83)  und  zeigt  am  linken  Rande 
einen  allerdings  nur  zur  Hälfte  sichtbaren  Stuhl,  der  auf  einen  etwa  fufshohen 
Thron  gesetzt  ist.  — 

Wenn  wir  uns  nunmehr  der  Betrachtung  der  Einzelstücke  an  Möbeln 
und  Hausrat  zuwenden,  so  fassen  wir  dabei  zunächst  die  Rückwand,  wie  sie 
Fig.  22  zeigt,  ins  Auge.    Von  den  beiden  Bettstätten  ist  die  eine  geschlossen, 


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VON  DB.  OITO  LAÜFFER-FRANKFURT  A.  M. 


23 


die  Türen  der  anderen  sind  geöffnet,  aber  auch  hier  reicht  der  Blick  noch 
nicht  bis  zum  eigentlichen  Lager,  vielmehr  sind  hinter  den  Türen  noch  ein 
paar  Vorhänge  angebracht,  über  die  sich  als  oberer  Abschlufs  noch  ein 
schmaler  Behangstreifen  hinzieht.  Diese  Vorhänge  bestehen  ebenso  wie  das 
Schornsteinkleid,  wie  die  Vorhänge  vor  den  Fenstern  und  wie  derjenige,  der 
das  kleine  Guckfenster  nach  dem  Flur  hin  bedeckt,  aus  einem  bunt  geblümten 
Kattun,  und  auch  sie  bezeugen  wiederum  die  Vorliebe  der  Friesen  sowohl 
für  diese  Stoflfart  als  auch  für  die  farbige  Ausstattung  des  Wohnraumes.  Ob 
in  Hindeloopen  die  Kattunvorhänge  auch  gelegentlich  allein  den  vorderen  Ab- 
schlufs der  Bettstatt  gebildet  haben,  so  wie  es  auf  dem  mehrfach  genannten 
Bilde  von  J.  Koedyck  »Holländische  Stube«  der  Fall  ist,  kann  ich  nicht 
entscheiden. 

Das  Einsteigen  in  die  Betten  wird  durch  vorgestellte  mobile  Holztrepp- 
chen  von  drei  oder  vier  Stufen  vermittelt.  Dieselben  haben  zwei  gefällig 
geschwungene  Seitenwangen,  die  in  der  üblichen  Weise  mit  Lackmalereien 
versehen  sind.  Diese  Treppen  sind  nach  Angabe  der  »Merkwaardigheden« 
erst  eine  neuere  Einrichtung.  Früher  gebrauchte  man  ein  schemelartiges 
Bänkchen  dazu,  welches  Tags  über  für  gewöhnlich  seinen  Platz  unter  dem 
Schranke  hatte,  wo  es  zwischen  die  Schemelstützen,  auf  denen  der  Schrank 
ruhte,  geschoben  wurde  ^®).  Auch  ein  solches  Bänkchen  befindet  sich  im 
Besitze  des  Museums.  Es  ist  vor  der  Bettstatt  der  Seitenwand  aufgestellt 
und  es  ist  mit  Lackmalereien  versehen,  in  denen  die  klugen  und  törichten 
Jungfrauen  dargestellt  sind. 

Zur  Ausstattung  der  Betten  gehört  der  Bettwärmer,  der  an  der  Holz- 
vertäfelung zwischen  den  Türen  der  Bettstätten  seinen  Platz  gefunden  hat. 
Dieses  in  Niederdeutschland  früher  weitverbreitete  Gerät  ist  ein  verdecktes 
Becken,  welches  mit  glühenden  Kohlen  gefüllt  wurde,  und  mit  dem  man 
zwischen  Bettlaken  und  Oberbett  hin-  und  herstrich,  um  auf  diese  Weise 
das  Lager  anzuwärmen.  Jacobsson  in  seinem  technologischen  Wörter- 
buch I.  S.  194  erklärt  den  »Bettwärmer«  oder  »Bettpfanne«  als  »eine  geraume 
kupferne  oder  messingene  getriebene  flache  Pfanne  mit  einem  langen  Stiel, 
die  oben  mit  einem  beweglichen  und  vest  einschliefsenden  Deckel  versehen 
ist,  welcher  hin  und  wieder  durchbrochene  Löcher  hat,  damit  die  hinein  ge- 
schütteten glühenden  Kolen  Luft  haben  und  nicht  ersticken,  auch  die  Wärme 
verbreiten«,  und  er  fügt  über  die  Benützung  des  Geräts  hinzu:  »man  füllet 
sie  mit  etwas  glühenden  Kolen  an,  und  fähret  mit  dieser  Pfanne  kurz  vor 
dem  Schlafengehen  in  dem  Bette  hin  und  wieder  herum,  bis  das  Bette 
erwärmet  ist«.  Alledem  entspricht  der  aus  Messing  gefertigte  Bettwärmer 
der  Hindelooper  Stube  genau,  wie  man  aus  Fig.  22  ersieht,  wo  auch  die 
Dekoration  des  Deckels  noch  ein  wenig  zu  erkennen  ist. 

Wie  lange  diese  Bettwärmer  schon  im  Gebrauch  sind,  scheint  nicht 
genau  bekannt  zu  sein.    In  Frankreich,  wo  sie  mit  dem  Namen  »bassinoire« 

70)  Merkwaard.  S.  9:  »Vroeger  had  men  daar  een  bankje  onder  staan,  dat  men 
gebruikte  om  er  mede  in  de  hooge  bedstede  te  klimmen,  waar  voor  later  de  fraai 
beschilderde  trapjes  in  de  plaats  zijn  gekomen.« 


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24  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


oder  »chauflfe-Iit«  bezeichnet  werden,  sind  sie  schon  im  15.  Jahrhundert  be- 
zeugt, zu  welcher  Zeit  sie  nach  Havard's  Angaben  bereits  in  jedem  besseren 
Haushalt  sich  vorfanden.  Für  die  folgenden  Jahrhunderte  führt  Havard  dann 
eine  grofse  Reihe  von  Erwähnungen  unseres  Gerätes  an,  indem  er  ein  im 
»Mus^e  de  Cluny«  befindliches  Stück  des  17.  Jahrhunderts  abbildet,  welches 
—  abgesehen  von  der  Dekoration  des  Deckels  —  ganz  demjenigen  der  Hinde- 
looper  Stube  gleicht  ^^).  Auch  für  die  niederländischen  Gegenden  gibt  er 
einen  bildlichen  Beleg  des  Bettwärmers  im  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  da  er 
die  auf  einem  flämischen  Bilde  sich  findende  Darstellung  eines  Kamins  repro- 
duziert, neben  welchem  der  Bettwärmer  an  der  Wand  hängt  ^*).  Ich  möchte 
dazu  noch  zwei  weitere  Darstellungen,  die  dem  17.  Jahrhundert  angehören, 
hinzufügen  und  verweise  auf  das  öfter  genannte  Bild  von  Koedyck  und  auf 
Jan  Steen's  Darstellung  einer  »Bauernhochzeit«  in  der  kaiserlichen  Galerie  zu 
Wien,  wo  ein  Knabe  sich  mit  einem  Bettwärmer  zu  schaffen  macht  ^*). 

An  der  einen  Seite  der  Bettwand  —  gegen  den  Eingang  zu  —  steht  ein 
kleiner  Tisch,  der  auf  Fig.  22  zweimal  zu  sehen  ist,  da  der  links  hängende 
Spiegel  ihn  noch  einmal  von  der  Seite  zeigt.  Dort  erkennen  wir  auch,  dafs 
die  beiden  Fufsbretter,  zwischen  denen  unten  noch  eine  Holzplatte  liegt, 
beiderseits  mit  kräftigen  Konturen  ausgeschweift  sind.  Die  obere  Tischplatte 
ist  ganz  mit  Fliesen  belegt,  eine  Art,  die  auch  ausserhalb  Hollands  Nachahmung 
gefunden  hat,  wie  denn  Meiborg  von  der  allerdings  unter  direktem  holländi- 
schen Einflufs  stehenden  Ausstattung  der  nordfriesischen  Pesel  erzählt,  dafs 
in  den  meisten  derselben  »ein  holländisches  Teetischchen  mit  fliesenbelegter 
Platte«   zu  finden  sei  '*). 

An  der  andern  Seite  der  Bettwand,  in  der  Ecke  gegen  die  seitliche 
Fliesenwand,  pflegt  die  Wiege  zu  stehen.  Hier  ist  das  Kind  am  meisten 
vor  Zug  geschützt,  und  hier  ist  es  auch  der  im  Bette  liegenden  Mutter  am 
nächsten.  Die  Wiege  steht,  wie  wir  uns  erinnern  (vergl.  Fig.  25),  auf  einem 
gemalten  Untersatz.  Sie  ist  ganz  aus  Holz  verfertigt  und  mit  Blumenranken 
und  biblischen  Bildern  bemalt;  letzteres  vielleicht,  um  das  darin  liegende 
Kind  gegen  die  Einwirkungen  des  Bösen  zu  schützen  '^^),  Will  die  Mutter 
das  Kind  wiegen,  ohne  sich  selbst  vom  Lager  zu  erheben,  so  benützt  sie 
eine  sehr  einfache  Vorrichtung,  die  man  in  der  Hindelooper  Stube  des  Berliner 

71)  H.  Havard,  »Dictionnaire  de  rameublement  et  de  la  d^coration  depuis  le 
XIII«  siöcle  jusqu'ä  nos  jours.  I,  271  und  I,  785.  Vergl.  auch  ein  ähnliches  Gerät  zum 
Bettwärmen  ebenda  III,  939:  Artikel  »moine«. 

72)  Ebenda  II,  S.  951.   Fig.  688:  Artikel  »foyer«. 

73)  Knackfufs,  »Künstlermonographien  XIX«.  S.  87.  Abb.  25. 

74)  R.  Meiborg,  »Das  Bauernhaus  im  Herzogtum  Schleswig«.  (Deutsch  von 
R.  Haupt.)     S.  85. 

75)  Merkwaard.  S.  10:  »Zoo  er  evenwel  kinderen  in  huis  zijn,  Staat  hier,  op  een 
beschilderd  zoldertje,  de  wieg,  die  van  hout  gemaakt  en  almede  met  bijbelsche  voorstel- 
lingen  beschilderd  is.«  Eine  ähnliche  Art  holländischer  Wiegen  ist  abgebildet  in:  »Zur 
Geschichte  der  Kostüme«  (München,  Braun  &  Schneider),  Münchner  Bilderbogen 
Nr.  499.  Dort  besteht  der  Untersatz  aber  nicht  aus  einem  Kasten,  sondern  aus  einem 
bock-ähnlichen  Gestell  von  zwei  Paar  Kreuzbeinen,  die  durch  drei  Zargen  miteinander 
verbunden  sind. 


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Volkstrachtenmuseums  besichtigen  kann.  Dort  ist  nämHch  an  der  Decke 
oberhalb  der  Wiege  ein  etwa  fufslanger  einfacher  Holzstab  im  Gleichgewicht 
aufgehängt,  an  dessen  beiden  Enden  je  ein  Bindfaden  befestigt  ist.  Der  eine 
derselben  ist  straff  gespannt  an  einem  Seitenknopf  der  Wiege  gefestigt,  der 
andere  dagegen  ist  in  das  Bett  der  Wöchnerin  geleitet,  und  diese  braucht 
nur  wenig  an  ihm  zu  ziehen,  um  vermittels  der  Hebelwirkung  des  Holz- 
schwengels die  Wiege  alsbald  in  Schaukeln  zu  versetzen.  Ebenso  ist  sie 
dann  natürlich  auch  in  der  Lage,  durch  Festhalten  ihres  Bindfadens  das 
Schaukeln  der  Wiege  wieder  aufhören  zu  lassen. 

Zur  Wartung  der  Kinder  gehört  auch  noch  ein  anderes  Möbel,  welches, 
wie  Fig.  23  zeigt,  an  der  Bettwand  zwischen  den  beiden  Bettstätten  einen 
Platz  gefunden  hat.     Dasselbe  besteht  aus  einem  leichten  Gestell  aus  Stäben, 


Fig.  26.    Hiiidelooper  Sitzkastcn  für  Kinder. 
Lackgrenialtes  Modoll  im  Gemian.  Nationalmuseum. 

die  in  ihrer  halben  Höhe  eine  runde  Holzplatte  tragen.  Auf  dieser  Platte 
steht  das  eigentliche  Hauptstück  der  ganzen  Einrichtung,  ein  zweihenkeliger, 
grünglasierter  irdener  Kohlentopf  mit  vier  Löchern.  Das  ganze  Gestell,  das 
oben  noch  eine  Art  Tischplatte  trägt,  ist  ringsum  mit  einem  grofsen  Tuch- 
mantel umhängt,  der  dazu  bestimmt  ist,  die  von  dem  Gluthafen  aufsteigende 
Wärme  aufzufangen,  und  mit  dem  die  Mütter  ihre  jungen  Kinder,  die  sie  auf 
dem  Schofse  halten,  bedecken,  um  sie  auf  diese  Weise  warm  zu  halten.  Das 
Ganze  ist  im  Grunde  nur  eine  etwas  komplizierte  Verwendung  des  Glut- 
hafens, auf  den  wir  später  noch  zu  sprechen  kommen  werden,  und  die  Vor- 
richtung, die  mir  nur  in  diesem  einzigen  Exemplare  bekannt  geworden  ist, 
für  die  ich  auch  weder  aus  Schriftquellen  noch  aus  Abbildungen  weitere  Be- 
lege beibringen  konnte,  scheint  im  allgemeinen  in  den  Kreis  der  Kaminländer 
zu  gehören,  wo  es  an  einer  so  nachhaltig  wirkenden  Wärmequelle  fehlt,  wie 
sie  unser  Ofen  darbietet. 

Mitteilnngren  aus  dem  gemum.  Nationalmuseum.    1904.  4 


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DIE  BAOERNäTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


In  diesem  Zusammenhange  möchte  ich  auch  endlich  ein  kleines  Möbel 
erwähnen,  welches  im  Museum  nur  in  einer  kleinen  Nachbildung  vertreten 
ist,  nämlich  das  Kleinkinderstühlchen,  das  ich  in  Fig.  26  abbilde.  Wie  man 
sieht,  ist  es  mehr  ein  Sitzkasten  als  ein  Stuhl  in  unserem  Sinne,  und  die  in 
dieses  Möbel  hineingesetzten  Kinder  sind  so  eingezwängt,  dafs  an  viel  Be- 
wegung, vor  allem  der  Beine,  nicht  zu  denken  ist.  Dafür  aber  haben  diese 
Kasten,  die  ungefähr  einem  unserer  Küchen-Salzfasser  ähnlich  sind,  den  grolsen 
Vorzug,  dafs  sie  die  Kinder  vor  jeglichem  Hinfallen  sicher  bewahren.  Auch 
sie  sind  wie  alle  anderen  Kastenmöbel  in  der  geschilderten  Lackmalerei 
verziert. 

Damit  könnten  wir  nun  die  Betrachtung  der  Hinterwand  beschliefsen, 
wenn  uns  hier  nicht  zum  ersten  Male  eine  Dekoration  begegnete,  die  sich 
über  alle  Wände  des  Gemaches  gleichmäfsig  ausdehnt,  eine  Dekoration,  die 
die  ganz  besondere  Vorliebe,  den  Stolz  und  zum  guten  Teil  auch  den  Reich- 
tum der  Hindelooper  ausmacht.  Die  ganz  erstaunlich  reiche  Ausstattung  des 
Gemaches  mit  Porzellan  muls  jedem,  der  diese  Stube  betritt,  sofort  in  die 
Augen  fallen.  Die  Anordnung  ist,  wie  Fig.  23  zeigt,  eine  sehr  einfache:  an 
der  Leiste  zwischen  den  Betttüren  und  dem  darüber  befindlichen  Borte  hängen 
Porzellanschälchen,  meist  in  blauer  Dekoration,  die  sogenannten  »Klapmutsen«, 
die,  ich  weifs  nicht  aus  welchem  Grunde,  ihren  Namen  von  einer  Klapp- 
oder Reisemütze  empfangen  haben.  Sie  sind  an  einem  Bindfaden  aufgehängt, 
der  durch  ein  in  den  Unterrand  gebohrtes  Loch  gezogen  ist.  Oberhalb  des 
Börtes  hängt  eine  stattliche  Reihe  ganz  besonders  prunkhafter  grolser 
Schüsseln,  die  sich  von  dem  dunkelbraunen  Grunde  des  Eichenholzes  leuch- 
tend abheben.  Unter  den  Lücken  zwischen  ihnen  stehen  endlich  noch 
kleinere  Porzellankumpen,  die  als  »Kraaikkoppen«  bezeichnet  werden,  des- 
halb, weil  in  dem  Grunde  dieser  Obertassen  häufig  das  Bild  einer  Krähe 
sich  findet^®). 

Die  überreiche  Ausstattung  mit  den  feinsten  Porzellantellern  setzt  sich 
in  der  gleichen  Weise  auch  an  den  übrigen  drei  Wänden  fort,  genau  gleich 
an  der  anderen  Bettwand,  sehr  ähnlich  an  den  beiden  Fliesenwänden  (vergl. 
Fig.  23).  Auf  allen  Borten,  auf  dem  Schornsteinmantel  (Fig.  22)  sowie  auf 
dem  Aufsatze  des  Teeschrankes,  den  wir  noch  kennen  lernen  werden,  überall 
stehen  blau  dekorierte  Porzellankumpen,  -Schüsseln  usw.,  und  an  der  seitlichen 
Fliesenwand  begegnet  uns  ein  besonderes  Bord,  welches  mit  Klapmutzen  be- 
setzt ist,  die  sich  in  zwei  Reihen  an  der  Wand  fortsetzen^'). 

Alle  diese  Porzellanplatten  sind  blau  gemalt,  und  sie  passen  in  dieser 
Dekoration  vortreflflich    zu  der  blauen  Bemalung  der  Wandfliesen,  die  sie  im 

76)  Merkwaard.  S.  8/9:  >Tuschen  de  lijst  en  de  deuren  hangen  meest  blaauw  por- 
seleinen  kommetjes,  klapmutsen  genaamd,  en  wel  aan  een  touwtje  door  een  gat,  dat  in 
den  onderrand  is  geboord.  De  bovenlijst  pronkt  met  groote  porseleinen  schoteis  en 
gelijke  kommen,  kraaikkoppen  genaamd,  er  tusschen.c 

77)  Merkwaard.  S.  10:  »Boven  op  de  kroonlijst  van  dit  kastje,  gelijk  verder  op  den 
schoorsteenmantel,  de  keeft  en  alle  lijsten  staan  blaauw  porseleinen  kommen,  schoteis 
enz.  Zelfs  zijn  alle  tusschenruimten  aan  den  zijmuur  aangevuld  met  hangende  porseleinen 
kommetjes  (klapmutsen).« 


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übrigen  aber  an  leuchtender  Schönheit  weit  übertreffen.  Die  Vorliebe  für 
das  Porzellan  bestätigt  wiederum  den  Sinn  für  das  Feine  und  Zierliche,  den 
wir  auch  sonst  schon  beobachtet  haben.  Sie  ist  unzweifelhaft,  ebenso  wie 
die  bunten  Malereien  an  den  Möbeln  und  wie  der  häufige  Gebrauch  der  farbig 
geblümten  Kattune  als  eine  Folge  'der  lebhaften  Handelsbeziehungen  anzu- 
sehen, welche  die  Holländer  mit  Ostindien  unterhielten.  So  finden  wir  schon 
auf  dem  mehrfach  genannten  Bilde  J.  Koedyk's  aus  der  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts eine  Reihe  von  Tellern  —  freilich  wohl  aus  Fayence  —  als  De- 
koration des  Kaminbörtes,  und  an  derselben  Stelle  finden  wir  wenige  Jahr- 
zehnte   später   auf   dem    ebenfalls    schon   genannten   Bilde   P.  v.  Slingeland's 


Fig.  27.    Jan  Luikons  Bild :  „flet  porselijn". 

eine  Anzahl  von  fünf  Schüsseln  aufgestellt,  die  in  der  Form  völlig  den  Klap- 
mutzen  gleichen,  und  die  —  nach  dem  Glanz  zu  urteilen  —  wohl  aus  Por- 
zellan bestehen  und  demnach  unbedingt  für  asiatische  Importwaare  gelten 
müssen.  Den  grofsen  Reichtum  an  Porzellan  bezeugen  auch  zwei  Bilder, 
die  J.  Luiken  a.  a.  O.  auf  Seite  118,  Fig.  XXXIV  unter  dem  Namen  >Het 
porselyn«  und  auf  Seite  160,  Fig.  XLVI  mit  der  Bezeichnung  »Het  thee  =i 
en  koffy  =  gereedschapc  darbietet,  und  die  ich  in  Fig.  27  und  28  wieder- 
gebe. Dort  begegnen  uns  schon  alle  die  Formen  an  Vasen,  Schüsseln  und 
Kumpen,  die  wir  in  der  Hindelooper  Kamer  wiederfinden.  Schon  dort  dienen 
sie  wohl  lediglich  als  Dekoration,  und  sie  haben  sich  mit  der  gleichen  Be- 
stimmung über  ein  Jahrhundert  lang  in  Hindeloopen  erhalten.  Die  Merk- 
waardigheden  geben  darüber  hinreichende  Auskunft,  wo  wir  mit  wahrem  Er- 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Staunen  lesen,  dafs  noch  im  Jahre  1847  in  Hindeloopen  ein  Nachlafs  ver- 
kauft wurde,  unter  dem  sich  folgende  ansehnliche  Menge  Porzellan  befand: 
zwei  Dutzend  ostindisches  blaues  Teegerät  von  der  grofsen  Sorte,  über  dreifsig 
halbe  Dutzend  ebensolches  Gerät,  ein  vollständiges  blaues  Teeservice,  eine 
rote,  japanische,  porzellanene  Fischschüssel  mit  Durchschlag,  vier  Leuchter, 
ungefähr  300  Stück  Tischteller  und  Schüsseln,  unter  denen  viele  komplette 
Garnituren,  zwei  Salatnäpfe,  28  grofse  Kumpen  usw.,  zu  viel,  um  sie  ein- 
zeln aufzuführen'®).  — 

Fast   genau   dieselbe  Erscheinung   wie   die  Hinterwand  bietet  nun  auch 
die  linke  Seitenwand   insofern,   als  wie  wir  sahen  die  Mitte  derselben  gleich- 


Fig.  28.    Jan  Luikens  Bild :  „Het  thee-en  kofij-gerudschap". 

falls  von  einer  Bettstatt  eingenommen  wird,  an  deren  oberer  Vertäfelung 
ebenfalls  die  reiche  Porzellandekoration  sich  findet.  Es  ist  die  sogenannte 
»Zijdbedstede«.  Vor  ihr  steht  der  Schemel  zum  Einsteigen,  den  wir  schon 
früher  kennen  lernten.  Aber  es  ist  hier  doch  ein  Unterschied  gegen  die 
anderen  Lagerstätten  hervorzuheben,  denn  dieser  Verschlag  dient,  wie  die 
Merkwaardigheden  berichten,  gewöhnlich  überhaupt  nicht  zum  Schlafen,  viel- 


78)  Merkwaard.  S.  21:  »Eene  aanzienlijke  partij  Porcelein,  bestaande  hoofdzakelijk 
in:  2  dozijnen  Oostindisch  blaauw  theegoed,  groote  soort,  ruim  30  halve  dozijnen  dito, 
1  volledig  blaauw  theeservies,  1  rood  Japansch  porceleinen  vischschotel  met  doorslag, 
4  kandelaren,  ongeveer  300  stuks  porceleinen  tafelborden  en  schoteis,  waaronder  vele 
stellen  kompleet,  2  saladebakken,  28  groote  kommen  enz.  te  veel  om  op  te  noemen.t 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFURT  A.  M. 


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mehr  wird  er  meist  als  eine  Art  Prunkschrank  benutzt,  in  welchem  gemalte 
Feuerkieken,  Bänkchen,  Kannen,  grofse  Schachteln  etc.  untergebracht  werden  '^*). 

An  der  einen  Seite  dieser  Seitenbettstatt,  gegen  die  Fensterwand  zu, 
befindet  sich  der  bereits  geschilderte  kleine  Vorplatz.  Das  Fensterchen  dort- 
hin ist  mit  einem  geblümten  Kattun  verhängt.  Unter  demselben  steht,  in 
der  beschriebenen  Weise  von  Schemeln  getragen  und  mit  Lackmalereien 
verziert,  ein  Lese-  oder  Schreibpult,  welches  zum  Teil  ebenfalls  mit  Tellern 
und  Kumpen  von  Porzellan  besetzt  ist®®). 

Pfeifengestell  und  Mangelbrett  vervollständigen  die  Ausstattung  der  Flur- 
wand neben  diesem  Schreibpulte.  Das  Mangelbrett  ist  geschnitzt  und  be- 
malt und  trägt  die  Jahreszahl  1764.  Es  ist  das  Gerät,  welches  zum  Rollen 
der  Wäsche  gebraucht  wird  und,  seit  mehr  als  drei  Jahrhunderten  in  den 
nördlichen  Küstengegenden  im  Gebrauch,  stets  mit  besonderer  Sorgfalt  be- 
handelt und  mit  Schnitzwörk  und  farbiger  Zierde  ausgestattet  ist®^). 

Schliefslich  haben  wir  auf  dieser  Stubenseite  noch  den  bereits  erwähnten 
Schrank  ins  Auge  zu  fassen,  der  in  der  hinteren  Ecke  neben  dem  Durch- 
gange über  den  beschriebenen  Untersatzschemeln  aufgestellt  ist,  und  den  wir 
in  Fig.  29  zur  Darstellung  bringen.  Wir  sehen  einen  schweren  Eichenschrank 
vor  uns,  mit  dicken  Kugelfüfsen,  reich  verziert  in  kräftiger  Schnitzerei  und 
mit  schönen  Säulenstelllungen,  die  in  Verbindung  mit  einem  durchlaufenden 
Quergesims  den  Schrank  in  zwei  obere  kleinere  und  zwei  untere  gröfsere 
Fächer  teilen.  In  dem  Unterbau  sitzt  eine  durchlaufende  Schublade,  die  mit 
drei  kräftigen  Löwenköpfen  geziert  ist.  Der  Aufsatz  des  Schrankes  ist  vor 
allem  charakterisiert  durch  eine  geschnitzte  Kopfleiste  mit  einer  Vase  in  der 
Mitte,  von  der  nach  den  Seiten  Rankenwerk  mit  darin  sitzenden  Vögeln  aus- 
laufen. Dieses  Motiv  kehrt  an  den  niederländischen  Schränken,  für  deren 
Geschichte  ich  im  übrigen  wieder  auf  Brinkmann  a.  a.  O.  S.  651  ff.  ver- 
weise, sehr  häufig  wieder. 

Auflfallig  mag  es  immerhin  erscheinen,  dafs  der  geschilderte  Schrank 
mit  Schnitzwerk  verziert  und  nicht  wie  die  übrigen  Kastenmöbel  mit  Lack- 
malerei ausgestattet  ist.  Der  Grund  liegt  in  der  grofsen  Dauerhaftigkeit  dieser 
riesigen  Eichenmöbel,  die  sämtlich  bereits  in  einer  Zeit  entstanden  sind,  wo 
der  Geschmack  ihrer  Erbauer  noch  nicht  an  der  koloristischen  Ausstattung, 
sondern  in  plastischer  Behandlung  des  Möbels  sein  Gefallen  fand.  Jedenfalls 
sind  lackgemalte  Schränke,  die  doch  der  übrigen  Ausstattung  entsprechen 
würden,  in  Hindeloopen,  wie  es  scheint,  nicht  vorgekommen,    denn  auch  die 


79)  Merkwaard.  S.  9:  >Eene  dergelijke  hooge  slaapplaats,  de  zijdbedstede  geheeten, 
met  fraai  beschilderd  trapje  er  voor,  bevindt  zieh  aan  de  achterzijde  van  het  vertrek,  is 
met  dergelijk  beschotwerk  en  porselein  versierd,  en  dient  meest  tot  eene  pronkkast  voor 
geschilderde  stoven,  bankjes,  butten  of  groote  doozen  enz.< 

80)  Merkwaard.  S.  9/10:  >Onder  het  venster,  dat  in  het  portaal  uitziet,  en  waar 
voor  eene  net  geplooide  Oostindische  doek  aan  een  koperen  roedtje  hangt,  Staat  een 
beschildcrde  lessenaar,  met  porceleinen  borden  en  kommen  er  op.< 

81)  Vgl.  Brinckmann,  a.  a.  O.  S.  680  ff,  wo  die  Mangelbretter  eingehend  behandelt 
und  wo  mehrere  reich  verzierte  Stücke  abgebildet  sind. 


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30 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS 


Merkwaardigheden  sagen  ausdrücklich:   neben  der  Seitenbettstätte  > steht  ein 
Schrank  von  schwerem  Eichenholz,  mit  Schnitz  werk  verziert«  **). 


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Fig.  29.    Hindelooper  geschnitzter  Eichenscbrank  im  Gorman.  Nationalnmseuin. 

Unter  dem  Schranke  hatte  früher  der  Einsteigschemel  für  die  Bettstätte 
seinen  Platz,  jetzt  steht  ein  blanker  kupferner  Topf  darunter.    Oben  auf  dem 


82)  Merkwaard.  S.  9:  >Daar  nevens  Staat  eene  käst  of  keeft  van  zwaar  eikenhout, 
met  snijwerk  versierd.  Zoo  deze  onder  open  is  en  op  schammels  Staat,  voegt  er  een 
glad  geschuurde  koperen  doofpot  onder.« 


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VON  DR  ail'O  LAÜFFER-FRANKFÜRT  A.  M. 


31 


Aufsatz  dagegen  liegt  während  des  Sommers  der  Schlitten,  dessen  Abbildung 
wir  in  Fig.  30  darbieten.  Auch  dieses  kleine  Gerät  setzt  uns  in  Erstaunen 
wegen  der  reichen  Dekoration,  die  es  erfahren  hat,  und  die  aus  einer  Mischung 
von  plastischer  und  koloristischer  Ausstattung  erwachsen  ist. 

Die  dritte  Wand,  die  Fensterwand,  wird  in  ihrer  Ausstattung  fast  völlig 
durch  den  Kamin  nebst  allem  Zubehör  bestimmt,  die  wir  bereits  kennen  ge- 
lernt haben.  Es  erübrigt  uns  also  nur  noch,  die  Möbel,  Geräte  und  Deko- 
rationsstücke ins  Auge  zu  fassen,  die  sich  im  Mittelraum  der  Stube  finden, 
und  die  sich  ferner  an  die  letzte  Wand,  die  ungegliederte  breite  Fliesenwand 
anlehnen,  von  der  die  Fig.  23  ungefähr  noch  die  ganze  hintere  Hälfte  er- 
kennen läist. 


¥{g.  30.    Geschnitzter  und  bemalter  Hindelooper  Schlitten  im  German.  Nationalmusenm. 

Bleiben  wir  zunächst  bei  dieser  Wand,  so  wird  die  Mitte  derselben 
deutlich  markiert  durch  die  auf  Schemeln  ruhende  lackbemalte  Truhe,  die 
auf  dem  linken  Rande  von  Fig.  23  gerade  noch  sichtbar  ist.  Über  ihm  hängt 
in  der  Mitte  der  Wand,  schräg  gegen  diese  gestellt,  der  Spiegel,  von  ein- 
facher viereckiger  Form  aber  dadurch  bemerkenswert,  dafs  er  den  aus  Schild- 
pat  gefertigten  Rahmen  besitzt,  den  auch  die  Merkwaardigheden  ausdrücklich 
als  zu  seiner  Ausstattung  gehörig  hervorheben®^).  Das  über  diesem  Spiegel 
angebrachte  mit  zwei  Reihen  von  Klapmutsen  besetzte  Tellerbörd  haben  wir 
schon  kennen  gelernt.  Erwähnenswert  daran  sind  nur  die  beiden  wenig  aus- 
geschweiften Seitenwangen.  Es  hängt  vor  dem  oberen  Teile  der  Wand,  der 
nicht  mehr  mit  den  reicher  dekorierten  Fliesen,  sondern  mit  den  einfacheren 
sogen.  Springern  belegt  ist. 

83)  Merkwaard.  S.  10:  »De  kleine  Spiegel,  als  mede  de  groote  Spiegel  tegen  den 
zijmuur,  hebben  lijsten  van  bewerkt  glas  of  schildpat.< 


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32 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Bezüglich  der  Ausstattung  der  erwähnten  Möbel  mufs  ich  noch  be- 
merken, dafs  über  der  Truhe  ein  kleineres,  auf  vier  kurzen  gedrehten  Bein- 
chen ruhendes  Kästchen  aufgestellt  ist  mit  silberbeschlagenen  Gebetbüchern 
und  mit  einer  Porzellanvase,  in  der  ein  Bündel  Pfauenfedern  steckt,  die  sich 
zum  Teil  schon  in  dem  darüber  befindlichen  Spiegel  wiederspiegeln.  Die 
Merkwaardigheden  erwähnen,  soviel  ich  sehe,  diesen  Fedemstraufs  nicht,  aber 
man  sagt  mir,  dafs  er  in  jeder  Hindeloopener  Stube  an  dieser  Stelle  ange- 
troffen würde.  In  der  Tat  pafst  das  bunte  Farbenspiel  der  schillernden  Federn 
gut  zu  dem  ganzen  koloristischen  Wesen  des  Zimmers ,  und  ich  möchte 
wenigstens  darauf  hinweisen,  dafs  schon  auf  dem  unter  dem  Namen  >Der 
Liebeszauber«  bekannten,  im  Städtischen  Museum  zu  Leipzig  befindlichen 
Bildchen  eines  unbekannten  niederländischen  Malers,  der  zu  den  Schülern  des 
Jan  van  Eyck  gezählt  wird,  ein  fächerartig  zusammengebundener  Straufs  von 
Pfauenfedern  sich  findet,  der  an  der  Fensterwand  auf  einem  Stollenschranke 
unterhalb  des  Hohlspiegelis  aufgestellt  ist®*).  Es  ist  daher  möglich,  dafs  die 
Holländer,  die  wie  bekannt  zuerst  im  Abendlande  neben  den  Venetianem 
eine  volle  Empfänglichkeit  für  die  farbigen  Reize  der  persischen  Teppiche 
gehabt  haben,  die  sich  in  ihrer  Innendekoration  so  wesentlich  durch  orien- 
talische Farbenpracht  haben  beeinflussen  lassen,  seit  Jahrhunderten  eine  solche 
Freude  am  farbigen  Schimmer  gehabt  haben,  dafs  sie  auch  die  bunte  Pfauen- 
feder ständig  in  den  Kreis  ihrer  Zimmerausstattung  gezogen  haben. 

Zu  beiden  Seiten  des  Spiegels  hängen  je  ein  Paar  lackgemalte  Schüsseln 
und  Holzteller,  die  genau  in  derselben  zierlichen  Blumendekoration  sich  dar- 
stellen, wie  wir  sie  an  den  Möbeln  gefunden  haben.  Eine  Kleiderbürste  mit 
silbernem  Rückenbeschlag  ist  hier  auch  noch  zu  erwähnen®^). 

Neben  dieser  Mittelgruppe  der  Wand  bemerken  wir  nun  auf  der  linken 
Wandhälfte,  nach  den  Fenstern  zu,  einen  Glasschrank,  der  viel  zierliches 
Porzellan  und  ganz  kleines  in  Silber  gefertigtes  Hausgerät  wie  Kinderspiel- 
zeug enthält.  Es  ist  der  sogenannte  Teeschrank,  von  dem  die  Merkwaardig- 
heden in  einer,  den  Verhältnissen  des  Museums  genau  entsprechenden  Weise 
berichten:  »Auch  der  Teeschrank  enthält  blaues  Porzellan  von  der  feinsten 
Sorte  und  allerhand  silbernes  Hausgerät  in  grofs  und  dazwischen  in  Miniatur- 
nachbildung. Unter  diesen  letzteren  mannigfaltigen  Gegenständen,  als  Wagen, 
Tischen  und  Stühlen,  sind  auch  Pferde,  Kühe  u.s.  w.  vertreten,  sodafs  es  bei- 
nahe keinen  Gegenstand  des  häuslichen  Lebens  gibt,  der  hier  nicht  im  Kleinen 
in  Silber  nachgemacht  wäre,  sogar  bis  auf  den  Sarg,  der  noch  vor  kurzer 
Zeit  [also  um  1850]  in  einem  Nachlafs  verkauft  wurde«  ®®). 

84)  Vgl.Knackfufs,  >KünstlermonographienXXXV<,  Hubert  u.  Jan  van  Eyck.  Abb.  88. 

86)  Merkwaardigheden  S.  10:  »Onder  de  kleine  Spiegel  hangt  een  kleerborstel  met 
zilver  overtrokken.< 

86)  Merkwaard.  S.  10;  >Ook  de  theekast  bevat  dergelijk  porcelein  van  de  fijnste 
soort,  met  allerhande  zilveren  huisgeraden  in  het  groot  en  in  miniatuur  er  tusschen.  Bij 
deze  laatste  menigvuldige  voorwerpen,  als  wagens,  tafeis  en  stoelen  zijn  ook  paarden, 
koeijen  enz.  gevoegd,  zoodat  er  bijna  geen  voorwerp  van  huishoudelijk  gebruik  bestaat, 
dat  hier  niet  in  het  klein  in  zilver  nagemaakt  is,  tot  zelfs  eene  doodkist  toe,  die  nog 
voor  eenigen  tijd  in  een  boedel  is  verkocht.« 


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VON  DR.  OTTO  LAüFFER-PRANKFüRT  A.  U. 


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Die  Ausstattung  der  gegen  die  Bettwand  zu  gelegenen  hinteren  Wand- 
seite, die  man  auf  Fig.  22  noch  voll  überblicken  kann,  ist  bald  aufgezählt. 
Wir  bemerken  dort  zunächst  einen  gegen  die  Wand  geklappten  ovalen  Tisch, 
dessen  Besprechung  wir  aber  ausstehen  lassen,  da  wir  später  noch  kurz  darauf 
zurückkommen  werden.  Es  folgt  dann  unter  einem  schildpat-umränderten 
kleinen  Spiegel  und  einem  lackgemalten  Servierbrett,  die  an  der  Fliesenwand 
hängen,  noch  eine  zweite  Truhe,  die  wie  die  erste  ihresgleichen  auf  kerb- 
schnittverzierten  und  gemalten  Schemeln  steht.  Auch  diese  Truhe  ist  mit 
Lackmalerei  verziert,  und  das  scheint  der  einzige  Punkt  zu  sein,  worin  sich 
die  Hindelooper  Kamer  des  Museums  von  den  Angaben  der  Merkwaardigheden 
unterscheidet,  wenn  anders  dieselben  tatsächlich  diese  Truhen  als  die  »kastjes« 
im  Auge  haben,  von  denen  sie  berichten,  dafs  sie  innen  genau  wie  die  Wände 
der  Stube  mit  Fliesen  ausgelegt  seien,  dafs  ihr  Aufseres  aber  durchweg  aus 
schierem  Eichenholz  mit  Rahmen  und  Leisten  werk  bestünde*').  Diese  Art 
der  Truhen  würde  sich  dann  also  näher  zu  dem  besprochenen  eichenen  Schranke 
als  zu  den  übrigen,  im  ganzen  auf  einer  jüngeren  Entwicklungsstufe  stehenden 
lackgemalten  Möbeln  stellen. 

In  der  hintersten  Ecke,  dicht  neben  dem  Paneelwerk  der  Bettwand 
hängt  die  friesische  Uhr,  deren  Zifferblatt  mit  einem  ausgesägten,  bemalten 
und  vergoldeten  Rahmen  umgeben  wird.  Zwischen  dem  Stimbrett  und  dem 
Rückenbrett  der  Uhr  ist  das  ganze  Werk  frei  sichtbar,  sie  hat  also  kein 
eigentliches  Gehäuse,  und  sie  wird  deshalb  mit  einem  nach  beiden  Seiten 
herabhängenden  Tuche  bedeckt,  um  das  Werk  von  Staub  rein  zu  halten. 
Die  Merkwaardigheden,  die  doch  wohl  nur  diese  Art  von  Wanduhren  im 
Auge  haben,  bezeichnen  dieselbe  als  altfriesische  »stoeltjeklok«  (S.  10),  d.  i. 
soviel  wie  Stühlchen-Uhr,  ein  Name,  den  ich  nicht  näher  zu  deuten  vermag. 
Die  von  dem  Uhrwerk  herabhängenden  Ketten  und  Gewichte  laufen,  wie  auch 
Fig.  22  erkennen  läfst,  in  einer  deckelartigen  Führung  aus  Eichenholz,  deren 
Vorderseite  einen  kräftig  geschnitzten  Fruchtkranz  mit  Amoretten  von  be- 
merkenswerter Schönheit  trägt,  eine  Schnitzerei,  die  etwa  mit  den  gleichen 
schönen  Arbeiten  an  den  Mangelbrettern  zusammengestellt   werden  mufs®®). 

So  also  haben  wir  die  Wände  des  Gemaches  in  ihrer  Ausstattung  rings- 
um gemustert,  und  es  bleibt  uns  nur  noch  übrig,  die  in  der  Mitte  des  Raumes 
aufgestellten  Möbel  zu  betrachten.  Die  dahin  gehörende  Wiege  haben  wir 
schon  kennen  gelernt,  anders  aber  ist  es  mit  Tisch  und  Stühlen,  die  ungefähr 
in  der  Ecke  zwischen  Fenster  und  Fliesenwand  stehen,  wo  sie  bei  Mahlzeiten 
und  ähnlichen  Versammlungen  des  Familienkreises  zu  dienen  haben.  Über 
die  verschiedenen  Arten  der  in  Hindeloopen  üblichen  Tische  geben  uns  die 
Merkwaardigheden   deutlichen  Aufschlufs,   denn    sie   bemerken   darüber:    »Es 


87)  Merkwaard.  S.  11:  >De  overige  ruimte  is  met  kastjes  bezet,  waarvan  het 
buitenwerk  alsmede  uit  glad  eikenhout  met  paneclwerk  eu  lijsten  bestaat,  en  van  binnen 
met  steentjes  opgezet,  even  als  aan  de  muren.« 

88)  Besonders  möchte  ich  hier  zum  Vergleiche  auf  ein  von  Brinckmann,  a.a.O. 
S.680  abgebildetes,  sehr  schön  geschnitztes  Mangelbrett  verweisen,  welches  mit  der  Jahres- 
zahl 1589  bezeichnet  ist,  und  das  auch  Brinckmann  der  > holländischen  Art«  zuweist. 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1904. 


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34 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


waren  dreierlei  verschiedene  Tische  in  Gebrauch,  schmale,  die  an  zwei  Seiten 
auf-  und  niedergeklappt  werden  konnten  und  »Holländische  Tische«  hiefsen, 
ferner  runde  oder  Mangeltische  und  endlich  ovale  »Vlap  aan  de  wand«  ge- 
nannt, die  alle  bunt  bemalt  sind,  und  von  denen  die  letztgenannten  auf  drei 
Beinen  stehen,  um  aufgeschlagen  platt  gegen  die  Wand  gestellt  zu  werden  ^•). 
Von  diesen  drei  Tischsorten  haben  wir  die  ovale  bereits  kennen  gelernt,  denn 
wir  erinnern  uns,  dafs  wir  einen  solchen  Tisch  genau  so,  wie  die  Merkwaar- 
digheden  es  beschreiben,  an  der  seitlichen  Fliesenwand  (vgl.  Fig.  22)  angelehnt 
fanden.  Ich  möchte  aber  noch  darauf  aufmerksam  machen,  dafs  die  Platten 
dieser  Tische  beiderseitig  mit  Lackmalereien  versehen  sind,  da  beim  Auf- 
klappen derselben  je  nach  dem  Geschmack  der  Bewohner  auch  die  Unterseite 
der  Platte  als  Schauseite  benützt  werden  kann.  Das  eine  der  drei  Beine 
wird  dabei  zur  Seite  geklappt,  sodafs  es  mit  den  beiden  anderen  ungefähr  in 
einer  Ebene  liegt. 

Dreibeinig  wie  die  ovalen  scheinen  auch  die  runden  oder  »Mangeltische« 
meist  gewesen  zu  sein,  denn  nach  Angabe  der  Merkwaardigheden  fand  man 
unter  der  Uhr,  wo  im  Museum  eine  Truhe  steht,  häufig  einen  »zierlich  ge- 
malten runden  Tisch  auf  drei  Füfsen,  den  sogen.  Mangeltisch«  *^). 

Die  Stühle,  die  um  den  mit  Teegeschirr  aus  Porzellan  besetzten  Tisch 
herumstehen,  zeigen  alle  die  gleiche  Bauart.  Es  sind  leicht  und  schlank  ge- 
baute Möbel  mit  gedrehten  Beinen  und  hohen  Lehnen,  die  übereinander  je 
drei  ausgeschnittene  Rückenbretter  tragen,  während  zwischen  den  Beinen 
zweimal  vier  runde  Zargen  sich  befinden,  von  denen  die  unteren  —  wie  ich 
bereits  erwähnte  —  etwa  eine  Spanne  über  dem  Fufsboden,  die  oberen  aber 
kurz  unter  dem  Sitze  angebracht  sind,  sodafs  die  Stühle  bei  aller  Leichtigkeit 
doch  infolge  der  doppelten  Versteifung  der  Beine  einen  sehr  festen  Eindruck 
machen.  Das  ganze  Gestell  ist  mit  einem  gleichmäfsigen  Anstrich  in  satt- 
grüner Lackfarbe  überzogen,  der  die  Stühle  im  Gegensatz  zu  den  bunt  gemalten 
Kästen  als  eine  besondere  Möbelgattung  für  sich  charakterisiert  und  ihnen  in 
dieser  Umgebung  fast  möchte  man  sagen  einen  würdevollen  Schein  gibt  ®^). 
Der  Sitz  ist  aus  Schilf  geflochten. 

Auch  für  diese  Art  der  Stühle  ist  in  Anlehnung  an  die  Werke  der 
holländischen  Malerei  ein  Alter  festzustellen,  welches  mindestens  bis  in  die 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts  zurück  reicht,  denn  die  gleiche  Form  der  Stühle 
findet  sich  schon  auf  den  von  mir  öfter  angeführten  Bildern  von  J.  Koedyck, 
P.  V.  Slingeland,  P.  de  Hooch  und  Gabr.  Metsu.  Dazu  könnte  man  noch  auf 
des  letztgenannten  Meisters  Bild  »Beim  Frühstück«  in  der  Dresdener  Galerie 


89)  Merkwaard.  S.  10:  »Er  waren  drieerlei  tafeis  in  gebruik:  smalle,  die  aan  twee 
zljden  konden  op-  en  neergeslagen  worden  en  Hollandsche  tafeis  heetten,  ronde  of  mangel- 
tafels  en  ovale,  vlap  aan  de  wand  genaamd,  die  alle  bont  beschilderd  zijn,  terwijl  de  laatste 
en  op  drie  beenen  staan,  om,  opgeslagen,  plat  tegen  den  muur  geplaatst  te  worden.« 

90)  Merkwaard.  S.  10:  »Daar  onder  Staat  eene  fraai  beschilderde  ronde  tafel  op 
drie  pooten,  de  mangeltafel  genaamd.« 

91)  Merkwaard.  S.  10 :  »De  stoelen  met  hooge  ruggen  of  bekkelingen  waren  alle 
groen  geverwd.« 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFXJRT  A.  M.  35 

oder  auf  eine  Reihe  von  Bildern  Jan  Steen's  verweisen,  die  in  der  erwähnten 
Monographie  Adolf  Rosenberg's  (Hrsg.  H.  Knackfufs)  in  Abb.  16,  20  u.  21 
wiedergegeben  sind. 

Das  auf  dem  Tische  aufgestellte  Teegeschirr  entspricht  ungefähr  dem, 
was  auch  J.  Luiken*s  Kupferstich  als  »het  thee-  en  koffy-gereedschap«  (vergl. 
Fig.  28)  zur  Darstellung  bringt.  Besonders  im  Anschluls  an  dieses  Bild  ist 
es  vielleicht  nicht  unnötig,  daran  zu  erinnern,  dass  der  Tee  in  der  zweiten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  aus  Ostasien  nach  Europa  gebracht  war.  Der 
Import  wurde  von  den  Holländern  besorgt,  und  diesem  Umstände  ist  es  wohl 
in  erster  Linie,  zuzuschreiben,  dais  bis  auf  den  heutigen  Tag  der  Tee  als 
Hausgetränk  von  den  Friesen  beträchtlich  mehr  geschätzt  und  getrunken  wird 
als  im  übrigen  Deutschland,  wo  der  gleichfalls  im  17.  Jahrhundert  eingeführte 
Kaffe  während  des  18.  Jahrhunderts  im  Bürgertum  und  seit  etwa  den  zwanziger 
Jahren  des  19.  Jahrhunderts  auch  in  den  bäuerlichen  Kreisen  zu  allgemeiner 
Geltung  gelangt  ist  ®*). 

Schliefslich  fassen  wir  noch  ein  kleines  Möbel  ins  Auge,  welches  wir 
unter  den  Stühlen  der  Hindelooper  Kamer  in  mehreren  Exemplaren  aufgestellt 
finden.  Es  sind  die  sogenannten  Feuerkieken,  die  im  Holländischen  als  »stoof« 
bezeichnet  werden®^,  und  deren  eine  auf  Luiken's  Kupferstich  »de  haardstee« 
im  Vordergrunde  links  abgebildet  ist  (vergl.  Fig.  24).  Wir  sehen  dort  ein  im 
Grunde  sehr  einfaches  Gerät,  einen  viereckigen  hohlen  Holzkasten  mit  durch- 
löcherten Wänden  und  seitlich  angebrachter  Tür,  in  welchen  ein  irdener  Topf 
mit  glühenden  Kohlen  hineingesetzt  wird,  und  der  zum  Wärmen  der  Füfse 
dient.  Auch  die  Feuerkieken  der  Hindelooper  sind  genau  von  der  gleichen 
Form,  ihre  Wände  sind  mit  Lackmalereien  verziert,  was  —  wie  wir  nicht 
übersehen  dürfen  —  bei  der  beständig  einwirkenden  Wärme  als  ein  gutes 
Zeugnis  für  die  Haltbarkeit  dieser  Dekorationsweise  betrachtet  werden  mufs. 

Gehen  wir  der  Geschichte  dieser  Feuerkieken  etwas  näher  nach,  so 
werden  wir  zu  dem  Schlufs  kommen,  dals  dieselben  recht  eigentlich  als  ein 
Gerät  der  Kaminländer  gelten  müfsen.  So  sind  sie  denn  auch  z.  B.  in  Frank- 
reich weit  verbreitet  gewesen,  wo  sie  mit  den  Ausdrücken  »chaufferette«  und 
»chauffe-pied«  bezeichnet  wurden®*).  Schon  in  französischen  Inventaren  des 
14.  und  15.  Jahrhunderts  kommen  derartige  Gluttöpfe  in  Schlössern  und  auch 
in  bürgerlichen  Küchen  häufig  vor.  Aber  das  waren  nur  offene  Kohlentöpfe 
ohne  irgend  welchen  deckenden  Schutz,  die  den  Frauen,  die  sie  benutzten, 
häufig  die  Unterkleider  in  Brand  setzten.  Daher  hat  man  sie  denn  schon 
im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  in  einen  Kasten  mit  durchbrochenen  Wänden 
eingeschlossen,  wofür  aus  eben  dieser  Zeit  von  Havard  I.,  787  Fig.  532  ein 
bildlicher  Beleg  beigebracht  wird,  während  ihm  die  früheste  schriftliche  Er- 
wähnung erst  aus  dem  Jahre  1615  bekannt  ist. 


92)  Vergl.  A.  Schultz,  »Das  häusliche  Leben  der  europäischen  Kulturvölker  vom 
Mittelalter  bis  zur  zweiten  Hälfte  des  XVIII.  Jahrh.«     München  1903.    S.  329. 

93)  Vergl.  auch  Brinckmann,  a.  a.  O.  S.  693. 

94)  Vergl.  Havard,  a.  a.  O.,  unter  den|oben  angegebenen  Stichworten,  sowie  auch 
den  Artikel  »chauffette«. 


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36  DIB  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Die  Feuerkieke  hat  sich  dann  in  den  folgenden  Jahrhunderten  sehr  weit 
ausgebreitet.  Im  17.  Jahrhundert  findet  sie  sich  im  holländischen  Hause  in 
Stetem  Gebrauch,  eine  Tatsache,  zu  deren  Beleg  ich  wieder  auf  die  Bilder 
von  Koedyck  und  Slingeland,  sowie  auf  die  in  Rosenberg's  Monographie  in 
Abbildung  16  und  20  reproduzierten  Bilder  Jan  Steen's  verweise.  Auch  in 
den  übrigen  niederdeutschen  Gegenden  war  und  ist  bis  heute  die  Kieke  in 
Gebrauch,  so  erwähnt  sie  z.  B.  Andree  in  seiner  »Braunschweiger  Volks- 
kunde« S.  261  unter  den  Namen  »füerkike«  oder  »huchtelpott«.  Der  einzige 
Unterschied  gegen  unsere  Hindelooper  Exemplare  besteht  dort  darin,  dafs 
der  Umschliefsungskasten  nicht  aus  Holz,  sondern  aus  Messing  besteht.  In 
der  gleichen  Ausstattung  sind  sie  in  rheinischen  Gegenden  zu  finden,  und 
auch  Jacobsson's  Technologisches  Wörterbuch  gibt  ihnen  im  letzten  Viertel 
des  18.  Jahrhunderts  die  gleiche  Beschreibung.  In  Deutschland  ist  dieses 
Wärmegerät,  Feuertopf  saitit  Schutzkasten,  sogar  schon  beträchtlich  früher 
belegt  als  in  Frankreich,  denn  Andree  a.  a.  O.  macht  mit  Recht  darauf  auf- 
merksam, dafs  schon  Saxo  Grammaticus  in  seiner  Historia  danica  um  1200 
das  Fufswärmen  durch  ein  »calidum  laterculum  cistula  crebris  foraminibus 
distincta  inclusum«  erwähnt.  In  diesem  Punkte  bedürfen  also  Havard's  Angaben 
der  Ergänzung,  und  aufserdem  dürfen  wir  hier  wohl  auch  darauf  hinweisen, 
dafs  der  einfache  irdene  Gluthafen  schon  beinahe  3000  Jahre  vor  Saxo  Gram- 
maticus in  den  nördlichen  Ländern  im  Gebrauch  war,  denn  in  England  haben 
sich  Beispiele  davon  schon  aus  der  früheren  Bronzezeit  gefunden,  die  jetzt 
im  British  Museum  aufbewahrt  werden  und  in  dem  Fachkatalog  desselben 
—  British  Museum.  A  guide  to  the  antiquities  of  the  bronze  age.  1904  — 
in  Fig.  21.  und  22.  abgebildet  sind. 

Mehr  nebenbei  möchte  ich  zum  Schlufs  noch  erwähnen,  dafs  in  ein- 
facher Ausstattung  die  Feuerkicken  auch  heute  noch  bei  Händlern  und  Markt- 
frauen selbst  in  Deutschland  im  Gebrauche  stehen.  S«  kann  man  auf  dem 
Marktplatze  in  Nürnberg  ihre  stete  Verwendung  beobachten,  und  das  gleiche 
berichtet  Havard  von  den  französischen  Städten,  wo  sie  in  dieser  einfachen 
Art  unter  dem  Namen  »gueux«  bekannt  sind*^).  — 

Wenn  wir  damit  die  Hindelooper  Kamer  verlassen,  so  tun  wir  das  nicht, 
ohne  noch  einmal  den  Blick  über  das  ganze  Gemach  streifen  zu  lassen,  dessen 
Einzelheiten  wir  kennen  und,  wie  ich  hoffe,  auch  in  mancher  Hinsicht  ver- 
stehen gelernt  haben.  Die  Freude  am  Reinlichen  und  Zierlichen,  die  Sorg- 
falt in  der  Behandlung  der  Einzelheiten  und  die  Lust  an  der  Farbe,  das  ist 
es,  was  neben  der  lichten  Geräumigkeit  dem  Gemache  seinen  Charakter  gibt. 
Derselbe  wird  freilich  wesentlich  noch  getragen  und  verstärkt  durch  die  be- 
deutende Wohlhabenheit,  über  welche  die  Bewohner  zu  verfügen  hatten. 
Die  Menge  kostbaren  Porzellans  haben  wir  ausdrücklich  hervorgehoben.  Aufser- 
dem aber  ist  noch  ein  bedeutender  Reichtum  an  silbernem  Geräte  zu  betonen, 
mehr  wohl  noch  als  er  in  der  Stube  des  Museums  dargestellt  ist,  und  es 
scheint,    dafs   die  Vorliebe  für  silberne  Ausstattung  der  Geräte    den  Friesen 


95)  Havard,  a.  a.  O.  II.  S.  1234. 


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VON  DR.  orro  lauffer-frankfürt  a.  m. 


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gewissermafsen  im  Blute  liegt,  denn  wir  finden  sie  nicht  nur  in  Holland,  son- 
dern auch  aus  Nordfriesland  berichtet  uns  Meiborg  a.  a.  O.  S.  187,  dafs 
in  dem  Nachlafs  eines  1666,  also  kurz  nach  dem  30-jährigen  Kriege  ver- 
storbenen Hufners  sich  Sachen  befanden  wie  eine  Kleiderbürste  mit  silbernem 
Kopfe,  ein  mit  Silber  beschlagener  Kamm  und  eine  Branntweinschale  aus 
Silber,  und  dafs  auch  silberne  Becher  und  Löffel,  und  Messer  mit  silber- 
beschlagenem Stile  in  den  Erbteilungspapieren  im  nördlichen  und  nordwest- 
lichen Schleswig  sich  aus  jener  Zeit  häufig  finden.  Nehmen  wir  zu  diesem 
Reichtum  an  Porzellan  und  Silbersachen  noch  die  sorgfältig  gearbeiteten 
Möbel  und  Hausgeräte,  die  Menge  an  Tisch-,  Bett-  und  anderem  Linnen  und 
endlich  eine  grofse  Zahl  von  Kleidungsstücken ,  besonders  der  überaus  in- 
teressanten und  reichhaltigen  Frauentracht,  so  bekommen  wir  erst  einen  vollen 
Begriff  von  dem  Wohlstande,  der  die  Grundlage  des  Hindelooper  Hauswesens 
bildete,  und  wir  verstehen,  wie  noch  im  Jahre  1843  die  Versteigerung  einer 
einzigen  nachgelassenen  Ausstattung  es  nach  Angabe  der  Merkwaardigheden 
S.  21  auf  ungefähr  6000  Gulden  bringen  konnte.  Es  ist  unzweifelhaft  das 
prunkvollste  und  auch  dadurch  aus  der  Reihe  der  Bauernstuben  des  Museums 
sich  heraushebende  Gemach,  welches  wir  in  der  Hindelooper  Kamer  kennen 
gelernt  haben. 


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LITERARISCHE  NOTIZEN. 

Zur  Wiederherstellung  des  Aachener  Mflnsters.  Von  Joseph  Buchkremer. 
Mit  12  Abbildungen.  Aachen,  Verlag  der  Crcmer'schen  Buchhandlung.  Febr.  1904.  52  SS. 
Zur  Wiederherstellung  des  Aachener  Mflnsters.  Von  C.  Vi  eh  off,  Stiftsarchivar.  Ver- 
besserter Sonderabdruck  aus  dem  Volksfreund. 

Die  im  vorigen  Heft  S.  190,  191  angezeigte  Schrift  Strygowskis  hat  in  der  Abhand- 
lung von  Buchkremer  eine  Erwiderung  gefunden.  Gegen  diese  wendet  sich  Viehoff: 
persönliches  und  sachliches  sind  in  seiner  Polemik  nicht  streng  auseinander  gehalten, 
liefsen  sich  wohl  auch  nicht  immer  trennen ,  was  ihr  allgemeines  Interesse  verleiht ,  ist 
der  Einblick  in  die  Art  und  Weise,  wie  die  unselige  Restauration  des  Münsters  eingeleitet 
und  durchgeführt  worden  ist. 

Mein  Urteil  über  die  Restauration  des  Innen raumes  der  Kirche  habe  ich  Seite  191 
des  vorigen  Jahrgangs  kurz  ausgesprochen.  Wenn  ich  daran  die  Befürchtung  geknüpft 
habe,  man  werde  trotz  Strzygowskis  Einspruch  die  Arbeit  unentwegt  fortsetzen,  so  hat 
sich  diese  Befürchtung  glücklicher  Weise  nicht  bewahrheitet.  Die  Arbeiten  sind,  wie  ich 
höre,  eingestellt  worden. 

Nachdem  Buchkremer  über  die  Veranlassung  der  Restauration  einiges  mitgeteilt 
hat,  bespricht  er  im  zweiten  Teil  seiaer  Abhandlung  Theorie  und  Praxis  der  Denkmal- 
pflege. Die  sehr  anerkennenswerten  Ausführungen  kommen  zu  folgendem  Schlufs:  »Ich 
wcifs  .  .  .  namentlich  in  den  karolingischen  Teilen  des  Aachener  Münsters  sehr  genau 
Bescheid.  Habe  aber  auch  erfahren  und  empfinden  gelernt,  was  es  eigentlich  heifst: 
»restaurieren«.  Ich  bin  dabei  zu  der  vollen  Erkenntnis  gekommen,  dafs  die  Kunstwissen- 
schaft mit  ihren  strengen  Grundsätzen  über  die  Behandlung  der  Denkmale  durchaus  recht 
hat.  Und  doch  wird  es  in  der  Praxis  oft  sehr  schwer  sein,  sie  ganz  durchzuführen  oder 
überhaupt  einen  gangbaren  Weg  zu  finden. 

Dies  zeigt  so  recht  ein  erheblicher  Teil  der  ausgeführten  Arbeiten  am  Aachener 
Münster,  die  Strzygowski  in  seinem  Protest  allgemein  als  übereilt  und  als  unberechtigt 
bezeichnet. 

Diese  Wiederherstellungsarbeiten  beziehen  sich  zum  gröfseren  Teile  auf  die  innere 
musivische  Ausschmückung,  zum  kleineren  Teile  auf  eigentliche  Instandsetzungen  und 
bauliche  Ergänzungen.    Im  Hinblick  auf  die  ersteren  —  die  musivische  Ausschmückung 

—  stimme  ich  Strzygowski  jetzt  vollkommen  bei,  während  ich  die  Vornahme  der  letzteren 

—  der  baulichen  Wiederherstellungen  —  noch   heute   zum   gröfsten  Teile  nach  wie  vor 
verteidige.« 

Dies  wird  nun  im  Einzelnen  begründet.  Strzygowskis  Forderung,  man  entferne 
mit  den  reichen  vorhandenen  Mitteln  vor  allem  den  Turm,  wird  abgewiesen.  Wohl  mit 
Recht.  Der  Turm  ist  1884  nach  den  Entwürfen  von  Schneider  in  Kassel  erbaut.  Er 
trat  an  die  Stelle  der  Ruinen  eines  älteren  gotischen  Turmes,  der  1656  abgebrannt  war. 
Man  kann  bedauern,  dafs  er  erbaut  wurde,  seiner  Entfernung  könnte  aber  doch  nur  das 
Wort  geredet  werden ,  wenn  ein  positiver ,  archaeologisch  unanfechtbarer  Vorschlag 
darüber  vorläge,  wie  der  obere  Abschlufs  des  Westbaues  nach  Abbruch  des  Turmes  zu 
gestalten  wäre.    Ich  glaube  nicht,   dafs  man  jemals   im  Stande  sein  wird,   einen  solchen 


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UTERARISCHE  NOTIZEN. 


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Vorschlag  zu  machen.  Auch  Buchkremers  Bedenken  gegen  Strzygowskis  Vorschlag ,  die 
karolingische  Bronzetür  wieder  an  ihre  alte  Stelle  zu  bringen,  sind  beachtenswert.- 

Schwieriger  ist  die  Frage  der  Freilegung  des  Atriums.  Die  Diskrepanz  von  Theorie 
und  Praxis  wird  immer  zu  Tag  treten,  sobald  man  an  die  Lösung  dieser  Frage  herantritt. 
Schon  früher,  namentlich  aber  1897  sind  Reste  eines  Atriums  aufgedeckt  worden,  dessen 
freie  Fläche  noch  durch  die  Umfassungen  des  Domhofs  kenntlich  ist.  Die  Forderung 
der  Wissenschaft  ist  einfach.  Man  lege  die  Reste  frei  und  erhalte  sie,  so  dafs  sie  der 
Forschung  zugänglich  sind.  Strzygowski  hat  die  Forderung  ungeßlhr  so  formuliert.  Dafs 
sie,  wenigstens  in  ihrem  zweiten  Teil,  nicht  durchführbar  ist,  hat  Buchkremer  überzeugend 
dargetan.  Was  in  Pompeji  und  Rom  ja  in  Trier  möglich  ist,  ist  es  deshalb  nicht  unmittel- 
bar auch  in  Aachen.  Strzygowski  bezweifelt  im  Hinblick  auf  orientalische  Bauten,  ob 
das  karolingische  Münster  überhaupt  ein  Atrium  hatte.  Demnach  gehörten  die  Reste 
des  Atriums  einer  späteren  Zeit  an.  Diese  Frage  mufs  sich  aus  technischen  Merkmalen 
mit  voller  Sicherheit  lösen  lassen.  Die  formale  Gestaltung  des  Atriums  lassen  die  Reste 
in  den  wesentlichen  Punkten  noch  erkennen.  Allerdings  bleibt  einiges  fraglich.  Damit 
aber  ist  die  Frage,  was  denn  überhaupt  geschehen  soll  nicht  gelöst.  Ihre  Lösung  ist 
auch  vorerst  nicht  dringend,  und  ich  halte  die  Frage  überhaupt  nicht  für  die  wichtigste. 
Das  karolingische  Münster  wird  durch  sie  in  seinem  Bestand  nicht  berührt.  Aber  man 
prüfe  sie  in  dem  von  Strzygowski  verlangten  Umfang,  um  gerüstet  zu  sein,  wenn  eine 
Lösung  notwendig  werden  sollte. 

Das  dritte  Kapitel  von  Buchkremers  Schrift  behandelt  die  baulichen  Wiederher- 
stellungsarbeiten. Buchkremer  erklärt  die  Art,  in  welcher  die  Nordostecke  des  Atriums 
erneuert  worden  ist  für  mifslungen.  Wäre  nur  an  der  Wand  des  Atriums  gearbeitet 
worden,  so  könnte  es  hingehen,  aber  man  hat  in  willkürlicher  Weise  an  den  Bestand 
des  karolingischen  Treppenturmes  gerührt,  eine  Tür  eingebrochen  und  Fenster  ver- 
ändert. Der  Königsstuhl  ist  nur  technisch  in  Stand  gesetzt  worden,  ohne  dafs  formale 
Veränderungen  an  ihm  vorgenommen  wurden.  Der  Wiederaufbau  der  Säulenstellung  vor 
der  Kaiserloge  und  die  Herstellung  der  ursprünglichen  Form  der  Fenster,  welche  an  zwei 
Fenstern  noch  erhalten  ist,  werden  gerechtfertigt,  ebenso  die  richtige  Aufstellung  der 
Brüstungsgitter.  Man  wird  auch  vom  Standpunkt  der  Theorie  aus  hiegegen  nichts  ein- 
wenden. Was  den  Sturm  erregt  hat  sind  nicht  diese  Arbeiten  an  Einzelheiten,  sondern 
die  Gesamtausstattung  des  Inneren. 

Buchkremer  beharrt  zwar  darauf,  dafs  eine  Marmorverkleidung  einzelner  Teile  be- 
standen hat,  falst  aber  sein  Urteil  dahin  zusammen,  >dafs  eine  Marmor-  und  Mosaik- 
bekleidung der  noch  nicht  damit  versehenen  Teile  besser  ganz  unterbleibt.« 

Es  ist  bekannt,  dafs  nachdem  die  Stuckverkleidung  des  Münsters  abgeschlagen 
war,  zunächst  die  Kuppel  eine  reiche  figürliche  Ausstattung  in  Mosaik  erhielt,  dafs  dann 
ein  Wettbewerb  um  Entwürfe  zur  gesamten  inneren  Ausstattung  erlassen  wurde,  aus  dem 
Professor  Schaper  in  Hannover  als  Sieger  hervorging.  Schapers  Entwurf  war  sehr  reich, 
er  nahm  eine  sehr  ausgedehnte  Verwendung  von  Mosaik  und  Marmorinkrustation  an. 
Hiegegen  erhoben  schon  die  Preisrichter  Einwenduugen  und  empfahlen  die  mafsvollste 
Zurückhaltung.  Als  der  Karlsverein  zum  Schutz  und  zur  historisch-treuen  Wieder- 
herstellung des  Münsters  gleichwohl  Schapers  Ideen  aufgenommen  und  ihn  mit  der  Aus- 
fQhrung  eines  genaueren  Planes  und  Kostenvoranschlages  beauftragt  hatte,  fand  dieser 
nicht  die  Genehmigung  der  staatlichen  Aufsichtsbehörde,  welche  der  Ansicht  war,  dafs 
die  Konstruktion  des  Münsteroktogons,  seine  Gesimse  und  Profile  darauf  hinweisen,  dafs 
eine  Verkürzung  durch  Mosaik-  und  Marmorauftragung  von  vornherein  ausgeschlossen 
sei  und  der  ursprünglichen  Absicht  des  Erbauers  nicht  entspreche.  Schapers  Ideen  hatten 
indes  im  Karlsverein  so  grofsen  Anklang  gefunden,  dafs  dieser  trotzdem  ihre  Ausführung 
anstrebte.  Nach  langen  Verhandlungen  kam  1898  ein  Vertrag  zu  Stande,  nach  welchem 
Schaper  eine  Gesamtskizze  für  die  Ausstattung  des  Tambours  liefern  sollte.  Als  Gegen- 
stand der  Darstellungen  war  die  grofse  Deesis,  der  Pantokrator,  Maria  und  der  Prodromos 
(Johannns  der  Täufer)  uipgeben  von  Engels-Chören  und  den  Aposteln  bestimmt  worden. 
Schaper  legte  aber  im  März  1900  nicht  nur  diese  Skizze  vor,   sondern  zugleich  Kartons 


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UTERARISCHE  NOTIZEN. 


und  ein  Modell  för  die  Ausschmückung  des  ganzen  Münsters  mit  Mosaik  und  Marmor. 
Er  hatte  seine  Entwürfe  zuvor  dem  Kaiser  gezeigt,  und  dieser  gab  seiner  Anerkennung 
in  einem  Telegramm  an  den  Präsidenten  des  Karlsvereins  Ausdruck.  Damit  hatten  die 
Wünsche  des  Vereins  gewissermafsen  die  allerhöchste  Sanktion  erhalten.  Aber  noch 
stand  das  archaeologische  Bedenken,  ob  denn  das  karolingische  Münster  überhaupt  eine 
Marmorverkleidung  hatte  in  Kraft.  Um  über  diese  Frage  Klarheit  zu  erlangen,  unter- 
suchte eine  Kommission,  welche  aus  dem  Regierungs-  und  Baurat  Kosbab,  dem  Archi- 
tekten und  Privatdozenten  Buchkremer  und  dem  Mitglied  des  Karlsvereins  Schmitz  be- 
stand, das  Münster. 

Das  Ergebnis  .ihrer  Untersuchung  war,  dafs  wirklich  eine  Marmorverkleidung  vor- 
handen gewesen  sei. 

Hier  setzt  Viehoff  nach  Darlegung  der  Vorgeschichte  der  Restauration  mit  scharfer 
Kritik  ein.  Ich  habe  auch  nach  Buchkremers  Ausfuhrungen  an  der  Marmorverkleidung 
gezweifelt,  durch  Viehoffs  Gegengründe  scheint  mir  ihre  Annahme  endgiltig  widerlegt 
zu  sein. 

Die  Kommission  war,  wie  Viehoff  S.  20  nach  dem  Jahresbericht  des  Karlsvereins 
mitteilt  mit  der  Aufgabe  in  Funktion  getreten,  diejenigen  Merkmale  festzustellen,  wonach 
das  Münster  in  der  Tat  ursprünglich  mit  dem  reichsten  Marmor-  und  Mosaikschmuck  an 
Wänden,  Pfeilern  und  Decken  ausgestattet  gewesen  ist.  War  die  Aufgabe  wirklich  so 
gestellt,  so  mufste  jeder,  der  eine  wissenschaftliche  Fragestellung  beurteilen  kann,  im 
Voraus  seine  Mitwirkung  versagen.  Ob  der  Vorwurf  einer  weitgehenden  Konnivenz  dei 
Kommissionsmitglieder  gegenüber  den  Wünschen  der  Auftraggeber  gerechtfertigt  ist,  ob 
sie ,  was  doch  anzunehmen  ist ,  einem  sehr  verhängnisvollen  Irrtum  anheimgefallen  sind, 
mögen  die  Herrn  in  Aachen  ausmachen.  Tatsache  ist,  dafs  die  Verantwortung  fiir  die 
Entstellung  des  ehrwürdigen  Gebäudes  zum  grofsen  Teil  auf  die  Kommission  f^llt ;  daran 
ändert  die  späte  Erkenntnis,  dafs  die  Marmorverkleidung  besser  nicht  ausgeführt  worden 
wäre  nichts  mehr. 

Die  Schrift  von  Viehoff  beschränkt  sich  aber  nicht  auf  die  Frage  der  Marmor- 
verkleidung, sondern  gibt  eine  eingehende  Darstellung  der  Geschichte  der  Wiederherstellung 
des  Aachener  Münsters.  Sie  ist  ein  lehrreicher  Beitrag  zur  Geschichte  des  Restaurierens 
überhaupt. 

Die  Anfänge  der  Restauration  des  Münsters  liegen  etwa  60  Jahre  zurück.  Die 
Anregung  ging  vom  Stiftskapitel,  dem  Eigentümer  des  Münsters  aus.  Es  war  die  Zeit 
der  Freskomalerei  grofsen  Stils  und  der  Geringschätzung  der  Kunst  des  18.  Jahrhunderts. 
Die  Stuckdekoration  des  Münsters  sollte  entfernt  und  das  Innere  in  Fresko  ausgemalt 
werden.  Die  Absicht  ist  noch  eine  rein  künstlerische;  eine  Ausstattung,  welche  dem 
Zeitgeschmack  nicht  entsprach,  sollte  durch  eine  zeitgemäfsere  ersetzt  werden.  Schon 
aber  regte  sich  der  historische  Sinn  und  bald  wurde  die  Forderung  gestellt,  dafs  die 
Wiederherstellung  des  Münsters  historisch  treu  sein  müfsc.  Praktisch  nahm  man  es  freilich 
leicht  mit  dieser  Forderung.  Ciampini  hatte  in  den  vetera  monumenta  eine  sehr  ober- 
flächliche Zeichnung  der  Mosaiken  der  Kuppel  publiziert.  Nach  dieser  Vorlage  sollten 
wieder  Mosaiken  angebracht  werden,  Wände  und  Pfeiler  sollten  erst  Malereien,  dann 
eine  Verkleidung  in  Stucco  lustro  erhalten.  Um  die  Gelder  für  dieses  grofse  Unternehmen 
zu  beschaffen,  wurde  der  Karlsverein  gegründet  der  bald  über  bedeutende  Mittel  ver- 
fugte. Damit  trat  allmählig  nicht  formell  aber  faktisch  eine  Verschiebung  der  Kompe- 
tenzen ein,  der  Karlsverein  wird  die  treibende  Macht.  Er  schrieb,  nachdem  die  Mosaiken 
der  Kuppel  1881  vollendet  waren  die  Konkurrenz  aus,  er  war  es,  der  trotz  der  Warnungen 
der  Preisrichter,  trotz  der  Verwahrung  von  Hermann  und  Adler,  die  Ausführung  des 
reichen  Entwurfes  Schapers  durchsetzte.  Was  Viehoff  über  diese  Vorgänge  mitteilt, 
lautet  nicht  erfreuHch. 

Man  hat  für  Schapers  Entwurf  nachträglich  eine  archaeologische  Begründung  ver- 
sucht, tatsächlich  hat  man  ihn  durchgesetzt,  weil  er  reich  und  glänzend  war.  Man  war 
nach  sechzig  Jahren  auch  nicht  weiter  als  beim  Beginn  der  Restauration  und  man  konnte 
nicht  weiter  sein.    Für  eine   historisch  treue  Wiederherstellung  fehlen   die  wissenschaft- 


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LITBBARISCHE  NOTIZEN. 


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liehen  Grundlagen.  Eiteles  Hoffen  ist  es,  sie  von  gründlichen  Studien,  sei  es  in  Rom  und 
Ravenna,  sei  es  in  Syrien  oder  Ägypten  zu  erhoffen ;  wir  wissen  nicht,  wie  Karls  Münster 
ausgeschmückt  war  und  wir  werden  es  niemals  wissen.  Eines  aber  wissen  wir  gewifs: 
So  wie  es  Herr  Schaper  ausgestattet  hat  hat  es  nicht  ausgesehen.  Es  ist  immer  wieder  der 
gleiche  Fehler.  Man  will  verschönern,  wo  man  erhalten  sollte.  Welche  Zahl  von  Denk- 
mälern ist  diesem  Irrtum  zum  Opfer  gefallen.  Die  Wahlstatt  reicht  von  der  Charente 
bis  an  die  Ostsee  und  an  die  Theifs.  Wann  endlich  wird  die  Oberzeugung  durchdringen, 
dafs  wir  uns  mit  unseren  Restaurationen  bescheiden  müssen,  dafs  die  Denkmäler  der 
Baukunst  des  gleichen  Schutzes  wert  sind,  wie  die  der  Skulptur  und  der  Malerei. 

Kaum  an  einem  Denkmal  ist  seit  mehr  als  hundert  Jahren  mehr  gesündigt  worden 
als  am  Aachener  Münster.  Das  nach  seiner  Wirkung  verhängnisvollste  war  vielleicht  die 
vorzeitige  Gründung  des  Karlsvereins.  Es  ist  gut  und  löblich,  wenn  die  Mittel  zur  Durch- 
führung einer  unumgänglichen  Restauration  durch  Vereine  aufgebracht  werden.  Aber  man 
gründe  solche  Vereine  nicht,  bevor  nicht  über  Art  und  Umfang  der  auszuführenden  Ar- 
beiten volle  Klarheit  und  Obereinstimmung  herrscht.  Hier  hat  die  Wissenschaft  das  erste 
Wort  zu  sprechen.  Dann  mag  der  Künstler  seine  entsagungsvolle  Tätigkeit  beginnen,  dann 
mögen  Vereine  gegründet  werden  um  die  Mittel  aufzubringen.  Ist  der  Verein  zuerst  da, 
so  wird  die  ganze  Angelegenheit  im  Voraus  in  falsche  Bahnen  geleitet,  man  will  für  sein 
Geld  etwas  sehen,  man  will  Grofses,  Schönes.  Dann  werden  Künstler  berufen,  welche 
schaffen  wollen,  welche  glänzende  Entwürfe  liefern,  die  faszinieren;  dann  vergifst  man^ 
■4afs  man  erhalten  wollte  und  berauscht  sich  an  den  Herrlichkeiten  des  Neuen.  Ruft  man 
4n  diesem  Stadium  die  Wissenschaft  als  Eideshelferin  an,  so  geschieht  es  nur  noch  um 
0as  Dekorum  zu  wahren,  und  man  hört  nur  noch  was  man  hören  will. 

So  energischem  Drängen  gegenüber  versagt  selbst  die  staatliche  Denkmalspflege, 
das  hat  Meifsen,  das  hat  Aachen,  das  haben  auch  andere  Fälle  gezeigt.  Qtwusqtie  tandem . 
^  Gustav  von  Bezold. 

Vasel,  A.  Sammlunic  graphischer  Kunstblätter  nebst  Anhang:  Aquarelle  und 
Handzeichnungen.  Mit  10  Abbildungen.  Wolfenbüttel  1903.  Julius  Zwissler.  (XI,  388  S.  8®). 

Es  gibt  nicht  allzuviel  Kataloge,  die  wie  der  hier  vorliegende  einmal  ausnahms- 
weise nicht  zum  Zwecke  des  Verkaufs  der  beschriebenen  Sammlung  abgefafst  sind.  Von 
(älteren  Handbüchern  dieser  Art  sind  nur  nennenswert:  Paignon-Dijonval  (1810),  Malaspina 
1824),  Wilson  (1828),  v.  Quandt  (1853),  Morrison  (1868)  und  als  beste  Arbeit  von  allen: 
V.  Lanna  (1895).  Diesem  letzten,  in  jeder  Beziehung  ganz  ausgezeichneten  Kataloge,  den 
wir  Hans  Wolfgang  Singer  verdanken,  dürfte  auch  der  hier  zu  besprechende  in  keiner 
Weise  nahekommnn,  viel  weniger  ihn  übertreffen.  Gleichwohl  ist  das  Erscheinen  des- 
selben trotzdem  mit  Freuden  zu  begrüfsen,  weil  wir  darin  gewissermafsen  die  Äufserung 
einer  echten,  uneigennützigen  Freude  an  der  Kunst  selbst  und  den  Beweis  eines  persön- 
lichen Verhältnisses  zu  den  von  ihr  geschaffenen  Werken  zu  sehen  haben.  Wie  sym- 
pathisch berühren  gleich  die  Worte  der  Einleitung:  »Den  Verkauf  zu  vermitteln,  soll 
der  Zweck  dieses  Verzeichnisses  nicht  sein.  Mufs  es  doch  ein  wehmütiges  Gefühl  er- 
wecken, das,  was  mit  aller.JLiebe  und  Sorgfalt  im  Laufe  eines  Menschenalters  zusammen- 
getragen worden  ist,  ni^n  wieder  in  alle  Winde  zerstreut  und  allerlei  Fährlichkeiten  aus- 
gesetzt zu  sehen,  und  sollte  da  nicht  der  Wunsch  erklärlich  und  berechtigt  sein,  es 
zusammen  zu  erhalten,  oder  wenigstens  in  seinen  Hauptteilen  vor  Zerstreuung  zu  bewahren 
und  doch  der  Allgemeinheit  oder  einem  grösserem  Kreise  nutzbar  zu  machen!  Dies  zu 
erreichen  ist  mein  Wunsch,  und  hierauf  wird  auch  in  Zukunft  mein  Bestreben  gerichtet 
sein.  Diesem  Zwecke  soll  auch  das  vorliegende  Buch  dienen;  möge  es  zur  Benutzung 
der  Sammlung  anregen  und  diese  erleichtern  !< 

Die  Hauptstärke  der  6312  Nummern  umfassenden  Sammlung  liegt  nicht  wie  bei 
dem  V.  Lanna'schen  Kabinet  in  Blättern  des  15.  und  16.  Jahrhunderts.  Von  diesen  weist 
der  Katalog  nicht  übermäfsig  viele  Exemplare  auf  Nur  von  Dürer  und  Marcanton  findet 
sich  etwas  mehr  vor.  (Die  278  Illustrationen  im  »Spiegel  der  menschen  behaltnysse«,  die 
Vasel   dem  Meister  des  Hausbuches  zuschreibt,   haben  mit  diesem  nichts  zu  tun.).    Von 

Blitteilangen  aob  dem  germao.  NatioDalmiueum.    1904.  6 


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42 


LITERARISCHE  NOTIZEN. 


späteren  Meistern  sind  reichhaltiger  vertreten:  Rerobrandt,  Adr.  v.  Ostade,  van  Dyck 
(Iconographie  fast  vollständig),  J,  D.  Ridinger,  C.  W.  E.  Dietrich,  G.  F.  Schmidt,  Chodo- 
wiecki  und  Raphael  Morghen;  letzterer  mit  einer  ganzen  Anzahl  unvollendeter  Probe- 
drucke. Unter  den  Künstlern  des  19.  Jahrhunderts  scheint  Vasel  besonders  Menzel  und 
Richter  seine  Vorliebe  zugewandt  zu  haben.  Die  Aufnahme  weniger  bekannter  und  be- 
deutender Meister  erklärt  sich  daraus,  dafs  sie  aus  Braunschweig,  der  Heimat  des  Ver- 
fassers, stammen. 

Als  systematische  Anordnung  hat  der  Verfasser  die  alphabetische  Reihenfolge  ge- 
wählt, die  wenigstens  den  einen  Vorteil  bietet,  dafs  sie  ein  rasches  Auffinden  der  einzelnen 
Meister  ermöglicht.  Ein  Personenregister  ist  dadurch  überflüssig  geworden;  und  dafür 
hätte  vielleicht  einmal  dem  Katalog  ein  gut  gearbeitetes  Sachregister  hinzugefügt  werden 
können.  Eine  solche  bisher  nur  in  den  Ornamtstichkatalogen  übliche  Verarbeitung  des 
reichaltigen  Materials  ist  allerdings  mit  gewissen  Schwierigkeiten  verbunden,  dafür  aber 
dankenswerter  als  man  gemeiniglich  annimmt.  Dafs  Vasel  die  Abdrucksgüte  der  einzelnen 
Blätter  nicht  erwähnt,  kann  man  nur  billigen,  denn  jedes  Urteil  hierüber  ist  so  durchaus 
subjektiv,  dafs  der  Wert  desselben  vollständig  illusorisch  wird.  Wenn  man  bedenkt, 
welchen  Blättern  in  dem  zum  Zwecke  des  Verkaufes  einer  Sammlung  fertiggestellten 
Katalogen  häufig  die  schmückenden  Beiworte  wie  »reizend,  kostbar,  prachtvoll,  brillant» 
suberb,  tadellos,  hervorragend,  unvergleichlich,  erstklassig,  wunderbar«  zu  teil  werden, 
dann  ist  es  mit  dem  Respekt  vor  dererlei  Zensuren  ein  für  allemal  vorbei. 

Dafs  dem  gut  ausgestatteten  Katalog  zehn  Abbildungen  von  selteneren  Blättern 
beigegeben  sind,  soll  zum  Schlufs  noch  besonders  hervorgehoben  werden.  Sie  in  Netz- 
ätzungen herstellen  zu  lassen,  war  allerdings  verfehlt,  da  eine  solche  den  Charakter  eines 
Stiches  oder  einer  Radierung  auch  nicht  im  entfernten  wiederzugeben  imstande  ist.  Wer 
das  Geld  hat,  einen  solchen  Katalog  drucken  zu  lassen,  der  kann  in  diesem  Falle  auch 
zur  Reproduktionstechnik  der  Heliogravüre  greifen.  A.  Hg. 

Schegimann,  A.  M.,  Geschichte  der  Sikuiarlsation  im  rechtsrheinischen  Bayern. 

I.  Band:  Vorgeschichte  der  Säkularisation.  Regensburg  1903.  J.  Habbel  (X,  297  S.  8®). 

Obwohl  nunmehr  schon  ein  volles  Jahrhundert  vergangen  ist,  seitdem  die  in  der 
Kirchengeschichte  mit  einem  schwarzen  Kreuz  bezeichnete  Säkularisation  ihre  tief  ein- 
schneidenden Wirkungen  fühlbar  zu  machen  begann,  besafsen  wir  bis  auf  den  heutigen 
Tag  noch  keine  umfassende  Geschichte  derselben.  Schegimann  will  sie  uns  in  dem  hier 
angezeigten  Werke  für  das  rechtsrheinische  Bayern  geben.  Der  unter  Benutzung  zahl- 
reicher Originalkorrespondenzen  sowie  mit  Verwertung  einer  ganzen  Fülle  von  mündlichen 
persönlichen  Oberlieferungen  bis  jetzt  fertig  gestellte  erste  Band  enthält  als  Frucht  einer 
dreizehnjährigen  mühevollen,  fleifsigen  Sammlerarbeit  die  nicht  wenig  interessante  Vor- 
geschichte der  ganzen  Bewegung.  In  den  folgenden  Bänden  soll  dann  die  Aufhebung 
der  ständischen  und  nichtsändischen  Klöster  und  Hospitien,  der  Abteien,  Kollegien, 
Kommenturen,  Damenstifte,  Fürstbistümer,  Hochstifte  und  Domkapitel  eingehend  be- 
handelt werden.  Im  Anschlufs  daran  will  uns  Schegimann  endlich  noch  das  Leben  der 
hervorragendsten  unter  den  säkularisierten  Personen  schildern  und,  was  nicht  weniger 
dankenswert  ist,  das  fernere  Schicksal  der  säkularisierten  Sachen,  namentlich  der  Klöster, 
Paläste,  Kirchen,  Bibliotheken,  Kunstgegenstände,  naturwissenschaftlichen  Apparate  und 
Sammlungen.  Wenn  schon  der  Stoff  an  und  für  sich  das  dem  ersten  Bande  entgegen- 
gebrachte hohe  Interesse  in  vollem  Mafse  zu  rechtfertigen  und  verständlich  zu  machen 
imstande  ist,  so  verdient  doch  die  klare  und  leichtfassliche  Schreibweise  noch  als  be- 
sonders ausschlaggebend  hervorgehoben  zu  werden.  Ihr  ist  es  zu  verdanken,  dafs  das 
in  seiner  Anlage  doch  mehr  wissenschaftliche  Werk  gleich  nach  Erscheinen  des  ersten 
Bandes  eine  nachhaltige  Wirkung  auf  die  Laienkreise  auszuüben  imstande  war.  Über 
den  Standpunkt,  den  der  Verfasser  der  Frage  gegenüber  einnimmt,  orientiert  uns  gleich 
der  erste  Satz  des  ganzen  Werkes:  >Die  natürliche  Entwicklung  der  bayerischen  Säku- 
larisation reicht,  wie  so  viel  anderes  Unglück,  auf  Luther  zurück«.  Das  heifst  man  aber 
doch  mit  der  Tür  ins  Haus  fallen.    Neben  der  konfessionellen  Seite  hat  der  ganze  eigen- 


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LITERARISCHE  NOTIZEN. 


43 


tümliche  Vorgang  ja  schliefslich  auch  noch  eine  wirtschaftliche,  nationalökonomische. 
Dafs  diese  nicht  unter  Erwägung  des  Für  und  Wider  eingehender  behandelt  ist,  dürfte 
entschieden  ein  Fehler  der  fleifsigen  Arbeit  sein. 

Die  Siesrel  des  Adels  dör  Wettiner  Lande  bis  zum  Jahre  1500.  Im  Auftrage 
der  königl.  Sachs.  Staatsregierung  herausgegeben  von  Otto  Posse,  Dresden.  Verlag 
des  Apollo  (Franz  Hoffmann)  1903.  gr.  4. 

Seitdem  die  Sphragistik  aufgehört  hat,  allein  ein  Betätigungsfeld  des  Dilettantismus 
zu  sein,  und  wieder  ihre  alte  Stelle  als  wichtige  historische  Hülfswissenschaft  eingenommen 
hat,  sind  eine  Reihe  wertvoller  Abhandlungen  zur  Siegelkunde  erschienen.  Inhaltlich 
dürfte  sich  Posses  jüngstes  Werk  den  besten  Arbeiten  aus  diesem  Gebiet  an  die  Seite 
stellen,  an  Reichtum  und  Güte  der  Ausstattung  aber  alle  hinter  sich  lassen.  Bisher  ist 
von  dem  grofs  angelegten  Werke  über  die  mittelalterlichen  Adelssiegel  der  Wettiner 
Lande  der  erste  Band  erschienen,  der  die  Grafen  von  Käfernburg  -  Schwarzburg ,  die 
Vögte  von  Weida,  Plauen  und  Gera,  sowie  vom  Adel  den  Buchstaben  A  umfafst. 

Mit  kritischem  Blick  ist  das  weit  zerstreute  Material  gesichtet,  genaue  genealogische 
Übersichten  und  Tabellen  für  die  zeitliche  Dauer  der  einzelnen  Siegelstempel  sind  als 
wertvolle  Hülfsmittel  beigegeben  und  ein  sehr  sorgfältig  gearbeitetes  Register  erleichtert 
den  Gebrauch.  Die  im  Text  beschriebenen  Siegel  sind  auf  50  Lichtdrucktafeln  aus  der 
graphischen  Kunstanstalt  von  Meissenbach  Riffarth  &  Co.  in  vortrefflicher  Weise  wieder- 
gegeben. W.  J. 

Neujahrsblätter  aus  Anhalt.  Herausgegeben  von  Professor  Dr.  Hermann  Wäschke, 
Herzog].  Anhalt.  Archivrat:  1.  Anhalt  vor  hundert  Jahren  von  H.  Wäschke.  Dessau. 
1904.  Verlagsbuchhandlung  von  Paul  Baumann,  Herzogl.  Anhalt,  u.  Sachsen- Altenb. 
Hofbuchhändler.  32  SS.  8«. 

Zu  einem  Unternehmen,  wie  es  gleicher  Art  seit  Jahren  schon  die  historischen 
Kommissionen  der  Provinz  Sachsen  und  des  Grofsherzogtums  Baden  für  diese  Gebiete 
betätigen,  der  alljährlichen  Herausgabe  von  »Neu Jahrsblättern«  für  einen  weiteren  Kreis 
von  Freunden  der  Landesgeschichte,  ist  nun  auch  für  das  Herzogtum  Anhalt  von  be- 
rufenster Seite  der  Grund  gelegt  worden.  Mit  dem  ersten  Heft,  einem  geschichtlichen 
Rückblick  auf  »Anhalt  vor  hundert  Jahren«,  erscheint  der  Herausgeber  selbst  auf  dem 
Plan.  Nun  ist  das  Jahr  1803  freilich  eines  der  allerunerquicklichsten  in  der  deutschen 
Rcichsgeschichte,  indes,  wie  des  Verfassers  Geleitwort  mit  Recht  betont,  bleibt  es  eine 
nicht  zu  unterschätzende  Quelle  politischer  Einsicht,  selbst  so  unerfreulichen  Dingen,  wie 
sie  das  beginnende  19.  Jahrhundert  gebracht  hat,  voll  ins  Antlitz  zu  schauen.  Nicht  wenige 
gleichzeitige  Dokumente  manigfachster  Art,  Akten,  Noten,  Relationen,  Briefe  sind  sorg- 
fältig verwertet  und  verwoben  zu  einer  lebendigen  Charakteristik  der  inner-  und  aufser- 
politischen  wie  nicht  weniger  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  der  drei  anhaltischen 
Fürstentümer  in  jenen  Tagen.  HH. 

Obrist,  Hermann,  Neue  Möglichkeiten  in  der  bildenden  Kunst.  Essays.  Leip- 
zig. 1903.  Eugen  Diederichs.  (168  S.  8^.) 

Eine  Sammlung  von  sieben  zu  verschiedenen  Zeiten  niedergeschriebenen  Aufsätzen 
und  Vorträgen,  die  in  manchen  Punkten  offene  Türen  einstofsen,  in  vieler  Beziehung 
aber  durch  die  stark  anregende  Art,  in  der  die  aktuellen  Probleme  der  Kunst  und  des 
Kunstgewerbes  besprochen  werden,  von  mehr  als  ephemerer  Bedeutung  sind.  Von  den 
durch  den  Charakter  der  Entstehung  des  Buches  bedingten  Mängeln  verschiedener  AVieder- 
holungen  abgesehen,  geben  uns  die  temperamentvollen  Äufserungen  des  Münchener 
Künstlers  wertvolle  Beiträge  zur  Beantwortung  der  Frage  eines  zeitgemäfsen  Kunst- 
unterrichts, denen  sich  nicht  weniger  interessante  Erörterungen  über  die  Zukunft  unserer 
Plastik  und  Architektur  angliedern.  Wenn  wir  auf  einen  Aufsatz  noch  speziell  hinweisen, 
so  verdient  er  es  vor  allem  deshalb,  weil  er  in  treffender  Kürze  die  Schattenseiten  einer 
heutzutage  immer  mehr   an  Boden  gewinnenden  Bewegung  charakterisiert,  an   die   man 


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44  LITEÄARI8CHB  NOTIZEN. 


gewöhnlich  bei  Nennung  des  Schlagwworts  »Volkskunst«  denkt.  Was  wir  jetzt  Volks- 
kunst nennen,  sagt  Obrist  sehr  richtig,  ist  nicht  das,  was  unser  Volk  mag.  sondern  das, 
von  dem  wir  wünschen  und  verlangen,  dafs  es  unser  Volk  haben  soll.  Wir  glauben 
Volkskunst  zu  liefern,  wenn  wir  eine  konstruktiv  exakte  Zimmereinrichtung  ohne  Dekor 
fertigstellen;  der  Arbeiter  aber,  för  den  sie  bestimmt  sein  soll,  denkt  anders  über  die 
Kästen  und  Gestelle,  die  wir  ihm  gaben.  Er  sehnt  sich  nach  etwas  Höherem,  das,  wenn 
es  auch  nicht  echt  ist,  so  doch  wenigstens  vorgibt,  echt  zu  sein.  Er  will  Möbeln  mit 
Schnörkeln  und  Kugeln  mit  Troddeln  und  Fransen,  ebenso  wie  seine  Frau  lieber  sechs 
Mark  för  eine  Diaphanie  als  drei  Mark  für  eine  moderne  Künstlerlithographie  ausgeben 
wird.  Alles  mufs  nach  etwas  aussehen,  was  es  in  Wirklichkeit  nicht  ist  und  der  Natur 
der  Sache  nach  auch  nicht  sein  kann. 

Was  wir  an  der  Bauernkunst  so  sehr  schätzen,  ist  aber  vielfach  weiter  nichts,  als 
eine  auf  dem  Wege  ungeschickter  Nachahmung  entstandene  Afterkunst,  die  sich  zur 
wirklichen  Kunst  verhält  wie  der  Löschpapierabdruck  zur  Originalschrift.  Von  solchen 
Arbeiten  erhoffe  man  doch  keine  Anregung  zu  einer  Neubelebung  der  sogenannten  Volks- 
kunst. Das  gibt  stets  nur  Talmi  und  nie  und  nimmer  echtes  Gold.  Es  verlohnt  sich 
deshalb  nicht  einmal,  solche  Stücke  systematisch  zu  sammeln.  Das  überlasse  man  dem 
Liebhaber  und  den  kleineren  Museen,  die  in  erster  Linie  Heimatkunde  treiben.  Für  gröfsere 
Centralen  genügen  ein  paar  bemerkenkwerte  Proben,  wie  unser  Museum  deren  auch 
einige  besitzt,  vollauf.  Jedes  Mehr  ist  da  von  Übel;  es  sei  denn,  dafs  man  sich  auf  den 
von  Lauffer  im  Archiv  für  Kulturgeschichte  (ü,  106)  vertretenen  Standpunkt  stellt,  wonach 
die  »historischen«  Museen  —  als  wenn  nicht  jedes  Museum  mehr  oder  weniger  historisch 
war  —  nicht  in  erster  Linie  nach  künstlerischen,  sondern  vor  allen  Dingen  nach  geschicht- 
lichen und  germanistischen  Gesichtspunkten  geordnet  und  zusammengestellt  werden 
müfsten.  Wenn  dies  das  Ideal  einer  deutschen  Archaeologie  ist,  dann  kann  uns  eine 
solche  Altertumswissenschaft  mehr  schaden  wie  nützen,  weil  sie  geeignet  ist,  unsere 
Museen  zu  Raritätenkabinetten  herabzuwürdigen,  die  in  erster  Linie  dazu  berufen  wären, 
die  Naturgeschichte  des  bric  ä  brac  zu  lehren.  Wenn  es  wirklich  nötig  sein  soll,  neben 
dem  Entwicklungsgang  der  Erzeugnisse  der  Kunstindustrie  auch  den  der  ganz  gewöhn- 
lichen Handwerksprodukte  vor  Augen  zu  führen,  dann  werden  wir  dahin  kommen,  auch 
noch  typische  Exemplare  der  »historischen«  Formengestaltung  eines  Stiefelknechtes  oder 
einer  Ofengabel  als  wichtige  kulturgeschichtliche  Dokumente  zusammenzustellen.  Dann 
—  aber  auch  nur  dann  —  kann  man  auch  den  Denkmälern  der  sogenannten  Bauemkunst 
das  weitgehendste  Interesse  entgegenbringen.  Nur  soll  man  in  dem  Falle  dann  nicht 
mehr  von  kunsterzieherischen  Aufgaben  der  Museen  reden.  t)ie  Kunst  selbst  wird  von 
solchen  Erzeugnissen  keine  Anregung  empfangen  können;  das  Publikum  aber  zu  einer 
solchen  »Kunst«  erziehen  zu  wollen,  das  wäre  sündhaft.  Wirkliche  Volkskunst  hat  etwas 
einfaches,  solides,  wahres,  echtes;  alles  Eigenschaften,  die  der  Bauemkunst  in  der  Regel 
abgehen.  In  dieser  also  den  regenerierenden  Odem  zu  sehen,  der  der  Volkskunst  Gesund- 
heit und  Jugend  wiederzugeben  imstande  ist,  dürfte  vollständig  verfehlt  sein. 

Alfred  Hagelstange. 


u.  C.Svtaid,  Nümbvft- 


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DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR.  HANS  STKGMANN. 
VI. 

Die  Kastenmöbel,  denen  wir  uns  nunmehr  zuzuwenden  haben,  begreifen 
die  Truhen,  Koffer,  die  kleineren  Kästen,  die  Schränke,  endlich  die 
Kommoden  und  die  mannigfachen  Kombinationen  von  Schrank  und  Tisch  in 
sich,  soweit  sie  nicht  etwa  als  Abart  des  eigentlichen  Tisches  dem  nächsten 
Abschnitt  vorbehalten  bleiben.  Sämtliche  Kastenmöbel  lassen  sich  in  den  zwei 
Hauptgruppen,  Truhen  oder  eigentliche  Kasten  und  Schränke  im  weiterem 
Sinne  unterbringen.  Das  hauptsächlichste  Charakteristikum  der  ersten  Ab- 
teilung ist  die  Kistenform,  d.  h.  ein  oblonger  rechteckiger  Kasten  (Parallel- 
epipedon)  dessen  Öffnung  durch  Aufklappen,  bezw.  manchmal  durch  Ab- 
heben der  Oberseite  des  Deckels  vor  sich  geht.  Charakteristikum  der  zweiten 
ist  ebenfalls  (bis  zu  den  Phantasieerzeugnissen  des  17.  und  18.  Jahrhunderts) 
das  Parallelepipedon ,  das  aber  nicht  auf  einer  seiner  längeren ,  sondern 
auf  einer  seiner  kurzen  Seiten  steht  und  von  der  Vorderseite  aus  mittelst 
eines  oder  mehrer  Türflügel,  später  auch  mittelst  Schubladen  seine  Öffnung 
erhält. 

Beide  Hauptarten  haben  als  Hausgerät  Jahrtausende  lang  eine  Rolle 
nebeneinander  gespielt.  Bis  zur  Spätrenaissance,  d.  h.  etwa  bis  zur  Zeit  von 
1580 — 1600  hat  in  Deutschland  die  Truhe  das  Übergewicht  als  eigentliches, 
wichtiges  Aufbewahrungsmöbel ,  vom  16.  Jahrhundert  an  aber  trägt  der 
Schrank  den  Sieg  davon;  im  neunzehnten  Jahrhundert  wird  die  Truhe  nur 
noch  in  bäuerlichen  Kreisen,  und  da  nur  selten,  neu  gefertigt.  Es  wäre 
müßig  über  die  Priorität  von  Truhe  und  Schrank  zu  streiten.  Als  eigent- 
liches Möbel,  d.  h.  als  beweglicher  Hausrat,  wird  der  Kasten  wohl  als  die 
frühere  Form  anzusprechen  sein.  Nicht  nur  als  Aufbewahrungsort,  sondern 
auch  recht  eigentlich  als  Transportmittel  haben  wir  uns  den  Kasten  und  die 
aus  diesem  hervorgegangene  Truhe  zu  denken.  So  h^ben  sich  denn  auch,  so- 
lange wir  die  Truhe  zurückverfolgen  können  und  soweit  sie  heraufrückt  zu 
unseren  Tagen,  als  unentbehrliche  Zutat  an  den  Schmalseiten  die  Handhaben 


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46 


DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMAKISCHEN  MUSEUMS. 


für  die  Fortbewegung  erhalten.  Schon  der  etymologische  Zusammenhang  des 
Wortes  »Truhe«  und  »tragen«  gibt  ja  die  Zweckbestimmung  klar  wieder.  Der 
Schrank  dagegen  ist,  wie  später  des  Weiteren  noch  auszuführen  sein  wird, 
kein  Möbel  im  eigentlichen  Sinne.  Wie  wir  ihm  bis  zum  heutigen  Tage  noch 
begegnen  als  Wandschrank  d.  h.  als  eingebautem  Möbel,  so  haben  wir  ihn 
auch  als  solches  entstanden  zu  denken ;  in  primitivster  Form  als  eine  mit  einer 
Tür  verschließbare  Wandnische. 

Die  ältesten  erhaltenen  Holzkasten  und  Truhen  finden  wir  wieder  in 
dem  Lande,  das  die  reichsten  Schätze  aus  seiner  uralten  Kultur  bewahrt  hat, 
Aegypten,  und  zwar  in  seinen  Holzsärgen,  die  freilich  nicht  als  regelmäßige 
Parallelepipeda  gebildet  sind,  sondern  in  den  Seitenflächen,  bisweilen  auch 
im  Deckel  den  Umrissen  der  menschlichen  Gestalt  folgen.  Truhen  des 
klassischen  Altertums  in  Holz  besitzen  wir  nicht,  aber  in  den  griechischen 
und  römischen  Steinsarkophagen  dürfen  wir  mit  demselben  Recht  eine  Nach- 
bildung des  Steinhauses,  als  des  Holzkastens  in  Hausform  erblicken.  Der 
allen  Völkern  auf  früher  Stufe  innewohnende  Zug  in  ihrem  Gerät  eine  Nach- 
ahmung ihrer  Wohnbauten  zu  geben  —  hier  ist  auf  die  mannigfachen  Formen 
der  vorgeschichtlichen  Hausumen  zu  verweisen  —  hat  hier  im  Kasten  und 
auch  im  Sarg  genau  dieselbe  Rolle  gespielt  wie  in  der  Keramik  und  in  der 
Metallbildnerei  (z.  B.  des  mykenischen  Zeitalters).  Es  ist  daher  gewiß  kein 
Zufall,  daß  die  im  Wesentlichen  stets  beibehaltene  Form  der  Truhe  der 
einfachsten  Form  des  Sarges,  der  Behausung  der  Toten,  entspricht.  Die 
Hausform  der  Truhe  mit  giebelförmig  gestaltetem,  abgeschrägtem  Deckel  ist 
eine  verbreitete  Art,  die  besonders  bei  kleineren  Truhen  und  vor  Allem  beim 
mittelalterlichen  Kästchen  sehr  beliebt  war.  Vielleicht  spielt  hier  der  Re- 
liquienschrein, das  Haus  und  der  Sarg  der  Heiligen  und  Märtyrer  oder  eines  ^ 
Teiles  ihrer  irdischen  Überreste,  in  der  mittalalterlichen  angewandten  Kunst 
die  Hauptrolle. 

Die  Kastenmöbel,  so  selten  sie  in  wirklich  guten  und  gut  erhaltenen 
Exemplaren  auch  sind,  haben  doch,  da  sie  der  Gebrauch  weit  weniger  zer- 
störte als  die  Ruhemöbel  oder  die  Tische,  sich  in  größerer  Zahl  erhalten 
und  bilden  in  ihrer  Gesamtheit  nicht  nur  der  Zahl,  sondern  auch  dem  künst- 
lerischen Wert  nach  weitaus  den  wichtigsten  Bestandteil  der  Möbelsammlung 
des  Germanischen  Museums.  Im  Nachfolgenden  sollen  aus  praktischen  Gründen 
zunächst  die  größeren,  dann  die  kleineren  Truhen,  die  Koffer,  die  Holzkäst- 
chen, die  Schränke,  die  Schrankkombinationen  und  die  Kommoden  behandelt 
werden. 

Die  mittelalterlichen  Truhen  sind  in  unseren  Sammlungen  nur  durch 
wenige  Beispiele  vertreten,  wozu  noch  kommt,  daß  einige  kaum  deutscher, 
sondern  wohl  oberitalienischer  Herkunft  sind. 

Die  formale  Entwicklung  der  Truhe  ist  ihrem  Wesen  nach  als  die  eines  im 
Innern  nicht  gegliederten  Kastens  —  von  den  Versuchen  darüber  hinaus  zu 
kommen  wird  noch  zu  teden  sein  —  eine  sehr  einfache.  Und  insbesondere 
Deutschland  ist  über  die  Grundform  des  rechteckigen  Kastens  eigentlich  nie 
recht  hinausgekommen,  wie  das  beispielsweise  mit  der  italienischen  geschnitzten 


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VON  DR  HANS  STIEGMANN. 


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Truhe  der  Spätrenaissance  und  des  Barock  der  Fall  gewesen  ist.  Vielleicht 
auch  deshalb,  weil  die  Truhe  im  vornehmen  und  im  Bürgerhaus  zu  der  Zeit, 
wo  sie  in  Italien  ihre  höchste  künstlerische  Vollendung  als  Prunkmöbel  erhielt, 
gegenüber  dem  Schrank  in  Deutschland  schon  etwas  in  den  Hintergrund 
zurückgetreten  war.  War  doch,  wohl  auch  unter  Einwirkung  der  italienischen 
Renaissance,  welche  diesen  Typus  zur  größten  Höhe  entwickelte,  auch  in 
Deutschland  —  wie  die  vielen  Wappentruhen  es  klar  dartun  —  vom  16.  Jahr- 
hundert an  die  Brauttruhe  der  Hauptvertreter  der  Gattung.  Als  solche,  als 
Brauttruhe,  hat  sie  besonders  im  bäuerlichen  Leben  bis  ins  19.  Jahrhundert, 
gewöhnlich  in  der  modernen  Kofferform,  ein  etwas  kümmerliches  Dasein  im 
Norden  und  Süden  unseres  Vaterlandes  fortgefristet. 

Da  der  Deckel,  mochte  er  giebelförmig,  gewölbt  oder  horizontal  sein,  in  der 
Regel  keine  wesentliche  Verzierung  erhielt,  so  blieben  für  diesen  zu  allen  Zeiten 
nur  die  Seitenflächen  übrig.  Im  Mittelalter,  aber  auch  in  der  Renaissance, 
beschränkte  zudem  die  ganz  naturgemäße  Sitte,  die  Truhen  mit  einer  Lang- 
seite an  der  Wand  aufzustellen,  die  Dekoration  auf  die  beiden  Schmalseiten 
und  die  vordere  Seite,  die  eigentliche  Schauseite.  Daß  zunächst,  der  primitiven 
Kastenform  folgend,  die  Ausschmückung  sich  in  reiner  Flächendekoration  be- 
wegte, ehe  man  daranging  —  im  wesentlichen  erst  in  der  Zeit  der  spätesten 
Gotik  und  der  Renaissance  —  die  Außenwände  mit  architektonischen  Gliede- 
rungen zu  versehen,  ist  einleuchtend.  Die  früheste  Verzierung,  die  wir  aus 
dem  Mittelalter  bei  Holztruhen  kennen,  ist  nicht  in  Holz  ausgeführt,  sondern 
wird  durch  die  in  regelmäßiger  Musterung  verteilten  eisernen  Beschläge  erzielt. 

Solange  und  soweit  die  Truhe  als  Transportmittel  im  engeren  Sinne 
gebraucht  wurde,  war  ja  die  einfachste  Form  mit  rechtwinkligen  aufeinander 
stoßenden  Flächen  die  gegebene.  Die  üblichen  Holzverbindungen  gewährten 
aber  weder  gegenüber  den  Erschütterungen  beim  Verladen  und  beim  Trans- 
port, noch  auch  den  Öffnungsversuchen  von  fremder  Hand  genügend  Wider- 
stand, sodaß  das  Beschlagen  mit  eisernen  Bändern  sehr  in  Aufnahme  kam 
und  stets  gebräuchlich  blieb.  Das  Beschläge  dieser  Art  verdichtete  sich 
schließlich  ähnlich  wie  bei  den  Türen  derart,  daß  der  ganze  Kasten  resp. 
die  Truhe  mit  Eisen  bezogen  wurde,  ebenso  wie  um  den  Holzkern  zu  schonen 
vom  späten  Mittelalter  der  eigentliche  Reisekoffer  (franz.:  coffre  -----  Truhe)  mit 
Leder-  oder  Stoffbezug  wenigstens  für  den  vornehmen  Gebrauch  Sitte  wurde. 

Die  feststehende  Eigenschaft  der  Truhe,  daß  die  obere  Seite  den  zu 
öffnenden  Verschluß  bildete,  bringt  es  natürlich  mit  sich,  daß  die  auf- 
zubewahrenden Gegenstände,  wie  heute  noch  im  modernen  Reisekoffer  oder 
-Korb,  soweit  er  nicht  neuerdings  mit  herausnehmbaren  Einsätzen  versehen 
ist,  übereinander  aufgeschichtet  werden  mußten.  Um  zu  einem  im  unteren 
Teil  befindlichen  Gegenstand  zu  gelangen,  müssen  infolgedessen  die  darüber 
liegenden  Gegenstände  herausgeräumt  werden,  ein  Mißstand,  der  im  seitlich 
vom  zu  öffnenden  Schrank,  der  noch  dazu  zur  Anordnung  von  einzelnen  senk- 
und  wagrechten  Abteilungen  wie  geschaffen  ist,  vermieden  ist.  Um  wenigstens 
kleinere  Gegenstände  ohne  viel  Umstände  verwahren  bezw.  .herausnehmen 
zu  können,   wurden  an  einer  oder  njehreren  Innenseiten  der  Truhe  rinnen- 


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4S  DIE  HOLZMÖBKL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


oder  fachartige  Behälter  angebracht,  manchmal  schon  früh  mit  kleinen  wirk- 
lichen Schubfächern,  auch  Geheimfächern,  die  einen  wenn  auch  minder- 
wertigen Ersatz  von  Schrankfächern  und  Schubladen  bieten  konnten. 

Als  die  Truhe  im  Verlaufe  des  Mittelalters  nicht  mehr  so  ausschließlich 
für  weitere  Transportmöglichkeiten  ausgerüstet  werden  mußte,  bekam  sie  als 
Auflager  einen  Untersatz.  Während  derselbe  im  Süden  Deutschlands  bis  ins 
16.  Jahrhundert  getrennt  hergestellt  wurde,  sodaß  die  Truhe  von  ihm  weg- 
gehoben und  fortbewegt  werden  konnte,  entwickelte  sich  im  Norden  die 
Stollentruhe.  Entweder  wurden  die  Seitenteile  nach  unten  verlängert,  sodaß 
seitliche  Stollen  entstanden,  während  vorne  ein  gerades  oder  ausgesägtes  Brett 
angefügt  wurde,  oder  Vorder-  und  Rückseite  wurden  dreiteilig  gebildet  und 
die  schmäleren  Seitenteile  nach  unten  verlängert,  sodaß  die  Stollen  in  der 
Axe  der  Längsseiten  lagen.  Der  Grund  zu  der  Maßnahme,  die  Truhen  in 
der  Regel  nicht  mit  dem  Behälter  auf  dem  Boden  aufstehen  zu  lassen,  darf 
wohl  in  dem  Bestreben  gesucht  werden,  den  Inhalt  vor  der  Bodenfeuchtigkeit 
und  vor  animaUschen  Schädlingen  zu  sichern. 

Das  älteste  Stück  unserer  mittelalterlichen  Truhen  ist  eine  in  dunkel  ge- 
beiztem Eichenholz  geschnitzte  Truhenvorderwand  (Fig.  59)  welche  von  einer 
Truhe  aus  dem  Rathause  zu  Dortmund  stammen  soll.  Die  beiden  schmalen  Seiten- 


Fig.  59.    Gotische  Truhenvorderwand  aus  Dortmund. 

teile,  welche  unten  die  schmucklosen  Stollen  bilden  und  deren  Holz  im  Gegen- 
satz zum  Mittelteil  senkrecht  läuft,  sind  mittelst  Nut  und  Feder  und  runden 
Zapfen  an  das  Mittelteil  gefügt.  Einschnitte  an  der  Innenseite  zeigen,  daß  im 
Innern  oben  schmale  Kästen,  wie  wir  sie  später  noch  des  Näheren  kennen 
lernen  werden,  angebracht  waren.  Das  Mittelbrett  ist  in  fünf  rautenförmige 
Felder  eingeteilt,  die  je  eine  stilisierte  drachenartige  Tiergestalt  tragen.  In 
den  unteren  Zwickeln  ist  zweimal  die  gleiche  Tiergestalt,  zweimal  je  drei 
Nadelholzbäume,  deren  Belaubung  schachbrettartig  geschnitten  ist,  und  an  den 
Seiten  ein  flammenartiges  Ornament  angebracht.  Zwischen  den  Rauten  erheben 
sich  Fialen,  aus  den  Rauten  wächst  stilisiertes  Laub  und  den  Grund  bildet 
wieder  das  geflammte  Ornament.  Auf  den  Seitenteilen  sitzt  das  Tier  in  einer 
Maßwerkarchitektur  mit  Fialen,  resp.  Türmchen.  Die  verhältnismäßig  strenge 
und    herbe  Behandlung   läßt   erkennen,   daß   die  Truhe   dem  Anfang  des  15. 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


49 


oder  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  angehört.     Die  Breite  des  Vorderteiles 
beträgt  168  cm,  die  Höhe  inklusive  der  Stollen  75  cm. 

Ebenfalls  wohl  noch  dem  14.  Jahrhundert  angehörig  ist  das  nächste 
Stück.  Ganz  einfach  in  Kistenform  stellt  sich  diese  Truhe  dar,  welche  kirch- 
lichen Zwecken  gedient  hat  und  daher  auch  der  Sammlung  kirchlicher  Geräte 
einverleibt  ist.  Sie  hat,  wie  manch  anderes  gleichartige  Stück  bis  in  die 
neuere  Zeit  zur  Aufbewahrung  eines  Kirchenschatzes  gedient.  Ihre  Bestim- 
mung weniger  als  Möbel  im  engeren  Sinne,  denn  als  diebessicherer  Auf- 
bewahrungsort wertvoller  Paramente  zu  dienen  spricht  sich  in  ihrer  Schmuck- 
losigkeit aus.  Die  Schmalseiten  der  rechteckigen  Kiste  bilden  zugleich  an 
den  Ecken  die  Füße.  An  der  Vorderseite  und  an  den  Seitenteilen  ist  sie 
mit  eisernen  Bändern  beschlagen,  die  an  den  Seiten  wagrecht,  an  der  Vorder- 
seite   senkrecht    laufen   und  jeweilig  um  die  Ecken  umgeschlagen  sind.     Die 


Fig.  60.    Gotische. Truhe  des  1&.  Jahrhunderts;  tirolisch  oder  oberitalienisch. 

Zahl  der  seitlichen  wagrechten  Bänder  beträgt  je  fünf,  die  der  vorderen  aus 
der  Unterseite  hervorkommenden  Bänder  acht.  Alle  haben  lilienförmigen 
Abschluß.  Vorn  ein  einfaches  gotisches  Schloßblech.  Das  Material  ist  Eichen- 
holz. Da  der  Deckel  gar  kein  Beschlag  zeigt,  ist  die  Annahme  einer  Er- 
neuerung desselben  wohl  gerechtfertigt.  Höhe  und  Tiefe  je  62  cm,  Länge 
182  cm.  Da  die  Truhe  aus  dem  Nürnberger  Antiquitätenhandel  erworben 
wurde  (1891)  dürfte  sie  wohl  auch  süddeutschen  Ursprungs  sein. 

Einen  besonderen  Typus  bilden  ähnlich  der  vorstehend  beschriebenen 
eine  Art  von  hauptsächlich  in  Westfalen  vorkommender  mittelalterlicher 
Truhen.  An  ihnen  sind  die  Holzteile  ganz  einfach  kistenartig  behandelt. 
Die  verhältnismäßig  hohen  —  ca.  40  cm  —  Füße  werden  durch  schmale, 
nach  unten  verlängerte  Seitenbretter  der  Vorder-,  bezw.  der  Rückwand  ge- 
bildet.   Vorder-  und  Seitenwände  und  der  Deckel  sind  ganz  dicht  mit  schweren 

Hitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1904.  7 


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^0  DIB  HOLZMÖBBL  OBS  GEBMANISCHEN  MUSEUMS. 


eisernen  Bändern  beschlagen,  die  zwischen  sich  nur  einen  durchschnittlich 
etwa  3  cm  breiten  Raum  freilassen.  An  den  Vorderecken  laufen  die  Bänder, 
je  neun  an  der  Zahl,  wagrecht,  an  den  Seiten  je  vier,  und  der  Vorderseite  21, 
senkrecht,  auf  dem  Deckel  in  der  Richtung  der  Letzteren  (30).  Die  Endigungen 
der  mit  großen  rundköpfigen  Nägeln  befestigten  Bänder  bilden  distelartige, 
stilisierte  Blätter,  in  abwechselnd  schmaler  und  breiter  Form.  Der  Rand  der 
Truhe  sowie  des  Deckels  sind  ebenfalls  mit  schweren  eisernen  Bändern  ver- 
kleidet, so  daß  sie  den  Eindruck  großer  Festigkeit  und  Sicherheit  macht. 
Das  schwere  Schloß  mit  dem  langen  eisernen  Bügel,  das  Schloßblech  mit 
reichen  ebenfalls  in  Blattformen  durchbrochenen  Scheiben  an  den  Ecken  und 
Seiten  verstärken  noch  diesen  Eindruck.  Obgleich  eine  Stiftung  aus  Adels- 
kreisen des  Landes  und  dem  Stil  nach  wohl  dem  15.  Jahrhundert  angehörig, 
läßt  die  ganz  außergewöhnlich  gute  Erhaltung  in  allen  Teilen,  die  nicht  die 
mindeste  Spur  einer  Benutzung  bemerken  lassen,  doch  die  Möglichkeit  einer 
Nachbildung  zu.  An  den  vorderen  Fußstollen  des  aus  Eichenholz  bestehen- 
den Kastens  befinden  sich  in  zwei  halbrunden  Nischen  mit  Rundstabum- 
rahmungen von  einem  Löwen,  beziehungsweise  Greifen  gehaltene  Wappen- 
schilder in  Schnitzarbeit.  Die  Maße  sind  1,13  m  Höhe,  0,73  Tiefe  und  2,07  m 
Länge. 

Von  den  gotischen  Truhen  ist  die  reichste  und  schönste  die  als 
Figur  60  abgebildete.  Sie  ist  ganz  in  weichem  Holz  hergestellt.  Die  Vor- 
derseite des  Truhenkastens  ist  in  vier  Felder  eingeteilt,  deren  Umrahmung 
Einlagearbeit  in  hellen  und  dunklen  Hölzern  in  streng  geometrischen, 
aber  verhältnismäßig  reichen  Formen  zeigt.  Die  Zeichnung  der  Maßwerk- 
füllung ist  von  großer  Schönheit,  die  zwei  mittleren  Füllungen  zeigen  eine 
stilisierte  Lilie,  die  seitlichen  fensterartiges  Maßwerk.  Die  seitlichen  größeren 
Füllungen  haben  einen  mit  fischblasenartigem  Maßwerk  gefüllten  Kreis  als 
Hauptmotiv.  Der  dicke  graubraune  Ölfarbenanstrich,  der  jetzt  die  Füllung 
der  Lade  wie  des  Untersatzes  bedeckt,  ist  kaum  ursprünglich.  Die 
Inneneinrichtung  ist  einfach:  linker  Seitenkasten  und  fünf  kleine  Schubladen 
unter  einer  seichten  Rinne  an  der  Rückseite.  Über  den  Schubladen  eingelegter 
Streifen,  zwischen  demselben  sternartige  Rosetten.  Der  Untersatz  ist  in  der- 
selben reichen  Dekorationsweise  behandelt.  Die  Stollen  haben  vom  und  seit- 
lich Fensterarchitektur.  Die  geschnitzten  Füllungsfelder  bilden  hier  drei 
Schubladen.  Interessant  ist  beim  Truhenkasten  das  technische  Verfahren. 
Der  Kasten  ist  auf  Gehrung  gearbeitet,  die  einzelnen  Bretter  sind  stumpf 
aufeinander  gestoßen.  Die  Füllungen  sind  direkt  in  die  Truhenwände  ge- 
schnitten. Das  in  Gehrung  geschnittene  Rahmenwerk  —  der  glatte  und  der 
profilierte  Teil  ist  aus  einem  Stück  —  ist  dann  aufgeleimt.  Breite  189  cm. 
Tiefe  98  cm,  Höhe  104  cm.  Die  Truhe  ist  in  Tirol  erworben  und  möglicher 
Weise  südtirolisch.  Dieselbe  Truhenarbeit  ist  indessen  auch  in  ganz  Nord- 
italien heimisch  gewesen,  so  daß  für  die  deutsche  Provenienz  kein  schlagen- 
der Beweis  vorzubringen  ist. 

Norditalienisch  —  in  unserem  Besitz,  ebenfalls  in  Südtirol  erworben  — 
dürfte  auch  eine  kleinere  Truhe  sein,   von  deren  Art  in  allen  bedeutenderen 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  51 


Sammlungen  und  im  Kunsthandel  Exemplare  sich  finden.  Bode  in  seiner 
Monographie  über  das  italienische  Möbel  der  Renaissance  schreibt  dieselben 
vorzüglich  den  Marken  zu,  allein  auch  bis  nach  Toscana  sind  sie  vielfach 
verbreitet  gewesen.  Sie  gehören  wohl  immer  dem  15.  und  16.  Jahrhundert 
an.  Von  der  großen  länglichen  italienischen  Truhe  (cassone)  unterscheiden 
sich  diese  bis  zur  kleineren  Kästchenform  herunter  vorkommenden  Truhen- 
kasten (cassa)  durch  ihre  Verhältnisse.  Bei  verhältnismäßiger  Tiefe  sind  sie 
weniger  hoch  und  weniger  lang  als  ihre  vornehmeren  Vettern.  Der  glatte 
rechtwinklige  Holzkasten  ruht  in  der  Regel  wie  auch  bei  unserem  ziemlich 
großen  Exemplar  auf  einem  profilierten  Sockel,  und  der  ganze  Kasten  auf 
Querleisten  an  den  Enden,  die  gewöhnlich  in  einer  Tierbildung  mit  Löwen- 
köpfen oder  Löwenfüßen  endigen.  Bei  uns  sind  diese  Leisten  verschwunden 
und    durch    schlichte   Holzriegel    ersetzt.     Der    vorn    kämpferartig   profilierte. 


Figr.  61.  Tiroler  Truhe;  15.  Jahrhundert 

über  den  Kasten  vorspringende  Deckel  zeigt  die  Besonderheit,  daß  seitlich 
an  der  Unterseite  zwei  starke  balkenartige  Querriegel  angebracht  sind,  die  sich 
an  der  Seitenwand  bei  geschlossenem  Zustand  vorlegen,  ursprünglich  jedenfalls 
dazu  bestimmt  eine  gewaltsame  Öffnung  von  der  Seite,  wo  sich  keine  Schloßteile 
oder  Bänder  befunden  zu  erschweren.  Vorn  endigen  dieselben  in  geschnitzten 
Löwenköpfen.  Die  Holzverbindung  der  kräftigen  Kastenwände  ist  durch  zahl- 
reiche ganz  eng  auf  einander  folgende  Schwalbenschwänze  gebildet.  Die  Außen- 
flächen tragen  im  Holz  keine  Verzierung  als  eine  Anzahl  dünner  eingeriefter 
Linien  in  der  Nähe  des  Randes,  die  sich  an  den  Ecken  der  Flächen  dem- 
gemäß überschneiden.  Innen  am  Deckel  und  an  dem  Kastenwerk  sind  schmale 
eingelegte  Linien  in  zweifarbigem  Holz  zu  sehen,  an  den  Ecken  und  an  den 
Langseiten  durch  eine  Quadratverschlingung  unterbrochen.  Auf  der  Hirn- 
seite der  Wände  sternförmige  eingeschlagene  Verzierungen  und  eingelegte 
kleine  Füllungen.  An  den  inneren  Seiten-  und  der  Rückwand  ein  kompli- 
ziertes Kastenwerk  mit  Schub-  und  Geheimfächern,  das  nur  ^teilweise  erhalten 
ist.    Den  bemerkenswertesten  Zierrat  dieses  einfach  vornehmen  Möbels  bildet 


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^2  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

das  Beschläge,  das,  wie  bei  den  Italienern  allgemein  üblich  im  Gegensatz  zur 
deutschen  Sitte  überall  in  das  Holz  versenkt  ist.  Die  Charnierbänder  des 
Deckels,  sowie  ein  konstruktiv  nicht  nötiges  mittleres  Band,  das  in  der  Axe 
des  Verschlußbügels  liegt,  haben  runde  gitterförmig  durchbrochene  Scheiben 
mit  roter  Sammtunterlage.  Ebenso  die  beiden  seitlichen  und  die  fünf  wohl 
mehr  als  Zier  angebrachten  vorderen  Handhaben,  sowie  das  Schloßblech  des 
kunstvollen  Schlosses  mit  Vexiervorrichtung.  Die  Truhe  ist  aus  massivem 
Nußbaumholz  hergestellt;»  der  Deckel  augenscheinlich  stark  abgehobelt.  Die 
Truhe  mißt 

Die  nächste,  nicht  sehr  große  Truhe  (Fig.  61),  deren  Länge  132  cm. 
Tiefe  64  und  Höhe  72  cm  hat,  zeigt  schon  durch  ihr  Material  (Lärchen  oder 
Zirbenholz)  den  oberdeutschen  Ursprung  an.  Dieselbe  ist  auch  in  Tirol  er- 
worben und  steht  stilistisch  der  in  Fig.  60  abgebildeten  am  nächsten.  Ihre 
innere  Einrichtung  besteht  in  einem  doppelten  Fachwerk  an  der  linken  Seite. 
Vorder-  und  Seitenteile  bilden  in  ihrer  unteren  Verlängerung  den    Untersatz, 


Fig.  62.  Sitztnihe :  oberdeutsch  ;  15.  Jahrhundert 

der  hinten  und  seitlich  gerade,  vorn  geschweift  ausgeschnitten  ist.  Die  Vor- 
derseite enthält  vier  Füllungen  mit  Nachbildungen  spätgotischer  Maßwerk- 
fenster. Die  Zeichnung  ist  etwas  geringer  als  bei  der  in  Fig.  60  abgebildeten, 
aber  immerhin  von  beachtenswerter  Schönheit. 

Sicher  noch  dem  15.  Jahrhundert  dürfte  eine  ebenfalls  in  weichem  Holz 
angefertigte  kleine  Sitztruhe  gehören,  die  als  Auftritt  zum  Besteigen  des  Bettes 
gedient  hat.  Von  Interesse  sind  hier  die  beiden  Langseiten  (Fig.  62),  die  in 
eigentümlich  launiger  Zeichnung  flotte  stilisierte  Drachen  auf  der  einen  Seite, 
auf  der  anderen  üppiges  Rankenwerk  zeigen.  Auch  hier  dürfte  Tirol  das 
Ursprungsland  sein.  Die  Arbeit  ist  sehr  geschickt  der  Art  der  Technik, 
ausgehobener  Grund  mit  dunkler  Farbenfüllung,  angepaßt,  sodaß  es  zu  den 
wirkungsvollsten  Stücken  dieser  Art  gehört.  Die  Höhe  ist  47,  die  Tiefe  43,5, 
die  Länge  131  cm. 

Trotz  der  gotischen  Formen  doch  schon  sicher  in  das  16.  Jahrhundert  ge- 
hörend, ist  eine  weitere  Tiroler  Truhe  aus  Tannenholz  nebst  zugehörigem  Unter- 
satz (Fig.  63).    Nur  die  durch  aufgelegtes  einfaches  Rahmenwerk  in  drei  Felder 


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VON  DR  HANS  STEGMANN. 


53 


geteilte  Vorderseite  ist  verziert  und  zwar  in  der  einfacheren  Weise,  dafs  die 
Konturen  der  Verzierungen  eingeschnitten,  der  Grund  aber  nur  an  wenigen 
Stellen  ausgehoben  ist.  Das  äußerste  linke  Feld  stellt  eine  von  Blumen  um- 
rankte Rosette,  das  mittlere  einen  auf  einer  Bank  stehenden  Blumentopf  dar, 
dessen  Zweige  das  Schlüsselblech  umranken.  Rechts  das  Wappen  des  Besitzers 
mit  sehr  reicher  Helmdecke  und  dem  Namen  Hans  Wieland.  Leider  sind 
von  der  früheren  reichen  Bemalung  nur  ganz  schwache  Spuren  übrig  geblieben. 
Im  Innern  links  großer  schmuckloser  Kasten,  an  der  Hinterseite  Kastenrinne 
und  darunter  durch  vier  Schiebegitter  verschließbarer  Kasten.  Das  sparsame 
Blumenornament  und  die  Füllungen  und  Gitter  haben  hier  noch  die  ursprüng- 
liche Bemalung  in  Rot,  Grün  und  Weiß.  An  dem  in  üblicher  Weise  gestal- 
teten Untersatz  sind  die  Ornamentfüllungen   mit  ausgestochenem  Grund   her- 


Fig.  63.  Tiroler  Truhe :  16.  Jahrhundert. 

gestellt,  dieser  selbst  ist  grünblau  gefärbt.  Die  Ornamentzeichnung  ist  in- 
teressant, weil  sie  die  Einwirkung  der  Renaissance  auf  das  gotische  Ranken- 
werk deutlich  erkennbar  zeigt.  Die  Maße  sind  2,06  cm  Länge,  0,79  m  Tiefe 
und  1,05  m  Höhe. 

Von  unbekannter  Provenienz,  aber  doch  vermutlich  süddeutsch  und  zwar 
vom  Ende  des  15.  oder  dem  früheren  16.  Jahrhundert  stammt  eine  große 
eichene  Truhe  mit  Fußgestell.  (Fig.  64.  Höhe  1,11  m.  Breite  1,87  m,  Tiefe 
0,78  m.)  Die  Truhe  ist  vorzüglich  erhalten,  auch  in  ihrer  besonder?  reichen 
Innenausstattung.  Der  Truhenkasten  selbst  zeigt  außer  dem  schönen  großen 
Schloßblech  und  einem  hübschen  Maßwerkfries  oben  an  der  Vorderseite 
keine  andere  Verzierung  als  geometrische  Einlegearbeit  an  dem  die  seitliche 
Umrahmung  des  Vorderblatts  bildenden  Pfosten.  Auch  der  Deckel  ist  ganz  ein- 
fach. Das  Fußgestell  hat  am  oberen  schrägen  Sims  wieder  Einlegearbeit  in 
dem   üblichen  Zickzackfries,   in  den  Füllungen  der  geschweiften  Vorderseiten 


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e^GoOg 


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54  DIB  HOLZMÖBEL  DBS  GBRBfANISCHEN  BfUSBUMS. 


leider  sehr  defektes  frei  aufliegendes  geschnitztes  Band-  und  Rankenwerk. 
Das  innere  Fachwerk  zieht  sich  um  die  Seiten  und  die  Hinterwand  herum, 
seitlich  untere  Geheimbehälter,  der  rechts  befindliche  mit  durchbrochenem 
Stabgitter.  Seitlich  je  eine  größere  Lade,  auf  der  hinteren  Seite  unter  der 
oberen  seichten  Rinne  noch  fünf  Schiebekästchen.  Die  Außenseite  des  Kasten- 
werks ist  wiederum  völlig  mit  Einlagewerk  in  derselben  Musterung  wie  außen 
bedeckt.  Die  Truhe  ist  auf  Gehrung  gearbeitet,  ebenso  Rahmen  und  Füllung 
der  Schubladenvorderseiten. 

Eine  ähnliche  Truhe  mit  Fußgestell,  aber  aus  weichem  Holz,  vermutlich 
süddeutsch  oder  tirolisch,  bietet  ein  frühes  Beispiel  der  Fumierung.  Der 
Kasten  samt  Deckel  ist  aus  Fichtenholz,  die  Fumierung  des  Vorderblattes  — 
circa  4  mm  dick  —  schön  und  regelmäßig  gemasertes  Nußbaumholz.  Die 
das  Vorderblatt  umrahmenden   Leisten   mit  den   Rankenwcrkfriesen  auf  aus- 


riß. 61.  Gotische  Truhe,  süddeutsch:  15.— 16.  Jahrhundert. 

gestochenem  Holz  sind  aus  Linden-  (Pappel-.^)  Holz.  Das  Fußgestell,  reich 
durchbrochen  und  vorzugsweise  in  architektonischen  Formen  gehalten  aus  dem 
gleichen  Material.  Das  innere  Gefach  ist  an  der  linken  Schmal-  und  an  der 
Rückseite.  Links  doppelgeschoßig ,  hinten  Rinne  und  fünf  Schubfächer;  die 
zugehörigen  Kästchen  fehlen.  Die  Dekoration  besteht  in  einfachem  Ranken- 
ornament auf  ausgestochenem  Grunde,  der  ebenso  wie  an  der  Außenseite  mit 
dunkelblau-grüner  Farbe  ausgefüllt  ist.  Die  Truhe  ist  1,73  m  lang,  97,4  cm 
breit  und  69  cm  hoch.     Das  Schloß  ist  von  bemerkenswert  reicher  Arbeit. 

Den  Schluß  der  tirolischen  Truhen  mag  ein  ganz  einfaches  Stück  bilden. 
Der  Truhenkasten  mit  Ausnahme  des  modernen  Deckels  ist  aus  Apfel-  oder 
Birnbaumholz  und  ganz  glatt  gehalten.  Die  Wände  zeigen  Schwalbenschwanz- 
verbindung.    An  den  vertikalen  Kanten  sind  je  zwei  horizontale  Eisenbänder 


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VON  DR  HINS  STEGMANN.  55 


Über  Eck  aufgeschlagen,  mit  Dreiblattendigung.  Zwei  längere  ähnliche  Bänder 
laufen  vertikal  von  der  Vorderseite,  die  außerdem  ein  großes  gotisches  Schloß- 
blech ziert,  zum  Boden.  Eine  unten  herumlaufende  profilierte  Leiste  aus 
weichem  Holz  ist  ebenfalls  moderne  Ergänzung.  Interessanter  als  das  Äußere 
ist  das  innere  komplizierte  Fachwerk,  das  außerdem  auch  die  landesübliche 
diskrete  Schnitzerei  auf  ausgehobenem  Grund,  mit  teilweiser  Bemalung  in 
Rot,  Grün  und  Blau  zeigt.  An  der  Rückseite  in  zwei  Stockwerken  eine 
Reihe  von  Schubfächern  mit  seitlich  beweglichen  Schiebern.  Einmal  der 
linke  und  einmal  der  rechte  letzte  Verschluß  sind  so  angeordnet,  daß  durch 
einen  Druck   sich  die  Verschlüsse  um  einen  Zapfen  drehen  und  so  die  Ver- 


Fig.  65.  Inneneinrichtung  einer  gotischen  Truhe. 


Schiebung  der  übrigen  Deckel  ermöglichen.  Die  seitlichen  Behälter  —  auch 
ein  vollständiger  doppelter,  mittelst  eines  keilförmigen  Brettes  verchließbarer 
Boden  ist  vorhanden  —  sind  oben  durch  in  Vorder-  und  Rückwand  eingezapfte 
Leisten  versteckt,  so  daß  erst  diese  beweglichen  Leisten  herausgenommen 
werden  müssen,  um  zum  oberen  Verschluß  zu  gelangen.  Der  Boden  der 
Kästen  läßt  sich  allerdings  auch  öffnen,  da  er  um  in  der  Mitte  der  Axe 
befindliche  Zapfen  drehbar  ist.  Diese  Geheimfachleidenschaft  hat  etwas 
kindliches  an  sich,  denn  irgendwelche  Sicherheit  werden  diese  versteckten 
Verschlüsse  kaum  geboten  haben;  die  Mitlebenden  kannten  sie  und  bei  einigem 
Nachdenken  wird  jeder  einigermaßen  kluge  Mensch  die  Mechanik  bald  erraten*. 
Obgleich  die  Formgebung  noch  gotisch  ist,  dürfte  die  Truhe  doch  erst  dem 
späteren    16.    Jahrhundert    angehören.      Ihre    Dimensionen    sind:    Höhe   75, 


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56  DIB  HOLZMÖBEL  DES  QBRMANISCHBN  MUSEUMS. 


Tiefe  65,  I^nge  167  cm.  Der  ursprüngliche  Untersatz  fehlt.  Sie  ist  auf 
einem  passendem,  ebenfalls  tirolischem,  mit  reicher  ausgestochener  Ranken- 
schnitzerei aufgestellt. 

Zwei  Truhen  ohne  Fußgestell  zeigen  in  ihrer  ganzen  Gestaltung  große 
Ähnlichkeit.  Daß  sie  gotisch  wirken,  das  ist  eigentlich  nur  die  Folge  ihrer 
sehr  großen  und  schönen,  auch  konstruktiv  beachtenswerten  Schlösser.  Es 
sind  einfache,  rechteckige  Kasten,  massiv  aus  Eichenholz  hergestellt,  die 
einzige  Gliederung  der  Flächen  bilden  die  zwei  seitlichen  Pfosten  der  Vorder- 
wand, die  mit  geometrischem  Einlegewerk  geschmückt  sind.  Sockel  und 
Deckelrand  sind  moderne  Ergänzung.  Bei  der  einen  der  beiden  Truhen  fehlt 
von  dem  Fachwerk  innen  der  Teil  an  der  Rückwand,  die  linke  Seite  zeigt, 
außen  mit  reicher  und  geschmackvoller  Einlegearbeit  geziert,  zwei  Kästen  über 
einander,  von  denen  der  eine  ein  Schiebegitter  als  Verschluß  zeigt.  Im  anderen 
findet  sich  die  in  Abbildung  64  wiedergegebene  Einrichtung,  die  durch  die 
Zinnenverzierung  an  dem  rinnenförmigen  Kasten  besonders  reich  wirkt.  Die 
schöne  Einlegearbeit  an  den  Schiebekästen,  die  wieder  Kästchen  in  perspek- 
tivischer Ansicht  darstellt,  weist  schon  auf  spätere  Zeiten  des  16.  Jahrhunderts 
hin.  Die  erstere  Truhe  ist  78  cm  hoch,  76  cm  tief  und  180  cm  lang,  die 
zweite  je  73  cm  hoch  und  tief,  192  cm  lang. 

Die  bisher  behandelten  Truhen  tragen  in  ihrer  Formgebung,  ihrer  Ver- 
zierung und  auch  in  der  konservativ  bis  in  späte  Zeit  beibehaltenen  Art  der 
Schlösser  und  des  Beschlages  das  Stilgepräge  der  Gotik.  Es  wurde  schon 
darauf  hingewiesen,  daß  ein  größerer  Teil  der  aufgeführten  Truhen  des 
Museums  sicher  dem  16.  Jahrhundert,  manche  darunter  wohl  auch  schon 
dem  späteren  Dezennien  desselben  angehören. 

Wir  kommen  nun  zu  denjenigen,  in  denen  die  Renaissanceformen  sich 
klar  und  deutlich  aussprechen.  Im  wesentlichen  der  Truhe  hat  auch  die 
Renaissance  keine  Änderungen  hervorgebracht;  sie  hat  sogar  die  Art  des 
Aufbaus  in  den  beiden  Hauptrichtungen,  der  ober-  und  niederdeutschen, 
genau  beibehalten.  Ganz  wenig  hat,  was  doch  nach  Analogie  der  Zierformen 
nahe  gelegen  hätte,  die  italienische  Truhe  eingewirkt.  Während  diese  in  der 
Renaissance  den  mit  der  Truhe  zusammenhängenden  Fuß,  gewöhnlich  in  der 
Zahl  vier  und  in  Gestalt  von  Tierbildungen  oder  deren  Teilen  bevorzugt,  ist 
dieser  Gebrauch  in  Deutschland  gar  nicht  oder  doch  nur  spät  und  selten 
(meist  Kugelfüße)  eingedrungen.  In  Süddeutschland  hat  der  selbständige 
Untersatz,  gewöhnlich  mit  mehreren  Schubladen  versehen,  bis  ins  späte 
17.  Jahrhundert  das  Feld  beherrscht,  in  Niederdeutschland  ist  die  Verlänge- 
rung der  ganzen  oder  von  Teilen  der  Truhenwände,  besonders  in  bäuerlichen 
Kreisen  zur  Erzielung  von  Stollen  bestehen  geblieben,  daneben  hat  sich  als 
Auflager  die  Sitte  zweier  am  jeweiligen  Ende  der  Truhe  angebrachter,  senk- 
recht zur  Truhenaxe  laufender,  balkenartigcr  Hölzer  mit  Verzierung  an  der 
Hirnseite  mehr  und  mehr  eingebürgert,  ebenso  wie  die  Verwendung  eines 
zwischen  diesen  Auflagern  als  Verbindung  und  Deckung  des  leeren  Zwischen- 
raums zwischen  Fußboden  und  Truhe  dienenden  gezierten  Brettes. 


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VON  DR.  HANS  STEQMANN. 


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Im  Gegensatz  zur  italienischen  Hochrenaissance  die  durch  bewegtere  Linien- 
führung, marichfache  Gliederung  an  Kasten  und  Deckel  über  die  Kistenform  weit 
hinausging,  ist  man  in  Deutschland  nie  von  derselben  weggekommen.  Trotz- 
dem hat  auch  in  Deutschland  die  Truhe  dem  Zug  nach  reicherer  Dekoration 
sich  angeschlossen,  in  Süddeutschland  durch  reiche  architektonische  Gliede- 
rung und  Einlegearbeit  in  verschiedenen  Hölzern;  in  Norddeutschland  wo 
man  stets  dem  altbewährten  Material,  dem  massiven  Eichenholz  treu  blieb, 
in  reicher  Schnitzarbeit.  In  Süddeutschland,  wo  ja  in  gewissem  Sinne  und 
nicht  zum  Vorteile  der  Baukunst  der  Schreiner,  der  Meister  und  Lehrer  der 
Architektur  wurde,  herrscht  die  architektonische  Bildung  von  Südtirol  bis 
über  den  Main. 

Nur  schade,  daß  in  diesen  architektonischen  Versuchen,  die  Kenntnis 
der  deutschen  Handwerker  zu  sehr  auf  der  Oberfläche  blieb;  das  was  die 
süddeutschen  Meister  nicht  als  modischen  Aufputz  sich  beilegten  die  Orna- 
mentfüllung, die  oft  die  reichste  Phantasie  und  das  feinste  künstlerische  Ver- 
ständnis offenbaren,  muß  für  manche  andere  Mängel  entschädigen.  Was  die 
Süddeutschen  einlegten,  das  schnitzten  die  Niederdeutschen;  wären  sie  da 
bei  rein  dekorativen  Schnitzereien  stehen  geblieben,  so  würde  das  besser 
gewesen  sein.  Aber  das  reiche,  in  den  graphischen  Künsten  niedergelegte 
Vorbildermaterial  des  16.  Jahrhunderts  reizte  sie,  wie  ihre  süddeutschen 
Brüder  in  die  Architektur,  in  die  figürliche  Bildung  und  zwar  in  der  anspruchs- 
vollsten Art  hineinzupfuschen.  So  wirken  ober-  und  niederdeutsche  Werke 
zwar  beim  ersten  Anblick  äußerst  malerisch  und  reich,  halten  aber  nicht  ganz, 
was  sie  versprechen. 

Von  niederdeutschen  Truhen  der  Renaissance  besitzt  das  Museum  ver- 
hältnismäßig wenig  Exemplare  in  der  Sammlung  der  Hausgeräte,  die  hier 
zunächst  behandelt  wird.  Die  große  Zahl  der  unter  den  bäuerlichen  Alter- 
tümern befindlichen  Stücke,  die  weiter  unten  znr  Sprache  kommen,  bilden 
daher  eine  willkommene  Ergänzung.  Aber  die  niederdeutschen  Lande  sind 
aus  der  Zeit  der  Hoch-  und  Spätrenaissance  mit  einigen  sehr  charakteristischen 
Stücken  vertreten. 

Das  älteste  derselben  ist  eine  vermutlich  aus  Dortmund  stammende 
große  Truhe,  die  wohl  noch  der  ersten  Hälfte  oder  der  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts angehören  dürfte.  Sie  wurde  in  Westfalen  erworben  nachdem  sie 
zuletzt  in  einem  Archiv  Verwendung  gefunden  hatte.  Fig.  66  gibt  ihr  Bild. 
Das  mächtige  Möbel  —  seine  Höhe  beträgt  1,17,  seine  Tiefe  0,82  und  seine 
Länge  2,06  m  —  hat  einen,  seiner  Größe  entsprechend  reichen  Aufbau,  der  fast 
schrankartig  gemahnt.  Auf  einen  getrennten  Untersatz  ist,  wie  bei  allen  nieder- 
deutschen Truhen  verzichtet.  Zwei  balkenförmige,  kräftige  Querhölzer  an  den 
Enden  der  Langseiten,  vorn  mit  einfacher  Rundstab-  und  Hohlkehlenprofilierung 
versehen  und  mit  der  Truhe  fest  verbunden,  fungieren  als  Träger.  Durch 
ziemlich  weit  ausladende,  energisch  profilierte  Simse  ist  die  Truhe  nach  ihrer 
Höhe  in  drei  Stockwerke  gegliedert,  einen  niedrigeren  Sockel,  dessen  Binnen- 
raum aber  zum  Truhenkasten  genommen  ist,  und  zwei  gleichgroße  obere 
Abteilungen.  Die  gesamte  Einteilung  besteht  aus  Rahmen  und  Füllwerk, 
MitteUangen  aus  dem  german.  Nation&lmusemn.    19(M.  H 


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58  DIE  HOLZMOBEL  des  germanischen  MUSEUMS. 


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60  DIE  HOLZBIÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


das  reich  und  gut  profiliert  ist.  An  den  Seiten  ein  unteres  schmales,  darüber 
je  vier  hochrechteckige  Felder,  vom  im  Sockel  drei  schmale  liegende  Recht- 
ecke, darüber  zehn  annähernd  quadratische  Felder.  Der  Deckel  hat  in  ähn- 
licher Weise  sechs  Felder.  Während  der  letztere  und  die  Schmalseiten  nur 
schlichte  Schreinerarbeit  zeigen,  sind  die  Füllungen  der  Vorderseite  mit  reicher 
Reliefschnitzerei  bedeckt.  Die  drei  unteren  Felder  zeigen  eine  Blattornament- 
füllung mit  einem  Löwenkopf  in  der  Mitte.  Von  den  oberen  zehn  Feldern 
haben  die  beiden  mittleren  nur  Blattomament,  während  die  acht  seitlichen 
inmitten  des  Blattwerks  je  ein  Wappen  zeigen.  Die  untergeschriebenen  Namen 
nennen  in  der  oberen  Reihe  als  Wappenführer:  Hane  (Hahn),  Svarte,  Prume, 
Svarte,  in  der  unteren  Reihe.  Lemgaw  (Lemgo?),  Schedinge  (Scheidingen), 
Bersvort,  Unna.  Die  drei  Familien  Svarte  (Schwarze),  Scheidingen  und 
Bersvort  gehören  dem  Dortmunder  Patriziat  an,  die  anderen  ließen  sich  zu- 
nächst nicht  bestimmen.  Die  Vermutung  nach  analogen  Fällen  dürfte  wohl 
richtig  sein,  daß  wir  es  hier  mit  einer  Ahnenprobe  auf  einer  Brauttruhe  und 
zwar  eines  Paares  aus  den  Familien  Scheidingen  und  Bersvort  zu  tun  haben. 
Die  Ausführung  der  Ornamentreliefs  ist  in  Zeichnung  und  Schnitzarbeit  eine 
gleich  vorzügliche,  das  Material  Eichenholz.  Die  Gesamtgestaltung,  die  Ein- 
teilung der  Vorderwand  in  mehrere  Geschosse  und  in  sehr  viele  Felder  zeigt 
bei  dieser  Truhe  eine  gewisse  Abhängigkeit  von  dem  niederdeutschen  Schrank- 
typus, den  wir  später  kennen  lernen  werden. 

Die  beiden  nächst  zu  besprechenden  niederdeutschen  Truhen  stammen 
aus  Bremen ;  ob  sie  auch  dort  geschaffen,  ist  damit  natürlich  noch  nicht  ge- 
sagt, denn  mit  Ausnahme  der  ihren  künstlerischen  Wert  bedingenden  Vorder- 
seiten dürften  sie  —  und  zwar  nicht  erst  in  jüngster  Zeit  —  mancherlei 
Veränderung  unterworfen  worden  sein.  Ziemlich  sicher  nicht  ursprünglich 
aber  auch  nicht  modern  sind  die  dachartig  abgewalmten  Deckel.  Die  eine 
der  beiden  Truhen  gibt  Fig.  67  wieder.  Der  Aufbau  ist  der  echt  nieder- 
sächsische. Zwei  kufenartige  Bretter  springen  als  Untersatz  vorn  etwas  vor, 
an  der  Vorderseite  durch  ein  geziertes  Vorderbrett  verbunden.  Hier  ist  aus- 
nahmsweise bis  auf  die  mit  karyatidenartigen  Hermen  geschmückten  seitlichen 
Pilaster  die  ganze  Vorderfläche  als  ein  Ganzes  behandelt,  während  das  untere 
Brett  in  drei  Abteilungen  mit  Rollwerk,  Löwenköpfen  und  Fruchtbündeln  zer- 
fällt. Die  Seitenteile  sind  einfach  durch  Leisten  in  ein  oberes  schmal  oblonges 
und  zwei  hochgestellte  rechteckige  Felder  geteilt.  Das  Vorderblatt  hat  außer 
dem  dasselbe  umgebende  Schriftband  noch  eine  Umrahmung;  seitlich  von 
je  einem  reichgezierten,  kandelaberartigen  Aufbau,  oben  von  Rollwerk  mit 
Engels-  und  Löwenköpfen  und  Fruchtgebinden  gebildet. 

Die  abgebildete  Truhe  gibt  die  Geschichte  von  Esther  und  Haman  in 
der  aus  dem  Bilde  ersichtlichen  figurenreichen  Komposition  wieder.  Die  seit- 
lich und  oben  laufende  Umschrift  in  niederdeutschem  Dialekt  lautet:  ESTR 
ERES  HERTEN  QUAL  LADDE  DEN  KEONINCK  THOM  AVENTMALE 
HAMAN  WOLLDE  VTHATE  ERDENCKEN  DAT  MARDOCHE  WORDE 
G(EHENKT).  Links  thront  der  König  Ahasverus  und  neigt  das  Szepter  zum 
Zeichen    der  Gnade    gegen  die  Königin  Esther.     In  der  Mitte,   etwas  in  den 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  61 


Hintergrund  gerückt,  das  Mahl  Esthers  mit  dem  König  und  Haman,  weiter 
rechts  wird  Mardochai  zu  Pferde  durch  die  Stadt  geführt,  zuletzt  rechts  der 
König  thronend  mit  Mardochai  (?)  neben  sich.  Reiche  Architektur  in  per- 
spektivischer Anordnung  bildet  den  Hintergrund.  Im  Vordergrund  sind  zahl- 
reiche Figuren  in  der  Zeittracht  (1580 — 1600)  unter  das  Gefolge  und  die 
Zuschauer  gemischt.  Das  Ganze  zeigt  immerhin  einen  bemerkenswerten  Grad 
von  Sicherheit  in  der  Komposition  und  der  Beherrschung  der  Technik.  Ganz 
rechts  neben  dem  Thron  steht  ein  junger  Mann  in  Zeittracht,  der  mit  dem 
Finger  auf  sich  weist.  Sollte  der  Künstler  nach  großen  Mustern  hier  sein 
Selbstporträt  gegeben  haben?  Die  beiden  Karyatiden  halten  je  ein  Wappen 
vor  sich.  Das  Wappen  links  vom  Beschauer  zeigt  drei  Bienenkörbe  auf  einer 
Bank,  das  riechts  drei  gezackte  Blätter.  Es  handelt  sich  der  ganzen  unheral- 
dischen Aufmachung  nach  um  kleinbürgerliche  Wappen,  die  sich  nicht  fest- 
stellen lassen. 

Die  zweite  Truhe  entspricht  in  Form  und  Größe  völlig  der  vorbeschriebenen, 
nur  ist  die  Vorderseite  nach  Inhalt  und  Einteilung  verschieden,  und  auch 
durch  den  Wert  der  figürlichen  Schnitzereien.  Diese  sind  erstens  etwas  später, 
dann  in  Zeichnung  und  Ausführung  weitaus  geringer.  Das  Vorderbrett  hat 
wieder  drei  längliche  Felder  mit  Rollwerk,  Blumen  und  geflügelten  Engels- 
köpfen. Diesen  drei  Feldern  entsprechen  drei  gleiche  am  oberen  Rand  der 
Truhe,  hier  durch  eine  Art  Karyatidenkonsolen  getrennt.  Über  und  unter 
diesem  obern  Band  eine  Inschrift  folgenden  Inhalts:  »ALS  HEFDT  GODT 
DE  WELDT  GELEVET  DAT  HE  SINEN  EINGEBAREN  SONE  GAF 
VPDAT  ALE  DE  AN  EN  GELOVEN  NICHT  VERLAREN  WERDEN 
SONDER  DAT  EW(IGE  LEBEN  GEWINNEN)«.  Den  seitlichen  Abschluß 
bilden  auch  hier  Pilaster  mit  männlichen  Kostümfiguren,  die  Schilde  mit  Haus- 
marken vor  sich  halten.  Die  untere  größere  Abteilung  füllen  fünf  durch 
plumpe  Karyatiden  getrennte  Szenen,  die  sich  unter  mit  Rosetten  und  ge- 
zierten, facettierten  Quadern  gebildeten  Arkaden  abspielen.  Sie  stellen  vor 
von  links  nach  rechts:  Adam  und  Eva  im  Paradies,  Isaaks  Opferung,  Ver- 
kündigung Maria,  Geburt  und  Himmelfahrt  Christi.  Zeichnung  und  Ausführung 
ist  roh  handwerklich,  so  daß  man  die  Truhe  ebenso  gut  der  bäuerlichen 
Kunst,  in  deren  Abteilung  wir  ganz  ähnliche  Werke  zu  betrachten  haben 
werden,  zuweisen  könnte.  Die  Schnitzereien  gehören  der  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts an.  Die  auffällige  Verschiedenheit  der  künstlerischen  Qualität  der 
Schnitzereien  bei  völliger  Gleichheit  der  Truhen  im  Übrigen  läßt  den  Schluß 
zu,  daß  dieselben  im  18.  oder  im  frühen  19.  Jahrhundert  in  diese  Form  ge- 
bracht worden  sind.  Die  Höhe  beträgt  je  ungefähr  1,04,  die  Tiefe  0,85,  die 
Länge  1,9  m. 

Vom  Rhein,  wo  die  Truhe  am  Schrank  wohl  am  frühesten  einen  über- 
mächtigen Konkurrenten  erhielt,  besitzt  das  Museum  nur  ein  kleineres  Exemplar, 
das  noch  dazu  durch  seine  Maße  äußerlich  einigermaßen  einem  niedrigem 
Schranke  gleicht  —  es  ist  0,65  m  hoch,  0,47  m  tief  und  0,86  m  breit  — 
und  nur  durch  den  Klappdeckel  sich  als  Truhe  erweist.  Deckel  und  Seiten- 
flächen sind  ganz  glatt,   und  der  Kasten   steht  auf  zwei  kufenartigen  Quer- 


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62  DIE  HOLZMÖBBL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


balken.  Die  Vorderseite  ist  durch  drei  kannelierte  senkrechte  Bretter  zwei- 
teilig gestaltet.  In  den  zwei  dadurch  gebildeten  Füllungen  Rankenfüllwerk, 
das  oben  sich  volutenartig  nach  beiden  Seiten  legt.  In  der  Mitte  zwei  fast 
frei  geschnitzte  Köpfe  in  Medaillons,  wie  wir  sie  später  bei  den  Stollen- 
schränken noch  mehrfach  finden  und  besprechen  werden.  Unter  den  Medail- 
lons, auf  einer  Seite  von  zwei  Sirenen  gehalten,  leere  Wappenschildchen.  Die 
nicht  sehr  feine  Arbeit  läßt  auf  die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  schließen. 

Die  oberdeutschen  Truhen  sind  wesentlich  stärker  vertreten,  als  die 
norddeutschen  und  hier  wieder  ist  es  die  Südmark,  die  dominiert.  Es  mögen 
zunächst  diejenigen  Stücke  folgen,  die  am  unmittelbarsten  den  italienischen 
Einfluß  aufweisen. 

Eine  eigenartige  und  vielleicht  die  früheste  Renaissancetruhe  des  Museums 
ist  eine  nach  dem  Vorbild  Florentiner  Cassoni  des  16.  Jahrhunderts  geschaffenes 
Stück.  Bekanntlich  war  seit  dem  vierzehnten  Jahrhundert  in  Florenz  die 
Ausschmückung  der  Brauttruhen  durch  Malereien  Sitte  und  wir  verdanken 
dieser  eine  ganze  Reihe  kostbarer  und  anziehender  Werke.  Im  16.  Jahr- 
hundert war  freilich  die  Blüte  der  italienischen  und  der  an  ihrer  Spitze 
stehenden  Florentiner  Truhenmalerei  vorbei.  Der  Schöpfer  unserer  Truhe  muß 
aber  unbedingt  gute  welsche  Vorbilder  gesehen  haben.  Wenn  nicht  gewisse 
malerische  Eigentümlichkeiten  auf  einen  deutschen  Maler  als  Verfertiger  hin- 
wiesen, würde  wohl  jeder  Kenner  bei  nur  flüchtiger  Prüfung  die  Truhe  als 
eine  mittelmäßige  italienische  Arbeit  ansprechen.  Die  Form  der  Truhe 
bietet  kaum  etwas  Erwähnenswertes.  Auf  schlichtem,  von  vier  Leisten 
gebildeten  Sockel  —  das  Material  ist  Fichten-  oder  Tannenholz  —  sitzt  der 
eigentliche  Truhenkasten.  Ein  einfaches  Sockelprofil  umfaßt  ihn  unten,  wie 
am  Deckel.  Die  Vorderseite  zeigt  eine  weitere  ähnlich  profilierte  Umrahmung, 
während  Seiten  und  Deckel  gänzlich  schmucklos  sind.  Den  mittleren  gemalten 
Fries  der  Vorderseite  umgibt  ein  gemalter  Rahmen  mit  vier  plastischen  Zier- 
scheiben in  den  Ecken  und  goldenen  Arabesken  auf  grünblauem  Grund. 
Grünblau  ist  auch  die  ganze  Truhe  gestrichen,  während  alle  Profile  vergoldet 
sind.  Die  zwei  von  dem  genannten  Arabeskenfries  umrahmten  Bilder  erhalten 
durch  ein  Rundmedaillon  mit  den  Köpfen  Alexander  des  Großen  und  des 
Kaisers  Nerva,  offenbar  nach  Medaillen  oder  Cameen  als  Vorbildern  gemalt, 
eine  weitere  Teilung.  Das  Bild  links  stellt  in  waldiger  Landschaft  das  Urteil 
des  Paris  dar.  Auf  der  linken  Seite  sitzt  Paris  mit  dem  Apfel  links,  rechts 
von  ihm  Venus,  zwischen  den  beiden  en  face  Merkur.  Auf  der  rechten  Seite, 
wie  Venus  völlig  unbekleidet,  Juno  und  Athene  in  einer  Seelandschaft.  Auf 
dem  rechten  Bild  links  findet  eine  bekleidete  Frauengestalt  die  Leiche  eines 
Kriegers,  neben  dem  ein  Schild  liegt  (Cephalus  und  Procris?  Venus  und 
Adonis?),  rechts  eine  Frau,  den  Kopf  desselben  vor  ihr  liegenden  Kriegers 
im  Schöße  haltend.  Die  Malereien  sind  von  recht  tüchtiger  Qualität;  um 
1530 — 50  entstanden  zeigen  sie,  wenn  auch  deutsch,  eine  genaue  Kenntnis 
der  italienischen  Schule  und  sind,  obgleich  flüchtig  hingestrichen,  durch  die 
Weichheit  der  Formen  und  Farbengebung  den  üblichen  Vorlagen  der  deutschen 
Kleinmeister  überlegen.     Wo  die  Truhe,  die  zu  den  frühesten  Beständen  des 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


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Miisenms  gehört,  herstammt,  ist  nicht  zu  eruieren.  Aber  ihr  süddeutscher 
Ursprung  kann  wohl  kaum  in  Zweifel  gezogen  werden.  Sie  ist  0,57  m  hoch, 
0,53  tief  und  1,79  m  lang. 

Ebenso  wie  die  vorher  beschriebene  bemalte  Truhe  zeigt  eine  weitere 
geschnitzte  aus  Südtirol  den  Einfluß  des  benachbarten  Italiens.  Schon  das 
Material,  massives  Nußbaumholz,  bezeugt  ihren  südlichen  Ursprung,  ebenso 
die  seitlichen  Leisten  am  Deckel.  Ohne  Fuß  oder  Untersatz  steht  sie  glatt 
auf  dem  Boden  auf;  der  völlig  glatte  Deckel  bei  verhältnismäßig  geringer 
Höhe  (Höhe  50,  Tiefe  55,  Breite  156  cm)  weist  sie  außerdem  als  Banktruhe 
aus.  Unten  und  oben  zeigt  Kasten  und  Deckel  einfache  Profilierung,  die 
Vorderseite  zeigt  Flachschnitzerei:  zwei  einander  zugekehrte  Sirenen,  deren 
Hinterleib  je  in  zwei  große  Blattwerkvoluten  ausläuft.  Zwischen  den  Sirenen 
ein  barock  gezeichnetes  Wappenschild,  das  sich  bisher  der  Bestimmung  ent- 
zog. Die  Zeit  der  Entstehung  des  hübschen,  wenn  auch  nicht  übermäßig 
fein  durchgeführten  Stückes  dürfte  um  1600  zu  setzen  sein. 


Fig.  68.  SQdüroIer  oder  oberitalienische  Truhe|;  17.  Jahrb. 

Südtirolisch  und  jedenfalls  stark  unter  venezianischem  Einfluß  stehend 
ist  eine  massiv  aus  Nußbaum  gefertigte  Truhe,  wie  sie  im  Trentino  nicht  gerade 
selten  zu  finden  sind.  Fig.  68  mag  von  ihr  einen  Begriff"  geben.  Die  als  um- 
gestürzte Kompoßitkapitäle  gebildeten  Füße  dürften  schwerlich  mehr  die  ur- 
sprünglichen sein  und  sind  auch  nicht  mit  der  Truhe  fest  verbunden.  Der 
Mittelfries  der  Vorderseite,  neben  anderen  Profilierungen  von  einem  Pfeifen- 
ornament umrahmt,  zeigt  eine  geschnitzte,  ziemlich  trocken  ausgefallene  Blumen- 
ranke, seitlich  zwei  steil  aufsteigende  Blattwerkkonsolen.  Den  unteren  Ab- 
schluß bildet  ein  vorspringender  Wulst,  den  man,  wenn  der  Ausdruck  gestattet 
ist,  mit  einem  negativen  Eierstab  bezeichnen  könnte.  Die  Schnitzarbeit  des 
jedenfalls  dem  17.  Jahrhundert  angehörenden  Werkes  ist  eine  verhältnismäßig 
flotte  und  gute.    Die  Höhe  beträgt  0,66  m,  die  Tiefe  0,67,  die  Länge  1,86  m. 

Von  den  oberdeutschen  Landen  ist  Tirol  am  stärksten  vertreten.  Der 
Truhentypus,  den  wir  hier  finden  ist  aber  kein  besonderer,  sondern  der  in 
der  Schweiz  und  in  ganz  Oberdeutschland  gleichmäßig  verbreitete.     Die  ober- 


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64  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


deutsche  Möbelschreinerei  nimmt  in  der  Renaissanceperiode  einen  schon  in 
der  vorhergehenden  auftretenden  Dekorationszweig,  die  Foumierung  und  Ein- 
legearbeit nun  mit  verdoppeltem  Eifer  auf.  Wir  werden  das  auch  bei  der 
Betrachtung  der  Schränke  konstatieren  können.  Daß  Tirol  an  erster  Stelle 
steht,  gibt  einen  Fingerzeig  dafür,  daß  die  Technik  transalpin  ist  und  die 
Denkmäler  bestätigen  dies.  Aus  der  ursprünglich  nur  über  bescheidene  Flächen 
als  Friese  und  Einrahmungen  u.  dergl.  sich  erstreckende  Einlegewerk  im  engeren 
Sinne,  das  zunächst  keine  Foumierung,  d.  h.  keine  Verdeckung  der  ganzen 
Fläche  durch  dünn  geschnittene  Blätter  edleren  Materials  kennt,  entwickelt  sich 
in  Deutschland  die  letztere  immer  kräftiger.  Der  Grund  ist  wohl  der,  daß  die 
Gebirgsländer  wenig  erstklassiges  und  astfreies  Holz  zu  Möbelzwecken  lieferte 
und  daß  man  mit  dem  besseren  und  kostspieligerem  Material  möglichst  spar- 


Fig.  69.  Tiroler  Truhe;  Endo  des  16.  Juhrh. 

sam  umgehen  wollte.  Die  Freude  am  Kontrast,  dann  die  gegenüber  der 
Schnitzerei  leichtere  Technik  taten  ein  Übriges.  Zum  Kunstwerk  im  engeren 
Sinne,  wie  in  Oberitalien,  wo  die  Intarsia  die  vornehmsten  Künstler  beschäftigt 
—  es  sei  hier  nur  an  Sa.  Maria  in  Organo  in  Verona,  oder  an  Sa.  Maria  maggiore 
in  Bergamo  erinnert,  hat  sich  in  deutschen  Landen  aber  die  Einlegearbeit  nicht 
erhoben.  Dafür  zeigt  sie  im  Ornament,  das  sich  ganz  selbständig  deutsch  im 
16.  und  17.  Jahrhundert  entwickelt,  besondere  Vorzüge.  Die  Tiroler  Truhen 
haben,  wie  ja  dies  auch  die  schon  früher  beschriebenen  gotischen  Stücke 
teilweise  zeigten,  sämtlich  getrennten  Untersatz.  Bei  einigen  fehlt  er,  offenbar 
durch  die  Länge  der  Zeit  verdorben  und  in  Abgang  gekommen. 

Die  Tiroler  Truhen  haben  meist  eine  zweiteilig  angelegte  Vorderseite, 
wie  sie  auch  das  vollständige,  in  Fig.  69  abgebildete  Stück  zeigt.  Hier  bilden 
drei  schwach  vorgekröpfte  Pilaster  die  Gliederung,  die  sich  durch  eine  herum- 


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VON  DR.  HANS  bTEGMANN.  65 


gekröpfte  profilierte  Basis  mit  den  gleichartigen  Sockeln  des  Untersatzes 
verbinden.  Die  beiden  Felder  zwischen  den  Pilastern  enthalten  zunächst  eine 
einfache  Bogenstellung  und  in  dieser,  in  mehrfarbigen  Hölzern  eingelegt, 
perspektivische  Architekturansichten,  wie  sie  allerdings  in  viel  feinerer  Durch- 
führung viele  oberitalienische  Chorstühle  und  dergl.  aufweisen.  Zwei  gleiche 
Architekturen,  hier  in  rechteckigem  Felde  schmücken  auch  die  Schmalseiten. 
Die  Pilaster  mit  Sockeln  und  die  Bogenstellungen  sind  mit  ornamentalen 
Füllungen,  an  denen  das  spitze,  langgezogene  Blattwerk  charakteristisch  ist, 
versehen.  Der  Deckel  ist  in  zwei  Felder  mit  einfachen  Füllungen  geteilt  und 
im  einfach  gegliederten  Untersatz  sind  zwei  Schubladen  angebracht.  Die 
Höhe  nebst  Untersatz  beträgt  1,09  m,  die  Tiefe  0,66  und  die  Länge  1,76  m. 
Die  nächstfolgenden  beiden  Truhen,  von  denen  die  erstere  in  Bozen, 
die  zweite  in  Salzburg  erworben  wurde,  sind  im  Aufbau  sehr  ähnlich.  Die 
erstere,  Fig.  70,  hat  keine  eigentliche  Intarsien  ist  aber  mit  verschiedenen 
Hölzern  schön  fourniert.  Die  Front  wird  durch  drei  jonische  ßilaster  gegliedert. 
Dazwischen  zwei  breite  Bogenstellungen,  die  hier  durch  ein  besonders  schön 
gemasertes  Fournier  von  ungarischer  Esche  —   ähnlich   auch  an  den  Scitcn- 


Fig.  70.  Tiroler  Truhe;  um  1600. 

teilen  —  gefüllt  sind.  Die  Füllungen  der  Hauptpilaster,  derjenigen  der  Bogen- 
pilaster  und  die  Bogenzwickel  haben  auf  dem  gemaserten  Fournier  aufgeleimte, 
in  hartem  Holz  (Birnbaum?)  geschnitzte  Blattwerkfüllungen  mit  Delphinen. 
Zeichnung  und  Ausführung  sind  äußerst  sauber  und  fein,  so  daß  die  Truhe, 
deren  ursprünglicher  Untersatz  durch  flachkugelige  Füße  ersetzt  ist,  als  muster- 
gültig bezeichnet  werden  kann.  Die  Höhe  beträgt  0,75,  die  Tiefe  0,77  und 
die  Länge  1,75  m.  Der  Deckel  folgt  mit  drei  Kröpfungen  der  Gliederung 
der  Vorderwand  und  ist  oben  glatt  und  mit  geometrischer  Fourniereinteilung 
versehen. 

Das  zweite  Stück  ist  ebenfalls  durch  drei  jonische  vorgekröpfte  Pilaster, 
die  aber  schlanker  gebildet  sind  und  sich  stark  verjüngen,  gegliedert.  Zwischen 
ihnen  doppelt  gerahmte  rechteckige  Intarsiafüllungen  mit  Blumenvasen  und 
Vögeln  in  bunt  gefärbten  Hölzern  in  ziemlich  naturalistischer  Zeichnung,  die 

llitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1901.  9 


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66  DIE  HOLZMÖBEL  DES  (iKRMANiSCHEN  MUSEUMS. 


auf  schachbrettartigem,  perspektivisch  behandeltem  Fußboden  stehen.  Die 
Pilaster  und  die  beiden  Füllungen  des  Deckels  haben  ebenfalls  eingelegte 
Ornamentfüllungen.  Diejenigen  der  Vorderseite  sind  von  Schnitzwerk,  Blatt- 
und  Rollwerk,  umrahmt.  Die  Truhe,  deren  Untersatz  fehlt,  ist  0,64  m  hoch, 
0,66  tief  und  1,70  m  breit.  Während  die  ersteren  beiden  Stücke  noch  den 
letzten  Jahrzehnten  des  16.  Jahrhunderts  angehören  könnten,  ist  die  letzte 
schon  ins  17.  zu  setzen. 

Eine  der  jüngeren  im  Museumsbesitz  befindlichen  Truhen  i.st  die  nächste. 
Auch  hier  ist  der  Untersatz  und  die  Truhe  in  der  Vorderwand  ganz  archi- 
tektonisch gegliedert,  und  zwar  dreiteilig.  Im  Untersatz  vier  vorspringende 
Sockel,  in  den  dazwischenliegenden  Feldern  mit  reich  profilierten  Rahmen 
umgebene  Füllungen.  An  der  eigentlichen  Truhe  springen  über  den  Sockeln 
Pilaster  vor,   die  mehrfach  gegliedert  sich  von  unten  nach    oben    verstärken. 


Fig.  7L   Schweizer  Truhe;  1.  H&Ifte  des  17.  Jahrh. 

Über  den  Pilastern  ein  richtiges  ganz  durchlaufendes  Gebälk,  dessen  Hauptgesims 
durch  den  profilierten  Deckelrand  gebildet  wird.  In  dem  mittleren  der  drei 
Zwischenfelder  eine  Bogenstellung,  in  den  seitlichen  je  eine  umrahmte,  in  den 
oberen  Ecken  verkröpfte  Füllungen.  An  den  Seiten  finden  sich  je  zwei  reichere, 
auf  dem  Deckel  zwei  einfache  umrahmte  Füllungen.  Den  Hauptschmuck  des 
in  seinen  Verhältnissen  sehr  glücklichen,  in  der  Hauptsache  aus  Fichten-  oder 
Tannenholz  hergestellten,  aber  fast  durchaus  mit  verschiedenartigen  und -farbigen 
Hölzern  fournierten  Möbels  bilden  seine  Intarsien.  Einfach  geometrisch  in  den 
Deckelfüllungen,  reicher  schon  in  den  seitlichen,  überziehen  sie  die  Vorderseite 
in  fast  überreicher  Fülle.  Alle  umrahmten  Flächen  sind  mit  reichsten  Ornament- 
füllungen überzogen,  in  jener  barocken,  dünnstrichigen  Zeichnungsweise,  wie  sie 
im  Süden  dem  gleichzeitigen  nordischen  Knorpelstil  entsprach.  Abgesehen  von 
der,   der  ganzen  Stilart  innewohnenden  Verfalltendenz,   muß   man   dem  Ver- 


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VON  DR.  HANS  STEüMANN.  67 


fertiger  eine  ausserordentlich  sichere  und  gewandte  Formensprache  nachsagen. 
Auf  den  beiden  seitlichen  Feldern  der  eigentlichen  Truhenvorderwand  läßt 
er  sein  Rankenwerk  aus  Vasen  entsprießen,  in  den  übrigen  Füllungen  ist  es 
frei  entwickelt,  stets  untermischt  mit  Fratzenwerk,  für  das  der  fromme  Tiroler 
die  landläufige  Teufelsvorstellung  zum  Vorbild  genommen  zu  haben  scheint. 
Im  Fries  des  abschließenden  Gebälks  sind  die  Namen  der  Besteller  zu  lesen: 
Georg  Herl,  Maria  Herlin,  Cordula  Mosburgerin.  Unter  der  mittleren  Bogen- 
stellung:  Anno.  1631.  Neben  den  Füllungen  ist  noch  im  gleichen  Stile  be- 
handeltes, ausgesägtes  und  aufgeleimtes  Ornament  verwendet.  Das  vor- 
züglich erhaltene,  weil  vorzüglich  gearbeitete  Stück  darf  als  Meisterwerk  der 
Schreinerkunst  der  Spätrenaissance  angesprochen  werden.  Die  Höhe  (nebst 
Untersatz)  beträgt  0,96,  die  Tiefe  0,65  und  die  Länge  1,75  m. 

Kein  wesentlicher  stilistischer  Unterschied  besteht  zwischen  den  oben 
beschriebenen  und  der  in  Fig.  71  wiedergegebenen  Truhe  aus  der  Schweiz. 
Nur  daß  in  diesem  Falle  die  Wirkung  eine  noch  unruhigere  geworden  ist. 
Die  Färbung  des  Holzes  verfügt  über  mehr  Nuancen,  insbesondere  ist  Grün, 
an  einzelnen  Stellen  —  im  Kostüm  der  Mittelfigur  auch  Blau  und  Rot  — 
verwandt.  Um  recht  realistisch  zu  sein,  ist  das  Quaderwerk  durch  Anbrennen 
der  einzelnen  Holztäfelchen  schattiert.  Die  Einteilung  der  auf  dem  üblichen 
Untersatz  stehenden  Truhe  ist  wie  gewöhnlich  an  der  Vorderseite  zweiteilig. 
Links  und  rechts  je  eine  durch  zwei  Arkaden  durchbrochene,  gequaderte 
Mauerfläche,  an  den  Seiten  durch  schmale  Füllungen  mit  auf  Sockeln  stehen- 
den Obelisken  begrenzt,  in  der  Mitte  eine  Art  Portalbau,  in  der  der  glück- 
liche Besitzer  des  Möbels,  nach  der  Inschrift  Johann  Scherer  1651 ,  ganz  in 
der  Art  der  Schweizerscheiben  im  Sonntagsstaate  abkonterfeit  ist.  Die  Ar- 
kaden im  Mauerwerk  sind  mit  gotischen  Ornamentfüllungen  in  abwechselnder 
Farbengebung  ausgefüllt.  Die  Zeichnung  des  Ornaitients  ist  schon  eine 
wilde.  Die  Profilierungen  sind  recht  mäßig.  Der  Deckel  zeigt  oben  einfache 
Rahmenfüllung.  Der  Untersatz  in  der  Mitte  mehrfach  geschweift  ausgesägt, 
hat  links  und  rechts  zwei  kleinere  Schubladen  und  einfachere  meist  geometrische 
Einlegearbeit,  die  sich  durch  ziemlich  ungeschickte ,  zur  eigentlichen  Truhe 
nicht  passende  Anordnung  auszeichnet.  An  den  Seitenteilen  sowohl  der  Truhe 
als  des  Aufsatzes  sind  Renaissancefüllungen,  die  stilistisch  dem  16.  Jahrhundert 
näher  stehen ,  aufschabloniert.  Die  Maße  sind  0,99  Höhe ,  0,64  Tiefe  und 
1,94  m  Länge. 

Eine  zweite,  kleinere  Schweizer  Truhe,  ungefähr  aus  derselben  Zeit 
zeigt  außer  der  ebenfalls  sehr  reichen  Einlegearbeit  fast  gar  keinen  Schmuck. 
Auf  einem  ganz  schlichten  Postament  mit  mittlerer  Schublade  erhebt  sich 
die  eigentliche  Truhe,  deren  Vorderseite  in  zwei  Felder  mit  ovalen  Ornament- 
füllungen zerfällt.  Die  die  Felder  umrahmenden  senkrechten  und  ziemlich 
breiten  Felder  sind  ganz  mit  Ornament  bedeckt,  das  einfach  aber  recht  ordent- 
lich gezeichnet  ist.    Sie  ist  0,6  m  hoch,  0,53  tief  und  0,94  lang. 

Von  den  oberdeutschen  Truhen,  die  nicht  aus  Tirol  stammen,  hat  die 
wichtigste  aus  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  stammende,  Franken 
zur  Heimat.     Sie   zeigt   deutlich   die  Neigung   zum   Prunkmöbel   und   in   der 


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68  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

reichen  Architektur,  welche  die  vordere  Schauseite  bekleidet,  kann  man  füglich 
behaupten,  daß  sie  zu  der  konstruktiven  Einrichtung  der  Truhenkiste  in  ziem- 
lichem Gegensatze  steht.  Der  gesonderte  Untersatz  hat  drei  Sockel vorsprünge, 
auf  denen  dann  auf  nochmaligem  niedrigem  Postamente  sich  drei  weitgestellte 
toskanische  Säulenpaare  aufbauen.  Zwischen  den  Säulenpaaren  in  besonderer 
Umrahmung  eine  Ädicula  mit  von  karyatidenartigen  Figuren  getragenen 
Giebeln.  Zwischen  den  einzelnen  Säulen  der  drei  Paare  ein  aus  Bogennische 
und  Fenster  darüber  bestehender  Aufbau.  Über  den  Säulen  ein  Fries  mit 
Wappen.  Alle  Flächen,  alle  Architekturteile,  selbst  die  Säulenschäfte  sind 
mit  Einlegearbeit  bedeckt.  In  den  beiden  Hauptnischen  je  eine  figürliche 
Darstellung,  Justitia  und  Fides,  in  den  Bogennischen  Vasen  mit  Blumen- 
sträußen, darüber  in  den  viereckigen  Öffnungen  Masken.  Ähnlich  die  ganz 
originell  in  eine  große  Zahl  von  Feldern  eingeteilten  Schmalseiten.    Der  Reich- 


Fi^.  72.   Prachttruhe  aus  Franken :  Endo  dos  16.  Jahrh. 

tum  der  Zierrate  steht  aber  mit  Erfindung  und  Ausführung  nicht  ganz  in 
richtigem  Verhältnis.  Der  Untersatz  ist  modern,  offenbar  nach  dem  alten 
Original  getreu  gefertigt,  wobei  die  sicher  im  Original  vorhandenen  drei 
Schubladen  weggelassen  wurden,  der  Deckel,  der  in  drei  Felder  ebenfalls  mit 
eingelegten  Füllungen  zerfällt,  stark  restauriert.  Die  Truhe  ist  vermutlich 
von  einem  provinzialen  Meister  in  Bamberg  oder  Forchheim  angefertigt  worden. 
Die  an  dem  oberen  Fries  angebrachten,  ebenfalls  in  Einlegearbeit  her- 
gestellten sechzehn  kleinen  Wappen  geben  über  den  Besitzer  und  die  Zeit 
der  Herstellung  keinen  absolut  sicheren  Aufschluß.  Man  kann  annehmen, 
daß  die  in  der  Mitte  getrennte  Reihe  hier  beginnt  und  nach  links  und  rechts 
(vom  Beschauer)  die  Ahnenprobe  des  Besitzerpäares  darstellen  soll.  Die  zwei 
mittleren  Wappen  sind  diejenigen  der  Wiesenthau  (links  vom  Beschauer)  und 
Aufseß  (rechts  vom  Beschauer).    Von  den  mannigfachen  Familienverbindungen 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  69 


beider  Familien  im  16.  Jahrhundert  könnte,  wenn  die  obige  Annahme  richtig 
ist,  am  ehesten  Christoph  von  Wiesenthau  und  Cordula  von  Aufseß,  deren 
Ehe  von  1583 — 1599  währte,  inbetracht  kommen.  Auf  der  Aufseß'schen 
Ahnenseite*)  (rechts  vom  Beschauer)  folgen  die  Wappen  der  Giech,  Rüssen- 
bach  (Riesenbach),  Streitberg,  Littwag  (Littbeck),  Lichtenstein  (Lichenstein), 
Aufseß  und  Deuchern,  was  als  Ahnenreihe  für  Cordula  von  Aufseß  höchstens 
bis  zu  Littwag  stimmen  würde,  wobei  das  zwischenstehende  Streitberg  noch 
dazu  ausfallen  müßte.  Die  links  stehenden  und  also  vermutlich  die  Wiesen- 
thau'schen  Ahnen  angebenden  Wappen  sind  von  rechts  nach  links  Schafstall, 
Aufseß,  Schaumberg,  Kemnath  (Kemmet),  Sheberg  (Schbegem),  Egloflfstein, 
Hauger  (Haiicher).  Sie  stimmen  für  Christoph  von  Wiesenthau  auch  bis  zur 
vierten  Stelle.  Nach  einer  Katalognotiz  stammt  die  Truhe  aus  Freiherrlich 
von  Schaumburg'schen  Besitz  und  da  sie  schon  zur  Zeit  des  Freiherrn  Hans 
von  Aufseß  in  den  Sammlungen  sich  befand,  ist  sie  wohl  durch  dessen  Familien- 
beziehungen ins  Museum  gekommen. 


Fig.  73.    Hessische,  bemalte  Truhe  von  1595. 

Die  Maße  des  stattlichen  in  Fig.  72  wiedergegebenen  Möbels  sind :  Höhe 
1,04  m.  Tiefe  0,9  m  und  Länge  2  m. 

Von  einer  den  oben  beschriebenen  tirolischen  ähnlichen  und  gleichzeitigen 
Truhe,  die  den  ältesten  Beständen  des  Museums  angehört,  steht  die  Provenienz 
nicht  fest.  Jedenfalls  ist  sie  süddeutsch.  Die  teilweise  Verwendung  von  Eichen- 
holz läßt  an  fränkischen  Ursprung  denken.  Die  Truhe  ist  hier  dreiteilig  an- 
gelegt. An  den  Seiten  legen  sich  zwei  Risalite  mit  je  zwei  jonischen  Pilastem 
vor.  Der  hier  erhaltene  Untersatz  mit  drei  Schubladen  folgt  dem  oberen  Auf- 
bau. Die  Seitenfelder  zeigen  Bogenstellungen  mit  in  Einlegearbeit  hergestellten 
Mauerwerk,  die  innere  Füllung  ist  mit  stilisiertem  Blattwerk  eingelegt.  Im 
Mittelfeld  von  einem  eingelegten  Fries  umgeben  eine  queroblonge,  innen  ovale 
Füllung  ebenfalls  mit  Intarsien.  Der  Deckel  ist  wieder  in  zwei  schlicht  ge- 
lassene Felder  geteilt.  Das  recht  gute  Stück  ist  1  m  hoch,  0,73  tief  und 
1,76  m  breit. 


♦)  S.  Otto  von  Aufseß,   Geschichte  des  uradeligen  Aufseß 'sehen  Geschlechtes  in 
Franken,  Berlin  1888. 


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70  DIE  HOLZMÖBEL  DBS  GERMAN.  M*  S.    VON  DK.  HANS  STEGMANN. 


Einen  einfacheren  ebenfalls  oberdeutschen  Truhentypus  stellen  die  in 
weichem  Holz  und  in  Bemalung  hergestellten  Truhen  dar,  von  denen  das 
Museum  zwei  Exemplare  besitzt.  Das  ältere  aus  dem  Jahre  1595  stammende 
und  in  Fig.  73  wiedergegebene  Stück,  ist  wie  alle  seines  gleichen  mit  einfacher 
Architektureinteilung  versehen.  Sechs  schlanke  toskanische  Säulen  umschließen 
vier  ganz  einfache  Bogenstellungen  und  in  der  Mitte  ein  schmäleres  Feld  ohne 
eine  solche.  An  den  Seiten  je  ein  gleichartiges  Säulenpaar  mit  einer  breiteren 
Bogenstellung.  Die  Art  der  Behandlung  und  Bemalung  läßt  den  Schluß  zu, 
daß  die  letztere  als  Surrogat  für  die  kostbare  Einlegearbeit  in  verschiedenen 
Hölzern  eintreten  sollte.  Abgesehen  von  den  figürlichen  und  Wappenmalereien 
ist  die  Truhe  in  zwei  Tönen,  Dunkelolivgrün  und  Rotbraun  gehalten.  Die  vier 
in  den  vorderen  Bogenstellungen  gemalten  Wappen  sind  von  links  nach  rechts 
(vom  Beschauer)  die  der  Dieden,  Dragsdorf,  Dalberg  und  Lyne,  genannt 
Moren.  Die  beiden  mittleren  geben  wohl  das  erste  Besitzerpaar,  die  seit- 
lichen die  beiderseitigen  nächsten  Ahnen  an.  Da  die  drei  erstgenannten 
Familien  hessische  sind,  so  ist  damit  das  Ursprungsland  der  Truhe  gekenn- 
zeichnet. Der  in  der  Mitte  stehende  Schütze  in  charakteristischer  Zeittracht, 
die  Engelsköpfe  in  den  Zwickeln  vor  Allem  aber  die  an  den  Schmalseiten 
angebrachten  Profilköpfe  Pax  und  Fides  zeigen  die  Hand  eines  recht  tüchtigen 
Malers.     Die  Maße  sind:  Höhe  0,7,  Tiefe  0,73  und  I^nge  1,87  m. 

Einer  einfacheren  kleineren  Truhe  des  17.  Jahrhunderts  brauchen  wir 
nur  kurz  Erwähnung  zu  tun.  Sie  ist  aus  weichem  Holz  schwarzbraun  ge- 
strichen. Ihr  einziger  Schmuck  besteht  aus  einer  sehr  einfachen  zweiteiligen 
architektonischen  Gliederung  der  Vorderseite  durch  drei  Pilaster.  Zwischen 
diesen  zwei  gekröpfte  Füllungen  in  denen  in  kleinem  Maßstab  zwei  Wappen 
aufgemalt  sind.  Die  Wappen  sind  diejenigen  der  Familie  Tal  und  Adelshofen, 
von  denen  die  letztere  in  bayrisch  Schwaben  im  Gerichte  Landsberg  am  Lech 
ansäßig  war.  Sie  mißt  0,54  in  der  Höhe,  0,57  in  der  Tiefe  und  1,68  m  in 
der  Länge. 

Das  jüngste  Stück  der  Truhen,  soweit  sie  der  Sammlung  der  Hausgeräte 
angehörig,  entstammt  dem  bayerischen  Schwaben  und  zwar  dem  Allgäu.  Es 
kann  sich  mit  den  vorbeschriebenen  Tiroler  Truhen,  wie  auch  den  Schweizer 
Truhen,  in  keiner  Beziehung  messen.  Im  Aufbau  ist  es  diesen  insofern  gleich, 
als  es  einen  gesonderten  Untersatz  hat,  der  vorn  in  fünf  Felder  geteilt  und 
in  der  Mitte  geschweift  ausgesägt  ist,  aber  keine  Schubfächer  enthält.  Die 
Vorderfront  ist  zweiteilig  angelegt,  so  daß  neben  einem  schmalen  Mittelfeld 
je  zwei  knopfartig  gedrehte  Säulenpaare  ein  breiteres  umrahmtes  Feld  umgeben. 
Die  Zwischenräume  zwischen  den  Säulen,  die  umrahmten  Felder  und  der 
Mittelstreifen,  sowie  die  Füllungen  des  Untergestells  sind  mit  ziemlich  schwach 
gezeichnetem  Rankenornament,  das  ausgesägt  und  aufgeleimt  ist,  geziert.  Der 
äußerlich  reiche  und  günstige  Eindruck  der  Truhe  vermag  bei  näherer  Prüfung 
nicht  standzuhalten.  An  den  Schmalseiten  in  Einlegearbeit  zwei  aus  durch- 
gesteckten Quadraten  gebildete  Sterne.  Als  Entstehungszeit  kann  das  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  gelten.  Die  Maße  sind  0,89  Höhe,  0,70  Tiefe  und 
1,67  m  Länge. 


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DAS  ANGEBLICHE  HIRSCH  VOGEL -PORTRÄT  VON  G.  PENCZ 

IN  KARLSRUHE. 

VON  FRIEDRICH  H.  HOFMANN. 
Mit  einer  Tafel  und  fOnf  Abbildanfiren  im  Text. 

Nach  Dürers  und  Holbeins  Tod  hat  wohl  kaum  einer  der  deutschen  Maler 
der  Renaissance  wieder  ein  Bildnis  geschaffen,  das  dem  berühmten 
Porträt  eines  älteren  Mannes  von  der  Hand  des  Georg  Pencz  in  der  Kunsthalle 
zu  Karlsruhe  an  die  Seite  gestellt  werden  dürfte.  Trotz  der  hervorragenden 
künstlerischen  Bedeutung  des  Bildes,  trotzdem  Wappen  (Abb.  1)  und  Alter 
des  Dargestellten  und  das  Jahr  der  Anfertigung  auf  dem  Bilde  selbst  ange- 
bracht sind,  ist  es  jedoch  bis  jetzt  nicht  gelungen,  über  die  porträtierte  Per- 
sönlichkeit authentische  Aufschlüsse  zu  erhalten.  Meist  geht  das  Gemälde 
in  der  älteren  Litteratur  als  das  Porträt  eines  »Goldschmiedes«  oder  aber 
eines  »Münzmeisters«,  eine  naheliegende  Deutung,  da  der  Mann  ein  Zäng- 
chen  —  nicht  Zirkel,  wie  man  häufig  lesen  kann  —  in  der  Hand  hält,  und 
im  Hintergrunde  eine  große  Goldwage  aufgestellt  ist.  Erst  ganz  neuerdings 
ist  ein  Versuch  gemacht  worden,  die  Persönlichkeit  festzustellen,  indem  man 
das  Bild  als  Porträt  des  Nürnberger  Glasmalers  Veit  IL  Hirschvogel  in  An- 
spruch genommen  hat  ^).  Gegen  diese  Taufe  sprechen  jedoch  gewichtige 
Gründe,  die  im  Folgenden  klar  gelegt  werden  sollen. 

Im  Hintergrunde  des  Karlsruher  Bildes  ist  an  der  Wand  des  Zimmers 
über  der  Goldwage  ein  Zettelchen  angebracht  mit  der  Inschrift:  »Da  man 
1545  jar  zeit,  was  ich  53jar  alt«;  dieser  Cartellino  enthält  auch  das 
aus  G.  und  P.  bestehende  Monogramm  des  Malers.  Aus  dieser  Inschrift  er- 
gibt sich  somit  als  Geburtsdatum  des  Dargestellten  1492.  Nun  steht  aber  das 
Geburtsjahr  des  jüngeren  Veit  Hirschvogel  ganz  einwandfrei  fest.  Aus  der 
eigenen  Grabschrift  des  Meisters,  einem  wohl  kaum  anzuzweifelnden  authen- 
tischen Dokument,  geht  hervor,  daß  er  1487  geboren  wurde*).  Die  Grab- 
schrift dieses  Epitaphs  im  Johannisfriedhof  in  Nürnberg  hat  folgenden  Wort- 


1)  Koelitz,  Katalog  der  Gemäldegallerie  der  großherzogl.  Kunsthalle  in  Karls- 
ruhe, Karlsruhe  o.  J.,  S.  55,  Nr.  130.  Der  Direktion  der  großherzogl.  Kunsthalle  bin  ich 
für  gütige  Unterstützung  sehr  zu  Dank  verpflichtet. 

2)  Vgl.  dazu  Rettberg,  Nürnberger  Briefe  zur  Geschichte  der  Kunst,  Hannover 
1846,  S.  136.  Lochner,  Des  Johann  Neudörfer  Nachrichten  von  Künstlern  und  Werk- 
leuten in  Nürnberg;  Quellenschriften  für  Kunstgeschichte  etc.,  X.,  Wien  1875,  S.  150. 


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72  DAS  ANGEBLICHE  HIRSCH  VOGEL-PORTRÄT  VON  0.  PENCZ  IN  KARLSRUHE 


laut:  »Veit  Hirschvogel  der  ander,  welcher  ein  Glasmaler,  und 
27  Jar  Stat-Glaser  gewesen  verschid  an  Sanct  Görgen  Abent 
In  1553.  Jar  seines  Alters  66.  Jarc«).  Das  Datum  1487  wird  auch 
durch  Friedrichs  Untersuchungen  über  die  Genealogie  der  Hirschvogel  als 
Geburtsjahr  Veits  II.  vollauf  bestätigt*). 

Somit  ist  die  Angabe  des  Karlsruher  Katalogs  über  die  Lebensdauer 
des  jüngeren  Veit  Hirschvogel  (1492 — 1553)  eine  ziemlich  willkürliche  zu 
Gunsten  der  Bildtaufe  und  mit  den  historisch  feststehenden  Tatsachen  nicht 
in  Einklang  zu  bringen.  Schon  aus  diesem  Argument  geht  bis  zur  Gewiß- 
heit hervor,  daß  in  dem  Karlsruher  Porträt  nicht  Veit  IL  Hirschvogcl  darge- 
stellt sein  kann. 

Aber  auch  das  auf  dem  Karlsruher  Bild  angebrachte  Wappen  ist  von 
dem  der  Hirschvogel  vollständig  verschieden.  Allerdings  kommt  das  Hirsch- 
vogel-Wappen in  3  Varianten  vor.  Das  älteste,  das  Wappen  des  Patrizier- 
geschlechts,  ist  ein  redendes  Wappen,    ein  Hirsevogel   oder  Grünfink*),   ein 


1.  2.  3. 

Abb.  1.    Wappen  auf  dem  Porträt  in  der  Kunsthalle  zu  Karlsruhe.    Abb.  2.  Wappen  des  Nürnberger 

Patririergeschlecht»  Hirschvogel.    Abb.  8.  Gebessertes  Wappen  des  Augustin  Hirschvogcl. 

naturalistisch  gebildeter  goldener  Vogel  im  schwarzen  Felde,  auf  der  Zinne 
einer  silbernen  Mauer  stehend  •).  (Vgl.  Abbildung  2.)  In  dieser  Blasonierung 
findet  sich  das  Wappen  z.  B.  in  allen  Geschlechterbüchern  der  Stadt  Nürn- 
berg^). Auch  über  dem  berühmten  Kamin  im  Hirschvogel-Saal  in  Nürnberg 
ist   es   in   dieser   Form   angebracht®).     Wesentlich   von   diesem  Wappen  ab- 


3)  Trechsel,  gen.  Großkopff,  Verneuertcs  Gedächtnis  des  Nümbergischen  Jo- 
hannis-Kirch-Hofs,  Frankfurt  und  Leipzig  1736,  S.  318.  Ob  die  Inschrift  heute  noch 
vorhanden  ist,  vermag  ich  augenblicklich  nicht  festzustellen. 

4)  Friedrich,  Augustin  Hirschvogel  als  Töpfer,  Nürnberg  1885,  S.  5. 

5)  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch,  1877,  Sp.  1572. 

6)  Siebmachcr-Fürst,  Das  erneuerte  Teutsche  Wappenbuch,  Nürnberg  1657, 
II,  158. 

7)  Die  Abbildung  des  Hirschvogel-Wappens  (Abbildung  2)  ist  gezeichnet  nach  einem 
Nürnberger  Geschlechterbuch  von  ca.  1625  in  der  Bibliothek  des  bayr.  Nationalmuseums, 
IVa  538,  fol. 

8)  Abbildung  bei  Bicde,  Der  Hirschvogelsaal,  Nürnberg  1903. 


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VON  FRIEDRICH  fl.  HOFBIÄ^NN. 


73 


weichend  ist  das  Wappen  der  Glasmalerfamilie  Hirschvogel,  lediglich  der 
Rumpf  eines  Vogels  (Adlers?),  von  zwei  Sternen  begleitet •).  Tinkturen  weiß 
ich  nicht  anzugeben.  Man  hat  auf  Grund  der  Verschiedenartigkeit  der  Wappen 
die  Zugehörigkeit  der  Glasmaler  zu  dem  Patriziergeschlecht  angezweifelt,  eine 
Frage,  auf  die  hier  nicht  eingegangen  werden  kann. 

Die  dritte  Variante  ist  das  Wappen  des  Augustin  Hirschvogel,  das  dem 
Meister  von  dem  damaligen  römischen  König  Ferdinand  »gebessert«  wurde  ^®). 
Es  zeigt  nach  dieser  > Besserung«  einen  heraldisch  stilisierten  goldenen  Adler 
im  blauen  Felde  über  einer  silbernen  Mauer,  die  mit  den  drei  roten  Schild- 
chen des  sog.  Künstlerwappens  belegt  ist.     (Vgl.  Abb.  3.) 

Eine  weitere  Variante  des  Hirschvogel- Wappens ,  die  Friedrich  irrtüm- 
licher Weise  anerkennt*^),  dankt  wohl  nur  einem  Versehen  O.  T.  von  Hefners 
ihr  Dasein.  Wahrscheinlich  urteilt  Hefner  nach  einer  schlechten  Abbildung 
des  Patrizierwappens  sehr  flüchtig,  wenn  er  angibt,  das  Wappen  der  Familie 
sei  ein  goldener  Adler  auf  silbernem  Dreiberg  im  schwarzen  Feld*^).  Die 
Zuweisung  dieses  Wappens  an  den  Glasmaler  Veit  I.  Hirschvogel  vollends  ist 
ein  direkter  Irrtum,  denn  dieser  führte ,  wie  erwähnt ,  nur  das  Wappen  mit 
dem  Vogelrumpf. 

Man  sieht,  keines  dieser  drei  Hirschvogel- Wappen  stimmt  mit  dem 
Karlsruher  Wappen  überein.  Am  meisten  Ähnlichkeit  hat  noch  das  gebesserte 
Wappen  des  Augustin  Hirschvogel  mit  dem  heraldischen  Adler  und  den  drei 
Künstlerschilden.  Dieses  Wappen  wird  wohl  auch  für  die  Taufe  des  Karls- 
ruher Bildes  bestimmend  gewesen  sein.  Wie  jedoch  einerseits  aus  der  Tat- 
sache, daß  dieses  Wappen  erst  Augustin  Hirschvogel  in  Wien  von  König 
Ferdinand  verliehen  wurde,  andererseits  aus  dem  oben  erwähnten  Grabstein 
der  Familie  Hirschvogel  auf  dem  Johannisfriedhof  in  Nürnberg  hervorgeht, 
hat  der  Nürnberger  Zweig  der  Glasmalerfamilie  dieses  Wappen  nie  geführt, 
nie  führen  können;  also  kann  es  auch  nicht  als  Wappen  Veits  II.  in  Anspruch 
genommen  werden.  Damit  fällt  wohl  die  Theorie  der  Übereinstimmung  bei- 
der Wappen  ohne  Weiteres!  Zudem  ist  auch  die  Annahme  kaum  zulässig, 
daß  bei  einem  Porträt  und  besonders  bei  einem  derartigen  Meisterstück  eine 
solch  tiefgreifende  Entstellung  des  Wappens   vorgekommen  sein  kann.     Und 


9)  Trechsel  a.  a.  O.  S.  318.  —  Abb.  bei  Bosch  &  Gerlach,  Die  Bronze- 
Epitaphien  der  Friedhöfe  zu  Nürnberg,  1890  flf.,  Tafel  67,  2.  Aus  dieser  Abbildung  ist  zu 
ersehen,  daß  Trechsel  irrt,  wenn  er  hier  von  einem  »Schild  mit  einem  Schildeshaupt« 
spricht;  was  er  nämlich  für  das  Schitdeshaupt  hält,  ist  lediglich  ein  Inschrifttäfelchen  mit 
der  Inschrift :  »FeytHirschfogcll-  Glasser:  1520.«,  hat  also  mit  dem  Wappenschild 
selbst  nicht  das  Geringste  zu  tun. 

10)  Bergmann,  Medaillen  auf  berühmte  und  ausgezeichnete  Männer  des  öster- 
reichischen Kaiserstaates  vom  16.— 19.  Jhdt.,  L,  Wien  1844,  S.  288.  Abbildung  auch  auf 
dem  Porträt  des  Augustin  Hirschvogel  bei  Hirth,  Kulturgeschichtliches  Bilderbuch,  I, 
Nr.  937.  —  Dazu  vgl.  Friedrich  a.  a.  O.,  Tafel  II  und  VII  und  Camesina,  Augustin 
Hirschvogels  Plan  der  Stadt  Wien  vom  Jahre  1547,  Wien  1863. 

11)  a.  a.  O.  S.  3. 

12)  V.  Hefner,  Siebmachers  großes  und  allgemeines  Wappenbuch,  V,  Nürnberg 
1857,  1,  Tafel  6. 

Mitteilungen  aus  dem  ^rman.  Nationalmuseum.    1901.  10 


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'^^  DAS  ANGEBLICHE  HIRSCH  VOGEL-PORTRÄT  VON  G.  PENCZ  IN  KARLSRÜHE 


selbst  wenn  wir  an  einen  Irrtum  oder  eine  Nachlässigkeit  bezüglich  der  figür- 
lichen Darstellungen  glauben  würden,  hinsichtlich  der  Tinkturen  des  Wappens 
kann  der  Maler  ganz  unmöglich  so  unbekümmert  gewirtschaftet  haben ,  daß 
er  Schwarz  für  Blau  (beim  Feld),  Weiß-Schwarz  statt  Gold  (beim  Adler)  setzen 
durfte.  Es  wird  also  wohl  kaum  noch  ein  Beweis  nötig  sein  für  die  Be- 
hauptung, das  Wappen  auf  dem  Karlsruher  Bild  ist  weder  das  Veits  II.,  noch 
das  sonst  eines  Mitgliedes  der  Familie  Hirschvogel. 

Wem  gehört  nun  aber  das  Karlsruher  Wappen  an  ?  Umfängliche  Recher- 
chen, die  s.  Z.  H.  Eyth,  Zeicheninspektor  in  Karlsruhe,  in  dem  Kgl.  Kreis- 
archiv in  Nürnberg  und  dem  Kgl.  Allgem.  Reichsarchiv  in  München  anstellte, 
führten  zu  keinem  definitiven  Resultat.    Das  Kgl.  Allgem.  Reichsarchiv  mußte 


Abb.  4.    Epitaph  des  Georg  Herz  im  Germanischen  Museum. 

damals  mitteilen,  daß  »das  auf  dem  fraglichen  Gemälde  angebrachte  Wappen 
sich  hier  weder  auf  Siegeln  Nürnberger  Urkunden  aus  der  betr.  Zeit  findet, 
noch  in  einigen  aus  der  ehemaligen  Habel'schen  Sammlung  stammenden 
Wappenbüchern,  die  zum  Teil  speziell  Nürnberger  Familien  behandeln.  Die 
meiste  Ähnlichkeit  weist  immerhin  noch  das  Hirschvogel'sche  Wappen  auf, 
doch  fehlen  ihm  nach  allen  hier  vorliegenden  Überlieferungen  die  charak- 
teristischen roten  Herzen«  ^^). 

Und  doch  ist  das  Wappen  das  einer  Nürnberger  Familie,  deren  Ange- 
hörige sogar  angesehene  Amter  im  Dienste  der  Stadt  bekleideten.  Im  Ger- 
manischen Nationalmuseum  in  Nürnberg  wird  ein  Bronze-Epitaph  aufbewahrt**), 

13)  Manualakt  des  Kgl.  Allgem.  Reichsarchivs  in  München,  Nr.  5264  rot. 

14)  Katalog  der  im  germanischen  Museum  befindlichen  Bronzeepitaphien  des  15. — 18. 
Jahrhdts.,  Nürnberg  1891,  Nr.  23.  Vgl.  dazu  Mitteilungen  aus  dem  germanischen  National- 
museum l,  1886,  S.  218. 


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VON  FRIEDRICH  H.  HOFMANN. 


75 


das  in  einem  Dreipaß  drei  Wappen  enthält ;  von  diesen  ist  das  oberste  —  wie 
ohne  weiteres  aus  einem  Vergleich  der  Abbildungen  1,  Seite  72  und  4,  Seite  74 
erhellt  —  mit  dem  Karlsruher  vollkommen  identisch. 

Aus  der  bekannten  Publikation  des  Pfarrers  Trechsel  über  den  Johannis- 
Friedhof  in  Nürnberg  läßt  sich  nun  nachweisen  ^'^),  daß  zu  diesem  Wappen 
eine  rechteckige  Tafel  mit  folgender  Inschrift  gehörte:  ANNO  DNI  MrDXXXVl 
:  DEN  XVÜ  :  lANVARü  STARB  DIE  ERBAR  FRAV  SIBILLA  jORG 
HERTZiN  DER  GOT  GENAD.  ANNO  DNI  M  :  D  :  XLVÜ  :  DEN  XllI  : 
AVGVSTI  STARB  DIE  ERBAR  FRAV  BARBARA  lORG  HERTZIN  DER 
GOT  GENEDIG  SEP®).  Au*  der  heraldischen  Anordnung  der  Wappen  geht 
weiterhin  hervor,  daß  das  obere  Wappen  das  des  Jörg  Herz  darstellt,  des 
Gatten  der  beiden  Frauen  Sibylla  (f  1536)  und  Barbara  (f  1547).  Das  Wappen 
ist  also  teilweise  wenigstens  ein  redendes. 

Nachforschungen  nach  diesem  Jörg  Herz  im  Stadtarchiv  Nürnberg  blieben 
leider  resultatlos*').  Dagegen  fand  sich  im  Kgl.  Kreisarchiv  manches  auf- 
klärende Material.  Jörg  Herz  war  Bürger  von  Nürnberg;  er  wohnte  »an  der 
alten  Ledergasse«.  Bereits  Ende  Oktober  1524  wurde  er  vom  Rate  der  Stadt 
als  Vertreter  des  erkrankten  Münzmeisters  und  Wardeins  zum  Münzordnungs- 
tag  nach  Eßlingen  gesandt.  1537  erscheint  er  als  städtischer  Münzkürner.  Als 
solcher  wurde  er  anfangs  der  fünfziger  Jahre  nach  Joachimstal  geschickt.  Jörg 
Herz  starb  im  Oktober  1554;  er  war  dreimal  verheiratet  gewesen.  Sein  ältester 
Sohn  und  Amtsnachfolger  war  Sebald  Herz,  der  in  einen  langwierigen  Erbschafts- 
prozeß um  Haus  und  Werkstatt  mit  seinen  Geschwistern  verwickelt  wurde  *®). 

Sebald  Herz  (Hertz)  wird  ferner  als  »Nurmbergischer  sonderbarer  Wardein« 
1560  (6.  März)  genannt  in  dem  »Abschied  und  Handlung  des  Fränckischen 
Reichs-Kreiß-Tags  zu  Nürnberg  das  Münz-Weesen  betreffend«^®).  Am  3.  Mai 
1562  bei  dem  Münz-Probations-Tag  zu  Nürnberg  ist  er  jedoch  nicht  mehr 
im  Dienste  der  Stadt,  »nachdem  ein  erbar  rath  hie  zu  Nurmberg  iren  sonder- 
baren probirer  geendert,  und  an  Seboldten  Hertzen  statt  einen  andern  ange- 
nommen und  presentirt,  nemblich  Lucaßen  Walther«  2®).  Einen  Paul  Herzer, 
Goldschmied,    finde  ich  1547  in  Nürnberg^*);    er  ist  wohl  auch  ein  Mitglied 


15)  a.  a.  O.  S.  647. 

16)  Der  Text  der  Inschrift  nach  dem  Katalog  der  im  germanischen  Museum  be- 
findlichen Bronzeepitaphien,  Nr.  24. 

17)  Gütige  Mitteilung  des  Herrn  Archivrats  Dr.  E.  Mummenhoff  in  Nürnberg. 

18)  Ratsverlässe  und  Ämterbücher  der  Stadt  Nürnberg;  die  Notiz  über  das  Sterbe- 
jahr aus  der  Abschrift  eines  Totenbuches.  Gütige  Mitteilung  des  Königl.  Kreisarchivs 
Nürnberg. 

19)  Hirsch,  Des  Teutschen  Reichs  Münz- Archiv,  Nürnberg  1756,  I,  416. 

20)  Ebenda  II,  5.  —  Gebert  (Geschichte  der  Münzstätte  Nürnberg,  1890)  kennt 
weder  Sebald  Herz,  noch  Lucas  Walther ;  über  die  dienstliche  Stellung  des  Münzkürners 
zu  Münzmeister  und  Wardein  ist  hier  ebenfalls  nichts  zu  finden. 

21)  Hampe,  Nürnberger  Ratsverlässe  über  Kunst  und  Künstler;  Quellenschriften 
zur  Kunstgeschichte  XI,  1904,  Nr.  3031,  3033.  Ob  der  ebenda  Nr.  3404  erwähnte  Gold- 
schmied Sebastian  Hetzer  (1552)  gleichfalls  hieher  gehört,  wage  ich  nur  andeutungsweise 
zu  streifen.  Später  (im  17.  Jhdrt.)  finden  sich  ebenfalls  Goldschmiede  mit  dem  Namen 
Herz  (Herzer)  öfters  in  Nürnberg. 


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76  DAS  ANGEBUCHE  HIRSCH  VOGEL-PORTRÄT  VON  0.  PENCZ  IN  KARLSRÜHE 


unserer  Familie,  vielleicht  der  Bruder  des  Jörg.  Leider  ließen  sich  die  Namen 
der  Frauen  dieses  Jörg  Herz  nicht  ausfindig  machen.  Es  wird  jedoch  auch 
ohne  diese  Feststellung  kein  Zweifel  möglich  sein  an  der  Annahme,  daß  der 
Nürnberger  Münzkürner  Jörg  Herz  mit  dem  auf  dem  Bronze-Epitaph  genannten 
Jörg  Herz  identisch  ist,  daß  also  auch  diesem  das  dort  angebrachte  Wappen 
zugehört.     Daß  auf  dem  Epitaph    nur    zwei  Frauen    genannt    sind,    während 


Fig.  5.    Porträt  des  Georg  Herz  von  Georg  Fenitzer. 

feststeht,  daß  der  Münzkürner  Jörg  Herz  dreimal  verheiratet  war,  ist  sicher 
nicht  auffallend,  denn  von  1547,  dem  Todesdatum  der  zweiten  Frau,  bis  1554, 
seinem  eigenen  Todesjahr,  hatte  Jörg  Herz  gewiß  noch  genug  Zeit,  sich  ein 
drittesmal  zu  verheiraten. 

Was  liegt  nun  näher  als  der  Schluß,  in  dem  Karlsruher  Bild,  das  nach- 
gewiesenermaßen das  gleiche  Wappen,  wie  das  Bronze-Epitaph  des  Germani- 
schen Museums  zeigt,  das  Porträt  des  Nürnberger  Münzkürners  Jörg  Herz 
zu  sehen.?    Daß   in   dem  Karlsruher  Bild   ein  Münzmeister  oder  Goldschmied 


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VONsFRIEDRICH  H.  HüFMANN. 


77 


dargestellt  ist,  wurde  —  wie  bereits  erwähnt  —  schon  seit  langem  erkannt. 
Die  Goldwage  im  Hintergrund  und  die  sogen.  Kornzange  (molette)  in  der 
Hand  des  Porträtierten  sind  die  deutlichsten  Anhaltspunkte  für  diese  Erklärung. 
Mit  diesen  Emblemen  stimmt  auch  die  amtliche  Eigenschaft  des  Jörg  Herz 
als  Münzkürner  der  Stadt  Nürnberg  aufs  befriedigendste  überein. 

Nun  findet  sich  aber  in  der  reichhaltigen  Sammlung  »von  Nürnbergischen 
Porträten«,  die  G.  W.  Panzer  veröffentlicht  hat^^),  ein  Schwarzkunst  -  Blatt 
in  4®  verzeichnet  mit  der  Unterschrift:  Georg  HERTZ,  Gemmar.  Norib. 
Obiit  Anno  1554.  G.  F.  fec.  Um  zuerst  den  Verfertiger  des  Blattes 
festzustellen,  der  sich  mit  seinen  Initialen  G.  F.  nennt :  es  ist  Georg  Fenitzer, 
der  gegen  Schluß  des  17.  Jahrhunderts  eine  lange  Reihe  mehr  oder  weniger 
guter  Bildnisse  von  Nürnbergem  herausgab;  als  Künstler  ist  er  nicht  eben 
von  Bedeutung.  Ein  Exemplar  dieses  Stiches  bewahrt  die  Porträtabteilung 
der  Kgl.  Kupferstich-  und  Handzeichnungen-Sammlung  in  München ;  auch  im 
Germanischen  Nationalmuseum  befindet  sich  das  Porträt.  Es  zeigt  in  ovalem 
Rahmen  das  Brustbild  eines  Mannes  in  mittleren  Jahren  mit  starkem  Vollbart, 
nach  rechts  gewendet;  bekleidet  mit  Pelzschaube  und  Barett;  die  linke  Hand 
liegt  auf  der  Brust.  Die  Unterschrift,  die  Panzer  ziemlich  genau  kopiert  hat, 
lautet:  GEORG  HERTZ  GEMMAR  :  Norib:  Obyt  Anno  1554. 
Rechts  unten:  G.  F.  fec.  (Vgl.  Abb.  5,  S.  76.)  Die  Bezeichnung  »Gemmar.« 
ist  selbstverständlich  Abkürzung  von  gemmarius  und  bedeutet  einen  »Juwelier«. 
Wenn  auch  der  amtliche  Titel  eines  Münzkürners  auf  dem  Stich  fehlt,  so 
ist  es  doch  zweifellos,  daß  wir  es  hier  mit  einem  Porträt  unseres  Jörg  Herz 
zu  tun  haben;  das  Todesdatum  1554  beseitigt  vollends  etwaige  Bedenken. 

Und  in  der  Tat,  vergleichen  wir  den  Stich  Fenitzers  nun  schließlich  mit 
dem  Karlsruher  Porträt,  so  fällt  sofort  viel  Gemeinsames  in  die  Augen,  be- 
sonders der  starke  hängende  Schnurrbart,  die  große  gebogene  Nase.  Schlagend 
allerdings  ist  die  Übereinstimmung  beider  Bilder  nicht,  vielleicht  nicht  einmal 
genügend,  ohne  weitere  Belege  eine  Identität  der  beiden  dargestellten  Per- 
sönlichkeiten zu  konstruieren.  Dabei  müßten  allerdings  immer  noch  die  so 
verschiedenen  künstlerischen  Qualitäten  beider  Porträts  ein  gewichtiges  Wort 
mitreden !  Nachdem  aber  doch  einmal  alle  übrigen  Tatsachen  so  überraschend 
zusammenstimmen,  schließt  nun  gerade  Fenitzers  Stich  die  Kette  der  Beweise, 
indem  er  wenigstens  der  Möglichkeit  einer  Identität  nicht  widerspricht.  Wir 
dürfen  also  mit  Sicherheit  in  dem  Karlsruher  Bild  ein  Porträt  des  1,554  ge- 
storbenen Nürnberger  Münzkürners  Georg  Herz  erkennen. 


22)  Beytrag  zur  Geschichte  der  Kunst  oder  Verzeichnis  der  Bildnisse  der  Nürn- 
bergischen Künstler,  Nürnberg  1784,  S.  25^  Vgl.  dazu  Panzer,  Verzeichnis  von  nürn- 
bergischen Porträten,  Nürnberg  1790,  S.  101. 


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zu  DÜRERS  STICH  B.  98. 

VON  ALFRED  HAGELSTANGE. 

Die  Dürer-Forschung  der  letzten  Jahre  hat  den  Nachweis  geliefert,  daß 
unser  Künstler  nicht  der  tiefsinnige  Denker  und  grübelnde  Philosoph 
war,  als  den  man  ihn  früher,  namentlich  unter  Hinweis  auf  einige  schwer  zu 
deutende  Stiche,  hinzustellen  beliebte.  Nachdem  es  Conrad  Lange  gelungen 
war,  den  vielumstrittenen  Stich  B.  71  (das  Meerwunder)  als  Illustration  einer 
der  vielen  damals  allenthalben  grassierenden  Sagen  und  Wundermären  nach- 
zuweisen, fand  Giehlow  in  einer  Dichtung  des  Poliziano  das  wortgetreue 
Textvorbild  der  sogenannten  großen  Nemesis  (B.  77).  Einen  Schritt  weiter 
brachte  uns  Paul  Weber,  der  in  seinen  »Beiträgen  zu  Dürers  Weltanschauung« 
die  Frage  nach  der  Deutung  der  Idee  in  Ritter,  Tod  und  Teufel,  Melancholie 
und  Hieronymus  im  Gehäus  eingehend  behandelt  hat.  Volle  Zustimmung 
fanden  jedoch  seine  Ausführungen  nur,  insoweit  sie  sich  auf  das  erste  dieser 
drei  Blätter  erstrecken. 

Weber  geht  da  insofern  über  Hermann  Grimm  hinaus,  als  er  dessen 
Auffassung,  der  Stich  sei  durch  das  Enchiridion  militis  christiani  des  Erasmus 
veranlaßt  worden,  nur  als  halbe  Wahrheit  gelten  läßt;  denn  das  Ideal  des 
christlichen  Ritters  reicht,  wie  er  in  engster  Fühlung  mit  den  litterarischen 
Erzeugnissen  der  religiösen  Geistesrichtung  der  Zeit  nachweist ,  bis  auf  die 
deutsche  Mystik  des  14.  Jahrhunderts  zurück.  Das  Thema  lag  sozusagen  in 
der  Luft,  und  Dürer  schöpfte  aus  der  gleichen  Quelle  wie  Erasmus,  der  für 
den  Titel  seiner  Schrift  sicherlich  kein  neues  geflügeltes  Wort  prägte. 

Was  die  nun  wieder  zu  Ehren  gekommene  Bezeichnung  Grimms,  die 
unter  dem  Banne  des  Trilogie  -  Gedankens  wieder  mehr  in  den  Hintergrund 
getreten  war,  noch  annehmbarer  macht,  ist  der  Umstand,  daß  diese  Benennung 
auch  den  Vorzug  alter  Überlieferung  genießt.  Die  Belegstelle,  die  man  für 
diesen  Zweck  herangezogen  hat,  findet  sich  im  zweiten  Teile  von  Sandrarts 
Teutscher  Akademie  (S.  233)  und  lautet:  »So  ist  .  .  .  auch  der  Christliche 
Ritter  .  .  .  mit  so  vielen  Seltsamkeiten  erfüllet,  und  die  darinnen  befindliche 
Bilder  ...  in    klein  dermassen  natural,    daß    wann    sie    gleich  Lebens  groß, 


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Zö  DÜRERS  STICH  B.  98.    VON  ALFRED  HAGELSTANGE.  79 


selbige  nicht  natürlicher  seyn  könten.«  Einen  weiteren  und  noch  etwas  älteren 
Beleg  fand  ich  im  Register  eines  im  Besitz  der  Freiherrl.  von  Scheurl'schen 
Familie  befindlichen  Stammbuches  von  1664.  Es  ist  dies  ein  prachtvoll  ge- 
schriebener, aufs  feinste  ausgestatteter  Foliant,  der  mit  verschiedenen  ein- 
geklebten Kupferstichen  und  Holzschnitten  Dürers,  Cranachs  und  anderer 
Meister  geschmückt  ist.  Das  orientierende  Register  des  umfangreichen  Ban- 
des (Germ.  Mus.  Bibliothek:  Seh.  276^)  verzeichnet  den  auf  S.  80  eingeklebten 
Stich  B.  98  folgendermaßen :  »Geistliche  Ritter  mit  dem  Tod  und  Teuffei  oder 
gespenst  Reutter  Philipp  Rinck  Nürnbergischer  Einspenninger  1513«.  Durch 
das  hier  gewählte  Wort  »geistlich«,  das  als  Gegensatz  zu  »weltlich«  gedacht 
ist,  kommt  die  der  Darstellung  zugrunde  liegende  Idee  noch  präziser  zum 
Ausdruck,  als  es  in  der  Bemerkung  Sandrarts  geschieht. 

Charakteristisch  ist  übrigens ,  daß  auch  hier  wieder  der  Einspenniger 
(d.  h.  Geleitsreiter)  Rinck  erwähnt  wird;  und  es  dürfte  wohl  außer  Zweifel 
sein,  daß  der  Volksmund  unser  Blatt  schon  gleich  bei  seinem  Erscheinen  zu 
einer  Illustration  der  über  diesen  Reitersmann  kursierenden  Fabeln  und 
Wundermären  gestempelt  hat ;  eine  Deutung,  die  von  Dürer,  wenn  auch  nicht 
vorausgesehen,  so  doch  vielleicht  gar  nicht  unliebsam  empfunden  wurde,  da 
sie  ja  seiner  Schöpfung  eine  weitgehende  Verbreitung  auch  in  jenen  Kreisen 
garantierte,  die  weder  für  den  hier  zugrunde  liegenden  mystischen  Gedanken 
noch  für  dessen  künstlerische  Formulierung  eine  Empfindung  hatten,  sondern 
in  dem  Blatte  lediglich  die  sensationelle  Illustrierung  einer  von  Mund  zu 
Munde  gehenden  Schauergeschichte  sahen. 


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LITERARISCHE  NOTIZEN. 

Karl  Ludwig,  Kurfflrst  von  der  Pfalz  (1617—1680).  Von  Dr.  Karl  Hauck. 
Leipzig.    Verlag  von  Breitkopf  &  Härtel.  1903.  334  SS.  8. 

Dem  zweiten  Gründer  der  Rhein-Neckar-Stadt  hat  der  rührige  Mannheimer  Alter- 
tumsverein in  diesem  vierten  Bande  seiner  >Forschungen  zur  Geschichte  Mannheims  und 
der  Pfalz«  ein  würdiges  Denkmal  gesetzt.  Der  neue  Biograph  Karl  Ludwigs,  Dr.  Karl 
Hauck  in  München,  dem  wir  bereits  eine  Geschichte  der  Stadt  Mannheim  zur  Zeit  ihres 
Übergangs  an  Baden  (1899  in  der  gleichen  Sammlung  erschienen)  verdanken,  hat  nament- 
lich auch  die  mannigfachen  Schätze  des  Münchener  Haus-  und  Staatsarchivs  heranziehen 
können.  Das  an  Enttäuschungen  reiche  Leben  eines  deutschen  Fürsten  während  des 
großen  Krieges  und  nach  demselben  zieht  in  den  vier  gehaltvollen  Kapiteln  des  Buchs 
—  Karl  Ludwigs  Jugendjahre  —  K.  L.  als  Reichsfürst  —  K.  L.  und  seine  Verwaltung  — 
K.  L.  als  Persönlichkeit  —  an  dem  Leser  vorüber.  Der  Verfasser  bemühte  sich  mit 
Erfolg,  aufgrund  seiner  umfassenden  Quellenstudien,  das  Charakterbild  seines  Helden, 
das  mehr  von  der  Parteien  Haß  als  von  deren  Gunst  verwirrt  in  der  Geschichte  schwankte, 
in  rechte  Beleuchtung  zu  setzen,  des  Kurfürsten  Thun  und  Lassen  und  jene  widrigen 
Zeit-  und  Lebensverhältnisse,  deren  Zwang  und  Ungunst  er  jeweils  unterliegen  mußte, 
in  gerechter  Weise  gegen  einander  abzuwägen.  Zu  einer  solchen  billigeren  Beurteilung 
Karl  Ludwigs  beizutragen  wird  die  vorliegende  Darstellung  an  erster  Stelle  berufen  sein. 
Zudem  aber  kann  das  auch  durchaus  angenehm  lesbare  Buch  jedem  etwas  bringen,  den 
die  »Kulturgeschichte«  des  17.  Jahrhunderts  auch  nur  einigermaßen  zu  fesseln  weiß.  Der 
stattliche  Band  ist  mit  zwei  Autotypie-Porträts  des  jugendlichen  und  des  alternden  Kur- 
fürsten geschmückt. 

Papsturkunden  des  12.«  13.  und  14.  Jahrhunderts  aus  dem  Germanischen  Na- 
tionalmuseum In  Nürnberg  mit  einer  historischen  Skizze  des  venetianischen  Klosters 
Brondolo.  Von  Jos.  Knöpfler.  S.-A.  aus  dem  Historischen  Jahrbuch  der  Görres- 
Gesellschaft  XXIV  (307—18,  763—85). 

26  unedierte  Papsturkunden,  von  denen  19  dem  venetianischen  Kloster  Brondolo 
bei  Chioggia,  2  anderen  italienischen  Gotteshäusern  und  5  deutschen  Empfängern  ange- 
hören, hat  Dr.  Joseph  Knöpfler  am  kgl.  allgemeinen  Reichsarchiv  in  München  aus  den 
archivalischen  Beständen  des  Germanischen  Museums  zusammengestellt  und  sie  in  muster- 
giltiger  Weise  ediert  und  kommentiert.  Der  Wiedergabe  der  Texte  hat  er  einen  be- 
achtenswerten Abriß  der  Klostergeschichte  von  Brondolo  vorangestellt.  Mit  seiner  sorg- 
sam vorbereiteten  Herausgabe  unserer  noch  ungedruckten  Papsturkunden  hat  Knöpfler 
ein  willkommenes  Gegenstück  geliefert  zu  den  in  diesen  Blättern  früher  schon  erschienenen 
Publikationen  der  Kaiserurkunden  des  germanischen  Museums  (vgl.  Mitteilungen  des  G. 
N.-M.  1890  S.  3,  30,  73,  97  und  1898,  21—36).  —  Wenigstens  kurz  hingewiesen  sei  an 
dieser  Stelle  auf  einige  ergänzende  Noten  Kehrs  zum  gleichen  Thema :  Hist.  Jahrb.  XXV, 
43$.  HH. 


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LITERARISCHE  NOTIZEN. 


81 


Meisterwerke  der  Kunst  und  des  Kunst8:ewerbes  vom  Mittelalter  bis  zur  Zeit 
des  Rokoko.  100  Tafeln  in  Lichtdruck,  direkt  nach  den  Originalen  aufj^enommen ,  mit 
Erläuterungen  herausgegeben  von  Dr.  Hans  Stegmann,  Konservator  am  Germanischen 
Nationalmuseum  zu  Nürnberg.    Lübeck  1904.    Verlag  von  Bernhard  Nöhring. 

Die  vorliegenden  drei  ersten  Hefte  lassen  erkennen,  daß  es  sich  um  eine  Publikation 
vornehmsten  Stils  handelt.  In  vortrefflichen  Lichtdrucken  großen  Formats  werden  aus- 
erlesene Werke  deutsche  Plastik  und  deutschen  Kunstgewerbes,  Gebiete,  die  in  den 
übrigen  Kunstpublikationen  recht  stiefmütterlich  behandelt  werden,  einem  größeren  Kreise 
erschlossen.  Ein  kurzer  Text  begleitet  die  Bilder,  in  dem  das  Wesentliche  des  Werks 
angegeben  und  knapp  und  prägnant  auf  seine  künstlerische  und  kunstgeschichtliche  Be- 
deutung hingewiesen  wird. 

Ernst  Fischer,  Die  Münzen  des  Hauses  Schwarzburg:.  Bin  Beitrag:  zur  Landes- 
8:eschichte  der  Fflrstentilnier  Schwarzbur8:-Sondershausen  und  Schwarzburg-Rudol- 
stadt«  Mit  16  Lichtdrucktafeln.  Heidelberg  1904.  Carl  Winter 's  Universitätsbuch- 
handlung. 

Der  vorzüglich  durchgearbeitete,  666  Nummern  zählende  Katalog  der  Münzen  und 
Medaillen,  mit  Einschluß  der  Kippermünzen,  bringt  außer  den  ausführlich  und  knapp 
gefaßten  Lebensdaten  der  Münzherren,  sehr  sorgföltige  Münzbeschreibungen  und  bei 
selteneren  Stücken  zuverläßige  Angaben  über  Fundort,  Herkunft  und  gegenwärtige  Be- 
sitzer. Wie  dieser  Ernst  Fischer'sche  Katalog  der  erste  ausfuhrliche  über  dieses  ganze 
Gebiet  ist,  so  dürfte  er  schwerlich  so  bald  übertroffen  werden  können.  —  Der  Katalog, 
der  übrigens  auch  typographisch  und  durch  die  vielen  Abbildungen  in  Lichtdruck  eine 
sehr  erfreuliche  Erscheinung  bildet,  wird  durch  einige  sehr  willkommene  historische  Auf- 
sätze zur  Geschichte  der  Schwarzburger  Grafen  und  Fürsten,  des  Wappens  u.  A.  zu 
einem  Handbuch,  das  der  Historiker  der  sächsisch-thüringischen  Staaten  und  Häuser 
immer  mit  sicherem  Erfolg  wird  benutzen  müssen.  W.  B. 

Urkunden  zur  Entstehungsgeschichte  der  ersten  Leipziger  Qrosshandelsver- 
tretung.  Der  erste  Leipziger  Handlungsgehilfenverein.  Herausgegeben  von  der 
Handelskammer  zu  Leipzig.  Verfaßt  von  deren  Bibliothekar  Siegfried  Moltke.  Mit 
mehreren  Abbildungen.  Leipzig.  In  Kommission  bei  der  Buchhandlung  von  A.  Twiet- 
meyer.  1904. 

Nachdem  Siegfried  Moltke  vor  einigen  Jahren  in  seiner  Geschichte  der  Leipziger 
Kramer-Innung  einen  sehr  inhaltreichen  Beitrag  zur  Leipziger  Handelsgeschichte  des  15. 
und  16.  Jahrhunderts  gebracht,  bietet  er  in  den  beiden  hier  angezeigten  Arbeiten,  die 
sich  auf  eine  große  Reihe  urkundlicher  Materialien  stützen,  einen  wissenschaftlichen  Bei- 
trag zur  Handelsgeschichte  Leipzigs  im  17.  und  18.  Jahrhundert.  Die  Arbeiten  Moltkes 
stellen  eine  sehr  erfreuliche  wert-  und  grundbietende  Bereicherung  der  handelsgeschicht- 
lichen Forschungen  dar  und  der  Leipziger  Handelskammer,  als  der  Herausgeberin  des 
sogar  mit  farbigen  Tafeln  geschmückten  Werkes  werden  die  Freunde  und  die  Vertreter 
handelsgeschichtlicher  Darstellungen  zahlenden  Dank  wissen.  Dr.  E.  W.  B. 

John  Ruskin.  Ausgewählte  Werke  in  vollständiger  Übersetzung.  Bd.  XI -XV: 
Moderne  Maler.    Leipzig.    Eugen  Diederichs.     1902M.   8®. 

Die  mit  gerechtfertigtem  Beifall  aufgenommene  Ruskin-Publikation  des  verdienst- 
vollen Diederichs'schen  Verlags  schreitet  rüstig  voran.  Der  vor  kurzem  erschienene 
5.  Band  der  »Modern  Painters«  beschließt  die  erste  deutsche  Ausgabe  dieses  epoche- 
machenden Erstlingswerkes,  das  Ruskin  bekanntlich  zur  Rechtfertigung  Turners  schrieb, 
und  in  dem  er  uns  eine  Ästhetik  des  Impressionismus  gegeben  hat,  wie  sie  eingehender 
und  lebendiger  kaum  gedacht  werden  kann.  Man  glaubt  einen  brausenden  Lobgesang 
auf  die  ewige  Schönheit  und  Vollkommenheit  aller  Werke  Gottes  zu  hören ,  wenn  man 
dieses  Buch  liest,  das  mit  einer  grenzenlosen  Ehrfurcht  vor  allen,  selbst  den  geringfügigsten 
Schöpfungen  der  Natur  geschrieben  ist,  und  das  gerade  durch  die,  ich  möchte  sagen,  an- 
Mitteilongeo  ans  dem  germaiL  Nationalmuseain.    1904.  U 


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82 


LITERARISCHE  NOTIZEN. 


dächtige  Liebe,  die  fast  aus  jedem  "Worte  spricht,  uns  zu  einem  ästhetischen  Genuß  an 
der  Landschaft  und  ihren  einzelnen  Teilen  einladet,  wie  er  bloß  stillen,  heiteren  Menschen 
mit  offenem  Auge  und  warmen  Herzen  in  den  seltenen  Stunden  glücklicher  Ruhe  und 
andachtsvollen  Genießens  zu  teil  wird. 

Und  neben  dieser  Ehrfurcht  vor  dem  Kleinsten  ist  es  noch  etwas  anderes,  was 
unsere  Sympathie  und  unser  lebhaftes  Interesse  wachzuhalten  imstande  ist:  ich  meine 
die  überzeugende  Aufrichtigkeit  und  Ehrlichkeit,  die  wie  aus  allen  Worten  Ruskins  so 
ganz  besonders  aus  dessen  Ausführungen  über  die  modernen  Maler  herausklingt.  Man 
merkt,  daß  das  Werk  aus  einem  inneren  Zwang  heraus  geschrieben  ist,  daß  es  im  festen, 
unerschütterlichen  Glauben  an  die  künstlerischen  Offenbarungen  eines  Mannes  abgefaßt 
ist,  dem  von  vielen  Seiten  bitter  Unrecht  geschah.  »Ich  hörte«,  sagtRuskin  im  Vorwort 
»wie  Falsches  als  Wahrheit  verkündet  wurde  und  war  gezwungen,  es  zu  verneinen. 
Nichts  anderes  wäre  mir  möglich  gewesen.  Ich  wußte  nicht,  was  die  Folge  meines  Be- 
ginnens sein  werde  oder  ob  ich  überhaupt  dazu  berufen  war;  aber  ich  sah  die  Lüge 
prahlerisch  inmitten  meines  Weges  stehn,  und  es  gab  keinen  Pfad  um  sie  herum,  nur 
über  sie  hinweg.« 

Zwischen  dem  ersten  und  letzten  Worte  des  fönfbändigen  Werkes  liegt  eine  Zeit- 
spanne von  siebzehn  Jahren,  innerhalb  deren  das  seltsame  Buch  gewachsen  ist  wie  ein 
Baum,  dessen  frischgrüne  Zweige  vom  alternden  Stamme  gar  wesentlich  verschieden  sind. 
Was  Wunder,  wenn  sich  ein  steter  "Wechsel  in  Anschauung  und  Urteil  ergibt,  der  viel- 
leicht diesen  oder  jenen  Leser  abschrecken  wird ,  andererseits  jedoch  auch  wieder  als 
Beweis  dafür  gelten  kann,  daß  die  Überzeugung  jedesmal  wahr  und  echt  gewesen  ist, 
weil  sie  stets  mit  einer  solchen  Schärfe  und  Prägnanz  zum  Ausdrucke  kommt,  daß  sie 
eine  spätere  Einschränkung  oder  Modulierung  unmöglich  macht  und  lediglich  einen 
strikten  "Widerruf  als  Kennzeichen  des  fortgeschrittenen  Urteils  verträgt.  »Jede  wahre 
Überzeugung  ist  lebendig  und  zeigt  ihr  Leben  dadurch,  daß  sie  der  Nahrung  und  des 
Wachstums  fähig  ist,  und  somit  auch  des  "Wechsels.« 

Es  würde  zu  weit  führen,  wenn  man  beginnen  wollte,  das  Monumentalwerk  in 
seinen  einzelnen  Teilen  richtig  zu  charakterisieren  und  entsprechend  zu  würdigen.  Nur 
auf  eine  Stelle  im  letzten  Bande  soll  noch  besonders  verwiesen  werden,  wo  der  "Versuch 
gemacht  wird,  das  Wesen  großer  Künstler  aus  dem  Charakter  der  Landschaft,  der  sie 
entstammen,  zu  erklären.  Ruskin  kommt  da  (S.  313)  auch  auf  Dürer  und  dessen  Heimat 
zu  sprechen,  die  er  künstlerisch  folgendermaßen  bewertet:  »Der  Baustil  Nürnbergs  ist 
stark  überschätzt  worden.  Der  Reisende,  der  ein  paar  Tage  in  Nürnberg  weilt,  wird  von 
dem  altertümlichen  Aussehen  der  Straßen  entzückt  sein.  Diese  "Wirkung  wird  aber  haupt- 
sächlich durch  die  "Vorrats-  oder  Speicherfenster  hervorgerufen,  die  an  den  Dächern  an- 
gebracht sind.  Fast  jedes  Haus  hat  mindestens  ein  kühn  vorspringendes  Giebelfensten 
an  dessen  Dach  eine  Winde  zum  heraufziehen  von  Waren  befestigt  ist;  der  untere  Teil 
dieses  stark  überhängenden  Daches  ist  immer  reich  geschnitzt;  das  Muster  dieser  Arbeit 
ist  weniger  fein,  als  von  bedeutender  "Wirkung.  (Um  Raum  für  die  Waren  zu  gewinnen, 
fallen  die  Dächer  steil  ab ;  die  anderen  Giebelfenster  sind  reich  geschnitzt,  jedoch  durch- 
weg von  Holz.  Die  meisten  sind  vermutlich  erst  einige  hundert  Jahre  nach  Dürer  ent- 
standen. Auch  viele  der  Erker  und  Bogenfenster  an  den  Fassaden  sind  von  Holz  und 
stammen  aus  neuerer  Zeit.)  Zwischen  diesen  Bauwerken,  die  gewissermaßen  noch  modern 
zu  nennen  sind,  finden  wir  nicht  selten  solche,  die  an  den  Ecken  Türmchen  zeigen  und 
den  echten  gotischen  Stil  des  15.,  einige  auch  des  14.  Jahrhunderts  aufweisen.  Die  be- 
deutendsten Kirchen  Nürnbergs  sind  fast  dieselben  geblieben  wie  zu  Dürers  Zeit.  Der 
gotische  Stil,  in  dem  sie  gehalten  sind,  ist  weder  edel  noch  reich  (obwohl  die  Ver- 
zierungen an  den  Fassaden  so  gearbeitet  sind ,  daß  sie  in  der  Entfernung  wie  sorgfaltig 
gearbeitet  wirken).  Die  Größe  der  Kirchen  ist  gering,  ihr  Innenraum  ist  armselig,  mit 
roher  Arbeit  und  schlechtem  "Verhältnis  im  Flächenmaß.  Von  Interesse  sind  nur  die  fein 
ausgedachten  Steinhauarbeiten  in  den  Ecken,  und  das  zart  verschlungene  Eisenwerk; 
die  Maurerarbeiten  sind  aber  von  denkbar  schlechtestem  Geschmack  und  überdies  nicht 
einmal  fein  in  der  Ausführung.    Die  Muster  in  Eisenarbeit  und  anderem  Metall  verdienen 


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LITERARISCHE  NOl'IZEN. 


83 


zum  größten  Teil  hervorgehoben  zu  werden;  so  ist  der  Altar  von  Fischer*)  in  der  St. 
Sebalduskirche  bedeutend  und  braucht  den  Vergleich  mit  italienischer  Arbeit  keinesfalls 
zu  scheuen. 

Obwohl  sich  Nürnberg  gewiß  nicht  mit  irgend  einer  großen  Stadt  Italiens  oder 
Frankreichs  vergleichen  läßt,  so  hat  es  dennoch  etwas,  das  ihm  ganz  allein  zu  eigen  ist, 
nämlich  den  Zug  freiwillig  eingeschränkter,  zufriedener,  altmodischer  Häuslichkeit.  Es 
wäre  eitle  Hoffnung  gewesen,  irgendwelche  erstklassige  Malerei,  Bildhauerei  oder  Dicht- 
kunst von  dieser  wohlgeordneten  Gemeinschaft  kleiner  Gewerbetreibender  zu  erwarten. 
Aber  sie  waren  gemütvoll  und  vertrauenswürdig,  sie  hatten  eine  spielende  Einbildungs- 
kraft und  ehrlichen  Stolz.  Es  gibt  in  ihrer  Stadt  keine  übertriebene  Pracht  und  keine 
tiefe  Schönheit;  dagegen  finden  wir  dort  eine  phantasiereiche  Traulichkeit,  vermischt 
mit  einigen  Elementen  von  Schwermut,  von  Kraft  und  auch  von  Anmut.« 

Sicherlich  eine  in  den  meisten  Punkten  durchaus  zutreffende  Charakteristik ,  die 
sich  in  gleicher  Weise  frei  hält  von  ersterbender  Bewunderung  wie  kleinlich  nörgelnder 
Tadelsucht  und  ein  interessanter  Beleg  dafür  ist,  wie  Ruskin  selbst  dort,  wo  er  nur  vor- 
übergehend auf  Tage  verweilte ,  den  Organismus  der  Landschaft  sowie  den  Charakter 
ihrer  Menschen  und  deren  Kunst  mit  scharfem  Künstlerauge  in  sich  aufzunehmen  ver- 
stand. Alfred  Hagelstange. 


*)  Gemeint  ist  natürlich  das  Sebaldusgrab.  Ob  dies  Versehen  sowie  die  falsche  Schreibweise  des 
Namens  Vischer  auf  das  Conto  Ruskins  odor  seines  Übersetzers  geht,  kann  Referent  nicht  beurteilen,  da  ihm 
der  englische  Text  nicht  Torliegrt 

Die  Burgen  in  Niederliessen  und  dem  Werragebiet.  Mit  67  Zeichnungen.  Von 
Ernst  Happel,  Ingenieur.  Marburg  1903.  N.  G.  El  wert 'sehe  Verlagsbuchhand- 
lung. VIII  und  159  S.  8. 

Das  Büchlein,  welches  das  Interesse  zu  befriedigen  sucht,  welches  heute  den  Burgen 
in  höherem  Grade  wie  früher  entgegengebracht  wird,  hat  mehr  die  Bedeutung  eines 
Führers.  Als  ernstes  wissenschaftliches  Werk  kommt  es  weniger  in  Betracht.  Es  begnügt 
sich  mit  auf  eigener  Anschauung  beruhenden  Beschreibungen  der  Burgen ,  wie  sie  sich 
aus  den  Überbleibseln  erklären,  und  fügt  ihnen  einen  kurzen,  meist  dem  vierbändigen 
"Werk  von  G.  Landau  über  die  hessischen  Ritterburgen  und  ihre  Besitzer  (Cassel  1832. 
1833.  1836.  1839)  entnommenen  geschichtlichen  Abriß  an.  Als  Erläuterung  des  Gesagten 
dienen  einfache  Skizzen,  die  allerdings  das  Charakteristische  der  betreffenden  Objekte  in 
hervorragend  geschickter  Weise  zum  Ausdruck  bringen,  bescheidene  Grundpläne  und 
Ansichten  nach  Merian.  Das  Werkchen  erfüllt  seinen  Zweck  durchaus  und  erscheint  in 
seiner  Anlage  wohl  geeignet,  als  eine  Burgenkunde  für  die  betreffenden  Gebiete  gelten 
zu  können.  Sein  Hauptwert  liegt  in  der  autentischen  Schilderung  der  Befunde,  wobei 
stets  mit  wenigen  Worten  viel  gesagt  wird.  Um  seiner  Aufgabe  gerecht  zu  werden,  unter- 
nimmt der  Verfasser  drei  Wanderungen  durch  das  in  Betracht  kommende  Gebiet,  eine 
von  Fritzlar  nach  Norden,  zwei  weitere  von  Cassel  und  Münden  ausgehend.  Er  zieht, 
soweit  tunlich,  auch  die  benachbarten  nichthessischen  Burgen  und  Befestigungen  in  den 
Bereich  seiner  Betrachtungen,  so  daß  der  Titel,  da  ja  nicht  nur  Burgen,  sondern  auch 
Stadtbefestigungen  behandelt  werden,  ungenau  erscheint.  Auch  wäre  die  Beigabe  einer 
orientierenden  Karte  erwünscht  gewesen.  Die  Beschreibungen  beschränken  sich  auf  die 
Heraushebung  des  Wichtigsten.  Besonders  eingehende  Betrachtung  ist  der  Weide  1  bürg 
gewidmet,  welche  sich  als  die  größte  Ruine  Niederhessens  darstellt  und  einer  besseren 
Erhaltung  wohl  würdig  wäre.  Happel  schlägt  vor  allen  Dingen  eine  gründliche  Ab- 
deckung aller  Mauern  sowie  die  Beseitigung  der  kalkzersetzenden  Buschwerke  auf  den- 
selben vor.  Die  Gefahr,  daß  die  Zerstörung  der  Burgbauten  mit  großen  Schritten  weiter- 
schreiten wird,  ist  groß,  da  alle  Mauern,  abgesehen  von  dem  seiner  Aussichtsbauten  wegen 
oben  abgedeckten  Südbau,  Wind  und  Nässe  ausgesetzt  sind,  so  daß  ein  Stein  nach  dem 
anderen  sich  lockert  und  herabfällt.  Es  wird  dies,  wie  der  Verfasser  betont,  um  so  eher 
geschehen,  als  bei  der  angewendeten  Mauertechnik  ein  sehr  kalkarmer  Mörtel  verwendet 


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LITERARISCHE  NOTIZEN. 


wurde,  der  nicht  bindet,  sondern  nur  die  volle  Auflage  der  zyklopenartig  vermauerten 
Basaltsäulen  bewirkt.  Auch  ist  eine  gründliche  Ausräumung  von  Schutt  und  Geröll 
wünschenswert,  damit  auch  der  Laie  sich  ein  Bild  von  den  mittelalterlichen  Wehrbauten 
machen  kann.  Bei  der  Krukenburg  bei  Heimarshausen  verdient  der  viereckige  Wohn- 
turm im  nördlichen  Teil  der  Ringmauer,  das  sogenannte  Paderborncr  Haus,  nähere  Be- 
achtung. Eis  gehört  dem  Jahre  1338  an  und  ist  einer  der  interessantesten  Bauten  aller 
hessischen  Burgen,  an  dem  zu  sehen  ist,  wie  ein  Ganerbe  mit  Familie  in  seinem  geson- 
derten kleinen  Bau  vom  Keller  bis  zum  Dach  eine  abgeschiedene  Wirtschaft  führte. 
Leider  befindet  sich  das  Haus  hinsichtlich  seiner  Erhaltung  in  einem  höchst  bedenklichen 
Zustande.  Im  Mittelbau  sind  noch  die  Reste  einer  romanischen  Kreuzkirche  erhalten, 
welche  unabhängig  von  der  Burg  bereits  1126  vollendet  wurde,  während  diese  erst  100 
Jahre  später  entstanden  ist.  Wie  schonungslos  schon  in  früheren  Zeiten  mit  Burgen  um- 
gegangen wurde,  zeigt  die  auf  S.  64  gebrachte  Mitteilung,  wonach  schon  1590  die  Steine 
der  Burg  Schöneberg  zum  Baue  einer  Tiergarten-Mauer  nach  der  Sababurg  wan- 
derten. Nur  mit  Befriedigung  kann  wahrgenommen  werden ,  daß  die  Bürgerschaft  von 
Grebenstein,  dem  hessischen  Rotenburg  (o.  T.),  der  noch  vollständigen  Ringmauer 
und  ihren  Türmen  ein  großes  Interesse  entgegenbringt  und  auf  deren  pietätvolle  Erhaltung 
eifrigst  Bedacht  nimmt.  Es  wäre  dringend  zu  wünschen,  daß  der  Anregung  des  Verfassers, 
die  begonnene  Erneuerung  des  in  beständigem  Verfall  begriffenen,  aus  dem  vergänglichen 
Material  des  Muschelkalkes  erbauten  Bergfriedes  der  Burg  Schartenberg  fortzusetzen, 
statt  gegeben  würde.  Der  Befestigung  von  Cassel  wird  eine  weitgehende  Betrachtung 
gewidmet.  Die  Ortschaft  Zw  ehren  bei  Cassel  besitzt  einen  zu  Verteidigungszwecken 
eingerichteten  Kirchturm,  der  auf  S.  87  abgebildet  und  mit  Eckerkern  und  Pech- 
nasen bewehrt  ist.  Bei  der  Altenburg  wird  eine  bessere  Konservierung  der  Zinnen 
des  alten  Bergfrieds  und  der  Burgmauern  überhaupt  sehr  empfohlen.  Die  größte  der 
erhaltenen  hessischen  Burgen  ist  die  Burg  Spangenberg.  Sie  ist  jedoch  keine  ein- 
heitliche Anlage,  sondern  scheidet  sich  in  zwei  zeitlich  weit  von  einander  getrennte  Bau- 
perioden. Bemerkenswert  ist  die  Inneneinrichtung,  speziell  die  Treppenanlage  des  Berg- 
frieds des  Ludwigsteins,  welche  von  denen  anderer  Bergfriede  etwas  abweicht.  Der 
untere  Teil  birgt  ein  Verließ,  welches  gewölbt  und  durch  ein  viereckiges  Loch  zu  er- 
reichen ist.  Über  der  Wölbung  befindet  sich  die  Türe  des  Turmes,  die  vom  Boden  des 
anstoßenden  Hauses  erreichbar  ist.  Von  diesem  Raum  geht,  ein  Stück  an  der  Wand 
herumgeführt,  eine  gewundene  Steintreppe  nach  oben,  die  auf  einmal  frei  endend  im 
Innern  der  Mauer  weiter  geleitet  ist.  Sie  führt  zu  einem  Raum  über  eine  zweite  Wölbung, 
die  in  der  Mitte  auch  eine  viereckige  Öffnung  hat,  die  mit  einem  abhebbaren  Stein  ver- 
schlossen ist.  Nach  Einnahme  des  unteren  Raumes  konnten  die  Belagerten  die  sehr 
schmale  Treppe  in  der  Mauer  leicht  verrammeln  und  waren  einstweilen  über  dem  zweiten 
Gewölbe  in  Sicherheit.  Diese  Anordnung  hat  gegenüber  den  älteren  Türmen  den  Vorteil, 
daß  den  Belagerten  während  der  Blockierung  ein  größerer  Raum  zur  Verfügung  stand, 
bezw.  daß  mehr  Personen  Platz  finden  konnten.  Die  Geisterburg  beim  Dorfe  Weissen- 
bach,  die  nach  des  Verfassers  Vermutung  vielleicht  zu  den  vorgeschichtlichen  Wallburgen 
gehört,  bedarf  wohl  noch  einer  näheren  Untersuchung.  Nicht  uninteressant  ist  es  zu 
erfahren,  daß  die  Boyneburg  sich  ursprünglich  als  eine  Volksbefestigung  zu  erkennen 
gibt,  groß  und  sicher  genug,  um  die  Bevölkerung  der  Umgegend  mit  den  Viehherden  u.  s.w. 
in  Kriegszeiten  aufzunehmen.  Am  Schluß  des  Buches  werden  einige  Burgen  aufgezählt, 
welche  sehr  bedürftig  sind,  in  nächster  Zeit  durch  Erhaltungsarbeiten  vor  dem  weiteren 
starken  Verfall  geschützt  zu  werden. 

Es  wäre  lebhaft  zu  begrüßen,  wenn  der  Verfasser  bei  dem ,  was  er  in  seinem  in- 
teressant geschriebenen  Buche  gibt,  nicht  stehen  bliebe,  sondern  seine  Studien  vertiefen, 
weiter  ausdehnen  und  zu  einer  eigentlichen  Burgen-  und  Befestigungskunde  des  in  Be- 
tracht gezogenen  Gebietes  ausarbeiten  würde.  Dr.  Fritz  Traugott  Schulz. 


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EINE  FOLGE  VON  HOLZSCHNITT-PORTRÄTS  DER  VISCONTI 

VON  MAILAND. 

VON  ALFRED  HAGEI.STANGE. 


ovius  (Paolo  Giovio),  einer  der  bekanntesten 
italienischen  Schriftsteller  des  16.  Jahrhunderts, 
verdankt  seinen  Ruhm  weniger  der  wissen- 
schaftlichen Qualität  seiner  Werke,  als  dem 
nicht  geringen  Umfang  derselben.  Ein  fein 
gebildeter  Mann,  gelehrter  Kopf,  Theolog 
und  Mediziner  in  einer  Person,  hatte  er  doch 
so  wenig  Gefühl  für  die  Pflichten  eines  ernsten 
Historikers,  daß  er  sich  nicht  scheute,  seine 
subjektive  Empfindung  derart  in  den  Vorder- 
grund zu  stellen,  daß  von  einer  Geschichts- 
schreibung in  unserem  Sinne  bei  ihm  nicht 
die  Rede  sein  kann.  Es  mutet  uns  heutzu- 
tage geradezu  komisch  an,  wenn  wir  in  einem  seiner  Briefe  (Lettere  volgari, 
S.  12)  die  seltsamen  Worte  zu  lesen  bekommen:  *Ich  müßte  doch  ein  Narr 
sein,  wenn  ich  meine  Freunde  und  Gönner  dadurch,  daß  ich  sie  ein  Dritt- 
Teil  mehr  gelten  lasse  als  die  weniger  gut  gegen  mich  gesinnten,  nicht  zu 
meinen  Schuldnern  machen  wollte.  Ihr  wißt  wohl,  daß  ich  nach  diesem  hei- 
ligen Vorrechte  einige  in  reichen  Brokat,  andere  aber  in  schlechtes  Zeug  ge- 
kleidet habe,  je  nachdem  sie  es  um  mich  verdienten.  Wer  spielt,  der  wagt. 
Neckt  man  mich  mit  Pfeilen,  so  lasse  ich  grobes  Geschütz  auffahren.  Wer 
dann  den  Kürzeren  zieht,  mag  zusehen,  wie  ers  treibt.  Ich  weiß,  daß  sie 
sterben  müssen;  und  nach  dem  Tode,  dem  Ziele  alles  Streites,  sind  wir  frei.« 
So  sah  der  Historiker  aus;  der  Künstler  lovius  scheint  auf  einer 
nicht  viel  höheren  Stufe  gestanden  zu  haben.  Denn  so  bewundernswürdig 
uns  auch  die  Idee  seiner  mit  einem  Riesenaufwand  an  Zeit,  Eifer  und  Geld 
zusammengebrachten  Porträt-Galerie  erscheinen  mag,  so  muß  man  doch  be- 
rücksichtigen ,  daß  es  weniger  ein  rein  künstlerisches  Interesse,  als  vielmehr 
die  Vorliebe  für  biographische  Skizzen  war,  die  ihn  eine  solche  Sammlung 
anlegen  ließ.  Es  war  ihm  ein  Bedürfnis,  die  Heldengestalten,  deren  Lebens- 
verhältnisse und  Taten  er  erforschte,  auch  im  Bilde  zu  besitzen,  und  so  ließ 


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86  EINE  FOLGE  VON  BOLZSCHNITT-PORTRÄTS  DER  VISCONTI  VON  MAILAND. 


er  sich  denn  keine  Müh  verdrießen,  bis  er  eine  der  größten  Porträtsammlungen 
aller  Zeiten  in  seiner  Villa  am  Comersee  zusammengebracht  hatte. 

Der  Gedanke,  Bildnisse  von  historisch  bemerkenswerten  Persönlichkeiten 
zu  sammeln,  war  nicht  einmal  neu.  I^nge  vor  lovius  kannte  man  in  Italien, 
WO  der  Kultus  des  Ruhmes  stets  in  hohen  Ehren  gestanden,  derartige  Serien 
von  »viri  illustres«;  nur  waren  sie  nicht  von  annähernd  ähnlichem  Umfang 
und  auch  kaum  von  gleicher  Bedeutung  gewesen.  Daß  es  lovius  möglich 
war,  in  einem  Zeitraum  von  etwa  dreißig  Jahren  diese  merkwürdige  Porträt- 
Galerie  zusammenzustellen,  das  läßt  sich  nur  aus  der  Art  und  Weise  erklären, 
wie  er  seine  Erwerbungen  machte.  Eugene  Müntz  hat  uns  hierüber  Auf- 
schluß gegeben  in  seiner  Abhandlung  »Le  mus6e  de  portraits  de  Paul  love,« 
die  kürzlich  auch  in  autorisierter  Übersetzung  von  F.  J.  Kleemeier  in  der 
Zeitschrift  für  Bücherfreunde  (VIII,  120)  zu  lesen  war.  Hiernach  war  der 
Sammelmodus  des  lovius  vollauf  identisch  mit  einer  direkten  Brandschatzung 
seiner  Freunde,  seiner  Gönner  und  aller  derjenigen,  die  mehr  oder  weniger 
auf  ihren  Ruf  bedacht  waren  oder  mit  seiner  jetzt  schmeichelnden,  dann  wie- 
der anzüglichen  Feder  zu  rechnen  hatten.  Ungezählte  Bekanntschaften  gaben 
ihm  Mittel  und  Wege  genug  an  die  Hand,  Originalporträts  von  Fürsten,  Ge- 
lehrten und  Künstlern  zu  bekommen,  die  sich  schon  aus  Gründen  der  Selbst- 
sucht eine  Ehre  daraus  machten,  ihr  liebes  Ich  der  geplanten  Ruhmesgalerie 
einzuverleiben.  In  allen  Fällen  aber,  wo  keine  Originale  aufzutreiben  waren, 
half  er  sich  mit  Zusammenstellungen  aus  ikonographisch  mehr  oder  weniger 
beglaubigten  Dokumenten.  Er  benutzte,  wie  Müntz  angibt,  die  Siegesstand- 
bilder und  Grabdenkmäler  von  ganz  Italien,  die  Fresken  der  Kirchen,  Paläste 
und  Villen,  die  Miniaturen  der  Manuskripte,  die  Medaillen,  mit  einem  Worte 
alle  Materialien,  die  ihm  der  Ruf  bezeichnete  oder  die  ihn  sein  Spürsinn  ent- 
decken ließ.  Was  aber  dabei  herauskam,  wenn  dann  ein  vielleicht  auch 
noch  mittelmäßiger  Maler  mit  Hilfe  von  zwei  oder  drei  verschiedenen  Unter- 
lagen —  meinetwegen  einer  Medaille,  Skulptur  und  Miniatur  —  ein  Porträt  zu- 
sammenmalte, das  kann  man  sich  unschwer  vorstellen.  Ikonographische  Zu- 
verlässigkeit war  bei  solch  augenfälligen  Mängeln  der  Entstehungsweise  natür- 
lich nicht  zu  erreichen;  denn  wenn  die  zugrundegelegten  Dokumente  schon 
an  und  für  sich  nicht  autoritativ  waren,  wie  konnten  es  dann  erst  die  aus 
ihnen  zusammengestellten  Bilder  sein.  Die  Frage,  inwieweit  man  in  den 
Gemälden  des  Musaeum  lovianum  wahrheitsgetreue  Porträts  zu  sehen  hat, 
ist  übrigens  so  schwer  zu  lösen,  daß  es  uns  viel  zu  weit  vom  Wege  abführen 
würde,  wenn  wir  in  dieser  kurzen,  unter  einem  anderen  Gesichtswinkel  zu 
betrachtenden  Abhandlung  darauf  einzugehen  den  Versuch  machten. 

Es  sei  deshalb  nur  noch  in  Kürze  erwähnt,  daß  die  interessante  Samm- 
lung des  lovius  nach  folgenden  systematischen  Gesichtspunkten  geordnet  war: 
Die  erste  Abteilung  bildeten  die  Porträts  der  Gelehrten  und  Dichter;  die 
zweite  die  der  lebenden  Gelehrten  und  Literaten.  In  der  dritten  sah  man 
die  Bildnisse  der  Künstler,  während  die  vierte  die  der  Päpste,  Könige,  Feld- 
herrn etc.  barg.  Bei  der  im  17.  Jahrhundert  stattgehabten  Trennung  der 
Bilderbestände    teilten    die    beiden  Zweige   der  Familie   lovius  die  Sammlung 


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VON  ALFRED  HAGELSTANGE. 


87 


derart  untereinander,  daß  der  eine  die  Porträts  der  Staats-  und  Kriegsmänner 
und  der  andere  die  der  Künstler  und  Literaten  erhielt.  Noch  im  Jahre  1880 
befanden  sich  nach  Eugene  Müntz  Überreste  des  Museums  teils  im  Besitz 
der  älteren  durch  den  Marchese  Giorgio  Raimondi  Orchi  und  Pietro  Novelli 
vertretenen  Linie,  teils  in  dem  des  jüngeren  Zweiges,  dessen  Repräsentanten 
die  Giovio  sind. 

Eine  Reproduktion  des  gesamten  Bilderbestandes,  wie  er  zu  Lebzeiten 
des  lovius  in  der  Galerie  vertreten  war,  existiert  nicht.  Doch  scheint  eine 
solche  vom  Schöpfer  des  Museums  beabsichtigt  gewesen  zu  sein;  wenigstens 
läßt  sich  das  aus  einem  Briefe  schließen,  den  der  eifrige  Sammler  am  14. 
September  1548  an  den  ihm  in  gewissem  Grade  geistesverwandten  Viel- 
schreiber Anton  Francesco  Doni  richtete.  Es  heißt  darin  nämlich  u.  a.: 
»E  volesse  Dio,  che  di  questa  maniera  si  potessero  intagliare  tutte  le  imma- 
gini,  che  io  tengo  al  Museo,  almanco  quelle  degli  nomini  famosi  in  guerra.« 
(Und  wolle  Gott,  daß  ich  auf  diese  Weise  alle  die  Bilder  in  Holz  schneiden 
lassen  könnte,  die  ich  im  Museum  habe,  wenigstens  jene  der  berühmten  Kriegs- 
männer.) Ein  Teil  dieses  Wunsches  ging  in  der  Tat  noch  zu  lovius'  Leb- 
zeiten in  Erfüllung,  und  es  waren  wirklich  Porträts  von  »Kriegsmännern«,  die 
an  erster  Stelle  einer  bildlichen  Wiedergabe  gewürdigt  wurden.  Sie  erschienen 
als  Holzschnittillustrationen  zu  den  im  Jahre  1549  von  Robert  Estienne  in 
Paris  verlegten  »Vitae  duodecim  vicecomitum  Mediolani  principum«  des  lovius, 
und  sind  zweifellos  als  die  künstlerisch  bedeutendsten  Reproduktionen  anzu- 
sehen, die  jemals  nach  Bildern  dieser  Porträtgalerie  angefertigt  worden  sind. 
Schon  dieser  Umstand  allein  rechtfertigt  eine  Gesamt  -  Wiedergabe  dieser 
interessanten  Blätter,  von  denen  bisher  nur  zwei  in  Originalgröße  publiziert 
worden  sind.  (Hirth,  Kulturgeschichtliches  Bilderbuch  II,  Nr.  983  und  Bernard, 
Geoffroy  Tory  S.  176.) 

Die  Persönlichkeiten,  die  uns  hier  im  Bilde  vorgeführt  werden,  gehören  der 
bereits  im  11.  Jahrhundert  genannten  lombardischen  Adelsfamilie  der  Visconti 
an,  deren  Name  (Vicecomites)  darauf  hinzuweisen  scheint,  daß  sie  früher  mit 
kaiserlichen  Befugnissen  ausgestattete  Grafen  waren.  Seit  1395  Herzöge  von 
Mailand,  gelten  sie  als  Hauptvertreter  der  Gesetz  gewordenen  Tyrannis,  zu- 
gleich aber  auch  als  bahnbrechende  Kulturpioniere,  wie  es  diese  wafifenklirren- 
den  Condottieri  fast  alle  waren.  Ottone  Visconti  (Abb.  1),  der  die  Reihe 
der  Dargestellten  eröffnet,  war  schon  seit  1263  Erzbischof  von  Mailand,  ge- 
langte jedoch  erst  im  Jahre  1277  in  Besitz  der  Herrschaft,  nachdem  er  mit 
Hilfe  der  Ghibellinen  die  della  Torre,  die  sich  seit  Auflösung  des  lombardi- 
schen Städtebundes  als  Herren  der  Stadt  aufspielten,  überwunden  hatte.  Er 
war  ein  Mann,  der  die  Segnungen  des  Schwertes  ebenso  zu  schätzen  wußte, 
wie  die  des  Kreuzes;  weshalb  ihn  der  Künstler  auch  in  sehr  charakteristischer 
Weise  als  kriegerischen  Kleriker  darstellte.  Sein  Neffe  Matteo  Visconti 
(Abb.  2)  der  nach  dem  1295  erfolgten  Tode  seines  Onkels  die  Herrschaft 
von  Mailand  antrat,  konnte  sich  gegen  die  della  Torre,  die  geschworenen 
Feinde  der  Familie,  nicht  sehr  lange  halten.  1302  jagten  sie  ihn  von  dannen, 
und  er  wäre  wohl   nie   wieder  auf  den  Herrschersessel  zurückgekehrt,    wenn 


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88  EINE  FOLGE  VON  HOLZSCHNnT-PORTRÄTS  DER  VISCONTI  VON  MAILAND. 


er  ihn,  ganz  auf  sich  selbst  gestellt,  mit  dem  Schwert  in  der  Hand  hätte  zu- 
rückerobern sollen.  So  aber  mußte  ihm  seine  Schlauheit  geben,  was  die 
Kraft  ihm  versagte:  Er  benutzte  den  günstigen  Augenblick,  wo  Kaiser  Hein- 
rich VII.  auf  seinem  Krönungszuge  nach  Rom  in  Mailand  weilte,  rief  einen 
Aufstand  wach   und    nahm,    von    der  Hand  des  Kaisers  geleitet,   wieder  auf 


Abb.  L 

dem  Throne  Platz,  den  Guido  della  Torre  ihm  entrissen  hatte.  Sein  Sohn 
Galeazzo  (Abb.  3),  der  auf  unserem  Holzschnitt  in  sieghafter  Triumphatorpose 
erscheint,  hatte  alles  andere,  nur  kein  Glück  im  Kriege.  Er  hatte  kaum  ein 
paar  Jahre  die  Regierung  innegehabt,  als  er  1327  durch  Ludwig  den  Bayern 
gefangen  gesetzt  wurde.  Zwar  erhielt  er  schon  im  folgenden  Jahre  auf  Für- 
bitte der  Ghibellinenhäupter  seine  Freiheit  wieder;  doch  er  mag  derselben 
nicht  einmal  froh  geworden  sein,  denn  kurz  darauf  nahm  ihn  der  Tod  ge- 
fangen,  aus   dessen  Armen   ihn  keines  Mächtigen  Fürsprache  mehr  befreite. 


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VON  ALFRED  HAGELSTANGE. 


89 


Azzo  Visconti  (Abb.  4),  dem  Sohne  und  Nachfolger  des  vorhergehenden, 
war  zwar  auch  keine  sehr  lange'  Regierungszeit  beschieden ,  doch  war  er 
glücklicher  in  seinen  Unternehmungen,  und  als  er  im  frühen  Alter  von  37 
Jahren  verschied,  da  hatte  sich  Mailands  Herrschaft  derart  ausgedehnt,  daß 
fast  die  ganze  Lombardei  in  den  Visconti   ihre  Herren  sah.     Doch  mehr  als 


Abb.  2. 

das:  die  Herren  wurden  hie  und  da  direkt  zu  Peinigern,  wie  Azzos  Nach- 
folger Lucchino.  Als  Tyrann  in  des  Wortes  übelster  Bedeutung  steht  er 
vor  unserm  geistigen  Auge;  und  auch  auf  dem  Bilde  unserer  Porträtfolge 
(Abb.  5)  verraten  die  unter  dem  reichgeschmückten  Prunkhelm  sichtbar  wer- 
denden Züge  mit  den  grausamen  Lippen  und  dem  listig  lauernden  Auge  den 
Charakter  eines  Ich-Menschen  in  der  höchst  potenzierten  Form.  Er  wäre  als 
Sohn  des  Matteo  Visconti  wohl  nie  auf  den  Thron  gekommen,  wenn  Azzo  nicht 
kinderlos  gestorben  wäre.  So  aber  hatte  ihm  der  Zufall  die  Zügel  der  Regie- 
llittoUiiiig<en  am  dem  gronnan.  Natioluümuseiiin.    1904.  12 


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90  EINB  FOLGE  VON  HOLZSCHNITTPORTRÄTS  DER  VISCONTI  VON  MAILAND. 


rung  in  die  Hand  gespielt,  und  er  verstand  es,  sie  aufs  straffste  anzuziehn. 
Daß  er  bei  seinen  Charaktereigenschaften  'große  äußere  Erfolge  erzielte,  ist 
begreiflich;  ebenso  verständlich  aber  auch,  daß  er  von  der  Hand  des  Mörders 
getroffen  sein  Leben  aushauchte.     Es  war  am  24.  Januar  1349. 

Sein  Bruder,  der  Erzbischof  Giovanni  (Abb.  6),  der  nunmehr  die  Regie- 


Abb.  3. 

rung  antrat,  war  ein  Geistesaristokrat  im  edelsten  Sinne.  Ein  eifriger  För- 
derer der  Wissenschaften,  ein  begeisterter  Bewunderer  Dantes,  konnte  er 
sich  rühmen,  einen  Petrarka  an  sich  gefesselt  zu  haben,  der  Königen  und 
Fürsten  abschlägigen  Bescheid  zu  erteilen  gewohnt  war,  wenn  sie  mit  der 
Bitte  in  ihn  drangen,  seinen  Aufenthalt  an  ihren  Höfen  zu  nehmen.  Die 
Hochschätzung,  die  umgekehrt  Petrarka  dem  Erzbischof  entgegenbrachte,  war 
nicht  weniger  ehrlich  und  aufrichtig,  da  der  Dichter  die  staatsmännischen 
Fähigkeiten  Giovannis  so  hoch  in  Anschlag  brachte,   daß  er  keinen  Anstand 


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VON  ALFRED  HAGELSTANGE.  91 


nahm,  diesen  als  den  »größten  der  Italiener«  hinzustellen.  Als  der  hochbegabte 
Herrscher  im  Jahre  1354  starb,  teilten  sich  seine  drei  Neffen  Galeazzo  II.  (Abb.  7), 
Barnabo  (Abb.  8)  und  Matteo  II.  in  die  Regentschaft;  doch  partizipierte  der  letzte 
infolge  seines  frühzeitig  erfolgten  Todes  nur  noch  ein  Jahr  an  der  Herrschaft, 
die  dann  von  den  beiden  erstgenannten  Brüdern  unter  recht  schwierigen  Ver- 


Abb.  4. 

hältnissen  weiter  geführt  wurde.  Zu  den  inneren  Feinden,  die  infolge  des 
Steuerdrucks  und  der  drakonischen  Strenge  der  Regierung  stetig  Aufstände  er- 
regten, kamen  nämlich  auch  noch  äußere  hinzu,  indem  sich  die  Nachbarn  zu  einer 
auf  Furcht,  Neid  und  Mißgunst  gegründeten  großen  Liga  zusammentaten,  gegen 
die  das  Brüderpaar  seinen  Besitz  —  allerdings  mit  großen  Mühen  —  wenigstens 
insoweit  behaupten  konnte,  als  nur  Bologna  und  Genua  verloren  gingen. 

Gleichwohl  wurde  Barnabo,  der  seinen  Bruder  überlebte,  schließlich  doch 
vom  Geschick  ereilt.    Er  hatte  sich  durch  sinnlose  Verschwendung  und  außer- 


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EINE  FOLGE  VON  HOLZSCflNITT.PORTRiTS  DER  VISCONTI  VON  MAILAND. 


ordentliche  Grausamkeit  derart  verhaßt  gemacht,  daß  die  Mailänder  seinen 
Neffen,  den  Sohn  Galeazzo's  aufs  dringendste  zur  Übernahme  der  Regierung 
aufforderten.  Dieser  war  mit  dem  Gang  der  Ereignisse  zweifellos  zufrieden, 
zumal  er  sich  dadurch  in  die  angenehme  Lage  versetzt  sah,  die  Erfüllung 
seiner  geheimsten  Herzenswünsche   als   eine  Gewährung   fremder  Bitten   hin- 


Abb.  5. 


zustellen.  Kurz  entschlossen  ließ  er  seinen  Onkel  sowie  dessen  Söhne  in 
den  Kerker  werfen  und  bestieg  den  Thron.  Gian  Galeazzo  ist  zweifellos  die 
bedeutendste  Erscheinung  unter  Mailands  Herrschern  aus  dem  Hause  Visconti. 
Man  braucht  nur  sein  Porträt  (Abb.  9)  zu  betrachten,  um  zu  wissen,  wieviel 
zähe  Energie,  kurze  Entschlossenheit  und  trotzige  Unbeugsamkeit  in  dem 
Manne  steckte,  dessen  hochfliegende  politische  Pläne  bis  zur  Königskrone 
schweiften.  Und  er  wäre  einer  solchen  wohl  würdig  gewesen,  denn  könig- 
liche Größe  spricht  aus  all  seinen  Unternehmungen,  mögen  sie  nun  politischer 


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TON  ALFRED  HAGELSTANGE. 


93 


oder  mehr  kultureller  Natur  sein.  Da  sind  es  in  erster  Reihe  drei  der  ge- 
waltigsten Schöpfungen  des  Trecento,  mit  denen  sein  Name  aufs  engste  ver- 
knüpft ist:  die  drei  Zentralstätten  lombardischer  Kunst,  der  Mailänder  Dom, 
die  Certosa  und  das  Castell  zu  Pavia;  in  der  Tat  königliche  Schöpfungen, 
an   deren  Ausgestaltung   er   nicht   nur   mit   seinem  Geldbeutel,    sondern   vor 


Abb.  6. 

allem  mit  seinem  Geist  und  seinem  Herzen  beteiligt  war.  Allerdings  darf  ja 
wohl  nicht  übersehen  werden,  daß  wenigstens  bei  der  Förderung  der  beiden 
letztgenannten  Bauten  politische  Erwägungen  stark  in  die  Wagschale  gefallen 
sind,  denn  die  Gefahr  eines  Wettstreites  zwischen  Mailand  und  Pavia,  den 
beiden  Hauptstützen  der  Visconti'schen  Dynastie,  war  zu  naheliegend,  als  daß 
der  kluge  Herrscher  nicht  darauf  bedacht  gewesen  wäre,  sich  das  erst  kürz- 
lich gewonnene  und  zur  Residenz  erhobene  Pavia  durch  Aufmerksamkeiten 
größten  Stiles  zu  verpflichten.    Es  war  für  ihn  überhaupt  eine  schwere  Auf- 


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94  EINE  FOLGE  VON  HOLZSCHNITT  PORTRÄTS  DER  VICONTI  VON  MAILAND. 


gäbe,  all  die  unterworfenen  Städte  wie  Pisa,  Siena,  Perugia,  Padua  und  Bo- 
logna im  Schach  zu  halten.  Gleichwohl  gelang  es  seiner  eisernen,  jeden  Wider- 
stand abweisenden  Natur  in  vollem  Maße.  Daß  sein  durch  nichts  zu  stillen- 
der Ehrgeiz  ihn  den  Herzogtitel  erwerben  ließ,  ist  nicht  zu  verwundern;  und 
es  dürfte  wohl  auch  zweifellos  sein,  daß  er  sich  zum  Könige  von  Italien  auf- 


Abb.  7. 

geworfen  hätte,  wenn  er  nicht  am  3.  September  1402  gänzlich  unerwartet 
gestorben  wäre.  Es  war  zu  Malegnano,  wo  ihn  die  Pest  dahinraffte,  während 
er  im  Zenith  seines  Ruhmes  stand. 

Mit  seinem  Leben  zerflatterte  auch  die  Machtstellung  der  Dynastie  in 
Dunst  und  Nebel,  und  schon  wenige  Jahre  nachdem  er  die  Augen  geschlossen 
hatte,  existierte  der  Ruhm  seines  Hauses  nur  noch  als  Traumgebilde  einer 
glänzenden  Vergangenheit.  Die  Söhne  des  Verstorbenen,  Gian  Maria,  Gabriele 
Maria  und  Filippo  Maria  hatten   nur  des  Vaters  schlechte  Eigenschaften  ge- 


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VON  ALFRED  HAGKLSTANGE. 


95 


erbt.  Der  erste ,  ein  furchtbarer  Wüterich ,  fiel  dem  Dolch  der  Ver- 
schworenen zum  Opfer,  während  der  zweite  seine  Grausamkeit  auf  dem 
Schaffbt  büßen  mußte.  In  Filippo  Maria  (Abb.  10)  endete  das  stolze  Ge- 
schlecht der  Visconti  in  tatenloser  Ohnmacht  und  kleinlicher  Selbstsucht. 
Männliche  Erben   hatte  er  nicht,   und   so   fiel   infolge  der  Vermählung  seiner 


Abb.  8. 

Tochter  Bianca  Maria  mit  Francesco  Sforza,  seinem  ehemaligen  Feldhaupt- 
mann, die  gegen  früher  allerdings  sehr  dezimierte  Herrschaft  von  Mailand  an 
die  Familie  Sforza. 

Diese  notwendigsten  Daten  über  die  in  unseren  Holzschnitten  darge- 
stellten Persönlichkeiten  müssen  uns  genügen,  da  eine  weitere  Verfolgung 
der  an  diese  Porträts  sich  anschließenden  historischen  Erörterungen  über  den 
Rahmen  dieser  Abhandlung  hinausgehen  würde.  Fragen  wir  nun  nach  dem 
Urheber   unserer  Bildnisse ,    so   nennt   uns  das  auf  jedem  der  Blätter  befind- 


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96  EINE  FOLGE  VON  HOLZSCHNITT-PORTRÄTS  DBB  VISCONTI  VON  MAILAND. 

liehe  Künstlermonogramm  den  Reformator  der  französischen  Druckerkunst 
Geoffroy  Tory,  in  dem  sich  Maler,  Zeichner,  Graveur,  Drucker  und  Verleger 
in  einer  Person  vereinigten.  (Nagler,  Monogr.  II,  Nr.  2617;  III,  Nr.  341.)  Wir 
sind  über  die  Lebensverhältnisse  und  Arbeiten  dieses  vielseitigen  Mannes 
ziemlich   genau   unterrichtet   durch  die  schon  oben  erwähnte,    1857  zu  Paris 


Abb.  9. 


erschienene  Monographie  von  Auguste  Bernard,  in  der  auf  S.  175  auch  unsere 
Holzschnitte  —  allerdings  nur  in  aller  Kürze  —  Erwähnung  finden.  Es  geht 
daraus  hervor,  daß  sie  nach  Illustrationen  der  auf  der  Pariser  Nationalbiblio- 
thek unter  Signatur  ms.  lat.  Nr.  5887  aufbewahrten  Originalhandschrift  ge- 
fertigt sind.  Dieses  handschriftliche  Exemplar  der  »Vitae  duodecim  vice- 
comitum  Mediolani  principum«  hatte  lovius  dem  Dauphin  Heinrich  von 
Frankreich  gewidmet,  der  seinerseits  wiederum  die  Handschrift  jedenfalls 
dem  Robert  Estienne  zur  Herausgabe  überlassen  hat.     Die  Illustrationen  des 


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VON  ALFRED  HAGELSTANGE. 


97 


Manuskriptes  wird  der  Verfasser  zweifellos  nach  den  Porträts  des  Musaeum 
lovianum  von  einem  italienischen  Künstler  haben  anfertigen  lassen,  sodaß  wir 
in  unseren  Holzschnitten  nur  Reproduktionen  von  Kopien  nach  Bildern  dieser 
Galerie  zu  sehen  haben.  Was  demnach  über  die  den  Porträts  zugrunde  liegen- 
den Dokumente   zu    sagen   wäre,   gilt  in  gleicher  Weise  für  die  Holzschnitte 


Abb.  10. 

und  Illustrationen  des  Manuskriptes,  wie  für  die  zum  Bestände  der  lovius- 
schen  Galerie  gehörigen  Vorbilder  dieser  Reproduktionen.  Die  Urbilder, 
—  wenn  man  so  sagen  will,  —  die  sich  in  unserem  Falle  sogar  einer  relativen 
Glaubwürdigkeit  zu  erfreuen  haben,  sind  folgende: 

1)  Ottone  Visconti,  Gemälde  im  Schlosse  von  Anghiari. 

2)  Matteo  Visconti,  Skulptur  in  der  Basilika  von  Monza. 

3)  Galeazzo  I,  Visconti,  Skulptur  am  Grabmal  Azzo  Visconti's. 

4)  Azzo  Visconti,  Gemälde  in  San  Gottardo,  vor  Mailand. 

MitteiluDgen  aas  dem  greniuui.  Nationalmoseum.    1904.  13 


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98  EINE  FOLGE  VON  HOLZSCHNITT-POBTRÄTS  DER  VISCONTI  VON  MAILAND. 


5)  Lucchino  Visconti,  Skulptur  am  Grabmal  Azzo  Visconti's. 

6)  Giovanni  Visconti,  Gemälde  im  Mailänder  erzbischöfl.  Palais. 

7)  Galeazzo  II.  Visconti,  Gemälde  im  Kastell  von  Pavia. 
8J  Bamabo  Visconti,  Gemälde  in  St.  Giuliano  in  Como. 

9)  Gian  Galeazzo  Visconti,  Borgognone's  Fresko  in  der  Certosa  von 

Pavia. 
10)  Filippo  Maria  Visconti,  Pisanello's  Medaille. 

Diese  dokumentarischen  Grundlagen  unserer  Bildnisse  sind  natürlich 
bezüglich  der  Porträt-Wahrheit  umso  skeptischer  zu  betrachten,  je  älter  sie 
sind.  Im  früheren  Mittelalter  hat  man,  da  die  größte  Anzahl  der  Denkmäler 
erst  lange  dem  Tode  der  darzustellenden  Persönlichkeiten  gefertigt  ist,  wohl 
fast  nie  mehr  eine  Ahnung  vom  wirklichen  Aussehen  derselben  gehabt,  als 
man  die  Wiedergabe  ihres  Porträts  in  Angriff  nahm.  Das  gilt  beispielsweise 
von  den  Stifterbildnissen  in  Naumburg  ebenso  wie  von  denjenigen  Königs- 
gräben in  St.  Denis,  die  Ludwig  der  Heilige  seinen  Vorgängern  setzen  ließ. 
Als  eines  der  ersten  nach  dem  Leben  gemalten  Porträts  nimmt  man  nach 
dem  Vorgange  Vasaris  in  der  Regel  das  Bildnis  des  hl.  Franz  von  Assisi  an, 
das  sich  auf  einer  heute  in  S.  Croce  aufbewahrten  Altartafel  des  Cimabue 
vorfindet.  Wenn  man  hiernach  für  das  Aufkommen  des  naturwahren  per- 
sönlichen Abbildens  etwa  die  Zeit  kurz  vor  1300  als  terminus  a  quo  ansetzen 
würde,  so  hätte  man  schon  einen  annähernd  richtigen  Maßstab  dafür,  welche 
von  unseren  Bildnissen  bezüglich  der  Porträt- Wahrheit  vor  den  andern  den 
Vorzug  verdienen. 

So  verschieden  an  Wert  nach  dieser  Seite  hin  unsere  Holzschnitte  aber 
auch  sein  mögen,  so  gleichbedeutend  sind  sie  hinsichtlich  ihrer  rein  künst- 
lerischen und  technischen  Vorzüge,  die  sich  vielleicht  am  besten  würdigen 
lassen,  wenn  man  eine  andere  Holzschnittfolge  zum  Vergleich  heranzieht. 
Es  sind  dies  ebenfalls  nach  den  Bildern  des  Musaeum  Jovianum  gezeichnete 
Visconti-Porträts,  Illustrationen  der  von  Peter  Pema  in  Basel  besorgten  Aus- 
gabe der  »Elogia*  virorum  bellica  virtute  illustrium«  des  Jovius  (1575),  sowie 
der  drei  Jahre  später  vom  gleichen  Verleger  herausgegebenen  »Vitae  illustrium 
virorum«  desselben.  Nagler  schreibt  in  seinem  Künstlerlexikon  (XVII,  368) 
diese  Holzschnitte  dem  Tobias  Stimmer  zu.  Wir  möchten  nicht  so  grausam 
sein,  denn  so  wenig  uns  an  einer  Überschätzung  dieses  Künstlers  gelegen 
sein  kann,  ebensowenig  dürfen  wir  ihm  aber  auch  Arbeiten  in  die  Schuhe 
schieben,  die  weit  unter  dem  Durchschnittsmaße  seines  zeichnerischen  Könnens 
stehen.  Wenn  der  Name  Stimmers  überhaupt  mit  diesen  minderwertigen 
Arbeiten  in  Verbindung  gebracht  werden  darf,  so  wäre  nur  die  eine  Möglich- 
keit anzunehmen,  daß  der  Holzschneider  die  Vorlagen  bis  zur  Unkenntlich- 
keit »ver«arbeitet  hat.  Daß  diese  Holzschnitte  den  Gemälden  der  Jovius'schen 
Galerie  näher  stehen  sollen,  ist  nicht  anzunehmen,  denn  dann  müßten  ja  die 
Tory'schen  Arbeiten,  die  diese  sogenannten  Stimmer'schen  an  künstlerischem 
Gehalt  um  ein  bedeutendes  überragen,  auch  besser  wie  die  gemalten  Originale 
sein.  Und'  das  ist  doch  schon  mit  Rücksicht  auf  ihren  immerhin  reprodu- 
zierenden .Charakter  von  der  Hand  zu  weisen. 


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VON  ALFRED  HAGKLSl'ANGE. 


99 


»Traduttore-traditore«  kann  man  im  Hinblick  auf  die  Illustrationen  des 
Baseler  Werkes  sagen,  denn  sie  sind  wirklich  recht  unbedeutend.  Alles  vor- 
nehme, distinguierte,  das,  wie  sich  aus  den  französischen  Holzschnitten  schließen 
läßt,  eines  der  Hauptcharakteristika  der  italienischen  Originale  gewesen  sein 
muß,  ist  auf  dem  Wege  über  die  Alpen  verloren  gegangen.  Unaufdringliche 
Noblesse  und  selbstverständliche  Würde  sucht  man  hier  vergebens.  Es  sind 
nicht  mehr  Porträts  von  Kulturmenschen  erster  Gattung,  sondern  nur  Bild- 
nisse von  unbedeutenden,  nüchternen  Spießbürgern,  deren  Biederkeit  keinen 
Ersatz  für  ihre  Fadheit  bietet.  Das  pompöse  Gewand  aber,  das  sie  umhüllt, 
ist  nur  dazu  angetan,  diese  Menschen  noch  minimaler  erscheinen  zu  lassen: 
kleinstädtische  Krämer,  die  sich  zu  Fastnacht  mit  buntschillerndem  Königs- 
flitter behängt  haben. 

Eine  Stufe  höher  stehen  die  Illustrationen  der  von  Lodovico  Domenichi 
besorgten  italienischen  Übersetzung  von  Jovius'  Leben  der  Visconti.  Die 
Kupferstiche  der  uns  vorliegenden  in  Mailand  gedruckten  Ausgabe  von  1645 
sind,  wie  sich  aus  dem  Titelbild  schließen  läßt,  von  dem  lothringischen  Stecher 
Christoph  Blanc  nach  Zeichnungen  des  Porträtisten  Giorgio  Cerani  gefertigt. 
Die  Bildnisse  wirken  hier  in  einer  schwulstigen  Umrahmung,  die  sich  aus 
einem  Dekor  von  Drachen,  Kronen,  Szeptern  und  Schwertern  zusammensetzt, 
lange  nicht  so  fein  wie  die  unserer  Holzschnittfolge.  Sie  haben  etwas  ge- 
drücktes, eingeengtes,  sind  schlecht  in  den  Raum  gestellt  und  zeugen  unge- 
achtet ihrer  technischen  Vorzüge  von  einer  gewissen  Unfreiheit  in  der  Auf- 
fassung, die  beim  Vergleich  mit  unseren  Blättern  besonders  augenfällig  zu 
Tage  tritt.  Diese  haben  vor  jenen  namentlich  eine  vornehme  Schlichtheit 
voraus,  die  hier  nicht  so  sehr  als  ein  Produkt  der  geschickten  Herausarbeitung 
der  einzelnen  Porträtköpfe,  sondern  vielmehr  als  Begleiterscheinung  einer 
äußerst  glücklichen  Komposition  innerhalb  der  gegebenen  Umrahmung  erscheint. 

Man  betrachte  unter  diesem  Gesichtswinkel  z.  B.  die  in  Abb.  1  und  3 
wiedergegebenen  Bildnisse  des  Ottone  und  Galeazzo  I.,  auf  denen  die  Richtungs- 
linien der  Armstellung  gleichverlaufend  mit  der  Bildeinfassung  erscheinen; 
auf  Abb.  1  dann  noch  den  ausgesprochenen  Parallelismus  zwischen  dem  erz- 
bischöflichen Hirtenstabe,  dem  Schwerte  und  den  Umfassungslinien  des  Por- 
träts. Ferner  ist  zu  beachten,  wie  geschickt  der  Künstlers  die  Körpergröße 
seiner  Figuren  dadurch  zu  heben  weiß,  daß  er  den  Kopf  in  den  meisten 
Fällen  bis  hart  an  den  oberen  Bildrand  heranreichen  läßt,  und  daß  er  selbst 
da,  wo  er  mit  Rücksicht  auf  den  hohen  Kopfputz  seiner  Helden  —  wie  in 
Abb.  5  und  7  —  davon  Abstand  nehmen  muß,  niemals  die  Figur  soweit  nach 
unten  rückt,  daß  das  Kinn  nicht  immer  noch  oberhalb  der  Bildmitte  zu 
stehen  käme.  Die  vertikale  Mittellinie  der  zumeist  seitlich  gestellten  Körper 
liegt,  wenn  man  von  dem  Bildrande  ausgeht,  nach  dem  die  Dargestellten  hin- 
schauen, in  der  Regel  hinter  der  Mittellinie  des  ganzen  Bildes;  eine  Kom- 
positionsfeinheit, die  insofern  von  größter  Wichtigkeit  ist,  als  sie  den  Figuren 
einen  freien  Ausblick  gibt,  der  ihre  Lebendigkeit  und  sichere,  selbstbewußte 
Größe  nur  erhöht.  Infolge  der  geradezu  selbstverständlichen  Hoheit,  wie  sie 
aus   den   Figuren   spricht,   wirkt   auch    das  reichgeschmückte  Festgewand,  in 


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100  EINE  FOLGE  VON  HOLZSCHNnTPORTRÄTS.    VON  ALFRED  HAQELSTANGE. 


dem  einige  von  ihnen  auftreten,  nicht  wie  ein  erborgter  Maskenanzug,  sondern 
als  organisches  Beiwerk,  das  zur  Hebung  des  Gesamteindruckes  nicht  wenig 
beiträgt.  Die  monumentale  Geschlossenheit  endlich  hat  der  Künstler  dadurch 
zu  erreichen  gewußt,  daß  er  eine  möglichst  einfache  Silhouette  wählt  und 
den  Hintergrund  weiß  läßt.  Auf  diese  Weise  lösen  sich  die  auf  die  Fläche 
projezierten  Körper  leicht  von  jenem  los  und  beginnen,  sich  für  das  Auge 
zu  runden;  ein  Vorzug,  der  bei  der  graphischen  Kunst  um  so  höher  in  An- 
schlag zu  bringen  ist,  weil  diese  mit  weit  unzureichenderen  Mitteln  arbeiten 
muß,  als  sie  ihrer  farbenprangenden  Schwester,  der  Malerei,  zur  Verfügung 
stehen.  Rechnet  man  zu  den  vielerlei  Qualitäten  dann  auch  noch  das  feine, 
über  die  Körper  hinrieselnde  Licht  hinzu,  so  treten  einige  geringfügige 
Schwächen,  wie  die  kleinen  Härten  in  der  Modellierung  der  Gesichter  in  den 
Abb.  2,  6  und  10  als  nicht  ausschlaggebend  in  den  Hintergrund. 

Bei  einem  Vergleich  unserer  Holzschnitt-Porträts  mit  gleichzeitigen 
deutschen  Arbeiten  dieser  Art,  ziehen  die  letzteren  durchweg  den  kürzeren, 
sodaß  selbst  die  relativ  besten  für  den  Holzschnitt  gezeichneten  Bildnisse 
jener  Zeit,  wie  Brosamers  Hans  Sachs- Porträt  von  1545  und  sein  Landgraf 
Philipp  von  Hessen,  sowie  einige  Cranach'sche  Arbeiten  der  letzten  Zeit 
nicht  annähernd  den  gleichen  Grad  künstlerischer  Auffassung  und  Durch- 
führung bekunden.  Weitaus  die  Masse  dieser  deutschen  Porträtschnitte  um 
die  Mitte  des  16.  Jahrh.  ist  Handwerkerarbeit  ohne  jeglichen  künstlerischen 
Wert;  im  besten  Falle  leidlich  geschickt.  Daß  das  Niveau  des  französischen 
Holzschnitts  um  jene  Zeit  ein  höheres  gewesen  sei,  soll  jedoch  nicht  behauptet 
werden;  denn  sonst  müßte  man  einen  stetig  aufsteigenden  Entwicklungsgang 
der  einzelnen  Kunstgattungen  annehmen.  In  der  Kunst  ist  aber,  wie  Licht- 
warck  einmal  treffend  bemerkt,  die  Entwicklung  nicht  Flut,  sondern  Spring- 
quell, der  einsam  oder  als  Gruppe  in  scharfem  Strahl  emporsteigt. 


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DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR.  HANS  STEGMANN. 
VlI. 

Die  Truhen  der  Abteilung  für  bäuerliche  Altertümer  sind  zahlreicher 
noch  als  diejenigen  der  eigentlichen  Möbelsammlung.  Die  Trennung  ist 
hier  keine  ganz  systematische,  denn  wie  immer  wieder  bei  den  bäuerlichen 
Altertümern  muß  auch  bei  den  Truhen  ein  wichtiger  Umstand  berücksichtigt 
werden.  An  den  Truhen  hielt  die  bäuerliche  Bevölkerung  aller  deutschen 
Stämme  mit  großer  Zähigkeit  bis   ins  19.  Jahrhundert  fest,    im  Gegensatz  zu 


Fig.  74.    Ostfriesißche  (oldenburgische)  Truhe;  1".  Jahrh. 

den  bürgerlichen  Kreisen,  wenigstens  der  größeren  Städte,  die  von  der  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  der  Truhe  zu  Gunsten  des  Schrankes  gänzlich  ihre  Gunst 
entzogen.  Zwar  sind  die  bäuerlichen  Kreise  bis  ins  18.  Jahrhundert  mit 
wenigen  Ausnahmen  nicht  so  sehr  neuschöpferisch  in  der  Möbelkunst  auf- 
getreten,  denn  als  treue  Bewahrer   der  von  der  großstädtischen  Bevölkerung 


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102  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


und  den  herrschaftlichen  Kreisen  als  unmodern  aufgegebenen  Möbel,  die 
sie  entweder  im  Original  oder  vergröberten  Nachbildungen  uns  überliefert 
haben.  Und  hier  muß  noch  eine  weitere  Einschränkung  eintreten.  Was  wir 
heute  als  bäuerliche  Kunst  anzusehen  pflegen,  ist  wohl  in  bäuerlichem  Ge- 
brauch gewesen,  zum  großen  Teil  aber  nicht  von  bäuerlicher  Hand  entstanden. 
Wo  wir  wirklich  originelle  Bauernkunst  und  auch  einen  technischen  Hochstand 


¥ig.  75.    Ostfriesische  Bauerntruhe  aus  Neuenbürg:. 

vorfinden,  wie  in  der  Nachbarschaft  Hamburgs,  da  waren  entweder  die  Bauern 
schon  halbe  Städter  oder  die  ausführenden  Handwerker.  Noch  häufiger  aber 
möchte  man  aus  dem  Bewohner  der  kleinen  Landstädtchen,  welche  die  eigent- 
liche Wiege  der  bäuerlichen  Kunst  sind,  wie  in  Holstein  oder  in  Oberbayern, 
heute  Bauern  machen.  Ein  großer  Teil  der  Bauernmöbel  des  Germanischen 
Museums  ist  sehr  wahrscheinlich  kleinstädtisch. 

Werfen  wir  nun  einen  Blick  über  die  bäuerlichen  Truhen  des  Museums, 
so  ist  zunächst  zu  bemerken,  daß  hier  eine  weit  gleichmäßigere  Vertretung 
Oberdeutschlands  und  Niederdeutschlands  festzustellen  ist,  als  bei  den  bürger- 
lichen. War  bei  diesen  Niederdeutschland  verhältnismäßig  recht  schwach 
vertreten,  so  ist  hier  das  Verhältnis  ein  gerechteres.  Niederdeutschland  über- 
wiegt an  Zahl  und  Qualität.  Eine  Anzahl  niederdeutscher  Truhentypen  lernen 
wir  im  Museum  erst  bei  den  Bauernaltertümern  kennen.  Trotzdem  muß  bei 
einem  Überblick  über  das  gesamte  Material  bemerkt  werden,  daß  eine  wesent- 
liche Weiterentwicklung,  wie  wir  sie  zum  Teil  wenigstens  bei  den  Stühlen 
fanden,  hier  nicht  eintrat,  denn  der  unverrückbare  Kern  der  rechteckigen 
Kiste  läßt  eine  solche  nicht  zu  und  diese  dem  fortschreitenden  Komfort  nicht 
entgegenkommende  Grundform  war  es  auch,  welche  die  Truhe  langsam  und 
sicher  aus  der  Beliebtheit  der  Benutzer  ausschloß.  Haben  so  die  Grund-  und 
Konstruktionsformen  weder  in  Ober-  noch  Niederdeutschland  etwas  Wesent- 
liches hinzugefügt,  so  kann  bezüglich  der  Dekoration  vielfach  ein  solches  be- 
obachtet werden.  Freilich  machen  wir  auch  hier  wie  bei  aller  Bauernkunst 
die  Erfahrung,  daß  sie  auf  den  bürgerlichen  Formen  sich  aufbaut.  Aber  doch 
macht  sich  dann  eine  vielfältigere  Ausgestaltung  nach  den  einzelnen  Gegenden 
geltend,  die  soweit  geht,  daß  sogar  verschiedene  Ortschaften  derselben  Gegend 


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Von  DR.  HANS  STEGMANN.  103 


verschiedene  Dekorationsvariationen  besitzen.  Das  im  Einzelnen  zu  verfolgen, 
erlaubt  die  für  den  ungeheuer  verwickelten  Apparat  bäuerlicher  Kunst  zu 
beschränkte  Sammlung  des  Museums  nicht;  es  spiegelt  sich  die  angeführte 
Wahrnehmung  nur  in  einzelnen  Gruppen  deutlich  wieder. 

Eine  Wahrnehmung,  die  hier  gleich  vorausgenommen  werden  mag,  ist 
auch  die,  daß  gerade  in  der  Truhe  das  den  einzelnen  Volksstämmen  inne- 
wohnende künstlerische  Vermögen  recht  klar  zu  Tage  tritt.  Nicht  nur  nach 
der  Verschiedenheit  des  Geschmacks,  auch  nach  der  Seite  von  Aufschwung 
und  Verfall.  Die  Renaissancetruhe  Oberdeutschlands  darf  wohl  billig  den 
Vorrang  vor  der  niederdeutschen  beanspruchen ;  in  der  Bauernkunst,  die  in 
der  Hauptsache  mit  ihrer  spezifischen  Gestaltung  nach  dem  18.  Jahrhundert 
angehört ,  tritt  das  umgekehrte  Verhältnis  ein.  Die  niederdeutsche  Möbel- 
kunst z.  B.  der  Hamburger  Marschlande  hat  in  Oberdeutschland  mit  seinen 
gemalten  Kistlermöbeln,  die  doch  nur  ein  Surrogat,  wenn  auch  ein  teils  an- 
mutiges, teils  derb  malerisches  waren,  kein  gleichwertiges  Gegenstück.  Auch 
die  Anfänge  der  Bauerntruhe  ruhen  im  Norden;  die  freie  Bauernschaft  Nieder- 
sachsens, stand  wirtschaftlich  viel  unabhängiger  da,  als  ihre  oberdeutschen 
Brüder  und  das  hat  sich  natürlich  auch  in  der  Lebenshaltung  erwiesen.  Ober- 
deutsche Bauerntruhen  des  16.  Jahrhunderts  gibt  es  nicht,  während  Friesland 
sie  in  ansehnlicher  Menge  besitzt. 

Es  ist  in  den  nachfolgenden  Beschreibungen  das  Schwergewicht  auf  die 
formale  Seite  der  Truhen   gelegt,    nach    der  volkskundlichen  Seite   dieselben 


Fi?.  76.    Ostfriesische  Truhe;  17.— 18.  Jahrh. 

ZU  behandeln,  lag  bei  dieser  Gelegenheit  kein  Anlaß  vor,  da  dieselbe  in  der 
gleichzeitigen  Publikation  des  Museums  über  die  Bauernstuben  des  German. 
Museums  von  Dr.  O.  Lauffer-Frankfurt  eingehender  behandelt  wird. 

Die  norddeutsche  Tiefebene,  und  speziell  die  westelbischen  Lande  haben 
die  ältesten  Stücke  in  die  Abteilung  bäuerlicher  Altertümer  geliefert  und  es 
sei  daher  mit  ihnen  der  Anfang  gemacht. 


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104  DIK  HULZMÖBKL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

Den  älteren  friesisch  -  oldenburgischen  Typus  geben  mehrere  Truhen 
wieder,  die  im  Aufbau  die  mittelalterliche  Form  der  niederdeutschen  Truhe 
beibehalten.  Die  vier  Stollen  der  Truhen  werden  von  ziemlich  breiten  verti- 
kalen Brettern  gebildet,  an  die  die  querlaufenden  Vorder-  und  Rückwände 
mittelst  einer  einfachen  Nut  oder  Feder  eingelassen  sind,  während  die  Seiten- 
wände senkrecht  zu  den  Stollen  in  diese  eingelassen  wurden.    Die  Deckel  sind 


Fip.  TT.    Holsteinische  Truhe:  1.  Hälfte  des  17.  Jahrh. 

meist  glatt,  manchmal  ganz  .schwach  gewölbt.  Die  Verzierung,  die  sich  auf 
die  Vorderseite  beschränkt,  hat  an  zwei  Exemplaren  im  Sinne  des  Brettes  an 
den  Vorderstollen  Füllungen  von  gerolltem  Pergament.  Der  Mittelteil  hat  bei 
der  einen  drei  untere  senkrechte  und  zwei  quere  Füllungen  mit  dem  gleichen 
Motiv  (bezeichnet  Anno  1582),  bei  der  anderen  etwas  jüngeren,  drei  ausge- 
stochene Rosetten,  die  das  Schloßblech  umgeben,  mit  dem  Doppel-,  dem  ein- 
fachen Adler  und  einem  Stern. 

Das  dritte  Exemplar  dieser  Gruppe,  mit  der  Bezeichnung  Ano  1583, 
unterscheidet  sich  nur  durch  die  etwas  veränderte  Verzierung  der  mittleren 
Vorderplatte  von  dem  zuletzt  beschriebenen.  Unter  dem  Schloßblech  ist  auch 
hier  ein  Stern  ausgeschnitten.  Seitlich  aber  je  zwei  rechteckige  Füllungen 
mit  einer  Raute  und  einem  Löwen,  welch  letzterer  allerdings  von  geradezu 
grotesker  Unbeholfenheit  zeugt. 

Der  zweite  Typus  der  Truhen  Niederdeutschlands  unterscheidet  sich 
von  den  Stollentruhen ,  wie  man  die  vorgenannten  bezeichnen  kann ,  durch 
die  Art  des  Untersatzes.  Derselbe  wird  hier  durch  unter  die  Seitenwand  be- 
festigte horizontal  laufende  Bretter  gebildet,  welche  an  der  Vorderseite  in  ver- 
schiedener Gestalt  ausgesägt  sind  (Kufen).  Zwischen  diesen  Kufen  liegt  in 
der  Regel  das  schräg  gestellte  Vorderbrett. 

Ein  ebenfalls  aus  Oldenburg  stammendes  Stück  (Fig.  74)  zeigt  als  gleich- 
mäßige Dekoration  der  Vorderseite  —  alle  übrigen  Teile  sind  glatt  —  in  den 
Füllungen  gefaltetes  Pergament.  Freilich  nicht  mehr  in  der  ursprünglichen 
strengen  Form,  sondern  schon  mit  einer  Neigung,  dasselbe  rollwerkmäßig  zu 
gestalten.  Am  Vorderblatt  des  Truhenkastens  sind  es  sechs  senkrecht  ge- 
stellte rechteckige  Füllungen,  am  unteren  Vorderbrett  drei  wagrechte. 


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VON  DB.  HAN8  STEGMANN. 


105 


Zu  dieser  Gruppe  gehört  weiter  eine  Truhe  wo  die  Füllung  mit  gerolltem 
Pergament,  der  schon  barocken  Formgebung  folgend,  sich  zu  einer  Art,  frei- 
lich nicht  sehr  feiner  Cartouche,  umgebildet  hat.  Die  Vorder-  und  Seiten- 
teile sind  in  zwei  Geschosse  eingeteilt,  von  denen  das  obere  die  Füllungen 
quer,  das  untere  dieselben  senkrecht  zeigt.  An  der  vorderen  Zierseite  sind 
es  vier  quergestellte,  zwischen  denen  in  der  Mitte  das  Schloßblech  sitzt,  und 
fünf  vertikale.  Die  Kufen  sind  hier  nicht  eigentlich  durchgebildet,  an  ihre 
Stelle  treten  seitlich,  zwei  fest  mit  dem  Körper  der  Truhe  verbundene  bock- 
artige Untersätze  von  ca.  20  cm  Höhe.  Auch  das  Vorderbrett  ist  verkümmert, 
es  tritt  bloß  als  schmale  profilierte,  mit  einem  gebogten  Rand  versehene  Leiste 
in  die  Erscheinung. 

Aus  dieser  zweiten  Gruppe  der  Kufentruhe  ist  ein  altertümlich  aussehen- 
des aber  nach  der  Inschrift:  »An  Gottes  Segen  Ist  Alles  Gelegen.  Taicke 
Vlcken.  1729«  ziemlich  spät  entstandenes  Stück  weiter  hervorzuheben.  Es 
hat  dreiseitigen  Deckel  wie  die  oben  beschriebenen  Bremenser  und  die  Hol- 
steiner Truhe,  Kufen  und  Vorderbrett.  Die  allein  gezierte  Vorderseite  ist 
in  den  Füllungen   mit  Flachschnitzerei  versehen.     Und   zwar   ist   die  Vorder- 


Fig.  78.    Schleswig-holsteinische  Truhe;  18.  Jahrh. 

wand  durch  den  Inschriftstreifen  in  zwei  Geschosse  geteilt  und  die  ganze  Vor- 
derwand mit  Ausnahme  der  Unterseite  nochmals  in  einen  Rahmen  gefaßt. 
Im  oberen  Geschoß  sechs  liegende  Rechtecke  mit  hübschen  Rosetten  und 
Rauten;  im  unteren  vier  annähernd  quadratische  Füllungen,  die  äußeren  mit 
Bogenstellungen  mit  vegetabilischem  Ornament,  in  den  beiden  mittleren  Roset- 
tenwerk.    Das  Vorderbrett  hat  durchlaufendes  geschnitztes  Stabwerk. 

In  gewissem  Sinne  könnte  man  diesen  Typus  als  den  Übergang  von 
der  späteren  ostfriesischen  Truhe  zu  den  schleswig-holsteinischen  Prunktruhen 
ansehen,  nicht  bezüglich  der  bei  letzteren  ja  vorwiegend  figürlichen  Aus- 
schmückung, aber  bezüglich  des  Aufbaues. 

Den  gewöhnlichen  Typus  der  ostfriesischen  Truhe,  wie  sie  durch  das 
18.  und  vielleicht  auch  schon  im  17.  Jahrhundert  üblich  war,  stellt  das  auf 
Fig.  75  abgebildete  Stück  aus  Neuenburg  dar.  Die  für  die  meisten  nieder- 
deutschen Truhen  charakteristischen  »Kufen«,  das  unten  ausgebogte  mehrfach 
profilierte  Vorderbrett  sind  ihnen  stets  eigen.  Aber  auch  die  Vorderseite  — 
MitteilongeD  aus  dem  german.  NatioDalmuseom.    1904.  14 


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^  ^6  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSBUMS. 


die  allein  gezierte  —  hat  eine  stets  wiederkehrende  Einteilung  in  vier  Felder. 
Die  Füllungen  sind  in  die  eigentliche  Truhenwand  eingeschnitten,  die  trennen- 
den Rahmenstäbe  und  die  obere  umrahmende  Leiste  mit  Zapfen  auf  derselben 
befestigt.     Bei  !dem    abgebildeten  Beispiel  sind   es  vier  Bogenstellungen ,    die 


Fig.  70.    Truhe  von  der  Insel  Rrtni,  Nordfriesland    IT.  Jahrh. 

in  flacher,  sehr  sorgfältiger  Schnitzerei  die  annähernd  quadratischen  Füllungs- 
felder bedecken.  Unter  den  Bogen  muschelförmige  Bildungen,  in  den  äußeren 
Feldern  dann  noch  geometrisches  Ornament;  in  den  inneren  die  Inschrift: 
Grette  Levers  Anno  1706,  wodurch  die  übliche  Bestimmung  als  Brauttruhe 
bestätigt  wird. 

Von  drei  anderen  dieser  in  ihrer  ganzen  Art  sehr  verwandten  Art  sind 
nur  die  Vorderwände  nebst  den  Kufenenden  und  den  Vorderbrettem  vor- 
handen. Überall  begegnen  wir  der  Vierteilung  der  Vorderwand.  Eine  davon 
trägt  die  Bezeichnung  Anno  1711.  Bei  ihr  sind  die  Felder  gleichmäßig  mit 
einem  stilisiertem  Bäumchen,  dessen  Zweige  die  ganze  Fläche  füllt,  versehen, 
in  flacher  Schnitzerei  auf  ausgehobenem,  nicht  geglättetem  Grund.  Der  Grund 
ist  hier,  wie  bei  den  nächsten  noch  durch  eingeschlagene  Sternmusterung 
belebt.  Auf  der  anderen  sind  an  den  beiden  äußeren  Feldern  wieder  Bogen- 
stellungen, ähnlich  wie  bei  der  Neuenburger  angebracht,  während  die  inneren 
beiden  Felder  einmal  mit  verschiedenartigen  Rosettenmuster,  einmal  abwech- 
selnd mit  Rosetten  und  Ranken  besetzt  ist.  Die  dritte  Vorderwand  endlich 
hat  vier  gleiche  Felder,  mit  durch  ein  Flechtband  gebildeten  Bogenstellungen, 
in  denen  je  eine  stilisierte  Pflanze  steht. 

Nicht  demselben  Muster  folgt  eine  andere  aus  Ostfriesland  stammende 
Truhe  (Fig.  76),  die  wohl  in  der  Vierteilung  der  Vorderplatte  nicht  aber  der 
Verzierung  bäuerlich  erscheint,  vielmehr  die  Art  der  holländischen  Schränke 
zum  Vorbild  gehabt  zu  haben  scheint.  Das  Fußgestell  besteht  aus  vier  Paaren 
sich  senkrecht  durchschneidender  Bretter  mit  geschweift  ausgesägten  Endi- 
gungen. Diese  Füße  sind  mit  der  Truhe  fest  verbunden.  Die  Füllungen 
haben  einen  zum  Teil  aus  der  Vorderwand  ausgeschnittenen,  teils  aufgesetzten 
Rahmen  mit  einer  Fischbeineinlage.     Die  fünf  Rahmenhölzer    haben,    ebenso 


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VON  DR.  HANS  STfEGMANN.  107 


wie  der  Fries  unter  dem  Deckel,  flaches  Rankenornament  über  ausgehobenem 
Grund  als  Füllung.  Im  Fries  noch  zwei  Quadrate  mit  Einlagen  aus  hellem 
Holz  und  Fischbein.    Auch  die  Seitenwände  sind  in  je  zwei  Felder  gegliedert. 

Von  den  schleswig-holsteinischen  Stücken  ist  die  in  der  Blink  aufge- 
stellte große  Truhe  die  bedeutendste.  Sie  hätte,  da  sie  im  Aufbau  und  der 
Behandlung  den  beiden  großen,  oben  beschriebenen,  aus  Bremen  stammenden 
Truhen  (s.  die  Fig.  67)  gleicht,  mit  demselben  Recht  auch  bei  den  bürgerlichen 
Truhen  behandelt  werden  können  und  verdankt  auch  sicher  einem  der  bedeu- 
tenderen Holsteinischen  Schnitzer  vom  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  ihre  Ent- 
stehung. Bezüglich  des  Aufbaus  der  Seitenteile  und  des  Deckels  kann  auf  die 
Beschreibung  der  erwähnten  beiden  Truhen  verwiesen  werden.  Auch  hier 
begrenzen  das  Vorderbrett  zwei  Hermen  mit  nicht  ausgefüllten  (vielleicht  ein- 
mal bemalten)  Wappenschilden.  Der  obere  Fries  mit  drei  Füllungen  in  lie- 
genden Rechtecken  entspricht  in  seiner  Ausstattung  genau  dem  unteren  Vor- 
derbrett bis  auf  die  unten  fehlenden  Karyatidenhermen  zwischen  den  einzelnen 
Feldern.  In  den  einzelnen  Füllungen,  Köpfe  mit  schon  recht  barockem  Ranken- 
werk, in  hohem  Relief.  Der  Hauptfries  enthält  durch  vier  Karyatiden  ge- 
schieden, die  für  diese  Truhenart  üblichen  fünf  Reliefs :  Sündenfall,  Opferung 
Isaaks,  Verkündigung,  Geburt  Christi  und  Himmelfahrt.  Die  Arbeit  ist  derb, 
aber  recht  tüchtig  und  wirkungsvoll. 

Mehr  dem  späteren  ostfriesischen  Typus  nähert  sich  eine  zweite  hol- 
steinische Truhe.  Denn  auch  sie  hat  die  Vierteilung  der  Vorderwand.  Aber 
ihr  fehlen  nicht  nur  die  Kufen  und  das  vordere  Zwischenbrett  ,-^  an  ^  deren 
Stelle  ein  niedriger  profilierter  Sockel  ohne  Füße  tritt,  sie  zeigt  auch  in  ihrer 


Fi^.  80.    Niederrheiniscbe  Truhe:  16.  Jahrh. 


ganzen  Formgebung  ein  genaueres  Kennen  der  Architekturformen  der  Renais- 
sance, so  stumpf  und  andeutungsweise  dieselben  auch  nur  herauskommen. 
Die  Bögen  der  vier  an  allen  Seiten  folgerichtig  umrahmten  Felder  stehen  auf 
kannelierten    Pilastern,    in    den    Bogenzwickeln    ganz   korrekte    Blattrosetten. 


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108 


DIK  HOLZMOBKL  DES  GERMANISCHEN  MUSKÜM.s. 


Auch  der  Sockel  der  Bögen  ist  folgerichtig  gebildet.  Unter  den  Bögen 
stehen  mit  den  lateinischen  Unterschriften  vier  allegorische  Engelsfiguren  der 
Tugenden:  Fides,  Justitia,  Fortitudo,  dementia.  Trotz  der  durch  den  Ge- 
brauch bedingten,  vielleicht  aber  auch  schon  ursprünglichen  Stumpfheit  der 
Schnitzerei  NTerraten  sie  gute  Vorlagen  und  eine  immerhin  geschickte  Hand. 
Die  lateinischen  Unterschriften  passen  allerdings  wohl  kaum  in  einen  Bauern- 
hof; die  Truhe  ist  daher  wohl  ebensowenig  von  einem  bäuerlichen  Schnitzer, 
als  ursprünglich  für  bäuerliche  Kreise  bestimmt  (Fig.  77). 

Von  den  Truhen  der  Halligen  haben  wir  dreierlei  Arten  zu  unterscheiden. 

Die  ersten  beiden  mit  Schnitzerei.  Von  diesen  haben  zwei  die  Eigenart, 
daß  die  Flachschnitzerei  ohne  architektonische  Teilung  die  ganze  Vorder- 
fläche bedeckt.     Bei  der  einen  allerdings  sind  zwei    schuppenartig  behandelte 


Y\g.  81.    Niederrheinische  Truhe:  17.  Jahrh. 

Seitenpfosten,  Kufen  und  Vorderbrett,  ebenfalls  mit  Schuppenverzierung,  aber 
in  anderer  Art,  angedeutet.  Das  eigentliche  Vorderblatt  aber  hat  in  der  Mitte 
ein  Kreuz,  darin  das  vielfach  verschlungene  Monogramm  der  Besitzer,  darunter 
die  Jahreszahl  1751.  Zur  Seite  je  ein  Gefäß  mit  Pflanze.  Die  Schnitzerei 
ist  in  der  eigenartigen  saftigen  Art  durchgeführt,  die  bei  aller  Stilisierung 
des  Pflanzlichen  eine  genaue  Naturbeobachtung  verrät  und  in  ihrer  Art  mit 
den  langgezogenen  breiten  Ranken  nur  auf  jenen  Nordseeeilanden  sich  findet. 
Auch  die  charakteristische  Bemalung  in  Gelb,  Blau,  Grün  und  Rot  ist  an 
diesem  Stücke  erhalten. 

Wenigstens  wahrscheinlich  der  Westküste  von  Schleswig-Holstein  gehört 
auch  die  andere  wegen  ihrer  geschmackvollen  Ausführung  im  Bilde,  Fig.  78 
wiedergegebene  Truhe  an.  Als  Besonderheit  wäre  zunächst  ihre  schwach 
pyramidale  Form  zu  nennen.  Die  ganze  Vorderwand  ist  mit  einem  aus  einer 
mittleren  kleinen  Vase  aufsteigenden  Rankenwerk  in  ganz  vortrefflicher  Zeich- 
nung versehen.  Unterhalb  der  Schlüsselöffnung  das  verschlungene  Doppel- 
monogramm P.  I.  H.  L.  P.  Hier  haben  wir  es  mit  einem  von  dem  herrschen- 
den Zeitgeschmack,  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  ganz  unab- 
hängigen, frischen  und  natürlichen  Kunsttrieb  zu  tun. 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


109 


Die  interessanteste  Truhe  des  Halligenzimmers  die  von  der  Insel  Rom  in 
Nordfriesland  stammende  (Fig.  79).  Die  Einteilung  der  Vorderwand  in  vier  Felder 
entspricht  derjenigen  der  ostfriesischen  Stücke.  Allerdings  fehlen  die  Kufen 
und  das  Vorderbrett,  allein  der  jetzige  Zustand  bietet   keine  Gewähr,  daß  er 


¥ig.  82.    Westf&Iische  Truhe  vom^Jahre  1790.    Bezeichnet:  ^Johann  Peter  Viertel.** 

der  einstige  ist.  Die  Art  der  Schnitzerei,  die  eigentlich  bandartige  Behandlung 
des  Rahmenwerks  der  Pflanzen  in  den  vier  Füllungen  und  ihren  Umrahmungen 
hat  unstreitig  etwas  an  altnordische  Art  Erinnerndes.  Diese  eigentümliche 
Stilisierung  tat  einer  gewissen  treuen  Naturbeobachtung  keinen  Eintrag,  wie 
man  denn  auf  der  zweiten  Füllung  von  links  deutlich  eine  Fenchelstaude  er- 
kennen kann.  Die  Entstehungszeit  des  eigenartigen  Werkes  dürfte  in  das 
17.  Jahrhundert  fallen. 

Daß  übrigens  auf  den  Halligen  die  geschnitzte  Truhe  nicht  allein  die 
herrschende  war,  beweist  ein  anderes  Exemplar  von  einfacher  Kistenform 
mit  vorspringendem  Deckel.  Dieselbe,  grün  gestrichen,  hat  an  den  Ecken  und 
an  der  unteren  Vorderkante  je  drei  reich  geschmiedete  senkrechte  Eisenbänder. 

Ehe  wir  uns  nun  den  späteren  Truhen  der  Eibmarschen  zuwenden, 
sei  der  Weg  nochmals  nach  Westen  an  den  Niederrhein  zurückgelenkt. 

Wohl  ebenso  früh,  wie  die  ältesten  friesischen  Truhen,  dürfte  ein  ab- 
weichendes Stück  sein,  das  sich  nach  seinen  Verzierungsmotiven  als  nieder- 
rheinisch ansprechen  läßt.  Wenn  auch  nicht  datiert,  läßt. die  stilistische  Be- 
handlung der  gotischen  Formen  sicher  auf  eine  Anfertigung  im  16.  Jahr- 
hundert schließen  (Fig.  80). 

Die  kräftigen  Eckriegel  bilden  das  Gerüst  der  Truhe,  zwischen  denen  die 
Vorder-,  Rück-  und  Seitenwände  (Rahmen  und  Füllung  ohne  Gehrung)  ein- 
gespannt sind.  Auch  der  Deckel  ist  ähnlich  behandelt.  Die  etwas  über  den 
Truhenboden  herabreichenden  Pfosten  bilden  zugleich  die  Füße.  Die  vier 
gleichen  Füllungen  tragen  die  eigenartigen  achtförmigen  Bandverschlingungen 
der  niederrheinischen  Kunst  mit  Arabesken  im  mittleren  Kreis.    Das  Blattvvork 


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n  0  DIE  HOLZMOBBL  DBS  GERMANISCHEN  HUSEUMS. 


in  den  oberen  und  unteren  Halbkreisen  ist  sauber  ausgebohrt.  Die  bäuer- 
liche Provenienz  dürfte  auch  hier  etwas  zweifelhaft  sein. 

Jünger,  aber  nicht  ganz  leicht  zu  datieren  ist  eine  weitere  Truhe,  von 
der  Fig.  81  eine  Vorstellung  geben  soll.  Wahrscheinlich  gehört  sie  der 
ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  an.  Im  Aufbau,  der  vierteiligen  Vorder- 
wand, den  vierkantigen,  etwas  verlängerten  Eckstollen  schließt  sie  sich  ihrer 
Vorgängerin  an.  Die  Dekoration  aber  ist  hier  nicht  in  Schnitzerei,  sondern 
in  reichster  Intarsia  ausgeführt:  Diese  Verzierungsweise  war  in  Köln  im 
16.  Jahrhundert  heimisch  und  im  weiteren  Verlauf  werden  wir  einen  freilich 
künstlerisch  viel  höher  stehenden  Stollenschrank  derselben  Art  zu  betrachten 
haben.  Die  Ziermotive  der  umrahmenden  Glieder  sind  sehr  einfach,  aber  durch 
die  scharfe  Trennung  der  Holzfarbe  doch  sehr  wirksam.  Bei  den  Arabesken- 
füllungen, die  übrigens  recht  flotte  Komposition  zeigen,  hat  der  Verfertiger  sich 
die  übliche  Erleichterung  des  Wechsels  der  beiden  zum  Aussägen  bestimmten 
Fournierblätter  zu  Nutze  gemacht. 

Zwei  westfälische  Truhen  des  18.  Jahrhunderts  sind  schöne  und  gut  ge- 
arbeitete Stücke.  Den  westfälischen  späteren  Bauerntruhen  ist  mit  einer  noch 
weiter  unten  zu  erwähnenden  oberhessischen  die  Art  des  Fußgestells  gemein- 
sam. Durch  eine  profilierte  Leiste  vom  Truhenkasten  getrennt,  verlängert 
sich  die  in  der  Holzfaser  senkrecht  laufende  Seitenwand  zu  einem  Querbrett, 
das  einen  mittleren  geschweiften  Einschnitt  erhält.  Analog  ist  bei  den  Vorder- 
wänden verfahren  (wagrechter  Lauf  der  Holzfaser),  nur  daß  der  geschweifte 
Ausschnitt  hier  nur  zwei  Zwickel  an  den  Ecken  bestehen  läßt.  Die  ältere 
der  beiden  Truhen  zeigt  an  der  Zierseite,  eine  durch  Zapfen  auf  dem  Grund 
befestigtes  reiches  Kassettenwerk,  wie  es  ebenfalls  in  Oberhessen  gebräuch- 
lich war.     Dazwischen  der  Spruch:    Ora  et  Labohra,  trotz    der   bedenklichen 


Fig.  88.    Niedersftchsische  Truhe  aus  der  Altmark;  1769. 

Rechtschreibung^  ein  für  einen  Bauern  nicht  recht  wahrscheinlicher  Sinn- 
spruch. Am  Untersatz  die  weitere  Inschrift:  Anna  Elisabeth  Schepers  Anno 
1730.  Die  andere  einem  Johan  Peter  Viertel  zugehörige  und  Anno  1791 
gearbeitete  Truhe  (S.  O.  Lauffer,  die  Bauernstuben  des  Germ.  Museums,  Mitt. 
1903  S.  39,  Fig.  8)  hat  eine  sehr  hübsch  geschnitzte  Vorderwand.  Insbesondere 
ist  das  aus    einem  Doppeladler   ausgehende  Rankenwerk   des    durchlaufenden 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  1 1 1 


Mittelfrieses  und  die  Ranken  am  Untersatz  so  flott  und  verständnisvoll 
behandelt,  daß  es  auch  dem  Schreiner  einer  größeren  Stadt  alle  Ehre 
machen  würde  (Fig.  82). 

Etwas  weiter  östlich  in  das  niedersächsische  Gebiet  führt  uns  die  im 
Herrschaftszimmer  des  Fletts  der  im  niedersächsischen  Hause  befindlichen 
Truhe  aus  der  Diepholzer  Gegend.  In  der  Dönse  des  niedersächsischen  Fletts 
steht  zwar  nicht  die  für  die  dortige  Innendekoration  so  charakteristische  Truhe, 
wie  sie  Baurat  Prejawa  in  seiner  Abhandlung  über  das  niedersächsische  Bauern- 
haus abbildet    und    beschreibt  (Mitt.  des  Germ.  Mus.   1903,   S.  148)  aber  ein 


Yig.  84.    Truhe  aus  der  Wilstormarsch    1809. 

ebenfalls  echt  bäuerliches  Stück  (Fig.  83,  abgebildet  auch  bei  O.  Laufter,  Die 
Bauernstuben  des  Germ.  Museums,  Mitt.  des  Germ.  Mus.  1903,  S.  39).  Die 
unter  dem  Schlüsselloch  mit  J.  M.  L.  1769  bezeichnete  Truhe  gehört  zum 
Typus  der  ostfriesischen  Kufentruhe  mit  vierteiliger  Vorderwand  und  schrägem 
Vorderbrett.  In  den  Füllungen  hoch  herausprofilierte  Achtecke.  Am  Vorder- 
brett und  den  Umrahmungen  der  Füllungen  derbes,  aber  kräftig  wirkendes 
stilisiertes  Blattwerk  und  Rosetten.  Aus  der  Truhe  spricht  wirklich  die  ur- 
wüchsig derbe  Art  des  niedersächsischen  Volkstums  zu  uns. 

Den  Beschluß  der  niederdeutschen  Bauerntruhen  mögen  diejenigen  aus 
den  Eibmarschen  bilden. 

Eine  besonders  schöne  Truhe  kann  das  Museum  aus  der  Wilstermarsch 
sein  eigen  nennen.  Fig.  84  gibt  dieselbe  wieder.  Sie  weicht  von  dem 
sonstigen  niedersächsischem  Schema  ebenso  weit  ab,  als  die  Vierländer  Braut- 
truhe. Der  Kasten  ist  in  seiner  Vorderseite  ganz  frei  behandelt.  Zwei  Hoch- 
füllungen mit  reich  gekröpfter  Umrahmung,  enthalten  in  ihrer  Mitte  den  jenen 
Marschgegenden  eigentümlichen,  in  Bein  eingelegten  Stern,  der  auch  in  den 
Zimmervertäfelungen  immer  wiederkehrt.  Außerdem  wird  die  Vorderseite 
durch  drei  pfeilerartige  Vorsprünge  gegliedert,  die  zwischen  Rocailleornament 
und  Fruchtzieraten  je  einen  nackten  Knaben  in  hoher  Reliefschnitzerei  zeigen. 
In  den  Zwickeln  der  gekröpften  Füllungen  Blumen  werk  und  Vögel.  Im 
Fries  unter    dem    schwach  gewölbten  Deckel    der  Name   des    Besitzers  Claus 


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n2  DIE  HOLZMÖBBL  DES  QERMANISCHEN  MUSEUMS. 

Abets,  unten  die  Jahreszahl:  Anno  1809.  Die  Schmalseiten  sind  ähnlich, 
wenn  auch  einfacher  behandelt.  Auch  wenn  wir  in  den  gleich  folgenden,  ähn- 
lichen Stücken  nicht  ein  sicher  aus  Westfriesland  stammendes  aufzuweisen 
hätten,  würden  wir  leicht  den  holländischen  Einfluß  erkennen,  denselben,  der 
die  überreiche  Dekoration  der  Hamburger  (»Schappschränke«)  und  Danziger 
Möbel  des  18.  Jahrhunderts  hervorrief.  An  einen  Hamburger  »Schapp« 
werden  wir  sofort  erinnert.  Es  ist,  als  ob  ein  Hamburger  Schreiner  in  seinen 
alten  Tagen  aufs  Land  gezogen  und  die  Kunst  einer  lang  verflossenen  Zeit 
noch  einmal  habe  aufleben  lassen.  Nur  das  naturalistische  Beiwerk  in  den 
Zwickeln  erzählt  von  der  in  den  Eibmarschen  heraufziehenden  Zeit  eines 
ganz  eigenartigen  Realismus,  der  auch  in  den  benachbarten  Vierlanden  sein 
Wesen  treibt.  Außer  den  abgebildeten  besitzt  das  Museum  noch  zwei  Truhen, 
wenn  auch  etwas  einfacher  von  demselben  Typus.  Die  eine  in  einem  oberen 
Fries  der  Vorderseite  bezeichnet:  Gehsche  Deahrens  zu  Zehtel  Anno  1786, 
stammt  also  aus  Zehtel  in  Westfriesland,  hat  zwei  reichverkröpfte  Füllungen 
in  rechteckigem  Rahmen,  schwach  entwickelte  Seitenkufen  und  profiliertes 
und  ausgesägtes  Vorderbrett.  Die  andere  steht  der  abgebildeten  noch  näher. 
Sie  steht  ohne  Füße  auf  dem  Truhenboden  auf.  Auch  hier  bilden  zwei  viel- 
fach verkröpfte  Kartouchen  die  Hauptzier  der  Vorderseite.  Dazwischen  und 
an  der  Seite  zierlich  geschnittenes  Laubwerk  mit  Vögeln. 


Fi^.  85,    MAnnertruhe  aus  den  Vierlandon;  1746. 


Mit  die  interessanteste  Gruppe  bieten  die  Vierlande.  Hier  finden  wir 
zunächst  zwei  völlig  von  einander  abweichende,  dabei  aber  immer  neben 
einander  hergehende  Formen,  nämlich  die  für  die  Männer  und  die  Frauen 
bestimmten,    die  jeweils   dem    Brautpaar    mitgegeben    wurden.     Die    Männer- 


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VON  DR,  HANS  STKGMANN.  ^  1 3 

truhen,  von  denen  das  Museum  zwei  besitzt,  gehören  dem  Typus  der  Stollen- 
truhe an.  Ihre  Besonderheit  besteht  in  dem  rund  gewölbten  Deckel  und  der 
Schrägrichtung  der  Wände  und  Stollen,  wodurch  der  Truhenkasten  oben 
enger  als    unten  wird.     Auch    steht  der  Kasten   beträchtlich  hoch    über  dem 


Fig.  8Ö.    Frauen-  (Braut-)  Truhe  aus  den  Vierlanden:  1775. 

Boden,  etwa  zwei  Fünftel  der  Gesamthöhe  der  Truhe,  und  die  tragenden 
Stollen  sind  erheblich  breit.  Das  einfachere  und  wahrscheinlich  ältere  Exem- 
plar dieser  Gattung,  dessen  Herkunft  ausnahmsweise  durch  keine  Bezeichnung 
festgestellt  wird,  hat  außer  dem  großen  Schloßblech,  das  noch  Nachklänge 
an  gotische  Bildung  zeigt,  keinen  Schmuck  als  einen  eingeschnittenen,  an  den 
Innenseiten  der  Vorderstollen  und  der  Unterseite  der  Vorderwand  herumlaufen- 
den, schmalen  Fries  von  aneinander  gereihten  Ringen.  Das  zweite,  reichere 
Exemplar  (Fig.  85)  ist  eigentümlich  reizvoll  durch  die  Mischung  der  eigentlich 
mittelalterHchen  Grundform  mit  der  eigenartigen  Vierländer  Zierweise  des 
18.  Jahrhunderts,  für  die  das  Stück  ein  früher  Beleg  ist.  Es  ist  in  einem 
eingeschnittenen  Fries  bezeichnet:  Peter  Timman  1746.  In  den  schmalen, 
ausgestochenen  Friesen,  die  senkrecht  und  wagrecht  an  den  Vorderstollen  und 
der  mittleren  Vorderwand  sich  finden,  findet  sich  ein-  oder  beiderseitig  eine 
blattwerkartige  Endigung.  Im  Übrigen  beschränkt  sich  die  Einlegearbeit  in 
dem  roh  gelassenen  Eichenholz  auf  einfache  geometrische,  meist  sternförmige 
Bildungen. 

Ganz  anders  die  Frauentruhe  (Fig.  86),  die  der  eigentlichen  Blütezeit  der 
Vierländer  Schreinerkunst  angehört.  Nach  der  Inschrift  ist  sie  für  Elisabeth 
Schween  1775  gefertigt.  Abgesehen  von  den  Kugelfüßen  hat  sie  ganz  die 
Form  des  großen  Holzkoffers,  als  welcher  sich  die  Truhe  ja  auch  in  primi- 
tiver Form  in  das  19.  Jahrhundert  hinübergerettet  hat.  Unser  Exemplar  ist 
von  sauberster  und  sorgfältigster  Arbeit  und  durchweg  foumiert.  Der  ge- 
wölbte Deckel,  heller  Grund  mit  dunkler  Umrahmung,  hat  in  der  Mitte  ein 
Feld,  auf  dem  eine  Jardiniere  eingelegt  ist,  in  den  vier  Ecken  Rosetten.  Die 
Verzierungen  der  Zierseiten,  eingelegte  Blumenvasen,  darunter  zwei  auf  acht- 

MitteUunfMi  aua  dem  frermao.  Natioiuümuaeum.    IWM.  15 


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1 1"^  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

eckigen,  mittelst  reicher  Profilierung  über  den  Grund  erhobene  Medaillons, 
ergeben  sich  aus  der  beistehenden  Abbildung. 

Von  Mitteldeutschland  sind  nur  zwei  Gaue  vertreten,  Hessen  und  Nord- 
böhmen, welch'  letzteres  aber  in  seinen  Möbeln  ganz  rein  süddeut.sches  Ge- 
präge zeigt. 

Recht  gut  vertreten  ist,  wie  in  allen  BauernaltÄrtümem,  auch  in  den 
Truhen  Hessen.  Die  schönste  und  wohl  auch  älteste,  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  angehörige  Truhe  sehen  wir  in  Fig.  87.  Vier  Säulen 
mit  skulptierten  Sockeln  bilden  die  dreiteilige  Front.  Zwischen  den  Säulen 
Bogenstellungen  mit  barockem  Ornament,  besonders  Mascarons.  Die  Truhe, 
deren  Seitenteile  eine  einfache  Bogenstellung  auf  kannelierten  Pfeilern  zeigen, 
stammt  aus  Salmshausen  in  der  Schwalm. 

Mehr  bäuerlichen  Charakter  zeigt  schon  eine  weitere  oberhessische  Truhe 
(Fig.  88),  die  vielleicht  sogar  etwas  früher  als  die  vorige  ist,  aber  trotz  des 
mindest  ebenso  großen  Reichtums  der  Dekoration  nicht  so  fein  in  den  Ver- 
hältnissen wirkt,  als  die  vorige.  Die  zweiteilige  Front  ist  mit  den  beliebten 
Bogennischen  ausgestattet,  die  etwas  schwer  wirken.  Den  größten  Raum 
nimmt  in  der  Verzierung  das  Schuppenmotiv  ein,  am  gelungensten  erscheinen 
die  geschnitzten  Füllungen  mit  den  Delphinpaaren.  Beide  Truhen  sind  aus 
Eichenholz. 

Einen  abweichenden  Typus,  der  immerhin  eine  Weiterentwicklung  der 
Zierformen  nach  dem  Zeitgeschmack  bedeutet,  zeigen  zwei  oberhessische 
Truhen  (aus  Pohlgöns).     Bemerkenswert  sind  sie  auch  dadurch,  daß  der  Kern 


Fig.  87.    Oberhessische  Truhe;   17.  Jalirh. 

aus  weichem  Holz  besteht  und  die  Außenseite  in  verschiedenen  Hölzern 
fourniert  ist.  Die  eine,  in  dem  Bauernhaus  aus  Pohlgöns,  trägt  die  Bezeich- 
nung A.  K.  G.  (oder  L?)  1818  in  Marquetteriearbeit.  Die  Flächen  der  Fül- 
lungen zeigen  ebenfalls  Einlegearbeit  in  verschiedenfarbigen  Hölzern,  allerdings 


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VON  DR.  HANS  STEQMANN.  1  1 5 


in  sehr  mangelhafter  Zeichnung  und  Ausführung.  Vorn  vier  Füllungen,  zwei- 
mal der  St.  Georg  zu  Pferd  und  eine  stehende  männliche,  wahrscheinlich 
Apostelfigur.  Von  den  zwölf  kleinen  Füllungen  auf  dem  Deckel  haben  sechs 
Blumen  und  Rankenwerk  mit  Vögeln.  Das  Rahmenwerk,  das  bei  den  größeren 
Füllungen  der  Vorderseite  und  des  Deckels  vielfach  verkröpft  ist,  ist  aus 
Eichenholz  und  die  Truhe  steht  ohne  Füße  auf  dem  Boden  auf. 


Fig.  88.    Oberhessische  Truhe;  17.  Jahrh. 

Die  zweite  nach  der  Bezeichnung  A.  B.  E.  H.  1750  etwas  ältere  Truhe 
ist  einfacher.  Auch  hier  ist  verschiedenfarbiges  Holz  zu  Füll-  und  Rahmen- 
werk verwendet^und  das  Rahmenwerk  durchweg  verkröpft  (mit  sogenannten 
Ohren).  Aber  es  fehlt  die  eingelegte  Arbeit  und  an  Stelle  der  größeren 
Füllung  tritt  eine  nochmals  hineingesetzte  kleinere  Füllung  mit  Rahmen.  Die 
Einteilung  und  Zeichnung  der  verschieden  großen  Füllungen,  vorn  sechs,  auf 
dem  Deckel  zehn,  ist  eine  recht  geschmackvolle  und  läßt  das  Möbel  als  eines 
der  besten  der  Bauemkunst  des  18.  Jahrhunderts  erscheinen. 

Der  in  Fig.  87  abgebildeten  Truhe  steht  eine  etwas  spätere  aus  Nieder- 
hessen nahe.  Auch  hier  eine  durch  drei  Bogenstellungen  gebildete  Front, 
zwischen  denen  ausgestochen  stilisierte  Laubwerkfüllungen  angebracht  sind. 
Eigentümlich,  daß  die  Pfeilerprofilierungen  als  Rahmenwerk  unten  unter  den 
Füllungen  durchgeführt  sind.  In  den  Bogenzwickeln  je  ein  Herz,  an  den 
Seitenteilen  einfaches  Rahmen-  und  Füllwerk.  Die  vier  Füße  bestehen  aus 
zwei  rechteckig  gestellten  Brettern  mit  viertelkreisförmigem  Ausschnitt.  Unter 
dem  Dechel  der  ganz  in  Eichenholz  ausgeführten  Truhe  ein  einfaches 
Konsolenfries. 

Einen  anderen  niederhessischen  Typus,  der  fast  an  denjenigen  der 
Halligen  erinnert,  gibt  eine  Eichenholztruhe  wieder.     Die  Vorderseite  ist  mit 


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1 16  DIE  HOI^MÖBEL  HKS  »KRMANISCHBN  MUSEUMS. 


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VON  DR.  HANS  Sl'EGMANN. 


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1  IS  DIE  HOLZMÖBRL  DES  QBRMANISCHBN  MUsEUMn. 

flach  geschnittenem  Rankenwerk  bedeckt,  in  dem  die  Anlehnung  an  den 
Rocaillegeschmack  und  naive  und  gesunde  Naturbeobachtung  einen  unver- 
söhnlichen Kampf  führen,  obgleich  der  Schnitzer  weder  das  Eine  noch  das 
Andere  ganz  verstanden  hat.  Die  Truhe  hat  einen  Untersatz  in  Gestalt  von 
Querbrettern  und  geschweift  ausgesägten  Ansätzen  an  der  Vorderseite.  Auch 
darin  läßt  sich  die  Verwandtschaft  mit  den  westfälischen  Truhen,  die  ja  als 
Nachbarn  gelten  können,  ersehen. 

Den  Beginn  der  rein  süddeutschen  Truhen  mag  diejenige  aus  dem  Thurgau- 
zimmer  machen  (Fig.  89).  Man  kann  sie,  wie  das  ganze  Zimmer,  das  künst- 
lerisch wertvollste  der  ganzen  Bauemzimmerreihe  des  Museums,  mit  Fug  und 
Recht  als  schweizerisch  bezeichnen.  Wie  die  Abbildung  zeigt,  verzichtet  sie 
auf  alle  nicht  rein  schreinerische  Dekoration,  aber  in  den  durchaus  glück- 
lichen Verhältnissen  ist  sie  in  ihrer  Art  mustergültig.     Bemerkt  sei,  daß  sie, 


Fig.  91.    Oberbayerische  Bauerotruhe  aus  dem  Jahre  1667. 

obgleich  sicher  nicht  für  die  Aufstellung  im  Zimmer  selbst  berechnet,  in  der 
Behandlung  der  Vertäfelung  desselben  völlig  folgt.  Die  Truhe,  wie  alle  süd- 
deutschen Möbel  in  weichem  Holz  ausgeführt,  ist  in  der  Vorderseite  mit  Nuß- 
baumholz verschalt,  ebenso  wie  alle  profilierten  Teile  aus  diesem  edleren 
Material  hergestellt  sind.  Der  Aufbau  ergibt  sich  aus  der  Abbildung.  Bemerkt 
sei,  daß,  wie  das  ganze  Zimmer,  auch  die  aus  demselben  Hause  stammenden 
Möbel  im  Jahre  1666  gearbeitet  sein  dürften. 

Sehr  beachtenswert  durch  die  vorzügliche  Schnitztechnik  ist  dann  eine 
Schweizer  Truhe  aus  dem  Wiesbachtal  im  Kanton  Wallis  (Fig.  90).  Dieselbe 
ist  ganz  in  Nußbaumholz  gearbeitet,  und  nicht  nur  im  Material  macht  sich 
die  Nähe  Italiens  bemerkbar.  Ob  sie  noch  dem  17.  Jahrh.  oder  schon  dem 
folgenden  angehört,  mag  unentschieden  bleiben.  Eine  Ausnahme  bildet  es, 
daß  die  Seitenwände  mit  demselben  Reichtum  behandelt,  sind  wie  die  Vor- 
derseite. 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  119 

Von  den  bemalten  Möbeln,  über  deren  Behandlung  auf  die  bezüglich 
dieser  Art  gemachten  Bemerkungen  bei  den  Bettstellen  verwiesen  sei,  nimmt 
den  ersten  Rang  dem  Alter  nach  die  des  oberbayerischen  Zimmers  von  1667 
ein  (Fig.  91).  Dieselbe  ist  farbig  auf  Tafel  2  des  Werkes  von  Franz  Zell 
»Bauernmöbel  aus  dem  bayerischen  Hochland«  wiedergegeben.  Die  Schreiner- 
arbeit ist  wie  an  allen  diesen  Möbeln  die  denkbar  einfachste.  Die  gemalte 
Dekoration  und  der  Aufbau  folgt  dem  Typus  der  tirolischen  und  ober- 
deutschen eingelegten  Truhe.  Die  Ornamentik  wirkt  bei  aller  Naivität  in  den 
älteren,  besseren  Stücken,  zu  welchen  auch  unsere  Truhe  zu  zählen  ist,  sehr 
frisch.  Die  Hauptsache  aber  ist  die  kräftige  und  doch  gut  abgestimmte 
farbige  Behandlung.  Die  Grundtöne  sind  Blau  und  Weiß,  die  abwechselnd 
auch  als  Grund  erscheinen.  Die  umrahmenden  Glieder  sind  rotbraun  ge- 
strichen, dazwischen  kommt  sparsam  verwendet  ein  mattes  Braun  und 
Grün  vor. 

Der  oberbayerischen  Kistlerarbeit  steht  die  der  deutschen  österreichischen 
Lande  am  nächsten.  Während  wir  keine  bayerische  Truhe  des  18.  Jahr- 
hunderts besitzen,  ist  eine  solche  aus  Dalaas  in  Tirol  vorhanden,  die  freilich 
keine  hervorragenden  Eigenschaften  besitzt.  Der  Grund  ist  in  grünblauer 
Steinfarbe,  die  Profilierungen  und  die  drei  achteckigen  Füllungen  der  Vorder- 
seite sind  weiß-rot  marmoriert.  Nebst  mehreren  Buchstaben  findet  sich  die 
Jahreszahl  1786. 


Fig.  92.    Truhe  aus  dem  Egerland,  Nordböhmen ;  19.  Jahrh. 

Etwas  stattlicher  schon  präsentiert  sich  eine  oberösterreichische  Truhe 
mit  beweglichem,  übrigens  ganz  einfachem  Untersatz.  Auch  sie  hat  marmo- 
rierte Bemalung.  In  den  drei  Füllungen  des  Deckels  ist  hübsches,  spät- 
barockes Ornament  eingemalt,  an  den  Schmalseiten  und  an  der  Vorderseite 
sind  kolorierte  Kupferstiche,  fünf  an  der  Zahl,  teils  aufgerieben,  teils  ein- 
geklebt. Die  Verwendung  verschiedenartigsten  Materials,  Veduten,  Jagdszenen, 
kleinen  menschlichen  und  Tierfiguren,  nebst  Pflanzen  durch  und  nebenein- 
ander, kehrt  auch  an  besseren  Stücken  des  öfteren  wieder. 


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120  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS.    VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


Die  jüngsten  der  bemalten  Truhen  sind  diejenigen  des  Egerlandes,  die 
wohl  ziemlich  hoch  in  die  erste  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  hereinreichen. 
Bei  beiden  Truhen  ist,  wie  bei  der  Mehrzahl  der  süddeutschen  Truhen,  der 
alten  Tradition  folgend,  der  Truhenkasten  vom  Aufsatz  abnehmbar.  Freilich 
in  den  dürftigen,  wenn  auch  heutzutage  wieder  besonders  beliebten  Formen 
der  Biedermeierzeit.  Der  einfache  Rahmen  steht  auf  vier  schlanken,  vierseitigen 
Pyramiden.  Die  Malerei  bei  diesem  Stücke,  bei  der  helles  Blau  und  Rot  vor- 
wiegt, ist  wie  bei  der  Mehrzahl  der  Egerländer  Möbel,  von  großer,  wenn 
auch  stark  handwerklicher  Geschicklichkeit.  In  den  Rahmen  der  Füllungen 
an  den  Schmalseiten  und  auf  dem  Deckel  sind  ganz  flüchtig,  aber  wirksam 
Blumengewinde  hingemalt.  Die  beiden  Füllungen  der  Vorderwand  haben 
außerdem  weniger  gelungene  staffierte  Landschaften. 

Nordböhmisch  ist  auch  die  in  Fig.  92  abgebildete  Truhe.  Der  Unter- 
satz folgt  nach  dem  alten  Renaissanceschema.  Die  flotte,  lustige  Blumen- 
malerei, die  in  lebhaften  Farben  sich  von  einem  blaugrünen  Grunde  abhebt, 
ist  auf  dem  Bild  in  ihrer  Wirkung  natürlich  nur  zu  ahnen. 

Es  ist  ein  weiter  Weg,  den  wir  mit  den  bäuerlichen  Truhen  durch  eine 
Zahl  von  deutschen  Gauen  —  sämtlich  sind  sie  leider  nicht  vertreten  —  zu- 
rückgelegt haben.  Wie  und  wie  verschieden  das  Volk  fern  von  Kultur- 
zentren die  Formen  eines  Möbels  und  seine  Verzierung  auffaßte,  ist  interessant. 
Aber  auch  wie  von  Nord  nach  Süd  und  umgekehrt  kleine  Übergänge  von 
einem  Stamm  vom  andern  sich  finden  lassen,  während  Fühlen  und  Geschmack 
des  Südens  und  Nordens  andererseits  von  einer  unüberbrückbaren  Kluft  ge- 
trennt wird. 


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zu  H.  S.  BEHAM.  (PAULI  832.) 

VON  DR.  E.  W.  BREDT. 

Der  bei  Lippmann,  Kupferstiche  und  Holzschnitte  III.  41.  ganz  und  bei 
Fischer  &  Franke,  das  Kupferstichkabinett  I.  zur  Hälfte  reproducierte 
Beham'sche  Holzschnitt  muß  sich  im  16.  Jahrhundert  ganz  besonderer  Beliebt- 
heit erfreut  haben  In  dem  Glocken don'chen  Missale  (B.  28  gr.  4.)  der 
Nürnberger  Stadtbibliothek  finden  sich  auf  Fo.  87  und  Fo.  124  größere  Teile 
daraus  kopiert  und  einzelne  Gruppen  des  figurenreichen  und  kulturgeschicht- 
lich sehr  amüsanten  Holzschnittes  mögen  sich  da  und  dort  auf  Zinnkrügen, 
keramischen  Gegenständen  und  Möbeln  jener  Zeit  gewiß   nachweisen  lassen. 

Es  sei  nun  hier  darauf  hingewiesen,  daß  das  jetzt  in  der  Sakristei  der 
Ordenskirche  zu  St.  Georgen  in  Bayreuth  befindliche  Ölgemälde,  das  Fr.  Hof- 
mann in  seinem  Werke  »Bayreuth«  (München  1902)  publiziert  hat  ohne  auf 
den  Holzschnitt  hinzuweisen,  dem  Beham'schen  Holzschnitte  ziemlich  genau 
folgt.  Der  rechte  Teil  des  Holzschnittes  aber  ist  in  dem  Gemälde  Nr.  528 
des  Germanischen  Museums  immerhin  so  treu  kopiert,  daß  sich  das  Vorbild 
nicht  verkennen  läßt.  Das  Ganze  der  Landschaft  ist  deutlich,  trotz  den 
durch  die  Übersetzung  ins  Malerische  geratenen  Abänderungen,  wiederzuer- 
kennen, auffällig  wird  aber  das  Bild  für  Freunde  der  »Kleinmeister«  durch 
die  fast  ganz  getreue  Wiedergabe  der  fidelen  Gesellschaft  im  Kahn,  das  Paar 
auf  einem  Pferde  reitend,  das  Liebespaar  hinterm  Busch.  Auf  andere  Ent- 
lehnungen braucht  hier  nicht  hingewiesen  zu  werden.  Vorbild  und  Nachbild 
ist  sicher.  Daß  das  im  Germanischen  Museum  befindliche  Bild,  das  bisher 
der  Cranach'schen  Schule  zugeschrieben  wurde,  nur  die  eine  Hälfte  eines 
Bildes  darstellt,  wäre  möglich,  und  durch  diesen  Hinweis  möchte  die  Suche 
nach  der  anderen  Hälfte  des  Bildes  angeregt  werden.  Die  Komposition,  die 
hier  links  mit  dem  großen  Baum,  der  den  Beham'schen  Schnitt  schon  in  zwei 
Hälften  teilt,  abschließt,  ist  allerdings  so  geändert,  daß  der  kopierende  Maler 
sehr  wohl  die  Hälfte  als  ein   selbständiges  Ganzes   betrachtet   wissen   durfte. 

Oder  sollte  das  in  Bayreuth  befindliche  Gemälde  Original,  der  Holzschnitt 
und  unser  Teilbild  nur  Kopie  von  Beham  und  einem  unbekannten  Maler  sein  ? 
Vielleicht  kommt  für  unser  Gemälde  J.  Glockendon  in  Betracht,  der  den 
Beham'schen  Holzschnitt  spätestens  1542  in  dem  genannten  Nürnberger  Missale 
kopiert  hat. 


Mitteilunf^Q  aus  dem  german.  NaUonalmuseum.    1904.  IC 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

kembrandt  von  Carl  Neumann,  außerordentl.  Professor  an  der  Universität  Heidel- 
berg.    Berlin  und  Stuttgart.     Verlag  von  W.  Spemann.  1902. 

Ein  Werk  wie  das  Neumann'sche  über  Rembrandt  läßt  sich  nicht  mit  wenigen 
Zeilen  kennzeichnen  und  würdigen,  denn  dazu  ist  es  zu  subjektiv  geschrieben,  und  der 
Inhalt  widerspricht  sich  zu  oft.  Auch  ein  Vergleich  mit  ähnlichen  Werken  kann  nur 
negativ  zur  Kennzeichnung  dienen.  Mit  Justi's  Velasquez,  oder  einem  Werke  Burckhardt's 
läßt  es  sich  nicht  vergleichen,  und  neben  Muthers  Geschichte  der  Malerei  des  19.  Jahr- 
hunderts dürfte  man  es  nur  stellen ,  wenn  es  mehr  aus  leidenschaftlicher  Freude  über 
eine  große  malerische  Bewegung  der  Gegenwart  —  wenn  es  weniger  gewissen  Tendenzen 
dienen  wollte,  weniger  zur  Verherrlichung  gewisser  malerischer  Schwächen  unserer  Gegen- 
wart oder  allerjüngsten  Vergangenheit  geschrieben  wäre.  Einer  kulturellen  Tendenz 
dient  das  vorliegende  Werk  Neumanns  ganz  offenkundig;  daß  es  aber  auch  einer  male- 
rischen Tendenz,  die  nun  allerdings  schon  etwas  hinter  uns  lie^t,  stark  huldigt,  wird 
Jeder,  der  mit  den  verschiedenen  künstlerischen  Richtungen  der  allerjüngsten  Vergangen- 
heit und  der  Gegenwart  vertraut  ist,  häufiger  bemerken,  als  er  in  einer  Darstellung  Rem- 
brandts  erwarten  durfte.  Durch  jene  Tendenz  wurde  das  Werk  zu  einem  Kulturdokument 
unserer  Zeit,  durchaus  nicht  von  bleibendem  Wert,  aber  doch  von  bleibendem  Interesse ; 
durch  die  kleinere  zu  einer  mehr  journaliören  .Xußerung  voller  Widersprüche  und  Tages- 
meinungen aus  Malerateliers  so  etwa  vom  letzten  Lustrum  des  alten  Jahrhunderts  —  einem 
Lustrum  für  die  Malerei  in  des  Wortes  reinigender  Bedeutung. 

Die  große  Tendenz,  der  Neumann  mit  seinem  Buche  dient,  wird  im  Vorwort  deut- 
lich bezeichnet:  —  »Und  es  ist  nun  allerdings  unsere  Meinung,  daß  Rembrandt  wie 
kaum  ein  anderer  ein  Lebendiger  ist.  Nicht  als  wäre  seine  Mal-  und  Ausdrucksweise  nach- 
zuahmen; sie  ist  das  Zeitliche  an  seiner  Kunst.  Was  lebendig  ist,  ist  sein  Empfinden 
und  Fühlen.  Es  ist  so  lebendig  und  prägt  so  sehr  Wesen  und  Sinnesart  der  nordischen 
und  deutschen  Natur  aus,  daß  man  zu  sagen  wagen  darf:  Rembrandt  ist  hierin  moderner 
als  die  Modernen.  Sein  Zusammenhang  mit  den  Wurzeln  der  Nation  ist  der  tiefere  und 
echtere. € 

»In  allen  diesen  Untersuchungen  wird  sich  eines  immer  deutlicher  herausstellen. 
Rembrandt  ist  nicht  nur  ein  großer  Name  der  Kunst ,  nicht  nur  ein  Lebendiger  in  der 
Gegenwart,  sondern  eine  werbende  Kraft  und  Macht  unserer  ganzen  zukünftigen  Kultur.« 

»Man  wird  in  diesem  Sinn  Rembrandt  und  Holland  im  Folgenden  der  Welt  der 
»Renaissancekultur«  wie  eine  andere  Hemisphäre  gegenüber  gestellt  finden.  Um  jedem 
Mißverständnis  vorzubeugen,  sei  gleich  hier  bemerkt ,  daß  unter  Renaissancekultur  jene 
Bildungs-  und  Gedankenwelt  zusammengefaßt  und  verstanden  wird ,  die  aus  der  italie- 
nischen hervorwachsend  sich  in  eine  kosmopolitische  verwandelt  hat.  Ihre  bezeichnen- 
den Züge  sind  Paganismus  und  Machiavellismus,  Aristokratismus  und  individualistischer 
Anarchismus;  die  Lockmittel  ihrer  Verführung  sind  die  sogenannte  liberale  Weltanschauung, 
die  dem  Virtuosentum  aller  Gebiete,  der  Kunst  und  der  Politik,  des  Genußes  und  der 
Ausbeutung ,   freie  Bahn  geöffnet  hat ,   die  Auszeichnung    der    sogenannten  Vornehmheit 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  123 

der  Kult  und  die  Oberschätzung  der  Form,  der  Sinnenschönheit  u.  s.  w.  Die  Keime 
und  Möglichkeiten,  zum  Teil  schon  die  freie  Ausbildung  dieser  Anschauungen  und  Ideale 
liegen  in  der  italienischen  Renaissance.« 

Auf  welchen  Voraussetzungen  beruhen   nun  diese  Sätze  des  Renaissancestürmers  ? 

Indem  Rembrandt  modemer  als  die  Modernen  hingestellt  wird,  begeht  Neumann  den 
Fehler  so  vieler  tagesgefälliger  Schreiber:  mit  dem  >Geist  unserer  Zeit«  zu  operieren  als 
einem  schon  ganz  fest  gefQgten  und  beschriebenen  Begriff.  —  Was  soll  aber  nach  diesem 
Schluß,  der  auf,  zum  mindesten,  unklaren  Prämissen  beruht,  die  Binsenwahrheit:  »Sein 
(Rembrandt's)  Zusammenhang  mit  den  Wurzeln  der  Nation  ist  der  tiefere  und  echtere«? 
Dem  nordischen  Volke  steht  natürlich  der  nordische  Künstler  immer  näher  als  der  Fremde 
—  das  braucht  man  nicht  erst  aus  dicken  Büchern  herauszulesen  —  aber  Rembrandts 
künstlerischer  Größe,  die  von  Neumann  meist  mit  feinem  malerischem  Verständnis 
gezeigt  wird,  wird  das  deutsche  Volk  so  wenig  nahekommen  wie  das  italienische  oder 
spanische  oder  japanische  Volk.  Der  große  Künstler  ist  immer  Aristokrat  im  höchsten 
Sinne  des  Wortes,  er,  seinerseits  mag  immer  sein  Volk  recht  gut  kennen,  nahe  stehen 
können  ihm  aber  immer  nur  ganz  Wenige,  die  Wenigen  können  sehr  wohl  Fremde  wie 
Volksgleiche  sein,  wie  der  Verkehr  der  hohen  Aristokraten  immer  ein  internationaler 
war  und  ist.  Durch  Werbungen  im  Volke  läßt  sich  der  Großen  Ansehen  niemals  auf  die 
Dauer  erweitern,  ihre  Größe  allein  ist  die  dauernd-werbende  Kraft  —  und  diese  besitzt 
u.  E.  Rembrandt  so  gut  wie  Tizian  oder  Rubens  oder  Velasqucz,  um  neuere  Künstler 
nicht  noch  zu  nennen. 

Deshalb  hat  Neumann,  der  filr  die  Feinheiten  eines  ganz  eminenten  Aristokraten, 
wie  es  Rembrandt  war,  volkstümlich  werben  zu  können  glaubt,  nicht  nur  den  großen 
Fehler  so  vieler  Biographen  gemacht,  seinen  Helden  als  den  Einzigen,  den  Einzigen  fQr 
eine  künftige  Kultur  Heilbringenden  hinzustellen,  sondern  Rembrandt  und  seine  Kunst 
als  eine  der  Kunst  eines  anderen  der  größten  Maler  geradezu  entgegengesetzte  darzu- 
stellen. 

Es  mag  ja  in  gleicher  Weise  bezeichnend  sein  far  die  Schwäche  der  Sterblichen 
wie  für  die  Größe  der  Welt  unserer  Vorstellung,  daß  wir  so  gern  Alles,  mit  dem  wir 
uns  länger  beschäftigen,  größer  und  wichtiger  ansehen  als  alles  andere,  aber  es  kann 
immer  nur  mehr  auf  Flüchtigkeit  als  auf  Gründlichkeit  der  Anschauungen  und  Studien 
beruhen,  wenn  Einige,  dem  Geschmackswandel  oder  dem  Geschichtskalender  jeweils 
entsprechend,  mit  heller  Begeisterung  die  heterogensten  und  verschiedenst  werten  Geister 
preisen. 

Wie  kann  nun  aber  Neumann,  der  so  vorzüglich  und  tatsächlich  besser  als  die 
meisten  Kunsthistoriker  vor.  ihm,  das  ungemein  Wählerische,  man  darf  sagen  herzogliche, 
in  der  malerischen  Kunst  Rembrandts  zeigt,  wie  kann  ein  Künstlerinterpret  wie 
Neumann,  jene  »Renaissancekultur«  als  eine" der  Kunst  Rembrandts,  als  eine  der  Kultur 
nordischer  Künstler  entgegengesetzte  und  feindliche  hinstellen?  — 

In  jeder  Hinsicht  war  es  verfehlt  von  Neumann,  mit  Rembrandt  gegen  jene  Renais- 
sance anzukämpfen.  Denn  wie  Rembrandt  gerade  so  sehr  Repräsentant  des  künstlerischen 
Aristokratismus  ist  wie  irgend  einer  jener  Großen,  so  sehr  ist  er  »des  individualistischen 
Anarchismus«  »anzuklagen«.  Oder  hat  nicht  gerade  nach  Neumann's  Darstellungsver- 
suchen Rembrandt  die  Gesetze  anderer  Künstler  umgestoßen  und  mit  dem  vollendeten 
Werke  neue,  nur  für  ihn  selbst  gültige  Gesetze  der  Kunstgeschichte  diktiert,  wie  dies 
jede  wirkliche  künstlerische  Größe  tun  wird  ?  —  Der  Kampf,  der  jetzt  von  anderer  Seite 
gegen  die  Form  der  Renaissance  geführt  wird,  ist  berechtigt ;  er  richtet  sich  nicht  gegen 
die  Großen,  sondern  gegen  die  kleinen  geistlosen  deutschen  Nachahmer  in  Architektur 
und  Kunstgewerbe,  die  ganz  und  gar  nicht  den  Feingehalt  des  Großen  und  der  Größen 
zu  respektieren  wußten.  Neumanns  Kampf  gegen  die  Renaissance  hat  mit  den  Imitationen 
dieser  deutschen  Kleingeister  des  16.  und  19.  Jahrhunderts  Kritiklosigkeit  gemein. 

Welcher  Künstler  welcher  Nation  hätte  nicht  dem  Kult  der  Sinnenschönheit  ge- 
opfert ?  Ist  Rembrandt,  der  ein  Kunstwerk  viel  teurer  bezahlen  wollte  als  von  ihm  über- 
haupt verlangt,  in   diesem  Sinne    einem  Künstler  des  Südens  entgegengesetzt?    Ist  nicht 


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124  LITEKAKISCHK  BESPRECHUXüEN. 

auch  Rembrandts  Weltanschauung  gerade  nach  Neumanns  Forschungen  eine  liberale  zu 
nennen  —  und  ist  er  als  Mensch  immerhin  schon  seine  eigenen,  oft  wenigstens  im  ent- 
fernteren Sinne  »übermenschlichen«  Wege  gewandelt  —  als  Künstler  ist  er  ein  Reprä- 
sentant des  Aristokratismus  wie  irgend  ein  Maler  der  zu  zerstörenden  Renaissance.  — 
Gerade  Rembrandt  ist  als  Mensch  der  Verführung  des  Schönen,  das  ihn  gerade  reizte, 
materiell  unterlegen,  wie  manche  Größe  der  italienischen  Renaissance.  Neumann  hat  ja 
die  Geschichte  von  Rembrandts  gefährlicher  Antiquitätenliebhaberei  vorzüglich  beleuchtet. 
Was  soll  dann  nach  jener  schiefen  Charakteristik  der  »Renaissance«,  nach  der  Versiche- 
rung :  Hollands  alte  Kunst  habe  ihre  Weltwirkung  noch  nicht  getan,  »da  die  Flut  der  Welt- 
kultur noch  am  Ende  ihres  Jahrhunderts  über  ihr  zusammenschlug«;  was  soll  dann  die 
pathetische  Mahnung:  »Talent  und  Genius  sind  Gunst  und  Gnade.  Wir  müssen  darum 
beten.  Was  wir  uns  selbst  geben,  und  was  wir  von  den  alten  Holländern  lernen  können, 
ist  die  Charakterstärke,  die  der  Verführung  widersteht  und  sich  bewußt  bleibt:  »Dies  ist 
unser,  so  laßt  uns  sagen,  und  so  es  behauptend 

Derartige  stark  pastoral-rhetorisch  klingende  Worte  sind  bei  so  wenigem  Gehalt 
besser  in  Volksversammlungen  angebracht  als  bei  der  künstlerischen  Würdigung  und 
—  Huldigung  eines  Großen.  Wenn  und  weil  Talent  und  Genius  Gunst  und  Gnade 
bedeuten ,  so  war  die  »Renaissance«  zweifellos  eine  weit  begnadetere  als  Holland.  So 
muß  es  nur  immer  verfehlter  erscheinen,  und  die  Worte  Neumanns,  die  einer  so  »schönen« 
Tendenz  dienen,  wirken  immer  leerer,  je  mehr  wir  ernstlich  holländische  und  italienische 
Kultur  vergleichen.  Wir  können,  denk  ich  wenigstens,  von  den  Großen  aller  Nationen, 
von  allen  großen  Künstlern  »Charakterstärke,  die  der  Verfuhrung  widersteht«  lernen, 
nicht  nur  von  Holland  und  Rembrandt.  Denn  das  Sich-selbst-treu-bleiben,  seine  Art  und 
Fähigkeiten  bis  auf  die  letzten  Möglichkeiten  auszubilden,  »auszuleben«  ist  ja  das,  was 
den  Großen  heraushebt  aus  dem  Kreise  der  Kleineren  aller  Völker. 

In  diesem  Punkte  allerdings  wird  niemand  leugnen  können,  daß  rein  malerisch  zwar 
auch  größte  italienische  Meister  Rembrandt  unterlegen  sein  mögen,  daß  aber  doch  ein 
Vergleich  mit  dem  universalen  Genius  eines  Michel  Angelo  oder  Lionardo,  ja  selbst  Dürers, 
in  engerem  Sinne,  mit  Rembrandt  zu  Ungunsten  des  letzteren  ausfallt,  insbesondere  in  Bezug 
auf  die  Modernität  und  das  große  Reich  der  Kunst.  Schließlich  ist  doch  auch  ein  Philosoph 
wie  Nietzsche  wenigstens  ein  Faktor,  den  Geist  unserer  Zeit,  also  das  Moderne,  zu 
bestimmen.  Diese  gewaltigen  Erfinder  und  Konstrukteure  auf  technischem  und  künst- 
lerischen Gebiete,  diese  gewaltigen  Naturen  und  Charaktere,  diese  Schiffsbauer,  Ingenieure, 
Architekten,  Bildhauer  und  Maler  in  einem  künstlerischen  Genius  vereint,  lassen  bei  aller 
Bewunderung  fQr  Rembrandt's  >Lichterfindung«  Neumann's  tendenziösen  Kampf,  den  er 
mit  Rembrandt  anführt,  in  vielen  einzelnen  Punkten  und  dem  ganzen  Ziele  geradezu 
donquichotisch  erscheinen. 

Als  ganze  Kultur  hat  uns  die  große  ifalienische  Renaissance  doch  mehr  zu  sagen 
als  Holland  und  Rembrandt,  wir  müßten  uns  denn  sehr  auf  einen  gewissen  Pfahlbürger- 
standpunkt zurückziehen  und  weit  von  Goethe  entfernen  wollen.  Neumann  widmet  ein 
großes  Kapitel  »Rembrandt's  malerischer  Ansicht  und  Weltansicht*,  und  mit  Fug  und 
Recht  wird  Rembrandt  als  der  Lichtmaler  ohnegleichen,  als  der  Lichtftnder  gewürdigt. 
Aber  wie  sehr  ist  Neumann  auch  hierin  seiner  Tendenz  zu  Liebe,  mit  Rembrandt  eine 
andere  Kultur,  andere  aber  gleichhochstehende  —  an  sich  freilich  incommensurable 
künstlerische  Größen  —  zu  verkleinern,  auf  Abwege  geraten.  Wenn  man  die  folgenden, 
wieder  hochpriesterlichen  und  orientalisch-blumenreichen  Sätze  liest,  fühlt  man,  daß  Neu- 
mann zu  sehr  in  ein'  Licht  geschaut  hat  und  nun  alle  anderen  Lichter  nicht  mehr  zu 
sehen  vermag.     Sehen  lernen  kann  man  dies  allerdings  nicht  nennen. 

»Die  sogenannte  klassische  Kunst  der  Italiener  ruht,  was  das  Sehen  anlanj»t,  auf  der 
Konvention  der  fixierten  Einzelerscheinung.  Mehrere  Einzelwesen  sieht  sie  nicht  zu- 
sammen, sondern  stellt  sie  zusammen,  indem  sie  sie  durch  Linie  und  Gesamtumriß  der 
Komposition  verbindet,  jeder  aber  ihre  selbständige  Bedeutung  lassend  und  die  Tiefen- 
vorstellung des  Raumes  durch  mannigfache  Kunstmittel  suggerierend.  Gegenüber  diesem 
Aggregatzustand  der  Einzelwesen,   die  nicht    zusammen  gesehen,  sondern  nur  zusammen 


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UTERARIJSCHE  BESPRECHUNGEN.  125 


vorgestellt  sind,  gegen  diese  plastisch-zeichnerische  Gewöhnung  erhob  sich  Leonardo  da 
Vinci  und  überhaupt  das  malerische  Sehen  der  lombardisch -venezianischen  Schule. 
Rembrandt  aber  ging  in  dieser  Richtung  nicht  etwa  einen  Schritt  weiter ;  er  gab  vielmehr 
etwas  anderes.  Er  brachte  nicht  nur  eine  antiplastische,  d.  h.  malerische  Kunst,  sondern 
auch  eine  antiindividuelle,  eine  Kunst  des  Flüssigmachens  des  Gestalteten,  eine  Kunst 
des  innerlich  Durchleuchteten,  vor  dessen  Macht  die  Form  wie  Hüllen  und  Schemen, 
wie  vorübergehende  Bindung  und  Lösung  ihre  Irrealität  einzugestehen  gezwungen  wird.< 

»Hier  ist  der  Punkt,  wo  das  optische  Problem  mit  einem  mal  einen  ganz  anderen 
Horizont  gewinnt,  wo  der  Renaissance  und  ihrer  an  das  heidnische  erinnernden  Ver- 
götterung des  Menschen  eine  Auffassung  sich  entgegenstellt,  die  von  der  Endlichkeit  und 
Bedingtheit  des  Menschlichen  durchdrungen,  die  Individuation  wie  einen  Schein  empfindet, 
wie  ein  Licht,  das  aufblitzt  und  im  Dunkel  erlischt.  Plötzlich  scheidet  sich  Kunst  der 
Vergangenheit  und  Kunst  der  Zukunft.« 

»Rembrandt's  Kunst  wendet  sich  von  dem  Surrogat  einer  Wirklichkeit  ab,  die  nur 
Individuen  kennt;  sie  löst  die  Bande  dieser  Zellenhaft;  sie  glaubt  nicht  mehr  an  die 
Unbedingtheit  körperlicher  Leistung  und  an  die  Selbstverständlichkeit  des  Lichts,  das 
dieser  Körperwelt  angehört.  Den  Trugschluß  durchschaut  er,  den  Mephistopheles  in  die 
Worte  gekleidet  hat,  daß  das  Licht  verhaftet  an  den  Körpern  klebe.« 

»Diesem  physikalischen  und  materiellen  Licht  der  Erscheinungswelt  setzt  er  sein 
Licht  —  daß  man  so  sage:  als  metaphysisches  Prinzip  entgegen.  Sein  Licht  ist  eine 
irrationell  göttliche  Macht,  welches  mit  dem  Dunkel  ringt,  das  alle  Wesen  bedeckt.  Sein 
Licht  ist  etwas  zauberisch-übernatürliches,  das  die  gemeine,  dunkle  Wirklichkeit  durch- 
bricht. Sein  Licht  ist  Magie  und  sein  Strahl  in  Rembrandt's  Hand  der  Zauberstab,  mit 
dem  er  die  Dinge  wandelt  und  zum  Dasein  beruft.  Das  Fiat  Lux  ist  der  Schlüssel  und 
das  Zentral-Machtwort  der  Schöpfung ;  es  ist  für  ihn  der  Logos,  von  dem  es  im  Johannes- 
evangelium heißt,  er  sei  am  Anfang  gewesen  und  alle  Dinge  seien  durch  ihn  gemacht 
und  ohne  ihn  sei  nichts  gemacht,  was  gemacht  ist.  In  ihm  war  das  Leben  und  das 
Leben  war  das  Licht.« 

»Vom  Standpunkt  der  italienischen  Kunst  aus  kann  Rembrandt  nicht  verstanden 
werden.  Auf  ihrem  Boden  ist  der  Akademismus  mit  seiner  Aesthetik  erwachsen,  seiner 
Fata  Morgana  der  Schönheit,  seiner  Lehre  von  der  Koordination  der  Ausdrucksmittel, 
die  in  gewissen  Dosen  gemischt  werden,  um  das  korrekte  Kunstwerk  zu  erzielen.  Von 
hier  aus  wäre  Rembrandt  nicht  anders  als  die  Venezianer  zu  beurteilen,  eine  Kunst- 
richtung, die  einseitig  ein  einzelnes  Ausdrucksmittel,  Farbe  oder  Helldunkel,  gepflegt  und 
ausgebildet  hat,  im  übrigen  aber  auf  demselben  Boden  der  Wiedergabe  der  Körperwelt, 
der  Gestalt,  steht.  Wenn  wir  Rembrandt's  Licht  als  ein  metaphysisches  Prinzip  bezeichnet 
haben,  so  ist  sein  Helldunkel  der  mystische  Prozeß  der  Fleischwerdung  und  Materialisierung 
dieses  Lichts.  Diesen  großen  Prozeß  wird  er  nicht  müde,  zu  studieren,  er  ist  das  große 
Problem,  der  Sinn  und  Geist  seiner  ganzen  Malerei.  Nicht  die  Individuation,  die  Körper 
und  Figuren,  die  äußere  Scheinwelt,  die  das  Thema  der  italienischen  Kunst  ist,  sucht  er 
wiederzugeben,  sondern  was  er  yon  dem  Nichtsinnlichen,  dem  wirklich  Wirklichen  ahnt, 
welches  nicht  in  tausend  und  abertausend  Egoismen  parzelliert,  sondern  ein  Allverpflichteter 
und  Allabhängiger  ist.  Indem  Rembrandt's  Kunst  die  Seele  sucht  und  die  verhüllende 
körperliche  Form  durchbricht  und  zerbricht,  bezeichnet  sie  kein  Grenzgebiet  der  bildenden 
Kunst,  bereit  etwa,  Gebietsteile  zu  besetzen,  die  der  Musik  gehörten  und  nach  der  seltsamen 
Lehre  von  der  Hegemonie  der  Musik  ausschließlich  mit  den  Mitteln  dieser  Kunst  beherrscht 
werden  könnten.  Vielmehr  ist  Rembrandt  an  sich  selbst  Beweis  und  hat  dargetan,  daß 
in  der  allgemeinen  Bewegung  der  Künste  ein  gemeinsames  Ziel  zum  Weltlichen  und  Nicht- 
sinnlichen hinweist,  wofQr  das  Sichtbare  und  Hörbare  nur  ein  Zeichen  ist.  Seine  Kunst 
hat  auf  legitime  Weise  den  Machtbereich  der  bildenden  Kunst  überhaupt  erweitert 
und  hat  aus  eigenen  Mitteln  in  der  Darstellung  des  Seelischen  und  Empfundenen 
ihr  Tiefstes  und  Mächtigstes  gegeben.« 

»Die  .Kunstauffassung  Rembrandt's  ist  zugleich  eine  Weltauffassung.  Aus  dem 
Gesagten  wird  indessen  niemand   entnehmen   wollen,  daß  wir  ihn  für  einen  Philosophen 


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LITERARISCHE  BBSPREGHUNQEN. 


halten.  Wir  sind  von  seiner* Art  des  Sehens  ausgegangen  und  haben  an  der  Hand  seiner 
Kunst  den  Ansatz  eines  Versuches  zur  Kritik  des  »reinen«  Sehens  gegeben ;  . . . « 

Ich  habe  hier  mehrere  Absätze  aus  Neumann 's  Rembrandt  wiedergegeben,  die  den 
Kern  der  Auffassung  und  die  Darstellungsweise  Neumann 's  recht  eigentlich  kennzeichnen. 
Ob  diese  Sätze  das  reine  »Sehen«  wohl  einem  beibringen  können  >  Wer  sie  schnell  über- 
liest, muß  sich  doch  an  den  sprichwörtlichen  Lärm  einer  Judenschule  erinnern  müssen  — 
und  wer  Satz  für  Satz  das  Ganze  prüft,  wird  nicht  umhin  können,  Neumann  in  soviel 
Punkten  zu  korrigieren,  wie  in  dem  Rahmen  dieser  Besprechung  gar  nicht  möglich  ist. 
Hier  mögen  in  genauer  Reihenfolge  nur  einzelne  Kragen  zur  Korrektur  der  von  Neumann 
aufgetischten  Dicta  anregen.  Beruht  etwa  Tizian 's  Kunst,  was  das  Sehen  anlangt,  auf  der 
Konvention  der  fixierten  Einzelerscheinung?  Hat  Tizian  oder  Giorgione  wirklich  die 
Einzelwesen  nur  zusammengestellt,  nicht  zusammen  gesehen  ?  Ist  denn  wirklich  nicht  ein 
sehr  enger  Zusammenhang  zwischen  venetianischer  und  niederländischer  Kunst  vorhanden } 
Es  ist  doch  wohl  nur  eine  von  vielen  Spitzfindigkeiten  Neumanns  —  um  ein  mildes  Wort 
solchen  Dokumenten  selbstgefälliger  Darstellung  gegenüber  zu  gebrauchen  —  zu  sagen, 
>  Rembrandt  ging  nicht  in  der  Richtung  des  malerischen  Sehens  weiter,  sondern  er  gab 
ein  neues,  eine  antiplastische  Kunst.«  Eine  bildende  Kunst,  die  das  Antiplastische  will, 
die  antiplastisch  schafft,  wird  uns  wohl  kaum  die  vom  Verfasser  angekündigte  »Kritik 
des  reinen  Sehens«  zu  erklären  vermögen.  Überdies  von  dieser  Zukunftskunst,  zu  deren 
Begründer  der  sehr  materiell  denkende  und  so  durchaus  plastisch  sehende  Rembrandt 
am  allerwenigsten  sich  hätte  machen  lassen,  und  die  Neumann  wohl  noch  einmal  gründlicher 
mit  Worten  des  neuen  Testamentes  erklären  wird,  von  dieser  Zukunftskunst  zu  sagen, 
sie  stelle  sich  der  Renaissance  und  ihrer  an  das  heidnische  erinnernden  Vergötte- 
rung des  Menschen  entgegen,  denn  diese  Kunst  empfinde  die  Individuation  nur  wie 
einen  Schein,  dieser  ganze  Versuch,  einen  eminenten  Maler,  der  eben  Maler  und  sonst 
nichts  sein  wollte,  in  ein  religions-philosophisches  System  zu  zwängen,  das  sich  etwa  mit 
dem  neuen  Testament  deckt,  hat  sehr  viel  Ähnlichkeit  mit  einem  Taschenspielerkunst- 
stück, das  allerdings  nur  sehr  geübte  nachmachen  können.  Neumanns  Worte  wirken 
zweifellos  blendend  —  sie  verderben  die  Augen  und  nichts  kann  die  Augen  besser 
hievon  kurieren  als  eine  Betrachtung  der  Rembrandt 's  in  Berlin,  in  Cassel  oder  Amsterdam. 

Der  Maler,  der  so  gern  sein  feistes  Ich,  seine  Saskia  gemalt,  dieser  grandiose 
Mark-  und  Blutmaler  hat  an  allen  Dingen  und  Menschen,  die  ihm  malerisch  erschienen, 
eine  solche  Freude  gehabt,  die  entschieden  nirgends  der  Oberzeugung  Ausdruck  gibt 
von  der  Endlichkeit  und  Bedingtheit  des  Menschlichen.  Er  beleuchtet  so  wählerisch  und 
so  eigen  das,  was  er  malen  oder  radieren  will,  wie  irgend  ein  anderer  großer  Maler  jen- 
seits oder  diesseits  der  Alpen  oder  der  Pyrenäen.  Nachzumachen  vermags  ihm  Keiner; 
aber  trotz  allem:  sein  Licht  ist  nicht  ein  metaphysisches  Prinzip  und  auch  symbolisch 
ist  sein  Licht  nicht  aufzufassen,  etwa  im  Sinne  der  allerchristlichsten  Demut.  —  Neumann 
hat  uns  mit  großem  Geschick  in  seinem  Buche  Rembrandt  gerade  als  einen  ganz  besonders 
malerischfreudigen  Mann  geschildert.  Es  ist  doch  seltsam,  in  den  hier  zitierten  Sätzen 
(S.  168 — 171)  Rembrandts  Kunst  fast  so  dargestellt  zu  finden,  als  ob  es  sich  um  ein 
neues  Evangelium,  jedenfalls  um  einen  neuen  Apostel  handelte  —  dann  (S.  174)  zu  lesen: 
>Was  hatte  doch  Saskia  für  einen  Mann,  der  auf  dem  Felde  weiblicher  Putzsucht  fast 
noch  mehr  Frau  war  als  sie  selbst!  Der  in  Toilettesachen  der  wählerischste  und  schwerst 
zu  befriedigende  war,  der  besser  als  jede  Modistin  Hüte  zu  erfinden  und  zu  garnieren 
und  mit  Federn  zu  putzen  wußte  —  ...  der  denn  auch  für  sich  selbst  die  Mittel  der 
Gefallsucht  nicht  sparte,  Barette  in  allen  Formen,  runde  und  mützenartige  und  geschlitzte 
erfand  .  .  .  und  der,  nach  dem  Zeugnis  eines  Schülers,  sich  ein  bis  zwei  Tage  damit 
aufhalten  und  beschäftigen  konnte,  einen  Turban  nach  seinem  Geschmack  aufzusetzen.« 
Rembrandt  war  immer  eine  ganze  und  große  Malerseele  und  es  heißt  nur  sich  an  seinem 
einzigartigen  malerischen  Können  nicht  begnügen  können,  wenn  man  gerade  ihm  alle 
möglichen  religiösen  Tendenzen  zugeheimnisssen  will,  wie  Neumann  dies  überall  tut. 
Moralische  Tendenzen  werden  doch  sonst  nur  von  kleinen,  aber  wichtig  sich  geberdenden 
Schulmeistern  den  großen  schöpferischen  Geistern,  den  Künstlern,  untergeschoben.    Was 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


127 


aber  bei  Neumann  noch  viel  unangenehmer  wirkt,  ist  die  nur  durch  den  Wortschwall 
leicht  übersehbare  Unconsequenz  in  der  tendenziösen  Verwertung  eines  Künstlers:  Man 
stelle  doch  neben  den  hier  zitierten  Satz :  »Nicht  die  Individuation,  die  äußere  Scheinwelt, 
die  das  Thema  der  italienischen  Kunst  ist,  sucht  er  wiederzugeben,  sondern  was  er  von 
dem  Nichtsinnlichen  ahnt,  welches  nicht  in  tausend  und  abertausend  Egoismen  par- 
zelliert .  .  .  c  -—  Sätze  aus  anderen  Kapiteln,  die  Rembrandt  und  seine  Kunst  vortreff- 
lich kennzeichnen  >Der  stoffliche  Zauber  schönen  Frauenhaars  hat  Rembrandt  oft  be- 
schäftigt«. »Selbst  in  Kompositionen,  bei  denen  man  Rembrandt  ganz  im  dramatischen 
Affekt  gefangen  glauben  sollte,  einer  Opferung  Isaaks,  einer  Kreuzabnahme,  vergißt  er 
sein  Interesse  für  Stoffe  und  Kleider  nicht.«  »Rembrandt  hatte  alle  Zeit  eine  kindlich- 
barbarische Freude  am  Glänzenden  und  Glühenden.«  »Amsterdam  war  der  Ort,  das  Auge 
an  diesen  Dingen  zu  weiden;  in  der  reichen  Handelsstadt  war  derselbe  »Juweliergeist« 
den  Burkhardt  an  Venedig  mit  unnützem  Tadel  erkennt.«  (!) 

Neumanns  Tadel  der  italienischen  Maler,  die  nur  konsequent  und  —  um  im  Sinne 
des  Moralisten  Neumann  zu  sagen  —  charaktervoll  zu  der  Art  von  Malerei  kamen,  die 
eine  trockenere  Atmosphäre  als  die  Venedigs  oder  der  Niederlande  den  Künstlern  wies, 
ist  gewiß  unnütz  wie  alles,  was  unwichtig  ist.  —  Es  fehlt  in  Neumanns  dickem  Buche 
jedenfalls  ein  sehr  wichtiges  und  großes  Kapitel,  das  über  die  große  Verschiedenheit  der 
gegebenen  Faktoren,  der  italienischen  und  der  niederländischen  Malerei  handelt.  Hier 
wäre  —  vorausgesetzt,  daß  ein  Renegat  in  künstlerischen  Dingen,  wie  Neumann,  zu 
solcher  Einsicht  f^ig  —  an  der  Hand  unzähliger  Beispiele  darzutun  gewesen,  wie  die 
Malerei  immer  in  den  Landschaften  einer  trockeneren,  wasserarmen  Lult  auch  kompo- 
sitioneil strenger,  ruhiger  wurde  —  wie  gesetzmäßig  und  »charaktervoll«  es  von  der 
Kunst  war  bei  wasserreichem  Luftgehalt  —  wie  in  Venedig  und  den  Niederlanden,  nicht 
nur  weicher  in  der  Farbe,  überhaupt  mehr  farbig  und  flächig  statt  zeichnerisch  zu 
werden  —  wie  hier  die  strenge,  einzelfigurige  Komposition  gelöst  wurde  —  während  in 
der  Malerei  bei  meist  trockener  Luft  die  Kunst  der  Zeichnung  das  Glänzendste  leistete 
und  die  Komposition  strenger  wurde  und  das  Auge  mehr  am  Einzelnen  als  am  Ganzen 
Interesse  finden  konnte  und  mußte.  Die  weichere  Luft  weckt  immer  das  malerische,  die 
härtere  das  zeichnerische  Empfinden  und  Können.  Dürer,  und  sein  Aufenthalt  in  Venedig 
ist  für  die  deutsche  Kunst  ein  Beispiel  für  beide  Erscheinungen  —  wie  denn  Barbizon 
und  Dachau  und  Worpswede  nicht  willkürlich  gewählt,  nicht  zufällig  eine  mehr  malerische 
als  zeichnerische  Malerei,  eine  freiere  Komposition  von  den  Künstlern  dieser  Niederungen 
erstrebt  und  erreicht  wurde. 

Aber  wie  nun  die  kurzsichtige  Tageskritik  häufig  genug,  in  der  Zeit,  da  Neumann 
etwa  sein  Rembrandtbuch  schrieb,  den  Fehler  beging  eben  nur  Koloristcn  ä  la  Schott- 
land oder  Barbizon  für  große  Maler  auszuschreien,  so  sieht  nun  Neumann  in  Rembrandts 
Land  und  Kunst,  die  freilich  der  italienischen  Renaissance  entgegengesetzt  sein  muß, 
allein  Wahrheit  und  Naturalismus  und  Charakter.  Das  ist  ein  Fehler  des  Tendenz- 
schreibers und  Inkonsequenz  eines  moralistischen  Kunsthistorikers. 

Sinnenfreude  und  Freude  an  der  Schönheit  der  irdischen  Erscheinungen  sind  den 
Künstlern  aller  Länder  eigen  —  coelum  non  animam  mutant  qui  trans  mare  currunt  — 
das  gilt  von  den  Künstlern.  Konsequenz  der  Entwicklung  und  Charakter  —  aber  dies 
auch  nur  im  künstlerischen  Sinne  —  gibt  Künstlergröße.  Als  die  Niederländer  die  Dinge 
so  sehen  und  malen  wollten,  wie  die  Italiener,  wurden  sie  zu  Akademikern,  weil  in 
Holland  die  Luftvoraussetzungen  für  jene  kältere,  ruhigere  Malerei  fehlten.  Gerade  so 
ist  anderwärts  die  Niederländerei  »Konventionalismus,  Akademismus«  mit  Recht  genannt 
worden.  Die  »Schönheit«  allein  hat  keinen  verführt,  aber  ihrem  Zauber  sind  alle  Großen 
gefolgt,  Rembrandt's  Vorliebe  für  äußerst  wählerische  Inszenierung  und  Dekoration  be- 
zeichnet ein  Wesentliches  seiner  Kunst.  Dieser  Hinweis  ist  in  der  Kritik  des  Neumann- 
schen  Buches  nicht  überflüssig.  Die  größere  Tendenz  wendet  sich  gegen  die  »Schön- 
heit« der  »Renaissance«  —  die  kleinere  und  sehr  ephemere  Tendenz  des  Buches  will 
aber  nachdrücklich  die  Malerei  des  Häßlichen  als  charaktervoller  hinstellen  als  die  Malerei 
des  Schönen.«     Ober  diese   Streitfrage   selbst   sei   hier   nichts  gesagt,  aber  wie  kann  ein 


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UTERAKISCHE  BESPRKCHUNGEN. 


Maler  wie  Rembrandt,  der  nach  Neumanns  eigenem  Urteil  —  und  wie  viele  Stellen  aus 
seinem  Buche  wären  hier  zu  zitieren  —  eine  solche  Freude  an  köstlichem  Kunst-  und 
Flitterkram,  an  Sonne  und  Licht  gehabt,  als  Künstler  geflißentlich  hinzustellen  versucht 
werden,  der  das  Häßliche  mehr  als  das  Schöne  gesucht  und  gemalt  habe.  —  Gewiß  hat 
dieser  derbe,  von  gesunder  Sinnlichkeit  leuchtende  Kerl  nicht  in  allen  Dingen  einen 
solchen  Geschmack  besessen,  daß  er  etwa  ein  Maler  einer  eleganten  und  vornehmen 
Welt,  einer  Welt  deren  Augen  entwöhnt  von  Schmutz  und  allem  Häßlichen  und  Nied- 
rigen, hätte  werden  können.  Grazie,  Anmut  und  Eleganz  war  nicht  seine  Aufgabe. 
Aber  immer  war  er  schönheitswählerisch  in  seinem  Sinne  und  ich  sehe,  mit  wenigen  Aus- 
nahmen im  Werke  Rembrandts,  keinen  Grund,  kein  Material,  Rembrandt  der  Häßlichkeits- 
sucherei  wegen  anzuklagen,  zu  verteidigen  oder  zu  rühmen.  Sieht  Neumann  etwa  in 
Rembrandt  deshalb  einen  Häßlichkeitssucher,  weil  er  gern  Alte  gemalt  hat?  Dann  könnte 
man  seine  Anschauung  gelten  lassen  —  aber  S.  437  stellt  er  es  für  verkehrt  hin :  Alter  und 
Häßlichkeit  filr  gleichbedeutend  zu  halten.  Wenn  Neumann  die  Renaissance  anklagt,  daß 
sie  das  »Schöne«  zu  sehr  gemalt,  daß  sie  zu  sehr  zusammengestellt  und  gewählt  habe  — 
so  muß  man  ihn  an  die  große  Zahl  von  Fällen  erinnern,  wo  er  teils  mit  anderen  Kunst- 
kritikern, teils  als  erster  Rembrandt  nachweist,  wie  gern  er  nur  aus  Freude  am  schönen 
Stofflichen  etwa  einen  beturbanten  farbenprächtigen  Türken  neben  den  Leichnam  Christi 
stellt,  wie  gern  er  die  Menschen,  wie  reich,  wie  prächtig  er  sie,  d.  h.  doch  wohl  auch 
schön,  maskiert,  ja  wie  sehr  er  —  ganz  im  Gegensatz  zu  gewissen  sehr  verspäteten 
deutschen  Nachahmern  Manets,  die  Natur  korrigiert,  wie  er  des  Tages  und  der  Nacht 
Licht  gleichzeitig  auf  Bildern  zu  kombinieren  weiß,  um  eben  mit  allen  Mitteln  die  bild- 
liche Schönheit  zu  erreichen,  die  ihm  vorgeschwebt.  —  Rembrandt  war  im  besten 
malerischen,  nicht  im  historisch-akademischen  Sinne  ein  Eklektiker,  er  insceniert  und 
komponiert  mit  einer  Schärfe  der  malerischen  Überlegung  so  wählerisch  wie  nur  irgend 
ein  Großer. 

Wie  völlig  befangen  Neumann  durch  seine  moralästhetischen  Tendenzen  geworden 
(sein  Buch  strotzt  insgeheim  von  der  üblichen  Nutzanwendung  »il  faut  donc« !)  mögen  nur 
wenige  Zitate,  die  sich  gleichzeitig  auffallend  widersprechen,  beweisen. 

Gelegentlich  bekommen  die  Italiener  einen  Hieb  ab,  weil  sie,  um  ein  recht  schönes 
Haar  malerisch  bedeutend  zu  behandeln,  so  gern  büßende  Magdalenen  gemalt.  Rem- 
brandt wird  durch  Neumann  von  solchen  Malern,  die  eben  ihr  Verlangen  nach  Farbe 
durch  die  Wahl  eines  solchen  Themas  nur  dokumentieren,  weit  abgerückt;  geschickt 
geschieht  dies  freilich  nicht.  Oder  sind  die  beiden  wirklich  noch  sehr  getrennt,  wenn 
es  S.  179  heißt:  »Für  Rembrandt 's  Experimente  waren  die  »toten«  Dinge  die  geeignet- 
sten Körper.  Wie  wahr  dies  ist,  kann  man  den  zahlreichen  Fällen  dieser  Jahre  ent- 
nehmen, wo  das  Figürliche  fast  nur  Vorwand  und  Konzession  an  das  Publikum  ist;  was 
den  Maler  interessierte,  waren  Nebendinge,  Kostüme,  Wappen  und  Geräte  mit  ihrer 
eigentümlichen  Ton-  und  Lichtbildung.  So  daß  es  lohnend  wäre,  die  ganze  Schöpfung 
dieser  Periode  auf  ihren  Stillebencharakter  hin  durchzugehen,  wobei  man  unter  Stilleben 
alle  die  Kompositionen  verstehen  würde,  bei  denen  die  Bedeutung  des  Gegenständlichen 
und  der  in  Worten  ausdrückbare  Inhalt,  der  Stoff  der  Darstellung  vor  den  formalen 
Problemen  und  Interessen  des  Künstlers  zurücktritt  oder  verschwindet.«  Also  ganz  wie 
so  viele  böse  Italiener!  Neumann  kommt  seiner  Tendenzen  wegen  immer  wieder  in 
Sackgassen.  Hier  —  besonders  för  die  Epoche  seines  Lebens,  in  der  er,  wie  Neumann 
etwa  sagt,  seine  Sprache  fand,  —  hat  also  das  formale  Problem,  ein  Kennzeichen  der 
durch  Neumann  nun  antiquierten  »Renaissance«,  alles  andere  zurückgedrängt. 

Noch  humoristischer  wirken  die  Widersprüche  Neumann's  über  Rembrandt's  Natu- 
ralismus und  seinen  Kult  des  Häßlichen.  Da  Neumann  selbst  die  Widersprüche  empfindet, 
schlägt  er  sich  mit  Begriffen,  mit  Klassifikationen  die  einem  alten  Schematiker  alle  Ehre 
machen  würden  (S.  185).  »Der  Naturalismus  hat  als  Begleiterscheinung  die  Häßlichkeit.« 
Da  nun  N.  uns  beweisen  will,  daß  Rembrandt  den  Kult  des  Häßlichen  verehrt  habe,  darf 
sein  moralischer  Held  doch  auch  nichts  »unnatürlich«  gemalt  haben.  Die  oben  zitierten 
Stellen   widersprechen   ja   zwar  schon   genügend  dieser  Fiktion  N.'s,  aber  auf  einige  be- 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  129 


sondere  Tendenzstückchen  des  kunsthistorischen  Don  Quijote  muß  doch  hingewiesen 
werden.  —  >Rembrandt  hat  Gestalten  im  Gefängnis,  in  dunkelen  Höhlen,  in  gewölbten 
dunkelen  Räumen  gemalt,  aber  so  wie  er  war,  mußten  ihm  Beschränkungen  dieser  Art 
lästig  sein.  Er  verdunkelte  die  Gründe  und  machte  Nacht,  einerlei  ob  die  Szene  im 
Binnenraum  oder  im  Freien,  bei  Tag  oder  im  Dunkel  spielte.«  Hiezu  gehört  dann  der 
rechtfertigende  Satz:  >Die  Stimmungen  und  Beleuchtungsarten  der  Alten  mögen  nicht 
der  häufigsten  und  gewöhnlichen  Lichtverteilung  und  Farbeneigenschaft  der  umgebenden 
Wirklichkeit  entsprechen ;  unnaturlich  kann  man  sie  darum  nicht  schelten.«  —  Wäre 
eine  solche  Verteidigung  überhaupt  nötig,  wenn  N.  nicht  immer  mit  Klassifikationen 
operierte,  in  die  große  Künstler  überhaupt  niemals  sich  hineinzwängen  lassen,  und  durch 
die  das  Verständnis  für  den  Künstler  ganz  gewiß  nicht  erleichtert  oder  erweitert  wird. 
Rembrandt's  Größe  schadet  es  nichts,  ob  er  > unnatürlich«  oder  > natürlich t  malte  —  aber 
sehr  schadet  ein  Biograph  sich  und  seiner  Darstellung,  wenn  er  den  großen  Gesichts- 
kreis verlassend,  sich  in  tendenziösen  Nebenzwecken  verliert. 

Neumann  treibt  das  Ausschlachten  Rembrandt's  für  seine  Tendenz  so  weit,  daß 
man  oft  meint,  er  hätte  eine  zweite  Ausgabe  von  »Rembrandt  als  Erzieher  —  von  einem 
Moraltheologen«  schreiben  wollen.  Was  soll  da  sein  Losschlagen  gegen  ein  kunstgeschicht- 
liches  >Latein«  —  wo  doch,  wenn  sein  Werk  Nachahmer  finden  sollte  von  >Kunstlatein« 
gerade  so  gedacht  würde  wie  von  >Küchen-«  oder  »Jägerlatein«.  Es  ist  sehr  bedenk- 
lich, einem  Künstler  —  zu  dessen  Verehrung  aJs  Künstler  man  beitragen  will  —  allerlei 
moralische  oder  religiöse  Motive  nicht  etwa  nur  zu  unterschieben,  sondern  ihn  eben  wegen 
der  gedachten  religiösen  Motive  über  die  anderen  Großen  zu  stellen.  Neumann  hat 
ein  Buch  über  den  »evangelischen«  Rembrandt  geschrieben,  »der  Dingen  und  Menschen 
ins  Herz  sieht  und  nichts  schön  findet  als  ihre  Seele,  ja  der  in  sich  die  evangelische 
Vorliebe  für  die  Letzten,  die  die  Ersten  sein  werden,  für  die  Armen  und  Bresthaften  und 
Häßlichen  entdeckt  und  ihnen  sein  mitleidiges  Fühlen  öffnet.«  (S.  367.)  —  Da  scheint 
mir  denn  doch  ein  Blick  auf  die  vielen  glänzenden  Maskeraden ,  die  Rembrandt  ganz 
gleich  auf  biblischen  und  profanen  Bildern  mit  aller  Verherrlichung  des  Flitterglanzes 
malt,  am  Platze  zu  sein  und  ich  möchte  hier  auf  Mut  her  s*),  wirklich  klare  und  knappe 
Porträtzeichnung  die  er  uns  von  Rembrandt  kürzlich  gegeben,  hinweisen :  Muther  ist  ganz 
Kunstseher  und,  er  erfüllt  die  Aufgabe,  die  ihm  geworden  reiner  als  Neumann,  weil  er  ein 
freieres  Urteil  hat  und  den  Künstler  nicht  als  Popanz  für  die  bösen  unfrommen  Künstler 
und  Laien  anderer  Richtung  verwendet.  Grade  gelegentlich  des  > Hundertguldenblattes«, 
bei  dessen  Besprechung  Neumann  zum  Missionsprediger  wird,  sagt  Muther  das,  was  uns 
bei  Betrachtung  von  Rembrandt's  Leben  und  Werken  so  nahe  liegt:  >Einen  Geist  wie 
den  Rembrandt's  denkt  man  sich  so  frei  und  so  groß,  daß  man  es  gern  sähe,  wenn  er 
statt  von  Wunderheiligen  und  hilfloser  Impotenz,  statt  von  einem  schwachen,  bresthaften 
Menschengeschlecht,  das  im  Glauben  Trost  findet,  von  einem  stolzen,  starken,  das  sich 
selber  zu  helfen  sucht,  berichtet  hätte.  Denn  schließlich  war  die  Renaissance  doch  vor- 
ausgegangen. Der  Losbewegung  vom  Christentum  gehörte  trotz  aller  kirchlichen  Re- 
aktionen die  Zukunft.  Und  da  wäre  es  sehr  pikant,  wenn  der  freieste  Künstler,  den  das 
17.  Jahrhundert  gebar,  auch  auf  diesem  Gebiete  schon  der  modernste,  ein  Antichrist,  ein 
Vorläufer  Nietzsche's  gewesen  wäre.  Doch  das  sind  Dinge  die  nicht  hierher 
gehören.« 

Neumann  hätte  übrigens  nur  seine  eigene  Ermahnung  an  das  Publikum  berück- 
sichtigen sollen:  (S.  529)  »Die  Beurteilung  von  Rembrandt's  religiöser  Kunst  nicht  irgend- 
wie mit  der  des  Menschen  Rembrandt  bewußt  oder  unbewußt  zu  verquicken.«  Ob  nun 
Rembrandt  der  allerchristlich-demütigste  oder  der  aller-übermenschlich  freieste  gewesen 
wäre,  an  seinem  Lebenswerk,  seiner  Kunst  ändert  das  nichts.  Deßhalb  sollte  ein  Kunst- 
historiker niemals  mit  bald  alt-,  bald  neutestamentlichen,  hochklingenden  Worten  einen 
Künstler  wie  Rembrandt  »traktieren,«  ihn  zu  einem  »apokalyptischen  Künder  des  großen 

*)  Rembrandt.  Ein  KOnstlorleben  ron  Rieh.  Mnther.  Mit  90  Abbildungen.  Egon  Fleische!  &  Co. 
nerlln  1904. 


MittdluDflren  aus  dem  german.  NationalmuBeom.    1901. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Tages  machen  und  von  ihm  sagen:  »Aus  dunkelen  Träumen  sich  erhebend,  hat  seine 
Kunst  in  mystischem  Sturm  den  Vorhang  gelüftet  und  geschaut  »von  Angesicht  zu 
Angesicht.««  —  Wenn  Neumann  sich  einer  schlichteren  Redeweise  bedienen  und  vor 
allen  Dingen  sich  des  allzuhäufigen  und  immer  pathetischen  Gebrauchs  biblischer  Worte 
—  die  hier  zu  rechten  Unkrautfloskeln  werden  —  enthalten  könnte,  so  würde  seine  Dar- 
stellung sympathischer  wirken.  Es  macht  mindestens  den  Eindruck  des  Hinarbeitens  auf 
sehr  äußerlichen  Effekt,  wenn  z.  B.  Rembrandt  gegenüber  d^  Wort  gebraucht  wird :  »Im 
Anfang  war  das  Licht«  während  in  dem  1896  erschienenen  Werkchen  Neumann 's:  »Der 
Kampf  um  die  neue  Kunst«  ein  Kapitel  in  dem  Aufsatze  über  Anselm  Feuerbach  —  einen 
Antipoden  Rembrandt's  x^^*  ^^^XV^  so  anfingt:  »Feuerbachs  Evangelium  beginnt:  im  An- 
fang war  die  Form;  sie  ist  das  konstituierende  Prinzip  seiner  Kunst.  Vollkommene  Form 
ist  Geist.  Geistiger  Ausdruck  ist  an  die  Form  und  ihre  Bewegung  gebunden.«  Und  wie 
sehr  kommt  Neumann  gerade  durch  diese  Sprache  in  die  Sackgasse  und  Widersprüche! 
(Vgl.  hierzu  S.  367.)  Mich  erinnert  überdies  dies  Paradieren  mit  neutestamentlichen 
Phrasen  an  gewisse  Leute  der  Gesellschaft,  die  fortwährend  von  feiner  und  standes- 
gemäßer Sitte  in  ihrer  Familie  reden,  während  es  gerade  Parvenüs  oder  doch  Söhne  von 
Parvenüs  sind. 

Es  würde  zu  weit  führen,  Neumanns  »Rembrandt«  vorzugsweise  mit  Citaten  er- 
schöpfend zu  kennzeichnen,  aber  der  Geist  des  Historikers,  der  uns  dieses  Werk  gebracht, 
kommt  doch  genug  aus  den  Citaten  zu  Wort.  Und  der  Geist,  aus  dem  heraus  ein  solches 
Werk  geschrieben,  ist  doch  wohl  das  entscheidende,  denn  daß  ein  Werk,  das  den,  das 
Ganze  der  Persönlichkeit  umfassenden,  Titel  »Rembrandt«  trägt,  auf  einer  grolSen  Fülle 
von  historischen  Studien  zur  Kirnst  und  Kultur  der  ganzen  Zeitepoche  beruht,  ist  umso 
selbstverständlicher,  je  größer  der  Umfang  des  Werkes.  Und  dieses  Buch  Neumanns  hat 
glücklicherweise ,  dem  Volumen  nach ,  in  der  kunsthistorischen  Literatur  kaum  seines- 
gleichen. 

So  wird  es  schwer,  das  wirklich  Gute,  das  was  vorzüglich  in  diesem  Werke  ist,  aus 
allem  Tendenzwerk  in  den  historischen  Exkursen,  aus  dem  Ballast  an  Wortschwall,  heraus- 
zuschälen. Die  wichtigsten  Thesen,  die  Neumann  seinem  Buche  voranstellt,  daß  Rembrandt 
für  imsere  ganze  künftige  Kultur  eine  werbende  Kraft  *und  Macht  sei,  daß  die  ganze  Kultur 
der  italienischen  Renaissance  eine  für  uns  wert-  und  heillose  und  Rembrandt  recht 
eigentlich  unser  Erzieher  sei,  bleiben  offen,  jedenfalls  ist  die  Verteidigung  unklar  geführt. 
Oder  stellt  sich  wirklich  Neumann  »unsere  ganze  künftige  Kultur«  so  d  e  m  Bilde  vergleichbar 
vor,  das  er  uns  in  hochpriesterlicher  —  aber  unkünstlerischer  Stimmung  von  Rembrandt 
entwirft?  Sollten  wir  wirklich  nach  Goethe,  Schopenhauer,  Nietzsche,  einer  Kultur 
entgegengehen,  die  das  Ich,  die  Persönlichkeit  aufzugeben  gedenkt,  die  nicht  das  Äußere, 
nur  mehr  das  Herz  ansehen,  sollte  sie  sich  wirklich  gegen  jede  Auszeichnung  der  Vor- 
nehmheit, gegen  Sinnenschönheit  und  eine  freiere  Weltanschauung  erklären  r  —  Wir  können 
alle  den  »Geist  unserer  Zeit«  nicht  fassen,  aber  die  Erscheinungen  unserer  Zeit  scheinen 
auf  eine  stark  jugendliche  Regeneration,  auf  eine  freudige  Verehrung  des  kraftvoll 
persönlichen,  ja  des  rücksichtslosen  aber  großen  Wirkens  und  auf  eine  tiefere  Erfassung 
der  sinnfälligen  Schönheit  in  Gestaltung  und  Lebensführung  hinzudeuten.  Wenn  unsere 
Zeit  immer  humaner  zu  handeln  sich  bemüht,  so  hat  es  ganz  gew^iß  nicht  den  Anschein, 
als  ob  der  Mensch  der  künftigen  Kultur  nur  aus  allerchristlicher  Demut  heraus  schaffen 
und  wirken  wolle,  wie  Neumann  uns  von  dem  kraftvollen,  oft  rohen,  ganz  in  seiner 
eigenen  Umgebung  und  seinen  Wünschen  aufgehenden  Rembrandt  vermuten  machen 
möchte.  Doch  daß  derartige  Themata  überhaupt  in  einem  Buche,  das  einem  Künstler 
gilt,  eine  so  große  Rolle  spielen,  ist  entschieden  bedauerlich.  Besonders  schädlich  sind 
die  religiös  pathetischen  Ergüsse  dem  Neumann'schen  Buche,  weil  durch  sie  etwas,  was 
ganz  vorzüglich  zu  nennen  ist,  fast  erstickt  wird,  wie  überhaupt  Neumanns  Charakter- 
zeichnung Rembrandt's  durch  ein  Zuviel  an  jeder  Klarheit  verloren  hat. 

Weil  es  so  sehr  wahrscheinlich,  daß  das  Buch  von  Vielen  wegen  des  zu  Vielen, 
was  zur  künstlerischen  Würdigung  nicht  gehört,  enttäuscht  weggelegt  werden  wird,  ehe 
CS  ganz  gelesen,  sei  nun  auf  den  Vorzug  des  Neumannschen  Werkes  mit  aller  herzlichen 


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LITBRAfilSCHE  BESPRECHUNGEN.  131 


Freude  hingewiesen.  Neumanns  Bildkritiken  werden  den  malerischen  Qualitäten  vor 
allen  Dingen  gerecht.  Hierin  gibt  uns  Neumann  mehr  als  seine  wissenschaftlichen  Vor- 
gänger und  ich  möchte  seine  Kunst,  Bilder  nach  der  malerischen  Seite  zu  betrachten, 
machte  Schule,  denn  so  beschämend  das  auch  klingen  mag,  in  diesem  Punkte  geht  er 
doch  den  meisten  seiner  Kollegen  um  ein  gut  Stück  voran. 

Wenn  gerade  gegenüber  der  Nachtwache  Neumann  wieder  als  der  Historiker  alten 
Stiles  auftritt,  der  da  glaubt,  seinen  Helden  bis  zuletzt  verteidigen  zu  müssen,  so  sei  das 
als  eine  Annahme  bezeichnet.  Was  Fromentin  über  die  Nachtwache  sagt,  gefüllt  mir 
weit  besser,  und  da  Neumann  sich  sonst  wohl  vertraut  mit  den  Freuden  und  Leiden  der 
Bildmaler  zeigt,  überrascht  es  mich,  daß  er  die  Qual,  die  unserem  Rembrandt  diese 
»bestellte  Arbeit«  verursachte,  und  der  er  nicht  ganz  Herr  geworden  ist,  nicht  genug 
bemerkt.  Neumann  weist  mit  Recht  auf  den  Fehler  so  vieler  Werke  über  Malerei  hin : 
daß  sie  die  Farbe  oft  fast  ganz  und  gar  zu  betrachten  versäumen.  Daß  Neumann 
gerade  diesen  groben  Fehler  nicht  begeht,  daß  er  in  das  rein  Malerische  sich  besser  und 
unbefangener  als  in  alles  andere  vertieft  hat,  sei  ihm  besonders  und  rückhaltslos  gedankt. 
Er  aber  dankt  dies  den  vortrefflichen  Malern,  denn  er  hat  in  den  Ateliers  viel  und 
gut  sehen  gelernt  und  wenn  mir  manche  malerische  Äußerung  auf  den  einen  oder  anderen 
unserer  namhaften  Maler  zurückzuführen  zu  sein  scheint,  so  bedaure  ich  fast,  daß  nicht 
die  Künstler  namhaft  gemacht  worden  sind.  Dadurch  wäre  das  Werk  zu  einem  Beitrag 
zur  Geschichte  des  Geschmackes  unserer  Zeit  geworden  und  wir  wären  nicht  nur  den 
beiden  Künstlernamen,  denen  das  Werk  gewidmet,  im  Text  begegnet.  Übrigens  über- 
rascht der  Name  Klinger  auf  dem  Widmungsblatt.  Was  hat  mit  dem  N  e  u  m  a  n  n  'sehen 
Rembrandt  Klinger  geistig  gemein? 

Leider  ist  in  allem  das  Buch  zu  umfangreich  geworden.  Das  vortreffliche,  was 
der  Kunsthistoriker  in  den  Gemäldewürdigungen  findet,  ist  in  einer  dicken  Hülle  von 
Dingen,  die  er  entweder  hier  durchaus  nicht  braucht,  oder  die  er  anderwärts  selbst  zu 
finden  meist  in  der  Lage  ist.  Wollte  aber  Neumann  wirklich  ein  Tendenzbuch  in  dem 
hier  mehrfach  angedeutetem  Sinne  schreiben,  so  ist  eben  alles  Eingehen  in  das  Malerische 
und  rein  Künstlerische  überflüssig  gewesen  —  jedenfalls  wäre  dieser  Zweck  mit  einer 
viel  weniger  umfangreichen  Schrift  besser  erreicht  worden. 

Auf  die  Nachwelt  sind  derartig  dicke  Bücher  nur  selten  gekommen  und  es  ist  zu 
fürchten,  daß  auch  aus  Neumanns  Rembrandt  das  Vorzügliche ,  das  es  auf  malerischem 
Gebiete  bringt,  durch  allzu  großen  Ballast  in  das  Meer  der  Vergessenheit  gerissen  wird, 
che  die  Kunsthistoriker  das  Gute,  was  er  uns  gebracht,  angenommen,  geschweige  denn 
verarbeitet  haben  werden. 

Es  bleibt  unverständlich,  weßhalb  dem  ohnehin  dick  angeschwollenem  Werke  ein 
möglichst  umfangreiches  Äußere  zu  geben  versucht  wurde.  Liegt  es  doch  nun  zu  nahe 
das  Werk  mit  Klopstocks  dickleibigem  Messias  zu  vergleichen.  Auch  Neumann's  Werk 
ist  schon  vielfach  gerühmt  worden,  viele  Leser  dürfte  es  trotzdem  nicht  gefunden  haben 
—  das  Durchlesen  des  ganzen  Buches  erfordert  schon  recht  viel  Zeit  und  Lust  und  die 
Lust  zur  Lektüre  wird  durch  solch  umfangreiches  Buch  nicht  nur  nicht  geweckt,  sondern 
verscheucht. 

Es  war  nicht  klug,  dem  Bande  durch  ein  möglichst  starkes  Papier,  breiteste  Ränder 
ein  möglichst  volumniöses  Äußere  zu  geben.  Die  Mehrzahl  der  Bilder  ist  in  diesem  Werke, 
»das  gelesen  werden  will<,  völlig  überfiüßig ,  denn  abgesehen  davon,  daß  Bode's  herr- 
liches Rembrandt -Werk  immer  vorher  und  nachher  zu  betrachten  sein  wird,  die  Mehr- 
zahl der  Bilder  und  Stiche  in  recht  wohlfeilen  und  handlicheren  Ausgaben  zu  haben  ist, 
sind  die  Reproduktionen  zum  guten  Teil  recht  schlecht  und  es  wäre  geschmackvoller 
gewesen,  wenigstens  die  Tafeln  mit  den  Autotypien  nicht  einzuschalten,  sondern  als 
Anhang  zu  bringen.  Denn  der  buchkünstlerische  Eindruck  der  hier  angestrebt  wurde 
durch  Satz  und  Papier  wird  gerade  hierdurch  stark  beeinträchtigt,  wie  andererseits  eine 
entwickeltere  Buchkunst,  die  unsere  wieder  mehr  auf  Sinnenschönheit  ausgehende  Zeit 
anstrebt,  wohl  auch  das  Volumen  des  Werkes  zu  verringen  gewußt  hätte. 


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132 


UTEKAKISCHE  HE8PKECUUN<>EN. 


So  hätte  von  Autor  und  Verleger  durch  wählerische  Beschränkung  in  der  Masse 
des  zu  Bietenden  Ansehen  und  Volumen  des  Werkes  verringert  werden  sollen  —  dann 
hätte  das  Ansehen  des  Verfassers  vermehrt  w*erden  können. 

Aber  wenn  es  nicht  Jedermanns  Sache  ist,  so  oder  so  zu  schreiben,  so  bleibe  doch 
wie  bisher  in  kunstgeschichtlichen  Darstellungen  die  Phrase  verpönt  und  nie  diene  die 
Charakteristik  eines  der  führenden  Geister  der  Kunst  zur  Verfechtung  von  Tendenzen, 
die  religiösen  oder  politischen  Sekten  und  Parteiungen  überlassen  bleiben  mögen. 

Aber  es  scheint  nun  einmal  nicht  Neumanns  Bestreben  zu  sein,  durch  Ruhe,  Klar- 
heit und  Prägnanz  des  Ausdrucks  tief  zu  wirken,  er  kennt  die  klassische  Einfachheit  nicht, 
die  er  nicht  nur  von  den  Vertretern  der  bösen  italienischen  Renaissance,  sondern  ebenso 
gut  von  Rembrandt  hätte  lernen  können.  Das  Dekorative,  das  Ornamentale  spielt  bei 
ihm  die  herrschende  Rolle,  und  fremd  ist  ihm  die  Kunst  des  Kinrahmens.  Um  die  ein- 
fachsten Vergleiche  auszusprechen,  braucht  er  ganze  Reihen  von  termini  technici  aus  der 
Physik  oder  Chemie  oder  irgend  einer  anderen  Wissenschaft  und  sobald  es  irgendwie 
angängig,  wählt  er  das  auffallende  Kleid  und  die  Widerspruch  abwehrende  Pose  eines 
mächtigen  Vertreters  der  Kirche.  Seiner  kunstliterarischen  Erscheinung  nach  ist  er  nicht 
Maecen,  sondern  ein  reicher  Sammler.  Kr  besticht  durch  blendenden  Aufbau  nicht 
durch  vornehme,  sparsame  Mittel.  Sein  Haus,  das  er  so  gern  der  Menge  zeigt,  ist  voll 
ganz  ungleichwertiger  Schätze,  so  daß  der  Kenner  bedauern  muß,  auch  das  Beste  erst 
aus  der  Masse  des  Gebotenen  heraussuchen  zu  müssen.  Neumann  zeigt  seine  Kunst- 
schätze wie  ein  Parteiführer,  der  die  ganze  Gallerie  jeweils  dem  Parteizwecke  dienstbar 
macht  und  die  Kunst  zur  dienenden  Magd  einer  Kirche  erniedrigt.  Ks  fehlt  durchaus 
an  der  Harmonie,  die  einen  großen  Geist  kennzeichnet,  der  freilich  nicht  um  der  Menge 
Beifall  sich  kümmern  wird.  —  Wie  einsam  und  wählerisch  sind  dagegen  Burckhardt  und 
Justi,  wie  viel  und  wie  vornehm  wissen  sie  alles  zu  geben.  Wie  vorteilhaft  unterscheidet 
sich  aber  auch  Muthers  ganz  andere  Art  von  der  Neumann's.  Wir  müssen  in  der  deutschen 
wissenschaftlichen  Literatur  einen  durchaus  künstlerischen  Darsteller  wie  Muther  freudig 
begrüßen ,  zumal  er  seinen  subjektiven  Standpunkt  betont ,  ohne  sich  in  Widersprüche 
und  unkünstlerische  Tendenzen  zu  verlieren.  So  ist  Muther's  Rembrandt  dem  Neumann 's 
weit  überlegen.  Bisher  wurde  die  Art,  wie  Neumann  Kunstgeschichte  gibt,  den  Journalisten 
vorgeworfen,  die  doch  bei  anderer  Aufgabe  sich  anderer  Mittel  bedienen  dürfen  als 
Fernhinwirkende.  Möchte  diese  Art  Kunstgeschichte  zu  schreiben  nicht  Nachahmung  und 
Freunde  finden,  denn  wer  bei  jeder  Gelegenheit  ein  auffallend  buntes  Mäntelchen  sich 
umhängt,  der  muß  sich  wohl  zu  oft  nach  dem  Winde  richten.  E.  W.  Bredt. 


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LITERARISCHE  NOTIZEN. 

Meyer's  grosses  Konversations-Lexikon.  Sechste  gänzlich  neubearbeitete  und 
vermehrte  Auflage.    Bd.  I  -VI.  Leipzig  und  Wien.    Bibliographisches  Institut  1902. 

Dem  Bedürfnis  nach  rascher  und  möglichst  gründlicher  Orientierung  in  allen  Wissens- 
gebieten kommt  das  Meyer'sche  Konversationslexikon  mit  jeder  Auflage  besser  entgegen. 
Allen  möglichen  Berufskreisen  die  verschiedensten  Gebiete  des  Wissens  wenigstens  über- 
sichtlich zu  machen,  diesem  sehr  schwer  erreichbaren  Ziel,  das  sehr  klare  d.  h.  sehr  rare 
Köpfe  als  Mitarbeiter  voraussetzt  und  für  Abbildungsmaterial,  graphische  und  tabellarische 
Darstellungen  viel  Mittel  verschlingt,  ist  Meyers  großes  Konversationslexikon  denkbar 
nahe.  Ja  ich  halte  den  Titel  Konversationslexikon  bald  für  ein  solches  Werk  für  zu  ge- 
ring und  tatsächlich  für  ominös.  Oder  ist  wirklich  ein  solches  Werk  da,  um  uns  daraus 
zur  »Konversation«  allerlei  schöne  Worte  und  bunte  Federn  zu  holen?  So  etwa  ein  ins 
ernsthafte  übersetzte  Werk  wie  »Detmolds  Anleitung  zur  Kunstkennerschaft«  ?  —  Kürz- 
lich ist,  m.  W..  in  Paris  ein  recht  amüsantes  Konversationslexikon  erschienen,  das  so 
etwa  alle  Begriffe  der  eleganteren  Welt  der  modernen  Gesellschaft,  erklärt,  also  mit 
ganzem  Recht  den  Namen  Konversationslexikon  verdient.  Leider  zeigt  aber  die  Erfahrung, 
daß  unsere  vortrefflichen  Konversationslexika  nicht  oft  genug  benutzt  werden. 

Mehr  gewiß  noch  als  andere  Museen  empfängt  das  Direktorium  des  Germanischen 
Museums  tagtäglich  aus  den  verschiedensten  Kreisen  des  Volkes  Anfragen,  Fragen  um 
Rat  und  Auskunft  in  allen  möglichen  Sachen  der  Altertumskunde,  der  Kunstgeschichte, 
der  Technik  der  verschiedenen  Künste.  Drei  Viertel  dieser  Anfragen  wären  überflüssig, 
wenn  zuvor  Meyers  Konversationslexikon  gebraucht  worden  wäre.  Und  der  Museums- 
mann selbst,  von  dem  eine  Kenntnis  der  Geschichte  und  der  Denkmäler  von  der  grauesten 
Vorzeit  bis  zu  unserer  Zeit  erwartet  wird,  findet  häufig  genug  wenigstens  eine  erste  Aus- 
kunft auf  einem  ihm  ferner  liegenden  Gebiete  in  Meyers  Lexikon. 

Aus  allen  Berufskreisen  kommen  Leute,  die  irgend  ein  »Altertum«  anbieten  oder 
über  dessen  Zeit  und  Zweck  etwas  wissen  wollen  und  worüber  sie  selbst  die  unglaub- 
lichsten Vermutungen  aussprechen.  In  wie  vielen  Fällen,  in  denen  es  sich  z.  B.  um 
ein  ornamentiertes  Stück  handelt,  könnte  der  meist  etwas  eingebildete  Besitzer  sich  un- 
gefähr über  die  Zeit  orientieren,  wenn  er  den  Artikel  und  die  dazu  gehörige  Tafel 
»Ornamente«  sich  anschauen  würde.  Es  hat  Einer  eine  etwas  verbrauchte  Silbermünze 
auf  der  er  aber  den  Herrschernamen  und  das  Wappen  ganz  deutlich,  die  Jahrzahl  nicht 
mehr  lesen  kann,  gefunden.  Anstatt  nun  im  Lexikon  unter  dem  betreffenden  Namen 
und  Wappen  nachzusehen  ,  wodurch  der  Besitzer  finden  würde  ,  daß  es  sich  um  eine 
Münze  des  frühen  19.  Jahrhunderts  handeln  kann,  ist  ihm  die  als  3  gelesene  8  der  Jahres- 
zahl vorläufiger  Beweis,  eine  Münze  des  14.  Jahrhunderts  in  der  Hand  zu  haben.  Auch 
bei  Bronzefunden  würden  selbst  ganz  unkundige  Besitzer  durch  einen  Vergleich  mit  den 
entsprechenden  vorzüglichen  Abbildungen  im  »Großen  Meyer<  sich  immerhin  vorläufig 
orientieren.  Freilich  diese  beiden  Beispiele,  denen  aus  der  Museumspraxis,  die  übrigens  uns 
in  allen  Kreisen  eine  merkwürdige  Überschätzung  alles  Alten  kennen  lernen  macht,  viele 
andere  hinzugefügt  werden  müßten,  um  die  oft  nicht  geahnte  Nutzbarkeit  des  Meyer- 
schen  Lexikons  zu  illustrieren,  sollen  auch  auf  einen  kleinen  Mangel  des  neuesten  Meyer- 
schen  Lexikon  aufmerksam  machen. 


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134  •LITERARISCHK  NOTIZEN. 

Es  wäre  sehr  ratsam,  wenn  in  der  künftigen  Auflage  von  Meyers  Lexikon  die  vielen 
Textillustrationen,  die  die  Arten  und  Abarten  einer  bestimmten  Gattung  von  Gegenständen, 
z.  B.  Gläser,  Gewebe,  Pokale,  Stoß-  und  Schuß- Waffen,  Kopfbedeckungen,  Fußbekleidungen 
etc.  etc.  zeigen  noch  einmal  auf  je  einer  Tafel  —  sie  braucht  kein  Tafel-  sondern  nur 
Textpapier  —  vereint  gezeigt  würden.  Das  widerspricht  zwar  der  geistigen  Höhe  der 
Encyclopädie ,  die  Leute  eines  gewissen  Fonds  auch  von  historischen  Kenntnissen  vor- 
aussetzt, aber  sehr  wohl  könnte  auch  in  solchem  Werke  diesem  Bedürfnis  nach  Kenntnis 
gedient  werden.  Der  Museumsmann  bekommt  oft  genug  erklärlicher  Weise  aus  den  ge- 
bildetsten wie  aus  den  der  Volksschule  ];iervorgegangenen  Kreisen  die  Frage  vorgelegt,  wie 
heißt  diese  Art  von  Pokal,  diese  Art  von  Dolch,  diese  Hutform.  Viel  öfter  kommen  diese 
Fragen  an  uns  als  solche  nach  der  Erklärung  eines  Begriffs  wie  »Doppelbecher«,  »Aida«. 
»Eierstab«,  »Espingole«,  »Münzbecher«  etc.  etc.  Diese  Artikel  selbst  im  Lexikon  sind 
gewnß  sehr  am  Platze  und  sie  zeichnen  sich  in  Meyer's  Lexikon  durch  Klarheit  und 
erschöpfende  historische  Erklärung  aus,  aber  sehr  vielen  Fragen  käme  das  Lexikon  am 
besten  entgegen  durch  eine  nochmalige  bildliche  Zusammenstellung  aller  Arten  einer  be- 
stimmten Gattung  von  Gegenständen  zur  Kultur-  und  Kunstgeschichte.  Die  Zusammen- 
stellung derartiger  Abbildungen  in  größter  Reichhaltigkeit  ist  freilich  Sache  eines  zu  er- 
wartenden Handbuchs  der  Sammler  und  der  Museologie.  Diesen  Wunsch  Vieler  aber 
vorläufig  und  für  weite  Kreise  genügend  zu  erfüllen,  wäre  ein  Konversations-Lexikon  am 
besten  in  der  Lage.  —  Es  darf  ja  diese  sehr  erwünschte  Bereicherung  erhofft  werden, 
da  schon  auf  anderem  Gebiete,  vergl.  z.  B.  den  Artikel  »Festung«,  Meyers  Lexikon  durch 
illustrative  Zusammenstellungen  der  verschiedenen  Formen  der  Natur  oder  der  Technik 
den  Weg  zu  diesem  Ziele  —  der  die  Benutzung  des  Lexikons  sehr  erleichtert  —  schon 
mit  größter  Umsicht  beschritten  hat.  Sollte  die  Erfüllung  dieses  Wunsches  illustrativ 
schwierig  sein,  so  wäre  häufiger  von  Verweisungen  auf  allgemeine  oder  speziellere  Artikel 
Gebrauch  zu  machen.  Der  illustrierte  Artikel  »Dolch«  bezeichnet  etwa  die  Richtung 
unseres  Wunsches.  Doch  würde  eine  Verweisung  auf  eine  Tafel  aller  »Stoßwaffen«  die 
Illustration  des  Artikels  überflüßig  machen. 

Dem  Referenten  erscheint  es  nun  allerdings  —  beim  Rückblick  auf  die  von  Meyers 
Konversations-Lexikon  immer  wieder  so  geschickt  erzielten  Verbesserungsphasen  als  ob 
in  vorläufig  noch  nicht  absehbarer  Zeit  die  Notwendigkeit  einer  völligen  Änderung  der 
Erscheinungsweise  aller  lexikalischen  Werke  an  die  Verleger  heranträte.  Es  fragt  sich, 
ob  nicht  doch  die  Kostspieligkeit  der  fortwährend  notwendig  werdenden  Auflagen  dazu 
zwingt,  derartige  umfangreiche,  immer  wechselnde  Werke  nicht  mehr  in  Buchform,  son- 
dern in  der  Form  großer  Zettelkästen  erscheinen  zu  lassen ,  damit  die  etwa  veralteten 
Artikel  jeweils  ausgeschieden  und  durch  neue  ersetzt  werden  können.  Die  Lösung  dieser 
Frage  ist  allerdings  vom  Standpunkte  der  Buchtechnik  aus  eine  sehr  schwierige.  Der 
Ersatz  der  Zettel  würde  der  Zahl  nach  kein  so  großer  sein,  da  ja  so  und  so  viel  Artikel 
kaum  eine  Änderung  erfahren,  andere  Artikel  dafür  einer  fortwährenden  neuen  Redaktion 
bedürfen.  —  Wünschen  möchte  ich  nur  noch ,  daß  die  einzelnen  vorzüglichen  Pläne 
größerer  Städte  mit  den  dazugehörigen  Straßenverzeichnissen  ihrer  fast  einzigartigen  Deut- 
lichkeit und  Handlichkeit  wegen  auch  einzeln  im  Buchhandel  zu  haben  wären. 

E.  W.  B. 

Die   Qei8:en-   und   Lautenmacher  vom   Mittelalter  bis  zur  Qesrenwart.     Von 

Willibald  Leo  Freiherr  von  Lützendorff,  Frankfurt  a.M.  Verlag  von  Heinrich 
Keller.  1904.  XX,  812  SS.  28  Mk. 

An  zusammenfassenden  Werken  über  die  Geschichte  der  Streichinstrumente  wie 
an  Einzeluntersuchungen  ist  kein  Mangel,  höheren  Anforderungen  genügen  aber  nur 
wenige  von  diesen  Arbeiten,  es  fehlt  noch  zu  sehr  an  sicheren  Grundlagen  für  eine 
wissenschaftliche  Behandlung  des  Gegenstandes.  Die  Entwicklung  geht  der  der  Instru- 
mentalmusik parallel;  die  Entstehungszeit  der  heute  noch  üblichen  Streichinstrumente 
fallt  mit  den  Anfängen  der  reinen  Instrumentalcomposition  nahezu  zusammen.  Aus  einer 
größeren   Anzahl    verschiedenartiger   Formen   bleiben   die  vier  Typen  des  Contrabasses, 


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LITERARISCHE  NOTIZEN. 


135 


des  Violoncells,  der  Bratsche  und  der  Geige  und  werden  nun  in  etwa  hundertjähriger 
Entwickelung  zur  höchsten  Vollendung  gebracht.  Die  Geige,  die  bisher  als  eine  Differen- 
zierung der  Viola,  da  braccio,  gegolten  hat,  ist  neuerdings  auf  die  italienische  Lira  da 
braccio  zurückgeführt  worden.  Ich  glaube  mit  Unrecht.  Doch  bleibt  gerade  für  die  erste 
Periode,  das  spätere  16.  und  die  frühere  Zeit  des  17.  Jahrhunderts  noch  vieles  aufzuklären. 

Ein  so  subtiles  Instrument,  das  die  Eigenart  seines  Meisters  in  Ton  und  Form  so 
entschieden  zur  Schau  trägt,  wie  die  Geige,  ging  fast  von  Anfang  an  mit  der  Signatur 
des  Meisters  in  die  Welt.  Das  Interesse  für  den  Meister  ist  bei  den  Geigen  fast  eben- 
sogroß als  bei  den  Werken  der  bildenden  Kunst,  und  hier  wie  dort  werden  selbst  vor- 
treffliche Instrumente,  wenn  sie  nicht  mit  Sicherheit  bekannten  Meistern  zugeschrieben 
werden  können,  nicht  selten  unterschätzt.  Die  Künstlergeschichte,  wenn  die  Bezeichnung 
gestattet  ist,  hat  daher  bei  den  Streichinstrumenten  ihre  eigene  Bedeutung.  Lütgen 
dorffs  Arbeit  bewegt  sich  auf  diesem  Gebiet,  ist  aber  nicht  eine  Geschichte  der  Geigen- 
macher, sondern  wie  er  selbst  sagt,  ein  Baustein  hiezu.  Damit  ist  sie  indes  zu  niedrig 
eingeschätzt,  sie  ist  nicht  cm  Baustein,  sondern  das  gesamte  Material  zur  Geschichte  der 
Geigenmacher,  soweit  es  bis  jetzt  gesammelt  und  gesichtet  werden  kann,  ein  Künstler- 
lexikon von  großer  Vollständigkeit,  das  alles  in  dieser  Richtung  bisher  Geleistete  weit 
hinter  sich  läßt.  Das  biographische  Material  ist  mit  großem  Fleiß,  oft  aus  den  letzten 
Quellen,  den  Archiven  und  Kirchenbüchern,  sowie  den  Geigenzetteln,  die  über  die  Zeit, 
in  welcher  die  Meister  gearbeitet  haben,  Aufschluß  geben,  zusammengebracht.  Dadurch 
erhält  unser  Wissen  über  die  Geigenmacher  nicht  nur  eine  wesentliche  Bereicherung, 
sondern  es  werden  auch  viele  Irrtümer  richtig  gestellt.  Erstaunlich  ist,  was  Lütgendorff 
an  Lebensdaten  auch  unbedeutender  Leute  beibringt.  Sie  alle  auf  ihre  Richtigkeit  zu 
prüfen,  werden  nur  wenige,  vielleicht  überhaupt  niemand,  im  Stande  sein,  aber  man  hat 
allenthalben  den  Eindruck  gewissenhafter  Arbeit.  Das  gleiche  gilt  von  der  Charakteristik 
der  Arbeiten  der  einzelnen  Meister,  der  Autor  hat  viele,  sehr  viele  Instrumente  sorgfaltig 
beobachtet,  daß  die  Charakteristik  gleichwohl  vielfach  unzureichend  bleibt  ist  nicht  seine 
Schuld,  sie  läßt  sich  überhaupt  in  Worten  nicht  vollständig  geben.  Mit  Recht  ist  des- 
halb das  Bild  herangezogen  worden,  leider  nicht  in  dem  Umfang,  der  wünschenswert 
gewesen   wäre;  und   namentlich   die   besseren   deutschen  Meister  sind  spärlich  bedacht. 

An  Geigenzetteln  werden  viele  Facsimiles  gebracht,  andere  sind  in  Abdruck  des 
Textes  gegeben.  Ich  habe  schon  bei  der  Besprechung  von  Paul  de  Wits  Geigenzetteln 
alter  Meister  darauf  hingewiesen,  daß  eine  facsimilierte  Wiedergabe  der  Zettel  zur  Be- 
stimmung der  Ächtheit  der  in  den  Geigen  befindlichen  Zettel  gute  Dienste  leisten  wird. 
Geigenzettel  werden  in  Menge  gefälscht,  meist  so,  daß  sie  sofort  als  neu  erkannt  werden, 
zuweilen  so,  daß  die  Täuschung  schwer  zu  erkennen  ist.  Für  den  Besitzer  ist  es  stets 
unangenehm  einen  falschen  Zettel  in  seinem  Instrument  zu  haben  und  bei  Reparaturen 
sollten  alle  augenscheinlich  falschen  Zettel  entfernt  werden,  sie  verunzieren  die  Instrumente. 
Eine  Hauptursache  der  Fälschung  ist,  daß  nur  relativ  wenige  Geigenmacher,  unter  welchen 
die  Cremoneser  an  erster  Stelle  stehen,  wirklich  berühmt  und  allgemein  bekannt  und  an- 
erkannt sind.  Demgegenüber  betont  Lütgendorff  mit  Recht,  daß  die  Zahl  der  guten 
Meister,  wie  die  Zahl  der  Schulen,  welche  sich  an  sie  anschlössen,  weit  größer  ist,  als 
bisher  angenommen  wurde.  Er  hoffe,  daß  auch  seine  Arbeit  dazu  beitrage,  dies  klar  zu 
stellen.  Diese  Klarstellung  wird  durch  die  lexikalische  Anordnung  des  Werkes  erschwert; 
ein  Ortsregister,  innerhalb  dessen  die  Meister  alphabetisch  angeordnet  sind,  kann  darüber 
nicht  ganz  hinweghelfen.  Wir  hoffen,  daß  es  dem  Verfasser  gefallen  möge,  die  Geschichte 
der  Geigenmacher,  die  er  anfangs  schreiben  wollte,  auch  zu  bearbeiten,  erst  dann  werden 
seine  großen  Arbeiten  wahrhaft  fruchtbar  sein.  Inzwischen  sind  wir  ihm  für  die  reiche 
Gabe,  mit  der  er  die  Litteratur  über  die  Geigenmacher  beschenkt  hat,  zu  lebhaftestem 
Danke  verpflichtet.  Bezold. 

Westfranzösische  Kuppelkirchen  von  Felix  Wittin g.  Mit  neun  Abbildungen. 
Straßburg,  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel),  1904.    40  S.  4. 

Die  vorliegende,  von  historischen  und  stilkritischen  Erwägungen  ausgehende  Studie 
beschäftigt  sich   mit  dem  Ursprung  und   der  Entstehung  der  westfranzösischen  Kuppel- 


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136 


LITBRARISOHK  NOIIZBN. 


kirchen,  welche  sich  unter  den  eigenartigen  Sakralbauten  Südfrankreichs  zu  einem  fest- 
umgrenzten Ganzen  zusammenschließen.  Den  geographischen  Mittelpunkt  bildet  die  ehe- 
malige Landschaft  P^rigord.  Ihr  Gepräge  erhalten  sie  durch  die  Pendentifkuppel.  Die 
ornamentale  Ausgestaltung  besteht  aus  einigen  Gesimslinien  schlichtesten  Profils  und 
Blendarkaturen.  Mit  diesen  Grundelementen  sind  die  verschiedensten  Kompositionen  er- 
zielt. De  Verneilh  (l'architecturc  byzantine  en  France,  Saint-Front  de  Pdrigueux  et 
les  ^glises  k  coupoles  de  l'Aquitaine,  Paris  1851)  umschreibt  die  historische  Stellung  dieser 
Gruppe  so,  daß  er  als  Mutter  aller  Saint-Front  in  P^rigucux  annimmt,  welche  er  in  den 
Jahren  984 — 1047  als  Kopie  nach  S.  Marco  in  Venedig  erbaut  sein  läßt.  Dem  gegenüber 
stellt  Witting  fest,  daß  zu  scheiden  ist  zwischen  einer  älteren,  um  das  Jahr  1000  entstan- 
denen Anlage  und  dem  eigentlichen  Kuppelbau;  er  kommt  zu  dem  Ergebnis,  daß  letz- 
terer mit  Rücksicht  auf  die  Nachricht  vom  Brande  im  Jahr  1120,  namentlich  in  Anbe- 
tracht der  darin  vorkommenden  Stelle  »Erat  tunc  temporis  monasterium  ligneis  tabulis 
coopertum«,  in  seinem  Beginn  noch  über  das  Jahr  1120  zurückreicht.  Auch  die  ornamen- 
tale Ausgestaltung,  besonders  aber  der  ausschlaggebende  Vergleich  mit  den  Monumenten 
der  Provence,  denen  gegenüber  der  ornamentale  Stil  von  Saint-Front  bereits  eine  ab- 
geklärte Haltung  zeigt,  weisen  auf  diese  Zeit.  Dazu  kommt  noch  die  unter  den  Kuppel- 
kirchen selbst  exzeptionell  dastehende  Gesamtanlage,  welche  von  einer  gewissen  Reife 
zeugt,  die  auf  vorangegangene  Versuche  schließen  läßt.  Witting  unternimmt  alsdann,  um 
die  Frage  des  Ursprungs  der  Kuppelkirchen  erörtern  zu  können ,  eine  Betrachtung  des 
Gesamtorganismusses  der  Kirchenanlagen ,  in  denen  die  Pendentifkuppel  erscheint.  Er 
schildert  die  eklatante  Verschiedenheit  der  Anlagen  der  Apostelkirche  in  Konstantinopel 
und  Saint-Front,  welche  eine  Anlehnung  an  die  byzantinische  Architektur  (de  Verneilh) 
ausschließt.  Er  zeigt,  daß  im  Gegensatz  zu  den  cyprischen  Anlagen  bei  den  westfran- 
zösischen Bauten  das  Primäre  der  Zusammenhang  des  Ganzen  jst,  das  beim  Turm  ein- 
setzt und  bei  der  Apsis  schließt,  während  die  Aufteilung  in  die  Unterteile  von  Kuppel- 
räumen erst  sekundär  sei.  Die  Kuppel  selbst  ist  eine  solche  nur  in  mathematisch-ab- 
straktem Sinne,  nicht  als  Emanation  von  einem  ruhenden  Zentralpunkt.  Alles  das  föhrt 
den  Verfasser  zur  Annahme  einer  Indigenität  der  Kuppelkirchen,  für  welche  er  Beweis- 
gründe beizubringen  sich  bemüht.  Abgesehen  davon,  daß  nach  seiner  Ansicht  die  aqui- 
tanischen  Kuppelbauten  eine  normale  Etappe  auf  dem  Wege  der  Vergeistigung  mittel- 
alterlichen Kunstschaffens  bezeichnen,  will  er  ihre  bauliche  Anlage  in  engen  Zusammen- 
hang mit  der  religiösen  Bewegung  der  Albigenser  gesetzt  wissen,  durch  die  bekanntlich 
der  enge  Connex  von  Mysterium  und  Gläubigen  gelockert  wurde.  Er  argumentiert  so  — 
wollte  die  Kunst  ein  Ausdruck  der  Zeitströmung  sein,  so  mußte  sie  das  architektonische 
Schema  verlassen ,  das  jenen  engen  Bezug  symbolisierte.  Die  aquitanischen  Baumeister 
versuchen  die  Lösung  mittels  der  Kuppel  mit  ihrem  summarischen  Ausdruck.  Allerdings 
hat  die  Freiheit  noch  etwas  Schwercrungenes  an  sich.  Saint-Front  nimmt  in  dekorativer 
Hinsicht  eine  Ausnahmestellung  unter  den  aquitanischen  Bauten  ein.  Nirgends  tritt  der 
antikisierende  Zug,  die  Anlehnung  an  griechisch-römische  Vorbilder  so  stark  auf  und  weist 
auf  Beziehungen  zur  Provence.  Dennoch  aber  erweist  sich  der  Baumeister  von  Saint- 
Front  als  selbständigen  Künstler,  der  allenthalben  Anregungen  aufnimmt,  sie  aber  um- 
und  neugestaltet.  Der  volle  kräftige  Stil  der  eigentlich  provenqalischen  Bauten  liegt  ihm 
fern,  ebenso  wie  der  malerische  Reiz  der  Fagaden  von  Arles  und  Saint-Gilles.  Auch 
die  Betrachtung  der  Formensprache  im  Einzelnen  führt  nach  Witting  zu  der  Annahme, 
daß  wir  es  bei  den  westfranzösischen  Kuppelkirchen  mit  indigenen  Schöpfungen  zu  tun 
haben. 

Es  fragt  sich  noch  sehr,  ob  wir  mit  den  Ausführungen  Wittings  hinsichtlich  des 
Ursprungs  der  Kuppelkirchen  weiter  gekommen  sind  als  bisher.  Jedenfalls  stehen  seine 
Darlegungen  auf  einem  viel  zu  schwankenden  Boden,  um  ein  positives  Ergebnis  erzielen 
zu  können.     Immerhin  aber  sind  sie  der  Beachtung  wert. 

Dr.  Fritz  Trau^ott  Schulz. 


U.  £.  8«t>aid.  Nürnberg. 


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DER  MONATSREITER,  FECHTER  UND  FAHNENSCHWINGER 
SEBASTIAN  HEUSSLER  ZU  NÜRNBERG. 

VON  HANS  BOESCH. 

Im  zweiten  Supplementband  zu  Georg  Andreas  Will's  Nürnbergischen  Ge- 
lehrten-Lexikon von  Christian  Conrad  Nopitsch  (Altdorf  1805)  S.  88  ist 
ein  Kriegsmann  und  Freifechter,  Sebastian  Heußler  (er  wird  bald  Heusler, 
bald  Heußler  geschrieben)  aufgeführt.  Über  seine  Lebensumstände  wird  be- 
richtet, daß  er  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  lebte,  Italien,  Frankreich,  Eng- 
land und  die  Niederlande  bereist  hat  und  berühmten  und  kunsterfahrenen 
Fechtmeistern  nachgezogen  ist,  besonders  dem  Salvator  Fabri  de  Padua,  »der 
das  Fechten  in  Form  der  Kunst  gebracht  hat«.  Heußler  verdankt  seine  Auf- 
führung im  Nümbergischen  Gelehrten-Lexikon  dem  Umstände,  daß  er  ein 
mit  vielen  Darstellungen  geschmücktes  Buch,  als  deren  Inventor  sich  der 
Maler  G.  Weyer  auf  dem  gestochenen  Titelblatt  nennt,  herausgegeben  hat. 
Das  im  germanischen  Museum  befindliche  Exemplar  ist  betitelt:  »Neu Kunst- 
lich Fecht-  I  Buch  |  darinnen  500  stuck  im  einfachen  Rapier,  wie  auch  ett-  |  liehe 
im  Rapier  vnd  Dolch,  deß  wetberümbten  (!)  Fecht-  |  vnd  lehrmeisters  |  Sig? 
Salvator  Fabri  |  da  Padoa,  so  wol  auch  anderer  Italienisch®  vnd  Fran-  |  zösischen 
Fechter  beste  Kunststuck,  nach  rechter  Uni  |  vnd  fundamentalischer  Ordnung, 
auffs  vleißigste  colli  |  giert  vnd  zusammengetragen,  auch  mit  schonen  Kupflfer-  j 
stucken  gezieret,  dergleichen  vor  nie  gesehen  worden  |  vnd  derowegen  Teut- 
scher  nation  vnd  der  |  Küst  liebhabern  in  Truck  gegeben  |  durch  Sebastian 
Heusler  Kriegsman  |  vnd  Freyfechter  von  Nürnberg.  |  1615.«  Am  Schlüsse 
des  8  BU.  und  232  Seiten  zählenden  Bandes  in  qu.  4®  steht  »Ende  <  Deß 
Einfachen  Rappierfechtens«    (Bibliothek    des   germ.  Mus.  Gs.  1656). 

Dieser  Titel  stimmt  nicht  mit  dem  bei  Will-Nopitsch  VI  (II)  S.  88  an- 
geführten Titel.  Es  scheint  sich  aber  doch  beinahe,  da  man  es  früher  mit 
der  bibliographisch  genauen  Angabe  der  Titel  nicht  sehr  streng  nahm,  um 
dasselbe  Buch  zu  handeln.  Beigebunden  ist  dem  Museumsexemplar  noch:  »New 
Künstlich  Fechtbuch  |  Darinnen  etliche  vomeme  Kunststück,  deß  weitberümb- 
ten  I  Fecht-  vnd  Lehrmeisters  |  Sig.:  Salvator  Fabri  da  Padua,  |  Wie  auch 
anderer  Italianischen  vnnd  Frantzösischen  |  Fechter  beste  Kunststücklein  im 
Dolchen  vnd  Rappier,  auflf's  fleissigste  |  zusammen  getragen,  vnnd  mit  schönen 

Mitteilungeo  aas  dem  genxuin.  Natiuualmoseum.    1904.  18 


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138  üER  MONATSKEITER,  FKCHTKR  UND  FAHNENSCHWINGER  SEBASTIAN  HEÜSSLER 

KupfTerstücklein  gezieret,  dergleichen  vor  |  nie  im  Truck  außgangen,  allen 
Liebhabern  der  löblichen  Fechtkunst  zu-  |  gefallen  in  Truck  gegeben,  Durch 
Sebastian  Heußler,  Kriegsmann  und  Freyfechter  |  von  Nürnberg.  |  Gedruckt  zu 
Nürnberg,  durch  Ludwig  Lochner,  |  In  Verlegung  des  Authoris.c  Es  ist  dieses 
Werk  wohl  als  zweiter  Band  des  ganzen  Buches  anzusehen.  E^  zählt  Titel- 
blatt und  45  (!  soll  heißen  54)  Seiten  im  gleichen  Formate.  Am  Ende  steht: 
»Ende«.  |  Getruckt  zu  Nürnberg,  bey  Ludwig  Lochner,  |  In  Verlegung  Sebastian 
Heußler,  |  Anno  M.  DC.  XV.«  (Biblioth.  d.  germ.  Mus.  Gs.  1657.)  Es  ist  also 
wohl  das  Ende  des  Werkes  überhaupt,  während  der  als  erste  anzusehende 
Teil  nur  als  Ende  des  einfachen  Rapierfechtens  bezeichnet  ist.  Es  ist  auf 
diesem  auch  ein  Drucker  und  Verleger  nicht  genannt,  während  er  bei  dem 
wohl  als  zweiten  Teil  anzusehenden  Buche  auf  dem  Titelblatte  und  am  Schlüsse 
angebracht  ist.  Es  spricht  auch  dafür,  daß  dem  ersten  Teile  eine  fünf  Seiten 
zählende  Vorrede,  dem  zweiten  eine  solche  aber  nicht  beigegeben  ist. 

Will-Nopitsch  schreibt,  daß  eine  zweite  Ausgabe  im  Jahre  1616,  eine 
dritte  1617  in  Nürnberg  erschienen  sei.  Er  schreibt  auch:  »Noch  mit  einem 
besonderen  Titel  und  ohne  Text  ist  dabei :  New  künstlich  Figuren  Büchlein  — 
vom  Rappier-  und  Mantelfechten«  etc.  Nun  finden  sich  in  dem  Museumsexem- 
plare noch  zwanzig  Blätter  Radierungen  beigebunden,  die  wohl  mit  dem  vor- 
stehend angeführten  Werke  identisch  sind,  da  die  Bilder  das  Rappier-  und 
Mantelfechten  darstellen;  ein  Titelblatt  findet  sich  aber  nicht  dabei.  Die 
ersten  12  Bll.  sind  unnumeriert,  die  darauffolgenden  mit  No.  1 — 8. 

Das  germanische  Museum  besitzt  noch  ein  weiteres  Exemplar  des 
ersten  Teiles  des  Heußler'schen  Fechtbuches  (Gs.  1658),  dem  aber  Titelblatt, 
Vorrede  und  S.  1 — 21  fehlen  und  das  nur  bis  zum  Ende  des  ersten  Bandes 
reicht.  Am  Ende  des  Buches  war  seiner  Zeit  noch  etwas  angebunden,  was 
aber  ist  nicht  festzustellen,  vielleicht  war  es  das  als  zweiter  Teil  anzusehende 
Fechtbuch.  Es  hat  wohl  dieselben  Abbildungen  wie  das  beschriebene  Fecht- 
buch von  1615;  die  Radierungen  sind  aber  teilweise  auf  anderen  Blättern  ab- 
gedruckt. Jedenfalls  liegt  in  diesem  Exemplare  die  zweite,  oder  dritte  oder 
sonst  eine  Ausgabe  vor;  wir  können  aber  nicht  feststellen  welche,  da  wir  kein 
Vergleichsmaterial  haben,  die  hiesige  Stadtbibliothek  z.  B.  überhaupt  gar  nichts 
von  Heußler  besitzt. 

Das  erst  beschriebene  Buch  von  1615  ist  »An  die  Edle,  Ehmveste,  Für- 
sichtige Erbar  vnd  Hochweise  Herrn  |  Burgermeister  vnd  Rath  deß  heiligen 
Römischen  Reichs  Statt  Nürnberg,  Meinen  großgünstigen  gebietenden  Herrn« 
gewidmet.  Alles  was  Nopitsch  über  Heußler  mitteilt,  ist  der  Vorrede,  die 
an  diese  Widmung  anknüpft,  entnommen;  sie  fängt  mit  den  Römern  und 
Griechen  an  und  geht  dann  zu  den  Deutschen  über.  Besonders  dankbar  wird 
des  Künstlers  gedacht:  »Dieweiln,  schreibt  Heußler,  ich  dann  auch  einen 
Kunstreichen  Mahler  mit  Namen  Gabriel  Weyer  zu  solchen  Stellungen  be- 
kommen, der  mir  solches  in  Kupffer  aufif  mein  angebe  gemacht  hat,  wie 
Augenscheinlich  zusehen.  Also  daß  ich  verhoffe,  solche  Stellungen  werde  auch 
denjenigen  so  lust  zum  reissen,  Mahlen,  Bildhauen,  vnd  dergleichen  Künsten 
mehr,  sehr  nützlich  vnd  dienstlich  sein.«    Als  ein  gehorsamer  »Burger  vn  be- 


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zu  NÜRNBERG.    VON  HANS  BOESCH. 


139 


Steher  Monatreyter«  habe  er  es  dankbaren  Gemüthes  dem  Bürgermeister  und 
Rath  der  Stadt  Nürnberg  gewidmet.  Er  hat  dabei  natürlich  auf  eine  nam- 
hafte Spende  des  Nürnberger  Rathes  gerechnet.  Bei  Hampe^)  findet  sich 
auch  unter  No.  2704  der  Ratsverlaß  vom  28.  Februar  1615:  »Sebastian  Heußlers 
monatreutters,  fechtpuch,  so  er  Meinen  Herren  zugeschriben ,  soll  man  über- 
schlagen lassen,  was  es  werth,  und  wiederbringen.«  Was  er  etwa  bekommen, 
ließ  sich  nicht  feststellen. 


Der  erste  Teil  des  Fechtbuchs  enthält  das  gestochene  Titelblatt  und 
128  Radierungen,  der  zweite  Teil  33  Radierungen  und  eine  dreimal  abge- 
druckte radierte  Vignette.  Da  drei  Auflagen  erschienen  sein  sollen,  so  dürfte  der 
Verfasser  und  Selbstverleger  wohl  auf  seine  Kosten  gekommen  sein. 

Es  scheint,  daß  Nopitsch  die  ganze  Notiz  über  Heusler  aus    dem   zehn 

Jahre    vorher    erschienenen    vierten    Bande    von   Siebenkees'    Materialien    zur 

1)  Nürnberger  Rathsverlässe  über  Kunst  und  Künstler  (Quellenschriften  für  Kunst- 
geschichte etc.)  II,  477. 


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140         DER  MüNATSREITKR,  PECHTBK  UND  EAaNENSCHWINQER  SEBASTIAN  HBÜSSLER 

Nürnberger  Geschichte*)  entnommen  hat,  den  er  auch  citiert.  Der  Veröffent- 
licher  in  den  Materialien  bekennt,  daß  ihm  das  Wort  Monatreiter  vollständig 
neu  sei:  »Ich  vermute,  schreibt  er,  daß  er  unter  dem  hiesigen  Kriegsamte  ge- 
standen habe,  daß  er  vielleicht  ein  sogenannter  Einspänniger  (Söldner  zu 
Pferde)  gewesen  sey,  weil  er  sich  auf  dem  Titelblatt  einen  Kriegsman  nennt.« 
Dieser  Ansicht  schließt  sich  auch  Nopitsch  an.  Ich  konnte  das  Wort  in  keinem 
Wörterbuch,  auch  nicht  in  Grimm's  deutschem  Wörterbuch  und  in  Schmeller's 
bayerischem  Wörterbuche  finden. 

Zu  diesen  Fechtbüchem  Heußlers  im  germanischen  Museum  gehört  auch 
noch  ein  »New  Künstlich  Fechtbuch,  |  Zum  anderenmal  auffgelegt,  vnd  mit 
vielen  schönen  |  Stücken  verbessert.  Als  deß:  |  Sig.  Salvator  Fabri  da  Padua, 
vnd  Sig:  Rudol:  I  Capo  di  Ferr,  Wie  auch  anderer  Italianischen  vnd  |  Fran- 
tzösischen  Fechter  beste  Kunststücklein  im  Dolchen  vnd  Rappier,  j  auffs 
fleissigste  zusammen  getragen,  vnd  mit  schönen  Kupflferstücklein  gezieret, 
der-  I  gleichen  vor  nie  im  Truck  außgangen,  allen  Liebhabern  der  löblichen 
Fechtkunst  |  zugefallen  in  Truck  gegeben,  durch  |  Sebastian  Heußler,  Kriegs- 
mann vnd  Freyfechter  |  von  Nürnberg.  |  Gedruckt  zu  Nürnberg,  durch  Ludwig 
Lochner,  |  In  Verlegung  des  Authoris.  |  M.  D.  C.  XVI.«  |  (Bibl.  d.  germ.  Mus. 
Gs.  1658*».)  Es  liegt  also  hier  die  zweite  Auflage,  die  von  1616,  des  von*  uns  als 
zweiten  Teiles  angenommenen  Buches,  vor.  Dieselbe  umfasst  39  Radierungen, 
also  6  Radierungen  mehr  als  die  erste  Ausgabe  des  Buches,  auch  sind  sie 
teilweise  an  anderen  .Stellen  abgedruckt,  und  die  Vignette  nur  einmal  und 
zwar  auf  dem  Titelblatt  vorhanden.  Der  Text  zählt  hier  61  statt  54  Blätter. 
Es  rührt  dies  daher,  daß  in  der  zweiten  Auflage  noch  ein  Kapitel:  »Nun  folgen 
deß  weitberühmten  Sig:  Rudolpho  Capo  di  Ferr  da  Cagli  etliche  gute  Stück- 
lein im  Dolchen  vnd  Rappi erfechten«  angehängt  ist.  Dieser  Fechtmeister  ist 
auch  erstmals  auf  dem  Titelblatt  der  zweiten  Auflage  des  zweiten  Bandes 
dieses  Fechtbuches  genannt. 

Nun  hat  im  Jahre  1903  das  germanische  Museum  aus  der  Jungk*schen 
Sammlung  in  Bremen,  die  bei  Lepke  in  Berlin  versteigert  wurde,  ein  weiteres 
Schriftchen  Sebastian  Heußlers  erworben,  das  sich  auf  demselben  Gebiete  be- 
wegt. Es  ist  betitelt:  »New  Künstlich  Fahnenbüchlein,  |  Das  ist:  |  Wie  der 
Fahnen  mit  sonderli-  |  chen  vortheil,  leicht  vnd  gering,  auch  Zierlich  ge- 
tragen I  vnd  geschwungen  werden  soll,  auff  Teutsche,  Italianische,  vnd  Fran-  ! 
tzösische  Manier,  allen  der  Kunst  liebhabenden  Kriegsleuten,  vnd  denen  so 
zu  solchem  lob-  |  liehen  exercitio,  an  Fürstlichen  Höfen,  vnd  aufif  Vniversiteten 
lust  vnd  lieb  tragen  |  zu  gefallen,  mit  schönen  Kupfiferstücken  in  Truck  ver- 
fertigt, I  dergleichen  vor  nie  außgegangen  |  durch  |  Johann  Renner,  vnd  Se» 
bastian  Heußler,  |  Kriegsmann.  |  Getruckt  zu  Nürnberg,  durch  Ludwig  Loch- 
ner, Anno  MDCXV.«  In  der  Randeinfassung  von  Typenmetall  hat  sich  der 
Künstler  genannt:  »Gabr.  Weyer  Jnvent.«  Es  ist  in  qu.  4®  gedruckt  und 
zählt  mit  dem  Titelblatt  acht  Blätter,  darunter  merkwürdiger  Weise  als  fünftes 
und  sechstes  Blatt  die  Dedikation  und  31,  mit  1 — 30  und  A — Z  und  Aa — Gg 

2)  IV,  748. 


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zu  NÜRNBERG.    VON  HANS  BOESCH.  141 

bezeichnete  Blätter  und  ein  unbezeichnetes  Blatt  Radierungen.  Dieses  Büchlein 
scheint  außerordentlich  selten  zu  sein,  denn  trotz  allen  Suchens  fand  ich  es 
nur  in  Naglers  Künstler-Lexikon  unter  Gabriel  Weyer^)  aufgeführt  und  zwar 
eine  Ausgabe  von  1616,  während  die  des  Museums  von  1615  stammt. 

Das  Fahnenbüchlein  ist  im  selben  Jahre  wie  erstmals  das  Fechtbuch  er- 
schienen, wurde  in  derselben  Buchdruckerei  hergestellt  und  von  demselben 
Künstler  illustriert.  Gewidmet  ist  das  Büchlein  »Herrn  Heinrich  Wilhelm 
Freyherm  von  Stahrenberg«.  In  der  Widmung  wird  von  der  Bedeutung  der 
Fahnen  gehandelt  und  dabei  mit  dem  trojanischen  Krieg  angefangen.  Weiter 
wird  geschrieben :  »Was  zu  vnsem  zeiten  von  einem  Hertzhaflften  vnd  dapflfem 
(F)endrich  gehalten  wird,  wissen  E.Gnaden  ohn  vnser  erinnern  sich  gnädigst  zu 
berichten.  Demnach  wir  aber  ein  Zeitlang  hero  nicht  allein  im  Kriegswesen 
vns  geübt,  vnd  also  selbsten  ohn  vns  vnschuldig  erfahren,  was  Hertz  ein 
Soldat  im  Feld  empfindet,  wann  dem  Obristen  sonderlich  aber  dem  Fendrich 
sein  Ampt  frisch  vnd  vnverzagt  verrichten  sihet.  Sondern  auch  bey  frembden 
nationen  Fahnen  vnd  Picken  zierlich  vnd  nützlich  schwingen  lernen.  Also 
haben  wir  dißfalls,  dasjenig,  so  wir  mit  vnkosten  gelemet,  dann  auch  im  Feld 
geübt  vnd  erfahren,  vflF  das  Papier  bringen,  vnd  in  Druck  verfertigen  wollen«. 

Über  Heinrich  Wilhelm  Freiherm  von  Starhemberg,  dem  das  Büchlein 
gewidmet,  ist  Wurzbach*)  zu  entnehmen,  daß  er  1593  geboren  wurde  und 
1675  zu  Wien  gestorben  ist.  Er  hat  in  früher  Jugend  ganz  Europa  bereist, 
hat  auf  denselben  an  einem  Fußtumier  in  Florenz  teilgenommen  und  den 
Preis  davon  getragen.  Später  trat  er  als  Hauptmann  in  kaiserliche  Dienste, 
machte  viele  Feldzüge  des  dreißigjährigen  Krieges  mit  und  wurde  von  Kaiser 
Ferdinand  II.  in  den  Reichsgrafenstand  für  sein  ganzes  Geschlecht  erhoben. 
Vielleicht  hat  ihn  Heußler  in  Florenz  oder  sonst  wo  auf  seinen  Zügen  kennen 
gelernt. 

Was  nun  den  Johann  Renner  betrifft,  der  auf  dem  Titelblatt  und  in  der 
Unterschrift  der  Widmung  an  erster  Stelle  als  Verfasser  genannt  ist,  so 
wissen  wir  nicht,  wer  dieser  Mann  war.  Ein  Kriegsmann  scheint  er  nicht 
gewesen  zu  sein,  da  dieser  Titel  auf  dem  Titelblatt  nur  in  der  Einheit  nach 
dem  Namen  Heußler  angeführt  ist.  Vielleicht  war  er  einer  der  professions- 
mäßigen Fahnenschwinger,  die  sich  öffentlich  produzierten^).  Möglicherweise 
ist  er  aber  auch  identisch  mit  dem  Hanns  Renner,  Wirth  aufm  Schießhaus, 
von  dem  Panzer*^)  ein  Portrait  aufführt,  das  mit  aetat  46  A.  1628  bezeichnet 
ist.  Es  wäre  nicht  unmöglich,  daß  er  13  Jahre  vorher  mit  Sebast.  Heußler 
das  Buch  herausgegeben  hat.  Vielleicht  hat  er  dem  Heußler,  der  als  Kriegs- 
mann wohl  öfter  im  Schießhaus  verkehrt  hat  und  der  mit  ihm  näher  bekannt 
geworden  sein  mag,  das  Geld  zur  Anfertigung  der  Stiche  gegeben  und  ist 
dafür  aus  Anerkennung  als  Mitverfasser  genannt  worden. 


3)  XXI,  367. 

4)  Biographisches  Lexikon  des  Kaiserthums  Oesterreich,  Wien  1878.  XXXVII,  181. 

5)  S.  Hampe,    die    fahrenden  Leute    in    der   deutschen    Vergangenheit.     (Leipzig, 
Eugen  Diedcrichs,  1902.)  S.  95. 

6)  Verzeichnis  von  Nürnbergischen  Portraiten  aus  allen  Ständen  (Nürnberg  1790),  S.  196. 


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142  DER  MüNATSRElTKR  ETC.,  SEB.  HEUSSLER  ZU  NÜRNBERG.    VON  HANS  BOESCH. 


Von  Sebastian  Heußler  ist  ebenfalls  noch  ein  gestochenes  Portrait')  vor- 
handen, auf  welchem  er  als  Freifechter,  d.  i.  als  obrigkeitlich  privilegierter 
Fechtmeister  bezeichnet  ist.  Das  Portrait  ist  obenstehend  wiedergegeben. 
Was  den  Künstler  der  Zeichnungen,  Gabriel  Weyer,  betrifft,  so  ist  er  um 
1580  in  Nürnberg  geboren  und  um  1640  in  Koburg  gestorben.  Er  nennt 
sich  zwar  blos  als  Inventor  derselben,  dürfte  sie  aber,  wie  die  oben  ange- 
führte Stelle  in  der  Vorrede  zum  Fechtbuch  bezeugt,  auch  radiert  haben. 
Er  hat  wohl  auch  das  Bildnis  Heußlers  radiert.  Er  scheint  einer  der  tüch- 
tigsten Nürnberger  Künstler  seiner  Zeit  gewesen  zu  sein.  Sein  Hauptwerk 
war  die  Mitarbeit  in  den  allegorischen  Bildern  zwischen  den  südlichen  Fenstern 
und  die  Restauration  des  alten  Rathaussaales  zu  Nürnberg®).  Dann  hat  er 
noch  an  der  Ausschmückung  des  neuen  Rathauses  mitgearbeitet  und  sehr  viele 
Zeichnungen   gefertigt,  die  in  Kupferstich  ausgeführt  worden  sind. 

Jedenfalls  ist  Sebastian  Heußler  der  einzige  gemeine  Kriegsmann  der 
im  Nümbergischen  Gelehrten-Lexikon,  unter  einer  sonst  nicht  recht  zu  ihm 
passenden  Gesellschaft  aufgeführt  ist.  Vielleicht  wird  durch  einen  glücklichen 
Zufall  noch  mehr  über  die  Lebensschicksale  desselben  aufgefunden,  über 
die  wir  nicht  mehr  wissen,  als  was  er  uns  selbst  mitgeteilt  hat. 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  erwähnt,  da  Näheres  über  das  Fahnenschwingen 
nicht  zu  existieren  scheint,  daß  in  dem  soeben  herausgegebenen  Katalog  36 
der  Firma  Jacques  Rosenthal  in  München,  der  eine  Menge  Kostbarkeiten  ent- 
hält, unter  Nr.  403  ein  Sammelband  von  J.  G.  P(aschen)  angeführt  ist,  der 
sieben  Schriften  dieses  Verfassers  umfaßt,  nämlich  ein  Fechtbuch,  ein  Tur- 
nierbuch, eine  Beschreibung  des  Pique-Spielens ,  eine  kurze  Anleitung  wie 
der  Jägerstock  oder  die  halbe  Pique  zu  gebrauchen,  eine  Beschreibung  des 
Voltesierens  und  ein  Ringbuch,  und  endlich  auch  ein  Fahnenbüchlein.  Nach 
dem  Katalog  ist  es  betitelt:  »Vierundachtzig  Fahnen-Lections,  |  wie  selbige 
zierlich  geschwungen  |  nebst  denen  Tritten  |  wie  viel  derselben  zu  iedweder 
Lection  gemacht  werden.  Frankfurt,  Ch.  Gerlach  und  S.  Beckenstein  166L 
Frontisp.,  Titel,  27  SS.  und  21  Kupfertafeln  mit  37  Figuren.  Kl.  qu.  4  o.« 
Es  liegt  hier  also  ein  um  45  Jahre  jüngeres  Fahnenbüchlein,  ebenfalls  von 
einem  Kriegsmann,  der  in  allen  möglichen  »Künsten«  erfahren  war,  vor.  In 
Jöchers  Allgemeinen  Gelehrten-Lexikon  (Leipzig  1751)  Sp.  1276  wird  der 
Verfasser  Joh.  Georg  Pasch  genannt  und  gesagt,  daß  er  ein  Historicus  und 
gelehrter  Soldat  war.  In  einem  Buche  der  Bibliothek  des  germanischen  Mu- 
seums (Kr.  425)  betitelt :  Florilegium  fortificatorum  tripartitum  (Halla  1662) 
nennt  er  sich  in  der  Unterschrift  der  Vorrede  selbst  »Pascha«.  Leider  ist 
der  Preis  des  Sammelbandes  so  hoch,  daß  er  für  das  germanische  Museum 
unerreichbar  erscheint. 


7)  Panzer  a.  a.  O.,  S.  103. 

8)  Vgl.  Mummenhoff,  das  Rathhaus  zu  Nürnberg.    Nürnberg  1891,  S.  120  fr. 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFÜRT  A.  M. 

IV. 
Die  Stube  des  Hallig-Hauses. 

An  das  niederdeutsche  Flett  lehnt  sich  im  lokalen  Zusammenhange  der 
Museums-Stuben  ein  Jcleiner  Raum,  3,85  m.  lang  und  3,35  m.  breit: 
die  Halligstube.  Dieselbe  erweckt  in  uns  und  unzweifelhaft  auch  bei  allen 
Forschem  schleswig-holsteinischer  Landes-  und  Volkskunde  die  Erinnerung 
an  unseren  früh  dahingeschiedenen  Freund  und  Kollegen  Eugen  Traeger. 
Niemand  hat  sich  um  die  wissenschaftliche  Erforschung  der  Halligen  solche 
Verdienste  erworben  wie  er,  niemand  ist  mit  gleicher  Energie  wie  er  mit 
Wort  und  Schrift  dafür  eingetreten,  diese  an  der  Westküste  Schleswig-Hol- 
steins gelegenen  Inselchen,  die  Reste  alten  Festlandes,  gegen  die  täglich  mehr 
sie  zerbröckelnden  Fluten  des  Meeres  durch  Damm  und  Buhne  zu  schützen. 
Die  Fürsorge  für  die  Halligen  war  ihm  zur  wissenschaftlichen  Lebensaufgabe 
geworden,  der  er  eine  ganze  Reihe  von  Schriften,  vor  allem  sein  Buch:  »Die 
Halligen  der  Nordsee,«  gewidmet  hat®^).  Seinem  Eifer  ist  es  auch  in  erster 
Linie  zu  danken,  daß  für  das  germanische  Museum  eine  hinreichende  Menge 
von  Hausteilen,   Möbeln  und  Ausstattungsstücken  erworben  werden  konnten, 


96)  In  »Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde«.  Herausg.  von 
A.  Kirchhoff.  Bd.  VI.  H.  3.  Mit  3  Karten  und  19  Textillustrationen.  Stuttgart,  J.  Engel- 
horn  1892.  fleh  citiere:  »Traeger,  Halligen«.]  Von  den  Schriften,  durch  die  Traeger 
zum  Uferschutz  der  Halligen  aufgerufen  hat,  nenne  ich  die  Gedichtsammlung:  »Im  Banne 
der  Nordsee«.  Kiel,  H.  Eckardt  (59.  S)  1895  —  »Die  Rettung  der  Halligen  und 'die  Zu- 
kunft der  schleswig-holsteinischen  Nordsee watten.  Mit  10  Abb.  u.  Skizzen.  Stuttgart, 
Hobbing  u.  Büchle.  (48.  S.)  1900.  —  »Fortschritt  der  Arbeiten  bei  den  Halligen  und  auf 
den  Watten  Schleswig-Holsteins«  im  »Globus«  Bd.  LXXVIII.  (1900)  H.  15,  S.  244—246. 
—  Schließlich:  »Halligbilder«  in  »Himmel  und  Erde«.  Naturwiss.  Monatsschrift.  Berlin, 
Jahrg.  1895.  Maiheft. 


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144 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


die  die  Errichtung  einer  eigenen  Halligstube  ermöglicht  haben.  Auch  über 
diese  Stücke  hat  Traeger  bereits  eingehend  berichtet  in  den  beiden  Aufsätzen: 
»Friesische  Häuser  auf  den  Halligen«  "^  und  »Geschnitzte  friesische  Türen 
im  germanischen  Museum«  •**),  und  ich  hebe  ausdrücklich  hervor,  daß  heute 
niemand  vor  ihm  berufen  wäre,  die  aus  jenen  Stücken  zusammengesetzte 
Stube  zu  besprechen,  wenn  er  noch  am  Leben  wäre.  Umso  eher  werden 
wir  des  öfteren  Veranlassung  haben,  uns  auf  seine  Mitteilungen  zu  beziehen.  — 
Indem  wir  nun  an  unsere  Aufgabe  herantreten,  müssen  wir  uns,  bevor 
wir  die  Halligstube  selbst  kennen  lernen,  zunächst  ein  wenig  mit  dem  großen 
Ganzen  des  Hallighauses  bekannt  machen,  denn  es  kann  nicht  oft  genug 
betont  werden,  daß  alle  diese  Stuben  nicht  allein,  und  oft  nicht  einmal  in  erster 
Linie  als  Dokumente  der  Bauernkunst  aufbewahrt  werden.  Sie  sind  vor  allem 
als  die  äußeren  Formen  der  Wohn-  und  Lebensverhältnisse  ihrer  Erbauer  zu 
betrachten.  Sie  sind  eines  der  interessantesten  Teile  der  Wirtschaftsformen 
und  des  bei  den  landschaftlich  verschiedenen  Wohnbauten  ebenso  verschie- 
denen Hausgedankens,  der  von  Landschaft  und  Klima,  der  stammesmäßigen 
Veranlagung  der  Bewohner  und  manchen  anderen  Einwirkungen  abhängig  ist, 
auf  die  ich  in  dem  einleitenden  Abschnitt  dieser  Besprechungen  hingewiesen 
habe.  Wer  aber  in  diesen  Bauernstuben  nichts  anderes  sehen  will  als  die 
Erzeugnisse  einer  im  Vergleich  zur  Kunstindustrie  oft  nur  mäßigen  Hand- 
werksarbeit, der  tritt  mit  sehr  unzureichenden  wissenschaftlichen  Voraus- 
setzungen an  die  Kritik  der  Stuben  heran,  und  jedenfalls  lernt  er  nur  den 
weitaus  geringsten  Teil  von  dem,  was  sie  wirklich  zu  lehren  haben.  Zwar 
ist  die  Stube  —  wenigstens  in  Deutschland  —  heute  meist  das  wichtigste 
Glied  des  gesammten  Hauswesens,  da  sie  für  den  Schöpfer  und  Träger  des 
Hausgedankens,  für  den  Menschen  selbst  als  Wohnraum  dient,  aber  sie  bleibt 
doch  immer  nur  ein  Teil  vom  Ganzen,  und  darum  begnügt  sich  heute  die 
wissenschaftliche  Volkskunde,  wie  ich  ebenfalls  in  der  Einleitung  bemerkte, 
je  länger  je  weniger  mit  der  bloßen  museologischen  Behandlung  von  Bauern- 
stuben, sondern  verlangt  die  Aufstellung  von  ganzen  Bauernhäusern  in  den 
sogenannten  Freiluftmuseen.  Wenn  das  germanische  Museum  dieser  For- 
derung aus  ersichtlichen  äußeren  Gründen  nicht  genügen  konnte,  so  haben 
wir  hier  umso  mehr  Veranlassung,  die  Häuser,  denen  die  einzelnen  Stuben 
angehören,  wenigstens  nach  ihren  typischen  Eigenschaften  kurz  zu  be- 
sprechen **). 


97)  Mitteilungen  d.  germ.  Museums  1896.  S.  112—119.  Mit  3  Grundrissen.  [Ich 
citicrc:  »Traeger,  Fries.  Häuser«.] 

98)  Ebenda.  1896.  S.  130—134.     Mit  1  Lichtdrucktafel. 

99)  Bezüglich  einer  entsprechenden  Behandlung  des  Hindelooper  Hauses  fehlte  es 
mir  seiner  Zeit  leider  an  den  nötigen  Grundlagen.  Nachträglich  will  ich  jetzt  wenigstens 
auf  das  Werk  von  C.  H.  Peters,  Reichsbaumeister  im  Haag:  »Overzicht  over  de  boeren- 
plaatsen-bouw  in  Nederland«.  (Verl.  van  Druten  en  Bieeker  Sneek  1872)  hinweisen,  sowie 
auf  die  Arbeiten  des  Prof.  J.  H.  Gall^e  in  Utrecht,  der  eine  kurze  Übersicht  über  die 
verschiedenen  niederländischen  Hausformen  gegeben  hat  in:  »Het  boerenhuis  in  Neder- 
land« (Tentoonstelling  van  hulpmiddelen  bij  het  aardrijkskundig  onderwijs.  Amster- 
dam 1902.) 


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VON  DR  OITO  LAÜFFER-FRANKFÜRT  A.  BL  145 

Das  Hallighaus  beherbergt  ein  festes  derbes  Geschlecht,  ruhig  und  ernst, 
freundlich  und  gutmütig,  kaltblütig  und  entschlossen.  Von  Jugend  auf  an 
das  rings  sie  umgebende  Meer  gewöhnt,  sind  diese  Friesen  die  geborenen 
Seeleute,  und  wir  werden  sehen,  wie  diese  ihre,  man  kann  sagen  einzige 
volkstümliche  Beschäftigung  auch  den  Wohnungen  den  Stempel  aufgedrückt 
hat.  Von  Geschlecht  zu  Geschlecht  haben  sie  es  angesehen,  wie  das  Meer 
oft  nur  in  stiller  täglicher  Arbeit  mehr  und  mehr  von  den  Ufern  ihrer  kleinen 
Halligen  abgeschwemmt  hat,  oft  auch  an  Tagen  des  unbeschreiblichen  Elendes 
in  furchtbaren  Sturmfluten  über  sie  hereingebrochen  ist,  große  Strecken  festen 
Landes  auf  einmal  fortgerissen  und  an  den  nur  halb  verwüsteten  Stellen  die 
Häuser  unterspült  und  umgeworfen  und  vielen  Menschen  und  unzähligen 
Stücken  ihrer  Viehbestände  den  Tod  und  ein  feuchtes  Grab  bereitet  hat. 
Trotz  alledem  haben  die  Bewohner  den  Kampf  mit  dem  Meere,  der  fast  den 
ganzen  Inhalt,  der  die  Ehre  und  die  Tragik  ihrer  Geschichte  ausmacht,  nicht 
aufgegeben,  und  mit  der  Zähigkeit,  mit  der  sie  an  ihrer  alten  volkstümlichen 
Sprache  bis  tief  in  das  19.  Jahrhundert  hinein  festgehalten  haben,  sind  sie 
auch  der  viel  gefährdeten  Heimat  trotz  Not  und  Tod  von  Geschlecht  zu 
Geschlecht  treu  geblieben  ^^^). 

Die  Vorstellung  von  dem  täglichen  Kampfe,  den  der  Halligfriese  mit 
dem  Meere  zu  kämpfen  hat,  müssen  wir  im  Gedächtnis  behalten.  Er  gibt 
dem  energischen,  in  mancher  Beziehung  trotzigen  Charakter  der  Menschen 
das  Gepräge,  ebensosehr  wie  den  äußeren  Formen  der  Lebenshaltung.  Er 
hat  auch  das  Wesen  wie  des  Friesenhauses  überhaupt,  so  besonders  des 
Hauses  der  Halligen  in  den  mannigfachsten  Beziehungen  auf  das  Nachhaltigste 
bedingt. 

Wer  heute  auf  dem  Gipfel  des  Leuchtturms  der  nordfriesischen  Insel 
Amrum    stehend,    seine   Blicke    gegen    das    schleswig-holsteinische    Festland 


100)  Ober  den  Volkscharakter  vergl.  Traeger,  Halligen  S.  270  ff.  —  Ebendort 
S.  236  fr.  ist  die  ganze  Reihe  der  großen  Sturmfluten  zusammengestellt.  Von  der  letzten 
derselben,  die  in  der  Nacht  vom  3.  zum  4.  Februar  1825  stattfand,  hat  J.  C.  Biernatzki, 
damals  Pfarrer  auf  der  Hallig  Nordstrandischmoor,  in  seiner  Novelle:  »Die  Hallig  oder 
die  Schiffsbrüchigen  auf  dem  Eiland  in  der  Nordsee«  [ich  benutze  H.  Düntzers  Ausgabe 
in  der  Collection  Spemann]  eine  ergreifende  Schilderung  gegeben.  —  Über  die  Friesen- 
sprache auf  den  Halligen  vergl.  Theod.  Siebs,  »Geschichte  der  friesischen  Sprache«  in 
H.  Paurs  »Grundriß  der  germanischen  Philologie.«  Straßburg.  Trübner.  2.  Aufl.  1901  ff.  I, 
S.  1171,  wo  die  weitere  Literatur  angegeben  ist.  —  Folgende  Zeitschriften,  die  far  Nord- 
friesland und  die  Halligen  manches  einschlägige  Material  enthalten,  waren  mir  hier  leider 
nicht  erreichbar:  »Veröffentlichungen  d.  nordfries.  Vereins  f.  Heimatkunde  und  Heimat- 
liebe«,  »Jahrbuch  für  die  Landeskunde  der  Herzogtümer  Schleswig,  Holstein  und  Lauen- 
burg« und  »Heimat.  Eine  natur-  und  landeskundige  Monatsschrift  für  Schleswig-Holstein«. 
Die  Literatur  zur  schleswig-holsteinischen  Volkskunde  vergl.  bei  Eug^  Mogk,  Die  Be- 
handlung der  volkstümlichen  Sitte  der  Gegenwart  in  Pauls  Grundriß.  III.  S.  521/2.  —  Die 
Werke  von  Karl  Müllenhof f,  »Sagen,  Märchen  und  Lieder  der  Herzogtümer  Schleswig, 
Holstein  und  Lauenburg«.  Kiel  1845  und  von  C.  P.  Hansen,  »Friesische  Sagen  und 
Erzählungen«  Altona  1858  und  »Sagen  und  Erzählungen  der  Sylter  Friesen«  Garding 
1875  geben,  soviel  ich  sehe,  für  die  Behandlung  der  volkstümlichen  äußeren  Denkmäler 
keinen  wesentlichen  Beitrag. 


MitteUuDgeD  aai  dem  ^erman.  Natioiuümiueum.    1904.  TJ 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DBS  GERBiAN  ISCHEN  MUSEUMS. 


richtet  und  rechts  an  Föhr  vorbei  gegen  Osten  und  Südosten  schaut ,  dem 
erscheinen  die  kleinen  und  ganz  kleinen  Halligen  über  das  Meer  verstreut 
ähnlich,  wie  wenn  man  von  Bergeshöhe  auf  das  die  Thäler  und  Ebene  um- 
hüllende Nebelmeer  herabsieht,  aus  dem  nur  die  obersten  Spitzen  der  Berge 
scheinbar  zusammenhanglos  ein  wenig  hervorragen.  Nur  '/j?  bis  1  */j»  m  steigen 
die  niedrigen,  von  Alters  her  unbedeichten  Halliginseln  —  im  Ganzen  sind 
es  11  an  der  Zahl  —  aus  dem  sie  umgebenden  Wattenplateau  empor,  welches 
zur  Flutzeit  ganz  von  den  Meereswogen  überdeckt  Tst^"*).  Kein  Wunder, 
daß  die  Menschen  sich  bestrebt  haben,  bei  solch  gefährlicher  Nähe  des  nicht 
immer  freundlichen  Meeres  sich  mit  ihren  Wohnungen  möglichst  hoch  über 
den  Erdboden  zu  erheben,  und  so  haben  sie  ihre  Häuser  auf  natürlichen 
oder  künstlichen  Hügeln,  den  sogenannten  Werften  erbaut,  die  etwa  4  m. 
hoch  aus  der  Halligmarsch  hervorragen.  Die  ganze,  oft  allerdings  nur  sehr 
kleine  Hallig-Gemeinde  muß  sich  auf  dieser  Werft  einrichten.  Sehr  viel  Raum 
darf  also  mit  den  Ansiedelungen  nicht  verschwendet  werden,  immerhin  bleibt 
meist  noch  so  viel  Platz  übrig,  daß  sich  kleine  Gärtchen  an  die  Wohnhäuser 
anlehnen  können.  Traeger  hat  von  den  Besiedelungen  einer  mittelgroßen 
Werft,  sowie  von  denjenigen  auf  der  ziemlich  großen  Hauswarf  der  Hallig 
Hooge,  die  im  ganzen  17  Wohnhäuser  umfaßt,  genaue  Grundrisse  gegeben, 
auf  die  ich  hier  verweisen  kann  ^®^). 

Schon  aus  jenen  Grundrissen  ist  ersichtlich,  daß,  wie  auch  sonst  mehr- 
fach betont  wird,  die  Firstrichtung  aller  Häuser  ein  und  dieselbe  ist,  da  sie 
sämtlich  ihre  Giebel  nach  Osten  und  Westen  kehren  ^"^).  Das  ist  nicht  nur 
eine  Folge  des  Bestrebens,  die  ganze  Breitseite  des  Hauses  der  Sonne  zuzu- 
wenden, sondern  vor  allen  Dingen  wird  dadurch  erreicht,  daß  die  Häuser  den 
stark  wehenden  Westwinden  eine  möglichst  geringe  Angriffsfläche  entgegen- 
setzen, ein  Bestreben,  dem  auch  wohl  das,  wie  es  scheint,  fast  durchgängige 
Vorhandensein  von  Walm-  beziehungsw.  Halbwalmdächern  zuzuschreiben  ist. 
Nicht  nur  für  die  Hallighäuser  ist  diese  Westostrichtung  bezeugt,  sie  scheint 
auch  sonst  in  Schleswig-Holstein  verbreitet  zu  sein,  wenigstens  schreibt  sie 
Wilh.  Hamm  auch  dem  alten  Angler  Hause  zu,  indem  er  dabei  ausdrück- 
lich die  Rücksicht  auf  die  häufigen  westlichen  Stürme  hervorhebt*^*). 

Äußerlich  sind  die  Häuser  von  Ziegelsteinen  erbaut ,  einstöckig ,  mit 
kappenartig    darübergedeckten   mächtigen    Strohdächern.     Sie   sind   durchaus 


101)  Vergl.  Traeger,  Halligen  S.  242  ff.  und  Christianjensen,  Die  nordfriesischen 
Inseln  Sylt,  Föhr,  Amnim  und  die  Halligen  vormals  und  jetzt«.  Hamburg  1891.  S.  73  und 
Aug.  Sach,  »Die  deutsche  Heimat,  Landschaft  und  Volkstum«.  Halle.  Waisenhaus.  1902. 

102)  Traeger,  Halligen  S.  249  u.  251.  Auf  die  ebendort  S.  281  ff.  geschilderten 
sehr  interessanten,  [der  Art  des  Landes  merkwürdig  angepaßten  Besitzverhältnisse  an 
Grund  und  Boden  sei  hiermit  ebenfalls  hingewiesen.  —  Über  die  Hallig-Gärten  vergl. 
Kohl,  »Die  Marschen ^und  Inseln  Schleswig-Holsteins«.  1846.  1,  352  353. 

103)  Traeger,  Halligen  S.  262.  Ebenso  vergl.  Heinr.  Sauermann,  »Führer  durch 
das  Kunstgewerbe-Museum  der  Stadt  Flensburg«  1903.  S.  30  gelegentlich  einer  Besprechung 
der  dort  aufgestellten  Wohnstube  von  der  Hallig  Hooge. 

104)  Wilh.  Hamm,  »Die  Bauernhäuser  in  Schleswig-Holstein«  in  »Westermanns 
Monatsheften«.  XVIII.  (1865.)  S.  613. 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFURT  A.  M. 


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einfach,  aber  immer  sauber,  und  mit  ihren  meist  gruppenförmig  zusammen- 
gestellten Fenstern  machen  sie  trotz  der  Schwere  des  Daches  einen  freund- 
lichen Eindruck  ***'*).  Fach  werk  kommt  an  den  Außenwänden,  soviel  ich 
sehe,  niemals  vor,  wenigstens  wird  das  für  die  konstruktiv  durchaus  gleich- 
artigen Häuser  auf  den  Nachbarinseln  Föhr  und  Sylt  ausdrücklich  hervor- 
gehoben*^*). Wenn  man  also  im  Germanischen  Museum  die  Halligstube 
gegen  den  Museumsgang  hin  mit  einer  getünchten  Fachwerkswand  von  rot 
gestrichenen  Balken  und  mit  einem  darübergesetzten  Ziegeldach  abgeschlossen 
findet,  so  muß  man  nicht  annehmen,  daß  damit  das  Äußere  des  Hallighauses 
imitiert  werden  soll,  auch  würde,  im  Verhältnis  zu  der  Fensterwand  der  Stube, 
der  First  um  einen  rechten  Winkel  herumschwenken  müssen,  damit  die  Traufe 
der  Wirklichkeit  entsprechend  über  die  Fensterwand  zu  liegen  käme. 

Nur  in  einer  Beziehung  scheint  —  wenn  wir  von  den  Größenverhält- 
nissen einmal  absehen  —  dem  Hallighause  ein  sonst  gewöhnliches  Charak- 
teristikum des  typischen  Friesenhauses  zu  mangeln:  Uhle  berichtet,  daß 
dem  Hallighause  der  Vordergiebel  vielleicht  durchaus  fehle  ^®'),  während  im 
übrigen  das  friesische  Haus  an  der  Front  über  der  Haustür  so  allgemein  einen 
steinernen  Giebel  hat,  daß  das  Haus  ohne  einen  solchen  nach  Clement 's 
Meinung  (S..134)  überhaupt  kein  friesisches  Haus  mehr  ist.  Durchgängig 
fehlt  der  Giebel  aber  auch  an  den  Hallighäusern  nicht.  Auf  den  von  Traeger 
(»Halligen,«  Fig.  5  und  7)  gegebenen  Abbildungen  ist  sein  Vorhandensein  je 
einmal  zu  konstatieren. 

Auch  weise  ich  ausdrücklich  darauf  hin,  daß  in  direktem  Gegensatze 
zu  Uhle  eine  Äußerung  Johansen's  steht,  welche  klar  besagt:  »Über  der 
Haustür  hat  jedes  altfriesische  Hallighaus  einen  steinernen  Giebel  (Frontispice), 
dessen  hohe  Spitze  weit  hinausblickt  auf  die  wogende  See«  ^^^).  Für  Amrum 
und  Sylt  werden  die  Türgiebel  bezeugt  durch  zwei  Abbildungen  (Nr.  14  und 
15)  auf  Blatt  »Schleswig -Holstein  Nr.  10«  des  deutschen  Bauernhauswerkes. 
Es  scheint  demnach  ,  daß  U  h  1  e '  s  Bemerkung  einer  teilweisen  Berichtigung 
bedarf,  und  damit  stimmt  denn  auch  Traegers  Mitteilung  überein:  »Nicht 
mehr  regelmäßig  wie  früher  ragt  auf  den  Halligen  ein  Giebel  aus  dem  Dache 
über  der  Haustür  hervor,  wie  er  sonst  charakteristisch  ist  für  das  friesische 
Haus  auch  auf  den  Utlanden«  ^^^). 

Übrigens  ist  das  Vorhandensein  des  Frontgiebels  nur  ein  äußeres  Merk- 
mal, welches  für  die  Zuschreibung  eines  Wohnbaues  zu  der  großen  Gattung 
des  Friesenhauses  nur  einen  von  mehreren  Anhaltspunkten  gewährt.    Wichtig 


106)  Vergl.  Sach,  Deutsche  Heimat  S.  237.  —  K.  J.  Clement,  »Die  Lebens-  und 
Leidensgeschichte  der  Frisen<.  Kiel,  1845.  S.  134. 

106)  Vergl.  M.  Uhle,  >Das  Föhringer  Haus<  in  den  »Verhandlungen  der  Berliner 
Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte«.  Bd.  XXII.  1890.  S.  (63). 
—  Jensen,  Nordfr.  Inseln  S.  100. 

107)  Uhle  a.  a.  O.  S.  (68). 

108)  Chr.  Johansen,  »Halligenbuch.  Eine  untergehende  Inselwelt«.  Schleswig. 
1866.  S.  27. 

109)  Traeger,  Fries.  Häuser,  S.  119. 


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148  DIK  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

und  ausschlaggebend  sind  in  dieser  Hinsicht  vor  allem  der  Grundriß  und  die 
Konstruktion,  denen  wir  uns  im  folgenden  zuwenden. 

Das  friesische  Haus  in  seiner  einfachsten  Form  ist,  nach  den  wirtschaft- 
lichen Verhältnissen  betrachtet,  ein  Einheitshaus,  d.  h.  es  vereinigt  alle  Wirt- 
schaftsräume unter  einem  Dache"®).  Rücksichtlich  seiner  Hauskultur  ist  es 
ursprünglich  ein  Einfeuerhaus,  d.  h.  es  besitzt  nur  eine  Feuerstelle,  nämlich 
den  Herd,  aber  keinen  Ofen.  Es  geht  demnach,  wie  schon  Henning,  »Das 
deutsche  Haus«  S.  40  erkannt  hat,  auf  dieselben  Anfange  zurück  wie  das 
sächsische  Haus,  mit  dem  es  zusammen  den  niederdeutschen  Haustjrpus  bildet. 
Nachdem  dann  der  Ofen  eingeführt  war  und  damit  das  ursprünglich  typische 
Einfeuerhaus  sich  zum  Zweifeuerhause  entwickelte,  ein  Ausdruck,  den  man 
streng  genommen  nicht  einmal  auf  diese  neuen  Formen  anwenden  darf,  hat 
es  dann  insofern  eine  andere  Entwicklung  als  das  sächsische  Haus  genommen, 
daß  bei  ihm  die  Wohnräume  in  einer  anderen  Weise  angegliedert  und  viel- 
fach mit  einem  eigenen  Dache  versehen  wurden,  dessen  First  senkrecht  zu 
demjenigen  des  alten  Hauptbaues  steht,  wodurch  die  bekannte  T-Form  des 
friesischen  Hauses  entstanden  ist.  Wie  es  von  dieser  immerhin  noch  ziem- 
lich einfachen  Gestalt  später  unter  Einwirkung  reicher  entwickelter  wirtschaft- 
licher Verhältnisse  sich  zu  den  verschiedensten  und  oft  sehr  komplizierten 
Formen  entwickelt  hat,  muß  hier  außer  Betracht  bleiben"*). 

Jedenfalls  sieht  man,  daß  die  lokalen  oder  zeitlichen  Änderungen  des 
Wirtschaftsbetriebes  auch  auf  die  Ausgestaltung  des  Hauses  von  entscheiden- 
der Bedeutung  sind,  und  bei  so  völlig  eigenartigen  Bodenverhältnissen,  wie 
sie  auf  den  Halligen  bestehen,  werden  wir  von  vornherein  annehmen  müssen, 
daß  das  volkstümliche  Haus  dieser  nordfriesischen  Inseln  innerhalb  des  großen 
Gebietes  des  niederdeutschen  Haustypus  sowohl,  wie  auch  in  dem  enger 
umschriebenen  Kreise  der  Verbreitung  des  Friesenhauses  eine  Art  Sonder- 
gattung für  sich  bildet.  Daß  z.  B.  das  durchgehends  aus  beschränkten  Ver- 
hältnissen erwachsene  Haus  der  Halligleute  nicht  gewisse  gleichmäßig  wieder- 
kehrende Unterschiede  von  dem  ausgedehnten  Anwesen  des  wohlhabenden 
Marschbauem  zeigen  sollte,  müssen  wir  an  und  für  sich  schon  für  unwahr- 
scheinlich halten.  So  bietet  uns  denn  auch  in  der  Tat  das  Hallig- 
haus im  Durchschnitt  eine  Form  des  Grundrisses  dar,  die  eine 
allmähliche  Verkümmerung  des  Wirtschaftsteiles  des  Hauses 
zu  gunsten  des  Wohnteiles  erkennen  läßt. 

Es  leuchtet  ein,  daß  in  denjenigen  Gegenden,  wo  der  Ackerbau  nur 
sehr  wenig  oder  garnicht  betrieben  wird,  auch  die  Deele,  die  große  Dresch- 
tenne, in  ihrer  Wichtigkeit  sehr  stark  eingeschränkt  und  verkümmern  wird, 
oder  endlich  sogar  ganz  verschwinden  kann.  Nun  aber  ist  der  Ackerbau  auf 
den  Halligen  infolge  der  Natur  des  Landes  ganz  unmöglich.    Die  Bevölkerung 

110)  In  diesem  Punkte  ist  eine  Bemerkung  des  Herrn  Baurat  Prejawa  in  seinen 
sonst  sehr  willkommenen  Ergänzungen  zu  meinem  Bericht  über  das  Diepholzer  Flett  und 
Dönse  (Mitteilungen  aus  dem  germ.  Museum  1903  S.  131  ff.)  zu  berichtigen  (vergl.  a.  a.  O. 
S.  134). 

111)  Vergl.  die  im  Deutschen  Bauernhaus-Werk  mitgeteilten  Grundrisse. 


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VON  DB.  orro  laüffer-frankfurt  a.  m.  149 


ist,  abgesehen  von  dem  erwähnten  stark  entwickelten  Schifferleben,  in  land- 
wirtschaftlicher Beziehung  lediglich  auf  Viehhaltung  und  Heuernte  angewiesen^  **). 
Die  wirtschaftliche  Notwendigkeit  der  Dreschtenne  ist  dadurch  gänzlich  auf- 
gehoben, und  auch  die  dtirch  sie  bedingten  Weiten  Bodenräume  erschienen 
dem  Bauern  allem  Anschein  nach  nicht  so  wichtig  und  unentbehrlich,  daß 
sie  die,  zumal  bei  dem  Mangel  an  Bauholz  sehr  beträchtlichen  Baukosten 
notwendig  erscheinen  Heften.  Man  konnte  sich  in  dieser  Hinsicht  behelfen, 
und  man  behalf  sich  tatsächlich  in  der  Weise,  wie  Biernatzki  es  schildert: 
>Das  geborgene  Heu  wird  in  Diemen  zusammengehäuft,  über  die  ein  Flecht- 
werk von  Stroh,  an  beiden  Enden  mit  Steinen  belastet  herabhängt,  wodurch 
sie  eine  solche  Festigkeit  gewinnen,  daß  nur  mit  einem  eisernen  Spaten  das 
zum  jedesmaligen  Gebrauche  Nötige  abgestochen  werden  kann,  und  diese 
Heuberge  an  der  Seite  des  Hauses  oft  noch  eine  Zuflucht  geben,  wenn  die 
Mauern  vor  der  Gewalt  der  Wellen  niederbrechen«  ^^*).  Damit  war  auch  der 
letzte  Grund  geschwunden,  der  innerhalb  des  gegebenen  Hausgedankens  eine 
Beibehaltung  der  Tenne  hätte  stützen  können. 

Dieser  Entwicklung  gemäß  treten  uns  auf  den  nordfriesischen  Inseln 
Grundrißformen  entgegen,  in  denen  die  Diele  entweder  zu  einem  beinahe  qua- 
dratischen Gemach  verkürzt  ist,  wofür  Jensen  a.  a.  O.  S.  201,  Fig.  I  ein 
Beispiel  bietet,  oder  zu  einem  zwischen  Stallungen  und  Wirtschaftsräumen 
durchlaufenden  Gange  zusammengeschrumpft  ist,  wobei  die  T-förmige  Lage 
dieses  Ganges  zum  Hausflur  noch  an  die  alte  Gruppierung  erinnert.  Für 
dieses  letztere  Entwicklungsstadium  hat  U  h  1  e  auf  der  Insel  Föhr  einen  Beleg 
gefunden  und  a.  a.  O.  S.  (65)  Fig.  7  abgebildet.  Auch  der  von  Traeger, 
Halligen  S.  255  Fig.  9  dargebotene  »Grundriß  des  Hauses  einer  der  größten 
Halligstellen«  erinnert  noch  daran.  Bei  kleineren  Haushaltungen  aber  schwindet 
schließlich  auch  der  letzte  Rest,  ja  man  kann  sagen  jede  sichtbare  Erinnerung 
an  den  alten  Dreschraum.  Seine  einzige  Nachwirkung  ist  nur  noch  in  der 
Tatsache  zu  verspüren,  daß  das  Haus  durch  den  von  der  Haustür  zur  Hinter- 
tür quer  durchlaufenden  Flur  nicht  nur  räumlich,  sondern  auch  wirtschaftlich 
in  zwei  von  einander  geschiedene  Teile  zerlegt  wird,  indem  auf  der  einen 
Seite  des  Flures  sämtliche  Wohnräume,  auf  der  anderen  sänjtliche  Stallungen 
untergebracht  sind.  Dieses  Stadium  wird  durch  den  von  Jensen  a.  a.  O. 
S.  201  abgebildeten  Grundriß  eines  Föhrer  Hauses  vertreten,  welches  sich 
auch  durch  den  Abbruch  einer  ehemaligen  Scheune  und  eines  Gefaches  des 
Wohnteiles  als  in  der  Verkümmerung  befindlich  darstellt. 

Derselbe  Zustand,  der  durch  den  —  gleichfalls  als  »Diele«  bezeichneten 
—  Flur  vollzogenen  Trennung  von  Wohn-  und  Wirtschaftsräumen  wird  auch 


112)  Traeger,  »Friesische  Häuser«  S.  114.    Jensen  a.  a.  O.  S.  138. 

113)  Biernatzki,  »Die  Hallig<  S.  10/11.  Trotz  der  von  Traeger,  »Halligen« 
S.  240  an  B.  geübten  Kritik,  daß  seine  Halligschilderungen  nicht  ganz  zuverlässig  seien, 
darf  obige  Schilderung  wohl  als  der  Wahrheit  entsprechend  angenommen  werden,  zumal 
wenn  wir  die  von  Meiborg  Abb.  89  u.  90  dargebotenen  Bilder  zweier  Pellwormischer 
Bauernhöfe  damit  vergleichen,  die  von  einer  erstaunlich  großen  Reihe  hoch  aufgetürmter 
Diemen  dicht  umdrängt  sind. 


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150 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


noch  durch  den  Grundriß  des  »Hauses  Prott  in  Westerland«  auf  Sylt  doku- 
mentiert, der  in  dem  deutschen  Bauernhauswerke  auf  Tafel  > Schleswig- Hol- 
stein Nr.  10«  dargeboten  ist.  Aber  auch  hier  hat*  sich  bereits  der  Wohnteil 
zu  Ungunsten  des  Wirtschaftsteiles  ausgedehnt,  denn  von  diesem  letzteren 
ist  ein  neben  dem  nach  der  Hintertür  gerichteten  Flurteile,  der  sogen.  Hinter- 
diele gelegener  Raum  als  Leutestube  benutzt,  mithin  zum  Wohnraum  ge- 
worden. Erst  damit  ist  der  entscheidende  Schritt  getan,  der  uns  endlich  zu 
der  Einteilung  des  kleineren  Durchschnittshauses  der  Halligen  führt.  Traeger 
hat  von  denselben  in  seinem  Aufsatz  »Friesische  Häuser«  Fig.  1—3  einige 
Grundrisse  dargeboten,  und  diese  gebe  ich  hier  in  Fig.  31—33  wieder  ***J. 

Von  diesen  3  Häusern  kann  man,  wenn  man  will,  das  zuerst  im  Grund- 
riß wiedergegebene  (Fig.  31)  noch  ähnlich  wie  das  eben  besprochene  Haus 
Prott  in  Westerland  beurteilen.  Auch  hier  kann  man  zur  Not  noch  in  der 
Gruppierung  der  beiden  Dielen  zu   einander  die  Reste   der   alten  T-förmigen 


Zu  Fi«:.  31: 

1)  Diele.    2)  Wohnräume. 

3)  Wandbetten.    4)  Wandschrank. 

5)  Küche.    6)  Kellertreppe. 

7)  Speisekammer.    8)  Bodentreppe. 

9  u.  11)  Stallräume. 
10)  Brunnenraum.     12)  Düngerrinne. 
13)  Herd.     14)  Schornstein. 
15)  Einlegeröfen.     16)  Dittenschacht. 


Fig.  31.    Qrundriss  eines  Hallischauses  nach  Traeger,  Friesische  Häuser  S.  114. 

Disposition  erkennen.  Aber  mehr  noch  als  in  jenem  Hause  sieht  man  hier, 
wie  der  Bedarf  an  Stall-  und  Wirtschaftsräumen  zurückgegangen  ist.  Sie 
sind  fast  auf  ein  Sechstel  der  gesamten  Bodenfläche  des  Hauses  beschränkt, 
und  dafür  sind  die  beiden  links  von  der  Hauptdiele  gelegenen  Räume ,  die 
eigentlich  mit  zum  Wirtschaftsteile  des  Hauses  gehören,  zu  Wohnzwecken 
verwandt  worden.     Nicht  wesentlich   anders    erscheint   die  Beschränkung  der 


114)  Johansen  gibt  für  das  Hallighaus  noch  eine  reinliche  Trennung  von  Wohn- 
teil und  Wirtschaftsteil  als  allgemein  üblich  an,  denn  er  sagt  in  seinem  »Halligenbuch< 
S.  28  >Nur  an  der  einen  Seite  der  Haustür  sind  einige  größere  Fenster;  denn  dies  ist 
die  Seite,  wo  sich  die  Wohnzimmer  und  die  Küche  befinden,  während  die  andere  Hälfte 
des  Hauses  als  Stallgebäude,  Feucrungs-  und  Heuraum  benutzt  wird  und  daher  nur  mit 
kleineren  Fenstern  verschen  ist«.  Daß  diese  Mitteilung  zum  mindesten  nicht  durchgehend 
richtig  ist,  wird  durch  Träger 's  Grundrisse  klar  erwiesen.  Johannsen  kann  darum 
für  manche  Fälle,  wo  es  sich  um  größere  Betriebe  handelt,  trotzdem  Recht  behalten  mit 
seiner  auf  S.  32  gemachten  Angabe,  daß  »vielerwärts  mehr  als  die  Hälfte  des  Hauses  für 
landwirtschaftliche  Zwecke  eingerichtet  sei«.  Dann  sind  eben  dem  einfachen  Hausrecht- 
eck noch  besondere  Wirtschaftsräume  durch  Anbauten  hinzugefugt.  Aber  darum  handelt 
es  sich  hier  nicht.  Für  uns  ist  hier  vielmehr  die  Frage,  ob  der  Flur  das  Haus  immer 
in  der  Weise  durchschneidet,  daß  er  Wohnteil  und  Wirtschaftsteil  völlig  von  einander 
trennt.     Unsere  Grundrisse  zeigen,  daß  er  das  nicht  tut. 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFURT  A.  M. 


151 


Wirtschaftsräume  bei  dem  Grundriß  in  Fig.  32.  Von  diesem  Hause  ist  wohl 
zu  vermuten,  daß  es  einmal  um  einige  Fach  nach  rechts  erweitert,  sein  Raum 
also  um  die  Eckdiele  nebst  Speisekammer  und  dahinterliegenden  Wohnraum 
vermehrt  worden  ist.  Nur  so  erscheint  mir  die  sonst  ganz  unorganische  Eck- 
diele erklärlich.  Ich  habe  diesen  Grundriß  genau  nach  Traegers  Vorbilde 
wiedergegeben,  nehme  aber  an,  daß  er  eigentlich  umgekehrt  werden  muß, 
um  richtig  und  wie  Fig.  31  und  33  orientiert  zu  sein.  Man  sieht  auf  diesen 
beiden  letztgenannten  Grundrissen  deutlich,  daß  —  wie  auch  sonst  hervor- 
gehoben wird  —  für  die  Wohnräume  die  Lage  an  der  Südseite  des  westöst- 
lich gerichteten  Hauses  bei  dem  erklärlichen  Wunsche  nach  Licht  und  Wärme 
die  übliche  ist,  und  auch  wo  von  dem  Wirtschaftsteile  Wohnräume  abge- 
sondert worden  sind,  scheint  es  in  erster  Linie  auf  der  Südseite  des  Hauses 
geschehen  zu  sein,  während  Wirtschaftsräume  und  Küche  nach  der  Nordseite 
liegen.  Bei  Fig.  32  würde  nach  Traegers  Orientierung  in  allem  das  Gegen- 
teil der  Fall  sein.  Ich  glaube  daher  für  eine  Umdrehung  des  Grundrisses  mich 
entscheiden  zu  sollen. 

Zu  Fi«:.  32: -1)01616. 

2)  Wohnräume. 

3)  Wandbetten. 

4)  Brunnen.  5)  Küche. 

6)  Kellertreppe. 

7)  Herd. 

8)  Einlegeröfen. 

9)  Speisekammer. 
10)  Bodentreppe. 
11  u.  12)  Viehverschläge. 

13)  Schafstall. 

14)  Düngerrinne. 

15)  Futterkrippen. 

16)  Deckenstützen. 

Fig.  32.    Qrundriss  eines  Halligrhauses  nach  Traeger,  Friesische  Häuser  S.  115. 

Die  Anordnung:  Wohnräume  nach  Süden  und  Osten,  Küche  und  Stall- 
räume nach  Norden  und  Westen  begegnet  uns  auch  bei  dem  dritten  Hause 
(Fig.  33),  das  sich  von  den  beiden  ersteren  im  Wesentlichen  eigentlich  nur 
durch  den  hinteren  Stallanbau  unterscheidet ,  das  aber  gerade  durch  diesen 
Anbau  noch  bei  den  beschränkten  Verhältnissen  des  Hallighauses  die  Leich- 
tigkeit derartiger  Erweiterungen  zeigt,  die  auch  sonst  bei  dem  Friesenhause 
in  so  überraschender  Weise  uns  entgegentritt.  Dieselbe  hat  zu  den  erwähnten 
komplizierten  Grundrissen,  die  man  in  manchen  Gegenden  des  Friesenhaus- 
Gebietes  antrifft,  überhaupt  erst  die  Möglichkeit  gegeben,  und  sie  scheint 
sich  vor  allem  durch  die  weiterhin  zu  besprechenden  konstruktiven  Eigen- 
tümlichkeiten des  friesischen  Hauses  zu  erklären.  — 

Vergleicht  man  das,  was  ich  bislang  über  die  Entwicklungsgeschichte 
des  Hallighauses  vorgetragen  habe,  mit  den  Äußerungen,  die  Traeger, 
»Friesische  Häuser«  S.  114 — 115  darüber  gemacht  hat,  so  wird  man  bemerken, 
daß  ich  von  seinen  Ansichten  in  vielen  wesentlichen  Punkten  abweiche.  So 
scheint  er  auch  sich  der  Auffassung  Meiborgs  anzuschließen,  der  den  Hallig- 
häusern   holländischen   Charakter   zuschreibt.     Ich    kann    für   diese   Meinung 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GEBMANISCHEN  MUSEUMS. 


nicht  den  geringsten  Anhaltspunkt  finden,  trotzdem  der  Verkehr  mit  Holland, 
wie  wir  fernerhin  sehen  werden,  sonst  reichlich  bezeugt  ist.  Ich  darf  aber 
natürlich  die  endgültige  Entscheidung  dieser  Frage  der  weiteren  Lokalforschung 
überlassen.  Ganz  entschieden  ablehnen  muß  ich  es  dagegen,  wenn  Traeger 
»das  fränkische  Haus«  —  er  meint  wohl  allgemein  den  oberdeutschen  Haus- 
typus —  zum  Vergleiche  heranziehen  will.  Eine  solche  Zusammenstellung 
scheint  mir  nur  geeignet,  den  Leser  gründlich  in  die  Irre  zu  führen.  Soviel 
ist  ja  freilich  sicher,  daß  die  Stube  als  Wohnraum  —  auch  hier  wird  sie 
nach  Traeger,  Fries.  Häuser  S.  115  als  >Dönse«  bezeichnet  —  vom  ober- 
deutschen Hause  her  in  das  niederdeutsche  eingedrungen  ist,  und  daß  da- 
durch, aber  auch  erst  dadurch  gewisse  Ähnlichkeiten  in  Bezug  auf  den  Wohn- 
teil des  Hauses  zustande  gekommen  sind.    Aber  man  darf  doch  nie  vergessen, 


Zu  Plz.  33: 

1)  Diele. 

2)  Wohnräume. 

3)  Wandbetten. 

4)  Durchgänge. 

5)  Küche. 

6)  Herd  mit  Backofen. 

7)  Speisekammer. 

8)  Kellertreppe. 

9)  Dittenschacht. 

10)  Bodentreppe. 

11)  Stallräume. 

12)  Schornstein. 

13)  Gerätkammer. 

14)  Einlegeröfen. 

15)  Wandschrank. 


Fig.  33.     Qrundriss  eines  Halll8:hau8e8  nach  Traeger,  Frie.sische  Häuser  S.  113. 

daß  diese  Ähnlichkeiten  nur  sekundärer  Natur  sind,  sodaß  das  unnötige  Be- 
zugnehmen auf  Erscheinungsformen  des  oberdeutschen  Hauses  eher  geeignet 
ist,  die  Frage  nach  der  Entwickelungsgeschichte  des  friesischen  Hauses  zu 
verwirren  als  sie  zu  klären. 

Die  neben  den  Grundrissen  stehenden  Erklärungen  habe  ich  von  Traeger 
gleichlautend  übernommen.  Dieselben  zeigen  leider  insofern  eine  Lücke,  als 
in  allen  drei  Fällen  die  mit  2  bezeichneten  Hausteile  schlechthin  »Wohn- 
räume« genannt  sind.  Nun  aber  begegnet  in  Bezug  auf  sie  gerade  am  nord- 
friesischen Hause  eine  Unterscheidung,  wie  sie  die  deutschen  Hausformen  sonst 
heute  nicht  mehr  kennen,  und  die  in  den  beiden  verschiedenen  Benennungen 
»Dönse«  und  »Pesel«  zum  Ausdruck  kommt.  Es  scheint  daher  angebracht, 
an  dieser  Stelle  ein  paar  kurze  Bemerkungen  über  jene  beiden  Namen  und 
Begriffe  einzuschalten,  und  es  muß  gleich  von  vornherein  gesagt  werden,  daß 
über  ihre  sprachgeschichtliche  Erklärung   wohl    unter  den  Germanisten  ziem- 


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VON  DR.  OTTO  liAUFFKR-FRANKPÜRT  A.  M. 


153 


liehe  Übereinstimmung  herrscht,  während  über  die  mit  ihnen  verbundenen, 
ursprünglich  doch  wohl  sicher  verschiedenen  Begriflfe  vom  Standpunkt  der 
Hausforschung  noch  völliges  Dunkel  zu  liegen  scheint.  Ziehen  wir  aber  die 
Betrachtungsweise  der  Hausforschung  zu  Rate,  so  werden  wir  erkennen,  daß 
durch  die  sprachliche  Erklärung  der  Namen  von  Dönse  nnd  Pesel  noch  nicht 
alle  Schwierigkeiten  gehoben  sind.  Erst  durch  eingehende  Vergleichung  von 
Name  und  BegriflF  werden  wir  der  Wahrheit  näher  kommen. 

Der  Name  »Dönse«  ist  uns  bereits  in  Diepholtz  begegnet.  Im  Lüne- 
burgischen ist  er  heute  noch  allgemein  gebräuchlich,  und  er  war  auch  im 
Braunschweigischen,  wo  er  heute  überall  verschwunden  scheint,  früher  weit 
verbreitet**'^).  Für  die  Halligen  und  auch  sonst  für  Schleswig-Holstein  ist 
er  vielfach  bezeugt***).  Schon  im  Mittelalter  findet  sich  die  Bezeichnung 
nicht  nur  in  Niederdeutschland  als  >dornitze,  dornze«,  sondern  auch  im  Hoch- 
deutschen, wo  er  heute  meines  Wissens  nirgend  mehr  vorkommt,  als  >dür- 
nitz,  tumitz«  bezeugt.  Sie  taucht  schon  im  frühen  Mittelalter  in  der  Form 
»tumiza«  als  Ausdruck  für  das  Heißbad  und  dann  allgemeiner  für  das  heiz- 
bare Zimmer  auf,  und  M.  Heyne,  dem  ich  diese  Angaben  entnehme, 
berichtet,  sie  solle  ein  slavisches  Lehnwort  sein.  Er  findet  für  diese  Er- 
klärung darin  eine  Bestätigung,  daß  der  Ausdruck  nur  bei  den  nieder-  und 
hochdeutschen  Stämmen,  die  an  Slaven  stoßen,  vorkomme**^).  Wenn  diese 
Deutung  zutrifft,  so  bleiben  darum  aber  immer  noch  eine  Reihe  von  Fragen 
unbeantwortet,  die  für  die  Hausforschung  von  großer  Wichtigkeit  sind.  Wie 
kommt  es,  daß  allein  die  Friesen,  die  doch  nicht  an  Slaven  anstoßen, 
den  angeblich  slavischen  Namen  bis  heute  durchgehends  bewahrt  haben? 
Wie  kommt  es,  daß  er  sich  in  den  altslavischen  Gebieten,  soviel  ich  sehe, 
überhaupt  nicht  findet?**®)  ein  Umstand,  der  die  slavische  Ableitung  des 
Namens  »Dönse«  doch  erheblich  in  Frage  stellt?  Wie  soll  es  endlich  zu  er- 
klären sein,  daß  man  überhaupt  darauf  kommen  konnte,  den  Raum,  für  den 
man  doch  in  Oberdeutschland  den  Ausdruck  Stube  besaß,  plötzlich  mit  einem 
slavischen  Lehnworte  zu  bezeichnen?  Daß  es  sich  dabei  nur  um  eine  Mode- 
laune gehandelt  habe,  erscheint  bei  dem  Verhältnis  des  deutschen  Mittelalters 
zum  Slaventum  ausgeschlossen.  Es  muß  sich  doch  wohl  um  eine  neue  oder 
eigengeartete  Erscheinung  innerhalb  der  Hauskultur  gehandelt  haben,  die  von 
den  Slaven  übernommen  und  deshalb  mit  dem  slavischen  Namen  bezeichnet 
wurde,  vorausgesetzt  immer,  daß  jene  sprachliche  Erklärung  richtig  ist.    End- 


115)  Vcrgl.  Andree,  Braunschweiger  Volkskunde  2.  Aufl.  S.  189. 

116)  Traeger,  Fries.  Häuser  S.  115.  Johansen,  a.  a.  O.  S.  29.  Als  »dörns« 
»dömsk«,  »dörnisch<  bei  Meiborg  S.  20flf.  108.  191.  Als  >dönze«,  >dörrinsch«  bei  J.  G. 
Kohl,  >Die  Marschen  und  Inseln  der  Herzogtümer  Schleswig  und  Holstein.«.  Dresden 
und  Leipzig.  1846.  1.  Bd.  S.  114. 

117)  Vergl.  Moriz  Heyne,  Deutsche  Hausaltertümer  I.  S.  123,  166  und  292. 
Zahlreiche  Nach  Weisungen  aus  Baiern  und  Mitteldeutschland  siehe  bei  Schm  eller,  Bair. 
Wb.  1,  542  flf.  unter  »Dümitz«. 

118)  Franz  Tetzner,  »Die  Slaven  in  Deutschland«.  Braunschweig  1902  kennt 
den  Ausdruck  »Dönz«  nur  bei  den  Elbslaven,  den  Polaben.  (S.  356.) 

Mitteiluncron  aus  dem  genn&n.  Nationalmuseum.    1904.  2i) 


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154 


DIE  BAUKRNSTÜBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


lieh  aber  wie  kommt  es,  daß  der  niederdeutsche  Bauer,  der  die  Errungen- 
schaft der  Stube  doch  dem  oberdeutschen  Hause  und  nicht  dem  slavischen 
zu  verdanken  hatte,  für  diesen  neuen  Raum  nicht  auch  den  oberdeutschen 
Namen,  sondern  vielmehr  das  slavische  Fremdwort  übernommen  haben  sollte. 
Das  sind  lauter  Fragen,  auf  die  meines  Wissens  bislang  jede  Antwort  fehlt? 
Man  sieht  daraus,  wie  sehr  es  noch  an  der  genaueren  Erforschung  der  Ge- 
schichte des  niederdeutschen  Hauses  mangelt  *^*). 

Viel  energischer  können  wir  uns  vom  Standpunkte  der  Hausforschung 
mit  der  sprachgeschichtlichen  Erklärung  des  Namens  > Pesel«  auseinander 
setzen.  Derselbe  ist  bezeugt  als  niederd.  »pisel,  peseU,  altfries.  »piseU,  mhd. 
»phieseU  ^'").  Er  stammt  vom  mlat.  pisalis,  dessen  Herkunft  Du  Gange  V, 
266^  erklärt:  »vox  autem  formata  est  ex  latino  pensile,  i.  locus,  in  quo  pensa 
trahunt  mulieres.«  Diesem  hat  sich  Wackernagel  in  seinem  Aufsatz: 
»Die  Umdeutschung  fremder  Worte«  (Kleine  Schriften  III,  S.  275  Anm.  1) 
angeschlossen,  und  er  sagt,  der  Pesel  sei  »eigentlich  Arbeitsraum  der  Weiber 
und  deshalb  ein  heizbarer  Raum«.  Ihm  sind  dann  alle  weiteren  lexikalischen 
und  archäologischen  Behandlungen  des  Pesels  in  dieser  Erklärung  so  sehr 
gefolgt,  daß  es  heute  für  die  Sprachforschung  durchgehends  festzustehen 
scheint,  daß  der  Name  Pesel  nichts  anderes  als  einen  heizbaren  Raum  be- 
zeichne "*).  In  der  Tat  lassen  sich  in  der  mhd.  Literatur  eine  ganze  Reihe 
von  Belegen  für  die  Heizbarkeit  des  Pfiesels  anführen,  und  besonders  die  von 
Schmeller  nachgewiesene  Bezeichnung  »PfieseU  für  einen  stark  geheizten 
Trockenraum  in  Salzsudwerken  sowie  die  Tatsache,  daß  erstens  die  franzö- 
sische Bezeichnung  für  Ofen,  po^le,  ebenfalls  auf  mlat.  pisalis  zurückgeführt 
wird,  und  daß  sich  femer  schon  mittelalterlich  die  Umdeutung  pilase  zu  pirale 
(TTöp)  findet,  scheint  die  Anschauung  zu  stützen,  daß  der  Pesel  von  Anfang  an 
ein  Wärmeraum  sein  müsse. 

Trotzdem  bleibt  es  für  die  richtige  Beurteilung  wichtig,  hervorzuheben, 
daß  der  Pesel  seinem  sprachlichen  Ursprung  nach  nur  ein  Arbeitsgemach  für 
Frauen  bedeutet,  gleichgültig  ob  mit  oder  ohne  Heizung ^^^).    Wenn  er  später 


119)  Um  der  Sache  näher  zu  kommen,  hätte  man  wohl  zunächst  einmal  zu  kon- 
statieren, wie  weit  im  niederdeutschen  Hause  die  Dönse  bei  ihrer  ersten  Verbreitung 
wirklich  als  Wohnraum  im  Sinne  der  oberdeutschen  Stube  benutzt  ist.  Daß  das  zunächst 
nur  sehr  spärlich  geschehen  ist,  und  daß  die  Dönse  in  dieser  Beziehung  noch  bis  tief 
in 's  19.  Jahrhundert  hinein  hinter  dem  Flett  als  Wohn-  und  Arbeitsraum  zurückstehen 
mußte,  das  beweist  —  wie  mir  scheint  —  eine  Mitteilung  von  Allmers  (Marschenbuch 
S.  184),  der  im  Anschluß  an  die  Besprechung  der  rückwärtigen  Herdwand  fortfahrt:  »Erst 
hinter  dieser  Wand  sind  die  Zimmer,  die  aber  nur  bei  feierlichen  Gelegenheiten,  bei 
Hochzeiten  und  Kindstaufen  gebraucht  werden«,  eine  Bemerkung  übrigens,  die  offenbar 
die  Verhältnisse  des  sächsischen  Hauses  im  Auge  hat. 

12§)  Vergl.  Heyne,  a.  a.  O.  I,  S.  122  u.  166. 

121)  Vergl.  Heyne  a.  a.  O.;  K.  Weinhold,  »Die  deutschen  Frauen«  3.  Aufl.  n,  88. 
Grimm,  Deutsches  Wörterb.  VII,  1696.  Ferner  die  Wörterbücher  von  Schmeller  2. 
Aufl.  I,  442.    Lexer  II,  243.  Müller-Zarncke  U,  1.  Abt.  S.  493. 

122)  Dem  entspricht  durchaus  die  Art,  in  der  sich  Brinckmann,  »Das  Hamburgische 
Museum«  S.  662  darüber  äußert,  wo  er  zugleich  mitteilt,  daß  der  Name  »in  ähnlicher 
Form  auch  im  skandinavischen  Norden  vorkommt«. 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFURT  A.  M.  155 

in  den  literarischen  Belegen ,  die  dem  Gebiete  des  oberdeutschen  Hauses 
entnommen  sind,  mit  dem  Begriffe  des  heizbaren  Raumes  zusammengefallen 
ist,  so  scheint  sein  Name  dort  eben  einfach  als  Modewort  für  die  oberdeutsche 
Stube  verwandt  zu  sein.  Auf  dem  Gebiete  des  niederdeutschen 
Hauses  aber  ist  der  Pesel  fast  immer  ohne  Heizvorrichtung  ge- 
blieben. Darin  beruht  der  fundamentale  Unterschied,  den  man  immer  im 
Auge  behalten  muß.  Zwar  finden  sich  auch  hier  gelegentliche  Bemerkungen, 
die  sich  auf  Heizbarkeit  des  niederdeutschen  Pesels  deuten  lassen,  so  wenn 
ein  Vocabularium  von  Stralsund  übersetzt:  »pesel,  dornse,  estuarium«,  oder 
wenn  eine  Stelle  bei  Richthofe n,  47,12  sagt:  »vnd  [wenn]  de  kolde  wynder 
an  geidt,  so  geidt  alle  mhan  ahn  syn  hoff  vnd  huss  edder  ahn  synen  warmen 
pysell«,  oder  endlich  wenn  Neocoi-us  1,165  beschreibt:  am  anderen  ende 
(der  Diele)  ein  ehrlich  gemack ,  se  hetent  pisell ,  dar  in  se  vor  olders  tho 
winters  und  sommerss  tidt,  nun  averst  bi  den  meisten  des  sommers  ehr 
wesent  hebben  mit  ehrem  gesinde  und  kinderen  gehatt,  ock  darin  se  einen 
frombden  gast  gevoret  unde  getracteret.«  Aber  alle  diese  Beispiele,  die  ich 
bei  S.  Schiller  u.  A.  Lübben,  Mittelniederdeutsches  Wörterbuch  III,  332/3 
finde ,  sind  lediglich  als  Ausnahmen  zu  betrachten ,  deren  nähere  Erklärung 
ich  vorläufig  weiterer  Lokalforschung  überlassen  muß. 

Das  Wichtige  bleibt,  daß  auch  Schiller  und  Lübben  erklären,  daß  der 
Pesel  heute  :>in  den  Bauernhäusern  meist  ohne  alle  Heiz  Vorrichtung  ist«,  wobei 
freilich  der  Begriff  der  Heizbarkeit  nicht,  wie  sie  meinen,  »vielfach  zurück- 
getreten«, sondern  überhaupt  nie  vorhanden  gewesen  ist.  Der  Pesel  tritt  uns 
denn  auch  sonst  vielfach  als  ungeheizter  Raum  in  den  literarischen  Quellen 
entgegen,  und  um  die  Richtigkeit  meiner  Behauptungen  zu  erweisen,  sehe  ich 
mich  genötigt,  eine  Reihe  derselben  anzuführen.  So  ist  bei  Grimm  (W. 
B.  VII,  1868)  eine  Stelle  aus  Schütze  zitiert,  der  den  Pesel  als  »einen 
großen,  die  ganze  Breite  des  Hinterhauses  einnehmenden  Saal  ohne  Ofen« 
beschreibt,  und  ebenso  berichtet  Kohl  a.  a.  O.  I,  114  von  den  friesischen 
Inseln,  daß  der  Pesel  »gewöhnlich  ohne  Ofen«  sei.  Ulr.  Jahn,  »Das  Osten- 
felder und  friesische  Haus«  sagt  in  dem  gleichen  Sinne:  »der  Pesel  wird 
nicht  geheizt,  hat  überhaupt  keinen  Ofen«^^^),  und  so  lassen  sich  noch  eine 
große  Reihe  von  gleichen  Zeugnissen  anführen  ^^^). 

Bei  alledem  könnte  es  sich  nun  freilich  immer  noch  um  ein  im  Laufe 
der  Zeit  eingetretenes  Verschwinden  der  früher  vorhandenen  Heizvorrichtungen 
handeln.  Daß  das  nicht  der  Fall  ist,  läßt  sich  jedoch  sicher  nachweisen, 
denn  aus  der  typischen  Anordnung  der  Wohnräume  im  Friesenhause  ist  klar 
ersichtlich,  daß  der  Pesel  dort  überhaupt  keine  Heizanlage  gehabt  haben  kann. 


123)  Verhandl.  d.  Berliner  Anthrop.  Gesellschaft  XXII.  1890.  S.  (532). 

124)  H.  Sauermann,  Führer  Flensburg.  S.  33:  >Das  Zimmer  (Pesel  von  der  Insel 
Rom)  hat  keine  Heizstelle.  <  Sauermann  bezeichnet  ebenda  S.  88  das  gleichfalls  nicht  mit 
einer  Heizanlage  versehene  Zimmer  von  Föhr  als  »sogenannte  Kaltstube«.  Ob  er  mit 
diesem,  mir  sonst  nicht  begegneten  Namen  etwas  anderes  als  den  Pesel  bezeichnen  will, 
kann  ich  nicht  entscheiden.  —  Vgl.  ferner  Meiborg,  a.  a.  O.  S.  84:  »Der  Pesel  hat  keine 
Feuerstelle«,  sowie  die  große  Zahl  der  von  ihm  gegebenen  Grundrisse. 


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156 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  OERMANlSt^HBN  MUSEUMS. 


Zu  dem  Zwecke  ist  zunächst  daran  zu  erinnern,  daß  die  Heizung  durch  den 
sogen.  »Bileggerc  geschieht,  d.  h.  durch  einen  Ofen,  der  nicht  vom  Zimmer 
selbst  angeschürt  wird,  sondern  sich  an  die  Herdwand  der  Küche  anlehnt  und 
vermittels  eines  durch  diese  Wand  sich  öffnenden  Schürloches  von  der  Küche 
aus  —  vielfach  unter  direkter  Übertragung  des  Herdfeuers  —  geheizt  wird. 
Eine  andere  Art  von  Öfen  gibt  es  im  Bauernhause,  man  kann  fast  sagen  bis 
heute,  überhaupt  nicht,  und  es  ist  klar,  daß  infolgedessen  dort  nur  derjenige 
Wohnraum  geheizt  werden  kann,  der  sich  an  die  äußere  Seite  der  Herdwand 
anlehnt.  Nun  aber  vergleiche  man  damit  die  Gruppierung  der  Wohnräume, 
die  sich  bei  der,  wie  wir  früher  sahen,  durch  den  quer  durchlaufenden  Flur 
veranlaßten,  von  Haus  aus  typischen  Trennung  von  Wirtschaft-  und  Wohn- 
räumen ergab.     Ich  kann  mich  dabei  auf  Clements  Worte  beziehen:  »Von 


a)  Einfahrtstor. 

b)  Diele. 

c)  Siedeln  (Stallräume). 

d)  Bettverschläge  fQr  das  Gesinde. 

e)  Haustüren. 

f)  Hausflur. 

g)  Küche, 
h)  Herd. 

i)  Bilegger. 
k)  Dönse. 

1)  Pesel, 
m)  Dönse  für  die  Altenteilsitzer. 
n)  Kammer  (zur  Aufbewahrung  der 
Milch  u.  s.  w.) 


Fig.  34.    Schematlscher  Qrundriss  eines  Friesen hauses  aus  Ostenfeld. 

Nach  Jahn  i.  d.  Verhandl.  d.  Berl.  Ges.  f.  Anthrop.  XXII.  1890.  S.  (532.) 

der  Haustür  bis  zur  Gartentür  geht  ein  Gang  gerade  durch,  nun  hat  man 
entweder  links  vorn  die  Tenne,  hinten  den  Stall,  und  rechts  vorn  die  Stube 
(mit  Pesel)  hinten  die  Küche,  oder  umgekehrt  rechts  Tenne  und  Stall  und 
links  Stube  und  Küche,  oder  man  hat  links  vorn  die  Küche,  hintep  die  Stube 
und  rechts  vorn  die  Tenne,  hinten  den  Stall  oder  umgekehrt  rechts  Küche 
und  Stube  und  links  Tenne  und  Stall.  Das  ist  das  echte  eigentümliche 
friesische  HausÄ^^*^). 

Daraus  geht,  soweit  es  für  uns  wichtig  ist,  folgendes  hervor:  An  den 
Flur,  die  Diele,  lehnen  sich  auf  der  Wohnseite  zwei  Räume,  die  Küche  und 
das  Wohnzimmer,  die  Dönse.  Die  Trennungswand  zwischen  ihnen  ist  die 
Feuermauer,  an  welcher  einerseits  der  Herd,  andererseits  der  Bilegger  liegt. 
In   der  Verlängerung    nach  der  Giebelseite  des  Hauses  liegt  dann  hinter  der 

125)  Vergl.  Clement,  a.  a.  O.  S.  134—135. 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFURT  A.M.  157 

Dönse  der  Pesel  und  neben  diesem  hinter  der  Küche  eine  Kammer.  Diese 
letztere  kann  an  der  Wand  gegen  die  Küche  mit  einem  Bilegger  versehen 
und  dadurch  zu  einer,  für  die  Auszügler  bestimmten,  zweiten  Dönse  umge- 
wandelt, eventl.  auch  durch  Zweiteilung  in  eine  Dönse  mit  dahinterliegender 
Kammer  zerlegt  werden,  wie  der  schematische  Grundriß  Fig.  34  —  Jahn's 
Mitteilungen  in  den  Verhandlungen  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthropo- 
logie XXII.  1890.  S.  (532)  nachgebildet  —  in  den  Räumen  m  und  n  erkennen 
läßt.  Der  Pesel  1  liegt  innerhalb  des  Wohnteiles  des  Hauses  diagonal  zur 
Küche  g.  Er  stößt  bei  einfachen  typischen  Grundrissen  niemals  an  die 
Küchenwand  an,  und  es  ist  daher  die  Anbringung  eines  Bilegger  im  Pesel 
von  vornherein  immer  unmöglich  gemacht.  Man  sieht  also,  im  typischen 
Friesenhause  konnte  der  Pesel  überhaupt  nie  geheizt  werden,  wie  uns  außer 
Fig.  34  eine  große  Zahl  von  Grundrissen  lehren  '**). 

Auch  für  das  Hallighaus  läßt  sich  die  mangelnde  Heizfähigkeit  des  Pesel 
zum  Teil  noch  aus  unserer  Fig.  33  erkennen ,  die  sonst ,  wie  wir  sahen, 
einen  schon  nicht  mehr  typischen  Grundriß  des  Friesenhauses  darstellt. 
Wesentlich  deutlicher  wird  sie  durch  die  von  Traeger,  Halligen  Fig.  8  und  9 
abgebildeten  Grundrisse  zweier  Hallighäuser  zur  Darstellung  gebracht. 

Durch  alles  dieses  hoflfe  ich  mit  hinreichender  Beweiskraft  erwiesen  zu 
haben,  daß  der  Pesel  des  Friesenhauses  von  Anfang  an  nicht  heizbar  war, 
eine  Tatsache,  die  —  soviel  ich  sehe  —  im  Gegensatz  zu  den  Anschauungen 
der  Sprachforscher  nur  Ulr.  Jahn  bislang  erkannt  hat,  der  a.  a.  O.  S.  (532) 
sich  dahin  äußert :  »Der  Pesel  wird  nicht  geheizt,  hat  überhaupt  keinen  Ofen 
.  .  .  Wenn  also  wirklich  Pesel  aus  pisalis,  heizbares  Gemach,  vgl.  franz. 
po^le  herkommen  soll,  so  ist  es  lucus  a  non  lucendo.«  Da  aber  auch  Jahn 
der  dabei  sich  ergebenden  sprachlichen  Schwierigkeiten  nicht  Herr  geworden 
ist,  so  fasse  ich  meine  Anschauung  noch  einmal  kurz  zusammen:  Der  Aus- 
druck mhd.  phiesel,  nd.  pisel,  pesel  kommt  von  mlat.  pisalis  und 
bedeutet  »Arbeitsraum«.  Derselbe  entsprach  im  oberdeutschen 
Hause  der  Stube  und  war  geheizt,  wodurch  sich  auch  erklärt,  daß 
man  in  Frankreich  den,  dem  oberdeutschen  Hause  eigentümlichen 
Ofen  infolge  einer  Begriffsübertragung  als  pisalis:  po^le  bezeich- 
nete. Im  niederdeutschen  Hause  dagegen  ist  der  Pesel  bis  in  die 
neueste  Zeit  ein  ungeheizter  Raum  geblieben. 

Die  Art  der  Benutzung,  in  welcher  der  friesische  Pesel  gestanden  hat 
und  vielfach  heute  noch  steht ,  wird  von  den  vielen  Berichterstattern  mit 
großer  Übereinstimmung  geschildert.  So  erzählt  W.  Hamm,  a.  a  O.  S.  614/15: 
»Der  Pesel  ist  ein  großer  Raum,  der  Saal  des  Hauses.    Da  stehen  rings  um- 


126)  Vgl.  Deutsches  Bauernhaus-Werk,  Bll  Schleswig-Holstein  Nr.  4-7  und 
10—11,  wo  freilich  zum  Teil  auch  kompliziertere  Grundrisse  mit  ganz  abseits  liegendem, 
aber  auch  da  immer  ungeheizten  Pesel  sich  finden.  Vor  allem  aber  mehr  als  ein  Dutzend 
Grundrisse  in  Meiborgs  vortreflflicheni  Werke.  Die  dortselbst  S.  105  mitgeteilte  Tat- 
sache, daß  in  den  Heidegegenden  Mittelschleswigs  der  Pesel  inmitten  der  Scheidewand 
gegen  die  Küche  einen  großen  Kamin  besitzt,  ist  offenbar  eine  unter  bestimmten  Ein- 
flüssen entstandene  lokale  Spezialität. 


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158  DIB  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


her  an  den  Wänden  die  großen  eichenen  Kisten  mit  künstlichem  Eisenbeschlag 
von  durchbrochener  Arbeit,  rot  oder  grün  ausgemalt,  mit  Blumen,  Namens- 
zügen und  Jahreszahlen,  zumal  der  Jahreszahl  der  Verheiratung  des  Ehepaars. 
In  diesen  Kisten  befinden  sich  die  Schätze  von  Bett-  und  Leinenzeug.  Wir 
erblicken  außerdem  regelmäßig  noch  einen  großen,  bis  zum  Boden  reichen- 
den braunen  Schrank,  reich  verziert  mit  Schnitzwerk.  .  .  .  Der  Pesel  ist  ohne 
Ofen,  mit  steinerner  Diele;  er  wird  gebraucht  an  den  Tagen  besonderer 
Familienereignisse.  Hier  ist  die  Hochzeit  gehalten ;  hier  haben  sich  die  Gäste 
an  den  Tauftagen  der  Kinder  versammelt;  hier  sollen  die  Leichen  der  ver- 
storbenen Hausbewohner  stehen,  wie  wohl  schon  deren  viele  hier  gestanden 
haben  mögen.  Da  hat  der  Küster,  ehe  die  Leichen  aus  dem  Hause  gebracht 
wurden,  einen  Gesang  angestimmt  und  eine  Parentation  gehalten,  dann  haben 
die  Verwandten  und  Nachbarn  zahlreich  ringsumher  gesessen  beim  Trauer- 
mahl (Erbbier)  nach  angehörter  Leichenpredigt  und  nach  geschehener  Be- 
stattung des  Toten.«  Diese  Schilderung  gilt  für  das  Angler  Haus,  aber  auch 
sonst  wird  der  Pesel,  vielfach  fast  mit  den  selben  Worten,  als  ein  Raum 
geschildert,  der  je  nach  Bedarf  als  Prunk-  und  Staatsstube  hergerichtet  oder 
überhaupt  zu  allen  Veranstaltungen  innerhalb  des  Wohnungswesens  benützt 
wird,  zu  denen  die  Dönse  keinen  ausreichenden  Platz  gewährt'*^,  und  wenn 
in  einer,  speziell  auf  das  uns  hier  zunächst  interessierende  Hallighaus  bezüg- 
lichen Stelle  der  Pesel  nur  als  »großer  Raum,  der  zur  Sommerszeit  das  Wohn- 
und  Gartenzimmer  bildet«,  bezeichnet  wird,  so  ist  damit  sein  Wesen  wohl 
nicht  mit  hinreichender  Genauigkeit  umschrieben^*®). 

Nach  alledem  ist  nun  zwar  der  Name  und  die  heutige  Benutzung  des 
Pesels  ziemlich  klargestellt,  allein  es  bleibt  dabei  doch  immer  noch  unsicher, 
wie  es  kommen  konnte,  daß  der  Pesel  sich  überhaupt  als  ständiges  und  typisches 
Glied  in  den  Wohnteil  des  Friesenhauses  eingeschoben  hat,  eine  Frage,  die 
meines  Wissens  in  dieser  Form  bislang  überhaupt  noch  nicht  gestellt  worden 
ist,  deren  sichere  Beantwortung  aber  für  die  Hausforschung  von  wesentlicher 
Bedeutung  sein  würde.  Ich  denke  mir  die  Entwicklung  etwa  folgendermaßen: 
In  dem  Urtypus  des  Friesenhauses  lag  der  Herd  an  der  Rückwand  der  Diele, 
der  Dreschtenne,  und  die  seitlichen  Kübbungen  wurden  einerseits  als  Wohn- 
raum, andererseits  als  Spülraum  benutzt.  Als  dann  unter  dem  Einflüsse  des 
oberdeutschen  Hauses  hinter  der  Herdwand  noch  ein  Wohnteil  angefügt 
wurde,  bestand  derselbe  zunächst  nur  aus  zwei  Räumen  (k  und  g  in  Fig.  34). 
Diese  übernahmen  lediglich  die  Haushaltsfunktionen  der  Kübbungen,  d.  h. 
der   eine  (k)  wurde  Wohnraum,    der   andere   (g)  Spülraum.     Der  Herd    blieb 

127)  Vgl.  Johansen,  a.  a.  O.  S.  32  (übrigens  fast  die  einzige  Stelle,  wo  das  Fehlen 
des  Ofens  nicht  besonders  erwähnt  ist);  Kohl,  a.  a.  O.  I.  S.  114;  Meitzen  S.  11; 
Sauermann,  a.  a.  O.  S.  42;  Uhle,  a.  a.  O.  S.  (66);  O.  Schwindratzheim,  >Deutsche 
Bauernkunst«.  Wien.  Martin  Gerlach  &  Co.  1904.  S.  28.  Ebenso  die  Mitteilungen  über 
die  >große  Stube«  (Storstuen)  bei  Tröls  Lund,  Das  tägliche  Leben  in  Skandinavien, 
während  des  16.  Jahrh.«  Kopenhagen  1882.  S.  218^19. 

128)  Th.  Mügge,  >Eine  Sturmnacht  auf  den  Halligen«  in  Honeks  Buch  für  Winter- 
abende 1849  S.  146  (zitiert  nach  Grimm  Wb.  VII,  1868j. 


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VON  DR.  OTTO  LAUFFER-FRANKFURT  A.  M. 


159 


zunächst  an  seiner  alten  Stelle ,  und  ebenso  wurden  der  alten  Gewohnheit 
gemäß  alle  außergewöhnlichen  Veranstaltungen  des  häuslichen  Lebens,  als 
Kindtaufs-,  Hochzeits-  und  Leichenschmäuse  etc.,  noch  auf  der  Diele  abge- 
halten. Dann  aber  trat  das  entscheidende  Ereignis  ein,  daß  —  gleichfalls 
unter  dem  Einflüsse  des  oberdeutschen  Hauses  —  die  Wohnräume  ganz  ab- 
getrennt wurden,  indem  man  die  nun  entstehende  Hausdiele  (f)  von  der 
Dreschdiele  (b)  durch  eine  Quermauer  schied.  Der  Herd  wurde  nun  in  den 
Spülraum  (g)  verlegt,  der  dadurch  erst  zur  Küche  wurde.  Vor  allem  aber 
war  die  nächste  Folge  die,  daß  nach  jener  erwähnten  Abtrennung  nun  auch, 
wenn  ich  so  sagen  soll,  die  soziale  Wertschätzung  der  Dreschdiele  zu  sinken 
begann.  Ihre  alte  wirtschaftliche  Funktion  blieb  dieselbe,  aber  sie  auch  noch 
zu  Wohnzwecken  und  noch  dazu  bei  besonderen  Feierlichkeiten  zu  benutzen, 
dazu  war  sie  jetzt  nicht  mehr  fein  genug.  Aus  dem  Bestreben,  diese  Lücke 
auszufüllen,  ist  man  dann  —  wie  ich  annehme  —  dazu  gekommen,  den  Wohn- 
teil um  einige  Fach  zu  verlängern,  welche  hinter  der  Küche  eine  Kammer 
und  hinter  der  Stube,  der  Dönse,  den  Pesel  aufzunehmen  hatten.  Zwei  Ziele 
wurden  dadurch  zugleich  erreicht:  die  Kammer  bot  die  wirtschaftliche  Ent- 
lastung, welche  die  zur  Küche  umgewandelte  Spülkammer  erforderte,  der  Pesel 
aber  übernahm  alle  die  Wohnungsfunktionen,  die  bislang  noch  von  der  Dresch- 
diele erfüllt  waren,  und  die  allein  zu  übernehmen  die  Dönse  räumlich  nicht 
ausreichte. 

Ob  diese  meine  Auffassung  im  Einzelnen  richtig  ist,  das  zu  kontrollieren 
überlasse  ich  gern  der  weiteren  Lokalforschung.  Man  sieht,  welche  Aufgaben 
sich  der  niederdeutschen  Hausforschung  noch  darbieten.  Jedenfalls  aber  darf 
ich  nach  allem,  was  wir  über  Dönse  und  Pesel  zu  sagen  hatten,  wohl  hoffen, 
im  Verlaufe  der  weiteren  Darstellung ,  wo  wieder  von  Dönse  oder  Pesel  die 
Rede  sein  wird,  eine  lebendige  Vorstellung  davon  voraussetzen  zu  können, 
denn  nichts  wäre  nutzloser,  als  immer  wieder  Ausdrücke  zu  gebrauchen,  die 
der  Leser  nur  zum  Teil  oder  gar  nicht  versteht,  oder  ihm  von  Begriff*en  zu 
sprechen,  die  er  nicht  kennt.  Wem  aber  sonst  unser  Bestreben,  die  Teile 
des  volkstümlichen  deutschen  Hauses  nach  Namen  und  Bedeutung  kennen 
zu  lernen,  auffällig  erscheinen  sollte,  der  möge  bedenken,  daß  wir  damit  für 
die  deutschen  Verhältnisse  durchaus  keine  anderen  Studien  betreiben,  als  wie 
sie  unter  allgemeiner  Zustimmung  die  klassische  Philologie  mit  Bezug  auf  das 
antike  Haus  seit  langem  pflegt.  — 

Neben  der  Behandlung  des  Grundrisses  ist  sodann,  wie  wir  sahen ,  in 
gleichem  Maße  auch  die  Konstruktionsweise  des  Hauses  für  die  Zu- 
schreibung  zur  friesischen  Art  ausschlaggebend.  Wenn  wir  auch  von  ihr  hier 
noch  mit  ein  paar  Worten  reden  wollen,  so  kann  es  dabei  nicht  meine  Auf- 
gabe sein,  die  konstruktiven  Einzelheiten  des  Hallighauses  zu  besprechen, 
zumal  mir  in  dieser  Hinsicht  keine  eigenen  Studien  zur  Verfügung  stehen. 
Nur  wie  weit  es  der  typischen  Bauweise  des  Friesenhauses  folgt,  können  wir 
hervorheben. 

Die  friesische  Bauart  unterscheidet  sich,  wie  ich  bereits  in  der  Ein- 
leitung bemerkte,  von  derjenigen  des  Sachsenhauses  wesentlich  dadurch,  daß 


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160  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

bei  dem  letzteren  das  mächtige  Dach  auf  den  Umfassungsmauern  ruht,  wäh- 
rend es  beim  Friesenhause  von  Ständern  getragen  wird,  die  in  gleichen  Ab- 
ständen —  paarweise  je  ein  sogen.  Fach  bildend  —  eine  ununterbrochene 
Reihe  von  Stützen  darstellen.  Woher  diese  Konstruktionsweise  ihren  Ausgang 
genommen  hat,  ist  klar.  Nur  an  den  Gestaden  des  Meeres  und  soweit  die 
Überschwemmungsgebiete  reichten,  kann  sie  entstanden  sein,  denn  ihr  Zweck 
beruht  eben  darin/  den  wichtigsten  Teil  des  Hauses,  das  Dach  mit  seinem 
weiten  Vorratsraum,  im  Falle  einer  Überschwemmung  vor  dem  Untergange 
zu  schützen.  Dazu  aber  reichten  die  Mauern,  auf  die  der  von  Meereswogen 
unbedrohte  Niedersachse  ruhig  sein  Dach  aufsetzen  konnte,  nicht  aus.  Sie 
wären  von  dem  Sturm  der  Wellen  eingedrückt  oder  unterspült  und  dann 
zu  Falle  gebracht.  Ganz  anders  die  schweren  Eichenpfeiler.  Wenn  sie  nur 
tief  genug  in  den  Boden  eingerammt  waren,  und  wenn  sie  nur  durch  ein 
hinreichend  festes  Gefüge  unter  sich  und  mit  dem  Balkenwerk  des  Daches 
verbunden  waren,  so  konnten  die  zwischen  ihnen  aufgeführten  Wände  und 
die  das  Haus  umschließenden  Außenmauem  ruhig  von  dem  überschwemmen- 
den Meere  umgeworfen  werden,  die  Stützen  selbst  aber  überstanden  für  lange 
Zeit  den  Andrang  der  Wellen,  und  wenn  das  Wasser  nicht  gar  zu  hoch 
stieg,  retteten  sie  das  auf  ihnen  ruhende  Dach,  das  wie  ein  Pfahlbau  aus 
den  Wogen  hervorragte,  die  unter  ihm  in  Diele  und  Stall,  in  Dönse  und 
Pesel  ihr  Wesen  trieben. 

Das  Hallighaus  hat  an  dieser  friesischen  Konstruktionsweise  teilgenommen, 
und  wenn  z.  B.  von  der  Überschwemmung  des  Jahres  1717  berichtet  wird: 
»auf  der  Hallig  Nordmarsch  stand  das  Wasser  eine  Elle  hoch  in  der  Kirche, 
19  Häuser  wurden  völlig  vernichtet,  nur  11  blieben  unbeschädigt,  die  übrigen 
48  sind  durchgespült  und  auf  bloßen  Säulen  stehen  geblieben,«  so  sehen  wir, 
daß  damals  mehr  als  die  Hälfte  sämtlicher  vorhandenen  Wohnhäuser  lediglich 
jener  Säulenkonstruktion  die  Rettung  vor  gänzlicher  Vernichtung  zu  danken 
hatten  ^**).  So  bemerken  wir  denn  auch,  daß  man  auf  eine  größtmögliche 
Standfestigkeit  der  Säulen  von  vornherein  eifrigst  bedacht  war.  Im  Grunde 
genommen  kann  man  die  ganze,  mit  unendlicher  Mühe  aus  übereinander  gelegten 
Rasenstücken  erbaute  Werft  schon  mit  zu  den  Substruktionen  des  Hauses 
rechnen *®%  und  Johansen  erzählt,  daß  in  den  Fällen,  wo  die  Werft  von 
Grund  aus  neu  gebaut  werden  mußte,  schon  während  dieser  Arbeit  die  eichenen 
Ständer  aufgerichtet  und  dann  in  der  schichtenweise  um  sie  emporwachsen- 
den Werft  immer  mehr  mit  Erde  und  Rasenstücken  fest  umschlossen  wur- 
den *^^).  Wenn  man  dann,  nach  Fertigstellung  der  Werft,  um  die  Ständer 
herum  das  Mauerwerk  aufführte,  so  suchte  man  ihre  Festigkeit  auch  jetzt 
noch  zu  erhöhen,  indem  man  sie  an  den  vier  Ecken  in  das  Mauerwerk  ein- 
schloß^«"). 


129)  Vgl.  Traeger,  Halligen  S.  239. 

130)  Vgl.  Kohl,  Marschen  etc.  I,  328. 

131)  Johansen,  Halligenbuch  S.  26/27.    Vgl.  auch  Sauermann,  a.  a.  O.  S.  86/87. 

132)  Traeger,  Fries.  Häuser  S.  118.     Sach,  a.  a.  O.  S.  240. 


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VON  DR,  OTTO  LAÜFFKR-FRANKFÜRT  A.  M. 


161 


Das  ist  die  oft  bewährte  friesische  Konstruktionsweise,  die  ebenso  wie 
für  die  alten  Hallighäuser  auch  z.  B.  für  diejenigen  auf  der  Nachbarinsel  Föhr 
bezeugt  wird^^**).  Auch  sie  ist  trotz  ihrer  offenbaren  Vorzüge  seit  längerer 
Zeit  im  Verschwinden  begriffen,  denn  Jensen  berichtet,  daß  man  auf  der 
Insel  Sylt  schon  im  18.  Jahrhundert  angefangen  habe,  die  Querbalken  des 
Daches  nicht  mehr  auf  das  Ständergerüst,  sondern  auf  die  Mauer  zu  legen  ^^*)i 
und  in  gleicherweise  beklagt  Traeger  für  die  neueren  Häuser  der  Halligen 
nach  dieser  Hinsicht  das  Abweichen  von  der  alten  Baugewohnheit  *^*).  Jeden- 
falls aber  kann  man  heute  von  diesem  Umbildungsprozeß  noch  gänzlich  ab- 
sehen, wenn  man  die  typische  Entwicklung  des  Friesenhauses  darstellen  will, 
und  ich  glaube,  daß  auf  die  konstruktive  Art  des  Ständerbaues  auch  vor 
allen  Dingen  eine  Erscheinung  zurückgeführt  werden  muß,  die  wir  bereits 
bei  der  Besprechung  des  Grundrisses  zu  erwähnen  hatten.  Das  ist  die  am 
Friesenhause  geradezu  typisch  auftretende  Leichtigkeit  der  Erweiterung  durch 
Anbauten,  zu  denen  auch  die  gelegentliche  Verkürzung  eines  für  den  Besitzer 
zu  groß  gewordenen  Hauses  die  entsprechende  Parallele  bildet.  Beides  hat 
für  den  Beobachter  zunächst  etwas  höchst  auffallendes,  wenn  man  bedenkt, 
daß  bei  den  anderen  volkstümlichen  Hausformen  ein  An-  oder  Umbau  nur 
mit  den  größten  Schwierigkeiten  verbunden  ist,  sodaß  sich  der  Bauer  zu 
ihnen  beinahe  ebenso  schwer  wie  zu  einem  völligen  Neubau  entschließt.  Am 
Friesenhause  allein  ist  es  erklärlich,  denn  während  anderwärts  durch  einen 
Umbau  und  die  damit  verbundenen  Mauerdurchbrüche  zugleich  eine  Neuver- 
teilung der  Last-  und  Stützenverhältnisse  erforderlich  wurde,  der  sich  die 
ländliche  Technik  nicht  gewachsen  zeigte,  so  war  es  bei  der  geschilderten 
Ständerkonstruktion  wie  wir  sahen  sogar  möglich,  daß  sämtliche  Mauern  fort- 
fielen ,  ohne  dadurch  die  Standfestigkeit  des  Daches  zu  gefährden.  Unter 
solchen  Umständen,  aber  auch  allein  unter  solchen,  bedeutete  es  auch  für 
die  verhältnismäßig  primitive  Bautätigkeit  keine  allzu  große  Schwierigkeit, 
dem  alten  Hause  ein  paar  Gefache  an-  oder  vorzubauen,  oder  andererseits 
auch  es  um  ebenso  viel  zu  verkürzen. 

Das  Dach,  welches  vor  den  von  Biernatzki  geschilderten  Diemen  in 
erster  Linie  als  Speicherraum  für  das  Heu ,  daneben  auch  für  Hausrat  und 
Wintervorräte  dient,  ist  nach  Traeger  mit  Rohrschauben  gedeckt  ^^**).  Wenn 
Johansen,  Halligenbuch  S.  27  von  Strohdächern  spricht,  so  kommen  die- 
selben für  die  Halligen  selbst  wohl  weniger  in  Betracht ,  da  dortselbst  wie 
gesagt  keine  Halmfrüchte  gezogen  werden  können.  Für  Amrum  und  Sylt 
dagegen  bezeugt  sie  auch  Jensen  (S.  143),  indem  er  zugleich  berichtet,  daß 
beim  Decken  jener  Dächer  Seile,  Reepen  oder  Roper  genannt,  verwandt  wer- 
den. Aus  jeder  First  ragt  ein  Schornstein  hervor.  Giebelkrönungen  aber 
sind  unbekannt  ^^^). 


133)  Jensen,  a.  a.  O.  S.  200—202.  134)  Ibid.  S.  195. 

135)  Traeger,  Halligen.  S.  256.  136)  Traeger,  Fries.  Häuser  S.  119. 

137)  Johansen,  S.  27—28.    Auch  Clement  S.  135  sagt:  »alle  Häuser  haben  von 
jeher  Schornsteine  gehabt.« 

Mitteilungen  aus  dem  german.  NationalmuBeam.    1904.  21 


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162 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Damit  haben  wir,  wie  ich  hoffe,  das  Haus  der  Halligen  in  seiner  bau- 
lichen Art  auch  vom  entwicklungsgeschichtlichen  Standpunkte  ein  wenig  kennen 
gelernt,  und  wohl  könnte  es  uns  locken,  uns  nun  auch  durch  einen  Rund- 
gang mit  der  inneren  Ausstattung  aller  seiner  Räume  bekannt  zu  machen. 
Jedoch  hier  müssen  wir  uns  bescheiden :  die  Stube  allein  konnte  im  Ger- 
'manischen  Museum  aufgebaut  werden,  und  so  können  wir  auch  nur  ihr  noch 
unsere  weitere  Betrachtung  hier  zuwenden. 

Ehe  wir  in  der  Reihe  der  Museumsbauemstuben  die  Tür  zur  Dönse 
des  Hallighauses  öffnen,  müssen  wir  gleich  mit  einem  Geständnis  beginnen. 
Der  Raum,  so  wie  wir  ihn  sehen  werden,  ist  nicht  etwa,  wie  es  wünschenswert 
wäre,  in  allen  seinen  Teilen  von  einer  der  Halligen  nach  Nürnberg  übertragen 
worden,  um  dort  genau  in  derselben  Weise  wieder  aufgebaut  zu  werden. 
Nur  für  die  Möbeln  und  Ausstattungsstücke  trifft  das  völlig  zu.  Die  Bauteile 
dagegen  sind  leider  nicht  durchweg  alt,  sodaß  manches  ergänzt  werden  mußte. 
Dazu  kommt  auch  noch,  daß  der  umschließende  Museumsbau  gerade  für  diese 
Stube  nur  einen  so  knapp  bemessenen  Raum  übrig  ließ,  daß  eine  der  vor- 
handenen Türen  an  einer  Stelle  in  die  Wand  eingesetzt  werden  mußte,  wo 
sie  in  Wirklichkeit  niemals  stehen  kann.  Wenn  man  also  in  Rücksicht  auf 
den  Hausgedanken,  von  dem  jede  Stube  einen  Teil  bildet,  an  der  Halligstube 
des  Germanischen  Museums  Kritik  üben  will,  so  ist  das,  wie  wir  uns  selbst 
am  wenigsten  verhehlen,  durchaus  berechtigt.  Hier  könnte  wiederum  nur 
ein  Freiluftmuseum  allen  Ansprüchen  Genüge  tun.  Wer  aber  von  jenem 
erwähnten  Mangel  absieht,  indem  er  mehr  auf  die  zur  Anschauung  gebrachte 
Hauskultur  und^auf  die  in  die  Augen  fallende  reiche  Betätigung  der  lokalen 
»Bauemkunst«  den  Nachdruck  legt,  der  wird  sich  alsbald  überzeugen,  daß 
das  Museum  über  eine  verhältnismäßig  große  Zahl  durch  ihre  Ausstattung 
bemerkenswerter  Einzelstücke  verfügen  konnte.  Und  hoffentlich  wird  man 
uns  dann  auch  darin  Recht  geben,  daß  es  doch  wohl  am  meisten  sich  empfahl, 
alle  diese  Stücke  samt  Möbeln  und  Gerät  in  wenn  auch  nur  annähernd  zu- 
treffender Weise  zu  einem  geschlossenen  Räume  zu  vereinen,  denn  daß  sie 
hier  wesentlich  besser  und  richtiger  zur  Geltung  kommen  als  in  einem  großen 
Museumssaale,  wird  niemand  bestreiten  können. 

Der  Raum  soll,  wie  bemerkt,  eine  Halligdönse  zur  Anschauung  bringen. 
Er  ist  3,85  m  lang  und  3,35  m  breit.  Seine  Höhe  beträgt  2,60  m.  Wesent- 
lich bleibt  das  nicht  hinter  den  gewöhnlichen  lokalen  Verhältnissen  zurück, 
denn  auch  mit  Bezugnahme  auf  die  im  Flensburger  Museum  aufgebaute 
»Wohnstube  von  der  Hallig  Hooge«  berichtet  Sauermann  (S.  30)  erklärend: 
»mit  Rücksicht  auf  die  hohe  exponierte  Lage  des  Hallighauses  auf  der  Werft 
sind  die  Größen-  und  Höhenabmessungen  beschränkt.«  Ebenso  wäre  auf 
Jensens  Angabe  zu  verweisen ,  daß  die  Stubendecke  nur  sechs  bis  sieben 
Fuß^über  dem  Fußboden  lag:  »man  erzielte  dadurch  eine  leichter  zu  erwär- 
mende Stube,  die  meist  nur  klein  war«^^^). 

138)  Jensen,  a.  a.  O.  S.  196.  —  Für  das  sächsische  Haus  in  Schleswig-Holstein 
gibt  Hamm  a.  a.  O.  S.  606  ^^  eine  Stubenhöhe  von  selten  mehr  als  10  Fuß  an. 


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VON  DR.  OITO  LAUFrER.FRANKFURT  A.  M.  ^63 


Wohl  das  Auffälligste  in  der  baulichen  Erscheinung  des  ganzen  Raumes 
besteht  darin,  daß  er  keine  gerade  Decke  hat.  Dieselbe  wird  vielmehr  in 
etwa  ^',4  m  großer  Entfernung  von  der  Fensterwand  plötzlich  von  einem,  mit 
dieser  parallel  laufenden  Balkendurchzug  unterbrochen,  von  welchem  sie  dann 
schräg  zum  oberen  Rande  der  Fenster  abfällt.  Fig.  35,  die  wir  ebenso  wie 
Fig.  39  der  Freundlichkeit  der  Direktion  des  Kunstgewerbe-Museums  Flens- 
burg zu  verdanken  haben,  gibt  eine  gute  Vorstellung  davon,  und  man  sieht, 
wie  die  über  dem  Fenster  sich  hinziehende  Deckenschräge  in  eigentümlicher 
Weise  dazu  beiträgt,  die  reizvolle  Raumwirkung  des  Gemaches  zu  erhöhen, 
daher  sie  uns  denn  auch  sonst  mehrfach  in^Abbildungen  begegnet^'''').     Trotz- 


Fig.  35.    Zimmer  vom  Jahre  1631  aus  Nieblum  auf  der  Insel  Föhr. 

Aufgebaut  im  Kunstgewerbe-Museum  zu  Flensburg. 

dem  ist  sie  nicht  in  erster  Linie  als  dekoratives  Moment  zu  betrachten,  viel- 
mehr ist  sie  eine  direkte  Folge  der  früher  besprochenen  konstruktiven  Ver- 
hältnisse des  Friesenhauses,  denn  der  hier  sichtbare  schwere  Unterzug^eben 
ist  es,  der  —  auf  den  in  den  Seitenwänden  versteckten  Ständern  ruhend  — 
die  Last  des  Daches  aufzunehmen  hat.  Freilich  wäre  ja  auch  so,  wenn  es 
sich  nur  um  den  Unterzug  allein  handelte,  eine  gerade  Durchführung  der 
Decke  immer  noch  möglich,  aber  zweierlei  kommt  dazu :  einmal  die  Tatsache, 
daß  bei  den  älteren  Friesenhäusern  das  Ständergerüst  nicht  in  der  Hauswand 

139)  Vgl.  Schwindrazhcim,  Bauernkunst.  Taf.  I  (farbig).  Deutsches  Bauern- 
hauswerk. Halligblatt,  Abb.  1,  3  u.  18.  Mielkc,  Volkskunst.  Abb.  41  (nach  Zeitschrift 
für  Innendekoration).  Meiborg,  a.  a.  O.  Abb.  128  und  129  (Gegend  zwischen  Husum 
und  Tondcrnj. 


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164 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


selbst  liegt,  sondern  nach  dem  Hausinnem  zu  ein  Stück  von  ihr  zurückliegt, 
zweitens  aber  die  Eigentümlichkeit,  daß  die  Außenwand  selbst,  wohl  um  bei 
Überschwemmungen  weniger  leicht  umgeworfen  zu  werden,  nur  zu  einer  mög- 
lichst geringen  Höhe  emporgeführt  wird,  so  daß  sie  nicht  ganz  bis  an  die 
Stubendecke  heranreicht.  Erst  indem,  meist  durch  Schalbretter,  die  Verbin- 
dung von  der  oberen  Wandkante  zu  dem  höher  gelegenen  Unterzug  herge- 
stellt wird,  entsteht  die  erwähnte  Deckenschräge  und  die  durch  sie  bedingte 
erkerartige  Fensternische,  die  als  »Ausbauer«  bezeichnet  wird,  die  meist  den 
bevorzugten  Arbeitsplatz  innerhalb  der  Dönse  darbietet,  und  die  mit  ihrem 
weiten  Ausblick  auf  das  Meer  ein  so  wesentliches  Charakteristikum  für  die 
Raumwirkung  der  Dönse  ausmacht^*®). 

Wenn  man  in  dem  Räume  selbst  steht,  wird  man  leicht  den  Eindruck 
haben,  als  ob  mit  der  Deckenschräge  das  Hausdach  selbst  ein  Stück  in  die 
Dönse  hineinragte.  Tatsächlich  ist  es  aber  nicht  der  Fall,  denn  die  Schal- 
bretter bilden,  wie  man  sich  im  Bodenraum  des  Hauses  überzeugen  kann, 
mit  der  Dachneigung  einen  Winkel,  und  so  entsteht  unter  dem  Dache  eine 
Art  toten  Raumes,  der  zu  nichts  anderem  gut  ist,  als  daß  die  Katzen  dort 
ihr  Wesen  treiben,  woher  er  denn  auch  den  Namen  »Kattschurf«  oder  »Katt- 
schirm«  erhalten  hat**'). 

Die  also  dargestellten  konstruktiven  Grundbedingungen  des  »Ausbauers« 
legen  übrigens  den  Gedanken  nahe,  daß  mit  ihm  und  seiner  Deckenschräge 
auch  eine  andere  erwähnte  Eigentümlichkeit  des  Friesenhauses,  die  scheinbar 
gar  nichts  mit  ihm  zu  tun  hat,  in  einem  ursächlichen  Zusammenhang  stehen 
möchte,  das  sind  die  Dachgiebel  über  der  Tür.  Freilich  ist,  nach  den  mir 
zur  Verfügung  stehenden  Abbildungen  zu  urteilen,  die  Haustür  nirgends  höher 
als  die  daneben  liegenden  Dönsenfenster  hinaufgeführt ,  insofern  könnte  die 
Deckenschräge  also  wie  in  der  Dönse  oberhalb  der  Fenster,  so  auch  in  der 
Hausdiele  oberhalb  der  Tür  durchlaufen.  Nun  aber  ist  doch  etwas  anderes  zu 
bedenken.  Wenn  man,  wie  es  überall  geschehen  ist,  oberhalb  der  Tür  noch 
ein  Dachloch  zum  Einholen  der  Heuvorräte  etc.  anbringen  wollte,  so 
hätten  sich  bei  einer  einfachen  Dachluke  die  größten  Schwierigkeiten  er- 
geben, solange  der  »Kattschirm«  auch  über  der  Tür  durchlief.  Es  ist  mir 
sehr  wahrscheinlich ,  daß  man  vor  allem ,  um*  oberhalb  der  Tür  den  Katt- 
schirm  zu  vermeiden,  die  Hauswand  an  dieser  Stelle  höher  hinaufführte  und 
so  die  besprochenen  Türgiebel  entstehen  ließ.  Jedenfalls  aber  wäre  zu 
untersuchen,  ob  der  in  neuerer  Zeit  mehrfach  begegnende  Fortfall  der 
Giebel  sich  nur  an  den  Häusern  findet,  wo  auch  die  Ausbauer  fehlen,  wo 
also  die  Ständer  entweder  innerhalb  der  Hausmauer  liegen ,  oder  wo  das 
friesische  Stützensystem  überhaupt  aufgegeben  und  das  Dach  direkt  auf  die 
Mauer  aufgelegt  ist.  Wenn  das  Verschwinden  jener  beiden  typischen  Er- 
scheinungen des  Friesenhauses  überall  gleichzeitig  auftreten    sollte,    so    wäre 


140)  Vgl.  Jensen,  a.a.O.  S.204  (Föhr  u.  Sylt) ;  Uhle,  a.a.O.  S.  (65);  Schwind- 
razheim,  a.  a.  O.  S.  120. 

141)  Uhle,    a.  a.  O.  S.  (65).     Vgl.    auch  Sau  er  mann,    a.  a.  O.    S.  87,    der  aber 
mit  Uhle's  Ausführungen  nicht  ganz  überein  zu  stimmen  scheint. 


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VON  DR.  OTTO  LAUFFEH-FHANKFUHT  A.  M. 


165 


meines  Erachtens  dadurch  sicher  bewiesen,  daß  sie  auch  da,  wo  sie  gemein- 
sam vorhanden  sind,  sich  gegenseitig  bedingen. 

Von  den  Fenstern  der  Museums-Dönse  ist  eines  nur  einflüglich.  Das 
andere  hat  zwei  Flügel  mit  je  12  Scheiben  und  ist  mehr  breit  als  hoch 
(1,27  :  1,10  m).  Jensen  berichtet,  daß  die  Stube  des  Föhrer  Hauses  im 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  in  der  Regel  zwei  Fenster  mit  je  16  Scheiben 
enthielt  1*2). 

Was  im  übrigen  die  Zusammenstellung  der  einzelnen  Stubenteile  im 
Germanischen  Museum  anlangt,  so  haben  wie  gesagt,  äußere  Einflüsse  mehr- 
fach darauf  eingewirkt.  Es  scheint  deshalb  angebracht,  zunächst  ein  paar 
Schilderungen  anzuführen,  die  der  nordfriesischen  Literatur  entnommen  sind. 
So  schreibt  Johansen,  Halligenbuch  S.  28  —  und  Jensen  S.  204  stimmt 
ihm  zu  — :  »die  Wohnzimmer,  Dönsen,  in  den  Hallighäusern  sind  den  Schiflfs- 
kajüten  ähnlich.  Die  hölzerne  Wand  —  der  Stubentür  gegenüber  —  heißt 
die  Bettwand.  In  dieser  Wand  befinden  sich  die  Bettstellen,  welche  aus 
Nischen  bestehen,  die  mit  Betttüren  versehen  sind.  Zwischen  den  beiden 
großen  Wandbettstellen  hängt  die  holländische  Wanduhr,  deren  Gehäuse  mit 
Meerweibergestalten  verziert  ist,  ebenfalls  in  einer  Nische.  In  einem  Winkel 
des  Zimmers,  bisweilen  auch  über  dem  eisernen  Beilegerofen,  siehst  du  den 
Glasschrank,  ebenfalls  eine  Nische,  und  hinter  der  Glastür  glänzt  das  Silber- 
und Porzellangeschirr.  In  der  Ofenwand ,  zwischen  Wohnstube  und  Küche, 
ist  der  eiserne  Ofen  eingemauert.«  Dieselbe  Anlage,  wie  sie  hier  geschildert 
ist,  zeigt  auch  das  Wohnzimmer  des  Hauses  Prott  in  Westerland  auf  dem 
mehrfach  erwähnten  Blatte  des  deutschen  Bauernhauswerkes,  sie  ist  also  offen- 
bar als  die  typische  anzuseheil. 

Der  Vergleich  der  nordfriesischen  Dönse  mit  einer  Schiffskajüte,  den 
die  angeführte  Stelle  enthält,  findet  sich  auch  sonst.  Auch  Sauermann 
hebt  bei  der  Beschreibung  des  Pesels  von  der  Insel  Rom  die  gleiche  Ähn- 
lichkeit heraus  (S.  33),  und  es  darf  hier  wohl  darauf  hingewiesen  werden, 
daß  Lehmann,  indem  er  die  Kajüte  eines  Blankeneser  Fischerewers  beschreibt, 
die  Gleichartigkeit  der  Blankeneser  Stube  hervorhebt  ^^*).  Der  Vergleich  muß 
sich  in  der  Tat  aufgedrängt  haben  bei  alle  den  Zimmern,  in  denen  die  Wände 
größtenteils  vertäfelt  waren.  Bei  der  Bettwand  war  das  ja  immef  der  Fall, 
vielfach  auch  bei  der  Fensterwand,  und  wo  auch  die  Wand  nach  dem  Haus- 
flur die  gleiche  Ausstattung  erhielt,  da  blieb  nur  die  Ofenwand  zur  Bedeckung 
mit  Fliesen  übrig,  und  wenn  man  dann  die  Holzdecke  der  Stube  noch  mit 
in  Betracht  zieht,  so  liegt  bei  der  Niedrigkeit  des  Raumes  und  der  Kleinheit 
der  Fenster  der  Vergleich  mit  der  Kajüte  sehr  nahe,  umsomehr  als  es  größten- 
teils eine  Schifferbevölkerung  ist,  die  diesen  Raum  bewohnt  (vgl.  Fig.  35). 

In  der  Dönse  des  Germanischen  Museums  hat  man  den  kajütenartigen 
Eindruck  nicht  so  sehr,  denn  hier  herrscht  die  Fliesenwand  vor.     Nicht  nur 

142)  Das  Föhrer  Zimmer  im  Flensburger  Museum  enthält  »zwei  dreiteilige  Fenster 
von  mäßiger  Höhe,  die  durch  verschiebbare  Läden  von  innen  geschlossen  werden  können.« 
(Sauermann,  S.  88.) 

143)  Mitteilungen  aus  dem  Altonaer  Museum  1903.  S.  40. 


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1^6  DfK  BAUERNSTUBEN  DES  (iEKMANlSOriEN  MUSEUMS. 

die  Ofenwand,  sondern  auch  die  Fensterwand  und  diejenige  nach  der  Vor- 
diele sind  mit  Plättchen  belegt,  die  hier  nach  Weigelt  S.  25,  in  einer  der 
ursprünglichen  Bedeutung  des  Wortes  durchaus  nicht  mehr  entsprechenden 
Weise,  als  »Kacheln«  bezeichnet  werden  ^^^),  und  es  geht  aus  mehr  als  einer 
Stelle  der  einschlägigen  Literatur  hervor,  daß  auch  sonst  die  Fliesen  nicht 
nur  auf  die  Ofenwand  beschränkt  geblieben  sind  '*'^). 

Die  in  der  Museumsdönse  verwandten  Fliesen  zeigen,  manganviolett  auf 
weißem  Grunde,  verschiedene  Musterung,  eine  Verschiedenartigkeit,  die  auch 
in  Wirklichkeit  vielfach  im  Hallighause  begegnet,  je  nachdem  im  Laufe  der 
Zeit  eine  teilweise  Erneuerung  der  Fliesen  notwendig  geworden  ist.  So  sehen 
wir  an  der  Fenster  wand  eine  Art  von  Plättchen,  deren  violette  Dekoration 
in  einem  Kreise  je  eine  Vase  mit  Blumen  zeigt,  während  die  Eckzwickel 
durch  Blumen  ausgefüllt  sind.  Mit  gleichfarbigen  Fliesen  ist  auch  die  Wand 
^um  Hausflur  —  im  Museum  also  die  eigentliche  Türwand  —  bedeckt,  nur 
ist  das  Muster  hier  ein  anderes  und,  wenn  man  will ,  komplizierteres ,  denn 
hier  bilden  vier  Fliesen  zusammen  eine  Art  Bhimenstern  dadurch,  daß  aus 
dem  mittleren  Berührungspunkte  der  vier  Plättchen  jedesmal  eine  Art  Rose 
herauswächst,  die  ihre  Blüte  über  den  weißen  Grund  der  »Kachel«  ausbreitet. 
Endlich  zeigen  die  auf  der  Ofenwand  befindlichen  Plättchen  Uferlandschaften 
mit  Schiffen  und  Häusern,  selten  mit  Figuren,  und  dazu  ist  diese  ganze  Kachel- 
fläche umschlossen  von  einem  Rande  von  Kantenfliesen,  die  auf  mangan- 
violettem Grunde  eine  mit  ihrem  Muster  je  sechs  Fliesen  bedeckende,  durch- 
laufende Ranke  zeigen  (vergl.  Fig.  36). 

Unzweifelhaft  den  auffallendsten  und  in  der  Ausstattung  kunstvollsten 
Teil  der  ganzen  Fliesenwand  bildet  aber,  wie  auf  Fig.  36  ersichtlich  ist,  ein 
nur  wenig  über  dem  Ofen  angebrachtes,  aus  dreimal  vier  Fliesen  bestehendes 
Rechteck,  welches,  von  einem  Rahmen  von  Kantenfliesen  umgeben,  das  Bild 
eines  Walfischfängerschiffes  zur  Darstellung  bringt.  Dieses  Schiffsbild  über 
dem  Bilegger-Ofen  ist  durchaus  typisch,  und  es  findet  sich  demgemäß  auch 
sonst  durch  Erwähnungen  und  Abbildungen  bezeugt^**).  Und  daß  diese  Dar- 
stellungen jedes  Mal  das  Bild  eines  ganz  bestimmten  Schiffes  wiedergeben 
wollen,  und  also  auf  Bestellung  nach  einer  bestimmten  Vorlage  gemalt  sind, 
darüber  belehrt  uns  deutlich  eine  von  Träger,  Fries.  Häuser  S.  116  mit- 
geteilte Inschrift  auf  einem  solchen  Kachelbilde:  »Ao.  1750.  Handelaar  ge- 
foerd  doer  Skipper  Barend  Frederik  Hansen  voor  De  Heer  John  Notemann«. 
Man  sieht,  diese  SchifTsdarstellungen  bilden  ein  getreues  Erinnerungsbild  für 
denjenigen,  der  auf  jenem  Schiffe  selbst  dereinst  die  Meere  befahren  hat, 
und   so    ist   das   SchifTsbild    schlechthin   zu   einem  Lieblingsmotiv   der  volks- 


144)  Vgl.  auch  Jensen,  S.  80. 

145)  Jensen,  S.  101  (Sylt),  S.  201  (Föhr);  ebenso  Meiborg,  S.  51  (Eiderstädt) ; 
Abbildung  einer  fliesenbelegten  Fensterwand  bei  Seh  wind  raz  he  im,  a.  a.  O.  S.  119. 
Abb.  66. 

146)  Für  das  Hallighaus  vergl.  Sach  a.  a.  O.  S.  240;  Meiborg  S.  65  und  67. 
Sauermann  S.  31.  Deutsches  Bauernhauswerk,  Halligblatt  Abb.  29.  Für 
Sylt:  Sach  S.  234. 


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VON  DK.  OITO  LAUFFERFRANKFÜRT  A.  M. 


167 


tümlichen  Kunst  der  Friesen  geworden.  Man  findet  es,  wie  Träger  sagt, 
als  Zeichnungen,  Gemälde,  Reliefschnitzereien  und  zierlich  gearbeitete  Modelle 
in  allen  Häusern**').  Als  Kronleuchter  hängt  es  in  den  Kirchen,  es  schmückt 
die  Grabsteine  der  Verstorbenen,  und  selbst  als  Form  des  Weihnachtsgebäcks 
ist  es  gerade  auf  den  Halligen  besonders  heimisch^*®).  So  werden  wir  ihm 
auch  in  der  Museumsdönse  außer  auf  dem  besprochenen  Fliesenbilde  noch 
mehrfach  begegnen  und  uns  dabei  jedes  Mal  erinnern,  daß  es  ^Friesenart  ist, 
die  hier  zu  uns  redet.     Jedoch  davon  später! 

Noch  einmal  kehren  wir  zu  den  Fliesen  zurück,  und  wir  erinnern  uns, 
daß  alle  die  besprochenen  Arten  derselben  darin  übereinstimmten,  daß  ihre 
Dekoration  in  manganviolett  ausgeführt  war.  Diese  Art  hat  sich  in  der  Tat 
im  Laufe  des  19.  Jahrh  mehr  und  mehr  verbreitet**®),  selbst  im|18.  Jahrh. 
ist  sie  schon  für  das  Jahr  1760  bezeugt *^^),  aber  sie  repräsentiert  doch  nur 
eine  neuere  Mode,  die  ihr  Material  meist  aus  Hamburger  Fabriken  bezieht. 
Die  ältere  Art  dagegen  trägt  ihre  Dekoration  in  blau  auf  weißem  Grunde, 
aber  während  sie  sich  im  Ornament  —  es  sind  Sterne,  Blumenmuster,  Tiere, 
Landschaften,  Seestückchen  oder  auch  biblische  Darstellungen***)  —  nicht 
wesentlich  von  der  neueren  Sorte  unterscheidet,  soll  sie  die  letztere  an  Halt- 
barkeit und  an  schillerndem  Glänze  weit  übertreffen. 

Diese  blaudekorierten  Fliesen  werden  nun  von  Kennern  einstimmig  für 
holländische  Importwaare  erklärt  ^'^^)  und  es  scheint  durchaus  begründet,  jene 
Zuschreibung  für  richtig  zu  halten,  denn  nicht  nur  in  diesem  einen  Punkte, 
sondern  noch  in  mancher  anderen  Hinsicht  ist  bei  den  nordfriesischen 
Wohnungsverhältnissen  auf  holländischen  Einfluß  hinzuweisen.  Man  muß  sich 
nur  erinnern,  welch  bedeutenden  Sammelplatz  geistiger  und  materieller  Kultur 
das  Holland  des  17.  Jahrhunderts  bildete.  Damals  war  es  die  erste  See- 
macht Europas.  Seine  Handelsschiffe  durchschweiften  die  Meere.  In  der 
Nord-  und  Ostsee  hatte  es  schon  im  16.  Jahrhundert  den  größten  Teil  der 
hansischen  Erbschaft  angetreten*^).  Der  überaus  ertragreiche  Heringsfang 
in  diesen  Gewässern  war  ebenso  wie  der  Walfischfang  zumeist  in  holländischen 
Händen.  Die  Ausstrahlung  dieser  reichen  holländischen  Kultur  war  daher 
sowohl  an  Verbreitung  wie  an  befruchtender  Kraft  eine  sehr  bedeutende,  und 
daß  sich  speziell  die  Nordfriesen  ihrem  Einfluß  voll  hingaben,  kann  uns  nicht 


147)  Träger,  in  »Mitteilungen  d.  germ.  Museum«  1896,  S.  132. 

148)  Träger,  Halligen  S.  262  und  264.     Jensen  S.  295  Abb.  und  S.  378. 

149)  Träger,  Fries.  Häuser,  S.  116;  Schwindrazheim  S.  65  (Sylt);  Sauer- 
mann S.  31  (Hallig  Hooge). 

150)  Meiborg,  S.  65  (Hallig  Hooge). 

151)  Träger,  Halligen  S.  252.  Fries.  Häuser  S.  115/6,  Sach,  S.  240.  We igelt, 
S.  25.  —  Fliesenreihen  mit  einem  Säulenbilde  abgebildet  im  Deutschen  Bauern- 
hauswerk, Halligblatt,  Abb.  25. 

152)  Meiborg,  S.  51  (Eiderstädt);  Jensen,  S.  200  (Sylt);  Uhle,  S.  (66);  Schwind- 
razheim, S.  119.  —  Vergl.  auch  R.  KekuU,  »Jac.  Alberts«  in  »Graphische  Künste« 
1895.  H.  1.  S.  114. 

153)  Vergl.  Steinhausen,  Geschichte  der  Deutschen  Kultur.  Leipzig  und  Wien. 
1904.  S.  536     539. 


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DIE  BAUBRN81'l!REN  DES  (lEUMANlSOHEN  MUSEUMS. 


verwundem,  zumal  wenn  man  in  Betracht  zieht,  daß  es  fast  durchweg  holländische 
Schiffe  waren,  auf  denen  die  seetüchtige  Mannschaft  der  ♦Uthlande«  ihr 
Leben  verbrachte.  Dazu  kommt,  daß  man  zum  Teil  geradezu  von  den  An- 
sätzen zu  einer  Art  holländischer  Kolonisationstätigkeit  an  den  nordfriesischen 
Küsten  sprechen  kann.  Besonders  ist  hier  darauf  hinzuweisen,  daß  nach  der 
großen  Sturmflut  von  1634,  als  die  wenigen  Überlebenden  auf  Nordstrand 
nicht  imstande  waren,  die  durchbrochenen  Deiche  wiederherzustellen,  hollän- 
dische Kolonisten  es  waren,  die  dem  Ansuchen  der  dänischen  Regierung 
folgend,  in  die  Bresche  sprangen,  die  dafür  mit  herrenlos  gewordenem  Gut 
ausgestattet  wurden,  und  deren  Nachkommen  noch  heute  auf  Nordstrand 
sitzen"*). 

So  ist  denn  nicht  nur  gelegentlich  das  eine  oder  andere  Möbel  direkt 
aus  Holland  importiert  worden,  wie  etwa  Jensen  (S.  298)  eine  aus  Holland 
bezogene  Brautkiste  auf  einer  der  Halligen  erwähnt,  oder  wie  das  Flens- 
burger Museum  ein  aus  Friedrichstadt  stammendes  holländisches  Zimmer 
besitzt,  von  dem  es  zweifelhaft  ist,  ob  die  holländischen  Kolonisten  es  im 
Lande  selbst  angefertigt,  oder  ob  sie  es  in  allen  seinen  Teilen  aus  der 
Heimat  mitgebracht  haben *'^'^).  Viel  wichtiger  für  die  volkstümliche  nord- 
friesische Art  ist  es,  daß  sie  vielfach  von  einem  Niederschlage  der  holländi- 
schen Kultur  durchtränkt  wurde,  dessen  einzelne  Erscheinungsformen  gelegent- 
lich überhaupt  nicht  genauer  zu  fixieren  sind,  der  aber  doch  noch  in  Stimmung 
und  Färbung  der  Gesamtkultur  sich  als  ein  Zusatz  verrät  ^^*).  So  wurde  die 
nordfriesische  Tracht  in  ihrer  Farbenwahl  zum  Teil  dadurch  beeinflußt,  daß 
man  sich  gewöhnt  hatte,  die  roten  Tuche  und  den  Sammt  aus  den  Nieder- 
landen zu  beziehen"').  So  schreibt  Meiborg  (S.  193)  die  am  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  beginnende  Umwandlung  des  schleswigschen  Hausrates  den 
Handelsverbindungen  des  Westens  mit  den  Niederlanden  zu,  und  Ulr.  Jahn 
geht  in  der  Bewertung  dieses  Einflusses  speziell  auf  die  nordfriesischen  Inseln 
noch  weiter  als  die  meisten  anderen  Forscher,  indem  er  schreibt:  »Holländi- 
schen Ursprungs  sind  die  Fliesen  an  ihren  Wänden,  holländisch  war  vor 
Alters  ihr  bestes  Steinzeug,  holländisch  ihr  Filigranschmuck  nicht  minder, 
wie  die  getriebenen  Spangen  an  ihren  Miedern  und  ihr  bestes  Silbergeschirr^**®). 

Über  den  tatsächlichen  Bestand  holländischen  Einflusses  auf  die  nord- 
friesischen Verhältnisse  herrscht  unter  den  Kennern  kein  Zweifel  ^^^).  Man 
braucht  ihn  darum  ja  immer  noch  nicht  bei  jeder  vorkommenden  Ähnlichkeit 


154)  Träger,  Halligen  S.  240. 

155)  Sauermann  a.  a.  O.  S.  127/8—132. 

156)  Ebenda  S.  26. 

157)  Eug.  Bracht,  > Volkstümliches  von  den  Nordfriesischen  Inseln«  (Mitt.  a.  d. 
Museum  f.  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  d.  Hausgewerbes.  Berlin  1900.  H.  6. 
S.  230).  Ober  nordfries.  Tracht  vergl.  diesen  Aufsatz  Brachts,  ferner  Jensen,  »Die 
altfriesische  Tracht«  in  der  Zeitschr.  f.  Anthrop.,  Ethnol.  u.  Urgesch.  Jahrg.  1885  und 
Jensen,  »Die  nordfries.  Inseln«.  Außerdem  die  Handbücher  über  deutsche  Volkstrachten. 

158)  Verhandl.  d.  Beriiner  Ges.  f.  Anthrop.  1890.  XXII.  S,  (533).  Daneben  betont 
er  den  dänischen  Einfluß. 

159)  Vgl.  auch  Sach,  a.  a.  O.  S.  230.     Seh  windrazheim ,  a.  a.  O.  S.  27. 


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VON  DR.  orro  LAUFFKR-FRANKFÜRT  a.m. 


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zur  Begründung  heranzuziehen,  so  daß  man  etwa  die  auch  bei  den  Nordfriesen 
herrschende  große  Sauberkeit  auf  holländische  Einwirkung  zurückführen 
müßte**®).  Jedenfalls  war  auch  ich  gezwungen,  bei  Gelegenheit  der  blauen 
Fliesen,  von  denen  wir  soeben  ausgingen,  auf  Holland  als  Ursprungsland  hin- 
zuweisen und  seinen  Einfluß  auf  die  äußere  Kultur  der  Halligstube  hervor- 
zuheben, selbst  wenn  wir  im  weiteren  Verlauf  unserer  Betrachtung  durch 
kein  Einzelstück  mehr  veranlaßt  würden,  darauf  zurückzukommen.  Es  wird 
daher  der  Leser  jetzt  auch  begreifen,  weshalb  ich  die  Besprechung  der  Hinde- 
looper  Kamer  derjenigen  der  Halligdönse  vorangestellt  habe. 

Da  wir  nun  Decke  und  Fliesenwand  unserer  Stube  kennen  gelernt  haben, 
werfen  wir  hier  auch  gleich  einen  flüchtigen  Blick  auf  den  Fußboden.  Der- 
selbe besteht  aus  gehobelten  Dielen  und  entspricht  darin  der  neueren  Art, 
die  seit  dem  18.  Jahrhundert  auf  den  ostfriesischen  Inseln  Eingang  gefunden 
hat.  Vordem  war  in  Dönse  und  Pesel  ein  Lehmboden,  oder  auch  in  letz- 
terem ein  solcher  aus  ausgeschnittenen  Rasenstücken  üblich  gewesen.  Nur 
in  der  Küche  hatte  man  Steinböden  benutzt***). 

Neben  dem  Holzwerk  von  Diele  und  Decke  tragen  nun  aber  selbst  da, 
wo  die  Fliesenwand  vorherrscht,  die  Unterbrechungen  derselben,  die  Türen, 
Bettnischen  und  Wandschränke  mit  ihren  Umrahmungen,  durch  ihre  teilweise 
in  Schnitzwerk  ausgeführte  Dekoration  und  durch  ihre  farbige  Behandlung 
auf  das  Wesentlichste  zum  Gesamteindruck  des  Raumes  bei.  Ihnen  wenden 
wir  jetzt  unsere  Aufmerksamkeit  zu. 

Die  Tür,  durch  welche  wir  das  Zimmer  betreten,  ist,  den  geringen  Maß- 
verhältnissen der  Stube  entsprechend,  nur  1,68  m  hoch  und  0,72  m  breit. 
Sie  zeigt  in  ihrem  oberen  Rahmenwerk  eine  Säulen-  und  Bogenstellung  mit 
ausgestochenem  Rankenornament  **^).  Darunter  gibt  eine  ebenfalls  ausge- 
stochene Inschrift:  »Ann.  1686  /  Den  4  Juni«  Jahr  und  Tag  der  Entstehung 
der  Tür  an,  und  beweist,  daß  dieselbe  zu  den  ältesten  Hausteilen  gehört,  die 
auf  den  Halligen  überhaupt  sich  erhalten  haben,  da  die  meisten  Häuser  erst 
nach  der  letzten  großen  Sturmflut,  im  Jahre  1826  erbaut  sind,  von  den  nach 
dem  Unglücksjahre  1634  errichteten  aber  nicht  ein  einziges  mehr  vorhanden 
ist  **^).  Die  Füllung  in  der  erwähnten  Portikus-Umrahmung  ist  ganz  glatt. 
Nur  in  der  Mitte  trägt  sie  einen  schwarz  und  weißen  sechsstrahligen  Stern, 
aus  Bein  eingelegt.  Es  ist  das  ein  in  den  Küstengegenden  auch  sonst  — 
z.  B.  in  der  Wilstermarsch  und  in  den  Vierlanden  bei  Hamburg  —  sehr  häufig 
wiederkehrendes  Dekorationsmotiv,  über  dessen  Herkunft,  soviel  ich  sehe. 
Dislang  keine  Untersuchung  angestellt  ist.  Sollte  es  möglich  sein ,  daß  es 
sich  jenen  Menschen  an  der  Wasserkante  mehr  als  anderen  aufgedrängt  hätte, 
weil  ihre  seefahrenden  Söhne  mehr  als  andere  Menschen  gezwungen  sind,  zu 


160)  Das  tut  Fried r.  v.  Warnstedt,    >Die   Insel    Föhr    und    das    Wilhelminen- 
Seebad«  (zitiert  nach  Jensen  a.  a.  O.  S.  118.) 

161)  Jensen,  a.  a.  O.  S.  200  und  196/7  (Sylt). 

162)  Vgl.  unsere  Abb.  35.    Sehr  ähnlich  sind  die  Türen  im  Deutschen  Bauern- 
hauswerk, Halligblatt  Abb.  19  u.  20  und  bei  Mielke,  Volkskunst  Abb.  41. 

163)  Meiborg,  a.  a.  O.  S.  64. 

HiUeilungeD  aus  dem  german.  NatioualmuBeum.    19U4.  22 


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170 


DIB  BAUKRNSTUBBN  DBS  GBRMANISCHBN  MUSBUMS. 


den  Sternen  aufzuschauen,  und  weil  der  mehr  oder  minder  intensive  Eindruck 
des  gewohnten  Himmelsbildes  sowohl  auf  die  innere  wie  auch  auf  die  äußere 
Kultur  eines  Volkes  von  ausschlaggebender  Bedeutung  ist^**)? 

Die  Tür  zeigt  außen  einen  eigentümlich  milchig-himbeerroten  Anstrich. 
Innen  ist  sie  in^einem  reinen  rotbraunen  Ton  gehalten,  und  dieselbe  Farbe 
trägt  der  Türrahmen,  welcher  im  übrigen  durch  ein  in  Fig.  37  wiederg^ebenes 
ausgestochenes  Flechtband  verziert  ist.  All  dieses  Schnitzwerk  ist  unzweifel- 
haft einheimische  Arbeit.  Das  würde  sich  aus  der  Natur  der  Sache  von 
selbst  ergeben.  Es  ist  aber  auch  ausdrücklich  bezeugt,  denn  im  Jahre  1749 
schreibt  der  Prediger  Lorenzen  einmal:  »Unter  den  Seefahrenden  mangelt 
es  auch  nicht  an  solchen,  die  künstlich  schnitzen  und  andere  Bildhauerarbeit 
verfertigen  können«*®*).  Dabei  ist  es  natürlich,  daß  diese  Schnitzer  gewisse 
Formen  und  Motive  stets  von  neuem  wiederholen,  wie  es  durch  das  Eingangs 
besprochene  Wesen  der  Bauemkunst  bedingt  wird,  und  eben  von  solchen 
t3rpischen  Dekorationsmotiven  ist  bei  den  Friesen  eines  der  wichtigsten  das 
Flechtband.  Freilich  kann  dabei  nicht  behauptet  werden,  daß  es  ein  rein 
stammesmäßiges  Motiv  sei,  denn  es  findet  sich  z.  B.  schon  im  13.  Jahrhundert 
an  einem  für  orientalisch  geltenden  Schreine  zu  St.  Gereon  in  Köln***),  daß 


Fig.  37.    Plechtband  (Ao.  1686)  von  der  Umrahmung:  der  Halllgstubentür 

im  Germanischen  Museum. 

es  aber  dem  Geschmack  der  Friesen  besonders  entsprach,  das  beweist  seine 
Volkstümlichkeit'*^).  Es  muß  ja  auch  leicht  begreiflich  erscheinen,  daß  ein 
solches,  noch  direkt  an  die  Technik  des  Seilers  erinnerndes  Ornament  beson- 
ders bei  einem  Schiflfervolke,  wie  es  die  Friesen  sind.  Gefallen  fand.  Unser 
Beispiel  gibt  es ,  wie  man  sieht ,  nicht  mehr  in  seiner  einfachsten ,  sondern 
schon  in  einer  etwas  komplizierteren  Form,  da  der  Zopf  aus  zwei  Doppel- 
bändem  zusammengeflochten  ist. 

Auch  die  beiden  bedeutendsten  Schnitzereien,  die  man  nach  Jensens 
Urteil  am  Ende  des  19.  Jahrhunderts  überhaupt  auf  den  Halligen  finden 
konnte,  sind  jetzt  in  der  Halligstube  des  Germanischen  Museums   zu   sehen. 


164)  Vgl.  Troels-Lund,  Himmelsbild  und  Weltanschauung  im  Wandel  der  Zeiten. 
Leipzig  1900. 

165)  Zitiert  nach  Jensen,  a.  a.  O.  S.  235. 

166)  Abgebildet  bei  Fr.  Bock,  Das  heilige  Köln.  Taf.I.  Fig.  5  und  bei  Stephani, 
Wohnbau  II,  S.  621.  Fig.  393. 

167)  Vgl.  z.  B.   die  [bei   Brinckmann  a.  a.  O.  S.  656  gebotene  Abbildung  eines 
Hängcschränkchens  vom  Jahre  1703. 


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VON  DR.  arro  laüffer-frankfürt  a.  m.  171 

Es  sind  die  beiden  Türen,  welche  die  Rückwand  der  Stube  fast  ganz  ein- 
nehmen, und  die  Bedeutung,  welche  man  ihnen  innerhalb  der  volkstümlichen 
Kunsttätigkeit  der  Halligen  beigemessen  hat,  mag  es  entschuldigen,  wenn  sie 
unter  dem  Einfluß  der  herrschenden  Raumnot  hier  in  einer,  den  häuslichen 
Verhältnissen  nicht  entsprechenden  Weise  dicht  nebeneinander  in  die  Wand 
eingebaut  sind.  Sie  stammen  von  der  Peterswarf,  die  bis  vor  etwa  einem 
Jahrzehnt  der  westlichste  Wohnplatz  von  Nordmarsch  war.  Schon  ehe  sie 
für  Traegers  Sammeleifer  eine  willkommene  Beute  geworden  waren,  hatte 
Jensen  (S.  205)  sie  gepriesen  und  Meiborg  (S.  67)  eine  ausführliche  Be- 
schreibung von  ihnen  gegeben.  Traeger  selbst  hat  ihnen  dann  einen  be- 
sonderen Aufsatz;  »Geschnitzte  friesische  Türen  im  germanischen  Museum« 
gewidmet**®).  Ich  kann  mich  daher  bei  ihrer  Beschreibung  verhältnismäßig 
kurz  fassen,  umsomehr  als  die  in  unserer  Fig.  38  gegebene  Abbildung  einer 
der  Türen  eine  unmittelbare  Vorstellung  von  denselben  vermittelt. 

Die  mit  Schnitzwerk  fast  ganz  bedeckten  Türen  —  1,88  m  hoch  0,90  m 
breit  —  präsentieren  sich  in  ihrer  alten  Bemalung,  die  in  vorwiegendem 
dunkelblau  und  rot,  sowie  in  etwas  braun  und  gelb  gehalten  ist.  Die  Um- 
rahmungen des  Türfutters  sind  mit  reicher,  der  heimischen  Pflanzenwelt  ent- 
lehnter Blumenranke  ganz  bedeckt,  und  sie  tragen  zusammen  eine  Inschrift, 
die  mit  wenigen  Worten  das  ganze  bisherige  Leben  des  Erbauers  zusammen- 
faßt, indem  sie  —  unter  den  üblichen  volkstümlichen  Verschreibungen  — 
besagt : 

DURCH  GLUCK   UND   —  WALFJSCH  FÄNGST 
GJBT       GOT      MJR      —  HAUS     UND     LAND. 

Die  Türen  selbst  zeigen  in  den  oberen  Feldern,  ebenfalls  von  reicher 
Blumenranke  umrahmt,  die  Bilder  der  vier  Apostel,  links  Mathäus  und  Marcus, 
rechts  Lucas  und  Johannes,  während  die  unteren  Felder  links  ein  Schiff, 
jedenfalls  das  Fahrzeug  des  Walfischfängers,  rechts  einen  Blumenkorb  mit 
Rosen,  Tulpen,  Nelken  und  allerhand  kleineren  Blümchen  zeigen.  Auf  der 
schmalen  Mittelfüllung  der  linken  Tür  steht  in  einer  Kartusche  aufgemalt  der 
Name  »Ebeneser«,  von  dem  es  fraglich  bleiben  muß,  ob  er  etwa  die  Bezeich- 
nung des  unter  ihm  dargestellten  Schiffes  angeben  soll.  Ihm  entspricht  auf 
der  anderen  Tür  ein  frommer  Spruch,  mit  dem  sich  der  Herr  des  Hauses 
vor  seinem  Gotte  beugt : 

»Der  Ein  Und  Aus  Gang  Mein 
Laß  Dir  O  herr  Befohlen  Sein.« 

Die  Entstehungszeit  der  Türen  ist  im  Schnitzwerk  selbst  nicht  angegeben. 
Wollte  man  nach  dem  ersten  allgemeinen  Eindruck  eine  zeitliche  Bestimmung 
vornehmen,  so  könnte  man  sich  versucht  fühlen,  die  Türen  noch  in  das 
17.  Jahrhundert  zu  versetzen.  Trotzdem  glaube  ich,  daß  sie  erst  einer  späteren 
Zeit  angehören,  denn  betrachtet  man  die  Kartusche  am  Hinterteil  des  Schiffs- 
bildes, und  faßt  man  vor  allem  die  Art  ins  Auge,  wie  in  den  Umrahmungen 
der  Türfüllungen  die  Blumenguirlanden  sich  um  den  Palmstab  schlingen ,    so 

168)  »Mitteilungen«  des  Museums.    Jahrg.  1896.   Seite  130—134. 


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l'^  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERBiANISCHEN  MUSEUMS. 


wird  man,  glaube  ich,    doch   zu  der  Überzeugung  kommen,    daß   die    Arbeit 
erst  in  der  2ten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  angefertigt  ist.    Nun  aber  finden 


Fig.  38.    Geschnitzte  Tfir  aus  einem  Hause  der  Hallig  Nordmarschy 

jetzt  im  Germanischen  Museum. 

sich  auf  den  Messingschilden  der  Türgriffe    ein  paar  etwas  unbeholfene  Gra- 
vierungen, die  außer  einer  Reihe  von  Buchstaben,    offenbar  den  Initialen  der 


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VON  DR,  OTTO  LAÜFFER-FRANKFÜRT  A.  M. 


173 


Namen  eines  Ehepaares,  auch  eine  Jahreszahl  enthält:  »K  F.  1774  TDK.« 
und  um  es  kurz  zu  sagen,  so  halte  ich  das  Jahr  1774  auch  für  die  Ent- 
stehungszeit der  Türen.  Damit  würde  die  von  Meiborg  mitgeteilte  örtliche 
Tradition  übereinstimmen,  nach  der  die  Schnitzerei  vor  etwas  mehr  als  hundert 
Jahren,  während  das  Haus  im  Bau  war,  von  einem  jungen  Seemanne  gemacht 
sein  soll,  der  dann  auch  einzog  und  Hochzeit  hielt,  bald  darauf  aber  wieder 
auf  See  ging,  um  nicht  wieder  heimzukehren.  Für  sich  allein  würde  diese 
Sage  allerdings  nichts  beweisen,  denn  sie  kann  ja  erst  im  Anschluß  an  die 
beiden  gravierten  Jahreszahlen  entstanden  sein,  aber  für  die  von  mir  ange- 
führten, hier  allein  ausschlaggebenden  stilistischen  Rücksichten  darf  sie  doch 
als  Stütze  dienen. 

Traeger  freilich  möchte  in  dem  häufig  begegnenden  unwillkürlichen 
Bestreben,  die  Sammlungsgegenstände  für  möglichst  alt  zu  halten,  auch  für 
unsere  Türen  eine  frühere  Entstehungszeit  als  1774  ansetzen,  allein  ich  finde 
seine  Gründe  nicht  völlig  überzeugend.  Er  macht  darauf  aufmerksam,  daß 
die  Schilde  mit  den  betr.  Gravierungen  erst  nachträglich  aufgesetzt  sein  müßten, 
da  sie  zu  groß  seien,  so  daß  sie  bis  auf  die  Kehlstöße  der  Mittelfüllung  über- 
ragen. Aber  derartige  Unregelmäßigkeiten  sind  in  der  Bauernkunst  etwas 
ganz  gewöhnliches  und  beweisen  nichts.  Auch  auf  die  Unbeholfenheit  der 
Gravierung,  im  Gegensatz  zu  der  Sicherheit  der  Schnitzerei,  kann  ich  kein 
großes  Gewicht  legen. 

Aber  sei  dem,  wie  ihm  wolle.  Viel  wichtiger  für  uns  ist  die  Beurteilung 
der  Türen  als  Leistung  der  Bauernkunst.  Das  muß  ja  freilich  gleich  gesagt 
werden,  daß  es  sich  auch  hier  nur  um  Bauernkunst  handelt,  und  als  direkte 
Vorbilder  für  das  moderne  internationale  Kunstgewerbe  dürften  sie  wohl 
kaum  gewählt  werden.  Aber  deshalb  sind  sie  ja  auch  nicht  in  das  Museum 
gewandert,  sondern  als  Zeugen  für  den  Grad  der  künstlerischen  Kultur  der 
Halligleute  wollen  sie  betrachtet  sein,  und  ich  denke,  wir  müssen  vor  diesen 
Türen  mit  wahrer  Bewunderung  für  den  stehen,  der  sie  gefertigt  hat,  mag 
er  nun  ein  Schiffer  oder  berufsmäßiger  Dorfschreiner  gewesen  sein.  Man 
sehe  nur,  wie  bei  aller  Fülle  des  Ornaments  doch  ein  sicheres  Gefühl  für  das 
Konstruktive  zu  Tage  tritt,  wie  die  rein  schreinermäßige  Einteilung  des 
Ganzen  trotz  allen  Schmuckes  gewahrt  bleibt,  und  wie  die  in  Flachschnitzerei 
ausgeführte  Dekoration  trotz  all  ihren  sprudelnden  Reichtums  nirgend  aus 
ihrer  nur  dienenden,  nur  schmückenden  Aufgabe  herauszustreben  scheint. 
Das  alles  verrät  einen  sicheren  künstlerischen  Takt,  der  dem  einfachen  Schnitz- 
künstler zu  hoher  Ehre  gereicht.  Und  was  aus  seinem  Werke  uns  noch  be- 
sonders zu  Herzen  spricht,  das  ist  die  naive  Art,  mit  der  er  die  Pflanzen- 
formen seiner  Heimatinsel  in  den  Guirlanden  verwandt  hat,  mit  denen  er 
wie  mit  frischgewundenen  Kränzen  heimischer  Feldblumen  die  Türen  seiner 
Dönse  schmückte.  Ein  süßer  Hauch  deutschen  Heimatgefühles  liegt  über 
diesen  Arbeiten,  wie  ihn  im  städtischen  Kunstgewerbe  seit  den  Tagen  der 
Gotik  gar  manches,  sonst  vielleicht  vortreffliche  Werk  nicht  aufzuweisen  hat. 
Es  ist  wie  ein  Klang  des  Volksliedes,  was  uns  aus  diesen  Schnitzereien  ent- 
gegentönt. Wer  es  nicht  sieht,  und  wer  es  nicht  fühlt,  dem  ist  nicht  zu  helfen. 


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174 


DIE  BAUERNSIUBEN  DES  OERBUNISCHEN  MUSEUMS. 


Um  noch  auf  ein  paar  Einzelheiten  der  Türen  einzugehen,  so  ist  zu- 
nächst wegen  des  Türspruches  zu  bemerken,  daß  diese  Art  frommer  In- 
schriften der  tiefen  Religiosität,  welche  die  Friesen  ziert,  ihren  Ursprung  zu 
danken  hat  und  sich  daher  in  vielen  Häusern  findet.  Ich  kann  zu  den 
Sprüchen  auf  unseren  Türen  noch  eine  Reihe  ähnlicher  Inschriften  gleichen 
Ursprungs  anführen. 

1)  »Wer  ein-  und  ausgeht  zu  dieser  Thür, 
Derselb'  gedenke  für  und  für. 

Daß  unser  Heiland  Jesus  Christ 

Die  rechte  Thür  zum  Himmel  ist.«^**) 

2)  »Gar  herrlich  ist  das  Haus  gebauet  und  gezieret, 

Wenn  Gott  des  Herren  Segen  und  Eintracht  drin  regieret.« 

3)  »Vanitas  Vanitatum  et  omnia  Vanitas,  Eccles.  I.  V.  2.« 

4)  »Wir  haben  hier  keine   bleibende  stette,   sondern   das  Zukünftige 
suchen  wir.     Hebr.  13,  14.« 

5)  »Fürchte  Gott,  thue  Recht  und  scheue  Niemand.«*'") 

6)  Wer  zu  dieser  Thür  eingehe, 
Sprech,  indem  er  stille  stehe. 
Dies  Haus  bleib  im  Segen  stehen; 
bis  die  Welt  wird  untergehen. 

P.  B.  Anno  1710.  S.  B. 

7)  »Den  Ein-  und  Ausgang  mein 
laß  Dir  O  Herr  befohlen  sein! 
Wer  hier  mit  Frieden  kehret  ein, 
soll  dieser  Spruch  gewünschet  sein.« 

8)  »Wer  Unfried  hat  im  Herzen  sein. 

Der  kehr  zu  diesem  Haus  nicht  ein.«*'*) 

Auffällig  möchte  in  der  Überschrift  über  der  Tür  auch  die  Bezugnahme 
auf  den  Walfischfang  erscheinen.  Allein  es  ist  in  dieser  Hinsicht  darauf  zu 
verweisen,  daß  in  der  Zeit  der  Blüte  des  von  Holland  und  von  Hamburg  aus 
stark  betriebenen  Walfischfanges  um  die  Wende  des  17.  Jahrhunderts  die 
Nordfriesen  sich  in  sehr  großer  Zahl,  bis  zu  jährlich  5000  Mann  daran  be- 
teiligten, und  daß  sie  noch  während  des  ganzen  18.  Jahrhunderts  viele  Grön- 
landsfahrten entweder  selbst  als  Kapitäne  geleitet  oder  sonst  mitgemacht 
haben ^^^).  Mit  welchem  materiellen  Erfolge  es  geschah,  kann  man  aus 
unserem  Spruche  entnehmen,  in  dem  der  Halligmann  den  Walfischfang  ge- 
radezu als  die  Quelle  seines  Wohlstandes  bezeichnet.  Es  ist  daher  nicht 
verwunderlich,    wenn    wir   auch    in    dem    künstlerischen    Formenschatze    der 


169)  Jo  bansen  a.  a.  O.  S.  29. 

170)  Jensen  a.  a.  O.  S.  205. 

171)  Meiborg  a.  a.  O.  S.  64. 

172)  Jensen  a.  a.  O.  S.  78  und  130/131. 


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VON  DR.  OTTO  LAÜFFBR-FBANKFURT  A.  BL  175 

Figur  des  Walfisches  begegnen,  wie  denn  Schwindrazheim  (S. 78  Abb.  36 
Nr.  7)  ihn  von  einem  der  Hallig  Hooge  entstammenden  geschnitzten  Schranke 
abbildet. 

Wie  hoch  aber  der  Einfluß  des  Walfischfanges  auf  die  gesamte  Kultur 
der  nordfriesischen  Inseln  in  den  vergangenen  zwei  Jahrhunderten  zu  be- 
werten ist,  das  erkennt  man  mit  Staunen  aus  ein  paar  Mitteilungen,  die  im 
Jahre  1846  der  Reisende  J.  G.  Kohl  darüber  macht.  Er  spricht  von  der 
Verwendung  der  erratischen  Blöcke,  der  sogen.  Rollsteine  zu  Häusermauem 
und  Zaunbau  und  fahrt  dann  folgendermaßen  fort:  »Neben  ihnen  gibt  es  aber 
noch  ein'  Baumaterial  ganz  eigentümlicher  Art,  das  einem  Tiere  unter  dem 
Eispole  aus  dem  Leibe  gebrochen  wird,  nämlich  die  Backenknochen  und 
Rippen  vom  Walfisch.  Ich  erinnere  mich  wohl,  daß  ich  früher  oft  mit  Ver- 
wunderung las,  wie  die  Grönländer  ihre  Zäune  und  Wälle  und  oft  auch  ihre 
Wohnungen  aus  Fischknochen  zusammensetzen.  Allein  hier  erfuhr  ich,  daß 
man  nicht  nach  Grönland  zu  reisen  brauche,  um  dergleichen  zu  sehen.  Ein 
Bewohner  von  Wyk  hatte  sich  einen  Entenstall  aus  Walfischknochen  zu- 
sammengebaut. Die  Pfosten  seiner  Feld-  und  Gartentüren  bestanden  eben- 
falls aus  Walfischknochen,  in  welche  die  eisernen  Türangeln  eingefügt  waren. 
Hie  und  da  fand  ich  einen  Obstgarten  ganz  mit  einer  Reihe  von  Walfisch- 
knochen verpalissadirt  (auch  setzen,  wie  ich  mehrere  Male  bemerkte,  diese 
Leute  die  Bienenkörbe  auf  kleine  Walfischknochenstumpfe,  die  sie  absägen 
und  in  die  Erde  stecken),  und  es  gibt  fast  keinen  Bauer,  der  nicht  auf  irgend 
eine  Weise  Walfischknochen  in  seinem  Gehöfte  verwendet  und  angebracht 
hätte.  Ich  sah  mehrere  solche  Walfischknochenpalissaden,  die  vielleicht  schon 
50  Jahre  dagestanden  hatten  und  in  diesem  wunderlichen  Dienste  halb  ver- 
wittert und,  wie  alte  Bäume,  dick  mit  Moos  überzogen  waren.  Auch  fand 
ich  viele  dieser  Knochen  von  den  vorübergehenden  Kühen  angenagt,  die 
spielerisch,  wie  alle  Tiere,  sie  gern  beknuppem.  Man  könnte  viele  Orte  in 
Norddeutschland  nennen,  die  ihrem  Mangel  an  Holz  durch  solche  Rippen, 
die  viel  dauerhafter  sind  als  dieses,  abhelfen.  Selbst  in  den  Straßen  der 
freien  Reichsstadt  Bremen  fand  man  sonst  viele  Walfischknochen  als  Haus- 
pfähle in  den  Straßen  stehen.  Man  sägte  diese  Knochen  oben  glatt  ab,  be- 
schlug ihnen  den  Kopf  mit  Blech  und  überstrich  das  Ganze  so,  daß  Niemand 
ahnen  konnte,  daß  um  eines  solchen  Straßenpfahls  willen  ein  Walfisch  ge- 
blutet habe.  —  Auf  allen  Nordseeinseln,  bis  zum  Texel  bei  Holland  hin,  sind 
die  Walfischknochen  eben  so  stark  in  Gebrauch«^'"). 

Ich  habe  geglaubt  Kohl's  Mitteilungen  ganz  anführen  zu  sollen,  weil  sie 
nur  in  ihrer  Ausführlichkeit  geeignet  erscheinen,  dem  Binnenländer  eine  klare 
Vorstellung  von  diesen,  ihm  sonst  so  fem  liegenden  Verhältnissen  zu  ver- 
mitteln und  eine  rechte  Würdigung  des  Walfischfang-Spruches  unserer  Hallig- 
türen zu  ermöglichen. 


173)  J.  G.  Kohl,  >Die  Marschen  und  Inseln  der  Herzogtümer  Schleswig  und 
Holstein,  c  Dresden  und  Leipzig.  1846.  Bd.  I.  S.  101—102.  Ober  die  Art  des  Walfisch- 
fanges vergl.  ebenda  S.  123—147. 


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176  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

In  den  Formen  des  Messingbeschläges  treten,  wie  unsere  Abbildung 
zeigt,  die  Einwirkungen  städtischer  Kunstrichtung  deutlich  zu  Tage.  Von 
dort  ist  auch  das  glänzende  Material  derselben  offenbar  mit  Freuden  über- 
nommen worden,  da  es  der  Halligfrau  willkommene  Gelegenheit  bot,  durch 
tadellose  Sauberhaltung  eine  ihrer  schönsten  hauswirtschaftlichen  Eigen- 
schaften zu  betätigen.  So  wird  ausdrücklich  hervorgehoben,  daß  solche 
glänzend  blanke  Schlösser  den  Bewohnern  der  Eilande  ein  besonderer  Gegen- 
stand des  Stolzes  gewesen  seien ^^*).  Die  gleiche  Vorliebe  für  reiches  Messing- 
beschläge werden  wir  in  noch  viel  ausgedehnterem  Maße  in  der  Wilster- 
marsch  wiederfinden. 

Endlich  erübrigt  uns  noch  eine  Bemerkung  über  die  farbige  Behandlung 
der  Türen.  Wir  sahen,  daß  dieselbe  vorwiegend  in  blau  gehalten  ist,  und 
wenn  man  in  allen  friesischen  Landesteilen  bei  der  Bemalung  sowohl  von 
Hausteilen  als  auch  von  Möbeln  und  Geräten  immer  wieder  eine  ganz  be- 
stimmte Farbenskala,  bestehend  aus  blau  in  verschiedenen  Tönen,  aus  rot, 
weiß  und  grün  ausschließlich  verwendet  findet,  so  könnte  man  leicht  geneigt 
sein,  aus  diesem  durchaus  einheitlichen  und  typisch  wiederkehrenden  Farben- 
geschmack der  Friesen  auf  ein  hohes  Alter  in  der  koloristischen  Behandlung 
ihrer  Wohnräume  zu  schließen.  Trotzdem  belehren  uns  die  Tatsachen,  daß 
die  Bemalung  der  Holzarbeiten  der  Innendekoration  und  ebenso  wohl  auch 
diejenige  der  Einzelstücke  erst  mit  Schluß  des  ersten  Drittels  des  18.  Jahr- 
hunderts eingedrungen  ist.  Das  im  Flensburger  Museum  befindliche  Zimmer 
aus  Nieblum  von  der  Insel  Föhr  vom  Jahre  1631  (vergl.  Fig.  35)  und  der 
ebendort  wieder  aufgebaute  Pesel  von  der  Insel  Rom  aus  dem  Jahre  1690 
sind  in  ihrem  Holzwerk  beide  aus  Föhrenholz  errichtet  und  waren  ursprüng- 
lich beide  unbemalt.  Dasselbe  gilt  von  den  Holzbekleidungen  eines  ebenfalls 
nach  Flensburg  übertragenen  Halligen-Zimmers  vom  Jahre  1688 ''^).  Sie  alle 
haben  Holzwerk  und  Schnitzereien  ursprünglich  in  reiner  Naturfarbe  gezeigt, 
wodurch  die  Wirkung  ihrer  plastischen  Ausstattung  unzweifelhaft  wesentlich 
gefördert  worden  ist. 

Erst  etwa  in  den  30  er  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  sind  sie  alle  mit 
farbigem  Anstrich  versehen,  und  mir  scheint,  daß  in  der  Übergangszeit  um 
die  Mitte  des  Jahrhunderts,  wo  die  plastische  Behandlung  noch  neben  der 
koloristischen  Ausstattung  zu  gleichem  Rechte  bestand,  die  nordfriesischen 
Wohnräume  am  reizvollsten  gewesen  sind.  Der  Verfall  beginnt  dann  schon, 
als  die  Farbe  nicht  mehr  der  Begleitstimme  des  Schnitzwerkes  zu  benötigen 
glaubte,  als  sie  sich  selbständig  machte,  und  als  etwa  in  den  80  er  Jahren 
des  18.  Jahrhunderts  das  Ornament  selbst,  entweder  in  den  Linienspielen  des 
Rococo  oder  auch  in  naturalistischen  Motiven  farbig  direkt  auf  die  Wand 
aufgetragen  wurde.  Unsere  Türen  gehören  noch  der  voraufgehenden  Zeit 
an,  und  diese  ist  uns  auch  sonst  deshalb  am  interessantesten,  weil  sie  den 
koloristischen  Sinn  noch  in  seiner  größten  Reinheit  und  Frische  zeigt.     Blau 

174)  Meiborg  a.  a.  O.  S.  64.     Kohl  a.  a.  O.  I.  S.  113. 

175)  Vergl.  Sauermann  a.  a.  O.  S.  14;  33;  36-37;  89. 


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VON  DR.  OTTO  LAUFFER-FRANKFURT  A.  M. 


177 


und  rot  überwogen,  zumeist  blau,  wie  es  scheint'"'®),  und  Kohl  meint,  daß 
die  Vorliebe  dafür  von  Holland  herübergekommen  sei*^^).  Neben  dem  Blau 
aber  stand  das  Rot,  auch  dieses  wie  es  scheint  in  mehreren  Nuancen,  denn 
es  wird  als  purpurrot,  als  fleischrot  und  als  rotbraun  bezeichnet.  So  spricht 
Biernatzki  (S.  120/121)  von  einer  >Stube  voll  •Himmelblau  und  Purpurrot«, 
während  Uhle  aus  seiner  Kenntnis  des  Föhringer  Hauses  heraus  sagt: 
»Lieblingsfarbe  für  die  Schränke  ist  ein  eigentümliches  Fleischrot,  nicht 
selten  ist  Blau«^^®).  Unter  diesem  Fleischrot  glaube  ich  denjenigen  Ton 
verstehen  zu  sollen,  in  welchem  wir  die  Außenseite  der  Eingangstür  gestrichen 
fanden,  und  den  ich  oben  als  ein  milchiges  Himbeerrot  bezeichnet  habe. 

Als  dritte  Nuance  des  Rot  begegnet  uns  endlich  ein  reines  rotbraun. 
Wir  haben  es  ebenfalls,  an  der  Innenseite  der  Eingangstür  schon  kennen  ge- 
lernt. Es  wird  auch  sonst  erwähnt,  z.  B.  findet  es  sich  nach  Kekul6  a.  a. 
O.  S.  116  auf  einem  der  Bilder  von  Jac.  Alberts  in  der  Farbe  der  großen 
Standuhr,  und  ebenso  zeigt  die  von  Schwindrazheim  auf  Taf.  I  darge- 
stellte Stube  in  Morsum  auf  Sylt  die  ganze  Holzwand  in  demselben  rotbraun 
neben  etwas  blau  und  weiß.  Da  nun  auch  eine  von  Herrn  Maler  Jessen  in 
Niebüll  bei  Husum  gütigst  zur  Verfügung  gestellte  Farbenskizze  in  diesem 
Tone  gehalten  war,  so  wurden  alle  die  Holzteile,*  deren  Ergänzung  notwendig 
war,  vor  allem  also  die  ganze  Zimmerdecke  in  Übereinstimmung  mit  der  Ein- 
gangstür rotbraun  gestrichen.  Das  Zimmer  hat  dadurch  einen  eigentümlich 
warmen  Charakter  bekommen,  der  aber  im  Kontrast  zu  dem  ernsten  Dunkel- 
blau der  beiden  vorhin  besprochenen  Türen  einer  gewissen  Fröhlichkeit  nicht 
entbehrt,  wozu  vor  allem  auch  die  hellen  Fliesenwände  ein  gutes  Teil  bei- 
tragen. 

Nach  den  Mustern  zu  urteilen,  die  uns  seiner  Zeit  vorlagen,  dürfen  wir 
hoffen,  mit  diesem  Rotbraun  einen  der  volkstümlich  nordfriesischen  Palette 
völlig  entsprechenden  Ton  getroffen  zu  haben.  Sollte  es  trotzdem  nicht  der 
Fall  sein,  so  würde  sich  der  Fehler  durch  einen  freundlichen  Hinweis,  um 
die  alle  landeskundigen  Beschauer  des  Zimmers  gebeten  werden,  leicht  wieder 
gut  machen  lassen. 

Heute  ist  die  farbige  Ausstattung  der  Zimmer  auch  auf  den  Halligen 
im  Schwinden  begriffen.  Anstelle  der  warmen  und  anheimelnden  Farben- 
freudigkeit macht  in  neuerer  Zeit  ein  gleichmäßig  ödes  Weiß  sich  breit  *^*), 
und  wenn  hier  die  neueren  Bestrebungen  für  » Volkskunst <ic  und  »Heimat- 
schutz« nicht  noch  in  letzter  Stunde  Wandel  schaffen  —  in  welcher  Hinsicht 
ich  persönlich  allerdings  nicht  gerade  sehr  hoffnungsfreudig  bin  —  so  werden 
wir  den  Farbenreiz  eines  altfriesischen  Zimmers  bald  nur  noch  in  Museen 
genießen  können.  — 


176)  Johansen,  a.  a.  O.  S.  30.    Kohl,  a.  a.  O.  I.  S.  113. 

177)  Kohl  I.  S.  66. 

178)  Uhle,  a.  a.  O.  S.  (66). 

179)  Vgl.  Traeger,   Halligen  S.  250/251  u.  252.     Ferner  »Mitteilungen  des  Germ. 
Museums«.  1896  S.  116. 

Mitteilungen  aus  dem  germao.  Natiooalmuseum.    1904.  28 

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178 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  6ERHANISCHBN  MUSEUMS. 


Neben  Türen  und  Fenstern  sind  nun  zunächst  noch  ein  paar  andere  bau- 
liche Unterbrechungen  der  Wände  zu  besprechen.  Da  ist  vor  allem  gleich 
links  vom  Eingang,  in  die  fliesenbedeckte  Ofenwand  eingebaut,  das  Bett. 
Auch  hier  ist  es  also  ein  Bettschrank,  wie  wir  ihn  schon  in  Diepholz  und  in 
Hindeloopen  kennen  gelernt  haben  *®®).  Sein  Boden  liegt  etwa  in  Tischhöhe 
über  der  Stubendiele,  und  er  scheint  in  der  Dönse  noch  etwas  höher  gelegen 
zu  haben  als  in  den  übrigen  Räumen,  daher  es  hier  als  »hoog  Bed'«  bezeichnet 
wurde,  ein  Name,  den  ich  wenigstens  für  Sylt  bezeugt  finde'®*).  Diese  Bett- 
schränke springen  gelegentlich  kastenartig  in  das  Zimmer  heraus.  Zum  Bei- 
spiel tritt  in  dem,   mit  dem  Entstehungsjahr  1671   bezeichneten  Zimmer  von 


Fig.  39.    Zimmer  von  der  Hallig:  Hooge  1671.   Im  Kunstgewerbe-Museum  zu  Flensburg. 

der  Hallig  Hooge,  welches  sich  im  Kunstgewerbe  -  Museum  zu  Flensburg  be- 
findet, das  mit  reicher  Schnitzerei  versehene  Bettgehäuse  in  einer  Ecke  des 
Zimmers  hervor,  so  wie  es  unsere  Fig.  39,  die  wir  dem  freundlichen  Ent- 
gegenkommen der  Direktion  jenes  Museums  zu  verdanken  haben,  vortrefflich 
erkennen  läßt.  In  der  Dönse  des  Germanischen  Museums  dagegen  springt 
das  Bett  nicht  aus  der  Ofenwand  heraus ,  wie  man  in  unserer  Fig.  36  vorn 
links  noch  eben  sehen  kann.  Der  eigentliche  Kasten  des  wohl  stets  für  zwei 
Personen  eingerichteten  Bettes  muß  also  in  der  benachbarten  Küche  wie  eine 


180)  Ober  die  Art,  wie  sich  in  den  nordischen  Ländern  der  Bettschrank  allmählich 
zur  beweglichen  Bettstelle  umgewandelt  hat,  vgl.  Troels-Lund,  »Tägliches  Leben  etc.« 
S.  155  ff. 

181)  Jensen  S.  197.  Die  gleiche  Bezeichnung  »Hochbett«  wird  für  Fehmarn  be- 
legt durch  Meiborg  S.  21. 


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VON  DR,  OTTO  LAÜFFER-FRANKFÜRT  A.  M. 


179 


Art  Ausbau  neben  dem  Herde  erscheinen.  In  unserer  Dönse  selbst  wird 
das  Bettloch  gegen  die  umgebende  Fliesenwand  durch  einen  rotbraun  ge- 
strichenen, grün  abgefaßten  Holzrahmen  abgesetzt,  auf  dem  wir  ebenso  wie 
auf  Fig.  39  das  bereits  besprochene  Flechtbandmuster  im  Schnitzwerk  wieder- 
finden. Nach  oben  läuft  der  Rahmen  in  ein  quer  über  das  Bett  hinlaufendes 
Bord  aus,  welches  mit  großen  Porzellanschüsseln,  vielleicht  Erinnerungsstücken 
an  eine  Orientfahrt  des  Besitzers,  geschmückt  ist. 

Auch  die  das  Bett  abschließende  obere  Querleiste  bietet,  ähnlich  wie 
wir  es  schon  bei  den  Flächen  der  Türen  kennen  gelernt  haben,  Raum  und 
Veranlassung,  einen  frommen  Spruch  anzubringen,  der  nicht  einmal  immer 
auf  die  Schlafstätte  Bezug  nimmt  und  sich  oft  ebenso  gut  als  Tür-  und  Haus- 
spruch eignen  würde.  Ein  paar  dieser  Bettsprüche  gebe  ich,  soweit  sie  mir 
bekannt  geworden  sind,  als  Probe  wieder: 

1)  Wie  Gott  es  füget. 
So  mir  genüget; 

Nur  wünsche  zu  erwerben 
Ein  seliges  Sterben«  ^®^). 

2)  >So  wie  der  Abend  auf  den  Tag 
So  folgt  der  Tod  dem  Leben  nach. 
Ich  zieh'  das  Kleid  des  Leibes  aus. 

Und  man  verschließt  den  Sarg,  mein  Haus; 
Ich  geh'  in's  Grab,  wie  jetzt  zur  Ruh, 
Man  decket  mich  mit  Erde  zu. 

Dann  schlaf  ich  eine  lange  Nacht, 
Bis  ich  am  jüngsten  Tag'  erwacht 
Vor  Jesu,  meinem  Richter,  steh' 
Und  mit  ihm  in  die  Freude  geh'. 
Herr,  laß  mich  ja  vergessen  nicht 
Der  Auferstehung  und  Gericht, 
Und  alle  Tage  dieser  Zeit 
Bereit  sein  zu  der  Ewigkeit. 
Amen.« 

3)  »In  Sturm  und  Wellenbraus 
Behüte,  Gott,  mein  Leben, 
Und  um  mein  schwaches  Haus 
Laß  deine  Engel  schweben. 

Daß  sich  die  wilden  Wogen  scheu'n 
Wie  Lämmer  vor  dem  starken  Leu'n.« 
4)  »Gar  herrlich  ist  das  Haus  gebauet  und  geziert 

Wenn  Gott  des  Herren  Segen  und  Eintracht  drin  regiert«^®'). 
Das   Bettloch    selbst   kann    in   zweifacher   Weise    verschlossen    werden. 
Entweder  hat   es  ein  paar,    bis  zur  hohen  Bettkante  reichende,    meist   wohl 

182)  KekuU,  a.  a.  O.  S.  115. 

183)  Johansen,  a.  a.  O.  S.  29/30.  —  Vergl.  Nr.  2  der  früher  angeführten  Türsprüche! 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


geschnitzte  Türen,  oder  es  ist  minder  fest  mit  einem  paar  Vorhängen  zuge- 
zogen^®*). Die  letztere  Art,  die  unsere  Fig.  39  gut  veranschaulicht,  finden 
wir  auch  in  der  Dönse  des  Germanischen  Museums  wieder.  Alle  diese  Vor- 
hänge bestehen  aus  >Beiderwand«,  jenen  doppelschichtig  aus  Leinen  und 
Wolle  hergestellten ,  meist  großgemusterten ,  im  Hause  selbst  verfertigten 
Webereien,   die  in  Norddeutschland  bis  nach  Hessen  hin  im  Gebrauch    sind, 


Fi^.  40.  Muster  eines  Beiderwand- Vorhanges  im  Qerman.  Museum.  Allegorie  der  Erdteile. 

und  die  sowohl  im  Ornament  wie  auch  in  der  farbigen  Ausstattung  eine 
große  Reihe  verschiedenartiger  Muster  zeigen  ^**^).  Der  Verschluß  unseres 
Bettkastens  wird  gebildet  durch  zwei,  mitten  auseinander  zu  ziehende  Vor- 
hangstreifen, über  die  oben  als  Abschluß  noch  ein  schmaler,  gleichgemusterter 

184)  Traeger,    >Halligen«    S.    251.    >Fries.   Häuser.<    S.    117.     Jensen,  a.  a.  O. 
S.  201.  (Föhr)  Uhle,  a.  a.  O.  S.  (66).     Meiborg,  S.  21  (Fehmarn). 

185)  Vgl.  Sauermann,    a.  a.  O.    S.  15  und  18  ff.     Schwindrazhei m,   a.  a.  O. 
S.  143.     K.  Hessler,  Hessische  Landes-  und  Volkskunde  IL     Marburg  1904.  S.  547. 


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VON  DR.  OITO  LAUFPER-FRANKFÜRT  A.  M. 


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Volant  gezogen  ist.  Sie  bestehen  aus  sogenanntem  »schwarzenc  Beiderwand 
—  in  Wirklichkeit  ist  er  mehr  schwarzbraun  —  der  in  der  üblichen  Weise 
dadurch  gemustert  ist,  daß  man  den  Leinenschuß  naturfarbig  ließ,  während 
der  wollene  Grund  gefärbt  wurde.  Die  Darstellung  zeigt  Allegorien  der  Erd- 
teile (vgl.  Fig.  40). 

Durch  die  Beiderwandvorhänge  werden  die  Betten  beinahe  ebenso  fest 
abgeschlossen  wie  durch  die  Holztüren.  Beide  sind  sie  auch  darin  gleich, 
daß  sie  immer  —  wenigstens  für  moderne  hygienische  Ansprüche  —  nur  eine 
unzureichende  Lüftung  zulassen,  und  ihr  einziger  Vorteil,  daß  sie  das  noch 
ungemachte  Bett  dem  Auge  verbergen  und  so  das  Zimmer  stets  in  guter 
Ordnung  erscheinen  lassen,  bleibt  doch  auch  immer  anfechtbar.  So  muß 
man  denn  auch  wohl  von  beiden  sagen,  daß  ihre  oft  hervorragend  dekorative 
Wirkung  ihre  beste  Eigenschaft  ist. 

Das  Bett  in  der  Museumsstube  ist  nicht  ausgestattet,  ich  führe  aber 
der  Vollständigkeit  halber  an,  was  M  e  i  b  o  r  g  in  dieser  Hinsicht  über  die  Ver- 
hältnisse in  Nordschleswig  berichtet,  wenn  er  S.  189  sagt:  »Zu  einem  an- 
ständigen Bette  gehörten  eine  Decke,  eine  Daunendecke,  vier  Laken  —  zwei 
aus  Flachsgarn  und  zwei  aus  Heedengarn  —  ein  Kopfpfühl,  zwei  Kissen  und 
ein  Drillich-Bettkissen«  ^**^). 

Als  weitere  Wandnischen  sind  ein  paar  Wandschränke  zu  nennen.  Der 
eine  derselben,  der  zwischen  den  beiden  geschnitzten  Türen  in  die  Rückwand 
eingelassen  ist,  dient  zur  Aufbewahrung  von  Glas,  Porzellan,  Eßbestecken  und 
sonstigem  Silbergerät  *®^).  Er  ist,  um  alle  die  in  ihm  verwahrten  Schätze  recht 
zu  zeigen,  nur  mit  einer  Glastür  verschlossen,  und  aus  seiner  farbigen  Aus- 
stattung erkennt  man  sogleich,  daß  er  zu  den  jüngsten  Teilen  des  Zimmers 
gehört.  Seine  Umrahmung  ist  mit  Rokoko-Ornament  geziert,  das  oben  durch 
einen  Strauß  weißer  Rosen  bekrönt  wird,  alles  mit  schwarzen  Konturen  in 
weiß  und  rosa  auf  graublauem  Grunde  gemalt. 

Der  andere  Schrank  liegt  in  der  Wand  nach  dem  Hausflur  hin,  gleich 
rechts  von  der  Eingangstür.  Seine  Vorderfläche  zeigt  in  einem  einfachen 
Rahmen  mit  geschnitztem  Rankenwerk  bedeckte  Füllungen,  in  denen  uns  die 
Datierung  1586  ein  verhältnismäßig  sehr  beträchtliches  Alter  bezeugt.  Die 
Bemalung,  die  den  Rahmen  rot,  die  Ranken füllungen  aber  meist  graubraun 
mit  etwas  blaugrün  und  wenig  rot  ausgestattet  hat,  schmiegt  sich  im  allge- 
meinen der  plastischen  Verzierung  so  wohl  an,  daß  man  auf  den  Gedanken 
kommen  könnte,  beide  für  gleichzeitig  zu  halten.  Trotzdem  kann  es  keinem 
Zweifel  unterliegen,  daß  der  Schrank  zunächst  die  reine  Naturfarbe  gezeigt 
hat  und  erst  wesentlich  später,  wohl  an  die  anderthalb  Jahrhunderte  nach 
seiner  Entstehung  bemalt  worden  ist. 

Ebenfalls  neben  der  Eingangstür,  zwischen  dieser  und  der  Bettnische, 
ist  die  Wand   dann   noch    durch   ein  kleines  Guckfensterchen   durchbrochen, 

186)  Ober  die  Ausstattung  der  Betten  vgl.  Troels- Lund,  »Tägliches  Leben« 
S.  159—170. 

187)  Vgl.  Jensen,  a.  a.  O.  S.  80.  (Zitat  aus  Weigelt.)  Ebenda  S.  201.  (Föhr.) 
Traeger,  »Fries.  Häuser.«  S.  115. 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


welches  es  gestattet,  vom  Zimmer  aus  den  Hausflur  zu  übersehen.  Auch  an 
diesem  Fenster  sind  Futter  und  Rahmen  im  Rotbraun  der  Decke  gestrichen. 
Wie  weit  seine  Durchblicksöffnung  an  dieser  Stelle  für  die  Hallig-Dönse  typisch 
ist,  das  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen.  Ich  mache  aber  darauf  aufmerksam, 
daß  Jac.  Alberts  bei  dem  von  Kekul6  auf  S.  111  reproduzierten  Interieur, 
welches  die  Wohnungsverhältnisse  der  Hallig  Hooge  schildert,  genau  dasselbe 
Fenster  an  der  gleichen  Stelle  zeigt. 

Eines  der  Hauptausstattungsstücke  des  ganzen  Raumes,  ohne  welches 
derselbe,  wie  wir  sahen,  überhaupt  keinen  Anspruch  auf  den  Namen  >Dönse« 
hat,  ist  der  Ofen.  Unsere  Fig.  36  zeigt  sein  Bild.  Es  ist  ein  in  die  Stube 
vorspringender  eiserner  Kasten,  in  den  durch  die  Wand  hindurch  von  der 
Küche  aus  die  Glut  und  das  weitere  Feuerungsmaterial  hineingeschoben  wird, 
woher  er  den  Namen  »Bilegger«  führt  ****).  Rein  heiztechnisch  betrachtet, 
entspricht  er  in  seiner  Anlage  völlig  dem  Ofen  des  oberdeutschen  Hauses, 
und  nach  allem,  was  wir  früher  über  die  Entstehung  der  Dönse  im  nieder- 
deutschen Hause  zu  sagen  hatten,  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß 
er  von  dort  als  zweite  Feuer  stelle  übernommen  worden  ist.  Wenn  er  daher 
früher  in  Schleswig-Holstein  als  »nordischer«  Ofen  bezeichnet  wurde**®),  so 
bleibt  dieser  Name,  wie  es  scheint,  vorläufig  noch  unerklärt,  jedenfalls  aber 
kann  nicht  daraus  geschlossen  werden,  daß  er  als  eine  originale  Erfindung 
der  nordischen  Kultur  von  dort  nach  Süden  gedrungen  sei.  Das  einzige, 
worauf  man  zur  Erklärung  des  Namens  hinweisen  könnte,  ist  die  Tatsache, 
daß  in  Dänemark  und  Norwegen  der  Schritt  von  dem,  innen  mit  einem  eisernen 
Kasten  gepanzerten  Kachelofen,  dem  sogen.  >Eisenkachelofen«,  zum  reinen 
Eisenofen  wie  es  scheint  selbständig  gemacht  worden  ist,  und  daß  wohl  nach 
diesem  Muster  und  unter  dänischer  Kulturbeeinflussung  auch  in  Schleswig- 
Holstein  und  auf  den  nordfriesischen  Inseln  der  eiserne  Bilegger  als  »nordisch« 
bezeichnet  wurde,  trotzdem  man  die  gegossenen  Eisenplatten  dazu  nicht  aus 
dem  Norden,  sondern  aus  dem  Süden,  nämlich  aus  Nord-  und  selbst  Mittel- 
deutschland bezog**^).  Diese  Annahme  wird  auch  dadurch  ein  wenig  gestützt, 
daß  der  Ofen  des  Angler  Hauses  demjenigen  in  Nordfriesland  völlig  gleich 
beschrieben  wird*®*). 

Damit  das  Einschieben  der  Glut  von  der  Küche  aus  bequem  vorge- 
nommen werden  kann,  so  muß  die  Bodenplatte  des  Ofenkastens  in  gleicher 
Höhe  mit  der  Oberfläche  des  benachbarten  Küchenherdes  liegen.  Der  Ofen 
sitzt  daher  nicht  direkt  auf  dem  Stubenboden  auf,    sondern    er   springt   erst 


188)  Vgl.  Schwindrazheim,  a.  a.  O.  S.  143.  Deutsches  Bauernhaus- 
werk Blatt  »Schleswig-Holstein  Nr.  8.« 

189)  Sauermann,  a.  a.  O.  S.  78. 

190)  Ober  den  nordischen  Ofen  vergl.  die  inhaltreichen  Ausführungen  bei  Troels- 
Lund,  Tägl.  Leben  in  Skandinavien  S.  145 — 153.  Leider  ist  dort  aber  für  die  verschie- 
denen Erscheinungsformen  des  Ofens  nicht  angegeben,  von  welchem  Ausstrahlungspunkte 
ihre  Kultur  wellen  in  Schwingung  gesetzt  sind.  —  Worauf  sich  Jensens  Angabe  stützt, 
daß  man  auf  Sylt  erst  seit  1740  Öfen  habe  (S.  284.  Anm.  1),  kann  ich  nicht  entscheiden. 
Vgl.  ebenda  S.  198,  wo  er  1725  als  äußerste  Grenze  nennt. 

191)  Hamm,  a.  a.  O.  S.  613b.     Vergl.  damit  Meiborg  S.  81. 


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in  einer  Höhe  von  etwa  30  bis  40  cm  in  den  Stubenraum  vor  und  wird  in 
dieser  Lage  von  ein  paar  schmiedeeisernen  Trägern  gehalten,  die  unter  sich 
durch  eine  Querstange  verbunden,  seinen  beiden  vorderen  Ecken  als  Stützen 
dienen  und  mit  schleifenförmig  geschmiedeten  Füßen  fest  auf  dem  Boden 
stehen ,  so  wie  es  unsere  Figuren  36  und  39  zeigen.  Um  den  Rauch ,  der 
nach  der  Küche  seinen  Abzug  findet,  an  einem  Entweichen  nach  dem  Stuben- 
innern  zu  verhindern ,  sind  die  vorderen  Fugen  der  Ofenplatten  durch  ein 
paar  darüber  gelegte  halbzylindrische  Eisenschalen  gedichtet  und  mit  Lehm 
verstrichen.  Die  Befestigung  derselben  ist  durch  aufgeschraubte  Messingknöpfe 
bewerkstelligt,  denen  an  den  oberen  Ecken  ebensolche  Bekrönungsknöpfe  ent- 
sprechen, und  die  in  tadellosem  Glänze  erstrahlend  zugleich  als  Schmuck- 
stücke des  ganzen,  an  sich  nicht  sehr  umfangreichen  Ofens  dienen. 

Mit  diesen  Knöpfen  allein  hat  sich  nun  aber  der  Ziersinn  nicht  begnügt, 
vielmehr  boten  auch  die  breiten  Flächen  der  Eisenplatten  selbst  reichlichen 
Raum  zu  seiner  Entfaltung.  Über  dieselben  ist  denn  auch  ein  reicher  Schatz 
von  Dekorationsmotiven  ausgebreitet,  die  in  ihrer  formellen  Gestaltung  dem 
jeweiligen  Geschmack  ihrer  Entstehungszeit  folgen.  Die  ältesten  erhaltenen 
Platten  gehören  dem  16.  Jahrhundert  an,  und  man  neigt  aus  diesem  und  aus 
manchem  anderen  Grunde  zu  der  Meinung,  daß  der  eiserne  Ofen  überhaupt 
erst  in  jener  Zeit  in  den  in  Rede  stehenden  Gegenden  eingedrungen  ist.  Die 
Kunstformen  selbst  weisen  auf  eine  Einfuhr  der  Platten  aus  Deutschland  hin, 
und  diese  stilkritische  Zuschreibung  findet  durch  Inschriften,  welche  den  Ent- 
stehungsort der  Stücke  oder  doch  den  fürstlichen  Besitzer  der  betreffenden 
Eisenhütte  mitteilen,  ihre  sichere  Bestätigung.  Die  bildmäßigen  Darstellungen 
entnehmen  außer  Städtebildern  und  ornamentalen  Umrahmungen  meist  den 
biblischen  Geschichten  ihren  Stoff^®*'). 

Alle  diese  Einzelheiten  finden  sich  nun  an  dem  eisernen  Bilegger  der 
Halligdönse  des  Germanischen  Museums  als  an  einem  guten  Beispiel  vereinigt. 
Die  schmale  Vorderplatte  desselben  trägt  das  Bild  der  Kreuzigung  Christi. 
Hinter  dem  Kruzifix  flattert  ein  Band,  auf  dem,  wie  es  scheint  (denn  der  Rost 
hat  im  Laufe  der  Zeit  manche  Narbe  gefressen),  gestanden  hat:  »Vater,  ver- 
gieb  ihnen!«  Rechts  und  links  von  der  Kreuzesinschrift  J.  N.  R.  J.  steht  der 
Name  des  Gießers :  CONRAT  —  JVCKHJN  oder  LUCKELN,  gerade  der 
Familienname  ist,  abgesehen  von  den  Buchstaben  VCK  leider  nicht  mehr 
deutlich.  Die  ganze  Darstellung  ist  durch  eine  Unterschrift  bezeichnet  als 
»Chrevtzvng  Christi.  Lvc.  18«,  wobei  auch  wieder  die  angeführte  Bibelstelle 
nicht  mehr  sicher  lesbar  ist.  Darunter  endlich  steht  dann  in  einer  Kartusche 
die  im  ganzen  gut  lesbare  Inschrift:  »Josias  [oder  Jonas?].  Grave.  |  vnd.  Her. 
Zv.  I  Waldeck.  158. .« 

Die  beiden  Seitenplatten  sind  einander  völlig  gleich.  Ihre  Dekoration, 
die  auf  unserer  Fig.  36  annähernd  klar  herauskommt,  besteht  aus  zwei  neben 
einander  gestellten  Schmalbildern.     Das  linke  derselben  stellt  die  Geschichte 


192)  Vgl.  Sauermann,  S.  28  und  78—79.   Traeger,  »Halligen«  S.  254.    »Fries. 
Häuser«  S.  118. 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GEHMANISCHEN  MUSEUMS. 


des  Jonas  dar  mit  der  Inschrift  »Jonas«  und  dem  auf  dem  Rande  des  Schiffs- 
bildes  angebrachten  Jahresdatum  1 589.  Die  rechte  Hälfte  dagegen  wird  durch 
die  neutestamentHche  Parallele  zu  der  Jonas-Erzählung,  nämlich  durch  die 
Darstellung  der  Auferstehung  Christi  eingenommen.  Daß  diese  beiden  Bilder 
mit  Bewußtsein  als  korrespondierende  Stücke  des  alten  und  neuen  Testa- 
mentes auch  hier  dargeboten  werden,  das  beweist  mit  völliger  Sicherheit  die 
Inschrift,  die  in  einer  Kartusche  das  ganze  untere  Viertel  der  Platte  einnimmt : 
»Matth.  XII.  I  Wie  Jonas  War  3  Tage  Vnd  3  Nacht  |  In  des  Wahlfisches 
Bavch  Also  Wird  |  Des  Menschen  Son  3  Tage  Vnnd  3  |  Nacht  Mitten  In  Der 
Erden  |  Sein.« 

Diese  Ofenplatten  sind  in  mehrfacher  Beziehung  interessant,  sie  legen 
sowohl  für  die  Geschichte  des  eisernen  Bileggers  wie  für  den  Geschmack 
der  Friesen  Zeugnis  ab.  Es  ist  klar,  daß  die  biblischen  Darstellungen  dem 
frommen  Sinne  der  Bewohner  sehr  willkommen  waren,  besonders  scheint  das 
Kreuzigungsbild  auf  der  Vorderplatte  des  Ofens  mehrfach  üblich,  wenn  nicht 
geradezu  typisch  gewesen  zu  sein,  auch  an  einem  anderen  Halligofen,  dem 
auf  Fig.  39  dargestellten  tritt  es  uns  entgegen.  Das  Jonasbild  dagegen  war 
ich  zuerst  geneigt,  mit  dem  Namen  des  Grafen  von  Waldeck,  den  ich  infolge 
der  Rostnarben  als  »Jonas«  gelesen  hatte,  in  Beziehung  zu  setzen.  Allein 
es  ist  kein  Zweifel,  daß  es  sich  um  Josias  von  Waldeck  handelt,  und  so  kann 
auf  ihn  keine  Rücksicht  bei  der  Beurteilung  des  Bildes  genommen  werden. 
Nun  aber  zählt  auch  Sau  ermann  unter  den  verschiedenen  Ofendarstellungen 
die  Geschichte  des  Jonas  mit  an  erster  Stelle  als  eines  der  am  häufigsten  ge- 
wählten biblischen  Motive  auf,  und  wir  können  nicht  in  Zweifel  darüber  sein, 
weshalb  es  gerade  die  Vorliebe  der  Friesen  erfahren  hat.  Bot  es  doch  eine 
willkommene  Gelegenheit,  nicht  nur  ein  Schiff,  das  volkstümliche  Lieblings- 
bild ,  darzustellen ,  sondern  sogar  einen  Walfischfänger ,  wie  er  jedem  See- 
manne von  seinen  Grönlandsfahrten  her  vertraut  war.  In  überraschender  Weise 
tritt  uns  hi^r  die  Tatsache  entgegen ,  daß  das  Volk  auch  aus  der  heiligen 
Schrift  sich  gewisse  Lieblingsgestalten  heraushebt ,  und  daß  von  ihren  Ge- 
schichten diejenigen  am  meisten  Volkstümlichkeit  finden,  die  in  irgend  einer 
Weise  sich  mit  dem  Empfinden  des  Volkes  oder  mit  seinen  äußeren  Lebens- 
bedingungen besonders  nahe  berühren.  Wie  die  soeben  zum  Christentum 
bekehrten  Sachsen  ihre  hellste  Freude  daran  hatten ,  wenn  im  Heliand  Petrus 
bei  der  Gefangennahme  Christi  voll  Kampfesmut  mit  gezücktem  Schwerte  auf 
den  Gegner  einhaut,  so  fand  bei  den  seefahrenden  Friesen  offenbar  die  Ge- 
schichte von  Jonas  und  dem  Walfisch  ein  besonders  lebhaftes  Verständnis, 
und  zumal  dieselbe  von  der  Kirche  als  vorbedeutend  für  die  Erlösungs- 
geschichte betrachtet  wurde,  so  ist  ihre  häufige  Darstellung  durchaus  be- 
greiflich. 

Über  die  Entstehung  unserer  Eisenplatten  gibt  die  Inschrift  »Josias 
Grave  (  vnd  Her.  Zv.  |  Waldeck  158..«  ziemlich  genaue  Auskunft.  Nach  der 
Stammtafel  des  Waldeck'schen  Hauses  kann  es  sich  dabei  nur  um  Josias 
handeln,  der  am  18.  März  1554  geboren  war  und  von  1578  bis  zu  seinem 
am  6.  August  1588  erfolgten  Tode  die  Regierung  führte.     Daß  die  auf  dem 


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VON  DR.  OnO  LAUFFER-FRANKFÜRT  A.  M. 


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Jonasbilde  befindliche  Jahreszahl  1589  mit  den  Regierungsdaten  nicht  überein- 
stimmt, kann  uns  in  der  Zuschreibung  nicht  wesentlich  beirren.  Wir  erkennen 
daraus  aber,  daß  die  Entstehung  der  betreffenden  Gußformen  um  einige  Jahre 
auseinanderfällt.  Die  Anfertigung  der  Platten  selbst  ist  unzweifelhaft  gleich- 
zeitig, man  kann  also  etwa  sagen  im  letzten  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhunderts 
erfolgt.  Ob  für  den  Eritstehungsort  die  Wahl  zwischen  mehreren  Waldeck'- 
schen  Eisenhütten  der  Zeit  frei  bleibt,  kann  ich  nicht  entscheiden.  Jedenfalls 
aber  wird  auch  durch  unseren  Ofen  die  Annahme ,  daß  die  Platten  zu  den 
nordfriesischen  Öfen  aus  Deutschland  bezogen  seien,  in  ihrer  Richtigkeit 
bezeugt. 

Auf  dem  Ofen  steht,  gegen  die  Fliesen  wand  sich  lehnend  der  Feuer- 
stülp, ein  aus  Messingblech  gefertigter,  mit  einem  Handgriffe  versehener 
Schirm,  unter  dem  man  den  Teetopf  oder  ähnliches  warm  zu  stellen  pflegte. 
Auch  er  hat  mannigfache  Verzierung  erfahren:  ein  reich  getriebenes  Band- 
omament  legt  sich  über  seine  Kanten/®*).  Dieser  Schmuck  sowohl  wie  der 
leuchtende  Glanz  des  Materials  haben  den  Stülp  offenbar  bald  vor  allem  zu 
einem  beliebten  Dekorationsstück  der  Stube  gestempelt ,  so  daß  hinter  diesem 
Schmuckzweck  seine  eigentliche  Funktion  als  Wärmehalter  mehr  und  mehr 
zurücktrat,  ja  man  ist  auf  diesem  Wege  schließlich  so  weit  gegangen,  daß 
man  an  Stelle  des  Stülps  eine  Messingschüssel  treten  ließ,  die  ihn  doch  nur  als 
Schmuckstück  ersetzen  konnte.  So  schreibt  wenigstens  für  die  Heidegegenden 
Mittelschleswigs  Meiborg  S.  108:  »Auf  dem  Ofen  steht,  sich  an  die  Wand 
lehnend,  die  blank  geputzte  Messingschüssel.« 

Wie  der  Stülp  so  strahlte  auf  den  Halligen  selbst  auch  der  Ofen  in 
besonderem  Glänze.  Der  stumpfe  Schimmer  der  sonst  üblichen  Graphitierung 
reichte  offenbar,  ganz  abgesehen  davon,  daß  er  auch  mit  der  Unannehmlich- 
keit der  leichten  Abfärbung  verbunden  war,  für  den  Nordfriesen  nicht  aus, 
und  so  fand  der  mehrfach  genannte  Reisende  Kohl  die  Halligöfen  mit  einem 
blanken,  dauerhaften,  schwarzen  Firniß  überzogen,  der  den  Ofen  in  Bezug 
auf  Reinlichkeit  ganz  unschädlich  macht*®*).  Wenn  also  der  Ofen  in  der 
Museumsstube  nur  graphitiert  ist,  so  entspricht  das  vielleicht  den  modernen 
lokalen  Verhältnissen,  nicht  aber  den  älteren,  die  auch  hier  den  friesischen 
Sinn  für  Sauberkeit  deutlich  erkennen  ließen. 

Ehe  wir  nun  den  Ofen  verlassen,  ist  endlich  noch  einiges  über  das 
Feuerungsmaterial  zu  sagen,  dessen  .die  Halligleute  sich  zu  bedienen  pflegten. 
Auch  in  dieser  Beziehung  stoßen  wir  im  Vergleich  zu  den  sonstigen  deutschen 
Gewohnheiten  auf  abweichende  Verhältnisse.  Wenn  freilich  für  die  friesischen 
Inseln  im  allgemeinen  und  besonders  für  Amrum  und  Sylt  das  Heidekraut 
als  Feuerungsmaterial  genannt  wird*®*^),  so  hat  das  an  sich  nichts  auffallendes, 
da  es  dem  bekannten  landschaftlichen  Charakter  entspricht.  Ähnlich  ist  es 
mit  dem  Torf,    den    die  Inseln   nach   Kohls   Angabe   aus    Husum   bezogen, 


194)  Siehe  unsere  Fig.  36   und  vergl.  dazu   bei  Meiborg  S   39  Abb.  45   ein   aus 
dem  Flensburger  Museum  stammendes  ähnliches  Stück. 

194)  Kohl  a.  a.  O.,  I  S.  66—67. 

195)  Vgl.  Hamm,  a.  a.  O.  S.  612  a  |  b.    Jensen,  a.  a.  O.  S.  369. 

lütteiluDgeo  aas  dem  germaD.  Nationalmuseum.    1904.  24 


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DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


wohin  er  von  der  Geest  gebracht  wurde^***).  Allerdings  gab  es  auch  auf  Föhr 
etwas  Torf,  doch  war  derselbe  wegen  seines  großen  Salzgehalts  zu  Koch- 
und  auch  wohl  zu  Heizzwecken  unbrauchbar.  Nur  Nordstrand  scheint,  we- 
nigstens früher,  einen  brauchbaren  Torf  geliefert  zu  haben,  denn  von  ihm 
besagt  eine  lateinische  Quelle  für  das  Jahr  1656:  »Est  etiam  ibi  ericetum 
quoddam  palustre,  fungosum  solum  et  terra  viscosa,  ex  qua  glebae  effo- 
diuntur,  quae  ad  solem  desiccatae  usum  lignorum  ad  ignis  fomentum  incolis 
suppeditant«'**^).  Jedenfalls  aber  war  im  Allgemeinen  das  Heidekraut  nicht 
ausreichend  und  der  Torf  durch  den  Bezug  von  auswärts  verteuert,  und 
da  Kohlen  und  Holz  ebenfalls  zu  hoch  im  Preise  standen,  so  bediente  man 
sich  eines  Brennmaterials,  welches  in  Mittel-  und  Oberdeutschland  wohl  nir- 
gends angetroffen  wird,  indem  man  den  Mist  von  Schafen  und  Kühen  mit 
Heu  und  Stroh  vermischte  und  trocknete  und  so  eine  Art  von  Torf  bereitete. 
Es  sind  das  die  je  nach  ihrer  Form  sogenannten  »Skolen«  oder  >Ditten«, 
die  als  bemerkenswertes  Brennmaterial  fast  von  allen  Forschern,  die  über 
die  äußere  Kultur  Frieslands  schreiben,  hervorgehoben  werden.  Auch  hier 
kann  ich  auf  eine  nähere  Angabe  Kohls  Bezug  nehmen,  der  sich  folgender- 
mai^n  darüber  äußert:  »Ich  sah  die  Düngerfladen,  welche  in  den  friesischen 
Dörfern  überall  auf  den  Zäunen,  Pfählen  und  Wallsteinen  zum  Trocknen  auf- 
geklebt sind,  mit  besonderem  Interesse  an,  da  ich  sie  ganz  ebenso  schon  in 
Südrußland  gesehen  hatte.  Die  Leute  sammeln  hier  nicht  nur  den  Dünger, 
so  wie  ihn  das  Vieh  auf  der  Wiese  ablegt,  sondern  sie  bringen  ihn  auch  mit 
den  Händen  in  eigene  Formen,  wie  in  den  südrussischen  Steppen.  Sie  haben 
auch  wie  die  Bewohner  der  Steppen  verschiedene  Namen  für  die  verschiedenen 
Arten  von  Kuchen,  die  sie  aus  dem  Mist  bereiten.  Die  runden  nennen  sie 
»Skolen«,  die  viereckigen  aber  »Ditten«^®®^.  Diese  Feuerungsart,  die  den 
Bauern  seines  besten  Düngers  beraubt;  wird  nur  verständlich,  wenn  man  be- 
denkt ,  daß  es  sich  um  Gegenden  handelt ,  wo  der  Ackerbau  nur  wenig 
oder  zum  Teil  garnicht,  die  Viehzucht  dagegen  in  reichstem  Maße  getrieben 
wird**^),  und  so  erklärt  sich  auch  die  von  Kohl  angezogene  Parallele  mit  der 
Gewohnheit  der  russischen  Steppenbewohner ,  die  sonst  vielleicht  etwas  Auf- 
fallendes haben  würde.  — 

Der  Ofen  der  Halligstube  bildet  das  letzte  Stück,  welches  wir  im  Zu- 
sammenhange ihrer  baulichen  Einrichtung  zu  besprechen  hatten.  Wir  ver- 
lassen ihn  jetzt,  um  zum  Schlüsse  noch  die  Ausstattung  mit  Möbeln 
und  Kleingerät  kennen  zu  lernen.  Auch  hier  begegnen  wir  dem  gleichen 
Geschmack,  der  uns  schon  an  den  Holzteilen  der  Wand  in  plastischer  Aus- 
stattung und  in  koloristischer  Behandlung  entgegen  trat.     Ich  kann  mich  also 


196)  Kohl,  a.  a.  O.  I  S.  100  und  103.     Jensen  S.  76—78.    Weigelt  S.  19. 

197)  Vgl.  Petr.  Sax,  De  praecipuis  rebus  gestis  frisionum  septentrionalium.  Hrsg. 
de  Westphalen,  Monumenta  inedita.    S.  1370.  Ao  1656. 

198)  Kohl,  a.  a.  O.  I  S.  103/4.   Vgl.  auch  Sach,  a.  a.  O.  S.  238.  Weigelt,  a.  a.  O. 
S.  19.    Jensen,  a.  a.  O.  S.  76—78. 

199)  Auch  auf  Sylt  wird  nach  Jensen  S.  139  nur  mit  Seegras  gedüngt,  während 
der  Mist  verfeuert  wird. 


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VON  DK.  orro  lauffer-frankfurt  a.  m. 


187 


in  dieser  Hinsicht  auf  manches  früher  Gesagte  beziehen,  und  über  die  tech- 
nischen Fragen,  die  ja  für  diese  Darstellungen  an  und  für  sich  nicht  im 
Vordergrunde  stehen,  darf  ich  um  so  eher  kurz  hinweg  gehen,  als  alle 
wichtigeren  Einzelstücke  auch  der  Halligstube  von  Dr.  Hans  Stegmann  im 
Zusammenhange  mit  den  übrigen  Holzmöbeln  des  Germanischen  Museums 
behandelt  sind. 

Wenn  wir  uns  erinnern,  daß  wir  das  Bett  der  Halligdönse  noch  als 
einen  fest  eingebauten  Kasten  antrafen,  so  ist  im  Gegensatze  dazu  um  so 
auffallender,  daß  die  Sitzgelegenheiten,  gerade  die  Stücke,  die  im  deutschen 
Bauernhause  sonst  am  längsten  ihre  von  Haus  aus  typische  Gebundenheit 
bewahrt  haben,  hier  völlig  mobil  geworden  sind.  Die  sonst,  in  alten  Bauern- 
stuben fast  immer  anzutreffende  Eckbank  fehlt  hier.  Wir  sehen,  djiß  die 
Stube  nur  Stühle  neben  den  teilweise  zu  gleichem  Zwecke  verwendeten 
Truhen  als  Sitzmöbel  enthält^^^).  Es  muß  aber  hervorgehoben  werden,  daß 
diese  Erscheinung  erst  eine  verhältnismäßig  junge  Errungenschaft  der  nord- 
friesischen Hauskultur  bedeutet.  Schon  aus  der  Geschichte  des  deutschen 
Hausrates,  die  der  Bank  als  allgemeinem  Sitzgerät  überall  ein  höheres  Alter 
als  dem  Stuhle  zuspricht,  könnte  man  das  schließen^®*),  es  ist  aber  auch  durch 
die  äußeren  Denkmäler  selbst  bezeugt,  und  es  scheint,  daß  im  Hallighause 
die  Bank  erst  während  des  19.  Jahrhunderts  dem  Stuhle  völlig  hat  weichen 
müssen.  In  den  60er  Jahren  war  sie  offenbar  noch  ein  typisches  Glied  der 
Stubeneinrichtung,  denn  Johansen  (S.  31)  berichtet  als  allgemein  gültig,  daß 
an  der  Fensterwand  eine  lange  hölzerne  Bank  gestanden  habe,  die  an  der 
Wand  befestigt,  also  nicht  mobil  war,  und  deren  Sitzbrett  aufgeklappt  werden 
konnte,  damit  die  Bank  zugleich  als  Lade  benutzbar  war.  Selbst  aus  jüngerer 
Zeit  wird  das  Vorhandensein  der  Bank  verschiedentlich  festgestellt,  Traeger 
fand  sie  mehrfach  noch  in  den  nordfriesischen  Häusern  des  Festlandes, 
Jensen  auf  Sylt,  das  im  Flensburger  Museum  aufgebaute  Zimmer  aus  Nieblum 
von  der  Insel  Föhr  (vergl.  Abb.  35)  enthält  unterhalb  der  Fensterreihe  und 
auch  an  einer  Seiten  wand  »aufgestellte  Banksitze«,  und  selbst  in  dem  alten 
Pfarrhause  der  Hallig  Hooge  fand  Meiborg  in  der  Wohnstube  noch  feste 
Bänfce«^«). 

Nach  alledem  darf  man  also  nicht  etwa  annehmen,  daß  die  Bank  dem 
Friesenhause  völlig  fremd  gewesen  sei.  Sie  ist  hier  nur  früher  als  in  den 
übrigen  deutschen  Landschaften  verschwunden,  und  die  oben  angeführten 
Mitteilungen  Johansens  scheinen  einen  Hinweis  zu  geben,  wie  die  Entwicklung 
vor  sich  gegangen  ist.  Dadurch,  daß  man  das  Sitzbrett  zum  Aufklappen 
einrichtete,  wurde  die  Bank  zu  einem  Doppelgerät,   und  sie  näherte  sich  so 


200)  Dem  entspricht  es  auch,  wenn  im  Jahre  1890  Uhle,  a.  a.  O.  S.  (66)  von  dem 
Föhringer  Hause  kurz  und  bündig  sagt:  > Bänke  fehlen«. 

201)  Vergl.  Heyne,  Wohnungswesen  S.  55.  108  ff.  Meringer,  Die  Stellung  des 
bosnischen  Hauses  und  Etymologien  zum  Hausrat  (Wiener  Sitzungsber.  Phil.-hist.  Cl. 
Bd.  CXLIV.  1901.  H.  6).     S.  97  ff 

202)  Vergl.  Träger,  Fries.  Häuser  S.  116/117.  Jensen  S.  198.  Sauermann 
S.  30,  88  u.  89.     Meiborg  S.  67,  Anm.  1. 


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188 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


sehr  dem  Kastenmöbel,  daß  von  der  fest  eingebauten  Bank  bis  zu  der  frei 
beweglichen  Sitztruhe  kein  großer  Schritt  mehr  war.  Indem  nun  diese 
letzteren,  die  ja  längst  vordem  schon  vorhanden  waren,  sich  an  die  Stelle  der 
Bank  setzten,  erhielt  zugleich  auch  der  Stuhl  als  Sitzmöbel  eine  erhöhte  Be- 
deutung. Wenn  er  aber  schließlich  allein  das  Feld  behauptet  hat,  und  zwar 
schon  zu  einer  Zeit,  wo  die  Bank  in  den  übrigen  deutschen  Bauernhäusern 
noch  zum  festen  Bestände  des  Hausrates  zählte,  so  muß  doch  innerhalb  der 
friesischen  Hauskultur  eine  bestimmte  Tendenz  vorhanden  gewesen  sein,  die 
jenes  Ergebnis  mit  vorbereiten  half.  Es  ist  nicht  unmöglich,  daß  der  oft 
genannte  friesische  Reinlichkeitssinn  zu  der  Entwicklung  beigetragen  hat, 
indem  er  die  leicht  als  Schmutzfänger  wirkenden  Winkel  unter  der  Bank  zu 
vermeiden  suchte  und  deshalb  den  beweglichen  Stühlen  den  Vorzug  gab. 
Andererseits  könnte  man  vielleicht  auch  geneigt  sein,  zur  Erklärung  auf  das 
holländische  Vorbild  hinzuweisen:  wir  erinnern  uns,  daß  auch  in  der  Hindelooper 
Kamer  keine  eigentliche  Sitzbank  vorhanden  war.  Indessen  durch  diesen 
Hinweis   wäre  die  Lösung  der  Frage  nicht  erreicht,   fondern  nur  umgangen. 

Die  Form  der  Halligstühle  wird  aus  unseren  Abb.  35,  36  und  39  hin- 
reichend klar.  Sie  ähneln  in  Bezug  auf  die  vielfache  Verwendung  von  Rund- 
stäben den  Stühlen,  die  wir  in  Hindeloopen  kennen  gelernt  haben,  weichen 
aber  in  ihrer  ganzen  mehr  gedrungenen  Form  wesentlich  von  jenen  ab. 
Besonders  fallen  an  ihnen  die  beiden  Sitzwangen  und  die  Lehnen  auf  durch 
eine  starke  Verwendung  von  mannigfach  profilierten  Säulchen  und  Stäbchen, 
sowie  an  den  breiteren  Holzflächen  durch  ein  in  Flachrelief  gehaltenes  Schnitz- 
werk, in  welchem  bärtige  starke  Männer,  Ungeheuer  des  Meeres,  Walroße 
und  Walfische  ihr  Spiel  treiben^^^).  H.  Sauermann  hat  in  einem  Artikel: 
»Schleswig-Holsteinische  Möbel«  im  Kunstgewerbeblatt  1889,  Bd.  V.  S.  59  flf. 
eine  genauere  Beschreibung  speziell  der  Stühle  gegeben,  bei  welcher  Gelegen- 
heit er  neben  zwei  anderen  Beispielen  auch  einen  von  der  Hallig  Langeneß 
stammenden  Stuhl  aus  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  abbildet.  Das  Material 
desselben  ist  ein  dunkles  ausländisches  Holz,  welches  Reste  von  Politur  zeigt 
und  ursprünglich  also  sicher  unbemalt  war.  Johansen  gibt  als  gewöhnliches 
Material  Eichenholz  an.  Daß  aber  auch  dieses  früher  meistens  unbemalt  war, 
ließe  sich  einmal  aus  der  Geschichte  des,  wie  wir  sahen,  erst  im  Laufe  des 
18.  Jahrhunderts  eindringenden  Kolorismus  schließen,  und  weiterhin  wird  es 
auch  direkt  bezeugt,  wenn  Biernatzki  S.  17  erzählt:  »Die  mit  losen  Kissen 
belegten  Stühle  und  der  Tisch,  der  durch  seine  Größe  den  Raum  der  Stube 
sehr  beengte,  waren  nur  von  ungefärbtem  Holze  und  verdankten  ihre  Politur 
allein  dem  beständigen  Gebrauch  und  der  fleißig  reinigenden  und  glättenden 
Hand«. 

Man  sieht  also  auch  hier,  daß  die  farbige  Ausstattung  des  Möbels  wie 
des  ganzen  Zimmers  erst  verhältnismäßig  jung  ist.  Als  typische  Farben 
nennt  Sauermann  rot,  gelblich  weiß,  blau  und  olivgrün,  genau  wie  wir  sie 
auch  an  den  Holzteilen  der  Wände  gefunden  haben,  und  wie  sie  an  den 
Stühlen  der  Halligdönse  selbst  zum  Teil  uns  entgegentreten. 

203)  Vergl.  johansen  S.  31. 


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VON  DR.  orro  lauffer-frankfurt  a.  m. 


189 


Schließlich  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  Sauermann  in  Profilen 
und  Ornament  holländischen  Einfluß  an  den  Stühlen  erkennt.  Die  Möglichkeit 
dafür  ist,  wie  ich  bereits  hervorhob,  durchaus  vorhanden.  Es  aber  im 
Einzelnen  nachzuprüfen,  dazu  würde  es  eines  umfangreichen  Materials  be- 
dürfen, über  dessen  Kenntnis  ich  leider  nicht  verfüge^®*). 

Die  Sitzfläche  der  Stühle  besteht  meistens  aus  Brettholz.  Feste  Polsterung 
fehlt  hier  wie  in  allen  anderen  Bauernhäusern  Deutschlands  noch  gänzlich, 
allein  der  erste  Schritt  dazu  ist  schon  seit  langer  Zeit  geschehen,  denn  auf 
Stühlen  und  Truhen  liegen  Kissen,  die  dem  hölzernen  Möbel,  wenigstens  in 
den  Augen  des  in  dieser  Beziehung  verwöhnten  Städters  erst  ihre  volle  Be- 
quemlichkeit verleihen.  Die  Bezüge  dieser  Kissen,  die  durchweg  als  Hausfleiß- 
arbeiten entstanden  sind,  präsentieren  sich  dem  Forscher  als  eine  interessante 
lokale  Spezialität,  die  in  einzelnen  Gegenden  Schleswig-Holsteins  noch  bis  in 
den   Ausgang  des   19.  Jahrhunderts  in   lebendiger  Übung  sich   erhalten    hat. 


Fig.  41.   Nordfriesisches  Stulillcissen  in  Noppenteclinilc  im  Qermanisclien  Museum. 

Sie  wurden  in  der  Weise  hergestellt,  daß  man  auf  einem  weitmaschigen 
einfachen  Grundgewebe  aus  Wolle  und  Leinen  mittelst  eingeknoteter  Woll- 
büschel oder  »Noppen«  eine  derbe  geometrische  Musterung  hervorbrachte, 
oder  aber  indem  man  auf  einem  ganz  leinenen  Grundgewebe  dicht  gesetzte 
Büschel  zu  einem  Muster  anordnete  und  dann  aufschnitt,  sodaß  sie  auf  dem 
Fond  eine  sammetweiche  Fläche  bildeten 2^^-^).  Fig.  41  gibt  eines  der  im 
Germanischen  Museum  befindlichen  derartigen  Kissen  wieder.  Aus  ihr  kann 
man  wenigstens  die  einfache  derbe,  meist  an  geometrische  und  lineare 
Formen    gebundene    Musterung    gut    erkennen,    während    der    an    denselben 

204)  Zum  Vergleich  verweise  ich  auf  den  von  H.  Stegmann  in  den  »Mitteilungen 
d.  Germ.  Mus.«  1903.  S.  116  Fig.  48  abgebildeten  und  ebenda  S.  119  besprochenen  Stuhl 
aus  dem  benachbarten  Ostenfeld,  mit  Stäbchen  und  Schnitzwerk,  rot  bemalt  und  mit 
strohgeflochtenem  Sitz. 

205)  Sauermann,  a.  a.  O.  S.  15/6  u.  20,1.  —  Kissen  mit  gewirkten  Überzügen 
bezeugt  für  das  Angler  Haus.  Hamm,  a.  a.  Ö.  S.  613b.  Über  Bankpolster  vergl.  Troels- 
Lund  >Tägl.  Leben«  S.  187. 


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190  DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Stücken  zu  Tage  tretende,  in  seiner  Feinheit  und  Treffsicherheit  geradezu 
erstaunliche  Farbensinn  nur  durch  die  farbige  Wiedergabe  einer  größeren 
Anzahl  solcher  Kissen  zur  Anschauung  gebracht  werden  könnte. 

Wie  lange  die  Kissen  bereits  in  Gebrauch  sind,  vermag  ich  leider  nicht 
einmal  annähernd  zu  bestimmen.  Daß  aber  für  ihre  Verwendung  ein  beträcht- 
liches Alter  angesetzt  werden  muß,  dafür  scheint  mir  der  nur  durch  eine 
lange  Übung  gefestigte  Geschmack  in  ihrer  Ausstattung  einen  sicheren  Beweis 
zu  liefern.  Die  Zahl,  nach  der  sie  in  einem  wohlausgestatteten  Hause  ange- 
troffen wurden,  war  für  bäuerliche  Verhältnisse  eine  sehr  bedeutende.  Wenn 
sogar  eine  von  Schiller  und  Lübben  II,  467  zitierte  einschränkende  Be- 
stimmung immer  noch  zwölf  Kissen  für  eine  Brautaussteuer  zuläßt  mit  den 
Worten:  »ok  en  schal  men  nyner  brud  mede  geven  beneyedes  Werkes  meer 
dan  eyn  vynsterlaken  unde  twelff  kistenkussene  edder  stöllkussene«,  so  kann 
man  mit  Sicherheit  daraus  schließen,  daß  sie  in  Wirklichkeit  in  noch  viel 
größerer  Anzahl  anzutreffen  waren.  — 

Wo  nun  wie  im  nordfriesischen  Hause  die  fest  eingebaute  oder  doch 
wenigstens  an  ihrem  von  Alters  her  gewöhnten  Platze  verharrende  Bank  ver- 
schwunden und  durch  Stühle  ersetzt,  das  Sitzgerät  also  mobil  geworden  ist, 
da  kann  man  im  allgemeinen  auch  annehmen,  daß  damit  zugleich  der  alte 
landschaftlich  charakteristische  Typus  in  der  Anordnung  der  Möbel  etc.  im 
Schwinden  begriffeti  ist.  Im  nordfriesischen  Hause  haben  aber  die  Stühle 
wenigstens  insofern  noch  ihren  typischen  Platz  bewahrt,  als  einer  von  ihnen 
meist  neben  dem  Ofen  (vgl.  Fig.  36  und  39),  zwei  aber  zur  Benutzung  für 
den  Hausherrn  und  die  Hausfrau  vor  der  Fensterwand  im  Ausbauer  stehen. 
Zwischen  diesen  beiden  letzteren  befindet  sich  der  Tisch,  der  sich  an  den, 
die  beiden  Fenster  trennenden  Wandpfeiler  anlehnt.  In  dem  Föhringer  Zimmer 
des  Flensburger  Museums  ist  er,  wie  unsere  Fig.  35  zeigt,  ein  schweres  Möbel 
mit  dicker  Holzplatte  über  dem  Tischkasten  und  mit  Kugelfüßen,  die  an 
holländischen  Einfluß  denken  lassen.  Viel  häufiger  aber  wird  der  sogen,  hol- 
ländische Tisch  angetroffen,  den  wir  schon  im  Hindelooper  Zimmer  kennen 
lernten,  ein  Klapptisch  mit  beiderseits  herabhängenden  Platten,  die  je  nach 
Bedarf  aufgeklappt  und  dadurch  hochgehalten  werden,  daß  man  die  im 
Scharnier  laufende  Hälfte  eines  der  Tischbeine  unterschiebt,  welches  zu  dem 
Zwecke  in  seiner  ganzen  Länge  von  oben  nach  unten  durchgespalten  ist. 
Da  diese  Vorrichtung  sich  auf  beiden  Seiten  findet,  so  kann  man  also  sagen, 
daß  der  Tisch  auf  zwei  ganzen  und  zweimal  zwei  halben  Beinen  ruhe,  eine 
Einrichtung,  die  auf  den  Beschauer,  der  ihr  zum  erstenmale  begegnet,  einen 
merkwürdigen  Eindruck  macht.  Traeger  hat  ihr  deshalb  auch  eine  ein- 
gehende Beschreibung  gewidmet  2^®) 

Zu  dieser  beschriebenen  Art  gehört  auch  der  in  der  Halligstube  unseres 
Museums  befindliche  Klapptisch.  Derselbe  ist  farbig  ausgestattet:  er  zeigt 
auf  blauem  Grunde  ein  graublau  gehaltenes  Rokoko-Kartuschenwerk  mitBlumen- 

206)  Traeger,  »Fries.  Häuser«  S.  117.  —  Über  den  Tisch  der  Halligdönse  vgl. 
auch  Sauermann,  a.  a.  O.  S.  32  und  Jensen  S.  205,6. 


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VOD  DR.  OTTO  LAÜFFER-FRANKFURT  A.  M. 


191 


ranken  von  roten  und  weißen  Rosen.  Darin  befindet  sich  auf  jeder  der 
Klappen  die  Darstellung  eines  Liebespaares,  die  nicht  ohne  Laune  die  Bilder 
eines  bescheidenen  und  eines  zudringlichen  Liebhabers  einander  gegenüber 
stellen. 

Neben  diesem  Klapptisch  sehen  wir  in  der  Dönse  noch  einen  zweiten, 
sehr  leicht  gebauten  Tisch  mit  Schublade  und  gedrehten  Beinen,  dessen  Be- 
malung in  grün  und  schwarz  durchgeführt  ist.  — 

Als  letzte  Möbelgattung,  die  ein  typisches  Glied  in  der  Ausstattung  der 
Hallig-Dönse  bildet,  und  die  wir  demgemäß  auch  schon  mehrfach  gelegentlich 
zu  erwähnen  hatten,  müssen  wir  endlich  noch  die  Truhe  nennen.  Dieselbe 
ist  in  zwei  Exemplaren  in  unserer  Stube  vertreten.  Die  eine  derselben  sieht, 
ebenso,  wie  es  auf  dem  mehrfach  erwähnten  Bilde  von  Alberts  der  Fall  ist, 
unmittelbar  vor  dem  Bettloche,  sodaß  die  Beiderwandvorhänge  noch  ein  wenig 
auf  das  über  sie  gebreitete  Truhenkissen  herabfallen  (vgl.  Fig.  36).  Die  Truhe 
selbst  zeigt  in  ihrem  Bau  die  auffallende  Erscheinung,  daß  sie  sich  nach  unten 


Fig.  42.    Truhe  in  der  Hallisr-Dönse  des  Qer manischen  Museums. 

Erworben  auf  der  Insel  Rom.     15.  Jahrh. 

leicht  verjüngt.  Sie  stammt  von  der  nordfriesischen  Insel  Rom,  und  sie  ähnelt 
in  ihrem  naturalistisch  gehaltenen  Ornament  ein  wenig  der  plastischen  Aus- 
stattung des  früher  erwähnten  Wandschrankes  mit  der  Jahreszahl  1586.  Dr. 
Hans  Stegmann,  der  ihre  Entstehungszeit,  wie  mir  scheint  mit  Recht  in 
das  17.  Jahrhundert  setzt,  hat  sie  in  den  »Mitteilungen«  1904  S.  108  näher 
besprochen.  Auf  ihn  sei  hiermit  verwiesen,  und  indem  ich  die  von  ihm  auf 
S.  106  gegebene  Abbildung  in  Fig.  42  wiederhole,  darf  ich  mich  der  Aufgabe, 
eine  genauere  Beschreibung  ihres  Schnitzwerkes  zu  geben,  überhoben  halten. 
Nur  das  eine  möchte  ich  auch  hier  hervorheben,  daß  dasselbe  seine  Motive 
deutlich  der  heimischen  Pflanzenwelt  entlehnt  hat.  Daß  das  Stück  am  Orte 
selbst  entstanden  ist,  muß  daher  wohl  als  wahrscheinlich  angenommen  werden. 
Freilich  wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  ob  es  sich  dabei  um  ein  Erzeugnis 
des  Hausfleißes  oder  um  eine  handwerksmäßige  Arbeit  handelt.  Der  letzteren 
Annahme  neigt  Sauermann  im  allgemeinen  zu,  denn  er  äußert  sich  dahin, 
daß  man   trotz   der  an   den  Hausgeräten  sich   offenbarenden  Geschicklichkeit 


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192 


DIE  BAUERNSTUBEN  DES  GBRMANISCBEN  MUSEUMS. 


der  Landbevölkerung  im  Schnitzen  doch  nicht  annehmen  dürfe,  daß  auch  die 
reich  geschnitzten  Truhen  und  Kasten  als  Hausfleißarbeiten  anzusehen  wären*"^. 

Die  Truhe  zeigt  in 'ihrem  heutigen  Zustande  die  reine  J^aturfarbe,  und 
es  ist  auch  keine  Spur  von  ehemaliger  Bemalung  daran  zu  entdecken.  Es 
ist  daher  höchst  wahrscheinlich,  daß  sie  von  der  ganzen,  im  übrigen  doch  so 
reich  sich  betätigenden  coloristischen  Geschmacksperiode  unberührt  geblieben 
ist,  und  auch  daraus  schon  könnte  man,  selbst  wenn  nicht  andere  Anhalts- 
punkte dazu  kämen ,  vermuten ,  daß  mit  ihr  eine  der  selteneren  Arbeiten  auf 
uns  gekommen  sei,  die  vor  die  große  Überschwemmung  vom  Jahre  1717  oder 
selbst  vor  diejenige  von  1634  zurückreichen. 

Unzweifelhaft  jüngeren  Alters  als  dieses  erstgenannte  Stück  ist  die  zweite 
Truhe*®®),  die  unter  dem  Wandschrank  zwischen  Eingangstür  und  Ausbauer 
ihre  Aufstellung  gefunden  hat.  Auch  bei  ihr  ist  die  Vorderseite  mit  reichem 
Schnitzwerk  versehen,  welches  neben  dem  erwähnten  Flechtband-Ornament 
zwischen  zwei  Blumenvasen  einen  Kranz  enthält,  in  dem  von  einer  Krone 
überragt  das  Doppelmönogramm  F  R  zu  lesen  ist.  Die  Bezeichnung  »Anno 
1751«  läßt  über  die  Entstehungszeit  keinen  Zweifel.  Im  Gegensatz  zu  der 
älteren  ist  diese  jüngere  Truhe  bemalt,  und  zwar  in  vorherrschend  blau,  grün 
und  rot. 

Der  Zweck  der  Truhen  ist  bekannt:  sie  enthalten  den  Hausschatz  von 
Leinenzeug ,  Feierkleidern  und  seidenen  Tüchern ,  und  sie  bergen  zugleich 
in  einem  Schiebfach  einzelne  Kleinodien  an  goldenen  Ringen  und  Ketten ,  die 
der  Halligbewohner  so  sehr  liebt^^*). 

Eine  Wiege  enthält  unsere  Dönse  nicht.  Das  Bild  einer  solchen  ist 
aber  auch  auf  Fig.  35  im  Vordergrunde  rechts  zu  sehen,  und  zwar  handelt 
es  sich  dabei,  wie  mir  scheint,  um  dasselbe  Exemplar,  welches  auch  M  ei  borg 
S.  90  in  Fig.  136  abbildet.  Er  versetzt  seine  Entstehungszeit  in  die  zweite 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  und  giebt  Nordstrand  als  Herkunftsort  an.  Über 
Bau  und  Dekoration  solcher  Wiegen  äußert  sich  Jensen  auf  S.  234/5  folgender- 
maßen: »Es  ist  interessant,  daß  die  Wiegen  auf  den  Inseln  in  ihrer  Form 
kaum  von  einer  Bettstelle  in  verjüngtem  Maßstabe  verschieden ,  namentlich 
ältere,  häufig  mit  biblischen  Bildern  bemalt  oder  mit  erhabenem  Schnitzwerk 
versehen  waren  und  sind.  Dieselben  sind  meistens  aus  Eichenholz  gefertigt 
und  die  Seitenwände  aus  mehreren  Täfelchen  zusammengestellt.  Auf  diesen 
ist  beispielsweise  die  Entwicklung  des  Kindes  oder  die  Geschichte  des  Jesus- 
kindes in  verschiedenen  Bildern  zur  Darstellung  gekommen.  Leider  sind  in 
der  Fluth  von  1825  viele  derartige  kunstvoll  ausgestattete  Wiegen  verloren 
gegangen.« 

Damit  ist  die  Reihe  der  Möbeln  in  der  Hallig-Dönse  erschöpft,  und  wir 
haben  nur  noch  einen  kurzen  Blick  auf  das  kleine  Gerät  zu  werfen,  welches 

207)  Sauermann,  Führer  S.  12  Anm. 

208)  Vgl.  Stegmann  a.  a.  O.  S.  108. 
209j  Biernatzki  a.  a.  O.  S.  17. 


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VON  DR.  OTTO  LAÜPFER-FRANKFÜBT  A.  M  193 

an  den  Wänden  des  Zimmers  verteilt,  den  verschiedensten  Aufgaben  des 
Haushaltes  zu  dienen  hat,  und  welches  dabei  doch  fast  durchweg  in  so  zier- 
lichen Formen  gehalten  ist,  daß  es  zugleich  zum  Schmuck  des  Raumes  bei- 
zutragen vermag.  So  hängt  an  dem  Pfeiler  zwischen  den  beiden  Fenstern  ein 
dreieckiges  Gestell,  der  sogenannte  »Tresor«,  grün  gestrichen  mit  roten  Kanten, 
auf  dessen  Querbrettern  Teetassen  und  ähnliches  Porzellangeschirr  Aufstellung 
gefunden  haben.  Die  Anfangsbuchstaben  der  Besitzerin  und  das  Jahr  der 
Entstehung  sind  in  der  Inschrift:  »17  S.  P.  80«  angegeben*^®).  An  der  ent- 
gegengesetzten Wand  neben  dem  Ofen  sehen  wir  die  Uhr,  den  zierlich  ge- 
schnitzten Pfeifenhalter  und  den  messingenen  Bettwärmer  (vgl.  Fig.  36),  lauter 
Gegenstände,  die  wir  fast  genau  in  gleicher  Form  schon  in  der  Hindelooper 
Kamer  kennen  gelernt  haben,  und  die  somit  wiederum  die  Ähnlichkeit  mit 
der  holländischen  Hauskultur  hervortreten  lassen.  Hier  wie  dort  hat  der  Bett- 
wärmer den  in  durchbrochener  Arbeit  gefertigten  Deckel,  dessen  Ornament 
an  unserem  Stücke  eine  Vase  mit  schweren  stilisierten  Blumenranken  und 
die  Bezeichnung:  »Ancke  Broders  —  Broder  Melfsen  1738«  trägt.  Die  Uhr 
als  solche  scheint  in  Schleswig  zuerst  an  der  Westküste  und  also  auch  wohl 
auf  den  Halligen  sich  eingebürgert  zu  haben.  Sie  war  hier  schon  in  der  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  bei  Großbauern  anzutreffen,  und  100  Jahre  später  hatten 
selbst  kleine  Leute  dort  schon  ein  Gehwerk,  Zeigerwerk  oder  Stubenwerk 
im  Gehäuse,  während  sich  zu  derselben  Zeit  in  anderen  Gegenden  z.B.  süd- 
lich von  Kolding,  selbst  ansehnliche  Höfe  noch  mit  einer  Sonnenuhr  oder 
mit  einem  Stundenglase  für  drei  oder  vier  Stunden  begnügten*^^).  Zieht  man 
diese  allgemeine  Geschichte ,  der  Verbreitung  der  Uhr  in  Nordfriesland  in  Be- 
tracht, und  nimmt  man  dazu,  daß  auch  Clement  S.  135  angiebt,  daß  die 
Stubenuhr  »gemeiniglich  eine  friesische  von  Holland  her«  gewesen  sei,  so 
kann  man  die  Vermutung  nicht  abweisen ,  daß  auch  ihre  Einführung  in  Nord- 
friesland dem  holländischen  Einfluß  zu  verdanken  sei.  Wie  in  Hindeloopen 
ist  auch  hier  das  Uhrwerk  zum  Schutz  gegen  den  Staub  mit  einem  weißen 
Leintuch  überhängt. 

Als  letztes  Stück  kleinen  Gerätes  finden  wir  über  dem  Guckfensterchen 
neben  der  Eingangstür  eine  Art  Präsentierteller  aufgehängt,  der  mit  reichem 
Schnitzwerk  ausgestattet  ist,  und  von  dem  man  mir  sagt,  daß  er  zum  Tragen 
der  Täuflinge  benützt  worden  sei.  —  Daß  in  der  Stube  des  Museums  das 
Mangelbrett  fehlt,  welches  auch  auf  den  Halligen  in  schöngeschnitzten  Exem- 
plaren als  Minnegabe  verschenkt  wurde  und  in  jedem  Hause  anzutreffen  war, 
und  daß  wir  ebenso  uns  vergebens  nach  der  üblichen  Feuerkieke  (dänisch 
»Kike«  oder  »Stof«)  umsehen,  ist  lediglich  als  Zufall  zu  betrachten,  der  eine 
noch  auszufüllende  Lücke  in  der  Stubenausstattung  erkennen  läßt. 


210)  Abbildungen  solcher  >Tresors<  finden  sich  beiSchwindrazheim  S.  137  und 
auf  dem  Halligblatt  des  Deutschen  Bauernhaus- Werkes  Abb.  27.  Für  die  Heidegegenden 
Mittelschleswigs  erwähnt  sie  Meiborg  S.  108. 

211)  Meiborg  S.  192.  —  Über  die  Geschichte  der  Uhr  in  Skandinavien  vgl. 
Troels-Lund,  >Tägl.  Leben<  S.  214—218.  —  Für  Sylt  gibt  auch  Jensen  S.  198  noch 
Stundengläser  an,  indem  er,  wie  es  scheint,  die  Zeit  um  1725  dabei  im  Auge  hat. 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Natioualmuseum.    1904.  26 


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^94  Dis  BAUERNSTUBEN  DBS  GERIUNISCHBN  MUSEUBC8. 


Ein  über  der  Eingangstür  angebrachtes  Schiffsbild,  sowie  das  von  der 
Decke  herabhängende  Schiffsmodell  sind  vor  allem  als  Erinnerungsstücke  auf- 
zufassen, während  die  auf  den  Gesimsbörten  aufgestellten  Porzellanteller  so- 
wohl als  Reiseandenken  wie  als  Dekorationsstücke  auf  den  Bewohner  der 
Stube  herabblicken.  In  diesem  Zusammenhange  ist  auch  noch  einmal  auf 
die  Nippsachen  hinzuweisen,  die  wir  in  dem  Glasschränkchen  der  Rückwand 
zu  bemerken,  schon  früher  Gelegenheit  hatten,  und  deren  Wertschätzung  den 
Nordfriesen  in  gleicher  Weise  mit  den  Holländern  wie  mit  den  Skandinaviern 
gemeinsam  war***). 

Ein  paar  merkwürdige  Dekorationsstücke  muß  ich  noch  erwähnen,  die 
zwar  in  der  Dönse  des  Museums  fehlen,  die  aber  sich  offenbar  allgemeiner 
Beliebtheit  erfreuten.  Kohl  schreibt  darüber  (I,  113 — 114):  »In  der  Mitte 
des  Zimmers  hingen  an  bunten  Schnüren  zwei  Glaskugeln,  die  inwendig  wie 
Spiegel  mit  Staniol  überzogen  waren  und  alle  Gegenstände  in  einem  Miniatur- 
bilde zurückspiegelten.  Solche  Glaskugeln,  so  groß  wie  Straußeneier,  findet 
man  hier  fast  in  jedem  wohleingerichteten  Zimmer.  Ich  weiß  nicht,  woher 
die  Leute  sie  beziehen«.  — 

So  nehmen  wir  von  der  Halligstube  Abschied,  indem  wir  mit  einem 
letzten  Überblick  noch  einmal  den  harmonischen  Eindruck  des  kleinen,  aber 
in  allen  Einzelheiten  für  Land  und  Leute  so  charakteristischen  Raumes  mit 
voller  Frische  auf  uns  wirken  lassen,  und  noch  einmal  überzeugen  wir  uns 
wie  zur  Kontrolle,  daß  auch  für  unsere  Dönse  die  Worte  zutreffen,  mit 
denen  We igelt  die  ihm  so  wohlvertraute  Halligstube  gepriesen  hat:  »Daß 
nur  Keiner  sich  auf  den  Eintritt  in  eine  ärmliche  Wohnung  gefaßt  mache! 
Alles  ist  hier  eigentümlich,  behaglich  und  im  höchsten  Grade  sauber.  Durch 
die  klaren  Fensterscheiben  dringt  das  Sonnenlicht  ungetrübt  und  beleuchtet 
ein  zum  Empfange  vorbereitetes  Zimmer.  Die  Wände  sind  mit  sogenannten 
Kacheln  ausgesetzt,  das  sind  gebrannte  und  mit  Glasur  überzogene  Steine, 
entweder  mit  Arabesken  oder  mit  Szenen  aus  der  biblischen  Geschichte  be- 
malt, wie  man  das  häufig  auf  alten  Öfen  findet;  an  den  Wänden  hängen 
Bilder,  zum  Teil  solche,  die  dem  Geschmack  keine  Schande  machen;  eine 
kleine  Büchersammlung,  in  welcher  die  Bibel  nicht  fehlen  darf,  ein  Glas- 
schrank mit  Porzellan  und  Silbergeschirr,  kurz  Alles  zeigt  uns  statt  der  er- 
warteten Armut  vielmehr  einen  gewissen  Grad  von  Wohlhabenheit,  besonders 
auf  den  größern  der  Halligen.  Der  Tisch  ist  mit  sauberm  Leinen  gedeckt, 
das  Wasser  brodelt  in  dem  blanken  messingenen  Kessel;  allerlei  Backwerk, 
gutes  Brot,  Butter  und  Käse  ist  für  den  Gast  zurecht  gestellt.  Das  Beste 
aber  sind  die  über  den  Besuch  frohen  Menschen«  ^^®). 

Die  Bekanntschaft  dieser  Menschen  selbst  muß  dem  Museumsbesucher 
versagt  bleiben,  aber  da  wir  ihr  Haus  und  ihre  Stube  musterten,  ist  auch 
von  ihrem  eigenen  Wesen  vor  unserem   geistigen  Auge   ein  Bild   erstanden; 


212)  Vgl.  Tröls-Lund,  >Tägl.  Leben«.  S.  214. 

213)  Weigelt,    a.  a.  O.  S.  25.  —  Ober  die   große  Sauberkeit  der  Friesen  vergl. 
Jensen  S.  80;  Johansen  S.  33.     Kohl  I.  S.  66/67.  113  und  173.  . 


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VON  DR,  OTTO  LAUFFER-FRANKFÜRT  A.  M. 


195 


denn  die  Wände,  in  denen  sie  leben,  erzählen  von  ihrer  Arbeit  und  ihren 
Gefahren,  von  ihrem  Glauben  und  von  ihrer  Empfänglichkeit  für  freundliches 
und  zierliches  Wesen  der  äußeren  Erscheinung,  und  über  dem  ganzen  Haus- 
rat liegt  ein  Glanz  und  ein  Schimmer,  daß  es  uns  ist,  als  sei  die  Hausfrau 
soeben  durch  die  Dönse  gegangen,  um  mit  säubernder  Hand  noch  einmal 
alles  für  unseren  Anblick  herzurichten. 


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LITERARISCHE  NOTIZEN. 

Das  St.  Jakobsportal  In  Regensburg  und  Honorlus  Augustodemensis.  Ein  Bei- 
trag zur  Ikonographie  und  Literaturgeschichte  des  12.  Jahrhunderts.  Von  Dr.  Jos.  Ant. 
Endres,  o.  Professor  am  k.  Lyceum  in  Regensburg.  Kempten.  Verlag  der  Jos.  Kösel- 
schcn  Buchhandlung.  1903.  VIII.  78  SS.  und  5  Tafeln. 

Der  reiche  Skulpturenschmuck  des  nördlichen  Portals  von  St.  Jakob  in  Regensburg 
hat  lange  den  Scharfsinn  der  Exegeten  beschäftigt.  Man  hat  den  Erklärungsgrund  in 
der  germanischen  Mythologie  gesucht  und  angesehene  Gelehrte  sind  dieser  Ansicht  bei- 
getreten. Man  hat  anderseits  auf  jede  eingehende  Deutung  verzichtend  in  den  Figuren 
und  Tieren  phantastische  Erfindungen  gesehen.  Auch  der  nächstliegende  Gedanke,  daß 
ein  christlich-kirchliches  Kunstwerk  seine  Erklärung  in  christlichen  Ideen  suchen  muß 
ist  nicht  unbeachtet  geblieben,  aber  auch  der  neueste  Versuch  von  Goldschmidt,  der  die 
Grundgedanken  im  Psalter  zu  finden  glaubte,  hat  nicht  vollkommen  befriedigt.  Endres 
legt  seiner  Erklärung  den  Kommentar  des  Honorius  Augustodemensis  zum  Hohen  Lied 
zu  Grunde  und  wenn  in  seiner  Beweisführung  einige  Einzelheiten  unbestimmt  bleiben,  so 
ist  sie  doch  im  Ganzen  unzweifelhaft  richtig.  Die  weit  ausholende  Arbeit  ist  methodisch 
vortrefflich  angelegt  und  durchgeführt  und  wohl  geeignet,  weiteren  Studien  in  dem  ent- 
legenen Gebiete  der  Symbolik  mittelalterlicher  Kunst  als  Grundlage  zu  dienen.  ß. 

Führer  durch  die  Fränkische  und  Hersbrucker  Schweiz  mit  den  Anhängen: 
Rad-Touren  und  Geologie  der  Fränkischen  Schweiz  (von  Dr.  W.  von  Knebel).  Heraus- 
gegeben von  Karl  Brückner,  Lehrer  in  Gößweinstein.  Mit  einer  Spezialkarte,  8  Kunst- 
druck-Illustrationen, 6  Plänen  und  einem  Routenkärtchen.  Wunsiedel,  Verlag  von  G. 
Kohler.  1904.  103  SS.  8. 

Ohne  das  unbillige  Urteil  des  Verfassers  und  des  Verlegers  über  die  bisher  vor- 
liegende Reiselitteratur  der  Fränkischen  und  Hersbrucker  Schweiz  unterschreiben  zu 
wollen,  können  wir  allen  Freunden  des  Wanderns  diesen  neuen  Führer  nach  alten 
Reisezielen  aufs  beste  empfehlen,  der  in  bündiger  Form  all  das  vorbringt,  was  einem 
leichtbepackten  Touristen  jeweils  an  Ort  und  Stelle  zu  wissen  nottut,  neben  dem  eigent- 
lichen >Führen«  aber  noch  Zeit  und  Gelegenheit  findet  für  die  mancherlei  Wunder  der 
Natur  (Geologie,  Flora,  Fauna)  den  Blick  zu  öffnen  und  hier  und  dort  geschichtliche 
Erinnerungen  wach  zu  rufen.  Das  mit  Karten,  Plänen  und  einzelnen  hübschen  Ansichten 
trefflich  ausgestattete  Büchlein  ist  zugleich  ein  beredtes  Zeugnis  der  schönen  Erfolge  des 
rührigen  Fränkischen  Schweiz-Vereins.  HH. 

Wasgaubllder  von  August  Becker.  Mit  dem  Bildnis  und  einem  Facsimile  des 
Verfassers.  Kaiserslautern.  Verlag  der  Thieme'schen  Druckereien,  G.  m.  b.  H.  1903. 
III  u.  203  SS.  8. 

Unter  dem  Titel  >Wasgaubilder«  werden  uns  sechs  farbenfrohe  Schilderungen 
heimatlicher  Wanderfahrten  aus  der  Feder  des  bekannten  pfalzischen  Dichters  geboten. 
Eine  pietätvolle  Hand  hat  diese  Blätter  aus  Aug.  Beckers  Nachlaß,  wie  sie  vorlagen,  zu 
einem  liebenswürdigen  Buche  vereinigt.  Wiederholte  Ausflüge  und  kleine  Reisen  durch 
die  südl.  Pfalz  und  ins  nördliche  Elsaß,  denen  eifriges  Durchforschen  einschlägiger  Quellen- 
werke und  Darstellungen  folgte  oder  voranging,  neue  Eindrücke  im  Verein  mit  sonnigem 


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UTERARISCHE  NOTIZEN. 


197 


Gedenken  einer  im  Banne  der  Hardtberge  verlebten  glücklichen  Jugend  haben  diese  an- 
sprechenden Studien  gezeitigt,  reich  an  bemerkenswerten  Gedenken  und  prächtigen  Be- 
obachtungen über  Land  und  Leute.  In  ansprechender  Form  schenkt  diese  seine  besten 
Erinnerungen  ein  begeisterter  Freund  und  feiner  Kenner  der  Naturschönheiten  des 
Mittelgebirgs,  der  bald  dem  Schauplatz  der  Waltharisage  nachspürt,  bald  verblassende 
Bilder  aus  geschichtlicher  Vergangenheit  aufrollt,  bald  auf  Goethe's  Wanderpfaden 
dahinschreitet  und  in  Sesenheim  sinnig  die  »Wallfahrt«  beschließt.  Die  Datierung  der 
einzelnen  Aufsätze  weist  freilich  wiederholt  eine  ganze  Spanne  Zeit  zurück  und  macht 
es  begreiflich,  daß  aus  dem  bunten  Strauß  hie  und  da  auch  wohl  ein  welkendes  oder 
vergilbtes  Blatt  herauslugen  mag,  die  Frische  und  Unmittelbarkeit  des  Ganzen  aber  wird 
die  nicht  wenigen  alten  Freunde  der  Becker 'sehen  Muse  »hüben«  und  »drüben«  nicht 
enttäuschen  und  neue  gewinnen.  H.  H. 

Beiträge  zur  Stoss-Porschung.  Veit  Stoss  und  seine  Schule  In  Deutschland, 
Polen  und  Ungarn.  Von  Berthold  Daun.  Mit  89  Abbildungen  in  Autotypie.  Verlag 
von  Karl  W.  Hiersem ann.    Leipzig  1903.    VIII  und  187  S.  8. 

Daun  stellt  Veit  Stoß  nicht  nach  der  üblichen  Art  als.den  Nürnberger  Künstler  hin,  von 
dem  sich  zufällig  einzelne  Werke  auch  in  Krakau  befinden,  sondern  er  läßt  seine  polnische 
Tätigkeit  ais  gleichberechtigt  neben  die  Nürnberger  treten  und  aus  beider  Vermischung 
seine  Eigenart  erwachsen.  Vielleicht  geht  Daun  hierin  etwas  zu  weit,  vielleicht  drängt 
er  die  Polonismen  in  Stoß'  Kunstcharakter  allzu  sehr  in  den  Vordergrund,  jedenfalls  ist 
aber  diese  Beurteilung  des  originellen  Künstlers  von  einer  höheren  Warte  aus  recht  er- 
freulich und  geeignet,  mehr  in  sein  Wesen  einzudringen  zu  lassen,  als  es  bisher  geschah. 

Allerdings  wurde  dadurch  die  Arbeit  wesentlich  schwieriger  und  man  wird  dem 
Verfasser  seine  Anerkennung  nicht  versagen  können  für  die  Sorgfalt,  mit  der  er  auf 
seinen,  in  jenen  Gegenden  bekanntlich  nicht  sehr  erfreulichen  Studienreisen  vorgegangen 
ist;  denn  er  hat  alle  polnischen  und  ungarischen  Werke,  die  in  den  Kreis  seiner  Arbeit 
fielen,  persönlich  untersucht  und  wieder  in  die  deutsche  Kunstgeschichte  eingeführt. 
Hand  in  Hand  damit  geht  die  Verarbeitung  der  ziemlich  reichen  polnischen  Stoßliteratur, 
die  den  meisten  deutschen  Kunstgelehrten  ebenfalls  unbekannt  gewesen  sein  wird. 

Mit  der  Behandlungsweise  der  authentischen  Werke  Stoß'  wird  man  durchaus  ein- 
verstanden sein  können.  Die  Charakterisierung  der  einzelnen  Stücke  ist  knapp,  viel- 
leicht hie  und  da  etwas  trocken;  doch  enthält  sich  Daun  durchaus  des  in  der  heutigen 
Kunstschriftstellerei  leider  nimmer  mehr  aufkommenden  einseitigen  Lobredens  und 
Schönfärbens  und  damit  aller  leeren  Phrasen.  Der  Autor  steht  auf  dem  Boden  einer 
rein  historischen  Behandlungsweise  und  vermeidet  deshalb  auch  durchgehends  die  bei 
der  deutsch-mittelalterlichen  Plastik  nur  sehr  bedingt  nützlichen  ästhetischen  Raisonne- 
ments. 

In  den  Zuschreibungen  kann  ich  Daun  nicht  voll  beipflichten.  Soweit  die  bei- 
gegebenen Abbildungen  ein  Urteil  zulassen,  komme  ich  gelegentlich  zu  abweichenden 
Ansichten,  auch  die  Worte  Dauns  vermögen  mich  dort  nicht  zu  überzeugen ;  so  beispiels- 
weise bei  der  Grabplatte  des  Bischofs  Johannes  V.  Gruszcynski  im  Dom  zu  Gnesen. 
Dem,  was  er  von  den  Werken  im  Germanischen  Museum,  die  natürlich  einen  großen 
Raum  in  der  Arbeit  einnehmen,  mitteilt,  kann  ich  durchweg  zustimmen.  Daun  will  nur 
nach  authentischen  Werken  zuschreiben,  allein  tatsächlich  wird  er  doch  hie  und  da  diesem 
einzig  richtigen  Prinzip  untreu  und  läßt  die  Kette  länger  werden.  Daß  die  Resultate 
damit  anfechtbar  und  für  das  Gesamtbild  störend  werden,  ist  selbstverständlich. 

Die  Stoß-Schule,  die  in  der  üblichen  Beurteilung  der  fränkischen  Plastik  eine  große 
Rolle  spielt,  wird  auch  bei  Daun  sehr  breit  behandelt,  allerdings  tritt  hier  im  Unterschied 
zu  früheren  Arbeiten  über  Stoß  sehr  wesentlich  Polen  und  Oberungam  auf.  Meiner  An- 
sicht nach  sollte  man  die  Werkstatt-  und  Schularbeiten,  mit  denen  die  Kunstgeschichte 
ja  stets  zu  rechnen  hat,  auf  ein  Minimum  beschränken.  Meist  sind  es  doch  nur  Werke, 
die  in  dieser  oder  jener  Hinsicht  den  authentischen  Arbeiten  eines  Meisters  ähneln,  in 
anderem  ihnen  aber   direkt  widersprechen.    Je  nach  den  Richtlinien,  die  man  sich  bei 


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198 


LITERARISCHE  NOTIZEN. 


der  Betrachtungsweise  gezogen  hat,  je  nach  den  Voraussetzungen,  mit  denen  man  vor 
das  Bildwerk  tritt,  wird  man  bald  bei  diesem,  bald  bei  jenem  Meister  Analogien  finden, 
und  so  wandern  denn  auch  derartige  Arbeiten  in  den  Kunstgeschichten  und  den  Kunst- 
monographien heimatlos  vom  einen  Meister  zum  andern  und  schaden  der  richtigen  Er- 
kenntnis mehr  als  sie  nützen.  In  streng  wissenschaftlichen  Arbeiten  sollte  deshalb  die 
Kritik  engere  Grenzen  ziehen  und  sich  bei  zweifelhalten  Werken  mit  allgemeinen  Be- 
zeichnungen begnügen. 

Das  Kapitel  >Stanislaus  Stoß«  würde  ich  gerne  vermißt  haben,  denn  alle  hier  ge- 
nannten Arbeiten  wären  mit  Recht  der  Stoß-Schule  einzureihen  gewesen.  Die  Zuweisung 
dieser  einen  individuellen  Zug  tragenden  Gruppe  an  jenen  erstgeborenen  Sohn  Meister 
Veits  ist  gänzlich  hypothetisch.  >Von  allen  besprochenen  Schulwerken,  die  mit  Veit 
Stoß  eng  zusammenhängen,  von  ihm  aber  nicht  gefertigt  sind,  stehen  diese  Schnitzreliefs 
der  Qualität  nach  am  höchsten  und  rühren  von  dem  bedeutendsten  Schüler  des  Veit 
Stoß  her.  Dieser  war  sein  Sohn  Stanislaus.«  Das  ist  meines  Erachtens  kein  genügender 
Grund,  um  jene  Werke  mit  Stanislaus  in  Beziehung  zu  bringen,  und  kein  Mittel,  jenen 
urkundlich  mehrfach  genannten  Meister  künstlerisch  faßbar  zu  machen. 

Die  beiden  Schlußkapitel  wollen  auf  negative  Weise  klärend  wirken,  indem  in 
ihnen  zu  den  anderweitig  dem  Stoß  zugeschriebenen,  von  Daun  aber  ihm  abgesprochenen 
Arbeiten  Stellung  genommen  wird  Daun  muß  hierbei  die  Wolgemutfrage  aufrollen  und 
kommt  in  seinen  Untersuchungen  auf  eine  große  Zahl  Nürnberger  und  in  der  Umgebung 
Nürnbergs  befindlicher  Altäre  und  Einzelstatuen  zu  sprechen.  Naturgemäß  ist  dabei 
alles  hypothetisch.  Mit  besonderer  Freude  ist  es  zu  begrüßen,  daß  Daun  mit  den  fast 
traditionell  gewordenen  Beziehungen  der  Nürnberger  Madonna  zu  der  Pieta  in  der  Nürn- 
berger Jakobskirche  bricht.  Beide  Werke  haben  doch  nur  recht  wenig  mit  einander 
gemein  und  erwachsen  auf  dem  Boden  verschiedener  Kunstanschauung,  so  daß  es  ver- 
wundem muß,  daß  diese  Zusammenstellung  immer  wiederkehrte.  In  der  Nürnberger 
Madonna  sieht  auch  Daun  der  herrschenden  Ansicht  gemäß  ein  Werk  des  Vischerkreises ; 
ob  man  seiner  Zuweisung  der  Pieta  an  Wohlgemut,  die  mit  Analogien  am  Crailsheimer 
Altarschrein  begründet  wird,  zustimmen  darf,  ist  mir  noch  zweifelhaft. 

Das  Daunsche  Buch  besitzt  den  großen  Vorzug,  daß  das  weit  zerstreute,  dem 
Leser  im  allgemeinen  nicht  zugängliche  Material  fast  durchweg  in  Abbildungen  wieder- 
gegeben ist;  und  wenn  auch  die  Autotypien  vielleicht  etwas  zu  klein  für  Detailunter- 
suchungen sind,  so  ist  doch  die  Möglichkeit  gegeben,  die  Ansichten  des  Verfassers 
nachzuprüfen  und  wirklich  mit  dem  Lebenswerk  Stoß'  bekannt  zu  werden.  Auf  jeden 
Fall  ist  die  Arbeit  ein  trefflicher  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen  Plastik  und  wird 
nach  mancher  Richtung  hin  belehrend  wirken.  Im  allgemeinen  geht  aber  aus  ihr  doch 
hervor,  daß  Stoß  nicht  die  künstlerischen  Qualitäten  besaß,  die  seinen  hohen  Ruhm  in 
der  Gegenwart  rechtfertigten.  Er  war  ein  tüchtiger  und  geschickter  Mann,  kein  hoch- 
fliegender Geist;  als  >Donatello  der  deutschen  Kunst«,  wie  Daun  ihn  nennt,  möchte  ich 
ihn  nicht  bezeichnen.  Dr.  W.  Josephi. 


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Inhaltsverzeichnis  zum  Jahrgang  1904 

der 

Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum. 


Seite 
Die  Bauernstuben  des  Germanischen  Museums.    Von  Dr.  Otto  La uffer- Frank- 
furt a.  M.    (Mit  2  Tafeln.) 3,  143 

Die  Holzmöbel  des  Germanischen  Museums.     Von  Dr.  Hans  Stegmann.    .    .   .45,  101 
Das  angebliche  Hirschvogel-Porträt  von  G.  Pencz  in  Karlsruhe.    Von  Friedrich 

H.  Hofmann.    (Mit  1  Tafel.) 71 

Zu  Dürers  Stich  B.  98.    Von  Alfred  Hagelstange 78 

Eine    Folge   von  Holzschnitt  -  Porträts  der   Visconti   von    Mailand.    Von    Alfred 

Hagelstange 85 

Zu  H.  S.  Beham.    (Pauli  832.)    Von  Dr.  E.  W.  Bredt 121 

Der  Monatsreiter,   Fechter  und  Fahnenschwinger  Sebastian  Heußler  zu  Nürnberg. 

Von  Hans  Boesch 137 

Literarische  Besprechungen : 

Rembrandt  von  Carl  Neumann.    Von  Dr.  E.  W.  Bredt 122 

Literarische  Notizen 38,  80,  133,  196 


U  C.MtMid.  NürnMrg. 


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Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum.     1904. 


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Fig.  22     Fensterwand  d 


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Taf.  I. 


>r   Hindelooper  Kamer. 


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Mitteilungen   aus   dem    Germanis 


Nationalmuseum. 


Tafel    II. 


Bildnis  von  Q.  Pencz  in  der  Qrossherzosrlichen  Kunsthalle 
zu  Karlsruhe. 


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Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum.     1904. 


Taf.  III. 


Fig.  36.    Ofenwand  4er  Hallig-Dönse  Im  Oermaniachen  Museum. 


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Mitteilungen 


AUS  DEM 


Germanischen  Nationalmuseum 


HERAUSGEGEBEN 


VOM  DiRECTORIUM. 


JAHRGANG  1905. 

MIX  ABBILDUNGEN. 


NÜRNBERG 

VERLAGSEIGENTUM  DES  GERHANISCHEN  MUSEUMS 
1905. 


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JÖRG  BREU'S  HOLZSCHNITTE  IM  KONSTANZER  BREVIER 

VON  1516. 

VON 
ALFRED  HAGELSTANGE 


ie  folgenden  Zeilen  treten  nicht  mit  dem 
Ansprüche  auf,  als  Wegweiser  durch  unent- 
decktes  Neuland  zu  dienen,  sondern  be- 
gnügen sich  mit  der  ungleich  bescheideneren 
Aufgabe,  die  schon  früher  angelegten  Wege 
zu  ebnen,  weiter  auszubauen  und  hie  und 
da  einen  Seitendurchblick  zu  schaffen,  der 
auf  die  Nebenpfade  etwas  Licht  wirft,  sodaß 
auch  deren  Richtungslinien  klarer  und  be- 
stimmter hervortreten,  als  das  bislang  der 
Fall  war.  Das  Verdienst,  Jörg  Breu  zuerst 
als  den  Zeichner  der  Illustrationen  unseres 
Breviers  ^)  erkannt  zu  haben,  gebührt  Robert 
Stiassny,  der  seine  interessanten  Forschungen  im  VII.  Jahrgang  der  Zeit- 
schrift für  christliche  Kunst  (1894)  niedergelegt  hat.  Fr.  Dörnhöffer  akzep- 
tierte diese  Zuschreibung  im  Jahrbuch  der  kunsthistorischen  Sammlungen  des 
allerhöchsten  Kaiserhauses  (XVIII.  1897),  während  Campbell  Dodgson's  Aus- 
führungen im  Jahrbuch  der  kgl.  preußischen  Kunstsammlungen  (XXI.  1900) 
noch  insofern  über  eine  Zustimmung  hinausgehen,  als  sie  die  Forschungen 
Stiassny's  in  nicht  unwesentlichen  Punkten  ergänzen.  Die  unbedingt  richtige 
Zuschreibung,  die  die  Annahme  Muthers,  daß  die  Illustrationen  mit  Burgk- 
mair  in  Verbindung  zu  bringen  seien,  hinfällig  machte,  begegnet  heute  kaum 
noch  irgendwelchen  Zweifeln,  sodaß  wir  dieses  Forschungsergebnis  ruhig  als 
die  Basis  weiterer  Untersuchungen  betrachten  dürfen. 

Die  Abbildungen,  die  wir  diesen  Zeilen  beigeben,  sind  samt  und  sonders 
erstmalige  Reproduktionen  in  der  Originalgröße  von  132X82  resp.  37X30  mm. 


1)  Panzer,  Ann.  VI.  145.  88.    Muther,  Bücherillustr.  964. 


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4  JÖBO  BRBU*S  HOLZSCHNITTB  IM  KONSTANZBR  BBEYIER  TON  1516. 

(Initialen).  Es  fehlt  von  den  Dlustrationen  des  Breviers  nur  der  Titelholz- 
schnitt (Maria  mit  Kind  zwischen  den  Heiligen  Konrad  und  Pelagius),  den 
wir  wiederzugeben  nicht  für  nötig  hielten,  da  sich  eine  sehr  gute  Faksimile- 
Reproduktion  nach  einem  fein  kolorierten  Exemplare  im  5.  Jahrgang  der 
Zeitschrift  für  Bücherzeichen  (1895.  Tafel,  nach  S.  98)  vorfindet,  während 
eine  zweite  Nachbildung  den  oben  erwähnten  Dodgson'schen  Aufsatz  ziert, 
wozu  dann  noph  eine  dritte,  wenn  auch  wesentlich  verkleinerte  Wiedergabe 
in  Wamecke's  heraldischen  Kunstblättern  kommt.  Dieser  Holzschnitt,  der 
in  den  Größenverhältnissen  etwas  von  den  übrigen  ganzseitigen  Illustrationen 
des  Breviers  abweicht  —  er  mißt  127X82  mm.  — ,  wird  von  L.  Gerster 
in  dem  eben  erwähnten  Jahrgange  der  Zeitschrift  für  Bücherzeichen  als  ein 
Exlibris  des  Konstanzer  Bischofs  Hugo  von  Landenberg  erklärt.  Dem  ist 
jedoch  nicht  so,  denn  die  gewählte  Zeichnung  kündet  uns  hier  nicht  den 
Besitzer,  sondern  vielmehr  den  Herausgeber  des  Buches.  Dies  findet  sich  in 
deutlicher  Weise  auf  der  dem  Holzschnitt  gegenüberstehenden  Textseite  aus- 
gesprochen, wo  wir  lesen: 

„ nos  Hugo  dei  et  apostolice  sedis  gratia  episcopus  Constantiensis 

Libellos:  quos  breuiaria  vocant de  nouo  diligenter  ac  laboriose 

bene  correctos   et  in  erratis  emendatos  Per  circumspectum   virum  Erhardutn 

Ratdolt:  Ciuem  Augustensem  :  Calcographum  accuratissimum Denuo 

imprimi  voluimus  es  iussimus,  Atque  in  huius  rei:  et  nostre  autoritatis 
testitnonium.  In  fronte  cuiuslibet  libelli  karunt  literarum  seriem  vna  cum 
armis  nostris  depingi  mandauimus "  *). 

Das  heißt  also:  Hugo  von  Landenberg  will  sich  durch  die  Aufnahme 
seines  Wappens  in  den  Titelholzschnitt  ausdrücklich  als  geistiger  Urheber 
der  Neuausgabe  des  Breviers  betrachtet  wissen.  Daß  auch  die  übrige  bild- 
liche Ausschmückung  des  Buches  auf  seine  Initiative  zurückzuführen  ist, 
dürfte  mehr  als  wahrscheinlich  sein,  denn  der  Konstanzer  Bischof^)  war  ein 
fein  gebildeter  Mann  mit  stark  ausgeprägtem  ästhetischem  Empfinden.  Ge- 
schmackvolle Eleganz  und  herrscherverkündende  Pracht  entsprachen  seiner 
aristokratischen  Natur  so  sehr,  daß  seine  künstlerischen  Unternehmungen  direkt 
als  Auslösungen  eines  persönlichsten  geistigen  Bedürfnisses  zu  betrachten 
sind.  Dieses  enge  Verhältnis  zur  Kunst,  das  eine  wirkliche  Herzensneigung 
zur  Grundlage  hatte,  spricht  sich  namentlich  in  den  verschiedenen  Bauten 
aus,  die  der  tätige  Kirchenfürst  ausführte.  So  ließ  er  das  Schloß  Hegi  bei 
Winterthur  ganz  neu  ausstatten,  schmückte  Burg  Arbon  mit  den  herrlichsten 
Gemächern*),  baute  Meersburg  weiter  aus  und  machte  Schloß  Markdorf  zu 
einem  herrlichen  Fürstensitze.  In  demselben  Maße,  wie  er  zu  seinem  per- 
sönlichen Vergnügen  gute  Bilder  und  kostbare  Miniaturen  erwarb,  ließ  er 
auch  Gemälde  in  Auftrag  geben,    um    sie    zum  Präsent   machen    zu   können, 


2)  Die  Abbreviaturen  sind  aufgelöst. 

3)  Näheres  über  ihn  bei  Studer,  Die  Edeln  von  Landenberg,  S.  55  ff. 

4)  Einen  Saal  dieses  Schlosses  birgt  jetzt   das  Schweizerische  Landesmuseum  in 
Zürich. 


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VON  ALFRED  HAGELSl^ANQE. 


wie  das  z.  B.  bei  dem  sogen.  Landenbergischen  Altar  der  Fall  sein  wird,  den 
jetzt  die  Karlsruher  Galerie  birgt. 

Unter  solchen  Voraussetzungen  kann  es  uns  nicht  Wunder  nehmen, 
daß  der  kunstliebende  Kirchenfürst  auch  die  Neuausgabe  des  von  ihm  ver- 
besserten Breviers  mit  einem  entsprechenden  künstlerischen  Buchschmuck 
ausgestattet  zu  sehen  wünschte.  Zweifellos  hat  er  Erh.  Ratdolt  gleich  bei 
Erteilung  des  Druckauftrages  eine  dementsprechende  Weisung  gegeben;  und 
dieser  hat  sich  dann  an  den  ihm  geeignetst  erscheinenden  Künstler  gewandt. 
Als  solcher  kam  aber  Jörg  Breu  aus  dem  Grunde  in  erster  Linie  inbetracht, 
weil  er  schon  Jahre  lang  für  die  Ratdolt'sche  Offizin  als  Illustrator  liturgischer 
Bücher  tätig  gewesen  war.  Noch  im  Jahre  vorher  (1515)  hatte  er  eine  zwei- 
bändige Oktavausgabe  des  Regensburger  Breviers  und  eine  Quartausgabe  des 
Missale  der  gleichen  Diözese  mit  Holzschnitten  geschmückt.  Beide  Werke 
tragen  allerdings  die  Adresse  Georg  Ratdolts;  doch  will  das  nichts  besagen, 
denn  dieser  Georg  Ratdolt  war  lediglich  Teilnehmer  am  Geschäfte  seines 
Vaters  Erhard.  Für  Erhard  Ratdolt  aber  arbeitete  Breu  bereits  seit  1504, 
in  welchem  Jahre  er  das  von  jenem  gedruckte  Konstanzer  Missale '^)  mit  zwei 
größeren  Holzschnitten  zierte.  Von  diesen  war  der  eine  ein  sogen.  Kanon- 
bild (der  gekreuzigte  Christus  zwischen  Maria  und  Johannes)*),  während  der 
andere  eine  dem  Titelholzschnitt  unseres  Breviers  durchaus  entsprechende 
Darstellung  aufweist:  Maria  mit  den  Konstanzer  Schutzheiligen  Konrad  und 
Pelagius  ^).  Vielleicht  hat  gerade  diese  Zeichnung  dem  bischöflichen  Auftrag- 
geber ganz  besonders  gefallen,  sodaß  er  auch  bei  seiner  neuen  Bestellung  den 
Wunsch  ausgesprochen  haben  mag,  das  Titelbild  des  Breviers  solle  im  Sujet 
dem  Holzschnitt  im  Missale  entsprechen  und  womöglich  auch  ebenso  wie  die 
übrigen  Illustrationen  von  dem  gleichen  Zeichner  entworfen  werden,  der  jenes 
ausführte. 

Wenn  man  die  beiden  Darstellungen  mit  einander  vergleicht,  dann  kommt 
es  einem  so  recht  zum  Bewußtsein,  wie  groß  der  künstlerische  Fortschritt 
war,  den  Breu's  Entwicklung  gerade  innerhalb  dieses  Dezenniums  zu  ver- 
zeichnen hat.  Die  ganze  rein  statuarische  Auffassung  des  älteren  Holzschnitts, 
dessen  Kompositionsweise  den  unmittelbarsten  Einfluß  gotischer  Altarwerke 
verrät,  ist  im  Brevier  zu  Gunsten  einer  weit  beweglicheren  Natürlichkeit  und 
Lebendigkeit  aufgegeben.  Der  auf  dem  Missale-Holzschnitt  sichtbare  Fußsockel 
der  Madonna  erscheint  hier  durch  das  viel  großer  gestaltete  Wappen  des  Bischofs 
gänzlich  verdeckt,  und  ebenso  ist  auch  die  architektonische  Umrahmung, 
dieser  eiserne  Bestand  des  gotischen  Altarbildes,  in  Wegfall  gekommen.  Nur  eine 
leichte  Reminiscenz   daran   ist  in   dem   oberen  Bildabschluß   übrig  geblieben. 


5)  Panzer,  Ann.  VI.  133.    Weale,  Catalogus  Missalium.  S.  58. 

6)  P.  III.  295.  2.  Schreiber,  380.  Von  Dodgson  a.  a.  O.  in  drei  verschiedenen 
Etats  nachgewiesen.  Eine  Abb.  nach  einem  Expl.  des  m.  Etat  bei  Hirth-Muther, 
Meisterholzschnitte  aus  vier  Jahrhunderten.    Tafel  91. 

7)  Schreiber,  2022.  Abb.  in  der  Zeitschrift  für  christliche  Kunst.  VI.  (1893)  Sp. 
293/294lund  in  der  Zeitschrift  fQr  Bücherzeichen.   V.  (1895)  Tafel,  nach  S.  96. 


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O  JÖRG  BRBU'S  HOLZSCHNITTE  IM  KONSTANZER  BRETIER  VON  1516. 

der  allerdings  die  alte  gotische  Kleeblattform  im  Prinzip  beibehält,  im  übrigen 
aber  doch  durch  die  Wahl  des  Füllhorn-  und  Delphinmotives  deutlich  verrät, 
weß  Geistes  Kind  er  ist.  Bei  den  Figuren  fällt  die  Änderung  der  Tracht  des 
hl.  Pelagius  am  meisten  in  die  Augen,  die  vielleicht  deshalb  vorgenommen 
wurde,  weil  sie  dem  Zeichner  oder  dem  Besteller  zu  stutzerhaft  dünken  mochte. 


Abb.  1.    Bathseba  Im  Bade. 

Auch  die  Madonna  erscheint  etwas  verändert,  insofern  als  sie  den  alten  byzan- 
tinischen Schleier  abgelegt  hat,  sodaß  ihr  lockiges,  die  Schultern  bedeckendes 
Haar  im  vollen  Maße  zur  Geltung  kommt.  Zwar  hat  sie  in  der  ganzen  Auf- 
fassung etwas  von  ihrer  hoheitsvollen  Würde  und  stolzen  Heiligkeit  eingebüßt, 
dafür  aber  viel  an  echter,  schlichter  Mütterlichkeit  gewonnen,  deren  äußerer 
Ausdruck  die  innigere  Vereinigung  mit  ihrem  Kinde  ist.  Eine  einzige  Ver- 
böserung weist  der  neue  Holzschnitt  auf  in  dem  bischöflichen  Wappen,  bei 
dem  Inful  und  Pedum  im  Verhältnis  zum  Schild  etwas  zu  klein  geraten  sind. 


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VON  ALFRED  HAGELSTANGE. 


Doch  dürfte  dieses  heraldische  Versehen  für  die  Beurteilung  des  künstlerischen 
Wertes  völlig  belanglos  sein. 

Wenn  wir  diese  erste  Darstellung  in  der  Reihenfolge  der  Illustrationen 
des  Breviers  schlechthin  als  Titelholzschnitt  bezeichneten,  so  soll  damit  jedoch 
nicht  gesagt   sein,   daß   sie   die   erste  Seite   des  Andachtsbuches  schmückte. 


Abb.  2.    Die  VerkOndlgruns. 

vielmehr  findet  sie  sich  in  jeder  der  bis  jetzt  bekannten  Ausgaben  von  1516 
auf  der  Rückseite  des  zweiten  unbezeichneten  Blattes,  während  der  in  Rot- 
druck gehaltene  Titel  des  Buches®)  auf  der  Rückseite  des  ersten  zu  lesen 
ist,  sodaß  die  Vorderseiten  dieser  beiden  Blätter  des  Breviers  jeweils  leer  ge- 
lassen sind.  Die  übrigen  Illustrationen  zeigen  je  nach  der  Ausgabe,  die  sie 
schmücken,  eine  verschiedenartige  Einordnung  innerhalb  des  Rahmens  unseres 

8)  Breuiariü  juxta  riium  et  ordinem  atme  ecc^lie  Constan  studiose  ac  5  uigili  cura 
claboraiü. 


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S  JÖRG  BRETTS  HOLZSCHNITTE  IM  KONSTANZER  BREYIBR  VON  1516. 

Andachtsbuches.  Es  dürfte  daher  geboten  erscheinen,  zunächst  einmal  die 
Verschiedenheiten  der  einzelnen  Ausgaben  festzulegen,  was  an  der  Hand  der 
folgenden  bis  jetzt  bekannten  Exemplare  geschieht: 

A.  St.  Gallen.     Stiftsbibliothek.     Inc.  321. 

B.  München.     Hof-  und  Staatsbibliothek.     Liturg.  112.  (I.) 


Abb.  3.    Die  Berufung  Petri. 

C.  München.     Hof-  und  Staatsbibliothek.     Liturg.  112.  (IL) 

D.  München.     Hof-  und  Staatsbibliothek.     Liturg.  113. 

E.  Nürnberg.     Germanisches  Museum.     Inc.  8730. 

Von  diesen  fünf  Exemplaren  kannte  Dodgson  A.  B.  und  D.  Zwar  stimmt 
seine  Beschreibung  *)  von  B.  insofern  nicht,  als  er  von  kolorierten  Holzschnitten 
spricht,  allein  es  kann  gar  kein  anderes  Exemplar  in  Frage  kommen,    zumal 


9)  Jahrbuch  der  kgl.  preuß.  Kunstsammlungen.  XXI.  (1900)  S.  201. 


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VON  ALFRED  HA6ELSTAN6E. 


seine  weitere  Notiz  »das  farbige  Wappen  auf  dem  Titelblatt  ist  sehr  fehler- 
haft gedruckt«  durchaus  der  Wirklichkeit  entspricht.  Koloriert  sind  die  Holz- 
schnitte nur  in  D.,  und  zwar  in  sehr  übeler  Weise. 

Die  von  uns  aufgefundenen  zwei  weiteren  Exemplare  C.  und  E.  verteilen 
sich  unter  die  einzelnen  Ausgaben  derart,    daß  C.  sich  der  von  Stiassny^®) 


Abb.  4.    Petrus  und  Paulus. 

und  Dodgson  bereits  zitierten  zweiten  Auflage  anschließt,   während  E.    zur 
ersten  gehört.     Danach  ergibt  sich  folgende  Zusammenstellung: 

A.  =  erste    Ausgabe. 

B.  =  erste     Ausgabe. 

C.  =  zweite  Ausgabe. 

D.  =r  zweite  Ausgabe. 

E.  =  erste    Ausgabe. 

10)  Zeitschrift  für  christliche  Kunst.  VII.  (1894)  Sp.  108. 
Afitteilaofen  aus  dem  ^erman.  Nationalmaieiim.    1906.  2 


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lö  JÖRG  BRBÜ'S  HOLZSCHNITTE  IM  KONSTANZER  BREVIER  VON  1516. 


Innerhalb  dieser  beiden  Editionen  verteilen  sich  die  Abbildungen  folgen- 
dermaßen : 

1)  Maria  mit  Kind  zwischen  St.  Konrad  und  St.  Pelagius. 

I.  und  II.  Ausgabe.    (Expl.  A.  B.  C.  D.  E.):   Rückseite    des   zweiten 
unbezeichneten  Blattes  *  *). 


Abb.  5.    Das  Pflns:stfest. 

2)  Bathseba  im  Bade.  (Abb.  1.) 

1.  und  II.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  C.  D.  E.):   Fol.  1.  Sig.  A  I.  (Rucks.) 

3)  Die  Verkündigung.  (Abb.  2.) 

I.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.):  Fol.  70.  Sig.  a  II.  (R.) 

II.  Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  hat  diesen  Holzschnitt  nicht. 

11)  Bei  Expl.  E.  findet  sich  der  Holzschnitt  auf  der  Rückseite  des  ersten  unbe- 
zeichneten Blattes ;  doch  ist  diese  Abweichung,  da  durch  das  Fehlen  des  Titelblattes  erklärt, 
nur  zußLlliger  Art. 


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YON  ALFRED  HAGBLSTAN6E. 


11 


4)  Die  Berufung  Petri.  (Abb.  3.) 

I.   Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.)  Sig.  aa  I.  (R.) 
II.   Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  hat  diesen  Holzschnitt  nicht. 

5)  St.  Petrus  und  St.  Paulus.  (Abb.  4.) 

I.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.)  Fol.  2.  Sig.  AA  IL  (R.) 


Abb.  6.    Randeinfassung  mit  dem  Stammbaum  Jesse. 

IL. Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  Fol.  1.  Sig.  9191  L  (R.)  und  Fol.  2.  Sig. 
AA  IL  (R.) 

6)  Das  Pfingstfest.  Abb.  5.) 

I.   Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.)  hat  diesen  Holzschnitt  nicht. 
IL  Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  Sig.  91  I.  (R.) 

7)  Randeinfassung  mit  dem  Stammbaum  Jesse.  (Abb.  6.) 

L  und  IL  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  C.  D.  E.)  Fol.  2.  Sig.  A  IL  (Vorders.) 


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12  JÖB6  BREirS  HOLZSCHNITTE  IH  K0N8TANZEB  BRBVIBR  TON  1616. 

8)  Randeinfassung  mit  der  Jahreszahl  1515.  (Abb.  7.) 

I.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.)  Fol.  71.  Sig.  a  III.  (V.)  und  Fol.  3. 

Sig.  AA  m.  (V.) 
II.  Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  Fol.  69.  Sig.  A  II.  (V.)   und  Fol.  3.  Sig. 
AA  UI.  (V.) 


Abb.  7.    Randeinfassung  mit  der  Jalireszahl  ISIS.  T 

9)  Randeinfassung  mit  der  Jahreszahl  1516.  (Abb.  8.) 
t.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.)  Fol.  1.  Sig.  aa  II.  (V.) 
II.  Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  Fol.  2.  Sig.  «3t  II.  (V.) 
10;  Initial  B  —  David  mit  der  Harfe.  (Abb.  6). 

I.  und  II.  Ausgabe.   (Expl.  A.  B.  C.  D.  E.)   Fol.  2.  Sig.   A  II.  (V.) 
11)  Initial  D  —  Christus  als  Weltenrichter.  Abb.  7.) 
I.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.)  Fol.  71.  Sig.  a  III.  (V.) 
II.  Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  hat  diesen  Holzschnitt  nicht. 


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VON  ALFRED  HAGELSTANGE.  13 


12)  Initial  J  —  St.  Jakobus  (?)  und  St.  Andreas.  (Abb.  8.) 
I.  Ausgabe.  (Expl.  A.  E.  E.)  Fol.  1.  Sig.  aa  IL  (V.) 

II.  Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  hat  diesen  Holzschnitt  nicht. 

13)  Initial  E  —  Der  Evangelist  Lukas  mit  dem  Ochsen.  (Abb.  9). 

I.  und  II.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  C.  D.  E.)  Fol.  3.  Sig.  AA  III.  (V.) 


Abb.  8.    Randeinfassung  mit  der  Jahreszahl  1516. 

14)  Initial  V  —  Die  Ausgießung  des  hl.  Geistes.  (Abb.  10.) 

I.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.)  hat  diesen  Holzschnitt  nicht. 
II.  Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  Fol.  69.  Sig.  %  II.  (V.) 

15)  Initial  D  —  St.  Urban.  (Abb.  11.) 

I.  Ausgabe.  (Expl.  A.  B.  E.)  hat  diesen  Holzschnitt  nicht. 
II.  Ausgabe.  (Expl.  C.  D.)  Fol.  2.  Sig.  mi  II.  (V.) 
An   der  Hand   dieser  Zusammenstellung   ergeben   sich   für  den  Bestand 
der  Illustrationen  in  den  zwei  verschiedenen  Ausgaben  folgende  Unterschiede : 


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14  JÖRG  BREU'S  HOLZSCHNITTE  IM  KONSTANZER  BREVIER  VON  1516. 

Die  Verkündigung  (Abb.  2)  und  die  Berufung  Petri  (Abb.  3)  fehlen  in  der 
zweiten  Ausgabe,  die  an  Stelle  dieser  beiden  Holzschnitte  das  in  Ausgabe  I 
nicht  vorhandene  Pfingstfest  (Abb.  5)  sowie  eine  Wiederholung  der  Dar- 
stellung der  beiden  Apostelfürsten  (Abb.  4)  aufweist.  Außerdem  sind  in  Aus- 
gabe II  die  Initialen  D  (Christus  als  Weltenrichter;  Abb.  7)  und  J  (St.  Jakobus? 
und  St.  Andreas;  Abb.  8)  in  Wegfall  gekommen,  während  dafür  zwei  in  der 
ersten  Ausgabe  nicht  vertretene  neue  Initialen  V  (Die  Ausgießung  des  hl.  Geistes ; 
Abb.  10)1*)  und  D  (St.  Urban;  Abb.  11)»»)  aufgenommen  sind. 

Was  die  aus  der  Zusammenstellung  weiterhin  ersichtliche  Kongruenz 
der  Exemplare  A.  B.  E.  einerseits  und  C.  und  D.  andererseits  betrifft,  so 
erfährt  diese  nur  insofern  eine  kleine  Einschränkung,  als  zunächst  einmal 
Expl.  D.  im  Vergleich  zu  C.  eine  wohl  ausschließlich  auf  Rechnung  des 
Buchbinders  zu  setzende  falsche  Zusammenstellung  der  einzelnen  Teile  auf- 
weist. So  wenig  dieser  Unterschied  das  Wesen  des  Buches  berührt,  so  sehr 
ist  eine  bei  den  Expl.  A.  und  E.  zu  konstatierende  Abweichung  von  Wichtig- 


Abb.  9.    St.  Lukas.  Abb.  10.    Pfiiis:8tfest.  Abb.  11.    St.  Urban. 

keit,  da  sie  uns  den  Nachweis  liefert,  daß  das  Andachtswerk  nicht  —  wie 
die  Forschung  bisher  annahm  —  aus  einem,  sondern  aus  zwei  Bänden  be- 
steht. Ebenso  wie  bei  dem  in  der  gleichen  Offizin  erschienenen  Regensburger 
Brevier  von  1515  hat  man  auch  in  unserem  Falle  zwischen  einem  Sommer- 
und  einem  Winterteil  zu  unterscheiden;  sodaß  Expl.  A.  und  E.,  wie  sich 
aus  dem  Index  am  Eingang  resp.  Schluß  der  Bände  ergiebt,  Beispiele  des 
Winterteils  unseres  Breviers  wären,  während  alle  übrigen  (B.  C.  D.)  Beispiele 
von  Sommerteilen  sind,  und  zwar  B.  von  einem  Sommerteil  der  ersten,  C.  und 
D.  dagegen  von  solchen  der  zweiten  Ausgabe. 

Wenn  wir  nach  dieser  Übersicht  über  die  Verteilung  des  Illustrations- 
materials einen  Blick  auf  die  Kompositionen  selbst  werfen,  so  fällt  uns  bei 
den  Figuren  zunächst  das  Hauptcharakteristikum  des  Breu'schen  Zeichen- 
stiles auf:  schemenhafte,  marklose  Gestalten,  denen  ein  Knochengerüst  völlig 
abzugehen  scheint;  eine  Eigenart,  die  sich  auch  bei  der  graphischen  Dar- 
stellung von  Tierkörpern  wiederholt,  so  daß  z.  B.  das  Hündchen  auf  Abb.  1 
kaum    mehr    den   Eindruck   eines   Lebewesens  macht,   sondern   eher   an  ein 


12)  Diese  Initiale  hat  schon  im  Sommerteil  des  Regensburger  Breviers  Verwendung 
gefunden:  Fol.  1.  Sig.  h  I.  (V.) 

13)  Dodgson  hat  diesen  Holzschnitt  merkwürdigerweise  übersehen. 


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VON  ALFRED  HAGELSTANGE.  15 


abgezogenes  Tierfell  erinnert,  von  dem  der  Kopf  noch  nicht  abgetrennt  ist. 
Die  Gesichter  der  Figuren  sind  zum  Teil  durch  Schlagschatten  verhüllt,  die 
durch  schräge  Schraffierung  gegeben  werden  und  des  öfteren  recht  unmotiviert 
auftreten.  Diese  Art  der  Schattierung  ist  für  Breu  geradezu  typisch,  wenn- 
gleich auch  zugegeben  werden  muß,  daß  auch  andere  Meister  wie  z.  B. 
Weiditz  sich  ihrer  dann  und  wann  bedienen.  Charakteristisch  sind  ferner- 
hin die  tiefliegenden  Augen  sowie  die  stark  ausgebildete,  des  öfteren  seitlich 
verschobene  Unterlippe.  (Vgl.  bes.  Abb.  1  und  3.)  In  den  Gewandungen 
beobachten  wir  einen  leichten  ungezwungenen  Linienfluß,  der  nur  selten 
durch  krauses,  verästeltes  Gefältel  unterbrochen  wird,  das  hie  und  da  die 
typische  Form  von  länglichen  Nadelöhren  annimmt.  Die  Landschaft  zeigt 
lichte  Femen,  aus  denen  die  in  einfachen  Umrissen  gezeichneten  zackigen 
Bergformationen  scharf  heraustreten,  während  Vorder-  und  Mittelgrund  in  der 
Regel  durch  architektonische  Motive  belebt  sind^*). 

Diesen  Elementen,  aus  denen  sich  die  künstlerische  Gestaltungsweise 
Breus  in  der  Zeit  um  1515  zusammensetzt,  begegnen  wir  in  dem  schon  ge- 
nannten Regensburger  Missale  ebenso  wie  in  den  Holzschnitten  der  im 
gleichen  Jahre  bei  Hans  Miller  in  Augsburg  erschienenen  Reisebeschreibung 
des  Ritters  Ludovico  Vartoman  von  Bologna^**);  desgleichen  auch  in  den  für 
Breu  inbetracht  kommenden  Illustrationen  des  von  Hans  Schönsperger  jun. 
gedruckten  »Leiden  Jesu«^**)  des  Wolfgang  von  Man.  Diese  Arbeiten  zeigen 
unseren  Künstler  auf  dem  Höhepunkte  seines  Schaffens,  wo  er  in  wirklich 
modernem  Stilgefühl  die  Befangenheit  seiner  frühen  noch  durchaus  gotisches 
Empfinden  verratenden  Zeichnungen  überwunden  hatte,  ohne  aber  schon  dem 
lässig  flüchtigen  Manierismus  verfallen  zu  sein,  der  für  die  Arbeiten  aus  dem 
letzten  Jahrzehnt  seines  Lebens  (etwa  von  1525  an)  charakteristisch  ist,  so- 
daß  dadurch  eine  klare  Scheidung  dieser  späteren  Holzschnitte  von  denen 
des  jüngeren  Breu,  seines  Sohnes  —  der  nach  den  Augsburger  Handwerks- 
büchem*')  am  1.  Mai  1534  das  Zunftrecht  seines  Vaters  erhalten  hat  und 
elf  Jahre  nach  diesem  (1547)  gestorben  ist  —  immer  noch  erschwert,  ja 
nahezu  unmöglich  gemacht  ist. 

Wie  leicht  und  sicher  ihm  in  jener  Zeit  die  Wiedergabe  des  nackten 
menschlichen  Körpers  von  der  Hand  ging,  zeigt  der  gute  Akt  der  Bathseba 
auf  unserer  ersten  Abbildung,  die  als  weiteren  Vorzug  eine  sehr  glückliche 
Inszenierung  aufweist,  bei  der  trotz  aller  Mannigfaltigkeit  der  Motive  dennoch 
jede  Überladenheit  und  Schwulstigkeit  des   architektonischen  Aufputzes  ver- 


14)  Wer  mit  W.  Schmid  (Rep.  f.  Kunstw.  XIX.  1896.  S.  285)  und  Fr.  Dörn- 
höffer  für  Breu  eine  italienische  Reise  konstruieren  will,  findet  in  der  architektonischen 
Ausstattung  der  Landschaft  auf  Abb.  3  beachtenswerte  Motive. 

15)  Mut  her,  1020.  Eine  Reproduktion  des  Titelholzschnittes  findet  sich  im  Katalog 
der  Freiherrl.  von  Lipper  he  ide'schen  Kostümbibliothek  I,  S.  575;  ferner  auch  bei  Mühl- 
b recht,  Die  Bücherliebhaberei  in  ihrer  Entwicklung  bis  zum  Ende  des  XIX.  Jahrh. 
II.  Aufl.  S.  81. 

16)  Muther,  941. 

17)  Publiziert  von  Rob.  Vischer  in  den  >Studien  zur  Kunstgeschichte«.  S.  478  ff. 


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^6  JÖRG  BRETTS  HOLZSCHNITTE  IM  KONSTANZBR  BREYIER  VON  1510. 

mieden  ist,  wie  sie  sich  in  den  meisten  derartigen  Darstellungen  breit  macht, 
deren  uns  die  Renaissance  eine  ganz  erhebliche  Anzahl  geschenkt  hat.  Über- 
haupt hat  sich  Breu  in  diesen  Illustrationen  der  Renaissancearchitektur  nur 
in  der  geschmackvollsten  Weise  bedient.  Das  zeigt  uns  die  von  Säulen  ge- 
tragene offene  Kuppelhalle  auf  Abb.  2  ebenso  wie  das  einfache  von  Pfeilern 
flankierte  Portal  mit  dem  Muschelmotiv  im  Rundbogen  (Abb.  4).  Die  vor 
diesem  Torbogen  stehenden  Apostelfürsten  sind  kleine  Meisterstücke  indivi- 
dualisierender Gestaltungsweise;  Petrus:*®)  schwächUch,  bedächtig,  sorgenvoll, 
vergrämt  und  von  der  Last  der  Riesenschlüssel  und  Tiara  arg  bedrückt; 
Paulus:  energisch,  trotzig,  zielbewußt,  ein  Mann  der  Tat  und  jederzeit  bereit, 
das  locker  in  der  Hand  ruhende  Schwert  als  letztes  Mittel  zur  Durchsetzung 
seiner  festgefaßten  Entschlüsse  auszuspielen;  zwei  Repräsentanten  der  Kirche, 
wie  sie  von  der  graphischen  Kunst  kaum  jemals  in  glücklicherer  Weise 
einander  gegenüber  gestellt  worden  sind,  sodaß  selbst  Burgkmair's  großer 
Holzschnitt  aus  der  Sammlung  Mitchell  in  London*')  hinter  diesem  kleinen 
Blättchen  zurückbleibt.  Mit  dem  gleichen  Geschick,  wie  hier  bei  monu- 
mental-statuarischer Auffassung  dennoch  jede  statuenhafte  Erstarrung  einer 
gotischen  Zeichenweise  vermieden  erscheint,  sind  umgekehrt  die  Bewegungs- 
motive diskret,  aber  sicher  herausgearbeitet.  So  in  dem  schwebenden  Engel 
der  Verkündigung  (Abb.  2)  und  vor  allem  in  dem  aus  seinem  Fischerkahne 
heraussteigenden  Petrus  (Abb.  3),  während  der  Christus,  der  in  den  wesent- 
lichen Zügen  nur  eine  Vergrößerung  der  gleichen  Figur  aus  einer  Initiale 
des  Regensburger  Missales  von  1515^^)  ist,  eine  nicht  ganz  so  glückliche 
Figur  macht. 

Alles  in  allem  sind  die  kleinen  Blätter  treffliche  Beispiele  einer  ge- 
schickten Verarbeitung  neuer  stilistischer  Elemente,  und  zwar  nicht  nur  figür- 
licher, sondern  vor  allen  Dingen  auch  ornamentaler,  wie  uns  die  in  Abbildung  7 
und  8  wiedergegebenen  Randleisten  zeigen,  für  die  der  Motivenschatz  der 
italienischen  Frührennaissance  den  Bestand  von  Balustersäulen,  Festons,  Füll- 
hörnern, Bändern,  Perlschnüren,  Zierschilden  und  Schrifttäfelchen  abgegeben 
hat.  Eine  ausgesprochen  gotische  Stilisierung  zeigt  nur  die  Randzeichnung 
mit  dem  Stammbaum  Jesse  (Abb.  6),  während  das  Vollbild  mit  der  Dar- 
stellung des  Pfingstfestes  in  dem  stilistischen  Rahmen  der  übrigen  Illustra- 
tionen überhaupt  keinen  Platz  hat. 


18)  Vergl.  den  Typus  des  Heiligen  auf  den  Titelholzschnitten  des  Regensburger 
Missales  sowie  des  Breviers  von  1515.  Eine  sehr  nahe  Verwandtschaft  mit  dem  letztge- 
nannten von  Dodgson  abgebildeten  Holzschnitt  zeigt  Schäuffeleins  St.  Petrus  auf 
Sig.  O  IV.  (V)  vom  *DrU  Thail  Christenlicher  Predigen  .  .  .  Durch  Johann  von  Eck  ,  .  .< 
(Ingolstadt,  Verl.  Jörg  Krapff  und  Jakob  Vogker.  1531).  Der  gleiche  Holzschnitt  findet 
sich  wieder  in  >Quintae  partis  Johan,  Eckii  in  Lutherum  et  alios.  Tomus  Tertius 
Homiliarum  de  Sanctis.^  (Augsburg,  Alexander  Weyssenhorn ,  1534.)  Sig.  M  in. 
(V.)  Vermutlich  ist  er  erstmalig  in  dem  1513  erschienenen  »Heiligenleben«  vertreten,  das 
Hans  Othmar  in  Augsburg  für  den  Verleger  Johann  Rynmann  druckte. 

19)  Hirth  und  Mut  her,  Meisterholzschnitte  aus  vier  Jahrhunderten.    Tafel  85/86. 

20)  Initiale  D.    (Der  reiche  Fischfang).    Fol.  CC.  Sig.  A  I.  (V.) 


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VON  ALFRED  HAQELSTANGE. 


17 


Dieser  schlecht  geschnittene  Holzschnitt  wird  von  Stiassny^^)  ebenfalls 
Breu  zugeschrieben,  während  Dodgson^^)  die  Ansicht  vertritt,  daß  er  mit 
unserem  Künstler,  ja  wahrscheinlich  sogar  mit  der  Ratdolt'schen  Offizin,  nicht 
das  mindeste  zu  tun  habe.  Zur  letzteren  Auffassung  konnte  er  nur  dadurch 
gelangen,  daß  er  das  Blatt  bloß  als  einen  zufälligen  Bestandteil  eines  be- 
stimmten Exemplares  unseres  Breviers  erklärte;  er  glaubte,  der  Holzschnitt 
sei  nur  versehentlich  in  das  Expl.  D.  eingeklebt  worden.  Daß  dem  nicht 
so  ist,  zeigt  das  von  uns  aufgefundene  Expl.  C,  das  von  dem  betreffenden 
Blatte  eine  bei  weitem  deutlichere  Vorstellung  zu  geben  vermag,  als  dies 
bei  D.  der  Fall  ist,  wo  der  Holzschnitt  durch  eine  rohe  Kolorierung 
auch  noch  die  wenigen  Qualitäten  verloren  hat,  die  ein  nicht  sehr  geschickter 
Formschneider  von  der  Originalzeichnung  übrig  gelassen  hat.  Daß  Dodgson 
im  Hinblick  auf  dieses  arg  geschändete  Exemplar  den  Holzschnitt  Breu 
«icht  zuschreiben  zu  dürfen  glaubte,  kann  uns  nicht  Wunder  nehmen. 
Ebensowenig  glauben  wir  aber  auch,  daß  er  nach  Kenntnisnahme  des 
von  uns  abgebildeten  Blattes  aus  C,  bei  seinem  absprechenden  Urteil  ver- 
harren wird.  Denn  so  sehr  die  Zeichnung  auch  unter  einer  flüchtigen 
Arbeitsweise  des  Holzschneiders  gelitten  haben  mag,  so  ist  doch  von  der 
Originalskizze  so  viel  übrig  geblieben,  daß  in  Typenbildung,  Faltengebung 
und  Strichführung  eine  augenfällige  Verwandtschaft  mit  dem  schon  eingangs 
erwähnten  Kanonblatt  von  1504  nicht  von  der  Hand  zu  weisen  ist. 

In  welchem  Werke  der  Holzschnitt  allerdings  erstmalig  Verwendung 
gefunden  haben  mag,  wissen  wir  augenblicklich  noch  nicht  zu  sagen. 
Stiassny's  Vermutung,  er  könnte  vielleicht  das  von  E.  Ratdolt  1509  gedruckte 
Breviarium  Constantiense^')  geziert  haben,  wurde  bereits  von  Dodgson  als 
unzutreffend  nachgewiesen,  da  diese  Ausgabe,  wie  sich  an  der  Hand  des  im 
Britischen  Museum  befindlichen  Exemplares  ergab,  außer  dem  Bischofswappen 
auf  der  Rückseite  des  ersten  Blattes  überhaupt  keine  anderweitigen  Illustra- 
tionen enthält.  An  die  Editio  Princeps  von  1499^*)  kann  man  ebensowenig 
denken,  da  sie  gar  nicht  illustriert  ist.  Ein  ähnliches  gilt  von  der  Ausgabe 
von  1501 25),. die  ebenfalls  keine  Illustrationen  im  eigentlichen  Sinne  aufweist, 
sondern  als  einzigen  Schmuck  das  Erhard  Ratdolt'sche  Druckerzeichen  und 
eine  Reihe  ornamentaler  Initialen  enthält. 

Es  bleibt  uns  daher  vorläufig  nur  übrig,  uns  zu  bescheiden  und  von 
einem  glücklichen  Zufall  eine  Entdeckung  des  Werkes  zu  erhoffen,  das  uns 
gleichzeitig  mit  der  Kenntnis  der  erstmaligen  Verwendung  des  umstrittenen 
Blattes  vielleicht  auch  noch  die  Bekanntschaft  anderer  bis  jetzt  noch  unbe- 
achteter früher  Holzschnitte  des  Augsburger  Meisters  vermittelt. 

21)  Zeitschrift  für  christl.  Kunst.  VH.  (1894).  Sp.  108. 

22)  Jahrbuch  der  Kgl.  preuß.  Kunstsammlungen.  XXI.  (1900.)  S.  201. 

23)  Panzer.  VI.  138.  Nr.  49. 

24)  Hain.  3830.    München,  Hof-  und  Staatsbibliothek.    Inc.  243. 

25)  München.    Hof-  und  Staatsbibliothek.    Liturg.  111. 


.Mitteilungren  aus  dem  german.  Nationalmuaeum.    1905. 


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DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR.  HANS  STEGMANN. 
VIII. 

Die  eigentliche  Truhe  war  im  Wesentlichen  zur  Aufnahme  von  Kleidungs- 
stücken gedacht  und  dadurch  wurden  ihre  Maßverhältnisse  hauptsäch- 
lich bestimmt.  Zur  Aufbewahrung  kleinerer  Gegenstände  und  insbesondere 
zum  Transport  derselben  war  sie  wegen  der  beträchtlichen  Größe  in  ihrer 
gewöhnlichen  Gestalt  nicht  geeignet.  Es  kommen  daher  auch  kleinere  truhen- 
artige Kasten  häufig  vor,  als  die  Vorläufer  der  Kabinetschränke ,  von  denen 
das  Museum  ebenfalls  einige  Exemplare  besitzt.  In  erster  Linie  sind  für  ihre 
Gestaltung  nicht  die  Rücksichten  auf  ein  Prunkmöbel,  als  welqhe  sich  die 
Truhe  vielfach  entwickelt  hatte,  maßgebend.  Ihre  formale  Gestaltung  meist 
als  flache  rechteckige  Kiste  und  ihre  künstlerische  Dekoration  treten  hinter 
dem  Bestreben,  Festigkeit  und  damit  Sicherheit  für  den  wohl  meist  kostbaren 
Inhalt  zu  schaffen,  einigermaßen  zurück. 

Von  solchen  einfachen  Kasten  besitzt  das  Museum  aus  gotischer  Zeit 
zwei,  deren  nähere  Entstehungszeit  anzugeben  aber  schwer  fallen  dürfte.  Der 
eine  durch  einen  modernen  schwarzen  Lackanstrich  verdorben,  hat  einfache 
Kistenform  und  stark  übergreifenden  Deckel.  Die  Beschläge  (außenliegendes 
Schloß)  bestehen  in  flachen  Bändern,  die  in  distelartigem,  stilisiertem  Blatt- 
werk endigen.  Der  andere  (Fig.  93,  Höhe  30,  Tiefe  53,  Länge  72  cm.)  hat 
die  ursprüngliche  rote  Bemalung.  Der  schwach  vorspringende  Deckel  ist  hier 
nicht  übergreifend,  der  Boden  ist  leicht  profiliert.  Die  über  die  Flächen  laufen- 
den Beschläge  sind  grätig  gestellt.  Der  ganze  Kasten  wirkt  bei  aller  Einfach- 
heit recht  gut. 


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DIE  HOLZMÖBBL  DES  GERMAN.  MUSEUMS.    VON  DR  HANS  STEGMANN.  ^^ 


Neben  solchen  Formen  finden  wir  auch  kleine  Truhen  als  Zwischen- 
formen zwischen  der  großen  Truhe  und  dem  später  noch  zu  behandelnden 
Kästchen.  Das  Museum  besitzt  vorzugsweise  Stücke  aus  Niederdeutschland, 
die  sämtlich  schon  der  Renaissancezeit  angehören.  Eine  stark  ergänzte  der- 
artige kleine  Truhe,  wohl  niederrheinisch,  auf  vier  Brettern  als  Stollen  stehend 
hat  Rahmen-  und  Füllwerk  mit  zwei  Füllungen  an  der  Vorderseite.  Auf  die 
Füllungen  sind  durchbrochene  Schnitzereien,  stilisiertes  Weinlaub  und  Trauben, 
aufgesetzt. 

Die  Truhen  dieser  Art  folgen  naturgemäß  der  Bildung  ihrer  größeren 
Schwestern  und  so  ist  dies  auch  bei  den  am  zahlreichsten  vertretenen  friesischen, 
bezw.  schleswig-holsteinischen  der  Fall.  Charakteristisch  für  die  Art  ist  die 
Verwendung  des  dreiseitigen  erhöhten  Deckels,  sowie  die  ausschließlich  an 
der  Vorderseite  angebrachte  reiche  Schnitzerei.  Hier  befindet  sich  meist 
zwischen  den  üblichen  hermenartigen  Pilastern  mit  Figuren  ein  manchmal  noch 
mit  einer  plattdeutschen  Inschrift  versehenes  geschnitztes  Relief.  In  den  vier 
Stücken  des  Museums,  von  denen  das  relativ  beste  in  Fig.  94  reproduziert  ist, 


Figr.  93.    Kleine  eisenbeschlagone  Truhe:  spät  gotisch. 

ist  freilich  der  gute  Wille  des  Schnitzers  größer  als  sein  Vollbringen.  Ein- 
mal wird  die  Verkündigung  Maria,  einmal  die  Anbetung  der  hl.  3  Könige, 
einmal  eine  antike  Szene  und  endlich  in  dem  abgebildeten  Stück  mit  Anlehnung 
an  graphische  Vorlagen  ein  zeitgenössisches  Liebespaar  an  der  Tafel  vorge- 
führt, zu  der  ein  Quartett  seine  Weisen  ertönen  läßt.  Die  letztere  Truhe  ist 
39  cm.  hoch,  47  cm.  lang  und  37  cm.  tief. 

In  der  Sammlung  bäuerlicher  Altertümer  befindet  sich  werkwürdiger 
Weise  nur  ein  bemerkenswertes  Stück,  eine  kleinere  aus  Unterm  Berge  im 
Laastal,  Kanton  Wallis,  stammende  Truhe  in  Nußbaumholz  mit  reicher  Schnitzerei. 
Die  Ähnlichkeit  in  der  Behandlung  mit  der  früher  abgebildeten  Truhe  aus 
dem  Wiesbachtale  springt  sofort  in  die  Augen.  Drei  Pilaster  mit  Engelsköpfen 
(ergänzt)  gliedern  die  Vorderwand,  dazwischen  zwei  Bögen  mit  Füllungen. 
Diese  enthalten  je  aus  einer  Vase  aufsteigendes  Rankenwerk,  in  dessen  Mitte 
ein  Rundmedaillon  mit  Buchstaben  eingelassen  ist.  An  den  Schmalseiten 
zwei  hübsche  geschnitzte  Rosetten.     Entstehungszeit  ist  das  18.  Jahrhundert. 


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20  DIE  HOI.ZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Eine  kleine  Egerländer  Holztruhe  mit  komisch   rohen  Malereien   gehört   dem 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  an. 

Die  größte  Sammlung  kleinerer  Truhen  aber  im  Museum  enthält  nicht  die 
Sammlung  der  Hausgeräte,  der  die  Möbel  eingereiht  sind,  sondern  diejenige 
der  gewerblichen  Altertümer.    Diese  große  Reihe,  mehr  als  50  Stück,  stammen 


Fig.  94.    Kleine  geschnitzte  Truhe  aus  Schleswig-Holstein ;  17.  Jahrb. 

mit  einer  noch  speziell  zu  erwähnenden  Ausnahme  sämtlich  von  den  Nürn- 
berger Handwerkern  oder  doch  von  solchen  des  früheren  Nürnberger  reichs- 
städtischen Gebiets.  Ihrer  Entstehung  nach  erstrecken  sie  sich  vom  Ende 
des  16.  bis  zum  Beginn  des  19.  Jahrhunderts.  Die  »Lade^,  wie  der  offizielle 
Ausdruck  lautet,  ist  eigentlich  nichts  als  eine  verkleinerte  Truhe.  In  Anbe- 
tracht der  Aufbewahrung  der  größten  Kostbarkeiten  der  alten  Handwerks- 
verbände ist  nur  eine  stärkere  Betonung  des  Verschlusses  zu  konstatieren, 
die  sich  dadurch  bemerkbar  macht,  daß  oft  der  Verschluß  im  Deckel  und 
zwar  in  einer  profilierten  Erhöhung,  die  als  Schublade  gestaltet  ist,  liegt.  Die 
kunstgewerbliche  Bedeutung  der  Nürnberger  Handwerksladen  ist  eine  sehr 
verschiedene.  Neben  hervorragenden  Meisterwerken  ist  viel  Mittelmäßiges, 
besonders  aus  späterer  Zeit  vorhanden.  Da  außerdem  die  Handwerkerlade 
doch  kaum  den  eigentlichen  Möbeln  zuzurechnen  sein  dürfte,  so  wird  an 
dieser  Stelle  darauf  verzichtet ,  die  einzelnen  Stücke  besonders  aufzuführen. 
Nur  die  schönsten  auch  in  Abbildungen  wiedergegebenen  Stücke  und  für  die 
typische  Formen  bezeichnende  sollen  eine  kurze  Besprechung  finden. 

In  einem  Aufsatz  über  »Die  Zunftlade  der  Nürnberger  Strumpfwirker«, 
der  die  beiden  Abb.  95  und  96  entnommen  sind,  und  die  ebenso,  wie  die  in 
Abb.  97  neu  abgedruckte  (Anzeiger  des  German.  Museums  Bd.  I  S.  123)  der 
Schreiner  nach  Ortweins  Renaissancewerk  gezeichnet  sind,  hat  A.  v.  Essen- 
wein  über   die    Bestimmung   und  die   wichtige  Rolle,   die   diese   Zunft-   und 


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VON  DR.  HANS  Sl'EGMANN. 


21 


Handwerkerladen  in  früheren  Jahrhunderten  hatten,  ausführlicher  gehandelt 
(Mitteilungen  des  German.  Museums  Bd.  II  S.  82  ff.),  so  daß  über  Gebrauch 
und  Bestimmung  auf  jene  frühere  Arbeit  verwiesen  werden  kann. 

Die  drei  reichsten  und  wohl  auch  die  ältesten  sind  die  beiden  der 
Schreiner  und  die  der  Strumpfwirker,  die  in  der  letzten  Zeit  des  16.  oder  ganz  im 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  entstanden  sein  dürften.  Die  beiden  Truhen  der 
Schreiner  und  diejenige  der  Strumpfwirker,  die  hier  wiederholt  in  geometrischer 
Zeichnung  wiedergeben  werden  —  in  der  Zeichnung  der  Strumpfwirkertruhe  sind 
die  jetzt  fehlenden  Pyramiden  vor  den  Seitenteilen  ergänzt  —  weisen  durch 
ihre  große  Verwandtschaft  in  der  Behandlung  fast  mit  Sicherheit  darauf  hin, 
daß  sie  von  einer  Hand  ausgeführt  sind.  Die  Schreinerarchitektur  der  Zeit 
feiert  hier  ihre  Triumphe.  Am  reichsten  ist  in  dieser  Beziehung  natürlich 
die  eigentliche  Prunktruhe  der  Schreiner  ausgetattet,  die  an  der  Vorderseite 
der  Truhe  eine  völlige  Scheinfassade  entwickelt.  Bei  näherem  Zusehen  ergibt 
sich  aber  gerade  bei  diesem  mit  größter  Sorgfalt  gearbeitetem  Stück,  daß  das 
wirkliche  architektonische  Verständnis  doch  nur  gering  war.  Man  mag  noch 
darüber  hinwegsehen,  daß  vor  die  fensterartig  gebildeten  seitlichen  Risalite 
auf  vorspringenden  Konsolen  Pyramiden  gestellt  sind,  aber  auch  die  Einteilung 


Fig.  95.    Handwerkslado  der  NQrnborger  Strumpfwirker;  um  1600.    Vorderansicht, 
'/lo  der  natürlichen  Gröfse. 

von  Sockel  und  Hauptgeschoß  stimmt  durchaus  nicht  zu  einander,  weil  der 
Sockel  zwei-,  das  Obergeschoß  aber  dreiteilig  gestaltet  ist.  Die  Erscheinung 
dieser  Schreinerlade  wirkt  dadurch    besonders  prächtig,    weil   neben  Einlege- 


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22 


DIE  HOLZMOBBL  DBS  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Fig.  96.    Handwerkslade  der  Nürnberger  Strumpfwirker.    Seitonansicht, 
'/lo  der  natürlichen  GrOfse. 


Fig.  97.    Handwerkslado  der  Nürnberger  Schreiner;  um  1600. 


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VON  DK.  HANS  STEGMANN. 


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arbeit,  die  in  der  Hauptsache  die  Darstellung  der  Handwerksembleme  bringt, 
die  Flächen  mit  Perlmutter  ausgelegt  sind. 

Die  entsprechende  Lade  der  Strumpfwirker  ist   einfacher,   weil    sie  auf 
die  Häufung   der  Details  wie    an    der   genannten  Schreinerlade   einigermaßen 


Fig.  96.    Handwerkslade  der  Narnberger  Schreiner ;  17.  Jahrb. 

verzichtet,  ebenso  wie  auf  die  Perlmuttereinlagen,  sie  ist  aber  auch  besser  im 
Entwurf.  Die  Einteilung  ist  hier  an  der  Schauseite,  die  eigentlich  bei  diesen 
Stücken,  »vor«  denen  die  Handwerkerversammlungen  tagten,  allein  in  Betracht 
kommt,  einheitlicher.  Diese  Einteilung,  zwei  risalitartig  vorspringende  von 
Säulen  flankierte  Seitenteile,  ein  breiterer  Mittelteil  mit  verschiedenartig  ge- 
stalteter Füllung,  bald  mit  Schnitzerei,  bald  mit  Architekturwerk  ist  bis  zum 
18.  Jahrhundert  für  eine  größere  Anzahl  dieser  Zunftladen  typisch.  Die 
schönste  der  ganzen  Reihe,  zugleich  die  größte  und  möglicher  Weise  auch 
die  älteste,  da  sie  von  barocken  Elementen  fast  ganz  frei  hält,  ist  die  zweite 
Truhe  der  Schreiner  (Fig.  98).  Auf  den  ersten  Blick  erscheint  sie  einfacher, 
aber  hier  kommt  in  den  schönen  Verhältnissen  fast  ein  Anklang  an  die  pal- 
ladianische  Formenvornehmheit  zum  Durchbruch.  Von  ganz  besonderer  Schön- 
heit sind  die  Intarsien  auf  dem  Deckel,  Fruchtgewinde  und  Kartuschen. 

In  dieselbe  Reihe  gehört,  wenn  auch  einfacher  und  kleiner,  die  Lade 
der  Tuchbereiter,  und  zwei  Laden  der  Weber.  An  die  Stelle  der  vorgelegten, 
kannelierten  Säulen  sind  hier  Pilaster  getreten.  Säulen,  aber  mit  regelmäßiger 
Dreiteilung  der  Schauseite  hat  die  wohl  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts hergestellte  und  hier  ebenfalls  abgebildete  Lade  der  Kürschner  (Fig.  99). 
Geschnitztes  und  aufgeleimtes  flaches  Ornament  tritt  hier,  wie  bei  manchen 
anderen  Exemplaren  neben  der  Architektur  in  die  Erscheinung.  Eine  beson- 
dere Stellung  nimmt  die  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  zuzuteilende 


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24  DIE  HOLZMÖBEL  DBS  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Lade  der  Schlosser  ein.  Sie  ist  aus  schwarz  gebeiztem  und  poliertem  Holz 
in  gefalligen  Architekturformen  ausgeführt,  mit  freistehenden  Säulen.  Die 
Füllungen  enthalten  vier  weibliche  allegorischen  Figuren  und  zwei  ähnliche 
männliche  in  Bein  graviert.     Trotz  der   etwas  handwerksmäßigen  Ausführung 


Fig.  99.    Handworkslade  der  NOrnberi^er  Kürschner;  18  Jahrb. 

wirkt  die  Lade  recht  vornehm  (Fig.  100).  Neben  der  architektonischen  Ein- 
teilung, die  zuletzt  mit  ihren  gewundenen  Säulchen,  den  gefrästen  Einfassungen 
und  den  nicht  gerade  vorzüglichen  Ornamentschnitzereien  sehr  flau  wirkt 
(Beispiele:  die  Laden  der  Zirkelschmiede  und  Kammacher),  wird  im  17.  Jahr- 


Fig.  100.    Handwerkslade  der  Nürnberger  Kürschner;  18.  Jahrb. 

hundert  ein  zweiter  Typus  üblich,  an  dem  an  der  Schauseite  Architektur 
schwach  oder  gar  nicht  mehr  vorkommt  und  man  sich  auf  eine  geschnitzte 
oder  vielfach  gekröpfte  Füllung  beschränkt.  Ein  hübsches  Beispiel  dieser  Art 
gibt  die  in  Fig.   101  abgebildete  Lade  der  Klempner  (Flaschner).     Die  dritte 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


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Spielart  sind  die  ganz  einfach  gebildeten  mit  Malerei,  seltener  mit  figürlichen 
oder  ornamentalen  Intarsien  gezierten  Stücke.  Ganz  ausnahmsweise  nur  be- 
gegnen wir  ein  Abweichen  von  diesen  drei  hergebrachten  Formen,  wie  bei- 
spielsweise in  einer  an  die  Art  italienischer  Truhen  gemahnenden  Lade  der 
Zirkelschmiede. 

Das  einzige  nicht  Nürnberger  Stück  einer  Zunftlade,  das  nach  den  nicht 
kontrollierbaren  Angaben  des  Vorbesitzers  aus  Oberösterreich  stammen  soll, 
ist  in  der  Form  von  den  einfacheren  Nürnberger  Laden  nicht  sehr  verschie- 
den. Es  hat  ebenfalls  den  dachartigen  Deckel  mit  Schieblade.  Recht  hübsch 
ist  die  Dekoration  des  in  Nußbaumholz  gearbeiteten  Möbels  mit  sehr  reichen 
gravierten  Beineinlagen  auf  allen  zur  Verfügung  stehenden  Flächen.  Der  Stil 
dieser  Verzierungen  ist  spätbarock  und  so  dürfte  es  in  der  ersten  Hälfte  des 


Fi^.  101.    Handwerkslade  der  Nürnberger  Flaschnei^;  18.  Jahrh. 

18.  Jahrhunderts  gefertigt  worden  sein.  Die  an  den  Füllungen  der  Vorder- 
seite sichtlichen  Embleme  der  Bäckerei  und  Müllerei  geben  über  die  Bestim- 
mung den  erwünschten  Aufschluß. 

Indessen  wäre  es  irrig,  anzunehmen,  daß  die  Form  der  Zunftlade  bloß 
im  offiziellen  Handwerkerleben  Verwendnng  gefunden  habe.  So  befindet  sich 
im  Museum  ein  in  schwarz  gebeiztem  Eichenholz  gearbeitetes  Stück  auf  Kugel- 
füßen mit  profiliertem  Deckel,  an  den  Vorder-  und  Schmalseiten  architektonisch 
gegliedert  (die  vorgelegten  Halbsäulen  sind  aus  grauem  Marmor)  und  mit 
gravierten  und  vergoldeten  Bronzeschildchen  in  den  Füllungen.  Aber  die 
kleine  Truhe  ist  eigentlich  keine  solche,  sondern  ein  Kabinetschrank.  Öffnet 
man  den  Deckel,  so  hat  man  nur  einen  flachen,  mehrfach  geteilten  Kasten 
vor  sich,  während  auch  der  Sockel  zwei  von  außen  erkennbare  Schubladen 
enthält.  Erst  bei  näherer  Untersuchung  ergibt  sich ,  daß  bei  geöffnetem 
Deckel  die  eine  Seitenwand  aufgezogen  werden  kann,  wodurch  dann  drei 
innere  Schiebladen  zugänglich  werden. 

MitteiloDgen  aus  dem  gennan.  NatioDalmoseum.    190&.  -< 


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26  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Die  ihrer  Form  nach  ebenfalls  dieser  Gruppe  angehörige  und  in  Fig.  102 
wiedergegebene  kleine  Truhe  ist  nicht  durch  ihre  einfache  Form  bemerkens- 
wert, sondern  durch  die  in  verschiedenfarbigem  Holz  zusammengesetzten 
Füllungen.  Die  Vorder-  und  Schmalseiten  enthalten  Personifikationen  der 
vier  Weltteile,  der  Deckel  Noahs  Dankopfer,  die  Rückseite  eine  amerikanische 
Jagdszene.  Die  Landschaft  ist  ganz  malerisch  behandelt,  die  Figuren  sind 
in  ganz  flachem  Relief  geschnitzt  und  zwar  ist  offensichtlich  das  Ganze  das 
Werk  einer  sehr  geschickten  Hand  um  die  Wende  des  17.  und  18.  Jahrhunderts 
(Höhe  25,  Tiefe  33,  Länge  47,5  cm.). 

Als  Abart  der  Truhe  in  späterer  Zeit  darf  der  Koffer  betrachtet  werden. 
Das  Wort  selbst  ist  ja  eigentlich  nur  eine  Übersetzung  der  französischen 
Bezeichnung  für  Truhe,  während  das  alte  französische  Wort  für  denselben 
Begriff  »bahut«,  italienisch  »baulac  ist.  Es  ist  die  eigentliche  Reisetruhe,  die 
deswegen  auch  von  allem  Beiwerk,  das  auf  dem  Transport  gefährdet  sein  könnte, 
befreit  erscheint.  Die  Entstehung  und  Verbreitung  des  Geräts,  des  Vorläufers, 
des  modernen  Reisekoffers  war  der  Umstand,  daß  im  Laufe  des  Mittelalters, 
noch  mehr  aber  der  Renaissance  die  ursprünglich  auch  für  Reisezwecke  ge- 
eignete Truhe  stabiler  und  mit  so  viel  Zierrat  versehen  worden  war,  daß  sie 
auf  Reisen  nicht  mehr  praktisch  erscheinen  konnte.  Der  Koffer  als  solcher 
ist  insofern  kein  Holzmöbel  im  engeren  Sinne,  als  er,  wenigstens  im  bürger- 
lichen und  herrschaftlichen  Gebrauch  fast  stets  mit  einem  andern  Stoff,  Leder 
oder  Textilien  bezogen  war. 

Das  Museum  besitzt  nur  einen  größeren  eigentlichen  Koffer  (Fig.  103). 
Das  vorzügliche  Merkmal  des  Koffers  ist  der  gewölbte  Deckel.  An  unserem 
Exemplar  ist  der  in  seiner  Form  ganz  einfache  Koffer  mit  dünnem,  braunem 
Leder    bezogen.     Darüber    sind    zahlreiche  Eisenbänder    zur  Befestigung    des 


Fig.  102.    Kleine  Lade  mit  geschnitzten  Füllungen ;  um  1700. 

Ganzen  gezogen.  Vorn  befinden  sich  zwei  feste  Schlösser.  Das  Leder  selbst 
wieder  ist  bemalt  und  zwar  befindet  sich  auf  den  Schmalseiten  auf  dunklem 
grünlichen  Grunde  Rankenwerk,  auf  der  Vorderseite  antikisierende  Schlacht- 
gemälde,  letztere   von   sehr  geringem  künstlerischem  Wert.     Die  Entstehung 


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VON  DR,  HANS  STEGMANN. 


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des  Stückes,  von  dem  Fig.  104  eine  Anschauung  zu  geben  sucht,  fallt  in  die 
zweite  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Die  Maße  sind:  Höhe  65,  Tiefe  63  und 
Länge  155  cm. 

Das  zweite   kofferartige  Stück,    das   schon  ans  Gebiet  der  ja   ebenfalls 
viel  verbreiteten  kofferartigen  Kassette  grenzt,   ist   ein  kleiner  hochgewölbter 


Fig.  108.    Heisekoffer;  17.  Jahrh. 

Holzkoffer,  mit  rotem  Sammt  bespannt,  auf  den  an  den  Kanten  und  Rändern 
mehr  oder  minder  breite  Streifen,  in  den  Flächen  spitzgestellte  Quadrate 
mittelst  Messingnägeln  aufgesetzt  sind.  Das  Material  der  Metallverzierungen, 
die  mit  eingepreßten  Rosetten  und  Blattwerk  geschmückt  sind,  ist  Eisenblech, 
dife  wie  es  scheint  einen  gold-  oder  silberfarbenen  Anstrich  ursprünglich  er- 
halten hatte.  Derartige  Kästchen  kommen  insbesondere  in  Italien  häufig  vor, 
sie  dienten  zur  Aufnahme  von  Schmuck  und  dergleichen.  Vielleicht  hat  auch 
unser  Exemplar  (Fig.  104,  Höhe  31,  Tiefe  25,  Länge  59  cm.)  den  Weg  über 
die  Alpen  zu  uns  gefunden. 

Für  die  Kofferform  bietet  daher  die  Sammlung  der  bäuerlichen  Wohngeräte 
in  den  vier  großen  Koffern  aus  Niedersachsen,  der  Wilstermarsch  und  Schleswig 
eigentlich  wenig  Bemerkenswertes,  denn  sie  sind  nichts  als  viereckige  Kästen  mit 
hochgewölbtem  Deckel.  Am  besten  wird  man  sie  als  Koffertruhen  bezeichnen. 
Als  Reisekoffer  zu  dienen,  dazu  läßt  sie  ihre  gewaltige  Größe  wenig  geeignet 
erscheinen,  abgesehen  davon,  daß  die  Marschbauern  kaum  großes  Reisebedürfnis 
gehabt  haben  werden.  Der  Umstand,  daß  sie  sämtlich  auf  gesonderten  Untersätzen 
aufgestellt  sind,  gibt  ihnen  ebenfalls  mehr  Truhencharakter.  In  den  Vierländer 
Frauentruhen  begegnen  wir  ja  einem  ähnlichen  Typus,  dort  allerdings  mit  Kugel- 
füßen. Wir  werden  daher  auch  mit  Recht  diese  Koffer  als  Brauttruhe  ansehen 
können,  die  in  der  Regel  nur  die  eine  Reise  ins  Haus  des  Bräutigams  zu  machen 
hatte. 

Sie  gehören  durch  die  Art  ihrer  Dekoration  zu  den  wirkungsvollsten 
Erzeugnissen  der  bäuerlichen  Wohngeräte  überhaupt.  Und  zwar  wird  dies  teils 
durch  die  Farbe,  teils  durch  das  reiche,  sehr  effektvolle  Beschläge  hervorgebracht. 
Die  beiden  Abbildungen  geben  von  der  Anordnung  dieser  schönen  Schlosser- 


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28  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


arbeiten  hinlänglich  einen  Begriff.  Zur  Ergänzung  des  Bildes  von  Fig.  106,  das  aus 
der  Wilstermarsch  stammt  sei  erwähnt,  daß  die  Grundfarbe  des  Koffers  ein  leb- 
haftes Saftgrün  ist,  die  eisernen  Beschläge  sind  rot,  die  Stellen  unter  den  Durch- 
brüchen des  Eisens  weiß  gehalten.  Das  Schloßblech  weist  Gelbbraun  und  Gold 
auf.  In  der  reichen,  sehr  gut  gezeichneten  Blumenmalerei  herrschen  mit  Rück- 
sichtnahme auf  die  Grundfarbe  rote  Töne  vor.  Bei  dem  zweiten  abgebildeten 
Stück  (Fig.  107)  ist  der  Grund  jetzt  schwarz,  die  äußerst  glücklich  gezeichneten 
Beschläge  sind  hier  aus  Messing.  Besonders  hübsch  ist  hier  das  als  Doppeladler 
(Lübecker  Wappen)  gezeichnete  Schlüsselschild,  das  sogar  ein  feines  Verständnis 
für  heraldische  Darstellung  verrät.  Die  ursprüngliche,  wohl  andersfarbige  Be- 
malung hatte  ebenfalls  Ornamentenschmuck.  Ein  drittes  ganz  ähnliches  Stück 
mit  sehr  schön  geschmiedetem  Beschlag  stammt  aus  Angeln  in  Schleswig.  Der 
Grund  ist  dunkles  Braun  (ursprünglich  ebenfalls  grün).  Die  Beschläge  sind 
schwarz,  und  die  hier  besonders  zahlreichen  Durchbrechungen  rot  gehalten.  Die 
Blumenmalerei,  die  hier  schon  etwas  stillos  ist,  dürfte  ebenso  wie  die  Jahreszahl 
1849  von  einer  späteren  Erneuerung  stammen.  Etwas  kleiner  in  der  Ausmessung 
und  ohne  eigentlichen  Untersatz  stellt  sich  der  Koffer  der  Hinterstube  des  nieder- 
sächsischen Hauses  dar.  Dafür  dürfte  dieses  aus  der  Diepholzer  Gegend  stam- 
mende Stück  das  älteste  sein,  da  der  Stil  seinem  Beschläge  nach  ganz  spät- 
barocke Formen  zeigt.  Das  Holz  ist  schwarz  angestrichen,  das  sehr  reiche  und 
hoch  getriebene  Beschläge  ist  blank  gelassen.  Die  Truhe  ist  in  dem  Aufsatz 
von  O.  Lauffer  auf  der  Abbildung  des  Innern  der  Dönse,  Mitt.  d.  G.  M.  1903, 
Taf.  II,  zw.  S.  48  u.  49  zu  sehen.  Sämtliche  vier  Koffertruhen  möchten  am 
Ende  des  18.  oder  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  entstanden  sein. 


Fig.  104.    Kleiner  Koffer;  italienisch:  17.  Jahrh. 

Eine  besonders  reiche  Sammlung  besitzt  das  Museum  an  hölzernen 
Kästchen.  Man  kann  dieselben  sehr  wohl  als  eine  weitere  Diminutivform  der 
Truhe  annehmen,  allein  sie  gehören  noch  weniger  als  die  Koffer  oder  Zunft- 
laden zu  den  Holzmöbeln  im  engeren  Sinne.  Der  Beweis  dafür  ist,  daß  es 
in  andern  Materialien  als  Edelmetall,  Eisen,  Messing,  Elfenbein,  Leder,  min- 
destens ebensoviele  gibt ,  als  in  reiner  Holzarbeit.  In  den  meisten  Fällen 
haben    diese  Kästchen    aus    anderen   Materialien   als  Kern    ein    Holzkästchen. 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


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Für  die  Form    und  Dekoration    ist   aber   bei   den   verkleideten  Kästchen  die 
Hülle  schließlich  wichtiger  als  der  Kern. 

Auch  die  Holzkästchen  möchten  eigentlich  weniger  den  Möbeln,  als 
dem  Hausgeräte  im  engeren  Sinne  zuzuzählen  sein.  Für  die  Geschichte  der 
Möbclformen  sind  sie  eigentlich  nur  dadurch  von  Interesse,  daß  sie  Rückschlüsse 
auf  Truhen  erlauben,  denen  sie  naturgemäß  in  ihrer  Form  folgen,  besonders 
auch  bezüglich  der  Dekoration.  Diese  ist  bei  dem  kleinen  Objekt  leichter 
zu  beschaffen  und  billiger,  daher  oft  reicher  als  an  der  Truhe,  wenngleich  den- 
selben Prinzipien  folgend.  Für  die  spätmittelalterliche  Periode  bieten  die  Käst- 
chen, die  sich  in  erheblicherer  Zahl  als  große  Möbel  in  unsere  Zeit  herüber- 
gerettet haben,  besonders  viel. 


Fig^.  105.    Koffer  aus  der  Wilstermarscb. 

Im  Folgenden  soll  aus  den  eben  dargelegten  Rücksichten  nicht  das  Gesamt- 
material an  Kästchen  des  Museums  besprochen  werden,  sondern  nur  die  beson- 
ders charakteristischen  und  die  vorwiegend  in  Holz  ausgeführten,  im  übrigen 
aber  nur  die  einzelnen  im  Museum  vertretenen  Arten  kurz  erwähnt  werden. 

Eine  große  Reihe  von  Kästchen  hat  die  Bestimmung  als  Reliquiar  für 
kirchliche  Zwecke  gehabt.  Nun  kommt  es  nicht  gerade  selten  vor,  daß  Käst- 
chen für  die  Kirche  gebraucht  wurden,  die  ihrer  Dekoration  nach  für  den 
weltlichen  Gebrauch  geschaffen  worden  waren.  Andererseits  hat  die  kirch- 
liche Bestimmung  und  Formengebung  auch  auf  die  Gestalt  einer  Gruppe  von 
Kästchen  abgefärbt,  die  mit  der  Truhenform  des  Mittelalters  im  Grunde  ge- 
nommen wenig  gemein  haben.  Es  sind  das  diejenigen  Kästchen,  die  Sarkophag- 
oder Hausform  haben.  Der  Reliquienschrein  ist  aus  dem  spätklassischen  Sar- 
kophag mit  Giebeldeckel  entstanden,  als  Haus  und  Sarg  für  die  Gebeine  der 
Heiligen.  Das  kleine  Reliquiar,  ohne  sich  im  übrigen  irgendwie  an  die  Sarko- 
phagform zu  binden,  nimmt  den  giebeligen  Deckel  und  später  den  mit  einer 


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30  DIE  HOLZMÖBEL  DES  QERICANISCHEN  MUSEUMS. 


weit  geschweiften  Hohlkehle  auf.  Bei  Renaissancekästchen  freilich  ist  die 
sichtliche  Beeinflussung  der  Truhengestalt,  wenigstens  in  Italien,  durch  die 
gleichzeitigen  Sarkophage  ebenfalls  von  großer  Bedeutung.  Die  gemeinsame 
Stammform  für  alle  diese  Bildungen  ist  eben  die  Hausform,  die  bei  allen 
Kastenmöbeln,  auch  den  Schränken  eine  gewisse  Rolle  spielt. 

Als  Holzkästchen  komnit  von  den  kleineren  Reliquienschreinen  des  Mu- 
seums nur  eines  in  Betracht,  das  die  dachartige  Form  des  Deckels  aufweist. 
Es  ist  ganz  in  Gold  und  Blau  gehalten,  die  gute  Profilierung  der  eigentlichen 
Schreinerarbeit,  die  feine  Zeichnung  des  eingepreßten  Ornaments  geht  mit 
den  in  Teig-  oder  Stuckmasse  aufgelegten  Reliefverzierungen  trefflich  zu- 
sammen. Die  nach  innen  gewölbten  Deckelflächen  haben  in  der  charak- 
teristischen Vierpaßform  des  italienischen  Trecento,  vorn  und  auf  der  Rück- 
seiteje  zwei  leider  ganz  undeutlich  ausgeprägte  sitzende  Figuren  (Tugenden?), 
dazwischen  Löwenköpfe;  auf  den  Schmalseiten  Wappenschilde  und  an  den 
Ecken  sitzende  Löwen.  Von  den  senkrechten  Flächen  ist  die  Vorderseite, 
mit  zwei  Löwenköpfen,  zwei  Medaillons  und  die  Schlüsselöffhung  von  zwei 
flankierenden  weiblichen  Figuren  gefüllt,  die  Rückseite  von  zwei  Medaillons 
und  drei  Löwenköpfen,  die  Seiten  von  je  einem  Löwenkopfe.  Die  ursprüng- 
liche Bestimmung  der  sicher  italienischen  Arbeit  dürfte  eher  eine  profane 
als  eine  kirchliche  gewesen  sein,  die  Entstehung  aber  in  das  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts falle«. 


Fig.  106.    Koffer  aus  der  Wilstermarsch. 


Von  den  mittelalterlichen  Kästchen  hat  eine  Art  die  Verzierung  vorzugs- 
weise im  eisernen  Beschlag  gesucht.  Von  den  vorhandenen  Stücken  (drei)  ist 
wohl  keines  älter  als  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrh.  Das  eine  derselben  mit 
leicht  gewölbtem  Deckel    und    ohne  Füße  oder  Untersatz  ist  an    allen  Seiten 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


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mit  grätigen  eisernen  Bändern  beschlagen  die  je  nach  ihrer  Länge  eine  oder 
zwei  scheibenförmige  Rosetten  tragen.  Das  zweite  folgt  im  Allgemeinen  dem 
oberdeutschen  Truhenschema,  mit  hohem  abgesetzten  Untergestell,  welch' 
letzteres,  einfaches  eingeschnittenes  Ornament  zeigt.  Das  Beschlag  des  eigent- 
lichen Kastens,  übrigens  ohne  Rücksicht  auf  das  Rahmenwerk  des  Deckels 
aufgenagelt,  ist  wieder  grätig  und  in  der  Mitte,  bezw.  den  Enden  verstärken 
sich  die  Bänder  zu  hübschen  stilisierten  Blättern  (auf  Figur  107  in  der  Mitte 
abgebildet).  Auf  dem  Deckelrahmen  Nägel  mit  hohen,  sechsteiligen  Köpfen. 
Das  dritte  Kästchen  endlich  ist  im  Holzwerk  ganz  kistenartig.  Das  reiche 
Beschlag  bilden  Zweige  mit  naturalistisch  durchgeführten  Eicheln. 

Bei  einem  ähnlichen  truhenförmigen  Kästchen  ist  auf  das  eiserne  Be- 
schläge verzichtet  und  dafür  das  geschnitzte  Ornament  des  Untersatzes  etwas 
reicher  behandelt  und  dazu  bunt  bemalt. 

Eine  andere  Art  der  Verzierung  ist  diejenige  mit  aufgelegten  Verzierungen 
in  Teigmasse,  die  zwischen  Papiermache  und  Stuck  die  Mitte  hält.  Die  Technik 
ist  bekanntlich  in  Italien  (Siena)  besonders  verbreitet  gewesen  und  auch  die 
neben  dem  schon  angeführten  Reliquiar  hier  anzuführenden  Stücke  dürften 
Italien  oder  Südtirol  angehören.    Das  eine,  sehr  mangelhaft  erhaltene,  ist  eine 


Fig.  107.    Mittelalterliche  Holzk&stchen. 

kleine  Truhe  mit  stollenartigen  Füßen  und  schwach  gewölbtem  Deckel.  Die 
Flächen  waren  durchwegs  mit  einem  dicken  kreideartigen  Überzug  versehen, 
der  vergoldet,  bemalt  und  mit  gepunzten  Verzierungen  ausgestattet  ist.  In 
schwachem  Relief  heben  sich  in  Rahmenwerk  die  Figuren  eines  Herrn  und 
einer  Dame  (Liebespaar)  abwechselnd  ab.  Die  ritterliche  Tracht  weist  auf  den 
Anfang  des  15.  Jahrhdts.  Das  andere  Kästchen  (Fig.  108)  hat  ganz  die  Formen 
der  kirchlichen  Truhen,  wobei  der  Untersatz  verhältnismäßig  groß  gebildet  ist. 
Die  Flächen  sind  in  bunten  Streifen,  weiß,  grün  und  rot,  bemalt  und  darauf 
zartes,  ausgedrücktes  Maßwerkornament  aufgeklebt.  Die  starke  Verwenduijg 
der  sogenannten  Fischblase  und  die  Form  der  Truhe  läßt  auf  die  Entstehung 
um  die  Wende  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  schließen.  Bei  einem  dritten 
kleinen  Kästchen  sind  die  fünf  sichtbaren  Seiten  ebenfalls  mit  Fischblasen- 
maßwerk in  gleicher  Technik  ausgefüllt.  Das  Kästchen  ist  hier  rot,  der  Grund 
der  Füllungen  blau,  das  Maßwerk  in  Gold  gehalten.  Das  Alter  mag  das 
gleiche  wie  beim  vorigen  sein. 

Der  gleichen  Verzierungsweise,  diesmal  aber  in  Holz  geschnitzt,  begegnen 
wir  an  einem  ebenfalls  tirolischen  Kästchen  (Fig.  109  unten  links).    Die  hier 


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32  .  DIE  HOLZMÖBEL  DES  6ERBIANISCHEN  BOJSEUMS. 


besonders   reichen    und   geschickt   komponierten  Maßwerkverzierungen  heben 
sich  in  der  Holzfarbe  von  blauem  Grunde  ab. 

Ehe  wir  uns  den  geschnitzten  Holzkästchen,  —  diejenigen  deren  ganze 
Oberfläche  in  Elfenbein  ausgeführt  ist,   sollen  hier  ebensowenig  berührt  wer- 


¥ig.  108.    Mittelalterliches  Holzk&stchen  mit  aufj^elegten  Verr.ierung-en  aus  Teig^masse. 

den,  als  die  mit  völligem  Leder-  oder  Metallbezug  —  zuwenden,  sei  noch 
kurz  der  intarsierten  Kästchen,  einige  Worte  gewidmet.  In  der  sogenannten 
»Certosinerarbeit«  einem  Einlageverfahren,  bei  dem  in  stets  nur  geometrischen 
Mustern  neben  Bein  und  Perlmutter  buntgefärbtes  Holz  und  Metallstreifen 
verwendet  wurden  und  die  in  Italien,  aber  wohl  nicht  nur  in  den  Karthäuser- 
klöstern, ihre  Heimat  hat,  besitzt  das  Museum  ein  Kästchen  einfacher  Form, 
aber  geschmackvoller  Verzierung  (Fig.  109  in  der  Mitte  oben).  Zwei  andere, 
wie  dieses  in  seiner  Entstehungszeit  kaum  genau  zu  bestimmende  Exemplare, 
jedenfalls  tirolisch,  zeigen  in  kleinen  Formen  Holzeinlegearbeit.  Das  eine 
Stück,  außerdem  mit  Messingnägeln  verziert,  findet  sich  auf  Fig.  109  in  der 
Mitte  unten. 

Die  geschnitzten  mittelalterlichen  Kästchen,  ebenfalls  so  weit  sie  aus 
weichem  oder  Obstbaumholz  gefertigt  sind,  stammen  wohl  aus  Oberdeutsch- 
land und  vornehmlich  aus  Tyrol,  haben  die  Art  der  Behandlung  gemeinsam. 
Die  Reliefschnitzerei  ist  entweder  solche  mit  ausgehobenem  Grund,  der  aller- 


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VON  DR  HANS  STEGMANN.  33 


dings  bei  dieser  Gelegenheit  verhältnismäßig  tief  ausgestochen  wird,  oder  sie 
erheben  sich,  soweit  die  Schnitzerei  wirklich  durchmodelliert  ist,  wenigstens 
nie  über  die  umrahmende  Kastenfläche.  Die  geschnitzten  Darstellungen  be- 
wegen sich  außerdem  auf  einem  eng  begrenzten  Gebiete;  Ornamentwerk  und 
Tierfiguren  auf  ornamentiertem  Grund.  Nur  eines  der  in  Frage  kommenden 
Kästchen  beschränkt  sich  auf  geometrisches  Ornament  (Fig.  107  und  110 
unten  links),  Rosetten  in  einer  fast  an  Kerbschnitzerei  gemahnenden  Ausfüh- 


Fig.  109.    Mittelalterliche  Holzk&stcben. 

rung.  Die  andern,  von  denen  die  Abbildungen  107,  109,  110  die  besten  Bei- 
spiele vor  Augen  führen,  haben  meist  Tierdarstellungen  auf  ornamental  ge- 
mustertem Grund.  Auf  dem  größten  und  wohl  ältesten  Stück  ist  nur  die 
Vorderseite  mit  zwei  Compartimenten  geschmückt,  in  denen  in  von  Ranken- 
werk gebildeten  Rundmedaillons  sich  zwei  einander  zugekehrte  Adler  befinden. 
Ein  anderes,  ebenfalls  ziemlich  großes  Exemplar  mit  sich  durch  ihre  Deut- 
lichkeit auszeichnenden  Darstellungen  hat  auf  dem  Deckel  einen  Löwen;  auf 
den  senkrechten  Flächen  vorn  zwei  greifenartige  Ungeheuer,  hinten  einen 
Steinbock    und   Hündin,   seitlich    Hirsch    und    Hund.     Jagd-   und   Fabeltiere 


Fig.  HO.    Mittelalterliche  geschnitzte  Holzk&stchen. 

kommen  gern  nebeneinander  vor,  einmal  begegnen  wir  auch  einem  Affen. 
Ein  Kästchen  ist  in  gleicher  Technik  mit  Buchstaben  geschmückt.  Ziemlich 
sicher  als  niederdeutsch  darf  ein  Eichenholzkästchen  angesprochen  werden, 
das  mit  eisernen  Bändern  umfangen,  ziemlich  primitive  Wappen,  vier  gekrönte 
Buchstaben,  a  und  g,  und  zwei  unverständliche  Worte  enthält. 

Eine  beliebte  Dekorationsweise  für  Holzkästchen  war  zu  allen  Zeiten 
und  in  allen  Ländern  die  Kerbschnitzerei.  Die  Notwendigkeit  bei  dieser 
Technik   sich   im  Wesentlichen   auf  einfache  geometrische   Ornamentbildung 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1905.  5 


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34  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


zur  Füllung  der  Flächen  zu  beschränken,  gibt  allen  diesen  Produkten  eine 
gewisse  Gleichförmigkeit,  wenn  auch  natürlich  bei  näherer  Betrachtung  die 
lokalen  und  zeitlichen  Verhältnisse  in  ihrem  Ausdruck  erkannt  werden  können. 
Man  kann  wohl  behaupten,  daß  die  Kerbschnitzerei  ihrer  verhältnismäßig 
leichten  technischen  Ausführbarkeit  halber  im  Allgemeinen  wie  speziell  bei 
den  Kästchen  nicht  so  sehr  das  Produkt  handwerklicher  Übung,  als  das  des 
Volkes  bildet  und  so  dürften,  ganz  abgesehen  von  ihrer  verschiedenen  Pro- 
venienz die  kerbgeschnitzten  Kästen  der  bäuerlichen  mehr  als  der  städtischen 
Kunstübung  zuzuteilen  sein. 

Die  große  Reihe  kerbgeschnitzter  Kästchen  mag  mit  sechs  solchen, 
darunter  auch  eine  größere,  truhenförmige  Kiste,  aus  Swanetien  eingeleitet 
sein.  Die  Form  dieser,  wie  aller  andern  Kästchen  dieser  Art  ist  die  des 
regelmäßigen  Parallelopipedons,  die  Schreinerarbeit  sehr  primitiv  aber  praktisch. 
Aus  den  Schmalseiten  sind  die  niedrigen  Stollen,  an  einzelnen  Stücken  zu 
einer  Art  Fuß  geschnitzt,  entwickelt.  Der  Kerbschnitt  geht  gewöhnlich  bei 
diesen  Stücken  ziemlich  tief,  charakteristisch  ist  die  auf  dem  stehengebliebenen 
Grat  noch  stets  eingeschnittene  feine  Linie.  Die  Formen  sind  ganz  einfache, 
Sterne,  Kreise   mit   gewellten  Linien,    Rauten    und  dergl.     Beachtenswert  ist 


FiK-  111.    Uolzkä-stchen  der  Renainsance. 

die  sich  an  mehreren  Stücken  findende  Tendenz,  das  Ornament  in  schrägen 
Streifen  über  die  Fläche  laufen  zu  lassen. 

Den  Kerbschnitzarbeiten  verwandt,  aber  zwischen  dieser  Technik  und 
derjenigen  mit  ausgehobenem  Grund  eine  Mittelstufe  bildend,  stellen  sich  zwei 
Holzkästchen  aus  Island  dar.  Das  größere  derselben  zeigt  die  Flachschnitzerei 
nur  auf  den  vier  vertikalen  Seiten  und  zwar  je  eine  von  einer  Ornamentum- 
rahmung umgebene  Füllung.  Füllung  wie  Umrahmung  zeigen  stilisiertes 
Rankenwerk,  das  in  seiner  primitiven  Art  stark  an  die  romanischen  Formen 
erinnert.  Das  kleinere  Kästchen  ist  auf  den  vier  vertikalen  Seiten  und  dem 
Deckel  mit  Streifen  bedeckt,  die  abwechselnd  ein  einfaches  Rankenornament 
und  Runen  zeigen. 

Von  Kästchen  aus  Kerbschnitzereiverzierung  aus  deutschen  Gauen  be- 
sitzt das  Museum  sechs  Exemplare,  außer  einigen  hierhergehörigen  der  Samm- 
lung bäuerlicher  Altertümer  angehörigen  Stücken.  In  Fig.  111  links  ist  ein 
Exemplar  unserer  Sammlung  wiedergegeben.  Auf  die  Elemente  des  Kerb- 
schnittornaments hier  einzugehen,  kann  billig  unterbleiben.  Nur  soviel  sei 
schließlich  noch  bemerkt,  daß  die  Unveränderlichkeit  der  wenigen  möglichen, 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


35 


allerdings  unzählige  Kombinationen  zulassenden  Formen  eine  nähere  Bestim- 
mung der  Entstehungszeit  einigermaßen  schwierig  macht.  Vermutlich  geht 
keines  der  Exemplare  unserer  Sammlung,  die  im  Aufbau  ganz  einfach  sind, 
über  das  17.  Jahrhundert  zurück,  während  vielleicht  das  eine  oder  andere  erst 
im  19.  Jahrhundert  geschnitten  worden  ist. 


Fig.  112.    Kästchen  mit  Wismutmalerei;  16.— 17  Jahrb. 

Bemerkenswerter  Weise  sind  die  Holzkästchen  der  Renaissance  viel 
schwächer  im  Museum  vertreten,  als  die  mittelalterlichen,  wenigstens  insofern 
sie  durch  ihre  Gestaltung  oder  Verzierung  von  Bedeutung  sind.  Und  doch 
hat  die  Renaissance  nicht  nur  den  Komfort  der  Lebenshaltung  ganz  wesent- 
lich gesteigert,  sondern  auch  in  der  formalen  Behandlung  der  Gebrauchsgegen- 
stände auf  eine  verzierende ,  künstlerische  Behandlung  noch  mehr  als  das 
Mittelalter  Wert  gelegt.  Abgesehen  von  der  vielleicht  mehr  zufälligen  Lücken- 
haftigkeit gerade  unseres  Bestandes,  sind  aber  auch  allgemeine  Gründe  für 
den  Rückgang  der  kunstgewerblichen  Bedeutung  des  Holzkästchens  als  Schmuck- 
behälter u.  dergl.  leicht  zu  erweisen.  Einmal  die  Tatsache,  daß  das  metallene 
Kästchen,  aus  Edel-  und  Unedelmetall,  wohl  aus  Gründen  höherer  Sicherheit, 
übrigens  auch  aus  dekorativ-technischen  Gründen  (z.  B.  der  schnell  an  Ver- 
breitung gewinnenden  Eisenätzung)  mehr  in  den  Vordergrund  trat,  dann  daß 
die  Truhe,  welche  wieder  das  Kästchen  einschloß,  mehr  und  mehr  dem 
Schranke  weichen  mußte.  Die  Schrankformen  entwickelten  sich  aber  alsbald, 
auch  außerhalb  der  vielfächerigen  sogenannten  Kabinetschränke  nach  der  Rich- 


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36  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  lOJSEUMS. 

tung,  daß  er  möglichst  mehrere  getrennt  abzuschließende  Fächer  oder  Gelasse 
erhielt,  die  wenigstens  teilweise  das  Kästchen  überflüssig  machten. 

Im  Übrigen  ist  die  Spätrenaissance,  die  Zeit  des  Barocks  die  2^it  der 
Surrogate.  An  Stelle  der  Holzschnitzerei  treten  an  den  Holzkästchen,  die 
entweder  einfache  Kastenform  oder  die  der  Truhe  mit  Untergestell  haben, 
neben  der  Bemalung  die  oft  sehr  reizvolle  Dekoration  in  Teigmasse  oder 
Papiermache,  wovon  das  Museum  eine  Anzahl  treflFlicher  Beispiele  besitzt. 
Lederbezug  mit  Pressung,  Stoff,  mit  Filigranbesatz  oder  Stickerei,  gepreßtes 
Papier,  Strohmosaik  kommt  zunächst  als  Bekleidung  des  Holzkems  zur  Ein- 
führung, bis  auch  dieser  verschwindet  um  dem  Pappdeckel  Platz  zu  machen. 


Fig.  118.    Deckel  eines  Kästchens  mit  Wismutmalerei;  15.  Jahrh. 

Von  den  späteren  Holzkästchen  verdienen  nur  drei  Einzelerwähnung,  eines 
mit  geschmackvollen  Perlmuttereinlagen,  ein  truhenförmiges  ganz  vergoldetes, 
das  mit  eingedrücktem  leichtem  Rankenornament  verziert  ist  und  ein  solches 
in  Nußbaumholz,  in  Kofferform  mit  hübschem  in  Bein  eingelegtem  Ranken- 
werk. Die  beiden  letzteren  sind  auf  Fig.  111  wiedergegeben.  Die  kleine 
Truhe  gehört  wohl  ebenso  wie  die  beiden  Kästchen  dem  17.  Jahrh.  an. 

Schließlich  mag  noch  bemerkt  werden,  daß  eine  Anzahl  Kästchen  zwar 
von  außen  Deckelkästchen  gleicht,  aber  in  Wirklichkeit  schrankartig  mit  Türen 
und    meist   einer   größeren  Zahl    von    inneren  Schiebfächern    ausgestattet   ist. 

Eine  größere  Reihe  der  Holzkästchen  des  Museums  ist  mit  der  soge- 
nannten   Wismutmalerei    verziert.      Als    Kästchen    sind    sämtliche    derartigen 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


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Stücke  von  der  einfachsten  Form,  die  keiner  besonderen  Besprechung  bedarf. 
Über  einige  hervorragende  und  zugleich  mit  ältesten  Stücke  hat  A.  v.  Eye 
in  einem  kleinen  Aufsatz  des  Anz.  f.  Kunde  d.  d.  Vorz.  1876,  Sp.  IfiF.  be- 
richtet. Das  dort  berichtete  Vorkommen  der  Wismutmalerei  schon  im  14.  Jahrh. 
steht  mit  der  gewöhnlichen  Annahme,  daß  das  Wismut  erst  im  15.  Jahrhundert 
auftauche,  in  Widerspruch.  Jedenfalls  aber  besitzt,  wenn  die  letztere  Annahmt 
richtig  ist,  das  Museum  in  einem  Kästchen,  dessen  Deckelzier  hier  nochmals 
in  Fig.  113  wiedergegeben  wird,  ein  sehr  frühes  Beispiel  dieser  Technik. 
Auf  dünnem  Kreidegrund,  dem  üblichen  Malgrund,  wurde  eine  dünne  Schicht 
Wismutpulver  aufgetragen  und  diese  mit  dem  Polierstein  geglättet,  so  daß 
eine  metallisch  glänzende  Oberfläche  entstand.  Auf  diese  wurden  dann  die 
gewöhnlich  in  lebhaften  Farben  gehaltenen  Malereien  aufgetragen  und  das 
Ganze  mit  einem  Firniß  überzogen.  Die  stattliche  Reihe  von  Wismutkäst- 
chen des  Museums  reicht  vom  Ende  des  15.  bis  zum  18.  Jahrhundert  (die 
Jahreszahl  1423  auf  dem  frühesten  abgebildeten  Stück  ist,  wie  aus  dem 
Kostüm  sich  ergibt,  offensichtliche  Fälschung).  Vom  Anfang  bis  zu  Ende 
vermag  die  Malerei  auf  eigentlichen  Kunstwert  keinen  Anspruch  zu  machen; 
ihre  Verfertiger  betrieben  offensichtlich  die  Herstellung  mit  großer,  aber 
mechanischer  Handsicherheit  ganz  handwerksmäßig. 

Wichtiger  sind  sie  kulturgeschichtlich,  weil  sie  in  der  guten  Zeit  bis 
zum  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts  manchen  Beitrag  zur  Kunde  des  bürger- 
lichen Lebens  bringen.  Gleich  der  Kunst  der  Karten-  und  Briefmaler,  hat 
der  Illustrationsdruck  langsam  dem  Verfahren  den  Garaus  gemacht.  An  die 
Stelle  der  oft  hübschen,  naiven  figürlichen  Darstellungen,  Liebes-  und  Braut- 
paare sind  besonders  beliebt,  treten  Kopien  von  Holzschnitten,  endlich  flau 
gemaltes  Ornament.  In  Fig.  112  sollen  drei  Kästchen  einen  ungefähren  Ein- 
druck der  Erscheinung  geben,  das  mittlere  gehört  dem  frühen,  das  andere 
dem  späten  16.,  das  oberste  dem  späten  17.  oder  gar  schon  18.  Jahrhundert 
an.  Außerdem  sei  auf  zwei  weitere  Holzschnittnachbildungen  in  dem  erwähnten 
Aufsatz  von  Eye's  verwiesen.  Die  durch  die  Länge  der  Zeit  unvermeidliche 
Oxydation  hat  leider  den  eigentümlichen  Metallüster  des  Wismutgrundes  und 
damit  die  Besonderheit  dieser  Art  von  Kästchen  verschwinden  oder  wenig- 
stens sehr  stumpf  werden  lassen. 

Der  Schritt  von  dieser  schon  verhältnismäßig  billigen  und  einfachen 
Technik  zu  einer  noch  billigeren  lag  nahe.  Und  er  wurde  auch  gemacht, 
einmal  nach  der  Seite,  daß  man  den  charakteristischen  Wismutgrund  wegließ 
und  die  Kästchen  in  meist  recht  primitiver  Weise  in  Ölfarbe  oder  sogar  in 
Leimfarbe  bemalte,  was  sich  auf  den  bäuerlichen  Kästchen  und  insbesondere 
den  Spanschachteln  bis  in  das  späte  19.  Jahrhundert  erhalten  hat.  Die  ur- 
sprünglich städtische  Kunst  wurde  auch  hier  vom  flachen  Lande  aufgenommen 
und  von  der  bäuerlichen  Bevölkerung,  wenn  auch  in  einfacheren  Formen  be- 
wahrt und  weitergeführt.  Die  Abteilung  bäuerlicher  Altertümer  enthält  eine 
schöne  Anzahl  von  Beispielen  dieser  letzten  Ausläufer  des  vornehmen  mittel- 
alterlichen Kästchens.  Die  andere  Vereinfachung  war,  daß  man  statt  sie  zu 
bemalen,   die  Kästchen  mit  kolorierten  Kupferstichen  oder  Holzschnitten  be- 


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38  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMAN.  MUSEUMS.    VON  DR.  HANS  STE6MANN. 


klebte,  die  dann  eine  mehr  oder  minder  geschmackvolle,  gemalte  Umrahmung 
erhielten.  Auch  davon  finden  sich  eine  Reihe  von  Proben  in  der  Sammlung 
der  Hausgeräte. 

Die  bäuerlichen  Holzkästchen  bieten  keine  von  den  bürgerlichen  verschie- 
denen, nennenswerten  Typen  dar.  Hier  wie  dort  tritt  mit  der  Zeit  die  näm- 
liche Verflachung  ein,  die  Span-  oder  Pappschachtel  mit  mehr  oder  minder 
geschmackloser  Dekoration,  tritt  an  die  Stelle  des  Holzkästchens.  Dieses 
selbst  bleibt  im  bäuerlichen  Hausrat  nur  in  einer  Nutzform  länger  konstant 
erhalten,  dem  Nähkästchen  mit  pultförmig  abgeschrägtem  Deckel,  das  im 
übrigen  alle  schon  erwähnten  Verzierungsweisen  aufnimmt. 


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DIE  ORIGINALZEICHNUNG  ZUM  HOLZSCHNITT 
•  HANS  SEBALD  BEHAM  B.   149. 

VON  DR.  FRITZ  TRÄÜGOIT  SCHÜI.Z. 

Gustav  Pauli  führt  in  seinem  kritischen  Verzeichnis  der  Werke  Hans 
Sebald  Beham's  unter  den  Exemplaren  der  1552  erschienenen  Ausgabe 
von  dessen  Kunst-  und  Lehrbüchlein  auch  ein  solches  als  im  Germanischen 
Museum  zu  Nürnberg  befindlich  auf.  Zwar  trägt  unser  Exemplar  die  Jahreszahl 
1552,  jedoch  nicht  am  Schluß  des  Textes  im  Druck,  sondern  nur  auf  dem 
Einbanddeckel  als  handschriftliche  Notiz.  Zudem  ist  dasselbe  nicht  einmal 
vollständig,  es  fehlen  13  Seiten,   und  die  beiden  letzten  Blätter,    nummeriert 

14  und  15,  gehören  garnicht  zum  Kunst-  und  Lehrbüchlein,  sondern  stam- 
men aus  der  »Proporcion  der  Ross«  vom  Jahre  1528.  Die  erste  Ausgabe 
des  Kunst-  und  Lehrbüchleins  erschien  1546  und  zwar  zu  Frankfurt  bei 
Christian  Egenolff  (Pauli  S.  490 — 491).  Die  zweite  ist  die  vom  Jahre  1552. 
Eine  dritte  kam  1557  heraus  unter  dem  Titel:  »Das  Kunst  und  Lere  |  Büch- 
lin,  Sebalden  Behems.  |  Malen  vnd  Reissen  zulernen,  Nach  |  rechter  Pro- 
portion I  Mass  vnd  aussteylung  des  |  Circkels.  Angehenden  Malern  vnd  | 
Kunstbaren  Werckleuten  dienlich.  |  Zu  Franckfurt,  Bei  Christian  Egenolffs 
Erben«  (Pauli  S.  499).  Da  dieser  Titel  mit  demjenigen  unseres  Exemplares 
genau  übereinstimmt,  so  muß  es,  abgesehen  von  den  nicht  zugehörigen  beiden 
Blättern  am  Schluß,  ein  und  dieselbe  Ausgabe  sein.  Es  wäre  demnach  außer 
dem  Wolfenbütteler  Exemplar  noch  das  unsrige  ergänzend  anzuführen ,  es 
aber  bei  den  Ausgaben  vom  Jahre  1552  zu  streichen.  Weitere  Ausgaben 
erschienen  1565,  1566,  1582,  1594  und  1605,  letztere  bei  Vincentius  Stein- 
meyer in  Frankfurt.«  Dann  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  sich  in  der  im  Ger- 
manischen Museum  aufbewahrten  Kupferstichsammlung   der   Stadt   Nürnberg 

15  Blatt-Ausschnitte  einer  Ausgabe  des  Kunst-  und  Lehrbüchleins  befinden, 
deren  Titel,  soweit  er  vorhanden  ist,  mit  keinem  der  von  Pauli  aufgeführten 
übereinstimmt.  Es  muß  demnach  noch  eine  weitere  Ausgabe  erschienen  sein, 
welche  wohl  zwischen  den  Ausgaben  von  1566  und  1582  als  neunte  angesetzt 
werden  darf.     Die  Abdrücke  der  Holzstöcke  sind  kräftig  und  schön. 

Das  Kunst-  und  Lehrbüchlein  fällt  in  eine  Zeit,  in  welcher  Beham's 
Kunst  im  Niedergang  begriffen  war.  Er  hatte  den  Höhepunkt  seines  Schaffens 
als  Künstler  bereits  um  das  Jahr  1535  überschritten,  sich  von  nun  an  selten 


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DIE  ORIGINALZEICHNUNG  ZUM  HOLZSCHNITT  HANS  SEBALD  BEHAM  B.  149. 


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VON  DR  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ.  41 


mehr  zu  Leistungen  direkt  eigenen  Schlages  aufschwingend.  Nicht  mit  Un- 
recht vermutet  darum  Pauli,  daß  die  vortrefiflicheren  Holzschnitte  des  ge- 
nannten Büchleins  ältere  Arbeiten  seien,  welche  bei  dieser  Gelegenheit  datiert 
und  eingeschoben  worden  wären  (S.  15).  Ganz  besonders  scheint  mir  dies 
der  Fall  gewesen  zu  sein  mit  dem  prächtigen,  bärtigen  Kopf  des  zur  Seite 
blickenden  alten  Mannes  (Abb.  1),  welcher  sich  aus  der  Reihe  der  übrigen 
Darstellungen  stark  heraushebt.  Es  mag  hier,  ohne  es  natürlich  als  bündigen 
Beweis  hierfür  betrachtet  wissen  zu  wollen,  auf  die  Ähnlichkeit  hingewiesen 
werden,  welche  zwischen  unserem  Kopf  und  dem  des  Adam  auf  dem  ersten 
Blatt  aus  der  in  der  ersten  Ausgabe  1530  edierten  Folge  der  Patriarchen  mit 
Frauen  und  Kindern  *)  (B.  74,  Pauli  691),  weiter  dem  des  Henoch  auf  dem 
siebenten  Blatt  dieser  Folge  (B.  78,  Pauli  697)  und  vielleicht  auch  dem  des  Noah 
auf  dem  letzten  Blatt  derselben  (B.  83,  Pauli  700)  besteht.  Auch  sei  auf  die 
Verwandtschaft  unseres  Kopfes  mit  dem  des  1520  datierten  Hieronymus 
B.  61  (Radierung)  wenigstens  aufmerksam  gemacht.  Zwingend  sind  diese 
Argumente  natürlich  nicht.  Doch  werden  sie  gewiß  mit  dazu  beitragen  können, 
die  Vermutung  Pauli's  berechtigt  erscheinen  zu  lassen. 

Betrachten  wir  uns  nun  diesen  Kopf  etwas  näher,  so  gewinnt  man  den 
Eindruck  ein  Porträt  vor  sich  zu  haben.  Die  Nase  ist  scharf  geschnitten, 
die  Augenbrauen  erscheinen  energisch  markiert.  Das  Haar  hängt  wirr  um 
den  Kopf,  die  Backenknochen  treten  ungewöhnlich  hervor,  der  struppige 
Schnurrbart  fällt  teilweise  bis  über  den  Mund  herab,  Kinn  und  Backen  um- 
rahmt ein  krauser,  in  zwei  Teile  gesträhnter  Backenbart.  Ernst,  fast  unwirrsch 
richtet  sich  der  Blick  zur  Seite.  Der  Oberkörper  ist  in  wenig  natürlicher 
Weise  gedrungen,  seine  Kontur  etwas  unwahrscheinlich,  die  linke  Schulter 
zu  stark  gehoben.  Siehe  Abb.  1.  Alles  in  Allem  aber  ist  es  ein  Kopf,  der  durch 
die  kräftige  Art  seiner  individuellen  Charakterisierung  weit  über  das  gewöhnliche 
Mittelmaß  künstlerischen  Könnens  hinausgeht.  Dennoch  aber  gewinnen  wir 
bei  der  Betrachtung  der  Einzelheiten  den  Eindruck ,  als  sei  es  dem  Holz- 
schneider nicht  vollkommen  gelungen,  den  Eigenheiten  der  originalen  Vorlage 
Beham's,  der  bekanntlich  ein  trefflicher  Zeichner  war,  ganz  gerecht  zu  werden. 
Deuten  bereits  hierauf  die  schon  berührten  Verzeichnungen  des  Oberkörpers 
hin,  so  kommen  noch  die  offenbar  mißverstandene  Wiedergabe  des  Schnurr- 
bartes, der  unmöglich  so  weit  über  den  Mund  herabhängen  kann,  die  un- 
natürlich erscheinende  Darstellung  des  oberen  Backenbartes  an  der  linken 
Wange  und  überhaupt  die  etwas  übertriebene  Breite  des  Dreiviertelprofils 
hinzu.  Es  wäre  nicht  das  erste  Mal,  daß  Beham  für  seine  Zeichnungen  einen 
seinen  Intentionen  nicht  mit  vollem  Geschick  folgenden  Xylographen  gefunden 
hätte.  Es  braucht  hier  nur  an  die  beiden  Holzschnitte  Simsons  mit  den 
Thoren  von  Gaza  und  Simsons  im  Schöße  der  Delila  für  die  1534  in  Mainz 


1)  Der  Vollständigkeit  halber  sei  erwähnt,  daß  die  im  Germanischen  Museum  auf- 
bewahrte Kupferstichsammlung  der  Stadt  Nürnberg  ein  kompletes  Exemplar  dieser  Folge 
ohne  jeglichen  Text  besitzt.  Auch  wäre  weiter  bei  Pauli  nachzutragen,  daß  sich  außer 
dem  neuen  Abdruck  des  Zustandes  III  des  Blattes  mit  Adam  und  Eva  noch  ein  zweiter 
mit  einem  A  rechts  oben  im  Germanischen  Museum  befindet. 


Bfitteilongen  ans  dem  gennan.  Natioiialmuseum.    1906. 


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DIE  ORIGINALZEICHNÜNG  Z.  HOLZSCHNITT  H.  S.  BEHAM.    VON  DR.  F.  TR.  SCHULZ, 


erschienene  Bibelübersetzung  Dietenbergers  erinnert  zu  werden,  wo  Beham 
schon  das  gleiche  Mißgeschick  erlebt  hatte  (vgl.  Pauli  S.  5).  Meine  Ver- 
mutung wird  aber  zur  Gewißheit,  wenn  wir  eine  mit  unserem  Holzschnitt  auf 
das  Engste  verwandte  Federzeichnung  aus  unserer  Sammlung  von  Handzeich- 
nungen heranziehen.  Sie  trägt  im  Katalog  die  Nummer  91,  war  bislang  unter 
den  unbekannten  Meistern  eingereiht,  aber  schon  seiner  Zeit  von  Herrn  Direktor 
Bosch  mit  dem  Zusatz  »H.  S.  Beham?c  versehen  worden.  Es  ist,  wenn  man 
den  Holzschnitt  und  die  in  Abb.  2  wiedergegebene  Zeichnung  mit  einander 
des  Näheren  vergleicht,  ganz  offenbar,  daß  letztere  dem  ersteren  als  Vorlage 
gedient  hat.  Und  wer  sollte,  wenn  man  den  Holzschnitt  Beham  zuschreibt, 
bezw.  zuschreiben  muß,  die  Zeichnung  anders  angefertigt  haben  als  eben  der 
Künstler  selbst?  Wir  haben  es  also  mit  einer  eigenhändigen  Zeichnung  Behams 
zu  thun,  welche  als  solche  meines  Wissens  zum  ersten  Mal  zur  Veröffentlichung 
gelangt  und  darum  für  die  Charakteristik  des  Meisters  einen  neuen  Beitrag  liefert. 
Sie  verrät  in  allem  den  begabten  Schüler  Albrecht  Dürer's,  welcher  mit 
scharfem  Auge  beobachtet,  rasch  erfaßt  und  den  Gegenstand  in  seiner  ganzen 
Kraft  samt  allen  seinen  zierlichen  Details  mit  sicherer  Hand  wiederzugeben 
weiß.  Wie  ungleich  höher  steht  doch  die  Zeichnung  über  dem  Holzschnitt! 
Von  der  Gedrücktheit  dort  finden  wir  hier  keine  Spur.  Alles  ist  freier  und 
natürlicher.  Die  linke  Schulter  ist  nicht  in  übermäßiger  Art  hochgezogen. 
Die  Licht-  und  Schattenpartien  sind  klarer  durchgeführt.  Das  Gewand  er- 
scheint namentlich  an  den  Oberarmen  der  Wirklichkeit  mehr  entsprechend 
gelegt.  Stolz  wächst  der  die  selbstbewußte  Kraft  deutlich  ausdrückende 
Kopf  gänzlich  ungezwungen  zwischen  den  Schultern  heraus.  Trotzig  ernst 
ist  der  Blick  zur  Seite  gerichtet,  während  er  auf  dem  Holzschnitt  etwas  De- 
mütig-Lauemdes  an  sich  hat.  Dazu  kommt  die  geradezu  meisterhafte  Durch- 
bildung der  hervorstechenden  Einzelheiten  des  Gesichts,  die  virtuose  Behand- 
lung von  Backenbart  und  Haupthaar.  Und  konnten  wir  schon  den  Holzschnitt 
als  eine  doch  im  Ganzen  tüchtige  Leistung  hinstellen,  so  wird  nunmehr  die 
Achtung  vor  dem  Meister,  dessen  Original  nur  von  dem  Xylographen  nicht 
in  seinen  ganzen  Feinheiten  in  den  Holzschnitt  umgesetzt  werden  konnte, 
noch  um  ein  Beträchtliches  steigen. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Helmatkunst.  Von  Dr.  Ing.  Ernst  Vetterlein,  Privatdozent  an  der  Technischen 
Hochschule  zu  Darmstadt.  Leipzig,  Bernhard  Richters  Buchhandlung.  1905.  31  SS. 
1  M.  20  ^. 

Die  neueste  Zeit  hat  uns  ein  neuestes  Wort  gebracht,  nach  dem  wir  uns  lange 
gesehnt  haben.  >Heimatkunst.«  Wie  klingt  das  Wort  so  >traut€.  Ein  Klang  aus  den 
sonnigen  Tagen  unserer  Kindheit,  der  halbvergessen  in  unserem  inneren  Ohr  forttönte 
ist  in  ihm  zum  vollen  reinen  Akkord  angeschwollen  und  wird  Wiederhall  finden  in  aller 
Herzen,  die  den  Zusammenhang  mit  dem  Urquell  ihrer  Kraft,  mit  dem  Volk  nicht  verloren 
haben.  Auf  das  Wort  »Heimatkunst«  trifft  Mephistopheles  höhnender  Ausspruch  nicht 
zu:  >Da  eben,  wo  Begriffe  fehlen,  da  stellt  ein  Wort  zur  rechten  Zeit  sich  ein.«  Nein, 
dunkel  geahnt  haben  wir  den  Begriff  schon  lange,  jetzt  aber  steht  er  vor  unserem  geistigen 
Auge  in  voller  Bestimmtheit,  wie  aus  Granit  gemeißelt:  »Heimatkunst.  Sie  verdient 
diesen  Ehrennamen  nur  dann,  wenn  die  von  uns  errichteten  Bauten  wie  mit  dem  heimat- 
lichen Boden  verwachsen  erscheinen,  wenn  sie  förmlich  mit  der  Natur  eins  sind. 
Dann  bilden  sie  einen  Teil  unserer  Heimat  im  Ganzen.  Und  wie  die  Natur  den 
Charakter  des  Menschen  gemodelt  hat,  so  daß  die  Bergbewohner  anders  geartet  sind 
als  die  in  der  Ebene  wohnenden  Volksstämme,  so  müssen  nun  die  der  Natur  angepaßten, 
von  Menschenhand  errichteten  Bauwerke  einen  Ausdruck  des  menschlichen  Charakters 
bilden.  So  entsteht  unter  mannigfachen  Wechselwirkungen  eine  große  Einheit:  Natur, 
Mensch  und  Kunst,  von  denen  jeder  Teil  von  den  gleichen  klimatischen  und  sonstigen 
Bedingungen  abhängig  ist.«  Da  nun  mit  dem  Wort  Heimatkunst  ein  klarer  und  bedeuten- 
der Begriff  in  unlösbaren  Zusammenhang  gebracht  ist,  fürchte  ich  nicht,  mißverstanden 
zu  werden,  wenn  ich  weiter  zitiere:  »An  Worte  läßt  sich  trefflich  glauben.« 

An  wie  viele  Worte  haben  wir  schon  geglaubt:  Die  klassische  Kunst,  die  romantische 
Kunst,  die  italienische  Renaissance,  die  deutsche  Renaissance,  alle  späteren  Stils,  die 
Moderne.  Alles  war  Irrtum.  Warum  war  es  Irrtum?  »Unsere  heutige  Kunst  ist  nicht 
der  charakteristische  Ausdruk  unseres  Wesens  und  unserer  Heimat.«  Das  Heil  liegt  in 
der  Heimatkunst. 

Nein  Herr  Vetterlein.  Es  war  nicht  alles  Irrtum.  Schinkel,  Klenze,  Semper, 
Friedrich  Schmidt,  Hase,  um  nur  Verstorbene  zu  nennen,  haben  nicht  geirrt;  was 
sie  geschaffen  haben  war  ebenso  rein  der  Ausdruck  ihres  Wesens,  als  die  Werke  der 
Darmstädter  Künstlerkolonie  der  Ausdruck  des  Wesens  von  Olbrich,  Patriz  Huber, 
Peter  Behrens  u.  A.  sind,  aber  das  Wesen  dieser  Männer  war  eben  ein  anderes  als 
das  der  Modernen.  Freilich  war  ihre  Kunst  nicht  Volkskunst,  sondern  die  vornehme 
Kunst  hochgebildeter  Männer.  Wenn  etwas  ihrer  Wirkung  auf  die  Allgemeinheit  im 
Wege  stand,  so  war  es  nicht  ihre  Schwäche,  sondern  ihre  monumentale  Höhe.  Auch 
sie  haben  aus  voller  Begeisterung  ihrer  Seele  geschaffen.  Es  muß  endlich  Einspruch 
erhoben  werden  gegen  das  banale  Schlagwort,  die  ganze  Baukunst  des  19.  Jahrhunderts, 
soweit  sie  in  historischen  Formen  gearbeitet  hat,  war  Verirrung.  Gewiß,  die  geistigen 
Großtaten  des  19.  Jahrhunderts  liegen  nicht  auf  dem  Gebiete  der  Baukunst,  aber  die 
Geringschätzung,  mit  der  sie  heute  behandelt  wird,  beruht  doch  auf  völliger  Verkennung 
ihres  Wertes.  Der  immer  wiederholte  Vorwurf  ist  der,  daß  sie  mit  historischen  Detail- 
formen gearbeitet  hat.  Als  ob  das  Wesen  der  Baukunst  im  Detail  beschlossen  wäre,  als 
ob  die  Architekten  nichts  besseres  zu  tun  hätten,  als  »ihr  Wesen«  immer  nur  in  neuen 
Details  »zum  Ausdruck  zu  bringen«.    Was  haben  denn  Iktinos,  Gerhard  von  Rile 


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44  LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


und  Antonio  da  San  Gallo  an  Details  erfunden?  Es  gibt  Perioden,  in  welchen  die 
Erfindung  neuer  Details  lebhaft  quillt,  und  andere,  welche  ihrer  entbehren  können.  Ober 
die  rein  architektonische  Bedeutung  der  einen  und  der  anderen  ist  damit  nichts  entschieden. 

Das  19.  und  vorerst  auch  das  20.  Jahrhundert  unterscheiden  sich  freilich  darin  von 
andern  Epochen,  daß  die  verschiedensten  historischen  Stile  nebeneinander  in  Verwendung 
sind  und  daß  sich  bis  vor  Kurzem  die  Anhänger  des  einen  oder  anderen  lebhaft  be- 
fehdeten. Sehen  wir  aber  vom  Detail  ab,  so  nehmen  wir  wahr,  daß  für  jede  Periode 
des  19.  Jahrhunderts  die  Gesamtempfindung,  wie  die  Grundzüge  der  Komposition  unab- 
hängig von  den  Einzeiformen  die  gleichen  waren  und  daß  neue  Kompositionsaufgaben 
stets  auch  neue  und  eigenartige  Lösungen  gefunden  haben.  Nicht  als  ob  das  Detail  die 
Komposition  gar  nicht  beeinflußt  hätte,  aber  die  maßgebende  Bedeutung,  die  ihm  im 
Allgemeinen  beigemessen  wird,  kommt  ihm  nicht  zu.  Die  konsequente  Entwickelung 
der  Baukunst  im  19.  Jahrhundert  ist  dadurch,  daß  gelegentlich  stark  archaisiert  wurde 
nicht  gestört  worden;  auch  in  ihr  manifestiert  sich  in  voller  Klarheit  das  psychologische 
Gesetz  der  Entwickelung  in  Gegensätzen,  das  alle  Geschichte  beherrscht.  Den  Ausgang 
bildet  die  strenge  und  nüchterne  Kunst  des  Empire.  Die  Grundrisse  wurden  auf  im 
Voraus  festgelegte  Axensysteme  komponiert,  wobei  der  Monumentalität  oft  weitgehende 
Konzessionen  gemacht  wurden.  Symmetrie  nach  einer,  wenn  möglich  nach  zwei  sich 
kreuzenden  Axen  war  eine  selbstverständliche  Forderung.  Im  Aufbau  wurden  die  Pro- 
portionen mit  peinlicher  Sorgfalt  abgewogen  und  eine  ruhige  Umrißlinie  wurde  als  unum- 
gänglich für  die  monumentale  Wirkung  erachtet.  Diese  Grundsätze  haben  auch  Romantiker 
wie  Gärtner  befolgt,  der  freilich  ein  langweiliger  Romantiker  war.  Im  Detail  herrscht  in 
dieser  ersten  Epoche  Sparsamkeit,  Zurückhaltung  und  eine  strenge,  ja  trockene  Formgebung. 
Dann  fahrt  die  Entwickelung  allmählig  zu  freierer  Komposition  und  reicherer  Ausstattung, 
aber  die  Grundsätze  der  monumentalen  Komposition  bleiben  bis  ins  dritte  Viertel  des  Jahr- 
hunderts die  gleichen.  An  kleineren  Aufgaben,  namentlich  am  Familienhaus  fand  unter 
Führung  der  Gotiker  die  freie  malerische  Gruppierung  mehr  und  mehr  Aufnahme. 
Schließlich  ist  sie  auch  in  den  Monumentalbau  eingedrungen  und  beherrscht  ihn  jetzt 
vollständig.  Dabei  gewöhnte  man  sich  an  einen  immer  größeren  Reichtum  der  äußeren 
und  inneren  Ausstattung. 

E^  wäre  nicht  schwer,  aus  allen  Epochen  des  19.  Jahrhunderts  eine  stattliche  Zahl 
von  Bauwerken  zu  nennen,  welchen  bleibende  Bedeutung  zukommt.  Trotz  der  engen 
Anlehnung  an  die  Formen  der  historischen  Stile  tragen  sie  alle  einen  bestimmt  aus- 
gesprochenen Zeitcharakter.  Das  Verhältnis  der  Baukunst  des  19.  Jahrhunderts  zu  den 
historischen  Stilen  ist  trotz  der  tiefgreifenden  Verschiedenheit  der  wissenschaftlichen 
Erkenntnis  in  künstlerischer  Hinsicht  nicht  viel  anders,  als  das  der  Renaissance  zur 
Antike.  Kein  selbständiger  Architekt  hat  sich  je  durch  die  historischen  Einzelformen  in 
seinem  architektonischen  Schaffen  beengt  gefühlt. 

Dieses  Verkennen  der  wahren  Situation,  diese  Überschätzung  der  Bedeutung  des 
Details  hat  früh  zu  einer  Unterschätzung  des  architektonischen  Wertes  der  Baukunst  des 
19.  Jahrhunderts  geführt.  Man  sah  nur  das,  worin  sie  unselbständig  und  hatte  kein  Auge 
für  das,  was  ihr  eigen  war. 

Das  Sehnen  nach  einem  neuen,  unserer  Zeit  eigenen  Stil,  besser  gesagt  das  Sehnen 
nach  neuen  eigenartigen  Details,  erst  von  wenigen  Träumern  im  Stillen  gehegt,  dann 
öffentlich  ausgesprochen,  endlich  von  den  Kunstschreibern  als  Schlachtruf  aufgegriffen, 
fand  seine  Erfüllung  in  dem  Moment,  als  gegen  die  übermäßige  Vielseherei  ein  Rückschlag 
eintreten  mußte.  Die  Entwicklung  war  durch  Dezennien  vom  streng  architektonischen 
zum  Malerischen,  vom  Einfachen  zum  Reichen  und  Überladenen  gegangen.  Als  die  Pol- 
höhe erreicht  war  trat  eine  rückläufige  BeAvegung  ein  und  zwar  soweit  die  führenden 
Kräfte  in  Betracht  kommen  mit  einem  Sprung  ins  Extrem  der  äußersten  Einfachheit. 
Die  Bewegung  ging  von  England  aus  und  fand  in  Deutschland  energische  Förderung. 
Daß  dieser  Rückschlag  eintreten  mußte,  war  wohl  keinem  zweifelhaft,  d^r  historische 
Prozesse  zu  beobachten  gelernt  hat.  War  das  historische  Detail  der  Stein  des  Anstoßes 
gewesen,  so   wurde  nun   zunächst   das  Detail  neu  gestaltet;  die  malerische  Komposition 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  45 

blieb,  wurde  aber  geläutert  und  von  der  Zersplitterung  auf  ruhigere  Massenwirkung 
zurückgeführt.  Das  ist  >die  Moderne«.  Der  Jubel  ist  groß.  Der  Chor  der  Kunstschreiber 
singt  einen  Päan:  Heil  uns!  Wir  haben  eine  neue  Kunst,  die  > unserem  Wesen  entspricht«, 
in  der  wir  >unsere  Empfindungen«  ausdrücken  können.  Ich  wundere  mich  schon  lange, 
daß  die  Herrn  noch  keine  neue  Sprache  erfunden  haben,  um  »ihre  Empfindungen«  aus- 
drücken zu  können.  Mit  einzelnen  Worten  wie  Milieu,  impressioniert,  intim,  traut,  welt- 
bewegend. Heim,  Heimatkunst,  Erdgeruch  u.  s.  w.  ist  es  nicht  getan.  Die  alte  Sprache 
ist  doch  längst  abgenutzt,  es  käme  jetzt  darauf  an,  sie  frei  von  der  erdrückenden  Last, 
historischer  Traditionen  neu  zu  gestalten. 

Die  Moderne  leidet  unter  dem  Fluch,  das  spät  geborene  Kind  einer  alternden 
Kultur  zu  sein,  es  fehlt  ihr  das  urwüchsig  Naive,  überall  sieht  man  ihr  das  Reflektierte 
und  Gewollte  an.  Aber  nur  Mißgunst  und  absichtliches  Verkennen  kann  in  Abrede 
stellen,  daß  ihre  Führer  mit  großer  Energie  und  künstlerischer  Kraft  eine  eigenartige, 
neue  und  einheitliche  Stilweise  in  Tektonik  und  Ornament  geschaffen  haben.  Sie  a  priori 
abzulehnen  wäre  töricht,  kein  Stil  ist  an  sich  schön  oder  häßlich,  es  kommt  stets  nur 
darauf  an,   wie  er  gehandhabt  wird.    In  jedem  Stil  gibt  es  gute  und  schlechte  Stilisten. 

Es  war  notwendig,  einmal  ein  Wort  für  die  vielgeschmähte  Baukunst  des  19.  Jahr- 
hunderts einzulegen.  Daß  sie  keinen  der  großen  Höhepunkte  einnimmt,  wissen  wir 
alle,  und  es  liegt  mir  ferne,  ihre  Schwächen  beschönigen  zu  wollen.  Ungleich  sind  die 
großen  Kulturaufgaben  auf  die  Jahrhunderte  verteilt;  das  19.  Jahrhundert  hat  auf  wissen- 
schaftlichem, insonderheit  auf  naturwissenschaftlichem  und  technischem  Gebiet  reichlich 
gut  gemacht,  was  es  auf  künstlerischem  vermissen  ließ. 

Selbst  wer  meinen  Ausführungen  bis  jetzt  zustimmend  gefolgt  sein  sollte,  wird  nun 
einwenden,  daß  einer  stattlichen  Zahl  bedeutender  Bauten  eine  noch  weit  größere  von 
unbedeutenden  und  schlechten  gegenübersteht.  Wenn  ich  nun  auch  die  Bewertung  einer 
Kunstepoche  nach  einem  numerischen  Durchschnitt  ablehne,  so  ist  mit  diesem  Einwurf 
doch  eine  schwache  Seite  der  Baukunst  des  19.  Jahrhunderts  berührt.  Ein  Mißstand  der 
Anfangs  wenig  fühlbar  nach  und  nach  immer  schreiender  geworden  ist,  das  fehlen  des 
Sinnes  für  das  Angemessene. 

Deutschland  war  aus  den  Befreiungskriegen  als  ein  armes  Land  hervorgegangen. 
Das  ist  auch  aus  der  deutschen  Architektur  klar  zu  ersehen.  Die  Strenge  und  Einfach- 
heit der  Monumentalbauten  wird  an  kleineren  öffentlichen  und  an  Privatbauten  zur 
Nüchternheit  und  Dürftigkeit.  Vielleicht  erscheinen  uns  diese  Bauten  kümmerlicher  als 
sie  sind.  In  diesen  unpoetischen,  geschmacklos  eingerichteten  Häusern  hat  man  behaglich 
und  glücklich  gewohnt  und  von  einer  schwachen  Kunst  reinere  ästhetische  Anregungen 
empfangen,  als  wir  von  einer  weit  ausdrucksmächtigeren.  Man  war  selbst  innerlich 
reicher  und  glücklicher.  Die  Ärmlichkeit  der  äußeren  Verhältnisse  lastete  drückend  auf 
der  Baukunst,  aber  man  gab  sich  wenigstens  nicht  den  Anschein  reich  zu  sein.  In  diese 
Zeit  fallen  die  Anfänge  des  vielgeschossigen  städtischen  Miethauses,  das  noch  heute  und 
wohl  noch  fQr  lange  Zeit  in  quantitativer  Hinsicht  das  Hauptobjekt  der  gesamten  Bau- 
tätigkeit ist  und  sein  wird.  Auch  die  Stadterweiterungen  mit  geraden  sich  rechtwinkelig 
kreuzenden  Straßen  kamen  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  in  Aufnahme. 
Dieses  Straßensystem  ist  jetzt  in  Verruf  erklärt  als  unkünstlerisch  und  unpraktisch.  Ich 
will  nicht  fQr  dasselbe  eintreten,  bemerke  aber,  daß  es  seit  dem  grauen  Altertum  stets 
wiedergekommen  ist,  wenn  größere  Städteanlagen  einheitlich  geplant  wurden,  wir  finden 
es  in  Babylon,  in  den  Städten  der  Diadochen,  in  den  römischen  Kolonien,  in  den  mittel- 
alterlichen Bastiden,  in  den  Städten  die  im  18.  Jahrhundert  entstanden  sind,  in  den 
amerikanischen  Großstädten  und  es  wird  immer  wiederkehren,  wo  praktisch  nüchterne 
Erwägungen  bei  der  Aufstellung  von  Stadtplänen  den  Ausschlag  geben.  Es  ist  auch  nur 
in  seiner  schematischen  Anwendung  auf  große  Städte  ganz  verwerffiich ,  während  es  bei 
kleineren  Anlagen  Lösungen  gestattet,  die  auch  künstlerisch  befriedigen.  Ebensowenig 
ist  die  gerade  Straße  an  sich  unkünstlerisch.  Ich  will  hier  nicht  das  größte  Beispiel,  die 
Axe,  welche  vom  Ostportal  des  Louvre  nach  dem  Triumphbogen  auf  der  Place  de  l'^toile 
in  Paris  geht,   heranziehen,  die  Straße,   welche   in   Nancy  das  Gouvernement  mit  dem 


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46 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Schloß  verbindet  ist  von  hoher  monumentaler  Schönheit  und  selbst  die  Maximilianstraße 
in  München  ist  ein  gutes  Beispiel.  Die  Abmessungen  der  Breite  der  Straße  und  der 
Höhe  der  Gebäude,  die  Erweiterung  im  äußeren  Teil  mit  den  großen  Bauten  der  Re- 
gierung und  des  Nationalmuseums,  die  freiere  gärtnerische  Behandlung  des  äußersten 
Teils  am  Fluß  und  der  Abschluß  durch  ein  großes  Gebäude,  das  Maximilianeum,  sind  so 
glücklich  gegriffen,  daß  die  Wirkung  selbst  durch  die  mesquine  AusfQhrung  aller  Gebäude 
nicht  vernichtet,  ja  nicht  einmal  wesentlich  beeinträchtigt  wird.  Das  sind  aber  Aus- 
nahmen, im  allgemeinen  sind  die  mit  Kauf-  und  Miethäusern  besetzten  Straßen  unserer 
Städte  weidlich  langweilig.  Sicher  kann  durch  Krümmung  des  Straßenzuges  ein  be- 
friedigenderer Eindruck  erzielt  werden,  denn  die  gerade  Straße  stellt  architektonische 
Forderungen,  welche  der  Mietbau  nur  selten  erfüllen  kann. 

Der  städtische  Miethausbau  hatte  sich  bis  in  die  sechziger  Jahre  des  19.  Jahr- 
hunderts von  Extravaganzen  fern  gehalten,  wer  die  Mittel  hatte  und  nicht  auf  eine  hohe 
Verzinsung  des  Anlagekapitals  zu  sehen  brauchte,  baute  sein  Haus  stattlicher,  wer  be- 
schränkt war  einfacher,  falscher  Reichtum  wurde  wenigstens  vermieden.  Um  so  auf- 
dringlicher machte  er  sich  seit  der  Gründerepoche  breit.  Es  wurden  monumentale 
Wirkungen  mit  falschen  Mitteln  angestrebt,  wo  die  wahre  Kunst  sich  in  der  Zurück- 
haltung geäußert  hätte.  Die  Aufgabe  wurde  von  Bauherrn  und  Baukünstlern  verkannt. 
Für  diese  Verkennung  müssen  die  Baukünstler  verantwortlich  gemacht  werden.  Aber 
wer  sind  hier  Bauherrn  und  Baukünstler?  Die  Bauherrn  sind  zumeist  Spekulanten,  welche 
durch  brutalen  Glanz  blenden  und  bei  einer  Ausführung  in  Surrogaten  hohe  Erträgnisse 
aus  ihren  Häusern  ziehen  wollen.  Zu  der  künstlerischen  Tätigkeit  aber  drängen  sich  bei 
der  Masse  der  Aufträge  viele,  deren  künstlerische  Ausbildung  mangelhaft  und  falsch  ist. 
Selbst  die  Hochschulen  haben  unter  einem  unverhältnismäßig  hohen  Prozentsatz  unzu- 
reichend vorgebildeter  Schüler  zu  leiden  und  können  die  Lücken  der  Elementarbildung 
nicht  mehr  ausfüllen.  Vor  allem  aber  entlassen  viele  Baugewerkschulen  ihre  Schüler  in 
einem  übelen  Stadium  halber  Bildung.  Die  Baukunst  ist  die  einzige  Kunst,  welche  nicht 
oder  doch  nur  ganz  ausnahmsweise  von  Liebhabern  betrieben  wird.  Es  gibt  Dilettanten 
in  Poesie,  in  Musik  und  Malerei,  selbst  in  der  Plastik,  in  der  Architektur  fehlen  sie; 
dafür  sind  aber  mindestens  vier  Fünftel  derer,  welche  sich  Architekten  nennen,  Dilettanten. 
Man  kann  nicht  von  jedem  Künstler  verlangen,  daß  er  >weltbewegende€  Werke 
schaffe,  das  bleibt  immer  ein  Vorrecht  Weniger  —  heutzutage  sind  fast  nur  Musiker 
weltbewegend  —  aber  man  verlangt  in  anderen  Künsten  wenigstens,  daß  man  die  künst- 
lerische Technik  gelernt  habe,  bevor  man  die  Kunst  ausübt.  Die  Architektur  erfordert 
äußerlich  eine  Summe  von  wissenschaftlich-technischen  Kenntnissen  und  von  zeichner- 
ischem Können,  welche  nur  in  langer  angestrengter  Arbeit  erworben  werden  können,  sie 
erfordert  innerlich  eine  kräftige  intuitive  Raumvorstellung,  welche  die  Gestalt  des  künf- 
tigen Bauwerks  im  Inneren  und  Äußeren  dem  inneren  Auge  klar  vorführt.  Da  fehlt  es 
vor  Allem.  Die  meisten  haben  nur  ein  unbestimmtes  Raumbild  und  können  das,  was  sie 
dämmernd  schauen,  nicht  einmal  zeichnerisch  fixieren.  Da  liegen  denn  Vorlagewerke 
auf,  erst  Letaronilly  und  Lienard,  dann  Fritsch  und  Ortwein  u.  A.  und  aus  diesen  wurde 
zusammengetragen,  was  sich  überhaupt  auf  die  verfügbare  Fläche  der  Fassade  zusammen- 
tragen ließ. 

Es  ist  jetzt  eine  Besserung  eingetreten,  der  Zug  zum  Einfachen  macht  sich  auch 
im  Mietbau  geltend,  an  eine  völlige  Gesundung  kann  ich  unter  unseren  heutigen  sozialen 
Verhältnissen  nicht  glauben.  Da  müßte  zunächst  das  Bauspekulantentum  eliminiert  werden, 
was  nicht  möglich  ist.  Es  müßten  auch  alle  Architekten  künstlerisch  so  vorgebildet 
werden,  daß  sie  sich  vom  Ekektizismus  frei  halten  könnten.  Und  das  ist  nicht  zu  er- 
reichen. So  werden  denn  die  Nichtkönner,  wie  bisher  aus  historischen  Vorlagen,  jetzt 
aus  dem  Wiener  Architekt  und  der  Darmstädter  Innendekoration  ihre  Fassaden  und 
Innenräume  zusammenspicken,  und  der  Unterschied  ist  höchstens  der,  daß  die  modernen 
Details  »ihren  Wesen  entsprechen«,  was  die  alten  nicht  getan  haben.  Die  Grundlage 
des  Übels  beseitigt  weder  die  Moderne  noch  die  Heimatkunst. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  47 

Was  ist  überhaupt  Heimatkunst?  Die  Definition,  welche  ich  oben  wiedergegeben 
habe,  ist  trotz  ihrer  schönrednerischen  Fassung  nicht  ausreichend.  Vetterlein  hat  das 
selbst  geföhlt  und  stellt  nun  eine  Reihe  von  Forderungen  auf. 

Er  verlangt  zunächst  die  innere  Harmonie  des  Kunstwerkes,  er  verlangt,  daß  die 
Einzelglieder  ihrer  Funktion  gemäß  in  den  Dienst  der  Kompositionsidee  gestellt  werden, 
er  verlangt,  daß  die  formalen  Eigenschaften  der  Baumaterialien  und  ihre  Farben  sorg- 
fältig berücksichtigt  werden.  Er  verlangt  das  Studium  der  Alten  Denkmäler,  nicht  um 
die  Einzelformen  herauszupflücken,  sondern  um  die  Prinzipien  der  Konstruktion  kennen 
zu  lernen.  Zwischen  dem  Anschluß  an  die  historischen  Formen  und  der  Moderne  ver- 
mittelt er  dadurch,  daß  es  an  beide  die  Forderung  stellt  mit  Stil,  d.  h.  so  zu  arbeiten, 
daß  jede  Einzelform  ihre  innere  Berechtigung  in  sich  trägt  und  eine  Funktion  im  Dienste 
der  Idee  erfüllt.  Man  kann  sich  mit  diesen  Forderungen,  die  nicht  allzu  klar  formuliert 
werden,  einverstanden  erklären,  aber  sie  sind  weder  neu,  noch  gibt  ihre  Erfüllung  dem 
Kunstwerk  den  spezifischen  Charakter  der  Heimatkunst.  Vetterlein  behauptet  zwar, 
daß  jede  echte  Kunst  Heimatkunst  sei.  Wird  aber  dieser  Begriff  so  weit  gefaßt,  so  wird 
er  überhaupt  überflüssig.  Heimatkunst  kann  nur  eine  Kunst  sein,  welche  außer  durch 
ganz  allgemeine  Gesetze,  wie  die  oben  erwähnten,  noch  durch  regionale  Besonderheiten 
bedingt  ist;  Heimatkunst  mag  man  den  auvergnatischen  Kirchenbau,  den  norddeutschen 
Backsteinbau,  den  süddeutschen  Fachwerksbau,  den  Blockbau  der  Alpenländer  nennen, 
Bauweisen  die  sich  in  gewissen  Gegenden  ausgebildet  haben  und  nur  in  diesen  vor- 
kommen. Aber  einem  Baustil  im  Allgemeinen,  selbst  wenn  er  einen  scharf  ausgesprochenen 
Nationalcharakter  trägt  wie  der  dorische  der  Griechen  und  gotische  der  Franzosen 
kommt  die  Bezeichnung  nicht  zu,  denn  das  Heimatliche  wird  hier  durch  das  allgemein 
Künstlerische  weit  übertönt.  Diese  Werke  haben  eine  Bedeutung  für  die  gesamte  Mensch- 
heit, welche  über  die  notwendige  Beschränkung  einer  Heimatkunst  weit  hinausgeht. 

Die  regionale  Beschränkung  ist  von  dem  Begriff  der  Heimatkunst  nicht  zu  trennen, 
sie  muß  also  auch  in  der  neuen  Heimatkunst,  die  unserer  Architektur  das  Heil  bringen 
soll,  in  Geltung  bleiben. 

Ist  nun  in  unserer  Zeit  zu  erwarten,  daß  die  Heimatkunst  in  der  Architektur  die 
Führung  übernehmen  könne?  Nein  und  abermals  nein.  Wohl  haben  einige  feinsinnige 
Künstler  da  und  dort  in  Anlehnung  an  die  regionale  Bauweise  sehr  erfreuliche  Werke 
geschaffen,  aber  diese  Weise  muß  individuell  bleiben  und  kann  nicht  Gemeingut  einer 
Schule,  geschweige  denn  der  Menge  der  Bauunternehmer  werden.  Die  treibenden  Kräfte 
in  der  Entwickelung  der  Künste  liegen  heutzutage  in  den  Großstädten  und  bleiben  da, 
auch  wenn  sich  die  Künstler  nach  Darmstadt  oder  Weimar  zurückziehen.  Die  Groß- 
stadtkultur aber  ist  alles  andere,  nur  keine  Heimatkultur.  Hier  könnte  auch  Heimat- 
baukunst nur  eine  vorübergehende  Mode  werden,  deren  Erzeugnisse  so  innerlich  unwahr 
wären  wie  das  Rautendelein  und  der  Waldschratt  in  dem  papierenen  Wald  von  Haupt- 
manns versunkener  Glocke.  Nein  die  Großstadtkunst,  auf  die  wir  wohl  oder  übel  an- 
gewiesen sind,  läßt  sich  solche  Beschränkungen  nicht  auferlegen  und  mit  Recht.  Solange 
die  Großstädte  so  dominieren,  wie  in  unserer  Zeit  wird  ihre  Kultur  und  Kunst  stets 
einen  internationalen  Zug  behalten  und  es  kann  sich  nur  darum  handeln  in  diesem  Kreise 
mit  den  gegebenen  Faktoren  mit  künstlerischem  Ernst  und  Wahrhaftigkeit  das  Mögliche 
zu  erreichen.  Daß  eine  alternde  Kultur  keine  naive  Kunst  haben  kann,  ist  klar,  eine 
reflektierende  Kunst  aber  braucht  noch  keine  schwache  Kunst  zu  sein,  so  wenig  ich  auf 
das  abgelaufene  Jahrhundert  mit  Geringschätzung  zurückblicke,  so  wenig  sehe  in  das 
kommende  mit  Pessimismus. 

Der  Prospekt  der  > Heimatkunst c  teilt  uns  mit,  daß  des  Verfassers  Konkurrenz- 
arbeiten zu  wiederholten  Malen  mit  Preisen  ausgezeichnet  wurden,  die  künstlerische 
Logik,  nach  der  er  verlangt,  ist  ihm  also  offenbar  geläufiger,  als  die  schriftstellerische. 
Möge  er  das  beherzigen. 

Das  Büchlein  ist  mit  acht  Illustrationen  und  einer  Titelzeichnung  von  des  Verfassers 
Hand  geschmückt.  Sie  sind  herzhaft  gezeichnet,  wie  es  »deutschem  Wesen  entspricht«. 
—  Heimatkunst.  Bezold. 


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^^  LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Das  Eigentum  am  Strassburser  MOnster  und  die  Verwaltung  des  Frauenstiftes. 

RechtswissenschaftUche  Untersuchung.    Von  Dr.  jur.  F.  W.  Bredt    Straßburg,  J.  H. 
Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel)  1903.     62  SS.  8. 

Die  mit  Zugrundelegung  von  zahlreichen  großenteils  bisher  ungedruckten  Doku- 
menten der  Straßburger  Archive  geführte  rechtliche  und  geschichtliche  Untersuchung 
gelangt  zu  dem  interessanten  Ergebnis,  daß  Eigentümer  des  Münstergebäudes  der  Staat 
Elsaß-Lothringen  ist,  die  Verwaltung  der  Stiflsgüter  aber  der  Stadt  Straßburg  und  zwar 
ohne  Kontrollrecht  des  Domkapitels  zusteht.  Was  diese  kleine  und  doch  inhaltsreiche  Schrift 
weit  über  den  engen  Kreis  lokaler  Interessen  hinausrückt,  ist  der  bedeutsame  Umstand, 
daß  hier  zuerst  festgelegt  ist,  wer  subsidiär  zur  Beihilfe  herangezogen  werden  kann,  falls, 
wie  vorauszusehen,  die  Mittel  des  Liebfrauen werks  (Frauenstifts)  zu  der  durchgreifenden 
Gdsamtherstellung  des  Münsters,  die  immer  wieder  von  Fachmännern  gefordert  wird, 
versagen  sollten.  HH. 


U    i..6*b«i<l.  NumOvrg, 


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DREI  FIGÜRLICHE  HOLZSCHNITTE  VON  PETER  FLÖTNER. 

VON  DR  FRirZ  TRAÜGCyiT  SCHULZ. 

In  dem  Verzeichnis  der  Holzschnitte  Peter  Flötners,  welches  Reimers  in 
seinem  1890  erschienenen  Werke  »Peter  Flötner  nach  seinen  Hand- 
zeichnungen und  Holzschnittenc  gibt,  finden  sich  auch  einige  (mit  zwei 
Kreuzen  bezeichnete),  welche  dem  Verfasser  nicht  durch  Autopsie,  sondern 
lediglich  nach  den  Angaben  von  Bartsch,  Passavant  und  dem  Katalog  Reynard 
bekannt  waren.  Zu  diesen  gehören  auch  die  Blätter  Pyramus  und  Thisbe 
Reimers  84,  Das  Urteil  des  Paris  Reimers  85  und  Eine  nackte  Frau  Reimers 
87,  von  denen  im  Nachfolgenden  gehandelt  werden  soll.  Es  scheint,  als 
seien  dieselben  außerordentlich  selten;  denn  auch  dem  rührigsten  Flötner- 
Forscher  Conrad  Lange  sind  dieselben,  wie  aus  seinem  1897  edierten 
grundlegenden  Werke  »Peter  Flötner,  ein  Bahnbrecher  der  deutschen  Renais- 
sance« (S.  21)  hervorgeht,  seiner  Zeit  ebenso  wenig  wie  Reimers  zu  Gesicht 
gekommen.  Nachdem  nun  aber  das  Germanische  Museum  unlängst  diese 
drei  Holzschnitte,  wenn  auch  nicht  in  gleichzeitigen  Abdrücken,  erworben 
hat,  dürfte  es  nicht  unangebracht  sein,  nähere  Nachrichten  über  dieselben 
zu  geben  und  sie  vor  allen  Dingen  durch  Reproducierung  zur  Veröffentlichung 
zu  bringen,  unbeschadet  dessen,  daß  dieselben  möglicherweise  auch  in  anderen 
Sammlungen  vorhanden  sind. 

Beschreibung. 
1.  Pyramus  und  Thisbe.  Reimers  84.  Reimers  gibt  seine  Be- 
schreibung dieses  Holzschnittes,  jedoch  in  unrichtiger  Weise,  nach  Passavant  III, 
S.  254,  7.  Nach  Reimers  ist  Pyramus  noch  damit  beschäftigt,  sich  das  Schwert 
in  die  Brust  zu  stoßen,  während  Passavant  dies  bereits  als  vollzogene  Tat- 
sache hinstellt  (s'est  plong6  son  6p6e  dans  le  sein).  Allerdings  ist  auch  bei 
Passavant  nicht  alles  in  Ordnung;  denn  er  läßt  Pyramus  zur  Rechten  befind- 
lich sein.  Besser  wäre  es  gewesen,  wenn  Reimers  Joseph  Heller  gefolgt 
wäre,  der  in  seinen  Zusätzen  zu  Adam  Bartsch's  le  Peinte  Graveur,  1844, 
S.  45  folgende,  fast  zutreffende  Beschreibung  gibt:  »Pyramus  in  altdeutscher 
Ritterkleidung  sitzt  links,  und  hat  sich  den  Degen  in  die  Brust  gestoßen; 
rechts  erscheint  die  klagende  Thisbe  c.  Dies  ist  im  Großen  und  Ganzen 
richtig,  aber  noch  lange  nicht  zur  Identifizierung  ausreichend.  Aus  den  Maß- 
angaben bei  Heller  geht  hervor,   daß   ihm   das   Blatt    in   unserer  Form   nicht 

Mitteilungen  ans  dem  german.  Nationalmuseum.    1905.  7 


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50  DREI  FIGÜRLICHE  HOLZSCHNIITE  VON  PETKK  FLÖTNER 


vorgelegen  hat.  Es  mißt  nämlich  3  Z.  9  L.  in  die  Breite,  was  aber  nur  für 
den  szenischen  Vorgang  zutrifft,  der  jedoch  bei  uns  noch  seitlich  von  orna- 
mentierten Pilastern  begleitet  ist.  In  dieser  Form  hat  der  Holzschnitt  eine 
Breite  von  13,2  cm  und  eine  Höhe  von  14,2  cm.  Bleiben  wir  zunächst  bei 
den  Pilastern,  so  sind  dieselben  mit  vertieft  gedachten  Füllungen  versehen, 
welch*  letztere  auf  schwarzem  Grunde  ein  in  Weiß  ausgespartes,  leicht  schraf- 


Abb.  1.       Peter  Flötner.       Reimers  84. 

fiertes  aufsteigendes  Ornament  zeigen.  Dasselbe  wächst  aus  einem  mit  einem 
Band  umwundenen  Grundstamm  heraus  und  besteht  aus  einigen  größeren 
Akanthusblättern  und  anderem  kleineren  Blattwerk.  Etwa  in  der  Mitte  be- 
merken wir  zwei  dockenförmige  Glieder.  Ist  auch  das  Ornament  beiderseits 
gleich  gedacht,  so  ist  die  Detailausführung  dennoch  keine  vollkommen  über- 
einstimmende,  wie   eine   Vergleichung  an    Hand  der  Reproduktion    (Abb.  1) 


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VON  DR,  FRITZ  TRAUGarT  SCHULZ.  51 

sehr  bald  dartun  dürfte.  Beschäftigen  wir  uns  nunmehr  mit  der  Darstellung 
selbst!  In  der  linken  unteren  Ecke  liegt,  unter  sich  das  Gewand  der  tot- 
geglaubten  Thisbe  und  darüber  sein  Federhut,  an  einem  leicht  ansteigenden 
Hügel  Pyramus.  Er  trägt  Landsknechts-Kleidung.  Auf  dem  rechten  Knie, 
das  emporgezogen  ist,  ruht  die  linke  Hand.  Die  rechte  ist  über  den  rechten 
Oberschenkel  gelegt.  Mitten  in  der  Brust  steckt  ein  Schwert.  Der  Kopf  ist 
nach  rechts  geneigt,  die  Augen  sind  geschlossen.  Von  rechts  her  kommt  in 
eiligem  Lauf  Thisbe  herbei,  um  den  Kopf  einen  Lorbeerkranz,  die  Hände 
klagend  zusammengefaltet,  das  Gewand  am  Saum  wie  von  einem  \yindstoß 
etwas  aufgebauscht.  Im  Mittelgrunde  links  ist  teilweise  der  steinerne  Trog 
eines  Brunnens  sichtbar.  Aus  dem  Ausguß  einer  aufstehenden  Säule  strömt 
Wasser  in  das  Becken,  um  dessen  hintere  Ecke  soeben  der  Löwe  verschwindet. 
Im  Hintergrunde  links  wie  auch  im  Mittelgrunde  rechts  bemerken  wir  grob 
charakterisierte  Bäume. 

2.  Das  Urteil  des  Paris.  Reimers  85.  Reimers  beschreibt  diesen 
Holzschnitt  ebenfalls  im  Anschluß  an  Passavant  (III,  S.  254,  8).  Auch  hier 
hat  er  sich  nicht  genau  an  dessen  Darstellung  gehalten,  was  entschieden 
besser  gewesen  wäre.  Denn  so  muß  man  glauben,  daß  Paris  ebenfalls  wie 
die  drei  Göttinnen  steht,  während  doch  schon  Passavant  richtig  angibt,  daß 
er  zur  Rechten  sitzt.  Ob  Passavant  das  Blatt  vorgelegen  hat,  möchte  fast 
fraglich  erscheinen,  da  er  sich  ziemlich  getreu  an  Heller  anlehnt.  Sicherlich 
aber  haben  Beide  den  Holzschnitt  nicht  in  unserer  Form  gesehen;  denn  bei 
uns  zeigt  die  eigentliche  Darstellung  ebenfalls  eine  von  Passavant  und  Heller 
nicht  mitgemessene  Pilastereinfassung.  (Abb.  2).  Mit  derselben  ist  das  Blatt 
12,9  cm  breit  und  14,3  cm  hoch.  In  dem  weiß  auf  schwarz  gezeichneten  Orna- 
ment der  Pilasterfüllungen  überwiegt  das  schon  auf  dem  vorigen  Holzschnitt 
auftretende  Dockenmotiv.  Dazwischen  sind  kleinere  Blattzweige  und  größere 
Akanthusblätter  angebracht.  Von  den  vorn  links  befindlichen  Göttinnen  sind 
nur  zwei  voll  sichtbar  und  zwar  mit  den  bekleideten  Körpern  en  face  gesehen, 
während  die  dritte  links  dahinter  nur  eben  mit  dem  Kopf  hervorschaut. 
Paris,  in  die  modische  Tracht  der  1.  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  gekleidet, 
sitzt  im  Vordergrunde  rechts,  mit  dem  Rücken  gegen  den  rechten  Pilaster 
gelehnt,  auf  dem  in  die  Hand  des  auf  das  emporgezogene  rechte  Knie  auf- 
gestemmten Armes  gestützten  Haupte  einen  Hut  mit  großen  Federn,  mit  der 
Linken  den  am  Boden  liegenden  Apfel  von  oben  fassend.  Gleich  hinter  ihm 
schaut  ein  bärtiger  alter  Mann  hervor,  der  nach  links  hin  auf  die  drei  Göttinnen 
einredet.  Im  Hintergrunde  rechts  und  links  sehr  derb  gezeichnete  Bäume 
und  in  der  Mitte  ein  Brunnen  mit  beiderseitigem  Ausguß. 

3.  Eine  nackte  Frau.  Reimers  87.  Auch  hier  ist  die  von  Reimers 
im  Anschluß  an  Passavant  (III,  S.  255  f.,  27)  gegebene  Beschreibung  unzu- 
reichend. Die  wesentlichen  Momente  sind  außer  Acht  gelassen.  Das  Ganze 
hat  eine  Vereinfachung  erfahren,  die  von  dem  Original  keine  genügende  Vor- 
stellung mehr  verschafft.  Auch  Passavant  kennt  das  Blatt  nicht  durch  Au- 
topsie, da  er  Heller  als  Quelle  angibt.  Was  letzterer  sagt,  trifft  im  Allge- 
meinen zu.     Nur  schmückt  das  Haupt  nicht  eine  Feder,  sondern  ein  Feder- 


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52  DREI  FIGÜRLICHE  HOLZSCHNIITE  VON  PETER  FLÖTNER. 

hut.  Auch  hat  er  nicht  erwähnt,  daß  von  links  her  eine  Frau  mit  einem 
flachen  Gefäß  in  der  Hand  heranschreitet,  wie  auch  noch  hinzuzufügen  wäre, 
daß,  am  rechten  Blattrand  ein  Baum  aufsteigt,  dessen  einer  Ast  weit  nach 
links  die  figürliche  Gruppe  überragt.  Das  Blattwerk  ist  wiederum  sehr  roh 
charakterisiert.  Ich  glaube,  daß  der  szenische  Vorgang  kaum  anders  zu  deuten 
ist,  als  wie  es  von  Lange  (a.  a.  O.  S.  21)  geschehen  ist.    (Abb.  3).    Wir  werden 


Abb.  2.       Peter  Flötner.       Reimers  85. 

darin  wohl  eine,  allerdings  recht  freie  Allegorie  der  Wahrheit  zu  sehen  haben, 
welche  der  schlichte,  wenn  auch  beschränkte  Mann  in  der  unverhülltesten 
Weise  offenbart.  In  welcher  Beziehung  aber  hierzu  die  Frau  mit  der  flachen 
Schale  steht,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Die  Größenangaben  bei  Heller  tun 
dar,  daß  ihm  der  Holzschnitt  wiederum  ohne  die  an  unserem  Exemplar  vor- 
handene  Pilastereinfassung    vorgelegen   hat.      Mit    derselben   mißt   es    in    die 


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VON  DK.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


53 


Breite  13,1  cm,  in  die  Höhe  14,1  cm.  Die  Ornamentation  stimmt  beiderseits 
nur  im  Allgemeinen  überein.  Im  Einzelnen  sind  mancherlei  Abweichungen 
vorhanden.  So  zeigt  z.  B.  das  mit  senkrechten  Rillen  versehene  runde  Glied 
im  oberen  Teil  des  rechten  Pilasters  an  der  korrespondierenden  Stelle  des 
linken  schräg  gelagerte  Rillen.  Die  Durchführung  des  Ornamentes  ist  eine 
kandelaberartige.     Als  Bekrönung  dient  eine  Taube. 


Abb.  3.       Peter  Flötner.       Reimers  87. 

Excurs  (Vitruv). 
Reimers  führt  unsere  drei  Holzschnitte  unter  der  Rubrik  »Aus  dem 
Vitruv  des  Rivius.  Nürnberg  1548«  auf,  obwohl  hierzu  doch  schon  an  sich 
kein  Grund  vorlag,  da  Heller  und  Passavant,  auf  die  er  sich  doch  ausdrück- 
lich beruft,  eine  derartige  Zuweisung  nicht  vorgenommen  haben.  Und  tat- 
sächlich fehlen  auch  die  Blätter  in  der  Vitruv-Ausgabe,  ja,  ich  wüßte  kaum, 


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54  DREI  FIGÜRLICHE  HOLZSCHNITTE  VON  PETER  FLÖTNER. 


ZU  welchem  Kapitel  sie  überhaupt  als  Illustrationen  gedient  haben  sollten. 
Ganz  entschieden  ist  übrigens  Reimers  in  der  Zuteilung  der  Bilder  des  Vitruv 
an  Flötner  nicht  immer  richtig  verfahren,  aber  Lange  dürfte  vielleicht  doch 
zu  weit  gegangen  sein.  Daß  Flötner  in  umfassendem  Maße  als  Illustrator 
tätig  war,  ist  nicht  zu  bezweifeln.  Doch  dürften  z.  B.  von  den  Darstellungen 
auf  den  Blättern  13 — 19  (S.  42)  höchstens  diejenigen  auf  Bl.  13  a,  Bl.  15,  auf 
Bl.  18a  und  Bl.  19  (die  beiden  Satyrn)  bestimmt  von  Flötner  herrühren.  Aber 
warum  schreibt  Reimers  nicht  auch  das  großartige  Bl.  IIa,  mit  der  Über- 
schrift »Circkels/ Richtscheid/ vnd  aller  gebreuchlichen  Geometrischen  Instru- 
ment/künstliche fürbildung«  (siehe  Lange  S.  31,  1)  dem  Meister  zu,  das  doch 
ganz  sicher  von  Flötner  ist,  sicherer  als  manches  andere  des  Vitruv,  ja,  das 
ich  geradezu  als  ein  Kapitalblatt  hinstellen  möchte,  finden  wir  doch  hier  — 
um  allein  vom  Gegenstand  zu  reden  —  alle  die  für  den  Bildschnitzer  charak- 
teristischen Gerätschaften  wieder,  welche  Flötner  an  zweien  der  Pilaster  des 
Hirsch vogelsaales  (siehe  die  Abb.  12  in  meiner  kleinen  Arbeit  »der  Hirsch- 
vogelsaal zu  Nümbergc,  Nürnberg  1905,  Verlag  von  J.  L.  Schräg)  auf  be- 
schränktem Raum  in  so  reizvoller  Art  zusammengedrängt  hat,  hält  doch  femer 
der  kleine  Knabe  inmitten  der  Darstellung  in  der  erhobenen  Rechten  das  als 
für  Flötner  so  bezeichnend  gepriesene  Flügelpaar!  Ich  meine,  daß  hier  die 
Verwandtschaft  mit  den  übrigen  Arbeiten  Flötners  mehr  als  auffallend  be- 
zeichnet werden  muß.  Das  bloße  Vorkommen  ähnlicher  Ornamentmotive, 
worauf  Reimers  manchmal  so  großen  Wert  legt,  kann  schwerlich  beweisend 
sein,  wenn  sonst  der  schneidige  Strich,  die  kernige  Sprache  der  so  positiv  be- 
stimmten Form  fehlt.  Der  Stil  muß  stets  und  ständig  bei  der  Zuweisung  ent- 
scheidend mit  in  die  Wagschale  geworfen  werden;  kleinere  Äußerlichkeiten 
haben  noch  lange  keine  bindende  Beweiskraft.  Gegen  derartige  Argumentationen 
dürfte  wohl  prinzipiell  Front  zu  machen  sein.  Große  Wahrscheinlichkeit  besteht 
auch  dafür,  daß  die  »Eygentliche  Contrafactur  des  gewaltigen  Schloss  Meyland/ 
mit  etlicher  desselbigen  wehren  Verzeichnung«  (Bl.  40b)  auf  Flötner  zurück- 
geht, ebenso  auch  —  und  das  in  höherem  Grade  —  die  leicht  hingezeichnete 
belagerte  Festung  auf  Bl.  42.  Weiter  dürften  von  Flötner  herrühren  der 
achteckige  Turm  von  Marbelstein  zu  Athen  (Bl.  46  b)  mit  dem  flötenblasenden 
Triton  (in  besonderem  Rahmen  zur  Rechten)  und  die  mehr  skizzenhaft  be- 
handelten Wetterfahnen  auf  Bl.  47  a.  Am  Amusium  auf  Bl.  48  a  ist  ja  gewiß 
viel  von  den  für  Flötner  bezeichnenden  Motiven  angebracht,  doch  möchte  ich 
•gerade  bei  diesem  Blatt  der  Ansicht  zuneigen,  daß  es  sich  nicht  um  eine 
eigenhändige  Arbeit  Flötners  handelt;  dazu  ist  denn  doch  die  Ausführung  zu 
lasch  und  zu  flau.  Eine  Zeichnung  Flötners  hat  ja  wohl  sicher  vorgelegen, 
aber  der  Holzschnitt  stammt,  was  auch  bei  vielen  anderen  Blättern  ange- 
nommen werden  muß,  von  einem  berufsmäßigen  Techniker  her.  In  den 
beiden  großen  figürlichen  Holzschnitten,  der  Wirkung  der  Erfindung  des 
Feuers  und  der  Erfindung  des  Wohnbaues  durch  die  ersten  Menschen,  steckt 
ebenfalls  manches  an  Flötner  Erinnerndes.  Möglicherweise  haben  auch  hier, 
welcher  Ansicht  auch  mein  Kollege  Dr.  Hagelstange  ist,  Zeichnungen  Flötners 
vorgelegen;  als  für  Flötner  sehr  charakteristisch  möchte   ich   sie   denn    doch 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


55 


nicht  zu  benennen  wagen,  wie  Lange  es  tut.  Nicht  unberechtigt  möchte  es 
ferner  sein,  die  »Augenscheinliche  bezeichnung  des  Griechischen  Maurwercks/ 
nach  der  meinung  Vitruuij«  auf  Bl.  81a  mit  Flötner  in  Zusammenhang  zu 
bringen.  Schreibt  man  ihm  die  oben  genannten  landschaftlichen' Darstellungen 
zu,  so  wird  man  dies  auch  bei  der  »Figur  des  gantzen  gebews  /  vom  Kunig 
Mausolo  zu  Halicarnasso  auffgerichtc  (Bl.  84b)  tun  müssen.  Weiter  möchte 
ich  noch  folgende  Blätter  zu  Flötner  in  engere  Beziehung  bringen:  Die 
»Augenscheinliche  anzeigung  wie  in  die  grundlegung  menschlicher  glidmassung 
nach  recTiter  Symmetri  /  ein  andere  kleinere  vierung  in  die  grösser  einzu- 
bringen sey  /  dem  mitlern  Centro  des  nabeis  proportionirlich  vnd  gerecht« 
auf  Bl.  101b,  das  jonische  Basament  auf  Bl.  124  b,  das  jonische  Kapital  auf 
Bl.  126a,  die  »Gerechte  Symmetrische  abtheilung  der  Jonischen  Columnen« 
auf  Bl.  127  b,  die  hübsch  erfundenen  Wasserspeier  auf  Bl.  129b,  die  Kapitale, 
Säulen  und  den  Pilaster  auf  Bl.  134a  und  b,  den  Laubkranz  auf  Bl.  135a, 
die  Kapitale  auf  Bl.  136b,  137a,  143b  und  144b,  die  Donnerstrahle  auf  Bl. 
146a,  die  Basamente  auf  Bl.  147b,  das  Portal  auf  Bl.  154b,  das  heidnische 
Opfer  auf  Bl.  158a,  die  Badstube  auf  Bl.  187b,  den  Hafen  auf  Bl.  191a,  die 
Darstellung  »Augenscheinlich  exempel,  wie  auss  dem  auflFsteigenden  dunst 
Wasser  zu  suchen  vnd  finden  /  auch  zu  leiten  sey  nach  der  lehr  Vitruuij« 
auf  Bl.  243a,  die  römische  Wasserleitung  auf  Bl.  258  b,  die  Wasserräder 
auf  Bl.  303  b  und  304a,  das  Segelschiff  auf  Bl.  311b  und  das  Kriegsschiff 
auf  Bl.  320a. 

Wie  gesagt.  Lange  scheint  mir  in  der  Zuweisung  der  Vitruv-Illustrationen 
an  Flötner  zu  weit  gegangen  zu  sein,  während  Reimers  viel  zu  zurückhaltend 
gewesen  ist.  Meine  Aufstellung  bewegt  sich  in  der  Mitte  zwischen  beiden, 
indem  sie  versucht,  das  zu  eruieren,  worüber  hinsichtlich  der  Autorschaft 
Flötners  Zweifel  nicht  mehr  bestehen  können,  was  also  von  Flötner  wirklich 
eigenhändig  herrührt,  wozu  natürlich  auch  die  Aeolipilae  und  die  Gefäße 
gehören,  wie  auch  die  signierte  Darstellung  auf  Bl.  198  b. 

Stilkritische  Betraphtung. 
Daß  unsere  drei  Holzschnitte  mit  Flötner  in  Zusammenhang  stehen  und 
in  allem  seine  Eigenart  offenbaren,  brauche  ich  wohl  kaum  zu  beweisen. 
Etwas  anderes  ist  es,  ob  sie  auch  technisch  von  ihm  hergestellt  sind.  Und 
das  möchte  ich  stark  bezweifeln.  Es  wurde  schon  oben  bemerkt,  daß  wir 
es  mit  späteren  Abdrücken  zu  tun  haben.  Aber  ganz  abgesehen  davon,  daß 
so  die  Darstellungen  schon  an  sich  kräftiger  und  einseitiger  in  den  Conturen 
und  Schattenpartien  ausgefallen  sind,  als  wir  es  von  originalen  Abdrücken 
gewohnt  sind,  so  blickt  doch  aus  allem  eine  Rohheit  des  Schnittes  heraus, 
die  wir  bei  dem  sonst  mit  Sorgfalt  und  peinlichem  Fleiß  seine  Arbeiten 
durchführenden  Künstler  nicht  finden.  Von  vorneherein  liegt  darum  der 
Gedanke  nahe,  daß  Flötner  nur  die  zeichnerischen  Unterlagen  geliefert,  die 
Ausführung  aber  einem  anderen  Künstler  überlassen  hat.  Dies  wird  zur  Ge- 
wißheit, wenn  wir  etwas  in  die  Details  eindringen.  Beginnen  wir  mit  den 
einfassenden  Ornament-Leisten !  Wo   immer   wir   bei  Flötner  auf  schwarzem 


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56  DREI  FIGÜRLICHE  HOLZSCHNITTE  VON  PETER  FLÖTNER.    VON  DR  SCHULZ. 


Grunde  weiß  ausgesparten  Ornamenten  begegnen,  können  wir  nicht  genugsam 
den  feinen  Strich,  das  Präzise  der  Zeichnung  und  die  Klarheit  der  Darstellung 
bewundem.  Von  diesen  Vorzügen  ist  bei  dem  omamentalen  Beiwerk  unserer 
Holzschnitte  keiner  anzutreffen.  Ja,  die  Freiheit  des  Holzschneiders  scheint 
hier  sogar  eine  sehr  weitgehende  gewesen  zu  sein,  denn  wir  werden  nur  im 
Allgemeinen  an  Flötners  Stilart  erinnert.  Betrachten  wir  dann  die  Charakte- 
risierung des  Baumschlags,  so  vermissen  wir  die  großzügige  Behandlung,  die 
bei  aller  Flottheit  doch  das  Wesen  wiedergibt.  Die  Art  Flötners  ist  ja  deut- 
lich herauszufühlen,  doch  erscheint  sie  durch  Nicht-Eingehen  auf  die  Vor- 
nehmheit der  Linienfühmng,  durch  Verzettelung  in  überflüssige  Strichlagen 
verflacht.  Hinsichtlich  des  figürlichen  Teils  kann  ich  mich  kurz  fassen.  Wohl 
hat  Flötner  mit  Vorliebe  die  Parallelschraffierung  angewandt.  Aber  unter 
seiner  Hand  nimmt  der  Strich  bei  der  Modelliemng  von  Körper  und  Gewand 
eine  ganz  andere  Gestalt  an,  er  besitzt  schon  als  Einzelstrich  in  sich  plastische 
Kraft  und  verläuft  nicht  in  dieser  gleichmäßig  ebenen  Art,  wie  sie  auf  den 
vorliegenden  Holzschnitten  zu  Tage  tritt.  Wir  haben  also  hier  wiedemm 
einen  Fall  vor  uns,  der  zeigt,  wie  es  möglich  ist,  daß  die  individuelle  Kraft 
des  schaffenden  Künstlers  durch  die  reproduzierende  Technik  in  Vielem  ver- 
wischt werden  kann,  so  daß  das  nunmehr  fertige  Bild  nur  noch  entfemt  an 
das  Original  erinnert  I 

Unsere  drei  Holzschnitte  finden  sich  auch  bei  Derschau  abgedruckt, 
jedoch  nicht  als  Einzelblätter,  sondern  in  der  Reihenfolge  Reimers  84,  87 
und  85  nebeneinander  gestellt,  eng  zusammengerückt  mit  gemeinsamen 
Mittelgraten  und  oben  wie  unten  von  geraden  Linien  scharf  begrenzt,  sodaß 
sie  sich  als  einheitliches  Ganzes  darstellen.  Stößt  man  unsere  Exemplare 
ebenso  wie  bei  Derschau  zusammen,  so  erhalten  wir  oben  und  unten  keine 
geraden  Linien,  da  das  Blatt  Reimers  87  etwas  kleiner  ist  als  die  beiden 
anderen,  die  ebenfalls  nicht  von  gleicher  Größe  sind.  Möglicherweise  sind 
die  Holzstöcke  späterhin  verändert  und  mit  den  unten  erwähnten  zu  einem 
einzigen  Stock  durch  entsprechendes  Zuschneiden  zusammengefügt  worden. 

Schreiben  wir  aber  die  beregten  Blätter  in  der  Zeichnung  Flötner  zu, 
so  müssen  wir  dies  auch  noch  mit  den  drei  weiteren  Holzschnitten  tun, 
welche  Derschau  unter  jenen  abdruckt.  Sie  sind  im  Text  bezeichnet  als: 
»eine  Liebeserklärung  auf  dem  Spaziergangec,  »eine  bey  Tische  und  eine  im 
Reiten«.    Sie  befinden  sich  mit  jenen  ersten,  wie  bemerkt,  auf  einer  Holzplatte. 


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EINE  NÜRNBERGER  HAUSKAPELLE.  0 

VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 
(Mit  zwei  Tafeln  und  einer  Abbildung  im  Text). 

ZU  den  wesentlichen  Bestandteilen  des  Nürnberger  Wohnhauses,  wenigstens 
des  Hauses  der  Vornehmen  und  Begüterten,  gehörte  auch  die  Hauskapelle. 
Vielfach  findet  man  noch  heute  in  den  Häusern  der  Altstadt  meist  mit  Kreuz- 
gewölben überdeckte  Räume,  deren  Anlage  und  architektonische  Ausbildung 
eine  frühere  Benützung  zu  sakralen  Zwecken  sehr  wahrscheinlich  machen. 
Eine  urkundliche  Bestätigung  dafür  dürfte  sich  jedoch  wohl  im  einzelnen  Falle 
nur  selten  beibringen  lassen,  sodaß  wir  uns  mit  dem,  was  wir  vorfinden, 
bescheiden  müssen  und  unsere  Argumentationen  dementsprechend  nur  mit 
Vorsicht  zum  Ausdruck  bringen  dürfen.  Ganz  und  garnicht  aber  waren  wir 
bislang  über  die  innere  Einrichtung  einer  solchen  Hauskapelle,  über  ihre 
Ausstattung  mit  Altären,  Bildwerken,  Gemälden  und  anderem  Zubehör  unter- 
richtet; denn  tatsächlich  hat  sich  nirgends  eine  solche  in  einem  privaten 
Wohnhause  erhalten.  So  sind  wir  denn  lediglich  auf  etwa  noch  vorhandene 
Abbildungen  angewiesen,  die  sich  aber  wohl  nur  selten  vorfinden  dürften. 
Auch  wird  es  sich  dann  noch  sehr  fragen,  ob  man  immer  eine  solch  wert- 
volle und  zuverlässige  Darstellung  in  die  Hand  bekommen  wird,  wie  es  die 
von  Georg  Christian  Wilder  von  der  Hauskapelle  im  ehemaligen  Haus 
»zum  goldenen  Schild«  gezeichnete  in  der  im  Germanischen  Museum  auf- 
bewahrten Kupferstichsammlung  der  Stadt  Nürnberg  ist.  Sie  ist  aquarelliert 
und  im  Jahre  1854  ausgeführt.  Von  hingebender  Liebe  zu  den  Bauten  und 
Kunstschätzen  seiner  Heimatstadt  erfüllt,  hat  sich  dieser  Künstler  deren  bild- 
liche Darstellung  zu  einer  seiner  Hauptaufgaben  vor  Augen  gestellt.  Davon 
zeugen  nicht  nur  seine  zahlreichen  geistreichen  Radierungen,  hierfür  sind 
auch  seine  mit  unendlicher  Sorgfalt  und  feinem  Verständnis  meist  in  Wasser- 
farben  ausgeführten   Zeichnungen   beweisend.     Ihm    ist   das   hohe   Verdienst 


1)  Diese  Abhandlung  fußt  auf  dem  Material,  welches  vom  Verfasser  bei  der  vom 
Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg  unternommenen  Inventarisierung  des  Nürnberger 
Wohnhauses  zusammengetragen  wurde.  Auch  die  Abbildungen  gehen  auf  Aufnahmen, 
welche  vom  Verfasser  zu  diesem  Zweck  angefertigt  wurden,  zurück. 

Bfitteilnngen  aas  dem  geraum.  NationalmuBeam.    1905.  8 


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58  EINE  NÜRNBERGER  HAUSKAPBLLE. 

zuzuerkennen,  daß  er  uns  auf  diese  Weise  viele  heute  nicht  mehr  vorhandene 
Bauten  und  Kunstschätze  im  getreuen  Bilde  überliefert  hat. 

Das  Haus  »zum  goldenen  Schilde  führt  seinen  Namen  von  einem  ehemals 
über  dem  Haupteingang  angebracht  gewesenen,  von  zwei  Engeln  in  Relief- 
plastik gehaltenen,  vergoldeten  Schilde,  der  als  Erinnerungszeichen  dafür 
dienen  sollte,  daß  hier  im  Jahre  1356  die  ersten  23  Kapitel  der  goldenen 
Bulle  bekannt  gegeben  worden  sind*)  (Text-Abbildung).  Murr  gibt  in  seiner 
Beschreibung  der  vornehmsten  Merkwürdigkeiten  in  der  Reichsstadt  Nürnberg, 
Nürnberg  1801,  S.  231  als  das  Zimmer,  »in  welchem  im  Jahre  1356  die 
goldene  Bulle  ist  errichtet  und  promulgiert  wordene,  den  westwärts  an  die 
Kapelle  anschließenden,  späterhin  einmal  untergeteilten,  großen  Raum  an. 
Wie  er  uns  weiter  berichtet,  wurde  auf  dem  Altar  der  Kapelle  jedesmal  vor 
dem  Anfange  des  Reichstags  Messe  gelesen.  Er  hat  seinen  Ausführungen 
eine  Kupfertafel  mit  einem  Blick  in  die  Kapelle  von  Westen  und  einem 
Grundriß  des  2.  Stockes  des  Hauses  mit  eingeschriebenen  Maßen  beigegeben. 
Das  Haus  befand  sich  damals  im  Besitz  der  Nürnberger  Patrizierfamilie  von 
Grundherr.  1387  aber  veräußerten  es  Hermann  Grundherr  und  seine  Gattin 
Barbara  an  Fritz  Ammon.  1405  wurde  es  durch  Conrad  Haller  von  Philipp 
Groß  erkauft,  um  dann  bis  zum  Jahre  1584  im  Besitz  der  Hallerschen  Familie 
zu  bleiben.  Wie  das  gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  durch  Veränderung 
der  Fassade  und  des  westlichen  Daches  sowie  auch  durch  Umbauten  im 
Inneren  umgestaltete  große  Haus  ehemals  ausgeschaut  hat,  lehrt  uns  der  in  der 
Text-Abbildung  reproduzierte  Kupferstich  von  Boener  mit  dem  Umzug  der  Huf- 
schmiede aus  der  Zeit  um  1700.  Die  verschiedenen  Fensterhöhen  und  der 
besondere  Eingang  in  dem  auch  heute  noch  niedriger  bedachten,  zweiachsigen 
östlichen  Teile  machen  wahrscheinlich,  daß  der  Bau  aus  zwei  ursprünglich 
getrennten  Teilen  späterhin  zu  einem  einheitlichen  Ganzen  zusammengeschweißt 
worden  ist.  An  einem  Fenster  des  1.  Stockes  war,  wie  der  Boenersche  Stich 
zeigt,  früher  ein  chörleinartiger  Ausbau  und  an  der  freien  Südwestecke  eine 
Madonna  mit  dem  Kinde  in  Vollplastik  angebracht. 

An  der  Stelle  des  2.  Stockes  nun,  wo  der  Boenersche  Kupferstich  die 
beiden  kleinen  rundbogigen  Fen.sterchen  zeigt,  befindet  sich  noch  die  ehe- 
malige, letzthin  jedoch  in  selbständiger  Weise  vollkommen  modernisierte 
Hauskapelle,  von  deren  Inneneinrichtung  uns  das  obenerwähnte  Aquarell  von 
Wilder  (Tafel  1)  zuverlässige  Kunde  gibt.  Hinzu  kommt  noch  eine  ebenfalls 
von  Wilder  herrührende  Aquarellskizze  zu  dem  großen  Tafelbilde  der  Altar- 
seite, welche  der  jetzige  Hausinhaber,  Herr  Buchdruckereibesitzer  und  Ver- 
leger Hans  Sebald,  aufbewahrt.  Zur  Vervollständigung  meiner  Schilderung 
dienen  dann  noch  einige  gelegentlich  der  letzten  Restauration  angefertigte 
Pausen,  die  Photographie  eines  auf  die  Innenfläche  der  Altarnische  gemalten 
Engels  sowie  mündliche  Mitteilungen  des  Besitzers. 

Der  Kapellenraum  hat  im  Grundriß  die  Gestalt  eines  mit  den  Schmal- 
seiten nach  Norden  und  Süden  gerichteten  Rechtecks.    Die  Nordseite  wurde 


2)  E.  Reicke,  Geschichte  der  Reichsstadt  Nürnberg,  Nürnberg  1896,  S.  295. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ.  59 


von  einer,  die  Südseite  von  zwei  kleinen  rundbogigen^Lichtöffnungen  durch- 
brochen. Er  wird,  wie  das  Wildersche  Aquarell  erkennen  läßt,  von  einer 
Spunddecke,  deren  Balken  den  Längsseiten  parallel  laufen,  nach  oben 
abgeschlossen.  Heute  ist  letztere  durch  eine  darüber  gelagerte  moderne 
Felderdecke  dem  Blick  entzogen.  Sie  war  in  spätgotischer  Weise  bemalt, 
indem  parallel  zum  Unterzug  zehn  weitere  Querbalken,  jedoch  in  Malerei, 
aufgetragen  waren,  sodaß  kleine  quadratische  Kassetten  entstanden,  welche 
abwechselnd  blau  und  rot  angelegt  und  mit  großen  stilisierten  Rosen  aus- 
gefüllt waren.  Die  Kreuzungspunkte  der  Längsbalken  mit  dem  Unterzug  und 
den   gemalten   Querbalken   waren   durch  Nagelköpfe   markiert.     So   berichtet 


uns  wenigstens  Wilder.  Eine  aquarellierte  Darstellung  eines  Teiles  der  Decke 
aus  dem  Jahre  1889  zeigt  jedoch  sowohl  an  den  Ecken  der  Felder  wie  in 
den  Mitten  der  Seiten  goldene  Sterne.  Die  Rosen  sind  weiß  getont,  die 
Eckblätter  grün  gefärbt.  Der  Fußboden  war  mit  roten  und  blauen  Platten 
in  schachbrettförmiger  Anordnung  belegt. 

Die  Wände  waren  teils  mit  Tafelbildern,  teils  mit  plastischen  Kunst- 
werken, teils  auch  mit  Wandmalereien  geschmückt.  Es  liegt  in  der  Natur 
der  Sache,  daß  sich  die  Ostseite  auch  in  unserer  Kapelle  besonders  eindrucks- 
voll präsentiert,  nimmt  sie  doch  in  allen  Räumen  kirchlichen  Charakters  eine 
bevorzugte  Stellung  ein.  So  ist  der  Altar  in  eine  eigene,  flachbogig  über= 
wölbte    Nische    eingebaut.     Dieselbe    war,    wie    bei    der   letzten    Restauration 


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60  EINE  NÜRNBERGER  HAÜSKAPEI.LE. 

konstatiert  wurde,  ehedem  bemalt;  heute  ist  sie  vermauert.  Links  wurde 
ein  Engel  die  Laute,  rechts  ein  solcher  die  Harfe  spielend,  aufgedeckt.  Das 
die  Darstellungen  umgebende  Rankenwerk  weist  sie  etwa  der  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  zu  ®).  Der  Altartisch  war  scheinbar  mit  einer  Frührenaissance- 
Omamentation  und  zwar  in  Rotbraun  auf  hellgelbem  Grunde  bemalt.  Über 
den  Altartisch  hing  eine  gestickte  Decke  herab.  Das  Retabulum  stellt  sich 
als  Triptychon  dar,  in  dessen  Mittelschrein  eine  Maria  mit  dem  Kinde  sichtbar 
ist.  In  der  Mitte  des  durchbrochen  geschnitzten  Aufsatzes  bemerken  wir 
eine  im  Gebet  knieende  Figur.  Auf  der  Mensa  stehen  zwei  barocke  Messing- 
leuchter. Lebhaft  polychromiert  ist  der  schlichte  Baldachin,  welcher,  an  der 
Decke  befestigt,  über  dem  Altar  schwebt.  Ganz  entschieden  muß  der  Altar 
sowohl  durch  die  leuchtende  Kraft  der  Farben  wie  durch  seine  Stellung 
unwillkürlich  den  Blick  des  Eintretenden  auf  sich  gezogen  haben,  ^  wie  er  sich 
denn  schon  auf  der  Darstellung  als  wichtigstes  Ausstattungsstück  aus  seiner 
Umgebung  heraushebt.  Zur  Rechten  der  Altamische  waren  zwei  kleinere 
Tafelbilder  angebracht,  das  eine  mit  einer  Darstellung  des  Gekreuzigten,  das 
andere  mit  dem  Kopf  des  Schmerzensmannes.  Scheinbar  gehören  sie  dem 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts  an.  Eine  ganz  bedeutende  Schöpfung  aber 
muß  das  große,  zur  Linken  des  Altares  befindlich  gewesene,  etwa  der  Zeit 
um  1480 — 1490  angehörende  Gemälde  gewesen  sein.  Sowohl  der  figürliche 
Teil  wie  auch  die  mit  Verständnis  komponierte  Landschaft  lassen  auf  einen 
sich  weit  über  das  Mittelmaß  erhebenden  Künstler  schließen.  Ob  es  Wohl- 
gemut gewesen  ?  Es  ist  eine  Darstellung  des  Auferstandenen,  welcher,  gemäß 
der  späteren  Auffassung,  dem  geöffneten  Grab  entstiegen.  Zu  seinen  Seiten 
knieen,  in  faltenreiche  Gewänder  gehüllt,  Maria  und  die  zwölf  Apostel.  Darüber 
schwebt  in  einer  Wolke  Gott  Vater  mit  dem  heiligen  Geist  in  Gestalt  einer 
Taube,  umgeben  von  Engeln.  Rechts  und  links  davon  halten  zwei  fliegende 
Engel  lang  flatternde  Spruchbänder.  Rechts  und  links  oben  in  den  Ecken 
finden  wir  Sonne  und  Mond  dargestellt.  Unten  kniet  die  18  Köpfe  zählende 
Familie  des  Stifters  und  seiner  Gattin.  In  der  rechten  Ecke  lehnt  das  Pirk- 
heimersche  Wappen,  in  der  linken  das  der  Familie  von  Ploben.  Als  Hinter- 
grund dient  eine  bergige  Landschaft  mit  einer  von  Mauern  umgebenen  Stadt. 
Ob  sich  das  Bild  irgendwo  erhalten  hat,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Vielleicht 
gelingt  es  anderen,  dasselbe  auf  Grund  meiner  Beschreibung  (siehe  auch 
Tafel  1)  ausfindig  zu  machen.  Keine  Erklärung  vermag  ich  für  das  Wandbild 
links  von  diesem  Gemälde  zu  geben.  Unter  einem  viergeteilten  Wappenschild 
mit  einem  Stern  als  Helmzier  steht  an  einem  plump  gezeichneten  Tisch  eine 
fremdartig  gekleidete  Frau,  eine  Darstellung,  welche  nur  wenig  in  den  Rahmen 
des  Ganzen  hineinpassen  will.  Reich  dekoriert  ist  auch  die  nördliche  Schmal- 
wand. Links  vom  Fenster  sehen  wir  drei  plastische  Figuren,  rechts  ein 
größeres  Tafelbild.  Auf  diesem  scheint  eine  Himmelfahrt  Maria  dargestellt 
zu  sein.  Bestimmtes  läßt  sich  bei  der  aphoristischen  Skizzierung  des  Bildes 
auf  dem  Wilderschen  Aquarell   nicht  sagen.     Was  die  plastischen  Bildwerke 

3)  Ich   urteile  hier  lediglich  nach  einer  seiner  Zeit  angefertigten  Photographie  des 
Engels  mit  der  Laute. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


61 


anbelangt,  so  dürfte  die  größere  Figur,  ein  polychromierter  heiliger  Bischof 
mit  Krummstab  und  Schwert,  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  angehören. 
Der  kleinere  Crucifixus  daneben  entstammt  vielleicht  der  gleichen  Zeit.  Was 
das  Schnitzwerk  darüber  vorstellen  soll,  läßt  sich  an  der  Hand  der  vorliegenden 
Zeichnung  nicht  feststellen.  Auf  einem  hohen  Postament  steht  vor  einem 
Stamm  eine  Figur.  Ist  es  ein  König  (Karl  IV.?)?  oder  bezieht  es  sich  auf 
das  Martyrium  einer  Heiligen  ?  Kommen  wir  nunmehr  zur  gegenüberliegenden, 
also  der  südlichen  Schmalwand,  so  fallen  hiet  zunächst  die  hohen  Kerzen- 
halter zu  den  Seiten  der  damals  noch  rundbogig  geschlossenen  Fenster  auf. 
Der  zylindrische  Schaft  ist  korkzieherartig  von  einem  Band  umwundien.  Der 
obere  Teil,  welcher  den  Dorn  trägt,  ist  mit  Blattwerk  verziert  und  von  einem 
Zinnenkranz  bekrönt.  Zwischen  den  Fenstern  hängt  in  mittlerer  Wandhöhe 
ein  kleiner  Hausaltar  mit  bemalten  Flügeln  und  mit  einem  Crucifixus  über 
einem  hohen  barocken  Postament  als  Bekrönung. 

Daß  ein  auf  Farbenwirkung  berechneter,  in  der  Ausdehnung  wie  in 
der  Höhe  beschränkter  Raum  an  Intimität  der  Raumstimmung  durch  Einfügen 
von  Glasmalereien  in  die  Fenster  noch  bedeutend  gewinnt,  haben  die  Alten 
ebenso  gut  wie  wir  —  vielleicht  noch  besser !  —  gewußt.  Schon  im  14.  Jahr- 
hundert sind  in  der  Kapelle  Glasmalereien  vorhanden  gewesen.  Unter  den 
Glasscheiben  des  Germanischen  Museums  befindet  sich  nämlich  auch  eine 
Tafel,  die  nach  zuverlässiger  Überlieferung  aus  der  Kapelle  stammt.  Sie 
gehört  etwa  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  an  und  bringt  eine  Darstellung 
der  Kreuzigung  mit  Maria  und  Johannes  und  zwei  unten  knieenden,  kleiner 
gezeichneten  Frauen.  Sie  mißt  20  cm  in  der  Breite  und  59,2  cm  in  der 
Höhe  (innere  Darstellungsfläche)  und  wurde  vom  Antiquar  Pickert  erkauft, 
der  sie  im  Jahre  1856  von  der  Famile  von  Grundherr  erworben  hatte.  (Vgl. 
auch  den  Katalog  der  im  Germanischen  Museum  befindlichen  Glasgemälde 
aus  älterer  Zeit,  2.  Auflage  1898,  M.  M.  27.)  Die  Malerei  (Tafel  2)  ist  von 
seltener  Leuchtkraft  und  Klarheit  der  Farben.  Maria  ist  in  ein  grünes, 
Johannes  in  ein  rotes  Untergewand  gekleidet.  Der  Mantel  der  Maria  ist  rot, 
derjenige  des  Lieblingsjüngers  grün  gefärbt.  Die  Falten  sind  in  saftigem 
Schwarz  angedeutet.  Das  Kreuz  und  der  Lendenschurz  zeigen  violette 
Tönung.  Die  drei  Hauptfiguren  haben  blaue  Heiligenscheine.  Die  Neben- 
figuren sind  in  violette  und  blaue  Gewänder  gehüllt.  Das  Inkarnat  ist  leicht 
rosa  angehaucht.  Der  Gesichtsausdruck  ist  bei  allen  Personen  leidlich  geglückt. 
Wundervoll  nimmt  sich  das  die  übrige  Fläche  der  Glasscheibe  füllende,  in 
Weiß  auf  rauhem  bräunlichen  Untergrunde  ausgesparte  Ranken-  und  Blatt- 
werk aus.  Mit  Recht  hat  Es^enwein  diese  Tafel  »eines  der  am  meisten 
charakteristischen  Beispiele  c  unter  den  für  Hauskapellen  hergestellten  Glas- 
malereien genannt.  Sicherlich  gehört  sie  auch  zu  den  künstlerisch  und 
technisch  höher  stehenden  Stücken  dieser  Gattung.  An  welcher  Stelle  sich 
dieselbe  in  der  Kapelle  befunden  hat,  ist  aus  der  Wilderschen  Zeichnung 
nicht  ersichtlich.  Ja,  man  muß  auf  Grund  derselben  annehmen,  daß  sie 
damals  schon  nicht  mehr  in  der  Kapelle  selbst  angebracht  war.  Sehen  wir 
nunmehr,   soweit  ein  Erkennen   möglich   ist,    was   für  Glasbilder   zu  Wilders 


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62  EINE  NÜRNBERGES  HAUSKAPELLE,  VON  DR  FRITZ  TRAÜGÜTT  SCHULZ. 

Zeiten  in  die  drei  Fenster  des  Kapellenraumes  eingefügt  waren!  In  das 
nördliche  Fenster  waren  oben  eine  größere  Scheibe  mit  einer  Geburt  und 
darunter  zwei  schmalere  Scheiben  je  mit  einer  einzelnen  Gestalt  eingesetzt. 
Die  beiden  Fenster  der  südlichen  Schmalseite  enthielten  unmittelbar  unter 
dem  Rundbogen  je  eine  runde  Scheibe,  die  eine  mit  dem  Hallerschen,  die 
andere  mit  dem  Grundherrschen  Wappen,  dann  je  eine  größere  rechteckige 
Scheibe,  die  des  westlichen  Fensters  mit  einer  Anbetung  der  Könige,  und 
weiter  nach  unten  schließlich  je  zwei  kleinere  Rundscheiben,  deren  Inhalt 
sich  nicht  mit  Sicherheit  angeben  läßt.  Möglicherweise  können  es  Dar- 
stellungen der  vier  Evangelisten  mit  ihren  Attributen  gewesen  sein. 

Wie  die  Westwand  der  Kapelle,  die  Eingangs  wand ,  früher  ausgesehen 
hat,  darüber  hat  uns  Wilder  leider  nichts  mitgeteilt.  So  müssen  wir  uns 
darauf  beschränken,  zu  berichten,  was  bei  der  im  Jahre  1889  vorgenommenen 
Modernisierung  des  ganzen  Raumes  vorgefunden  wurde.  Am  nördlichen  Teile 
der  Wand  wurden  Spuren  eines  Christophorus  mit  dem  Jesusknaben  gesehen. 
Im  südlichen  Teile  stieß  man  auf  zwei  schildtragende  Engel  mit  den  Wappen 
von  vier  Kurfürstentümern.  Von  einem  derselben  ließ  der  Inhaber  des  Hauses 
seiner  Zeit  eine  Pause  anfertigen.  Sie  läßt  vermuten,  daß  diese  Darstellungen 
flott  gezeichnet  waren.  Das  Gewand  des  Engels  ist  mit  herzförmigen  Blumen 
verziert.  Die  Wappen  der  drei  übrigen  Kurfürstentümer  wurden  in  Resten 
an  der  südlichen  Schmalwand  zu  den  Seiten  und  an  dem  Wandstreifen 
zwischen  den  Fenstern  aufgedeckt.  Selbstverständlich  wird ,  worauf  mich 
Herr  Archivrat  Dr.  Mummenhoff  hinwies,  auch  das  kaiserliche  Wappen 
irgendwo  angebracht  gewesen  sein,  natürlich  an  einer  bevorzugten  Stelle, 
vielleicht  gleich  außen  über  dem  Eingang  zur  Kapelle.  Unterhalb  der  Decke 
fand  man  ein  um  einen  Stab  geschlungenes  Rankenband ,  das  über  dem 
niedrigen  rundbogigen  Eingang  auch  nach  unten  hin  fortlief,  die  Seiten  des 
Eingangs  begleitend.  Die  Türe  ist  auf  der  Innenseite  mit  den  rautenförmigen, 
in  gestanzter  Arbeit  abwechselnd  den  Reichsadler  und  das  Wappen  der  Stadt 
Nürnberg  zeigenden  Feldern  von  der  früheren  Türe  dekoriert.  Auch  hat 
der  alte  Türgriff  in  Form  eines  gut  gravierten  Löwenkopfes  wieder  Verwen- 
dung gefunden. 

Damals  entdeckte  man  auch  an  der  Ostwand  unterhalb  der  Stelle,  wo 
das  große  Auferstehungsbild  gesessen,  die  schlechterhaltenen  Reste  eines 
Wandgemäldes  mit  einer  Anbetung  der  Maria.  Auch  wurde  an  der  gleichen 
Wand  unterhalb  der  Decke  mit  Ausnahme  des  zurückspringenden  Teiles 
ein  Rankenband  vorgefunden. 

Man  ersieht  aus  alledem,  welche  Liebe  und  Sorgfalt  auf  die  Aus- 
schmückung gerade  dieser  Kapelle,  an  die  sich  solch  bedeutungsvolle  historische 
Erinnerungen  knüpfen,  verwandt  worden  ist.  Bedauerlich  ist  es  nur,  daß  sie 
nicht  auch  in  ihrer  früheren  Ausstattung  unversehrt  auf  uns  gekommen  ist, 
und  wir  darum  unsere  Zuflucht  zu  bildlichen  Darstellungen  und  mündlichen 
Mitteilungen  nehmen  müssen,  um  uns  ihre  ehemalige  Gestalt,  so  gut  es 
angehen  will,  zu  rekonstruieren!  Bedauerlich  ganz. besonders  deswegen,  weil 
es  den  Anschein  gewinnt,  als  seien  hier  Künstler  von  Bedeutung  tätig  gewesen ! 


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DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR.  HANS  STEGMANN. 

(Mit  2  Tafeln.) 

IX. 

Die  wichtigste  Gruppe  der  Kastenmöbel  bilden  die  Schränke.  Als  eigent- 
liches Möbel  müssen  sie  allerdings  die  Priorität  in  der  Entwicklung  den 
Truhen  einräumen.  Aber  während  diese  ersteren  über  ihre  ursprüngliche 
kastenförmige  Gestalt  nicht  hinauszukommen  vermochten,  hat  der  Schrank 
die  manigfaltigsten  Gestaltungen  und  Kombinationen  bis  in  die  neueste  Zeit 
hinein  erfahren. 

Der  Schrank  ist  jedenfalls  eine  jüngere  Form  des  Kastenmöbels,  denn 
sein  Gebrauch  setzt  fortgeschrittenere  Formen  der  Lebenshaltung  voraus.  In 
erster  Linie  ist  er  wohl  ursprünglich  kein  bewegliches  Hausgerät  im  Gegensatz  zu 
der  stets  beweglich  gedachten  Truhe.  Er  hat,  das  ergibt  sich  aus  der  Wort- 
bedeutung und  ihrer  Herleitung  in  den  verschiedenen  Sprachen  zunächst  nur 
die  Bedeutung  eines  abgeschlossenen  Raumes  in  der  Wohnstätte.  Schrank 
und  Schrein  bedeuten  weiter  nichts  als  einen  abgeschlossenen  Raum  von 
Schränken,  Schranke*).  Die  Wandnische  mit  irgend  einem  Verschluß  ist  sein 
eigentlicher  Ursprung.  Das  hat  sich  bis  in  die  heutige  Zeit  herüber  erhalten, 
keine  Möbelgattung  hat  sich  so  als  eingebautes  Möbel  —  der  Ausdruck  ist 
ja  an  sich  ein  Widerspruch,  hat  sich  aber  so  eingebürgert,  daß  er  wohl  bei- 
behalten werden  muß  —  eingeführt  und  erhalten.  In  diesem  Fall  haben  wir 
es  mit  dem  eigentlichen  Wandschrank  zu  tun. 

Wann  der  Schrank  sich  zuerst  von  der  Wand  losgelöst,  dafür  haben 
wir  keine  Belege,  im  Allgemeinen  ist  man  geneigt  als  Zeitpunkt  für  diese 
Wandlung  etwa  das  13.  Jahrhundert  anzunehmen.  Für  das  nicht  sehr  hohe 
Alter  des  Schrankes  ist  auch  die  Wortbezeichnung  in  den  verschiedenen 
Sprachen  charakteristisch.  Besonders  auch,  daß  die  lateinische  Sprache  keinen 
Ausdruck  für  »Schrank«  besitzt.  »Armarium«  ist  erst  mittelalterlich  und 
bedeutet  ursprünglich  nichts  als  den  Aufbewahrungsort  der  Waffen  des  Hauses, 
der  ebensogut  ein  Hausraum  als  ein  Möbel  sein  konnte.  Die  romanischen 
Sprachen  (franz.  armoire,  ital.  armadio,  span.  arpiajo)  haben  mit  dieser  abge- 
leiteten Bezeichnung  vorlieb  nehmen  müssen.  Auf  die  deutsche  Bezeichnung 
Schrank  wurde  oben  schon  hingewiesen.    Schrein  von  dem  lateinischen  »scri- 

'*')  S.  Heyne,  Das  deutsche  Wohnungswesen,  S.  115. 


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64  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


nium«  einer  zylindrischen -Kapsel   für  Dokumente   entnommen,   bedeutet   ur- 
sprünglich kein  schrankartiges  Möbel,   sondern   auch    schon  im  übertragenen 
Sinne  den  Aufbewahrungsort  für  Kostbarkeiten.     Ebenso  ist  die  in  den  nor- 
dischen Sprachen  gebräuchliche  Bezeichnung  »skab«  gleichbedeutend  mit  dem 
Gerät  als  Gefäß,   »Schaff,   Scheffel.«     In  Niederdeutschland,   Nord-  und  Ost- 
seeländem  ist  bis  auf  die  heutige  Zeit  die  Benennung  »Schapp«  gebräuchlich. 
Da  die  Behälter   für  Speise   und  Trank   in   ältester  Zeit  schon  auf  Ge- 
stellen,  Borten,   aufbewahrt  wurden,   so  dürfen  wir  im  Schrank  eine  Kombi- 
nation dieser  Gefaßgestelle  mit  der  Wandnische  erblicken,  die  zunächst  einen 
Verschluß   durch  Vergitterung   erhielt,    der  im  Laufe  der  Zeit  sich  in  einen 
solchen   durch    feste    Türen    umwandelte.     Von   den    heute   noch    gebräuch- 
lichen    Ausdrücken    Spind, 
norddeutsch ,     und     Kalter, 
süddeutsch,  bezeichnen  der 
erstere  den  Behälter  für  Eß- 
waren (vom  lat.   »spenda«), 
der   andere    einen    Kleider- 
schrank, in  dem  die  Gegen- 
stände gehängt  wurden,  wäh- 
rend die   ebenfalls  süddeut- 
sche Bezeichnung'Kasten  für 
Schrank  nur  die  allgemeine 
Bezeichnung   für   einen  Be- 
hälter  ist   (z.    B.    Getreide- 
kasten =  Haus  für  Lagerung 
von  Getreide)*).   Das  gerade 
bei    diesem   Geräte    zu   be- 
merkende Schwanken  in  der 
Bezeichnung  geht  von  An- 
fang an  Hand  in  Hand  mit 
sehr  verschieden  gestalteten 
Formen,   denen   eben   ihrer 
verschiedenen  Zweckbestim- 
mung gemäß  auch  verschie- 
dene Namen  beigelegt  wur- 
den.    Auch    das   lateinisch- 
romanische armarium  hat  in 
»almerey«,  einer  Bezeichnung 
für  einen  Wirtschaftsschrank, 
einen  Ableger  auf  deutschem 
Boden  erhalten. 

Die  wesentlichen,   ur- 
sprünglichen Merkmale   des 

Schrankes    lassen     ihn     als 

Fig.  114.    Tyroler  Schrank.    Ende  des  15.  Jahrh.  *)  S.  Heyne,  I.  c.  S.  176  u.  260  f. 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


65 


einen  hochgestellten  Kasten  erscheinen,  der  sich  nach  vorne  durch  eine 
oder  mehrere  Türen  öffnen  läßt.  Wie  für  alle  Kastenmöbel,  wie  auch  für 
Truhe,  Kasten,  hat  die  Hausform  auf  seine  Gestaltung  bestimmend  eingewirkt. 
Man  könnte  sagen,  daß  auf  kein  Möbel  die  architektonische  Gestaltung  und 
noch  mehr  die  architektonische  Verzierung  so  stark  sich  erstreckt  hat,  wie  auf 
den  Schrank.  Das  erleidet  nur  insofern  eine  Einschränkung,  als  die  späteste 
Gotik  in  der  Dekoration  ein  Herüberdrängen  von  den  architektonischen  Or- 
namenten ,  die  wir  als  Maßwerk  im  weitesten  Sinn  bezeichnen  wollen ,  zur 
mehr  plastischen  Dekoration,  die  sich  in  vegetabilischen  Ornamenten,  vielfach 
auch  in  figürlichem  Zierrat  ausspricht.  Plastischer  wird  die  Möbeldekoration 
ja  auch  in  dem  Sinne,  daß  die  frühere  Beschränkung  auf  gemalte  Verzierung 
verschwindet  und  der  geschnitzten,  oft  überreichen  Dekoration,  die  deshalb 
keineswegs  auf  die  Farbigkeit  verzichtet,  weichen  muß. 

Wenden  wir  uns  zunächst  dem  mittelalterlichen  Schrank  und  seinen  üb- 
lichen Typen  zu.  Die  Untersuchung  ist  hier  insoferne  eine  erschwerte,  als 
offensichtlich  der  Schrank  im  mittelalterlichen  Hausrat  nicht  entfernt  die 
wichtige  Rolle  gespielt  hat,  als  die  Truhe.  Insbesondere  dürfte  der  beweg- 
liche Schrank  ein  verhältnismäßig  selten  vorkommendes  Gerät  vor  dem  15. 
Jahrhundert  gewesen  sein,  das  spricht  in  seinem  seltenen  Vorkommen  in  den 
literarischen  Quellen  sich  allein  zur  Genüge  aus.  Daher  darf  es  nicht  Wunder 
nehmen,  daß  Schränke  aus  der  Zeit  vor  1400  zu  den  größten  Seltenheiten 
zählen.  Auch  die  Sammlungen  des  Germanischen  Museum  weisen  kein  vor 
dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  entstandenes  Exemplar  auf. 

Die  wenigen  aus  dem  hohen  Mittelalter  herübergeretteten  und  bekannt 
gewordenen  Schränke  scheinen  insgesamt  aus  kirchlichem  Besitz  zu  stammen. 
Sie  besitzen  zudem  alle  eine  sehr  schmucklose  Gestaltung.  Sie  scheinen  in 
ihrer  ungefügen  Erscheinung,  auch  dies  ist  ein  Hinweis  auf  ihre  Zusammen- 
gehörigkeit mit  dem  Haus,  mehr  die  Arbeit  des  Zimmermanns  als  die  des 
Schreiners  zu  sein.  Erst  die  über  Frankreich  im  späteren  Mittelalter  sich 
ausbreitende  feinere  Kultur  des  Wohnwesens  hat  dem  Schrank  eine  reichere, 
künstlerische  Gestalt  verliehen.  Französische  Kirchenschränke  (Noyon)  und 
deutsche  frühe  Exemplare  zeigen  ein  direktes  Anlehnen  der  plump  gebauten 
Kästen  an  die  Hausform  durch  den  oberen  giebelförmigen  Abschluß,  wie  ihn 
beispielsweise  drei  im  Besitze  des  Grafen  Wilczeck  befindliche  Stücke  zeigen*). 
Die  Verzierung  beschränkt  sich  bei  den  beiden  dem  13.  oder  14.  Jahrhundert 
angehörigen  Stücken  eigentlich  wieder  auf  das  massige  Eisenbeschläge. 

Charakteristisch  für  diese  Schränke  und  ebenfalls  an  die  Hausformen 
gemahnend,  wie  sie  uns  etwa  die  mittelalterlichen  Miniaturen  vor  Augen 
führen,  ist  die  Art  der  im  Verhältnis  zur  Gesamtbreite  schmalen  Türen. 
Beim  Wandschrank,  resp.  der  durch  hölzerne  Türkleidung  verschlossenen 
Wandnische  legten  praktische  Rücksichten,  besonders  liturgische  in  den  Kirchen 
es  frühzeitig  nahe,  den  Behälter  in  verschiedene  Fächer  zu  teilen  und  im 
weiteren  Verfolge   diesen   Fächern    mehrere   gesonderte  Türen   zu   verleihen. 


♦)  Abgebildet  bei  J.  v.  Falke,  Mittelalterliches  Holzmobiliar,  Taf  8. 
MitteiluDgeo  aas  dem  german.  Nationalmuseam.    1905. 


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66  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Fig.  115.    Schrank  aus  SterziDg  in  Sadtirol.    Um  1500. 


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VON  D&  HANS  STBOICANN. 


67 


Diese  leichte  Sonderung  des  Schrankes  in  zahlreichere  Abteilungen  trug 
wesentlich  dazu  bei,  dem  Schrank  das  Obergewicht  über  die  nach  dieser 
Hinsicht  unpraktischere  Truhe  zu  verleihen.  Ein  zweites,  schon  weiter  oben 
erwähntes  Moment  war,  daß  im  Schrank  nicht,  wie  in  der  Truhe  alle  ent- 
haltenen Gegenstände  auf  einander  gelegt  aufbewahrt  werden  mußten,  sondern 
nebeneinander  oder  hängend,  was  durch  die  nach  vom  statt  nach  oben  sich 
öflFnenden  Türen  bedingt  war. 

Bei  den  angedeuteten  manigfaltigen  Beziehungen  ist  nicht  zu  verwundern, 
daß  sich  aus  dem  sehr  spärlich  erhaltenen  Material  an  Schränken,  das  vor 
den  letzten  Jahrzehnten  des  15.  Jahrhunderts  entstanden  sein  kann,  eine  ge- 
naue Klassifizierung  und  besonders  die  scharfe  Umgrenzung  der  Provenienz 
der  einzelnen  Typen  vollziehen  läßt.  Dies  wird  eigentlich  erst  nach  dem 
völligen  Sieg  der  Renaissanceformen  in  Deutschland  möglich.  Im  germanischen 
Museum  sind  zudem  nur  zwei  Landschaftsgruppen  aus  dem  ausklingenden 
Mittelalter  mit  Schränken  vertreten.  Die  tirolische  und  die  nahe  verwandte 
oberdeutsche,  dann  die  niederrheinische. 

Das  älteste  Stück  dürfte  ein  Schrank  aus  Tirol  sein ,  der  möglicher 
Weise  den  letzten  Jahrzehnten  des  15.  Jahrhunderts  angehört.  Figur  114 
gibt  denselben  im  Bilde  wieder.  Wie  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Tiroler 
Möbel  ist  er  ganz  schmucklos.  Wenn  auch,  wie  immerhin  nicht  ganz  unmög- 
lich ist,  der  Aufsatz  nicht  so  alt,  bezw.  dazugehörig  ist,  so  haben  wir  es 
doch  sicher  mit  *  einem  schon  ursprünglich  freistehenden  Schrank  zu  tun. 
Die  einfachen  Verzierungen  beschränken  sich  auf  die  Vorderseite.  Der  aus- 
gesägte niedrige  Untersatz  wie  das  aus  aufgespundeten  Leisten  bestehende 
Rahmenwerk  hat  einfaches  ausgestochenes  Ornament.  Im  Grund  desselben, 
wie  an  den  Profilicrungen  sind  noch  schwache  Farbspuren  zu  erkennen.  Das 
ausgestochene  Ornament  des  Aufsatzes,  dessen  Zinnenbekrönung  modern  oder 
erneuert  ist,  zeigt  etwas  andere  und  zwar  gröbere  Behandlung.  Sehr  bezeich- 
nend für  die  Tiroler  Abstammung  ist,  daß  die  Vorderseite  rahmenartig  auf 
Gehrung  gearbeitet  ist.  Die  Türe  ist  noch  in  altertümlicher  Weise  ziemlich 
schmal  und  mit  einer  starken  profilierten  Schlagleiste  versehen.  Auch  die 
außenliegenden  kräftigen  Türbänder  mit  den  originell  aufgesetzten  durch- 
brochenen Rosetten  geben  dem  Stücke  einen  altertümlichen  Charakter.  Die 
Höhe  des  Schrankes  beträgt  1,79  m,  die  Breite  0,98  m,  die  Tiefe  0,52  m. 

Die  nächsten  beiden  ebenfalls  tirolischen  Stücke  Tafel  III  und  Fig.  115 
sind  die  schönsten  mittelalterlichen  Möbelstücke  der  Sammlung.  Nach  An- 
gabe des  Verkäufers  sollen  sie  aus  der  Sakristei  der  Stadtpfarrkirche  in 
Sterzing  stammen.  Als  Entstehungszeit  wird  man  ungefähr  das  letzte  Jahr- 
zehnt des  15.  Jahrhunderts  annehmen  können. 

Die  beiden  Schränke  stellen  die  ältesten  Beispiele  eines  oberdeutschen, 
bis  in  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  für  größere,  zweiflügelige  Schränke  be- 
liebten Typus  dar,  der  nicht  aus  dem  Wandschrank,  sondern  offensichtlich 
aus  zwei  übereinander  gesetzten  Truhen  der  dort  gebräuchlichen  Art  hervor- 
gangen ist.  Das  ergibt  sich  nicht  nur  aus  dem  Aufbau,  der  stets  die  Aus- 
einandernähme der  beiden  Schrankstockwerke,   das  Abheben  des  einen  vom 


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68  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

»  

andern  erlaubt,  sondern  auch  aus  dem  Umstand,  daß  zur  leichteren  Fort- 
bewegung ganz  gleich  wie  bei  der  Truhe  bei  vielen  Exemplaren  an  den  ein- 
zelnen Schrankgeschossen  Handhaben  angebracht  sind. 

Die  beiden  vorliegenden  Schränke  sind  vorzüglich  in  ihrem  ursprüng- 
lichen Zustand  erhalten.  Sie  sind  offensichtlich  gleichzeitig  und  möglicher 
Weise  auch  von  demselben  Meister  gefertigt.  Ob  die  Anfertigung  speziell 
für  kirchliche  Zwecke  erfolgte  oder  ob  die  Schränke  erst  später  aus  profanem 


Fig.  116.T  Oberdeutscher  Schrank  von  1540. 

Besitz  als  Vermächtnis  oder  Stiftung  an  die  Kirche  gelangten,  mag  dahin- 
gestellt sein.  *Ihre  Anordnung  läßt  die  besondere  Bestimmung  für  kirchliche 
Zwecke  wenigstens  nicht  erkennen.  Die  Schränke  folgen  im  Allgemeinen 
demselben  Schema,  im  Einzelnen  aber  weisen  sie  doch  mancherlei  Verschie- 
denheiten auf. 

Der  auf  der  Tafel  abgebildete  ist  der  reichere.  Auf  dem  uns  von 
den  Tiroler  Truhen  her  schon  bekannten  reich  geschnitzten,  durchbrochenen 
Untersatz  ruht  das  zweiteilige  Untergeschoß.  Die  mit  Füll-  und  Rahmen- 
werk gearbeiteten  Türen  sind  nach   der  Mitte  zu  gerückt  und  noch  verhält- 


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VON  DK.  HANS  STEGMANN. 


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nismäßig  schmal.     Die  Türen  sind  durch  eine  Schlagleiste   getrennt.     In  den 
Füllungen,   die   wie  sämtliche   glatten  Teile   der  Vorderseite   mit  Eschenholz 
fourniert  sind,  hübsch  gearbeitete  Griffe.     Über   dem  Untergeschoß  ein  nach 
allen   Seiten    etwas    hervortretendes   Zwischengeschoß   mit   drei   Schubladen. 
Dann  folgt  das  in  seiner  Zusammensetzung  dem  unteren  ganz  gleiche  Ober- 
geschoß und  über  diesem  der  wie  das  Untergestell  abnehmbare  Aufsatz.    Die 
Anordnung   der  Dekoration    ergibt   sich    aus    der   Abbildung.     Den   äußeren 
Rahmen  der  Schrankgeschosse  bilden  vorspringende  Leisten  mit  geschnitzten 
Füllungen  (Weinranken).    Daneben  ein  vertiefter  innerer  Fries  mit  Maßwerk- 
ornament, bezw.  einem  hübschen  aus  Maßwerk  und  einer  lindenblattähnlichen 
Form  zusammengesetzten  Motiv.     Die  durchbrochenen,  in  Lindenholz  ausge- 
führten Schnitzereien   sind  auf 
blauem,  resp.  rotem  Grund  be- 
festigt.    In   der   oberen  Abtei- 
lungtreten an  Stelle  der  Ranken- 
füllung  Nischen   mit   Heiligen- 
figuren, links  der  hl.  Sebastian, 
rechts  oben  der  hl.  Georg.    Im 
Zwischenteil  sind  an  den  Schub- 
laden und  den  Zwischenräumen 
zwischen     diesen    in    analoger 
Weise  Maßwerk füllungen  ange- 
bracht auf  grünem  und  rotem 
Grund.   Am  hohen  mit  Zinnen- 
kranz   versehenen   Aufsatz    ist 
wieder    durchbrochenes    Maß- 
werk  verwendet.     Die   Seiten- 
teile haben  großblätteriges  Ran- 
kenwerk   auf   ausgestochenem 
Grunde,    der   grün  gefärbt  ist. 
An  dem  Rankenwerk  sind  sämt- 
liche kleinen  Rundstäbe,  dunkel 
und  hell,  in  Windungen,  einge- 
legt.   Die  Arbeit  ist  eine  unge- 
mein   sorgfältige    und    schöne, 
das  ganze   Werk   ein   Meister- 
werk   der    hoch    entwickelten 
Tiroler    Schreinerkunst.      Der 
Schrank  ist  2,62  m  hoch,  1,93  m 
breit  und  0,72  m  tief. 

Das  zweite  Exemplar,  Fig. 
115  hat  denselben  Aufbau,  nur 
sind  die  ornamentalen  Teile 
etwas    anders    behandelt.      In 

der  Dekoration    überwiegen  die  Fi^.  in.    schrank  aus  Köln.    Anf.  des  16.  Jahrh. 


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70  DIE  HOLZMÖBBL  DES  GERMANISCHEN  MUSEDM& 


vegetabilischen  Elemente,  krauses,  bisweilen  krautartiges  Blattwerk  die  Maß- 
werkteile. Der  Mittelteil  ist  bei  diesem  Schrank  mit  dem  Obergeschoß  fest 
verbunden  und  enthält  keine  Schubladen.  Er  ist  zweiteilig  gestaltet  und  zeigt 
vor  mäßig  tiefen  Hohlräumen  das  in  der  Tiroler  Holztechnik  so  beliebte 
durchbrochene  Gitterwerk.  Die  Türen  enthalten  in  der  Füllung  geschnitztes 
Maßwerkornament.  Der  Aufsatz  ist  hier  massiv,  nicht  durchbrochen  gear- 
beitet. Sämtliche  aufgelegte  Schnitzereien  sind  an  diesem  Schranke  vergoldet 
und  mit  Ausnahme  der  Füllungen,  wo  sparsam  graugrüner  Grund  verwendet 
ist,  auf  hellblauem  Grund,  was  diesem  Schranke  ein  noch  festlicheres  Ansehen 
gibt  als  dem  vorbeschriebenen.  Seitlich  sind  Mittelstück  und  Aufsatz  mit 
großblättrigem  Rankenwerk  auf  ausgestochenem  Grund  bedeckt  (Gelb  auf 
Blau),  während  Untersatz  und  Geschoßseiten  in  derselben  Musterung  nur  be- 
malt sind.  Auch  hier  sind  die  Rundstäbe  der  Profilierungen  in  Windungen 
hell  und  dunkel  eingelegt.  Bei  diesem  Schranke  ist  im  Obergeschoß  auch 
die  erhaltene  alte  Einteilung  von  einigem  Interesse.  Das  obere  Schrankfach 
ist  zunächst  durch  zwei  horizontale  Bretter  in  drei  Abteilungen  geteilt.  Die 
untere  höhere  Abteilung  hat  links  ein  Geheimfach,  dessen  Außenseite  aller- 
dings durch  ausgestochenes  Ornament  recht  kenntlich  gemacht  ist,  wobei  der 
Grund  geschwärzt  ist.  Außerdem  eine  Reihe  kleiner  Gefache  an  der  Rück- 
seite mit  dem  üblichen  verschiebbaren  Vorderverschluß,  ebenfalls  mit  ausge- 
stochenem Ornament.  An  diesem  Schrank  sind  seitliche  Handhaben  ange- 
bracht.    Er  ist  2,98  m  hoch,  2,15  m  breit,  0,72  m  tief. 

Von  einem  gleichartigen,  aber  nach  den  Stilformen  vielleicht  ein  oder 
zwei  Dezennien  jüngeren  Schrank  tirolischer  Herkunft  besitzt  das  Museum 
ein  Bruchstück,  nämlich  ein  Schrankgeschoß.  Die  innere  Umrahmung  besteht 
hier  nur  in  der  äußeren  Füllung  mit  elegant  geschnitztem  Blattwerk  und  reicher 
Profilierung,  die  Einlegearbeit  in  Renaissanceformen  zeigt.  Unter  den  beiden 
ganz  einfach  gehaltenen  Türen  läuft  ein  ähnlicher  durchbrochener  Fries.  Der 
Grund  und  die  Kehlen  der  Profilierungen  sind  blau.  Das  eine  Seitenteil 
zeigt  buAt  bemaltes,  ausgestochenes  Ornament,  das  zugleich  in  einem  Spruch- 
band die  Datierung  enthält :  »ain  guet  caitigs  (zeitiges?)  neus  jar  1512.c  Höhe 
1,76  m,  Br.  1,70  m,  T.  0,73  m. 

Ein  ziemlich  viel  späterer  und  eigentlich  seiner  Datierung  nach  schon  ganz 
der  Renaissance  angehöriger  Schrank  ist  in  Fig.  116  abgebildet.  Einer  im 
Museum  lebendigen,  aber  nicht  verbürgten  Tradition  nach  soll  der  aus  der 
Sammlung  des  Freiherm  v.  Aufseß  herkommende  Schrank  aus  Augsburg 
stammen.  Das  Schema  des  Schrankes  ist  dasselbe,  wie  bei  den  Tiroler 
Schränken,  das  Fußgestell  fehlt  und  ist  durch  einen  modernen  Bretterunter- 
satz ersetzt.  Die  Anordnung  der  Türen  ist  eine  etwas  andere,  sie  sind  nicht 
unter  der  Mitte  der  Geschosse  zusammengerückt,  sondern  durch  einen  pfeiler- 
artigen Mittelfries  ist  eine  symmetrische  Zweiteilung  dpr  ganzen  Schrankvor- 
derwand erreicht.  In  den  beiden  Feldern  der  Schrankgeschosse  sind  die  auch 
hier  mit  Schlagleisten  versehenen  Türen  in  die  Mitte  gesetzt.  Der  ebenfalls 
aus  weichem  Holz  gebaute  Schrank  ist  wiederum  in  allen  glatten  Teilen  mit 
dunkel  gebeiztem  Eschenholz  fourniert,  außer  an  den  angestrichenen  Seiten, 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


71 


die  wieder  je  zwei  Handhaben  enthal- 
ten. In  ebenso  starkem  Maße  als  die 
Schnitzerei  ist  an  diesem  Schrank  die 
gegen  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
immer  mehr  in  Aufnahme  gelangende 
Intarsia  verwendet.  Geschnitzt  sind  die 
einrahmenden  und  die  Mittelfüllungen, 
und  zwar  erheben  sie  sich  über  blauem 
Grunde.  Das  Ornament  verwendet  distel- 
artiges Blattwerk,  ebenso  in  dem  durch- 
brochenen, mit  zwei  kleinen  Wappen 
geschmückten  und  mit  einem  Zinnen- 
kranz bekrönten  Aufsatz.  Die  schmalen 
Türfüllungen  tragen  in  Intarsia  je  einen 
Turm,  die  Vorderseiten  der  drei  Schub- 
laden des  Mittelteils  geometrische  Ver- 
zierungen in  derselben  Technik.  Die 
vier  Zwischenstücke  zwischen  den  Schub- 
,  laden  enthalten  geschnitzt  die  Ziffern 
des  Entstehungsjahres  1540.  Recht  ge- 
schickt fügt  sich  das  zierliche  Eisen- 
beschläge dem  reichen  und  geschmack- 
vollen Gesamteindruck  ein.  Die  Höhe 
beträgt  2,30  m,  die  Breite  1,57  m,  die 
Tiefe  0,54  m. 

Mit  dem  obengenannten  Schranke, 
der  schon  der  Mitte  des  16.  Jahrhun- 
derts angehört,  ist  die  Reihe  der  ober- 
deutschen gothisierenden  Schränke  ab-  Fig.  IIS.    Niederdeutscher  Schrank. 

geschlossen.      Die    frühesten     nieder-  i.  Hälfte  des  16.  Jahrh. 

deutschen  Schränke  des  Germanischen 

Museums  dürfen  wir  ebenfalls  nicht  gothisch,  sondern  gothisierend  nennen; 
über  den  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  geht  bei  keinem  die  Entstehung 
zurück.  Von  den  charakteristischen,  frühen  niederdeutschen  Schränken  der 
niedersächsischen  Gauen  besitzt  das  Museum  leider  kein  Beispiel.  Dem  Typus, 
wie  er  in  den  Berliner  und  Hamburger  Sammlungen  und  in  Lüneburg  ver- 
treten ist,  werden  wir  allerdings  an  den  Renaissanceschränken  und  denen 
der  bäuerlichen  Wohngeräte  noch  begegnen.  Aus  dem  Beginn,  bezw.  der 
ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  besitzt  das  Museum  nur  einige  nieder- 
rheinische Stücke. 

Der  vielleicht  älteste  davon  ist  der  in  Figur  117  wiedergegebene.  Er 
ist  außerdem  unter  den  Schränken  mit  figürlichem  Schmuck  ohne  ornamen- 
taler Schnitzerei  in  Eichenholz  derjenige,  der  am  meisten  Altes  enthält.  Der 
Schrank  stammt  aus  Köln.  Im  Aufbau  stellt  derselbe  einen  ganz  einfachen 
rechteckigen  Kasten  vor;  die  glatten  Seitenwände  scheinen  alt  zu  sein.     Die 


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72  DIB  HOLZMÖBBL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Schlagleiste  der  Tür,  der  obere  abschließende  Sims  sind  modern.  Vermut- 
lich haben  wir  es  mit  Teilen  eines  ursprünglichen  Wanaschrankes  zu  tun. 
Darauf  weist  auch  der  Umstand  hin,  daß  die  Türen  die  ganze  Höhe  und 
Breite  der  Vorderseite  einnehmen.  Die  Türen  lassen  sich  ungefähr  auf  die 
Zeit  um  1520 — 1530  datieren.  Die  schmalen  Türflügel  zerfallen  in  je  drei 
Abteilungen,  deren  untere  beiden  Füllungen  mit  dem  in  den  Rheinlanden  so 


Fig.  119.    Rheinischer  Stollenschrank.    1   Hälfte  des  16.  Jahrh. 

beliebten  Motiv  des  »gefalteten  Pergament«  geziert  sind.  Die  Gestaltung  der 
Pergamentrollen  mit  Ohren,  zeigt  schon  einen  gewissen  barocken  Zug.  In 
den  beiden  oberen  Abteilungen  stehen  in  gothisierenden  Nischen  die  Figuren 
von  Petrus  und  Paulus,  recht  annehmbare  Arbeiten  des  Schnitzmessers.  Die 
Höhe  beträgt  1,38  m,  die  Breite  0,86  m,  die  Tiefe  0,49  m. 

Noch  weniger  als  der  vorige  möchte  der  zweite  rheinische  Schrank 
dieser  Gattung  (Taf.  IV)  Anspruch  erheben  können,  als  altes  Möbel  im  eigent- 
lichen Sinne  angesprochen  zu  werden.  Der  ganze  Schrankaufbau  ist  neu  und 
wird  augenscheinlich  nach  dem  rheinischen  alten  Originale  hergestellt  worden 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


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sein.  So  ist  das  an  sich  sehr  schöne  Stück  eigentlich  mehr  als  Werk  der 
Holzplastik,  denn  als  Möbel  wichtig.  Alt  sind  nur  die  geschnitzten  Füllungen, 
resp.  die  Türen  und  Schubladenvorderteile  nebst  den  eisernen  Beschlägen, 
sowie  die  Schubladenkästen.  Interessant  ist  aber  die  Einteilung  dieses 
Schrankes,  die  sich  ausnahmsweise  ähnlich  derjenigen  der  oben  geschilderten 
oberdeutschen  Schränke   gestaltet.     Zwei  Schrankgeschosse   mit  je    zwei   ge- 


Fig.  120.    Rheinischer  Stollen  seh  rank.    1.  Hälfte  des  16.  Jahrh. 

trennten  Behältern,  ein  niedriges  Mittelteil  mit  zwei  Schubladen.  Nieder- 
deutsch ist  die  unregelmäßige  Feldereinteilung  zu  drei,  zwei,  drei,  wenn  diese 
der  ursprünglichen  Gestaltung  getreu  entspricht.  Die  Schnitzereien  stellen 
im  oberen  Geschoß  in  zwei  getrennten  Bildern  die  Verkündigung  Maria,  da- 
zwischen in  dem  schmalen  Mittelfeld  den  Drachentöter  St.  Georg  dar.  Auf 
den  Schubladen,  je  durch  die  Schloßbleche  getrennt,  ein  lagerndes  Musikanten- 
und  ein  Liebespaar.  Im  Untergeschoß,  zwei  Szenen  aus  der  Geschichte  des 
Simson  seitlich ,  in  der  Mitte  die  ganz  michelangelesk  aufgefaßte  Gestalt 
eines  Propheten   oder  Apostels   ohne  Attribut.     Sowohl  die   architektonische 

Mitteilimgen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1905.  10 


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7^  DIE  HOLZMÖBBL  DES  GERMANISCHEN  BCUSEUMa 


Umrahmung  der  geschnitzten  Reliefs,  die  zwischen  Gotik  und  Renaissance 
mit  stärkerer  Hinneigung  zu  letzterer  schwankt,  als  die  ganz  vorzüglichen, 
frei  und  flott  hingesetzten  Figurendarstellungen  beweisen,  daß  das  Stück  nicht 
viel  vor  der  Mitte  des  16.  Jahrh.  von  einem  sehr  tüchtigen  Bildschnitzer  her- 
gestellt worden  sein  muß.  Der  Schrank  ist  1,50  m  hoch,  1,33  m  breit  und 
0,58  m  tief.  Die  der  Vorderseite  folgende  Einteilung  der  Schmalseiten  hat 
mehrere  Pergamentrollenfüllungen,  ebenso  die  Rückseite. 

Bei  dem  in  Fig.  118  im  Bilde  vorgeführten  Schrank,  befinden  wir  uns 
in  mehrfacher  Beziehung  auf  unsicherem  Boden.  Über  Provenienz  und  Ent- 
stehungsort ist  nichts  bekannt.  Weiter  weist  ihn  eigentlich  die  ausgeprägte 
Renaissancedekoration  des  Rankenfrieses,  die  Profilierung  des  Hauptsimses 
und  dessen  Zahnschnitt  aus  der  Mitte  der  wenigstens  äußerlich  mittelalterlichen 
Möbel,  die  wir  bisher  betrachtet  haben.  Andererseits  finden  sich  in  dem 
dreigeschossigen  Aufbau  und  der  geschmackvollen  Verwendung  des  dünn- 
gebildeten, gotisierenden  Beschläge  noch  stärkere  Anklänge  an  das  verblühende 
Mittelalter,  als  an  die  neue  Zeit.  Den  Schrank  der  niederdeutschen  Gruppe 
zuzuzählen,  veranlaßt  einzig  das  Material,  dunkelbraun  gefärbtes  Eichenholz. 
Das  ganz  in  seinem  ursprünglichen  Teilen  erhaltene  Möbel  ist  freistehend  ge- 
bildet und  mißt  1,66  m  in  der  Höhe,  0,71  m  in  der  Breite  und  0,37  m  in 
der  Tiefe. 

Schließlich  haben  wir  unter  den  in  mittelalterlichen  Stilformen  gehaltenen 
Schränken  auch  noch  zwei  sogenannte  »Stollenschränke«  zu  verzeichnen. 
Dieselbe  bilden,  ebenfalls  in  Eichenholz  ausgeführt,  eine  Spezialität  des 
Niederrheins  und  der  angrenzenden  Niederlande.  Man  geht  wohl  nicht  fehl, 
wenn  man  ihren  Ursprung  vom  französisch-burgundischen  Nachbarland  an- 
nimmt. Dort  hatte  der  wachsende  Komfort  des  fürstlichen  und  ritterlichen 
Lebens  das  Bedürfnis  gefühlt,  einen  Schauschrank  für  die  Prunkgefäße  der 
Tafel,  der  sich  stufenförmig  aufbaute,  zu  schaffen,  in  vielen  Fällen  wird  damit 
eine  Art  Anrichteschrank,  das  heutige  Büfett,  damit  verbunden  gewesen  sein. 
Der  Stollenschrank  stellt  eine  Vereinfachung  des  französischen  »dressoir«  dar. 
Zwischen  vier  oder  mehr  Stollen,  die  das  eigentliche  Skelett  des  Möbels  bilden, 
befindet  sich  in  geringer  Höhe  eine  horizontale  Holzplatte,  wohl  stets  zur  Auf- 
nahme größerer  Hohlgefaße  bestimmt.  Weiter  oben,  meist  etwa  1  m  vom 
Boden  entfernt,  findet  sich  ein  niedriges  Schränkchen,  manchmal  mit  einer 
Schublade  darunter.  Darüber  eine  flache  Platte,  in  schwacher  Manneshöhe, 
um  Platten  oder  sonstige  Tafelgeräte  daraufzustellen. 

Die  beiden  gotischen  Stollenschränke  des  Museums,  die  in  Fig.  119  und 
120  abgebildet  erscheinen,  sind  insofern  keine  ganz  einwandfreien  Exemplare, 
als  bei  ihnen,  wie  bei  der  übergroßen  Mehrzahl  aller  in  öffentlichen  und  pri- 
vaten Sammlungen  befindlichen  Möbeln,  nur  das  Schnitzwerk  alt  ist,  alles 
übrige  aber  modern.  Wie  weit  die  Restauration  hier  getreu  einem  jedenfalls 
vorhanden  gewesenen,  aber  stark  zerstörten  Original  gefolgt  ist,  läßt  sich 
schwer  entscheiden.  Der  eine  dieser  Stollenschränke  bildet  ein  halbes  Achteck 
mit  fünf  Seiten,  von  denen  die  vorderste  die  breiteste,  die  seitlichen  senk- 
rechten  die    schmälsten    sind.     Die  Rückwand   reicht    voll   bis   zum   unteren 


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VON  DR.  HANS  STKGBIANN.  75 


horizontalen  Abschluß,  die  vier  vorderen  freistehenden  Stollen  von  fünfseitigem 
Durchschnitt,  haben  einfache  gotische  Profilierung.  Die  fünf  Schauseiten  des 
eigentlichen  Schränkchens  zieren  fünf  stark  erneuerte  oder  nachgeschnittene, 
geschnitzte  Ranken-  und  Blattfüllungen,  die  auf  einen  rötlichen  Grund  aufge- 
legt sind.     Die  Maße  sind  1,58  m  Höhe,  1,06  m  Breite  und  0,67  m  Tiefe. 

Bei  dem  zweiten  abgebildeten  Exemplar  sind  wenigstens  die  Füllungen 
in  ihrem  ursprünglichen,  alten  Zustand  belassen.  Der  Grundriß  des  Schrankes 
ist  rechteckig,  an  den  Seiten  sind  Rollfüllungen,  senkrecht  und  wagrecht  an- 
geordnet worden.  Die  geschnittenen  drei  Füllungen  an  der  Vorderseite  des 
eigentlichen  Schrankraumes  zeigen  eine  Kombination  von  Maßwerk  und  vege- 
tabilischem Ornament,  die  Vorderseite  der  unteren  Schublade  eine  Weinranke 
über  sich  überschneidenden  Halbkreisen.  Die  Schnitzereien  gehören  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  an.     Höhe  1,59  m,  Br.  1,12  m,  T.  0,56  m. 

In  den  sämtlichen  Stücken,  die  bisher  betrachtet  wurden,  haben  wir  es 
in  der  Dekoration  schon  mit  den  Vorboten  einer  neuen  Zeit  zu  tun.  Sie 
gehören  dem  Obergang  von  der  Gotik  zur  Renaissance  an.  Die  Tendenz, 
welche  diese  letzten  Ausläufer  des  Mittelalters  kennzeichnen,  ist  das  bewußte 
Fortschreiten  vom  Einfach-Praktischen  zu  immer  mehr  gesteigerter  Dekoration, 
sogar  mitunter  auf  Kosten  der  leichten  Brauchbarkeit.  Die  Schranktypen 
änderten  sich  daher  im  weiteren  Verlaufe  des  16.  Jahrhunderts  wenig.  Es 
handelte  sich  nur  noch  darum,  an  Stelle  der  schon  nicht  mehr  mit  vollem 
Stilgefühl  behandelten  gotischen  Dekorationsmotive  in  bewußter  Weise  dem 
antikisierenden  Renaissanceornament  an  allen  Stellen  zum  siegreichen  Durch- 
bruch zu  verhelfen. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Die  vorrOmischen  Schwerter  aus  Kupfer,  Bronze  und  Eisen.  Von  Dr.  Julius 
Naue.  Mit  einem  Album  mit  45  Tafeln  Abbildungen.  München  1903.  Verlag  der  k. 
priv.  Kunstanstalt  Piloty  u.  Loehle.  VIII  und  126  Seiten.  4. 

Mit  diesem  Werke  hat  die  prähistorische  Forschung  einen  sicheren  Schritt  vor- 
wärts getan.  Das  ist  bei  dem  derzeitigen  Stande  dieser  Wissenschaft  überhaupt  nur  erst 
möglich  auf  dem  Wege  der  Spezialuntersuchungen,  durch  weise  Beschränkung  auf  einen 
einzelnen  Gegenstand ,  eine  bestimmte  Frage ,  die  mit  allen  Mitteln  umfassender  Denk- 
mälerkenntnis zu  ergründen  gesucht  wird.  Zur  Lösung  größerer  Probleme ,  zur  Fest- 
stellung der  ursprünglichen  Wohnsitze  einzelner  Völker,  ihrer  Wanderungen,  der  Aus- 
breitung ihrer  Kultur  und  Kunst  in  jener  fernen  Vorzeit  ist  der  Boden  noch  nicht  hin- 
länglich bereitet  und  Hypothesen  auf  diesem  Gebiete  pflegen  zwar  ganze  Ströme  von 
Tinte  und  Druckerschwärze  zu  entfesseln ,  sind  aber  häufig  mehr  geeignet,  die  ruhige 
Entwicklung  der  prähistorischen  Wissenschaft;  zu  hemmen,  als  sie  zu  fördern. 

Gleichwohl  ist  es  keineswegs  eine  geringfügige  Sache,  eine  unwesentliche  Ent- 
wicklungsreihe im  Bereiche  der  urgeschichtlichen  Altertumskunde,  deren  Klarlegung  sich 
der  um  die  Erforschung  der  Prähistorie  namentlich  Süddeutschlands  so  hoch  verdiente 
Verfasser  diesmal  zum  Ziel  gesetzt  hat.  Eine  wie  hervorragende  Rolle  das  Schwert  in 
primitiven  Kulturen  spielt  und  vor  allem  gespielt  hat,  ist  bekannt  genug.  Eine  Geschichte 
des  Schwertes,  die  leider  noch  immer  fehlt,  würde  gerade  für  die  früheren  und  frühsten 
Epochen  zugleich  —  im  Umriß  -  eine  Geschichte  des  künstlerischen  Geschmacks  wie 
des  menschlichen  Intellekts  in  sich  begreifen  können.  Eben  hierzu  liefert  Naue  mit 
seinem  Buche,  der  Frucht  mehrerer  Jahrzehnte  —  schon  1884  hatte  der  Verfasser  in 
der  anthropologischen  Gesellschaft  zu  München  einen  Vortrag  über  die  prähistorischen 
Schwerter  gehalten,  als  dessen  Erweiterung  er  selbst  die  vorliegende  Arbeit  bezeichnet 
— ,  einen  überaus  wertvollen  Beitrag.  Mit  gründlichster  Kenntnis  sowohl  der  einschlägigen 
Litteratur  wie  auch  des  Bestandes  der  europäischen  Museen  und  Sammlungen  an  prä- 
historischen Denkmälern  ist  er  an  seine  Aufgabe,  eine  Entwicklungsgeschichte  des  Schwertes 
von  seinen  ersten  Anfängen  bis  zur  Zeit  der  Begründung  des  römischen  Weltreiches  dar- 
zubieten, herangetreten.  Mit  richtiger  Einsicht  in  die  Gefahren ,  die  jedes  Abirren  vom 
festen  Boden  der  Tatsachen  in  sieht  birgt,  hat  er  sich  in  erster  Linie  von  den  Denk- 
mälern selbst  und  ihrer  Formensprache  leiten  lassen,  für  die  chronologische  Einordnung 
der  einzelnen  Schwerterfunde  nur  zuverlässig  überlieferte  Begleitumstände  und  besser, 
daher  ihrem  relativen  Alter  nach  genauer  bekannte  Beigaben,  w^ie  namentlich  Ge- 
wandnadeln und  Tongefaße,  zu  Rate  ziehend.  Die  absolute  Zeitbestimmung,  wenn  auch 
gelegentlich  nach  den  Untersuchungen  und  Aufstellungen  von  Montelius,  Ohnefalsch- 
Richter  und  anderen  vorsichtig  angedeutet,   tritt  dagegen  durchaus  in  den  Hintergrund. 

Einer  Arbeit  von  solcher  Tiefgründigkeit  und  Gewissenhaft:igkeit  gegenüber  hat 
der  Kritiker,  der  nicht  mit  denselben  reichen  Spezialkenntnissen  ausgestattet  ist,  einen 
schweren  Stand.  Er  wird  dabei  wie  von  selbst  lediglich  zum  Referenten  werden.  Und 
so  beschränke  denn  auch  ich  mich  darauf,  zu  betonen,  daß  mir  bei  sorgfältiger  Lektüre 
des  Buches  der  Gedankengang  überall  folgerichtig  und  zwingend,  die  Entwicklungsreihen, 
die  uns  hier  —  und  zwar  zum  erstenmal  in  solchem  Umfange  —  geboten  werden,  durch- 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


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aus  klar  und  im  wesentlichen  geschlossen  erschienen  sind.  Ich  glaube  daher  der  Sache 
zu  nützen,  wenn  ich  im  folgenden  den  Inhalt  des  Naue'schen  Werkes  kurz  darlege.  Ist 
es  doch  trotz  der  dem  Buche  in  dankenswerter  Fülle  beigegebenen  Register  und  tabellen- 
artigen Verzeichnisse  nicht  immer  leicht,  zum  eigentlichen  Kerne  vorzudringen ;  denn  im 
schweren  Panzer  ernster,  hoher  Wissenschaft  schreitet  der  Verfasser  einher. 

>Das  Studium  der  ältesten  Bronzeschwerter«,  so  beginnt  Naue,  »läßt  ihre  Ent- 
stehung aus  den  Dolchen  erkennen«  und  zwar  leiten  sie  sich  von  den  Kupferdolchen 
her,  wie  solche  —  noch  nicht  gegossen,  sondern  gehämmert  oder  geschmiedet  —  bisher 
aus  Ägypten,  Cypem,  Syrien,  Italien,  Österreich  und  Spanien  bekannt  geworden  sind. 
Die  cyprischen  Dolche  dieser  Art  mögen  nach  Ohnefalsch-Richter  etwa  der  ersten  Hälfte 
des  dritten  Jahrtausends  vor  Christi  Geburt  angehören.  Aus  annähernd  der  gleichen 
Zeit  stammen  auch  bereits  die  frühesten  cyprischen  Kurz-  und  Lang  -  Schwerter ,  die, 
gleichfalls  noch  aus  Kupfer  geschmiedet,  zusamt  einigen  in  Siebenbürgen  und  Spanien 
gefundenen  Kupferschwertern  (Typus  I:  Tafel  II,  4  bei  Naue*))  und  zwei  in  ihrem  nun 
weniger  rautenförmig  als  sternartig  gebildeten  Klingendurchschnitte  sich  von  jenen  Dol- 
chen mehr  entfernenden,  daher  wohl  etwas  jüngeren  Kupferschwertern  aus  der  Felsnekro- 
pole  von  Hagia-Paraskevi  auf  Cypem  (Typus  la:  Tafel  III,  1)  zu  den  frühesten  Bronze- 
schwertern, nämlich  jenen  der  Schachtgräber  von  Mykenae  hinüberleiten.  Diese  in  vor- 
züglichem Guß  ausgeführten  Schwerter  scheiden  sich  in  zwei  Gruppen.  Die  Schwerter 
der  einen  Gruppe  unterscheiden  sich  von  den  ihnen  zunächst  verwandten  Paraskevi- 
Schwertern  wesentlich  dadurch,  daß  an  Stelle  der  bis  dahin  üblichen  Griffangel  eine  sehr 
kurze  und  schmale,  einmal  durchlochte  Griffzunge  getreten  ist  (Typus  Ib:  Tafel  III,  3), 
die  sich  bei  den  Schwertern  der  anderen  Gruppe  als  breit  und  ziemlich  lang,  dazu  mit 
niederen  Seitenrändern  zur  Aufnahme  der  Griffschalen  versehen  darstellt  (Typus  Ic: 
Tafel  III,  4).  Fünf  bis  sechs  kurze  starke  Griffnägel  mit  flachen  oder  fiachrunden  Köpfen 
dienten  hier  ehemals  zur  Befestigung  solcher  Schalen,  von  denen,  da  sie  wohl  in  der 
Hauptsache  aus  Holz  hergestellt  waren,  nur  hin  und  wieder  der  dünne  Goldbelag  auf 
uns  gekommen  ist,  während  sich  die  notwendig  anders  geformten,  nur  durch  einen 
dicken  Nagel  mit  der  in  sie  eingelassenen  Griffangel  fest  verbundenen  Bein-  oder  Ala- 
basterknäufe von  Schwertern  der  ersteren  Gruppe  besser  erhalten  haben.  Sowohl  vom 
Typus  Ib  wie  vom  Typus  Ic  gibt  es  einige  Schwerter,  deren  Klingen  mit  flach  erhabenen, 
scharf  umrissenen  Tierbildern,  Figuren  von  Pferden  und  Greifen,  geschmückt  sind.  Alle 
diese  Schwerter  aus  den  Schachtgräbern  von  Mykenae  gehören  der  Zeit  um  1500  v.  Chr. 
an.  Wie  sie  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  direkter  Anlehnung  an  jene  cyprischen 
Kupferschwerter  entstanden  sind,  so  haben  sie  andererseits  wieder  einer  Anzahl  in  Sizilien 
gefundener  Schwerter  etwa  des  12.  vorchristlichen  Jahrhunderts  offenbar  als  Vorbilder 
gedient.  Zeitlich  dazwischen,  um  1400  vor  Chr.,  mögen  einige  Bronzekurz  seh  werter 
anzusetzen  sein,  die  aus  dem  Typus  Ic  hervorgegangen  sind  (Typus  Id:  Taf.  V,  3)  und 
gelegentlich  (Jaly3os,  Mykenae)  parierstangenartige  Griffe  aufweisen  (Typus  Idd:  Taf.  V,  4). 
Eine  interessante  Variante  dieses  letzteren  Typus  bildet  das  bei  Hammer  in  der  Nähe 
von  Nürnberg  gefundene  Lang  seh  wert  von  Bronze  (Taf.  V,  5).  »Diese  schöne  seltene  Waffe 
ist  sicher  ein  Importstück  und  wahrscheinlich  griechischen  Ursprungs.«  Italien  dagegen 
ist  wohl  zugleich  auch  die  Heimat  der  dort  häufig  auftretenden  Bronzeschwerter  mit 
meist  olivenblattförmigen,  sehr  spitzen  Klingen  und  denen  des  Typus  Id  ähnlichen  ge- 
ränderten Griffen,  dazu  Scheiden  aus  starkem  Bronzeblech,  die  zumeist  mit  fein  eingra- 
vierten Zickzacklinien,  »Wolfszähnen«  u.  s.  w.  verziert  sind  und  unten  in  einen  kunstvoll 
angegossenen  Zapfen  mit  zwei  oder  drei  Knöpfen  endigen  (Typus  le:  Tafel  V,  6;  Scheide 
mit  intere.ssanten  Frosch-  und  Schwertdarstellungen:  Taf.  VI,  2).  Nach Montelius  stammen 
die  frühesten  Schwerter  dieser  Art  aus  der  Zeit  von  1100—1000  v.  Chr. 


*)  Für  die  freundlichst  erteilte  Erlaubnis  zur  Wiedergabe  eines  Teils  der  seinem  Werke  beigregebenen 
Abbildungen  möchten  wir  nicht  verfehlen  Herrn  Professor  Naue,  sowie  der  Verlagsbuchbandiuug  auch  an  dieser 
Stelle  unseren  verbindlichsten  Dank  zu  sagen.  Die  Abbildungen  sind  bei  uns  in  '/^  der  Gröfse  gegeben,  in  der 
sie  auf  Naues  Tafeln  erscheinen. 


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78 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Gleichfalls  nach  Italien  und  zwar  nach  Mittelitalien  verlegt  Naue,  wesentlich  in 
Obereinstimmung  mit  Montelius,  die  Entstehung  eines  anderen  Schwerttypus,  als  dessen 
Hauptvertreter  das  von  Schliemann  in  dem  cyklopischen  Hause  auf  der  Akropolis  von 
Mykenae  gefundene  Bronze-Langschwert  zu  betrachten  ist  (Typus  II:  Tafel  VI,  3),  das 
danach  also  nicht  mehr  als  »jüngeres  Mykenaeschwert«  bezeichnet  und  als  ein  Prototypus, 
»der  aus  Ägypten  nach  Griechenland  gelangte  und  von  hier  aus  seine  Verbreitung  nach 
Mittel-  und  Nordeuropa  nahm<,  angesehen  werden  darf.  Die  fast  geraden,  sich  allmählich 
zuspitzenden  Klingen  der  Schwerter  dieses  Typus,  sodann  die  ziemlich  starke,  gewölbte, 
oben  anschwellende  und  gerundete  Mittelrippe  der  Klingen,  endlich  die  mit  niederen 
Rändern  versehene,  unten  fast  halbkreisförmige  Griffzunge,  die  in  den  sanft  geschwungenen 
Griffteil  übergeht  und  in  zwei  hörnerartige  Ansätze  endet,  lassen  die  Schwerter  des  Typus  II 
den  Kurzschwertern  des  Typus  Id  näher  verwandt  erscheinen  als  jenen  älteren  in  den 
Schachtgräbern  gefundenen  Mykenaeschwertern.  Und  da  man  sie  allgemein  in  die  Zeit 
um  1200  vor  Chr.  zu  setzen  pflegt.  Hegt  es  nahe,  ihnen  Einfluß  auf  die  Formentwicklung 
des  jüngeren  Typus  le  beizumessen,  der  vielleicht  von  ihnen  den  unteren  Griffabschluß 
entlehnte,  während  der  Knauf  von  den  griechischen  Kurzschwertern  des  Typus  Id  her- 
übergenommen wurde.  In  Mittel-  und  Unteritalien  allein  wurden  bisher  18  Bronze- 
schwerter vom  Typus  II  gefunden.  Außer  jenem  Akropolisschwert  gesellt  sich  auch 
ein  allerdings  jüngeres  Eisenschwert,  das  in  einem  gräco-phönikischen  Grabe  zu  Kurion 
auf  Cypem  gefunden  wurde  und  sich  jetzt  in  Naues  eigenem  Besitz  beflndet ,  ihnen 
hinzu;  andere  Schwerterfunde  aus  der  Balkanhalbinsel,  der  Schweiz,  Nord-  und  Süd- 
deutschland, Dänemark,  Schweden,  Finnland,  Österreich  und  Ungarn,  die  zum  großen 
Teil  allerdings  erheblich  später  zu  datieren  sind,  da  es  wohl  geraume  Zeit  gedauert  haben 
wird,  bis  Bronzeschwerter  dieses  Typus  nach  Mittel-  und  Nordeuropa  gelangten,  schließen 
sich  an. 

Die  nächste  Umformung  des  Typus  11  scheint  in  Ungarn  am  Ende  der  älteren  oder 
zu  Beginn  der  jüngeren  Bronzezeit  vor  sich  gegangen  zu  sein.  Charakteristisch  sind  für 
diese  »ungarischen  Schwerter  Typus  IIa<  (Tafel  IX,  1,  2)  namentlich  die  sich  nach 
unten  verbreiternden,  dann  in  eine  mehr  oder  weniger  lange  Spitze  ausgehenden,  im  übrigen 
meist  dachförmigen  und  mit  feinen  Rippen  (parallel  den  Schneiden)  verzierten  Klingen, 
die  weit  nach  außen  gehenden  GrifOAügel  und  die  Griffzungen,  die,  zunächst  flach  nach 
aulSen  gewölbt  und  mit  zwei  niederen  Hörnern  abschließend  (Tafel  IX,  1),  bei  etwas 
späteren  Schwertern  stark  ausbauchen  und  in  zwei  mehr  oder  weniger  breite  Hörner 
übergehen  (Tafel  IX,  2).  Der  Typus  tritt  uns  in  ungarischen  Funden  besonders  häuflg 
entgegen,  doch  kennen  wir  auch  aus  Österreich,  Nord-  und  Süddeutschland,  Schweiz, 
Frankreich  und  Sizilien  Vertreter  desselben. 

Daneben  entwickelt  der  Norden  Europas  offenbar  direkt  aus  dem  Typus  II  jene 
oft  sehr  langen  Bronzeschwerter,  »die  sich  von  den  ungarischen  wesentlich  durch  die 
schöne  Form  der  Klingen  unterscheiden<,  die  ganz  allmählich  und  sehr  fein  anschwellend 
und  in  eine  lange  Spitze  endigend,  nicht  sowohl,  wie  die  ungarischen  Schwerter,  den 
Eindruck  des  Wuchtigen  machen,  als  vielmehr  durch  die  Schlankheit  ihrer  Erscheinung 
geschmackvoll  erscheinen ,  fast  elegant  wirken  —  ein  Unterschied,  der  ohne  Zweifel  in 
dem  feineren  Schönheitssinne  der  nordischen  Stämme  seinen  Grund  hatte  (»nordische 
Schwerter  Typus  IIb«:  z.  B.  Tafel  X,  1).  »Hieran  reihen  sich  einige  Bronzeschwerter 
mit  breiten,  geraden  und  langen  Klingen  mit  Mittelrippen«  (»Typus  IIc  der  nor- 
dischen Schwerter«:  z.B.  Tafel  X,  5),  sowie  die  möglicherweise  etwas  jüngeren  Bronze- 
schwerter des  Nordens,  »welche  allmählich  sich  verjüngende  (nicht  mehr  oben  ein- 
ziehende) spitz  zulaufende  Klingen  haben«  (»nordische  Schwerter  Typus  Ild«:  z.  B. 
Tafel  XI,  2). 

»Aus  dem  Typus  II,  besonders  aber  wohl  aus  dem  ungarischen  Schwerter-Typus  IIa 
haben  sich  die  zahlreichen  Bronze-  und  Eisenschwerter  entwickelt,  die  als  Hallstattzeit- 
Schwerter  bezeichnet  werden.«  Einige  spätere  ungarische  Schwerter  mit  mehr  oder 
weniger  stark  geränderten  Griffen  und  mit  oben  ziemlich  stark  einziehenden  und  nach 
unten  mehr  oder  weniger  anschwellenden  Klingen  (Tafel  XI,  3)  bilden  dazu  den  Übergang, 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


79 


die  Vorstufe.  Auch  finden  wir  hier  gelegentlich  schon  jene  eigentümliche  beiderseits 
eine  hakenartige  Spitze  schaffende  Einziehung  der  Klinge  an  deren  unterem  Ende  (z.  B. 
Taf.  XI,  4),  die  uns  dann  bei  den  eigentlichen  Hallstattzeit-Schwertern,  den  aus 
Bronze  gegossenen  wie  den  aus  Eisen  geschmiedeten ,  alsbald  wieder  begegnet  und  ver- 
mutlich zur  Anlegung  eines  Riemens  diente.  Diese  Schwerter  insbesondere  kennzeichnen 
sich  sowohl  durch  die  Form  ihrer  Klingen  als  auch  durch  die  Art  ihrer  Griffe  und  die 
merkwürdige  Bildung  der  Ortbänder,  mit  denen  die  Scheiden  ausgestattet  waren.  Die 
Klingen  sind  meistens  sehr  lang  und  mit  einer  sanft  gewölbten,  breiten  und  den  Schnei- 
den parallel  gehenden  Mittelrippe  versehen.  Diese  wird  bei  den  —  übrigens  älteren  und 
selteneren  —  Bronzeschwertern  in  der  Regel,  bei  den  jüngeren  und  häufiger  vorkommen- 
den Eisenschwertern  wegen  der  Schwierigkeit  des  Schmiedens  nur  ausnahmsweise  außen 
von  je  einer  sehr  feinen  und  schön  ausgeführten  Rippe  begleitet.  Die  Griffzungen  enden 
in  einem  viereckigen,  flachen,  oft  mit  einem  Dorne  versehenen  Knaufe  und  haben  ebenso 
wie  die  Griffflügel  entweder  sehr  niedrige  oder  gar  keine  Ränder.  Einige  der  bei  Hall- 
statt gefundenen  Schwerter  haben  elfenbeinerne  Griffe  und  Knäufe,  die  reich  mit  Bern- 
stein eingelegt  sind,  und  das  berühmte  Eisenschwert  von  Gomadingen  (Württemberg), 
wohl  eine  Prunkwaffe  für  feierliche  Gelegenheiten,  ist  am  ganzen  Griffe  und  am  Griff- 
knaufe mit  Goldblech  überkleidet.  Die  Verzierungen  bestehen  aus  Dreiecken  und  einer 
Art  Mäander.  Die  Ortbänder  endlich  springen  bei  den  älteren  Bronzeschwertern  der 
Hallstattzeit  beiderseits  flügelartig  vor,  bei  den  jüngeren  dagegen  biegen  sich  die  Flügel 
nach  unten  und  innen,  sodaß  etwa  die  Form  der  heraldischen  Lilie  entsteht  (Tafel  XI, 
7  und  8—8  d).  Von  anderen  Schwertern  (und  Dolchen)  der  jüngeren  Hallstattzeit,  Bronze- 
waffen mit  vollgegossenen  Griffen,  wird  weiter  unten  die  Rede  sein. 


Eine  andere  Entwicklungsreihe  —  oder  sollen  wir  lieber  sagen :  eine  andere  Gruppe 
von  Entwicklungsreihen?  —  umfaßt  die  zahlreichen  Bronzeschwerter  ohne  Griffzungen, 
an  die  sich  Schwerter  mit  kurzen  Griffzungen  ohne  Ränder  und  solche  mit  Griffangeln 
anschließen.  Die  Schwerter  der  ersteren  Art  leiten  sich  aus  den  fast  triangulären  Dolchen 
und  daraus  entwickelten  Kurzschwertern  her,  die,  in  Italien  zuerst  aufgekommen,  von  da 
nach  Frankreich,  der  Schweiz  und  Deutschland  importiert  und  hier  nun  auch  vielfach 
nachgeahmt  wurden.  Naue  bezeichnet  diese  Vorstufe  alsTerramaretypus  und  stimmt 
Montelins  zu,  der  diese  Dolche  und  Kurzschwerter  der  ersten  Periode  der  Bronzezeit 
zuweist.  Die  italienischen  (z.  B.  Taf.  XIII,  2)  mögen  der  Zeit  von  1950  bis  1800  v.  Chr., 
die  nordischen  (z.  B.  Taf.  XIII,  3:  Schwert  von  Daher,  Kreis  Deutsch-Krone)  etwa  dem 
folgenden  halben  Jahrhundert  (1800—1750  v.  Chr.)  angehören. 

Aus  solchen  verlängerten  Dolchen  also  entstanden  die  der  Mitte  der  älteren 
Bronzezeit  zuzuweisenden  Kurz-  und  Langschwerter  mit  schilfblattähnlichen,  dach- 
förmigen Klingen ,  deren  unten  gerade  abschließender  Holz-  oder  Knochengriff  mit  zwei 
kurzen,  dicken,  oben  etwas  gewölbten  oder  flachen  Bronzenägeln  an  der  Klinge  befestigt 
st  (Typus  III:  Taf.  XIII,  4  Kurzschwert  aus  der  Oberpfalz,  41  cm  lang;  XIII,  5  Lang- 
schwert aus  Mollkirch  im  Unter-Elsaß,  52,8  cm  lang,  XIII,  5  a  dessen  Klingendurchschnitt 
in  natürlicher  Größe).     > Schwerter  dieses  frühen  Typus  sind  außerordentlich  selten. < 

Eine  Fortentwicklung  zeigen  diejenigen  Bronzeschwerter,  bei  denen  die  im  übrigen 
gleichgeformten  Klingen  gegen  den  Griff  zu  in  geschwungener  Linie  ausladen,  dann 
scharf  absetzen,  um  nach  kürzerer  oder  längerer  Abschrägung  horizontal  abzuschließen 
(Typus  III a:  Kurzschwert  Taf.  XIV,  1;  Langschwert  Taf.  XIV,  2).  Sie  gehören  der  Zeit 
von  Mitte  bis  Ende  der  älteren  Bronzezeit  an.  »Fast  gleichzeitig  mit  diesen  Schwertern 
sind  diejenigen,  bei  welchen  der  obere  Klingenteil,  der  an  die  nach  unten  gerundeten 
Griffflügel  anschloß,  mehr  oder  weniger  gerundet  gebildet  ist.«  Verschiedentlich  tritt 
dabei  mehr  oder  minder  reichliche  Klingenverzierung  auf  (Typus  Illb:  Taf.  XTV,  4). 
Eher  dem  Beginne  der  jüngeren  Bronzeperiode  sind  die  folgenden  Schwerter  mit  noch 
schilfblattähnlichen   Klingen,  doch  gerundeter  oder  kantiger  Mittelrippe  auf  denselben 


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80 


UTBRABISCHB  BBSPRECHUNOBN. 


n.  4.      m.  1.   in.  3   ra.4.    v,  s  .  v.».    v.s.    v.e.     vi.  2.    vi,  3.   ix.i.  ix.2. 


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XI,  3.    XI,  4.       XI,  7.  XI.  8.  8a   XI    8d 


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8b 


xni,  2.     xm,  3. 


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UTERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  81 

und  mit  abgeschrägtem   oder   gerundetem  Klingenabschlusse  zuzuweisen  (Typus  IIIc: 
Taf.  XV,  6). 

»Den  Typus  IV  vertreten  diejenigen  Bronzeschwerter,  welche  mit  einer  meistens 
kurzen,  sich  nach  oben  verjüngenden  Griffzunge  versehen  sind,  über  welche  der  Griff 
geschoben  und  mit  mehreren  kleinen  Bronzenägeln  befestigt  wurde.«  (Taf.  XVI,  4:  Klinge 
dachförmig,  aus  der  Schweiz ;  XVI,  6 :  Klinge  mit  Mittelrippe,  aus  Ungarn).  Aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  aus  den  nicht  entfernten  Gußzapfen  entwickeln  sich  dann  weiterhin 
an  Stelle  der  Griffzungen  mehr  oder  weniger  lange  Griffangeln,  über  welche  die  Griffe 
eingefügt  werden  (Typus  V:  Tafel  XVII,  3  und  4).  An  Schwerter  dieser  Art,  die  der 
jüngeren  Bronzezeit  angehören,  reihen  sich  unmittelbar  jene  in  Nord-Italien  ziemlich 
häufig  vorkommenden  Schwerter  aus  dem  Ende  der  Bronzezeit  oder  dem  Anfange  der 
Eisenzeit,  für  die  »der  glockenförmige  aus  dem  früheren  herzähnlichen  entstandene 
Klingenäbschluß  und  die  meistens  im  Durchschnitt  viereckige  lange  Griffangel  mit 
stärkerem  Zapfen«  charakteristisch  sind  (z.  B.  Taf  XVII,  9).  Diesen  italienischen  ähnliche 
Schwerter  finden  sich  zahlreich  auch  diesseits  der  Alpen. 


Gleichfalls  an  einige  Dolche  und  Kurzschwerter  des  Terramaretypus  und  zwar 
solche  mit  vollgegossenen  Bronzegriffen  (z.  B.  Taf  XIX,  1)  knüpft  die  im  folgenden  be- 
handelte Entwicklungsreihe  an.  Ihren  Klingen  nach  etwa  den  ebenfalls  von  den  trian- 
gulären Dolchen  des  Terramaretypus  hergeleiteten  Schwertern  des  Typus  III b  ent- 
sprechend weisen  einige  offenbar  mit  diesen  gleichzeitige  Exemplare  aus  Bronze  ge- 
gossene Griffe  auf,  die  »meistens  reich  mit  eingeschlagenen  Ornamenten,  hauptsächlich 
mit  den  für  die  älteste  Bronzezeit  charakteristischen  langen  »Wolfszähnen«  verziert  sind«, 
neben  denen  auch  Bänder,  wohl  ein  Nachklang  der  die  ursprünglicheren  Holz-  und 
Knochengriffe  zusammenhaltenden  Bronzewickelungen,  u.  dergl.  m.  erscheinen  (Typus  A: 
Taf  XIX,  3).  Die  meisten  dieser  Schwerter  stammen  aus  Norditalien.  Nicht  rein 
cylindrisch,  wie  bei  diesen,  dazu  ohne  Verzierung  ist  der  vollgegossene  Griff  bei  einigen 
Schwertern  der  älteren  Bronzezeit,  deren  Klingen  denen  des  Typus  IIIc  entsprechen  und 
die  Naue  bisher  nur  aus  Süddeutschland  und  (eines)  aus  Ungarn  kennt  (Typus  Aa:  z.  B. 
Taf.  XX,  3). 

Einige  dieser  Schwerter  mit  wiederum  zylindrischen  und  zuweilen  auch  einfach 
verzierten  Griffen  leiten  dann  zu  den  Schwertern  des  folgenden  Typus  aus  dem  Ende 
der  älteren  Bronzezeit  über,  »bei  denen  die  ziemlich  langen,  zylindrischen  und  im  Durch- 
schnitt meist  ovalen  Griffe  mit  drei  ovalen  Bändern  und  einer  großen  runden,  selten 
ovalen  (zum  Zweck  der  Befestigung  des  Schwertes  häufig  durchlochten)  Knaufplatte  ver- 
sehen sind,  aus  welcher  ein  niedriger  kegelförmiger,  oben  schwach  gewölbter  Knopf 
entspringt«  (Typus  B:  Taf  XXII,  3).  Jene  Bänder,  wohl  wieder  eine  Reminiszenz  an 
die  frühere  Art  der  Griffe,  sind  leicht  erhaben,  die  Klingen  gerade  mit  sanfter  Verjüngung 
zur  Spitze,  dachförmig  und  gegen  den  Griff  zu  mit  einer  etwa  4  cm  langen  gezähnten 
Einziehung;  der  Guß  der  Klingen  wie  der  Griffe  ist  tadellos,  ihre  ZusammenfQgung 
äußerst  präzis.  Hierher  sind  auch  jene  im  übrigen  gleichartigen  Schwerter  zu  rechnen, 
an  deren  Griffen  die  breiten  Felder  zwischen  den  Bändern,  die  Knäufe  und  Grififflügel 
mit  vertieften  Ornamenten,  einfachen  Spiralen  oder  Doppelzickzackeh,  verziert  sind  (vgl. 
Taf.  XXII,  4  im  Inn  bei  Kraiburg  in  Oberbayern  gefunden).  Dagegen  scheinen  die  ver- 
mutlich auch  etwas  jüngeren  allerdings  sehr  selten  vorkommenden  Schwerter  mit  nach 
oben  verjüngten  oder  nur  ein  feines  Oval  bildenden  Griffen,  deren  außen  etwas  abge- 
schrägte, unten  gerade  GriffHügel  sich  nach  innen  derart  zuspitzen,  daß  sie  fast  einen 
unten  offenen  Kreis  bilden,  eine  weitere  Entwicklungsstufe  zu  bezeichnen  (Typus  Ba: 
Taf.  XXII,  6  gefunden  in  der  Nähe  des  Chiemsees).  Mit  »Typus  C«  bezeichnet  sodann 
Naue  »diejenigen  Bronzeschwerter,  bei  welchen  die  zylindrischen  Griffe  anstatt  der  er- 
habenen Bänder  vertieft  eingeschlagene  Linienbänder  mit  und  ohne  verzierte  Zwischen- 
felder haben«  (Typus  C:  Taf  XXIII,  2  bei  Cannstatt  im  Neckar  gefunden).   Der  Zeit  nach 

mitteilanveo  ans  dem  gennan.  NationalmuBeom.    1905.  11 


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ogi 


82 


UTERARISGHE  BESPRECHUNGEN. 


xm.      xrv,      XIV, 


XIV, 
4. 


XV. 
6 


XVI.   XVI,   xvn,   XVII.   xvn,   xix, 

4.  6.  3.  4.  9.  1. 


xxn,  4. 


XXII,  3. 


XXIV,  4.  XXV.  4 


XXIV,  9. 


XXIV.  11 


XXV.  6». 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


83 


mögen  die  zuletzt  besprochenen  beiden  Typen  (Ba  und  C)  der  jüngeren  Bronzezeit  an- 
gehören, etwa  bis  zur  Mitte  derselben  reichen. 

Man  hat  bisher  fast  allgemein  angenommen,  daß  alle  diese  zuletzt  besprochenen 
Schwerter  des  Typus  B,  Ba  und  C  aus  Ungarn  stammten,  wo  ähnliche,  offenbar  den 
gleichen  Zeitepochen  angehörende  Bronzeschwerter  in  verhältnismäßig  großer  Zahl  ge- 
funden worden  sind.  Allein  die  ebenfalls  nicht  ganz  unbeträchtliche  Menge  der  in  Süd- 
deutschland, Oberösterreich  u.  s.  f.  zu  Tage  geförderten  Schwerter  dieser  Art  und  vor 
allem  gewisse  charakteristische  Abweichungen,  welche  die  ungarischen  Schwerter  auf- 
weisen, lassen  diese  Ansicht  noch  nicht  als  durchaus  haltbar  erscheinen.  Den  eigent- 
lichen ungarischen  Schwertern  wird  vielmehr  vorderhand,  d.  h.  nach  dem  heutigen  Stande 
der  Forschung,  eine  der  oben  skizzierten  parallel  gehende  Sonderentwicklung  zuzuerkennen 
sein,  wobei  freilich  Beeinflussungen  herüber  und  hinüber  keineswegs  ausgeschlossen  sind, 
wie  denn  auch  ein  Export  ungarischer  Schwerter  in  alter  Zeit  tatsächlich  bestanden  zu 
haben  scheint.  Darauf  deuten  mehrere  in  außerungarischen  Ländern  bis  nach  Schweden 
hinauf  gefundene  Schwerter  mit  den  speziellen  Eigentümlichkeiten  der  ungarischen 
Schwerter  mit  ziemlicher  Sicherheit  hin. 

Zu  jenen  Eigentümlichkeiten  nun  gehören  nach  Naue  die  abweichende  Form  der 
Klingen,  die  von  oben  nach  unten  allmählich  anschwellen  und  in  eine  mehr  oder  weniger 
lange  Spitze  endigen,  ferner  die  allgemeiner  auftretenden  nicht  zylindrischen,  'sondern 
sich  nach  oben  verjüngenden  oder  im  Umrisse  ovalen  Griffe  und  besonders  die  keine 
eigentliche  Spirale  zeigenden  »ungarischen  Spiralmotive«,  mit  denen  ein  ansehnlicher 
Teil  der  Ornamentation  bestritten  wird  (Tafel  XXIV,  11  zeigt  eine>echte«,  12 — 16  mehrere 
»ungarische«  Spiralen).  Danach  teilt  nun  Naue  entsprechend  der  obigen  Gruppierung 
auch  diese  Schwerter  in  »ungarische  Schwerter  des  Typus  Aa  (Taf.  XXIII,  6  mit 
noch  rein  zylindrischem  GriflO,  B  (z.  B.  Taf.  XXIII,  11),  Ba  (z.  B.  Taf.  XXIV,  4)«  und  läßt 
von  diesen  letzteren,  die  noch  durch  ihre  großen  scheibenförmigen  Knäufe  mit  niederen 
kegelförmigen  oder  pilzartigen  Knöpfen  besonders  charakterisiert  sind,  einen  weiteren 
»Typus  Bb  der  ungarischen  Schwerter«  abzweigen,  dessen  Vertreter  den  Knauf 
zur  Schalenform  entwickelt  zeigen  (z.  B.  Taf.  XXIV,  9). 

Zu  dem  folgenden  Haupttypus  leiten  sodann  diejenigen  Schwerter  über,  »bei 
welchen  der  etwas  ovale,  mit  vertieften  Linienbändern,  konzentrischen  Kreisen,  Reihen 
kleiner  Halbmonde,  Wolfszähnen  u.  s.  w  verzierte  Griff  entweder  nach  unten  und  innen 
abgeschrägte  oder  gerundete  Griflfflügel  hat«,  der  Klingendurchschnitt  in  der  Regel  linsen- 
förmig ist  (Obergangstypus  C  zu  D:  z.  B.  Taf.  XXV,  4).  Jener  Haupttypus  selbst  kenn- 
zeichnet sich  durch  »die  im  Durchschnitt  achteckigen,  im  Umriß  mehr  oder  weniger 
ovalen,  zumeist  reich  verzierten  Griffe,  die  ovalen  oder  spitzovalen  Griffknäufe  und 
Knöpfe,  die  unten  nach  innen  abgeschrägten  spitzigen  GriffHügel  und  die  meistens  mit 
Mittelrippe  versehenen  Klingen«  (Typus  D:  z.  B.  Taf.  XXV,  6  in  einer  Lehmgrube  bei 
Englschalking,  bei  München,  gefunden,  jetzt  im  Bayerischen  Nationalmuseum;  dazu  6a: 
der  Griffknauf  von  oben  gesehen).  Allmählich  werden  die  Griffe  länger  und  schlanker, 
die  Knaufplatten  erhalten  eine  gedrückt  runde  Form,  die  Griffflügel  laufen  in  geschwungener 
Linie  in  scharfe  Spitzen  aus  (Übergangstypus  D  zu  E:  z.  B.  Taf.  XXVI,  5,  5a). 
Dann  nehmen  die  Griffe,  sich  nach  oben  stark  verjüngend,  eine  schön  geschwungene 
Form  an,  während  sich  die  unten  abgeschrägten  Griffflügel  mehr  nach  außen  runden  und 
innen  statt  des  bisherigen  Dreiviertelkreises  einen  Halbkreis  bilden  (Typus  E:  z.  B. 
Taf.  XXVII,  1).  Gelegentlich  mitgefundene  Beigaben  lassen  vermuten,  daß  die  Schwerter 
vom  Typus  C— D  und  D  der  Epoche  von  Mitte  bis  Ende  der  jüngeren  Bronzezeit,  die 
Schwerter  vom  Typus  D— E  und  E  dem  Ende  der  jüngeren  Bronzezeit  zuzuweisen  sind. 
Erhebliche  Abweichungen  zeigen  namentlich  ein  paar  bei  Spandau  (Taf.  XXVII,  6) 
Nieder-Finow,  Brandenburg,  (XXVII,  7)  und  Horchheim  bei  Worms  (XXVII,  8),  ferner 
mehrere  in  Frankreich  und  Großbritannien  gefundene  Schwerter  der  gleichen 
Epoche,  sowie  endlich  die  »nordischen  Bronzeschwerter  mit  Griffen«,  denen 
der  folgende  Abschnitt  in  Naues  Buch  gewidmet  ist. 


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84  UTERARISOHE  BESPRBCHÜNQBN. 


Die  weitaus  große  Mehrzahl  der  im  Norden  Deutschlands  (besonders  ip  Schleswig- 
Holstein),  in  Dänemark  und  Schweden  gefundenen  Bronzeschwerter  mit  Griffen  nämlich 
nehmen  eine  deutlich  geschiedene  Sonderstellung  ein  und  zerfallen  ihrerseits  in  eine 
ältere  und  eine  jüngere  Gruppe.  Die  älteren  Schwerter  dieser  Art  unterscheiden  sich 
von  den  zuletzt  besprochenen  (Typen  A— E)  wesentlich  durch  die  ahweichende  Form 
ihrer  einfach  verzierten  Griffflügel,  die  entweder  nur  schwach  gerundet  sind  und  über 
der  Klinge  in  konkaver  Linie  abschließen  (Tafel  XXVIII,  5)  oder  auch  je  in  einer  Art 
Haken  endigen,  wodurch  dann  über  der  Klinge  ein  unten  offener  Kreis  gebildet  wird 
(Tafel  XXVIII,  9).  Die  Form  der  Klingen  ist  zumeist  jene  schlanke  und  elegante  der 
früher  charakterisierten  nordischen  Schwerter;  in  der  Ornamentation  der  Griffe  spielen 
durch  Tangenten  verbundene  konzentrische  Kreise  und  Linienbänder  eine  grofSe  Rolle. 
Wegen  der  Ähnlichkeit,  die  Griff  und  Knauf  einiger  dieser  Schwerter  mit  den  süddeutschen 
und  ungarischen  des  Typus  B  haben,  ist  möglicherweise  Beeinflussung  des  Nordens  durch 
den  Süden  anzunehmen.  Zeitlich  gehört  diese  ältere  Gruppe  nordischer  Bronzeschwerter 
—  nach  Splieth,  Inventar  der  Bronzealterfunde  S.  18  ff.  —  der  ü.  Periode  der  nordischen 
Bronzezeit  an,  die  nach  Montelius  etwa  die  Jahre  1250—1050  v.  Chr.  umfaßt. 

Bei  den  jüngerenSchwertern,die  wiederum  in  der  Regel  die  »nordischen  Klingen« 
aufweisen,  werden  die  (bisher  ovalen)  Knäufe  kleiner  und  rhombisch  und  sind,  wie  schon 
bei  einigen  älteren  Schwertern,  durchweg  mit  acht  kleinen  Kreisen  verziert ;  »die  Bronze- 
griffe wechseln  mit  solchen  aus  Bronze-  und  Hörn-  oder  Knochenscheiben  ab  und  werden 
endlich  aus  anderem  Materiale  —  Holz  und  Hörn  etc.  —  hergestellt,  um  durch  die  ver- 
schiedenen Farben  eine  gröf^re  Eleganz  zu  erzielen« ;  die  Griffflügel  werden  nun  häuflg 
mit  zungenartigen  Bändern  verziert  (Beispiele:  Tafel  XXIX,  6  samt  Knaufoberseite, 
XXX,  1  und  7).  Es  ist  nach  Naue  anzunehmen,  daß  diese  Schwerter,  die  nach  Spieth 
(a.  a.  O.  S.  56  ff.)  der  III.  Periode  der  nordischen  Bronzezeit  (nach  Montelius  1050  bis 
900  V.  Chr.)  zugeteilt  werden  müssen,  aus  den  Bronzeschwertern  des  Typus  D  entstanden  sind. 


Mit  den  nunmehr  folgenden  Schwertern  verlassen  wir  die  Bronzezeit  und  treten 
in  jene  neue  Epoche  ein,  in  der  das  Eisen  zuerst  erscheint,  um  in  der  Herstellung  der 
Waffen  die  Bronze  allmählich  ganz  zu  verdrängen.  »Während  demnach  in  der  Bronzezeit 
und  in  der  Obergangsperiode  zu  der  Hattstattzeit  sämtliche  Waffen  aus  Bronze  gegossen  sind, 
werden  sie  in  der  Hallstattzeit  aus  Eisen  geschmiedet.c  Da  sind  zunächst  die  Schwerter 
vom  sogenannten  »Möringer-  oder  Rhöne-Typus«,  deren  älteste  sich  nach  Naue 
aus  dem  Typus  E  entwickelt  haben  und  sich  von  den  Schwertern  dieses  wie  der  früheren 
Typen  vornehmlich  durch  den  abweichenden  Griffknauf  unterscheiden,  »der  mit  einem 
rundlichen  Knopfe  aus  Knochen  oder  Holz  besetzt  war«  (vgl.  Taf.  XXXI,  1  aus  Este). 
Die  Weiterbildung  erfolgte  offenbar  in  der  Weise,  daß  aus  dem  ovalen  Griffe  in  der 
Regel  ein  aus  zwei  mit  den  breiteren  Enden  aufeinandergefügten  abgestumpften  Kegeln 
gebildeter,  mit  drei  oft  horizontal  gereifelten  Bändern  verzierter  Griff  wurde  und  an  die 
Stelle  des  früheren  Griff knaufes  ein  ovaler,  mehr  oder  weniger  konkaver  mit  kleinem 
Knopf  in  der  Mitte  trat  (z.  B.  Taf.  XXXI,  4  aus  Trdvoux).  Eine  übrigens  sehr  seltene 
Übergangs  form  stellen  sodann  diejenigen  Schwerter  dar,  bei  denen  der  Grififflügelteil 
kürzer  geworden,  in  geschwungener  Linie  nach  außen  greift  und  so  ein  wenig  über  die 
Klinge  vorkragt,  jener  Griff  knöpf  aber  wieder  verschwunden  ist  (Tafel  XXXI,  6  von 
Tütz,  Kreis  Deutschkrone,  Preußen).  Und  daraus  entwickeln  sich  nun  zwei  neue  Klassen 
von  Bronzeschwertern,  die  das  Gemeinsame  haben,  daß  bei  ihnen  der  untere  Teil  der 
Griffflügel  völlig  zu  einer  Art  kurzer  Parierstange  geworden  ist.  Während  aber  die 
I.  Klasse  dieser  neuen  Form  die  doppelt  kegelförmigen  Griffe  mit  den  drei  erhabenen 
Bändern  zunächst  beibehält  und  sie  erst  allmählich  in  andere  Bildungen,  in  denen  aber 
zumeist  jene  Grundform  noch  deutlich  anklingt,  übergehen  läßt,  dabei  zugleich  die  ovale 
und  konkave  Knaufplatte  durch  eine  ovale  und  gerade  mit  langem  Dorn  (zur  Aufnahme 
eines  größeren  Knochen-  oder  Holzknopfes)  ersetzend  (vgl.  Tafel  XXXI,    7,   XXXII,    4), 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


85 


XXVI,  XXVII, 


XXVII,  XXVII.    xxvin,      xxvin.     xxix. 


V4 


XXXl.  6.         XXXl,  7.         XXXll.  4.  XXXUl,  5 


XXXIV.l.         XXXlV.e.         XXXV.  l.         XXXVl,5 


XXXV  11,3. 


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86 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


entfernen  sich  die  Griffe  der  Schwerter  der  II.  Klasse  weiter  von  der  doppeltkej^el- 
förmigen  Grundform  und  weisen  in  ihrer  Mitte  >eine  längliche,  rechteckige,  unten  oft 
gerundete  Vertiefung«  auf,  die  »mit  drei  hervorspringenden  Knöpfen  verziert  ist  und  ehe- 
mals mit  einer  harzigen  Masse  ausgefüllt  war«.  Aus  dem  oben  konvexen  Knaufe  ent- 
springt weiterhin  gern  ein  kleiner  kegelförmiger  Knopf  mit  oder  ohne  niederen  Dorn 
oder  auch  wohl  ein  konvexer  Knopf  auf  niederem  Zylinder  oder  endlich  ein  zweiter 
Knauf  samt  Knopf  (vgl.  Taf.  XXXIII,  5). 

Die  »Antennen-Schwerter«  sodann  haben  sich  nach  Naue  höchst  wahrscheinlich 
gleichzeitig  mit  den  Schwertern  jener  Obergangsform  des  Möringer-  oder  Rhöne-Typus 
entwickelt,  die  unter  den  Abbildungen  durch  Taf.  XXXI,  Figur  4  (und  5  bei  Naue)  ver- 
treten  ist.    Ihr   in   die  Augen   springendes   Charakteristikum   sind   die   etwas   flacheren 

XXXDC 


1. 


A 

(V) 


'^ 


r  1 


Griffknäüfe  mit  nach  innen  umgerollten  zugespitzten  Verlängerungen,  die  im  einzelnen 
mancherlei  Abweichungen  aufweisen,  wie  denn  auch  der  Griffabschluß  sehr  verschieden, 
in  einem  Falle  (XXXV,  1  aus  Dänemark)  sogar  glockenförmig  gebildet  ist  (vgl.  Taf.  XXXIV, 
1  und  6;  XXXV  1;  XXXVI,  5).  Aus  diesen  Bronzeschwertern  nun,  die,  wie  gelegentlich 
zur  Befestigung  des  Griffes  verwendete  Eisennägel  beweisen,  dem  Beginne  der  Hallstatt- 
kultur angehören  ,  am  häufigsten  in  der  Westschweiz ,  Frankreich  und  Norddeutschland 
gefunden  worden  sind  und  wahrscheinlich  zu  gleicher  Zeit  in  der  Schweiz  und  in  Frank- 
reich aufkamen,  haben  sich  nach  Naue  ohne  Zweifel  die  Dolche  und  Kurzschwerter 
der  jüngeren  Hallstattzeit  entwickelt,  deren  Griffe  meist  aus  Bronze  gegossen,  deren 
Klingen  jedoch  in  der  Regel  aus  Eisen  geschmiedet  sind.  Die  Ähnlichkeit  der  Griffe  dieser 
Dolche  und  Kurzschwerter  mit  ihren  hufeisen-  oder  hörnerartigen ,  oft  auch  trompeten- 
förmigen    Aufsätzen   deuten    auf   eine    solche   nahe    Verwandtschaft    hin  (vgl.   z.  B.   Taf. 


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UTERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


87 


XXXVII,  3).  Die  mit  Köpfen  verzierten  Dolche  und  Kurzschwerter  dieser  Art  (vgl. 
Taf.  XXXVn,  7 :  mit  Eisengriff!  der  Kopf  ist  Bronzebelag)  gehören  bereits  der  La  Tfene- 
Kultur  an  >und  leiten  zu  den  eigentlichen  Schwertern  über,  welche  in  Früh-,  Mittel- 
und  Spät-LaT6ne-Schwerter  (wie  die  Fibeln  dieser  Periode)  eingeteilt  werden.«  Sie 
unterscheiden  sich  vor  allem  durch  die  Art  ihrer  bei  den  Früh-  und  Mittel-La  Tfene- 
Schwertern  aus  dünnen  Eisenblechen,  bei  den  Spät-La  Tfene-Schwertem  häufig  aus  Bronze- 
blech hergestellten  Scheiden  und  deren  Beschlägen  samt  Halter  für  das  Wehrgehänge, 
wofür  hier  nur  auf  die  drei  Abbildungen  Tafel  XXXIX,  1—3  hingewiesen  sei.  Die  Früh- 
La  T6ne-Schwerter  gehören  der  Zeit  von  400  bis  200,  die  Mittel-  und  Spät-La  T^ne- 
Sch werter  der  Zeit  von  200  bis  50  vor  Chr.  an.  Damit  sind  wir  an  die  Zeiten  der 
römischen  Okkupation  und  des  überwiegenden  antiken  Einflusses  in  Kunst  und  Kultur 
herangerückt. 

Es  konnte  der  reiche  Inhalt  des  Naue'schen  Werkes  hier  nur  in  seinen  Grund- 
zügen wiedergegeben  werden.  Möchte  unser  Referat  vor  allem  dem  Buche  selbst,  das 
innerhalb  der  ihm  vom  Verfasser  gezogenen  Grenzen  wohl  als  ein  Standard  work 
der  prähistorischen  Literatur  bezeichnet  zu  werden  verdient,  viele  neue  lernbegierige 
Leser  gewinnen.  Theodor  Hampe. 

Die  Geschichte  der  Räderuhr  unter  besonderer  BerQcksichti8:uns:  der  Uhren 
des  Bayerischen  Nationalmuseums.  Von  Dr.  E.  Bassermann-Jordan.  Mit  36 
Textillustrationen  und  24  Tafeln  in  Lichtdruck.  Verlag  von  Heinrich  Keller-Frank- 
furt a.  M.  1905.  113  S.  gr.  4. 

Einem  doppelten  Zweck  ist  die  vorliegende  Arbeit,  deren  äußere  Erscheinung  sie 
zu  einem  Prachtwerk  vornehmsten  Stils  stempelt,  gewidmet:  sie  will  eine  zusammen- 
fassende Geschichte  der  Räderuhr  im  allgemeinen  und  eine  katalogisierende  Beschreibung 
der  Räderuhren  des  Bayerischen  Nationalmuseums  im  besondern  geben.  Beides  hängt 
eng  mit  einander  zusammen  und  somit  ergänzen  sich  die  durch  den  Zweck  gegebenen 
beiden  Hauptabschnitte  zwanglos  zu  einem  Ganzen ;  doch  muß  als  wesentlich  für  die  Be- 
urteilung des  Buches  hervorgehoben  werden,  daß  der  Verfasser  fiir  seine  historische 
Abhandlung  die  Bestände  des  Museums  nicht  als  Fundament,  sondern  nur  als  Baustein 
benutzt.  Andere  Sammlungen  kommen  hier  gerade  so  zu  Wort  wie  diejenige,  der  das 
Werk  gewidmet  ist. 

Als  Kunsthistoriker  geht  Bassermann -Jordan  von  einem  wesentlich  anderen  Ge- 
sichtspunkte aus  als  die  Verfasser  der  älteren  literarischen  Arbeiten  über  Uhren;  ihm 
steht  das  künstlerische  und  das  kulturhistorische  Moment  im  Vordergrund  des  Interesses, 
die  Technik  berücksichtigt  er  nur  dann  eingehender,  wenn  eine  Änderung  derselben 
auch  auf  die  künstlerische  äußere  Form  der  Uhr  eine  umgestaltende  Wirkung  ausübte. 
Da  dem  Verfasser  auf  dem  Gebiete  der  Uhrenkonstruktion  eingehende  Kenntnisse  zu  Gebote 
stehen,  so  vermag  er  die  Grenze  einzuhalten,  bis  zu  welcher  er  gehen  durfte,  ohne  den 
historischen  Faden,  der  sich  als  Leitmotiv  durch  die  ganze  Arbeit  zieht,  zu  verlieren. 
Gerade  durch  diese  glückliche  Vereinigung  von  Kunstgeschichte  und  Technik  scheint  mir 
das  vorliegende  Werk  gegenüber  seinen  Vorgängern  den  unbedingten  Vorzug  zu  verdienen. 

Dem  eigentlichen  Thema,  das  die  Uhren  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit  bis  zum 
Beginn  des  19.  Jahrhunderts  behandelt,  geht  als  Einleitung  eine  kurz  zusammenfassende 
Beschreibung  der  Zeitmeßkunst  bei  den  antiken  Völkern  vorauf.  Im  allgemeinen  war 
nach  Bassermann  die  Uhrmacherkunst  des  frühen  Mittelalters  nichts  Anderes  als  ein 
mühsames  Wiederfinden  der  verloren  gegangenen  technischen  Errungenschaften  des  Alter- 
tums. Er  setzt  die  Erfindung  der  Räderuhr,  wohl  der  wichtigste  Punkt  in  der  Entwick- 
lung der  Uhr,  früher  an  als  die  älteren  Uhrenforscher  und  hält  mit  Recht  die  vielge- 
nannte Stelle  in  Dantes  Paradiso  (XXIV.  13)  für  einen  einwandsfreien  Beleg  für  das 
Vorhandensein  von  Räderuhren  um  die  Wende  des  13.  zum  14.  Jahrhundert. 

Das  Erstarken  des  bürgerlichen  Elements  und  die  dadurch  bewirkte  kulturelle 
Hebung  aller  Gesellschaftskreise  führte  im  späteren  Mittelalter  einen  gewaltigen  Auf- 
schwung der  Uhrenindustrie  und  eine  künstlerische  Durchbildung  ihrer  Erzeugnisse  her- 


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88 


LrrERARISCH£  BESPRECHUNGEN. 


bei;  hierin  bedeutet  vor  allem  die  Erfindung  der  Taschenuhr  zu  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts einen  Hauptabschnitt,  indem  von  dieser  Zeit  an  die  Arbeitsteilung  zwischen  dem 
Fertiger  des  Werkes  und  des  Gehäuses  datiert,  welch  letzteres  nunmehr  ein  Arbeitsfeld 
des  Klein  plastikers  oder  Edelschmieds  wurde.  Der  Verfasser  schneidet  an  diesem  Punkte 
die  vielumstrittene  Henleinfrage  an  und  zerreißt  energisch  das  Gewebe  von  Legenden,  das 
ein  allzu  eifriger  Lokalpatriotismus  im  Laufe  der  Zeit  um  diese  nur  sehr  unbestimmt  be- 
glaubigte Persönlichkeit  gesponnen  hat.  Wenn  auch  Bassermann  den  Nürnberger  Schlosser 
als  Erfinder  der  Taschenuhr  bestehen  läßt,  wenn  er  auch  in  seiner  Werkstätte  die  An- 
fänge der  heute  so  glänzend  entwickelten  Uhrenindustrie  sieht,  so  beraubt  er  doch  den 
Ruhmeskranz  Henleins  seiner  wichtigsten  Blätter,  indem  er  ihm  bestimmt  und  durchaus 
einwandsfrei  die  Erfindung  der  Federzuguhr  abspricht.  Sein  unanfechtbares  Beweis- 
mittel ist  die  Leber'sche  Uhr  in  Wien,  eine  Federzuguhr,  die  nach  den  Wappen  zwischen 
1429  und  1435  für  Philipp  den  Guten  von  Burgund  gefertigt  sein  muß  und  die ,  da  ihr 
Mechanismus  schlecht  in  das  alte  Märchen  von  Henleins  umfassender  Bedeutung  paßte, 
von  den  älteren  Uhrenschriflstellern  kurzweg  als  Fälschung  oder  doch  als  sehr  ver- 
dächtig bezeichnet  wurde.  Da  diese  Uhr  eine  reiche  kfinstlerische  Verzierung  aufweist, 
so  kann  nur  —  und  schon  Speckhart  weist  in  seinem  Uhrenwerke  darauf  hin  —  der 
Kunsthistoriker  bei  der  Datierung  den  Ausschlag  geben.  Bassermann  ist  meines  Wissens 
der  erste  Kunstgelehrte,  dem  die  Uhr  zur  eingehenden  Prüfung  vorgelegen  hat,  und  so 
ist  sein  Urteil  der  Echtheit  von  maßgebender  Bedeutung.  Damit  ist  die  für  die  Geschichte 
der  Uhr  höchst  wichtige  Tatsache  gegeben,  daß  bereits  ca.  70  Jahre  vor  Henlein  völlig 
ausgebildete  Federzuguhren  gefertigt  wurden. 

Mit  der  Anwendung  des  Pendels  als  Regulator  der  Uhr,  einer  Erfindung,  die  in 
erster  Linie  aus  wissenschaftlichen  Forderungen  hervorging,  begann  in  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  eine  neue  Epoche  in  der  Geschichte  des  Zeitmessers.  Bassermann 
verbreitet  sich  eingehend  über  die  ersten  tastenden  Vorversuche  Galileis ,  die  aus  der 
Theorie  der  Pendelgesetze  heraus  zuerst  um  das  Jahr  1641  praktische  Erfolge  zeitigten ; 
er  schildert,  wie  Galileis  Erfindung  dann  verloren  ging  und  seine  Priorität  wieder  neu 
ans  Licht  gebracht  werden  mußte,  als  der  Holländer  Huygens  1657  seine  zwar  selbst- 
ständige, aber  genau  auf  den  gleichen  Prinzipien  beruhende  Entdeckung  veröffentlichte. 
Mit  der  Anwendung  des  Pendels  erhielt  die  Stand-  und  Hängeuhr  eine  neue,  durch  die 
Technik  bedingte  künstlerische  Gestaltung,  während  das  Gehäuse  der  Taschenuhr  seine 
künstlerische  Ausschmückung  je  nach  der  Mode  des  Tragens  der  Uhr  änderte.  Die  Neuerung 
der  spiralförmigen  Regulierfeder  übte  keinen  Einfluß  auf  ihre  äußere  Gestaltung  aus. 

Während  sich  in  den  vorhergehenden  Zeiten  die  deutsche  Uhrenindustrie  stets  eine 
Selbständigkeit  bewahrt  hatte,  ja  sogar  führend  gewesen  war,  stand  sie  im  18.  Jahrhun- 
dert, wo  Nürnbergs  und  Augsburgs  Glanz  verblaßt  war,  unter  englischem,  französischem 
und  schließlich  auch  schweizerischem  Einfluß.  Wenn  auch  die  Uhr  fQr  wissenschaftliche 
Zwecke  große  und  einschneidende  Verbesserungen  erfuhr,  so  war  doch  die  ungeheure 
Produktion  an  Luxusuhren  bestimmend  für  den  Charakter  dieser  Zeit.  Wand-  und  Zim- 
meruhren nehmen  in  gleicher  Weise  Teil  an  der  allgemeinen  Prachtentfaltung  wie  die 
kleinen  Schmuck-  und  Taschenuhren,  welch  letztere  mit  dem  19.  Jahrhundert  leider  aus 
der  Reihe  der  Schmucksachen  verschwanden,  um  diesen  Rang  an  die  Uhrkette  abzutreten. 
Gerade  der  letzte,  von  der  Uhrenliteratur  meist  wenig  beachtete  Zeitraum,  in  dem  die 
eigenartigen,  fortwährend  sich  wandelnden  Wechselbeziehung  zwischen  Tracht  und  Uhr 
behandelt  werden  müssen,  ist  bei  Bassermann  von  großer  kulturgeschichtlicher  Bedeutung. 

Der  zweite  Abschnitt  des  Werkes  gibt  eine  nüchtern  aufzählende  Beschreibung 
der  Uhren  des  Bayrischen  Nationalmuseums  mit  Ausschluß  der  Sonnen-  und  Sanduhren. 
Die  Beschreibungen  sind  äußerst  exakt,  ein  gutes  Register  und  vergleichende  Tabellen 
erhöhen  noch  die  Benutzbarkeit  dieses  Kataloges.  Das  Bayrische  Nationalmuseum,  das 
leider  seit  einem  Dezennium  mit  seinen  für  ihre  Zeit  vorbildlichen  Katalogisierungs- 
arbeiten in  Rückstand  gekommen  ist,  dürfte  dem  Verfasser  zu  größtem  Danke  für  das  in 
wissenschaftlicher  Beziehung  wie  auch  in  der  Ausstattung  gleich  mustergiltige  Werk  ver- 
pflichtet sein.  W.  Josephi. 


U  E.SsMid,  Nümbarg. 


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DIE  FRIJHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN 

NATIONALMUSEUM. 

VON  DR  W.  JOSEPHI. 
(Mit  zwei  Tafeln.) 

Holzbildwerke  des  frühen  Mittelalters  können 
zwar  zumeist  ästhetisch  keinerlei  Genuß  ge- 
währen,   doch    sind   sie    für   den  Historiker 
als  Inkunabeln  eines  gerade  in  Deutschland 
durch  alle  Zeiten  mit  besonderer  Liebe  ge- 
pflegten   und    echt    volkstümlichen    Kunst- 
Zweiges  von  hoher  Bedeutung.  Wie  die  Früh- 
werke   der  bildenden  Kunst  überhaupt,    so 
erzählen   auch   sie   von  den  Lehrjahren  des 
Künstlergeschlechts;  sie  sprechen  deutlicher, 
als  es  schriftliche  Aufzeichnungen  vermöch- 
ten,  von  dem  Ringen  ganzer  Generationen, 
im  körperlichen  Bilde  das  wiederzugeben,   was   aller  Herz   und  Phantasie  er- 
füllte,   und  deshalb  sind  sie  für  den  Historiker  nicht  weniger  bedeutsam  als 
die  vollendeten  Schöpfungen  einer  Kunst,   die  im  Höhepunkt  ihrer  Entwick- 
lung steht. 

Es  wird  demnach  die  Betrachtungsweise  der  frühmittelalterlichen  bilden- 
den Kunst,  falls  man  diese  nicht  ikonographisch  werten  will,  meist  eine  aus- 
schließlich historische  sein  müssen,  und  das  wird,  allerdings  in  mehr  und  mehr 
sich  verringerndem  Maße,  für  das  ganze  Mittelalter  zu  gelten  haben.  Denn 
wenn  auch  mit  der  zunehmenden  Verfeinerung  im  Können  des  Bildschnitzers 
oder  Malers  seine  Schöpfung  zu  einem  wirklichen  Kunstwerk  wurde,  so  stehen 
wir  modernen  Menschen  mit  unseren  ästhetischen  Anschauungen,  deren  Fun- 
dament trotz  aller  Wandlungen  des  Geschmacks  fest  in  der  klassischen  Kunst 
der  Antike  und  der  Renaissance  wurzelt,  doch  der  mittelalterlichen  Empfindung 
und  der  aus  ihr  sich  ergebenden  Formengebung    ziemlich    fremd   gegenüber. 

Mitteilungen  aus  dem  gernian.  Nationalmuseum.    19(i5.  12 


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90  DIE  FRÜHWKRKE  UER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIUNALMÜSEÜM. 


Für  eine  historische  Betrachtung  besitzen  aber  gerade  die  älteren  Stücke 
einen  besonders  hohen  Wert.  Denn  während  sich  in  Perioden  hohen  Könnens 
und  großer  Schaffenslust  Denkmal  an  Denkmal  reiht  und  deshalb  das  einzelne, 
so  hoch  wir  es  auch  künstlerisch  schätzen  mögen,  unserer  Kenntnis  von  dem 
Fortschreiten  der  Kunst  keine  wesentliche  Bereicherung  schafft,  so  sind  im 
Gegensatz  dazu  in  den  früheren  Zeiten  diese  Wegmarken  für  das  Verständnis 
der  Entwicklung  nur  spärlich  gegeben ,  so  daß  einer  jeden  eine  erhöhte 
Bedeutung  zukommt.  In  allen  Zweigen  der  Kunstgeschichte  macht  sich 
diese  Tatsache  geltend,  in  der  Plastik  nicht  anders  als  in  der  Baukunst,  im 
Kunstgewerbe  wie  in  der  Malerei  und  in  den  graphischen  Künsten.  Trotz- 
dem hat  man  bisher  —  und  das  mag  zusammenhängen  mit  der  Zurücksetzung, 
die  die  deutsche  Plastik  bis  vor  kurzem  vor  ihren  Schwesterkünsten  erfuhr 
—  den  frühen  Holzbildwerken  deutschen  Ursprungs  wenig  Beachtung  geschenkt. 
Das  war  um  so  unauffälliger,  als  gerade  hier  das  Studienmaterial  in  besonderem 
Maße  lückenhaft  ist.  Ist  doch  der  Stoff  dieser  Bildwerke  am  wenigsten 
gegen  die  vielerlei  Fährlichkeiten  geschützt,  die  ihm  die  Zeit  und  mehr  noch 
die  Menschen  bereitet  haben  und  noch  bereiten.  Was  erhalten  ist,  ist  nur 
ein  winziger  Bruchteil  des  ehemals  Geschaffenen;  denn  einerseits  hielt  die 
rohe,  unbefriedigende  künstlerische  Gestalt  dieser  frühen  Denkmale  die  dilet- 
tierenden  Sammler  ab,  ihnen  eine  liebevolle  Fürsorge  zu  widmen  und  für  sie 
ein  gesichertes  Asyl  zu  bereiten,  andrerseits  hatte  aber  auch  der  verfeinerte 
Geschmack  der  nachfolgenden  Kunstperioden,  den  man  stets  als  den  schlimmsten 
Feind  historischer  Denkmale  betrachten  darf,  keine  Neigung,  diese- unkünst- 
lerischen Objekte  zu  schonen.  So  wird  unendlich  Vieles  im  Laufe  der  Zeit, 
vor  allem  aber  unter  dem  Einfluß  der  Restaurierungs-  oder  Reinigungswut 
des  19.  Jahrhunderts,  zerstört  worden  sein.  Dadurch  läßt  sich  leicht  der 
Mangel  an  solchen  Frühdenkmalen  erklären,  die  wohl  keine  Zeit,  ausgenommen 
die  ihrer  Entstehung,  für  Kunstwerke  angesehen  hat. 

Wenn  die  Kunstgeschichte  sich  diesen  Frühdenkmalen  mit  größerer 
Liebe  widmen  wird,  so  wird  wahrscheinlich  das  Irrige  der  bisher  herrschen- 
den Ansicht  klargelegt  werden,  die  die  Anfänge  der  selbstständigen  deutschen 
Plastik  ausschließlich  und  jahrhundertelang  von  Stein  und  Bronze  beherrscht 
sein  läßt.  Allerdings  ist  dabei  die  Einschränkung  festzuhalten,  daß  die  be- 
deutenderen Werke,  die  die  Höhepunkte  der  Kunst  verkörpern,  zumeist  wohl 
aus  einem  vornehmeren,  edleren  Stoffe  gefertigt  sein  dürften  als  aus  dem 
schlichten  volkstümlichen  Holz. 

Durch  glückliche  Erwerbungen  vornehmlich  der  letzten  beiden  Jahrzehnte 
ist  das  Germanische  Nationalmuseum  in  den  Besitz  einer  größeren  Reihe  von 
Frühwerken  der  Holzplastik  gelangt,  die  würdig  seine  reichhaltige  und  hoch- 
bedeutende Sammlung  von  Originalskulpturen  einleiten.  Als  wichtige  Bausteine 
für  die  Kenntnis  der  Anfänge  der  deutschen  Bildnerkunst  sollen  sie  in  den 
folgenden  Zeilen  eine  Besprechung  und  Würdigung  finden.  Damit  wird  einer 
Anregung  Matthaeis  (Werke  der  Holzplastik  in  Schleswig-Holstein  bis  zum 
Jahre    1530.    Leipzig.    1901  S.  240)  nachgegeben,    der    die   große  Bedeutung 


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VON  DR.  W.  JOSEPBI. 


91 


dieser  frühen  Stücke  erstmalig  ans  Licht  zog  und  eine  genauere  Durchforschung 
Deutschlands  nach  den  wenigen  Resten  der  älteren  Holzplastik  forderte. 

Die  zeitliche  Fixierung,  auf  die  bei  der  nachfolgenden  Behandlung  der 
einzelnen  Stücke  das  Hauptgewicht  gelegt  werden  soll,  begegnet  bei  früh- 
mittelalterlichen Bildwerken  großen  Schwierigkeiten.  In  der  Regel  beruht  sie 
nur  auf  allgemeinen  Gefühlsmomenten,  jedenfalls  ist  sie,  wenn  nur  stilistische 
Gründe  zur  Seite  stehen,  mit  allergrößter  Vorsicht  vorzunehmen.  In  der  großen 
Periode  vom  ersten  Auftreten  einer  selbstständigen  deutschen  Plastik  im  be- 
ginnenden 11.  Jahrhundert  bis  in  das  13.  oder  in  zurückgebliebenen  Gegenden 
gar  bis  weit  in  das  14.  Jahrhundert  hinein  ist  die  Entwicklung  eine  so  gering- 
fügige, daß,  sofern  nicht  äußere  Merkmittel  hinzutreten,  eine  wirklich  begründete 
Datierung  nur  in  sehr  weiten  Grenzen  erfolgen  kann.  Den  klaren  Beweis,  wie 
vorsichtig  man  verfahren  muß,  liefert  eine  Vergleichung  der  Augsburger  mit 
der  Hildesheimer  Bronzetür,  deren  annähernd  gleiche  Entstehungszeit  ohne  die 
urkundlichen  Nachrichten  aus  stilistischen  Gründen  allein  wohl  niemand  zu 
behaupten  gewagt  haben  würde.  Noch  bei  den  plastischen  Arbeiten  des  enden- 
den 12.  und  des  13.  Jahrhunderts  liegt  der  Fall  ähnlich:  ein  so  großer  Gegen- 
satz wie  zwischen  den  primitiven  Durchschnittswerken  und  den  Meister- 
schöpfungen Braunschweigs,  Bambergs  und  Naumburgs  dürfte  kaum  in  einer 
späteren  Kunstepoche  wiedergefunden  werden. 

Ganz  abzulehnen  ist  der  Versuch,  bei  den  frühsten  Arbeiten  aus  sti- 
listischen Gründen  die  Herkunft  aus  einem  bestimmten  Kunstkreis  abzuleiten. 
Solange  die  Sprache  der  Kunst  nicht  über  ein  Stammeln  hinausgekommen  ist 
—  und  das  ist  bei  der  volkstümlichen  romanischen  Holzplastik  wohl  niemals 
der  Fall  gewesen  —  darf  man  aus  ihr  keine  dialektische  Verschiedenheiten 
oder  gar  tiefere  Charakter  unterschiede  heraushören  wollen.  Im  günstigsten 
Falle  wird  man  nur  die  Unterschiede  der  großen  Völkergruppen  finden  können, 
Stammesschattierungen  sind  noch  nicht  ausgeprägt. 

Im  Verlaufe  des  13.  Jahrhunderts,  in  den  führenden  Ländern  schon  am 
Schlüsse  des  12.  Jahrhunderts,  trat  auch  hierin  ein  Wandel  ein,  und  damit 
begann,  zuerst  in  Mitteldeutschland,  dann  aber  mit  dem  fortschreitenden  Ver- 
mögen ,  künstlerisch  zu  sehen  und  zu  gestalten ,  überall  in  den  deutschen 
Landen,  eine  erst  langsame,  dann  mehr  und  mehr  sich  beschleunigende  kon- 
sequente Stilentwicklung,  in  der  zunächst  die  Steinplastik  die  Führung  hatte, 
sie  dann  aber  schließlich  an  die  mehr  und  mehr  aufstrebende,  vor  allem 
aber  numerisch  überlegene  Holzplastik  abtreten  mußte.  Während  dieser  Ent- 
wicklung setzten  sich  allmählich  auch  Stammeseigenheiten  durch,  ifnmer  deut- 
licher traten  dann  innerhalb  der  Stammesgrenzen  die  einzelnen  Kunstzentren 
und  Schulen  bestimmend  in  die  Erscheinung,  bis  sich  schließlich  das  künst- 
lerische Individuum  klar  aus  der  Masse  abscheiden  konnte.  Wie  die  volks- 
wirtschaftliche Entwicklung  ging  auch  die  Geschichte  der  Kunst  im  Sinne  einer 
fortgesetzten  Spezialisierung  von  statten,  sie  schritt  fort  vom  Ganzen  zum 
Individuum.  Wo  die  einzelnen  Wendepunkte  in  dieser  fließenden  Entwicklung 
anzunehmen  sind,  wird  mit  unserem  sich  schärfenden  Blicke  für  stilistische 
Unterschiede    allmählich    näher    festgelegt   werden  können.     Heute    ist    unser 


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92  uiK  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM. 


Unterscheidungsvermögen  für  mittelalterliche  Plastik  noch  fast  unentwickelt 
und  steht  auf  jeden  Fall  weit  hinter  dem  zurück,  was  wir  uns  für  die  anderen 
Kunstgattungen  angeeignet  haben. 

Wenn  die  Schwierigkeit,  frühmittelalterliche  Skulpturen  zeitlich  und  ört- 
lich einzuordnen,  schon  im  allgemeinen  eine  große  ist  und  man  sich  in  den 
meisten  Fällen  mit  weit  gezogenen  Grenzen  begnügen  muß,  so  ist  dies  noch 
in  besonderem  Maße  bei  Museumsstücken  der  Fall ,  deren  Herkunft  in  der 
Mehrzahl  unbekannt  ist ,  oft  verschwiegen  oder  gar  absichtlich  falsch  ange- 
geben wird.     Deshalb  ist  hier  besondere  Vorsicht  am  Platz. 


Abb.  1.    Bischof.    12.  Jahrh.   PI.  0. 17.    H.  55  cm. 

Wenn  wir  zu  den  einzelnen  Stücken  übergehen,  so  sei  betont,  daß  es  nicht 
die  Absicht  sein  kann,  an  der  Hand  der  im  Germanischen  Nationalmuseum 
befindlichen  Sammlung  eine  Geschichte  der  frühen  deutschen  Holzplastik  zu 
geben.  Ein  solcher  Versuch  hat  nur  dann  Wert,  wenn  er  an  einer  fest  be- 
grenzten örtlichen  Gruppe  unternommen  wird;  das  uns  vorliegende  Material 
ist  jedoch  aus  allen  Gegenden  Deutschlands,  vielleicht  sogar  des  Auslands, 
zusammengetragen,  es  repräsentiert  Gegenden  fortgeschrittener  und  zurück- 
gebliebener Kunst,  so  daß  der  Versuch  der  Vorführung  dieser  Stücke  selbst 
nur  in  zeitlicher  Folge  aufgegeben  werden  mußte.  Ihre  Veröftentlichung  hat 
den  Zweck,  einen  Baustein  zu  bieten  für  eine  Bearbeitung  der  deutschen 
Frühplastik,  für  die  bisher  noch  nicht  einmal  das  Material  zu  sammeln  ange- 
fangen wurde. 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


93 


Stilistisch  und  wohl  auch  zeitlich  wird  die  Statue  eines  sitzenden  Bischofs 
(PI.  O.  17.  Birnenholz,  bemalt.  Höhe  55  cm.  Abb.  1)  als  das  älteste  Stück 
unserer  Sammlung  anzusehen  sein.  Der  Bischof,  gekleidet  in  die  lange  Alba, 
die  über  die  Kniee  reichende  Dalmatika  und  die  Kasula,  mit  dem  Humerale 
um  den  Hals,  sitzt  hieratisch-steif  auf  einem  an  den  Seiten  profilierten  Thron. 
Seine  beiden  Unterarme  sind  vorgestreckt,  die  linke  Hand  umfaßt  ein  auf- 
wärts gestelltes  und  fest  gegen  den  Leib  gepreßtes  Buch.  Das  Gesicht  ist 
bartlos,  das  lockige  Haupt  trug  ehemals  eine  Inful,  doch  ist  dieselbe  in  spä- 
terer Zeit  roh  weggeschnitten,  um,  wie  der  stehen  gebliebene  Dübel  am 
Scheitel  andeutet,  für  eine  solche  aus  Metall  Platz  zu  machen.  Von  der  alten 
Inful  sind  nur  der  untere  Horizontalrand  und  die  Bänder  erhalten.  Die  Rück- 
seite der  Figur  ist  völlig  flach  und  unbearbeitet,  sie  muß  sich  also  vor  einer 
Wand  befunden  haben  oder  vor  einem  Brett  befestigt  gewesen  sein. 

Alte  Farbspuren  lassen  sich  vielfach  nachweisen,  doch  mischen  sie  sich 
so  sehr  mit  einer  dicken  neueren  Übermalung,  daß  es  schwer  hält,  die  ur- 
sprünglichen Töne  herauszufinden.  Sicher  war  die  Kasula  reich  vergoldet, 
doch  scheinen  aus  der  Vergoldung  rote  Streifen  in  einer  nicht  mehr  sicher 
angebbaren  Musterung  ausgespart  zu  sein.  Unter  dieser  Vergoldung  und  deren 
teilweise  durch  Leinenauflage  verstärktem  Kreidegrund  scheint  sich  aber  noch 
eine  ältere  in  rot  und  weiß  gehaltene  Bemalung  recht  primitiver  Art  befunden 
zu  haben.  Die  Alba  war  weiß,  vorne  zeigt  sich  auf  ihr  ein  roter  Vertikal- 
streifen; das  Buch  war  rot  und  hatte,  wie  die  Nieten  andeuten,  in  der  Mitte 
und  an  den  drei  sichtbaren  Ecken  Zierbeschläge. 

Die  Figur  ist  gut  erhalten,  doch  fehlt  die  rechte  Hand,  welche  ehemals 
angedübelt  war.     Erworben  wurde  die  Statue  in  Ellwangen. 

Einer  sicheren  Datierung  stellen  sich  größere  Schwierigkeiten  dadurch 
entgegen,  daß  das  Stück  äußerst  primitiv  ist.  In  solchen  Fällen  ist  ein  äußeres 
Hilfsmittel  für  die  Datierung  in  der  Regel  die  Tracht;  allein  auch  diese  versagt 
hier,  da  der  geistliche  Ornat  nur  sehr  wenig  der  Mode  unterworfen  ist  und  deshalb 
für  die  Datierung  von  Werken  der  bildenden  Kunst  meist  von  geringer  Bedeutung 
ist.  Die  Kasula,  die  der  Bischof  trägt,  hat  die  Glockenform,  wie  sie  uns  im 
Original  etwa  am  Chorgewand  des  hl.  Bernhard  (f  1 153)  im  Domschatz  zu  Aachen 
erhalten  ist  (abgebildet  bei  Hefner- Alteneck ,  Trachten  u.  s.  w.  I  Tafel  .66) : 
sie  ist  noch  nicht  mit  seitlichen  Schlitzen  versehen,  vielirehr  müssen  beide 
Arme  die  ganze  Stoiifmasse  aufnehmen,  wodurch  vorne  ein  dreieckiger  Zipfel 
entsteht.  Dies  Motiv  findet  sich  aber  überaus  häufig  an  Miniaturen,  Statuen, 
Grabplatten  und  Siegeln  etwa  von  der  Mitte  des  11.  bis  an  den  Schluß  des 
14.  Jahrhunderts,  so  daß  es  für  die  Datierung  nicht  zu  verwenden  ist.  Je 
weiter  aber  die  Zeit  fortgeschritten  ist,  um  so  klarer  wird  dies  schwierig 
zu  gestaltende  Motiv  veranschaulicht:  bei  den  älteren  Werken  macht  es  den 
Eindruck,  als  sei  das  Gewand  vorne  zu  einem  lang  herabfallenden  gerundeten 
oder  dreieckigen  Zipfel  zugeschnitten,  in  späterer  Zeit  mit  dem  zunehmenden 
Beobachtungs-  oder  Gestaltungsvermögen  der  Künstler  macht  sich  mehr  und 
mehr  das  Zusammenknäulen  der  Stoffmasse  über  den  Armen  und  die  dadurch 
bewirkte  Verschiebung  der  Umrißlinien  geltend. 


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94  DIE  FRÜHWERKB  DER  HOLZPLASIIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMÜSEÜM. 


Wenn  wir  uns  im  Denkmälervorrat  nach  Schnitzwerken  ähnlicher  Ge- 
staltung umsehen,  so  finden  wir  in  der  Sammlung  christlich-mittelalterlicher 
Kunstwerke  auf  dem  Domberge  zu  Freising  die  Figuren  eines  stehenden  und 
eines  sitzenden  Bischofs,  die  große  Übereinstimmung  in  der  Auffassung  nicht 
minder  wie  in  der  Wiedergabe  der  Tracht  verraten. 

Während  aber  der  stehende  Bischof  in  Tracht  und  Faltenstil  dem 
unsrigen  nur  nahesteht,  in  der  Detailbildung  des  Gesichts  sich  wesentlich  von 
ihm  entfernt,  ist  ihm  die  sitzende  und  durch  eine  spätere  Inschrift  als  St. 
Zeno  bezeichnende  rohere  Figur  sehr  ähnlich.  Die  etwas  abweichende  Form 
und  Auffassung  des  schmalen  Gesichtes  kommt  nicht  in  Berücksichtigung,  da 
dasselbe  anscheinend  in  späterer  Zeit  nachgeschnitzt  und  mit  Charakterzügen 
einer  späteren  Epoche  versehen  wurde.  B.  Riehl,  (Abhandlung  der  k.  b. 
Akademie  der  Wiss.  III.  Kl.  XXIII.  Bd.  I.  Abt.  S.  29  und  Tafel  II  Abb.  1) 
setzt  beide  Figuren  in  das  12.  Jahrhundert  —  das  eingeritzte  Ornament  der 
einen  bestätigt  diese  Datierung  —  und  so  werden  wir  auch  unsere  Figur 
dieser  Zeit  stilistisch  zuzurechnen  haben.  Riehls  Charakterisierung  trifft  fast 
wörtlich  auf  unser  Werk  zu :  Das  Haar  ist  nur  durch  gleichmäßig  wiederholte 
Locken  angedeutet,  die  Augen  sind  durch  die  Lider  fast  ganz  geschlossen 
und  erhielten  ihr  Leben  wohl  ausschließlich  durch  die  Bemalung.  Auch  bei 
unserem  Stücke  zeigt  die  Modellierung  des  Mundes  und  des  Kinns  die  ersten 
Anfänge  eines  feineren  Eingehens  in  die  Natur,  allerdings  in  etwas  anderer 
Weise  als  an  den  Freisinger  Statuen,  ebenso  fällt  auch  hier  die  erschreckende 
Rohheit  der  Hand  auf.  Die  Körpergestalt  kommt  bei  allen  Werken  nicht  zur 
Geltung,  es  ist  nur  ein  roher  Umriß  gegeben;  ebensowenig  kann  von  einer 
der  Natur  entsprechenden  Faltengebung  die  Rede  sein. 

Wenn  man  überhaupt  von  Kunst  bei  diesem  Werke  reden  darf,  so  ist 
sie  doch  nur  eine  so  kindliche  und  befangene,  daß  man  das  Werk  auf  die 
unterste  Stufe  einer  künstlerischen  Entwicklung  setzen  muß.  An  ein  Ver- 
ständnis des  Körperbaues  und  seines  Mechanismus  kann  nicht  im  entfern- 
testen gedacht  werden;  der  Schnitzer  gestaltet  genau  so  wie  ein  Kind  und 
gibt  nur  Allgemeines  wieder.  Nur  sehr  vereinzelte  Beobachtungen  erheben 
sich  über  diese  Stufe,  so  in  den  Gesichtszügen  die  Partieen  von  der  Nase 
zum  Munde.  Die  Prinzipien,  nach  denen  sich  ein  Faltenwurf  gestaltet,  sind 
dem  Schnitzer  fremd,  er  sieht  nur,  daß  die  Kasula  unten  spitz  zuläuft,  und 
deshalb  gestaltet  er  sie  unter  Weglassung  fast  aller  Faltenzüge  in  dieser  Form. 
Er  sieht,  daß  sich  über  dem  Arm  die  Gewandmasse  knäult  und  bauscht,  aber 
dies  wiederzugeben  ist  er  noch  völlig  unfähig.  Er  deutet  es  deshalb,  genau 
wie  dies  an  den  beiden  Freisinger  Statuen  geschieht,  nur  leicht  durch  einige 
ganz  willkürlich  eingesenkte  Linien  an.  Allerdings  darf  man  daraus  nicht  auf 
hervorragend  schlechte  Qualitäten  unseres  Bildschnitzers  schließen,  denn  dies 
Motiv  ist  ein  besonders  schwieriges  —  die  Faltengebung  in  der  Alba  ist  ihm 
daher  auch  besser  gelungen  —  und  viele  Denkmäler  der  Grabplastik  beweisen, 
daß  auch  größere  und  spätere  Meister  an  diesen  Schwierigkeiten  gescheitert 
sind.     Ebenso  hilflos  steht  er  der  Wiedergabe  des  Humerale  gegenüber :  nur 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


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ein  dicker  Wulst  um  den  Hals  deutet  das  Vorhandensein  dieser  feingeschlungenen 
Binde  an. 

Diese  Datierung  der  Figur  in  das  12.  Jahrhundert  bestätigt  die  Profilierung 
der  Thronbank,  die  aus  romanischem  Stilgefühl  hervorgegangen  ist.  Sie  ähnelt 
im  Prinzip  sehr  derjenigen  an  den  Bankseiten  des  sogenannten  Zeno  in  Frei- 
sing, doch  ist  sie  etwas  reicher  als  bei  jenen. 


Abb.  2.    Heilige  Anna  (?).    Um  1200.    PI.  0.  22.    H.  60^  cm. 

Das  nächste  Stück  (Abb.  2)  entstammt  bereits  der  Werkstätte  eines  fort- 
geschritteneren Meisters.  Mit  dem  Ende  des  12.  und  dem  Anfange  des  13.  Jahr- 
hunderts erhob  sich  auch  die  Holzplastik  von  der  Stufe  der  rohsten  Primi- 
tivität, und  deshalb  lassen  sich  nunmehr  auch  stilistische  Kennzeichen  für 
die  Datierung  verwenden ,  ja  diese  werden  allmählich  sogar  maßgebend  für 
die  Beurteilung  derselben.  Diesen  Fortschritt  verkörpert  die  Statue  einer 
thronenden  weiblichen  Gestalt,  die  aber  wohl  nicht,  wie  man  annehmen  möchte, 
die  Madonna,  sondern  eher  die  heilige  Anna  darstellt.  Das  Stück  (PI.  O.  22) 
ist  aus  Lindenholz  mit  seitlichen  Auflagen  von  Fichtenholz  und  60,5  cm  hoch; 
es  wurde  in  Rücksicht  auf  den  interessanten  und  für  die  Geschichte  des  früh- 
mittelalterlichen Sitzmöbels  sehr  merkwürdigen  Thron  bereits  von  Essenwein 


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96  DIE  FRCHWEHKK  der  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM. 


in  den  »Mitteilungen  aus  dem  Germanischen  Nationalmuseum«  1891  S.  51  f. 
besprochen  und  abgebildet.  Aus  dem  gleichen  Grunde  beschäftigte  sich  Steg- 
mann (ebenda  1903  S.  75)  mit  dem  Stück  und  wies  dabei  auf  die  noch  heute 
in  Swanetien  im  Kaukasus  gebräuchlichen  und  durch  charakteristische  Originale 
im  Germanischen  Nationalmuseum  vertretenen  Sitzmöbel  hin,  die  genau  den- 
selben Typus  zeigen. 

Allein  auch  kunstgeschichtlich  und  stilgeschichtlich  hat  das  Stück  seine 
Bedeutung,  und  ganz  besonders  für  unsere  Sammlung,  denn  es  ist  die  erste 
Skulptur,  in  der  sich  zwar  noch  recht  bescheiden,  aber  doch  schon  deutlich 
bemerkbar  eine  künstlerische  Stilisierung  geltend  macht. 

Die  Heilige  sitzt  frontal  auf  dem  Thron,  dem  der  Künstler  seine  besondere 
Sorgfalt  zugewandt  und  dessen  Drechselmotive  er  aufs  genauste  nachgebildet 
hat ;  es  ist  eine  Matrone ,  ein  blaues  Kopftuch ,  die  Tracht  älterer  Frauen, 
liegt  auf  dem  Scheitel  und  fällt  zu  beiden  Seiten  des  Hauptes  in  regelmäßigen 
Falten  auf  die  Schultern.  Ein  über  die  Füße  reichendes  faltenreiches  weißes 
Gewand,  über  das  ein  bis  zu  den  Knieen  gehendes  weitärmeliges  rotes  und 
mit  braunen  Säumen  geziertes  Obergewand  geworfen  ist,  bildet  ihre  Kleidung. 
Der  linke  Unterarm  ist  vorgestreckt;  die  Hand,  die  hochgestellt  auf  dem 
linken  Oberschenkel  ruht,  ist  etwas  gekrümmt.  Der  rechte  Unterarm  ist  eben- 
falls vorwärtsgestreckt,  die  Innenfläche  der  Hand  ist  nach  oben  gewandt. 
Unter  den  Füßen  befindet  sich  eine  Trittplatte,  in  deren  senkrechte  Vorder- 
fläche ein  weiß  bemaltes  Zickzackmuster  eingeschnitzt  ist.  Der  Thron  ist 
rot  und  weiß  bemalt.  Die  ganze  Bemalung  liegt  auf  Kreidegrund,  der  stellen- 
weise durch  Leinen,  Leder  und  Pergament  verstärkt  ist.  Es  fehlen  an  der 
Figur  der  linke  Zeigefinger,  ferner  der  Daumen  und  sämtliche  Endglieder 
der  Finger  der  rechten  Hand,  außerdem  die  Attribute,  von  denen  im  linken 
Oberschenkel  und  in  beiden  Händen  die  Dübellöcher  zu  sehen  sind.  Damit 
ist  die  Bestimmung  der  Figur  erschwert,  doch  läßt  das  matronenhafte  Aus- 
sehen der  Gestalt  im  Verein  mit  der  Tatsache ,  daß  augenscheinlich  zwei 
Attribute  vorhanden  waren ,  die  Annahme ,  es  sei  eine  heilige  Anna  darge- 
stellt, als  wahrscheinlich  erscheinen.  Daß  die  Otte'sche  Ansicht,  der  Kult  der 
Anna  sei  erst  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  in  Deutschland  eingeführt,  irrig 
ist,  beweisen  außer  den  im  14.  Jahrhundert  so  häufigen  Cyklen  der  Vor- 
geschichte Maria  vor  allem  die  vereinzelten  Kultstatuen  der  Selbdritt  aus  dem 
13.  und  dem  14.  Jahrhundert. 

Während  Stegmann  in  seiner  vorgenannten  Abhandlung  aus  stilistischen 
Gründen  die  Figur  in  das  13.  Jahrhundert  setzte,  neigte  Essen  wein  mehr  für 
das  12.,  ließ  dabei  allerdings  die  Möglichkeit  oft'en,  daß  sie  noch  am  Anfange 
des  13.  Jahrhunderts  gefertigt  sein  könne.  Die  Differenz  beider  Ansichten 
ist  gering  und  wird  schwerlich  authentisch  zu  lösen  sein.  Wenn  die  Herkunft 
des  Stückes  näher  bekannt  wäre  —  die  Angabe  des  Vorbesitzers,  es  stamme 
aus  Tirol,  ist  zu  unbestimmt,  um  maßgebend  für  die  Datierung  verwandt 
werden  zu  können  —  -  würde  man  vielleicht  dieser  Frage  näher  treten  können; 
unter  den  gegebenen  Verhältnissen  halte  ich  eine  genauere  Datierung  als  »um 
1200«  für  willkürlich,  denn  leider  kommt  die  Tracht  der  Datierung  nicht  zu 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


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Hülfe,  da  die  Gewandung  keine  zeitbestimmenden  Merkmale  aufweist  —  nur 
die  weiten  Hängeärmel  weisen  auf  die  Zeit  um  die  Wende  des  12.  zum  13. 
Jahrhundert  (Weiß,  Kostümkunde  1883.  S.  362)  —  und  das  Kopftuch  im  12. 
Jahrhundert  genau  so  gebräuchlich  ist  wie  im  13.,  ja  sich  sogar  im  14.  Jahr- 
hundert einer  besonderen  Beliebtheit  zu  erfreuen  begann.  Der  Thron  weist 
nur  in  die  entwickelte  romanische  Epoche,  er  ähnelt  sogar  auffällig  dem  auf 
dem  Relief  der  Huldigung  vor  Kaiser  Friedrich  II.  an  der  Kanzel  zu  Bitonto, 
ein  Werk  des  Meister  Nikolaus  vom  Jahre  1229.  (Formenschatz  1901. 
Nr.  16.  Schubring,  Schloß-  und  Burgenbauten  der  Hohenstaufen  in  Apulien. 
Taf.  VI.) 

Einen  leisen  Anhalt  gewährt  der  eigenartige  Faltenstil,  der  weit  entfernt 
ist  von  jener  künstlerischen  Rohheit  des  zuvor  betrachteten  Stückes.  Aller- 
dings kommen  hierfür  nur  das  Untergewand  und  die  Säume  des  Kopftuchs 
in  Frage ,  da  das  Obergewand ,  das  zum  größten  Teil  durch  die  auf  dem 
Schöße  sitzenden  attributiven  Gestalten  verdeckt  war,  wenig  durchgebildet 
ist.  Der  Faltenstil  basiert  ausschließlich  auf  dem  Prinzip  der  Symmetrie; 
besonders  deutlich  tritt  dies  am  Saume  des  Untergewandes  in  Erscheinung, 
indem  hier  an  eine  breite  Mittelfalte  mit  umgeschlagenen  Seiten  sich  beider- 
seits genau  symmetrische  Faltengruppen  anschließen,  die  wie  fest  geplättet 
erscheinen  und  deren  Säume  in  zackigen  Linien  über  einander  gelegt  sind. 
Wenn  sich  nun  genau  das  gleiche  Stilprinzip  auch  an  den  Säumen  des  Kopf- 
tuches zeigt,  so  beweist  dies  ein  vielleicht  unbewußtes,  doch  fest  begründetes 
stilistisches  Gefühl  und  ein  in  ganz  bestimmter  Richtung  erfolgendes  Um- 
bilden des  in  der  Natur  Gesehenen.  Beispiele  dieses  Stils  kommen  vornehm- 
lich in  Frankreich  vor,  hier  allerdings  meist  in  noch  ausgesprochenerer  und 
entwickelterer  Form.  Es  sei  nur  hingewiesen  auf  die  bekannten  Beispiele  in 
Vezelay,  Autun,  Moissac,  Cahors,  Poitiers  und  Donzy  aus  dem  12.  Jahr- 
hundert, dann  auf  die  sehr  ähnlich  aufgefaßten  sitzenden  Madonnen  im  Süd- 
portaltympanon  der  Westfassade  von  Notre-Dame  zu  Paris  und  in  der  Abtei 
zu  Saint-Denis,  beide  ebenfalls  aus  dem  12.  Jahrhundert.  Von  italienischen 
Arbeiten  dieses  Stils  mag  die  Madonna  des  Presbyter  Martin  im  K.  Museum 
zu  Berlin  (1199)  genannt  sein.  Von  deutschen  Arbeiten  steht  unserem  Stück 
vor  allem  die  thronende  Stuckmadonna  aus  dem  Dom  zu  Erfurt,  (nach  Haseloff 
in  »Meisterwerke  der  Kunst  aus  Sachsen  und  Thüringen.«  S.  91  und  Tafel  106: 
12.  Jahrhundert),  die  sehr  charakteristische  Holzmadonna  zu  Buschhoven  (Kunst- 
denkmale der  Rheinprovinz  IV.  2.  S.  20:  um  1190)  und  die  Holzmadonna  im 
Niedermünster  zu  Regensburg  (von  Seyler,  die  mittelalterliche  Plastik  Regens- 
burgs.  1905  S.  22  an  den  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  gesetzt),  in  weiterem 
Grade  auch  der  sitzende  Christus  im  Tympanon  des  Nordportals  am  Wormser 
Dom  (12.  Jahrhundert)  nahe.  Dazu  kommen  dann  noch  eine  große  Anzahl 
von  Grabsteinen,  unter  denen  ich  etwa  die  des  Wittekind  zu  Engern  in  West- 
falen (12.  Jahrhundert),  des  Bischofs  Friedrich  von  Magdeburg  (f  1152)  und 
des  Bischofs  Adelog  in  Hildesheim  (f  1190)  nennen  möchte.  Fast  alle  zeigen 
dieselbe  Faltenstilisierung,  stehen  allerdings  dabei  meist  künstlerisch  weit 
höher.    Alle   deutschen  Vergleiche   führen   an   das  Ende   des    12.  und   an    den 

iMitteilungen  aut  dem  f^ermaD.  Nationalmuseum.    1905.  13 


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98  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMÜSEUM. 

Anfang  des  13.  Jahrhunderts,  so  daß,  da  auf  eine  lokale  Entwicklung  keine 
Rücksicht  genommen  werden  kann,  die  Datierung  »um  1200«   genügen  muß. 
Stilistische  Gründe,  sowie  Eigentümlichkeiten  der  Tracht  geben  bei  einer 
stehenden  weiblichen  Figur  (PI.  O.  2  Abb.  3)  für  die  Datierung  einen  allgemeinen 
Anhalt.     Die  Heilige  ist  in  ein  langes,    oben  faltenloses   und  um   die  Hüften 
gegürtetes  Gewand  gekleidet,  über  den  Schultern  trägt  sie  den  vorne  offenen 
langen  Mantel.     Das  Haupt  ist  von  den  Schläfen  zum  Kinn  herab    mit  einer 
Binde  umwunden,  dem  »Gebende«,    wie   es   die  mittelhochdeutschen  Dichter 
nennen  (Moriz  Heyne,  Körperpflege  und  Kleidung  bei  den 
Deutschen.  1903.  S.  319  und  324);  eine  horizontale  um  den 
Oberkopf  sich  hinziehende  Einkerbung  deutet  an,  daß  hier 
ehemals  ein  Schapel  oder  Kronreif  angesetzt  war.    Vom 
Hinterkopf  ziehen  sich  seitlich  vor  dem  Gebende  hinweg 
zwei  dicke  geflochtene  Zöpfe  und  fallen  über  die  Schul- 
tern in  fast  senkrechten  Linien  bis  zu  den  Knieen  herab. 
Die  Unterarme  sind  vor  den  Leib  gelegt. 

Die  Figur,  die  aus  Lindenholz  besteht  und  deren 
Höhe  78  cm  beträgt,  ist  stark  beschädigt :  durch  Wurm- 
fraß ist  die  ganze  Stirnpartie  zerstört,  die  Nase  ist  abge- 
stoßen und  beide  Hände  fehlen.  Unter  einer  zwar  noch 
mittelalterlichen  Bemalung  finden  sich  auf  dem  Kreide- 
grund so  viele  Reste  der  ältesten  Färbung,  daß  die  ur- 
sprüngliche Farbengebung  deutlich  erkannt  werden  kann. 
Das  Gewand  war  vergoldet,  der  Mantel  war  rot  und  mit 
Goldblumen  gemustert,  sein  Futter  weiß,  oder,  was  wahr- 
scheinlicher sein  dürfte,  hellblau.  Das  Gebende  war  gol- 
den und  mit  roten  Streifen  verziert,  das  Gesicht  war 
naturfarben  bemalt,  die  Zöpfe  waren  golden  und  mit 
dünnen  roten,  den  Windungen  des  Flechtwerks  folgen- 
den Strichen  versehen. 

Da  die  Hände  und  somit  das  Attribut,  welches  die- 
Abb.  3.  Maria  (?).  Um  1200.  selben  gehalten  haben  könnten,  fehlen,  so  kann  nicht  mit 
'^'  '  *  ^™*  Sicherheit  nachgewiesen  werden,  welche  Heilige  hier  dar- 
gestellt werden  soll.  Es  ist  aber  sehr  wahrscheinlich  ,  daß  überhaupt  kein 
Attribut  vorhanden  war.  5  Bohrlöcher  in  der  Fußplatte,  von  denen  3  noch 
mit  starken  Eisennieten  versehen  sind,  deuten  auf  eine  besonders  feste  Auf- 
stellung der  Figur.  Es  ist  demnach  wahrscheinlich,  daß  die  Gestalt  eine 
Maria  ist  und  hoch  oben  auf  dem  Querbalken  unter  dem  Triumphkreuz  auf- 
gestellt war.  Für  eine  solche  freie  Aufstellung  spricht  der  Umstand,  daß  auch 
die  Rückseite  der  Figur  völlig  bearbeitet  und  in  ursprünglicher  Weise  bemalt 
ist,  andererseits  lassen  sich  die  Armstümpfe  leicht  zu  dem  Schmerzensgestus 
der  Maria  —  vergl.  etwa  die  Wechselburger  und  die  Freiberger  Gruppe  — 
ergänzen. 

Der  für  die  höfischen  Kreise   charakteristische  Kopfputz,    das  Gebende 
mit  dem  schapelartigen  Reif  um  das  Haupt,  kam    etwa    gegen  Mitte  des  12. 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI.  99 


Jahrhunderts  auf  und  erhielt  sich  das  ganze  13.  Jahrhundert  hindurch,  wie 
überaus  häufig  in  der  zeitgenössischen  Buchillustration,  in  der  Skulptur  und 
an  Glasgemälden  nachzuweisen  ist.  Ich  erinnere  etwa  an  die  Darstellung  des 
Tanzes  der  Salome  in  einem  Aschaffenburger  Evangelienbuch  (bei  Hefner- 
Alteneck,  Trachten,  Kunstwerke  u.  s.  w.  I  1879,  Tafel  69  in  die  Zeit  von 
1100 — 1160  gesetzt),  sowie  an  ein  Glasgemälde  mit  der  Kreuzprobe  der  hl. 
Helena  im  Germanischen  Nationalmuseum  aus  der  Zeit  von  etwa  1180 — 1220 
(Katalog  der  Glasgemälde  1898.  N.  1  u.  Tafel  I).  Vergl.  ferner  Bredt,  Kata- 
log der  mittelalterlichen  Miniaturen  des  Germanischen  Nationalmuseum  1903. 
Nr.  18  mit  Abb.  (13.  Jahrh.)  Ebenso  zeigen  diese  Tracht  die  bekannten 
plastischen  Werke  des  13.  Jahrhunderts,  wie  etwa  der  Grabstein  der  Gattin 
des  Markgrafen  Dedo  in  der  Schloßkirche  zu  Wechselburg  (um  1230),  der 
Gleichen-Grabstein  im  Dom  zu  Erfurt  (von  Buchner,  die  mittelalterliche  Grab- 
plastik in  Nord-Thüringen.  1902  Tafel  I  und  S.  1  f.  um  das  Jahr  1264  gesetzt) 
und  die  Naumburger  Stifterfiguren  (bald  nach  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts.) 

Dieser  weite  Zeitraum  läßt  sich  durch  die  Haartracht  etwas  verengen. 
Die  Mode  der  lang  über  die  Schultern  herabhängenden  Zöpfe,  die  oft  sogar 
mit  Bändern  reich  durchwunden  waren,  war  vornehmlich  im  12.  Jahrhundert 
beliebt,  wie  die  Königinnenstatuen  von  der  Kathedrale  zu  Corbeil,  die  Stuck- 
figur einer  thronenden  Madonna  im  Dom  zu  Erfurt,  die  Madonna  der  Chor- 
schranken von  St.  Michael  in  Hildesheim,  die  oben  erwähnte  Madonna  von 
Buschhoven,  die  Madonna  aus  St.  Gangolf  in  Metz  (Leitschuh,  elsäss.  und  lothr. 
Kunstdenkmäler,  Nr.  6),  sowie  vereinzelte  Madonnenstatuen  in  Trient,  Regens- 
burg, München  u.  s.  w.,  letztere  teilweise  schon  aus  dem  Anfange  des  13.  Jahr- 
hunderts, beweisen.  Im  Verlaufe  des  13.  Jahrhunderts  ging  diese  Sitte  in  die 
Bürgerkreise  über,  während  der  Adel  nunmehr  das  Haar  frei  herabwallen  ließ. 

So  führen  äußere  Gründe  dazu,  als  Entstehungszeit  dieses  Stückes  mit 
ziemlicher  Sicherheit  den  Schluß  des  12.  oder  den  Beginn  des  13.  Jahrhun- 
derts anzunehmen.  Eine  Bestätigung  findet  diese  Datierung  insofern,  als  unser 
Stück,  wenn  man  überhaupt  einfache  Holzschnitzwerke  mit  Kunstwerken,  die 
auf  der  Höhe  der  Zeit  stehen,  vergleichen  darf,  in  Anordnung,  Tracht,  vor 
allem  aber  auch  in  stilistischer  Beziehung  mit  den  Königinnenstatuen  von 
Corbeil  große  Ähnlichkeit  aufweist.  Diese  Statuen  entstammen  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts;  allerdings  sind  sie  in  Frankreich  gefertigt,  dem 
damals  künstlerisch  am  weitesten  vorgeschrittenen  Lande.  Den  französischen 
Arbeiten  ist  in  gleicher  Weise  wie  unserem  Stücke  die  steife  Frontalität,  der 
für  die  Umrißgestaltung  ausschließlich  maßgebende  Zwang  der  Werkform, 
sowie  die  rein  schematische  Wiedergabe  der  Faltenzüge  eigen. 

Das  Können,  mit  dem  unser  Bildschnitzer  an  sein  Werk  herantrat,  ist 
ein  durchaus  unentwickeltes,  wenn  es  auch  schon  an  Reife  gegenüber  dem  des 
Verfertigers  der  an  erster  Stelle  betrachteten  Bischofsstatue  zugenommen  hat. 
Daß  die  Proportionen  so  unnatürliche  sind,  wird  hauptsächlich  seinen  Grund 
in  dem  unentwickelten  Anschauungsvermögen  der  Zeit  haben,  ma^  aber  auch 
auf  die  Rechnung  der  die  Plastik  völlig  im  Banne  haltenden  Architektur  zu 
schreiben  sein.    In  der  Durchführung  zeigt  sich  deutlich,  wie  wenig  das  Auge 


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^00  DIB  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  ÜERMANISCHKN  NATI0NALMU8EUM. 


jener  Zeit  für  das  Charakteristische  geschärft  war.  Leider  ist  das  Gesicht 
zu  sehr  zerstört,  um  ein  Urteil  zuzulassen;  allein  in  der  Durchführung  der 
ganzen  Körperform,  in  der  die  Grundform  des  abgedrehten  Holzklotzes  deut- 
lich wiederklingt,  in  der  Vermeidung  jeder  größeren  Ausladung  oder  Über- 
schneidung, sowie  in  der  willkürlich  rohen  Faltengebung  des  Untergewandes 
zeigt  sich  doch  ein  nur  sehr  geringes  Maß  von  Können  und  Verstehen.  Das 
Stück  wurde  im  Jahre  1884  in  Köln  a.  Rh.  erworben  und  soll  rheinischer 
Herkunft  sein. 


Das  Germanische  Nationalmuseum  besitzt  unter  seinen  Frühwerken  eine 
größere  Anzahl  von  Madonnen,  die  im  Folgenden  zusammenfassend  behandelt 
werden  sollen;  lehrt  doch  eine  Vergleichung  von  Bildwerken  desselben  Vor- 
wurfs aus  verschiedenen  Zeiten  und  von  verschiedenen  Stufen  künstlerischer 
Entwicklung  am  besten  die  Fortschritte  in  der  Einzeldurchbildung  sowie  den 
Wandel  in  der  inneren  und  äußeren  Auffassung. 

Das  eigentliche  Andachtsbild  des  mittelalterlich-christlichen  Kultus  ist 
die  Darstellung  der  Madonna  mit  dem  Kinde;  durch  alle  Zeiten  vom  Früh- 
christentum bis  zum  Schlüsse  des  Mittelalters,  und  in  der  römischen  und 
griechischen  Kirche  bis  auf  den  heutigen  Tag,  hat  dies  Motiv  seine  Geltung 
als  vornehmstes  Kultbild  bewahrt.  Nur  leise  pflegt  das  Grundthema  variiert 
zu  werden;  bald  sehen  wir  die  Gottesmutter  als  thronende  Königin,  bald  als 
liebende  Mutter,  an  die  sich  das  Kind  zärtlich  schmiegt.  Je  nach  den  Zeiten 
und  der  Stellung,  die  das  allgemeine  Empfinden  dem  Individuum  den  Himm- 
lischen gegenüber  zuwies,  erfährt  das  Grundmotiv  Wandlungen.  In  den  ältesten 
Zeiten  christlicher  Lehre  scheint  in  der  Madonna  das  rein  mütterliche  Moment 
überwogen  zu  haben.  Eine  Darstellung  in  den  Katakomben  der  Priscilla  zu 
Rom  aus  dem  3.  Jahrhundert  (abgebildet  bei  Venturi-Schreiber,  die  Madonna 
S.  8)  atmet  heiterste  Lebenslust  und  unterscheidet  sich  rein  innerlich  durch- 
aus nicht  von  den  Schöpfungen  Rafiaels  und  seiner  großen  Zeitgenossen  dies- 
seits und  jenseits  der  Alpen.  Dann  versteinerte  diese  Darstellung  unter  dem 
Wandel  des  religiösen  Denkens,  vor  allem  aber  infolge  des  Nachlassens  der 
künstlerischen  Fähigkeiten  und  des  Eindringens  orientalischer  Anschauungen 
zu  einem  reinen  Repräsentationsbilde,  in  dem  sich  allerdings  fast  immer  noch 
kleine,  versteckte  genrehafte  Züge  geltend  machen.  Das  rein  Menschliche  in 
der  Darstellung  kommt  erst  wieder  mit  Cimabue,  vor  allem  mit  Giotto  und 
Giovanni  Pisano,  im  Norden  bei  den  Meistern  des  14.  Jahrhunderts  zum  vollen 
Durchbruch,  um  von  da  an  bis  auf  den  heutigen  Tag  die  Darstellung  zu  be- 
herrschen. 

Stilistisch,  doch  schwerlich  zeitlich,  dürfte  das  altertümlichste  Stück  dieser 
Gruppe  eine  Madonnenfigur  (Fl.  O.  313;  Abb.  4)  sein,  die  1887  in  München 
erworben  wurde  und  angeblich  oberbayerischer  Herkunft  ist.  Die  Figur  ist 
sehr  beschädigt,  der  Torso  ist  56  cm  hoch  und  von  Lindenholz.  Die  Farbe, 
die  sich,  wie  Reste  beweisen,  ehemals  auf  Kreidegrund  befand,  ist  völlig  ent- 
fernt.    Die  Zeit    hat    dem  Stücke    aufs    übelste    mitgespielt ,    Winiiifraß    und 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI.  1^^^ 


Brand  haben  es  stark  beschädigt.  Das  Grundmotiv  ist  dennoch  deutlich  zu 
erkennen:  die  thronende  Maria  hält  vor  sich  das  Kind,  welches  in  seiner 
Linken  ein  Buch  faßt,  während  es  die  Rechte  ehemals  wohl  segnend  erhob. 
Es  fehlen  das  Fußende  der  Bank,  der  obere  Teil  des  Kopfes  der  Maria,  ihre 
äußerste  rechte  und  ein  größeres  Stück  ihrer  linken  Seite,  sowie  die  unteren 
Körperpartieen,  ferner  beide  Füße  Christi  und  seine  rechte  Hand. 

Da  diese  Darstellung  der  Gottesmutter  zweifellos  den  primitivsten  Typus 
in  unserer  Sammlung  bedeutet,  so  stellen  wir  dies  Stück  an  die  Spitze;  doch 


Abb.  4.    Madonna.    13.  Jahrb.  Abb.  5.    Madonna.    Aus  Tirol. 

PI.  0.  813.    H.  56  cm.  PI.  0.  26.    H.  7ft  cm. 

bestehen  erhebliche  Zweifel,  ob  ihm  auch  ein  entsprechendes  Alter  zuerkannt 
werden  darf.  Die  Arbeit  scheint  nämlich ,  soweit  die  schlechte  Erhaltung 
überhaupt  ein  Urteil  zuläßt,  weit  hinter  der  allgemeinen  Entwicklung  der 
Kunst  zurückgeblieben  zu  sein  und  nur  eine  veraltete  Phase  zum  Ausdruck 
zu  bringen. 

Das  Prinzip  der  Frontalität  kommt  hier  selbst  noch  in  der  Haltung  des 
zwischen  den  Knieen  der  Mutter  sitzenden  Kindes  zum  Ausdruck,  ein  Motiv, 
das  mit  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  zu  Gunsten  einer  freieren 
Auffassung  abgestoßen  wurde.  Die  gleiche  Altertümlichkeit  zeigt  auch  die 
rohe  Technik  in  der  Wiedergabe  von  Gewandfalten ,  welche  nur  mit  derb 
angegebenen  Kerben  und  Ritzen  arbeitet.     Diese  Anordnung  derselben,    vor- 


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102  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM. 


nehmlich  an  den  Knieen,  findet  sich  vereinzelt  bei  Werken  des  späten  12.  Jahr- 
hunderts ähnlich  wieder.  Allein  diese  Zeit  für  die  Entstehung  des  Stückes 
in  Anspruch  zu  nehmen,  ist  unmöglich,  weil  die  tiefe  Stufe  der  Entwicklung, 
die  sich  in  den  bisher  betrachteten  Momenten  ausprägt,  in  scharfem  Wider- 
spruch steht  mit  der  fortgeschritteneren  Durchbildung  der  Köpfe.  Die  ganze 
Durchführung  des  Gesichts,  die  gut  beobachteten,  allerdings  äußerst  roh 
wiedergegebenen  Züge,  vor  allem  die  detaillierte  Kenntnis  der  schwierigen 
Flächen  unter  den  Augen  beweisen,  daß  der  Schnitzer  schon  mehr  zu  be- 
obachten gelernt  hatte,  als  es  nach  der  äußeren  Anlage  der  Figur  den  An- 
schein hat,  daß  er  in  einer  Zeit  lebte,  wo  es  bereits  eine  entwickeltere 
Plastik  gab,  ohne  daß  es  ihm  allerdings  möglich  war,  mit  jener  Entwicklung 
Schritt  zu  halten.  Auch  wäre  der  Fall  denkbar,  daß  es  sich  hier  um  die 
Nachahmung  eines  älteren  Kultbildes  handelt,  bei  welcher  sich  stets  —  auch 
aus  unserer  Sammlung  werden  wir  prägnante  Beispiele  bringen  —  eine  selt- 
same Mischung  von  Altem  und  Neuem  geltend  zu  machen  pflegt.  Vor  dem 
13.  Jahrhundert  dürfte 'das  Stück  schwerlich  entstanden  sein. 

Nicht  weniger  roh  ist  die  Madonna  (PI.  O.  26;  Abb.  5).  Sie  ist  75  cm 
hoch  und  aus  Lindenholz.  Die  thronende  und  gekrönte  Madonna  hält  auf  ihrem 
linken  Knie  —  also  das  Prinzip  extremster  Frontalität  ist  bereits  verlassen  — 
das  ebenfalls  mit  einem  Kronreif  geschmückte  Kind,  das  die  Rechte  segnend 
erhoben  hält  und  mit  seiner  Linken  ein  Buch  gegen  die  Brust  preßt.  Die 
Statue  ist  hinten  gehöhlt,  es  fehlen  der  rechte  Arm  der  Maria  und  die  rechte 
(später  ergänzte)  Hand  Christi,  ferner  die  Spitzen  der  Kronen.  Bemalt  ist 
die  Figur  mit  einem  abscheulichen  Blumenmuster  des  17.  oder  18.  Jahrhun- 
derts, doch  befindet  sich  darunter  der  alte  Kreidegrund  mit  einigen  originalen 
Farbenspuren,  aus  denen  aber  nur  zu  ersehen  ist,  daß  das  Gewand  der  Maria 
ehemals  blau  war. 

Das  Stück  ist  jeder  künstlerischen  Bedeutung  bar,  es  ist  ein  roher  Holz- 
klotz, aus  dem  mühsam  und  nur  andeutend  die  Grundlinien  der  beiden  Körper 
modelliert  sind,  und  dürfte  die  tiefste  Stufe  einer  Bildhauerkunst  überhaupt 
verkörpern.  Ich  halte  das  Stück  für  eine  primitive  bäuerliche  Arbeit  des 
früheren  Mittelalters.  Für  die  bäuerliche  Herkunft,  und  zwar  aus  einem  welt- 
abgeschiedenen Orte,  spricht  auch  die  selbst  für  ländliche  Kultur  erschreckend 
rohe  Bemalung,  mit  der  das  Stück  in  der  Spätzeit  verschönert  wurde.  Nach 
Angabe  des  Verkäufers  stammt  es  aus  Tirol. 

Im  Jahre  1904  erwarb  das  Museum  in  den  Bodenseegegenden  die  Holz- 
figur einer  thronenden  Gottesmutter  (PI.  O.  299;  Abb.  6),  die  die  steife  und, 
wie  man  glaubte,  byzantinische  Auffassung  des  frühen  Mittelalters  gut  veran- 
schaulicht. Das  Stück,  das  94  cm  hoch  ist  und  dessen  Material  Lindenholz  ist, 
ist  rundplastisch  angelegt,  doch  an  der  Rückseite  gehöhlt.  Maria,  mit  einem 
Diadem  gekrönt  und  in  ein  langes  Gewand  mit  einem  kürzeren  Überwurf 
gekleidet,  sitzt  frontal  auf  einem  einfachen  Throne,  ihre  Füße  stehen  parallel 
auf  hoher  Trittplatte.  Auf  ihrem  linken  Knie  sitzt  mit  gekreuzten  Unter- 
schenkeln das  Kind,  das  mit  der  Linken  ein  Buch  gegen  den  Körper  hält 
und  seine  Rechte    segnend    erhebt.     Die  Farben    sind    zum  Teil    in    späterer 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


103 


Zeit  erneuert,  vielleicht  auch  verändert:  das  Untergewand  der  Maria  ist  oliv, 
der  Überwurf  rot,  das  Christkind  ist  in  ein  blaues  Gewand  gekleidet.  Der 
Stuhl  ist  weiß.  Alle  Farben  liegen  auf  Kreidegrund  mit  stellenweiser  Leinen- 
verstärkung. An  den  Kanten  und  Säumen,  sowie  auf  den  Wänden  des  Throns 
befinden    sich    in   die  Kreide    gepreßte   geometrische  Ornamente.     Es    fehlen 


Abb.  G.    Madonna.    Ende  deu  12.  Jahrli. 
PI.  0  299.    H.  94  cm. 

an  der  Figur  der  Maria  der  rechte  Arm  und  die  Spitzen  des  Diadems,  beim 
Kinde  drei  Finger  der  rechten  Hand  und  ein  Stück  vom  linken  Fuß. 

Der  Stil  dieser  Figur  unterscheidet  sich  scharf  von  dem  der  vorher 
beschriebenen  Sitzfigur  der  heiligen  Anna,  und  das  ist  um  so  bemerkenswerter, 
als,  wie  später  nachzuweisen  sein  wird ,  der  zeitliche  Abstand  beider  Stücke 
von  einander  schwerlich  ein  großer  ist.  Während  sich  bei  jenem  Werke  in  der 
dekorativ-regelmäßigen  Anordnung  der  scharf  gepreßten  Falten  höchste  Unnatur 
und  Künstelei  geltend  macht,  ist  hier  die  Auffassung  zwar  eine  viel  rohere, 
aber  doch  natürlichere.     Der  Schnitzer   will   schon    sanft    verlaufende  Wellen 


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104  £)iB  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMÜSKÜM. 

zur  Belebung  der  Stofifmassen  verwenden,  allein  er  geht  zu  gewaltsam  vor, 
indem  er  durch  allzu  große  Häufung  paralleler,  spitzwinklig  zu  einander  ge- 
ordneter Linien  doch  wieder  zu  einem  leeren  Schema  kommt.  Dies  Fisch- 
grätenmotiv kehrt  dreimal  wieder,  ganz  ausgesprochen  am  unten  spitzwinklig 
verlaufenden  Obergewandsüberschlag,  weniger  deutlich  am  rechten  Unter- 
schenkel und  an  der  recht  stiefmütterlich  behandelten  Brustpartie.  Die  An- 
ordnung des  Gewandes  ist  genau  die  gleiche  wie  bei  der  an  erster  Stelle 
betrachteten  Statue  des  thronenden  Bischofs  aus  dem  12.  Jahrhundert,  und 
darum  ist  hier  der  stilistische  Fortschritt  gegenüber  jener  Frühzeit  um  so  klarer 
ersichtlich;  denn  während  dort  der  Versuch  einer  Motivierung  des  dreieckigen 
Gewandumrisses  kaum  gemacht  wurde,  ist  hier  das  System  der  von  den  Armen 
bis  in  den  untersten  Zipfel  des  Gewandes  laufenden  Falten  deutlich,  wenn 
auch  nicht  gerade  in  überzeugender  Weise  zum  Ausdruck  gekommen.  An 
beiden  Ellenbogen,  dort  wo  sich  die  Hauptmasse  des  Stoffes  zusammenschiebt, 
findet  sich  sogar  ein  scharf  zusammenlaufender  Knäuel  von  Falten  und  Brüchen. 
Verhältnismäßig  klar  tritt  der  Gegensatz  des  freien  Flusses  der  seitlichen 
Falten  des  Untergewandes  zu  dem  gehinderten  des  von  beiden  Armen  auf- 
gehobenen Obergewandes  in  die  Erscheinung,  ebenso  ist  die  Einwirkung 
des  vortretenden  Kniees  auf  die  Fältelung  gut  beobachtet,  wie  auch  das 
schwierigere  Motiv  der  lang  herabhängenden  und  über  die  Thronseiten  ge- 
legten Ärmel  erkennbar  wiedergegeben  ist.  Dagegen  ist  die  Faltengebung  im 
Gewände  des  Kindes  recht  oberflächlich,  wenngleich  auch  hier  ein  miß- 
lungener Versuch  gemacht  ist,  die  Kniee  durch  die  Gewandung  hindurch- 
scheinen zu  lassen. 

Die  Gesamtanlage  der  Gruppe  ist  plump  und  läßt  nur  ein  sehr  geringes 
Verständnis  des  menschlichen  Körpers  erkennen.  Wie  bei  fast  allen  diesen 
Frühwerken  sind  die  Köpfe  abnorm  nach  vorne  geschoben,  und  dadurch  wird 
der  ganze  Ausdruck  ein  fast  stupider.  In  den  Gesichtszügen  gibt  der  Schnitzer 
nur  das  allgemeinste,  ein  Innenleben  spiegelt  sich  in  ihnen  noch  nicht  wieder, 
wie  überhaupt  der  Kopf  als  Mittel  des  Ausdrucks  noch  nicht  erkannt  ist. 
Die  Nasen  sind  glatt  und  sehr  wenig  modelliert,  die  Augen  halbkugelig  und 
glotzend  und  erhalten  allein  durch  die  Bemaluhg  einen  Anflug  von  Leben. 
Einzig  in  der  Mundpartie  des  Kindes  zeigt  sich  ein  feineres  Durcharbeiten. 
Die  Durchbildung  des  Körpers  ist  sehr  roh ,  überall  zeigen  sich  anatomische 
Unmöglichkeiten,  wenn  auch  nicht  stets  so  deutlich  wie  etwa  an  den  unteren 
Extremitäten  des  Kindes.  Die  weibliche  Brust  ist  fast  negiert,  wie  ja  über- 
haupt die  Frühzeit  deutscher  Kunst  bis  weit  in  das  14.  Jahrhundert  hinein 
einen  anatomischen  Unterschied  zwischen  männlichem  und  weiblichem  Körper 
häufig  zu  übersehen  pflegt. 

Auch  noch  bei  dieser  Figur  übt  die  Werkform  des  Holzes  einen  be- 
stimmenden Einfluß  auf  die  Gesamtgestaltung  aus,  indem  der  Schnitzer  jedes 
freiere  Heraustreten  einzelner  Körperformen  vermeidet.  Noch  ist  ihm  die 
eigentlich  plastische  Gestaltung  fremd,  der  ganze  Unterkörper  ist  in  die  Fläche 
projiziert  und  der  Faltengebung  liegt  ein  zeichnerisches  Prinzip  zu  Grunde, 
wie  auch  insbesondere  die  Hand  der  Madonna  plastischer  Durchbildung  ent- 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


105 


behrt.     Nur  der  rechte  Unterarm,   der   selbständig   gearbeitet   und   angesetzt 
war,  scheint  sich  aus  der  Fläche  erhoben  zu  haben. 

Zeitlich  wird  die  Statue  an  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts  zu  setzen 
sein.  Sie  stimmt  stilistisch  ziemlich  überein  mit  einer  stehenden  Maria  im 
städtischen  Museum  Wallraf-Richartz  zu  Köln,  einer  tiroler  Arbeit,  die  dort 
für  das  »12.  Jahrhundert«  in  Anspruch  genommen  wird.  Gewisse  allgemeine 
Anklänge  weisen  auch  auf  die  schon  erwähnte  Madonnenstatue  aus  Borgo 
San  Sepolcro  im  Berliner  Museum,  die  im  Jahre  1199  von  einem  Presbyter 
Martin  gefertigt  wurde  (Abgeb.  im  Jahrbuch  der  Preuß.  Kunstsammlung  1888). 
Am    deutlichsten,    weil  in   viel   gröberer   Auffassung,   kehrt  das  Faltenprinzip 


Abb.  7.    Madonna.    Erste  H&lfte  des  18.  Jahrh. 
PI.  0.  2X&.    H.  48  cm. 

am  Grabstein  des  Bischofs  Gottfried  I.  von  Pisenburg  im  Würzburger  Dom 
wieder,  der  1190  starb.  Nicht  ganz  so  klar,  doch  ähnlich  zeigt  sich  dies 
Motiv  auf  dem  Grabstein  des  Plectrudis  in  St.  Maria  auf  dem  Kapitol  in  Köln 
(12.  Jahrhundert)  und  dem  des  Bischofs  Adelog  von  Hildesheim  (f  1190). 
Durch  diese  Analogien  dürfte  die  zeitliche  Fixierung  unseres  Stückes  an  das 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  gegeben  sein. 

Eine  sehr  feine  Arbeit  ist  eine  sitzende  weibliche  Gestalt  (PI.  O.  305; 
Abb.  7),  der  zwar  beide  Arme  und  damit  die  Attribute  fehlen,  die  aber, 
worauf  auch  der  Holzdübel  auf  dem  linken  Knie  hindeutet,  wohl  als  Madonna 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1905.  14 


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106  DIE  FRÜHWERKE  DER  flOLZPLASl'IK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM. 


anzusprechen  ist.  Die  Heilige  sitzt  auf  einer  Bank,  ihr  Haupt  ist  ein  wenig 
nach  links  gewandt  und  leicht  geneigt.  Ein  langes  Gewand,  das  vor  den 
Füßen  reiche  Falten  wirft  und  über  das  in  kühnem  Schwünge  von  rechts 
nach  links  ein  Mantel  gelegt  ist,  bildet  ihre  Kleidung.  Ihr  Haar  ist  in  der 
Mitte  gescheitelt  und  fällt  in  welligen  Flechten  auf  die  Schultern  herab.  Die 
Rückseite  der  Figur,  deren  Höhe  43  cm  beträgt  und  deren  Material  Linden- 
holz ist,  ist  auch  auf  der  Rückseite  bearbeitet,  doch  deutet  die  Höhlung  der 
gerade  abgeschnittenen  Bank,  sowie  der  rückseitige  von  Färbung  freie  Ver- 
tikalstreifen an  der  Körpermittelachse  darauf,  daß  die  Figur  vor  einem  flachen 
Hintergrunde  befestigt  war.  Eine  jüngere  Bemalung  hat  dem  Gewände  rote 
und  blaue  Färbung  gegeben,  allerdings  in  völlig  verkehrter  Weise,  indem  der 
obere  Teil  des  üntergewandes  wie  der  Mantel  rot,  der  untere  Teil  jedoch 
blau  ist.  Die  auf  dem  Kreidegrund  liegenden  alten  Spuren  beweisen  aber, 
daß  das  ganze  Gewand  ehemals  vergoldet  war.  Der  Oberkopf  war  mit  Leinen 
überzogen,  auf  welches  blaue  Farbe  aufgetragen  war;  dasselbe  Blau  kehrt 
unten  auf  den  Achseln  wieder,  und  es  scheint,  da  die  Seitenlocken  vergoldet 
waren,  als  ob  dadurch  ein  Kopftuch  dargestellt  werden  sollte.  Gesicht  und 
Hals  hatten  Fleischfarbe.  Es  fehlen  der  ganze  rechte  Arm  und  der  linke 
Unterarm,  die  beide  ehemals  angedübelt  waren. 

Charakteristisch  für  diese  Figur  und  gegensätzlich  zu  allen  vorher  be- 
trachteten ist  die  Feinheit  und  Zartheit  der  Auffassung,  sowie  die  relativ 
große  Richtigkeit  in  der  Wiedergabe  der  Körperformen.  Wenn  auch  in  den 
Details  viel  Fehlerhaftes  und  Oberflächliches  ist,  so  sind  doch  die  Grundzüge 
des  menschlichen  Organismus  richtig  aufgefaßt  und  dargestellt.  Auch  die 
Durchbildung  des  Ganzen  ist  durchaus  schon  eine  plastische.  Die  Einzel- 
heiten im  Gesicht,  das  zwar  wenig  Charakter  aufweist,  sind  gut  durchgebildet, 
Der  Faltenwurf  der  Gewandung  ist  wohl  noch  etwas  unfrei  und  unklar  durch- 
geführt, —  das  Versehen  des  späteren  Bemalers  zeigt,  daß  auch  er  ihn  nicht 
verstanden  hat  —  aber  er  zeugt  doch  im  Einzelnen,  in  den  zarten  Schwellungen 
und  Senkungen,  in  dem  Gegensatz  der  gespannten  und  der  mehr  fallenden 
Züge,  in  den  Durchkreuzungen  und  Einschneidungen  von  großer  Feinheit  und 
gutem  Verständnis. 

Der  Faltenstil  zeigt  dieselbe  Entwicklungsstufe,  wie  wir  sie  an  den  herr- 
lichen Cyklen  des  frühen  13.  Jahrhunderts  in  Frankreich,  so  an  dem  Nord- 
portal der  Kathedrale  zu  Chartres  (seit  1215),  vor  allem  aber  an  den  Pfeilern 
des  Südportals  (seit  1212),  wo  fast  identische  Motive  wiederkehren,  bewun- 
dern (Marcou,  Album  du  Mus6e  de  sculpture  compar6e  II  PI.  24).  Die  Auf- 
fassung ist  ganz  eigenartig  und  findet  sich  in  Deutschland  nicht  allzu  oft.  Am 
meisten  entsprechen  noch  die  getriebenen  Figürchen  vom  Schrein  der  hl.  drei 
Könige  im  Dom  zu  Köln  um  1200  (Münzenberger  Lief.  XVIII  6  u.  7;  Falke 
und  Frauberger  Tafel  61 — 64)  unserem  Stücke,  wenn  auch  nicht  verkannt 
werden  darf,  daß  Vergleiche  kleinpastischer  Metallarbeiten  mit  Holzschnitzereien 
nur  von  bedingter  Beweiskraft  sind.  Auch  einige  Figuren  des  1237  vollen- 
deten Marienschreins  im  Aachener  Münsterschatz  (Beissel,  Kunstschätze  des 
Aachener    Kaiserdoms.    Tafel    XiX-— XXIII)    gehen    aus    demselben  Stilgefühl 


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VON  DK.  W.  J08EPHI.  1  Ol 


hervor.  Ein  engerer  stilistischer  Zusammenhang  ist  mit  einigen  der  sitzenden 
Brüstungsfiguren  in  der  Trausnitzer  Schloßkapelle  (bei  Landshut  i.  B.)  zu 
konstatieren,  die  nach  Haack  m  die  Erbauungszeit  der  Kapelle  (1204—1231) 
zu  setzen  sind.  Wenn  unser  Stück  auch  sehr  viel  feiner  ist,  so  geht  es  doch 
in  manchen  Beziehungen  mit  einzelnen  Figuren  der  Jungfrauen  im  Magdeburger 
Dom  zusammen,  die,  wie  A.  Goldschmidt  im  Jahrbuch  der  Preußischen  Kunst- 
sammlungen XX  1899,  S.  285 ft'.  einwandsfrei  nachgewiesen  hat,  im  zweiten 
Jahrzehnt  des  13.  Jahrhunderts  und  zwar  unter  direktem  französischen  Ein- 
fluß entstanden  sind.  Wie  bei  diesen  allerdings  ins  Extrem  verzerrt,  so  ist 
auch  bei  unserem  Werk  der  auf  dem  Boden  lagernde  Teil  des  Gewandes  in 
eine  Masse  schnörkelhafter  Gebilde  aufgelöst.  Es  steht  mit  diesem  Motiv 
der  herrlichen  Holzstatue  der  thronenden  Gottesmutter  in  der  Kirche  Unserer 
Lieben  Frauen  in  Halberstadt  (nach  Haseloff  in  »Meisterwerke  der  Kunst  in 
Sachsen  und  Thüringen«  Tafel  115  und  Seite  95:  Anfang  des  13.  Jahrhunderts) 
sehr  nahe,  während  es  sich  in  der  sonstigen  Auffassung  von  diesem  Stücke 
entfernt. 

Das  Werk,  das  in  Köln  erworben  wurde  und  wahrscheinlich  aus  der 
Kölner  Gegend  stammt,  ist  demnach  wohl  in  die  erste  ^Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts zu  datieren.  Ob  man  bei  ihm  infolge  der  Ähnlichkeit  mit  fran- 
zösischen Arbeiten  von  direktem  französischen  Einfluß  sprechen  darf,  scheint 
mir  —  der  Landshuter  Vergleich  macht  skeptisch  —  fraglich.  Jedenfalls 
gehört  es  in  jene  große  Gruppe  hochbedeutsamer  Denkmale,  die  sich  ganz 
eigenartig  und  in  einer  heute  noch  nicht  völlig  aufgeklärten  Weise  aus  der 
Masse  der  rohen  Denkmale  des  13.  Jahrhunderts  erheben. 

Mit  dem  14.  Jahrhundert  trat  eine  durchgreifende  Stiländerung  ein:  erst 
jetzt  wurde  der  Stil  eigentlich  plastisch  und  ließ  in  tieferen  Aushöhlungen  und 
Überschneidungen  eine  Schattenwirkung  zur  künstlerischen  Geltung  kommen. 
Das  war  im  13.  Jahrhundert,  wenn  wir  von  den  wenigen  Meisterwerken  ab- 
sehen ,  für  die  Masse  der  Bildwerke  noch  nicht  der  Fall.  Der  Stil  des 
14.  Jahrhunderts  ist,  so  zart  und  fein  auch  die  Übergänge  aus  den  Stilphasen 
des  13.  Jahrhunderts  sind,  doch  charakteristisch  und  scheidet  sich  von  der 
Vorzeit  nicht  weniger  deutlich  als  vom  15.  Jahrhundert. 

im  Verlaufe  des  13.  Jahrhunderts  verlor  das  Bild  der  thronenden  Gottes- 
mutter von  seinen  repräsentativen  Eigenschaften;  die  genrehaften  Züge,  wie 
etwas  das  Anschmiegen  von  Mutter  und  Kind,  das  gegenseitige  Anblicken, 
das  Beigeben  von  Attributen  aus  dem  täglichen  Leben,  Züge,  die  sich  schon 
gelegentlich  ganz  versteckt  selbst  bei  den  starrsten  Bildern  geltend  gemacht 
hatten,  traten  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund  und  bewirkten  die  Um- 
bildung des  hieratisch-feierlichen  Charakters  des  Kultbildes  in  einen  heiter- 
gemütvollen. Maria  blieb  nicht  mehr  die  ernste  feierliche  Herrscherin,  vor 
deren  Throne  sich  die  Gläubigen  schaaren,  sie  wurde  liebende  Mutter  ihres 
Kindes,  dem  allein  ihr  Blick  und  ihr  Denken  galt  und  dem  sie  mit  echt 
mütterlicher  Liebe  scherzend  die  Zeit  verkürzte.  Nur  die  Krone  —  und  auch 
diese  nicht  immer  —  gemahnte  daran,  daß  nicht  eine  schlichte  und  einfache 


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lOS  DIE  FRÜH  WERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMÜSEUM. 


Frau  aus  dem  Volke,  sondern  die  Herrscherin  der  himmlischen  Schaaren  dar- 
gestellt sein  sollte. 

Aus  dem  14.  Jahrhundert  besitzt  das  Germanische  Nationalmuseum  vier 
Statuen  der  thronenden  Gottesmutter,  von  denen  wir  drei  verbunden  zu  be- 
trachten haben  (PI.  O.  21,  20  und  25).  Alle  drei  haben  das  gleiche  Motiv: 
Maria  sitzt  auf  einer  mit  einem  Kissen  belegten  Bank  und  hält  mit  der  Linken 
das  in  ein  langes  Hemd  gekleidete  barhäuptige  Kind  umfaßt.  Dieses  hat 
auf  dem  Kissen  der  Bank  neben  der  Mutter  gestanden,  sein  linker  Fuß  ruht 
noch  darauf,  während  der  rechte  in  Schrittstellung  auf  den  linken  Ober- 
schenkel der  Mutter  gesetzt  ist,  deren  Schoß  der  Kleine  zustrebt.  Maria 
ist  in  ein  langes,  in  der  Mitte  gegürtetes  Gewand  gekleidet,  den  Mantel  trägt 
sie  in  freiem  Wurfe  von  rechts  nach  links  über  den  Schoß  geschlagen.  Die 
rechte  Hand  der  Maria  ist  vorwärtsgestreckt  und  hielt,  wie  andere  Werke 
derselben  Gattung  beweisen,  ein  Szepter. 

Im  Einzelnen  ist  dies  Motiv  jedoch  vielfach  variiert,  so  daß  sich  inner- 
halb des  gleichförmigen  Schemas  eine  wenn  auch  unbedeutende  Selbstständig- 
keit geltend  macht,  die  wohl  auf  die  Verschiedenheit  der  ausführenden  Ge- 
sellen zurückzuführen  ist ;  denn  daß  diese  Figuren  einer  und  derselben  Werk- 
stätte entstammen,  dürfte  kaum  zweifelhaft  sein.  Die  gemeinsame  Abkunft 
aller  dieser  Bilder  von  einem  berühmten,  doch  heute  verlorenen  Kultbilde, 
woran  man  auch  denken  könnte,  scheint  mir  nach  Lage  der  Dinge  unwahr- 
scheinlich. 

Die  Statue  PI.  O.  21  (Abb.  9)  ist  65,5  cm  hoch  und  von  Lindenholz  mit 
einer  Fußplatte  von  Eichenholz,  sie  war  ehemals  auf  Kreidegrund  bemalt, 
doch  ist  die  Farbe  mit  dem  Grunde  jetzt  völlig  entfernt.  Christus  hat  sein 
Haupt  etwas  nach  rechts  geneigt,  seine  Linke  ist  segnend  erhoben,  während 
die  gesenkte  Rechte  —  der  ganze  Arm  ist  modern  ergänzt  —  einen  Vogel 
faßt.  Die  Gruppe  ist  gut  erhalten,  ergänzt  sind  nur  die  linke  Hand  und  der 
rechte  Arm  mit  der  rechten  Schulter  Christi.  Das  Stück  wurde  1893  von 
einem  Händler  gekauft,  der  es  in  Mainz  erworben  haben  wollte. 

Die  zweite  Figur  (PI.  O.  20;  Abb.  8)  ist  mit  Sockel  93  cm  hoch.  Sie 
besteht  aus  Lindenholz,  die  Fußplatte  und  der  Thron  ist  aus  Eichenholz.  Die 
alte  Polychromie  ist  gut  erhalten :  das  Gewand  und  der  Mantel  ist  golden, 
die  Säume  sind  mit  plastischen  farbigen  Steinen  in  bestimmter  Musterung 
verziert.  Das  Kissen  der  Bank  ist  mit  gekreuzten  Streifen  bemalt,  der  Sockel 
weist  mehrere  Farben  auf.  Die  Technik  ist  die  übliche:  die  Farben  liegen  auf 
starkem  Kreidegrund  mit  stellen  weiser  Leinenunterlage.  An  den  beiden  Seiten-' 
wänden  der  Bank  ist  je  eine  Einzelfigur  in  Malerei  dargestellt.  Die  Gesichter 
sind  später  mit  häßlichem  gelben  Anstrich  versehen. 

Das  Motiv  ist  im  wesentlichen  das  gleiche  wie  bei  der  an  erster  Stelle 
beschriebenen  Statue,  nur  ist  die  rechte  Hand  Christi  greifend  ausgestreckt. 
Es  fehlen  die  rechte  Hand  der  Maria  und  der  linke  Unterarm  Christi,  sowie 
Teile  der  dem  Sockel  vorgelegten  Maßwerkgallerie. 

Die  dritte  Figur  (PI.  O.  25  Birnenholz,  Höhe  77,5  cm;  Abb.  10)  besitzt 
ebenfalls    ihre    alte    Bemalung,   wenn    auch    in    sehr    beschädigtem  Zustande. 


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VON  DR.  W.  JOSBPHI. 


109 


Auch  hier  finden  sich  die  plastisch  verzierten  Säume  in  genau  der  gleichen 
Musterung  wie  an  der  eben  erwähnten  Statue.  Im  Gegensatz  zu  den  beiden 
vorgenannten  Stücken  ist  das  Haupt  der  Madonna  mit  einer  Krone  geschmückt 
und  der  hohe  Sockel  ist  zu  einer  niedrigen  Fußplatte  zusammengeschrumpft. 
Es  fehlen  die  rechte  Hand  der  Maria,  der  rechte  Unterarm  und  die  linke 
Hand  des  Kindes.     Erworben  wurde  das  Stück  im  Jahre  1882  in  Köln. 


Abb.  8.    Mftdonna.    Niederrheinisch.    Erste  Hälfte  des  14.  Jahrh. 
PI.  0.  20.    H.  93  cm. 

Das  besterhaltene  Stück  ist  das  an  zweiter  Stelle  genannte,  die  große 
Madonna  (Abb.  8).  Wie  bei  fast  allen  Statuen  des  14.  Jahrhunderts  tritt  uns 
auch  hier  deutlich  der  Versuch  entgegen,  den  Zügen  einen  Ausdruck  inneren 
Lebens  aufzuprägen.  Zumeist  führt  das  Mißverhältnis  zwischen  Wollen  und 
Können  dazu,  den  Gesichtern  einen  breiten,  etwas  manirierten  Ausdruck  zu 
verleihen,  der  als  »gotisches  Lächeln«  für  das  14.  Jahrhundert  fast  typisch 
ist.  Während  dieser  Versuch  in  gewissem  Grade  bei  der  Maria  gelang,  ist 
der  Ausdruck  des  Kindes  nur  als  ein  stupides  Grinsen  zu  bezeichnen,  wie 
überhaupt  dessen  kugelrunder  Kopf  mit  den  abstehenden  übergroßen  Ohren 
durchaus  verunglückt  ist. 

Deutlicher  zeigt  sich  gegenüber  den  früheren  Werken  der  bedeutende 
zeitliche  Fortschritt  in  der  detaillierteren  Wiedergabe  der  Gewandfalten.     Die 


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110  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  (iERMANiSCHEN  NATIONALMUSEÜM. 


Zeit,  in  der  rein  äußerlich  ein  Faltenschema  dem  Gewände  aufgepreßt  wurde 
und  im  besten  Falle  nur  die  großen  Hauptzüge  ihre  Begründung  in  der 
Anatomie  des  Körpers  fanden,  war  im  14.  Jahrhundert  auch  für  die  Durch- 
schnittsleistungen deutscher  plastischer  Kunst  vorüber.  Eine  durchgängige 
Beherrschung  der  Körperformen  war  zwar  auch  dieser  Zeit  noch  nicht  ge- 
geben,  doch  bildete  sich  eine  Kenntnis  mehr  und  mehr  aus,  so  daß  die 
Fehler  nicht  mehr  so  augenfällig  und  störend  entgegentreten.  Wir  finden 
denn  auch  bei  unserer  Statue  die  weiblichen  Formen  nur  erst  zart  angedeutet. 
Große  Schwierigkeit  machte  dem  Schnitzer  die  Augenpartie;  in  beiden  Köpfen 
sind  die  Augäpfel  viel  zu  flach  eingesetzt,  wodurch  dem  Gesichte  ein  etwas 
ausdrucksloser  Zug  eigen  wird.  Daß  im  allgemeinen  die  Körperproportionen 
noch  vielfach  falsche  sind  und  daß  insbesondere  die  Länge  des  Oberkörpers 
und  die  Breite  der  ganzen  Gestalt  in  einer  anatomisch  unmöglichen  Weise 
reduziert  sind,  kann  bei  einem  Werk  des  14.  Jahrhunderts  nicht  Wunder 
nehmen. 

Das  Gewand  schmiegt  sich  eng  um  den  Oberkörper  und  ist  deshalb 
faltenlos;  doch  wo  der  Gürtel  schnürt,  dessen  Ende  frei  nach  unten  hängt, 
bilden  sich  einzelne  scharfe  Faltenaugen,  die  dann  nach  unten  in  geraden 
Linien  auslaufen.  Der  Mantel  mit  seinem  großen  Wurf  und  seinen  vielfachen 
Umbiegungen  und  Durchschneidungen  ist  durch  größere  und  kleinere  Falten- 
züge reich  belebt.  Da  die  Gestalt,  um  dem  Kinde  das  Gleichgewicht  zu 
halten,  ein  wenig  nach  rechts  zurückgelehnt  ist,  beide  Kniee  ebenfalls  nach 
rechts  verschoben  sind  und  sich  nicht  senkrecht  über  den  Füßen  befinden, 
so  ergibt  sich  eine  reiche  Bewegung  im  Gefältel,  dessen  Hauptrichtung  von 
rechts  oben  nach  links  unten  läuft.  Dieser  Stil  ist  der  in  der  Hochgotik 
allgemeine  und  steht  in  seiner  Grundtendenz  im  direktem  Gegensatz  zu  der 
steifen  Frontalität  der  Schöpfungen  früherer  Jahrhunderte. 

Ein  hoher  Sockel  befindet  sich  unter  der  Figur,  er  ist  mit  freiliegenden 
Maßwerkvierecken  belegt,  aus  dessen  Mitte  je  ein  plastischer  Kopf  (nur  einer 
ist  erhalten)  hervorsah. 

Die  figürlichen  Darstellungen  an  den  Seitenwänden  des  Throns  sind  als 
frühe  Denkmale  der  Tafelmalerei  von  besonderem  Interesse.  Es  sind  dies 
je  eine  unter  gotischem  Maßwerk  stehende  weibliche  Heilige,  von  denen  die 
an  der  Seite  des  Christkindes  zu  sehr  zerstört  ist,  um  einer  Beurteilung  unter- 
zogen werden  zu  können,  während  auf  der  anderen  Seite  die  heilige  Agnes 
verhältnismäßig  gut  und  vor  allem  von  jeder  Restaurierung  unberührt  erhalten 
ist.  Die  Technik  ist  eine  sehr  einfache  Temperamalerei  auf  dickem  weißen 
Kreidegrunde.  Die  Heilige  steht  stark  nach  links  ausgebeugt,  sie  ist  in  ein 
rotes  Gewand  gekleidet,  über  das  der  grüne,  vorne  quer  über  den  Unterleib 
geworfene  Mantel  gelegt  ist.  Ihr  gekröntes,  von  rötlichen  Locken  umrahmtes 
Haupt  neigt  sich  dem  durch  den  Kreuzesnimbus  ausgezeichneten  Lamm  zu, 
das,  von  ihr  an  den  Hinterbeinen  gehalten,  ihr  entgegenstrebt.  In  der  Rechten 
hält  sie  die  Palme  der  Märtyrerin. 

Die  Malerei  entspricht  in  ihrer  rein  zeichnerisch  -  flächenhaften  Manier 
durchaus  dem,  was  uns  von  W^andgemäldcn  des  frühen  14.  Jahrhunderts  be- 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI.  1 1 1 


kannt  ist.  Derbe  schwarze  Linien  geben  die  Hauptfaltenzüge  an,  während 
dünnere  gerade  schwarze  Striche  die  kleineren  Falten  veranschaulichen  sollen. 
Alle  Flächen  sind  ohne  jede  weitere  Modellierung  einfach  mit  Lokalfarbe 
ausgefüllt,  so  daß  der  Gesamteindruck  etwa  der  eines  frühen  Glasgemäldes 
ist.  Nur  beim  Kopfe,  speziell  am  Übergang  von  der  Backe  zum  Halse,  ist 
der  Versuch  einer  Modellierung  in  die  Tiefe  gemacht.  Von  einer  Kenntnis 
des    menschlichen  Organismus    kann    hier    überhaupt    noch   nicht  gesprochen 


Abb.  9.    Madonna.    Niederrheinisch.    Erste  Hälfte  des  14.  Jabrh. 
PI.  0.  21.    H.  65,5  cm. 

werden.  Wenn  wir  nun  vorher  an  der  Madonna  gerade  den  Fortschritt  in 
der  Kenntnis  der  Anatomie  hervorheben  konnten,  so  beweist  die  zugehörige 
Malerei  wieder  einmal  die  schon  mehrfach  betonte  Tatsache,  daß  im  Mittel- 
alter die  Entwicklung  der  Plastik  vor  der  Malerei  einen  großen  Vorsprung 
hatte. 

Die  Statue  PI.  O.  21  (Abb.  9)  steht  der  vorgenannten  so  nahe,  daß  man 
fast  das  Verhältnis  einer  freien  Kopie  zwischen  beiden  annehmen  möchte. 
Das  Stück  ist,  trotzdem  es  der  Farbe  beraubt  ist,  das  sympatischere,  auch 
feiner  und  eleganter  ausgeführt.  Die  Gesichtszüge  sind  weniger  flach  ,  das 
Lächeln  im  Antlitz  ist  nicht    so    ^ezwun^en,    vielmehr    ist    der    Eindruck    ein 


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112  DIE  FRÜHWBRKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM. 


mehr  lieblicher.  Unangenehm  fällt  auch  hier  die  Plumpheit  im  Gesichte  des 
Christkindes  auf. 

Das  Motiv  ist  völlig  dem  der  eben  besprochenen  Figur  gleich;  als  einzige 
Variationen  sind  zu  nennen,  daß  die  Madonna  die  rechte  Hand  etwas  ge- 
streckter hält  und  deshalb  das  Szepter  etwas  weniger  gesucht  graziös  umfaßt. 
Ebenso  ist  die  Armstellung  Christi  eine  etwas  andere,  ohne  daß  dadurch 
aber  die  Gruppe  veränderte  Bedeutung  gewönne.  Auch  die  ungeschickte 
Stellung  der  linken  Hand  der  Maria  ist  vermieden,  die  das  Kind  nicht  mehr 
unmittelbar  unter  Achsel,  sondern  in  leichterer  und  natürlicherer  Weise  um 
die  Hüfte  faßt.  Wesentlicher  für  den  Eindruck  ist,  daß  Christus  aus  der 
Fläche  mehr  nach  vorne  gerückt  ist,  wodurch  die  plastische  Wirkung  ver- 
stärkt wird. 

Für  die  Behauptung,  beide  Stücke  entstammten  ein  und  derselben  Werk- 
stätte, ist  nicht  allein  das  Motiv  maßgebend,  wenn  dieses  auch  für  den  ersten 
Eindruck  bestimmend  sein  mag.  Man  wird  bei  so  einfachen  Darstellungen, 
deren  Motiv  sich  aus  der  Natur  der  Sache  ergibt,  stets  gut  tun,  mehr  auf 
kleine  Äußerlichkeiten  als  auf  das  oft  nur  sehr  wenig  variable  Grundmotiv 
Wert  zu  legen  —  ich  erinnere  beispielsweise  an  die  vielen  einander  sehr  ähn- 
lichen Darstellungen  der  Pieta,  bei  denen  die  Abhängigkeit  von  einander  oder 
von  einem  gemeinsamen  Vorbild  ebenfalls  zu  Unrecht  behauptet  wird  —  und 
solche  Äußerlichkeiten  sind,  abgesehen  von  der  oben  erwähnten  Ähnlichkeit 
in  der  Kopfbehandlung  und  der  aber  auch  sonst  gleichartig  vorkommenden 
Haarbehandlung  vornehmlich  die  fast  identisch  wiederkehrenden  Züge  nicht  nur 
der  Hauptfalten,  sondern  auch  der  oft  ganz  willkürlichen  kleineren  Knickungen, 
Brechungen  und  Windungen.  Diese  Wiederholungen  zeigen  sich  allerorts,  wenn 
sie  auch  auf  den  Abbildungen  bei  dem  etwas  geänderten  Aufnahmepunkt  nicht 
so  deutlich  in  Erscheinung  treten.  Am  drastischsten  zeigt  sich  dies  am  Ge- 
wände Christi,  vielleicht  deshalb,  weil  in  beiden  Fällen  dieses  in  völlig  ana- 
loger Weise  lange  nicht  so  fein  und  individuell  durchgebildet  ist,  wie  das 
der  Maria  und  deshalb  die  willkürlichen  Äußerlichkeiten  deutlicher  in  Erscheinung 
treten.  Das  lange,  vorne  bis  etwa  zur  Kniehöhe  geschlitzte  Hemd  des  Kindes 
hat  sich  bei  der  heftigen  Schreitbewegung  etwas  zur  Seite  verschoben  und 
dabei  hat  sich  der  Schlitz  geöffnet.  Dessen  Säume  haben  sich  —  ein  sehr  will- 
kürliches Motiv  —  in  trichterförmigen  Falten  nach  außen  umgeschlagen,  so 
daß  beiderseits  in  gerundeter,  oben  spitz  zulaufender  Fläche  die  Innenseite 
des  Stoffes  sichtbar  wird.  Diese  sehr  individuelle  Darstellung  kehrt  bei  beiden 
Werken  vollkommen  identisch  wieder ;  und  das  ist  ein  so  auffälliger  Zug,  daß 
an  eine  Werkstattgemeinschaft  kaum  noch  gezweifelt  werden  dürfte.  Die 
Vermutung  wird  fast  zur  Gewißheit,  wenn  man  beachtet,  daß  auch  die  meisten 
der  mehr  oder  minder  willkürlichen  Knickungen  und  Falten  bei  beiden  Werken 
vollkommen  genau  wiederkehren. 

Nachdem  aber  neben  der  Gleichheit  des  allgemeinen  Motivs  auch  die 
Werkstattidentität  nachgewiesen  ist,  sind  wir  in  der  Lage,  die  durch  die 
Entfernung  der  Polychromie  entstandenen  Defekte  der  zweiten  Figur  aus  der 
ersten  zu  ergänzen.    Zunächst  ist  sicher,  daß  die  durch  ihre  Breite  auffälligen 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


113 


Seitertwände  der  Bank  ebenfalls  durch  figürliche  Malerei  geschmückt  und  oben, 
wie  Nagelspuren  beweisen,  durch  eine  aufgesetzte  ProfiHerung  abgeschlossen 
waren.  Ferner  war  zweifellos  der  hohe  eckige  und  in  dem  jetzigen  Zustand 
sehr  plump  wirkende  Sockel  mit  freien  Maßwerkauflagen  geziert.  Das  Profil 
der  unteren  Fußplatte  ist  bei  beiden  Figuren  genau  das  gleiche. 

Die  größere  künstlerische  Reife,  die  sich  in  der  unpolychrom ierten  Statue 
Fl.  O.  21  ausspricht,  die  mannigfachen  Verbesserungen,  die  sich  bei  ihr 
gegenüber  der  an  erster  Stelle  betrachteten  Madonna  Fl.  O.  20  geltend 
machen ,   lassen   es   als  sehr  wahrscheinlich  erscheinen ,    daß  jenes  Werk  das 


Abb.  10.    Madonna.    Niederrheinisch.    Zweite  Hälfte  des  14.  Jahrb. 
PI.  0.  25.    H.  77,5  cm. 

spätere  ist.  Zufällig  setzt  uns  aber  der  Denkmälerbestand  des  Germanischen 
Museums,  dessen  plastische  Werke  zu  einem  sehr  großen  Teile  aus  den  Rhein- 
gegenden stammen,  in  die  Lage,  dieselbe  Werkstätte  noch  weiter  zu  verfolgen 
und  aus  ihr  ein  zeitlich  zweifellos  noch  späteres  Werk  vorzuführen.  Die  Madon- 
nenstatue Fl.  O.  25,  die  wir  oben  betrachtet  haben,  ist  bezeichnend  für  den 
stilistischen  Fortschritt.  Die  Statue  wird  wohl  derselben  Werkstätte  wie  die 
beiden  vorgenannten  entstammen.  Das  Motiv  ist  genau  das  Gleiche  wie  bei  den 
beiden  anderen  Stücken,  nur  ist  die  Bewegung  in  den  Faltenzügen  nicht 
minder  wie  in  der  Gestalt  des  Kindes  energischer,  fast  stürmisch  geworden, 
und  Maria  muß  daher  ihren  ganzen  Arm  um  das  Kind  schlingen,  um  seinem 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    11M>5.  lö 


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114  DIE  FRÜHWKRKK  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATION ALMÜSEÜM. 


heftigen  Streben  Einhalt  zu  tun.  Ebenso  ist  die  Faltenangabe  eine  reichere 
und  bewegtere.  Die  Bereicherung  zeigt  sich  besonders  deutlich  am  Oberkörper 
der  Maria  in  der  Gewandung,  die  vorher  fast  faltenlos  war  und  nur  unmittelbar 
am  Gürtel  Einschnürungen  aufwies,  nunmehr  aber  bei  durchscheinenden  Körper- 
formen durch  strahlenförmig  auf  die  Schnürung  zulaufende  straffe  Faltenrücken 
belebt  ist.  Derartige  Bereicherungen  lassen  sich  auch  am  Untergewand  viel- 
fach nachweisen  und  bewirken  den  volleren  Eindruck  dieses  Faltenstils,  der 
schon  den  Übergang  von  der  straffen  Faltengebung  des  eigentlichen  14.  Jahr- 
hunderts zu  dem  am  Ende  desselben  beginnenden  und  vornehmlich  in  den 
zwanziger  Jahren  des  15.  Jahrhunderts  zum  Extrem  sich  ausbildenden  über- 
reichen weichfaltigen  Stil  andeutet.  Innerhalb  dieser  Bereicherung  wiederholen 
sich  die  großen  Motive  der  vorher  betrachteten  Statue  unmittelbar.  Völlig 
identisch  mit  der  polychromierten  Statue  ist  dagegen  die  eigenartige  plastische 
mit  Pünktchen  besäte  Verzierung  der  Gewandsäume  durch  eine  regelmäßige 
Folge  von  Steinen  und  Buckeln  in  Kreidetechnik.  Dagegen  unterscheidet  diese 
Figur  von  den  vorigen  das  scheibenartige  Rund  auf  dem  Haupte,  um  das,  wie 
Reste  von  Ziernägeln  zeigen,  eine  lederne  und  mit  Seide  bezogene  Krone  — 
Spuren  finden  sich  unter  den  Köpfen  der  Ziernägel  —  befestigt  war.  Der 
Kopf,  der  an  erster  Stelle  behandelten  Figur  ist  im  Gegensatz  dazu  flach  ab- 
gearbeitet, während  die  zweite  einen  kreisförmigen,  zum  Aufsetzen  einer  Krone 
bestimmten  Einschnitt  aufweist. 

Eine  oberflächliche  Durchsicht  der  bisher  publizierten  Werke  deutscher 
Plastik  führt  uns  auf  andere  Madonnen,  die  den  unseren  fast  genau  ent- 
sprechen und  demzufolge  als  Arbeiten  der  gleichen  Werkstätte  anzusehen 
sind.  Direkt  identisch  ist  die  Madonna  aus  Altenberg  bei  Wetzlar,  (Münzen- 
berger,  mittelalterliche  Altäre  Deutschlands)  bei  der  auch  die  gleiche  Muste- 
rung der  Gewandsäume  wiederkehrt  und  bei  der  ebenfalls  die  Behandlung 
des  Sockels  mit  der  freien  Maßwerkverzierung  die  gleiche  ist.  Sehr  ähnlich 
sind  ferner  die  Madonnen  in  der  Sammlung  Grüneschild  in  Bettenhoven  (Kunst- 
denkmale der  Rheinprovinz.  VIII.  Bd.,  I.  Abt.,  S.  44:  um  1300),  auf  dem 
Marienaltar  der  Stiftskirche  zu  Kleve  (ebenda  I.  Bd.,  IV.  Abt.,  S.  97:  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts)  und  im  Städtischen  Suermondtmuseum  zu  Aachen.  Auch 
die  Madonna  aus  Ophoven  (Münzenberger ,  mittelalterliche  Altäre  Deutsch- 
lands) zeigt  dasselbe  Motiv,  wenn  auch  stilistisch  umgebildet.  Genau  derselbe 
Stil  wie  an  unseren  in  Abb.  8  und  9  wiedergegebenen  Figuren ,  gleichzeitig 
auch  mit  völlig  identischer  plastischer  Dekoration  der  Gewandsäume  kehrt 
in  der  aus  der  Sammlung  Schnütgen  stammende  Madonna  vom  Dreikönigcn- 
altar  im  Dom  zu  Köln  wieder  (Münzenberger,  mittelalterliche  Altäre  Deutsch- 
lands XVI.  8:  Mitte  des  14.  Jahrhunderts).  Doch  ist  das  Motiv  leicht  ver- 
ändert, indem  das  Kind  die  Schreitbewegung  vollendet  hat  und  nunmehr  auf 
dem  rechten  Knie  der  Mutter  steht,  diese  aber  ihren  linken  Fuß  auf  ein 
Ungeheuer  gesetzt  hat.  Auch  ist  ihre  Gewandung  durch  ein  Kopftuch  be- 
reichert. Diese  Ausnahme  von 'der  Regel  kann  aber  nur  unsere  Annahme 
von  dem  Werkstättenzusammenhange  bestätigen,  denn  der  Grund  dieser  be- 
sonderen Modifikationen  ist  nachweisbar;    sie  gehen    auf  eine  sehr  feine  und 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


115 


wie  der  Stil  und  der  Vergleich  mit  der  Elfenbeinstatuette  in  der  Sammlung 
Oppenheim  zu  Köln  (Seemann,  Kunstgeschichte  in  Bildern)  lehrt,  französische 
oder  doch  unter  unmittelbarem  französischen  Einfluß  stehende  Statue  einer 
thronenden  Madonna  zurück,  die  sich  jetzt  im  städtischen  Wallraf-Richartz- 
Museum  befindet  und  die  alle  die  vorgenannten  Abweichungen  zeigt.  (Münzen- 
berger  XVI  Tafel  8:  Anfang  des  14.  Jahrhunderts;  Führer  durch  das  städtische 
Museum  Wallraf-Richartz  zu  Köln  1902  m.  Abb.) 

Wenn  wir  bedenken,  daß  alle  vorgenannten  Werke  sich  in  den  Gegenden 
des  Niederrheins  befinden  und  daß  eines  der  unserigen  authentisch  aus  der 
Kölner  Gegend,  eines  nach  allerdings  nicht  ganz  sicherer  Händlerangabe  aus 
Mainz  stammt,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit  eine  sehr  große,  daß  die  Werk- 
stätte —  auch  die  leichten  Anklänge  an  französische  Kunst  deuten  darauf 
hin  —  sich  am  Niederrhein  und  zwar  sehr  wahrscheinlich  in  Köln  befand. 
Diese  Wahrscheinlichkeit  wird  mir  fast  zur  Gewißheit  durch  den  Umstand, 
daß  ich  trotz  eifrigfen  Bemühens  außerhalb  der  Rheingegenden  kein  Stück 
gefunden  habe,  das  nach  Motiv  und  Stil  dieser  Gruppe  zuzurechnen  wäre. 

Durch  einen  glücklichen  Zufall  sind  wir  in  der  I-age  gewesen ,  eine 
scharf  umschriebene  früh-rheinische  Werkstätte  vorzuführen,  die  durch  drei 
sehr  charakteristische  Werke  im  Germanischen  Museum  vertreten  ist.  Solche 
Werkstättenzusammenhänge,  die  in  der  Spätzeit  des  Mittelalters  gang  und 
gäbe  werden ,  sind  für  die  frühe  Zeit  nur  selten  nachweisbar  und  deshalb 
für  unsere  Kenntnis  des  frühmittelalterlichen  Werkstättenbetriebes  sehr  in- 
teressant. Wir  hatten  diese  Werkstätte,  die  wahrscheinlich  um  die  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  ihre  höchste  Blüte  hatte,  nur  soweit  zu  verfolgen,  als  es 
für  die  zeitliche  und  örtliche  Festlegung  unseres  Sammlungsmaterials  nötig 
war.  Sehr  wahrscheinlich  wird  es  möglich  sein  an  der  Hand  des  so  gesicher- 
ten reichen  Materials  auch  andere  plastische  Werke  nachzuweisen,  bei  denen 
nicht  das  Grundmotiv  und  die  Äußerlichkeiten  von  so  maßgebendem  Einfluß 
sind.  Allerdings  dürfte  der  Einfluß  der  verschiedenen  Gesellenhände,  der  sich 
schon  bei  unseren  drei  Stücken  deutlich  geltend  macht  und  der  selbst  in 
ganz  entwickelten  Perioden  —  ich  denke  etwa  an  die  noch  niemals  einwand- 
frei gelöste  Wolgemutfrage  —  unangenehm  in  die  Erscheinung  tritt,  gerade 
für  die  stilistisch  sehr  schwer  faßbaren  Frühzeiten  von  erhöhter  störender 
Bedeutung  sein. 

Völlig  verschieden  von  dieser  Gruppe  ist  die  thronende  Madonna  (PI.  O.  27; 
Abb.  11),  wenngleich  sie  sich  zeitlich  den  eben  betrachteten  Arbeiten  anschließen 
dürfte.  Die  Statue  ist  von  Lindenholz,  ist  81  cm  hoch  und  war  ehemals  bemalt 
und  vergoldet.  Die  Rückseite  ist  gehöhlt.  Das  Motiv  ist  das  übliche:  Maria 
sitzt  auf  der  mit  dem  Kissen  belegten  Bank;  sie  ist  in  ein  enges,  hochgegürtetes 
Gewand  gekleidet.  Auf  dem  Haupte  liegt  das  Manteltuch,  das  auch  den 
ganzen  Rücken  einhüllt  und,  von  links  her  über  die  Knie  geworfen,  den  Unter- 
körper mit  reichen  Falten  verhüllt.  Auf  ihrem  linken  Oberschenkel  hockt 
mit  übereinandergeschla^^enen  Beinen  das  nackte  Kind,  das  mit  der  rechten 
Hand  spielend  den  rechten  Saum  des  Kopftuchs  der  sich  ihm  zuneigenden 
Mutter    zu    sich    heranzerrt.     Auf   dem  Kopftuch    der  Maria  liegt  die  Krone, 


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116  DIE  FRÜH  WERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMDSEUM. 


deren  Reif  allein  erhalten  ist,  während  die  ehemals  eingenuteten  Zacken  oder 
Blätter  verloren  gingen.  Es  fehlen  der  rechte  Unterarm  der  Maria  und  des 
Kindes,  weshalb  das  Genremotiv  nicht  mehr  klar  zum  Ausdruck  kommt, 
ferner  der  ganze  linke  Arm  des  Kindes.  An  der  unteren  Gewandpartie  sind 
kleinere  Defekte. 

Die  ehemalige  Färbung  ist  in  brutaler  Weise  abgelaugt,  so  daß  das  Holz 
ein  häßlich-schimmeliges  Aussehen  bekommen  hat.  Nachträglich  ist  dann 
wieder  der  Oberkörper   der  Maria  mit  einem   unschönen  roten  Anstrich  ver- 


Abb.  IL    Madonna.    Mitte  des  U.  Jahrh. 
PI.  0.  27.    H.  81  cm. 

sehen.     Trotzdem    lassen    spärliche  Farbspuren   erkennen,    daß    das  Gewand 
ehemals  r(Jt,  der  Mantel  golden  gewesen  ist. 

Das  Werk  ist  eine  derbe  Arbeit  und  weit  entfernt  von  der  zarten  Durch- 
bildung und  vornehmen  Auffassung,  die  allen  Werken  der  eben  betrachteten 
niederrheinischen  Werkstätte  eigen  ist.  Mit  der  Plumpheit  des  Körperbaues 
nicht  weniger  wie  der  Gewandfältelung  verbindet  sich  ein  recht  leeres  und 
nichtssagendes  Gesicht,  und  das  Kind  verletzt  fast  durch  seine  Roheit  den 
Beschauer.  Andrerseits  darf  aber  auch  wieder  nicht  verkannt  werden,  daß 
das  Kindliche  in  seiner  Bewegung  und  Haltung  prägnant  erfaßt  und  wieder- 
gegeben ist.     Der  gotische  Schwung  kommt   in  der  Komposition   und  in  der 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


117 


Gewandung  sehr  gemildert  zur  Geltung;  der  Körper  der  Mutter  ist  nur  ganz 
wenig  nach  rechts  hinübergeneigt,  eine  Bewegung,  die  durch  das  auf  der  linken 
Seite  gehaltene  Kind  genügend  motiviert  ist.  Die  Falten  verlaufen  einfach 
und  in  der  üblichen  Weise  vertikal,  mit  großer  Schoßfalte,  erst  ganz  unten 
streben  sie  mit  scharfer  Knickung  schräge  zum  Boden  nieder. 

Für  die  Statue,  die  ihrem  Stil  nach  in  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts 
entstanden  sein  mag,  finden  sich  vornehmlich  in  Süddeutschland  analoge  Bei- 
spiele. Ziemlich  nahe  steht  ihr  im  Faltenstil  das  große  Steinrelief  Kaiser 
Ludwigs  des  Bayern  im  großen  Rathaussaale  zu  Nürnberg,  das  bald  nach 
dem  Jahre  1332  gefertigt  sein  wird  (Mummenhoff,  das  Rathaus  in  Nürnberg 
S.  30  f.  Frh.  von  Reitzenstein ,  Kaiser  Ludwig  der  Bayer  und  seine  Dar- 
stellungen im  Mittelalter;  in  der  Zeitschrift  des  Münchener  Altertums  Vereins. 
N.  F.  XII  1901).  Sehr  große  stilistische  Ähnlichkeit  hat  die  allerdings  rohere 
und  bei  Riehl  (Abh.  der  k.  b.  Akad,  d.  Wiss.  lll.  Cl.  XXIII.  Bd.  I.  Abt.  Tafel  2. 
Nr.  4)  abgebildete  Madonna  in  der  Sammlung  christlich-mittelalterlicher  Kunst- 
werke zu  Freising,  die  dort  mit  »erste  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts«  bezeichnet 
ist.  Da  unser  Stück  in  Augsburg  erworben  wurde,  so  ist  auch  aus  diesem 
Umstände  die  süddeutsche  Herkunft  wahrscheinlich. 

In  den  Bereich  unserer  Betrachtungen  gehört  auch  eine  eigenartige  Statue 
der  thronenden  Madonna  (PI.  O.  16) ,  welche  kürzlich  durch  Schenkung  in 
unsere  Sammlungen  gelangte.  Nach  Angabe  der  Spenderin  soll  sich  das  Stück 
in  Salzburg  und  früher  in  Steiermark  befunden  haben. 

Maria  sitzt  auf  einer  Bank,  sie  ist  in  ein  langes  blaues,  goldumsäumtes 
Gewand  mit  ebenso  gefärbtem  Mantel  gekleidet,  auf  ihrem  Haupte  liegt  ein 
weißes  goldumsäumtes  Tuch.  Auf  ihrer  rechten  Hand  sitzt  der  in  ein  blaues 
goldumsäumtes  Gewand  gekleidete  blondhaarige  Christus.  Er  hält  in  der 
Rechten  den  Apfel,  mit  der  Linken  greift  er  nach  einer  Birne,  die  Maria 
ihm  reicht.  Das  Material  ist  Lindenholz,  die  Färbung  Ölbemalung.  Die  Höhe 
beträgt  50  cm. 

Die  Figur  ist  so  stillos,  daß  schon  ohne  Untersuchung  des  Materials 
der  Gedanke  an  eine  ältere  recht  ungeschickte  Fälschung  rege  werden  muß. 
Und  doch  ist  dies  nicht  der  Fall,  denn  das  Stück  ist  archaistisch-mittelalter- 
lich und  bedeutet  eine  späte  Nachbildung  des  berühmten  Muttergottesbildes 
zu  Maria-Zeil  in  Steiermark.  (Abb.  in  »Mitt.  der  K.  K.  Zentralkommission 
zur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Baudenkmale«  XIV  1869  S.  79  und  im 
»Kirchenschmuck«  1899.  XXX  S.  93.) 

Derartige  Nachbildungen  sind  bei  den  berühmtesten  Wallfahrtsbildern 
sehr  häufig  und  kommen  aus  allen  Zeiten  vor.  So  z.  B.  besitzt  das  Kgl. 
bayerische  Nationalmuseum  in  München  eine  interessante  Reihenfolge  von 
Nachbildungen  der  Muttergottes  von  Altötting  aus  dem  15.  bis  zum  18.  Jahr- 
hundert (Nr.  1299—1303  und  1357  des  VI.  Bandes  des  Kataloges  von  1896). 
NachbiMungen  des  Cranachschen  Mariahilfbildes  in  Innsbruck  trifft  man,  zur 
abscheulichsten  Rohheit  entstellt,  in  zahlreichen  Bauernhäusern  Nordtirols  an. 

In  diesen  Kreis  gehören  auch  die  Kopieen  des  Mariazeller  Gnadenbildes, 
die  sich  vielfach  in  Kärnthen  und  Steiermark  vorfinden  —  Stift  Griffen,  Wolfs- 


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nS  piE  KRÜHWKRKE  DKK  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMÜSEÜM. 


berg  u.  s.  w.  —  und  die  gelegentlich  auch  in  Sammlungen,  wie  etwa  in  das 
Bayerische  Nationalmuseum  zu  München  und  in  das  Germanische  National- 
museum ihren  Weg  gefunden  haben.  Dabei  ist  interessant,  daß  alle  diese  Nach- 
bildungen, soweit  sie  mir  bekannt  sind,  unter  sich  einander  ähneln,  dabei  sich 
aber  weit  von  dem  Originale  entfernen  Insbesondere  kommt  die  ganze  sehr 
eigenartige  Faltenangabe  in  dieser  Weise  beim  Original,  das  ich  im  Gegensatz 
zu  den  frühen  Datierungen  der  Lokalforscher  für  eine  Arbeit  des  späten  13. 
oder  des  beginnenden  14.  Jahrhunderts  halte,  nicht  vor.  Der  Grund  wird  der 
sein,  daß  alle  Nachbildungen  auf  eine  grundlegende  Kopie,  wahrscheinlich  aus 
dem  18.  Jahrhundert,  zurückgehen.  Bei  dieser  wurde,  da  das  Original  stets 
bekleidet  ist  und,  wie  die  Literatur  beweist,  selbst  Forschern  nur  nach  Über- 
windung allergrößter  Schwierigkeit  ohne  Hülle  zugänglich  gemacht  wurde, 
nur  das  allgemeine  Motiv  beibehalten,  während  im  Übrigen  die  Phantasie  frei 
schalten  mußte.  Dafür  spricht  auch  das  Beibehalten  einiger  augenfälliger 
Seltsamkeiten  des  Originals,  wie  etwa  der  überlange  Zeigefinger  der  linken 
Hand  der  Madonna,  der  bei  der  bekleideten  Figur  sichtbar  blieb  und  deshalb 
kopiert  werden  konnte.  Daß  diese  erste  und  grundlegende  Kopie  im  18.  Jahr- 
hundert entstand,  darauf  deuten  die  flauen  Falten  sowie  vor  allem  die  eigen- 
artige Umbildung  des  Kopftuchs,  das  bei  dem  Original  einfach  über  den  Kopf 
gelegt,  nur  die  üblichen  leichten  Schwingungen  am  Saum  aufweist,  während' 
bei  den  Kopien  daraus  die  Piissehauben  des  18.  und  des  beginnenden  19.  Jahr- 
hunderts geworden  sind.  Solche  Stücke  bieten  naturgemäß  dem  Sammler  viele 
Schwierigkeiten,  die  sich  erst  lösen,  wenn  der  Zusammenhang,  in  den  sich 
das  Stück  eingliedert,  erkannt  ist. 

Eine  ähnliche  Stellung  wird  man  der  Statuette  der  thronenden  Gottes- 
mutter PI.  O.  310  (Lindenholz,  Höhe  34,5  cm)  zuweisen  müssen,  in  der  sich 
in  seltsamer  Weise  Altes  mit  Neuem  mischt.  Anscheinend  liegt  der  Arbeit 
eine  alte  Madonna  vom  Typus  des  frühen  13.  Jahrhunderts  zu  Grunde.  Die 
thronende  und  bekrönte  Madonna  ist  in  ein  rotes  hochgegürtetes  Gewand  ge- 
kleidet, ein  weißer  Mantel  umhüllt  die  Gestalt  und  wird,  auf  der  Brust  durch 
eine  auffällig  große  romanisch  stilisierte  Schließe  gehalten.  Das  Haar  ist  wellig 
aus  dem  Gesichte  gestrichen  und  fällt  auf  dem  Rücken  in  2  Zöpfen  herab, 
dem  rechten  Knie  sitzt  das  in  ein  langes  blaues  Gewand  gekleidete  Kind. 
Ausgeführt  zu  sein  scheint  das  Stück  im  späten  Mittelalter  oder  gar  noch 
später.  Die  Bemalung  ist  eine  ziemlich  oberflächliche  und  entbehrt  des  Kreide- 
grundes, der  den  frühmittelalterlichen  Arbeiten  eigen  ist.  Nur  die  Krone,  die 
anscheinend  vergoldet  war,  hat  einen  dicken  Kreide-  und  Leinengrund. 

Das  sonst  so  verbreitete  Motiv  der  stehenden  Madonna  mit  dem  Kinde 
ist  unter  den  Frühwerken  unserer  Sammlungen  nur  durch  zwei  Statuetten 
vertreten.  Die  eine  (PI.  O.  309,  Abb.  12)  ist  von  Eichenholz  und  45,3  cm 
hoch.  Maria  steht  auf  dem  linken  Fuß  und  hat  das  rechte  Bein  entlastet 
zurückgestellt,  wodurch  der  ganze  Körper  eine  starke  Ausbeugung  nach  links 
bekommt.  Auf  ihrem  linken  Arm  sitzt  das  Christkind,  dem  die  Mutter  ihr 
in  der  Mitte  gescheiteltes  lockiges  Haupt  zuneigt.  Der  rechte  Arm  ist  recht- 
winklig vorgestreckt    und   trägt  in  der  (er^^änzten)  Hand    einen  Blütenstengel. 


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VON  DR  W.  JüSEPflI. 


119 


Gekleidet  ist  die  Heilige  in  ein  langes  Untergewand  mit  darüber  liegendem 
Mantel,  der  an  der  linken  Seite  zu  einem  reichen  Gefältel  aufgerafft  ist.  Der 
Oberkörper  ist  außerdem  noch  in  ein  umgeschlagenes  Tuch,  dessen  Futter 
durch  einen  breiten  Überschlag  am  Halse  sichtbar  wird,  gehüllt,  doch  ist  dies 
Motiv  nicht  konsequent  durchgeführt  und  deshalb  nicht  ganz  klar  wieder- 
gegeben. Das  bekleidete  Christkind  sitzt  mit  übereinander  gelegten  Beinen 
auf  dem  linken  Arm  der  Mutter,  der  es  sein  Haupt  zuwendet.  In  der  Linken 
hält  es  einen  Vogel,  während  die  Rechte  mit  ausgestrecktem  Zeigefinger  auf 
diesen  hindeutet.  Eine  flache  achtseitige  Platte  dient  der  Figur  als  Sockel. 
Ergänzt  sind  der  rechte  Unterarm  der  Madonna  mit  dem 
Attribut,  und  einem  Stück  des  Gewandzipfels,  ferner 
die  Sockelplatte  mit  Teilen  der  unteren  Gewandpartieen. 
Schon  Essenwein  hat  sich  in  den  »Mitteilungen  aus 
dem  germanischen  Nationalmuseum«  II.  Bd.  1887 — 1889 
S.  231  eingehend  mit  der  Figur  beschäftigt  und  dabei 
das  Wesentliche  über  dieselbe  mitgeteilt.  Nur  ist  ihm 
ein  Irrtum  insofern  unterlaufen ,  als  er ,  verführt  durch 
die  Zartheit  und  Feinheit  der  Schnitzerei,  eine  ehemalige 
Bemalung  derselben  ablehnen  zu  müssen  glaubte.  Schon 
die  rein  plastisch  kaum  verständliche  Anordnung  der 
Gewandung  muß  darauf  führen,-  daß  durch  das  Mittel 
der  Malerei  die  großen  Gegensätze  deutlicher  gemacht 
wurden,  andrerseits  ist  es  auch  sicher,  daß  für  die 
frühe  deutsche  Plastik  Naturfarbe  des  Holzes  zu  den 
größten  Ausnahmen  gehört.  In  der  Tat  finden  sich  auch 
in  den  Poren  des  Holzes  Spuren  der  Grundierung  und 
der  Bemalung,  allerdings  nur  sehr  vereinzelt  und  mit 
unbewaffnetem  Auge  kaum  sichtbar.  Darnach  war  das 
Gewand  rot,  der  Mantel,  sowie  der  den  Oberkörper 
deckende  Stoff  blau,  der  Gewandumschlag  am  Halse 
wieder  rot.  Der  Rock  des  Kindes  war  blau.  Hinzu- 
fügen können  wir  noch,  daß  das  Stück  aus  Linz  am 
Rhein,  also  aus  dem  Kölner  Kunstkreise  stammt. 
In  dieser  Statuette  haben  wir  das  Musterbeispiel  einer  gotischen  Skulptur 
des  14.  Jahrhunderts:  alle  Schwächen  und  alle  Vorzüge  der  Zeit  treten  uns 
aufs  Deutlichste  entgegen.  Der  Schnitzer  hat  ein  wirkliches  Verständnis  des 
Körperorganismus,  des  wechselseitigen  Zusammenwirkens  der  einzelnen  Körper- 
teile sowie  der  Proportionen  noch  nicht  erworben,  seine  Gestalt  ist  überlang  und 
überschlank»  und  wenn  auch  der  Totaleindruck  ein  durchaus  erfreulicher  und 
anmutiger  ist,  so  darf  man  doch  nicht  verkennen,  daß  eben  nur  das  Gefühl 
und  nicht  die  Kritik  dies  Urteil  spricht.  Sehr  hübsch  und  voll  feiner  Empfindung 
ist  das  für  die  Zeit  merkwürdig  gut  modellierte  Gesicht,  dessen  zarte  Über- 
gänge und  Schwellungen  der  Meister  mit  besonderer  Liebe  nachgebildet  hat. 
Allerdings  ist  dasselbe  der  Anlage  nach  völlig  verschoben ,  worüber  nur  die 
Ansicht  von  vorne  hinwegtäuscht.    Die  anatomische  Unkenntnis  des  Schnitzers 


Abb.  12.    Madonna. 

Niederrheinisch. 

2.  H&lfte  de«  14.  Jahrh. 

PI.  0.  a09.    H.  45^  cm. 


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120  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM. 


und  sein  Ungeschick  in  der  Wiedergabe  des  Körperlichen  wird  vor  allem  durch 
die  linke  Hand  der  Maria  beweisen,  deren  Drehung  und  Wendung  bei  dem 
schwierigen  Motive  der  Umfassung  des  Kinderkörpers  der  ausführende  Meister 
noch  nicht  nachzubilden  vermochte.  Sehr  fein  und  zart  ist  wieder  die  Falten- 
gebung  des  Gewandes.  Diese  ist  am  Oberkörper  sehr  flach  und  gespannt,  am 
Unterkörper  wird  sie  plastischer  und  tiefer;  am  Oberkörper  ist  die  Fältelung 
fast  ausschließlich  horizontal,  während  am  Unterkörper  die  Richtungslinie  von 
der  linken  Hüfte  zum  rechten  Fuß  geht.  An  der  linken  Seite  ist  der  Mantel 
zusammengefaßt  und  bildet  eine  ziemlich  reiche  Fältelung,  die  in  ihrer  An- 
lage und  in  ihren  S-förmig  geschwungenen  Säumen  bereits  als  erste  Stufe 
jenes  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  herrschenden  Stoffreichtums 
und  jener  charakteristischen  Weichheit  der  Fältelung  anzusehen  ist. 

Stilistisch  gehört  die  Statuette  unzweifelhaft  in  das  14.  Jahrhundert  und 
zwar  in  die  zweite  Hälfte  desselben.  Wenn  wir  uns  näher  unter  den  datierten 
plastischen  Denkmälern  umsehen ,  so  finden  wir  eine  große  zeitstilistische 
Ähnlichkeit  mit  einzelnen  Figuren  im  Mittelstück  des  großen  Altars  vom 
Jahre  1379,  der  kürzlich  aus  der  Grabower  Kirche  nach  Hamburg  übertragen 
wurde.  (Schlie,  Kunst-  und  Geschichtsdenkmäler  von  Mecklenburg-Schwerin 
III.  S.  187  f.)  Die  Entwicklungsstufe  in  der  Erfassung  des  Ganzen  und  in  der 
Durchbildung  der  Einzelheiten  ist  im  allgemeinen  bei  beiden  Werken  die  gleiche, 
die  Faltengebung  ist  dort  eher  etwas  reicher  und  plastischer  als  bei  unserem 
Stück,  und  deshalb  wird  unser  Stück  —  zumal  wenn  man  die  künstlerische  Be- 
deutung Kölns  berücksichtigt  —  etwas  früher  anzusetzen  sein.  Aus  Köln  selbst 
steht  mir  leider  nicht  genügend  plastisches  Vergleichsmaterial  zur  Verfügung, 
doch  ist  die  ganze  Auffassung  der  Figur  eine  solche,  wie  sie  in  der  Malerei 
jener  Entwicklungsstufe  eigen  ist,  die  man  gewohnheitsmäßig  mit  dem  Namen 
des  Meister  Wilhelm  zusammenfaßt  und  die  zweifellos  an  Detaildurchbildung 
hinter  der  gleichzeitigen  deutschen  Plastik  zurücksteht.  Beiden  ist  die  zarte 
Innigkeit  in  der  Auffassung,  andrerseits  auch  das  Knochenlose,  Unwirkliche 
der  Körper  eigen,  sowie  der  feine  Geschmack  und  die  zarte  Anmut.  Auch 
die  Durchbildung  der  Gewandfältelung  steht  auf  der  gleichen  Stufe.  Aller- 
dings ist  dieser  Vergleich  nur  sehr  bedingt  zuzulassen,  denn  die  Malerei  steht 
infolge  ihrer  Technik  unter  völlig  anderen  Prinzipien  als  die  Plastik.  Wich- 
tiger ist,  daß  die  eigenartige  und  komplizierte  Gewandung  mit  dem  über  dem 
Mantel  getragenen  und  am  Halse  nach  außen  umgeschlagenen  Tuche  völlig 
identisch  am  Klarenaltare  im  Dom  zu  Köln  an  der  Gestalt  des  Verkündigungs- 
engels wiederkehrt  (Woltmann  und  Woermann,  Gesch.  der  Malerei  I.  Fig.  116), 
wie  auch  an  den  von  Lichtwark  (Mitteilungen  aus  dem  Germanischen  National- 
museum 1902  S.  45  fr),  dem  Hamburger  Meister  Bertram  zugeschriebenen 
Flügelgemälden  des  Grabower  Altars  von  1379  die  Gestalt  Gottvaters  in  der 
Szene  der  Schöpfung  der  Tierwelt  (vergl.  die  Abbildungen  bei  Schlie  und  bei 
Goldschmidt,  Lübecker  Malerei  und  Plastik,  Tafel  1)  identisch  gekleidet  ist 
und  hier  sogar  das  Motiv  des  an  der  einen  Seite  des  Halses  wieder  zurück- 
geschlagenen Halsumschlags  wiederkehrt.  Wenn  man  nun  in  Rücksicht  zieht, 
daß  weit  in  das  15.  Jahrhundert  hinein  die  Malerei  der  Plastik  in  der  Stilent- 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


121 


Wicklung  nachsteht,  wenn  man  ferner  berücksichtigt,  daß  die  weiblichen  Figuren 
des  Grabower  Altars  von  1379  zweifellos  entwickelter  sind  als  unser  noch 
dazu  aus  Köln  stammendes  Stück,  so  wird  man  dieses  mit  einiger  Sicherheit 
in  das  dritte  Viertel  des  14.  Jahrhunderts  versetzen  dürfen. 

Ebenfalls  aus  Köln  stammt  eine  31,5  cm  hohe  Statuette  der  stehenden 
Madonna  mit  dem  Kinde.  (PI.  O.  306  Abb.  13.)  Das  Material  ist  Lindenholz, 
dessen  ehemalige  Bemalung  in  recht  brutaler  Weise  entfernt  ist.  Auf  niedrigem 
profiliertem,  achtseitigem  Sockel  steht  Maria  mit  entlastetem  und  zurückge- 
setztem linken  Bein;  ihr  Körper  ist  stark  geschwungen  und  die  linke  Hüfte 
ausgebogen.  Sie  ist  barhäuptig,  ihr  Haar  ist  in  der  Mitte  gescheitelt  und 
fällt  beiderseits  in  welligen  Strähnen  auf  die  beiden  Achseln  und  die  Brust 
herab.  Gekleidet  ist  sie  in  der  gleichen  Weise,  wie  die  letzt- 
genannte Madonna.  Auf  dem  linken  Arm  hält  sie  das  kraus- 
köpfige Kind,  dessen  Unterleib  in  ein  Tuch  gehüllt  ist  und 
das  die  rechte  Hand  segnend  erhoben  hält,  während  seine 
Linke  einen  Apfel  umfaßt.  Das  Stück  ist  gut  erhalten.  Er- 
gänzt ist  nur  an  der  Madonna  die  rechte  Hand,  in  die  als 
Andeutung  eines  Szepters  ein  Stück  gerundeten  Holzes  ge- 
legt ist. 

Die  Figur  ist  nicht  ganz  so  fein  wie  die  vorher  behan- 
delte, ist  jedoch  stilistisch  etwas  vorgeschritten  und  entspricht 
ziemlich  genau  —  abgesehen  von  der  derberen  Individualität 
des  Hamburger  Meisters  —  den  Statuen  am  Grabower  Altar. 
Die  etwas  stärkere  Betonung  der  Querfalten  des  Oberkörpers, 
die  Stilisierung  der  untersten  Gewandfalten,  vor  allem  die  volle 
Abb  13  Madonna  "^^  Weiche  Häufung  der  Falten  des  aufgehobenen  Mantel- 
Niederrheinisch.      Zipfels  sowie  die  eigenartige  Linienführung  seines  Saumes  ist 

Ende  des  14.  Jahrh.     ./  V..       *    ,     .  .  ,     .       ,  t^  •       i 

PI.  0.  306.  H.  31^  cm.  ihnen  gememsam.    Die  Arbeit  mag  darnach  im  letzten  Drittel 
des  14.  Jahrhunderts  entstanden  sein. 

Innerlich  verkörpern  beide  Statuen  äußerst  charakteristisch  das  Ideal  nieder- 
rheinischer und  insbesondere  kölnerischer  Kunstübung.  In  ihnen  offenbart 
sich  dieselbe  Eigenart  und  derselbe  Geist  wie  in  den  Kölner  Gemälden  des 
14.  Jahrhunderts,  die  Muther  (Münchener  Cicerone  S.  5)  trefflich  mit  folgen- 
den Worten  würdigt:  »Gerade  das  gesteigerte  Empfindungsleben,  die  Stim- 
mungsschwelgerei  macht  uns  die  Bilder  so  lieb.  Es  ist  ein  so  moderner  Zug, 
wie  diese  Meister  aus  der  Wirklichkeit  sich  in  ein  Heimatland  der  Seele 
flüchten  und  es  mit  allen  Reizen  der  Mystik  umweben.  Gewiß  darf  man 
nicht  mit  realistischem  Maßstab  an  sie  herantreten.  Sie  wollen  garnicht  Wirk- 
liches wiedergeben.  Gerade  aus  der  Unterordnung  des  Körperlichen  unter 
das  Seelische  resultieren  alle  Vorzüge  ihrer  Kunst.  Die  typische  Ähnlichkeit 
der  Gestalten,  das  reine  Oval  der  Köpfchen,  ihre  schlanke,  biegsame  Anmut 

,   es  dient  dazu,  in  eine  ferne  Welt  zu  entrücken,   wo  alles  anmutig 

und  schön  ist,  die  Gefühle  zart  und  fein,  in  ein  Paradies,  wo  keine  Rohheit, 
kein  Mißton  die  große  Harmonie,  die  himmlische  Sphärenmusik  stört.« 

BlitteilniigeD  aus  dem  german.  Natioiialmuseuia.    1905.  16 


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122  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMÜSEÜM. 


Gegenüber  dieser  lyrisch-heiteren  Auffassung  des  Madonnenandachts- 
bildes drang  im  Verlaufe  des  Mittelalters  eine  dramatische  durch,  die  in  dem 
Bilde  der  Beweinung  Christi,  der  Pieta  oder  dem  Vesperbilde,  ihren  vollen- 
detsten Ausdruck  fand.  Diese  zweifigurige  Gruppe,  die  ursprünglich  nur  eine 
Teilscene  der  Kreuzigung  bildete,  wurde  mit  der  wachsenden  Bedeutung  des 
Marienkultus  zu  einer  Darstellung  der  sieben  Schmerzen  Maria,  wobei  die 
Mutter  als  Hauptperson  zu  gelten  hatte  und  Christus  —  daher  die  oft  ganz 
auffällige  Kleinheit  seines  Körpers  —  fast  zu  einem  Attribut  der  Maria  wurde. 


Abb.  14.    Pieta.    Um  1400.    PI.  0.  23.    H.  106  cm. 

Dieselbe  Geistesrichtung,  die  zu  dieser  neuen. Auffassung  führte,  äußerte  sich 
auch  in  der  Schaffung  eines  Festes  »Maria  Ohnmachtsfeier«,  das  am  Beginn 
des  15.  Jahrhunderts  (in  Köln  erst  1423)  eingeführt  wurde  (F.  Schmidt,  Bau- 
und  Kunstdenkmäler  der  Stadt  Nordhausen  1888  S.  220)  und  nun  wohl 
erneuten  Anlaß  gab  zur  Fertigung  der  vielen  Pieta-Statuen,  die  aus  der  ersten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  erhalten  sind.  Unter  seinen  Früh  werken  der  Holz- 
plastik besitzt  das  Germanische  Nationalmuseum  zwei  hierher  gehörige  Bei- 
spiele. Das  erste  (PI.  O.  23;  Abb.  14),  welches  angeblich  aus  dem  Kölner 
Dom  stammt,  ist  von  schwärzlich  gebeiztem  Nußbaumholz  und  hat  eine  Höhe 
von  106  cm.     Maria  sitzt  auf  einer  einfachen  Bank,  deren  Vorder-  und  Seiten- 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


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flächen  durch  aufgesetzte  Horizontalleisten  geziert  sind.  Auf  ihren  Knieen, 
von  ihrer  rechten  Hand  um  die  Mitte  des  Leibes  gefaßt,  von  ihrer  Linken  an 
den  Oberschenkeln  gehalten,  ruht  nach  typischer  Art  der  tote  Christus,  dessen 
Haupt  mit  dem  von  Schmerz  verzerrten  Antlitz  nach  rechts  niedergesunken 
ist.  Sein  linker  Arm  umfaßt  den  Hals  der  Mutter,  deren  kummervolles 
Antlitz  dem  Sohne  zugeneigt  ist. 

Maria  ist  in  ein  langes,  in  der  Mitte  gegürtetes  Gewand  gekleidet,  ein 
Manteltuch  bedeckt  ihr  Haupt,  zu  dessen  Seiten  je  eine  Locke  auf  die  Schul- 
tern und  die  Brust  herabfällt,  und  bauscht* sich,  von  links  nach  rechts  über 
die  Kniee  geworfen,  in  reicher  Fältelung  zwischen  den  Knieen  und  vor  den 
Unterschenkeln.  Der  Heiland  ist  nur  mit  dem  Lendentuch,  das  fast  bis  an 
die  Kniee  reicht,  bekleidet.  Auch  von  seinem  Haupte  fallen  zwei  lange 
Locken  auf  die  Schultern  herab.  Er  hat  einen  Schnurrbart,  sowie  einen  in 
zwei  Spitzen  auslaufenden  Kinnbart.  Zwei  durcheinandergewundene  Hanftaue 
bekrönen  sein  Haupt. 

Die  Gruppe  ist  schlecht  erhalten,  die  defekten  Teile  sind  roh  abgesägt 
und  waren  schlecht  erneuert,  doch  sind  diese  Ergänzungen,  mit  Ausnahme 
derjenigen  am  unteren  Gewandsaum  und  an  der  Sitzbank,  nunmehr  wieder 
entfernt.  Es  fehlen  an  der  Gestalt  der  Maria  beide  Hände,  bei  Christus  der 
ganze  rechte  Arm.  Die  Polychrom ierung  und  der  Kreidegrund  sind  völlig 
entfernt,  Farbspuren  sind  nicht  vorhanden,  da  sie  durch  die  braune  Beize 
zugedeckt  wurden.     Die  Rückseite  ist  gehöhlt. 

Der  Eindruck,  den  die  Gruppe  macht,  ist  ein  durchaus  unerfreulicher; 
die  Roheit,  die  sich  in  den  äußeren  Formen  geltend  macht,  ertötet  völlig 
den  edlen  geistigen  Inhalt  der  Darstellung  und  wirkt  geradezu  abschreckend. 
Der  Schnitzer  arbeitet  nur  mit  den  derbsten  und  gröbsten  Effekten,  zarte 
Übergänge,  das  Verfließen  der  einen  Form  in  die  andere,  vermag  ^r  nicht 
zu  geben.  Die  derbe  Formengebung  spricht  sich  vor  allem  im  ganzen 
Körperbau  aus,  weniger  in  der  Gewandfältelung,  bei  der  das  Ungeschick  des 
Schnitzers  wohl  einigermaßen  durch  das  reiche  Vorbildermaterial  ausgeglichen 
wurde.  Allerdings  wird  ehemals  auch  der  Kreidegrund  und  die  Bemalung 
manche  Härten  gemildert  haben.  Am  deutlichsten  zeigt  sich  die  Gestal- 
tungsart an  den  Rippen  Christi  und  deren  abruptem  Übergang  zu  den  Weich- 
teilen, es  kehrt  aber  genau  so  wieder  etwa  in  den  Parallelfalten  der  Stirnen, 
an  den  Bart-  und  Haupthaaren  und  in  den  allzu  scharf  geschnittenen  Gesichtern. 
Das  Gewand  spannt  sich  glatt  um  die  Brust  der  Maria,  deren  weibliche 
Formen  der  Schnitzer  noch  nicht  wiederzugeben  verstand;  nur  durch  einige 
wenige  rohe  Schrägschnitte  läßt  er  es  in  die  Gürtung  übergehen.  Sehr  reich, 
und  zwar  nicht  ohne  Geschick,  ist  die  über  und  zwischen  den  Knieen  lagernde 
Gewandung  belebt.  Sie  kommt  den  stoff-  und  faltenreichen  Gewändern  der 
ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  schon  sehr  nahe,  doch  fehlt  dem  Schnitzer 
noch  die  Fähigkeit  einer  durchgehenden  wirklich  freien  plastischen  Durch- 
arbeitung. Der  Stoff  lastet  noch  zu  sehr  am  Körper,  seine  Fülle  tritt  noch 
nicht  in  jener  Schönheit  in  Erscheinung,  wie  sie  das  beginnende  15.  Jahr- 
hundert zu  geben  verstand. 


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124  DjE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  ilERMANISCHEN  NATIONALMUSEÜM. 


Die  Datierung  des  Stückes  ist  schwierig,  da  für  den  Ort  der  Entstehung 
zuverlässige  Angaben  fehlen.  Auf  die  vage  Notiz,  das  Stück  habe  »angeblich« 
im  Kölner  Dom  gestanden,  kann  ich,  ganz  abgesehen  von  der  Unbestimmtheit 
derselben,  aus  stilistischen  und  künstlerischen  Gründen  kein  Gewicht  legen. 
Selbst  wenn  diese  Herkunft  fest  stände,  so  hat  doch  das  Stück  so  wenig 
von  der  Kölner  Art,  die  uns  an  den  vorbetrachteten  Arbeiten  aufs  klarste 
entgegentrat,  es  verhält  sich  vielmehr  so  gegensätzlich  zu  ihr,  daß  es  zwei- 
fellos nicht  aus  dem  eigentlichen  Kölner  Kunstkreise  stammt.  Von  den  mir  be- 
bekannten älteren  plastischen  Gruppen  der  Pieta,  die  regelmäßig  leider  nicht 


Abb.  15.    Pieta.    15.  Jahrh.    PI.  0.  24.    H.  69,5  cm. 

datiert  sind,  stimmt  keine  so  weit  mit  der  hier  behandelten  überein,  daß  man 
auch  nur  die  Vermutung  einer  identischen  örtlichen  Herkunft  aussprechen 
könnte.  Relativ  nahe  steht  ihr  —  ich  kann  nur  nach  der  Abbildung  urteilen  — 
die  in  den  Bau-  und  Kunstdenkmälern  von  Wesfalen  (Band  Münster-Land, 
Tafel  111  Nr.  4)  abgebildete  Pieta  der  Kapelle  von  Telgte,  die  dort  seltsamer 
Weise  »Übergang«  datiert  ist.  Die  gioße  Anzahl  teilweise  sehr  feiner  Vesper- 
bilder dieses  stoffreichen  weichen  Faltenstils,  die  das  Kunstinventar  Ober- 
bayerns veröffentlicht  hat  und  die  von  Riehl  in  seiner  Geschichte  der  Stein- 
und  Holzplastik  in  Oberbayern  (a.  a.  O.  S.  70  ff.)  einer  eingehenden  kunst- 
historischen Würdigung  unterzogen  sind,  sind  bei  einer  Datierung  von  etwa 
1400   bis  in  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  doch  wesentlich   entwickelter  als 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


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unser  Stück,  andrerseits  greift  aber  bei  unserem  Original  der  Faltenstil  so 
sehr  in  das  15.  Jahrhundert  hinüber,  daß  ich  keine  genauere  Datierung  als 
>um  1400«  zu  geben  wage. 

Nur  kurz  sei  die  zweite  Pieta  unserer  Sammlungen  erwähnt,  die  sehr 
wahrscheinlich  der  hier  betrachteten  Gruppe  der  Frühdenkmale  nicht  zeitlich 
angehört  und  nur  infolge  ihres  rustikalen  Fortschleppens  älterer  Motive  den 
älteren  Werken  zugerechnet  werden  kann.  Das  Stück  (PI.  O.  24;  Abb.  15), 
dessen  Herkunft  unbekannt  ist,  ist  aus  Lindenholz  und  69,5  cm  hoch;  die 
Rückseite  ist  hohl.  Maria,  in  ein  oben  sehr  enges,  unten  weites  Gewand 
und  in  das  über  die  Kniee  geworfene  Kopfmanteltuch  gekleidet,  blickt  mit 
rechtsseitiger  Neigung  des  Kopfes  zu  dem  auf  ihrem  Schöße  sitzenden 
und  nur  mit  dem  Lendentuche  bekleideten  bärtigen  Sohn  herab.  Ihre  Rechte 
umfaßte  ehemals  die  Schulter  Christi,  ihre  Linke  hält  über  seinen  Knieen 
hinweg  seine  rechte  Hand  gefaßt.  Die  Figur  war  auf  Kreidegrund  bemalt; 
die  zahlreichen  Farbspuren  beweisen,  daß  das  Gewand  der  Maria  rot,  ihr 
Mantel  blau  gewesen  ist.  Christi  Haare  waren  schwarz,  die  Bank  und  die 
Fußplatte  grün.     Es  fehlt  der  ehemals  angesetzte  linke  Arm  der  Maria. 

Die  große  Roheit  dieser  jedes  künstlerischen  Wertes  baren  Figur  läßt 
dies  Stück  älter  erscheinen,  als  es  tatsächlich  ist.  Der  allgemeine  Eindruck 
ist  der  einer  minderwertigen  Arbeit  des  späteren  14.  Jahrhunderts,  doch 
dürfte  es  tatsächlich  in  das  vorgeschrittene  15.  Jahrhundert  zu  setzen  sein. 
Die  Durchbildung  der  Gesichtszüge,  vor  allem  auch  das  trotz  des  geringen 
künstlerischen  Könnens  entwickelte  Vermögen  des  Schnitzers,  den  weiblichen 
Körper  zu  charakterisieren,  ebenso  die  Faltenstilisierung,  in  der  der  Schnitzer 
zwar  auch  nur  primitivste  Mittel  anwendet,  deren  Motive  jedoch  zu  der 
ruhigen  Einfachheit  des  14.  Jahrhunderts  gegensätzlich  sind  —  vergl.  als 
typische  Beispiele  des  späten  14.  Jahrhunderts  etwa:  Katalog  des  Bayerischen 
Nationalmuseums  VI  Nr.  519  und  Tafel  IX  —  lassen  auf  ein  bäuerliches  Werk 
der  Spätzeit  des  Mittelalters  schließen. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  einer  anderen  Gattung  von  Holzbildwerken 
zu,  den  Kruzifixen.  Frühe  Holzkruzifixe  sind  nicht  selten,  da  schon  mit  dem 
11.  Jahrhundert  der  Kruzifixus  zum  selbständigen  Andachtsbilde  wurde  und 
sich  ferner  nach  kirchlichen  Vorschriften  in  jeder  Kirche  eine  oder  mehrere 
Darstellungen  des  Gekreuzigten  befinden  mußten.  Daß  diese  sehr  altertüm- 
lichen Figuren,  mit  denen  sich  oft  ein  Wunderglaube  verband,  pietätvoll  ge- 
schont wurden,  ist  leicht  erklärlich,  und  das  bedingte  die  Erhaltung  sehr 
vieler  dieser  kunstlosen,  aber  oft  doch  recht  eindrucksvollen  Stücke. 

In  seiner  mehrfach  genannten  grundlegenden  Abhandlung  über  die  Ge- 
schichte der  Stein-  und  Holzplastik  in  Oberbayern  vom  12.  bis  zur  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts  weist  B.  Riehl  (S.  25)  darauf  hin,  ein  wie  hervorragen- 
des Interesse  die  künstlerische  Geschichte  des  Kruzifixes  in  den  früheren 
Perioden  verdient,  weil  dieses  allein  in  jenen  Zeiten  die  Gelegenheit  bietet, 
gleichzeitig  die  beiden  wichtigsten  Probleme  der  christlichen  Plastik,  die 
Durchbildung  der  Formen  des  menschlichen  Körpers,  sowie  die  Erfassung  und 


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126  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLA.STIK  IM  GERBIANISCHEN  NATIONALMÜSEÜM. 


Wiedergabe   des   seelischen   Momentes   des   Leidens   und   Sterbens   in    ihrer 
Entwicklung  zu  verfolgen. 

Das  Germanische  Nationalmuseum  ist  in  der  glücklichen  Lage,  vier 
frühmittelalterliche  Holzkruzifixe  zu  besitzen,  unter  denen  allerdings  nur  zwei 
den  ältesten  Viernägeltypus  zur  Darstellung  bringen.  Das  erste  derselben 
(P.  O.  34;  Abb.  16),  das  aus  Urach  stammt,  ist  von  Lindenholz  und  hat  eine 
Höhe  von  141  cm,  eine  Breite  von  144  cm.  Der  Leib  Christi  hängt  fast  senk- 
recht an  dem  (jetzt  verlorenen)  Kreuze;  nur  eine  leichte  Drehung  der  Unter- 
schenkel nach  rechts  bringt  eine  unbedeutende  Abweichung  der  Kniee  aus  der 
Vertikalen.    Die  besonders  angesetzten  Arme  sind  fast  horizontal  ausgestreckt, 


Abb.  16     Kruzifix.    Um  1200.    PI.  0.  34.    H.  141  cm. 

doch  ist  wie  die  linke  Schulter,  so  auch  der  linke  Arm  ein  wenig  höher 
gestellt.  Das  bärtige  Antlitz,  dessen  Augen  geschlossen  sind,  ist  nach  rechts 
geneigt,  das  Haar  ist  in  der  Mitte  gescheitelt  und  in  Parallelsträhnen  nach 
hinten  gestrichen;  eine  in  drei  Strähne  sich  teilende  Locke  —  dieselbe  Drei- 
teilung findet  sich  sehr  häufig,  so  beispielsweise  auch  an  dem  Kruzifix  von 
S.  Petronio  in  Bologna  vom  Jahre  1159,  an  einem  frühen  Kruzifix  in  St.  Jakob 
in  Regensburg  und  an  anderen  —  fällt  beiderseits  auf  die  Schultern.  Die  Beine 
sind  parallel  gestellt;  die  Füße  neben  einander  genagelt.  Ein  Lendentuch  be- 
deckt Unterkörper  und  Oberschenkel  bis  an  die  Kniee.  Es  ist  durch  einen 
Riemen  um  den  Körper  gegürtet;  zwei  symmetrisch  angeordnete  Tuchknoten, 
um  die  kunstvoll  der  Riemen  geschlungen  ist,  heben  den  unteren  Saum  des 
Tuches   und   geben  Gelegenheit,   eine  kunstvoll  drapierte  Fältelung  über  den 


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Knieen  anzubringen.    An  beiden  Hüften  fallen  die  Tuchenden  über  die  Gür- 
tung nach  außen  herüber. 

Eine  so  gekünstelte  Verknotung  wiederzugeben,  scheint  bei  den  Plastikern 
dieser  Zeit  besonders  beliebt  gewesen  zu  sein,  wie  viele  Denkmale  beweisen. 
Ich  erwähne  als  besonders  charakteristische  Beispiele  etwa  den  großen  Holz- 
kruzifixus  im  Münchener  Nationalmuseum,  das  im  westfäHschen  Kunstinventar 
abgebildete  Stück  zu  Walstedde  oder  den  bekannten  Kruzifixus  zu  Innichen 
in  Tirol ;  ferner  aus  der  Kleinplastik  die  vielen  kleinen  als  Buchdeckelschmuck 
oder  als  Tragkreuze   verwandten   Bronzekruzifixe   der   spätromanischen   Zeit. 

Unser  Stück  ist  gut  erhalten,  auch  die  alte  Bemalung  auf  dem  Kreide- 
grund ist  noch  vorhanden;  der  Körper  ist  fleischfarben,  die  Haare  sind  braun, 
das  Lendentuch  braunrot,  seine  Unterseite,  die  in  den  Knoten,  an  den  seit- 
lichen Überschlägen  und  in  der  Fältelung  des  Saums  sichtbar  wird,  ist  leuchtend 
rot.  Ebenso  sind  an  den  entsprechenden  Stellen  rote  Blutspuren  angegeben. 
Es  fehlen  nur  einzelne  Teile  der  Finger  sowie  die  Füße;  doch  beweisen  die 
Stümpfe  mit  Sicherheit,  daß  die  Figur  den  Viernägeltypus  zur  Darstellung 
bringt.  Die  Rückseite  hat  zum  Zwecke  der  Entlastung  eine  kastenartige  Ver- 
tiefung. 

Wenn  auch  der  Allgemeineindruck  der  Figur  ein  sympathischer  ist,  so 
muß  man  doch  den  Verfertiger  derselben  als  künstlerisch  roh  bezeichnen. 
Der  Versuch  einer  detaillierteren  Nachbildung  der  Natur  ist  gemacht,  der 
Erfolg  blieb  jedoch  ein  ziemlich  geringer.  Die  Auffassung  der  einzelnen 
Formen  ist  flau  und  unbestimmt.  Der  Körper,  der  in  seinen  Umrissen  der 
Werkform-  des  Holzes  noch  sehr  nahe  bleibt,  ist  fast  gar  nicht  modelliert, 
auch  die  zeichnerische  Angabe  der  Rippen  und  ihres  Übergangs  zu  der  flachen 
Brust  kann  nur  rein  schematisch  genannt  werden.  Immerhin  deutet  aber  die 
Neigung  des  grob  gezeichneten  Kopfes  mit  seinen  großen  halbkugelig  vor- 
tretenden geschlossenen  Augen,  sowie  das  seitliche  Ausweichen  der  Unter- 
schenkel und  die  Erhöhung  der  linken  Schulter  auf  ein  bewußtes  Abweichen 
von  jenem  bisher  üblichen  und  auch  sonst  in  der  Statue  noch  herrschenden 
Prinzipe  der  Frontalität.  Besser  ist  das  Lendentuch  mit  seinen  äußerst  real 
wiedergegebenen  Verknotungen  behandelt.  An  dem  Saum  tritt  uns  genau 
das  gleiche  Prinzip  der  symmetrisch  festgedrückten  Zickzackfalten  entgegen, 
wie  wir  es  bereits  an  der  an  zweiter  Stelle  behandelten  Sitzstatue  der  weib- 
lichen Heiligen  (Abb.  2)  beobachten  konnten.  Sehr  unangenehm  fallen  die 
viel  zu  hoch  angesetzten  rohen  Ohren  auf. 

Der  zweite  Kruzifix  des  Viernägeltypus  (PI.  O.  36;  Abb.  17)  ist  103  cm 
hoch  und  91  cm  breit,  das  Material  ist  Lindenholz;  nur  der  Körper  ist  er- 
halten, während  das  Kreuz  verloren  gegangen  ist.  Das  Bildwerk  stammt  aus 
einer  Kirche  am  Bodensee. 

Der  hagere  Leib  Christi  hängt  mit  ausgestreckten,  doch  leicht  erhobenen 
Armen,  die  auch  hier  besonders  angesetzt  sind,  am  Kreuze.  Die  rechte  Hüfte 
ist  stark  ausgebogen,  die  fast  parallel  gerichteten  Füße  waren  mit  je  einem 
Nagel,  anscheinend  auf  einem  Suppedaneum,  befestigt. 


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128  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMÜSEUM. 

Der  Kopf  ist  vorgeschoben  und  stark  nach  rechts  geneigt;  das  Gesicht 
ist  bärtig  und  zwei  sich  spaltende  Locken  fallen  über  die  nur  an  den  Läpp- 
chen sichtbaren  Ohren  zu  beiden  Seiten  auf  die  Achseln  herab.  Ein  scharfer 
Horizontaleinschnitt  um  den  überhohen  Scheitel  deutet  an,  daß  sich  hier 
ehemals  ein  Reif  befand.  Das  Lendentuch  reicht  bis  an  die  Kniee;  es  ist 
durch  ein  Tau  um  den  Körper  gegürtet  und  vorne  durch  einen  kunstvollen 
Knoten  befestigt.  Zu  beiden  Seiten  fallen  die  Tuchenden  über  die  Gürtung 
herab.     Die  Rückseite  ist  gehöhlt. 


Abb.  17.    Kruzifix.    Erste  Hälfte  des  13.  Jahrh.    PI.  0.  36.    H.  IC3  cm. 

Die  Figur  ist  in  späterer  Zeit  mit  einer  dicken  weißlichen  Ölfarbe  be- 
malt. Wahrscheinlich  war  auch  die  älteste  Bemalung  des  nackten  Körpers 
weißgrau,   vielfache  Spuren   zeigen,   daß  das  Lendentuch  rote  Färbung  hatte. 

Die  Arbeit  ist  sehr  roh  und  repräsentiert  eine  tiefe  Stufe  künstlerischen 
Schaffens.  Durch  die  Ausbeugung  der  Hüfte  wird  zwar  der  Versuch  ge- 
macht, dem  Körper  etwas  Leben  einzuflößen,  allein  dies  Mittel  ist  doch  ein  zu 
äußerliches  und  drastisches,  um  eine  tiefer  gehende  Wirkung  zu  erzielen. 
Die  Versuche  des  Schnitzers,  den  menschlichen  Körper  naturgetreu  zu  ge- 
stalten, sind  interessant,  doch  bleibt  der  Erfolg  ein  recht  geringer.  Das  Her- 
vortreten der  Bauchpartie,  die  zahllosen  parallelen  Linien,  die  das  Knochen- 
gerü.st  des  Brustkorbes  zur  Darstellung  bringen  sollen,  alles  dies  deutet  doch 
eine  recht  primitive  Stufe  an  und  wirkt  fast  wie  eine  Karrikatur. 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


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Geradezu  abschreckend  ist  die  Rohheit  in  der  Wiedergabe  der  Gesichts- 
züge; die  glotzenden  schräge  gestellten  Augen,  die  zurücktretende  unpro- 
portionierte Kinnpartie,  die  eingefallenen  Backen  und  die  übermäßig  stark 
markierten  Züge  in  den  von  der  Nase  zum  äußersten  Mundwinkel  sich  hin- 
ziehenden Gesichtsflächen,  alles  dies  zeigt  zwar  deutlich  das  Streben  des 
Schnitzers  den  »Leidensmannc  charakteristisch  darzustellen,  allein  sein  Können 
hielt  nicht  mit  seinem  Wollen  gleichen  Schritt  und  so  konnte  nur  eine  groteske 
Verzerrung  des  beabsichtigten  Ideals  daraus  werden. 

An  dritter  Stelle  ist  der  große  Kruzifixus  (PI.  O.  33;  Tafel  V)  zu  nennen, 
der  sich  nach  einer  alten  Katalognotiz  ehemals  als  Triumphkreuz  in  der 
Kirche  St.  Maria  im  Kapitol  zu  Köln  befand.  Leider  steht  mir  nicht  geeignetes 
älteres  bildliches  Material  zur  Verfügung,  um  die  Herkunft  mit  Sicherheit 
feststellen  zu  können;  aus  der  Literatur,  soweit  diese  mir  zur  Hand  war, 
konnte  ich  eine  Identifizierung  nicht  vornehmen. 

Der  Körper,  der  noch  an  dem  alten  wohlerhaltenen  Kreuze  von  Fichten- 
holz befestigt  ist,  ist  von  Lindenholz  und  hat  eine  Höhe  von  220  cm,  eine 
Breite  von  200  cm.  Das  Kreuz,  das  352  cm  hoch  und  263  cm  breit  ist, 
ähnelt  in  seiner  Ausstattung  dem  bei  Matthaei  (Holzplastik  in  Schleswig-Hol- 
stein. Tafel  II  Nr.  5)  abgebildeten  des  Hüruper  Kruzifixus:  es  hat  in  der 
Mitte  eine  teller-  oder  kranzartige  Erweiterung,  der  Stamm  ist  mit  kreisrunden, 
ausgehöhlten  Ansätzen  versehen,  nur  laufen  die  Kreuzesenden  nicht,  wie  dort, 
in  kreisrunde  Verstärkungen  aus,  sondern  verbreitern  sich  in  geschweifter 
Umrißlinie. 

Mit  ausgebreiteten  Armen,  die  stark  nach  oben  gestreckt  sind,  hängt  der 
Leib  des  Herrn  mit  einer  ausgesprochenen  Neigung  nach  rechts  am  Kreuze. 
Sein  bebartetes  und  von  Locken  umrahmtes,  mit  einem  Blattreif  gekröntes 
Haupt  ist  Schrägerechts  nach  vorne  geneigt,  die  Kniee  sind  nach  links  ge- 
schoben, die  Füße  über  einander  gelegt  und  von  einem  Nagel  durchbohrt. 
Ein  Lendentuch,  dessen  Gürtung  nicht  klar  zum  Ausdruck  kommt,  mit  kom- 
plizierten Fältelungen  und  Überschlägen  an  beiden  Seiten  ist  unter  den 
Hüftknochen  befestigt  und  reicht  bis  zu  den  Knieen. 

Die  Figur,  die  hinten  gehöhlt  ist  und  bei  der  Arme  und  Kopf  besonders 
gearbeitet  und  angesetzt  sind,  ist  sehr  gut  erhalten.  Es  fehlt  nur  die  hintere 
Blattzacke  der  Krone;  ergänzt  sind  das  untere  Glied  des  Daumens,  sowie  die 
ganzen  Zeige-  und  Mittelfinger  der  rechten  Hand,  ferner  die  linke  Blattzacke 
der  Krone. 

Die  häßliche  Ölfarbenbemalung  —  weiß-gelb  mit  Goldbronze  —  wird 
dem  17.  oder  18.  Jahrhundert  entstammen;  ursprünglich  waren,  wie  unter 
jenem  Farbauftrag  deutlich  ersichtlich  ist,  das  Fleisch  weiß  mit  rosa  Tönung 
im  Gesicht,  die  Haare  braun,  der  Schurz  blau  und  die  Krone  golden.  Über 
die  ehemalige  Färbung  des  Kreuzes  war  nichts  Sicheres  festzustellen,  vielleicht 
entsprach  sie  der  heutigen. 

Wenngleich,  wie  später  nachzuweisen  sein  wird,  alle  drei  bisher  betrach- 
teten Kruzifixe  hinsichtlich  ihrer  Entstehungszeit  nicht  allzu  sehr  differieren 
dürften,   so  steht   doch   diese  Kölner  Arbeit  künstlerisch  erheblich  höher  als 

MitteilangOD  aus  dem  gorman.  Nationalmuseum.    1905.  17 


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130  DfE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEÜM. 


die  anderen.  Die  Entwicklungsstufe  ist  ja  noch  eine  primitive,  aber  inner- 
halb dieser  zeigt  sich  der  Schnitzer  doch  als  ein  selbstständig  denkender  und 
beobachtender  feinsinniger  Künstler.  Er  vermag  dem  Körper  einen  wirklich 
ausgesprochenen  Leidenszug  aufzuprägen;  der  Beschauer  ist  gezwungen,  dem 
Meister  zu  glauben,  was  er  zur  Darstellung  bringt,  er  muß  sich  in  die  be- 
absichtigte Stimmung  einfühlen. 

Schon  in  der  Verschiebung  der  Richtlinien  des  Körpers  spricht  sich 
das  feine  Empfinden  des  Meisters  aus;  der  Eindruck  des  natürlichen  Hängens 
und  damit  des  Leidens  drängt  sich  durch  diese  nicht  wie  vorher  gewaltsame, 
sondern  scheinbar  ungewollte  Abweichung  von  der  Senkrechten  und  damit 
von  der  starren  Frontalität  dem  Beschauer  zwingend  auf.  Und  dieser  Ein- 
druck wird  verstärkt  durch  das  nicht  minder  ungewollte  kraftlose  Seitwärts- 
neigen des  Hauptes.  Weniger  glücklich  ist  der  Meister  in  der  Wiedergabe 
des  Gesichtsausdrucks ;  der  schwierigen  Aufgabe  des  höchsten  Schmerzaffektes 
war  er  noch  nicht  gewachsen,  und  so  mußte  er  sich  damit  begnügen,  dem 
allerdings  gut  durchgearbeiteten  Antlitz  den  Ausdruck  eines  ruhig  Schlafen- 
den zu  geben.  Sehr  fein  und  reich  ist  dagegen  wieder  die  Modellierung  der 
Brust  und  des  Bauches.  Die  Rippen  entbehren  zwar  anatomischer  Richtigkeit, 
allein  die  durch  das  Knochengerüst  bewirkten  und  durch  die  Hautdecke  wieder 
ausgeglichenen  Hebungen  und  Senkungen,  vor  allem  aber  der  ganz  vorzüglich 
wiedergegebene  Übergang  zu  der  weichen  Bauchpartie  verraten  doch  schon  ein 
eingehendes  und  zielbewußtes  Naturstudium,  das  sich  mit  einem  feinen  künst- 
lerischen Empfinden  paart.  In  dieser  Hinsicht  —  allerdings  auch  nur  in  dieser 
—  steht  das  Werk  selbst  dem  herrlichen  zeitgenössischen  Wechselburger  Kruzi- 
fixus  nicht  nach.  Viel  weniger  gut  sind  die  mageren  Extremitäten,  vor  allem 
die  Arme,  und  gar  bei  der  klotzigen  Wiedergabe  des  Lendentuchs  mit  seinen 
unwahrscheinlichen  Seitenfalten  versagt  das  Können  des  Meisters  vollkommen. 
Man  sieht,  es  ist  noch  die  Zeit  der  tastenden  Versuche;  für  eines  sind  dem 
Künstler  die  Augen  geöffnet,  für  anderes  noch  nicht,  und  so  erklärt  sich  in 
seinem  Werke  jener  seltsam-krasse  Widerspruch  zwischen  feiner  Empfindung 
und  unkünstlerischer  Roheit,  der  in  einer  Zeit  fortgeschrittenerer  Entwicklung 
undenkbar  wäre. 

Über  den  Kruzifixus  im  allgemeinen  und  die  den  einzelnen  Perioden 
eigene  Auffassung  und  Darstellungsweise  hat  zuletzt  Matthaei  in  seiner  »Holz- 
plastik in  Schleswig-Holstein«  S.  23  ff.  zusammenfassend  gehandelt.  Nach 
Matthaei,  der  sich  in  seinen  Forschungen  vor  allem  auf  Kraus  stützt,  wird 
dem  in  der  romanischen  Zeit  vor  dem  Kreuze  stehenden  oder  an  dasselbe 
genagelten  Christus  mit  dem  Typus  des  Heldenjünglings  im  Verlauf  des 
12.  Jahrhunderts  die  Königskrone  hinzugefügt;  seine  Kleidung  ist  das  Lenden- 
tuch oder  ein  langer  Rock.  Die  letztere  Bekleidungsart  führte  zu  einer  Zeit, 
wo  nur  der  mit  dem  Schurz  bekleidete  historisch  aufgefaßte  Christus  den 
Andächtigen  geläufig  war,  zur  Entstehung  der  Legende  einer  neuen  weib- 
lichen Heiligen,  der  Wilgefortis  oder  Kümmernis,  einer  in  ihrem  Wesen  heute 
noch  nicht  ganz  aufgeklärten  Heiligen,  deren  Legende  oft,  vornehmlich  im 
schiffahrttreibenden  Norden,  mit  den  Sagen  vom  Volto  Santo  in  Lucca  durch- 


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VON  DR.  W.  JOSEPflI.  131 


setzt  wurde  und  von  der  auch  das  Germanische  Museum  ein  plastisches  Bild- 
werk vom  Schlüsse  des  Mittelalters  besitzt  (PI.  O.  134).  Zu  der  gleichen 
Zeit,  also  schon  im  12.  Jahrhundert,  machte  sich  aber  im  Gegensatz  zu  dieser 
symbolischen  Auffassung  eine  mehr  historische  geltend,  infolge  derer  der  Ge- 
kreuzigte als  Sterbender  oder  Toter  dargestellt  wurde.  Der  Übergänge  zwischen 
beiden  Auffassungen  gibt  es  viele,  meist  blieb  auch  dem  historisch  aufgefaßten 
Heilande  die  symbolische  Krone,  die  erst  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
(Riehl  S.  26)  verschwand.  Mehr  und  mehr  trat  dann  der  reine  Ausdruck  des 
Leidens  in  den  Vordergrund,  um  schließlich  mit  dem  letzten  Drittel  des 
13.  Jahrhunderts  ausschließlich  herrschend  zu  werden. 

Als  ein  wichtiges  äußerliches  Merkmal  bei  der  Datierung  frühmittel- 
alterlicher Kruzifixe  pflegt  man  das  Aufkommen  des  Dreinägeltypus  anzusehen, 
und  in  der  Tat  wäre  dies  ein  treffliches  Hilfsmittel,  wenn  diese  neue  Auf- 
fassung sich  zu  einer  fest  bestimmbaren  Zeit  geltend  gemacht  hätte.  Wenn 
auch,  wie  Kraus  nachgewiesen  hat,  schon  die  Dichtung  des  12.  Jahrhunderts 
von  den  drei  Nägeln  Christi  spricht,  so  wurde  doch,  wie  mit  Recht  behauptet 
wird,  diese  Darstellung  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
bei  den  Werken  der  bildenden  Kunst  allgemein  üblich;  allein  dies  beweist 
infolge  der  durchgehenden  Undatiertheit  der  Frühwerke  für  den  Einzelfall 
durchaus  nichts. 

Die  Gesamtauffassung  sowie  die  Äußerlichkeiten  können  demnach  zwar 
einen  leisen  Anhalt  für  die  Datierung  geben;  trotzdem  wird  man  aber  das 
Schwergewicht  auf  die  stilistische  Durchbildung  der  Körperformen  zu  legen 
haben,  wenn  man  auch  hier,  wie  schon  an  einleitender  Stelle  ausgeführt  ist, 
stets  festhalten  muß,  daß  die  Fehlerquelle  eine  sehr  große  ist.  Der  älteste 
steife  Stil,  der,  wie  Riehl  (a.  a.  O.  S.  25)  mit  Recht  betont,  einfach  ein 
streng  archaischer  ist  und  keineswegs  in  byzantinischen  Einflüssen  gründet, 
erfuhr  mit  dem  Übergang  zum  13.  Jahrhundert  eine  Belebung,  die  dann  gegen 
Ende  desselben  Jahrhunderts  zu  der  gotischen  Art  extremer  Heftigkeit  in  Aus- 
druck und  Bewegung  ausartete.  Allerdings  darf  man  diese  Beurteilung  nur 
als  Durchschnittswertung  auffassen;  denn  Ausnahmen  —  ich  denke  etwa  an 
den  sehr  belebten  und  historisch  aufgefaßten  Kruzifixus  im  hortus  deliciarum 
(um  1175)  —  sind  nicht  selten. 

Der  an  erster  Stelle  betrachtete  Kruzifixus  (Abb.  16)  dürfte,  wenngleich 
ihm  die  Krone  fehlt  (ein  Bohrloch  an  der  Stirne  scheint  allerdings  auf  eine 
solche  hinzudeuten)  nach  Auffassung  und  Stil  der  älteste  sein.  Die  Technik 
des  Schnitzers  ist  eine  recht  geringwertige,  sein  künstlerisches  Sehen  ist  un- 
entwickelt, die  Werkform  des  runden  Baumstammes  bleibt  für  die  Körper- 
gestaltung fast  ausschließlich  maßgebend.  Nur  die  Neigung  des  Hauptes  und 
die  ein  wenig  aus  der  Vertikalen  verschobenen  Kniee  führen  einen  Anflug 
von  Belebung  herbei.  Die  Arbeit  wird  der  Gruppe  der  um  die  Wende  vom 
12.  zum  13.  Jahrhundert  entstandenen  Arbeiten  einzureihen  sein.  Die  scharf- 
brüchige Stilisierung  der  zierlich  gelegten  Falten  des  Herrgottsrocks,  die  sich 
im  Prinzip  wenig  von  der  in  Abb.  2  wiedergegebenen  thronenden  Heiligen 
unterscheidet,  führt  ebenfalls  auf  diese  Zeit. 


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132  r)IE  FRÜHWERKK  DER  HULZPLASl'lK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEÜM. 


Viel  roher,  aber  doch  in  der  Auffassung  entwickelter  ist  der  in  Abb.  17 
wiedergegebene  Kruzifixus,  der,  wie  auch  das  große  Kölner  Triumphkreuz 
(Tafel  V)  in  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  entstanden  sein  wird. 
Gegen  eine  spätere  Zeit  spricht  bei  letzterem  vor  allem  die  derbe  und  klotzige 
Behandlung  des  Lendentuchs. 

Etwas  jünger,  aber  nach  Maßgabe  der  Krone  schwerlich  weit  in  die 
zweite  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  hineinreichend,  wird  der  sehr  verwitterte 
Holzkruzifixus  (PI.  O.  35;  Abb.  18)  sein,  der  von  der  Spitalbrücke  zu  Saal- 
feld in  Thüringen  stammt.  Er  ist  von  Lindenholz,  98  cm  hoch  und  jetzt 
85  cm  breit,  das  Kreuz  fehlt.     Der  Körper,  der  mit  dem  an  der  linken  Seite 


Abb.  18.    Krnzifixu.s.    Aus  Saalteld.    Zweite  Hälfte  des  13.  Jahrh. 
PI.  U.  35.    H.  98  cra. 

durch  einen  Knoten  geschickt  gerafften  Lendentuch  bekleidet  ist,  ist  rechts 
ausgebogen,  der  rechte  F'uß  deckt  den  linken  und  beide  sind  mit  einem 
Nagel  durchbohrt.  Das  Haupt  ist  gekrönt,  das  Antlitz,  das  auf  die  rechte 
Seite  geneigt  ist,  scheint  scharf  geschnitten  gewesen  zu  sein.  Die  angesetzten 
dünnen  Arme,  sind  etwas  nach  oben  gestreckt;  von  der  rohen  rechten  Hand 
sind  nur  drei  Finger  cthalten,  die  linke  Hand  fehlt.  Das  Stück,  das  wohl 
lange  im  Freien  hing,  ist  so  sehr  von  der  Witterung  mitgenommen,  daß  es 
kün.stlerisch  nicht  mehr  gewürdigt  werden  kann.  Doch  zeigen  die  Grund- 
züge, daß  die  Gesamtauffassung  eine  viel  freiere  war  als  an  den  vordem  be- 
trachteten Werken. 

Den   entwickelten   hochgotischen  Typus   mit   seinen   fast  übertreibenden 
(jliederverenkungcn    und   seiner  tiefen   seelischen  Empfindung  verkörpert  gut 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI.  133 


ein  sehr  feiner,  angeblich  aus  Köln  stammender  Kruzifixus  von  Eichenholz 
(PL  O.  308;  Abb.  19),  bei  dem  ebenfalls  das  Kreuzesholz  fehlt.  Das  rund- 
plastisch gearbeitete  Figürchen  ist  37  cm  hoch  und  31  cm  breit. 

Christus  hängt  mit  stark  ausgebogener  linker  Hüfte  am  Kreuzesstamm, 
sein  Haupt  ist  mit  einer  leichten  Neigung  nach  rechts  vorwärts  gesunken. 
Die  langen  Locken,  die  sein  schmerzerfülltes  bärtiges  Gesicht  umrahmen, 
sind  nach  vorne  gefallen  und  hängen  zum  Teil  frei  vor  dem  Antlitz.  Der 
Körper  ist  durch  eigene  Schwere  tief  nach  unten  gesunken;  die  Arme  sind 
daher  schräge  nach  aufwärts  gestreckt,  die  Kniee  aber  sind,  da  die  von 
einem  Nagel  durchbohrten  Füße  fest  in  ihrer  Lage  verbleiben  mußten,  in 
scharfer  Knickung  nach  links  herausgedrückt  (die  seitlich  aufgenommene  Ab- 


N 


/ 


Abb.  U).    Kruzifixus.    Um  1400.    PI.  ü.  308.    H.  37  cm. 

bildung  versagt  hier).  Ein  Leiideiituch  mit  breitem  Überschlag  liegt  mit  ein- 
facher Faltung  um  die  Hüften.  Es  fehlen  an  der  rechten  Hand  der  kleine 
Finger,  an  der  linken  alle  Finger  mit  Ausnahme  des  Daumens.  Ergänzt  sind 
die  rechte  Hand  sowie  der  Daumen  der  linken  Hand,  ferner  Teile  der  Locken. 

Das  Stück  war  ehemals  polychromiert,  wie  die  Reste  des  Kreidegrundes 
in  den  Poren  anzeigen. 

Das  seelische  Moment,  das  uns  in  diesem  Stück  entgegentritt,  ist  grund- 
verschieden von  dem  der  anderen  Bildwerke.  Wenn  auch  schon  bei  jenen 
sich  durch  das  Leiden  die  historische  Auffassung  geltend  machte,  so  milderte 
doch  noch  immer  eine  gehaltene  Ruhe  den  Affekt,  und  die  Krone  wies  deut- 
lich darauf  hin,  daß  bei  dem  Verfertiger  die  alte  Reminiszenz  an  den  Be- 
herrscher der  Welt,  der  vor  dem  Kreuze  triumphierend  dasteht,  nicht  un- 
wesentlich   mitwirkte.     All    dieses    ist  jetzt   abgestreift;    wir    haben    hier   voll 


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134  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATION ALMÜSEÜM, 


ausgebildet  und  in  einem  charakteristischen  Beispiel  jenen  Typus,  dessen 
Begründung  Kraus  treffend  gibt,  wenn  er  sagt:  »der  ausgebogene,  stark  ge- 
schwungene Körper,  der  oft  so  heftige  Ausdruck  des  leidvollen  Antlitzes,  die 
Verrenkung  der  Glieder,  alles  das  sind  Züge  jener  tiefgreifenden  seelischen 
Erregung,  welche  als  ein  Erzeugnis  der  allgemeinen  Verfassung  der  Geister 
dem  14.  und  15.  Jahrhundert  eigen  ist  und  in  der  gesamten  Skulptur  und 
Malerei  der  gotischen  Periode  wiederkehrt«  (Gesch.  d.  christl.  Kunst  II  1,  S.  324). 
Die  Durchbildung  des  Körpers  ist  eine  sehr  feine  und  dezente  und 
zeugt  von  einem  relativ  großen  anatomischen  Verständnis  des  Schnitzers. 
Auch  die  gewaltsame  Bewegung  des  Körpers  ist  gut  erfaßt  und  wieder- 
gegeben. In  krassem  Widerspruch  dazu  stehen  seltsamerweise  die  wenig 
durchgebildeten  Arme.  Das  Vollendetste  an  dem  Stücke  ist  der  äußerst 
fein  erfaßte  Kopf  mit  den  scharfgeschnittenen  und  lebensvollen  Zügen  eines 
Leidenden.  Die  naturalistische  Modellierung  derselben,  die  subtile  Durch- 
führung des  Bartes,  überhaupt  die  künstlerisch  fein  durchgebildete  Anlage  des 
Kopfes  läßt  sich  zeitlich  schlecht  vereinen  mit  der  verzerrten  Körperhaltung  und 
der  stilistischen  Auffassung  des  Lendentuchs.  Diese  beiden  letzten  Momente 
scheinen  im  Großen  und  Ganzen  aus  dem  Können  und  der  Geschmacksrich- 
tung vom  Ende  des  14.  Jahrhunderts  hervorgegangen  zu  sein.  Von  datierten 
Skulpturen,  die  annähernd  die  gleiche  Auffassung  zum  Ausdruck  bringen,  ist 
mir  nur  ein  zwar  etwas  roheres,  aber  doch  zeitstilistisch  ziemlich  identisches 
Relief  in  Kneiting  bei  Regensburg  bekannt,  das  drei  im  Jahre  1368  ertrunkenen 
Nonnen  errichtet  ist.  Auch  der  mittlere  Kruzifix  am  Portal  von  St.  Lorenz 
in  Nürnberg  (nach  Pückler-Limpurg  ca.  1350 — 1360  entstanden)  bietet  einige 
Analogien.  Mit  dieser  Datierung  steht  aber  die  gehaltvolle  und  vornehm- 
realistische Durchbildung  des  Hauptes  in  unüberwindbarem  Gegensatz,  die 
fast  an  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts  verweist.  Da  sich  aber  die  stilistischen 
Merkmale  des  späten  14.  Jahrhunderts  in  so  hohem  Maße  geltend  machen, 
so  wage  ich  nicht,  die  Arbeit  später  als  um  1400  anzusetzen.  Ich  betone 
jedoch,  daß  ich  diese  Datierung  als  eine  rein  hypothetische  ansehe,  die  durch- 
aus einer  Bestätigung  bedarf.  Diese  muß  erst  noch  in  der  Tatsache,  daß  die 
Kölner  Schnitzschule  des  frühen  15.  Jahrhunderts  bereits  so  vollendet  durch- 
gebildete Köpfe  zu  schaffen  wußte,  gegeben  werden. 

Die  Figur  eines  stehenden  Königs  (Fl.  O.  312;  Abb.  20),  Eichenholz, 
55  cm  hoch,  welche  durch  Schenkung  in  das  Germanische  Nationalmuseum 
gelangte  und  aus  den  Moselgegenden  stammt,  ist  nach  Material  und  Herkunft, 
vor  allem  aber  stilistisch,  ebenfalls  dem  niederrheinischen  Kunstkreise  ein- 
zureihen. Die  Figur  des  Heiligen,  dessen  Haupt  mit  einem  niedrigen,  oben 
ausgebogten  Kronreif  bedeckt  ist,  wird  wohl  —  man  vergleiche  z.  B.  die  in 
der  Haltung  fast  identische  Figur  des  »Caspar«  im  Münchner  Nationalmuseum 
(Katalog  Bd.  VI  1896  S.  328  und  Tafel  IV;  erste  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts  —  ein  Teilstück  der  Gruppe  der  drei  Weisen  aus  dem  Morgenlande 
sein,  und  zwar  scheint  nach  den  offenbar  jugendlichen  Gesichtszügen  zu  urteilen 
der  Jüngste  dargestellt  zu  sein. 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


135 


Die  Last  des  ziemlich  unproportionierten  Körpers 
ruht  bei  etwas  gezwungener  Körperhaltung  auf  dem 
rechten  Fuß,  der  linke  ist  entlastet  zurückgesetzt.  Ein 
langes  faltiges  Gewand  umhüllt  den  ganzen  Körper,  dessen 
rechte  Hüfte  so  ausgebeugt  ist,  daß  in  der  Vorderan- 
sicht die  Umrißlinie  der  ganzen  Figur  einen  Bogenab- 
schnitt  bildet.  Die  rechte  Hand  ist  gegen  die  Brust 
erhoben  und  hält  senkrecht  eine  Rolle,  die  linke  ist 
geballt  vor  den  Bauch  gelegt.  Der  Kopf  ist  scharf  nach 
links  gewendet,  ein  Kontrapost  zu  der  nach  rechts  ge- 
wandten Stellung  des  Unterleibs,  der  in  dem  legenden- 
haften Zuge  von  dem  scheuen  Zögern  des  jüngsten 
Königs  seinen  Grund  haben  mag.  Horizontal  abge- 
schnittene Haare  schließen  unter  der  Krone  die  hohen 
Stime  ab,  während  das  ziemlich  leere  Antlitz  seitlich 
von  sehr  schematisch  stilisierten,  genau  symmetrischen 
Locken  umrahmt  wird.  Die  Figur  ist  auf  der  Rückseite 
flach  und  unbearbeitet. 

Die  Arbeit  ist  im  allgemeinen  gut  erhalten,  wenn 
auch  vielfach  kleinere  Stücke  abgebröckelt  sind.  Es 
fehlen  die  ehemals  angesetzten  Spitzen  der  Schuhe. 
Die  Polychromie  und  der  Kreidegrund  sind  gänzlich  ent- 
fernt ;  nur  noch  vereinzelte  Farbspuren  auf  der  Rückseite 
beweisen,  daß  der  Mantel  blaue  Färbung  hatte. 

Nachdem  wir  mit  dem  vorhinbetrachteten  Werke 
in  eine  bereits  vorgeschrittene  Epoche  plastischer  Kunst- 
übung gekommen  waren,  fällt  hier  das  durch  die  wesentlich 
frühere  Entstehungszeit  bedingte  größere  Ungeschick  in 
der  Wiedergabe  des  menschlichen  Körpers  ganz  besonders  auf.  Die  Arbeit 
ist  zwar  voll  feiner  Empfindung  und  Anmut,  und  der  ausführende  Schnitzer 
war  zweifellos  ein  für  seine  Zeit  bedeutender  Meister,  aber  er  war  doch  an 
die  Schranken  seiner  Zeit  gebunden.  Das  zeigt  sich  besonders  deutlich  in 
dem  auffallenden  Mißverhältnis  zwischen  Ober-  und  Unterkörper.  Während 
das  der  Zeit  eigene  Ungeschick  bei  den  Sitzfiguren  meist  den  Unterkörper 
verkürzte,  zeigt  unsere  Statue  das  entgegengesetzte  Extrem,  ein  Fehler,  den 
sie  mit  den  meisten  Standfiguren  des  14.  Jahrhunderts  zu  teilen  hat.  Und 
fast  puppenhaft  erscheinen  gegenüber  der  Gesamtgröße  die  Ärmchen  und 
Händchen,  denen  man  ihren  Knochenbau  nicht  anzusehen  vermag.  Auch  das 
flache  Gesicht  ist  ziemlich  schematisch,  die  Locken  gleichen  fast  schnörkel- 
haften Ornamenten.  Der  Faltenwurf  der  Gewandung  ist  sehr  einfach,  er  klebt 
noch  am  Körper  und  die  faltigen  Säume  wollen  sich  noch  nicht  von  ihm 
loslösen. 

Die  Zartheit  in  der  Auffassung ,  die  Weichheit  und  Anmut ,  die  der 
ganzen  Figur  eigen  ist,  daneben,  allerdings  nicht  so  zwingend,  auch  das  Material 
weisen  auf  den  Kölner  Kunstkreis  hin.    Auch  die  Eigenart  in  der  Auffassung 


Abb.  20.    Heili^or  König. 

Niederrheiniscb. 

Mitte  des  14.  Jahrh. 

PI.  U.  812.     H.  55  cm. 


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136  DIE  FRÜHWKKKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM. 


und  Wiedergabe  des  Gesichts  deutet  auf  diesen  örtlichen  Zusammenhang; 
beides  kehrt  fast  identisch  an  einen  König  der  Anbetung  im  Dreikönigen- 
thörchen  zu  Köln  wieder.  (Abgeb.  bei  Münzenberger ,  Altäre  XV  10  und 
XVIII  10.)  Leider  ist  es  mir  nicht  gelungen,  eine  genauere  Datierung  dieser 
Arbeit  aufzufinden,  wie  überhaupt  die  ganze  Kölner  Plastik  noch  ihrer  Be- 
arbeitung und  Publizierung  harrt.  Die  Schnitzereien  des  Klarenaltars  aus 
dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  sind  zu  frei  und  durchgebildet,  als  daß 
unsere  Arbeit  gleichzeitig  oder  gar  später  sein  könnte.  Größer  sind  die 
Analogien  mit  den  Apostelfigürchen  in  der  Kirche  der  hh.  Aposteln  zu  Köln, 
die  von  Münzenberger  (XV  5  und  6,  sowie  Text  Seite  214)  wohl  etwas  zu 
spät   an   das  Ende   des  14.  Jahrhunderts  gesetzt  werden.     Mit  der  Verlegung 


Abb.  21.    Maria  im  Wochenbett    Niederrheinisch.    Mitte  des  14.  Jahrh. 
PI.  0.  18.    Br.  eO  cm.    H.  M  cm. 

in   die  Mitte    des    14.  Jahrhunderts   dürfte   man   der    Entstehungszeit    unserer 
Statue  nahe  kommen. 

Die  künstlerisch  unbedeutende  Darstellung  einer  Maria  im  Wochenbett 
(Pl.O.  18;  Abb.  21)  sei  nur  kurz  erwähnt.  Das  fast  freiplastische  Bildwerk  von 
Lindenholz  ist  60  cm  breit  und  54  cm  hoch.  Auf  einem  Lager  mit  einem 
Kissen  als  Rückenstütze  ruht  Maria;  ihr  Kopf  ist  links  vom  Beschauer.  Sie 
ist  in  ein  Hemd  mit  schmalem,  rundem  Halsausschnitt  gekleidet,  ein  Tuch 
verhüllt  ihren  Unterkörper  und  breitet  sich  in  bogigen,  durch  eine  Raffung  in 
der  Mitte  getrennten  Faltenzügen  vor  der  Bettlade  aus.  Auf  dem  Schöße 
der  Maria  sitzt,  von  ihren  beiden  Händen  gehalten,  das  nackte  krausköpfige 
Kind  mit  übereinandergeschlagenen  Beinen,  das  sein  rechtes  Armchen  nach 
der  Brust  der  Mutter  ausstreckt.  Das  zart  lächelnde  Antlitz  der  Maria  ist 
geradeaus   gewandt,   der  Blick   in   die  Ferne   gerichtet,    sodaß   der  Kopf  dem 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


137 


Beschauer  in  Profilansicht  erscheint ;  das  Haar  ist  in  der  Mitte  gescheitelt,  die 
Locken  fließen  auf  den  Rücken  und  die  Brust  herab.  Ein  kranzförmiger 
Einschnitt  um  den  Oberkopf  deutet  an,  daß  das  Aufsetzen  einer  Krone  beab- 
sichtigt war.  Das  Bildwerk  steht  auf  einem  glatten,  unten  mit  einer  Profil- 
leiste abschließenden  Sockel,  der  mit  einem  gemalten  fortlaufenden  Ornament 
von  rundbogigen  Vierpässen  mit  abwechselnd  roter  und  grüner  Ausmalung 
geziert  ist.  Es  fehlt  der  linke  Unterarm  des  Kindes.  Die  Rückseite  ist  un- 
bearbeitet und  hohl. 

Die  Bemalung,  die  auf  Kreidegrund  mit  teilweiser  Verstärkung  durch 
Leinen  aufgetragen  ist,  ist  sehr  beschädigt,  doch  noch  deutlich  erkennbar. 
Das  Bettuch  ist  golden,  seine  am  Überschlag  des  Kopf-  und  Fußendes  sicht- 
bare Futterung  weiß;  das  Kopfkissen  ist  golden  mit  roter,  wahrscheinlich 
auch  weißer  Musterung.  Das  Hemd  ist  golden,  das  Gesicht  rosig  mit  roten 
Backen,  roten  Lippen  und  blauen  Augen,  die  lockigen  Haare  sind  golden. 
Der  Körper  des  Kindes  ist  weißlich,  seine  Augen  sind  blau,  seine  Locken 
golden. 

Das  Stück,  welches  in  Köln  erworben  wurde,  paßt  trotz  seiner  rohen 
Formengebung  gut  in  den  Kölner  Kunstkreis,  insbesondere  verweist  die  Ähn- 
lichkeit der  Gesichtsform  und  des  Gesichtsausdrucks  der  Maria  in  die  Nähe 
der  oben  betrachteten  Kölner  thronenden  Madonna  (PI.  O.  25;  Abb.  10). 
Noch  deutlicher  tritt  jene  eigentümliche  zarte  Anmut  in  Erscheinung,  wenn 
man  das  Stück  mit  einer  annähernd  gleichzeitigen  Darstellung  genau  desselben 
Motivs  aus  einem  anderen  Kunstgebiet ,  etwa  mit  der  in  der  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  gefertigten  Geburt  Christi  im  Bayerischen  Nationalmuseum 
vergleicht  (Katalog  VI  1896.  Nr.  455  und  Tafel  V.),  die  aus  Kloster  Heggbach 
in  Oberschwaben  stammt.  Trotz  aller  äußeren  Ähnlichkeit  ist  der  innere 
Gegensatz  doch  ein  fundamentaler. 

Ebenfalls  gehört  in  die  Kölner  Schule  das  Reliefbild  eines  Gekrönten 
(PI.  O.  1 ;  Abb.  22),  Birnenholz  mit  rückwärtiger  Auflage  von  Fichtenholz, 
74  cm  hoch.  Auf  einem  niederen  Sockel  erhebt  sich  die  Figur  des  auf  einer 
kissenbelegten  Bank  sitzenden  Königs.  Sein  nackter  rechter  Fuß  ist  fest  auf 
den  Boden  gestellt,  der  linke,  verdeckt  von  der  Stofifmasse,  zurückgeschoben, 
so  daß  das  rechte  Knie  etwas  höher  steht  als  das  linke  und  die  Schoßfalten 
unsymmetrisch  werden.  Der  Oberkörper  ist  ein  wenig  aus  der  Frontansicht 
verschoben  und  ebenso  wie  das  bebartete  und  von  tief  auf  die  Brust  fallen- 
den Locken  umrahmte,  durch  einen  Reif  mit  Dreipaßansätzen  gekrönte  Haupt 
nach  rechts  gewandt.  Der  rechte  Arm  ist  seitlich  erhoben,  die  Hand  leicht 
gekrümmt;  die  gesenkt  vorgestreckte  linke  Hand  hält  ein  Buch.  Es  fehlen 
einige  Zacken  der  Krone. 

Diese  im  Jahre  1884  in  Köln  erworbene  Figur  war  so  stark  beschädigt, 
daß  sie  einer  eingehenden  Restaurierung  unterzogen  werden  mußte.  Bei  dieser 
Gelegenheit  wurden  ergänzt :  der  ganze  rechte  Arm,  die  linke  Hand  mit  dem 
Buch,  Teile  am  Kronreif,  der  untere  Teil  der  linken  Locke,  die  vertikalen 
Teile  der  Bank,  femer  die  ganzen  unteren  Teile  der  Gewandung  mit  der 
Trittplatte. 

Mitteilungen  aob  dem  german.  Nationalmuseum.    1905.  18 


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138  DIE  FRÜH  WERKE  DER  HULZPLATSIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM. 


Die  Figur  war  bemalt,  doch  läßt  sich  aus  den  dürftigen  Spuren  nur  so- 
viel ersehen,  daß  am  Mantel  Rot  und  Blau  zur  Verwendung  kam. 

Die  bisher  übliche  Benennung  der  Statue  als  »Christus  aus  einer  Krönung 
Mariae«  dürfte  die  richtige  sein.  Die  hierfür  maßgebende  Haltung  des  rechten 
Armes  wird  in  der  Anlage,  vielleicht  von  Kleinigkeiten  wie  der  Krümmung  der 
Hand    abgesehen,    dem    ehemaligen   Zustande    entsprechen.      Allerdings    wird 


Abb.  22.    Christus  aus  einer  Krönung  Maria.    Ende  dos  14.  Jahrb. 
PI.  0.  1.    H.  74  cm. 

die  Gruppe  wohl  keine  Krönung  im  eigentlichen  Sinne  gewesen  sein,  sondern 
mehr  ein  Gegenübersitzen  des  segnenden  Christus  und  der  betenden  Maria, 
welch  letztere  Darstellung  auch  wohl  gelegentlich  zu  einer  wirklichen  Krönung 
wurde,  indem  ein  herabfliegender  Engel  der  Madonna  die  Krone  aufs  Haupt 
setzt.  Dagegen  ist  die  Ergänzung  der  Linken  mit  dem  Buche  durchaus  zweifel- 
haft. Ein  Buch  kommt  zwar  bei  dieser  Darstellung  in  frühen.  Zeiten  (Laon, 
Paris,  Troyes:  13.  Jahrhundert)  in  der  Linken  Christi  vor,  in  den  späteren 
Zeiten  wird  jedoch  —  und  das  scheint  in  Deutschland  sehr  häufig  gewesen 
zu  sein  —  ein  Hoheitszeichen,  Weltkugel  oder  Szepter  meist  üblich.     (Augs- 


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VON  DR  W.  JOSEPBI. 


139 


bürg,  beide  Domportale,  das  nördliche  von  1343;  Schwäbisch-Gemünd,  Portal 
der  Heiligkreuzkirche,  um  1380;  Landsberg  am  Lech,  Tympanon,  zweite  Hälfte 
des  14.  Jahrhunderts;  Prag,  Relief  der  Maria  Schneekirche,  Ende  des  H.Jahr- 
hunderts; Tympanon  des  Eichstätter  Doms,  1496;  Imhof- Altar  in  St.  Lorenz 
zu  Nürnberg  ca.  1410;  Neustädter  Altar  im  Schweriner  Museum  1435  und 
viele  andere.) 

Das  Relief  ist  voll  feiner  Empfindung  und  ausgezeichnet  durch  einen 
tiefen  seelischen  Gehalt.  Die  Faltengebung  —  es  ist  zu  beachten,  daß  die 
detaillierten  Falten  der  unteren  Gewandpartie  moderne  Ergänzungen  sind  —  ist 
zwar  noch  einfach,  neigt  aber  schon  zu  der  weichen  vollen  Art  des  beginnen- 
den 15.  Jahrhundert.  Durch  das  Zurücksetzen  des  linken  Unterschenkels  und 
infolge  der  dadurch  bewirkten  Höherstellung  des  Knies  zeigt  sich  ein  feines 
künstlerisches  Gefühl ,  das  vom  Konventionellen  abzuweichen  strebte.  Die 
Brustpartie  ist  noch  flach  behandelt  und  wenig  belebt.  Eine  wahrhaft  be- 
wunderungswürdige Leistung,  ein  Zeugnis  von  der  echten  Künstlerkraft  des 
Schnitzers  ist  der  eminent  fein  durchgebildete  Kopf.  Trotzdem  ehemals  die 
Bemalung  deckend  hinzutrat,  sind  doch  die  Züge  des  ruhigen  edlen  Gesichtes 
von  sorgfältigster  Ausführung  und  von  vollendetster  Durchbildung.  Eine  so 
exakte  Beobachtung  der  Naturformen,  wie  sie  sich  beispielsweise  in  den  Einzel- 
heiten der  Nase  und  deren  Übergang  zu  den  Backen  bemerkbar  macht,  ist 
im  allgemeinen  den  Werken  des  14.  Jahrhunderts  fremd  und  erhebt  unser 
Stück  weit  über  das  Mittelmaß.  Die  strenge  Stilisierung  der  Locken  und  des 
Bartes,  die  durchaus  von  dem  Prinzip  der  Symmetrie  beherrscht  ist  und  die 
den  feierlichen  Charakter  des  Bildes  nur  noch  erhöht,  deutet  aber  doch  auf 
eine  frühe,  noch  nicht  ausgesprochen  naturalistische  Zeit,  wie  auch  das  völlige 
Fehlen  der  Ohren  ein  echter  Zug  des  14.  Jahrhunderts  ist.  Als  Entstehungszeit 
wird  niÄii  wohl  aus  allgemeinen  stilistischen  Gründen  die  letzten  Jahre  vor 
Schluß  des  14.  Jahrhunderts  annehmen  müssen.  In  gewissem  Sinne  wieder- 
holt sich  demnach  hier  jener  bei  dem  hochgotischen  Kruzifix  ausführlicher 
behandelte  Zwiespalt,  der  aber  nur  durch  eine  zusammenhängendes  Studium 
der  mittelalterlichen  Kölner  Plastik  zu  lösen  ist. 

Die  zwei  fast  rundplastisch  gearbeiteten,  wenn  auch  an  der  Rückseite 
gehöhlten  weiblichen  Figuren  (PI.  O.  2018  und  2019;  Tafel  VI)  stammen  nach 
anscheinend  zuverlässigen  Angaben  des  Verkäufers  aus  einer  Kapelle  in  der 
Nähe  von  Schwäbisch-Gmünd,  gehören  also  in  den  schwäbischen  Kunstkreis. 
Die  Statuen  sind  von  Lindenholz  und  ungefähr  166  cm  hoch. 

Wenngleich  sich  beide  Gestalten  in  den  Gesichtszügen  äußerst  ähneln, 
so  ist  doch  zweifellos,  daß  beide  an  Alter  von  einander  unterschieden  sein 
sollen.  Das  Mittel,  dies  auszudrücken,  ist  die  Tracht.  Beide  tragen  ein  mit 
gefälteltem  Saum  geziertes  Kopftuch,  das  in  feinen  Falten  auf  die  Schultern 
fällt.  Während  jedoch  das  Gesicht  der  einen  von  freien  Locken  eingerahmt 
ist ,  über  denen  lose  das  Kopftuch  liegt ,  sind  diese  bei  der  anderen ,  der 
älteren,  durch  das  den  Matronen  eigentümliche  weit  auf  die  Brust  herab- 
reichende Kinntuch  fortgebunden.  Der  Körper  der  jüngeren  Gestalt  ruht  auf 
dem  linken  Fuß,  ihr  rechter  ist  entlastet  zurückgestellt.    Die  Beinstellung  der 


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140  DIE  FRÜH  WERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMÜSEUM. 

älteren  ist  die  entgegengesetzte.  Die  Gewandung  schließt  sich  den  Körper- 
bewegungen an:  das  lange  Kleid,  das  sich  dem  Oberkörper  eng  anschmiegt 
fließt  in  tiefen  einfachen  Faltenzügen  dem  Spielbeine  zu.  Die  jüngere  Gestalt 
preßt  mit  dem  rechtwinklig  gebogenen  rechten  Arm  den  erhobenen  Gewand- 
zipfel gegen  den  Körper,  so  daß  an  der  rechten  Seite  eine  besonders  reiche 
Fältelung  entsteht;  die  ältere  hat  den  Mantel  von  rechts  her  quer  über  den 
Unterleib  gezogen  und  hält  in  ähnlicher  Weise  den  Zipfel  mit  dem  linken 
Arm  fest.  Dadurch  wird  bei  ihr  im  Gegensatz  zu  der  andern  Figur  der  Unter- 
leib durch  Querfalten  belebt  und  die  auffalligen  Saumfalten  befinden  sich 
an  ihrer  linken  Seite.  Es  fehlen  an  der  jüngeren  Gestalt  der  linke  Unterarm 
und  die  rechte  Hand,  an  der  älteren  Figur  die  linke  Hand  und  der  rechte 
Unterarm,  Teile,  die  besonders  angesetzt  waren.  Größere  Ergänzungen  sind 
nicht  vorhanden,  nur  sind  einige  unwesentliche  Stellen  ausgeflickt.  Unter 
der  Brust  befindet  sich  eine  spitzbogige  Vertiefung,  die  modern  durch  Holz 
ausgefüllt  ist. 

Die  Figuren  waren  ehemals  polychromiert ,  doch  ist  Farbe  wie  Kreide- 
grund völlig  entfernt. 

Der  bewußte  Gegensatz  in  der  Anordnung  der  beiden  Figuren,  die 
Symmetrie  in  ihrer  Haltung  und  in  dem  Fluß  der  Gewandfalten  läßt  darauf 
schließen,  daß  beide  darauf  berechnet  waren,  sich  zu  einer  Gruppe  zusammen- 
zuschließen. Wenn  nun  in  der  Kleidung  so  auffällig  der  Altersunterschied 
betont  ist,  wenn  ferner  durch  die  Form  des  Leibes  die  Schwangerschaft  beider 
so  absichtlich  deutlich  zum  Ausdruck  gebracht  wird,  so  ist  kaum  eine  ändere 
Deutung  möglich,  als  daß  hier  die  Szene  des  Besuchs  der  Maria  bei  der 
Elisabeth,  die  Heimsuchung,  zur  Darstellung  gebracht  werden  soll.  Damit 
erklärt  sich  auch  das  spitzbogige  Fensterchen  auf  der  Mitte  des  Leibes,  worin 
ehemals  wohl  durch  ein  Glasfenster  die  Leibesfrucht  zu  sehen  war.  Beispiele 
eines  solchen  Fensters  finden  sich  noch  bei  Figuren  in  der  Wallfahrtskirche 
zu  Bogen  in  Niederbayern  und,  wie  Otte  (Kunstarchäologie  1883  I.  S.  527) 
anführt,  in  der  Krypta  von  St.  Petri-Pauli  in  Görlitz,  während  einfache 
plastische,  vor  allem  aber  malerische  Darstellungen  des  gleichen  Motives 
ungleich  häufiger  vorkommen. 

Die  künstlerische  Auffassung  der  Figur  ist  für  ihre  Zeit  beachtenswert. 
Die  Ausführung  ist  etwas  salopp  und  geschah  unter  weitgehendster  Rücksicht- 
nahme auf  den  alle  Schäden  verdeckenden  Kreidegrund.  Daraus  erklärt  sich 
auch  die  Härte  in  der  Formengebung  der  Gesichter,  die  der  vordem  betrach- 
teten Kölner  Zartheit  und  Anmut  durchaus  gegensätzlich  ist. 

Die  flache  Behandlung  des  Oberkörpers  mit  ihrem  scharfen  Gegensatz 
zu  den  tiefen,  schräg  verlaufenden  Faltenzügen  der  unteren  Gewandpartie 
weist  für  unsere  Statue  auf  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts.  Derselbe  Stil, 
allerdings  in  noch  nicht  der  gleichen  plastischen  Durchbildung,  findet  sich  an 
einigen  Statuen  am  Portal  von  St.  Lorenz  in  Nürnberg  (nach  Pückler-Limpurg 
ca.  1350 — 1360  entstanden).  Auch  einige  Figuren  an  den  Augsburger  Dom- 
portalen, insbesondere  die  Kunigunde  vom  Nordportal  (1343),  bieten  gute 
Analogien. 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


141 


Die  Kleidung  ist  nicht  maßgebend  für  die  Datierung  zu  verwenden. 
Das  am  Saum  mit  Fältelbesatz  gezierte  Kopftuch  war  in  der  ganzen  zweiten 
Hälfte' des  14.  Jahrhunderts  Mode,  wie  vielfach  die  Denkmale  beweisen.  Gegen 
den  Jahrhundertschluß  verstärkte  sich  bei  vornehmer  Modetracht  jener  Saum 
zu  einer  dicken  Krause,  die  dann  gegen  Ende  des  ersten  Viertels  des  15.  Jahr- 
hunderts sich  wieder  zu  der  alten  Mode  der  zarten  Fältelung  abschwächte. 
Allein  jene  Kopfkrause  war  eben  nur  eine  besonders  vornehme  Modetracht, 
bei  den  biblischen  Frauen  erhielt  sich  die  ganze  Zeit  hindurch  daneben  das 
einfache  gesäumte  Tuch,  das,  je  nach  dem  auch  das  Kinn  verdeckt  wurde 
oder  nicht,  eine  Unterscheidung  zwischen  Matronen  und  Mädchen  ermöglichte. 

An  letzter  Stelle  ist  die  Statue  eines  sitzenden  Bischofs  zu  nennen 
(PI.  O.  135,  Abb.  23),  Eichenholz,  106  cm  hoch.  Der  Bischof  thront  frontal 
auf  einer  unten  und  oben  ausladenden  Bank,  er  ist  in  die  lange  auf  dem 
Boden  sich  bauschende  Alba  gekleidet,  unter  der  die  Spitzen  der  Schuhe 
hervorschauen.  Über  der  Alba  trägt  er  die  etwas  kürzere  Dalmatika  und 
darüber  wieder  die  Glockenkasula.  Um  den  Hals  ist  das  Humerale  sichtbar. 
Der  Kopf  ist  bei  fast  unmerklicher  Neigung  nach  links  geradeaus  gerichtet; 
eine  Mitra  krönt  ihn,  zarte  Locken  werden  unterhalb  derselben  auf  der  Stirne 
und  über  den  Ohren  sichtbar.  Der  rechte  Unterarm  ist  vorgestreckt,  seine  Hand 
faßt  ein  mit  zwei  Schließen  versehenes  Gebetbuch,  der  linke  Unterarm  ist 
rechtwinklig  nach  vorne  gebogen,  die  senkrecht  gestellte  angedübelte  Hand  ist 
gekrümmt  und  umfaßte  wohl  ehemals  ein  Pedum.  Auf  der  Brust  ist  eine 
quadratische,  über  Eck  gestellte,  0,4  cm  tiefe  Einsenkung,  die  zweifellos  zur 
Aufnahme  eines  Schmuckstücks  oder  eines  Reliquienbehälters  bestimmt  war. 
Ks  fehlen  kleinere  Stücke  von  der  Fußplatte  und  dem  unteren  Gewandteil. 
Ergänzt  sind  einige  Finger  der  linken  Hand,  von  denen  das  Unterglied  des 
kleinen  Fingers  bereits  wieder  fehlt.    ' 

Die  Statue,  die  auf  der  Rückseite  gehöhlt  ist,  ist  rein  auf  Vorderansicht 
berechnet.  Der  dicke  Haarwulst  unter  der  Mitra  ist  nur  bis  zu  den  Ohren 
zu  Locken  ausgearbeitet,  dahinter  aber  unbearbeitet  gelassen.  Es  war  also 
eine  Seitenansicht  unmöglich,  und  so  kann  man  wohl  annehmen,  daß  der 
Heilige  in  Nischenumrahmung  aufgestellt  war. 

Die  alte  Bemalung  auf  Kreide-  und  Leinengrund  ist  gut  entfernt.  Aus 
den  wenigen  Resten  ersieht  man  nur,  daß  die  Alba  weiß,  die  Dalmatika  rot 
war,  letztere  in  späterer  Zeit  jedoch  grün  übermalt  wurde.  An  der  Inful 
sind  die  Farben  Weiß  und  Rot  zur  Anwendung  gekommen  und  man  kann 
nach  den  Resten  auf  dem  rückseitigen  Hörn  schließen,  daß  zwei  aus  kon- 
zentrischen Kreisen  oder  Spiralen  gebildete  Ornamente  darauf  gemalt  waren. 

Die  Statue  kam  durch  Schenkung  aus  Kaiserswerth  (Regierungsbezirk 
Düsseldorf)  an  das  Germanische  Museum.  Wo  dieselbe  sich  früher  befand, 
ist  unbekannt,  doch  ist  nach  dem  Material  —  Eichenholz  —  wahrscheinlich, 
daß  das  Stück  am  Niederrhein  gefertigt  wurde. 

Die  Statue  steht  an  Feinheit  der  Auffassung  und  Durchführung  weit 
hinter  dem  zurück,  was  die  Kölner  Arbeiten  boten,  trotzdem  ist,  entsprechend 
der  vorgeschrittenen  Zeit,    die  Durchbildung  der  Einzelheiten  im  großen  und 


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142  DIE  FRÜHWERKE  DER  HOLZPLASTIK  IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEÜM. 


ganzen  eine  genauere  als  bei  jenen  älteren  Werken.  Nicht  eine  feinere,  denn 
es  liegt  ein  gut  Teil  Härte  und  Ängstlichkeit  in  der  Formengebung  des 
Schnitzers.  Die  Verhältnisse  des  Körpers  mit  seinen  fast  negierten  Ober- 
schenkeln  sind   selbst   für   die  reine  Vorderansicht,   für  die  ja  ausschließlich 


Abb.  23.    Heiliger  Bischof.    Ende  des  14.  Jahrb. 
PI.  0.  135.    H.  106  cm. 

die  Figur  gefertigt  wurde,  nicht  genügend.  Der  Oberkörper  erscheint  unver- 
hältnismäßig lang  und  steht  im  Mißverhältnis  zu  den  unteren  Extremitäten. 
Wesentlich  besser  ist  der  Hals,  an  dem  .schon  eine  Angabe  des  Kehlkopfes 
versucht  ist,  sowie  das  runde,  fleischige  Gesicht  mit  seiner  zierlichen,  fast  allzu 
kecken  Nase.  Der  Schnitzer  beherrscht  aber  noch  nicht  die  Kunstmittel ;  der 
Gesichtsausdruck,  der  wohl  ein  ernster  oder  liebevoller  sein  sollte,  wurde 
unter  seinem  Schnitzmesser  ein  starrer  und  schreckensvoller.     In  den  Einzel- 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI.  143 


heiten  des  Gesichts  giebt  er  noch  viel  Archaisches,  so  vornehmlich  in  der  symme- 
trischen Fältelung  der  Stirne  und  den  schematischen  Locken  unter  der  Inful. 

Die  Faltengebung  des  Gewandstoffes  ist  am  Oberleib  sehr  flach,  wenn 
auch  schon  die  Qualitäten  der  einzelnen  Falten,  die  mehr  oder  minder  große 
Straffheit  der  einzelnen  Züge  deutlich  und  bewußt  unterschieden  werden.  In 
der  Schoßpartie  werden  die  Falten  schematischer,  unten  fließen  sie,  auch 
hier  die  Frontalität  der  Figur  zum  Ausdruck  bringend,  symmetrisch  schräge 
nach  beiden  Seiten   zum  Boden  nieder. 

Für  die  Datierung  der  Figur  ist  die  in  der  Faltengebung  sehr  ähnliche 
sitzende  Bischofsstatue  unten  im  Deokarusaltar  zu  St.  Lorenz  in  Nürnberg  her- 
beizuziehen (Abgeb.  bei  Münzenberger,  sowie  bei  Stegmann-Nöhring,  Meister- 
werke der  Kunst  und  des  Kunstgewerbes,  Tafel  31).  Nach  Pückler-Limpurg 
ist  mit  ziemlicher  Sicherheit  anzunehmen,  daß  jener  Altar  im  Jahre  1406  auf- 
gestellt wurde.  Unsere  Statue  macht  nach  Haltung  und  Gewandbehandlung 
einen  etwas  altertümlicheren  Eindruck.  Auch  die  niedrige  Inful  und  die  strenge 
Stilisierung  der  Locken  weisen  eher  in  das  14.  als  in  das  15.  Jahrhundert. 
Man  wird  deshalb  —  auch  hier  muß  eine  etwaige  lokale  Besonderheit  der 
niederrheinischen  Schule  außer  acht  bleiben  —  die  Figur  wohl  ganz  an  den 
Schluß  des  14.  Jahrhunderts   zu  datieren  haben. 

Für  die  deutsche  Plastik  bedeutet  das  13.  Jahrhundert  —  für  Italien 
bieten  die  Kunstwerke  der  hohenstaufischen  Periode,  sowie  Niccolo  Pisanos 
eine  ähnliche,  wenn  auch  in  Ursachen  und  Wirkungen  anders  schattierte 
Erscheinung  —  ein  Zeitalter  der  Gegensätze;  eine  tiefe  unüberbrückbare  Kluft 
trennt  die  hochbedeutenden  Monumentalwerke  von  den  primitiven  und  hand- 
werklichen Durchschnittsleistungen.  Die  Kulturverhältnisse  des  damaligen 
Deutschland  bieten  des  Rätsels  Lösung. 

In  jeder  hohen  Kunst  machen  sich  internationale  Faktoren  geltend :  eine 
fortgeschrittnere  Kunst,  selbst  eine  solche  der  Dekadenz,  wird  stets  einen 
je  nach  den  kulturellen  Verbindungen  mehr  oder  weniger  starken  Einfluß  auf 
die  zurückgebliebenen  Länder  ausüben.  Das  künstlerisch  führende  Gebiet 
war  aber  zu  jener  Zeit  Frankreich,  dessen  Plastik  —  die  Architektur  ist  für 
unsere  Betrachtung  von  nebensächlicherer,  wenn  auch  immerhin  beachtens- 
werter Bedeutung  —  im  Verlauf  des  12.  und  zu  Beginn  des  13.  Jahrhunderts 
einen  raschen  Aufschwung  genommen  hatte  und  nun  den  deutschen  Künst- 
lern reiche  Gelegenheit  zum  Lernen  gab. 

Nur  in  diesem  allgemeinen  Sinne  vermag  ich  das  oft  mißbrauchte 
Schlagwort  »französischer  Einfluß«  zu  fassen.  Man  pflegt  heute  gerne  diese 
Zusammenhänge  allzu  eng  zu  nehmen.  Wir  leben  im  Zeitalter  des  Schnell- 
verkehrs und  —  der  Photographie  und  sind  daher  leicht  geneigt,  aus  Ähn- 
lichkeiten Verbindungen  zu  konstruieren,  die  auf  jene  Zeit  durchaus  nicht 
anzuwenden  sind ;  wir  übersehen  ferner,  daß  die  in  der  Architektur  festgelegten 
Zusammenhänge  keineswegs  schlechthin  auf  die  ihrer  Natur  nach  ganz  anders 
geartete  bildende  Kunst  übertragen  werden  dürfen.  Wenn  die  Kunstwissen- 
schaft bisher  ein  einziges  Mal  unanfechtbar  ein  wirkliches  Kopieverhältnis 
deutscher  Bildwerke  zu  französischen  hat  nachweisen  können,  so  beweist  ge- 


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144  DIE  FROHWERKK  der  HOLZPLASTIK  ETC.    VON  DR.  W.  JOSEPHL 


rade  dies  Magdeburger  Beispiel,  wie  wenig  Erfreuliches  dabei  schon  allein 
infolge  des  geringen  zeichnerischen  Könnens  jener  Zeit  herauskommen  konnte. 

Aber  nur  der  wirklich  große  Künstler  konnte  sich  die  internationalen 
Anregungen  zu  Nutze  machen ;  zu  dem  schlichten  Bildschnitzer  und  Steinmetzen 
werden  diese  Einflüsse  schwerlich  gelangt  sein,  und  wenn  sie  ihn  wirklich  trafen, 
so  war  er,  aufgewachsen  und  ausgebildet  in  einem  Lande,  dem  jede  bedeuten- 
dere künstlerische  Vergangenheit  fehlte,  schwerlich  imstande,  ihnen  zu  folgen. 

Nach  dem  13.  Jahrhundert  entstanden  in  Deutschland  keine  Bildwerke, 
die  sich  mit  jenen  infolge  ihrer  einfachen  Monumentalität  auch  noch  uns  so 
wirkungsvoll  erscheinenden  Meisterwerken  messen  könnten.  Vielleicht  fehlte 
es  an  großen  Künstlerindividualitäten;  denn  den  vielen  in  der  ersten  Hälfte 
des  14.  Jahrhunderts  allerorts  im  Anschluß  an  die  kirchlichen  Bauten  ent- 
stehenden umfangreichen  plastischen  Cyklen,  die  zur  künstlerischen  Betätigung 
reichliche  Gelegenheit  boten,  ist  zweifellos  ein  im  Gegensatz  zu  der  Vor- 
nehmheit jener  Bildwerke  kleinbürgerlicher  Zug  eigen.  Allein  trotzdem  gingen 
die  Errungenschaften  der  großen  Vergangenheit  nicht  verloren,  denn  ihrem 
mächtigen  Eindruck  konnten  sich  auch  die  Plastiker  des  14.  Jahrhunderts 
nicht  entziehen,  wie  die  schon  damals  im  Umkreise  jener  Meisterwerke  ge- 
fertigten Kopien  bezeugen.  Befruchtend  wirkte  das  Vorbild  auf  die  beschei- 
dene Handwerksplastik,  und  so  können  wir  in  der  Tat  ein  merkwürdig  rasches 
Aufsteigen  in  ihr  beobachten.  Wenn  auch  das  Streben  des  14.  Jahrhunderts 
in  erster  Linie  auf  die  Ausbildung  der  Details  gerichtet  war  und  dadurch 
gleichsam  in  einen  Gegensatz  zu  der  großzügig-schlichten  Monumentalität  jener 
Bildwerke  trat,  so  wird  man  doch  die  Anregungen,  die  von  ihnen  ausgingen, 
nicht  unterschätzen  dürfen. 

Mit  dem  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  setzte  eine  neue  künstlerische 
Bewegung  ein,  deren  Ideale  wesentlich  verschieden  waren  von  dem,  was  das 

14.  Jahrhundert  erstrebt  hatte.  Aber  der  Schnitt  zwischen  Altem  und  Neuem 
ist  kein  scharfer;  der  Übergänge  gibt  es  viele,  und  wenn  auch  zuweilen  die 
Merkmale  der  neuen  Zeit  ganz  plötzlich  auftauchen,  so  ist  doch  im  allge- 
meinen die  Entwicklung  eine  sanft  fließende,  die  alle  Gegensätze  vermeidet. 
Die  Kenntnis  in  der  Anatomie  des  Körpers  schritt  fort,  das  Verstehen  der 
Natur  nahm  folgerichtig  zu,  und  damit  ging  eine  mehr  und  mehr  wachsende 
Beherrschung  der  Ausdrucksmittel  Hand  in  Hand.  Besonders  eigentümlich  ist 
jedoch  der  ersten  Hälfte  15.  Jahrhunderts  jener  weiche,  volle  Faltenwurf,  der 
sich  schon  seit  den  70  er  Jahren  des  14.  Jahrhunderts  bei  sonst  noch  ziemlich 
strafler  Gewandung  und  magerer  Körperbildung  an  untergeordneten  Stellen, 
etwa  an  den  von  der  Hand  gehaltenen  freihängenden  Gewandzipfeln,  bemerkbar 
gemacht  hatte.  Bereits  die  an  letzter  Stelle  behandelte  Figur  wies  so  viele 
Merkmale  des  neuen  Stils  auf,  daß  man  zweifeln  konnte,  ob  sie  dieser  oder 
bereits  der  nächsten  Epoche  zuzurechnen  sei.     Fast  genau  um  die  Mitte  des 

15.  Jahrhunderts  ging  der  weichfaltige  Stil  in  den  Knickfaltenstil  über,  der  bei 
gleichzeitigem  Aufkommen  hochbedeutender  Künstlerindividualitäten  den  Höhe- 
punkt und  die  letzte  Phase  gotischen  Schaffens  bedeutet  und  der  zu  Beginn 
des  16.  Jahrhunderts  in  die  Renaissance  überleitete. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNQEN. 

Japanische  Kunstgeschichte  von  Oskar  Münsterberg.  I.  Verlag  George 
Westermann.    Braunschweig. 

Das  Buch  ist  nicht  die  kritische  Geschichte  der  japanischen  Kunst,  welche  wir 
wünschen.  Zwar  fehlt  es  in  der  japanischen  Literatur  nicht  an  Vorarbeiten  über  die 
Künstlergeschichte,  sowie  an  kunstgeschichtlichen  Arbeiten,  welche  mehr  Aufzählung  von 
Einzelheiten  als  systematische  Darstellungen  sind,  allein  die  kritische  Durcharbeitung 
dieses  literarischen  Materials  in  stetem  Hinblick  auf  die  in  Japan  befindlichen  schwer  zu- 
gänglichen und  die  in  europäischen  und  amerikanischen  Sammlungen  zerstreuten  Kunst- 
werke ist  eine  Arbeit,  welche  kaum  noch  in  Angriff  genommen  ist  und  deren  Durch- 
führung Dezennien  in  Anspruch  nehmen  wird.  Münsterbergs  Buch  bezweckt  eine  vor- 
läufige Orientierung.  Es  ist  aus  Aufsätzen  entstanden,  welche  in  Westermanns  Monatsheften 
erschienen  waren  und  dieser  Ursprung  ist  nicht  völlig  verwischt.  Die  Disposition  ist 
nicht  allenthalben  ganz  klar  und  sicher.  Ein  einleitendes  Kapitel  sucht  die  Bedingungen 
der  japanischen  Kunstentwickelung  darzulegen.  Mit  Recht  wird  gleich  eingangs  betont, 
daß  das  Fehlen  einer  monumentalen  Architektur  auch  die  Richtung  der  anderen  Künste 
nach  dem  Intimen,  nach  gewissenhafter  Beobachtung  und  sorgfältigster  Durcharbeitung 
der  Einzelheiten  bestimmt  hat.  Dann  hat  der  Ausschluß  des  Nackten  aus  der  Darstel- 
lung des  Menschen  die  freie  Entfaltung  der  Plastik  verhindert,  so  daß  das  malerische 
Empfinden,  das  wohl  bei  den  Orientalen  unter  den  künstlerischen  Fähigkeiten  die  stärkste 
ist,  in  allen  Künsten  vorherrscht. 

Die  japanische  Kunst  ist  nicht  autochthon,  sondern  mit  dem  Buddhismus  von  China 
übernommen  und  zwar  auf  einer  ziemlich  hohen  Entwickelungsstufe,  und  sie  hat  in  ihren 
stilistischen  Prinzipien  diese  Grundlage  niemals  verlassen.  Sie  ist  bei  höchstem  Können 
in  allem  Technischen  auf  einer  Entwicklungsstufe  stehen  geblieben,  welche  die  europäische 
Kunst  längst  überschritten  hat;  und  sie  hält  bei  aller  Feinheit  der  Naturbeobachtung  im 
Einzelnen  an  einer  Stilisierung  des  Ganzen  fest,  welche  wir  als  Beengung  empfinden.  Die 
Japaner  sind  sich  bewußt,  daß  sie  stark  stilisieren  und  sie  erblicken  darin  einen  Vorzug  ihrer 
Kunst.  Ohne  Stilisierung  gibt  es  selbst  im  äußersten  Naturalismus  keine  Kunst;  aber  jede 
Stilisierung  beruht  auf  Konvention.  Stilistische  Konventionen,  welche  weit  von  den  unsrigen 
abweichen,  befremden  uns  und  erschweren  den  Genuß  wie  die  kritische  Würdigung  der 
Kunstwerke.  Das  ist  nun  bei  der  japanischen  Kunst  in  hohem  Maße  der  Fall.  Was 
den  Europäer  unmittelbar  ansprechen  kann,  ist  nur  die  harmonische  Gesamterscheinung 
und  die  unübertreffliche  technische  Durchbildung;  sein  Blick  haftet  an  der  Oberfläche 
und  dringt  nicht  in  das  innere  Wesen  der  Kunstwerke;  die  japanische  Kunst  erscheint 
ihm  seelenlos.  Nun  weiß  ich  nicht  ob  die  japanische  Kunst  Werke  von  solcher  Tiefe 
des  geistigen  Gehalts  wie  die  vatikanischen  Fresken  Raphaels  und  Michelangelos  oder 
von  solcher  Intensität  des  Ausdrucks  wie  Rembrandts  Anatomie  im  Mauritshuis  oder  auch 
Landschaften  von  einer  Stimmungsgewalt  wie  die  Ruysdaels  hervorgebracht  hat  und  ich 
bezweifle  es,  aber  schon  eine  ziemlich  oberflächliche  vorurteilslose  Betrachtung  zeigt,  daß 
ihr  Ausdruck  und  Stimmung  wohl  zu  Gebote  stehen,  und  daß  nur  die  Mittel  durch  welche 
sie  erreicht  werden  andere  sind  als  die  uns  geläufigen.     Aber    auch    sie    erscheinen    uns 

Mitteilungen  aas  dem  german.  Nationalmuseum.    1905.  19 


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146 


UTERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


sofort  weniger  fremdartig  wenn  wir  uns  bewußt  bleiben  ,  daß  die  japanische  Kunst  auf 
einer  tieferen  Entwickelungsstufe  steht  als  die  europäische  und  wenn  wir  vergleichende 
Blicke  auf  ältere  Phasen  dieser  werfen.  In  dem  vergleichenden  Oberblick  europäischer 
und  japanischer  Kunstentwickelung,  den  Münsterberg  zu  Anfang  des  zweiten  Kapitels  gibt, 
das  Bildhauerei  und  Malerei  enthält,  erscheint  leider  die  europäische  Kunst  in  sonder- 
barer Verzerrung.  Eine  solche  Deduktion  ist  auch  verfrüht  und  führt  nicht  zum  Ziele, 
man  muß  vom  Einzelnen  ausgehen,  um  der  japanischen  Kunst  beizukommen. 

Ein  Umstand  besonders  erschwert  die  historische  Erkenntnis  der  japanischen  Kunst. 
Sie  hat  keine  so  lebhafte  Entwickelung  wie  die  europäische.  Alte  Schulen  dauern  neben 
Jüngern  unendlich  lange  fort,  der  Charakter  der  Schulen  ist  ein  sehr  geschlossener,  ihre 
Traditionen  vererben  sich  durch  viele  Generationen,  die  geistige  Abhängigkeit  der  Schüler 
von  den  Lehrern  ist  sehr  groß,  sie  übernehmen  deren  Technik,  deren  Motive  und  finden 
darin  Ersatz  für  eigenes  selbständiges  Naturstudium.  Nur  ganz  große  und  ursprüngliche 
Begäbung  kann  aus  den  Fesseln  der  Schule  befreien  und  zu  originalen  Schöpfungen  führen, 
die  wieder  schulbildend  wirken.  Aus  der  hohen  Technik  der  japanischen  Künstler  ergibt 
sich  fQr  uns  die  weitere  Schwierigkeit  für  die  Beurteilung  der  Kunstwerke,  daß  wir  Ori- 
ginales und  Abgeleitetes  oder  reine  Kopien  schwer  unterscheiden  können. 

Der  Buddhismus  kommt  aus  Indien,  so  sind  auch  seine  Göttertypen  indische,  selbst 
durch  das  chinesische  und  japanische  Medium  bleibt  der  indische  Typus  fast  unverändert. 
Von  den  Monstrositäten  der  indischen  Kunst  hält  sich  die  japanische  frei.  In  den  großen 
Erzbildern  Buddhas  erreicht  sie  nicht  nur  äußerlich  eine  hohe  Monumentalität,  aber  auch 
kleinere  Figuren  erfreuen  durch  ihre  konsequente  Stilisierung.  Münsterberg  bezeichnet 
den  Stil  als  griechisch-indisch.  Anklänge  an  die  griechische  Formbehandlung  sind,  nament- 
lich in  der  Behandlung  der  Gewänder,  vorhanden.  Wenn  er  aber  behauptet,  daß  nur 
eine  hohe  Kultur  wie  die  Griechische  die  Pose  der  ruhig  stehenden  Figur  mit  dem  feier- 
lich drapierten  Gewand  erfinden  konnte;  daß  wir  bei  allen  Völkern  in  den  Anfängen  ihres 
künstlerischen  Schaffens  die  Bewegung  als  das  sachlich  Interessantere  und  erst  bei  Er- 
reichung einer  gewissen  Kunsthöhe  die  Ruhe  dargestellt  finden,  so  ist  dies  ein  Irrtum. 
Die  Plastik  ist  in  jeder  primitiven  Kunst  die  Kun.st  der  ruhenden  Form,  die  Malerei  und 
das  Relief  die  der  Bewegung.  Es  ist  deshalb  auch  nicht  zutreffend,  wenn  er  annimmt, 
die  bewegteren  Figuren  der  buddhistischen  Kunst  seien  ältere  vorbuddhistische  Typen. 

Im  12.  und  13.  Jahrhundert  betritt  die  japanische  Plastik  den  Weg  selbständiger 
Naturbeobachtung  und  es  entstehen  sehr  bedeutende  Werke ,  welche  den  europäischen 
Skulpturen  der  gleichen  Zeit  nahe  stehen,  sie  aber  darin  überholen,  daß  sie  schon  voll- 
ständig treffende  Portraits  geben.  Sehr  merkwürdig  als  Darstellung  eines  nahezu  völlig 
nackten  Körpers  ist  ein  Laternenträger  aus  dem  Kloster  Kofukui.  Die  Haltung  des 
Mannes,  der  mit  Anspannung  aller  Kräfte  eine  schwere  Last  trägt,  ist  äußerst  genau  stu- 
diert Die  Figur  hat  eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit  dem  Silen  der  im  Hause  des  Popi- 
dius  Priscus  in  Pompeji  gefunden  wurde,  ja  sie  ist  wohl  noch  realistischer  als  jener. 

Hier  wären  die  plastischen  Darstellungen  von  Tieren  zu  erwähnen,  deren  Münster- 
berg nicht  gedenkt.  Es  ist  eine  der  ganzen  asiatischen  Kunst  eigene  Erscheinung,  daß 
die  Darstellung  von  Tieren  früher  zur  Vollendung  reift  als  die  von  Menschen.  Tierbilder 
von  Erz  gehören  denn  auch  zum  Besten,    was  die  japanische  Kunst  hervorgebracht  hat. 

Fremdartiger  als  die  Plastik  der  Japaner  berührt  uns  ihre  Malerei.  In  der  Plastik 
werden  allzustarke  Abweichungen  von  der  Natur  schon  durch  die  Körperlichkeit  verhin- 
dert, in  der  Malerei,  die  körperliche  Erscheinungen  auf  die  Fläche  überträgt  muß  das, 
was  ich  oben  als  Konvention  bezeichnet  habe,  in  weit  stärkerem  Maße  hervortreten. 

Die  Darstellung  des  Menschen  bleibt  mangelhaft,  weil  Aktstudien  nicht  getrieben 
wurden  und  die  Maler  in  Folge  dessen  keine  ausreichende  Kenntnis  des  menschlichen 
Körpers  hatten.  Das  hindert  nicht,  daß  die  Bewegungsmotive  ausdrucksvoll  behandelt 
werden,  die  deutsche  Kunst  des  15.  Jahrhunderts,  die  überhaupt  so  manche  Analogien 
zur  japanischen  hat,  bietet  hiezu  Beispiele  in  Menge.  Es  hindert  auch  nicht  die  exakte 
Wiedergabe  der  sichtbaren  Körperteile ,   namentlich  wissen  die  Maler  die  Gesichter  cha- 


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UTERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


147 


rakteristisch  und  mit  sprechender  Mimik  zu  geben.  Aber  im  Ganzen  erleidet  die  Gestalt 
eine  Stilisierung,  die  oft  in  Manier  übergeht. 

Auf  dieser  gemeinsamen  Grundlage  gibt  es  in  der  japanischen  Kunst  nach  Zeit  und 
Schule  große  Verschiedenheiten.  Am  meisten  entsprechen  uns  die  skizzenhaft  behandelten 
Bilder,  welche  mit  wenigen  sicheren  Strichen  das  Wesentliche  der  Erscheinung  geben. 

Die  Landschaft  nimmt  in  der  japanischen  Kunst  einen  breiten  Raum  ein.  Mönster- 
berg  bemerkt  über  sie :  >Japanische  Landschaften  müssen  immer  —  wie  bei  uns  im 
Mittelalter  —  begrifflich  aufgefaßt  werden.  Der  Sonnenaufgang  ist  nicht  ein  Nieder- 
schreiben der  Lichtreflexe,  sondern  eine  Manifestation  des  Tages;  die  Wiese  mit  den 
blühenden  Blumen  ist  als  Lustort  des  Frühlingsfestes  und  Äer  Jugendliebe  empfunden, 
und  so  hat  jede  Darstellung  ihre  sinnvolle  Bedeutung.  Stets  empfindet  der  Japaner  eine 
feine  poetische  Idee.«  Das  mag  im  Allgemeinen  richtig  sein.  Auf  einem  beschneiten 
Bergpfad  wandert  einsam  ein  Mann,  von  einem  gegenüberliegenden  Berge  stürzt  ein  Wasser- 
fall herab.  Einen  einsamen  Menschen  in  die  großartige  winterliche  Landschaft  zu  stellen, 
ist  ein  poetischer  Zug.  Allein  es  ist  nicht  gleichgiltig .  wer  der  Mann  ist.  Wenn  ein 
Holzknecht  im  Winter  auf  Bergen  henimsteigt ,  so  tut  er  es  in  Ausübung  seines  Berufs 
und  das  läßt  uns  gleichgiltig.  Hier  erfahren  wir,  daß  der  Mann  ein  Dichter  ist,  und  da- 
mit erfslhrt  die  Poesie  des  Bildes  eine  Steigerung ,  denn  wir  nehmen  an ,  daß  et  in  der 
großartigen  Natur  ästhetische  Anregungen  sucht  und  findet.  Aber  diese  Steigerung  setzt 
voraus,  daß  wir  etwas  wissen,  was  das  Bild  nicht  unmittelbar  aussprechen  kann.  Dieser 
Zug  ist  keiner  bildenden  Kunst  fremd,  auch  unserer  nicht,  und  er  tritt  zu  Zeiten  stärker 
hervor,  zu  Zeiten  mehr  zurück.  Sein  Vorherrschen  beeinträchtigt  die  Gemeinverständ- 
lichkeit der  Kunst.  Da  wir  nicht  zu  den  Wissenden  gehören,  wird  unser  Verständnis  der 
japanischen  Kunst  namentlich  der  japanischen  Landschaft  stets  unvollkommen  bleiben. 
Ich  bin  indes  nicht  ganz  überzeugt,  daß  wir  hinter  jeder  japanischen  Landschaft  noch 
eine  außerhalb  der  unmittelbaren  Darstellung  liegende  poetische  Idee  zu  suchen  haben, 
bei  vielen  liegt  die  Poesie  im  Bilde  selbst.  Die  Landschaften  mit  hohen  Bergen ,  deren 
Fuß  in  Nebel  gehüllt  ist,  müssen  bei  ihrem  ersten  Auftreten  sehr  poetisch  gewesen  und 
auch  so  empfunden  worden  sein.  Durch  unendliche  Wiederholung  ist  das  Motiv  für  uns 
verblaßt,  es  fragt  sich  aber,  ob  nicht  ein  Volk  mit  beständigerem  Kunstgefühl  auch  von 
den  Wiederholungen  noch  eine  lebhaftere  Anregung  empfangt. 

Viele  japanische  Landschaften  bieten  uns  trotz  ihrer  fremdartigen  Stilisierung  einen 
starken  ästhetischen  Genuß.  Hier  wäre  Hiroshige  zu  erwähnen  gewesen,  auch  wenn  er 
nur  für  den  Farbenholzschnitt  gearbeitet  haben  sollte.  Seine  Landschaften  sind  freilich 
jungen  Datums  und  stehen  vielleicht  schon  unter  europäischem  Einfluß,  aber  sie  bringen 
das  japanische  Raumgefühl  am  klarsten  und  kräftigsten  zum  Ausdruck.  Man  blickt  von 
hohen  Standpunkten  in  weite ,  reiche  Landschaften ,  welche  durch  sichere  Auswahl  des 
Bedeutenden  klar  gegliedert  sind.  Die  Abstufungen  der  Farbe  und  des  Lichtes  sind 
äußerst  fein  gestimmt,  Schlagschatten  fehlen,  wie  allenthalben  in  der  japanischen  Kunst. 
Was  w^ir  an  diesen  Landschaften  vor  allem  bewundern  müssen ,  ist  die  Sicherheit  des 
perspektivischen  Blicks,  mit  welcher  der  Raum  angeordnet  ist  und  die  in  hohem  Maß 
das  Gefühl  der  Größe  und  Weite  hervorruft.  Diese  Landschaften  gehen  nun  wohl  in 
ihrer  perspektivischen  Anordnung  über  die  Leistungen  früherer  Zeiten  hinaus ,  aber  sie 
sind,  soweit  ich  sehe ,  doch  mit  ihnen  durch  das  gleiche  Raumgefühl  verbunden.  Nun 
ist  jüngst  —  nicht  von  Münsterberg  —  die  Frage  gestellt  worden :  >Was  heißt  denn  per- 
spektivisch richtig  und  falsch  ?  Wer  sagt  denn,  daß  die  japanische  Perspektive  nicht  die 
gleiche  Berechtigung  hat  wie  die  unsere  ?  Und  ist  nicht  manches,  was  wir  als  falsch  be- 
trachten, nur  neu  und  ungewohnt?«  Daraufist  zu  erwidern:  Die  europäische  Perspektive 
ist  eine  exakte  Wissenschaft,  deren  Ergebnisse  auf  objektive  Giftigkeit  Anspruch  haben. 
Sie  muß  in  der  europäischen  Kunst  allen  konstruierten  Raumbildern  zu  Grund  gelegt 
werden.  Modifikationen  kann  das  konstruierte  Raumbild  erfahren ,  bei  Konstruktionen 
mit  sehr  kurzer  Distanz,  weil  hier  das  auf  einen  Engpunkt  konstruierte  Raumbild  von 
dem  binocular  gesehenen  wirklichen  abweicht ,  dann  wenn  Räume  dargestellt  werden, 
welche  das  Gesichtsfeld  des  horizontal  gerichteten  Auges  überschreiten  und  Wendungen 


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148  LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


des  Kopfes  erfordern  um  ganz  gesehen  zu  werden.  Hier  werden  verschiedene  Raum- 
bilder auf  ein  Bild  kombiniert.  Aber  alle  diese  Modifikationen  bewegen  sich  in  engen 
Grenzen.  Die  japanische  Perspektive  ist  noch  rein  empirisch,  objektiv  falsch  und  für 
ein  perspektivisch  geschultes  Auge  störend.  Das  ist  kein  Vorwurf,  es  ist  damit  nur  die 
Entwicklungsstufe  der  japanischen  Kunst  bezeichnet.  Man  kann  über  diesen  Mangel  wie 
über  andere  Mängel  der  japanischen  oder  der  mittelalterlichen  ja  jeder  archaischen  Kunst 
hinwegsehen  und  zu  reinem  Genuß  gelangen.  Das  ist  uns,  die  wir  auf  einer  höheren 
Entwicklungsstufe  stehen,  aber  nicht  unmittelbar  möglich,  sondern  erst  durch  eine  Ak- 
kommodation an  die  altertümlichere  Weise,  gleichviel  ob  diese  Akkomodation  durch 
Empfindung  oder  durch  Reflexion  erreicht  wird.  Die  Mängel  der  japanischen  Perspek- 
tive treten  in  der  Darstellung  von  Gebäuden  und  Innenräumen,  bei  welchen  das  Hinein- 
gucken oft  nur  durch  Weglassen  von  Dächern  und  Wänden  ermöglicht  wird ,  mehr  zu 
Tage  als  in  der  Landschaft,  und  in  der  neueren  Landschaftsmalerei,  als  deren  Vertreter 
ich  oben  Hiroshige  genannt  habe,  sind  sie  tatsächlich  überwunden.  Sie  sind  aber  nicht 
überwunden  durch  die  japanische  Perspektive,  sondern  durch  das  Auge  des  Künstlers, 
der  ohne  perspektivische  Konstruktion  ein  klares  Raumbild  zu  schaffen  wußte.  Auch  bei 
uns  wird  .kein  Maler  zu  künstlerischen  Zwecken  ein  Landschaftsbild  aus  der  Landkarte 
und  aus  Meßbildern  heraus  konstruieren.  In  den  japanischen  Landschaften  ist  also  schon 
mit  der  Art  der  Entstehung  die  Annäherung  an  unser  Empfinden  ermöglicht.  Die  Stili- 
sierung —  namentlich  die  der  altjapanischen  Kunst  —  ist  uns  jedoch  fremdartig.  Ober 
den  ästhetischen  Wert  der  japanischen  Landschaft  ist  damit  nichts  gesagt.  Schließlich 
ist  jede  in  sich  einheitliche  Stilisierung  gut,  auch  die  japanische.  Man  gehe  aber  nicht 
so  weit,  daß  man  die  japanische  Landschaft  über  die  europäische  stellt. 

Und  was  von  der  Landschaft  gilt,  gilt  von  der  bildenden  Kunst  überhaupt.  Der 
Wert  der  japanischen  Kunst  liegt  in  ihrer  hohen  technischen  Vollendung.  Darin ,  aber 
nur  darin  —  man  täusche  sich  darüber  nicht  —  ist  sie  der  europäischen  gleichwertig, 
vielleicht  überlegen,  sowohl  nach  Form  als  nach  Inhalt,  steht  die  europäische  Kunst  in 
in  ihrer  Gesamtheit  höher.  Hier  pulsiert  das  künstlerische  Leben  seit  Jahrtausenden 
mächtiger,  hier  werden  Höhen  und  Tiefen  durchmessen,  welche  die  japanische  Kunst 
nicht  ahnt.  Dem  Volke  sind  die  furchtbaren  politischen  Katastrophen,  die  markerschüttern- 
den geistigen  Kämpfe,  welche  Europa  durchgemacht  hat  und  durchmacht,  erspart  ge- 
blieben, aber  es  blieb  ihm  auch  die  höchste  Intensität  des  künstlerischen  Lebens  und 
die  Steigerung  der  Kunst  ins  Monumentale  versagt.  Nochmals  sei  es  ausgesprochen, 
man  freue  sich  der  feinsinnigen,  sympathischen  Kunst  der  Japaner,  aber  man  überschätze 
sie  nicht,  vor  allem  nicht  auf  Kosterf  unserer  eigenen 

Münsterberg  sucht  die  Entwickclungsgeschichte  der  japanischen  Kunst  an  einer 
Reihe  von  ausgewählten  Beispielen  darzulegen  und  gibt  dazwischen  allgemeine  Erörte- 
rungen. Dieses  Verfahren  setzt  voraus,  daß  die  Entwicklung  im  Ganzen  schon  erforscht 
ist ;  nur  auf  diesem  Grunde  kann  eine  zuverläßige  Darstellung  im  Auszug  beruhen.  Für 
die  japanische  Kunstgeschichte  sind  wir  noch  nicht  so  weit,  es  werden  sich  also  manche 
der  vorgetragenen  Anschauungen  nicht  bewähren.  Wie  weit  dies  der  Fall  sein  wird 
vermag  ich  im  Einzelnen  nicht  zu  ermessen,  das  Gebiet  ist  mir  nicht  genügend  vertraut. 

Das  dritte  Kapitel  behandelt  die  Ornamentik.  Münsterberg  geht  hier  bis  in  die 
Prähistorie  zurück.  In  einem  Aufsatz  für  die  Monatshefte  mögen  die  interessanten  Aus- 
führungen am  Platze  gewesen  sein,  hier  stehen  sie  nicht  an  richtiger  Stelle,  sie  greifen 
in  eine  Zeit  zurück,  in  der  es  noch  keine  japanische  Nation  gab. 

Die  Anfänge  der  japanischen  Ornamentik  werden  wie  die  der  Plastik  und  Malerei 
vom  Festland  übernommen;  vom  5.  bis  ins  11.  Jahrhundert  ist  sie  chinesisch.  Zu  den 
linearen  Motiven  der  Bandornamentik  treten  die  Anfänge  der  Tier-  und  Pfianzenornamentik, 
zunächst  nuf  Typen  ohne  Charakterisierung  der  Art.  Zu  phantastischen  Tierformen  ent- 
wickelt sich  die  Darstellung  von  Tieren,  welche  in  Japan  nicht  vorkommen. 

Die  Textilkunst  übernimmt  westasiatische  Motive.  Im  13.  Jahrhundert,  gleichzeitig 
mit  dem  Entstehen  der  nationalen  Malerschule  entwickelt  sich  eine  reine  japanische  Orna- 
mentik, welche  realistische  Pflanzenmotive  verwendet.     Animalische  Darstellungen  treten 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  149 


dazu,  schließlich  werden  ganze  Bilder  ornamental  verwendet.  Daß  ein  Ornamentstil,  der 
den  struktiv  organischen  Charakter  des  Ornaments  negiert,  reizendes  leisten  kann  ,  ist 
durch  die  japanische  Ornamentik  erwiesen,  ihre  letzten  Phasen  zeigen,  daß  die  Phantasie 
unsicher  geworden  ist. 

Kann  nach  dem  heutigen  Stande  der  Forschung  eine  japanische  Kunstgeschichte 
nur  zu  vorläufigen  Ergebnissen  gelangen,  so  sind  wir  Münsterberg  doch  zu  Dank  ver- 
pflichtet, daß  er  den  Mut  gehabt  hat,  schon  jetzt  eine  zusammenfassende  Darstellung  und 
in  ihr  die  Richtlinien  fQr  weitere  Studien  zu  geben.  Bezold. 

Das  Tiroler  Volk  in  seinen  Weistfimem.  Ein  Beitrag  zur  deutschen  Kultur- 
geschichte von  Franz  Arens.  (Drittes  Heft  der  Geschichtlichen  Untersuchungen,  her- 
ausgegeben von  Karl  Lamprecht.  Gotha.)  Friedrich  Andreas  Perthes.  Aktiengesell- 
schaft. 1904.  XIV.  und  436  SS.  8. 

Eine  historische  Darstellung  des  >Seelenlebens«  der  tiroler  Bauern,  einen  >Beitrag 
zur  Geschichte  der  deutschen  Volksseele,  die  unsere  Besten  heute  erstreben«,  will  Verf. 
geben,  um  damit  der  >historischen  Erkenntnis  des  Seelenlebens«  überhaupt  vorzuarbeiten. 
Die  vier  Bände  der  Tiroler  Weistümer  in  der  großen  schönen  Sammlung  der  bäuerlichen 
Rechtsquellen  Österreichs  sind  ihm  der  lautere  Born  gewesen ,  aus  dessen  Tiefen  die 
mannigfaltigen  Zeugnisse  alttiroler  Lebens  und  Fühlens  zu  heben  waren.  Auch  das  reiche 
Erbgut  der  volkstümlichen  Oberlieferungen  des  Landes,  vor  allem  seiner  Sagen  und  Mär- 
chen, wie  es  vorzüglich  in  den  geschätzten  Sammlungen  Zingerle's  geborgen  \st,  ward 
mit  herangezogen.  Ergiebige  Ausbeute  ist  zutag  gefördert  und  in  sieben  großen  Ab- 
schnitten gesichtet  und  vor  uns  ausgebreitet :  Äußere  Bedingungen  des  tirolischen  Volks- 
lebens; Innere  Anlage  des  tirolischen  Volkstums;  Stellung  zur  Natur;  Innere  Grundlegung 
des  sozialen  Lebens;  Über  Wertungen;  Das  sittliche  Leben;  Das  Recht  —  das  sind  die 
bedeutsamen  Stoffgebiete,  deren  Erörterung  man  mit  gespanntem  Interesse  entgegensehen 
mag.  Die  Materie  ist  zu  anziehend,  die  Darlegungen  des  Verfassers  sprechen  zu  ein- 
drücklich und  vielfach  in  so  fesselnder  Weise,  daß  fürs  erste  jedem  Genüge  geschieht, 
der  für  die  engere  Welt  bescheidener  Lebenskreise  des  >kleinen  Mannes«  Herz  und  Augen 
offen  behält  und  gerne  auch  in  der  Entwicklungsgeschichte  des  deutschen  Durchschnitts- 
menschen Umschau  hält. 

Nur  schade,  daß  Arens,  der  mit  Lamprecht  an  der  Idee  einer  inneren  Gesetz- 
mäßigkeit der  menschlichen  Natur  festhält  und  überall  Entwicklungstendenzen  auf  der 
Spur  zu  sein  glaubt,  seinen  Reichtum  gewonnener  Tatsachen  dem  unseligen  System  einer 
alles  vergewaltigenden  Konstruktion  zum  Opfer  bringt.  Diese  hindert  ihn  auf  Schritt  und 
Tritt  ureinfachste  Dinge  in  ihrer  wahren  schlichten  Wesenheit,  in  ihrem  natürlichen 
ursächlichen  Zusammenhang  zu  erschauen  und  treibt  ihn  wiederholt,  selbst  den  harm- 
losesten Wortlaut  seiner  Quellen  mit  dem  unfreien  Gewände  eines  die  konkreten  Dinge 
und  Erscheinungen  verkennenden  Theoretisierens  und  Schematisierens  zu  umkleiden. 
Dazu  hat  man  nur  zu  oft  das  unbehagliche  Gefühl,  daß  der  Geschichtsschreiber  des  tiroler 
Volksem pfindens  wohl  nie  ein  persönliches  Verhältnis  zum  lebendigen  Volkstum  gewonnen 
hat.  Jedem,  der  sich  ernstlich  mit  dem  Buche  beschäftigt,  muß  dies  zur  Überzeugung 
werden. 

Auf  der  Literaturtafel  erscheint  auch  Adolf  Pichlers  Name.  Wie  dieser  feine  Kenner 
und  gemütvolle  Schilderer  seiner  Landsleute  wohl  geurteilt  hätte,  wenn  ihm  die  Arens'- 
sche  Sektion  des  Seelenlebens  seiner  lieben  Gebirgler  noch  zu  Gesicht  gekommen  wäre ! 

HH. 

Die  Hoh-Königsburs:  als  Ruine.  Von  Gustav  Dietsch.  Leipzig.  G.  He  de  1er. 
1905.  8. 

Eine  neu  bearbeitete  Übersetzung  aus  dem  Französischen  mit  12  guten  Abbildungen 
und  einer  Grundrißkarte.  Bei  dem  billigen  Preise  von  1  Ji.  ein  empfehlenswertes  Nach- 
schlagewerkchen, das  dieses  im  Vordergrund  des  Interesses  aller  Burgenfreunde  stehende 
Bauwerk  historisch  erläutert  und  schließlich  auch  eine  kurze  Darlegung  der  Verhältnisse 


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150 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


gibt,  die  zu  der  mehr  oder  minder  phantasievollen  Wiederherstellung  der  alten  Burg  ge- 
führt haben.  A.  H. 
Zur  Geschichte  der  Familleo  Kaufmann  aus  Bonn  und  von  Pelzer  aus  Köln. 

Beiträge  zur  rheinischen  Kulturgeschichte.  Herausgegeben  von  Dr.  Paul  Kaufmann. 
Verlag  von  P.  Hanstein,  Bonn,  1897.     118  S.  8. 

Aus  den  Tagen  des  Kölner  Kurstaats.  Nachträge  zur  Kaufmann-  von  Pelzerschen 
Familiengeschichte.  Von  Dr.  Paul  Kaufmann,  Geh.  Ober-Regierungsrat.  Verlag  von 
P.  Hanstein.     Bonn,  1904.    86  S.    8. 

Wer  die  Entwicklung  der  genealogischen  Literatur  etwa  während  des  letzten 
Dezenniums  verfolgt  hat,  dem  wird  es  nicht  haben  entgehen  können,  daß  nicht  nur  eine 
fortgesetzte  Steigerung  der  Produktion  —  ich  erinnere  namentlich  an  die  zahlreichen 
Gründungen  neuer  genealogischer  Zeitschriften  und  die  zunehmende  Einbeziehung  der 
Geschichte  bürgerlicher  Familien  — ,  sondern  teilweise  auch  eine  auf  höhere  Wisscnschaft- 
lithkeit  gerichtete  Vertiefung  stattgefunden  hat.  Reines  Sachinteresse  auf  der  einen  Seite, 
das  sich  hier  allerdings  häufig  mit  dem  persönlichen  deckt,  andererseits  die  Erkenntnis, 
ein  wie  starkes  Gegengewicht  das  den  Familiensinn  fördernde  Interesse  an  genealogischer 
Forschung  den  verflachenden  und  zersetzenden  Einflüssen  einer  wesentlich  durch  das 
rasche  Anwachsen  der  Städte  und  den  damit  zusammenhängenden  Existenzkampf  groß- 
gezogenen unhistorisch-materialistischen  Weltanschauung  gegenüber  bilden  könnte,  haben 
zu  dieser  Erscheinung  geführt,  die  sowohl  vom  Standpunkt  des  Historikers  wie  vom 
ethischen  Standpunkt  aus  gewiß  mit  Freude  zu  begrüßen  ist. 

Als  Musterbeispiele  dieser  jüngsten  Phase  genealogischer  Forschung  können  die 
beiden  obengenannten  Schriften  von  Paul  Kaufmann  gelten.  Der  Verfasser  ist  ein  Neffe 
des  namentlich  als  Herausgeber  des  Cäsarius  von  Heisterbach  bekannten  1893  als  Archiv- 
rat in  Wertheim  am  Main  verstorbenen  Alexander  Kaufmann,  und  die  nachgelassenen 
Familienerinnerungen  dieses  tüchtigen  Forschers  und  liebenswürdigen  Schriftstellers  sind 
für  den  Neffen  der  eigentliche  Anlaß  zu  eigener  wissenschaftlicher  Be.schäftigung  mit 
genealogischen  Fragen  und  zu  den  vorliegenden  Veröffentlichungen  gewesen.  Pietätvoll 
beginnt  daher  auch  die  erste  Reihe  dieser  Studien,  die  zuerst  im  dritten  und  vierten  Jahr- 
gang der  »Rheinischen  Geschichtsblätter«  zum  Druck  gelangte,  mit  der  Publikation  der 
Alexander  Kaufmannschen  Arbeit.  Sie  beruht  im  wesentlichen  auf  den  Erzählungen  der 
Mutter  A.  Kaufmanns,  die  eine  Tochter  des  »kurkölnischen  Wirklichen  Geheimen  Rates, 
Oberappellations-,  Revisions-,  Kriegs-  und  Schulrates,  sodann  Gräflichen  Syndicus,  d.  h. 
Geschäftsführers  des  Grafenkollegiums  bei  den  kurkölnischen  Landständen«  Tillmann 
Jacob  von  Pelzer  war.  Naturgemäß  überwiegen  in  diesen  Aufzeichnungen  die  Nachrichten 
über  die  Vorfahren  von  mütterlicher  Seite,  und  zum  Teil  mag  sich  aus  der  Art  der 
Quelle  wohl  auch  der  Zug  zum  Anekdotenhaften  erklären,  der  die  Mitteilungen  charakterisiert 
und  in  gewissem  Sinne  auszeichnet.  Freilich  dürfen  wir  dabei  nicht  vergessen,  daß  eben 
diesem  Zuge  eine  starke  Neigung  seitens  des  Cäsarius-Herausgebers  entgegenkam. 

Da  hören  wir  von  einem  entfernten  Mitgliede  der  Familie,  dem  Sohn  eines  savoyischen 
Kanzlers,  der  nach  Erlangung  des  Doktorgrades  noch  im  Reisekostüm  in  eine  Gesellschaft 
seiner  stolzen  und  steifen  Mutter  getreten  sei  und  voll  Freude  über  seine  neue  Würde 
das  Hütlein  in  die  Luft  geworfen  habe.  Ober  diese  Unschicklichkeit  aber,  so  heißt 
es,  »geriet  die  Mutter  in  solchen  Zorn,  daß  sie  ihm  augenblicklich  die  Türe  wies  und  ihm 
verbot,  ihr  je  wieder  unter  die  Augen  zu  kommen.  Alle  Versuche ,  sie  zu  besänftigen, 
waren  umsonst,  und  der  junge  Mann  mußte  ins  Elend  wandern.«  —  Ein  andermal  wird 
von  einem  Geheimen  Konferenzrat  von  Föller,  ebenfalls  einem  weitläuftigen  Verwandten 
des  Hauses,  erzählt,  daß  er  einst  zu  Rom  einem  italienischen  Priester  gebeichtet  und 
sich  dabei  auch  angeklagt  habe,  zuweilen  zu  tief  ins  Glas  zu  gucken.  »Ah,  dann  sind 
sie  gewiß  ein  Deutscher!«,  erwiderte  ihm  der  Italiener  und  legte  ihm  als  Buße  auf,  den 
Wein  nie  mehr  ungemischt  zu  trinken.  »Dies  hielt  Föller  bis  an  sein  Lebensende,  träufelte 
aber  in  jedes  Glas  Wein  nur  ein  wenig  Wasser.«  —  Weiterhin  ist  von  einem  zahmen 
Wolfe  die  Rede,  der  einst  in  einer  Gesellschaft  französischer  Offiziere  gewaltigen  Schrecken 
erregte;    dann  werden  die  Lebensschicksale  Amaliens  von  Mastiaux,    der  »roten  Reichs- 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


151 


ritterin«,  wie  man  sie  ihrer  rötlichblonden  Haare  wegen  in  Bonn  nannte,  erzählt  und 
ihrer  vielen  Eigentümlichkeiten,  um  nicht  zu  sagen  Wunderlichkeiten,  dabei  gedacht;  es 
wird  von  >Pfingstens  Madelenchen«  berichtet,  das  sich,  obgleich  die  Eltern  absolut  nichts 
gegen  die  Heirat  einzuwenden  hatten  ,  von  seinem  Bräutigam  durchaus  entführen  lassen 
wollte  und  seinen  Willen  und  den  Plan,  der  mit  obligatem  Kniefall  und  der  elterlichen 
Verzeihung  endete,  auch  durchführte.  Auch  den  Kaiser  Napoleon  hatte  Alexander  Kauf- 
manns Mutter  einigemale  gesehen,  >doch  war  der  Eindruck,  den  seine  äußere  Erscheinung 
auf  sie  gemacht,  ein  höchst  widerwärtiger.  Als  charakteristisch  für  den  Parvenü  erzählte 
sie,  bei  der  großen  Revue,  die  Napoleon  am  6.  November  1811  auf  der  Poppelsdorfer 
Allee  gehalten,  habe  er  sich  die  Handschuhe  aus-  und  anziehen  lassen«  .  .  . 

Aus  den  mitgeteilten  Hinweisen  und  Proben  wird  man,  wie  ich  meine,  bereits  er- 
kennen, daß  das  eigentlich  historische  Element  in  den  Aufzeichnungen  Alexander  Kauf- 
manns hinter  dem  novellistisch-anekdotenhaften  sehr  zurücktritt;  und  wenn  wir  gleich- 
wohl aus  dieser  reizvollen  Mosaikarbeit  ein  lebendiges  Bild  namentlich  von  den  gesell- 
schaftlichen Zuständen  am  deutschen  Niederrhein  zu  Ausgang  des  18.  und  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  gewinnen,  so  kommt  doch  die  genealogische  Forschung 
entschieden  dabei  zu  kurz.  Das  hat  auch  der  Herausgeber  offenbar  deutlich  empfunden, 
denn  der  Zweck  seiner  eigenen  schriftstellerischen  Tätigkeit  war  zunächst  der,  für  die 
Aufzeichnungen  des  Oheims  eine  breitere  historisch-genealogische  Grundlage  zu  schaffen, 
gewissermaßen  den  wissenschaftlichen  Apparat  dazu  darzubieten. 

So  erfahren  wir  denn  erst  aus  Paul  Kaufmanns  >Geschichtlichen  Nachweisen  zu 
den  Familienerinnerungen« ,  die  sich  auf  gründliche  archivalische  Nachforschungen  und 
insbesondere  auch  auf  das  Studium  eines  reichen  Materials  an  alten  Briefen  stützen,  ge- 
naueres über  Herkunft  und  Verzweigung  der  einzelnen  Familien,  die  wir  aus  Alexander 
Kaufmanns  Arbeit  nur  flüchtig,  nur  in  wenigen  ihrer  Mitglieder  kennen  gelernt  hatten, 
der  Kaufmann,  Pelzer,  Mastiaux,  dann  auch  der  ebenfalls  mit  der.  Kaufmann-  und  von 
Pelzerschen  Familie  verschwägerten  Rubens,  Raaf,  Freybütter,  Poncet  (Poncett,  Poncetti), 
von  Hallberg  und  Godesberg  etc.  Den  einzelnen  Abschnitten  sind  jedesmal  die  betreffen- 
Wappen  in  Holzschnitt  beigegeben.  Was  an  einschlägiger  Literatur  existiert,  ist  sorg- 
fältig zu  Rate  gezogen  worden. 

Aber  schon  in  diesen  > Geschichtlichen  Nachweisen«,  die  den  zweiten,  umfangreicheren 
Teil  des  ersten  der  beiden  oben  genannten  Werke  bilden,  geht  der  Verfasser  verschiedent- 
lich über  den  Kreis  des  Familiengeschichtlichen  hinaus,  so,  wenn  er  gelegentlich  dem 
Föllerschen  Wohnhause  in  Bonn,  seiner  Einrichtung  und  prächtigen  Ausstattung,  zu  der 
auch  eine  reiche  Porzellansammlung  gehörte,  eine  ausführlichere  Beschreibung  widmet, 
oder  wenn  er  das  Lebensbild,  das  der  kürzlich  verstorbene  Hermann  Hüffer,  übrigens 
ein  Vetter  des  Verfassers,  im  Jahre  1863  von  dem  kaiserlich  französischen  Unterpräfekten 
des  Arondissements  Bonn,  Peter  Joseph  Maria  Boosfeld,  entworfen  hat,  durch  manche 
biographisch  wie  kulturgeschichtlich  wertvollen  Züge  ergänzt. 

Solche  allgemeinere,  in  der  Hauptsache  kulturhistorische  Gesichtspunkte  haben 
dann  in  noch  höherem  Maße  bei  Abfassung  des  zweiten  der  beiden  Bücher  obgewaltet, 
das  zunächst  Nachträge  zur  Familiengeschichte  bieten  sollte,  in  das  dann  aber  auf  Grund 
der  durchgesehenen  Archivalien  eine  solche  Fülle  mit  der  eigentlichen  Familiengeschichte 
nur  sehr  lose  verknüpfter  Schilderungen  zur  Zeitgeschichte  Aufnahme  gefunden  hat,  daß 
der  Verfasser  mit  Recht  für  den  Obertitel  seiner  Schrift  die  Fassung  »Aus  den  Tagen 
des  Kölner  Kurstaates«  wählen  durfte. 

Gleich  der  erste  Abschnitt  des  Buches  (>Zur  Geschichte  der  Familie  Rubens«)  be- 
greift in  sich  eine  anschauliche  und  ins  einzelne  gehende  Darstellung  des  Anteils,  den 
das  kurkölnische  Reichskontingent ,  das  einmal  in  einem  Berichte  des  Prinzen  Soubise 
nach  Paris  im  Jahre  1757  als  »mittelmäßig«  bezeichnet  wird  und  in  der  Tat  höchst  mittel- 
mäßig gewesen  sein  muß,  erst  am  siebenjährigen  Kriege,  dann  an  den  Koalitionskriegen 
gehabt  hat.  Andere  Abschnitte,  wie  der  über  die  Bonner  Freiheitsschwärmer  (1795—98), 
den  Bonner  Franziskanerkonvent,  das  Mastiauxsche  Haus  oder  über  Bonner  Kunstsammler 
zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  dienen  zwar  mehr  der  Lokalgeschichte,  doch  fallt  auch  durch 


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152 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


diese  Schilderungen  auf  Verhältnisse  und  Zustände  und  das  geistige  Leben  im  alten  Kur- 
staat manch  willkommenes  Schlaglicht. 

Vielfach  sind  auch  hier  alte  Briefe  die  Vermittler  sowohl  der  Tatsachen  wie  der 
lebensvollen  Bilder  aus  vergangenen  Tagen  gewesen,  und  ich  möchte  meine  Besprechung 
der  beiden  trefflichen  Kaufmannschen  Bücher  nicht  schließen ,  ohne  dem  Wunsche  und 
der  dringenden  Mahnung  Ausdruck  gegeben  zu  haben,  es  möchte  doch  ganz  allgemein 
den  Briefen  und  Briefwechseln  selbst  unserer  gegenwärtigen  Zeit  und  ihrer  Erhaltung 
etwas  mehr  Sorgfalt,  als  gemeiniglich  geschieht,  zugewendet  werden.  In  unserer  so  oft 
berufenen  »schnellebigen«  Zeit  gewinnen  diese  Schriftstücke  bereits  nach  wenigen  Jahr- 
zehnten eine  Art  von  historischem  Wert,  der  —  besonders  wenn  man  das  kulturgeschicht- 
liche Moment  in  den  Vordergrund  rückt  —  rasch  zunimmt,  bis  sich  dann  nach  Jahr- 
hunderten die  treu  und  pietätvoll  bewahrten  Briefe  als  eine  der  wertvollsten  kulturhisto- 
rischen Quellen  erweisen  werden.  Theodor  Hampe. 

Huffo  Schuchhardt  an  Adolf  Mussafia«    Graz  im  Frühjahr  1905.  2. 

Die  mit  erlesenem  Geschmack  ausgestattete  Schrift  stellt  eine  Festgabe  des  mensch- 
lich und  beruflich  dem  berühmten  Romanisten  Adolf  Mussafia  nahestehenden  Verfassers 
anläßlich  des  Ausscheidens  des  Ersteren  aus  seinem  Lehramte  dar.  Es  ist  eine  philologische 
Gabe,  wie  sie  der  gemeinsame  Beruf  von  Empfanger  und  Geber  natürlich  erscheinen  läßt, 
aber  sie  geht  von  einer  allgemeineren  Auffassung  aus,  von  der,  daß  die  Betrachtung  des 
Gegenstandes  gleichwertig  zu  betonen  sei  wie  die  Wortuntersuchung.  Und  wenn  in  den 
verschiedenen  Abschnitten  der  geistvoll  geschriebenen  Abhandlung  auch  vorwiegend 
romanische,  speziell  italienische  Volkskunde  und  Philologie  in  Verbindung  gebracht  wird, 
mit  Heranziehung  ostasiatischen,  slavischen  und  keltischen  Vergleichsmateriales,  mehr  als 
solchem  des  deutschen  Stammes,  so  mag  die  außergewöhnlich  liebevoll  eindringende 
Behandlungsweise,  die  sich  mit  scharfer  aber  feiner  Ziselierung  am  ehesten  vergleichen 
läßt,  die  Anzeige  an  diesem  Orte  rechtfertigen.  Zumal  unstreitig  der  noch  in  den  ersten 
Stadien  der  Entwicklung  befindlichen  volkskundlichen  Wissenschaft  durch  Schuchhardts 
Behandlung  scheinbar  unbedeutender  und  abliegender  Gegenstände  zum  Teil  neue  Wege 
gewiesen  werden. 

Die  Arbeit  schließt  zunächst  an  vergleichende  Anmerkungen  von  Mussafias  im  Jahre 
1873  erschienenen  »Beitrag  zur  Kunde  der  norditalienischen  Mundarten  im  15.  Jahrhundert« 
an  und  nachdem  Schuchhardt  an  einem  Prolegomenon  sozusagen,  einem  Exkurs  über 
romanische  Ausdrucksformen  für  gewisse  Spielarten  des  >Feuerbocks«  seine  These,  daß 
alle  Genealogie  (des  Wortes)  sich  in  Kulturgeschichte  umsetzen  müsse,  nachgewiesen, 
geht  er  zu  seinem  ersten  Haupthema  der  sprachlichen  und  sachlichen  Betrachtung  von 
Haspel  und  Garnwinde  über.  Mit  großem  Geschick  wird  an  der  Hand  des  sprachlichen 
und  eines  zahlreichen,  klar  wiedergegebenen  Abbildungsmaterials  die  Verschiedenheit  der 
einzelnen  Arten  dieser  Spinngeräte  festgelegt,  und  zugleich  die  wesentliche  Verschiedenheit 
der  Bestimmung,  des  Aufsträhnzweckes  der  Haspel,  des  Absträhnzweckes  der  Garnwinde 
klargelegt. 

In  einem  zweiten  Teile  der  Arbeit,  die  weniger  mit  dem  Gegenstand  sich  beschäftigt 
als  auf  die  Wortform  eingeht,  und  mit  dem  ersten  Thema  eigentlich  nur  insoferne  zusammen- 
hängt, als  es  sich  um  textile  Dinge  handelt,  bearbeitet  Schuchhardt  im  Anschluß  an  eine 
Worterklärung  in  >Petrus  de  Crescentiis,  opus  ruralium  commodorum«  die  Bedeutung 
eines  >negossa«  genannten  Fischnetzes,  einer  Hamenart. 

Den  Schluß  bildet,  im  Hinblick  auf  den  aktuellen  italienisch-deutschen  Universitäts- 
streit in  Österreich  der  vom  Verfasser  als  Vertreter  des  Deutschtums  an  den  italienischen 
Kollegen  und  Freund  ausgesprochene,  mit  einem  Hinweis  auf  Goethe  belegten  Wunsche, 
die  an  der  Sprachgrenze  errichteten  Standbilder  Walters  von  der  Vogelweide  und 
Dantes  möchten  nicht  als  Sinnbilder  der  Drohung,  sondern  als  solche  freundschaftlichen 
Grußes  für  die  gegenseitigen  geistigen  Beziehungen  der  beiden  Völker  aufgefaßt  werden. 

H.  Stegmann. 

U    E.  Sabatd,  Nürnbcrt. 


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DIE  THEOPHILUS- GLOCKEN. 

GLOGKENSTUDIE  VON  P.  LIEBESKIND,  OBERPFARRER  IN  MÜNCHEN-BERNSDORF. 

Die  Glocke  aus  Graitschen  bei  Jena  ^),  seit  dem  Jahre  1888  im  Germanischen 
Nationalmuseum  in  Nürnberg  befindlich,  ist  eine  der  ersten,  an  denen 
die  vom  Presbyter  Theophilus  zu  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  beschriebene 
Methode  des  Glockengusses^)  festgestellt  wurde.  Erst  14  Jahre  zuvor  war 
durch  die  VeröflFentlichung  von  A.  Ilg^)  die  für  die  Kenntnis  und  Bestimmung 
der  ältesten  Glocken  bedeutsame  Anweisung  des  Theophilus  über  den  Glocken- 
guß bekannt  geworden,  und  es  dauerte  wiederum  ca.  14  Jahre  bis  aus  den 
verschiedenartigen,  zerstreuten  Funden  und  den  entgegengesetzten  Meinungen 
bei  der  mangelhaften  Ilg 'sehen  Übersetzung  ein  sicheres,  geklärtes  Urteil 
sich  bilden  ließ.  Dies  wurde  erst  möglich,  nachdem  zu  den  wenigen  bereits 
bekannten  noch  eine  Anzahl  neue  Stücke  aufgefunden  waren  und  diese  an 
der  Hand  der  Angaben  des  Theophilus  einheitlich  geprüft  und  untersucht 
werden  konnten*).  Dabei  sind  allerdings  verblüffende  Ergebnisse  gewonnen 
worden,  die  hier  am  Beispiel  der  Graitschener  Glocke  dargeboten  werden 
sollen. 

I. 
Das  Formen  der  Glocke  beschreibt  Theophilus  ungefähr  folgendermaßen : 
Der  Lehmkern  wird  auf  einer  Formbank  (Fig.  1)  in  der  Weise  herge- 
stellt, daß  ein  im  Durchschnitt  viereckiges,  nach  einer  Seite  zu  dicker,  nach 
der  anderen  spitz  zulaufendes  Stück  Eichenholz,  das  zwischen  zwei  Brettern 
mittels  eines  Bankbohrers  gedreht  werden  kann,  schichtenweise,  immer  zwei 
Finger  dick,  mit  fein  gemahlenem  Thon  (Lehm)  umgeben  wird,  bis  die 
gewünschte  Form  erreicht  ist.  Auf  diesen  Kern  wird  das  eigentliche  Modell 
der  Glocke  (die  Dicke,    la  fausse  cloche)   aus  Fett  wiederum   schichtenweise 


1)  Zum  ersten  Male  beschrieben  von  Otte,  Nachgelassenes  Bruchstück  zur  Glocken- 
kunde: Zur  Erinnerung  an  D.  Heinr.  Otte,  Halle  1891,  nach  den  Angaben  des  Direktors 
V.  Essenwein. 

2)  Schedula  diversarum  artium,  Hb.  III.  cap.  84. 

3)  Quellenschriften  zur  Kunstgeschichte  VII.     Wien  1874. 

4)  Vgl.  im  Jahresbericht  des  thüringisch-sächsischen  Gcschichtsvercins  in  Halle 
vom  Jahre  1905  meinen  Aufsatz:  Der  Glockenguß  nach  Theophilus. 

Mitteiloiigen  aus  dem  gennan.  Nationalmuseam.    1906.  20 


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154  hiE  THEÜFHILUS-GLOCKEN     U  LOCKEN  ST  UülE  VüN  P.  LlÜBESKlKU, 


aufgetragen.  Der  Bord  (Schlag)  wird  gleichzeitig  in  beliebiger  Stärke,  d.  h. 
dicker  als  die  Wandung  der  Flanke  (latera,  irrtümlich  auch  Mantel  genannt), 
gearbeitet.  Die  Oberfläche  der  Fettschicht  wird  mit  scharfen  Eisen  unter 
beständigem  Herumdrehen  der  Form  geglättet,  etwaige  besondere  Zierraten, 
als  Blumen  (Ornamente)  oder  Buchstaben  werden  in  dies  hart  gewordene  Fett 
eingeschnitten,  desgleichen  »iuxta  Collum«  die  bekannten  »vier  Schallöcher« 
(foramina).  Hierüber  kommt,  aus  fein  gesiebtem  und  wohlgemengtem  Thon 
in  mehreren  Schichten  aufgetragen,  der  Formmantel.  Das  soweit  fertige  Werk 
wird  nun  von  der  Formbank  herabgehoben,  das  Formholz  herausgezogen  und 
auf  die  aufrecht  gestellte  Form  die  Haube,  bestehend  aus  coUum  und  aures, 
d.  i.  der  Hals  als  Verbindungsglied  zwischen  dem  Glockenkörper '^)  und  der 
Bekrönung  durch  die  sechs  Henkel,  einschließlich  des  Mittelzapfens,  aufgesetzt. 
Diese  von  dem  Lehmmantel  umhüllte  und  mit  eisernen  Reifen  ringsum 
befestigte  Form  wird  nun  erst  in  die  Dammgrube  eingesenkt  und  ausgebrannt, 
damit  das  Fett   der  Dicke   schmilzt    und   aus  zwei  in  die  Form  gebrochenen 


Fig.  1. 

Löchern  herausläuft.  So  ist,  ohne  daß  der  Formmantel  abgehoben  zu  werden 
braucht ,  der  für  den  Guß  nötige  Hohlraum  gewonnen ,  und  der  Guß  kann 
beginnen.  Die  mit  der  Glockenspeise  ausgefüllte  Form  wird  nach  vorläufigem 
Erkalten  aus  der  Grube  herausgehoben  und  nach  dem  völligen  Erkalten  zer- 
schlagen. Der  fertige  Guß  aber  kommt  wieder  auf  die  Formbank,  um  mit 
einem  Sandstein  geglättet  zu  werden.  Diese  Glättung  ist  aber  in  den  meisten 
Fällen  nicht  so  tiefgehend  gewesen,  daß  dadurch  auch  die  durch  Abbröckeln 
aus  dem  Formmantel  entstandenen  Gußfehler  beseitigt  worden  wären;  zu- 
weilen ist  sie  ganz  unterblieben,  und  die  Oberfläche  der  Glocke  ist  dann 
rauh. 

Weitere    Angaben    des    Theophilus    über   die   Behandlung    der    fertigen 
Glocke,  über  das  Aufhängen  u.  A.  kommen  hier  weniger  in  Betracht. 


5)  Schönermark,  Altersbestimmung  der  Glocken,  Berlin  1889,  erklärt  colIum  als 
den  Mittelzapfen;  aber  der  »Hals«  kann  doch  unmöglich  als  mitten  in  der  »Krone«  steckend 
gedacht  werden;  außerdem  bildet  der  Mittelzapfen  das  größte  von  den  zum  Aufhängen 
der  Glocke  bestimmten  Öhren  (aures)  und  ist  notwendigerweise  in  dem  Begriff  »aures« 
mit  enthalten. 


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OBERPFARRER  IN  MÜNCHEN-BERN SDORK.  155 

II. 

Von  den  im  Vorigen  beschriebenen  Kennzeichen  besitzt  die  Graitschener 
Glocke  (Fig.  2)  die  wichtigsten.  Zwar  weist  sie  keine  Inschrift*),  auch  keine 
Ornamente  auf,  dafür  sind  aber  die  Zierlinien,  durch  welche  über  dem  Schlag 
(am  »Wolm«)  und  am  »Hals«  unterhalb  der  Krone  je  zwei  schwache  Rund- 
stäbe gebildet  werden,  wie  ersichtlich,  vertieft,  in  das  Fett  eingegraben.  Vor 
allem  aber  weist  sie  vollkommen  durchbohrte  foramina  auf,  freilich  nur  zwei, 
während  Theophilus  deren  vier  vorschreibt  (quattuor  foramina  triangula).  Sonst 
sind  noch  bemerkenswert  die  vertikal  an  der  Flanke  herablaufenden  Marken, 
welche  als  Folge  von  Rissen  zu  erklären  sind,  die  beim  Trocknen  und  Aus- 
brennen des  Mantels  entstanden  und  ebenso  wenig  wie  die  aus  Abbröckelungen 
des  Mantellehms  verursachten  Gußfehler  an  der  Flanke,   am  Schlag   und  am 


Fig.  2. 

Wolm  vermieden  werden  konnten,  weil  sich  vor  dem  Gusse  der  Mantel  nicht 
abheben  und  an  den  fehlerhaften  Stellen  ausbessern  ließ.  Die  fertige  Glocke 
ist  mit  Sandstein  geglättet  das  ist  ersichtlich  an  der  polierten  Oberfläche, 
besonders  an  dem  oberen  Teil  der  Flanke;  der  Sandstein  konnte  aber  die 
eben  erwähnten  Gußfehler  nicht  hinwegnehmen,  dazu  hätte  es  schärferer 
Mittel  im  Wege  des  Abdrehens  bedurft.  Die  an  der  Flanke  und  am  Schlag 
ersichtlichen  feinen,  horizontal  laufenden  Marken  rühren  nicht  vom  Glätten 
des  Gusses  her,  sondern  sind  die  Eindrücke  des  scharfen  Eisens,  mit  welchem 
der  Fettkern  geglättet  wurde  (s.  o.). 

6)  Der  verstorbene  Professor  Dr.  Klop fleisch  kannte  in  seinem  Gutachten  über 
die  Veräußerung  der  Glocke  die  theophilischen  Merkmale  offenbar  noch  nicht;  er  läßt 
sie  unerwähnt,  bestimmt  das  Alter  lediglich  nach  der  Form  und  setzt  ihren  Wert  wegen 
Mangels  an  Inschrift  und  Verzierung  herab. 


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156  DIE  THEOPHILUS-GLOCKEN.    GLOOKKNSTÜDIE  VON  P.  LIEBESKIND. 


Eine  sprechende  Darstellung  der  Bereitung  der  Glockenform  auf  der 
Formbank  zeigt  sich  in  der  durch  die  vertieften  Linien  unten  am  Wolm  und 
oben  unterhalb  der  Haube  bewirkten  Gliederung  des  ganzen  Gefäßes.  Der 
von  jenen  Zierlinien,  begrenzte  Glockenkörper  ist  in  der  Hauptsache  das  auf 
der  Formbank  (s.  o.)  hergestellte  Stück.  Es  wurde  nach  der  schwächer 
werdenden  Seite  des  Formholzes  hin  gleichmäßig  abgerundet,  um  dann  mit 
der  für  sich  hergestellten  Haube  mit  Krone')  bedeckt  zu  werden.  Nach  der 
entgegengesetzten  Seite  hin  wurde,  noch  auf  der  Formbank,  der  Schlagring 
darangesetzt  nach  der  Anweisung  ebend. :  Oram  vero  campanae  ad  libitum 
tuum  spissam  facies. 

Aus  dieser  Gliederung,  die  in  der  Beschreibung  des  Theophilus  so  gut 
wie  an  der  vorhandenen  Glocke  festzustellen  ist,  ergibt  sich  aber  femer  auch 
zur  Evidenz,  was  unter  »Collum«  zu  verstehen  ist,  wenn  die  foramina  sich 
»iuxta  Collum«  befinden  sollen:  nämlich  die  Grenze  zwischen  dem  auf  der 
Formbank  gebildeten  Körper  und  der  daraufgesetzten  Haube;  nicht  der  Teil 
der  Glocke,  den  wir  heutzutage  als  Hals  bezeichnen,  und  an  dem  sich  auch 
auf  den  Theophilus-Glocken  zumeist  die  Halsinschrift  befindet,  sondern  die 
durch  die  oberen  Zierlinien  abgegrenzte  Einziehung  des  Glockenkörpers,  auf 
welche  der  eigentliche  »Kopf«  zuletzt  aufgesetzt  wird.  Daß  dies  an  sich  und 
mit  mehr  Recht  als  der  Mittelzapfen  (s.  o.)  als  Hals  bezeichnet  werden  kann, 
ist  wohl  einleuchtend. 

Die  charakteristische  Form®)  (Rippe)  dieser  Glocke  und  der  meisten 
übrigen  bisher  bekannten  ist  bedingt  durch  den  wenig  ausladenden  Schlagring 
unten,  der  sich  nicht  zu  einer  Schärfe  verjüngt,  sondern  stumpf  abgerundet 
ist  und  in  der  Stärke  wagrecht  abschließt.  Zuweilen  ist  er  sogar  konkav 
ausgebogen.  Sie  ist  ferner  und  vor  allem  bedingt  durch  die  nur  wenig  ge- 
schweifte, beinahe  kegelförmig,  in  einigen  Fällen  (LuUusglocke  in  Hersfeld, 
die  zwei  Augsburger  Domglocken,  die  Glocke  im  Museum  zu  Basel  und  die 
zu  Bamstedt,  Kr.  Querfurt,  Prov.  Sachsen),  sogar  ziemlich  zylindrisch  auf- 
steigende Flanke,  die  sich  oben  allmählich  zur  Haube  abrundet.  Diese  schön 
proportionierte  Form,  die  dem  Forscher  sofort  in  die  Augen  springt,  konnte 
ich  bis  jetzt  an  32  Glocken  nachweisen ,  unter  denen  sich  sogar  eine  mit 
erhabener,  aber  aus  gedrehten  Wachs-  (Talg-)  Fäden  hergestellten  Inschrift 
befindet  in  Rödelwitz  (S.-Meiningen). 

Erwähnenswert  ist  schließlich  an  der  Graitschener  Glocke  noch  die 
Krone.  Sie  besteht  aus  einem  starken  Mittelzapfen  von  der  diesen  Glocken 
eigentümlichen  ovalen  Form,  der,  wie  die  Abbildung  zum  Teil  erkennen  läßt, 
an  der  nach  außen  gerichteten  Fläche  eine  auch  an  anderen  derartigen  Glocken 


7)  Theoph.  pag.  321  unten:  Post  haec  forma  Collum  atque  aures  etc. 

8)  Die  nicht  für  alle  Theophilus-Glocken,  auch  nicht  in  einerlei  Sinn  zutreffende 
Bezeichnung  »bienenkorbförmig«  rührt  aus  der  frühesten  Zeit  der  modernen  Glocken- 
forschung, als  man  den  Ursprung  und  die  Eigentümlichkeiten  dieser  Glocken  noch  nicht 
kannte;  vgl.  Wiggert,  Historische  Wanderungen  durch  die  Kirchen  des  Reg.-Bez.  Merse- 
burg, in  den  Neuen  Mitteilungen  des  thüring.-sächsischen  Altertumsvereins,  Bd.  VI. 
Heft  2,  1842. 


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OBERPPARRER  IN  MÜNOBEN-BERNSDORF.  157 


(Theißen,  Aschara)  beobachtete  Rinne  oder  Riefe  aufweist.  Die  Henkel,  blos 
zwei  an  der  Zahl,  fallen,  wie  bei  allen  diesen  Glocken  schlaff  herab.  Beim 
Auftreflfen  auf  die  Haube  ist  das  Metall,  wahrscheinlich  infolge  eines  Defektes 
an  der  Ummantelung ,  ausgelaufen,  und  die  Henkel  scheinen  dadurch  hier 
stärker  als  sonst*).  Die  Krone  besteht  blos  aus  der  Grundform,  welche  bei 
der  Herstellung  verwendet  wird  *^),  dem  Mittelzapfen  und  zwei  seitlichen 
Henkeln.  Es  ist  nirgends  eine  Spur  davon  zu  erkennen,  daß  jemals  doch  die 
vier  übrigen  Henkel  angebracht  gewesen  wären  *  *).  In  Ermangelung  der  vollen 
Zahl  der  Henkel  konnte  die  Glocke  nicht  fest  genug  am  Wolf  aufgehängt 
werden;  das  Metall  wurde  an  den  Reibungsflächen  abgescheuert,  und  die  Be- 
festigung lockerte  sich  mit  der  Zeit  immer  mehr.  Das  mußte  schließlich  dazu 
führen,  daß  die  Glocke  zersprang,  nachdem  sie  ca.  900  Jahre  lang  treue 
Dienste  geleistet  und  zum  Schluß  arg  malträtiert  worden  war.  — 

III, 

Eines  der  wesentlichen  Merkmale  der  Theophilus-Glocken  sind  die  fora- 
mina,  über  deren  Herstellung  in  der  schedula  pag.  321  gesagt  wird:  quatuor 
foramina  triangula  iuxta  coUum,  ut  melius  tinniat,  formabis.  Über  die  Be- 
stimmung: iuxta  Collum  ist  oben  das  Nötige  angegeben  worden.  Was  zu- 
nächst die  Zahl  der  sog.  Schall-Löcher  anbetriflFt,  so  schwankt  sie  zwischen 
zwei  und  vier.  Die  volle  Zahl  findet  sich  bloß  auf  der  Lullusglocke  in  Hers- 
feld und  den  beiden  Chorglocken  in  Augsburg;  drei  gleichmäßig  auf  der 
Haube  verteilte  Löcher  hat  die  Glocke  in  Basel;  die  übrigen  weisen  nur  zwei 
auf,  die,  wie  an  der  Graitschener  Glocke  zu  sehen  ist,  je  an  einer  Breitseite 
des  Mittelzapfens  auf  der  Haube  angebracht  sind.  Auch  ihre  Form  wechselt. 
Auf  der  Lullusglocke  sind  sie  rund-trichterförmig^^),  mit  unebener  Wandung, 
die,  auch  anderweitig,  besonders  an  den  Schriftzeichen  zu  beobachten,  in  der 
Schwierigkeit,  die  Vertiefungen  in  den  spröden  Fett-  (Talg-)  Kern  hineinzu- 
arbeiten, ihre  natürliche  Erklärung  findet.     Es  fiel  niemandem  ein,   die  Ver- 


9)  Bei  Lehfeldt,  Bau-  und  Kunstdenkmäler  Thüringens,  Bd.  1,  S.  63  und  hiernach 
bei  0 1 1  e ,  Nachgelassenes  Bruchstück  zur  Glockenkunde  S.  28,  Fig.  5  ist  die  Darstellung 
der  ganzen  Glocke,  besonders  aber  der  Krone  ungenau.  Der  Mittelzapfen  ist  beinah  in 
moderner  Form  mit  einem  Fuß  unter  dem  breit-ovalen  Ring,  und  die  Henkel  sind  S-förmig 
dargestellt. 

10)  Vgl.  Otte,  Glockenkunde  S.  111,  Fig    16. 

11)  Ähnlich  gestaltet  ist  die  Krone  der  Baseler  Glocke,  die  aber  dem  Anschein 
nach  samt  der  Haube  durch  spätere  Erneuerung  hergestellt  ist,  wie  bei  der  Glocke  in 
Rödelwitz. 

12)  Noch  Schönermark,  in  der  deutschen  Bauzeitung  1889,  Nr.  66  nimmt  an, 
daß  diese  trichterförmigen  Löcher  zu  einer  späteren  Zeit  eingemeißelt  wären.  Diese 
Auffassung  muß  als  ein  letzter  Rest  aus  dem  Kindheitsalter  der  Glockenkunde  nunmehr 
aufgegeben  werden.  Vor  dem  Bekanntwerden  des  Theophilus  konnte  man  sich  auch  die 
vertiefte  Schrift  nicht  anders,  als  durch  Einmeißeln  entstanden,  erklären.  In  Aschara 
(S.-Gotha)  erklären  sich  die  Bewohner  die  ihnen  wohlbekannten  foramina  ihrer  alten, 
wertgeschätzten  Glocke  damit,  daß  einmal  die  Glocke,  die  natürlich  silberhaltig  sein  muß, 
zur  Bestimmung  ihres  Silbergehaltes  angebohrt  worden  sei. 


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158  DIB  THEOPHILUS-GLOCKEN.    6L0GK£NSTUD1E  VON  P.  LIEBESKIND, 


tiefungen  nachträglich  zu  ziselieren*'),  sondern  die  rauhen  Wandungen  blieben 
stehen  und  sind  uns  heute  eine  wertvolle  Bestätigung  für  den  Glockenguß 
nach  der  Anweisung  des  Theophilus.  Die  dreieckigen  foramina  sind  unter 
einander  insofern  verschieden,  als  einige  (Basel,  Canino)  in  ziemlich  dreieckiger 
Form  durch  die  ganze  Wandung  hindurchgehen  (Fig.  3  a);  bei  anderen  ver- 
engen sich  die  Innenflächen  allmählich,  schießschartenähnlich,  sodaß  drei  drei- 
eckige Böschungsflächen  entstehen,  und  am  Grunde  befindet  sich  ein  6 — 7  mm 
im  Durchmesser  haltendes,  rundes  Loch  (Graitschen,  Aschara)  (Fig.  3b).  Noch 
häufiger  aber  fehlt  das  die  Haube  durchbrechende  Loch,  und  es  bleibt  von 
dem  foramen  nur  eine  Vertiefung  in  Form  einer  umgekehrten,  flachen,  drei- 
seitigen Pyramide  übrig.  Diese  Form  der  »Schall-Löcher«  habe  ich  als  mar- 
kierte foramina  (Fig.  3  c)  bezeichnet.  An  der  geschilderten  Reihenfolge  der 
verschiedenen  Formen  ist  deutlich  wahrzunehmen,  wie  es  nach  und  nach  mit 
dem  Schall-Loch  immer  weniger  wird,  bis  es  zuletzt  ganz  verschwindet.  Hierin 
ist  eine,  gewiß  nicht  zu  unterschätzende  Handhabe  für  die  verhältnismäßige 
Altersbestimmung  solcher  Glocken  zu  erkennen. 

Bis  in  die  jüngste  Zeit  wollte  man  die  bloß  markierten  foramina  über- 
haupt nicht  als  die  echten  des  Theophilus  gelten  lassen**).  Durch  die  Auf- 
findung der  beiden  letzten  Theophilus-Glocken  in  Theißen  (Kr.  Weißenfels) 


Fi^.  8. 

am  19.  August  1904  und  in  Aschara  (S.-Gotha)  am  30.  September  1905  bin 
ich  in  den  Stand  gesetzt,  diesen  für  die  Beurteilung  der  foramina  tief  ein- 
schneidenden Streitpunkt  zur  Entscheidung  zu  bringen.  Beide  Glocken  rühren 
nämlich  ohne  Zweifel  von  ein  und  demselben  Gießer  her,  der  sich  in  der 
vertieft  eingegossenen  Inschrift  am  oberen  Teil  der  Flanke,  auf  beiden  Glocken 
gleichlautend,  nennt:  WOLFGER VS  ME  FECIT.  Beide  Glocken  haben  vor 
allen  übrigen  noch  die  Eigentümlichkeit  gemeinsam,  daß  sie  oberhalb  des 
Schriftbandes  einen  Kranz  von  Verzierungen  in  Form  von  einfachen  Orna- 
menten aufweisen.  Gemeinsam  bei  beiden  ist  ferner  der  schon  oben  zur 
Graitschener  Glocke  erwähnte  tiefe  Rief  am  äußeren  Rande  des  Mittelzapfens. 
Daneben  machen  sich  aber  auch  zum  Teil  nicht  unwesentliche  Verschieden- 
heiten bemerkbar,  am  auffälligsten  die  Gestaltung  der  Rippe;  die  Theißener 
Glocke  gleicht  ganz  der  Graitschener  in  der  gefälligen,  kegelförmigen  Ver- 
jüngung der  Flanke;    die  Glocke    in  Aschara    dagegen   zeigt    den  Typus   der 


13)  Eine  Ziselierung  der  Schriftzeichen  nimmt  Otte,  Nachgelassenes  Bruchstück 
S.  29  f.  fQr  die  Glocke  in  Merseburg  an.  Tatsächlich  ist  aber  keine  Spur  davon  zu  sehen ; 
im  Gegenteil  sind,  besonders  an  den  runden  und  schräggehenden  Strichen  deutlich  die 
Spuren  des  Grabstichels  zu  erkennen.  An  der  angeführten  Stelle  neigt  selbst  Otte  noch 
der  veralteten  Auffassung  des  Einmeißeins  der  Vertiefungen  zu. 

14)  Vgl.  hierzu  das  Urteil  bei  Otte,  Nachgelassenes  Bruchstück  S.  29  über  die 
Behauptung  Schönermarks  zur  Dicsdorfer  Glocke. 


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OBERPFAHKEK  IN  MÜNCHKN-BEKNSÜüKF.  159 

Lullusglocke  mit  beinahe  zylindrischer  Gestaltung  der  Flanke  ^^),  Am  merk' 
würdigsten  aber  ist  der  Unterschied,  daß  an  der  Glocke  in  Aschara  die  fora- 
mina  durch  die  Wandung  hindurchgehen  in  Form  von  6  mm  im  Durchmesser 
haltenden,  runden  Löchern,  während  sie  an  der  Theißener  Glocke  bloß  markiert 
sind.  Es  hat  also  ein  und  derselbe  Meister  nach  derselben  Methode  und 
sicherlich  jedesmal  mit  derselben  Absicht  einmal  durchbohrte  und  das  andere 
Mal  markierte  foramina  auf  den  Glocken  angebracht.  Wie  das  gekommen 
ist,  läßt  sich  ebenfalls  durch  Vergleichung  erkennen :  an  der  Theißener  Glocke 


«•    r    •         t»        to        9«        f«         i«M,^ 
t""»'m| 1         I 1 »         I 

Fig.  4. 

sind  die  foramina  bei  5  cm  Basis-  und  4  cm  Schenkellänge  zu  flach  gearbeitet, 
sodaß  die  Talgschicht  nicht  bis  auf  den  Lehmkern  durchbohrt  wurde,  —  an 
eine  nachträgliche  Durchbohrung  dachte  eben  niemand  —  in  Aschara  dagegen 
messen  die  Dreiecksseiten  6  cm,  die  inneren  Kanten  von  den  Ecken  des 
Dreiecks  bis  zum  Mittelpunkt  4  cm,  und  das  Loch  ist  glatt  herausgearbeitet, 
ohne  daß  auch  nur  die  Spur  einer  nachträglichen  Durchbohrung  durch  eine 
stehen  gebliebene  stärkere  Wand  zu  sehen  wäre.    Hierdurch  ist  wohl  genug- 

Fig.  5. 

sam  der  Beweis  erbracht,  daß  die  markierten  foramina  mit  den  durchgehen- 
den auf  einer  Linie  stehen. 

Es  bleibt  nun  nur  noch  die  bis  jetzt  nicht  minder  umstrittene,  dunkle 
Frage  zu  behandeln:  welchen  Zweck  die  foramina  haben.  Weil  man  mit 
den  markierten  foramina  nichts  anzufangen  wußte,  verleugnete  man  sie  ein- 
fach und  bestritt  ihre  Beziehung  zu  den  Angaben  des  Theophilus^^).    Gleich- 


15)  Lehfeldt,  B.  u.  K.  D.  Thüringens,  Heft  10,  hatte  vollends  keine  Ahnung  von 
den  Theophilus-Glocken  und  beschreibt  die  vorliegende  ohne  jede  Sachkenntnis:  breite 
Form  des  13.  Jahrhunderts!  — 

16)  Otte,  a.  a.  O.  S.  29;  auch  Wernicke  in  privater  Mitteilung 


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160 


DIE  THEOPHILCS-OLOCKEN.    QLOCKENSTUDIE  VON  P.  LIEBESKIND. 


zeitig  aber  wurde  die  Erklärung  des  Theophilus  ungenau  aufgefaßt  und  schief 
wiedergegeben.  Dieser  bezeichnet  als  Zweck  der  foramina:  ut  melius  tinniat. 
Tinnire  ist  aber  nicht  gleichbedeutend  mit  sonare,  das  Theophilus  an  anderen 


Stellen  mehrfach  in  Bezug  auf  den  Ton,  Klang,  der  Glocken  anwendet.    Des- 
halb darf  man  nicht,  wie  es  bisher*ausnahmslos  geschehen  ist,  an  eine  »Ver- 


besserung  des  Klanges«  durch  die  foramina  denken.  Tinnire  =  tintinnare, 
klingeln,  schellen,  wovon  tintinnabulum,  die  Schelle,  abgeleitet  ist,  weist  viel- 
mehr im  geraden  Gegensatz  zu  dem  am  Schlag  der  Glocke  erzeugten  Haupt- 
ton (sonus,    sonare)  auf  den  schellenden,   pfeifenden  Nebenton,   den  ein  ge- 


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OBERPFARRER  IN  MÜNCHEN-BERNSDORF.  161 


übtes  Ohr  bei  jedem  Läuten  wahrnimmt.  Dieser  Nebenton  kommt  aber  am 
deutlichsten  am  oberen  Teil  der  Flanke  zur  Geltung  (»iuxta  Collum  !c),  gerade 
in  der  Gegend,  in  der  die  foramina  angebracht  sind.  Man  bezweckte  damit 
zur  Zeit  des  Theophilus  offenbar,  daß  der  zur  Abrundung  und  Füllung  des 
Haupttones  maßgebende  Nebenton  schriller  durch  die  foramina  entweichen 
und  deutlicher  zur  Geltung  kommen  sollte.  Ziemlich  dasselbe  erreichte  man 
aber  auch  bewußt  oder  unbewußt  mit  den  unfertigen,  markierten  foramina 
insofern,  als  durch  die  keineswegs  unbedeutende  Verringerung  der  Wandung 
an  der  Haube  durch  das  Ausgraben  der  foramina  der  Nebenton  merklich  be- 
einflußt werden  mußte.  Dieser  Grundsatz  der  zunehmenden  Verringerung 
der  Wandung  nach   der  Haube  zu   ward   schon    im  13.  Jahrhundert    im   Zu- 


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Fig.  8. 


sammenhang  mit  der  ausgeprägten  Schweifung  der  Rippe  entschieden  durch- 
geführt und  führte  zur  Anwendung  der  sog.  gotischen  Rippe.  Man  darf  also 
die  foramina,  ob  durchbohrt  oder  nur  noch  markiert,  als  den  frühsten  Ver- 
such ansehen,  den  Nebenton  schärfer  hervorzuheben,  ut  melius  tinniat. 

IV. 

Es  erübrigt  noch,  der  Vollständigkeit  halber  einen  kurzen  Überblick  zu 
geben  über  die  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Theophilus-Glocken  und  ver- 
wandte Arten,  die  den  Übergang  zu  den  gotischen  Glocken  bilden. 

1)  Diesdorf  (Fig.  4.).  Sie  stammt  aus  dem  Kloster  Walbeck,  kam 
1813  nach  Diesdorf  und  1888  in  das  Provinzialmuseum  nach  Halle.  Das 
Jahr  ihrer  Auffindung  war  1834;  die  erste  Beschreibung  gab  Wiggert,  Neue 
Mitteilungen  des  thüring.-sächs.  Altertumsvereins  Bd.  VI,  Heft  2.  1842.  S.  14fif. 
Die  dort  gegebene  Abbildung  ist  völlig  unzureichend  und  irreführend,  hat 
sich  aber  trotzdem  bis  Otte,  Glockenkunde,  2.  Aufl.  1884,  fort  erhalten.  In 
ihrem  Äußeren  und  im  Profil  gleicht  sie  ganz  und  gar  der  Graitschener  Glocke. 
An  der  Haube  befinden  sich  zwei  markierte  foramina,  am  Hals  zwischen  den 
Mitteilungen  aus  dem  german.  NationalrnuKeuni.    190.5.  21 


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162  DIE  TflEOPHlLUii-GLOCKEN.    GLüGKENbTÜDIK  VON  P.  LIEBKSKIND. 


beiden  unteren  Paaren  von  sechs  vertieften  Zierlinien  die  vertieft  eingegossene 
Inschrift:  (Fig.  5)  IN  HONORE  SCE  TRINITATIS  AMENEN^^).  Die  Ent- 
stehungszeit ist  bald  nach  dem  Jahre  1011,  als  die  durch  Feuer  zerstörten 
Glocken  des  Klosters  Walbeck  erneuert  wurden.  Durchm.  51,8  cm,  Achsen- 
höhe 48  cm. 

2)  Die  LuUusglocke  in  Hersfeld  i«).  (Fig.  6.)  Sie  hat  vier  trichter- 
förmige foramina  am  Hals,  auf  der  Haube  eine  bis  jetzt  noch  nicht  entzifferte 
Inschrift,  deren  Buchstaben  3  cm  hoch  sind.  Nach  den  beiden  allein  lesbaren 
Worten  MEGINHARP  FVDIT  würde  sie  aus  der  Zeit  von  1036-1059 
stammen.     Durchm.  112  cm,  Höhe  199  cm. 


Fig.  9. 

3)  Graitschen.  Beschreibung  s.  o.  Zwei  durchbohrte  foramina,  inschrift- 
los.    Durchm.  40  cm,  Höhe  42  cm. 

4  u.  5)  Chorglocken  im  Dom  zu  Augsburg  (Fig.  7.)  Ohne  Inschrift, 
Flanke  zylindrisch;  je  vier  durchbohrte,  dreieckige  foramina,  die  noch  von 
einer  parallel  zu  den  Seiten  laufenden,  vertieften  Linie  umgrenzt  sind.  Durch- 
messer bei  beiden:  91,4  cm^^). 

6)  Canino,  jetzt  im  Lateranmuseum  zu  Rom  (Fig.  8).  Wurde  bei  Canino 
aus  der  Erde  ausgegraben,  von  de  Rossi  1889  beschrieben.    Zwei  gleich  weit. 


17)  Zur  Erklärung  des  letzten  Wortes  vgl.  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der  Provinz 
Sachsen,  Kr.  Gardelegen,  1897,  unter  Wal  heck;  die  früheren  Erklärungsversuche  finden 
siph  bei  Otte,  Nachgel.  Bruchst.,  Anm.  39. 

18)  Vgl.  Otte,  Deutsche  Bauzeitung,  Jahrg.  23.  1889.  Nr.  40  und  Schönermark, 
chcnd.  Nr.  66.  mit  genauer  Abbildung  der  Glocke. 

19)  Die  genaueren  Angaben  verdanke  ich  dem  Herrn  Prof.  Dr.  S  c  h  r  ü  d  e  r  in  Dillingen. 


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OBKRPFARKEH  IN  MÜNCH£NBEKNSDOKK.  ^63 


ohne  schießschartenähnliche  Abschrägung  der  Wandung,  im  Querschnitt  drei- 
eckig, durch  die  Wandung  hindurchgehende  foramina*^),  über  denen  in  ganz 
schwachen,  vertieften  Linien  eine  Ornamentierung  angebracht  ist,  ähnlich  den 
einfachen  Linien  in  Augsburg  (s.  o.)  Außerdem  ist  unter  jedem  Schall-Loch 
ein  aus  ganz  schwach  erhabenen  Linien  bestehendes  Volutenkreuz  angebracht, 
der  erste  Anfang  von  erhabenen  Verzierungen,  die,  wie  in  mehreren  Fällen 
die   erhabenen  Zierreifen    am  Wolm,   sich   an   dem  Talgkern  des  Theophilus 


jM^ 


Fig.  10. 

herstellen  ließen.  Außerdem  befindet  sich  am  Schlag  in  vertieften  Buchstaben 
eine  Inschrift,  deren  Fragmente  de  Rossi  so  liest,  bezw.  ergänzt:  (In  honore) 
DNI  N(ri  Jesu)  CRISTI  ET  SCI  (Michael)IS  ARHANGELI  (offert  ?)  VIVENTIV(s). 
Durchm.  39  cm,  Höhe  37  cm. 

7)  Elsdorf,    jetzt    im    Provinzial- Museum    zu    Halle    befindlich.     Zwei 
markierte    foramina.     Zwischen  3  Paar   vertieften  Linien   am  Hals   läiiTt   eine 


mMst^mmmi 


Figr.  11. 

zweizeilige  Inschrift  (Fig.  9)  des  Inhalts:  (in  der  unteren  Zeile  beginnend) 
+  GODVINVS  .  DEO  •  CONQVERITVR  •  ET  (obere  Zeile)  SANCTIS  •  QVIA 
•  RECEPIT  .  A  VOBIS.  —  Schubart ''^^)  setzt  die  Glocke  wohl  richtig  in 
die  Mitte  des  IL  Jahrh.  an.     Durchm.  50  cm,  Höhe  49  cm. 

20)  Auf  Grund  eingehender  Besichtigung  mitgeteilt  von  Herrn  Uldall  in  Randers 
(Dänemark).  i 

21)  Die  Glocken  im  Herzogtum  Anhalt,  Dessau  18%.  S.  214  flf.,  dort  finden  sich  auch 
die  weit  ausholenden  Untersuchungen  über  den  Godvinus,  die  aber  zu  keinem  Ergebnis 
führen. 


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164 


DIE  THEOPHILUS^LOCKEN.    OLOCKENSTUDIE  VON  P.  LIBBESKIND, 


8)  Rosslau.  Die  einzige  im  Herzogtum  Anhalt  noch  vorhandene  Theo- 
philus-Glocke**),  mit  zwei  markierten  foramina,  ohne  Inschrift.  Schubart 
glaubte  auf  der  Haube  an  zwei  Stellen  aus  vermeintlichen  feinen,  erhabenen 
Schriftzeichen  eine  Jahrzahl  wie  DCCCCL  .  .  herauslesen  zu  können.  Aber 
Form  und  Zeit  sind  gleich  unwahrscheinlich.     Durchm.  38  cm,  Höhe  35  cm. 


Fig.  12. 

9)  Glentorf  im  Herzogtum  Braunschweig *^^).  (Fig.  10.)  Zwei  markierte 
foramina.  Am  Wolm  zwei  erhabene  Stäbe  als  Verzierung  und  Andeutung 
der  Gliederung.  Am  Hals  zwischen  zwei  Paar  vertieften  Linien  die  vertiefte 
Inschrift:  (Fig.  11.)  +  GODEWIN  +  ANDREAS  MILES  (vgl.  zu  ElsdorO- 
Durchm.  48,6  cm,  Höhe  48  cm. 


Fig.  18. 

10)  Basel,  im  historischen  Museum  daselbst  (Fig.  12).  Ihre  Beschrei- 
bung s.  o.  Sie  hat  drei  durchgehende  foramina.  Die  Flanke  steigt  fast  ohne 
Verjüngung  empor.     Durchm.  40  cm,  Höhe  38,5  cm. 

22)  Schubart,  a.  a.  O.  S.  20. 

23)  Beschrieben  und  abgebildet  von  H.  Pfeifer,  Kirchen j^locken  im  Herzogtum 
Braunschweig,  in  der  Denkmalpflege,  III.  Jahrg.,  1901.  Nr.  15. 


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OBERPFARRER  IN  MÜNCHENBERNSDORK.  ^65 


11  u.  12)  Cöln,  im  erzbischöflichen  Museum  unter  Nr.  139  und  Nr.  212. 
Sie  sind  vorübergehend  von  H.  Bergner  besichtigt  worden,  der  die  zwei  (?) 
foramina  von  Nr.  139  als  deutlich  später   eingemeißelt,   aber  doch  wohl  von 


Fig.  14. 


dreieckigem  Profil  bezeichnet.  Prof.  Dr.  Schnütgen  beschreibt  sie  mir  an 
beiden  Glocken  als  IV2 — 2  cm  im  Durchmesser  haltende,  eingemeißelte,  nicht 
dreieckige  Löcher.     Eine  Photographie  der  Glocken  war  beim  besten  Willen 


Fig.  15. 

nicht  zu  erhalten.    Nur  die  Maße  wurden  mir  freundlichst  mitgeteilt,  Nr.  139: 

76,5  cm  Durchm.,  62  cm  Höhe,  und  Nr.  212:  52  cm  Durchm.,  50  cm  Höhe. 

13)  Merseburg,  im  alten  Bibliothekzimmer  des  Kapitelhauses  im  Dom. 

Profil    genau    wie    bei    der   Graitschener    Glocke;   zwei   markierte   foramina. 


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166 


DIE  THEüPHILUS-nLOCKKN.    GLOCKENSTUDIE  VON  P.  LIEBESKIND, 


Zwischen  zwei  Paar  vertieften  Linien,  über  denen  sich  noch  ein  drittes  Paar 
befindet  (vgl.  zu  Theissen  und  Aschara)  steht  die  vertiefte  Inschrift  (Fig.  13) : 
+  IN  NOMINE  DOMINI  AMEN.     Durchm.  47  cm.,  Höhe  43  cm. 

14)  Barnstedt  (Kr.  Querfurt,  Prov.  Sachsen)  (Fig.  14),  von  mir  und 
Dr.  H.  Bergner  im  Sommer  1903  gefunden.  Die  Glocke  ist  sehr  lang,  wie 
eine  Kuhschelle  geformt,  ohne  Inschrift,  mit  zwei  markierten  foramina.  Durchm. 
42  cm,  Höhe  46  cm. 

15)  Theissen  (Kr.  Weißenfels,  Prov.  Sachsen)  (Fig.  15).  Sie  wurde 
von   mir  am  19.  August  1904   gefunden   und   bestimmt^*).     Zwei   markierte 


S^ZS^ 


TIM 


Fig.  16. 

foramina.  Am  Hals  sind  vier  Paar  vertiefte  Linien;  zwischen  dem  dritten 
und  vierten  Paar  steht  die  Inschrift:  (Fig.  16.)  +  WOLFGER VS  ME  FECIT 
IN.  Als  Fortsetzung  dieser  Inschrift  darf  man  nicht  sowohl  den  Ort  des 
Gusses  ergänzen,  als  vielmehr,  entsprechend  der  Inschrift  in  Merseburg  oder 
Diesdorf:  in  honore  oder  in  nomine  etc.    Zwischen  dem  zweiten  und  dritten 


Fig.  17. 

Paar  Zierlinien  ist  ein  einfaches  Linienornament  (Fig.  17)  angebracht,  wie  es 
bei  den  bisher  bekannten  Glocken  dieses  Alters  noch  nicht  festgestellt  war. 
Durchm.  48  cm,  Höhe  42  cm. 

16)  Aschara,  (S.-Gotha)  (Fig.  18).  Die  in  den  Bau-  und  Kunstdenk- 
mälern Thüringens,  Heft  10,  angegebene,  mit  der  der  Theißener  Glocke  überein- 
stimmende Inschrift  ließ  vermuten,  daß  mitten  in  Thüringen  noch  eine  Theo- 
philus-Glocke  im  Verborgenen  ein  bescheidenes  Dasein  fristete.  Eine  darauf- 
hin mit  mancherlei  Hindernissen  verbundene  Entdeckungsreise  ward  am 
30.  Sept.  1905   mit  dem   schönsten  Erfolge  gelohnt.     Auf  dem  Turme  fand 


24)  Die  Glocke  war  bereits  von  Sommer,  Archäologische  Wanderungen  1856 — 1866, 
in  den  Neuen  Mitteilungen  des  thüring.-sächs.  Altertumsvereins,  Bd.  IX,  S.  308  flf.,  später 
in  den  Bau-  und  Kunstdenkmälern  der  Prov.  Sachsen,  Kreis  Weißenfels,  1880,  erwähnt, 
ohne  daß  die  foramina  und  die  vertiefte  Schrift  nebst  Verzierung  beachtet  wurde. 


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OBEKPFARRER  IN  MÜNCHBN-BERNSDORF.  167 


sich  noch  mitten  im  harten  Dienst  eine  regelrechte  Theophilus  -  Glocke  mit 
zwei  großen,  durchgehenden  foramina,  die  an  die  900  Jahre  hindurch  von 
einem  Geschlecht  zum  andern  geschlagen  worden  war.  Sie  hat  die  zylindrische 
Flanke  der  LuUusglocke.  Zwischen  zwei  vertieften  Linien  am  Hals  steht  ohne 
ein  besonderes  Anfangszeichen*^)  die  Inschrift  (Fig.  19):  WOLFGER  VS  •  ME  • 
FECIT ;  darüber  wieder  zwischen  zwei  vertieften  Linien  ein  Kranz  von  Orna- 
menten (Fig.  20).  Es  kann  kein  Zweifel  sein,  daß  diese  und  die  vorher  be- 
schriebene Glocke  in  Theissen  von  ein  und  demselben  Gießer  stammen. 
Durchm.  64  cm,  Höhe  42  cm. 


Fig.  18. 

in  dieselbe  Gruppe  sind  noch  einige  Glocken  zu  stellen,  die  zwar  den 
Weg  mancher  wertvollen  Glocke,  in  den  Schmelzofen  hinein,  gegangen  sind, 
denen  aber  ein  gütiges  Geschick  noch  soviel  Gedächtnis  bewahrt  hat,  daß 
sie  mit  Sicherheit  den  alten,  überlebenden  Zeugen  beigeordnet  werden  können. 
Gleichzeitig  sollen  sie  zum  Zeugnis  dafür  dienen,  mit  welcher  Gleichgiltigkeit 
zuweilen  unersetzliche  Kunstdenkmäler  gedankenlos  vernichtet  werden. 

f  17)  Unterröblingen.  Grössler,  in  der  Zeitschrift  des  Harzvereins, 
XL  Jahrg.  1878,  sah  und  beschrieb  noch  eine  Theophilus-Glocke  mit  zwei 
markierten  foramina  und  der  Halsinschrift  (Fig.  21):  +  CE  +  CI  +  LI  +  A 
(=  CECILIA,  das  C  in  derselben  eckigen  Form,  wie  in  Elsdorf,  oben  unter 


25)  Das  Anfangskreuz  steht  merkwürdigerweise  in  dem  Ornamentkranz  gerade  über 
dem  Wort  Wolfgerus,  womit  indirekt  dieses  Wort  wie  in  Theissen  als  erstes  gekenn- 
zeichnet ist.  Lehfeld  hat  das  natürlich  nicht  gesehen  und  ratet  auf  den  falschen  Anfang, 
indem  er  liest:  Me  fecit  Wolfgerus. 


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168 


DIE  THEOPHILÜSGLOCKEN.    GLOCKENSTÜDIE  VON  P.  LIEBESKIND, 


Nr.  7),  die  im  Jahre  1890  durch  Unachtsamkeit  der   örtlichen  Behörden  ein- 
geschmolzen wurde.  — 

f  18)  Schkauditz,  Kr.  Zeitz.  Die  Bau-  u.  K.-D.  der  Provinz  Sachsen, 
Kr.  Zeitz,  1879,  verzeichnen  noch  eine  alte  Glocke,  die  in  römischer  Kapital- 
schrift die  Inschrift  trug:  IN  ER  +  ADELBERT VS.  Trotz  jeder  näheren 
Angabe  kann  mit  Sicherheit  angenommen  werden,  daß  es  sich  hier  um  eine 
Theophilus-Glocke  handelte.  Die  Glocke  sprang  im  Jahr  1888  und  ward 
ungesehen  eingeschmolzen ! 


FijT.  19 

f  19)  Hein  rode  (S.-Weimar).  Durch  eine  gelegentliche  mündliche 
Mitteilung  erfuhr  ich  vor  kurzem,  daß  im  Jahre  1887  am  Tag  der  Einführung 
des  neuen  Pfarrers  eine  Glocke  sprang  und  umgehend  dem  Glockengießer 
überantwortet  ward,  die  nach  den  dürftigen  Angaben  nichts  anderes,  als  eine 


Fig.  20. 


inschriftlose  Theophilus-Glocke,  vielleicht  eine  Schwesterglocke  der  Graitschener, 
war.  Von  ihr  berichtet  kein  Konservator  mehr;  bloß  der  Glockengießer  weiß, 
was  für  ein  gutes  Geschäft  er  gemacht  hat. 

Die  Reihe  der  sicher  als  Theophilus-Glocken  bezeugten  Gefäße  ist  hier- 
mit aber  keineswegs  erschöpft.  Es  schließt  sich  hieran  eine  andere  Gruppe 
von  solchen,  die  als  wesentlichstes  Merkmal  vertiefte  Schriftzeichen  oder  auch 
nur  Linien  haben,  denen  aber,  soweit  nachweisbar,  die  foramina  fehlen.  Es 
sind  die  folgenden,  zumeist  im  Herzogtum  Anhalt  von  Schubart  aufge- 
fundenen : 

20)  Ried  er.  Ohne  Inschrift;  am  Hals  vier  Paar  vertiefte  Linien;  die 
Flanke  zylindrisch.     Durchm.  43  cm,  Höhe  45  cm. 


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OBERPFARRER  IN  MÜNGHEN-BERNSDORF. 


169 


21)  Großkühnau.  Am  Hals  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  unteren 
der  drei  Paare  vertiefter  Linien  die  vertiefte  Inschrift  (Fig.  22) :  +  IN  HONORE 
BEATE  MARIE  VIRS-    Durchm.  47.7  cm,  Höhe  47  cm. 

22)  Großkühnau.  Von  derselben  Form  wie  die  vorhergenannte,  aber 
ohne  Inschrift.     Durchm.  69  cm,  Höhe  68  cm. 

23)  Streetz.  Von  gleicher  Form  wie  die  vorige,  ohne  Inschrift.  Durch- 
messer 45  cm,  Höhe  50  cm. 

Fijr.  i>l. 

f  24)  Waldau.  Die  vertiefte  Inschrift  einer  eingeschmolzenen  Glocke 
lautete:  +  IN  HONORE  DT  GENETRICIS  §  V. 

25)  Drohndorf.  Zwischen  zwei  Paar  vertieften  Linien  steht  die  gleich- 
falls vertiefte  merkwürdige  Inschrift  (Fig.  23):  aus  welcher  Schubart  in 
kühner  Deutung,  aber  ohne  Zustimmung  zu  finden,  herausgelesen  hat:  +  A(nno) 


^^MismMw^mK 


Fig.  ^. 

MlIC  (^  1098):D(ie)  P(ost)  F(e)  S(tum)  A(rchangeli)  S(anc)  T(i)  Ml(chaelis) 
II  C(alendis)  O(ctobris)  I(n)  H(onore)  V(irgini)s  M(ariaeJ  G(ene)  T(ricis)  D(ei). 
Durchm.  60  cm,  Höhe  64  cm. 

26)  C rüchern.    Drei  Paar  feine  vertiefte  Linien  am  Halse  bilden  zwei 
Bänder;    im   unteren   glaubte  Schubart   schwach   erhabene  Buchstaben  ent- 


wipyj^r 


Fig.  23. 

Ziffern  zu  können,  die  er  als:    (in  hon)ORE  BEAT(e  Mariae  virginis)  deutet. 
Durchm.  45  cm,  Höhe  48  cm. 

27)  Gernrode.  Einige  vertiefte  Schriftzeichen  deutet  Schub art:  .  .  .  C. 
XXV  -   (1)125.     Durchm.  52  cm,  Höhe  54  cm. 

MitteiloDgeD  au8  dem  german.  Natiouaimuäeum.    l*Ji>r>.  2 


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170 


DIE  THEOPHILUS-GLOCKEN.    GLOCKENSTUDIE  VON  P.  LIEBESKIND. 


28)  Gernrode.  Der  vorigen  im  Äußeren  gleich;  ohne  Inschrift.  Durch- 
messer 42  cm,  Höhe  43  cm. 

29)  Großbadegast.  Am  Hals  zum  Teil  verschwommene,  vertiefte 
Linien  ohne  Inschrift  dazwischen.     Durchm.  93  cm,  Höhe  93  cm. 

Nr.  20 — 29   sind   im  Herzogtum  Anhalt  von  Schubart    nachgewiesen. 

30)  Smollerup  b.  Viborg  (Dänemark)  nach  einer  gütigen  Mitteilung 
von  F.  Uldall  in  Randers.  Als  einzige  dieser  Art  in  Dänemark  hat  sie  am 
Hals  die  vertiefte  Inschrift:  HOC  AVS  (umgestellt  aus  VAS)  EX  ERE  BE- 
NEDIC  DVS  ATQVE  TVERE.     Durchm.  und  Höhe  unbekannt. 


Fig.  2b. 

Eine  weitere  Gruppe  von  Glocken  ist  hierher  zu  rechnen,  die  ohne 
vertiefte  Inschrift  und  ohne  foramina  auf  der  Flanke  merkwürdige,  ver- 
tiefte Bandomamente  haben.  Diese  letzteren  können  nicht  anders  als  durch 
Einprägen  oder  Einarbeiten  in  die  weiche  Fettschicht,  wie  sie  Theophilus 
beschreibt,  entstanden  sein.  Denn  es  ist  kaum  denkbar,  daß  die  sym- 
metrischen Linien,  besonders  die  horizontal  und  schräg  laufenden,  freihändig 
in  den  abhebbaren  ^•)  Formmantel  eingegraben  worden  sind.  Dagegen 
konnten  sie  auf  der  drehbaren  Formbank  mit  Leichtigkeit  mittels  des  zum 
Glätten   des   Talges   dienenden   scharfen    Eisens    hergestellt    werden.     Wenn 


Fig.  24. 

trotzdem  an  zwei  von  diesen  Glocken  (Nr.  31  und  32)  die  mit  Kreuzen  ver- 
zierten apokalyptischen  Buchstaben  in  erhabenen  Zügen  aufgegossen  sind,  so 
ist  das  noch  keineswegs  ein  Anzeichen  gegen  die  beschriebene  Herstellungs- 
methode. Man  braucht  sich  nur  daran  zu  erinnern,  daß  schon  die  oben  unter 
Nr.  6  beschriebene,  echte  foramina-GIocke  aus  Canino  erhabene  Zeichen  in 
Form  von  Volutenkreuzen  trug,  die  trotz  der  vertieften  Inschrift  erhaben  auf 
den  Talgkern  gearbeitet  worden  sind.     Dafür  aber,  daß  Glocken,   die  sicher 


26)  Hiernach   ist   meine  erste  Erklärung   in   dem  Aufsatz:   Der  Glockenguß   nach 
Theophilus,  S.  34  zu  korrigieren,  vgl.  aber  das  Nachwort  am  Schluß. 


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OBERPFARRER  IN  MÜNCHEN-BERNSDORF.  1'^ 


nach  des  Theophilus  Angaben  auf  der  Formbank  gebildet  sind,  erhabene 
Schriftzeichen  führen,  bietet  die  weiter  unten  zu  besprechende  Glocke  in 
Rödelwitz  einen  schlagenden  Beweis.  Natürlich  müssen  diese  Glocken  in 
eine  spätere  Zeit,  in  die  Schlußperiode  der  Theophilus-Glocken  gesetzt  worden. 
Glocken  mit  bandartigen  Gitter-Ornamenten  sind  bis  jetzt  nachweisbar  in 

31)  Köchstedt,  Durchm.  83  cm. 

32)  Unterröblingen,  Durchm.  101  cm,  Höhe  92  cm. 


Fig.  26. 

Beide  im  Mansfelder  Seekreis,  Prov.  Sachsen,  sind  von  Größler  zuerst 
beschrieben^^).  Der  untere  Teil  der  Flanke  ist  durch  senkrechte  und  wage- 
rechte Bänder  in  Schachbrettfelder  geteilt  (Fig.  24);  darüber  sind  zweimal, 
auf  die  vier  Himmelsrichtungen  verteilt,  die  apokalyptischen  Buchstaben  an- 
gebracht. 


Fig.  27. 

33)  Ellrich  b.  Nordhausen,  bei  Otte,  Nachgel.  Bruchstück  S.  32 f.  nach 
den  Bau-  u.  K.-D.  der  Prov.  Sachsen,  Bd.  XIII,  1889  erwähnt.  Ohne  Inschrift 
und  Zeichen,  nur  mit  schräg  sich  kreuzenden  Bändern  auf  der  Flanke  be- 
deckt (Fig.  25),  die  ein  rautenförmiges  Muster  bilden.     Durchm.  59  cm. 

27)  Größler,  Zeitschr.  des  Harzvereins,  XI.  Jahrg.  1878;  darnach  Otte,  Nachgel. 
Bruchst.  S.  32  f     Die  Abbildung  ist  an  beiden  Stellen  mangelhaft. 


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172  DIE  THEOPHILÜS-GLOCKEN.    GLOCKKNSTUDIB  VON  P.  LIEBESKIND, 


34)  Hunzen  (Braunschweig)*®).  Das  Muster  ist  durch  Bänder,  die  aus 
je  drei  Linien  bestehen,  in  Form  von  sich  schneidenden  Kreisbögen  gebildet 
(Fig.  26),  und  durch  zwei  lotrechte  Bänder  in  zwei  Hälften  geteilt.  Durchm. 
70  cm,  Höhe  66  cm. 

35)  Weddersieben  b.  Quedlinburg^®).  Ein  Gipsmodell  davon  befindet 
sich  im  Provinzialmuseum  zu  Halle.  Die  Flanke  ist  mit  den  verschieden- 
artigsten Ornamenten  bedeckt  (Fig.  27),  die  aus  zumeist  1,4  cm.  breiten,  ver- 
tieften Bändern  bestehen.     Durchm.  48,8  cm,  Höhe  47  cm. 

36)  Halberstadt,  Liebfrauenkirche.  Ohne  Inschrift,  mit  »gitterförmiger 
Verzierung  um  den  unteren  Rand  und  die  Seitenwände«  ^^).  Durchm.  41  Zoll, 
Gewicht  ca.  15  Ztr. 

Fig.  88. 

f  37)  Langenstein  bei  Halberstadt®*),  mit  netzförmigen,  übereck  ge- 
zogenen Bändern  von  dem  Profil  (Fig.  28) :  über  den  ganzen  Mantel  (Flanke). 
Durchm.  54  cm.     Sie  wurde  1888  eingeschmolzen! 


Fig.  29. 

Den  Abschluß  bilden  zwei  Glocken,  die  zwar  erhabene  Schriftzeichen 
haben,  deren  Rippe  aber  der  der  Theophilus-Glocken  so  täuschend  ähnlich 
ist,  daß  man  diese  Glocken  nirgends  anders  als  im  Anschluß  an  die  ältesten 
Geräße  eingliedern  kann. 

38)  Rödelwitz  (S.-Meinigen).  Die  Krone  ist  samt  der  oberen  Platte 
abgebrochen  und  durch  eine  aufgeschraubte  neue  Metallplatte  ersetzt.  Mit 
der  Graitschener  Glocke  stimmt  sie  nicht  bloß  im  Profil  völlig  (Fig.  29)  über- 

28)  H.  Pfeifer,  Kirchengloclcen  im  Herzogtum  Braunschweig,  in  der  Denkmal- 
pflege, m.  Jahrg.  1901,  Nr.  15. 

29)  Nach  Otte,  Nachgel.  Bruchstück  S.  33  f. 

30)  Nach  Nebe,  Die  Halberstädter  Glocken,  Zeitschr.  des  Harzvereins.  IX.  Jahrg- 
1876,  S.  286  ff.  Auch  Bau-  und  Kunst-Denkmäler  der  Provinz  Sachsen,  Heft  19  zu  Köch- 
stedt,  S.  286,  Anm.  1. 

31)  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der  Provinz  Sachsen,  Kr.  Halberstadt,  1902. 


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OBERPPARRER  IN  MÜNCHENBBRNSDORF.  173 


ein,  sondern  weist  auch  dieselben  Gußfehler  auf,  die  durch  Abbröckeln  des 
festen  Formmantels  oder  durch  Lockerung  desselben  am  unteren  Rand  des 
Schlages  und  an  dem  Zierreif  am  Hals  entstanden  sind.  Hierdurch  ist  das 
Metall  genau  wie  an  den  Henkeln  der  Graitschener  Glocke  ausgelaufen.  Die 
Oberfläche  des  Gusses  ist  rauh,  nicht  abgeschliffen.  Die  Schrift  (Fig.  30)  ist 
aus  dünnen  Wachs  (Talg)-Fäden  gebildet,  die  zum  Teil  strickartig  zusammen- 
gedreht sind'^.    Diese  Form  der  Buchstaben  hatte  eine  Analogie  in  den  oben 


90Ahisi 


Fig.  80. 

ZU  Canino  (Nr.  6)  erwähnten ,  gleichfalls  erhabenen  Volutenkreuzen.  Sie 
erklärt  sich  daraus,  daß  einerseits  der  Formmantel  noch  nicht  zum  Abheben 
eingerichtet  war,  wie  Theophilus  auch  angibt,  daß  aber  anderseits  ein  Fort- 
schritt stattgefunden  hatte,  indem  man  schon  lange  vor  dem  späteren  Gebrauch 
der  in  Wachsmodellen  hergestellten  Lettern  und  Ornamente  freihändig  ge- 
formte, erhabene  Zeichen  auf  dem  Talgkeme  anbrachte. 


Fip.  31. 

39)  Iggensbach  (Niederbayern).  Diese  ist  als  älteste  datierte  Glocke 
aus  dem  Jahr  1144  schon  längst  bekannt^*).  Eine  einigermaßen  zuverlässige 
Skizze  (Fig.  31)  nebst  kurzer  Beschreibung,  die  ich  Herrn  Prof.  Dr.  Schrö- 
der in  Dillingen  verdanke,  stellt  das  genau  bienenkorbförmige  Profil  mit  zylin- 
drischer Flanke  fest.     Über  die  Herstellung  der  Inschrift  durch  Einschreiben 

32)  Jos.  Berthel^,  Enqußtes  campanaires,  Montpellier  1903,  zählt  vier  solcher  mit 
Wachsfaden-Buchstaben  ausgestatteten  Glocken,  darunter  die  aus  Fontenailles,  jetzt  im 
Museum  zu  Bayeux  vom  Jahr  1202.  Dort  hat  das  A,  mit  dem  Kreuz  verziert,  genau  die- 
selbe Form,  wie  hier  in  Rödelwitz. 

33)  Otte,  Handbuch  der  kirchlichen  Kunstarchäologie,  1883,  I.  S.  355,  Fig.  142  und 
S.  404,  Fig.  212;  darnach  Glockenkunde,  1884,  S.  88.  Die  auch  noch  von  Bergner, 
Handbuch  der  kirchlichen  Kunstaltertümer,  1905.  S.  312,  Fig.  263  gegebene  Abbildung 
der  Glocke  ist  vollständig  unzureichend  und  ungenau.  Sie  stammt  von  Herrn  J.  Stemp- 
linger  in  Iggensbach. 


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174  DIE  THEOPHILÜS-GLOCKEN.    GLOCKENSTÜDIE  VON  P.  LIEBESKIND, 

in  den  abgehobenen  Lehmmantel  ^*)  sind  mir  inzwischen  berechtigte  Zweifel 
beigekommen.  Zunächst  ist  auffällig,  daß  die  Schrift  gleich  bei  dem  ältesten 
bekannten  Beispiel  rechtsläufig  erscheint,  während  doch  noch  bei  vielen  späteren 
Glocken  festzustellen  ist,  daß  die  Buchstaben  wohl  rechtsläufig  in  den  Mantel 
eingeschrieben  wurden,  aber  im  Guß  linksläufig  zum  Vorschein  kamen.  Ferner 
ist  es  merkwürdig,  daß  das  Anfangskreuz  wiederum  volutenförmig  gebildet 
ist.  Diese  Anzeichen  bestärken  mich  in  der  Annahme,  daß  es  sich  auch  hier 
möglicher  Weise  um  eine  Wachsfädeninschrift  handelt,  und  daß  die  Iggens- 
bacher  Glocke  ein  Gegenstück  der  Rödelwitzer  aus  noch  weiter  vorgeschrittener 
Zeit  ist. 

40)  Unter  diese  letzte  Nummer  sind  endlich  eine  ganze  Anzahl  von  Glocken 
zusammenzufassen,  die  in  die  Klasse  der  zuckerhutförmigen  gehören.  Bei 
ihnen  ist  die  Herstellung  auf  der  Formbank  mittels  des  Formholzes  deutlich 
am  Profil  erkennbar.  Die  Flanke  verjüngt  sich  kegelförmig,  das  Profil  ist 
geradlinig,  ohne  Schweifung,  und  der  Schlagring  fällt  ohne  größere  Ausladung 
stumpf  ab.  Als  besondere  Kennzeichen,  die  auf  die  Methode  des  Theophilus 
zurückweisen,  sind  an  ihnen  bemerkbar:  die  schlaff  herabhängenden  Henkel, 
die  runde  Haube,  die  vom  Glätten  des  Talgkerns  herrührenden,  horizontal 
laufenden  Formmarken  auf  der  Flanke,  die  rauhe,  nicht  geglättete  Oberfläche 
und  der  am  Bord  wagrecht  abschneidende  Schlag.  Ein  klassisches  Beispiel 
befindet  sich  in  Zeugfeld,  Kreis  Querfurt.  Hier  ist  nämlich  die  ganze  Flanke 
wie  mit  Blatternarben  besät,  die  durch  Abbröckelung  im  Innern  des  Form- 
mantels entstanden  sind.  Sie  lassen  sich  nur  so  erklären,  daß  der  Mantel 
nicht  abgehoben  werden  konnte ,  sondern  fest  war ,  wie  Theophilus  angibt. 
Denn  wenn  er  abgehoben  worden  wäre ,  hätten  die  abgebröckelten  Stellen 
ausgebessert  und  geglättet  werden  können. 

Der  Übergang  von  der  ältesten  Form,  wie  sie  Theophilus  beschreibt, 
zur  gotischen  Rippe,  vollzieht  sich  stufenweise.  Einzelne  Fortschritte,  an 
denen  sich  Abweichungen  von  der  Methode  des  Theophilus  nachweisen  lassen, 
sind  oben  gelegentlich  erwähnt.  Ihren  Abschluß  fand  die  Übergangszeit  in 
der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts.  Von  Anfang  des  lä.  Jahrhunderts 
sind  keine  Merkmale  mehr  nachweisbar^'^),  die  auf  Angaben  des  Theophilus 
zurückzuführen  wären. 


Nachwort.  Zu  Ziffer  32,  Unterröblingen.  Bei  eingehender  Reinigung 
und  Untersuchung  der  über  und  über  mit  Staub  und  Schmutz  bedeckten 
Glocke  fand  ich  am  18.  Nov.  1905,  daß  die  ganze  Oberfläche  dieser  Glocke, 

34)  In  meinem  Aufsatz:  Der  Glockenguß  nach  Theophilus,  S.  40.  Ebend.  ist  der 
sinnentstellende  Druckfehler  in  Z.  5  von  unten:  »dennoch«  in  »demnach«  zu  verbessern. 

35)  Als  Kuriosum  sei  hier  noch  die  Glocke  in  Branderode,  Kreis  Querfurt, 
erwähnt,  die  geschweifte  Zuckerhutform  mit  weit  ausladendem  Schlagring  und  eine  Hals- 
inschrift vertieft  eingegossen  mit  dem  Spruch  Joh.  1,  1 :  In  principio  erat  verbum  etc. 
aufweist.  Allen  Anzeichen  nach  stammt  sie  aber  erst  aus  der  Wende  des  14.  und  15.  Jahr- 
hunderts. 


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OBERPFARRER  IN  BIÜNCHEN-BBRN8D0RF.  175 


Haube,  Hals,  Flanke  und  Schlag,  mit  Mustern  bedeckt  ist.  Diese  sind  auf 
der  einen,  nach  Norden  gerichteten  Hälfte  durch  senkrechte  und  wagrechte 
Streifen  gebildet,  und  nur  diese  Seite  hat  Größler  a.  a.  O.  gesehen  und 
beschrieben.  Auf  der  anderen  Hälfte,  nach  Süden  zu,  wird  das  Muster  durch 
regellos  verschlungene  Bänder  gebildet.  Diese  Bänder  sind  aber  nicht  in  der 
ganzen  Breite  in  die  Glockenform  eingedrückt,  sondern  werden  durch  zwei 
parallellaufende,  ganz  schwach  vertiefte  Linien  gebildet.  Die  apokalyptischen 
Buchstaben  stehen  in  dieser  Reihenfolge :  A  A  Q  Q.  Ihrem  Profil  nach  er- 
wecken sie  den  Anschein,  als  wären  sie  durch  Einschreiben  in  den  abgehobenen 
Mantel  entstanden  und  zwar  später  als  das  Bandornament,  das  den  Buch- 
staben gleichsam  als  Grund  dient.  Diese  Glocke  (nebst  der  in  Köchstedt) 
bietet  demnach  das  in  dieser  Form  noch  nicht  nachgewiesene  Beispiel  einer 
Übergangsform,  bei  welcher  vertiefte  Zeichen  auf  dem  Talg-  (oder  Thon-?) 
Modell  zusammentreffen  mit  Zeichen,  die  in  den  abhebbaren  Formmantel  ein- 
geschrieben sind. 


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DAS  VON  BIBRA'SCHE  ZIMMER  IM  GERMANISCHEN 

MUSEUM. 

VON  DR,  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 
(Mit  einer  Tafel  und  drei  Text- Abbildungen.) 

Unter  den  im  oberen  Geschoß  des  Südbaues  des  Germanischen  Museums 
aufgestellten  Zimmern  nimmt  das  aus  dem  ehemals  Freiherrlich  von 
Bibra'schen  Hause  in  Nürnberg  (jetzt  Bergstraße  Nr.  7)  stammende  Wohn- 
gemach, gewöhnlich  das  von  Bibra'sche  Zimmer  genannt,  an  Intimität  der 
Raumwirkung,  an  Einheitlichkeit  des  Gesamteindrucks  und  an  Sorgfalt  der 
Einzelgestaltung  entschieden  den  ersten  Platz  ein.  Dazu  fällt  es  durch  die 
präzise  Feinheit  der  Technik  aus  dem  Rahmen  des  sonst  in  Nürnberg  zu 
jener  Zeit  Üblichen  heraus^  wie  auch  die  Hinaufführung  der  Vertäfelung  der 
Eingangsseite  bis  zur  Decke  als  eine  Seltenheit  bezeichnet  werden  muß. 

Die  Aufstellung  dieses  Zimmers  erfolgte  zusammen  mit  derjenigen  der 
Tiroler  Bauernstube,  den  Renaissancestuben  aus  Chur  und  Tirol  in  den  Jahren 
1887/88,  und  zwar,  wie  Essen  wein  ausdrücklich  hervorhebt,  ohne  jede  Ände- 
rung in  genau  der  gleichen  Art,  wie  sie  am  ursprünglichen  Platze  gestanden. 
Essenwein  betrachtete  diese  Raumausstattungen  als  eine  Abrundung  der 
Gruppe  des  häuslichen  und  geselligen  Lebens.  Sie  sollten  gewissermaßen 
die  aus  dem  Studium  der  Einzelheiten  gewonnenen  Vorstellungen  verdichten, 
sie,  sollten  in  zusammenfassender  Art  das  häusliche  Leben  im  Ganzen  vor 
Augen  führen.  Dadurch,  daß  er  sie  verschiedenen  Gegenden  entnahm,  er- 
möglichte er  die  Bildung  einer  Vorstellung  von  der  Entwicklung  des  Wohn- 
wesens überhaupt.  Essenwein  erklärte  in  näherer  Darlegung,  daß  es  ihm 
vollkommen  fernläge,  mit  diesen  Einrichtungen  originelle,  romantische,  der 
Wirklichkeit  doch  nie  entsprechende  Bilder  zu  komponieren.  Er  lehnte  es 
ab,  den  unberechtigten  sentimentalen  Anschauungen  von  der  Vergangenheit 
Konzessionen  zu  machen.  Er  wollte  wahr  sein  und  die  Dinge  geben,  »genau 
so,  wie  sie  wirklich  waren,  und  nicht  so,  wie  der  allermodernste  sentimentale 
Weltschmerzler,  welcher  mit  der  Gegenwart  zerfallen  ist  und  sich  ein  roman- 
tisches  Bild   der   alten    Zeit    ausmalt,    sich   dieselben    vorstellt.«     Er    sah    die 


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DAS  VON  BIBRA'SCHE  ZIMMER  IM  GERM.  MÜSEÜM.    VCN  DR.  FRITZ  TR.  SCHULZ.  177 

Aufgabe  einer  wissenschaftlichen  Anstalt,  wie  sie  das  Germanische  Museum 
ist,  darin,  nicht  selbst  Kombinationen  zu  schaflfen,  sondern  das  wirklich  Vor- 
handene in  seiner  charakteristischen  Art  unverfälscht  zu  geben.  Dies  ist 
auch  der  Grund,  weshalb  nach  modernen  Begriffen  die  Innen-Ausstattung  des 
von  Bibra'schen  Zimmers  mit  beweglichen  Zierstücken  eine  etwas  dürftige 
und  kahle  ist.  Auf  dem  Kranzgesimse  der  Vertäfelung  stehen  einige  Gläser, 
Krüge  und  Teller.  Auch  zwei  Porträts  sind  über  der  westlichen  Schmal- 
wand angebracht.  Das  ist  aber  auch  alles,  was  zur  Ausschmückung  der 
Wände  verwendet  worden  ist.  Im  Übrigen  wirkt  eben  die  Vertäfelung  durch 
sich  selbst.  Auch  das  Mobiliar  ist  ein  spärliches.  In  der  Mitte  ein  großer 
Tisch,  umgeben  von  Stühlen  mit  geschnitzten  Lehnen,  in  der  Nordostecke 
ein  grünglasierter  Kachelofen  mit  einer  in  eisernen  Stäben  bestehenden  Schutz- 
vorrichtung, welche  oben  mit  großen  geschmiedeten  Rosen  verziert  ist,  vor 
dem  Ofen  zwei  Wärmebecken  und  in  den  Fensternischen  ein  Sessel  und 
einige  weitere  Stühle.  So  hat  Essenwein  sich  die  Ausstattung  eines  Alt- 
Nürnberger  Wohnraumes  gedacht.  So  und  nicht  viel  anders  ist  sie  auch  tat- 
sächlich gewesen. 

Das  von  Bibra'sche  Zimmer  ist  kein  Repräsentationsraum  im  eigentlichen 
Sinne.  Es  stammt  ja  auch  nicht  aus  dem  2.  Stock  des  Hauses  Bergstraße  7, 
sondern  aus  dem  dritten.  Die  Prunkgemächer  liegen  aber  im  allgemeinen 
in  Nürnberg  im  2.  Stock.  Wir  haben  es  uns  also  als  ein  Wohnzimmer  zu 
denken,  allerdings  als  ein  Wohnzimmer  einer  Familie,  welche  mit  Wohlhaben- 
heit einen  ausgeprägten  Kunstsinn  verband;  denn  das  Haus  hat  auch  sonst 
noch  manches  Interessante  aus  jener  Zeit  aufzuweisen.  Wer  war  nun  der  Er- 
bauer des  Zimmers  .?*  Oberhalb  der  Eingangstüre  bemerken  wir  in  den  Füllungen 
zwischen  den  äußeren  Säulen  zwei  sehr  zierlich  geschnitzte  Wappen  mit  wohl- 
komponiertem Laubwerk  und  mit  Helmzierden  (Taf.  VII  und  Abb.  2).  Nähere 
Nachforschungen  ergaben,  daß  das  linke  dasjenige  der  Familie  Vogt  und  das 
rechte  dasjenige  der  Familie  Geiger  ist.  Die  Wappen  sind  nicht  tinktiert. 
Es  sei  darum  der  Vollständigkeit  halber  eine  sich  aus  den  Nürnberger  Wappen- 
büchern unserer  Bibliothek  ergebende  genauere  Beschreibung  derselben  an- 
gefügt. Das  Vogt'sche  Wappen  zeigt  aut  rotem  Feld  einen  springenden 
weißen  Hirsch,  dessen  Brust  schräglinks  mit  einem  schwarzen  Pfeil  durch- 
bohrt ist.  Geweih  und  Hufen  sind  golden  gefärbt.  Die  Helmzier  entspricht 
dem  Wappenbilde.  Das  Geiger'sche  Wappen  besteht  in  einer  goldenen,  über 
Eck  gestellten  Baßgeige  auf  blauem  Grunde.  Als  Helmzier  dient  die  Halb- 
figur eines  bärtigen  Mannes  mit  blauem  Gewand,  goldenem  Kragen  und  blauer, 
golden  umrandeter  Zipfelmütze.  Da  nun  der  Stil  des  Zimmers  in  Rücksicht 
der  speziell  in  Nürnberg  üblichen  Formen  auf  die  2.  Hälfte  des  16.  Jahrhun- 
derts als  Entstehungszeit  verweist,  so  dürfte  es  kaum  einen  erheblichen  Zweifel 
erregen,  wenn  ich  die  Wappen  auf  den  Doktor  der  Rechte  Hans  Vogt  und 
seine  Gattin  Barbara,  eine  geborene  Geiger,  beziehe.  Dieser  Hans  Vogt 
wurde  nach  Roth^)  im  Jahre  1568  Genannter  des  größeren  Rats,   besaß  ein 

1)  Joh.  Ferd.  Roth,  Geschichte  des  Nürnbergischen  Handels  I,  1800,  S.  3*^3  und 
derselbe,  Verzeichnis  aller  Genannten  des  größern  Raths,  1802,  S.  89. 

Mitteiinnffen  ans  dem  Krerman.  NationHlomseuin.    19(V>.  23 


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178 


DAS  VON  BIBRA'SCHE  ZIMMBR  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM. 


Abb.  I.    Von  bibra'sches  Zimmer.    Teil  des  EirifiranK^s. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


179 


Zinn-Bergwerk  und  handelte  damit.  Er  starb  am  31.  März  1585*).  Seine 
Gattin  wird  als  Steffan  Geigers  Steyrischen  Händlers  Tochter  aufgeführt. 
Sie  starb  am  10.  Januar  1592  ^).  Möglicherweise  ist  ihr  Vater  identisch 
mit  dem  Stephan  Geiger,  welcher   1553  Genannter  wird**).    Vielleicht  ist  es 


Abb.  2.    Von  Bibra'sches  Zimmer.    Anfsati  Ober  dem  Eingr&ng. 

der    gleiche    Stephan,    welcher    nach    Trechsel,    Erneuertes    Gedächtnis    des 
Nürnbergischen  Johannis- Kirchhofes,  Seite   148,   im   Jahre    1557   starb.     Als 

2)  Aus  Genealo^ica  der  Stadtbibliothek. 

3)  Ebendaher. 

4)  Joh.  Ferd.  Roth,  am  letzt^jenannten  Ort,  S.  81. 


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180 


DAS  VON  BIBHASCUE  ZIBCMER  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM. 


Kinder  des  Hans  Vogt  und  seiner  Frau  werden  genannt:  1.  Ursula  Vogtin, 
1579  mit  Gabriel  Mörder  verheiratet;  2.  Endres  Vogt,  1588  mit  Margaretha, 
Hans  Schwaben  Tochter,  verheiratet,  gestorben  1607;  3.  Barbara  Vogtin,  welche 
sich  mit  Friedrich  von  Gera  und  in  zweiter  Ehe  mit  Joachim  Weyermann 
verheiratete.  Wenn  Hans  Vogt,  den  wir  wohl  als  den  Erbauer  des  Saales 
in  Anspruch  nehmen  dürfen,  im  Jahre  1585  starb,  so  muß  das  Zimmer,  um 
das  es  sich  hier  handelt ,  unbedingt  vor  diesem  Jahre  oder  noch  zu  Anfang 
desselben  erbaut  worden  sein.  Wann  dies  geschehen  ist,  darüber  läßt  sich 
Bestimmtes  nicht  sagen.  Nicht  ausgeschlossen  ist  es,  daß  die  Anlage  unseres 
Zimmers  mit  der  Verheiratung  des  Hans  Vogt  zusammenfällt,  die  etwa  um  das 
Jahr  1560  erfolgt  sein  wird.  Jedenfalls  aber  wäre  dies  der  früheste  Termin, 
der  für  die  Entstehungszeit  des  Saales  in  Ansatz  gebracht  werden  dürfte. 
Beschränken  wir  uns  aber  lieber  nicht  auf  bestimmte  Jahre,  für  welche  doch 
kein  positiver  Beweis  gebracht  werden  kann,  und  lassen  wir  den  Saal  in  der 
Zeit  zwischen  1560  und  1585  entstanden  sein! 

Wenden  wir  uns  nunmehr  der  Innenausstattung  selbst  zu!  Der  innere 
Saalraum  mißt  etwa  8,60  m  in  der  Länge  und  rund  6,85  m  in  der  Tiefe.  Auf 
der  Südseite  sind  fünf,  auf  der  östlichen  Schmalseite  zwei  Fenster  nach  dem 
Eck  zu  in  tiefen  flachbogigen  Nischen  angeordnet.  Voll  flutet  das  Licht 
durch  dieselben  dem  Eintretenden  entgegen,  um  die  Westwand,  namentlich 
aber  die  mit  besonderer  Liebe  behandelte  Vertäfelung  der  Nordseite  hell  zu 
bestrahlen.  So  ist  das,  worauf  infolge  der  in  dieser  Weise  gewonnenen 
günstigen  Lichtverhältnisse  ein  besonderer  Wert  gelegt  werden  konnte,  mit 
Nachdruck  dem  gegenüber  hervorgehoben,  worauf  eine  gleiche  Sorgfalt  nicht 
verwandt  zu  werden  brauchte.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  in  dem  unter 
glücklicher  Beleuchtung  an  den  entscheidenden  Stellen  mit  Macht  zum  Durch- 
bruch kommenden  Reichtum  ein  hoher  Reiz  liegt.  Er  wird  noch  verstärkt 
durch  die  Frische  der  auf  Farbenharmonie  sinnvoll  arrangierten  Hölzer.  So 
wechseln  Schlichtheit  und  Pracht  in  wohltuender  Weise  ab,  um  im  Ganzen 
zu  intim  empfundener  Raumstimmung  zusammenzufließen.  Man  fühlt  sich 
in  diesem  Zimmer  behaglich  und  heimisch,  kann  sich  aber  dabei  nicht  des 
Eindrucks  erwehren,  daß  es  mehr  als  ein  bloßer  Alltagsraum  ist,  daß  sich  in 
ihm  Wohnlichkeit  mit  wahrem,  auf  Wohlhabenheit  gegründetem  Kunstsinn 
verbinden. 

Die  eigentlichen  Wandflächen  haben  unten  eine  umlaufende  Fuß-Lamperie 
mit  breiten  Lindenholzfüllungen  in  eichenen  Rahmen.  Dazwischen  treten  die 
Postamente  der  mit  ungarischer  Esche  fournierten  Dreiviertelsäulen  hervor, 
welche,  versehen  mit  attischen  Basen  und  toskanischen  Kapitalen  in  Eiche, 
die  obere  Vertäfelung  vertikal  gliedern.  Die  Zwischenflächen  innerhalb  der- 
selben werden  durch  hohe  Lindenholzfüllungen ,  wiederum  in  eichenen 
Rahmen,  belebt.  Siehe  Taf.  VII.  Das  mit  Platte  und  Sima  weit  ausladende 
Kranzgesims  ist  über  dem  mit  ungarischer  Esche  fournierten  Gebälkfries  mit 
zierlichem  Zahnschnittgesims  ausgestattet. 

Wie  bereits  hervorgehoben,  hat  die  Eingangsseite  eine  besonders  ein- 
drucksvolle Betonung  erfahren.  Siehe  Taf.  VII.    Es  wurde  auch  schon  darauf 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ. 


181 


hingewiesen,  daß  die  Emporführung  der  eigentlichen  Vertäfelung  durch  eine 
besondere  Aufsatz  vertäfelung  bis  zur  Decke  in  Nürnberg  eine  Seltenheit  ist. 
Auch  Ortwein  ist  dies  nicht  entgangen.  Er  spricht  sich  in  folgender  Weise 
darüber  aus:  »Eigentümlich  an  diesem  Täfelwerk  ist,  daß  es  ganz  bis  an  die 
Decke  reicht,  während  bei  allen  übrigen,  die  uns  zu  Gesichte  kamen,  dies 
nicht  der  Fall  war.«  Er  bringt  auch  auf  Doppeltafel  75/76  des  Nürnberg 
betreffenden  Teiles  seiner  deutschen  Renaissance  eine  von  ihm  selbst  an- 
gefertigte Aufnahme  des  Portals  und  des  Wandschrankes  samt  dem  Handtuch- 
halter. Doch  hat  diese  Darstellung  nur  allgemeinen  Wert,  sie  gibt  nur  das 
Gesamtbild  wieder  und  versagt  gänzlich,  wenn  man  in  die  Details  eindringt. 
Auch  fehlt  eine  sachentsprechende  Charakterisierung  der  verschiedenen  Holz- 
arten. Es  waren  darum  neue  Aufnahmen  erforderlich,  welche,  vom  Archi- 
tekten H.  J.  Dennemarck  in  Nürnberg  gefertigt,  in  den  Abbildungen  1 — 3 
reproduziert  sind. 

Der  Eingang  erscheint  durch  eine  weit  vorspringende  Säulenaedicula 
mit  flachem  Giebel  und  seitlichen  Nischen  energisch  markiert.  Dazu  baut 
sich  darüber  eine  stark  vortretende  ßekrönung  auf,  welche  an  der  Wand- 
fläche über  der  eigentlichen  Vertäfelung  eine  entsprechende  Fortsetzung  findet. 
Das  Giebelgebälk  wird  von  je  einer  ganzen  Säule  vorne  und  einer  Dreiviertel- 
säule dahinter  (beide  in  massiver  Eiche)  getragen  (Abb.  1),  welche  kanneliert 
sind,  in  der  Mitte  eine  Entasis  aufweisen,  eine  attische  Basis  und  ein  tos- 
kanisches  Kapital  (beide  in  Eiche)  haben  und  auf  einem  hohen  gemeinsamen 
Sockel  aufruhen.  Das  Gebälk  wird  an  der  Unteransicht  durch  vier  kleine, 
tiefgelegte  Kasetten  mit  gedrechselten  Knöpfen  in  der  Mitte  gegliedert.  Der 
Gebälkfries  ist,  wie  auch  der  übrige  umlaufende  Fries,  mit  ungarischer  Esche 
fourniert  und  vorn  von  einem  eichenen  Zahnschnittgesims  abgeschlossen. 
Das  Giebelfeld  zeigt  in  eingelegter  Arbeit  in  der  Mitte  einen  Ring,  an  den  sich 
seitlich  zwei  spitz  zulaufende,  der  Neigung  der  Giebelschrägen  folgende  Drei- 
ecke mit  Fagettenimitation  anschließen.  Für  die  oberen  helleren  Stellen  ist 
Ahornholz,  für  die  dunkleren  Nußbaum  verwandt.  Der  untere  Teil  des  Auf- 
satzes über  dem  Giebel  ist  mit  zwei  aus  einem  Rund  herausschauenden, 
plastisch  gearbeiteten  Ziegenköpfen  dekoriert,  welche  die  Zwickel  über  den 
Gebielschrägen  recht  gut  ausfüllen.  Der  obere  Aufsatzteil  (Abb.  2)  wird  vorn 
durch  vier  kannelierte  Dreiviertelsäulen  mit  jonischen  Kapitalen  in  drei  Ab- 
teilungen gegliedert.  Die  mittlere  der  letzteren  enthält  in  rundbogiger  Nische 
in  Intarsia  eine  Darstellung  der  Auferstehung.  Christus  steht  mit  weit  seit- 
wärts flatterndem  Mantel  und  der  Siegesfahne  in  der  Linken,  dem  Beschauer 
zugewandt,  auf  dem  geschlossenen  Sarkophag,  Vorn  am  Boden  die  geblen- 
deten Wächter.  In  den  unteren  Füllungen  der  seitlichen  Abteilungen  sind 
die  oben  näher  beschriebenen,  mit  feinem  heraldischen  Laubwerk  in  Relief 
erhaben  geschnitzten  Wappen  angebracht.  Über  ihnen  bemerken  wir  deko- 
rative Schrifttafeln  mit  ornamentierten  Füllungen. 

An  die  Säulenstellung  in  der  Mitte  schließen  sich  rechts  und  links  je 
eine  weniger  stark  vortretende  Aedicula  an,  deren  Sockel  in  gleicher  Flucht 
mit  den  Sockeln    der  Gesamtvertäfelung   liegen.     Das   zur  Ausgleichung   mit 


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^^2  DAS  VON  BIBRASCHE  ZIMMER  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM. 


der  übrigen  Wandverkleidung  weniger  stark  vortretende  Gebälk  ruht  auf  der 
inneren  Dreiviertelsäule  der  Hauptaedicula  und  einer  gleich  behandelten  zweiten 
Dreiviertelsäule  auf.  (Siehe  Abb.  1.)  Die  Füllungsflächen  dieser  seitlichen 
Aediculen  sind  im  größeren  unteren  Teil  zu  rundbogigen  Nischen  mit  Muscheln 
im  Bogenfeld  ausgearbeitet  und  darüber  mit  einer  vortretenden  Ahornkassette, 
deren  Füllung  mit  ungarischem  Eschenholz  belegt  ist,  belebt.  Ahorn  bemerken 
wir  femer  in  Nußbaumholz-Umrandung  als  Einlage  auf  der  übrigen  Fläche 
des  oberen  Teiles  und  an  den  Nischenpilastern.  Die  Nische  selbst  hat  ein 
Füllbrett  in  kernig  gezeichneter  ungarischer  Esche. 

Ein  kurzes  Wort  wäre  auch  über  die  Behandlung  der  Türe  des  Ein- 
gangs zu  sagen.  Sic  weist  zwei  Füllungen  in  ungarischer  Esche  auf,  deren 
rechteckige  Rahmen  mit  dunkel  gebeiztem  Nußbaum  fourniert  sind.  Von  den 
vier  Ecken  laufen  Diagonalstege  zu  dem  in  der  Mitte  angeordneten  kleineren 
Rahmen.  Dieser  ist  wie  auch  die  Stege  mit  dunkel  gebeiztem  Nußbaum 
fourniert.  Die  Füllungsrahmen  sind  noch  voii  schmalen  Bändern  in  heller 
gehaltener  Nußbaumfournierung  umrandet,  welche,  sich  kreuzend,  bis  zum 
Rande  der  Türe  fortlaufen.  Dazwischen  Ahornfüllungen  und  in  den  Ecken 
kleine  quadratische  Intarsien  aus  einem  marmoriert  gemaserten,  ausländischen 
Holz.  Eine  Beachtung  verdienen  auch  die  beiden  mächtigen  Angelbänder, 
das  Schloßblech  und  der  Türgriff.  Die  Form  der  ersteren  ist  aus  Abb.  1 
ersichtlich.  Der  an  der  freien  Seite  kleeblattförmig  ausgebildete  Schloßkasten 
ist  mit  durchbrochen  gearbeitetem  Blatt-  und  Rankenwerk  verziert.  Die 
Blätter  sind  gebuckelt  und  graviert.  Als  maßgebend  für  ihre  symmetrische 
Anordnung  ist  eine  horizontal  in  der  Mitte  laufende  Linie  zu  denken.  Was 
den  gleich  neben  dem  Schloß  angebrachten  Türgriff"  betrifft,  so  hat  er  einen 
vierpaßförmig  aus  spitz  endigenden  Blättern  zusammengesetzten  Teller. 

Die  Markierung  des  Haupteingangs  wird  für  das  Auge  noch  um  ein 
Bedeutendes  vermehrt  durch  den  rechts  seitlich  eingebauten  Wandschrank 
mit  seiner  lebhaft  bewegten  Architektur.  Es  ist  ein  portalartiger  Aufbau 
mit  über  kannelierten  freistehenden  Säulen  auf  hohen  Sockeln  vorgelegter 
Aedicula,  die  das  hohe  Gebälk  des  flachen  Giebels  trägt.  Die  ebenso  wie 
diejenigen  des  Eingangs  und  der  beiden  seitlichen  Aediculen  massiven  Eichen- 
holzsäulen haben  jonische  Kapitale.  Der  größere  Teil  der  Wandfläche  hinter 
den  Säulen  (siehe  Abb.  3)  ist  zu  tiefen  rundbogigen  Nischen  mit  Muscheln  im 
Scheitel  ausgehölt.  Die  Sockel  der  Säulen  und  die  an  dieselben  anschließen- 
den kleinen  Füllungsflächen  sind  mit  ungarischer  Esche  ausgelegt.  Die  Pi- 
laster  der  Nischen  wie  auch  die  Flächen  über  den  letzteren  weisen  Ahorn- 
einlagen in  Nußbaum-Umrandung  auf.  Mit  Ahorn  ist  auch  die  obere  größere 
Füllung  der  Schranktüre  fourniert.  Am  Gebälk  ist  reichliche  Verwendung 
von  ungarischer  Esche,  von  Ahorn  und  Nußbaum  zu  bemerken.  Der  Giebel 
ist  dem  des  Portals  entsprechend  dekoriert. 

Wir  kommen  nunmehr  zur  Aufsatzvertäfelung  der  Eingangsseite.  Ich 
will  hier  nicht  verschweigen,  daß  man  den  Eindruck  gewinnen  kann,  als  seien 
sowohl  die  Aufsatzvertäfelung  als  auch  der  Wandschrank  und  der  Handtuch- 
halter dem  Zimmer  erst  nachträglich    eingefügt  worden.     Der  Eindruck  wird 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ.  1  '^3 


JL 


Abb.  3.    Von  Bibn'scbes  Zimmer.    Wandschrank. 


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1 S"^  DAS  VON  BIBRA'SCHE  ZIMMER  IM  6ERBIANISCHEN  MUSEUM. 


noch  verstärkt,  wenn  man  den  etwas  unsymmetrischen  Anschluß  des  Portal- 
aufsatzes an  die  Decke  betrachtet.  Es  scheint  darum  nicht  ausgeschlossen, 
daß  der  Dr.  Johann  Vogt  den  Raum  anfangs  mehr  in  einfacher  Art  hat  aus- 
statten lassen,  daß  er  dann  später,  vielleicht  infolge  gesteigerter  Wohlhaben- 
heit, noch  jene  dekorativen  Prachtstücke  hinzufügen  ließ.  Wie  gesagt,  es  ist 
dies  nicht  ausgeschlossen.  Sollte  es  aber  wirklich  der  Fall  gewesen  sein,  so 
kann  es  sich  nicht  um  einen  größeren  zeitlichen  Zwischenraum ,  sondern 
höchstens  um  einige  Jahre,  welche  zwischen  der  ursprünglich  schlichten  Aus- 
stattung und  der  Hinzufügung  jener  reicheren  Stücke  liegen,  handeln.  Doch 
wäre  es  auch  möglich,  an  die  Fertigstellung  der  gesamten  Inneneinrichtung 
durch  zwei  verschiedene,  unabhängig  von  einander  arbeitende  Kunstschreiner 
zu  denken.  Ein  positives  Resultat  läßt  sich  hier  nicht  erzielen.  Die  Aufsatz- 
vertäfelung setzt  sich  abwechselnd  zusammen  aus  einfachen  Lindenholzfüllungen 
in  Eichenholzrahmen  und  je  zwei  flachen  kannelierten  Pilastern  mit  jonischen 
Kapitalen,  welche  eine  Nischenarchitektur  umschließen.  Die  Nischenpilaster 
und  der  Raum  über  den  Nischen  sind  mit  Ahorn  in  Nußbaum-Umrandung 
foumiert.  Die  vortretende  Kassette  ist  innen  außerdem  mit  einem  dunkel- 
gebeizten Nußbaumspiegel  ausgelegt.  Die  Innenwand  der  Nische  ist  mit  un- 
garischer Esche  verkleidet.  Als  oberer  Abschluß  der  Aufsatzvertäfelung  dient 
ein  Fries  mit  Belag  in  ungarischer  Esche  (siehe  Tafel  VII). 

Ein  in  seiner  Art  seltenes  Stück  ist  der  rechts  oben  an  der  Vertäfelung 
der  Eingangsseite  angebrachte  Handtuchhalter,  welcher  mit  Gebälk,  Kranz- 
gesims und  einem  über  Konsölchen  vorgekragten ,  von  einem  flachen  Giebel 
überdachten  Mittelteil  architektonisch  gegliedert  ist  und  zugleich  den  äußeren 
Abschluß  der  Aufsatzvertäfelung  bildet.  Die  in  Eichenholz  gearbeitete  Rolle 
ist  kanneliert.  Ihre  Halter  und  deren  tragende  Glieder  sind  mit  Intarsien  in 
dunklerem  Holze  verziert.  Im  Übrigen  sind  die  gleichen  Hölzer  wie  auch  bei 
der  übrigen  Vertäfelung  verwandt.  Auch  die  Ausbildung  im  Einzelnen  ist  die 
gleiche.  Die  Füllungen  der  beiden  Kassetten  unter  der  Rolle  sind  mit  Ahorn 
foumiert.  Das  Schrifttäfelcheh  zwischen  den  Stützkonsolen  des  Mittelteils 
hat  einen  von  Ahornholz   umrandeten   dunkelgebeizten  Nußbaumholz-Spiegel. 

Daß  wir  es  bei  unserem  Zimmer  nicht  mit  einem  Repräsentationsgemach 
als  solchem,  sondern  mit  einem  nur  repräsentativ  erscheinenden  Wohnraum 
zu  tun  haben,  wird  auch  bestätigt  durch  den  Umstand,  daß  in  die  fenster- 
lose d.  h.  westliche  Schmalwand  ein  durch  die  kernige  Art  des  Aufbaues 
wie  auch  durch  die  frische  Farbe  der  Hölzer  wirksames  Ruhebett  eingebaut 
ist.  Es  sitzt  0,46  m  tief  in  der  Vertäfelung  und  tritt  um  ca.  0,55  m  über 
dieselbe  hinaus,  hat  demnach  eine  Gesamttiefe  von  rund  einem  Meter.  Die 
äußere  Länge  beträgt  2,37  m.  Der  mit  ungarischem  Eschenholzfries,  Zahn- 
schnittgesims und  oben  in  Sima  ausladendem  Kranzgesims  versehene  Baldachin 
wird  von  vier  zu  je  zweien  vereinigten  Säulen  auf  0,57  m  hohen  Sockeln 
getragen.  Ihre  Schäfte  glänzen  in  der  prickelnden  Farbe  der  ungarischen 
Esche.  Doch  sind  dieselben  nicht  massiv,  sondern  nur  foumiert.  Überhaupt 
gilt  dies  auch  sonst  von  der  Innenausstattung;  wo  immer  edlere  Hölzer  ver- 
wandt sind,  sind  dieselben  nur  in  dünnen  Blättchen  aufgeleimt.    Die  attischen 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ.  185 


Basen  und  toskanischen  Kapitale  sind  aus  deutscher  Eiche  genommen.  Die 
Postamente  wie  auch  das  gleichhohe  Fußbrett  haben  Eichenholzrahmen  mit 
von  Nußbaum  eingefaßten  Lindenholzfüllungen.  Der  innere,  in  der  Ausdeh- 
nung des  Raumes  zwischen  den  Säulen  offene  Bettkasten  wird  durch  kanne- 
lierte Pilaster  mit  jonischen  Kapitalen  gegliedert,  die  auf  den  Schmalseiten 
auch  nach  innen,  aber  dort  glatt,  vortreten.  Dazwischen  befinden  sich  ein- 
fache Lindenfüllungen.  Der  obere  Abschluß  des  Bettkastens  hat  einen  Fries 
mit  ungarischer  Esche.  Links  neben  der  Bettstatt  ist  zwischen  zwei  Säulen 
in  der  Vertäfelung  ein  einfacher  Wandschrank  angelegt. 

Auch  die  Fensterpfeiler  sind,  wenn  auch  in  schlichtester  Art,  vertäfelt. 
Doch  entspricht  das  Kranzgesims  in  der  Ausführung  dem  der  Vertäfelung 
der  Wände. 

Den  Raum  überdeckt,  sich  mit  der  Vertäfelung  in  angenehmer  Harmonie 
vereinigend,  eine  Kassettendecke.  Dieselbe  setzt  sich  aus  zwölf  fast  qua- 
dratischen Kassetten  zusammen,  welche  von  langgezogenen  Sechsecken  um- 
rahmt werden,  woraus  sich  eine  im  Ganzen  wirksame  Einteilung  ergibt.  Die 
Kassetten  sind  tief  gelegt  und  mit  kleinem  Wulst  und  Sima  lebhaft  profiliert. 
Als  Hölzer  sind  verwandt :  Für  die  Füllungen  Linde,  für  die  Profile  dunkel- 
getontes Eichenholz,  für  die  Stege  ein  helleres  hartes  Holz. 

Mit  Bewunderung  stehen  wir  vor  diesem  Meisterwerk  Alt-Nürnberger 
Kunstschreinerei.  Ein  gesunder  Sinn,  eine  hervorragende  Erfindungsgabe  und 
eine  biedere  Sorgfalt  verbinden  sich,  um  uns  Modernen  stets  mustergiltige, 
in  gleicher  Gediegenheit  kaum  erreichbare  Vorbilder  zu  schaffen.    . 


Mitteilungen  aus  dem  grerraan.  Nationalranseum.    lOnäS.  24 

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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Handbuch  der  Deutschen  Kunstdenkmäler.  Im  Auftrage  des  Ta^es  für  Denkmal- 
pflege bearbeitet  von  Georg  Dehio.  Band  I:  Mitteldeutschland,  Berlin,  Ernst  Was- 
muth,  A.-G.  1905.  8.  360  S. 

Von  dem  Handbuch  der  deutschen  Kunstdenkmäler,  der  bedeutendsten  literarischen 
Frucht  des  Tages  für  Denkmalpflege,  ist  im  Herbst  1905  das  erste  Bändchen  in  schmuckem, 
biegsamen,  grauen  Leinwandband  erschienen.  Der  Gedanke,  für  die  erste  Orientierung 
über  den  Bestand  der  deutschen  Kunstdenkmale  ein  zusammenfassendes,  kompendiöses 
Werk  zu  schaffen  an  Stelle  der  älteren,  in  seiner  Art  ausgezeichneten,  aber  längstens 
veralteten  Arbeit  von  Lotz  ist  wohl  von  Allen,  die  der  historischen  deutschen  Kunst  mit 
Interesse  gegenüberstehen,  mit  größter  Freude  begrüßt  worden.  Und  bei  dem  vielfach 
zu  beobachtenden,  sehr  langsamen  Fortschreiten  der  Inventarisationsarbeiten  in  den  ver- 
schiedenen Gauen  konnte  das  an  sich  ja  wohl  wünschenswerte  Abwarten  des  Abschlusses 
sämtlicher  Inventarisationswerke  nicht  in  Frage  kommen.  Das  Bedürfnis  für  den  Forscher 
wie  für  den  Liebhaber  sprach  sich  zu  dringend  aus.  Schwieriger  aber  als  der  Entschluß 
der  Herausgabe  war  die  Bestimmung  der  Modalitäten.  Ein  besonders  glücklicher  Umstand 
war  es  daher,  daß  der  Mann,  der  zuerst  den  Gedanken  des  Buches  in  greifbare  Formen 
gebracht,  auch  der  Bearbeiter  und  Herausgeber  des  Ganzen  wurde.  Bei  der  Formulierung 
der  Postulate  war  mit  ihm,  dem  Straßburger  Professor  der  Kunstgeschichte  G.  Dehio, 
eine  vom  Denkmalstag  aufgestellte  Kommission,  bestehend  aus  Geh.  Hofrat  Cornelius 
Gur litt  (Dresden),  Geh.  Justizrat  H.  Loersch  (Bonn)  und  Geh.  Hofrat  Adolf  von 
Oechelhäuser  (Karlsruhe),  tätig.  Die  Richtlinien,  die  als  Programm  aufgestellt  wurden, 
waren  im  Wesentlichen  die  folgenden.  Das  Handbuch  soll  in  fünf  einzelnen  Bändchen 
erscheinen,  die  Ostdeutschland,  Nordwestdeutschland,  Mitteldeutschland,  Westdeutschland 
und  Süddeutschland  in  abgerundeten  Komplexen  umfassen.  Zugunsten  der  historischen 
Verhältnisse  darf  bei  der  Gliederung  der  einzelnen  Bände  eine  Abweichung  von  den 
heutigen  politischen  Grenzen  eintreten.  Die  äußere  Gestaltung  hat  darnach  zu  trachten, 
daß  das  ganze  Werk  und  seine  Bände  nicht  nur  ein  wissenschaftliches  Nachschlage-, 
sondern  auch  ein  kunsthistorisches  Reisehandbuch  bilden.  Da  es  nicht  nur  dem  Fach- 
mann, sondern  auch  dem  kunstliebenden  Laien  als  Lehrer  und  Berater  in  der  heimat- 
lichen Denkmalskunde  dienen  soll ,  muß  auf  eine  möglichst  leicht  verständliche  Fassung 
des  Inhalts  gesehen  werden.  Den  nach  möglichster  Ausführlichkeit  und  Vollständigkeit 
strebenden  Inventarisationswerken  gegenüber  kann  nur  eine  beschränktere  Auswahl  der 
Denkmäler  aufgenommen  werden,  weniger  wichtige  Objekte  müssen  sich  mit  kurzer  Er- 
wähnung begnügen.  Es  soll  im  Handbuch  eben  kein  Generalregister  der  Denkmalsinventare, 
sondern  ein  urteilender  und  klärender  Führer  durch  die  Denkmälermasse  gegeben  sein. 
Die  Anordnung  in  den  einzelnen  Bänden  erfordert  die  Aufführung  nach  dem  Alphabet. 
Bezüglich  der  aufzunehmenden  Gattungen  von  Werken  ist  alle  bemerkenswerte  Architektur, 
die  mit  ihr  verbundene  und  selbständige  Skulptur  und  Malerei  zu  berücksichtigen,  mit  Aus- 


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IJTERARISCHK  BESPRECHUNGEN.  1 8"/ 


Schluß  der  Museen  und  Privatsammlungen,  aber  mit  Berücksichtigung  der  Kirchenschätze 
wenigstens  in  ihren  wichtigeren  Teilen.  Untergegangene  Werke  finden  nur  bei  Vorhanden- 
sein von  Modellen  und  Plänen  Erwähnung.  Dagegen  sind  schon  vorgenommene  Wiederher- 
stellungen nach  Möglichkeit  zu  verzeichnen.  Bezüglich  der  Literaturnachweise  ist  zu- 
nächst auf  die  Inventare  zu  verweisen ,  dann  auf  die  später  noch  erschienene  Literatur, 
sowie  auf  wichtigere  zeichnerische  Aufnahmen. 

Nach  kaum  zweijähriger  Vorbereitung  ist  nun  der  erste  Band,  Mitteldeutschland,  er- 
schienen, und  es  drängt  sich  die  Frage  auf,  wie  hat  sich  das  oben  auszugsweise  mitgeteilte 
Programm  bewährt,  wie  ist  der  Herausgeber  den  außerordentlichen  Schwierigkeiten  seiner 
Aufgabe  gerecht  geworden.  Gerade  Mitteldeutschland  mit  seiner  ziemlich  zerrissenen, 
politischen  Gestaltung,  den  im  Plan  und  der  Ausführung  so  verschiedenartigen  Hilfsmitteln, 
den  zahlreichen  Inventaren,  die  durchaus  nicht  gleichwertig  erscheinen,  dann  den  weiten 
Strecken,  die  überhaupt  noch  nicht  inventarisiert  wurden,  bietet  für  die  Beantwortung 
dieser  Frage  einen  vorzüglichen  Prüfstein.  Und  die  Antwort  des  gewissenhaft  Prüfenden 
wird  die  Bewährung  der  Gesamtrichtung  wie  der  Bearbeitung  in  fast  allen  wesentlichen 
Punkten  mit  Genugtuung  zugestehen. 

Der  Band  enthält  das  Königreich  Sachsen,  das  Großherzogtum  Sachsen- Weimar- 
Eisenach,  die  Herzogtümer  Sachsen-Altenburg,  Sachsen-Meiningen,  Sachsen-Coburg-Gotha, 
die  Fürstentümer  Schwarzburg-Rudolstadt,  Schwarzburg-Sondershausen,  Reuß  ältere  und 
jüngere  Linie,  vom  Königreich  Preußen  die  Regierungsbezirke  Merseburg,  Erfurt  und 
Cassel,  vom  Königreich  Bayern  die  Regierungsbezirke  Ober-  und  Unterfranken.  Bei  der 
Abgrenzung  hat  offenbar  das  Bestreben  obgewaltet ,  den  Umfang  der  einzelnen  Bände 
möglichst  gleichmäßig  zu  gestalten,  denn  sonst  wäre  beispielsweise  das  Wegbleiben  Mittel- 
frankens, das  historisch  in  engster  Beziehung  zu  Ober-  und  Unterfranken,  nicht  aber  zu 
Altbayern  steht,  wohl  besser  auch  noch  irt  den  vorliegenden  Band  hereingenommen  wor- 
den. Die  Anordnung  ist ,  wie  gesagt ,  durch  das  ganze  behandelte  Gebiet  alphabetisch. 
Ein  sehr  dankenswertes  Verzeichnis  am  Schlüsse  gibt  die  Orte  nochmals  nach  Staaten 
und  Verwaltungsbezirken  geordnet. 

Die  Auswahl  der  Orte,  resp.  des  aufgenommenen  Denkmälermaterials,  dürfte  jedem 
billigen  Wunsche  genügen.  Der  Herausgeber  ist  hier  sichtlich  mit  größter  Umsicht  zu 
Werke  gegangen.  Daß  eine  ganz  gleichmäßige  Behandlung  der  inventarisierten  und  noch 
nicht  inventarisierten  Gebietsteile  nicht  möglich  war  und  daß,  wie  der  Verfasser  selbst 
angibt,  aus  den  noch  nicht  bearbeiteten  Landstrichen  etwas  weniger  Orte  angeführt  wur- 
den ,  bedarf  keiner  Entschuldigung.  Es  empfiehlt  sich  vielleicht  sogar,  überhaupt  noch 
strenger  bei  der  Auswahl  vorzugehen  und  Bauten,  die  weder  als  Kunst-  und  Geschichts- 
denkmale in  einem  die  Allgemeinheit  interessierenden  Sinne  zu  gelten  haben,  wegzulassen, 
dafür  aber  wenigstens  allen  aufgeführten,  die  für  jede  Sparte  der  Benutzer  nötigen,  er- 
klärenden Bemerkungen  beizugeben.  Bezeichnungen  wie  »Wasserschloß«  (Ebelsbach), 
Wallfahrtsk.  1570,  1672,  1780  (Findelberg)  u.  sehr  viele  andere  dieser  Art  sind  entweder 
überhaupt  überflüssig,  weil  sie  nicht  Kunstdenkmälern  gelten,  oder  sie  bieten  dem  Frager 
zu  wenig. 

Rückhaltlosere  Anerkennung  noch  darf  die  Art  der  Darstellung  beanspruchen. 
Das  von  Dehio  selbst  betonte  Bestreben  nach  knappster  sprachlicher  Formulierung,  die 
jedes  unnütze  Wort  vermeidet,  ist  strengstens  und  glücklich  durchgeführt.  Und  bei  aller 
Knappheit  herrscht  eine  außerordentliche  Klarheit.  Bei  den  wichtigeren  Baudenkmälern 
und  den  größeren  Orten  ist  trotz  der  schärfsten  Zusammenfassung  ein  deutliches ,  um- 
fassendes Bild  des  beschriebenen  Werkes  in  seiner  Entwicklung  zu  erhalten.  Die  offen- 
sichtliche ,  bestimmte  Sicherheit  des  Urteils  berührt  überaus  angenehm.  Den  aus  den 
verschiedensten  Quellen,  —  verschieden  an  absolutem  Wert  und  durch  die  eine  einmal 
unvermeidliche  subjektive  Auffassung  der  zahlreichen  Bearbeiter  —  geschöpften  Nach- 
richten hat  Dehio  ein  aus  einem  Guß  erscheinendes  Aussehen  zu  geben  vermocht. 
Wer  die  außerordentlich  große  Schwierigkeit  dieser  Übersetzung  verschiedener  Beurtei- 
lungsmaßstäbe in  einen  einheitlichen  zu  erfassen  vermag,  wird  in  diesem  Teil  der  Auf- 
gabe wohl  das  höchste  Vordienst  Dehios  erblicken.  Daß  die  von  ihm  selbst  bearbeiteten 


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1 88  UTERARISCHK  BESPRECHUNGEN. 


Artikel  aus  Ober-  und  Unterfranken,  besonders  die  wichtigsten  Denkmäler,  z.  B.  in  Bam- 
berg und  Würzburg,  die  anschaulichsten  und  lebendigsten  geworden  sind,  wird  dabei  Nie- 
mand Wunder  nehmen. 

Die  Literaturangaben  beschränken  sich  in  der  Regel,  d.  i.  mit  Ausnahme  der  ge- 
schichtlich oder  kunstgeschichtlich  besonders  wichtigen  Denkmäler,  bei  den  schon  in- 
ventarisierten Orten  auf  den  einfachen  Hinweis  auf  das  Inventar.  Wo  die  monographische 
oder  sonstige  Literatur  angegeben  ist ,  ist  sie  mit  richtiger  Einsicht  auf  das  wirklich 
Wichtige  beschränkt.  Ein  Wunsch,  der  in  späteren  Auflagen  und  vielleicht  schon  in 
den  folgenden  Bändchen  Berücksichtigung  finden  köilnte ,  mag  indessen  hier  ausge- 
sprochen werden.  An  Stelle  des  bloßen  Hinweises  »Inv.«  möge  überall  die  Angabe 
von  Band  und  Seite  des  betreffenden  Inventars  treten.  Bei  dem  Wunsche  der  Heraus- 
geber, daß  das  Buch  recht  weiten  Kreisen  dienlich  sein  soll,  muß  doch  berücksichtigt 
werden,  daß  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Benutzer  weder  die  zum  Teil  sehr  umfang- 
und  bändereichen  Inventare  persönlich  besitzt  noch  sogleich  zur  Hand  haben  wird,  denn 
es  wird  nicht  einmal  allzuviel  größere  Bibliotheken  in  Deutschland  geben,  die  sämt- 
liche bisher  erschienenen  Inventare  besitzen.  Eine  genaue  Angabe  wird  hier  die  weitere 
Nachforschung  des  Lesers  wesentlich  erleichtern  und  vereinfachen.  Für  den  Herausgeber 
oder  Bearbeiter  ist  durch  die  genauere  Literaturangabe,  da  ja  doch  alle  Orte  in  den 
Inventaren  nachgesehen  werden  müssen,  keine  Erschwerung  und  räumlich  für  das  Buch 
kein  irgendwie  nennenswertes  Platzerfordernis  gegeben. 

Das  Werk  beschließen  ein  Künstlerverzeichnis,  ein  Verzeichnis  der  über  die  be- 
handelten Gebiete  vorhandenen  Inventare  und  ein  Verzeichnis  der  Abkürzungen  nach 
Begriffsgruppen  und  nach  dem  Alphabet.  An  die  Spitze  des  Bandes  ist  ein  Obersichts- 
kärtchen  des  Inhaltsgebietes  gestellt.  Es  enthält  die  staatlichen  Grenzen  und  die  Haupt- 
orte der  Verwaltungsbezirke.  Hier  wäre  wohl  der  Wunsch  nicht  unberechtigt,  daß 
künftighin  eine  Karte  in  größerem  Maßstabe  beigegeben  werde,  die  sämtliche  im 
Handbuch  erwähnten  Orte  verzeichnet.  Zum  Aufschluß  über  regionale  Zusammenhänge 
mancher  Denkmalgruppen  ist  eine  genaue  Karte  dringend  erwünscht.  Und  dem  Benutzer 
des  Buches,  dessen  Zweck  ja  ausdrücklich  auch  als  die  eines  Reisehandbuches  erklärt 
wird,  wird  über  die  kleineren  Orte  weder  im  Reiseführer  noch  sonst  das  Material  der 
Spezialkarte  immer  zur  Verfügung  stehen. 

Vielleicht  wird  in  Fachkreisen  noch  der  eine  oder  andere  Wunsch  nach  Vervoll- 
kommnung laut  werden.  Das  mag  den  hochverdienten  Verfasser  indes  nicht  kränken. 
Kein  Baum  flllt  auf  den  ersten  Hieb.  Und  das  Bewußtsein,  bei  dieser  an  sich  wohl  nicht 
allzu  verführerischen  und  dankbaren  Aufgabe  der  zahlreichen  und  großen  Schwierigkeit 
im  Wesentlichen  so  trefflich  Meister  geworden  zu  sein,  mag  den  bewährten  Forscher 
stärken  zur  Fortsetzung  und  Vollendung  seines  großen,  freudig  begrüßten  Werkes. 

Hans  Stegmann. 

Dr.  J.  Reinke.  Philosophie  der  Botanik.  I.  Band  der  Natur-  und  Kulturhisto- 
rischen Bibliothek.    Verlag  von  Joh.  Ambrosius  Barth,  Leipzig  1905.  VI  u.  201  S.  Oktav. 

Der  Verfasser  des  vorliegenden  Buches  ist  der  bekannte  Professor  der  Botanik  an 
der  Universität  Kiel.  Er  nimmt  in  seiner  Philosophie  der  Botanik  die  reichen  allgemeinen 
botanischen  Forschungsergebnisse  der  Gegenwart  unter  die  Lupe  der  Spekulation.  Er 
gelangt  dadurch  letzten  Endes  aber  nicht  zur  .sogenannten  modernen  Weltauffassung  der 
Darwinianer,  sondern  er  steht  mit  seinem  Glauben  über  die  Entstehung  des  organischen 
Lebens  vermittelnd  zwischen  ihnen  und  dem  auch  von  Linnö  in  seiner  vor  anderthalb 
Jahrhunderten  herausgegebenen  Philosophiabotanica  nicht  angezweifelten  biblischen  Mythus, 
nach  dem  am  dritten  Tage  der  Schöpfung  alle  Arten  Pflanzen  durch  den  Werderuf  Jahwes 
unter  der  ausgebreiteten  Schöpferhand  emporgesprossen  sind. 

Dabei  huldigt  Reinke  aber  doch  einer  dynamischen  Naturauffassung  und  bekennt 
sich  zur  Entwicklungstheorie. 

Er  vergleicht  die  Pflanzen  mit  einer  durch  Menschenverstand  für  eintn  bestimmten 
Zweck  konstruierten  Maschine    In  den  ersten  Kapiteln  des  Buches,  die  von  den  im  Leben 


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UTERABISCHE  BESPRECflUNGEN.  ^  89 


der  pflanzlichen  Organismen  wirkenden  Kräften,  von  der  Zelle,  von  dem  Wesen  und  der 
Gestalt  der  Pflanzen  handeln  und  die  mehr  den  botanischen  Fachmann  interessieren, 
wird  dies  aus  den  modernen  Forschungen  eingehend  erwiesen.  Letztere  haben  Reinke 
überzeugt,  daß  genau  wie  bei  den  Maschinen  auch  bei  den  Organismen  das  Kausalprinzip 
in  den  Dienst  des  Finalprinzips  tritt.  Er  sagt:  »Was  man  bei  Tieren  und  Pflanzen  als 
zweckmäßig  zu  bezeichnen  pflegt,  ist  nach  meiner  Auffassung  ein  Spezialfall  von  Finalität«. 

Wie  die  noch  mehr  rein  spekulativen  Schlußkapitel  des  Buches  zeigen,  macht  die 
aus  dem  Bau  und  den  Lebenserscheinungen  der  Pflanzen  überall  herauslugende  Sphinx 
der  Theologie  Reinke  zu  einem  Gegner  der  letzten  Konsequenzen  einer  monistischen 
Weltanschauung.  Bekanntlich  gibt  Darwin  in  seiner  Lehre  von  der  natürlichen  Zucht- 
wahl eine  einigermaßen  annehmbare  Auskunft,  wie  eine  gewisse  Zweckmäßigkeit  und 
Zielstrebigkeit  in  die  auch  viele  Zweckwidrigkeiten  aufweisende  organische  Welt  hinein- 
gekommen sein  kann.     Diese  Erklärung  genügt  Reinke  aber  nicht. 

Der  alte  biologische  Lehrsatz:  omne  vivum  e  vivo,  omnis  cellula  e  cellula  ist  zwar 
bislang  noch  immer  durch  alles  Erfahrungs wissen  bestätigt.  Nach  der  hypothetischen 
Annahme  der  meisten  Anhänger  der  Entwicklungstheorie  darwinistischer  Richtung  soll 
sich  bekanntlich  aber  die  Fülle  und  Mannigfaltigkeit  der  irdischen  Pflanzenwelt  aus  ein- 
zelnen ,  aus  der  Materie  mittelst  der  ihr  innewohnenden  Kräfte  durch  Urzeugung  ent- 
standenen Zellen  entwickelt  haben.  Auch  Reinke  sagt  in  seinem  botanischen  Glaubens- 
bekenntnis: »Ich  glaube  an  das  ursprüngliche  Gegebensein  sehr  zahlreicher  Urzellen.« 
Aus  diesen  von  Anfang  an  bereits  verschiedenen ,  elternlosen  Zellen  ist  nach  seiner 
Meinung  gleichfalls  die  weitere  Mannigfaltigkeit  in  der  Pflanzenwelt  durch  progressive  und 
regressive  Entwicklung  entstanden. 

Die  schon  den  Urzellen  innewohnende  Entwickelungs-  und  Anpassungsfähigkeit 
und  Zielstrebigkeit,  glaubt  er  aber,  könne  unmöglich  durch  die  Kräfte  des  anorganischen 
»Lehms«  von  selbst  entstanden  sein.  Namentlich  auf  Grund  des  teleologen  Gedankens 
nimmt  er  daher  für  die  Herkunft  des  ersten  organischen  Lebens  einen  Schöpfungsakt 
durch  eine  »kosmische  Intelligenz«  an.  Von  den  treuen  Anhängern  des  mystischen 
Kirchenglaubens,  denen  ein  Schöpfungsakt  ein  Gemütsbedürfnis  ist,  wurde  diese  schon 
früher  von  Reinke  vorgetragene  Anschauung  freudig  begrüßt.  Für  sie  hat  sie  den  Vor- 
zug, daß  sie  sich  mit  der  mosaischen  Schöpfungsgeschichte  in  Einklang  bringen  läßt. 

Bei  den  Vertretern  der  monistischen  Weltanschauung,  denen  die  Begreiflichkeit 
der  Welt  ein  Axiom  ist,  hat  Reinkes  Ablehnung  der  Urzeugung  und  sein  Beibehalten 
der  althergebrachten  Erklärung  des  Welträtsels  durch  einen  »übernatürlichen«  Schöpfungs- 
akt selbstverständlich  keinen  Anklang  gefunden.  In  Wort  und  Schrift  nahmen  sie  Stellung 
gegen  die  Weltanschauung  des  konservativen  Kieler  botanischen  Naturphilosophen. 
Näheres  darüber  findet  man  in  den  Schriften  von  Dr.  Heinrich  Schmidt  in  Jena  1903: 
»Die  Urzeugung  und  Professor  Reinke«  sowie  auch  bei  Haeckel:  »Der  Kampf  um  den 
Entwicklungsgedanken.«  1905. 

Durch  die  Erfahrung  ist  eine  Urzeugung  noch  nie  unbestreitbar  erwiesen.  Jedoch 
auch  die  Unmöglichkeit  einer  solchen  ist  nicht  bewiesen.  Die  Monisten  sagen:  Die  An- 
nahme einer  solchen  hypothetischen  Urzeugung  ist  zur  Zeit  die  einzige  Möglichkeit,  die 
Herkunft  des  irdischen  Lebens  begreiflich  zu  erklären.  Der  Glaube,  daß  die  Urzellen 
durch  einen  übernatürlichen  Schöpfungsakt  einer  hypothetischen  kosmischen  Intelligenz 
entstanden   sind,    ist   nach   ihrer  Meinung   ein  Verlassen   des   wissenschaftlichen  Bodens. 

Voraussichtlich  wird  dieser  Streit ,  der  von  den  Naturphilosophen  nicht  auf  dem 
Wissens-  sondern  auf  dem  Glaubensgebiete  ausgefochten  wird,  nie  ganz  geschlichtet 
werden.  Vom  Standpunkte  der  Wissen.schaft  aus  rief  Du  Bois-Reymond  schon  1876  den 
Streitenden  sein  bekanntes  »Ignorabimus«  zu.  Das  heutige  Erfahrungswissen  bietet  keinen 
Anlaß  das  zurückzunehmen. 

Reinke  bleibt  bei  seinen  Ausführungen  durchweg  sachlich  und  vermeidet  persön- 
liche Angriffe.  Auch  Gegner  seiner  Weltanschauung  finden  in  seiner  Philosophie  der 
Botanik  sicher  viele  anregende  Gedanken.    Der  Kulturhisloriker  aber  sieht  aus  dem  Buche 


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190 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


wieder,  daß  sich  die  menschliche  Anschauung  über  das  Lebensrätsel  nach  keiner  Richtung 
hin  gradlinig  weiter  entwickelt,  sondern  sich  im  Zickzack  fortbewegt. 

Hermann  Peters. 

Geschichte  der  deatschen  Kanst  von  den  ersten  historischen  Zeiten  bis  zar 
Gegenwart.  Von  Dr.  Hermann  Schweitzer,  Direktor  des  städtischen  Suermondt- 
Museums  in  Aachen.  Mit  472  Textabbildungen  und  zahlreichen  Einschaltbildern.  Ravens- 
burg.   Verlag  von  Otto  Maier.  1905.  XX  und  739  S.  gr.  8. 

Es  f^llt  schwer,  dem  vorliegenden  Werke  gegenüber  den  richtigen  Standpunkt  ein- 
zunehmen; denn  nach  des  Verfassers  einleitenden  Worten  will  es  nur  »dem  gebildeten 
Laien  und  dem  Studierenden  eine  kurzgefaßte,  leichtverständliche  Übersicht  der  Gesamt- 
entwicklung der  bildenden  Kunst  unseres  Volkes«  geben,  womit  eine  tiefer  gehende 
Kritik  abgeschnitten  ist. 

Aber  selbst  diese  engen  Grenzen  dürfte  das  umfangreiche  Buch  nicht  ausftlllen. 
Trotz  der  einfachen  und  klaren  Schreibweise  ist  es  dem  Verfasser  doch  nicht  gelungen, 
das  eigentlich  historische  Moment  in  einer  für  den  Laien  faßlichen  Weise  klarzulegen; 
wird  es  doch  selbst  dem  Fachgelehrten  schwer,  den  oft  recht  willkürlichen  Sprüngen  zu 
folgen.  Gewiß  bietet  gerade  dieser  Punkt  eine  sehr  große  Schwierigkeit  bei  der  Bear- 
beitung einer  viele  Lokalschulen  umfassenden  Kunstgeschichte,  allein  dieselbe  Aufgabe 
wurde  doch  schon  weit  besser  gelöst.  —  Man  wird  bei  einem  von  Hause  aus  kompila- 
torischen  Werke  in  Bezug  auf  die  Einheitlichkeit  der  Darstellung  und  die  Richtigkeit 
der  Einzelheiten  manche  Konzession  machen  müssen,  allein  im  vorliegenden  Werke  ist 
der  Durcharbeitung  des  verschiedenartigen  Materials  und  seiner  kritischen  Sichtung  doch 
allzu  wenig  Fleiß  gewidmet;  überall  finden  sich  Dissonanzen,  oft  sogar  direkte  Wider- 
sprüche, die  den  Laien  verwirren  und  den  kritischen  Leser  verstimmen.  Die  Lübke'sche 
Geschichte  der  deutschen  Kunst  war  gewiß  kein  über  jeden  Tadel  erhabenes  Buch;  aber 
obwohl  sie  infolge  der  Forschungsergebnisse  des  letzten  Jahrzehnts  in  den  Einzelheiten 
vielfach  veraltet  ist,  wird  man  ihr  doch  vor  der  Schweitzer'schen  den  Vorzug  geben 
müssen. 

Für  die  Ausstattung  des  Buches,  das  viele  neue  und  gut  gewählte  Abbildungen 
bringt,  muß  dem  Verlage  die  Anerkennung  ausgesprochen  werden.  Manchmal  wäre 
allerdings  eine  Beschränkung  von  Vorteil  gewesen,  denn  einige  Autotypien  nach  unscharfen 
und  verzitterten  Amateuraufnahmen,  sowie  nach  stilistisch  gänzlich  ungenügenden  Zeich- 
nungen —  siehe  insbesondere  den  Abschnitt  über  die  Plastik  des  frühen  Mittelalters  — ' 
hätten  ruhig  fehlen  dürfen.  W.  Josephi. 

Süddeatsche  Monatshefte  unter  Mitwirkung  von  Joseph  Hofmiller,  Friedrich 
Naumann,  Hans  Pfitzner,  Hans  Thoma,  herausgegeben  von  Paul  Nikolaus  Coss- 
m  a  n  n.  Zweiter  Jahrg.  (2  Bde.)  1905.    Stuttgart.  Verlag  von  AdolfBonz&  Comp. 

Von  den  Süddeutschen  Monatsheften,  die  in  der  kurzen  Zeit  des  Bestehens  dieser 
Zeitschrift  wegen  ihres  gediegenen,  anregenden  Inhalts  und  ihrer  vornehmen  Haltung 
rasch  einen  treuen  Leserkreis  —  und  nicht  blos  im  Süden  —  für  sich  zu  gewinnen 
wußten,  liegt  nun  auch  der  zweite  Band  abgeschlossen  vor.  Wir  versuchen  aus  der  Über- 
fülle des  Gebotenen  dies  und  jenes  herausgreifend  einzelne  für  die  ganze  Richtung  der 
Monatsschrift  charakteristische  Beiträge  in  der  hier  gebotenen  Kürze  wenigstens  namhaft 
zu  machen. 

Unter  den  Mitarbeitern  auf  dem  Gebiete  der  bildenden  Kunst  leuchtet  der  Name 
Hans  Thoma's  vor,  der  aus  dem  reichen  Schatze  seiner  Erinnerungen  und  Erfahrungen 
von  seinem  Münchener  Leben  (Anfangs  der  70er  Jahre  des  vorigen  Jahrb.)  erzählt,  von 
seinem  Verhältnis  zur  Pilotyschule.  seinen  Beziehungen  zu  Böcklin ,  Leibl ,  den  Frank- 
.♦"urter  Malern  Viktor  Müller  und  Eysen,  zu  Stäbli  und  Bayersdorfer.  Dazwischen  ergötz- 
liche Glossen  zur  Geschichte  der  Münchener  Kunstkritik  und  des  Münchener  Kunstvereins. 
Diese  Erinnerungen  erhalten  eine  Art  Fortsetzung  in  den  Thoma'schen  Plaudereien  über 
seine  fünf  Italienreisen,  deren  erste  er  1874,  die  letzte  1897  unternommen  hat.    Ein  Artikel 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  191 


des  Karlsruher  Meisters  über  »Farbenmaterial  und  Maltechnik c  läßt  auch  den  Laien  Ein- 
blicke in  diese  wichtigen  Departements  künstlerischen  Schaffens  tun.  H.  Thode  ist  mit 
seinem  Heidelberger  Vortrag  »Über  deutsche  Weltanschauung  und  Kunst«,  Wilhelm  Porte 
mit  Erinnerungen  an  Karl  v.  Pidoll,  den  Schüler  und  Freund  Mardes,  vertreten.  J.  A.  Be- 
ringer steuert  eine  warmherzige  Würdigung  des  spät,  zu  spät  erst  richtig  eingeschätzten 
Landschafters  Emil  Lugo  bei. 

Aus  Friedr.  Th.  Vischers  Nachlaß  begrüßen  wir  seine  prächtigen  launigen  Briefe 
aus  Neapel  und  Sizilien,  nachdem  wir  im  vorigen  Jahrgang  schon  den  Verf  des  »Auch 
Einer«  über  Bozen  und  Gardasee  nach  Venedig  gefolgt  waren  und  er  uns  die  ober- 
italienischen Städte,  Florenz  und  Rom  in  seiner  köstlichen  Art  gewiesen  hatte.  Einen 
Brief  Vischers  aus  Griechenland  hat  gleichfalls  der  Sohn,  Robert  Fischer-Göttingen,  der 
Redaktion  der  S.  M.  zur  Verfügung  gestellt.  Im  Heft  7  reiht  sich  ein  Schreiben  Vischers 
an  Joachim  Raff  mit  Bezugnahme  auf  des  letzteren  1854  erschienene  Schrift  »Die  Wagner- 
frage« an.  In  durchaus  fesselnder  Weise  entwickelt  Isolde  Kurz  den  Werdegang  ihres 
Vaters,  des  schwäb.  Dichters  Hermann  Kurz.  Von  Adalbert  Stifter  finden  sich  drei 
Briefe  an  seinen  Freund,  den  Maler  Heinrich  Bürkel.  Der  ganze  Justinus  Kerner  spricht 
aus  den  mitgeteilten  Briefen  über  magische  Gegenstände.  Adolf  Frey  schildert  seinen 
Verkehr  mit  Conr.  Ferd.  Meyer,  eine  Menge  hübscher  Einzelheiten  zur  Charakteristik 
des  Dichters  (meist  nach  Briefen  desselben)  darbietend.  Josef  Hofmiller  bespricht 
J.  V.  Widmanns  feingestimmte  Dichtung  »Der  Heilige  und  die  Tiere«,  neue  Freunde  fiir 
den  schweizer  Dichter  werbend.  Andere  tüchtige  Arbeit  zur  Geschichte  der  Litteratur 
übergehen  wir  ungern,  um  noch  kurz  die  Reihe  wertvoller  Beiträge  zum  Kapitel  »Musik 
und  Theater«  zu  buchen.  Wagneriania  nehmen  hier  einen  breiten  Raum  ein.  Hierher 
gehören:  Urkunden  zur  Gesch.  des  Münchener  Wagner-Theaters  (von  Heinrich  Steinbach- 
München  aus  dem  Nachlaß  von  Gottfr.  Semper  und  Friedr.  Pecht  veröffentlicht);  Unge- 
druckte Briefe  von  Peter  Cornelius  und  Richard  Wagner  (Carl  Maria  Cornelius  in  Frei- 
burg) ;  Karl  Heckel :  Hugo  Wolf  in  seinem  Verhältnis  zu  Rieh.  Wagner.  Daneben  stellen 
wir  Siegm.  v.  Hauseggers  Schilderungen  seiner  Kinder-  und  Jugendjahre  in  Graz  und 
Hans  Pfitzners  »Bühnentradition«. 

Nicht  unerwähnt  bleiben  soll  K.  Th.  Heigels  »Landshut«,  das  uns  die  alte  echt- 
bajuwarische  Stadt  in  einem  fein  gezeichneten  Bilde  näherbringt. 

Ernst  Weber  erzählt  uns  seine  Erinnerungen  an  Erwin  Rohde.  Fritz  Mauthners 
»Spinoza«  und  die  Abhandlungen  des  russischen  Philologen  Thadäus  Zielinski  »Schön 
Helena«  und  »Die  sieben  Todsünden«,  die  Ausführungen  des  Generals  v.  Scherff,  »Vom 
russisch-japanischen  Krieg«,  naturwissenschaftliche  Arbeiten  von  Driesch ,  Lindemann, 
Cohnheim  etc.,  werden  zahlreiche  Leser  finden. 

Von  Max  Halbe  ist  »Die  Insel  der  Seligen«  zuerst  in  diesen  Heften  erschienen. 
Unter  den  Erzählern  der  Südd.  Monatsh.  begegnen  wir  Namen  wie  Hermann  Hesse  (»In 
der  alten  Sonne«),  Ludwig  Thoma,  Ganghofer,  J.  C.  Heer,  Wilh.  Fischer-Graz,  u.  a.  m. 
Mit  Gedichten  sind,  um  nur  einige  Poeten  zu  nennen,  Cäsar  Flaischlen,  Adolf  Frey,  Emil 
von  Schönaich-Carolath  vertreten. 

Friedrich  Naumann,  unstreitig  einer  der  hervorragendsten  unter  den  volkswirt- 
schaftlichen Schriftstellern  unserer  Tage,  ist  in  jedem  Hefte  mit  einem  fesselnden  Beitrag 
zur  Stelle. 

In  der  »Rundschau«  endlich  erhalten  anerkannte  Autoritäten  das  Wort,  um  sich 
über  die  staatlichen,  sozialen,  wissenschaftlichen,  künstlerischen  wie  literarischen  Zeit- 
fragen zu  äußern.  HH. 

Die  Wandschmacksaminluiis:  von  Meisterwerken  klassisciier  Kunst.  Heraus- 
gegeben von  der  Gesellschaft  zur  Verbreitung  klassischer  Kunst,  G.  m.  b.  H.  Berlin. 

Vollendete  Technik  und  künstlerische  Ausführung  wirken  zusammen  um  diese 
Kupferdruckblätter  der  Gesellschaft  zur  Verbreitung  klassischer  Kunst  zu  einem  vor- 
nehmen Zimmerschmuck  zu  machen.  Der  Preis,  der  sich  je  nach  der  Größe  der  Blätter 
zwischen  Ji.  20  und  Ji.  2  bewegt,  ist  niedrig  zu  nennen.  Die  bisher  erschienenen  Num- 
mern bringen  Meisterwerke  aus  allen  Epochen  der  Malerei  zur  Darstellung.  W.  J. 


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Inhaltsverzeichnis  zum  Jahrgang  1905 

der 

Mitteilungen  aas  dem  germanischen  Nationalmasenm. 


Seite 
Jörg  Breu's  Holzschnitte   im  Konstanzer  Brevier  von    1516.     Von  Alfred  Hagel- 
stange    3 

Die    Holzmöbel   des   Germanischen   Museums.    Von   Dr.   Hans   Stegmann.    Mit 

2  Tafeln 18,   63 

Die  Originalzeichnung  zum  Holzschnitt  Hans  Sebald  Beham.  B.  149.    Von  Dr.  Fritz 

Traugott  Schulz 39 

Drei  figürliche  Holzschnitte  von  Peter  Flötner.  Von  Dr.  FritzTraugott  Schulz  49 
Eine  Nürnberger  Hauskapelle  von  Dr.  Fritz  Traugott  Schulz.  Mit  2  Tafeln  .  57 
Die   Frühwerke   der   Holzplastik   im  Germanischen  Nationalmuscum.    Von  Dr.  W. 

Josephi.     Mit  2  Tafeln.  . 89 

Die   Theophilus  -  Glocken.     Glockenstudie    von    P.   Liebeskind,   Oberpfarrer   in 

München-Bernsdorf 153 

Das  von  Bibra'sche  Zimmer  im  Germanischen  Museum.    Von  Dr.  Fritz  Traugott 

Schulz.     Mit  1  Tafel  und  3  Abb 176 

Literarische  Besprechungen 43,  76,  145,  186 


U    C.  Svbaid.  Numbsrf. 


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Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationaimuseum.     1905.  Taf.  I. 


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Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum.     1905.  Taf.  V. 


PI.  O.  ^^.    Kruzifix.    Aus  Köln.    Erste  Hälfte  des  13.  Jahrh.    Höhe  220  cm. 


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Mitteilungen 


AUS  DEM 


Germanischen  Nationalmuseum 


HERAUSGEGEBEN 


VOM  DiRECTORIUM. 


JAHRGANG  1906. 

MIX   ABBILDUNOEN. 


NÜRNBERG 

VERLAGSEIGENTÜM  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS 

1906. 


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KOPTISCHE  ALTERTÜMER 
IM  GERMANISCHEN  NATIONALMUSEUM 

VON 

Dr.  OTTO  PELKA. 
Vorbemerkung. 

Die  Zeiten  sind  hoffentlich  für  immer  vorüber,  für  die  als  kaum  an- 
gefochtenes Dogma  die  Lehrmeinung  galt,  daß  Rom,  die  politische  Be- 
herrscherin der  Mittelmeerländer,  auch  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  tonangebende 
Vormacht  gewesen  sei.  Eine  neue  Zeit  in  der  historischen  Anschauung  und 
Betrachtung  der  abendländischen  Kunstentwickelung  seit  Beginn  der  christ- 
lichen Aera  ist  heraufgekommen.  :>Es  ist  unzulässig,  von  einer  römischen 
Reichskunst  zu  sprechen  und  darunter  eine  Kunst  zu  verstehen,  die,  in  Rom 
ausgebildet,  dann  im  Oriente  die  alte  hellenistische  Kunstübung  verdrängt 
und  so  die  allgemeine  breite  Grundlage  der  christlichen  Kunst  geworden  sein 
soll.  Wenn  wir  schon  von  einer  römischen  Reichskunst  sprechen,  dann  ist 
darunter  die  letzte  Phase  der  hellenistischen  Kunst  zu  verstehen,  wobei  Rom 
nichts  anderes  als  eines  von  mehreren  Zentren  ist  und  als  solches  gewiß  auch 
mit  einer  bestimmten  Individualität  ausgestattet  war.  Für  die  christliche 
Kunst  aber  sind  meines  Erachtens  schon  in  den  ersten  drei  Jahrhunderten 
gerade  die  alten  orientalischen  Großstädte  des  hellenistischen  Kreises,  vor 
allem  Alexandrien,  Antiochien  und  Ephesus  die  Ausgangspunkte  —  nicht  Rom 
oder  eine  von  Rom  ausgehende  Reichskunst«  ^).  Das  war  ein  entschiedener 
Schritt  zu  einem  Bruch  mit  der  bisher  herrschenden  traditionellen  Ansicht 
von  Roms  Einfluß.  Strzygowski,  dessen  grundlegenden  Forschungen  wir  diese 
neue  Erkenntnis  verdanken,  ging  noch  weiter.  Die  Denkmäler  der  Baukunst 
gaben  neue  Aufschlüsse.  »Marseille,  Ravenna  und  Mailand  bilden  ein  Boll- 
werk, das  den  Norden  von  Rom  abschließt  und  mit  dem  Oriente  verbindet. 
Dazu  kommt  die  direkt  von  Ägypten,  Syrien  und  Kleinasien  auf  den  Norden 
übergreifende  Klostertradition.  Die  merowingische  Zeit  kennt  nicht  einen  im 
Einerlei    der    römischen    T- Basilika    befangenen    Kirchenbau,    den   dann    die 


1)  Strzygowski,  Orient  oder  Rom.     Leipzig  1901.     S.  8. 


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KOPTISCHE  ALTBRTt3fliER  IM  UERMAN.  NATIONALMÜSEÜM. 


karolingisch-ottonisch- romanische  Baukunst  zu  völlig  neuen  Formen  führt, 
sondern  sie  übermittelt  in  Gallien  die  reiche  Mannigfaltigkeit  der  Bauformen 
des  eigentlichen  und  des  hellenistischen  Orients,  sodaß  die  Typen  der  roma- 
nischen Baukunst  ganz  direkt  auf  Ägypten,  Syrien  und  Kleinasien  zurückzu- 
führen sind«  ^).  Was  von  der  monumentalen  Kunst,  gilt  auch  vom  Kunst- 
handwerk. Für  die  Verbreitung  orientalischen  Einflusses  wirkte  hier  noch 
der  tägliche  Handelsverkehr  mit.  Damit  kommen  wir  zur  Beantwortung  der 
Frage  nach  der  Berechtigung  koptischer  Denkmäler  in  einer  Sammlung,  der 
die  Produkte  germanischer  Kunst  und  Kultur  aufzunehmen  vornehmster  Zweck 
ist.  Gerade  die  koptische  Kunst  »ist  ein  typischer  Vertreter  jener  im  Hinter- 
lande der  hellenistischen  Küsten  schon  in  antiker  Zeit  entstandenen  Strö- 
mungen, die  dann  in  christlicher  Zeit  die  Oberhand  gewinnen,  mit  dem  Mönchs- 
tum  auf  das  Abendland  übergreifen  und  so  die  Grundlage  unserer  sogenannten 
romanischen  KuÄst  werden«  '). 

Die  Bestände  der  nachstehend  verzeichneten  kleinen  Sammlung  kop- 
tischer Altertümer  rühren  fast  ausschließlich  aus  dem  Besitz  Dr.  Forrers  in 
Straßburg  her.  Mehr  als  Proben  syro-ägyptischer  Spätkunst  konnten  natur- 
gemäß nicht  Platz  finden. 

Eine  genaue  Datierung  der  einzelnen  Fundstücke  ist  vorläufig  noch  nicht 
durchführbar.  Im  allgemeinen  verdanken  sie  ihre  Entstehung  dem  5.  bis  7. 
Jahrhundert. 

Der  Fundort  der  Mehrzahl  ist  nach  der  Angabe  Dr.  Forrers  Achmim, 
das  alte  Panopolis  in  Oberägypten. 

Das  Museum  besitzt  außer  den  hier  beschriebenen  Koptica  noch  eine 
Anzahl  koptischer  Gewebe,  die  bereits  publiziert  sind  *)  und  daher  jetzt  über- 
gangen werden  konnten.  Ein  syro-ägyptisches  Räuchergefäß  soll  gesondert 
veröffentlicht  werden  ^).  Eine  Elfenbeinpyxis  derselben  Provenienz  wurde 
bereits  in  den  Mitteilungen,  wenn  auch  mit  unrichtiger  Bestimmung  ihrer 
Herkunft,  bekannt  gemacht^). 


2)  Strzygowski,   Kleinasien,   ein  Neuland  der  Kunstgeschichte.      Leipzig    1903. 
S.  230. 

3)  Catalogue   g^ndral  des  Antiquitds  Egyptiennes  du  Musde  du  Caire.    Koptische 
Kunst  von  Josef  Strzygowski.     Vienne  1904.     S.  XXIV. 

4)  Katalog   der   Gewebesammlung   des   Germanischen    Nationalmuseums.     I.  Teil. 
No.  6  ff. 

5)  Ein  fast   gleiches   Exemplar  im  British  Museum:  Dal  ton,   Catalogue   of  Early 
Christian  Antiquities.     London  1901.    No.  540. 

6)  Mitteilungen  aus  dem  Germanischen  Nationalmuseum.  1895.  S.  20  ff.  Mit  Ab- 
bildung. Die  Pyxis  gehört  in  die  Nähe  der  von  Strzygowski,  Jahrbuch  der  Kgl.  Preus- 
sischen  Kunstsammlungen.  Bd.  25.  1904,  S.  343  f.  besprochenen  Pyxiden.  Auch  sie  ist  dem 
mesopotamischen  Kunstkreise  zuzuweisen.  Bemerkt  sei,  daß  das  nach  Strzygowski 
der  Comtesse  Bdarn  in  Paris  gehörende  Exemplar  sich  jetzt  in  Berlin  im  Besitz  des 
Kaiser  Friedrich-Museums  befindet.  Ich  vermag  nicht  zu  sagen,  ob  das  in  der  ehemaligen 
Sammlung  Bourgeois  in  Köln  befindliche  Stück  mit  dem  letztgenannten  identisch  ist. 
Vergl.:  Collection  Bourgeois  Fr^res.  Katalog  der  Kunstsachen  und  Antiquitäten.  Köln 
1904.     No.  1053  m.  Abb. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


TON. 
Lampen. 

Es  ist  bis  jetzt  noch  so  wenig  für  eine  Klassifizierung  der  antiken 
Lampen,  heidnischer  sowohl  wie  christlicher,  getan,  daß  jeder,  der  diese  Geräte 
einer  bestimmten  Sammlung  zu  bearbeiten  hat,  möge  sie  auch  noch  so  wenig 
umfangreich  und  den  Typen  nach  eintönig  sein,  genötigt  ist,  einen  eigenen 
Typen-Kanon  aufzustellen.  Der  Versuch  von  Fink  (Sitzungsberichte  der 
philos.-philol.  und  der  hist.  Klasse  der  Münchener  Akademie.  Jahrg.  1900, 
S.  685  ff.:  »Formen  und  Stempel  römischer  Thonlampen.«),  ein  durchgehendes 
Einteilungsprinzip  aufzustellen  auf  Grund  der  Schnauzenform,  ist  wohl  als 
wenig  gelungen  zu  bezeichnen.  Der  Schnabel  ist  das  am  wenigsten  charak- 
teristische Glied  des  Lampenkörpers;  man  wird  also  bei  einer  umfassenden 
Bearbeitung  der  Lampen  in  erster  Linie  auf  die  Unterschiede  in  der  Gestalt 
des  Körpers  Gewicht  legen  müssen  und  erst  als  sekundäre  Unterscheidungs- 
merkmale Schnabelansatz  und  Griffform  zu  beachten  haben. 

I.  Lampen  mit  einem  Brenner. 

Typus  A: 
Die  Körperform  ist   fast  eiförmig.     Der  Schnabel  tritt  als  selbständiger  Teil 
etwas  mehr  hervor   als   im  Typus  D.     Das  Eingußloch  befindet  sich  in 
der    Mitte    des    Diskus,    der    sich    trichterartig   senkt.      Der    Griff  ist 
durchlocht. 

Ein  Typus,  der  sich  als  provinzielle  Eigentümlichkeit  in  Ägypten  ausgebildet  zu 
haben  scheint  und,  soweit  das  Material  sich  übersehen  läßt,  nur  dort  verwendet  wurde. 
Bemerkenswert  ist  die  formale  Abwandelung,  die  sich  innerhalb  der  ganzen  Gruppe 
vollzogen  hat.  Die  vermutlich  auch  der  Zeit  nach  erste  Form  war  noch,  in  An- 
lehnung an  antike  Vorbilder,  fast  kreisrund  (Abb.  1*):  Berlin,  Kaiser  Friedrich- 
Museum,  Nr.  89  in  Strzygowskis  Inventar:  aus  Luksor);  daraus  entwickelte  sich  wohl 
eine  eiförmige  (No.  1 ;  F.  G.  1666;  Abb.  3)  und  aus  dieser  die  letzte  Variante  mit  birnen- 
ähnlichem Körper  (Abb.  2):  Berlin,  Kaiser  Friedrich-Museum,  Nr.  79  in  Strzygowskis 
Inventar:  aus  Luksor. 


Abb.  1:  K.  F.-M.  No.  89.  .  Abb.  2:  K.  F.-M.  No.  79. 


♦)  Die  Direktion  der  genannten  Sammlung  gestattete  in  dankenswerterweise  die  Publi- 
kation dieses  und  der  anderen  dort  befindlichen  Stücke,  die  wir  im  Folgenden  zum  Vergleiche 
abbilden.     Herrn  Dr.  Oskar  Wulff  bin  ich  für  briefliche   Auskunft   zu  Dank   verpflichtet. 


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KOPTISCHE  ALTERTÜMER  IM  GERMAN.  NATIONALMUSEUM. 


1.  (F.  G.  1666.)*)  Lampe.  Rotbrauner  Ton.  L.  7,6  cm. 
Henkel  abgebrochen.  Im  Diskus,  sowie  zu  beiden 
Seiten  der  Dochtöflfnung  Kreispunkte  und  fünflappige 
gestielte  Blätter.  Auf  dem  flachgewölbten  Rande 
des  Oberteils  die  Umschrift:  H  AHA  COY  |  CANNA. 
Datierung:  4. — 5.  Jahrhundert. 

Die  erwähnte  Heilige  ist  wohl  die  im  Jahre  303  in 
oder  bei  Oxyrhinchos  hingerichtete  Susanna.  Vergl.  Stadler, 
Vollständiges   Heiligenlexikon.     Bd.  IV,  s.  v.  Marcellus  21.  ^j^j,  3.  j^^  i 

Typus  B: 
Der  Diskus  ist  fast  kreisförmig  gebildet  und  leicht  sich  nach  innen  vertiefend. 

Der  Schnabel  wird  deutlich  abgesetzt.     Der  Griff  wie  bei  Typus  D. 
2^  (F.  G.  1670.)     Lampe.     Rötlichgelber  Ton. 
L.  9  cm. 

Im  Diskus  ein  gleichschenkliges  Kreuz. 
Auf  jedem  Arme  eine  Längsrille.  Rings 
herum  auf  dem  horizontalen  Rande  ein 
Blattkranz.  Die  gegenständigen  Blätter 
sind  in  roher  Weise  durch  gestrichelte 
Eindrücke  angedeutet.  Abb.  4:No.2. 

Abb.:  Forrer,  Die  frühchristlichen  Altertümer  aus  dem  Gräberfelde  von  Achmim- 
Panopolis,    Straßburg  1893.  Taf.  III,  1. 

Typus  C: 
Der  Körper  ist  vierseitig  geformt.  An  zwei  gegenüberliegenden  Seiten  Henkel- 
griff  und  Schnabel.  Der  Schnabelteil  setzt  sich  in  ganzer  Seitenbreite 
an  den  Körper  an,  um  sich  verschmälernd  in  der  Tülle  zu  enden.  Das 
Eingußloch  ist  dicht  vor  dem  Henkelansatz  angebracht.  Der  Diskus  ist 
nicht  vertieft.  Um  beim  Füllen  ein  Überfließen  des  Öles  zu  verhindern, 
wird  die  Eingußöffnung  mit  einem  kreisförmigen  Steg  umgeben. 

3.  (F.  G.  1665.)  Lampe.  Rötlicher  Ton.  L.  11,8  cm. 
Die  etwas  abgeschrägen  Seiten  des  Oberteils 
sind  mit  halbkreisförmigen  Bogen  ornamentiert. 
Die  Ölöffnung  ist  mit  einem  ziemlich  flachen  qua- 
dratischen Steg  und  einem  sich  um  diesen  herum- 
ziehenden, schärfer  hervortretenden  kreisförmigen 
umgeben.  In  den  Segmenten  und  den  inneren  Ecken 
des  Quadrates  Kreispunkte.  Zwischen  Dochtöffhung 
und  Einguß  ein  gleichschenkliges  Kreuz  und  größere 
und  kleinere  Kreise. 


Abb.  5r  No.  3. 


♦)  Die  Signaturen  hinter  den  laufenden  Nummern  verweisen   auf  den  handschrift- 
lichen Museumskatalog:  Frühchristliche  und  germanische  Altertümer. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


Abb.  6:  K.  KM   No.  124. 


Typus  D: 
Körperumriß    herzförmig;    ohne    besonderen    Schnabelansatz.     Brennöffnung 
besteht  in  einem  durch  den   Oberteil  gedrückten  Loch.     Das  ziemlich 
große  Eingußloch  befindet  sich  ungefähr  in  der  Mitte  des  Oberteils;  es 
wird    von    einem  doppelten  Steg  umgeben,  von  denen  der  äußere  sich 
geradlinig  bis  zur  Brennöfifnung  fortsetzt,  diese  umschließend.      Ob   die 
zwischen   den   Stegen   liegende  Rille  den  Zweck   hat,  einen  Deckel  als 
Schutz  für  das  Öl  aufzunehmen,  muß 
dahingestellt  bleiben,   da  solche  nicht 
gefunden  wurden;  wahrscheinlich  diente 
sie  nur  dazu,  das  überlaufende  Öl  der 

Flamme  wieder  zuzuleiten. 

I 

Technik:  Ober-  und  Unterteil,  sowie 
der  als  Handhabe  dienende  Dorn  ge- 
trennt geformt. 

Die  Datierung  dieser  Gruppe  ergibt  sich 
aus  den  mit  kuRschen  Inschriften  versehenen 
Exemplaren,  wie  deren  eines  das  berliner 
Kaiser  Friedrich-Museum  besitzt  (Nr.  124  in 
Strzygowskis  Inventar),  s.  Abb.  6. 

4,  (F.  G.  1659.)  Lampe.  Gelblichgrauer  Ton. 
L.  10  cm. 

Verzierung:  Rankenmuster  mit  Trau- 
ben in  den  kreisrunden  Windungen.  In 
den  Zwickeln  kleine,  aus  drei,  selten 
vier  Kreisen  zusammengesetzte  Blätter. 
Sehr  flaches  Relief.  Die  Rinne  von  der 
Einguß-  zur  Brennöfifnung  ist  mit  dicht 
aneinander  gereihten  Zickzacklinien  ge- 
mustert.—  Datierung:  Früharabisch. 

5*  (F.  G.  1658.)  Lampe.  Ton  von  derselben 
Färbung  wie  No.  4  (F.  G.  1659).  L.  9,7  cm. 
Die  ornamentale Verzierungdes  Randes 
ist  in  etwas  unübersichtlicher  Musterung 
durch  Traubenranken  mit  zwei  Vögeln 
zu  Seiten  der  Dochtöfifnung  und  je  zwei 
Blättern  am  Griflf  hergestellt.   Die  Rinne 

zur  Dochtöffnung  hat   vier  Längsstege  — 

als   Verzierung.    —    Datierung:    Früh- 
arabisch. 

6»  (F.  G.  1672.)  Lampe.  Ein  zweites  kleines  Exemplar 
(L.  6,7  cm),  hat  annähernd  dieselben  Ornamente 
und  stammt  vielleicht  aus  derselben  Werkstatt.  Die 
Ablaufrinne  ist  wie  bei  No.  4  (F.  G.  1659)  orna- 
mentiert. —  Datierung:  Früharabisch.  Abb.  O:  No.  6. 


Abb.  7:  No.  4. 


Abb.  8:  No.  5. 


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KOFl'ISCHE  ALTERTÜMER  IM  GERMAN.  NATIONALMUSEUM. 


7.  (F.  G.  1660.)  Lampe.  Graugelber  Ton. 

L.  10  cm. 

Von  den  drei  voraufgehenden  unter- 
scheidet sich  dieses  Exemplar  durch 
eine  etwas  stärkere  Wölbung  des 
Oberteils.  Die  Ornamentierung  be- 
steht aus  Ranken  mit  dreilappigen 
Blättern.  In  der  Ablaufrinne  zwischen 
zwei  Stegen  vier  auf  die  Spitze  ge- 
stellte Rauten.    Die  Reliefierung  tritt 

bei  dieser  Lampe  am  stärksten  her-  Abb.  lO:  No.  7. 

vor.  —  Datierung:  Früharabisch. 

Typus  E. 

Rumpf  annähernd  kubisch,  mit  doppeltem  Boden.     Die  Oberfläche  hat  über- 
höhten Rand.     In  der  Mitte,   in  einer  wulstartigen  Erhöhung   die  Ein- 
gußöffhung.    Der  Schnabel  ist  mitten  in  der  oberen  Hälfte  der  Vorderfläche 
angesetzt  und  tritt  infolge  des  Fehlens 
einer  Vermittelung  zwischen  ihm  und 
dem  Körper  stark  hervor.    Die  Ver- 
bindung zwischen  Einguß-  und  Docht- 
öffnung wird  durch  die  Fortsetzung 
des   Wulstes    um    den   Einguß   her- 
gestellt.   In  einer  Ecke  eine  Öffnung, 
die  in  den  unteren  Hohlraum  führt. 

8.  (F.  G.  1674.)   Lampe.   Rotbrauner  Ton, 

H.  5,6  cm.     L.   10,5  cm.  Abb.  ii:No.  a 

Äußerst  rohe  Arbeit. 


Typus  F. 

Körper  kreisrund;  die  Tülle  ganz  wenig 
ausgebogen.  Der  Rand  des  Unter- 
teils steht  über;  in  dem  leicht  ge- 
wölbten Oberteil  eine  kreisrunde  Ein- 
gußöffnung. Der  Henkel  geht  vom 
Rande  des  Oberteils  bis  zum  Einguß. 
Technik:  Die  drei  Teile  getrennt 
geformt. 

9.,  (F.  G.  1663.)  Lampe.  Dunkelgraubrauner 

Ton.      L.    8,7    cm.  Abb.  12:  No.  9. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


II.    Lampe  mit  mehreren  Brennern. 
10.    (F.   G.    1661.)      Lampe.       Rotgelber    Ton. 
Dm.  8,5  cm. 

Umriß  des  Rumpfes  ein  Siebeneck;  in 
jeder  Ecke  eine  Dochtöffnung.  Über  dem  zen- 
tralen Einguß  wölbt  sich  der  Henkel.  Die  flache 
Oberfläche  ist  mit  kleinen  Knöpfen  verziert; 
darunter  einzelne  Buchstaben  verstreut. 

Technik:  Rumpfaus  einem  Stück  geformt; 
der  Henkel  besonders  angefügt. 


Abb.  18:  No.  10. 


Menasfläschchen. 


Eine  Monographie  über  den  hl.  Menas  steht  zur  Zeit  noch  aus.  Daher 
kann  man  auch  vorderhand  nicht  den  Ursachen  einer  ganz  eigenartigen  kunst- 
geschichtlichen Erscheinung  auf  den  Grund  gehen,  deren  Erklärung,  da  die 
monumentalen  Zeugnisse  keinen  Anhalt  geben,  nur  mit  Hilfe  literarischer 
Quellen  möglich  sein  wird.  Von  allen  Erzeugnissen  der  christlichen  Kunst 
des  Orients  sind  die  Menasampullen  im  Abendlande  am  häufigsten  anzutreffen. 
Sie  sind  unverhältnismäßig  zahlreicher  als  Pilgerandenken  an  die  heiligen 
Stätten  in  Palästina.  Dieses  massenhafte  Vorkommen  der  Menasfläschchen 
läßt  sich,  wie  man  ohne  weiteres  vermuten  darf,  nicht  allein  durch  die  Voraus- 
setzung einer  ausgebreiteten  Verehrung  des  afrikanischen  Wüstenheiligen  im 
Occident  allein  erklären;  und  noch  weniger  gerechtfertigt  erscheint  die  An- 
nahme, daß  diese  Terrakotten  sämtlich  von  Pilgern  nach  Europa  gebracht 
wurden.  Sollten  sich  nicht  ägyptische,  speziell  alexandrinische  Fabriken  mit 
dem  Export  eines  so  beliebten  religiösen  Modeartikels,  wie  es  das  Weihwasser 
vom  Grabe  des  Heiligen  war,  befaßt  haben? 

Von  den  zahlreichen  Typen  sind  nur  drei  in  der  Sammlung  vertreten. 

11*  (F.  G.  1682.)  MenasfläBchchen.  Hellgrauer  Ton. 
Durchm.  der  Bildfläche  5,3  cm.  H.  10,6  cm. 
Der  Heilige  steht  in  der  von  einer  Kreis- 
linie eingeschlossenen  Fläche  als  Orans,  be- 
kleidet mit  dem  Soldatenmantel  und  der  bis 
zu  den  Knieen  geschürzten  Tunica  manicata. 
Zu  beiden  Seiten  des  Kopfes  zwei  gleich- 
schenkelige  Kreuze,  links  und  rechts  von 
ihm  die  zwei  Kamele,  von  denen  das  linke 
fast  wie  ein  Baum  aussieht.  Die  äußere  Um- 
randung der  Bildfläche  bilden  Knöpfe,  je 
29  auf  beiden  Seiten.  Die  Kehrseite  der  Am- 
pulle weist  die  gleiche  Darstellung  auf.  ^^^-  *'*•  ^o.  il. 

Technik:   Die  beiden  Hälften   des  Flaschenbauches   sind   einzeln   ge- 
formt  und   dann    miteinander   verbunden.      Henkel    und    Hals  sind  roh 


Mittoiliingen  aas  dorn  ^erman.  Nationalmusoiim.    1006. 


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10  KOFnSGHfi  ALTERTÜBfER  IM  6ERMAN.  NATIONALMUSEUM. 

angefügt.  Erh. :  Relief  stark  abgerieben.  Eine  Seite  eines  Henkels 
abgebrochen. 

Aus  der  gleichen  Form  ist  allem  Anscheine  nach  hervorgegangen:  Forrer, 
Frühchristliche    Altertümer,  Taf.  I,  2. 

Gehört  zu  der  von  Strzygowski,  Koptische  Kunst*),  S.  224  mit  Haupttypus 
bezeichneten  Gruppe. 

12.  (F.  G.  1684.)    HenaBfläsohchen.    Rotbrauner 

Ton.        Durchm.     der     Bildfläche     5     cm. 
H.  9,4  cm. 

Zu  demselben  Typus  gehörend  wie  das 
vorhergehende.  Die  Bildfläche  wird  von 
einem  geperlten  Steg  und  einer  Reihe  ziem- 
lich kleiner  Knöpfe  umrahmt.  Die  Kreuze 
auf  beiden  Seiten  des  Kopfes  bestehen  aus 
5  Perlen  oder  Knöpfen,  von  einigen  kleineren 
umgeben.  Abb.  15:  No.  12. 

13.  (F.  G.  1683.)    Menasfläsohohen.     Brauner  Ton. 

Durchm.  der  Bildfläche  6,2  cm.     H.  9,5  cm. 

Auf  der  Vorderseite  der  Heilige  in  betender 
Stellung,  nur  mit  der  gegürteten  Tunika  be- 
kleidet; zu  beiden  Seiten  des  Kopfes  zwei  Kreuze 
und  zu  den  Seiten  die  zwei  Kamele.  Die  Rück- 
seite zeigt  in  einem  Kreis  von  gegenständigen 
Blättern  auf  einer  runden  Scheibe  ein  gleich- 
schenkeliges  Kreuz  mit  der  Umschrift:  TOI 
AnOr  MHNA.  Das  Relief  ziemlich  stark  hervor- 
tretend, daher  Brust  und  Kopf  des  Heiligen 
abgerieben.  ^^^-  ^^'-  No.  13. 

Stempel. 

Mit  Recht  verwahrt  sich  Strzygowski,  Koptische  Kunst,  S.  230  gegen 
die  Bezeichnung  dieser  in  großen  Mengen  vorkommenden  Ton-  und  Holz- 
stempel als  Weihbrotsiegel.  Forrer,  Frühchristliche  Altertümer,  S.  14  f.  hat 
diese  Deutung  aufgebracht.  Allein  die  Bestimmtheit,  mit  der  er  seine  Be- 
hauptung aufstellt,  steht  im  umgekehrten  Verhältnis  zu  ihrer  Bedeutung.  Wer 
die  Vorliebe  der  alten  Christen  für  die  Ausschmückung  ihres  Hausrates  mit 
symbolischen  Zeichen  und  Bildern  kennt,  verwundert  sich  nicht  weiter  dar- 
über, daß  sie  auch  das  tägliche  Brot  mit  solchen  Zeichen  religiöser  Art  ver- 
sahen. Man  kann  Forrer  höchstens  zugeben,  daß  die  Möglichkeit  vorliegt, 
daß  unter  dieser  ganzen  großen  Masse  sich  auch  Weihbrotstempel  befinden, 
die  für  uns  aber  nicht  mehr  von  den  zu  profanen  Zwecken  gebrauchten 
unterscheidbar  sind.  Vor  allem  ist  zu  berücksichtigen,  daß  durchaus  nicht 
alle  Brotstempel,  wie  Forrer  ohne  irgend  einen  Grund  anzunehmen  scheint, 
christlichen  Ursprunges  sind. 


*)  Catalogue  G^neSral  des  Antiquit^s  Egyptiennes  du  Musde  du  Caire.  Nos.  7001 — 7394 
et  8742 — 9200.     Koptische  Kunst  von  Josef  Strzygowski.     Wien  1904. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


11 


14.  (F.  G.  1703.)     Stempel.     Rötlichgelber  Ton.     Durchm.  7,7  cm. 

Einseitig.   Rund,  mit  Henkel  auf  der  Rückseite.   Im  Felde  ein  Palm- 
baum.    Zu  beiden  Seiten  des  Stammes  je  fünf  Dreiecke. 
Abb.:  Tafel  1,2. 

15.  (F.  G.  1702.)     Stempel.     Gelbgrauer  Ton.     Durchm.  7,5  cm. 

Einseitig.  Rund,  mit  Henkel  auf  der  Rückseite  Im  F'elde  ein  Palm- 
baum, sehr  rohe  Arbeit.  Am  Anfang  und  auf  beiden  Seiten  des  Stammes 
drei  kreisförmige  Vertiefungen.     Am  Stammende  beschädigt. 

Abb.:  Tafel  1,1. 

16.  (F.  G.  1701.)     Stempel.     Rötlichgelber  Ton.     Durchm.  6,5  cm. 

Einseitig.  Rund,  Henkel  abgebrochen.  Im  Felde  ein  Palmbaum  mit 
zwei  sich  abwärts  biegenden  Fruchtzweigen,  an  denen  aus  Dreiecken  be- 
stehende traubenförmige  Gebilde  hängen.  Die  Umrandung  besteht  aus 
einem  Zweige  mit  gegenständigen  Blättern.     Erhaben  gearbeitet. 

Abb. :  Tafel  I,  4. 

17.  (F.  G.  1688.)     Stempel.     Rötlichgelber  Ton.     Durchm.  7  cm. 

Einseitig.   Rund,  mit  Henkel.   Im  Felde  eine  nach  links  springende  Anti- 
lope, vor  ihr  ein  herzförmiges  Blatt  (oder  Traube?).    Erhaben  gearbeitet. 
Abb.:  Tafel  1,3. 

18*  (F.  G.  1699.)     Stempel.     Hellgrauer  Ton.     Durchm.  6,8  cm. 

Einseitig.  Rund,  mit  Henkel.  Im  Felde  ein  Vogel  mit  ausgebreiteten 
Flügeln.  Die  Federn  sind  durch  dreieckige  Einschnitte  angedeutet.  Der 
Rand  eine  vertiefte  Kreislinie.     Erhaben  gearbeitet. 

Abb.:  Tafel  1.6. 

Eine  fast  gleiche  Parallele  in  Berlin,  Kaiser  Friedrich-Museum ;  dort  die  Figur  vertieft. 

19.  (F.  G.  1696.)     Stempel.     Rötlichgrauer  Ton.     Durchm.  6,8  cm. 

Einseitig.    Henkel  abgebrochen.    In  einem  vertieften  Kreise  zwei  in- 
einander gestellte  Dreiecke  mit  erhabenen  Seiten.     Das  eingeschriebene 
hat  drei  volle  Dreiecke  als  Seitenansätze. 
Abb.:  Tafel  1,5. 

20*  (F.  G.  1700.)     Stempel.     Gelblichgrauer  Ton.     Durchm.  6,7  cm. 

Einseitig.  Rund,  mit  Henkel.  Im  Felde  ein  palmettenähnliches  Muster. 
An  den  Außenseiten  zwei  Ranken.  Das  Innere  der  Palmette  ist  mit 
Knopfpunkten  ausgefüllt ;  an  der  Spitze  ein  Querband,  in  der  Mitte  eine 
vierseitige  größere  Erhöhung.     Erhabene  Arbeit. 

Abb.:  Tafel  II.  2. 

Ein  fast  gleiches  Ornament:  Berlin,  Kaiser  Friedrich-Museum,  Nr.  11  in  Strzy- 
gowskis  Inventar;  nur  daß  dort  durch  eine  kleine  Änderung  in  der  Linienführung 
aus  der  Palmette  ein  Fisch  geworden  ist. 

21.  (F.  G.  1705.)  Stempel.  Rotbrauner  Ton.  Durchm.  a)  7,2  cm,  b)  6,3cm,  H.6,1  cm. 

Doppelseitig.  Rund,  am  Rande  eingeschnürt.  Auf  der  einen  Seite  ein 
sog.  griechisches  Kreuz  mit  X.  Die  Einfassung  bildet  ein  Steg  mit  Zickzack- 
linien. Die  Gegenseite  enthält  in  glatter  Umrahmung  dasselbe  Monogramm ; 
nur  reichen  hier  die  vier  Arme  des  X  nicht  bis  zum  Mittelpunkt. 

Abb. :  Tafel  II,  1. 


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12  KOPl'ISCHE  ALTERTÜMER  IM  GERMAN.  NATIONALMUSEÜM. 


22.  (F.  G  1695.)    Stempel.     Gelbbrauner  Ton.    Durchm.  7,6  cm. 

Einseitig.    Rund,  mit  Henkelrest.   In  dem  durch  einen  erhöhten  Rand 
umschlossenen  Felde  ein  nach*  links  ausschreitender  Greif. 
Abb. :  Tafel  II,  4. 

23.  (F.  G.  1697.)    Stempel.     Grauer  Ton.     Durchm.  7,7  cm. 

Einseitig.  Rund,  Henkel  abgebrochen.  Erhöhter  Rand,  im  Felde 
zwei  Fische,  nach  der  gleichen  Seite  gerichtet.  Körper  und  Schwanz 
fast  von  dreieckiger  Bildung.  Der  Schwanz  scharf  vom  Leib  getrennt. 
Die  Rücken-  und  Bauchflossen  aus  nebeneinander  gelegten  kleinen  Drei- 
ecken gebildet. 

Abb.:  Tafel  11,3. 

24.  (F.  G.  1698.)   Stempel.  Dunkel- 

rotbrauner Ton.     Durchmesser 

15.4  cm. 

Einseitig,  mit  voller  Hand- 
habe. Muster  vertieft.  Um 
einen  Mittelkreis  drei  konzen- 
trische  Ringe.  Im  ersteren 
ein  achtstrahliger  Stern;  der 
sich  anschließende  kleinste  Ring 
hat  eine  Reihe  radial  gestellter, 
ovaler  Stäbchen;  es  folgt  ein 
Bandornament  und  am  Außen- 
rande ein  Zahnradmuster. 

Eine  gleiche  Umrahmung  ovaler  j^^^  17-  No  24 

Bossen  wie  hier  in  dem  kleinsten 
Ringe  auf  einem  Stempel  in  Kairo 
aus  älterer  Zeit.  Vgl.  Strzygowski, 
Koptische  Kunst,  S.  230,  No.  8985. 

25.  (F.  G.  1704.)     Stempel.    Gelb- 

lichgrauer Ton.      Durchmesser 

14.5  cm.     H.  6,4  cm. 
Einseitig  mit  konischerHand- 

habe.  Das  Feld  ist  vielfach 
durch  erhabene  Stege  quadriert. 
In  jedem  Quadrate  ein  ver- 
tieftes Kreuz.  Auf  dem  Griff 
ein  roh  eingeschnittenes  Kreuz; 
zwischen  zwei  Armen  des- 
selben ein  kleineres,  sorgfältiger 
gepreßtes. 

Dieselbe    Musterung    kehrt    auf  ^^^  jg.  jj^,  25. 

einem  Holzstempel  in  Kairo  wieder. 
Strzygowski ,  Koptische  Kunst , 
S.  139,  Nr.  8807. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


13 


26.  (F.  G.  1706.)    JStempel.    Grauer 
Ton.  Durchm. 9,7  cm.  H.  5,4 cm. 

Einseitig  mit  zylindrischem 
Griff.  In  der  Mitte  des  Feldes 
ein  vertieftes  Kreuz.  Zwischen 
den  Armen  weniger  tiefe  Drei- 
ecke mit  runden  Ausladungen 
an  den  Ecken.  Die  Umrandung 
bildet  eine  Zickzacklinie,  in  der 
Mitte  jedes  der  entstehenden 
Dreiecke  eine  kreisförmige  Ver- 
tiefung. 

Das  gleiche  Randornament  findet 
sich  in  der  syrischen  Rabula-Hand- 
Schrift  (geschrieben  im  Jahre  586) 
an  einem  der  Kanonesbögen.    Vgl. 

Venturi,  Storia  dell'  Arte  Italiana  I.  Abb.  19:  No.  26. 

S.  163,  Fig.  153. 

Tonscheiben. 

27»  (F.  G.  1686.)    Tonscheibe  von  hellroter  Farbe.     Durchm.  5,4  cm. 

Christus  oder  ein  Heiliger,  bartlos  mit  Nimbus  in  Vordersicht.  Die 
Linke  hält  ein  Stabkreuz,  die  Rechte  ist  segnend  (im  Redegestus?)  er- 
hoben. Seine  Kleidung  besteht  aus  der  geschürzten  langärmligen  Tunika 
und  dem  Pallium.  Die  Partie  von  den  Knieen  abwärts  abgebrochen. 
Der  Scheibenrand  gezackt. 

Abb.:  Tafel  n,6. 

28,  (F.  G.  1685.)    Tonscheibe  von  rotbrauner  Färbung.     Durchm.  5  cm. 

Die  obere  Schicht   zum  Teil  abgeblättert;    erhalten   nur  die   rechte 
Seite  mit  dem  Rest  einer  weiblichen  (?)  Büste. 
Abb. :  Tafel  II,  5. 

Gefäße. 

29.  (F.  G.  1675.)    Vase.     Gelber  Ton.     H.  12  cm. 

Vor  dem  Brand  bemalt.  Die  Ausbauchung  trägt 
einen  Bildstreifen.  Man  erkennt  zwei  weibliche  Büsten 
in  sehr  schematischer  Zeichnung  und  die  Jagd  eines 
Löwen  auf  eine  Gazelle.  Die  Mähne  des  Löwen  sieht 
aus  wie  aus  dreieckigen  Lappen  zusammengenäht.  Die 
Zeichnung  der  Löwenmähne  ist  charakteristisch  für 
die  spätere  koptische  Kunst;  sie  wiederholt  sich  auf  | 

Denkmälern,  besonders  auf  Reliefs,  deren  sonstige 
Ausführung  auf  technisch  höherer  Stufe  steht*).  Um 
den  Hals  laufen  zwei  sich  schneidende  Zickzacklinien ; 
in  den  durch  die  Kreuzungen  entstehenden  Rauten 
Doppelkreise,    in    den    Dreiecken    Halbkreise.      Die 

,  .  ^    .   ,  .  1.  ,.    ,  1  AM».  20:  No.  29. 

schwarzbraune  Zeichnung  ist  gelblichrot  untermalt. 
♦)  Strzygowski,  Koptische  Kunst,  S.  154,  No.  72. 


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14  KOPTISCHE  ALTERTCMKR  IM  GERMAN.  NATIONALMÜSEUM. 


(F.  G.  1676)    Vase  aus  rotbraunem  Ton.     H.  13,5  cm. 

Die  Bemalung  ist,  was  die  Zahl  der  verwendeten  Farben  anlangt, 
reichhaltig:  rosa,  grün,  schwarz,  weiß;  die  Musterung  dagegen  sehr  ein- 
fach; sie  besteht  nur  in  drei  Rundstreifen  am  Halsrandansatz  und  an 
der  Stelle,  wo  die  Bauchung  am  weitesten  ist;  an  dieser  selbst  vier  von 
Punktreihen  umrahmte  Trapeze. 


Abb.  2L':  No.  30. 


METALL. 

Räuchergefäße. 

Strzygowski,  Koptische  Kunst,  S.  290  unterscheidet  »eine  reichere  Form 
mit  hohem  Fuß  und  Deckel  an  einer  Kette  und  eine  gewöhnliche  Form  mit 
niedrigem  Fuß,  ohne  Deckel  und  drei  Ketten.«  Diese  Unterscheidung  dürfte 
m.  E.  zu  wenig  präzis  sein.  Es  wird  als  spezifisches  Merkmal  hingestellt,  was 
nur  nebensächlich  ist.  Das  Charakteristische  für  einen  Typus  ist  nicht  die 
Art  der  Aufhängung,  ob  an  einer  oder  drei  Ketten.  Das  Ausschlaggebende 
bei  einer  solchen  Klassifizierung  müßte  doch  wohl  die  Form  des  Rauchfasses 
sein.  Da  entstehen  nun  allerdings  mehr  Typen,  als  Strzygowski  annimmt, 
aber  auch  so  sind  sie  »leicht  auseinanderzuhalten«. 

Es  ergibt  sich  also,  wenn  man  die  Kettenzahl  unberücksichtigt  läßt, 
folgende  Gruppierung: 

I)  Eine  kelchartige  Form   mit  hohem  Fuß  und  konischem  Deckel  mit 
Bekrönung  an  einer  oder  seltener  drei  Ketten. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


15 


II)  Eine  niedrige  Form  von  zylindrischem  Aufbau  mit   niedrigen  Füßen 
ohne  Deckel  mit  drei  Ketten. 

III)  Die  gleiche  Form  von  polygonalem  Umriß  an  drei  Ketten. 

IV)  Eine   umen-  oder  vasenähnliche  Form  auf  einem  Dreifuß,  ebenfalls 
ohne  Deckel  und  an  drei  Ketten  hangend. 

Strzygowski,  a.  a.  O.,  S.  281  und  S.  284  anerkennt  nur  die  Teilung  der 
Räuchergefaße  an  Ketten  in  solche  mit  hohem  Fuß  und  Deckel  an  einer  Kette 
und  in  solche  niedrigem  Fuß  an  drei  Ketten  ohne  Deckel.  Ohne  er- 
sichtlichen Grund  schließt  Strzygowski  die  von  ihm  als  Feuerbecken  bezeich- 
neten Dreifüße  von  den  Räuchergefaßen  aus.  Sie  gehören  eng  an  diese 
Klasse.  —  Von  den  genannten  Typen  ist  nur  der  erste  und  dritte  in  unserer 
Sammlung  vertreten. 

31*  (F.  G.  1385.)  Rauchfaß.  Bronze,  grün. 
H.  18,5  cm.  Länge  der  Ketten  21  cm. 
Durchmesser  des  Beckens  9  cm,  des 
Fußes  7  cm.  —  Datierung:  5. — 6.  Jahr- 
hundert. —  Typus  I. 

Einfachste  Form  dieses  Typus.  Der 
Bauch  des  Gefäßes  ist  halbkugelig,  der 
Fuß  konisch.  Die  einzige  Verzierung 
besteht  in  zwei  doppelten  Kreislinien  am 
Bauch  und  einer  solchen  am  Fuß.  Der 
mittels  eines  Scharniers  am  Unterteile 
befestigte  Deckel  sitzt  auf  dessen  senk- 
rechtem Rande  auf.  Die  konische  Grund- 
form wird  durch  einige  Profilierungen 
unterbrochen.  Die  Löcher  für  den  ab- 
ziehenden Rauch  sind  anscheinend  nach 
dem  Guß  gebohrt.  Drei  Ketten. 
Techn. :  Gegossen. 

Erh.:  Der  Deckel  am  Scharnier  ge- 
brochen.    Vollständig  patiniert. 

Abb.:  Forrer,  Frühchristliche  Altertümer, 
Taf.  VI,  5.  5  a. 

Strzygowski,  a.  a.  O.,  No.  9108.  S.  281  be- 
streitet die  ägyptische  Herkunft  dieses  Rauch- 
fasses, weil  der  Typus  sonst  dort  nicht  zu  be- 
legen sei.  Nach  einer  brieflichen  Mitteilung  von 
Dr.  R.  Forrer  in  Straßburg  ist  es  von  seinem 
Achmim-Agenten  in  Kairo  gekauft.  Wie  schon 
bemerkt,  scheint  mir  die  Zahl  der  Ketten  ziem- 
lich belanglos.    Der  Typus  dieses  Gefäßes  ist 

derselbe  wie  der  von  No.  9108  bei  Strzygowski. 

IT         UV  nv  u         u      e   '  u         •  Abb.  22:  No.  31. 

Um  schließlich  noch  auf  eme,  wenn  auch  genng- 

fügige  Obereinstimmung  aufmerksam  zu  machen,  so  sei  auf  die  gleiche  Form  der 

Verschlußhaken  des  Deckels  bei  beiden  Exemplaren  hingewiesen. 


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16  KOFnSCHE  ALTERTÜMER  IM  GERMAN.  NATIONALMÜSEÜM. 

32.  (F.  G.  1384.)  Rauchfaß.  Kupfer. 
H.  6,7  cm.  Durchm.  in  der  Achse 
des  Sechsecks  mit  Rand  11,2  cm. 
Länge  der  Ketten  mit  Haken  20  cm. 
—  Datierung:  5. — 7.  Jahrhundert.  — 
Typus  III. 

Der  rechtwinkelig  umgebogene 
Rand  ist  leicht  geschweift.  Die 
sechs  Seiten  sowie  der  Boden  tragen 
ein  aus  konzentrischen  Kreisen  be- 
stehendes Ornament.  Den  drei 
konischen  Füßen  entsprechen  auf 
dem  Rande   drei  kreisförmige  Ösen. 

Techn. :  Gegossen. 

Erh.:  Eine  Kette  ist  modern; 
vielleicht  auch  der  Haken  einer 
andern. 

Abb.:  Forrer,  Frühchr.  Altertümer, 
Taf.  VI,  4,  4  a. 

Vgl.  ähnliche  Form:  Strzygowski,  Kopt. 
Kunst,  No.  9116,  S.  283  u.  Berlin,  Kaiser 
Friedrich-Museum. 


Parfümfläschchen. 

33.  (F.  G.  1730.)  Bronze,  grün.  H.  8,8  cm. 

Auf  dem  runden  Bauch  sieben 
rundbogige  Arkadenöfifnungen,  deren 
Architekturen  sich  stark  vom  Unter- 
grunde abheben.  Die  Säulenkapitäle 
springen  zapfenähnlich  vor.  Der 
zylindrische  Hals  ist  ohne  Profilierung. 
Unter  dem  leicht  umgebogenen 
Rande  zwei  kreisrunde  Henkel. 

Techn. :  Gegossen. 

Erh. :  Ein  Henkel  und  Teile  des 
Fußes  abgebrochen.    Stark  patiniert. 

Ähnl.  Exempl.  vgl.  Strzygowski,  a.  a. 
O.,  No.  9096,  S.  276  f. 


Abb.  23:  No.  32 


Abb.  2i:  No.  33. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA.  17 


Bronze-Lampen. 

Strzygowski  ordnet  die  Lampen  nach  ihrer  Verwendung.  Er  teilt  in- 
folgedessen ein  in  Hängelampen  und  in  Lampen,  die  auf  Ständer  steckbar 
sind.  Schon  oben  habe  ich  mich  gegen  eine  ähnliche  Einteilung  ausgesprochen. 
Man  muß  vielmehr  die  Formentypen  herzustellen  suchen.  Zwar  macht  Strzy- 
gowski S.  289  einen  Versuch,  zu  einer  solchen  Typenscheidung  zu  gelangen. 
Indes  bleibt  bei  seiner  Betonung  des  Griflfes  als  unterscheidenden  Merkmales 
die  Form  des  Lampenkörpers  als  des  Haupteiles  unberücksichtigt.  Wie  schon 
bei  den  Tonlampen  bemerkt,  muß  aber  vor  allem  darauf  Gewicht  gelegt 
werden,  durch  eine  Analysierung  der  Gesamtform  zu  einer  Präzisierung  der 
Typen  und  einer  erschöpfenden  Klarlegung  der  in  dem  ungeheuren  Material 
sich  darbietenden  Typenentwickelung  zu  gelangen.  Die  rein  nach  antiquarischen 
und  archäologischen  Normen  bisher  fast  ausschließlich  erfolgte  Sonderung  hat 
einer  Betrachtungsweise  Platz  zu  machen,  die  nach  der  Seite  der,  wenn  man 
bei  diesen  Handwerksprodukten  so  sagen  darf,  stilistischen  Entwickelung  hin 
zu  einem  letzten  Resultat  zu  kommen  sucht. 

Bei  der  geringen  Zahl  von  vollständig  erhaltenen  Lampen  in  unserer  Samm- 
lung kann  von  einer  Typenteilung  selbstverständlich  keine  Rede  sein.  Abgesehen 
von  einer  armenischen  Lampe,  die  später  veröflfentlicht  werden  soll,  besitzt  das 
Museum  eigentlich  nur  zwei  ganze  Lampen,  die  beiden  übrigen  sind  nur  teilweise 
alt,  und  gerade  das  Charakteristische,  nämlich  der  Körper,  ist  bei  ihnen  ergänzt. 
34*  (F.  G.  1656.)  Lampe  aus  heller  Bronze  mit  flachem  Fuß.  Durchmesser 
des  Brenners  1,3  cm.     Gesamtl.  9,2  cm.    H.  mit  Aufsatz  4  cm. 

Der  kreisrunde  Körper  geht  allmählich  in  den  Schnabel  über.     Der 
Griff  ist  mit  dem  halbmondförmigen  Aufsatz  verbunden.     Am  Übergang 
von  Diskus    und  Brenner  zwei  kleine  Ösen.     Eine  dritte  war  vielleicht 
in  dem  Loch  in  der  Mitte  des  Halbmonds  eingenietet.  Die  Taube,  die  auf  der 
Forrerschen  Zeichnung  in  dem  Loch  be- 
festigt erscheint,  gehörte  ursprünglich  jeden- 
falls nicht  dazu;    sie  ist   von  dunklerem 
Material.  Die  rundeEingußöflfnung(Durchm. 
2,2  cm)  hat  einen  leicht  geneigten,  mit  Kreis- 
linie umschriebenen  Rand. 

Abb.  25:  Nr.  84. 

Tech.:  Gegossen.     Erh.:  Am  Einguß  verbeult.     Schwache  Patina. 

Abb.:   Forrer,  Frühchristliche  Altertümer,  Tafel  VII,  4. 
35*  (F.  G.  1654.)  Lampe.  Dunkle  Bronze.  H.  mit 
Aufsatz  7,2  cm.    L.  10  cm.    Br.  6  cm. 

Diskus  kreisrund,  am  Übergang  zum 
Brenner  zwei  runde  Ansätze.  Der  Hals 
durch  zwei  Voluten  stark  eingeschnürt.  In 
der  Mitte  des  Diskus  um  eine  mittlere  drei 
kleinere  Eingußöflfnungen,  ringsherum  ein 
erhöhter  Wulst.  Am  Boden  das  Loch  für 
die  Hülse  des  Aufsteckdornes.    Ein  Wein-  Abb.  26:  No.  86. 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmnseum.    1906.  3 


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IS  KOFflSCHK  ALTERTÜMER  IM  6ERMAN.  NATION ALMÜSEUM. 

blatt  bildet  den  Aufsatz.  Die  Lappen  des  Blattes  sind  durch  runde 
Vertiefungen  und  von  dort  zum  Rande  gehende,  eingehauene  Kerbe 
angedeutet.  Der  gebogene  Henkel  geht  vom  Rande  des  Diskus  nach 
dem  Rücken  des  Blattes.  Dieses,  sowie  der  äußere  Rand  des  Diskus 
und  die  vier  Ansätze  mit  Kreispunkten  verziert. 

Tech.:    Gegossen.     Erh. :    Hülse   des   Aufsteckdomes   ausgebrochen, 
desgleichen  der  obere  Lappen   des  Weinblattes.     Vollständig  patiniert. 

Teile  von  Lampen. 

36.  (F.  G.  1657.)    Aufsatz  mit  Griff.    Bronze.     H.  8,4  cm.    Br.  5,7  cm. 

Rechteckiger  Rahmen   mit   kreisförmig  ausladenden   Ecken.     In  der 
Mitte  der  oberen   Seite   eine  dreieckige,   durchbohrte  Erhöhung.     Das 
Innere  durch  ein  sog.  lateinisches  Kreuz  mit  runden 
Ausladungen   an  den  Balkenenden  ausgefüllt.     Die 
Vorderseite   mit    Kreuzpunkten   geziert.     Auf  der 
hinteren  Seite  ein  einfacher  Henkel  aus  Bronzedraht. 

Tech.:    Gegossen.     Erh.:  Vollständig  patiniert. 

37.  (F.  G.  1657.)  Runder  Lampenfnß.  Bronze.  H.  1,6cm. 

Durchm.  unten  7,2  cm,  oben  3,5  cm. 

Profiliert.  Die  Standfläche  mit  kreisförmigen 
Rillen  versehen,  denen  auf  dem  Lampenständer 
hineinpassende  Wulste  entsprachen. 

Der  Aufsatz  und  der  Fuß  sind  jetzt  durch  einen 
modernen  Lampenkörper  zu  einem  Stück  verbunden; 
ob  sie  ursprünglich  zusammengehört  haben,  ist 
nicht  festzustellen,  aber  nicht  sehr  wahrscheinlich, 
da  die  Bronzelegierung  bei  beiden  verschiedene 
Färbung  zeigt.  Abb.  27:  No.  3ß,t87.i 

Techn. :  Gegossen. 

Abb.:    Forrer,  a.  a.  O.,   Taf.  VI,   2.    2a.    Erwähnt   von  Strzygowski,   a.  a.  O., 
S.  291  oben. 
38*  (F.  G.  1652.)      Aufsatz 
mit  Griflf.     Bronze.     H. 
des  Griffes  8,5  cm. 

Kreuz  mit  ausladen- 
den kreisförmigen  An- 
sätzen. Der  Deckel  mit 
einem  Gorgoneion  gehör- 
te ursprünglich  nicht  hin- 
zu ;  der  Lampenkörper  ist 
eine  moderne  Ergänzung. 

Techn. :  Gegossen. 
39.  (F.  G.  1740.)     Griff  einer 
Lampe  (oder  eines  Ge- 
fäßes). Bronze.  H.  6,5  cm.  Abb.  28:  No.  38.  ""^^  Abb.  29:  No.  39. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


19 


Herzförmig  gebogen.  Auf  dem  oberen  Rande  zwei  Vögel  (Tauben?) 
von  sehr  primitiver  Form.  L.  und  r.  von  ihnen  wachsen  aus  der  Ranke 
zwei  auf  der  Oberfläche  ziselierte  Blätter  heraus. 

Techn. :  Gegossen. 

Ohrringe. 

Von  den  fünf  hauptsächlich  vorkommenden  Typen  der  in  koptischer 
Zeit  in  Ägypten  üblichen  Ohrringformen  sind  in  unserer  Sammlung  nur  drei 
vertreten.  Leider  fehlt  der  christliche  Haupttypus,  ein  Halbmond,  dessen 
Enden  sich  als  Tragreif  oder  Bügel  fortsetzen,  gänzlich.  Vgl.  Dalton,  Cata- 
logue  of  Early  Christian  Antiquities  and  Objects  from  the  Christian  East. 
London  190L  No.  275,  276,  277.  —  Die  Aufzählung  der  Typen  bei  Strzy- 
gowski,  a.  a.  O.,  S.  333  f.,  dem  ich  mich  anschließe. 

40,  (F.  G.  1836.)   Ohrring.   Goldbronze.   Durchmesser  der  Scheibe  6,2  cm,  des 
Ringes  3,4  cm. 

Drei  konzentrische  Drähte  umschließen  nach  innen  gerichtete  Pal- 
mettenfolgen, die  mit  Blei  aneinander  gelötet  sind.  Der  äußere  Rand 
ist  gezahnt.  In  den  Zwickeln,  wo  der  eigentliche  Ohrring  mit  dem  Ge- 
hänge zusammenstößt,  zwei  auf  Lötplättchen  befestigte  Kreise. 

NachStrzygowski,a.  a.O.,S.333  zu  Typus II  der  in  Ägypten  vorkommenden  Ohrring- 
formen gehörend. 


Abb.  80:  No.  40. 

41.  (F.  G.  1791.)  Ohrring.  Goldbronze.  Durchm.  des  Kreises 
mit  Kreuz  3,4  cm,  des  Ringes  2,3  cm. 

Zwei  aneinander  gelötete  Ringe,  von  denen  der  äußere 
wie  bei  No.  40  (F.  G.  1836)  gezahnt  ist,  umschließen 
ein  an  den  Enden  nach  außen  umgerolltes  Kreuz.  In 
den  Zwickeln  ebenso  wie  bei  No.  40  zwei  Kreise. 
Auch  hier  verbinden  zwei  Lötplättchen  die  beiden  Ringe. 

Abb.:  Forrer,  a.  a.  O.,  Taf.  X,  20.     Nach  Strzygowski  Typus  IL 


Abb.  31:  No.  41. 


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20 


KOPTISCHE  ALTERTÜMER  IM  GERMAN.  NATIONALMUSEUM. 


Abb.  32:  No.  42 


Abb.  33:  No.  48 


42.  (F.  G.  1837.)     Ohrring.     Goldbronze.     Durchm.  des  Kreuz- 

ringes 2,6  cm,  des  oberen  Ringes  1,9  cm. 

In  einem  etwas  breiteren  Ring  steht  ein  Kreuz  von  der 
gleichen  Form  wie  bei  No.  41.  Tragring  und  Zierscheibe 
aus  einem  Stück  geschnitten. 

Nach  Strzygowski  Typus  11. 

43.  (F.  G.  1792.)     Ohrring.     Goldbronze.    Durchm.  2,2  cm. 

Nur  die  Zierscheibe  mit  dem  Kreuz  erhalten.  Der  Trag- 
ring aus  der  Lötung  gelöst;  vorhanden  sind  noch  die  zwei 
Lötscheiben. 

Techn. :  Das  Stück  ist  nicht  wie  No.  41  u.  44  in  Filigran- 
technik hergestellt,  sondern  geschnitten. 

Abb. :  Forrer,  a.  a.  O.,  Taf.  X,  19.   Nach  Strzygowski  Typus  IL 

44.  (F.  G.  1805.)     Ohrring.     Silber.     Durchm.  der  Zierscheibe  2,4  cm. 

Das  Muster  ließe  sich  etwa  folgenderweise  auflösen:  Ein  Kreuz  mit 
umgerollten  Enden.  Bei  den  beiden  Hälften  des  Längsbalkens  sind  die 
zwei  Drähte,  aus  denen  er  besteht,  völlig  aneinander  ge- 
lötet, während  die  beiden  horizontalen  Arme  sich  öflfnen. 
Zwischen  den  Armen,  von  der  Mitte  ausgehend,  nach 
derselben  Richtung  sich  umrollende  Einzelstäbe.  Auf 
dem  Ganzen,  die  Hauptpunkte  des  Kreuzes  hervorzu- 
heben, fünf  Buckel.  Tragring  mit  Haken;  die  Öse  an  der 
Zierscheibe  angelötet. 

Nach  Strzygowski  Typus  11.  Abb.  84:  No.  44. 

45*  (F.  G.  1794.)    Ohrring.     Bronze.     Durchm.  5  cm. 
Reif  aus  ziemlich  starkem  Bronzedraht  (Durchm. 
3  mm)  mit  aufgesteckter  Trommel  in  Filigran. 

Gehört  zu  der  von  Strzygowski  als  III.  Typus  bezeich- 
neten Gruppe;  vergl.  Strzygowski,  a.  a.  O.,  S.  334,. 
Nr.  7034—7038,  7042. 

46.  (F.  G.  1793.)  Ohrring.  Silber.  Durchm.  4  cm. 
Breite  des  Querstreifens  0,6  cm.  Höhe  der  Pal- 
mette 0,5  cm. 

Ring  aus  rundem  Silberdraht  mit  zwei  Haken 
zu  schließen.  In  der  unteren  Hälfte  ein  Querband 
mit  mäanderartigem  Muster  zwischen  zwei  ge- 
drehten Leisten.  Darunter  aus  flachem  Draht  eine 
Palmette  mit  geperlter  Dreiecksumrahmung,  von 
der  nur  noch  drei  Teile  erhalten  sind.  Die  Füllung 
der  Palmette  bildet  eine  mit  Draht  befestigte  Perle 
oder  ein  Glasfluß. 


Abb  85 :  No.  45. 


Nach  Strzygowski :  Typus  V;  vgl.  Strzyogwski,  S.  335, 
No.  7040.  Die  Einfassung  der  Palmette  dort  ohne  die 
dreieckigen  Verzierungen. 


Abb.  36:  No.  46. 


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VON  DR  OTTO  PELKA. 


21 


Gewichte. 

47.  (F.  G.  1747.)  Gewicht.  Weibliche  Büste  (Athene  ?).  Bronze.  Höhe  14,5  cm. 
Gewicht  1500  g. 

In  der  Mitte  des  Brustpanzers  ein  Gorgoneion.  Eine  Art  Schuppen- 
panzer bedeckt  den  Rücken ;  die  halbkreisförmigen  Schuppen  sind  stei- 
gend angeordnet ;  ihre  Vernietung  wird  durch  Punktierungen  angedeutet. 
Der  Kopf  ist  durch  einen  Helm  geschützt,  an  dessen  linker  Nacken- 
seite ein  punktiertes  N  eingeschlagen  ist.  An  der  Spitze  des  Helm- 
bügels eine  Öse  für  den  jetzt  fehlenden  Haken.  Das  Innere  der  Büste 
ist  hohl;  der  ursprüngliche  Bleiausguß  ist  an  dem  noch  in  der  Höhlung 
vorhandenen  Bleioxyd  zu  erkennen. 

48*  (F.  G.  1037.)    Gewicht.    Männliche  (?)  Büste.    Bronze.    Höhe  17  cm.    Ge- 
wicht 2400  g. 

Die  Gewandung  besteht  anscheinend  aus  zwei  Tuniken,  von  denen  die 
äußere  durch  einen  Ausschnitt  am  Halse  die  untere  sehen  läßt.  Auf 
dem  Obergewand  vor  der  Brust  ein  Kreuz.  Der  Helm  ist  etwas  aus 
der  Stirn  gerückt,  so  daß  das  kurze,  nach  vorn  gekämmte  Haar  sicht- 
bar wird.  Der  Helmbügel  geht  auffallend  weit  in  den  Nacken  herunter. 
An  der  Spitze  des  Bügels  wie  bei  dem  vorangehenden  Stück  eine  Öse, 
für  den  hier  erhaltenen  s- förmig  gebogenen  Haken.  Das  Innere  ist  mit 
einem  verbleiten  Marmorkern  ausgefüllt. 


Abb.  37:  No.  47.  Abb.  38:  No.  48. 


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22  KOPTISCHE  ALTERTÜlfER  IM  6ERMAN.  NATIONALMUSEUM. 

49.  (F.  G.  1759.  Gewicht.  Bronze.  Gr.  4  x  4  cm.  Dicke  1  cm.  Gew.  152  g. 
Quadratisch.  Auf  der  Oberseite  in  orna- 
mentierter Kreisumfassung  zu  beiden  Seiten 
eines  lateinischen  Kreuzes:  FS  f=  sechs  Unzen). 
Die  Zeichnung  nur  leicht  vertieft.  Die  Buch- 
staben, sowie  das  Kreuz  tragen  in  der  Mitte  den 
Umrissen  entsprechende ,  tiefer  geschlagene 
Linien,  die  ursprünglich  eine  rote  Emailfüllung 
aufnahmen,  von  der  unbedeutende  Spuren  noch 
vorhanden  sind. 

Ähnliche  Formen  mit  gleicher  Gewichtsbezeichnung  im  British  Museum:  Vgl. 
Dalton,  Catalogue,  No.  480,  481.  Desgl.  in  Paris:  Vgl.  Babelon  et  Blanchet,  Cata- 
logue  des  bronzes  antiques  de  la  Biblioth^que  Nationale.  Paris  1895.  S.  693, 
No.  2268,  2269.  Dasselbe  Gewichtstück  aus  Eisen  in  Spalato,  Museum:  No.  2582. 
Vgl.  Kubitschek:  »Gewichtstücke  aus  Dalmatien«  in:  Archäologisch-epigraphische 
Mitteilungen  aus  Österreich-Ungarn.    XV.    1892.   S.  89.    . 

Tierfiguren. 

50-  (F.  G.  1769.)       Antilope.       Bronze. 
H.  8  cm.     L.  7  cm. 

Stehend,  die  Hinterbeine  sind 
jetzt  nach  vorn  gekrümmt.  Am 
Bauch  und  Hals  Einschnitte  als  An- 
deutung der  Rippen  und  Halsmus- 
keln.    Rohe  Arbeit. 

51*  (F.  G.  1768.)    Schaf.    Bronze.  L.3cm. 
H.  3  cm. 

Auffallend  die  charakteristische 
Bildung  des  Kopfes.  Der  Leib 
durchlocht. 

52*  (F.  G.  1765.)  Hase.  Bronze.  L.  4,6cm. 
H.  mit  Stiel  4,4  cm." 

Flaches  Relief.    Ungeschickte  Mo- 
dellierung.    Auf  keilförmigem  Stiel  ^^^-  ^^-  ^^-  ^• 
befestigt. 


Abb.  41:  No.  51  Abb.  42:  No.  52, 


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VON  Dr.  O'lTü  PELKA. 


23 


58.  (F.  G.  1656.)    Taube.     Bronze.     H.  2,8  cm.     L.  3,6  cm. 

Ohne  Füße;  vermutlich  von  einer  Lampe  oder  einem  Gefäß  her- 
rührend. 

54.  (F.  G.  1767.)    Vogel.   (Auer- oder  Birkhahn.)   Kupfer.    H.  3,4  cm.    L.6cm. 

Auf  einem  vom  zugespitzten  Aufsatz  stehend.  Das  Bohrloch  am 
Ende  ist  anscheinend  nicht  gleichzeitig.  Der  Kopf  mit  den  beiden 
Hautlappen  von  sehr  lebendiger  Auffassung. 

55.  (F.  G.  1766.)    Hahn.     Blei.     H.  3  cm.     L.  3,1  cm. 

Die  beiden  Hälften  einzeln  gegossen,  hohl.  Die  Flügelfedern  durch 
Linien  angedeutet.     Die  Beine  und  ein  Teil  des  Körpers  abgebrochen. 


Abb.  48:  No.  5a 


Abb.  44:  No.  54. 


Kreuze. 


Abb.  45:  No.  55. 


56.  (F.  G.  1781.)    Kreuz.     Bronze.     L.  3,6  cm.     Br.  3,1  cm. 

Mit  fast  gleichlangen,  wenig  ausladenden  Armen.    In  der  Mitte  als  einzige 
Verzierung  ein  Kreispunkt.  Der  Längsbalken  ist  am  oberen  Ende  durchlocht. 
Abb. :  Forrer,  a.  a.  O.,  S.  18,  Fig.  13. 

57.  (F.  G.  1818.)     Kreuz.     Bronze.     L.  2,9  cm.     Br.  3  cm. 

Aus  fünf  übereck  gestellten  Quadraten  zusammengesetzt.  Auf  der 
Rückseite  werden  zwei  Nieten  sichtbar. 

Abb.:  Forrer,  a.  a.  O.,  Taf.  X,  14. 
58*  (F.  G.  1785.)    Kreuz.     Bronze.     L.  3,1  cm.     Br.  1,6  cm. 

Dreigeteilte  Armenden.  An  der  Spitze  sitzen  auf  einer  schmalen 
Querleiste  einander  zugekehrt  zwei  Tauben. 

Abb. :  Forrer,  a.  a.  O.,  Taf  X,  13. 
59*  (F.  G.  1783.)    Kreuz.     Blei.     L.  4,4  cm.     Br.  3  cm. 

Sog.  griechische  Form  mit  gering  ausladenden  Armen.  Die  Vorder- 
und  Rückseite  weisen  knopfartige  Verzierungen  in  symmetrischer  An- 
ordnung auf.     Am  oberen  Ende  eine  Öse. 


Abb.  46:  No.  56. 


Abb.  47:  No.  57. 


Abb.  48:  No.  58. 


Abb.  49:  No.  59. 


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24  KOPTISCHE  ALTERTCMBR  IM  GERMAN.  NATIONALMÜSEUM. 


60*  (F.  G.  1820.)     Vortragkreuz.    Vergoldetes   Kupferblech.     L.   42,7  cm. 
Breite  33,5  cm. 

Die  Arme  leicht  geschweift,  an  ihren  Ecken  bei  dreien  kreisförmige 
Ansätze;  der  Längsbalken  in  seinem  unteren  Ende  rundet  sich  bim- 
förmig  ab,  um  dann  in  einen  breiten  Ansatz  überzugehen,  der  zur  Be- 
festigung in  dem  hölzernen  Tragstabe  diente.  Es  finden  sich  noch 
Spuren  eines  zementartigen  Bindemittels  an  dieser  Stelle  vor.  Die  Kreuz- 
mitte ist  auf  beiden  Seiten  mit  vier  konzentrischen  Doppelkreisen  ver- 
ziert. An  dem  unteren  Rande  des  Querbalkens  sind  zu  jeder  Seite  drei 
Löcher  angebracht;  sie  dienten  dazu,  kleinere  an  Ringen  hangende 
Kreuzchen  aufzunehmen,  von  denen  noch  zwei  und  ein  einzelner  Ring 
erhalten  sind. 

Das  Kaiser  Friedrich-Museum  in  Berlin  besitzt  ein  fast  gleiches  Stück. 


Abb.  50:  No.  GO. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


25 


Varia. 

61.  62*  63*  (F.  G.  1771,  1772,  1773.)     Drei  Hände. 
2.  L.  5,5  cm.     3.  L.  3,5  cm. 


Bronze.     1.  L.  6  cm. 


Wohl  als  Amulette  anzusprechen. 
Fingerstellung,  die  dem  sogenannten 
lateinischen  Segensgestus  entspricht. 
Über  der  Wurzel  wird  ein  Stück  des 
Ärmels  sichtbar,  dessen  Falten  durch 
vertiefte  Einschnitte  angedeutet  sind. 
Die  beiden  kleineren  Hände  sind  von 
ziemlich  schematischer  Arbeit;  während 
die  fünf  Finger  der  kleinsten,  die  aus 
Bronzeblech  anscheinend  geschnitten 
wurde,  in  der  Größe  fast  unterschieds- 
los sind,  finden  sich  bei  der  größeren, 
abgesehen  von  dem  zu  groß  geraten 
abgespreizten  Daumen,  ungefähr  richtig 
beobachtete  Verhältnisse. 


Die  größte  von  ihnen  zeigt  eine 


Abb.  51:     Abb  52: No. 62.       Abb.58:  No.68. 
No.  61. 


64.  (F.  G.  1778.)     Bekrönnng    eines   (eucharistischen  ?)   Gefäßes.      Bronze. 
H.  7  cm. 

Auf  einer  von  vier  Säulchen  getragenen  Kuppel  eine  Taube  mit  aus- 
gebreiteten Flügeln,  auf  ihrem  Kopfe  ein  gleicharmiges  Kreuz.  Das 
Ganze  ruht  auf  einer  qua- 
dratischen Platte,  an  der  ein 
einmal  abgesetzter  Zapfen 
befestigt  ist. 

65*  (F.  G.  1774.)    Anker.    Blei. 
H.  6,2  cm. 

Wohl  als  Totenbeigabe 
verwendet,  wie  daraus  her- 
vorgeht, daß  der  Querbalken 
senkrecht  zu  dem  Unterteil 
gestellt  ist;  für  Lebende  wäre 
ein  solcher  Anhänger  unbe- 
quem zu  tragen. 

Abb.:  Forrer,  a.  a.  O.,  S.  17, 
Fig.  2. 

66,  (F.  G.  1796.)    Säule.   Bronze. 

II     9   Qm  Abb.  54:  No.  64.  Abb.  55:  No.  65.  Abb.  56:  No.  66. 


Über  einer  als  Basis  gedachten,  flachen,  runden  Scheibe  ein  spiralig 
kanellierter  Schaft  mit  korinthisierendem  Kapitell.  An  beiden  Enden 
zylindrische  Zapfen. 

Mittoiltingren  aus  dem  german.  NatiooalmuBeam.    1906.  4 


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26 


KOPTISCHE  ALTEBTÜMER  IM  6BRMAN.  NATIONALMUSB  UM. 


67«  (F.  G.  1775.)    Mumienstataette.    Blei.    H.  4,6  cm. 

Auf  vierseitigem,  hohlem  Sockel  eine  flachgegossene  Mumie.  Die 
Hände  liegen  auf  der  Brust.  Auf  der  Rückseite  besonders  deutlich  die 
Lagen  der  Mumienbinden  markiert. 

Abb.:  Cabrol»  Dictionnaire  d'arch^ologie  chrdtienne  et  de  liturgie.  Sp.  1050. 
Fig.  260.  Forrer.  a.  a.  O.,  Taf.  XIII,  19.  Ebenda  S.  16  deutet  F.  dieses  Figürchen 
ohne  ersichtlichen  Grund  auf  Lazarus.  Wir  haben  hier  vielmehr  aus  späterer  Zeit 
ein  den  altäg3^tischen  Totenbeigaben  aus  Glasfluß  entsprechendes  Pendant  aus 
Metall,  bei  dem  nichts  för  christlichen  Ursprung  spricht. 


Abb.  57:  No.  68, 


BEIN. 
Figärliche  Schnitzereien. 

68.  (F.  G.  1807.)      Tafel.       Knochen.       H.    5,5   cm.      Br.   3   cm. 

Wenig   überhöhter   Rand.     Unbekleidete   männliche   Figur    an    eine 
Säule    gelehnt    in    Vordersicht.       Das    rechte    Bein 
hinter   dem   linken   Standbein   gekreuzt.     Der   linke 
Arm    über   dem    Kopf    erhoben.      Flacher   Schnitt, 
teilweise  verwittert. 

Das  Relief  gehört  in  die  von  Strzygowski,  Hellenistische 
und  koptische  Kunst  in  Alexandria  (Bulletin  de  la  Socidtd 
Archdologique  d'  Alexandrie  No.  5),  S.  56  ff.  festgestellte 
Typenreihe.  Eine  Benennung  ist,  da  jedes  Attribut  fehlt, 
in  unserem  Falle  ausgeschlossen.  Vgl.  außerdem  Strzygowski, 
Koptische  Kunst.     S.  193,  No.  7115. 

69*  (F.  G.  1811.)    Knochenstück,     Gelblich.     H.  10  cm. 
Br.  4,7  cm. 

Unbekleidete  weibliche  Gestalt  en  face.  In  der  Rechten  hält  sie 
einen  konvexen  Spiegel,  in  den  sie  hineinblickt.  Der  linke  Arm  hängt 
leicht  gekrümmt  herab.  Das  Haar  ist,  anscheinend  gescheitelt,  am 
Hinterkopf  in  einem  Knoten  aufgenommen.  Das  Profil  zeigt  den  geradezu 
karrikierten  griechischen  Idealtypus.  Pupille,  Brustwarzen  und  Nabel 
sind  durch  Bohrlöcher  angedeutet.  Die  Falten  unterhalb  des  linken 
Ellenbogens  rühren  vielleicht  von  einem  Gewandstück  her,  von  dem 
sich  aber  sonst  keine  Spuren  finden  lassen. 

Rohe  Arbeit.     Fragmentiert.  —  Datierung:  Spätkoptisch. 

70.  (F.  G.  1810.)    Enochenstück.     Graubraun.     L.  12  cm.     Br.  4,8  cm. 

In  einer  von  zwei  Säulen  flankierten  rundbogigen  Nische  mit  Muschel 
in  der  Lünette  ein  nach  rechts  ausschreitender  Kentaur.  Auf  dem  Profil 
des  Rundbogens  ein  rohes  Blattrankenmuster.  Bei  dem  Kentauren 
mußte  der  Tierleib  stark  verkürzt  gegeben  werden,  da  der  menschliche 
Oberkörper  unverhältnismäßig  groß  geraten  war;  infolgedessen  mußte 
auch  der  Schweif  fortbleiben.  Seine  Rechte  stützt  sich  auf  die  Kruppe, 
in  der  Linken  hält  er  einen  Stock  mit  leicht  gebogenem  Griff. 


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VON  Dr.  OTTO  PELLA. 


27 


Das  Motiv  anscheinend  beliebt.  Ich  sah  es  wiederholt  auf  einer  runden,  ein- 
farbigen koptischen  Callicula  aus  älterer  Zeit  in  der  ehemaligen  Grafschen  Samm- 
lung in  Wien.  Kentaurendarstellungen  haben  noch  häufig  in  der  späteren  östlichen 
Kunst  des  9.— 11.  Jahrhunderts  Verwendung  gefunden.  Ungleich  bevorzugter  war 
der  Typus  des  musizierenden  Kentauren  in  der  byzantinischen  Kunst,  den  meines 
Wissens  die  koptische  Kunst  nicht  kennt.  (Vgl.  Graeven,  Antike  Vorlagen  byzan- 
tinischer Elfenbeinreliefs.  Jahrb.  d.  preuß.  Kunstsamml.  XVIII.  1897.  S.  17.  — 
Strzygowski,  Das  byzantinische  Relief  aus  Tusla  im  Berliner  Museum.  Ebenda, 
Bd.  XIX.    1898.   S.  62  f.) 


Abb.  58:  No.  69.  Abb.  59    No.  70. 


71.  (F.  G.  1808.)    Kleine  TafeL     Knochen,  hell- 
braun.    H.  5,9  cm.     Br.  4,2  cm. 

Rand  erhöht,  in  der  Mitte  eine  Taube; 
die  Zwickel  mit  Blattwerk  ausgefüllt.  Unten 
und  an  der  rechten  Seite  beschädigt. 


Al»h.  m:  Xu.  TJ. 


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28  KOPl'ISCHE  ALTERTÜBiER  IM  GERMAN.  NATIONALMUSEÜM. 

Omamentale  Schnitzereien. 

72.  (F.  G.  1809.)    Beinschnitzerei.    L.  13,9  cm.    Br.  4,5  cm. 

Aus  einer  henkellosen  Vase  mit  geriefeltem  Bauch  kommen  zwei 
Traubenranken,  die  zunächst  im  Spitzoval  und  dann  herzförmig  aus- 
einandergehen. Von  diesen  Hauptranken  zweigen  sich  nach  innen  und 
außen  kleinere  Ranken  ab,  so  daß  die  ganze  Fläche  symmetrisch  mit 
Trauben  ausgefüllt  erscheint.  Das  Muster  schließt  an  den  beiden 
Schmalseiten  eine  Knopfreihe  ab;  an  den  Längsseiten  und  an  der  unteren 
Seite  glatte  Stege.     Zwei  übereck  stehende  Bohrlöcher. 

Techn. :  Geschnitzt;  der  Grund  ungleichmäßig  ausgehoben.  Nach- 
lässige Arbeit. 

Ein  bemerkenswertes  Beispiel  für  die  handwerksmäßige  Gleichgültigkeit  der 
Schnitzer  bietet  ein  Röhrenknochen  des  Kaiser  Friedrich-Museums:  No.  464  des 
Strzygowski'schen  Inventars  (aus  der  Sammlung  Fouquet  in  Kairo),  den  ich  mit- 
abbilde (Abb.  62).  Das  Rankenmuster  ist  dem  unsrigen  gleich.  Da  aber  die  Arbeit 
von  oben  begonnen  wurde  und  ein  Giebeldach  den  Anfang  machen  sollte,  so 
konnte  unten  nicht  mehr  die  Vase  angebracht  werden,  und  das  Spitzoval  blieb 
nach  unten  geöffnet. 


Abb.  61:  No.  72  Abb.  62:  Berlin,  K.  F.-M.  No.  464. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA.  29 

73.  (F.  G.  1834.)    Beinschnitzerei.    Röhrenknochen.     L.  7,4  cm.     Br.  3  cm. 

Unter  einem  Giebel  mit  Knopfreihen  eine  in  ein  Weinblatt  endende 
Ranke.  In  den  Zwickeln  neben  dem  Giebel  ein  längliches  Blatt.  Von 
glatten  Stegen  eingefaßt.  Fast  in  der  Mittelachse  oben  und  unten  ein 
Bohrloch. 

Techn. :  Flau  geschnitzt,  Grund  sehr  ungleichmäßig  ausgehoben. 

Das  gleiche  Muster  auf  einem  etwas  breiteren  und  flacheren  Knochen  im  Kaiser 
Friedrich-Museum.  Vgl.  Strzygowski,  Mschatta,  im  Jahrbuch  der  preuß.  Kunstsamml. 
XXV.    1904.    S.  306.    Abb.  85. 

74.  (F.  G.  1812.)    Beinschnitzerei.     Elfenbein.     L.  8  cm.    Br.  4,7  cm. 

Fragment  einer  anscheinend  symmetrischen  Blatt-  und  Traubenranken- 
komposition.  Die  Lappen  der  Blätter  haben  eingeschnittene  Vertiefungen. 
Am  Rande  links  der  Rest  eines  glatten  Steges.  In  der  linken  oberen 
Ecke  ein  Bohrloch. 

Techn.:  Umrisse  sorgfältig  geschnitten;  der  Grund  ungleichmäßig. 
Erh. :  Der  obere  Teil  der  linken  Hälfte  des  Ganzen. 

75.  (F.  G.  1835.)    Beinschnitzerei.    Röhrenknochen.     L.  7,3  cm.    Br.  3,9  cm. 

Weinblattranken  mit  Trauben.  An  der  Längsseite  ein  glatter,  an  der 
einen  Schmalseite  ein  Knopfsteg.     In  einer  Ecke  ein  Bohrloch. 

Techn. :  Relief  sorgfältig  herausgearbeitet,  Grund  unregelmäßig.  Erh. : 
Der  glatte  Seitensteg  teilweise  abgesplittert,  desgleichen  die  Ranken. 
Das  Vorhandene  bildet  etwas  mehr  als  die  Hälfte  des  ursprünglichen 
Ganzen. 

Der  Stil  gleicht  dem  des  vorangehenden  Stackes. 


Abb.  W:  No.  74. 


Abb.  63:  No.  78.  Abb.  66:  Nu.  75. 


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30  KOPlISCHfi  ALTEBTOMSR  im  6BRMAN.  NATIONALMUSBUM. 


Puppen. 

7%.  (F.  G.  1764.)     Puppe  mit  wagerechtem  Armansatz.     Knochen.     Gelblich. 
H.  9  cm. 

Eine  Körpcrgliederung  durch  flache  Einschnitte  versucht.  Die  unteren 
Extremitäten  durch  einen  fast  durch  die  ganze  Dicke  des  Knochens 
gehenden  Schnitt  angedeutet,  die  Füße  durch  einen  wagerechten  hervor- 
ragenden Streifen.  Am  Kopf  noch  Reste  von  dem  schwarzen  Haar  und 
einem  grünen  Gewebe  (Haarnetz  oder  Haube).  Spuren  von  schwarzer 
und  roter  Bemalung.  An  den  Armansätzen  seitliche  Bohrlöcher  von 
etwa  0,8  cm  Tiefe.     Rückseite  abgeflacht. 

Puppen  mit  noch  vorhandenem  Haar  in  Berlin,  Kaiser  Friedrich -Museum 
No.  368.  369  des  Strzygowski'schen  Inventars. 

Ober  die  Fußendigung  vgl.  Strzygowski,  Koptische  Kunst,  S.  202,  No.  8873. 

Die  Bohrlöcher  ausnahmsweise  nicht,  wie  Strzygowski  a.  a.  O.,  S.  202,  No.  8871 
von  allen  Exemplaren  der  vorstehenden  Art  vermutet,  quer  durch  die  ganze  Brust 
gehend. 

77.  (F.  G.  1821.)    Puppe.     Grauer  Knochen.     H.  9,1  cm. 

Weibliche  Rundfigur.     In  dem  linken  Armansatze  noch  Bohrung  und 
Falz  für  den  beweglichen  Arm.    Haar  in  der  Mitte  gescheitelt.    Diadem? 
Erh.:  Vielfach  zerbrochen. 

78.  (F.  G.  1795.)    Puppe.     Knochen,  dunkelgelb.     H.  8,4  cm. 

Nur  der  Kopf  ausgeführt.  Nase  und  Lippen  erhaben,  Augen  ein- 
geritzt; den  Hals  ersetzt  ein  von  zwei  Einschnitten  begleiteter  halb- 
runder Steg.     Das  Ganze  endet  in  eine  keilförmige  Spitze. 

Ein  gleiches  Stück  in  Kairo:  Strzygowski,  iCoptische  Kunst,  S.  203,  No.  8877. 


Abb.  67:  No   77.  Abb.  <W:  No   78. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA.  31 


Spindelknöpfe. 

79.  (F.  G.  1816.)    Spindelknopf.    Knochen.     H.  1,5  cm.    Durchm.  3,6  cm. 

Unten  flach,  oben  konvex.     Um  die  Durchbohrung  und  über  dem 
Rande  sind  je  zwei  konzentrische  Kreise  eingeritzt.     Auf  der  Wölbung 
dreimal   drei    unter    sich    symmetrisch    angeordnete 
Kreispunkte;   an   sechs   von   ihnen  kometenschweif- 
artige Ritzungen. 

Auf  ähnliche  Verzierungen  weist  Strzygowski,  Kop- 
tische Kunst,  S.  208,  No.  8909  hin. 

80^  (F.  G.  1815.)    Spindelknopf.    Elfenbein.     H.  0,9  cm. 
Durchm.  2,5  cm. 

Gleiche  Form  wie  No.  79  (F.  G.  1816).  Auf  der  ^^^  ^,  ^^  ^ 
Unterseite  zum  Teil  abgesplittert.  Über  die  Ober- 
fläche legt  sich  ein  Kreuz  mit  schraffierten  Armen. 
In  den  Zwickeln  zwischen  den  Kreuzarmen  wieder- 
holt sich  viermal  die  gleiche  Zusammenstellung  von 
Kreispunkten:  Vier  kleine  Kreispunkte  werden  von 
einer  Kreislinie  umschlossen,  darüber  wieder  ein  Kreis- 
punkt;  von  diesem Zwickelomament  nach  den  Kreuzen-  Abb.  70:  No.  80. 
den  laufen  Halbkreise  um  ihren  Mittelpunkt. 

Anhänger. 

81*  (F.  G.  1813.)     Anhänger.      Knochen,  gelblichbraun. 
Durchm.  3,3  cm.     Dicke  0,4—0,3  cm. 

Kreisrunde  Scheibe  mit  durchbohrtem  Ansatz,  an 
dessen  Anfang  zwei  roh  geschnitzte  volutenähnliche 
Bildungen.    Auf  der  Vorderseite  in  einer  Umrahmung  j^i,i,.  71 ;  no.  81. 

von   Kreispunkten    ein    aus    fünf  Kreispunkten    be- 
stehendes Kreuz.     Rückseite  glatt. 

82.  (F.  G.  1779.)    Anhänger.     Knochen,   graugelb.     H.  1,8  cm. 
Br.  1,3  cm. 

Viereckig  mit  durchbohrtem  Ansatz.     Auf  der  Vorderseite  Abb.  72:  No.  82. 
zwischen  zwei  Rillen  vier  Kreispunkte.     Rückseite  glatt. 
Abb.:  Forrer,  Frühchristliche  Altertümer,  S.  21.  Fig.  17. 

83*  (F.  G.  1782.)     Anhänger.     Knochen,  gelblichgrau.     H.  2  cm. 
Br.  1,2  cm. 

Kreuz  mit  vier  dreieckigen  Armen;    durchbohrter  Ansatz. 

Abb.78:No.88. 

84.  (F.  G.  1819.)    Anhänger.     Knochen,  gelblichgrau.     H.  2  cm. 
Br.   1,4  cm. 

Kreuz  mit  vier  dreieckigen  Armen,  drei  von  ihnen  am 
äußeren  Rande  mit  Zahnschnitt  versehen.  Auf  dem  unteren 
ein  gleiches  kleineres  Kreuz.     Durchlochter  Ansatz. 

Abb.74:No.84. 


^1 


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32  KOPTISCHE  ALTERTÜBiER  IM  GERMAN.  NATION ALMÜSE UM. 


85.  (F.   G.   1814.)      Medaillon.       Knochen,     kreisrund. 

Durchm.  3,2  cm. 

Auf  der  gewölbten  Oberfläche  ein  Frauenkopf  im 
Profil  nach  links.  Rechts  am  Nacken  ein  K.  Flüchtige 
Arbeit.  In  der  Mitte  der  Rückseite:  KNHx,  von 
einem  geritzten  Kreise  umrahmt. 

86.  (F.  G.  1806.)    Kamm.   Knochen,  gelblichweiß.   H.  3cm.         Abb  75- No.  85. 

Br.  2,3  cm. 

Einseitig.  In  der  Mitte  der  oberen  Seite  ein  pfeil- 
spitzenähnlicher Grifft,  zu  beiden  Seiten  ist  der  Knochen 
in  Form  von  dreieckigen  Spitzen  stehen  geblieben. 
Die  noch  erhaltene  trägt  an  der  Außenkante  einen 
Einschnitt,  der  anscheinend  zur  Befestigung  einer 
Schnur  diente,  an  der  der  Kamm  aufgehängt  werden  Abb.  76:  No.  86. 

konnte.     Die  Mittelfläche  der  beiden  Seiten  hat  fünf  eingeritzte,  gerade 
Linien,   welche  zum  Teil  Spuren  von  grüner  Farbe  aufweisen. 

Wohl  Kinderspielzeug. 

HOLZ. 

Pyxideiiy  Kästen  etc. 

87.  (F.  G.  1726.)    Pyxis.     Holz,  braun.     H.  4,3  cm.     Durchm.  5,9  cm. 

Zylindrisch,  in  der  Mitte  leicht  ausgebaucht.  Ohne  Deckel;  mit  wenig 
überstehendem  Rande.  Die  Verzierung  der  Außenseite  besteht  aus 
einem  etwas  heraustretenden  Ringe  in  der  Mitte  und  zwei  Reihen  von 
Kreispunkten.     Reste  von  roter  und  blauer  Farbe. 

88.  (F.  G.  1727.)     Pyxis.     Eiche,  braun.     H.  6,1  cm.     Durchm.  4,9  cm. 

Zylindrisch,  ohne  Boden  und  Deckel.  In  flachem  Relief  trägt  die 
Außenseite  ein  Kreuz  mit  gleichlangen  ausladenden  Armen,  flankiert  von 
einem  eingeschnittenen  A  und  (jj.  —  Datierung:  4.  Jahrhundert. 

Diente  wohl,  da  sich  Ansatzspuren  von  einem  Deckel  und  Boden  nicht  finden, 
als  Einlage  für  eine  Metall-  oder  Beinpyxis. 

Abb.:  Forrer,  a.  a.  O.,  Tafel  XI,  5.    Vj2;l.  ebda.  S.  15. 


Abb.  77:  No.  87.  Abb.  78:  No. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA.  33 


89*  (F.  G.  1722.)  Pyxis.  Holz,  dunkelbraun.  H.  10  cm.  Durchm.  9  cm. 
Zylindrisch  mit  konischem  Deckel.  Profiliert.  Der  übergreifende 
Deckel,  sowie  der  obere  Streifen  des  Unterteils  zeigen  Intarsien  aus 
blauem  Glas  und  Elfenbein  von  dreieckiger,  kreisrunder  und  Segment- 
form. Auf  dem  Oberteil  des  Deckels  drei  eingelegte  dreilappige  Blätter. 
Der  Deckelknopf  aus  Knochen.     Grüne  Farbspuren. 

90.  (F.  G.  1720.)     Pyxiß.     Holz,  dunkelbraun.     H.  8  cm.     Durchm.  8  cm. 

Zylindrisch.  Mit  übergreifendem,  flachem  Deckel.  Der  Unterteil  zeigt 
in  halber  Höhe  einen  stark  hervorspringenden  Steg  mit  eingeritztem  Kreis. 
Der  Deckelknopf  zylindrisch ;  durch  diesen  und  den  Deckel,  sowie  durch 
den  Steg  des  Unterteils  gehen  korrespondierende  Bohrlöcher,  durch 
welche,  ähnlich  wie  bei  Räuchergefäßen,  eine  Schnur  zum  Aufhängen 
geführt  wurde.     Inhalt:  Reste  eines  schwarzen  Farbstoffes. 


Abb.  79:  No.  89.  Abb.  80:  No.  90. 

91.  (F.  G.  1725.)    Pyxis.    Holz,  dunkelbraun.    H.  7  cm.    Durchm.  des  Unter- 

teils 5,2  cm;  Durchm.  des  Deckels  6,3  cm. 

Halboval  mit  flachemFuß  und  konischem,  übergreifendem  Deckel  mit  vor- 
stehendem Rande.     Auf  rotem  Grunde  schwarz,  gelb  und  grün  in  nicht 
mehr  erkennbaren  Zeichnungen  ge- 
mustert. -  Datierung:  Früharabisch. 

Das  Diözesanmuseum  in  Trier  be- 
wahrt eine  Büchse  mit  gleichem  Anstrich 
von  zylindrischer  Form  auf,  welche  mit 
kufischen  Schriftzeichen  bemalt  ist; 
daraus  ergibt  sich  auch  für  unser  Exem- 
plar die  Datierungsmöglichkeit. 

92.  (F.  G.  1723.)    Pyxis.    Holz,  braun. 

H.  11,7  cm. 

Eicheiförmig,  mitFußundDeckel. 
Der  Rand  des  Deckels  abgestoßen, 
Deckelknopf  fehlt.  Roter  Anstrich 

mit  schwarzen  Bändern.  Abb.  81:  No.  91.  Abb.  82:  No.  92. 

Mitteil ungeD  aus  dem  gennan.  Nationalmuseum.    1906.  5 


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34  ](OPTtSCd£  ALTERTÜMER  IM  6ERMAN.  KATIONALMUS^UII. 


»8.  (F.  G.  1729.)    Spiegelkapsel  mit  Deckel.    Holz,  dunkelbraun.    H.  3,2  cm. 
Durchm.  des  Unterteils  6  cm.     Durchm.  des  Deckels  6,6  cm. 

Zylindrisch.     Unter   der   Glaseinlage   im   Unterteil   Reste  von  grüner 
Farbe.     Unterteil  schwarz,  Deckel  schwarz  und  rot  gefärbt. 
M.  (F.  G.  1724)    Becher.     Holz,  braun.     H.  10,9  cm.     Durchm.  6,3  cm. 

Zylindrisch,  beim  Übergang  zum  Fuß  sich  abrundend;  der  letztere 
besteht  aus  einem  zylindrischen  Teil  mit  zwei  eingeritzten  Kreisen  und 
einer  Einschnürung  zwischen  zwei  Stegen.  Unterhalb  des  oberen  Ge- 
fäßrandes eine  ringsherumlaufende  eingeritzte  Linie. 


Abb.  83:  No.  98.  Abb.  ßi]:  No.  ^. 

95-  (F.  G.  1741.)      Kasten.      Holz,   hellbraun.       H.    7,6  cm.      L.    18   cm. 
Br.  8,5  cm. 

Von  rechteckigem  Grundriß.  Im  Innern  eine  quadratische  und  eine 
größere  rechteckige  Vertiefung.  Die  Einschnitte  auf  der  einen  Schmal- 
seite und  auf  der  Zwischenwand  im  Innern  waren  für  die  Zapfen  eines 
Einsatzes  bestimmt.  Die  beiden  Längs-  und  eine  Schmalseite  sind  mit 
dem  gleichen  Ornamentmotiv  gemustert:  Zwei  oder  mehr  Lorbeerblatt- 
reihen gehen  von  einem  Knopfsteg  nach  beiden  Seiten  und  werden  von 


Abb.:8o:  No.  95 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA. 


35 


einem  glatten  Steg  und  einer  Knopfreihe  umrahmt.  Die  eine  Langseite 
zeigt  dieses  Ornament  auf  ihrer  ganzen  Fläche,  auf  der  gegenüberliegen- 
den erscheint  es  verkürzt,  um  Raum  herzugeben  für  zwei  Büsten,  welche 
durch  zwei  Säulen  mit  spiraligen  Schäften  von  dem  Mittelfeld  getrennt 
werden.  Die  Schmalseite,  von  der  aus  der  Deckel  hineingeschoben 
wurde,  hat  als  Verzierung  nur  zwei  |J- förmige  Stege  mit  dazwischen 
liegenden  Knopfreihen. 

Erh.:  An  den  Schmalseiten  geborsten. 

Die  Lorbeerblattstege  finden  sich  häufiger  in  der  Steinplastik.  Vgl.  Strzygowski, 
Koptische  Kunst,  S.  47,  No.  7303,  7304,  7305;  S.  50,  No.  7309;  S.  51,  No.  7310. 
Zu  dieser  Stilisierung  vgl.  außerdem  das  Fragment  eines  Lorbeerkranzes,  in  Holz 
geschnitzt :  Strzygowski,  Koptische  Kunst,  S.  129,  No.  8789. 

96.  (F.  G.  1718.)     Kasten.     Holz,  dunkelbraun.     L.  17,5  cm.     Br.  9,1  cm. 

H.  3,8  cm. 

Mit  Falzen  für  den  Schiebdeckel  In  der  Mitte  eine  kreisförmige  Ver- 
tiefung für  den  Farbenbehälter,  die  sich  nach  unten  in  die  längs  laufende 
Rinne  für  die  calami  oder  stili  öffnet. 

Erh.:  Unterteil  vollständig.     Deckel  verloren. 

Schnitzereien  von  Möbeln. 

97.  (F.  G.  1763.)    Relief.     Holz,  braun.     H.  15,2  cm.     Br.  10,2  cm. 

Ein  Vogel  mit  ausgebreiteten  Flügeln,  nach  rechts  blickend.  Um  den 
Hals  trägt  er  an  einem  Bande  eine  viereckige  Bulla.  Die  Kiele  [der 
Federn  sind  durch  scharfe  Einschnitte  angedeutet. 

Techn. :  Geschnitten  und  ge- 
sägt. Erh.:  Schnabel  und  Rück- 
seite des  linken  Flügels  ange- 
splittert. 

In  der  koptischen  Kunst  wird  von 
allen  Tierornamenten  dieses  Vogel- 
motiv am  liebsten  verwendet.  Es  ist 
schlechterdings  nicht  zu  entscheiden, 
ob  solche  Vogelgestalten  Adler  oder 
Tauben  wiedergeben  sollen.  Wenn 
ich  Strzygowski,  Koptische  Kunst, 
S.  39,  recht  verstehe,  so  scheint  er 
anzunehmen,  daß  das  Vorhandensein 
einer  Bulla  auf  der  Brust  des  Vogels 
die  Deutung  auf  einen  Adler  wahr- 
scheinlicher mache.  Eine  Begründung 
für  diese  Annahme  gibt  er  nicht.  Ich 
kann  mir  aber  nicht  denken,  daß 
eine  Nebensächlichkeit  wie  ein  Me- 
daillon auf  die  Tiergattung  spezifisch 
differenzierend  wirken  sollte.  Die 
Grabstelen  haben  sehr  häufig  dieses 
Motiv.  In  dem  Falle,  da  ein  größeres 
Vergleichsmaterial  vorliegt,  sieht  man  ^    *-        ^' 


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36  KOPTISCHE  ALTERTÜMER  IM  GERMAN.  NATION ALMUSEÜM. 

leicht,  daß  sich  die  Strzygowskische  Scheidung  nicht  aufrecht  erhalten  läßt. 
Die  Vögel  ohne  den  Halsschmuck  sind  an  Zahl  zwar  erheblich  geringer  als  die, 
welche  ihn  tragen,  aber  keines  dieser  Stücke  unterstützt  die  Behauptung,  daß 
die  Absicht  des  Steinmetzen  dahinging,  mit  dem  Fortlassen  des  Attributes  zu- 
gleich auch  eine  andere  Vogelart  darzustellen.  Ein  Beispiel  sogar  läßt  vermuten, 
daß  alle  diese  Vögel  als  Tauben  gedacht  waren.  Die  Stele:  Cnim,  Coptic  monu- 
ments,  No.  8659  zeigt  einen  Vogel  mit  Medaillon,  der  unverkennbar  eine  Taube 
ist.  Einen  verallgemeinernden  Schluß  zu  ziehen,  geht  freilich  nicht  an,  indeß 
möchte  ich  mich  eher  Karl  Schmidt  anschließen,  der,  nach  einer  Bemerkung  von 
Strzygowski,  a.  a.  O.,  S.  60,  geneigt  ist,  statt  der  Adler  überall  Tauben  zu  sehen. 

Die  Form  des  Medaillons  ist  mir  auf  den  publizierten  Denkmälern,  soweit  mir 
die  Literatur  zur  Verfügung  steht,  nicht  wieder  begegnet.  Die  kreisrunde  Scheibe 
wird  im  allgemeinen  bevorzugt.  An  außergewöhnlichen  Formen  ist  mir  sonst  nur 
noch  ein  spatenähnliches  Medaillon  begegnet  (Crum,  a.  a.  O.,  No.  8659). 

Stilistisch  gehört  unser  Stück  zusammen  mit  Strzygowski,  Koptische  Kunst, 
No.  8786,  S.  128.  Auffallend  ist  die  große  Übereinstimmung  der  Linienführung  in 
den  Flügelkonturen. 

Nach  der  Angabe  von  Dr.  Forrer  stammt  das  vorliegende  Relief  aus  Achmim. 
Die  Bleistiftnotiz  über  dieselbe  Provenienz  auf  der  Rückseite  der  Kairiner  Schnitzerei 
erhebt  auch  die  lokale  Zusammengehörigkeit  beider  Stücke  zur  Gewißheit. 

98.  (F.  G.  1753.)  Panneau.  Holz, 
dunkelbraun.  H.7,5cm.  Br.l3,4cm. 
Ein  Steinbock  (?)  nach  rechts 
gewendet,  frißt  an  einem  baum- 
artigen Strauch.  Reste  von  Be- 
malung. An  den  Schmalseiten 
Falze,  die  auf  eine  frühere  Ver- 
wendung als  Füllung  für  eine 
Möbel-  oder  Kastenwand^deuten. 

In  der    Darstellung  und  stilistisch 
eng  verwandt  mit  einer  Rosette  aus  Kom  Eschkaw.     Strzy- 
gowski, a.  a.  O.,  Seite  156,  No.  7216  u.  Tafel  IX. 

99*  (F.G.  1761.)   Konsole.   Holz,  dunkelbraun.  H.  16,5  cm. 
Er.  4,8  cm. 

Korinthisierendes  Kapitell  mit  zwei  Akanthus- 
reihen.  Das  Mittelblatt  der  oberen  Reihe  legt  sich 
in  die  Biegung  der  Deckplatte.  Auf  dieser  eine 
Taube  mit  ausgebreiteten  Schwingen,  um  den  Hals 
ein  Medaillon.  Die  Rückseite  ist  geglättet.  Der 
Vogel  nimmt  nur  zwei  Drittel  der  Kapitelltiefe  ein. 
Ein  Bohrloch  geht  fast  durch  die  ganze  Höhe  des 
Kapitells.    Reste  von  roter  Farbe  und  von  Vergoldung. 

Teil  eines  Möbels.  Über  die  Beliebtheit  geschnitzter 
Möbel  bei  den  Kopten  vgl.  Strzygowski,  a.  a.  O.,  S.  126 
und  S.  163. 


Abb.  88.  No.  9J. 


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VON  Dr.  OTl'O  PELKA. 


37 


Haarkämme. 

100.  (F.  G.  1731.)      Breitkamm.      Holz,  braun. 
H.  6,9  cm  Br.  6,7  cm. 

Mit  zwei  Zahnreihen;  nach  den  Spitzen 
sich  abflachend.  Im  1,4  cm  breiten  Mittel- 
streifen auf  beiden  Seiten  drei  Kreispunkte 
eingeritzt. 

Abb.  89;  No.  100. 

101,  (F.  G.  1732.)    Hochkamm.    Holz,  rötlichbraun.    H.  24,5  cm.    Br.  7,7  cm. 

Mit  zwei  Zahnreihen.  Das  13,9  cm  breite  Mittelstück  auf  einer  Seite 
ornamentiert:  Zwischen  zwei  konzentrischen  Kreisen  läuft  ein  Ring  von 
Kreispunkten,  deren  Zentren  durch  eine  leichtgeritzte  Kreislinie  ver- 
bunden sind.  Dieser  Ring  umschließt  ein  Kreuz  mit  geschweiften  Armen; 
seine  Mitte  nimmt  eine  Rosette  ein,  bestehend  aus  einem  Doppelkreise 
um  einen  Kreispunkt  in  einem  vertieften  Ringe.  In  den  Kreuzarmen,  sowie 
in  den  Zwickeln  Kreispunkte.  Die  gleiche  Rosette  wie  in  der  Kreuzmitte 
an  den  vier  Ecken  des  Mittelfeldes ;  eine  jede  von  drei  Kreispunkten  um- 
geben. Mit  dem  gleichen  Ornament  sind  die  beiden  Querstreifen  besetzt: 
Die  letzteren  wie  das  Kreuz  und  die  Eckrosetten  waren  vergoldet. 

Die  gleichen  Rosetten  auf  einem  Holzkamm  in  Kairo :  Strzygowski ,  a.  a.  O., 
S.  145,  No.  8828  u.  Tafel  VIII. 


Abb.  90:  No.  101. 

102.  (F.  G.  1733.)    Hochkamm.     Holz,  braun.     H.  23  cm.     Br.  7,4  cm. 

Zweiseitig.     Im  12,5  cm  breiten  Mittelfeld  an  den  Ecken  vier  runde 
mit  Glasfluß  ausgefüllte  Vertiefungen.     Die  Mitte  nimmt  ein  Kreuz  ein. 


Abb.  91 :  No.  102. 


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38  KOPl'ISCHE  ALTERTÜMER  IM  QERMAN.  NATIONALMÜSEUM. 


Die  gleichgroßen  Arme  werden  von  je  drei  pyramidal  gestellten  Kreis- 
punkten gebildet.  In  der  Kreuzmitte  ein  Knopf  aus  Bergkristall,  welcher 
in  einer  kreisrunden  Vertiefung  liegt.  Am  Rande  zwischen  den  Glas- 
flüssen wiederum  Kreispunkte.  Spuren  von  rosa  Farbe  in  den  Kreis- 
punkten. 

Erh. :  Der  Länge  nach  gebrochen ;  die  engen  Zähne  vielfach  beschädigt. 

Webekamm. 

103.  (F.  G.  1756.)     Webekamm   mit  Griflf.     Holz.      H.  ohne  Griff  18,5  cm. 
Br.  26,5  cm.     L.  des  Griffes  14,5  cm. 

Aus  drei  Stücken  mittels  Dübel  zusammengesetzt.  Auf  der  einen 
Seite  vom  oberen  Rande  ausgehend  drei  Dreiecke  aus  Kreispunkten, 
eine  Art  der  Verzierung,  die  nach  Strzygowski  auf  Webekämmen  all- 
gemein üblich  ist.  Auf  dem  breiten  Griffende  fünf  Kreispunkte.  Reste 
von  Farbe. 

Über  Webekämme  im  allgemeinen  vgl.  Strzygowski,  a.  a.  O.,  S.  147.  Ein  unserem 
ähnliches  Stück  ebd.,  No.  8838. 

Stempel.  — 

104.  (F.  G.  1691.)     Stempel.      Holz.     Größe  4,4x3,8  cm. 
H.  1,1  cm. 

Einseitig,  viereckig.  Im  rechteckigen  Felde  ein  gleich- 
schenkliges Kreuz  mit  Dreiecksarmen.  Zwischen  den 
Kreuzarmen  lanzettförmige  Blätter.    Vertieft  geschnitten.      ^^^-  ^-  ^^''  ^^*- 

105.  (F.  G.  1694.)    Stempel.     Holz.     H.  2,6  cm.     Durchm.  6,2  cm. 

Einseitig,  zylindrisch  geformt.  Im  runden  Felde  eine  Taube.  Als 
Umrahmung  dient  ein  Steg.     Vertieft  geschnitten. 

106.  (F.  G.  1690.)    Stempel.     Holz.     H.  3,2  cm.     Durchm.  5,3  cm. 

Zweiseitig.  Zylindrisch  geformt  mit  starker  seitlicher  Einschnürung. 
Auf  der  einen  Seite  ein  sogen,  lateinisches  Kreuz,  flankiert  von  0B; 
auf  der  Gegenseite  ein  Sternmonogramm  Christi  jK.  (Die  Anfangsbuch- 
staben von  'Ir^aoö^  Xptatcg). 

Die  Abbreviatur  G  B  läßt  zweierlei  Auflösungen  zu.  Entweder  man  liest :  Geog 
i  orjSeCy  Geog  jSo^Sei^  Geog  [6]  ßotjSüJv,  oder :  Georoxe  ßorjSei.  Zu  dieser  letzten  Lesart 
vgl.  Dalton,  Catalogue,  No.  484. 

Die  auffallend  scharf  erhaltene  Schnitzerei  erweckt  den  Anschein,  als  ob  sie  in 
moderner  Zeit  nachgeschnitten  wäre,  während  der  Stempel  selbst  wohPalt  ist. 


Abb   93:  No.  lO.'),  Abb.  IM:  No.  106. 


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VON  Dr.  QTVO  PELKA. 


3^ 


107.  (F.  G.  1728.)    Stempel.     Holz.     H.  4,5  cm.    Durchm.  4  cm. 

Doppelseitig.      Zylindrische    Form    mit    seitlicher   Einschnürung   von 
geringer  Tiefe.    Der  Grund  des  Musters  ist  ausgehoben.    Das  Ornament 
der  einen  Kreisfläche  zeigt  ein  Quadrat  mit  kreisförmigen  Ausladungen 
an  den  Ecken,  verbunden  mit  einer  vierteiligen 
Band  verschlingung.    In  zwei  gegenüberliegenden 
Zwickeln   zwei   kleine,  im   rechten  Winkel   ge- 
brochene Stäbe.     Auf  der  Gegenseite  zwei  sich 
kreuzende  gleichseitige  Dreiecke.    In  dem  sechs- 
eckigen Mittelfelde  ein  Ornament,  das  ich  nicht 
mit  Sicherheit  zu  erkennen  vermag.     Vielleicht 
zwei    übereinanderstehende    Tiere.?     Außerhalb 
derDreiecke  symmetrisch  verteilt  vier  gebrochene 
Stäbe.     Beide  Stempelflächen  werden  von  einem 
schmalen  Stege  emgefaßt. 

Über  das  Vorkommen  des  Pentagramms  auf  Holz-  und  Tonstempeln  vgl.  Strzy- 
gowski,  a.  a.  O..  S.  140,  No.  8808;  S.  231,  No.  8988. 

Die  blauschwarzen  Farbreste  auf  dem  Relief  beweisen,  daß  es  sich  hier  nicht 
um  einen  Brot-  oder  Ziegelstempel  handelt,  sondern  man,  wie  auch  aus  der  ge- 
ringen Höhe  und  Breite  der  Ornamentstege  hervorgeht,  einen  der  aus  so  früher 
Zeit  selten  erhaltenen  Zeugdruckstempel  vor  sich  hat.  Publiziert  wurde  er  bereits 
von  Forrer,  Die  Kunst  des  Zeugdrucks  vom  Mittelalter  bis  zur  Empirezeit.  Straß- 
burg 1898.    S.  10.    Tafel  II,  3—5. 

108*  (F.G.1736.)  Stempel.  Holz, braun.  L.31cm.  Br.6,8cm.  H.mitGriff6,lcm. 
Einseitig  mit  Griff.     Auf  der  rechteckigen  Fläche  in  die  Windungen 
eines  Mäanderornaments  die  Zeichen  AKOTC  vertieft  eingeschnitten. 


Abb.  96:  No.  108. 

109.  (F.  G.  1735.)     Stempel.     ^Holz,   braun.       L.    10,9  cm.     Br.   5,5  cm. 
H.   mit  Griff  3  cm. 

Einseitig  mit  Griff.     Auf  der  rechteckigen  Fläche  in  unscharfen  Um- 
rissen: AMMo||NIC  n^T. 

110.  (F.  G.  1738.)  Stempel.   Holz,  hellbraun.   L.  11,3  cm.  Br.4,lcm.  H.  2,9  cm. 

Zweiseitig.     Auf    der    größeren    rechteckigen    Fläche    eingeschnitten 
+  II KV A  IC;  die  kleinere  Gegenseite  enthält  das  Zahlzeichen  (J)  I  A. 


Abb.  97:  No.  110. 


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40  KOPTISCHE  ALTERTÜMER  IM  GERäUN.  NATIONALMUSE OM. 


lll.  (F.  G.  1737.)  Stempel.  Holz, 
dunkelbraun.  Länge  11,6  cm. 
Br.  4,2  cm.     H.  3,7  cm. 

Unregelmäßiges  Parallelepiped. 
Zwei  aneinanderstoßende  Längs- 
seiten haben  vertieft  geschnittene 
Inschriften*).  Die  Buchstaben  von 
unregelmäßiger  Form  in  wenig 
sorgfältiger  Ausführung.  Auf 
einer  Schmalseite:  N. 


Abb.  98:  No.  111. 


Abb.  1)9:  No.  111 


Farbebehälter. 

112.  (F.  G.  1715.)    Farbebehälter.    Sehr  festes  Holz,  schwarzbraun.  H.  5  cm. 
Br.  2,8  cm.     Tiefe  der  Öffnungen  3,8  cm. 

Zwei  zylindrische  Röhren  nebeneinandergestellt,  so  daß  auf  der  einen 
Längsseite  ein  Falz  stehen  geblieben  ist,  auf  der  andern  eine  Rinne,  in 
der  noch  der  Rest  eines  hölzernen  Färbestiftes  steckt.  Zwischen  den 
beiden  Röhrenöffnungen  eine  kleinere  6  mm  tiefe  Bohrung  ebenfalls  mit 
dem  Rest  eines  Holzstäbchens. 

113.  (F.  G.  1716.)     Farbebehälter.     Holz,    braun.      H.  10,6  cm.     Br.  5  cm. 

Brett  von  flachem,  ovalem  Querschnitt.  Auf  der  einen  Seite  zwei 
röhrenähnliche  Fortsätze  für  den  Farbstoff. 

Spielzeug. 

114.  (F.  G.  1745.)     Vogel.     Holz,  braun.     L.  11  cm.     H.  4  cm. 

Der  Kopf  ist  nur  angedeutet ;  quer  durch  den  Hals  geht  ein  Bohrloch. 
Zu  beiden  Seiten  des  Rumpfes  Pflöcke  mit  verdickten  Köpfen. 

An  den  seitlichen  Zapfen  waren  wohl  kleine  Räder  befestigt;  durch  das  Bohr- 
loch wurde  eine  Schnur  gezogen. 


Abb.  100:  No.  114. 

115-  (F.  G.  1746.)   Boot.    Holz,  hellbraun.    L.  14,3  cm.  Br.  3,3  cm,    H.  2,6  cm. 

Die  Form  ist  die  der  auch  jetzt  noch  gebräuchlichen  Nilbarken. 


Abb.  101:  No.  115. 

♦)  Die  Abbildungen  sind  nach  einem  Papierabklatsch  hergestellt. 


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VON  Dr.  OTTO  PELKA.  41 


116*  (F.  G.  1744.)    Fisch.     Holz,  hellbraun.     U  16,3  cm.     H.  4  cm. 

Maul  und  Kiemendeckel   durch   Einschnitte  angedeutet,   desgleichen 
Rücken-  und  Bauchflosse.    Augen  fehlen.    In  der  Unterseite  ein  Bohrloch. 


Abb:  102:  No  116. 

STEIN. 

Varia. 

117^  (F.  G.  1748.)    Männliche  Figur.    Stein,  schwarz.     H.  8,6  cm. 

Auf  einer  Kathedra  mit  Rück-  und  niedrigen  Seitenlehnen  sitzt  ein 
anscheinend  unbekleideter  Mann.  Seine 
Rechte  stützt  sich  auf  die  Seitenlehne,  die 
Linke  hält  einen  Palmzweig,  der  sich  nicht 
frei  erhebt,  sondern  in  schwachem  Relief 
den  Formen  des  Körpers  sich  anlehnt. 
Die  vordere  Kopfhälfte  ist  abgeschlagen. 
Die  Kathedra  ist  reichlich  mit  Kreispunkten 
verziert,  zu  denen  auf  der  Rückseite  noch 
sechs  gebohrte  Kreise  kommen.  Das 
Ganze  ruht  auf  einem  zylindrischen,  aus- 
gehöhlten Zapfen,  in  den  seitlich  zwei  Löcher 
zur  Befestigung  von  Haltestiften  gebohrt 
sind.     (Bekrönung  eines  Stabes.?) 

Techn.:  Geschnitten.  Häufige  Verwendung 
des  Bohrers. 

118.  (F.  G.  1719.)    Behälter  in  Form  einer  ab- 
gestumpften vierseitigen  Pyramide  von  qua- 
dratischer  Grundfläche.       Schwarzer    Stein.  Abb.  103:  No.  in. 
H.  5  cm. 

Jede  der  vier  Seitenflächen  hat  an  der 
Basis,  in  der  Mitte  und  am  oberen  Rande 
eine  nur  um  ein  geringes  hervortretende 
schmale  Querleiste.  Die  einzelnen  kleinen, 
trapezförmigen  Seitenflächen  sind  mit  drei 
Kreispunktlinien  verziert,  wobei  jedesmal 
die  mittlere  größere  Punkte  zeigt.  Unter- 
halb des  Randstreifens  zweier  gegenüber- 
liegenden Seiten  Bohrlöcher.  Im  Innern  ein 
nach  unten  sich  verjüngendes  Loch. 

Diente  vielleicht  als  Schminke- oder  Tintebehältnis.  Abb.  104:  No.  118. 

Mitteilungon  aus  dem  german.  Nfttionalmiisotim.    11)06.  6 


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42  KoniSCHE  ALTERTÜMER  IM  GERMAN.  NATIüNALMÜSEÜM. 

119.  (F.  G.  1683.)    Stempel  für  Gefäßverschloß.     Kalkstein  (Muschelkalk). 
Dm.  7,8  cm.     H.  5,4  cm. 

In  der  Form  unregelmäßig  konisch.  Stempelfläche  rund  mit  Monogramm. 

120.  (F.  G.  1707.)     Gußform*).      Roter   Stein.      H.    des    Steines    6,3   cm. 
Br.  4,3  cm.    Dicke  2  cm.     H.  des  Medaillons  3,5  cm.    Br.  2,1  cm. 

Form  für  einen  ovalen  Anhänger  mit  der  Figur  eines  Reiters,  der 
mit  seiner  Lanze  eine  am  Boden  liegende  menschliche  Gestalt  durch- 
bohrt. Sehr  flaches  Relief;  äußerst  rohe  Formen.  Oben  querlaufend 
und  unten  eine  Abflußrinne. 

In  dem  Reiter  hat  man  den  oft  wiederholten  koptischen  Reiterheiligen  zu  sehen ; 
Der  am  Boden  befindliche,  noch  halb  aufgerichtete  Mann  ist  der  Repräsentant  der 
Glaubensfeinde,  die  jener  bekämpft.  Eine  Deutung  auf  einen  bestimmten  Heiligen 
ist  mangels  erklärender  Beischrift  nicht  möglich.  Auf  keinen  Fall  ist  aber  der 
hl.  Georg  gemeint.  Vgl.  darüber  Strzygowski,  »Der  koptische  Reiterheilige  und 
der  hl.  Georg«  in  der  Zeitschrift  {ült  ägyptische  Sprache  und  Altertumskunde. 
Bd.  40,  S.  49  ff. 


Abb.  106:  No.  119.  Abb.  106:  No.  190. 

121.  (F.  G.  1689.)   Gußform*).    Grauer  Stein.    H.5cm.    L.  9  cm.  Dicke  1,9  cm. 

Drei  Formen  von  Anhängern  :  Ein  Halbmond,  eine  dreiarmige  crux 
ansata  mit  einem  Nilschlüssel  in  flacherem  Relief  auf  dem  unteren  Arme  und 
ein  rundes  Medaillon  mit  einem  Oranten  in  archaisierender  Auffassung. 

Alle  drei  Formen  stehen  mit  einer  Ablaufrinne  am  oberen  Rande  in 
Verbindung. 


_  _  Abb.  107:  No.  121 

♦)  Die  Abb.  gibt  einen  Gipsausguß. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Meyers  sprosse«  Konversations-Lexikon.  Sechste  gänzlich  neubearbeitete  und  ver- 
mehrte Auflage.  Bd.  VII — XI.  Leipzig  und  Wien.   Bibliographisches  Institut,  1904  und  1905. 

Die  Geschichte  des  Konversations-Lexikons  zu  schreiben,  wäre  eine  Aufgabe  für 
den  »alten  Riehl«  gewesen.  Schon  der  gänzlich  antiquierte,  den  eigentlichen  Zweck  eines 
solchen  Buches  überhaupt  nicht  mehr  erkennen  lassende,  aber  tief  eingewurzelte  und 
nahezu  ehrwürdige  Name,  die  Benennung  »Konversations-Lexikon«,  zeigt  deutlich,  daß 
die  Erscheinung  auf  eine  längere  Entwicklungsgeschichte  zurückblickt.  Aus  Wörterbüchern 
und  Spezialenzyklopädien  hat  sich  langsam  und  Schritt  für  Schritt  das  »Konversations- 
Lexikon«  herausgebildet,  das  sich  zum  Ziele  setzt,  einem  bildungsbegierigen  größeren 
Publikum  die  Summe  alles  Wissenswerten,  gewissermaßen  das  gesamte  Wissen  der  Zeit, 
in  allgemeinverständlicher  Form  zu  übermitteln.  Dabei  haben  Auswahl  und  Umfang  in 
den  verschiedenen  Zeiten  sehr  gewechselt  und  den  Unternehmern  stets  viel  Kopfzerbrechen 
gemacht.  Denn  auch  ein  »großes«,  d.  h.  vielbändiges  Konversationslexikon  nach  Möglichkeit 
handlich,  seinen  Inhalt  in  Form  und  Ausdruck  möglichst  knapp  und  klar  zu  gestalten, 
mußte  sich  immer  mehr  als  das  Haupterfordernis  für  Benutzbarkeit  und  Absatz  aufdrängen. 

So  glaube  man  nicht  etwa,  daß  Meyers  mit  Recht  viel  bewundertes  »Großes 
Konversations-Lexikon«,  von  dem  uns  gegenwärtig  die  6.  Auflage  dargeboten  wird  —  die 
ersten  sechs  Bände  dieser  neuen  Auflage  sind  bereits  im  Jahrgang  1904  unserer  »Mitteilungen« 
angezeigt  worden  — ,  sich,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  »aus  kleinen  Anfangen«  entwickelt 
habe.  Im  Gegenteil:  die  erste  Auflage  dieses  Buches,  die  von  1839  ab  im  Verlage  des 
Bibliographischen  Instituts  (das  damals  noch  seinen  Sitz  in  Hildburghausen  hatte)  erschien, 
umfaßte  mit  seinen  Supplementen  nicht  weniger  als  52  Bände,  ohne  daß  der  Umfang  jedes 
einzelnen  derselben  den  heutigen  Bänden  viel  nachgestanden  hätte.  Erst  aus  diesem 
voluminösen  Werke  »entwirkte  sich«,  um  mit  Goethe  zu  reden,  »Meyers  Neues  Kon- 
versations-Lexikon« mit  seinen  15  Bänden,  deren  Zahl  in  der  vorletzten  Auflage  auf  18 
gestiegen  war,  in  der  vorliegenden  gänzlich  neubearbeiteten  und  vermehrten  Auflage 
jedoch  auf  20  berechnet  ist. 

Und  dabei  bleibt  noch  besonders  zu  bedenken,  um  was  für  einen  gewaltigen  und 
hochbedeutsamen  Wissensschatz,  namentlich  auf  technischem  Gebiete  und  in  den  ver- 
schiedenen naturwissenschaftlichen  Disziplinen,  die  Menschheit  seit  den  vierziger  Jahren 
des  vorigen  Jahrhunderts  reicher  geworden  ist,  der  doch  alsbald  verarbeitet,  in  seinen 
Grundzügen  einer  Enzyklopädie  des  allgemeinen  Wissens  einverleibt  sein  wollte  und 
natürlich  bei  jeder  neuen  Auflage  auf  das  sorgfältigste  revidiert,  auf  den  jeweiligen  Stand 
der  rasch  fortschreitenden  Forschung  gebracht  werden  mußte.  Zugleich  verschiebt  sich 
ja  auch  im  übrigen  der  Kreis  dessen,  was  für  wissenswert  erachtet  wird,  beständig,  bald 
er\freitert  er  sich  für  ein  bestimmtes  Gebiet,  bald  schränkt  er  sich  ein;  und  selbst- 
verständlich spielt  hierbei  gerade  auch  die  Mode  eine  große  Rolle.  Einen  zeitweilig  viel- 
genannten Schriftstellernamen  beispielsweise  wird  das  Konversations-Lexikon  jener  Zeit 
nicht  unbeachtet  lassen  dürfen,  auch  wenn  die  Bedeutung  des  betreffenden  Autors  nur 
als  eine  ephemere  gelten  muß.  seine  Beliebtheit  ledij^lich  Modesache  ist  und  vielleicht 
schon  die  nächste  Auflage  des  Namens  getrost  wieder  entraten  kann.  Denn  ein  Spiegel 
seiner  Zeit  soll  jedes  derartige  Lexikon  sein. 


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44 


LITERASISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Auch  der  Inhalt  von  Meyers  Großem  Konversations- Lexikon  hat  von  Auflage  zu 
Auflage  Wandlungen  auf  Wandlungen  erfahren ,  bis  er  seine  heutige ,  dem  Wissen ,  der 
Bildung  der  Gegenwart  homogene  Gestalt  gewonnen  hat,  und  auf  manche  Jahre  hinaus 
wird  das  Buch  nun  wiederum  weitesten  Kreisen  ein  zuverlässiger  Berater  und  Führer 
sein  können.  Dazu  tragen  namentlich  auch  die  in  dieser  neuen  Auflage  bedeutend  ver- 
mehrten, wie  Stichproben  zeigten,  in  der  Regel  durchaus  das  Neueste  und  Beste  ver- 
zeichnenden Literaturnachweise  sehr  wesentlich  bei. 

Ohne  mich  im  übrigen  hier  auf  die  Nachprüfung  auch  nur  eines  kleinen  Teils  des 
riesigen  Stoffes  einlassen  zu  können,  möchte  ich  wenigstens  noch  einen  Punkt  kurz  zur 
Sprache  bringen,  der  sich  mir  bei  einer  größeren  Anzahl  angestellter  Stichproben  die 
biographischen  Abschnitte  des  Konversations-Lexikons  betreffend  ergab.  Es  ist  dies  das 
Mißverhältnis,  das  sowohl  bezüglich  der  Zahl,  wie  in  Bezug  auf  Behandlung  und  Würdigung 
zwischen  den  in  das  Nachschlagewerk  aufgenommenen  Schriftstellern  und  Dichtern  einer- 
seits, den  bildenden  Künstlern  andererseits  —  in  beiden  Fällen  mit  Rücksicht  auf  die 
Gegenwart  —  obwaltet.  Während  ich  Schriftsteller  von  Bedeutung  in  der  Regel  mehr 
oder  minder  ausführlich  behandelt  fand,  versagte  das  Lexikon  für  Künstler  von  gleicher 
Bedeutung  in  der  Regel.  Allerdings  ist  ja  die  Abschätzung  der  Bedeutung  in  solchen 
Fällen  sehr  subjektiv.  Da  man  aber  bei  anderen  ähnlich  allgemein  gehaltenen  Veröffent- 
lichungen, wie  z.  B.  bei  der  »Allgemeinen  deutschen  Biographie«  dieselbe  Wahrnehmung 
und  zwar  noch  deutlicher  machen  kann  —  es  flnden  sich  in  der  ADB.  vielfach  die 
elendesten  Reimer  (ich  denke  namentlich  an  verschiedene  Meistersinger)  nach  ihren  Leben 
und  Werken  geschildert,  während  tüchtige,  ja  bedeutende  Künstler,  z.  B.  Benedikt  Wurzel- 
bauer, Valentin  Maler  u.  a.  ganz  fehlen  — ,  so  kommt  der  Beobachtung  doch  auch  wohl 
objektive  Geltung  zu.  Vermutlich  hat  die  Erscheinung  ihren  Grund  darin,  daß  die  mit  der 
Auswahl  des  Stoffes  oder  auch  der  Wahl  der  Mitarbeiter  betrauten  Persönlichkeiten,  die  Leiter 
und  Redaktoren  eines  solchen  Unternehmens  in  der  Regel  weit  nähere  Beziehungen  zum 
Schrifttum  haben,  als  zur  Kunst  in  allen  ihren  Verzweigungen.  Immerhin  aber  sollte  künftig 
wenigstens  auf  Abhilfe,  auf  einen  Ausgleich  dieser  Unebenheit  Bedacht  genommen  werden. 

Wie  der  Text  des  Konversations-Lexikons,  so  hat  auch  die  Ausstattung  desselben 
mit  Abbildungen  im  Laufe  der  Jahrzehnte  erhebliche  Veränderungen  und  zwar,  wie  man 
sich  angesichts  der  raschen  und  fortgesetzten  Vervollkommung  der  Reproduktionsverfahren 
während  dieser  Zeit  wohl  denken  kann,  eine  Entwicklung  in  mächtig  aufsteigender  Linie 
zu  verzeichnen  gehabt.  So  ist  denn  auch  die  neueste  6.  Auflage  um  rund  1000  Abbildungen 
und  um  ungefähr  150  Tafeln  vermehrt  worden,  unter  denen  namentlich  die  zahlreich 
hinzugekommenen  geographischen  Blätter  und  die  neue  Erscheinung  der  Bildnistafeln 
gewiß  allgemein  freudig  begrüßt  werden  wird. 

Ober  die  Trefflichkeit  der  Textabbildungen  oder  der  zum  großen  Teil  in  Farben- 
druck ausgeführten  Tafeln  brauchen  wir  hier  kein  Wort  weiter  zu  verlieren,  wie  ja  die 
in  Meyers  Konversations  -  Lexikon  vorliegende  gewaltige  Leistung  einer  eigentlichen 
Empfehlung  überhaupt  nicht  mehr  bedarf.  Th.  H. 

Hans  Dlillwuttel  un  all,  wat  mehr  is.  Von  EnnoHektor.  Neu  herausgegeben 
von  F.  W.  V.  N  e  ß.  Mit  einem  Lebensbilde  des  Dichters  von  Fr.  vonHarslo.  Emden  1905. 
Verlag  von  W.  Schwalbe.     196  S.  8«. 

Eine  Auswahl  der  Werke  des  in  seiner  ostfriesischen  Heimat  unvergessenen  einst- 
maligen Bibliotheksekretärs  am  Germanischen  Museum  Enno  Hektor  (f  1874)  liegt  hier 
in  einer  neuen^  mit  Liebe  besorgten  Ausgabe  vor.  B^  sind  im  wesentlichen  seine  zumeist 
in  niederdeutscher  Sprache  verfaßten  »DüUwutteliaden«  (»Harm  Düllwuttel  up  Ball«, 
»Harm  upFreersfoten«,  »Harm  up  t  Dornmer  Markt«  u.  s.  w.),  die  in  der  zweiten  Hälfte 
der  vierziger  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts,  also  vor  Klaus  Groth,  Fritz  Reuter  und 
John  Brinckman,  in  Ostfriesland  einen  wahren  Jubelsturm  entfesselten,  und  einige  nieder- 
deutsche Gedichte  (»In  Oostfreesland  is  t  am  besten«  u.  a.),  von  denen  sich  ein  paar 
durch  echte  Empfindung  und  Gemütstiefe  auszeichnen  und  daher  auch  einen  verfeinerten 
Geschmack  noch  anzusprechen  vermögen.  Der  Ausgabe  ist  ein  Bildnis  Hektors  und  eine 
mit  großer  Wärme  geschriebene,  lesenswerte  Biographie  desselben  beigegeben.      Th.  H. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNßEN. 


45 


Schriftstellerbibliothek  Nr.  1.  Auskunftsbuch  fflr  Schriftsteller.  Nr.  3.  Ver- 
les:erlisten  für  Schriftsteller.  Herausgegeben  von  der  Redaktion  der  »Feder« 
Berlin.    Federverlag  (Dr.  Max  Hirschfeld).  144  und  141  S.  8. 

Bei  der  Ausdehnung,  welche  die  Schriftstellerei  als  alleiniger  Beruf  oder  Neben- 
erwerb in  unserer  Zeit  gewonnen  hat,  kommen  Bücher  wie  die  beiden  vorliegenden,  die 
in  knapper  Form  und  im  wesentlichen  richtig  die  hauptsächlichsten  Fragen  behandeln 
und  beantworten,  denen  sich  insbesondere  der  jugendliche  Schriftsteller,  der  Anfanger, 
zunächst  in  der  Regel  ratlos  gegenüber  sieht,  ohne  Zweifel  einem  wirklichen  Bedürfnisse 
entgegen.  Ihre  Lektüre  kann  dem  Werdenden,  dem  Ringenden  gewiß  manche  üble  Er- 
fahrung ersparen,  während  der  gereifte  Journalist,  der  bereits  in  dem  selbstgewählten 
Berufe  Wurzel  gefaßt  hat,  bei  der  teilweise  zu  mechanischen,  teilweise  auch  zu  generellen 
Abwandlung  der  meisten  Fragen  kaum  seine  Rechnung  finden  wird.  Auch  wäre  eine 
vom  Schriftstellerberufe  mit  Ernst  und  unter  Darlegung  der  Gründe  abratende  Schrift 
oder  gar  eine  volkswirtschaftliche  Abhandlung,  die  Mittel  und  Wege  nachzuweisen  ge- 
sucht hätte,  dem  Überhandnehmen  der  Schriftstellerei  und  der  Oberproduktion  an  »Geist« 
in  unserem  lieben  Deutschland  zu  steuern,  entschieden  noch  weit  nötiger  und  nützlicher 
gewesen.  Denn  an  was  für  Schriftsteller  als  Benutzer  der  »Schriftstellerbibliothek«  mit 
gedacht  ist,  zeigen  beispielsweise  die  in  Band  I  S.  116 ff.  abgedruckten  »Formulare  für 
Schriftsteller,«  die  Formulare  zu  Begleitschreiben,  zu  Mitarbeitergesuchen  (»Billige  Zweit- 
drucke von  Romanen,  Novellen,  belletristischen  Arbeiten  von  Feuilletonlänge  etc. . .  habe 
stets  in  großer  Auswahl  vorrätig«)  zu  Bestätigungs-Postkarten,  Mahn-Postkarten  u.  s.  w. 
mit  geradezu  erschreckender  Deutlichkeit.  Th.  H. 

Das  Deutsche  Rechtswörterbuch.  In  den  Sitzungsberichten  der  Berliner  Akademie 
der  Wissenschaften  berichtet  HeinrichBrunner  alljährlich  über  den  Stand  der  Arbeiten 
am  Wörterbuch  der  deutschen  Rechtssprache.  Da  dieses  Unternehmen  nicht  nur  für 
Rechtshistoriker  und  Philologen,  sondern  auch  für  allgemeine  Geschichte,  Kultur-  und 
Wirtschaftsgeschichte  von  der  größten  Bedeutung  ist,  so  sind  einige  Worte  hierüber  an 
dieser  Stelle  vielleicht  von  Interesse. 

Das  Bedürfnis  nach  einem  Werke,  in  dem  die  deutschen  Rechtsausdrücke  aller 
Zeiten  und  Mundarten  gesammelt  und  erklärt  sind ,  ist  wohl  bei  allen  Studien  auf  histo- 
rischem Gebiete  ein  lang  und  lebhaft  empfundenes.  Die  bereits  vorhandenen  Glossare 
und  Wörterbücher  sind  teils  recht  veraltet^)  und  lückenhaft,  oder  sie  berücksichtigen 
die  rechtliche  Bedeutung  der  Ausdrücke  zu  wenig ;  andere  bringen  überhaupt  keine  Er- 
klärungen oder  sie  beschränken  sich  der  Natur  der  Sache  nach  zeitlich,  örtlich  oder 
sachlich  auf  ein  begrenztes  Gebiet,  wie  z.  B.  die  oft  vorzüglichen  Register  der  Urkunden- . 
ausgaben.    Du  Gange  berücksichtigt  das  deutsche  Sprachgut  erst  in  zweiter  Linie. 

Bereits  1893  hat  Heinrich  Brunner  auf  dieses  Bedürfnis  nach  einem  deutschen 
'Rechtswörterbuche  hingewiesen  und  bereits  ausgesprochen,  welche  Förderung  der  histo- 
rischen Forschungen  durch  ein  derartiges  Unternehmen  zu  erwarten  sei.  Die  Berliner 
Akademie  der  Wissenschaften  nahm  sich  dieses  Planes  an,  das  Kuratorium  der  Hermann 
und  Elise  geb.  Heckmann  Wen tzel- Stiftung  stellte  Mittel  hiezu  zur  Verfügung  und 
1896  bildete  sich  eine  Kommission,  die  aus  den  Professoren  v.  Amira  (München), 
Brunner,  Dümmler,  Gierke,  W e i n h o  1  d  (Berlin),  Frensdor ff  (Göttingen)  und 
Schroeder  (Heidelberg)  bestand.  Heute  sind  in  der  Kommission  die  Professoren 
Brunner,  Gierke,  Frensdor  ff,  Huber  (Bern,  als  Vorsitzender  der  1900  bestehen- 
den Schweizer  Kommission) ,  R o e t h e  (Berlin),  Schroeder  und  Freih.  v.  Schwind 
(Wien,  als  Vorsitzender  der  1903  ins  Leben  getretenen  österreichischen  Kommission). 
Den  Vorsitz  führt  Geheimrat  Brunn  er,  die  Leitung  der  praktischen  Arbeiten  liegt  in 
den  Händen  Geheimrat  Schroeder* s.  Als  Hilfsarbeiter  standen,  bezw.  stehen  letzterem 
zur  Seite:  1898—1901  Professor  R.  His  (jetzt  in  Königsberg),  1901—1904  Dr.  jur.  et  phil. 
H.  Rott,  seit  1901  Dr.  phil.  G.  Wahl,  seit  1903  Privatdozent  Dr.  jur.  L.  Per  eis  und 
seit  1905  der  Unterzeichnete. 


')  Ganz  abgesehen  davon,  dafs  sich  in  den  letzten  Jahrzehnten  infolge  der  grofsen  Zahl  von  dankens- 
werten Quellenausgabeu  unsere  Kenntnis  des  alten  Wortschatzes  aufserordentlich  erweitert  hat 


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46 


UTERARISCHB  BESPRECHUNGEN. 


Die  leitenden  Grundsätze  bei  der  Arbeit  sind  kurz  folgende :  Es  werden  alle  Rechts- 
ausdrücke (als  solche  gelten  auch  Rechtssymbole ,  Münzen  und  Maße)  des  deutschen 
Sprachgebietes  vom  Beginn  der  Aufzeichnungen  bis  um  das  Jahr  1750  gesammelt  Auch 
die  angelsächsischen,  friesischen  und  langobardischen  Wörter  werden  aufgenommen;  der 
skandinavische  Wortschatz  wird  nur  zur  Etymologie  gemeingermanischer  Ausdrücke  her- 
angezogen. Aufzeichnungen  in  lateinischer  Sprache  werden  ebenfalls  verwertet,  jedoch 
daraus  blos  die  eingestreuten  germanischen  Wörter  notiert:  z.  B.  jus  quod  vulgariter 
dicitur  spitzreht,  oder  gualdemannus.  Vor  allem  gilt  es,  die  gesamten  Rechts- 
aufzeichnungen älterer  Zeit  zu  exzerpieren,  weiters  werden  aber  auch  Urkunden  und 
andere  Nebenquellen  der  Rechtserkenntnis  verarbeitet. 

Die  Fülle  des  Materiales  erfordert  eine  große  Zahl  von  Mitarbeitern  und  es  sind 
auch  erfreulicher  Weise  Juristen ,  Historiker  und  Philologen  im  Deutschen  Reich ,  in 
Österreich,  in  der  Schweiz,  in  den  Niederlanden  und  in  Belgien  daför  gewonnen  worden. 
Wie  den  Sitzungsberichten  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften*)  zu  entnehmen 
ist,  sind  bereits  sehr  viele  Quellen  erledigt,  doch  ist  begreiflicher  Weise  noch  ein  reich- 
licher Stoff  zu  bewältigen,  sodaß  weitere  Meldungen  zur  Mitarbeit  sehr  willkommen  sind^. 
Diejenigen  Forscher,  welche  dem  Werke  Interesse  schenken,  aber  infolge  Berufspflichten 
und  anderer  Arbeiten  nicht  in  der  Lage  sind,  in  größerem  Umfange  mitzuarbeiten,  können 
der  allgemeinen  Sache  dadurch  außerordentlich  schätzenswerte  Dienste  leisten,  daß  sie 
gelegentliche  Funde  dem  Rechtswörterbuche  zukommen  lassen.  Für  diese  gelegent- 
liche Mitteilung  von  Notizen  handelt  es  sich  vornehmlich  um  solche  deutsche  Rechtsaus- 
ausdrücke und  formelhafte  Wendungen  der  Rechtssprache,  die  entweder  überhaupt  oder 
doch  in  dieser  Zeit  und  Gregend  selten  vorkommen;  insbesondere  sind  aber  jene  Aus- 
drücke sehr  willkommen,  die  in  den  landläufigen  Glossarien  und  Wörterbüchern  nicht 
oder  nicht  in  der  gefundenen  Bedeutung  fUr  jene  Zeit  und  Gegend  verzeichnet  sind. 
Hiebei  kommt  gedrucktes  und  ungedrucktes  Material  in  Betracht.  Namentlich  wird  sich 
Anlaß  bieten  zu  solchen  gelegentlichen  Beiträgen  bei  Archivstudien,  Urkundenausgaben, 
lokalgeschichtlichen  Untersuchungen  und  dergl.  Auf  diese  Weise  kommen  Kenntnisse 
des  Spezialforschers  der  Allgemeinheit  in  weitestem  Maße  zugute :  Die  zeitliche  und  räum- 
liche Verbreitung  von  Rechtsausdrücken  und  Rechtseinrichtungen  kann  genauer  fest- 
gestellt werden,  viele  bisher  nicht  genügend  erklärte  Wörter  werden  in  ihrer  Bedeutung 
erkannt,  und  der  reiche  Schatz  unserer  deutschen  Rechtsprache  erhält  weiteren  Zuwachs*). 
Abgesehen  von  solchen  buchstabengetreuen  Quellenexzerpten  wird  sich  unter  Umständen 
Gelegenheit  zu  einer  wertvollen  Bereicherung  des  gesammelten  Materiales  dadurch  er- 
geben, daß  Bemerkungen,  Ergänzungen  und  Berichtigungen  zu  bereits  vorhandenen  Wörter- 
büchern dem  Archive  des  Rechtswörterbuches  bekannt  gegeben  werden. 

Von  der  künftigen  Einrichtung  des  Wörterbuches  geben  einige  Probeartikel,  die 
von  Kommissionsmitgliedern  verfaßt  wurden,  ein  anschauliches  Bild.  So  der  Artikel 
Weichbild  (von  R.  Schroeder)  in  der  Festschrift  fttr  den  26.  deutschen  Juristentag  1902, 
dann  makler  (von  F.  Frensdorff),  pflege  (von  O.  Gierke),  walraub  (von  H.  Brunn  er), 
wize  (von  G.  Roethe)  in  dem  Sitzungsbericht  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften, 
philosophisch-historische  Klasse,  1906.  Dr.  jur.  Eberhard  Frh.  v.  Künssberg. 

«)  Die  WGrterbachberichte  werden  auch  abgedruckt  in  der  Zeitschrift  fQr  Rechtsgeschichte  (germ.  Abt). 

3)  Diesbezügliche  Zuschriften  wollen  an  Geheimrat  Prof.  Dr.  Richard  Schroeder,  Heidelberg,  Ziegel- 
häuser Landstrarse  Nr.  19  gerichtet  werden ,  worauf  Zusendung  einer  Instruktion  und  Zuteilung  einer  Quelle 
erfolgt.  Betreffs  österreichischer  Quellen  wolle  man  sich  an  Prof.  Ernst  Frhr.  t.  Schwind,  Wien  XIII, 
Penzingerstr.  66  wenden. 

^)  Diese  Beiträge  bitten  wir  auf  Oktarbl&tter  des  Kanzleipapiers  (16'/2  X  lO'/a  cm.)  quer  zu  schreiben 
mit  Unterstreichung  des  Stichwortes  und  rechts  mit  Freilassung  eines  beiläufig  zweifingerbreiten  Randes.  Die 
betreffende  Quellenstelle  ist  buchstabengetreu  und  in  solcher  Ausdehnung  zu  geben,  dafs  sich  die  Bedeu- 
tung des  Stichwortes  möglichst  unzweideutig  erkennen  läfst  Etwaige  Erklärungen  des  Einsenders  oder  solche 
Notizen ,  die  sich  in  der  Ausgabe  selbst  finden,  sind  sehr  erwünscht  nnd  mögen  auf  dem  rechten  Rande  ver- 
merkt werden  mit  Angabe  des  Urhebers  der  Erklärung.  Ort,  Jahr  und  Fundstelle  (bei  Büchern  auch  Band- 
nununer,  Seite  und  Urkundennummer)  sollen  möglichst  genau  angegeben  sein.  Femer  wird  um  deutliche, 
lateinische  Schrift  gebeten.  Auf  Wunsch  werden  gedruckte  Zettelformulare,  wie  sie  im  Archive  des  Rechts- 
wörterbuches (Heidelberg,  Universitätsbibliothek)  verwendet  werden,  jederzeit  unentgeltlich  zugeschickt 


U.  CtabaM,  NOrnMr«. 


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EINE  NÜRNBERGER  HAUSKAPELLE. 
Nachtrag 

VON  DR.  FRITZ  TRAUGülT  SCHULZ. 
(Mit  1  Tafel.) 

Im  Jahrgang  1905  dieser  Zeitschrift,  S.  57 — 62,  entwarf  ich  auf  Grund  einer 
auf  Tafel  II  reproduzierten  Aquarellzeichnung  von  Georg  Christoph 
Wilder,  einer  von  ihm  gefertigten  Skizze  zu  dem  großen  Tafelbilde  zur 
Linken  des  Altares,  einiger  Photographien  und  mündlicher  Mitteilungen  des 
inzwischen  verstorbenen  Hausinhabers  unter  dem  Titel  »Eine  Nürnberger 
Hauskapelle«  eine  Schilderung  des  früheren  Zustandes  der  Hauskapelle  im 
ehemaligen  Haus  zum  goldenen  Schild  in  Nürnberg.  Schon  damals  war  mir 
das  erwähnte  große  Tafelbild  zur  Linken  des  Altares  aufgefallen.  Ich  konnte 
mir  nicht  denken,  daß  ein  solch  umfangreiches  Gemälde  so  ganz  spurlos  sollte 
verschwunden  sein,  und  gab  darum  der  Vermutung  Raum,  daß  es  möglicher- 
weise noch  vorhanden  wäre,  ohne  daß  man  um  seine  Herkunft  wüßte.  Ich 
schrieb  damals:  »Ob  sich  das  Bild  irgendwo  erhalten  hat,  vermag  ich  nicht 
zu  sagen.  Vielleicht  gelingt  es  anderen,  dasselbe  auf  Grund  meiner  Beschrei- 
bung ausfindig  zu  machen«.  Der  Zufall  wollte  es,  daß  daraufhin  das  beregte 
Bild  wieder  entdeckt  wurde.  Herr  August  Stoehr,  Sekretär  am  pol)rtech- 
nischen  Zentralverein  in  Würzburg,  zugleich  Konservator  der  dortigen  Samm- 
lungen des  fränkischen  Kunst-  und  Altertumsvereins,  war  es,  der  bald  nach 
dem  Erscheinen  meines  Aufsatzes  an  uns  die  Mitteilung  gelangen  ließ,  daß 
das  beschriebene  und  gesuchte  Bild  identisch  sei  mit  dem  in  den  genannten 
Sammlungen  befindlichen  großen  Tafelbilde  der  Auferstehung  Christi.  Eine 
Inaugenscheinnahme  des  letzteren  an  Ort  und  Stelle  bestätigte  die  Richtigkeit 
dieser  interessanten  und  erfreulichen  Entdeckung.  Sie  ist  in  mehrfacher  Hin- 
sicht von  Belang.  Zunächst  ist  ein  durch  die  Größe  seiner  Komposition  be- 
deutsames und  in  seinem  künstlerischen  Wert  durchaus  schätzbares  Kunstwerk 
in  seiner  Schulzugehörigkeit  und  nach  seinem  ursprünglichen  Standort  wieder 
aufgefunden  worden.  Dann  aber  gibt  es  uns  einen  Maßstab,  um  zu  beur- 
teilen, mit  wie  gearteten  Gegenständen  man  seiner  Zeit  in  Nürnberg  die  zur 
Hausandacht  bestimmten  Kapellen  im  Inneren  ausgestattet  hat.  Schließlich 
können  wir  auf  diese  Weise  auch  einen  kleinen  Streifblick  auf  den  Geschmack 
und  die  Wohlhabenheit  der  Bürger  Alt-Nürnbergs   tun.     Nachdem  ich  durch 


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4S  EINE  NÜRNBERGER  HAÜSKAPBLLS. 


das  wiederaufgefundene  Original,  dessen  Veröffentlichung  mir  Herr  Stoehr 
bereitwilligst  überließ  und  welches  zur  Zeit  mit  Genehmigung  der  Vorstand- 
schaft des  genannten  Vereins  in  der  historischen  Ausstellung  der  Stadt  Nürn- 
berg auf  der  dritten  bayerischen  Jubiläums-Landesausstellung  zur  Darbietung 
gebracht  ist,  in  die  Lage  versetzt  bin,  meine  seinerzeitigen  Darlegungen  zu 
modifizieren  und  das  Bild  an  der  ihm  zukommenden  Stelle  einzurangieren,  so 
will  ich  dies  in  Form  eines  Nachtrages  zu  meinem  früheren  Aufsatz  tun.  Eis 
muß  dies  auch  deswegen  geschehen,  weil  unterdessen  noch  ein  zweites,  nicht 
minder  wichtiges  Ausstattungsstück  der  Kapelle  wieder  aufgefunden  worden 
ist,  nämlich  der  Altaraufsatz,  der  unter  den  kleineren  Altärchen  der  südlichen 
Seitenkapelle  am  kirchlichen  Hauptraum  in  den  Sammlungen  des  Germanischen 
Museums  schon  seit  langen  Jahren  eine  Unterkunft  gefunden  hat.  Da  von 
früher  her  nichts  über  dessen  Provenienz  überliefert  war,  wußten  wir  nicht, 
daß  wir  es  mit  dem  Altaraufsatz  aus  der  früheren  Hauskapelle  im  Haus  zum 
goldenen  Schild  zu  tun  hatten.  Der  Zufall  wollte  es,  daß  ich  dies  aus  der 
Erinnerung  der  Wilder  sehen  Zeichnung  herausfand.  Man  braucht  sich  darum 
nicht  zu  wundern,  wenn  der  Altar  bei  uns  bislang  als  eine  allerdings  fraglich 
gelassene  schwäbische  Arbeit  aus  der  Zeit  um  1520  bezeichnet  war.  Wir 
wenden  uns  nunmehr  den  genannten  beiden  Stücken  des  Näheren  zu,  ihre 
gegenständliche  und  künstlerische  Ausführung  betrachtend  und  würdigend. 

Das  Auferstehungsbild. 
Wenn  ich  damals  das  Auferstehungsbild  eine  ganz  bedeutende  Schöpfung, 
die  etwa  in  den  Jahren  1480 — 1490  entstanden  sein  könnte,  genannt  und 
dabei  an  Wolgemut  als  seinen  Urheber  gedacht  habe,  so  urteilte  ich  lediglich 
an  der  Hand  eines  unzureichenden  Materials.  Es  fehlte  mir  eben  das  Original, 
dessen  Autopsie  eine  Änderung  meiner  damaligen  Argumentationen  erforder- 
lich macht.  Fassen  wir  zunächst  die  Darstellung  als  solche  ins  Auge!  Das  Bild 
hat  die  Auferstehung  Christi  zum  Gegenstand*).  Verbunden  ist  damit  zu- 
gleich eine  Darstellung  der  Familie  des  Stifters,  wodurch  es  zu  einem  Devotions- 
bild wird.  Siehe  Taf.  III.  Die  eigentliche  Szene  hebt  sich  samt  dem  zugehörigen 
Hintergrund  scharf  von  der  Tafel  ab,  da  das  obere  größere  Drittel  mit  flach 
herausgeschnitztem  Rankenwerk  gefüllt  ist.  Wir  dürfen  hierin  eine  Reminis- 
cenz  an  den  großen  Heilsbronner  Schmerzensmann  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  14.  Jahrhunderts  sehen,  der  sich  ebenfalls  von  plastisch  gemustertem 
Grunde  greifbar  ablöst.  Nur  ist  dort  die  Musterung  eine  schematische  und 
bedeckt  sie  so  ziemlich  die  volle  Tafelfläche.  Hier  ist  sie  eine  etwas 
lebendigere  und  beschränkt  sie  sich  ferner  auf  den  oberen  Teil  des  Bildes. 
Obwohl  der  Künstler  in  der  Landschaft  nicht  ungeübt  ist,  hat  er  es  dennoch 
nicht  gewagt,  ganz  auf  den  traditionellen  Goldgrund  zu  verzichten.  Denn  tat- 
sächlich ist  derselbe  trotz  der  Musterung  durch  Ranken  noch  vorhanden,  nur 
ist  er   im  Gegensatz   zu   der  sonst   glatten  Behandlung    freier   und    bewegter 

•)  Siehe  auch  den  Katalog  der  histor.  Ausstellung  der  Stadt  Nürnberg  auf  der 
Jubiläums-Landes-Ausstellung  Nürnberg  1906  Nr.  53  (mit  Abbildung)  und  Zeitschrift  für 
christliche  Kunst  1906,  S.  133—134. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


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gestaltet.  Dieser  gemusterte  Grund  scheint  überhaupt  eine  Art  Zwischen- 
stufe zwischen  dem  glatten  Goldgrund  und  der  nachherigen  Belebung  des 
Hintergrundes  durch  eine  wirkliche,  farbig  gemalte  Landschaft  oder  durch 
stoffliche  Draperien  zu  sein.  Den  größeren  Teil  des  Bildes  d.  h.  etwa  die 
unteren  zwei  Drittel  nimmt  die  gemalte  Darstellung  ein.  Vorn  in  der  Mitte 
steht,  als  die  Hauptfigur  die  symmetrisch  abgewogene  Szenerie  beherrschend, 
Christus  mit  rotem  Überwurf.  Die  linke  Mantelhälfte  hängt  mit  leichter 
unterer  Ausbiegung,  ohne  den  Körper  zu  berühren,  über  den  Rücken  herab. 
Die  rechte  Hälfte  ist,  über  dem  Schoß  wulstige  Dreieckfalten  werfend,  über 
die  linke  Schulter  heraufgeschlagen,  um  dann  lebhaft  nach  rechts  emporzu- 
flattem.  Eine  organische  Verbindung  von  Mantel  und  Körper  besteht  nicht. 
Das  Kleidungsstück  ist  im  Vergleich  zu  dem  schmächtigen  Körper,  der  einer 
modellierenden  Durchbildung  noch  entbehrt,  viel  zu  weit.  Die  Beine  sind 
etwas  zu  lang  geraten,  die  Füße  zu  groß.  Die  Linke  hält  ein  Stabkreuz  mit 
nach  rückwärts  wehender  Siegesfahne,  die  ein  weißes  Kreuz  auf  rotem  Grunde 
zeigt.  Die  Rechte  ist  mit  segnender  Gebärde  erhoben.  Das  bärtige,  noch 
wenig  entwickelte  Antlitz  wird  wie  auch  diejenigen  der  übrigen  Figuren  von 
einem  durchsichtigen  Heiligenschein  umgeben,  der  aussieht,  als  sei  er  von 
Glas  gemacht.  Besonderes  Leben  verrät  die  Figur  nicht.  Nur  der  Gestus 
der  rechten  Hand  ist  belangvoll  und  das  Neigen  des  Hauptes  dazu  gut  be- 
obachtet. Das  Antlitz  zeigt  wie  auch  die  meisten  übrigen  Figuren  eine  niedrige 
Stirn.  Hinter  dem  Auferstandenen  wird  das  geöffnete  Grab  sichtbar.  Es 
hat  einfache  Kastenform  und  ist  grau  getont.  Der  abgehobene  Deckel  steht 
aufrecht  im  Kasten. 

Zur  Linken  und  Rechten  des  Auferstandenen  verteilen  sich  die  knienden 
Figuren  der  Maria  und  der  zwölf  Apostel.  Sie  scheinen  sich  perspektivisch 
aus  der  Tiefe  heraus  zu  entwickeln,  während  sich  die  vorn  kniende  Serie  der 
kleiner  gezeichneten  Mitglieder  der  Stifterfamilie  nach  der  Tiefe  zu  verjüngt. 
Durch  diesen  Tric  wird  eine  starke  Erhöhung  der  Mitte  bewirkt  und  tritt 
dadurch  die  Hauptfigur  förmlich  dominierend  hervor.  Diese  rhythmische 
Symmetrie  ruft  eine  in  sich  geschlossene  Harmonie  der  Komposition  hervor, 
welche  dem  Bilde  eine  gewisse  Bedeutung  im  Rahmen  der  allgemeinen  Ge- 
schichte der  Malerei  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  einräumt.  Sie 
beschränkt  sich  aber  nicht  auf  den  Vordergrund  allein,  sie  greift  über  auf 
die  Landschaft  und  sogar  auf  den  ornamentalen  Hintergrund,  in  welchem  ober- 
halb des  mittleren  Hügels  der  Landschaft  Gott  Vater  im  Gewölk  schwebt, 
während  von  rechts  und  links  Engel  mit  flatternden  Spruchbändern  heran- 
fliegen. In  diesem  Rh)rthmus,  der  von  eintöniger  Gleichförmigkeit  durchaus 
frei  ist,  offenbart  sich  eine  energische  Künstlernatur,  die  mit  Bewußtsein  ein 
positives  Ziel  anstrebt. 

Gleich  links  von  Christus  kniet  Maria.  Ihr  Antlitz  blickt  sinnend  und 
ernst.  Die  Gesichter  der  Apostel  hinter  ihr  sind  wenig  aufwärts  gerichtet. 
Nur  einer  unter  ihnen,  nämlich  der  dritte  von  rechts,  schaut  zur  Seite,  seinen 
Begleiter  durch  Gesten  auf  das  Wunder  hinweisend.  Die  Gesichter  der  Apostel 
sind  im  Typus  nicht  allzu  sehr  von  einander  verschieden.  Gemeinsam  ist 
MitteilttDgen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1906.  7 


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50  EINE  NÜRNBERGER  HAUSKAPELLE. 

ihnen  die  scharfrückige  Nase,  die  vorgeschobene  Unterlippe,  die  flache  Stirn. 
Eine  verschiedenartige  Charakterisierung  ist  angestrebt.  Bewirkt  wird  sie  in 
erster  Linie  durch  die  wechselnde  Behandlung  von  Bart  und  Haupthaar.  Am 
besten  gelungen  sind  die  beiden  Apostel  mit  wallendem  greisen  Vollbart  und 
weißem  Haupthaar,  das  bei  dem  einen  in  Locken  gewellt  ist,  während  es  bei 
dem  anderen  die  Stirn  freiläßt,  um  nur  den  Hinterkopf  zu  bedecken.  Alle 
Apostel  tragen  bis  auf  Johannes  den  Typus  des  älteren,  an  Jahren  und  Er- 
fahrung gereiften  Mannes.  Johannes  dagegen  erscheint  jugendlich,  bartlos 
und  mit  vollem  lockigen  Haar.  Der  Apostel  ganz  links  zeigt  in  der  Aus- 
bildung des  Kopfes  einige  Verwandtschaft  mit  dem  sonst  bei  Gott  Vater 
üblichen  Tjrpus.  In  seinem  Blick  liegt  zugleich  etwas  von  freudiger  Erregung. 
Die  Apostel  zur  Rechten  gestikulieren  lebhafter  wie  die  zur  Linken.  Der 
vordere  hat  beide  Hände  auf  die  Brust  gelegt.  Der  zweite  weist,  sich  dabei 
zu  seinem  Begleiter  umwendend,  mit  dem  Finger  nach  oben.  Dieser  ist 
im  Profil  gesehen  und  schaut,  das  Haupt  rückwärts  gebeugt,  aufwärts.  Der 
vierte  hat  die  Hände  verwundert  zusammengelegt.  Der  fünfte  breitet  sie  auf 
die  Brust,  während  sie  der  letzte  rechts  mit  den  inneren  Flächen  nach  aus- 
wärts gekehrt  emporhebt.  Die  Blicke  sind,  abgesehen  von  dem  zurückschauen- 
den Apostel,  emporgerichtet.  Die  Behandlung  der  Köpfe  entspricht  derjenigen 
der  Apostel  zur  Linken.  Doch  trägt  nur  der  vierte  Apostel  von  links  einen 
längeren  Vollbart,  während  die  anderen  Apostel  kürzer  geschorene,  eckig  zu- 
geschnittene Barte  haben.  Die  Apostelgruppe  zur  Linken  ist  im  Vergleich 
zu  der  anderen  in  Bewegung  und  Ausdruck  ruhig,  während  aus  dieser  Be- 
wegtheit, fast  sogar  leidenschaftliche  Erregtheit  spricht. 

Bei  allen  diesen  Figuren  ist  von  einem  körperlichen  Studium  wenig  zu 
bemerken.  Sie  sind  in  übermäßig  weite  Gewänder,  die  sich  in  vielfachem 
Gefaltel  auf  den  Erdboden  herabsenken,  gehüllt.  Die  Gewänder  sind  die 
Hauptsache,  nicht  die  Körper,  die  fast  vollkommen  unter  den  ersteren  ver- 
schwinden. Nur  einer  der  Apostel  auf  jeder  Seite  entbehrt  des  Übergewan- 
des und  trägt  lediglich  einen  mit  einem  Gurt  um  die  Hüften  zusammen- 
gehaltenen, enger  anschließenden  Rock.  Daß  dies  auch  bei  Johannes  der 
Fall  ist,  finden  wir  natrülich.  Die  anderen  Figuren  aber  tragen  durchweg 
über  dem  knapper  anliegenden  Untergewand,  das  den  Körper  unmittelbar  zu 
decken  scheint,  einen  in  großen,  oft  unruhigen  Knitterfalten  gelegten  Mantel. 
Glatte  Gewandpartien  sind  nur  an  den  Schultern  zu  bemerken.  Im  Übrigen 
ist  versucht,  die  lastende  Schwere  des  Stoffes  auszudrücken.  Als  Farben 
sind  verwandt  ein  graugetontes  Weiß,  ein  satteres  und  ein  helleres  Rot, 
Dunkelblau,  Stahlgrau,  Grasgrün  und  Dunkelgrau. 

Vorn  unten  zu  den  Füßen  der  Hauptfiguren  kniet  die  Familie  des  Stifters. 
Sie  besteht  aus  18  Mitgliedern,  die  sich  ihrem  Alter  entsprechend  in  der 
Größe  nach  dem  Mittelgrunde  zu  abstufen.  Die  größeren  Figuren  sind  etwa 
halb  so  groß  wie  die  Apostel,  die  kleinsten  haben  eine  Größe  von  nur  13  cm. 
Das  Familienoberhaupt,  neben  welchem  ein  mit  großer  Helmzier  geschmückter 
Schild  mit  dem  Lochnerschen  Wappen  steht,  trägt  einen  schlichten  schwarzen 
Rock.    Die  Hände,  welche  den  Rosenkranz  halten,  sind  in  Andacht  zusammen- 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUQOTT  SCHULZ. 


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gelegt.  Das  bartlose  Antlitz  verrät  im  Ausdruck  den  in  reiferem  Alter  stehen- 
den Mann.  Die  von  dem  Nasenflügel  nach  dem  Mundwinkel  laufende  Falte 
tritt  energisch  hervor.  Die  Augen  sind  verhältnismäßig  groß.  Das  greise 
lockige  Haupthaar  steht  etwas  vom  Kopfe  ab.  Neben  dem  Vater  kniet  eben- 
falls in  andächtiger  Haltung  sein  ältester  Sohn,  der  sich  dem  geistlichen 
Stande  gewidmet  hat.  Auf  dem  Haupt  hat  er  eine  rote  Mütze.  Das  weiße 
Untergewand  ist  mit  rotem  Stoff  gefüttert.  Den  Oberkörper  verhüllt  ein  grau- 
farbener Pelzkragen  mit  langen  Zaddeln.  Nun  folgen  dem  Alter  nach  die  weiteren 
sieben  Söhne,  sämtlich  mit  blondem  lockigen  Haar  und  in  rotem  weißge- 
fütterten Rock.  Sie  knien  in  der  gleichen  Haltung  wie  das  Familienober- 
haupt. Doch  hält  nur  der  größere  unter  ihnen  einen  Rosenkranz  in  den 
Händen,  während  die  anderen  eines  solchen  entbehren.  Die  Gesichter  tragen 
so  ziemlich  den  gleichen  Typus.  Der  älteste  gleicht  im  Gesichtsausdruck 
sehr  dem  Vater.  Vor  ihm  lehnt  ein  Schild,  auf  welchem  das  Lochnersche 
und  das  Fütterersche  Wappen.  Vor  dem  zweiten  bemerken  wir  einen  Schild 
mit  dem  Lochnerschen  und  dem  Plobenschen  Wappen.  Die  beiderseitigen 
Wappen  sind  derart  als  Alliancewappen  vereinigt,  daß  der  Schild  vierfach 
geteilt  und  das  eine  Wappen  in  den  Feldern  1  und  4,  das  andere  in  den 
F^eldern  2  und  3  untergebracht  ist.  Die  Zahl  der  weiblichen  Mitglieder 
der  Stifterfamilie  korrespondiert  derjenigen  der  männlichen.  Es  sind  ihrer 
ebenfalls  neun.  Bei  dem  Antlitz  der  Gattin  des  Stifters  werden  wir  an  die 
Maria  zur  Linken  des  Auferstandenen  erinnert.  Die  Gesichtszüge  sind  ein- 
ander verwandt.  Den  Kopf  umhüllt  eine  weite  Haube,  wie  sie  um  die  Mitte 
und  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  üblich  war.  Die  Hände  halten 
einen  lang  herabhängenden,  aus  roten  Kugeln  bestehenden  Rosenkranz.  Der 
weite  schwarze,  glatt  herabfallende  Mantel  ist  vorn  mit  Pelz  besetzt.  Neben 
ihr  schwebt,  wenig  nach  links  geneigt,  das  sicher  gezeichnete,  im  Kolorit  wirk- 
same Wappen  der  Pirkheimer.  Links  neben  der  Mutter  kniet  eine  unver- 
heiratete Tochter  in  roter  Gewandung.  Dann  folgt  mit  großer  Kopfhaube, 
weitem,  vorn  mit  Pelz  besetztem  roten  Mantel  und  gleichfarbigem  Unter- 
gewand eine  im  Gesichtsausdruck  der  Mutter  ähnelnde  verheiratete  Tochter. 
Vor  ihr  lehnt  ein  Schild  mit  dem  Lochnerschen  und  dem  Preglerschen  Wappen. 
Nunmehr  folgen  mit  gleichmäßig  emporgerichtetem  Blick  sechs  weitere  Töchter, 
deren  Tracht  derjenigen  der  zwischen  den  beiden  Frauen  knienden  Tochter 
entspricht.     Haltung  und  Wurf  der  Falten  gleichen  sich  sehr. 

Von  der  Landschaft,  welche  die  eigentliche  Szenerie  abschließt,  war 
schon  oben  in  Kürze  die  Rede.  Sie  läßt  in  ihrem  Arrangement  die  figurale 
Komposition  vortrefflich  ausklingen.  Sie  paßt  sich  derselben  förmlich  an  und 
folgt  ihr  in  ihren  wesentlichen  Linien.  So  etwas  findet  man  in  dieser  Zeit 
sonst  nur  selten,  weshalb  es  wohl  nicht  unberechtigt  ist,  wenn  ich  diesem 
Bild  einen  Platz  unter  den  Leistungen  seiner  Zeit  angewiesen  und  seine  Be- 
deutung nicht  zu  gering  angeschlagen  wissen  möchte.  Das  Kolorit  der  Land- 
schaft ist  ein  schlichtes,  es  bewegt  sich  nur  in  wenigen  Farben.  Ob  dies 
Absicht  war,  können  wir  nicht  mit  Bestimmtheit  behaupten.  Für  uns  ist  es 
nur  wichtig  zu  konstatieren,   daß   die  Hauptszene    durch    die  Landschaft   in 


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52  SIKB  NÜRNBERGER  HAUSKAPELLE. 

keiner  Weise  beeinträchtigt  wird.  Diese  schließt  jene  vielmehr  in  unauffälliger 
Weise  ab,  sie  dadurch  nur  noch  in  ihrer  Bedeutung  hebend.  Unmittelbar  hinter 
dem  Auferstandenen  steigt  eine  kegelförmige  Anhöhe  von  dunkelgrünem  Ton 
empor.  Seitlich  von  ihr  dehnen  sich  graugrüne  Felder,  hinter  denen  zwei 
kleinere  Erhebungen  ansteigen.  Auf  der  linken  baut  sich  eine  burgartige 
Anlage  auf.  Die  andere  ist  von  Gebäuden  frei  geblieben.  Doch  zieht  sich 
in  der  Talsenkung  rechts  neben  ihr  eine  mit  Mauern  bewehrte  Stadt  hin, 
welche  im  Inneren  mit  drei  Kirchen  ausgestattet  ist.  Die  zahlreichen  Mauer- 
türme und  die  kirchlichen  Bauwerke  sollen  natürlich  die  Vorstellung  einer 
größeren  Stadt,  bei  der  vielleicht  Nürnberg  dem  Künstler  vorgeschwebt  hat, 
erwecken.  Ein  von  Bäumen  begleiteter  Weg  führt  in  gewundener  Linie  von 
der  Mitte  des  Sarkophags  aus  an  dem  Haupthügel  vorüber  nach  der  Stadt 
zu.  Rechts  und  links  wird  die  Landschaft  von  felsigen  Bergen  mit  dicht- 
belaubten Baumgruppen  darauf  abgegrenzt.  Sie  ist  mit  breitem  Pinsel  ohne 
detaillierende  Nüancierungen  flott  hingeworfen.  Daß  sie  von  Übermalungen 
nicht  frei  geblieben  ist,  soll  nicht  unerwähnt  gelassen  werden. 

In  besonderem  Maße  ist  dies  der  Fall  mit  den  oben  im  Rankenwerk 
schwebenden  Figuren,  welche  in  ihren  Umrissen  aus  dem  gemusterten  Grunde 
gewissermaßen  ausgespart  sind.  Die  Mitte  nimmt,  umrahmt  von  einem  kranz- 
förmigen Gewölk,  welches  über  den  unteren  Körper  hinweggeht,  Gott  Vater 
mit  dem  Reichsapfel  in  der  Linken  und  mit  segnender  Rechten  ein.  Vor 
ihm  fliegt  mit  ausgebreiteten  Flügeln  in  Gestalt  einer  Taube  der  heil.  Geist. 
Die  Füße  Gott  Vaters  schauen  unten  aus  den  Wolken  heraus.  Die  ihn  be- 
gleitenden Engel  sind  mit  einem  späteren  hellroten  Ton  überzogen.  Über- 
haupt scheint  die  ganze  Gruppe  übermalt  worden  zu  sein.  Auch  die  Ver- 
goldung des  Rankenwerks  dürfte  schwerlich  noch  die  ursprüngliche  sein.  Das 
Kolorit  der  mit  flatternden  Spruchbändern  von  rechts  und  links  heranschwe- 
benden Engel  dürfte  ebenfalls  nicht  mehr  das  anfangliche  sein.  Die  Farben 
der  Flügel  widersprechen  direkt  der  Entstehungszeit  des  Bildes.  Sie  scheinen 
dem  17.  Jahrhundert  anzugehören.  In  den  Ecken  rechts  und  links  oben  be- 
merken wir  die  aus  dem  Untergrunde  flach  herausgearbeiteten  Sinnbilder  von 
Sonne  und  Mond,  welche  als  die  Vertreter  von  Tag  und  Nacht  die  Ewigkeit, 
das  ewige  Leben,  zu  welchem  Christus  eingeht,  anzudeuten  scheinen.  Zu 
erwähnen  ist  schließlich  noch,  daß  das  Rankenwerk  mit  einzelnen,  farbig  be- 
handelten Blüten  untermischt  ist. 

Wann  ist  nun  das  Bild  entstanden  ?  Gibt  es  Anhaltspunkte,  welche  eine 
genauere  Begrenzung  seiner  Entstehungszeit  ermöglichen?  Es  ist  klar,  daß 
hiervon  angesichts  der  Bedeutung  desselben  für  die  Kunstgeschichte  viel  ab- 
hängt. Die  Wappen,  welche  verschiedenen  Mitgliedern  der  im  Vordergrunde 
knienden  Stifterfamilie  beigefügt  sind,  geben  dem  Kenner  der  Ortsgeschichte 
nach  dieser  Richtung  hin  ein  willkommenes  Material  an  die  Hand.  Dem 
Familienoberhaupt  ist  das  Wappen  der  Familie  Lochner,  seiner  Gattin  das- 
jenige der  Familie  Pirkheimer  beigegeben.  Letzteres  ist  bekannt,  ersteres 
weniger.  Der  Schild  ist  vierfach  geteilt  und  von  einem  Horizontalbalken 
durchquert.    Feld  1  und  2  sind  blau,  Feld  3  und  4  rot  tinktiert.    Der  Balken 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


53 


zeigt  auf  gelbem  Untergrund  links  eine  blaue,  rechts  eine  rote  Kugel.  Nach 
den  handschriftlichen  Familienchroniken  unserer  Bibliothek  haben  die  Löchner 
zum  Adel  gehört.  Sie  sind  ein  altes  fränkisches  Geschlecht,  das  seinen 
Namen  von  einem  Schlößlein  auf  dem  Gebirg,  >zum  Loch«  genannt,  hat. 
Als  der  zu  frühest  vorkommende  des  Geschlechtes  wird  1283  Poppo  von 
Loch  aufgeführt.  Weiter  begegnen  1300  Conrad  Lochner,  1301  Erhard  Lochner, 
1320  Seifried  Lochner,  1338  Heinrich  Lochner.  »Und  wohnen  disz  Geschlecht 
noch  etliche  zu  Huttenbach  v.  Winterstein  uf  dem  Gebürg«.  Wir  erfahren 
aus  unserem  Familienstammbuch :  »Verzeichnusz  und  Wappen  derjenigen 
adelichen  und  erbaren  Familien,  welche  in  allhiesigen  Burgerrecht  von  A.  900. 
bisz  1400.  gefunden  werden  und  zu  den  Genanntenstandt  theils  auch  anderen 
ansehnlichen  Ehrenaemtem  ausser  dem  Rath  ^gelanget  sind«,  daß  sich  vor- 
mals in  der  Lorenzkirche  ein  Monument  mit  folgender  Inschrift  befunden 
hat:  »Anno  domini  MCCCC  und  im  XLII  Jahr  am  Samstag  vor.  dem  heil. 
Auffarthstag  do  verschiet  die  Erbar  Frau  Katarina  Heinrich  Lochnerin,  der 
und  allen  glaubigen  Seelen  Gott  genedig  seye«.  Würfels  Wiedergabe  der  In- 
schrift lautet  etwas  anders.  Bei  Hilpert  wird  das  Monument  unter  den  weg- 
genommenen Schilden  aufgeführt.  Die  Unvollständigkeit  in  der  Wiedergabe 
der  Grabschrift  bei  Würfel  deutet  darauf  hin,  daß  es  eine  gemalte  Tafel  war, 
die  jedoch  durch  das  Alter  derart  gelitten  hatte,  daß  manches  nicht  mehr 
leserlich  war.  Auch  in  der  Sebalduskirche  hat  sich  früher  ein  Lochnersches 
Epitaph  befunden  und  zwar  mit  folgender  Grabschrift :  »Anno  domini 
MCCCCLXXXIV  die  vero  XIX.  Septembris  obiit  venerabilis  egregiusq  do- 
minus Johannes  Lochner  utriusq  juris  doctor,  Radtisponae  Canonicus,  in 
Forcheim  Praepositus,  hujus  vero  ecclesiae  sancti  Sebaldi  Praepositus  et  Ple- 
banus.  Cujus  anima  requiescat  in  pace.  Amen«.  Diese  Grabschrift  stimmt 
mit  der  von  Würfel  mitgeteilten  im  Wesentlichen  überein.  Ob  dieser  Johannes 
Lochner  aber  ein  Mitglied  unserer  Familie  war,  muß  fraglich  bleiben,  da  er 
nach  Würfel  von  Brixenstadt  gebürtig  war.  Gerne  würde  man  den  Geistlichen 
auf  unserem  Bilde  sonst  auf  ihn  deuten  und  jenen  somit  für  den  ältesten 
Sohn  des  Oberhauptes  der  dargestellten  Familie  halten.  Es  geht  dies  aber 
nicht  zusammen,  weshalb  wir  am  besten  diesen  Lochner  als  ein  Glied  der 
Nürnberger  Familie  Lochner  fallen  lassen.  Jene  im  Jahre  1442  verstorbene 
Katharina  Lochner,  welche  in  einer  handschriftlichen  Familienchronik  unserer 
Bibliothek  vom  Ende  des  17.  Jahrhunderts  als  Christina,  geborene  Holzbergerin, 
aufgeführt  wird,  war  aber  nicht  die  Gattin  eines  Heinrich  Lochner,  wie  die 
wohl  nur  falsch  wiedergegebene  Inschrift  auf  dem  Totenschild  besagt,  auch 
nicht  die  eines  Friedrich  Lochner,  wie  Würfel  angibt,  sie  war  vielmehr  die 
Gattin  des  Hans  Lochner,  welcher  1451  nach  S.  Jakobstag  starb  und  der 
Vater  des  auf  unserem  Bilde  dargestellten  Doktors  der  Medizin  Johann  Lochner 
ist.  Letzterer  war  mit  Clara  Pirkheimerin,  Tochter  des  Friedrich  Pirkheimer 
und  der  Barbara  Pfinzingin,  vermählt  und  hatten  beide  16  Kinder,  was  zu 
der  Mitgliederzahl  der  Familie  auf  unserem  Bilde  auch  vollkommen  stimmt. 
Unser  Johann  Lochner  wurde  1461  Genannter.  Seine  Gattin  starb  am 
4.  Februar  1467  und  wurde  bei  S.  Sebald  begraben.     Er  selbst  wurde  nach 


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54  EINE  NÜRNBEilGER  HAÜSKAPELLE. 

ihrem  Ableben  Chorherr  zu  Neunkirchen,  woselbst  er  am  19.  April  1491  starb 
und  begraben  wurde.  Da  nun  weder  seine  Gattin,  wie  es  üblich  war,  durch 
ein  beigefügtes  Kreuz  als  verstorben  bezeichnet  noch  er  selbst  durch  die 
Tracht  als  Chorherr  charakterisiert  ist,  so  kann  unser  Bild  nur  vor  dem  Todes- 
jahre der  Frau,  also  vor  dem  Jahr  1467  gemalt  sein.  Sehen  wir  nun  zu,  ob 
wir  nicht  in  der  Lage  sind,  die  Entstehungszeit  des  Bildes  auf  Grund  weiterer 
historischer  Angaben  noch  etwas  genauer  festzulegen!  Über  den  ältesten 
Sohn  Hans  Lochner,  welcher  seiner  Tracht  zufolge  dem  geistlichen  Stande 
angehörte,  erfahren  wir  nichts  Näheres.  Der  Zweitälteste  Sohn  Sebastian 
Lochner  war  mit  Martha  Fütterer,  Tochter  des  Ulrich  Fütterer  und  der  Ger- 
haus Harsdörferin,  verheiratet.  Auf  unserem  Bilde  ist  er  durch  die  AUianze- 
wappen  auf  dem  vor  ihm  befin41ichen  Schilde  als  bereits  verheiratet  bezeichnet. 
Seine  Gattin  gebar  ihm  im  Jahre  1462  zwei  Zwillingssöhne,  Sebastian  und 
Hans  Lochner,  welche  aber  im  gleichen  Jahr  starben.  Nähere  Daten  über 
diesen  Sohn  des  Hans  Lochner  und  seine  Gattin  liegen  nicht  vor.  Nur  er- 
fahren wir  noch,  daß  jener  nach  dem  Tode  seiner  Frau  in  das  Cartäuser- 
kloster  eintrat,  dort  Priester  wurde,  hier  starb  und  auch  sein  Begräbnis  fand. 
Der  dritte  Sohn  des  Hans  Lochner,  Michael  Lochner,  hatte,  worauf  auch  der 
Wappenschild  hindeutet,  Catharina  von  Ploben,  Tochter  des  Leonhard  von 
Flohen  und  der  Barbara  Peringsdörferin,  zur  Frau.  Er  starb  am  27.  August 
1505,  sie  verschied  am  Freitag  nach  Philippi  und  Jakobi  im  Jahre  1512.  Sie 
zeugten  zwei  Kinder,  einen  klein  verstorbenen  Sohn  Michael  Lochner  und 
eine  Tochter  Catharina.  Diese  verheiratete  sich  am  7.  Juli  1495  mit  Michael 
Behaim  (f  12.  Aug.  1522)  und  starb  am  12.  April  1527.  Auf  Sebastian  Lochner 
folgt  dem  Alter  nach  die  unverheiratete  Tochter  links  neben  der  Mutter,  auf 
diese  die  Clara  Lochnerin,  welche  mit  Leonhard  Pregler  vermählt  war.  Sie 
zeugten  vier  Kinder,  nämlich  Elisabeth,  Hans,  Martin  und  Jakob  Pregler. 
Daten  über  sie  liegen  uns  nicht  vor.  Es  bleiben  nun  die  namentlich  aufge- 
führten abgezogen,  12  Geschwister  übrig,  von  denen  berichtet  wird,  daß 
sie  jung  verstorben  seien.  Die  Familienchronik  aus  dem  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts macht  noch  eine  zweite  Tochter  namhaft,  die  aber  nach  den  bei- 
gebrachten Daten  zu  urteilen,  unmöglich  eine  Tochter  unseres  Hans  Lochner 
gewesen  sein  kann,  der  doch  nach  dem  Tode  seiner  Frau  ins  Kloster  ging 
und  dort  1491  starb,  während  jene  sich  im  Jahr  1568  zum  zweiten  Male  ver- 
heiratete. 

Wenn  dem  Zweitältesten  Sohne  Sebastian  im  Jahre  1462  Zwillingssöhne 
geboren  werden,  so  darf  man  doch  wohl  annehmen,  daß  er  damals  ein  Alter 
von  mindestens  20  Jahren  gehabt  hat,  daß  er  mithin  etwa  ums  Jahr  1442 
geboren  war.  Der  Vater  Hans  Lochner,  welcher  1491  starb,  dürfte  demge- 
mäß ein  Alter  von  etwa  70  Jahren  erreicht  haben.  Er  könnte  sich,  da  der 
Sohn  in  geistlicher  Tracht  dem  Sebastian  Lochner  noch  vorangeht,  etwa 
ums  Jahr  1440  verheiratet  haben.  Wenn  sich  die  Tochter  des  Michael  Lochner 
im  Jahre  1495  verheiratet,  so  wird  ihr  Vater  etwa  ums  Jahr  1445  das  Licht 
der  Welt  erblickt  haben.  Es  ist  dabei  zu  berücksichtigen,  daß  vor  ihm  noch 
die  unverheiratete  und  die  verheiratete  Tochter  kommen.    Er  selbst  mag  bei 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ.  55 


seiner  Verheiratung  25  Jahre  alt  gewesen  sein,  was  dann  auch  von  der 
Tochter  angenommen  werden  müßte.  Es  folgen  nun  aber  noch  11  weitere 
Geschwister,  die  sehr  wohl  in  der  Zeit  zwischen  1445  bis  1460  zur  Welt  ge- 
kommen sein  können.  Da  es  nun  aber  heißt,  daß  die  12  nicht  mit  Namen  auf- 
geführten Geschwister  jung  verstorben  seien,  sie  aber  auf  unserem  Bilde  sämt- 
lich dargestellt  sind,  so  ist  die  Annahme  nicht  zu  gewagt,  daß  dasselbe  zu 
Anfang,  spätestens  aber  um  die  Mitte  der  sechziger  Jahre  des  15.  Jahrhunderts 
entstanden  ist ,  zu  welcher  Zeitbestimmung  der  Stil  nicht  im  Mindesten  im 
Widerspruch  steht. 

»Dr.  Johan  Lochner  d  Elter  v.  seine  Ehewürthin,  auch  desselben  Vatter 
V.  Mutter  v.  aller  ihrer  Vorfahren  v.  Nachkommen  Jahrtag  begehet  man  zv 
S.  Sebald,  mit  gesungener  Vigili  v.  Seelmess,  8.  od.  10.  Tag  nach  S.  Jacobs- 
tag«. Diese  Notiz  könnte  leicht  zur  Vermutung  führen,  daß  unser  Bild  vor- 
mals in  der  Sebalduskirche  gehangen  und  dann  erst  in  die  Hauskapelle  im 
ehemaligen  Hause  zum  goldenen  Schild  verbracht  worden  sei.  Da  es  aber 
bei  Würfel  nicht  erwähnt  wird,  würde  eine  solche  Annahme  hinfällig  sein. 
Wahrscheinlich  wurde  es  direkt  für  die  Kapelle  gestiftet  und  hat  sich  von 
Anfang  an  in  ihr  befunden.  Allerdings  waren  die  Lochner  zur  Zeit  der  Ent- 
stehung des  Bildes  nicht  Eigentümer  des  Hauses,  doch  können  hier  verwandt- 
schaftliche Beziehungen  maßgebend  gewesen  sein. 

Nach  Würzburg  kam  das  Bild  als  Vermächtnis  des  Ökonomierats  Streit 
in  Baden-Baden. 

Der  Altaraufsatz. 

Nicht  so  bedeutend  in  seinem  künstlerischen  Wert  wie  das  Auferstehungs- 
bild ist  der  Altaraufsatz.  Für  die  Kunstgeschichte  ist  derselbe  nur  wegen  seines 
Aufbaues  von  Wert.  Im  Übrigen  liegt  seine  Bedeutung  mehr  auf  kulturge- 
schichtlichem Gebiet,  da  seine  Ausführung  eine  schlichte  ist.  Siehe  die  Abb. 
Von  dem  gewöhnlichen  Typus  weicht  er  namentlich  durch  seine  Größe  ab. 
Es  ist  ein  Triptychon  mit  zwei  beweglichen  und  zwei  feststehenden  Flügeln. 
Als  Unterbau  dient  ein  an  den  Schmalseiten  steilgekehlter  Friesbalken,  der 
vorn  eine  in  Maßwerk motiven  durchbrochen  gearbeitete  und  über  rotem  Grund 
aufgeleimte  Zierleiste  zeigt.  Derselbe  hat  eine  Höhe  von  8  cm  und  soll  die 
sonst  an  größeren  Altären  übliche  Praedella  ersetzen.  Oben  wird  er  von 
einer  stark  vorspringenden  Kehle  abgeschlossen. 

Der  Mittelschrein  enthält  unter  einem  vpn  gewundenen  Säulen  getragenen 
Rankenbaldachin  eine  in  ^J4  Vollplastik  geschnitzte  Madonna  mit  dem  Kinde. 
Wir  haben  es  mit  einer,  wenn  auch  nicht  meisterhaft,  so  doch  mit  geschickter 
Hand  und  gesunder  Empfindung  durchgeführten  Arbeit  zu  tun.  Die  Falten 
des  mit  dem  linken  Unterarm  angerafften,  altvergoldeten  Mantels  treten  zwar 
etwas  stark  hervor,  doch  erscheint  ihre  Lage  natürlich  und  durch  die  Ver- 
hältnisse bedingt.  Das  enganliegende  blaue  Untergewand  wird  von  einem 
schmalen  roten  Gürtel  um  die  Hüften  zusammengehalten.  Charakteristisch 
ist  die  Kopftracht.  Die  Haare  verlaufen  in  parallelen  Wellenlinien  nach  vorn, 
werden  über  der  Stirn  von  einem  Goldreif  zusammengehalten  und  fluten  dann 


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55  EINE  NÜRNBERGER  HAUSKAPELLE. 

in  reichem  Gelock  über  die  Schultern  bis  zur  Mitte  des  Körpers  herab.  Den 
hinteren  Teil  des  Hauptes  deckt  das  Kopftuch,  welches  links  in  einem  Bogen 
unter  dem  rechten  Arm  hindurch,  am  Ende  flatternd,  herabgleitet.  Die  Finger 
sind  verhältnismäßig  lang^  und   dünn.     Das  schmale  Antlitz  neigt  sich  wenig 


Altftrchen  aus  eiuer  NQrnberger  Hauskapolle  im  German.  Museum  t.  J.  1501.    1,50  m  hoch,  1,11  m  breit 

nach  rechts.  Die  Augen  schauen  sinnend  geradeaus.  Das  Kinn  ist  in  kräf- 
tiger Rundung  herausgeschnitzt.  Die  Füße  ruhen  auf  einer  Mondsichel,  in 
der  ein  menschliches  Antlitz.  Beiderseits  quellen  die  Saumenden  der  Mantel- 
hälften über  die  Mondsichel  herüber.  Das  Jesuskind  blättert  in  einem  Buche. 
Das  Figürchen  hat  eine  Höhe  von  57  cm.  Der  obere  Teil  des  Szepters  ge- 
hört  einer   späteren  Zeit   an.     Über   dem  Haupt   der   Gottesmutter   schwebt 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ. 


57 


eine  teilweise  beschädigte  Krone.  Die  Engel,  welche  sie  hielten,  sind  ver- 
loren gegangen.  Nur  ihre  am  Reif  der  Krone  haftenden  Hände  sind  noch 
vorhanden.  Beiderseits  des  Hauptes  der  Maria  wird  je  ein  geflügelter,  an- 
scheinend späterer  Engelskopf  sichtbar.  Unten  zu  den  Füßen  der  Madonna 
finden  wir  rechts  und  links  im  Boden  des  Schreins  je  ein  Loch.  Hier  waren, 
wie  die  Wildersche  Zeichnung  vom  Inneren  der  Kapelle  erkennen  läßt,  ehe- 
dem zwei  kleinere,  jetzt  nicht  mehr  vorhanderte  Figürchen  eingezapft.  Die 
bläulich  überstrichene  Hintergrundwand  des  Schreins  ist  mit  vergoldeten  Papier- 
stcmchen  übersät. 

Die  bei  geöffnetem  Flügel  sichtbaren  Malereien  (s.  die  Abb.)  offenbaren 
das  redliche  Streben,  die  heiligen  Vorgänge  ungeschminkt,  ohne  viel  Beiwerk, 
durch  direktes  Eingehen  auf  das  Maßgebende  zur  Darstellung  zu  bringen.  So 
treten  uns  nur  wenige  Figuren  in  beschränktester  Szenerie  entgegen.  Nur  einmal 
geht  der  Künstler  aus  sich  heraus,  nämlich  auf  dem  Bilde  der  Verkündigung 
der  frohen  Botschaft  an  Joachim.  Hier  war  es  die  Freude  an  Landschaft  und 
Tierwelt,  welche  zu  einer  etwas  reicheren  Gestaltung  drängte.  Die  technischen 
Mittel  sind  die  um  die  Wende  vom  15.  zum  16.  Jahrhundert  üblichen.  Noch 
spielt  der  Goldgrund  eine  Rolle,  aber  nicht  immer  tritt  er  mehr  dominierend 
hervor.  Grün  und  Rot  sind,  wie  wir  es  von  jener  Zeit  gewohnt  sind,  die 
für  das  Gewand  vorherrschenden  Farben.  Die  vier  unversehrt  auf  uns  ge- 
kommenen und  leidlich  frisch  erhaltenen  Bilder  des  normal  geöffneten  Altares 
behandeln  die  Legende  der  Eltern  der  heil.  Jungfrau.  Links  oben  erscheint 
Joachim,  der  zwar  mit  Erdengütern  gesegnet  war,  aber  das  Eine  schmerzlich 
empfinden  mußte,  daß  seine  Ehe  kinderlos  war,  im  Tempel,  um  zu  opfern, 
wird  aber  eben  wegen  seiner  Kinderlosigkeit  vom  Hohepriester  als  unwürdig 
zurückgewiesen.  Letzterer,  dessen  Mantel  mit  großen  Blumen  gemustert  ist, 
steht  vor  dem  auf  erhöhtem  Unterbau  ruhenden  Altartisch,  auf  dem  ganz 
links  die  Gesetzestafeln  aufgestellt  sind.  Das  Antlitz  blickt  finster  und  streng. 
Die  Rechte  ist  wie  abweisend  vorgestreckt.  Unten  kniet  in  grünem  Unter- 
gewand und  rotem,  gelbgefüttertem  Mantel  Joachim,  in  der  Linken  die  Mütze, 
die  Rechte  mit  redendem  Gestus  erhoben.  Bart  und  Haupthaar  lassen  ihn 
als  Mann  in  reiferen  Jahren  erscheinen.  Nach  dem  Hintergrund  zu  bemerkt 
man  in  rundbogiger  Nische  ein  zweiteiliges  Fenster,  dessen  Scheiben  mit  Gold- 
grund gefüllt  sind.  Die  eine  sichtbare  Schmalseite  des  Altartisches  tritt  etwas 
erhaben  hervor  und  ist  mit  einem  eingepreßten  Brokatmuster  in  auffallender 
Weise  verziert.  Betrübt  über  die  Abweisung  zieht  Joachim  sich  in  die  Ein- 
samkeit zurück,  wo  ihm  durch  einen  Engel  die  Botschaft  zu  Teil  wird,  daß 
ihm  ein  Kind  geschenkt  würde,  welches  der  Gegenstand  der  Bewunderung 
sein  würde.  Diesen  Moment  hat  das  Bild  rechts  oben  zum  Gegenstand. 
Joachim  weilt  bei  den  Schafen  auf  dem  Felde,  als  ihm  die  frohe  Kunde  zu 
teil  wird.  Freudige  Erregung  überkommt  ihn,  wie  er  sie  vernimmt.  Im  Vor- 
dergrund und  weiter  rechts  ruhen  weiße  und  schwarze  Schafe.  Neben  Joachim 
liegt  der  wachende  Hund.  Zur  Rechten  ein  mit  Bäumen  bestandener  Hügel, 
an  dessen  Fuß  der  Hirte  sitzt.  Links  erhebt  sich  ein  mächtiger  Felsberg, 
dessen  Krone  eine  burgartige  Anlage  größeren  Umfangs  einnimmt.    Zwischen 

MitteilimffeD  aoi  dem  gennan.  Nationalmiueam.    1906.  8 


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58  EINE  NÜRNBERGER  HADSKAPELLE. 

dem  Hügel  und  dem  Felsberg  schweift  der  Blick  auf  eine  sich  zwischen 
Bergen  hinwindende  Landschaft.  Der  Himmel  ist  noch  durch  den  tradi- 
tionellen Goldgrund  ersetzt.  Wie  ihm  verheißen,  trifft  Joachim  seine  Gattin 
unter  der  goldenen  Pforte  des  Tempels.  Auch  Anna  hat  unterdessen  die 
wichtige  Botschaft  empfangen.  Sie  halten  sich  beide  umschlungen.  Zur 
Linken  führt  ein  wenig  gewundener  Weg  in  ein  Gehölz.  Die  Stelle  der  Luft 
vertritt  auch  hier  noch  der  übliche  Goldgrund.  Auf  dem  Bilde  rechts  unten 
endlich  hat  sich  das  lange  sehnsüchtig  erwartete  Ereignis  bereits  vollzogen. 
Anna  ruht  auf  dem  mit  roter  Decke  verhüllten  Lager.  Von  links  her  prä- 
sentiert ihr  eine  Frau  das  sauber  gebettete  Kindlein.  Freudig  und  andächtig 
bewegt  kreuzt  die  Mutter  die  Hände  über  der  Brust.  Durch  die  Tür  ist  so- 
eben eine  Magd  mit  einer  Schüssel,  worin  die  erste  Nahrung,  eingetreten. 
Oberhalb  der  Türe  ist  in  Gold  die  Jahrzahl  1501  aufgemalt,  womit  die  Ent- 
stehungszeit des  Altarwerkes  unumstößlich  festgelegt  ist.  Die  Bettstatt  wird 
am  Kopfende  von  einem  Himmel  aus  blaugrünem  Stoff  überdacht.  Zur  Rechten 
derselben  bemerken  wir  eine  Bank,  auf  der  eine  Kanne  und  ein  Teller,  und 
das  Badefaß.  So  wird  uns  in  anspruchsloser  Art  die  Legende  der  Eltern  der 
Gottesmutter  erzählt,  und  gerade  die  große  Schlichtheit  ist  es,  die  an  unser 
Gefühl  appeliert.  E$  liegt  in  dieser  gewollten  oder  nicht  anders  gekonnten 
Einfachheit  viel  Anziehendes. 

Scliließen  wir  den  Altar,  so  werden  acht  Täfelchen  mit  gemalten  Voll- 
figuren von  Heiligen  sichtbar.  Die  Figuren  stehen  vor  gemauerten  Wänden, 
welche  bis  Schulterhöhe  hinaufreichen.  Der  Raum  darüber  war  ursprünglich 
mit  Gold  grundiert,  ist  aber  heute  mit  einem  blaugrünen  Ton  überlegt.  Typus 
und  Behandlung  im  Einzelnen  lassen  auf  eine  andere  Hand  als  diejenige, 
welche  die  Innenflügel  bemalt  hat,  schließen.  Künstlerisches  Vermögen  und 
technische  Fähigkeit  sind  nicht  besonders  entwickelt.  Auch  läßt  die  Erhal- 
tung der  Malereien  zu  wünschen  übrig.  Demgemäß  ist  ihr  Wert  ein  geringer 
und  kann  ich  mich  darauf  beschränken  anzugeben,  welche  Heilige  dargestellt 
sind.  In  der  oberen  Reihe  finden  wir  (von  links  begonnen):  S.  Eligius  (Zange 
in  der  Linken),  S.  Lorenz,  S.  Sebald,  S.  Nikolaus,  in  der  unteren  Reihe:  S. 
Petrus,  Kaiser  Heinrich  den  Heiligen,  S.  Florian,  mit  dem  Wasserkübel  das 
in  einem  Haus  ausgebrochene  Feuer  löschend,  und  schließlich  Paulus.  Daß 
die  Figuren  korrespondierend  nach  der  Mitte  zu  gewandt  sind,  bedarf  wohl 
auch  noch  der  Erwähnung.  Bei  den  Heiligen  zu  äußerst  rechts  und  links 
erstreckt  sich  die  schon  in  der  Haltung  angestrebte  Symmetrie  sogar  auf  die 
Gewandung  und  deren  Kolorit.  Dieser  mittlere  Teil  des  Altares  hat  eine 
Höhe  von  83  cm  und  eine  Breite  von  1,04  m. 

Der  Aufsatz  ist  aus  durchbrochen  geschnitztem  Rankenwerk  komponiert 
und  zwar  in  dreiteiliger  Anordnung.  Die  Seitenteile  sind  etwas  niedriger, 
das  Mittelteil  etwas  höher  und  schmaler.  DieTrennung  und  Begrenzung  der 
Teile  wird  durch  strebepfeilerartig  ausgebildete  Pilaster  mit  Krabben  und 
Kreuzblumen  bewerkstelligt.  Als  Grundmotiv  für  die  Astverschlingung  der 
Ranken  ist  die  S-Form  verwandt.  Das  mittlere  Aufsatzstück  nimmt  Baldachin- 
form an,  indem  es  die  Mitte,  in  welche  eine  kleine  Holzfigur  hineingestellt  ist, 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ.  59 

dieselbe  umrahmend,  frei  läßt.  Das  Figürchen,  welches  eine  Höhe  von  33  cm 
hat,  will  offenbar  die  Stifterin  versinnbildlichen.  Es  ist  eine  zierlich  durch- 
gearbeitete kleine  Skulptur  in  blauem,  um  die  Hüften  gegürtetem  Rock  mit 
andächtig  gefalteten  Händen.  Das  reiche  Haupthaar  verteilt  sich  in  kräftigen 
Strähnen  beiderseits ,  den  Körper  fast  bis  auf  die  Knie  herab  einrahmend. 
Der  Aufsatz  hat  eine  Höhe  von  52  cm  und  eine  Breite  von  1,03  m. 
Der  gesamte  Altar  ist  1,50  m  hoch  und  1,11  m  breit. 


Albrecht  Düror  P.  177.    Erworben  auf  der  Auktion  Gutekunst  in  Stutt^rt  1906. 


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MEISTER  BERTRAM, 

EINE  RESÜMIERENDE  BETRACHTUNG  AN  DER  HAND  DER 

LICHTWARKSCHEN  STUDIE. 

VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ. 

Das  Wesen  unserer  frühdeutschen  Kunst  ist  uns  noch  lange  nicht  hin- 
reichend verständlich  geworden.  Es  liegt  dies  weniger  daran,  daß  es 
an  Werken  fehlte,  als  an  dem  Umstände,  daß  es  uns  noch  sehr  an  Künstler- 
individualitäten  mangelt,  die  wir  mit  sicherer  Hand  zu  umreißen  imstande 
sind.  Der  Forschung  soll  hieraus  kein  Vorwurf  abgeleitet  werden.  Was  will 
sie  tun,  wo  es  ihr  fast  ganz  und  gar  an  den  erforderlichen  Unterlagen,  an 
urkundlichen  Nachrichten  und  positiven  Anhaltspunkten  gebricht?  Nur  der 
Zufall  kann  hier  zu  Entdeckungen  von  einschlagender  Wichtigkeit  führen. 
Solch  ein  Zufall  war  es  auch,  welcher  den  Hamburger  Meister  Bertram  er- 
stehen ließ.  Wenn  wir  heute  imstande  sind,  uns  eine  Vorstellung  dieses 
Künstlers,  seiner  Auffassung  und  Schaffensart  zu  machen,  so  verdanken  wir 
dies  in  erster  Linie  dem  Direktor  der  Hamburger  Kunsthalle,  dem  Prof.  Dr. 
Alfred  Lichtwark.  Nicht  nur  ist  er  den  Spuren  Bertrams  nachgegangen; 
er  hat  auch  nicht  eher  gerastet,  bis  er  den  größten  Teil  der  heute  dem 
Meister  zuzuschreibenden  Werke  in  der  Hamburger  Kunsthalle  vereinigt  hatte. 
Es  ist  erfreulich,  die  Kunst  eines  Meisters  und  noch  dazu  eines  so  frühen 
Meisters  in  seiner  Heimatstadt  an  einer  solch  beträchtlichen  Fülle  von  Werken 
studieren  zu  können.  Das  Zentrum  ist  gegeben,  um  von  demselben  aus  nun- 
mehr mit  geschärftem  Blick  den  einzelnen  Strahlen  nachzugehen.  Den  kräf- 
tigsten Anstoß  gibt  uns  hierzu  Lichtwark  selbst  mit  seiner  Ende  vergangenen 
Jahres  herausgegebenen,  409  Seiten  umfassenden,  reich  illustrierten  Studie 
»Meister  Bertram.  Tätig  in  Hamburg  1367 — 1415«.  Sie  ist  der  Versuch 
einer  Charakteristik  des  Künstlers  auf  Grund  der  bei  der  Zurückgewinnung 
seiner  Werke  für  das  Museum  seiner  Vaterstadt  gemachten  Beobachtungen. 
Den  Anlaß  zur  Erforschung  der  eigenartigen  Persönlichkeit  des  Meisters 
Bertram  gab  die  von  Schlie  auf  dem  Kunsthistorikerkongreß  zu  Lübeck  im 
Jahre  1900  verkündete  Mitteilung,  daß  der  große  Altar  zu  Grabow  in  Mecklen- 
burg nicht  von  Lübeck  aus,  wie  big  dahin  angenommen  wurde,  sondern  von 
Hamburg  aus  und  zwar  nach  dem  großen  Brande  in  Grabow  im  Jahre  1731  gestiftet 
worden  sei.  Nähere  Nachforschungen  ergaben,  daß  er  aus  der  Petrikirche  in 
Hamburg  stammte,  und  daß  sein  Verfertiger  der  zwischen  1367  und  1415  in 


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MEISTEB  BEBTRAM.   VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


61 


Hamburg  tätige  Meister  Bertram  war.  Dies  war  eine  für  die  Kunstforschung 
sehr  gewichtige  Entdeckung.  Es  war  die  Möglichkeit  geboten,  einen  Künstler 
vom  Ende  des  14.  Jahrhunderts  in  seinem  Leben  und  in  seinen  Werken 
greifbar  zu  erfassen.  Lichtwark  führte  die  Untersuchung  weiter.  Er  kon- 
statierte, daß  der  von  Lappenberg  um  ein  volles  Jahrhundert  zu  spät  an- 
gesetzte Harvestehuder  Altar  ebenfalls  ein  Werk  Bertrams  sein  müsse,  daß 
ferner  das  Marienleben  im  Museum  zu  Buxtehude  und  ein  Altarwerk  im 
South  Kensingtonmuseum  in  London  mit  ihm  in  engen  Zusammenhang  zu 
bringen  seien.  Auch  konnten  durch  wunderbaren  Zufall  die  beiden  am  Grabower 
Altar  fehlenden  Bilder,  nachdem  sie  von  der  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
vorgenommenen  wertlosen  Übermalung  befreit  worden  waren,  wieder  auf- 
gefunden werden.  So  erweiterte  sich  der  Gesichtskreis  zur  Beurteilung  des 
Meisters  Bertram  mehr  und  mehr.  Nach  jeder  Hinsicht  hin  erschien  er  von 
Wichtigkeit,  so  auch  in  kulturgeschichtlicher  Beziehung.  Er  malte,  wie  Licht- 
wark hervorhebt,  die  heiligen  Geschichten,  als  hätten  sie  sich  um  1380  in 
Hamburg  zugetragen,  und  bildete  die  heiligen  Gestalten,  als  wären  sie  zu  seinen 
Tagen  über  die  Straßen  und  Plätze  Hamburgs  gewandelt.  Dazu  ist  er  der  ein- 
zige Hamburger  Maler  jener  Zeit,  dessen  inneres  Wesen  erkennbar  vor  uns 
steht.  Er  ist  aber  auch  der  früheste  Tiermaler  und  Landschafter  des  Nordens. 
Alles  weist  ferner  darauf  hin,  daß  er  Maler  und  Bildhauer  zugleich  war.  So 
hat  Bertram  nicht  nur  für  Hamburg  Wert,  er  ist  von  der  größten  Bedeutung 
auch  für  die  Kunstgeschichte  überhaupt.  Es  war  darum  keine  lokal-einseitige 
Übertreibung,  wenn  Lichtwark  dem  Meister  Bertram  eine  solch  erhöhte  Auf- 
merksamkeit schenkte  und  ihm  eine  verhältnismäßig  umfangreiche  Publikation 
widmete.  Er  tat  es,  weil  er  wußte,  daß  mit  Bertram  ein  gewichtiger  Angel- 
punkt für  die  deutsche  Kunstgeschichte  gegeben  war. 

Lebensdaten  über  Meister  Bertram  sind  nur  in  geringer  Anzahl  vor- 
handen. Wir  erfahren,  daß  er  schon  1367  für  den  Hamburger  Rat  ein  Bild- 
werk ausführt.  Weiter  liegen  zwei  ausführliche  Testamente  von  ihm  vor, 
die  uns  in  seine  Familien-  und  Verwandtschaftsverhältnisse  einführen.  Diese 
Nachrichten  lassen  den  Schluß  zu,  daß  Bertram  gegen  1345  geboren  wurde. 
Als  er  1379  den  Grabower  Altar  in  Angriff  nahm,  stand  er  in  der  Mitte  der 
dreißiger  Jahre.  1390  tat  er,  in  der  Mitte  der  vierziger  Jahre  stehend,  das 
Gelübde  einer  Romfahrt.  Lichtwark  schließt  aus  den  beiden  Testamenten, 
daß  der  Buxtehuder  Altar  erst  nach  1390  geschaffen  sein  könne,  weil  das 
Kloster  im  ersten  Testament  noch  nicht,  dagegen  im  zweiten  Testament  be- 
reits bedacht  wird.  Gestorben  wird  Bertram  sein  kurz  vor  1415.  Seite  55 — 56 
stellt  Lichtwark  die  Nachrichten  über  Bertrams  Leben  in  chronologischer 
Reihenfolge  zusammen. 

In  einem  besonderen  Kapitel  spricht  sich  Lichtwark  über  Bertrams 
künstlerische  Herkunft  aus.  Es  läßt  sich  die  Möglichkeit,  daß  Bertram  wie 
Meister  Francke  eine  lokale  Tradition  fortführt,  nicht  von  der  Hand  weisen, 
um  so  mehr,  als  Bertram  jung  nach  Hamburg  gekommen.  Etwas  Bestimmtes 
läßt  sich  jedoch  hier  nicht  sagen.  Einstweilen  stehen  wir  noch  bei  Bertrams 
Kunst  und  ihrer  Herkunft  wie  vor  einem  Rätsel.    Das  Lebenswerk  des  Meisters 


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62  MEISTER  BERTRAM. 

läßt  ihn  als  eine  aus  sich  selbst  heraus  schaffende,  selbständige  Persönlichkeit 
erscheinen.  Ein  Lehrer  oder  Vorbild,  bei  dem  er  geborgt  haben  könnte,  ist 
nicht  nachzuweisen.  Auch  kann  man  sich  kaum  denken,  daß  sich  Bertram 
bei  verschiedenen  Meistern  Rat  geholt  hätte.  Er  müßte  denn,  wie  Lichtwark 
mit  Recht  bemerkt,  denselben  gerade  das  seiner  Natur  Konvenierende  ab- 
gelauscht und  dies  dann  in  der  Bearbeitung  zu  etwas  Einheitlichem  ver- 
schmolzen haben.  Dagegen  aber  läßt  sich  konstatieren,  daß  seine  Werke 
nachgeahmt  worden  sind.  Dies  drängt  notwendigerweise  zu  dem  Schluß,  daß 
wir  es  in  dem  Meister  mit  einer  ausgesprochenen  Künstlerpersönlichkeit  zu 
tun  haben  (Lichtwark  S.  68).  Seine  künstlerischen  und  technischen  Aus- 
drucksmittel kommen,  wie  Lichtwark  näher  ausführt,  weder  bei  einem  seiner 
Vorgänger  noch  bei  einem  seiner  Zeitgenossen  vor.  Sie  sind  etwas  ganz 
Exzeptionelles.  Meister  Bertram,  das  ist  der  auch  durchaus  berechtigte  Schluß 
Lichtwarks,  muß  bis  auf  weiteres  aus  sich  heraus  erklärt  werden. 

Mit  Bertram  beginnt  eine  ganz  neue  Behandlung  der  Stoffwelt.  Er 
bricht  das  konventionelle  Schema  in  der  Gestaltung  der  biblischen  Stoffe. 
Er  erzählt  die  heiligen  Vorgänge,  als  seien  sie  noch  nie  geschildert  worden. 
Auch  kommt  ein  neuer  Typus  in  der  Behandlung  der  menschlichen  Gestalt 
auf.  Die  Proportionen  des  Körpers  werden  gedrungen.  Die  langen  Linien 
des  Faltenwurfs  machen  kräftigen ,  wenn  auch  schwerfälligen  Formen  Platz. 
Die  Gebärden  gewinnen  an  individuellem  Ausdruck,  die  Gesten  reden  eine 
natürliche  Sprache.  Der  Mensch  wird  nicht  mehr  lediglich  als  Mensch  be- 
trachtet. Er  wird  in  seiner  Umgebung,  sei  es  im  Freien  oder  sei  es  im  ge- 
schlossenen Raum,  gesehen.  Die  Perspektive  wird  versucht,  das  Helldunkel 
in  seinem  Zauber  erkannt.  Im  einzelnen  wird  nachgewiesen,  wie  Bertrams 
Gestaltung  der  überlieferten  Stoff*e  an  Leben  und  Natürlichkeit  zunimmt, 
wie  er  in  allem  Realisierung  und  Verinnerlichung  des  Althergebrachten  an- 
strebt. Woher  nun  aber  die  Ursachen  dieser  großen  Stilwandlung  in  Form, 
Kolorit,  Raumanschauung  und  Behandlung  der  überlieferten  Stoffe?  Lichtwark 
erklärt  sie  aus  der  Zeit.  Ein  neuer  Stand  gewann  kräftig  aufstrebend  die 
Überhand,  nämlich  das  eben  zum  Bewußtsein  seiner  Selbständigkeit  und 
Macht  erwachsene  Bürgertum.  Das  Aristokratische  der  Kunst  wird  abgestreift. 
Ein  äußerlich  weniger  vornehmes,  aber  innerlich  um  so  reicheres  Leben  ent- 
faltet sich.  Man  sucht  nach  neuen  Ausdrucksmitteln.  Die  Quellen  fand  man 
im  Wesen  der  Mystiker,  deren  Anschauungen  mit  der  Mitte  des  14.  Jahrhun- 
derts auch  nach  dem  Norden  zu  dringen  begannen.  Nur  das  traumhaft  visionäre 
Wesen  der  Mystiker  vermag  uns  eine  Erklärung  für  das  sich  in  Bertrams 
Kunst  äußernde  realistische  Lebensgefühl  und  seinen  starken  dramatischen 
Drang  zu  geben.  Seite  85  ff.  untersucht  Lichtwark,  wie  weit  die  stofflichen 
Ideen  Bertrams  alt  und  wie  weit  sie  neu  sind.  Bertrams  Darstellungskreis 
beschränkt  sich  auf  das  alte  Testament,  das  Marienleben,  die  Apokalypse 
und  einige  Heiligenlegenden.  Hiervon  kommt  nur  das  Marienleben  in  jener 
Zeit  neben  Bertram  vor,  nämlich  am  Kölner  Klarenaltar.  Alle  anderen  Stoffe 
sind  neu.  Er  selbst  wiederholt  ja  dieselben  Gegenstände  des  öfteren.  Doch 
ist    die   Einzelbehandlung   stets    eine    verschiedene.     Die*Typen    und    Motive 


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VON  DR  KRITZ  TRAUGOTl'  SCHULZ. 


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werden  abgewandelt.  Lichtwark  legt  dies  in  eingehender  Art  dar.  Eine 
Wiederholung  als  solche  kommt  nicht  vor.  So  darf  man  annehmen,  daß 
die  Ideen  dem  Künstler  zu  eigen  gehören. 

Bertram  verwendet  auf  seinen  Bildern  noch  den  Goldgrund.  Aber  wie 
tut  er  das?  Er  gibt  ihn  als  selbständigen  Faktor  auf.  Er  ist  keine  ab- 
schließende Wand  mehr,  sondern  er  erhält  das  Wesen  von  Luft  und  Raum. 
Seine  Figuren  kleben  nicht  auf  dem  Goldgrunde.  Sie  bewegen  sich  frei- 
plastisch vor  ihm.  Hierdurch  wird  eine  seltene  Ruhe  und  Größe  der  dekora- 
tiven Wirkung  erzielt  (Siehe  S.  93).  Bertram  vermag  den  Goldgrund  fast 
schon  aufzugeben,  ihn  fast  schon  wie  Luft  zu  behandeln.  Das  Silhouettieren 
der  Figuren  gegen  den  Goldgrund  hört  auf.  Derselbe  wird  infolgedessen 
nicht  mehr  gefühlt.  Ein  weiterer  Fortschritt  bei  Bertram  besteht  in  der 
Vertiefung  der  Fläche,  auf  der  sich  die  Gestalten  bewegen.  Die  Stereometrie 
des  Raumbildes  wird  erkannt,  gefühlt  und  angestrebt.  Die  Bodenfläche  wird 
eine  wirklich  gefühlte  Ebene  mit  perspektivischer  Aufsicht.  Die  Figuren 
bewegen  sich  im  Raum.     Das  Flächenbild  wird  zum  Tiefenbild. 

Erstaunlich  groß  ist  Bertrams  Fähigkeit  in  der  Kennzeichnung  seelischer 
Vorgänge.  Er  ist  einer  der  größten  Erfinder  auf  diesem  Gebiet.  Er  besitzt 
die  Gabe,  alles  endgültig  und  mit  den  sichersten  und  knappsten  Mitteln  aus- 
zudrücken. Er  ist  kurz  und  dramatisch  zugleich.  Lichtwark  gibt  hierfür  be- 
zeichnende Proben. 

Bertram  ist  ja  noch  nicht  zum  unmittelbaren  Naturstudium  durch- 
gedrungen, doch  ist  er  schon  imstande,  lebendige  Charaktere  hinzustellen. 
Er  unterscheidet  die  vornehmen  und  die  niederen  Stände.  Sein  Streben, 
natürlich  zu  sein,  führt  ihn  oft  nahe  an  die  eigentlich  naturalistische  Dar- 
stellung heran.  Er  hat  die  Fähigkeit  zu  individualisieren  und  er  tut  dies 
auch  in  weitreichendem  Maße.  So  charakterisiert  er  die  Juden  nicht  mehr 
nur  durch  die  Judenhüte,  sondern  schon  durch  Rassenzüge.  Er  gibt  eben 
Charaktertypen  oder  will  sie  wenigstens  geben. 

In  der  Darstellung  des  Nackten  ist  Bertram  natürlich  noch  schwach. 
Aber  er  kennt  die  Verhältnisse  und  ist  sicher  im  Ausdruck  der  Stellungen, 
Bewegungen  und  Gesten.  Auch  ist  er  schon  bemüht,  im  Fleischton  der 
Natur  so  nahe  wie  nur  möglich  zu  kommen.  Bei  den  Frauen  verwendet  er 
einen  rosigen  Ton.  Bei  den  Männern  dagegen  kommen  die  mannigfaltigsten 
Töne  zur  Anwendung.  In  den  Einzelformen  des  Gesichts  und  Körpers  ver- 
spüren wir  überall  die  Wendung  auf  eine  unmittelbare  Anschauung  der  Natur. 
So  wird  z.  B.  die  Umgebung  des  Auges  scharf  beobachtet  und  namentlich 
bei  den  Männern  sehr  weitgehend  individualisiert.  Auch  der  Mund  wird  mit 
Verständnis  gebildet.  Merkwürdig  erscheint,  daß  Bertram  in  seinen  Gemälden 
die  Männer,  in  der  Skulptur  die  Frauen  mehr  individualisiert. 

Stark  ausgeprägt  ist  beim  Meister  Bertram  die  Liebe  zum  Tier.  Kaum 
einer  seiner  Zeitgenossen  und  Nachfolger  ist  in  der  Tierdarstellung  so  weit 
gegangen  wie  er.  Die  Schöpfung  der  Tiere,  Joachim  bei  den  Hirten,  die 
Geburt  Christi  und  die  Verkündigung  an  die  Hirten  tun  dies  deutlich  dar. 
Auffallend  gut  beobachtet   sind  die  Fische.     Der  Hügel    mit   der  Schafherde 


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64 


MEISTBR  BEBTIUM. 


neben  dem  heiligen  Joachim  darf  als  das  älteste  wirkliche  Tierbild  in  der 
deutschen  Tafelmalerei  angesprochen  werden.  Auch  in  der  Landschaft  läßt 
sich  ein  energischer  Fortschritt  konstatieren.  Der  Wald  auf  der  Erschaffung 
der  Pflanzen  darf  als  die  erste  Landschaft  in  der  deutschen  Kunst  angesehen 
werden.  Es  ist  geradezu  auffällig,  wie  weit  Bertrams  Nachfolger,  insonderheit 
Meister  Francke,  in  alledem  noch  hinter  ihm  zurückbleiben.  Es  mußte  eben 
eine  geraume  Zeit  vergehen,  ehe  solch  ein  bedeutender  Geist  Gemeingut 
aller  geworden. 

Mit  der  Architektur  geht  Bertram  sowohl  in  den  Formen  wie  in  den 
Verhältnissen  ziemlich  willkürlich  um.  Wir  finden  bei  ihm  phantastisch- 
dekorative Gebilde,  die  seiner  eigenen  Erfindung  entsprungen,  und  Baulich- 
keiten, welche  als  Nachbildungen  der  Wirklichkeit  gedacht  sind  oder  die  sich 
an  eine  aus  der  Wirklichkeit  bekannte  Form  anlehnen.  Man  muß  bei  Ber- 
trams primitiv  erscheinenden  Architekturen  bedenken,  daß  er  mit  den  Augen 
seiner  Zeit  sah,  und  dann  wird  man  seine  Architektur  nicht  mehr  als  plumpe 
Unbeholfenheit,  sondern  schon  als  eine  Tat  betrachten.  In  der  Darstellung 
des  Innenraumes  ist  Bertram  seinen  Nachfolgern  ebenfalls  weit  voraus.  Rasch 
schreitet  er  von  der  bloßen  Andeutung  der  Innenarchitektur  zur  folgerichtigen 
Wiedergabe  des  Raumes  vor.  Er  bringt  es  schließlich  fertig,  die  Figur  als 
vom  Raum  umschlossen  hinzustellen. 

In  der  Farbe  macht  sich  bei  Bertram  ein  jugendfrisches  Leben  be- 
merkbar. Sie  nimmt  mit  der  fortschreitenden  Entwicklung  an  Leuchtkraft 
zu.  Sie  gewinnt  die  Fähigkeit,  die  Kontraste  zu  markieren.  Sie  beginnt, 
das  Clairobscur  zum  Ausdruck  zu  bringen.  »Sie  fängt  an  zu  schimmern  und 
leuchten,  zu  glühen  und  zu  strahlen,  sucht  die  Wirkung  des  Gegensatzes  und 
der  Tonigkeit,  sie  verfügt  über  alle  Mittel  der  Schönfarbigkeit  und  beginnt 
bereits,  sich  dem  Helldunkel  zu  vermählen«  (S.  146).  Bertram  befindet  sich 
allerdings  selbst  hierbei  auf  einem  Übergangsstadium.  An  Werken  des 
gleichen  Altares  läßt  sich  die  Entwicklung  vom  Primitiven  zum  Ausgebildeten 
verfolgen.  Was  aber  bei  alledem  am  meisten  Genuß  bereitet,  das  ist  die 
stark  sich  geltend  machende,  ganz  außergewöhnlich  koloristische  Begabung 
Bertrams.  Mit  feinem  Taktgefühl  studiert  Bertram  die  Wirkung  des  Lichts 
auf  das  Fleisch.  Er  beobachtet  aber  auch  die  Beleuchtung  eines  freistehen- 
den Körpers,  ja  er  schwingt  sich  sogar  zum  Studium  der  Beleuchtung  eines 
Innenraumes  auf.  Auch  das  Helldunkel  versucht  er  zum  Vortrag  zu  bringen. 
In  den  Waldlandschaften  des  Grabower  und  Buxtehuder  Altares  erscheint  es 
am  folgerichtigsten  entwickelt.  Beim  Segen  Jakobs  wogt  es  zwischen  den 
Figuren  von  durchlichteten  Dunkelheiten,  welche  deutlich  erkennen  lassen, 
wo  hinaus  des  Meisters  Streben  ging. 

In  der  Perspektive  verfährt  Bertram  mit  großer,  wenn  auch  gefühls- 
mäßiger Überlegung.  Seine  Empfindung  für  dieselbe  ist  in  hohem  Grade 
entwickelt.  Beim  Tronsitz  auf  der  Krönung  Mariae  am  Grabower  Altar  sind 
sogar  die  Ansätze  einer  Luftperspektive  unverkennbar.  Dabei  darf  aber  nie 
aus  dem  Auge  verloren  werden,  daß  Bertrams  Perspektive  diejenige  eines 
natürlichen  Gefühls  ist. 


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VON  DR.  PIUTÄ  TRAUGOTT  SCHULZ.  65 

Bertrams  Einfluß  auf  seine  Nachfolger  ist  ein  auffallend  großer.  Licht- 
wark  zeigt  dies  an  dem  Altar  der  Antoniterpraezeptorei  zu  Tempzin  in 
Mecklenburg  und  an  dem  Göttinger  Altar  im  Provinzialmuseum  zu  Hannover. 
Aber  er  wagt  noch  nicht  alle  Fragen  zu  lösen.  So  verrät  das  Laienkreuz  in 
der  Kirche  zu  Doberan  enge  Beziehungen  zu  Bertram,  für  die  sich  aber  eine 
Erklärung  deswegen  noch  nicht  geben  läßt,  weil  Motive  vorkommen,  die  wir 
bei  Bertram  noch  nicht  gewohnt  sind.  Um  Nachahmungen  kann  es  sich  hier 
nicht  handeln.  Es  dürfte  sich  wohl  verlohnen,  dem  weiter  nachzugehen  und 
einmal,  vom  Meister  Bertram  ausgehend,  eine  genaue  Untersuchung  sämtlicher 
Werke  der  Nach-Bertramschen  Epoche  vorzunehmen.  Einer  kann  natürlich 
nicht  auf  einmal  alles  klären.  Es  genügt,  wenn  er  den  Anstoß  gibt.  Mögen 
andere  den  von  ihm  gewiesenen  Weg  glätten  und  ebnen!  Gewiß  sind  hier 
Probleme  von  der  weittragendsten  Wichtigkeit  für  die  deutsche  Kunstgeschichte 
zu  lösen.  Näher  untersucht  dann  Lichtwark  das  Verhältnis  Meister  Bertrams 
zu  Meister  Francke.  Er  stellt  fest,  daß  Francke  kein  Schüler  Bertrams  ist. 
Bertram  dringt,  obwohl  der  ältere,  in  mehr  als  einer  Richtung  sehr  viel  weiter 
vor  als  Francke.  Dieser  aber  wiederum  entwickelt  auf  der  anderen  Seite 
Kräfte  und  Mittel,  die  bei  Bertram  nicht  einmal  im  Keim  vorhanden  scheinen. 
Doch  hat  Francke  die  Werke  seines  Vorgängers  gekannt  und  vieles  daraus 
herübergenommen.  Warum  sollte  er  das  auch  nicht!  Wo  sollte  er  auch 
anders  Anregungen  empfangen  und  lernen  als  eben  an  den  Werken,  die  vor 
ihm  geschaffen  worden!  Ein  klaffender  Unterschied  aber  trennt  beide:  Bertram 
benützt  die  Farbe,  um  räumlich-plastische  Wirkungen  zu  erzielen;  er  lockert 
und  lichtet  sie  auf.  Francke  dagegen  geht  auf  Flächenwirkung  aus.  Bertram 
ist  die  Farbe  Mittel,  Francke  ist  sie  Zweck  (Siehe  S.  166).  Trotz  des  zeit- 
lichen Unterschiedes  geht  Bertram  im  Raumgefühl  weit  über  Francke  hinaus. 
Er  ist  der  bahnbrechende  Riese,  Francke  der  genial  begabte  Erbe.  Wir 
können  diesen  erst  verstehen,  wenn  wir  ihn  neben  jenem  sehen.  In  ihrem 
koloristischen  Wesen  sind  sie  einander  nahe  verwandt. 

Man  hat  sich  bislang  nicht  getraut,  von  der  hanseatischen  Kunst  vor 
dem  Einbruch  des  niederländischen  Einflusses  als  einer  selbständigen  Er- 
scheinung zu  sprechen.  Nach  den  Untersuchungen  und  Feststellungen  Licht- 
warks  aber  wird  man  notwendigerweise  gedrängt,  die  konventionelle  An- 
schauung der  Kunstgeschichte  zu  modifizieren.  Die  Werke  Bertrams  reden 
eine  zu  deutliche  Sprache,  als  daß  man  sie  nicht  als  etwas  Ebenbürtiges 
neben  den  Leistungen  der  bisher  bekannten  Zentren  hinstellen  dürfte.  Aller- 
dings hört  diese  Selbständigkeit  mit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  auf.  Die 
kräftigen  Wogen  verlaufen,  vom  festen  Gestade  gebrochen,  zur  ruhigen  breiten 
See.  Die  hanseatische  Produktion  von  1370 — 1400  ist  nicht  eine  Art  un- 
persönlicher Kunst  als  Ausläufer  der  kölnisch-westfälischen  Wurzel.  Sie  er- 
scheint als  etwas  in  sich  Autochthones.  Fast  darf  man  jetzt  sogar  von  einer 
Priorität  der  hanseatischen  Kunst  sprechen,  ist  ja  doch  in  Rücksicht  zu  ziehen, 
daß  die  bisher  um  1380  angesetzten  kölnischen  Bilder  um  mehr  als  ein  Jahr- 
zehnt später,  also  etwa  um  1400  datiert  werden  müssen.  Die  kölnisch-west- 
fälische Kunst  vor  Meister  Bertram  aber  hat  mit  diesem  keinerlei  Verwandt- 


MitteiluDgen  aus  dem  german.  Nationalmusdum.    1906. 


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66  MEISTER  BEfh'RAM. 


Schaft.  Noch  nicht  geklärt  ist  das  Verhältnis  zur  böhmischen  Kunst.  In  Be- 
tracht käme  wohl  nur  die  nordböhmische  Kunst.  Verwandtschaften  bestehen, 
aber  muß  darum  auch  ein  tatsächlicher  Zusammenhang  angenommen  werden? 
Es  ist  lebhaft  zu  wünschen,  daß  allen  diesen  Anregungen  Lichtwarks  einmal 
nachgegangen  und  der  Versuch  gemacht  wird  festzustellen,  ob  und  wie  weit 
die  hanseatische  Kunst  jener  Tage  selbständig  ist.  Die  begonnene  Arbeit 
der  Aufsuchung  der  Persönlichkeiten  müßte  fortgeführt  werden. 

Gehen  wir  nunmehr,  dem  Leitfaden  der  Lichtwark sehen  Studie^). folgend, 
zu  den  Werken  Meister  Bertrams  über  und  fassen  wir  zunächst  den  Gi^abower 
Altar  ins  Auge!  Die  Bezeichnung  »Grabower  Altar«  ist  eigentlich  keine 
zutreffende,  doch  ist  sie  einmal  so  eingeführt.  Der  Altar  stammt  nämlich 
aus  St.  Petri  in  Hamburg,  woselbst  er  ehedem  als  Hauptaltar  in  Gebrauch 
stand.  Seine  Stiftung  und  Entstehung  fallt  in  eine  Zeit,  lebhafter  Bautätigkeit 
an  St.  Petri,  aber  auch  zugleich  in  eine  Periode  wirtschaftlichen  und  politischen 
Gedeihens  der  Gemeinde  und  der  Stadt  überhaupt.  Nur  so  erklärt  sich 
seine  gewaltige  Anlage  und  der  große  Reichtum  der  Einzelgestaltung.  Der 
komplizierte  Plan  zu  diesem  umfangreichen  Werk  kann,  wie  Lichtwark  mit 
Recht  hervorhebt,  nicht  dem  Künstler  zugeschrieben  werden.  Zur  Aus- 
arbeitung eines  solchen  war  nur  ein  Geistlicher,  nicht  ein  Künstler  befähigt. 
Der  Altar  war  ursprünglich  ein  dreifach  wechselbarer  Wandelaltar.  Die 
Praedella  enthält  in  breitem  Relieffries  die  Verkündigung,  Johannes  den  Täufer, 
Kirchenväter  und  Ordensgründer.  Die  Außenseiten  bei  vollständig  geschlossenem 
Altar  entbehren  heute  ihrer  sicherlich  einstmals  vorhanden  gewesenen  Malereien. 
In  seinem  zweiten  Zustand  schildert  er  in  18  Bildern  die  Erschaffung  der 
Welt,  die  Geschichte  der  ersten  Eltern  und  die  der  Patriarchen  bis  zum  Segen 
Jakobs.  In  den  übrigen  sechs  Feldern  werden  die  Hauptereignisse  aus  dem 
Marienleben  vorgeführt.  Bei  ganz  geöffneten  Schreinen  wird  in  Vollplastik 
die  Kreuzigung  sichtbar,  um  die  sich  in  zwei  Reihen  einzeln  stehend  die 
Propheten,  Apostel,  Märtyrer  und  Heiligen  der  Frühzeit  schaaren.  Oben  im 
Ornament  finden  wir  die  klugen  und  törichten  Jungfrauen  und  noch  einmal 
die  Propheten.  So  wird  uns  in  dem  Altarwerk  die  ganze  Heilsgeschichte 
Vom  Weltanfang  bis  zu  den  großen  Ordensgründern  des  späteren  Mittelalters 
geschildert.  Lichtwark  weist  darauf  hin,  daß  dem  Altar,  dessen  Typus  der 
älteste  seiner  Art  ist,  das  gefühlsmäßige  Gleichgewicht  in  der  rhythmischen 
Verteilung  der  Darstellungen  fehlt,  und  vermutet,  daß  diese  Unsymmetrie 
nicht  auf  den  Künstler,  der  gewiß  auf  ein  Gleichgewicht  hingestrebt  haben 
würde,  sondern  auf  den  Urheber  des  Planes  zurückgeht. 

Bei  der  Betrachtung  der  Gemälde  fällt  es  auf,  daß  nur  einmal  eine 
einzelne  Szene  vorkommt,  daß  sonst  aber  ständig  im  Zusammenhang  erzählt 
wird.  Es  war  hier  also  eine  Kraft  tätig,  welche  auf  schildernde  Erzählung, 
nicht  auf  die  Unterbringung  von  möglichst  vielem  verschiedenem  Stoff  aus- 
ging.   Letzteres  hätte  gewiß  mehr  im  Interesse  des  den  Kreis  der  Darstellungen 


1)  Vgl.  auch  die  Kunst-  und  Geschichts-Denkmäler  des  Großherzogtums  Mecklen- 
burg-Schwerin III,  S.  187—189. 


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bestimmenden  Geistlichen  gelegen.  Ersteres  aber  dürfte  wohl  auf  die  Nei- 
gungen des  Künstlers  zurückzuführen  sein.  Erfreulich  ist  es,  daß  Licht wark 
den  Einzelschilderungen  der  Gemälde  stets  eine  Abbildung  beigefügt  hat, 
hierdurch  die  Schaffung  einer  deutlichen  Vorstellung  ermöglichend. 


Abb.  1.    Meister  Bertram:  Der  4.  Schöpfungstag  vom  Grabower  Altar. 

Der  Altar  beginnt  mit  der  Schöpfungsgeschichte.  Nicht  zum  zweiten 
Mal  sind  die  sechs  Schöpfungstage  in  der  deutschen  Kunst  so  aphoristisch 
und  dabei  so  monumental  behandelt  worden.  Gewaltig  hebt  sich  die  impo- 
nierende und  dabei  doch  menschlich  gedachte  Gestalt  Gott  Vaters  heraus. 
In  kurzen  Andeutungen  werden  die  zugleich  symbolisch  und  naturalistisch  er- 
faßten Handlungen  der  Schöpfungsgeschichte  gegeben.  Beim  erstenSchöpfungs- 
tag  fällt  uns  auf,    daß  die  Erschaffung  der  Erde  und  der  Teufelssturz   auf 


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68  MEISTER  BERTRAM. 


einem  Bilde  zusammengezogen  sind,  was  sonst  nicht  üblich  ist.  Sowohl 
beim  ersten  wie  beim  zweiten  Schöpfungstag  zeichnet  sich  das  Antlitz  Christi 
vor  demjenigen  Gott  Vaters  durch  eine  höher  entwickelte  Individualisierung 
aus.     Das  eine  Mal  ist   es   feuerrot,    das   andere  Mal   karmin   gefärbt.     Die 


Abb.  2.   Meister  Bertram:  Die  Verwamung.vom  Grabower  Altar. 

Landschaft  auf  dem  vierten  Schöpfungstag  (Abb.  1)*)  ist  die  frühest  be- 
kannte Landschaft  in  der  nordischen  Tafelmalerei.  Das  Helldunkel  des  Wald- 
innern  bleibt  bis  weit  ins  15.  Jahrhundert  hinein  ohne  Seitenstück.  Die 
Größenverhältnisse  zwischen  der  Figur  Gott  Vaters  und  der  Landschaft  sind 


2)  Anm. :  Die  Illustrationen  wurden  uns  in  dankenswerter  Weise  durch  Hrn.  Prof. 
Dr.  Lichtwark  aus  seiner  Studie  über  Meister  Bertram,  um  unsere  Ausführungen  zu 
verdeutlichen,  zur  Verfugung  gestellt. 


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bereits  mit  scharfem  Auge  beobachtet.  Die  Richtung  Bertrams  auf  Realistik 
der  Wiedergabe  findet  ihren  beredtesten  Ausdruck  in  dem  Bilde  der  Er- 
schaffung der  Tiere,  welche  in  großer  Anzahl  Gott  Vater  rings  umgeben  und 
schon  auf  eifriges  Naturstudium  schließen  lassen.  Bertrams  Denkweise  ist 
eine  tiefgegründete.  Es  zeigt  sich  dies  z.  B.  darin,  daß  er  sich  Adam  auf 
dem  Bilde  seiner  Erschaffung  als  jugendlichen  Mann,  ja  fast  als  Jüngling  denkt, 
daß  derselbe  aber  auf  dem  Bilde  der  Erschaffung  Evas  bereits  zum  bärtigen  Manne 
geworden.  Solch  kleine  Motive  rücken  uns  die  Persönlichkeit  des  Künstlers 
menschlich  immer  näher.  Er  wird  uns  sympathisch.  Das  Bild  der  Verwarnung 
(Abb.  2)  stellt  Lichtwark  als  eine  der  wichtigsten  Kompositionen  des  Altares 
hin.  Die  Abwägung  der  Massen  erregt  unsere  Verwunderung.  Die  innerliche 
Empfindung  ist  in  reichem  Maße  zum  Ausdruck  gebracht.  Die  Gruppen- 
bildung operiert  geschickt  mit  figürlichen  Überschneidungen.  Beim  Sünden- 
fall ist  auf  die  vortreffliche  Charakterisierung  Adams  und  Evas  hinzuweisen. 
Jener  fühlt  sich  unsicher,  zaghaft,  er  zweifelt.  Diese  aber  steht  positiv  und 
bestimmt  da.  Etwas  eminent  Vollendetes  ist  die  sicher  gegebene  Figur  der 
Eva  auf  dem  Bilde  der  Entdeckung  des  Sündenfalls.  Ihr  Körper  ist  von 
hoher  formaler  Schönheit.  Wie  wenig  gebeugt,  wie  selbstbewußt  tritt  sie 
Gott  Vater  entgegen,  alle  Schuld  unbeirrt  auf  die  sich  am  Boden  windende 
Verführerin  abwälzend!  So  kann  nur  ein  Weib  auftreten!  Ein  Mann  pflegt 
solchen  Situationen  nicht  gewachsen  zu  sein.  Aber  auch  das  Gegenteil, 
die  vollkommene  Zerknirschtheit  und  Niedergeschlagenheit,  weiß  Meister 
Bertram  und  noch  dazu  in  drastischer  Weise  zum  Ausdruck  zu  bringen. 
Die  Vertreibung  aus  dem  Paradiese  gibt  hierfür  den  sprechendsten  Beweis. 
Wie  verraten  Mienen,  Gesten  und  Bewegungen  die  geistige  Depression  des 
ersten  Elternpaares  nach  voUführter  Übertretung  des  göttlichen  Verbotes! 
Bertram  weiß  seine  realistische  Empfindungsweise  so  weit  zu  steigern,  daß 
die  heilige  Handlung  darüber  fast  ihren  Charakter  verliert  und  profan  wirkt. 
Das  Bild  »Adam  baut  die  Erde«  wirkt  kaum  noch  als  eine  Szene  aus  dem 
alten  Testament.  So  ist  auch  die  Gegenüberstellung  von  Kain  und  Abel  auf 
dem  Bilde  des  Opfprs  beider  außerordentlich  prägnant.  Der  Unterschied 
zwischen  den  Brüdern  ist  aufs  Schärfste  markiert.  Der  Bau  der  Arche  über- 
rascht durch  seine  nur  andeutende  und  dabei  doch  vollkommen  verständliche 
Ausdrucksweise.  Eine  in  sich  geschlossene  Handlung  ist  es  nicht,  die  wir 
vor  uns  haben.  Es  sind  eigentlich  nur  Bruchstücke  vorhanden.  Aber  diese 
genügen  namentlich  dem  mit  dem  Schiffsbau  vertrauten  Norddeutschen,  um 
sich  ein  phantastisches  Bild  der  verschiedenen  Vorgänge  zu  schaffen.  Beim 
Opfer  Abrahams  ist  der  landesübliche  Typus  insofern  abgewandelt,  als  Isaak 
nicht  mehr  das  geduldig  stillhaltende  Opferlamm  ist.  Vielmehr  sträubt  er 
sich  mit  Händen  und  Füßen  gegen  das  ihm  Bevorstehende.  Auch  in  den 
verzerrten  Gesichtszügen  prägt  sich  dies  deutlich  aus.  Der  Fortschritt  gegen 
die  entsprechende  Darstellung  am  Doberaner  Altar  ist  offenbar.  Das  Bild 
»Jakob  und  Esau«  gibt  zu  vielen  Beobachtungen  Anlaß  (Abb.  3).  Das  Antlitz 
des  durch  Kissen  im  Rücken  gestützt  auf  seinem  Lager  sitzenden  Jakob  trägt 
den  typischen  Ausdruck  des  Blinden.     Die  Bewegungen  verraten  unverkenn- 


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BfEISTER  BERTRAM. 


bar  die  natürliche  Unbeholfenheit  des  blinden  Alten.  Esau  blickt  wild,  sein 
Haar  steht  in  wirren  Strähnen  über  der  Stirn,  die  Unterlippe  ist  vorgeschoben 
und  deutet  auf  rohe  Kraft.  So  ist  der  Charakter  Esaus  in  jeder  Hinsicht 
meisterhaft   geschildert.     Der   über   der   Szene   schwebende   architektonische 


Abb.  3.    Meistor  Bertram:  Jakob  und  Esau  vom  Grabowor  Altar. 

Baldachin  verjüngt  sich  perspektivisch  nach  der  Tiefe.  Alles  das  läßt  uns 
dieses  Bild  als  eines  der  wichtigsten  des  Altares  erscheinen.  Eine  der  lieb- 
lichsten Schöpfungen  unter  den  folgenden  Szenen  ist  die  Anbetung  der  Könige. 
Es  genügt  vollkommen,  wenn  man  sich  in  das  Anschauen  der  natürlichen 
Bewegungen  des  Jesusknaben  vertieft.  Der  knieende  König  hat  sein  linkes 
Oberärmchen  angefaßt.  Darüber  ist  er  erschrocken.  Er  strebt  nach  der 
Mutter  hin,  nach  der  er  die  Rechte  ausstreckt,  dabei  das  rechte  Bein  krümmend. 


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Maria  hält  das  Kind  in  seelischer  Erregung.  Auch  bei  der  Darstellung  im 
Tempel  wendet  sich  das  Kind  vom  greisen  Simeon,  der  es  mit  verhüllten 
Händen  anfaßt,  nach  der  Mutter  hin,  nach  der  es  beide  Hände  ausstreckt. 
Der  Bethlehemitische  Kindermord  gibt  uns  ein  vortreffliches  Zeugnis  dafür, 
wie  sehr  Meister  Bertram  befähigt  war,  für  die  verschiedenen  seelischen 
Empfindungen  auch  jedesmal  den  entsprechenden  Ausdruck  zu  finden.  Die 
Frau  rechts  am  Boden  herzt  in  gebrochenem  Schmerz  ihr  totes  Kind.  Die 
Gesichtszüge  sind  schlaff.  Der  Schmerz  hat  sie  vollkommen  niedergedrückt. 
Die  Frau  über  ihr  ringt  die  Hände  nach  Herodes  hin,  ihn  um  Erbarmen 
anflehend  Dabei  scheint  sie  sich  ihrer  Ohnmacht  bewußt  zu  sein.  Anders 
die  dritte  Frau,  die  laut  schreiend  und  mit  verzerrtem  Gesicht  den  Mörder 
ihres  Kindes  beim  linken  Oberarm  packt.  Empfindungslos  gebietet  Herodes 
die  Fortsetzung  des  beispielslosen  Mordens.  Die  Ruhe  auf  der  Flucht  nach 
Egypten  stellt  sich  als  ein  Familienidyll  von  seltenem  Liebreiz  dar.  Auch 
ist  sie  vor  den  anderen  Bildern  durch  einen  hohen  Grad  von  Sattheit  und 
Glut  der  Farben  ausgezeichnet. 

Jugendfrische  Auffassung,  natürliche  Anschauung,  naive  Beobachtung, 
dazu  ein  fester  Wille  sprechen  aus  allen  diesen  Bildern.  Nicht  immer  ja 
glücklich  im  Ausdruck  seiner  Ideen,  ist  Meister  Bertram  doch  feinfühlig  in 
allem,  stürmisch  im  Temperament,  lebendig  in  der  Erzählung. 

Ein  flüchtiger  Blick  auf  die  Skulpturen  des  Grabower  Altares  läßt 
erkennen,  daß  dieselben  nicht  sämtlich  auf  ein  und  dieselbe  Hand  zurück- 
gehen. »Neben  einer  Reihe  lieblicher  Frauen  und  großartiger  Apostel  und 
Prophetengestalten,  die  heute  den  Künstler  entzücken  und  dem  unbefangenen 
Laien,  der  ein  Herz  hat,  unmittelbar  Genuß  gewähren,  erscheinen  andere 
wohl  als  derselben  Art,  aber  kaum  derselben  Hand  angehörig«  (S.  241).  Die 
Werkstatt  ist  wohl  die  gleiche,  nicht  aber  der  Meister.  Wahrscheinlich 
rühren  die  besten  Bildwerke  vom  Meister  selbst  her.  Wie  weit  die  Poly- 
chromie  noch  sein  Werk  ist,  muß  eine  offene  Frage  bleiben.  Bei  einigen 
waltet  kaum  ein  Zweifel  über  seine  Urheberschaft.  Lichtwark  nennt  Christus, 
Maria  Magdalena  •  und  Paulus.  Im  übrigen  muß  auf  die  Restaurationen  von 
1595  und  1734  Rücksicht  genommen  werden.  Die  Köpfe  des  Josua  und 
Micha  sind  nach  Lichtwark  um  1595  erneuert.  Den  Propheten  Micha  in  der 
Bekrönung  hält  er  in  Schnitzerei  und  Bemalung  für  einen  Teil  der  Restauration 
von  der  Wiederherstellung  vom  Jahre  1734. 

Den  Mittelpunkt  des  Altares  in  vollkommen  geöffnetem  Zustande  bildet 
die  eindrucksvolle  Gruppe  der  Kreuzigung  (Abb.  4).  Christus  leidet  nur  sym- 
bolisch. Noch  ist  er  als  Sieger  über  Tod  und  Hölle  aufgefaßt.  Maria  sinkt  nicht 
in  ohnmächtigem  Schmerz  zusammen.  Noch  wohnt  sie,  wie  Lichtwark  sich 
treffend  ausgedrückt  hat,  als  Göttin  dem  Opferakt  bei.  Johannes  blickt 
schmerzerfüllt,  nicht  verzweifelt  empor  (S.  247).  Die  Gestalt  Christi  berührt 
uns  eigenartig.  Sie  hat  etwas  »Zeitloses«  an  sich.  Sie  schwebt  erhaben 
über  den  ganzen  anderen  Darstellungen  des  Altares.  Der  außerordentlich 
realistisch  durchgebildete  Körper  läßt  erkennen,  daß  Bertram  sehr  viel  Em- 
pfindung »für  die  lebende  Materie  des  Fleisches«  hat. 


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MEISTER  BERTRAM. 


Die  Verteilung  der  Statuetten  ist  in  folgender  Weise  erfolgt:  am  Fuße 
des  Kreuzes  stehen  13  Apostel,  von  denen  Petrus  und  Paulus  als  die  Schutz- 
heiligen etwas  höher  als  die  anderen  gerückt  sind.  An  die  Apostel  reihen 
sich  9  Propheten;  Micha  ist  als  zehnter  in  die  obere  Reihe  versetzt,  in  der 


Abb.  4.    Meister  Bertram:  Die  Mittelgruppe  vom  Grabower  Altar. 

20  männliche  und  weibliche  Heilige.  In  der  Bekrönung,  mit  Ornamentfüllungen 
wechselnd,  die  5  törichten  und  die  5  klugen  Jungfrauen.  Die  Tracht  der 
Gestalten  ist  eine  verschiedene.  Entweder  ist  es  die  konventionell-ideale  oder 
die  zeitgemäße  oder  endlich  eine  Mischung  von  Alt  und  Neu.  In  allem  er- 
weist sich  Bertram  als  Naturalist;  er  stilisiert  nicht.  Die  Apostel  tragen  die 
gleichen  Kleidungsstücke  wie  die  heiligen  Frauen.  Aber  Bertram  weiß  mit 
beinahe   raffiniertem  Geschick   der  Drapierung  des  Mantels   und   den  Falten 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ. 


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des  Untergewandes  bei  den  Aposteln  etwas  männliches  und  bei  den  Frauen 
etwas  zierliches,  dem  Weibe  eigenes  zu  geben.  So  wird  man  über  die  Gleich- 
heit der  Gewandung  ganz  und  gar  hinweggetäuscht.  Die  Propheten  aber 
tragen   den  jMantel   wiederum    ganz   anders  als   die   Apostel.     So   wird   eine 


Abb.  5.    Meister  Bertram:  Maria  Magdalena  yom  Grabower  Altar. 

Mannigfaltigkeit  der  Tracht  erzielt,  die  unwillkürlich  frappiert.  Trotzdem 
sind  die  Grundelemente  die  gleichen.  Dies  kann  nur  ein  in  sich  gefestigter 
Künstler  fertig  bringen,  der  weiß,  was  er  will,  dessen  Fähigkeit  in  der  Vari- 
ierung des  Einzelmotivs  eine  weitgediehene  ist.  Um  einen  Einblick  in  die 
künstlerischen  Gaben  und  Mittel  Bertrams  zu  geben,  greift  Lichtwark  eine 
einzelne  Gestalt  und  zwar  die  Maria  Magdalena  (Abb.  5)  heraus.  Sie  schreitet 
als  zierliches  Modedämchen  mit  großer  Rüschenhaube  dahin.    Die  Rechte  raflft 

Mitteilungen  aas  dem  german.  NationalmuseanL    1906.  10 


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^^  MEISTER  BERTRAM. 

den  Mantel  leicht  auf,  die  Linke  faßt  unter  dem  Mantel  die  runde  Salbbüchse. 
Das  Antlitz  ist  derart  sorgsam  und  verständnisinnig  individualisiert,  daß  Licht- 
wark  geneigt  ist,  in  dem  Figürchen  eine  dem  Künstler  nahestehende  Persön- 
lichkeit, vielleicht  seine  Frau  oder  seine  Schwester  zu  sehen;  denn  die  Züge 


Abb.  6.    Meister  Bertram:  Putrus  vom  (irabowor  Altar. 

kehren  unter  den  Skulpturen  auch  bei  anderen  Heiligen  wieder.  Überhaupt 
läßt  die  Durchreifung  dieser  Gestalt  eine  besondere  Liebe  des  Künstlers  er- 
kennen. Und  nunmehr  wendet  sich  Licktwark  den  anderen  Figuren  zu,  seine 
Ausführungen  durch  zahlreiche  Vollbilder  und  Detaildarstellungen  illustrierend. 
So  verdichtet  sich  unsere  Anschauung  über  den  Künstler  und  seine  Fähig- 
keiten mehr  und  mehr.  Die  Charakteristik  ist  bei  sämtlichen  Figuren  eine 
lebhafte.     Man   genießt   sie   aber   erst   dann,    wenn    man  dieselben   aus   dem 


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Altar  herausnimmt  und  für  sich  betrachtet.  Die  Lebensfülle  der  Silhouette 
und  des  Ausdrucks  ist  eine  erstaunliche.  Übertreibung  ist  nicht  vorhanden. 
Trotz  seiner  geringen  Kenntnis  erreicht  Bertram  in  der  Ponderation  des  Körpers 
eine  frappierende  Glaubwürdigkeit.  Die  Körper  der  Frauen  sind  lebendiger 
gefühlt  als  die  der  Männer.  Auch  sind  ihre  Köpfe  besser  proportioniert 
als  die  der  Männer,  die  vielfach  zu  groß  sind  (vgl.  Abb.  6).  Lichtwark  weist 
auf  die  mannigfache  Variation  der  Motive  in  der  Haltung  hin.  Kein  Motiv 
kehrt  in  der  gleichen  Weise  wieder,  obwohl  Anlaß  dazu  genug  dagewesen 
wäre.  Dazu  operiert  Bertram  stark  mit  der  Farbe;  er  schneidet  z.  B.  den 
Gesichtsausdruck  auf  Polychromie  zu.  In  den  Köpfen  oflfenbart  sich  des 
Meisters  schöpferische  Gabe  in  unbegrenzter  Art.  Jeder  einzelne  Kopf  ist 
in  sich  durchgebildet.  Bei  den  weiblichen  Heiligen  wird  der  Idealtypus  ver- 
lassen. Bestimmend  aber  war  für  die  Köpfe  das  Charakterbild  einer  jungen 
Frau,  das,  wenn  auch  im  Ausdruck  wechselnd  und  verschieden  schattiert, 
allenthalben  durchleuchtet. 

Es  ist  schwer,  mit  Bestimmtheit  zu  sagen,  welche  Bedeutung  die 
tronenden  Figuren  der  Praedella  haben.  Vieles  spricht  für  Licht warks  An- 
nahme, daß  wir  in  ihrer  Auswahl  das  Bekenntnis  eines  Mystikers  zu  sehen 
haben.  Das  Mittelstück  der  Reihe  bildet  die  seelisch  empfundene  Verkün- 
digung. Maria  erschrickt  vor  dem  Gruße.  Mit  staunender  Geste  hebt  sie 
plötzlich  und  rasch  die  Rechte  empor,  wodurch  die  kühne  Querfältelung  des 
Mantels  herbeigeführt  wird. 

Der  Buxtehuder  Altar  weicht  im  Typ  vom  Grabower  Altar  ab. 
Dieser  ging  als  Hochaltar  sehr  in  die  Höhe;  seine  Einzelheiten  waren  dem 
Blick  entzogen.  Jener  dagegen  stand  dem  Beschauer  näher.  Er  war  für  den 
Chor  der  Kapelle  eines  Frauenklosters  bestimmt  und  daher  niedriger  und 
breiter.  Das  begünstigte  Bertrams  Neigung  zu  erzählen,  wobei  ihm  der  Zweck 
des  Altares,  der  für  ein  Nonnenkloster  berechnet  war,  sehr  zustatten  kam. 
Aus  der  Bestimmung  für  ein  Nonnenkloster  erklärt  sich  auch  die  Sorgfalt, 
die  Bertram  auf  die  modische  Frauentracht  verwandte.  Innere  und  äußere 
Gründe  sprechen  dafür,  daß  der  Buxtehuder  Altar  später  als  der  Grabower 
Altar  geschaffen  wurde.  Lichtwark  möchte  die  Mitte  der  90er  Jahre  als 
Entstehungszeit  in  Anschlag  bringen.  Wie  beim  Grabower  Altar  wendet  er 
sich  auch  hier  den  Einzeldarstellungen,  seine  Ausführungen  durch  Abbildungen 
verdeutlichend,  zu.  Als  Einleitung  zum  eigentlichen  Thema  dienen  drei 
Szenen  aus  der  Legende  der  Eltern  der  Maria.  Das  Opfer  Joachims  erfreut 
durch  seine  lebendige  Erzählung.  Es  darf  wohl  auf  die  Ähnlichkeit  im  Ge- 
sichtstypus mit  dem  Hohepriester  und  dem  Joseph  auf  dem  Bilde  der  Geburt 
Christi  am  Grabower  Altar  hingewiesen  werden.  Die  eine  emporgezogene 
Lippe  bei  dem  abwehrenden  Priester  kennen  wir  schon  von  der  Entdeckung 
des  Sündenfalls,  der  Vertreibung  aus  dem  Paradiese  und  der  Darstellung  im 
Tempel  als  ein  Bertram  geläufiges  Motiv.  Bei  der  Wald-  und  Tierdarstellung 
des  Bildes  Joachims  bei  den  Hirten  werden  wir  unwillkürlich  an  den  4.  und 
5.  Schöpfungstag  erinnert.  Der  Engel  ist  schon  sehr  viel  weiter  gediehen 
als  auf  dem  Grabower  Altar.     Während  man  beim  Grabower  Altar  von  einer 


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76  MEISTER  BERTRAM. 


verstandesmäßigen  Architektur  noch  nicht  reden  kann,  darf  man  dies  auf 
dem  Bilde  der  goldenen  Pforte  fast  schon  tun.  Entschieden  läßt  sich  hier 
ein  Fortschritt  konstatieren.  Eine  sehr  erfreuliche  Schöpfung  ist  das  Bild 
der  Geburt  der  Maria  Die  Szene  ist  in  ihrer  naiven,  ungezwungenen 
Natürlichkeit  außerordentlich  anziehend.  Wie  bestimmt  ist  femer  der  Raum 
charakterisiert !  Wie  drängt  sich  alles,  perspektivisch  gedacht,  in  die  Tiefe ! 
Die  Fensterwand  hinter  dem  Bett  ist  schon  mit  Schlagschatten  überdunkelt. 
Der  Fortschritt  wird  noch  einleuchtender,  wenn  man  die  beiden  Verkün- 
digungsbilder am   Buxtehuder  und  Grabower  Altar   mit  einander   vergleicht. 


Abb.  7.    Meister  Burtram:  Besuch  der  Engrel  vom  Buxtehuder  Altar. 

Damals  wagte  Bertram  noch  nicht,  die  Figuren  mit  Raum  zu  umschließen. 
Jetzt  kniet  Maria  in  einem  offensichtlich  in  die  Erscheinung  tretenden 
Raum,  der  sie  mit  drei  Wänden  umrahmt,  so  daß  man  den  Eindruck  eines 
Zimmers  gewinnt.  Die  Wirkung  des  von  rechts  durch  das  Fenster  ein- 
fallenden Lichtes  ist  wenigstens  in  Umrissen  geschildert.  Bei  der  Geburt 
Christi  auf  dem  Grabower  Altar  war  die  Perspektive  des  Stalles  noch  sehr 
mißglückt.  Ganz  anders  ist  dies  bei  der  entsprechenden  Darstellung  des 
Buxtehuder  Altares,  die  in  dieser  Hinsicht  einen  »sehr  großen  Fortschritt« 


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VON  DB.  PRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


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(S.  358)  bezeichnet.  Die  Verkündigung  an  die  Hirten  darf  nach  Lichtwark 
als  eine  der  wichtigsten  Kompositionen  des  Meisters  betrachtet  werden.  Die 
Originalität  ist  hier  am  weitesten  gediehen.  In  allem  offenbart  sich  der  an 
der  Natur  geläuterte  Sinn.  Leben  und  intensive  Handlung  pulsieren  in  kräf- 
tiger Weise.  Dazu  ist  das  Bild  durch  einen  feingestimmten  Reichtum  an 
Farben  und  Tönen  ausgezeichnet.  Wie  geschickt  Bertram  zu  komponieren 
weiß,  läßt  die  Flucht  nach  Ägypten  erkennen.  Um  den  Eindruck  der  Fort- 
bewegung hervorzurufen,  hat  er  hier  der  nach  rechts  sich  bewegenden  Gruppe 
wenig  Raum  vor  sich,  um  so  mehr  aber  hinter  sich  gegeben.  Hierdurch  hat 
das  Bild  außerordentlich  an  plastischer  Kraft  gewonnen.  Die  hohe  Gabe 
Bertrams  in  der  verschiedenartigen  Ausbildung  des  Gesichtsausdrucks  kommt 
wohl  am  besten  auf  dem  Bilde  des  im  Tempel  lehrenden  Jesusknaben  zur 
Geltung.  Die  mannigfache  Form  der  Reaktion  auf  die  Worte  des  Redenden 
bei  den  Zuhörern  konnte  kaum  besser  geschildert  werden,  als  es  hier  ge- 
schehen ist.  Sie  vermag  sich  zu  steigern  von  der  staunenden  Bewunderung 
bis  zur  zornigen  Erregung.  Wild  auffahrend  hat  der  eine  Pharisäer  sein  Buch 
emporgehoben,  um  es  wütend  zu  Boden  zu  schleudern.  Den  Besuch  der 
Engel  bezeichnet  Lichtwark  als  eine  der  reifsten  und  schönsten  Kompositionen 
des  Meisters  (Abb.  7).  Die  Szene  ist  von  intimem  Reiz  und  voll  tiefer  Symbolik. 
Ein  Seitenstück  läßt  sich,  was  das  Thema  anbelangt,  weder  in  der  Epoche 
Bertrams  noch  lange  nach  ihm  nachweisen.  Eine  große  Natürlichkeit  in  den 
Mienen  und  Gesten  erreicht  Bertram  auch  auf  dem  Bilde  der  Hochzeit  zu 
Kana.  Namentlich  ist  da  auf  den  behäbigen  Patrizier  rechts  an  der  Tafel 
hinzuweisen,  der  von  seiner  modisch  gekleideten  Partnerin  ein  Glas  mit  dem 
umgewandelten  Wein  entgegennimmt,  indessen  er  zugleich  mit  der  Linken 
einen  harten  flachen  Kuchen  mit  dem  Rand  gegen  die  Tischplatte  drückt, 
um  ihn  mit  Hilfe  der  Hebelkraft  durchzubrechen.  Lichtwark  sieht' in  diesem 
bezeichnenden  Zug  eine  der  frühesten  Äußerungen  des  neuen  Geistes.  An 
der  Krönung  Mariae  müssen  wir  die  Vollendung  in  der  Perspektive  bewundern. 
Wie  Lichtwark  darlegt,  ist  hier  neben  der  Linearperspektive  sogar  die  Farbe 
zu  Hilfe  genommen  worden,  um  den  räumlichen  Eindruck  soweit  wie  nur 
eben  möglich  zu  steigern. 

Der  Harvestehuder  Altar  ist  von  kleinen  Dimensionen  und  enthält 
nur  vier  Darstellungen  aus  dem  Leben  der  Maria,  nämlich  die  Verkündigung, 
Geburt,  Darstellung  im  Tempel  und  Anbetung  der  Könige.  Neue  Momente 
zur  Beurteilung  des  Künstlers  scheint  er  nicht  beizubringen.  Was  die  Da- 
tierung anbelangt,  so  ist  der  vom  Grabower  Altar  Kommende  leicht  geneigt, 
beide  etwa  gleichzeitig  anzusetzen.  Lichtwark  läßt  die  Frage  der  Zeit- 
bestimmung ungewiß. 

Zum  Schluß  wendet  sich  Lichtwark  dem  im  Jahre  1861  vom  South 
Kensingtonmuseum  in  Brüssel  erworbenen  »Londoner  Altar«  zu.  Seine 
äußere  Erscheinung  trägt  den  Bertramschen  Typus  zur  Schau.  Der  obere 
Abschluß,  in  welchem  Ornamente  mit  goldgrundierten  Medaillonköpfen 
wechseln,  weist  auf  hohen  dekorativen  Sinn.  Der  Altar  enthält  im  ganzen 
57  Darstellungen.     Die   zwölf  auf  den   Außenseiten    behandeln   verschiedene 


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78 


MEISTER  BERTRAM.    VON  DR  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


Legenden,  die  45  inneren  die  Apokalypse  (Siehe  S.  396).  Von  den  Dar- 
stellungen der  Außenseiten  verraten  die  drei  Szenen  aus  dem  Marienleben 
und  die  drei  Szenen  aus  der  Legende  der  Maria  Aegyptiaca  am  meisten  Ber- 
trams  Art.  Die  Verkündigung  ähnelt  bis  auf  den  abwehrenden  Gestus  der 
Maria  sehr  derjenigen  auf  dem  Grabower  Altar.  Tod  und  Krönung  Mariae 
wiederholen  in  abgekürzter  Form  die  Darstellungen  des  Buxtehuder  Altares. 
Bei  den  übrigen  Darstellungen  steht  die  Urheberschaft  Bertrams  nicht  ganz 
fest.     Doch  ist  eine  nähere  Verwandtschaft  zu  konstatieren. 

Die  klaren  und  durchsichtigen  Ausführungen  Lichtwarks,  denen  wir  in 
resümierender  und  mehr  betrachtender  Form  gefolgt  sind,  tun  dar,  von 
welch  durchschlagender  Wichtigkeit  Meister  Bertram  für  die  deutsche  Kunst- 
geschichte vom  Ende  des  14.  Jahrhunderts  ist.  Mit  einer  gewaltigen  Fülle 
von  Werken  seiner  Hand  tritt  er  plastisch  und  als  Persönlichkeit,  welche  das 
künstlerische  Vermögen,  die  Anschauungsweise  und  das  Kulturleben  seiner 
Zeit  repräsentiert,  aus  einer  noch  in  Vielem  dunklen  Epoche  heraus.  Viel 
bringt  er  uns,  aber  noch  viel  mehr  gibt  er  uns  zu  denken  und  zu  forschen. 
Jedenfalls  aber  ist  es  Lichtwark  schon  jetzt  gelungen  zu  erweisen,  daß  man 
in  Zukunft  mit  Meister  Bertram  als  einem  gewichtigen  Faktor  und  Ausgangs- 
punkt zu  rechnen  hat. 


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EINE  GLOCKE  AUS  DEM  18.  JAHRHUNDERT. 

VON  GUSl'AV  VON  BEZOLD. 

Die  ehemalige  Klosterkirche  zum  heiligen  Kreuz  in  Donauwörth  erhält 
ein  neues  Geläute.  Zu  dessen  Herstellung  sollten  die  alten  Glocken 
mit  verwendet  und  umgegossen  werden.  Die  größte  der  drei  Glocken  ist 
sehr  hübsch  ausgestattet  und  man  bedauerte,  daß  sie  eingeschmolzen  werden 


Glocke  aus  der  ehemaligen  Klosterkirche  Heilig  Kreuz  in  Donauwörth. 


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80  EINE  GLÜCKE  AUS  DEM  la  JAHRHUNDERT.    VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 


sollte.  Sie  wurde  dem  germanischen  Museum  angeboten  und  von  diesem  um 
den  Metall  wert  erworben. 

Die  Glocke  ist  im  Jahre  1748,  dem  letzten  der  langen  Regierung  des 
Abtes  Amandus  Röls  gegossen.  Abt  Amandus  hatte  von  1717  an  die  Kirche 
lind  die  Klostergebäude  von  Heilig  Kreuz  neu  gebaut.  1747  ließ  er  den  alten 
Turm  der  Kirche  zum  größsen  Teil  abtragen  und  in  seiner  jetzigen  Gestalt 
neu  aufbauen.  Der  Bau  kam  noch  im  gleichen  Jahre  zum  Abschluß,  wie  die 
Urkunde  in  dem  Turmknopf  besagt*).  Von  dem  Geläute  sind  bei  der  Säku- 
larisation des  Klosters  nur  drei  Glocken  erhalten  worden.  Die  größte  wird 
hier  abgebildet,  die  beiden  kleineren  hatten  keine  archaeologische  oder  künst- 
lerische Bedeutung. 

Unsere  Glocke  trägt  im  oberen  Reif  die  Inschrift:  Laudent  nomen  in 
choro,  Psalm  149  Amandus  abbas  a-2  1748.  Dann  folgt  ein  Puttenfries  mit 
Ranken  und  Rokokokartuschen.  Das  Ornament  ist  aus  einem  Model  geformt, 
der  sich  mehrmals  wiederholt;  leider  ist  er  einigemale  verkehrt  eingesetzt. 
Die  Komposition  ist  schön  und  füllt  die  Fläche  sehr  gut  aus.  Auf  der  aus- 
ladenden Fläche  der  Glocke  sind  vier  Reliefs:  Das  große  Abtswappen,  Maria 
mit  dem  Leichnam  Christi,  S.  Benedikt  und  Christus  am  Kreuz  angebracht. 
Auf  dem  unteren  Rand  steht:  Abraham  Brandtmair  und  Franciscus  Kern  in 
Augspurg  gos  mich.  —  Die  Gesamtform  der  Glocke  ist  schön;  ihr  Gewicht 
beträgt  etwa  250  Kgr;  sie  ist  auf  den  Ton  C  gestimmt. 

♦)  Coelestin  Königsdorfer,  Geschichte  des  Klosters  zum  heiligen  Kreuz  in  Donau 
württ.  III.  I.    S.  423. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Werden  und  Vergehen  im  Völkerleben  von  A.  Frh.  v.  Schweiger-Lerchen- 
feld.   Lfg.  1.    Wien  und  Leipzig,  A.  Hartlebens  Verlag. 

Die  neueste  Arbeit  des  unermüdlichen  Schriftstellers  wendet  sich  nicht  an  den 
Historiker,  sondern  an  ein  allgemeines  Publikum.  Läßt  sie  eine  selbständige  Durch- 
arbeitung des  Stoffes  und  ein  Zurückgehen  auf  die  primären  Quellen  vermissen,  so  ist 
sie  doch  gewandt  zusammengestellt  und  kann  zu  allgemeiner  Orientierung  auf  dem  weit- 
verzweigten Gebiete  ihre  Dienste  tun.  Das  Werk  ist  auf  40  Lieferungen  berechnet. 
Wir  werden  nach  dem  Abschluß  eingehender  auf  dasselbe  zurückkommen. 

Die  Denkmäler  der  deutschen  Bildhauerkunst.  Herausgegeben  von  Dr.  Georg 
Dehio,  Professor  und  Direktor  des  kunstgeschichtl.  Instituts  der  Universität  Straßburg, 
und  Dr.  Gust.  v.  Bezold,  I.  Direktor  des  Germanischen  National-Museums  in  Nürnberg. 
4  Serien  von  zusammen  20  Lieferungen  von  je  20  Tafeln  im  Format  32  x  48  cm.  Verlegt 
bei  Ernst  Wasmuth,  A.-G.,  Berlin. 

Das  großzügig  angelegte  Tafel  werk,  von  dem  die  erste  Lieferung,  enthaltend 
20  Tafeln  mit  51  Abbildungen,  vorliegt,  scheint  berufen  zu  sein,  das  Material  für  die 
lang  ersehnte  Geschichte  der  deutschen  Plastik  zu  bringen. 

Da  zwar  im  Prospekt  darauf  hingewiesen  wird,  daß  die  Auswahl  nach  einem  festen 
und  eingehenden  Plane  erfolge,  jedoch  in  dieser  ersten  Lieferung  Text  und  Übersicht 
des  in  den  kommenden  Nummern  Gebotenen  noch  fehlen,  so  dürfte  eine  eingehende 
Würdigung  zurzeit  noch  nicht  angängig  sein.  Doch  läßt  sich  schon  aus  der  vorliegenden 
ersten  Lieferung  ersehen,  daß  alle  Perioden  deutscher  plastischer  Kunst  vom  11.  bis 
zum  18.  Jahrhundert  berücksichtigt  werden.  Neben  den  bekannteren  Werken,  wie  etwa 
der  Gnesener  Erztüre  und  den  Nürnberger  Tonaposteln,  findet  sich  eine  große  Anzahl 
von  hochbedeutenden  Skulpturen  wiedergegeben,  die  bisher  wohl  nur  in  den  Kunst- 
inventaren  Erwähnung  und  Aufnahme  fanden.  Besonders  erfreulich  ist  die  mustergültige 
Publizierung  der  Details  der  Wechselburger  Kanzel,  deren  Wiedergabe  im  sächsischen 
Kunstinventar  durchaus  ungenügend  war;  wenn  auch  die  Aufnahme  nach  den  Gipsabgüssen 
mit  Notwendigkeit  manche  störende  Beigaben  bringt,  so  ist  doch  dies  Kompromiß  infolge 
der  großen  technischen  Schwierigkeiten,  die  eine  gute  photographische  Aufnahme  des 
Originals  unmöglich  machen,  unbedingt  notwendig.  Auch  der  für  die  sächsische  Früh- 
plastik hochbedeutende  Grabstein  des  Wiprecht  von  Groitzsch  in  der  Klosterkirche  zu 
Pegau  findet  hier  meines  Wissens  zum  ersten  Mal  eine  mustergültige  Wiedergabe. 

Die  technische  Leistung  ist  durchgehends  zu  rühmen.  Etwas  störend  wirkt  bei 
einigen  besonders  zart  getönten  Lichtdrucken  die  rauhe  Struktur  des  Papiers,  ein  Mangel, 
der  vielleicht  in  den  folgenden  Lieferungen  behoben  werden  könnte.        W.  Josephi. 

Die  Denkmalpflege  und  ihre  Gestaltung  in  Preussen.  Von  Dr.  jur.  F.  W.  Bredt. 
Berlin,  Köln,  Leipzig,  Albert  Ahn.     8<>.  VIII  und  64  S.  1904. 

Die  vorliegende  Schrift  beschäftigt  sich  mit  der  Denkmalpflege  in  erster  Linie  vom 
uristischen  Standpunkt  aus.  Ihr  Endzweck  ist,  die  gesetzliche  Regelung  des  Denkmal- 
Mi  tteiluDgen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1906.  11 


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82 


UTBRARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Schutzes  in  Preußen  durch  Diskussion  der  bei  dieser  Materie  sich  ergebenden  Fragen  in 
die  Wege  zu  leiten.  Damit  geht  Hand  in  Hand  der  allgemeinere  Zweck,  über  das  heute 
so  aktuelle  Gebiet  der  Denkmalpflege  auch  in  weiteren  Kreisen  Klarheit  zu  schaffen. 
Daher  wird  in  knapper  und  klarer  Weise  in  den  einleitenden  Kapiteln  zunächst  versucht, 
den  Gegenstand  der  Denkmalpflege,  die  Art  der  zu  schützenden  Denkmale,  festzulegen. 
Eine  abschließende  Definition  ist  aus  der  Gegenüberstellung  der  verschiedenen  Erklä- 
rungen in  den  Gesetzentwürfen  und  Gesetzen  verschiedener  Länder  nicht  erbracht;  es 
werden  nur  drei  Gesichtspunkte  als  allgemein  gültige  anerkannt,  die  Bedeutung  der 
Denkmale  für  die  Naturgeschichte,  die  Geschichte,  dann  Kunst  und  Kunstgewerbe. 

In  einem  zweiten  Kapitel  wird  in  sehr  warmfiihlender  Weise  der  ideelle  Wert  der 
Denkmalpflege  hervorgehoben,  ihr  Einfluß  auf  den  Kulturstand  und  das  Nationalbewußt- 
sein an  manchem  treffenden  Wort  und  Beispiel  vor  Augen  geführt. 

Das  dritte  Kapitel  handelt  von  den  Mitteln  und  Wegen  der  Denkmalpflege.  Als 
Leitsatz  ist  hier  aufgestellt :  >Die  Aufgabe  der  Denkmalpflege  ist  und  bleibt  aber  lediglich 
die  Erhaltung  des  Bestehenden«.  Der  Verfasser  ist  indes  im  Lauf  seiner  Untersuchung 
selbst  genötigt,  über  den  Rahmen  seines  Leitsatzes  hinauszugehen,  und  wir  möchten  die 
Abgrenzung  ebenfalls  als  zu  eng  bezeichnen.  Von  der  auf  die  zu  schützende  Materie 
sich  beziehenden  Pflege  scheidet  F.  W.  Bredt  eine  subjektive,  wie  er  sie  nennt,  die 
wieder  in  die  durch  Gesetz  oder  Verordnung  erzwungene,  und  die  freiwillige  zerf^lt, 
eine  Scheidung,  die  unseres  Era^tens  nicht  ganz  glücklich  ist. 

Von  großem  Interesse  ist  die  im  vierten  Kapitel  vorgenommene  Darlegung  der 
geschichtlichen  Entwicklung  und  Organisation,  wenn  sie  auch  naturgemäß  wenig  Neues 
vorbringt.  Besonders  eingehend  wird  das  »classement«  der  französischen  Geschichts- 
und Kunstdenkmale  erörtert,  das  für  den  Denkmalschutz  aller  mit  eigenen  Gesetzen 
nachgefolgten  Staaten  vorbildlich  geworden  ist.  Im  Deutschen  Reich  ist  bekanntlich 
nur  das  Großherzogtum  Hessen  mit  einem  eigenen  Denkmalschutzgesetz  hervorgetreten. 
Die  organisatorischen  Maßnahmen  aller  übrigen  Staaten  können  nur  als  vorläufige  betrachtet 
werden.  Am  Schluß  des  Kapitels  wird  der  bisherigen  im  Verordnungsweg  geregelten 
Ordnung  der  Frage  in  Preußen  eine  besonders  eingehende  Würdigung  zuteil.  Im  letzten 
Kapitel  werden  dann  die  Wünsche  und  Erfordernisse  für  ein  künftiges  preußisches  Denk- 
malgesetz in  Preußen  aufgestellt.  An  der  Spitze  steht  auch  hier  die  Denkmälerliste,  eben 
jenes  »classement«,  dann  das  Enteignungsrecht.  Die  zahlreichen  Anregungen,  die  hier 
meist  vom  verwaltungsrechtlichen  Standpunkte  aus  gegeben  werden,  sind  sicher  geeignet, 
über  die  vielerlei  Schwierigkeiten  bietende  Frage  in  weitere  Kreise  Klärung  zu  bringen. 

Als  Anhang  ist  eine  Obersetzung  der  einschlägigen  italienischen  Gesetze  gegeben, 
die  zeigen,  wie  in  diesem  Kunstlande  die  staatliche  Fürsorge  —  allerdings  auch  aus 
flnanziellen  Beweggründen  —  sich  sehr  ins  Einzelne  erstreckt.  H.  Stegmann. 

Die  Bannerherrschaft  Bntsee  bei  Rothenburs:  o.  T.  Von  A.  Kreiselmeyer, 
Steinach  bei  Rothenburg.  München  1906.  Druck  von  F.  X.  Pradarutti.  64  SS.  S^. 
.  Diese  kleine  Arbeit  einer  eifrigen  Geschichtsfreundin  beschäftigt  sich  mit  den  Ge- 
schicken des  alten  Dynastengeschlechts  derer  von  Entsee,  von  deren  festem  Sitze  auf 
dem  sogen.  Endseer  Berg,  nächst  Steinach  bei  Rothenburg,  spärliche  Reste  sich  bis  in 
unsere  Tage  erhalten  haben,  dann  mit  den  ferneren  Schicksalen  der  einst  ansehnlichen 
freien  Herrschaft  E.,  unter  den  uffenheimischen  Hohenlohe  und  der  Reichsstadt  Rothen- 
burg o.  T.  Die  Verfasserin  kommt  bei  eingehender  Prüfung  der  Quellen  zu  dem  Schluß, 
daß  das  Geschlecht  Reginhards  von  Entsee  nicht  schon  1167  bezw.  69,  sondern  erst 
—  wie  dies  schon  Bauer  gegen  Bensen  dargetan  hat  —  um  1240,  mit  Albert  (f  1239  in 
Kloster  Heilsbronn)  und  Konrad  (f  als  Abt  zu  Komburg  1245),  erloschen  sein  kann.  Die 
weiteren  Schicksale  Endsees  erscheinen  als  bedeutsame  Ausschnitte  aus  der  Geschichte 
der  von  dem  staufischen  Kaiserhause  so  sehr  begünstigten  Hohenlohe  und  der  Reichs- 
städte Windsheim  und  Rothenburg.  Letzteres,  dem  Schloß  Endsee  1407  von  Burggraf 
Friedrich  V.  als  dem  Vollstrecker  der  Reichsacht  zerstört  worden  war,  mußte  dem  Kaiser 
Ruprecht  sich  fügend  die  alte  Burg  in  Trümmern  lassen. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  83 

Ober  Einzelheiten  (das  anfängliche  Arbeiten  mit  Trithemius  und  Papius,  die  meines 
Erachtens  nicht  eben  glückliche  Etymologie  >end-see<,  u.  a.)  hier  richten  zu  wollen,  würde 
an  dieser  Stelle  zu  weit  führen.  In  der  Einleitung  ist  natürlich  Bnisch(ius)  für  Bnichius 
zu  lesen.  Brauchbare  Fundnotizen  und  reizvolle  Volksüberlieferungen  findet  man  in  an- 
sprechender Weise  herangezogen.  Dankenswerte  Beigaben  sind  ein  Abdruck  der  Endseer 
Dorfordnung  von  1681  und  die  Geschlechtstafeln  der  Dynasten  von  £.  und  der  Herren 
von  Hohenlohe  auf  E. 

Das  auf  gründlichem  Quellenstudium  (unter  Benützung  sämtlicher  zuständiger 
Archive)  sich  aufbauende,  übrigens  auch  anregend  und  fiott  geschriebene  Büchlein  verdient, 
im  Hinblick  auf  die  leider  nicht  geringe  Zahl  gänzlich  unzureichender  lokalgeschichtlicher 
Arbeiten,  gewiß  alle  Anerkennung.  HH. 

Sechs  Wandbilder  aus  vorseschichtlicheo  Kulturperioden.  Nach  Aquarellen 
von  Prof.  Dr.  Jul.  Naue.  In  Farbendruck  ausgeftthrt.  Nebst  Erläuterungen.  Verlag  von 
Piloty  &.  Loehle  in  München.    1904.  Imp.  2  und  8. 

Der  Zweck  dieser  lithographischen  Farbendrucke  ist,  dem  Laien ,  zumal  der  her- 
anwachsenden Jugend  ein  möglichst  getreues  Bild  von  der  äußeren  Erscheinung  der 
Menschen  vorgeschichtlicher  Kulturperioden  zu  vermitteln.  Da  hierbei,  wie  der  Text 
ausdrücklich  hervorhebt,  die  Beschränkung  auf  Bayern  gemacht,  vor  allem  Oberbayem  mit 
seinen  reichen  Funden  in  Betracht  gezogen  ist,  so  dürfen  wir  von  vornherein  in  die  Zu- 
verlässigkeit der  Bilder,  namentlich  soweit  es  sich  um  die  Zuteilung  und  Verwendung 
der  Geräte  und  Waffen,  wie  in  der  Regel  auch  des  Schmuckes  handelt,  volles  Vertrauen 
setzen.  Ist  doch  Julius  Naue  seit  Jahrzehnten  als  einer  der  besten  Kenner  gerade  der 
Prähistorie  Bayerns  bekannt  und  hochgeschätzt.  Wo  er  dann  freilich,  wie  es  die  ge- 
wissermaßen als  Rekonstruktionen  aufzufassenden  bildlichen  Darstellungen  notwendig 
mit  sich  brachten,  den  Boden  der  Grabfunde  verläßt,  wird,  was  die  Tafeln  bieten,  der 
Text  uns  erläutert,  vielfach  hypothetisch,  und  man  wird  alsdann  nicht  selten  anderer 
Meinung  als  der  Verfasser  sein  können.  Das  gilt  z.  B.  von  Schnitt  und  Verzierung  der 
Gewänder,  welch  letztere  in  Ermangelung  von  Resten,  die  zuverlässigere  Auskunft  geben 
könnten,  der  Ornamentik  der  Tongefäße  entlehnt  ist.  So  beruht  auch  die  Wiedergabe 
des  Beiwerks  —  des  Thrones  auf  Tafel  I  („Die  weise  Frau"  oder  die  „Priesterin  von 
Mühltal"),  des  Tisches  auf  Tafel  V  —  und  die  Anbringung  des  einen  oder  andern 
Schmuckstückes  nur  auf  mehr  oder  minder  wahrscheinlichen  Annahmen  und  Ver- 
mutungen, doch  hat  Naue,  soweit  die  Tracht,  um  die  es  ihm  ja  allein  zu  tun  war,  in 
Frage  kommt,  in  dem  begleitenden  Text  überall  sorgfältig  hervorgehoben,  wo  das  sicher 
begründete  Wissen  aufhört.  Schon  deswegen  darf  auch  diese  Veröffentlichung  Naues 
mit  Anerkennung  begrüßt,  dürfen  diese  Tafeln  —  die  ersten  beiden  sind  der  älteren, 
Nr.  III  der  jüngeren  Bronzezeit,  Tafel  IV  und  V  der  Hallstatt-  und  Tafel  VI  der  Völker- 
wanderungszeit gewidmet  —  mit  ihren  kurzen  Erläuterungen  insbesondere  Schulen 
warm  empfohlen  werden.  Th.  H. 

FOhrer  durch  das  städtische  Museum,  die  alte  Kaiserburg  und  sonstige  Seheos- 
wOrdigkeiten  von  Eger.  Mit  7  Ansichten  und  2  Plänen.  Eger  1906.  Verlag  der 
Stadtgemeinde. 

Wer  der  Besichtigung  der  interessanten  Stadt  Eger  mit  ihrer  fast  tausendjährigen 
Geschichte  und  der  reizvollen  Umgebung  einen  Tag  oder  mehr  widmen  will,  den  wird 
es  nicht  gereuen,  mit  diesem  sorgfaltig  ausgearbeiteten  Büchlein  in  der  Hand  dort  sich 
umgesehen  zu  haben.  Ein  gründlicher  Kenner  der  Stadt  in  Gegenwart  wie  Vergangen- 
heit geleitet  uns  durch  das  ansehnliche  Museum,  in  dem  wir  einer  stattlichen  Reihe  von 
Denkmälern  des  öffentlichen  und  privaten  Lebens  in  Alteger  begegnen  und  an  der  ört- 
lichen Sonderart,  dem  bunten  Hausrat  und  der  eigenartigen  Tracht  des  Egerländchens, 
an  den  natur-  und  vorgeschichtlichen  Sammlungen  uns  erfreuen.  Vom  Museum  aus  be- 
suchen wir  die  alte  Kaiserburg  mit  der  berühmten  Doppelkapelle ,  um  dann  auf  einem 
Rundgang  durch  die  alte  und  neue  Stadt  unsere  Aufmerksamkeit  dem  imposanten  Markt- 


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84  LITERASISCHE  BESPRECHUNGEN. 


platze,  den  mannigfachen  öffentlichen  Gebäuden,  geschichtlich  denkwürdigen  Häusern, 
den  schönen  Kirchen  u.  a.  m.,  zuzuwenden.  Zum  Schluß  erföhrt  der  Fremde  alles  Wissens- 
werte über  die  reiche  Auswahl  hübscher  Spaziergänge  und  Ausflugsorte  im  näheren  und 
weiteren  Umkreis  von  Eger.  HH. 

Abrlss  der  Geschichte  und  Topographie  von  Markt-Redwitz  und  seiner  Nach- 
barorten Dörflas  und  Oberredwitz.  Von  Oskar  Gebhardt.  Markt-Redwitz  1906. 
Druck  u.  Verlag  von  Otto  Traut ner.    124  SS.  8. 

Verfasser  schildert  die  wechselvollen  Schicksale  seiner  Vaterstadt,  ihre  ältesten 
Beziehungen  zu  den  v.  Redwitz  und  v.  Schönbrunn,  das  rechtliche  Verhältnis  zum  Kloster 
Waldsassen,  die  politischen  Zusammenhänge  mit  der  ursprünglichen  Reichsstadt  Eger 
(1340 — 1816),  endlich  die  wichtigeren  Ereignisse  der  letzten  90  Jahre  unter  der  Krone 
Bayern.  Die  Sondergeschichte  der  Nachbargemeinden  Dörflas  und  Oberredwitz  reiht  sich 
in  zwei  ausführlichen  Kapiteln  an.  Auf  eigene  archivalische  Studien  verzichtend,  hat  G. 
alles  ihm  erreichbare  Material  an  gedruckten  Quellenpublikationen  und  handschriftlichen 
Chroniken,  auch  die  Ergebnisse  der  neueren  und  neuesten  Literatur  mit  großer  Umsicht 
zusammengetragen  und  verarbeitet.  Möge  diese  erste  zum  Druck  gelangte  Geschichte 
des  aufstrebenden  Fichtelgebirgsstädtchens  angesichts  ihres  keineswegs  nur  lokales  Ge- 
präge tragenden,  vielfach  allgemein  interessanten  und  in  anziehender  Form  dargebotenen 
Inhalts  auch  in  weiteren  Kreisen  verdiente  Beachtung  finden!  HH. 

Führer  durch  die  BOcherei  des  Kaiser  Friedrich  Museums  der  Stadt  Mairde- 
buni:.  Von  A.  Hagelstange.  Magdeburg  1906.  Verlag  des  Kaiser  Friedrich  Mu- 
seums der  Stadt  Magdeburg.  330  S.  8. 

.  Dieser  mit  Sorgfalt  und  viel  Geschmack  zusammengestellte  Katalog,  der  den  nicht 
sehr  umfangreichen  Besitz  der  Magdeburger  Museumsbibliothek  in  der  alphabetischen 
Reihenfolge  der  Verfasser  bezw.  Titel  aufführt,  wozu  noch  ergänzend  ein  praktisch  ge- 
arbeitetes Schlagwörterverzeichnis  tritt,  ist  als  eine  vortreffliche  Leistung  zu  bezeichnen. 
Vornehmlich  aber  ist  die  Ausstattung  des  Bandes  zu  rühmen ,  die  allen  Anforderungen 
moderner  Buchästhetik  entspricht.  Nur  der  Wortlaut  des  Titels  scheint  mir  nicht  ein- 
wandsfrei;  denn  augenscheinlich  handelt  es  sich  nicht  um  einen  Führer,  sondern  um 
einen  erschöpfenden  Katalog.  Will  man  durchaus  die  alte  fachliche  Bezeichnung  aus 
puristischen  Gründen  vermeiden,  so  wäre  meines  Erachtens  das  auch  in  den  Überschriften 
der  Einzelabschnitte  gebrauchte  Wort  >Verzeichnis«  besser  gewählt  an  Stelle  des  irre- 
führenden Wortes  »Führer«.  W.  J. 


u  C.Sebaid,  Nümberf. 


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EIN  SYRO-PALÄSTINENSISCHES  RÄUCHERGEFÄSS. 

VON 
OITO  PELKA. 

(Mit  2  Tafeln.) 

Das  nachstehend  beschriebene  Gefäß  ist  ein  typisches  Beispiel  sowohl 
nach  Form  wie  im  Ornament  der  in  Syrien-Palästina  bis  zum  8.  Jahr- 
hundert und  wohl  noch  etwas  später  beim  Gottesdienst  verwendeten  Rauch- 
fässer. Da  Josef  Strzygowski,  wie  ich  höre,  eine  eingehende  Publikation 
sämtlicher  Thuribula,  die  aus  der  gleichen  Gegend  und  Zeit  stammen, 
vorbereitet,  oder  wenigstens  schon  seit  einiger  Zeit  das  vollständige  Material 
bereit  hat,  so  kann  es  hier  nur  meine  Aufgabe  sein,  eine  Beschreibung 
und  kurzgefaßte  Erklärung  des  vorliegenden  Denkmales  zu  geben.  Daneben 
werde  ich  auch  die  anderen  mir  bekannt  gewordenen  Rauchfässer  zum 
Vergleich  heranziehen.  Ein  Eingehen  auf  ikonographische  Details  erübrigt 
sich  hier.  Eine  ikonographische  Worterklärung  der  figuralen  Szenen  zu  geben 
liegt  mir  fern.  Alle  diese  Rauchfässer  sind  nicht  sowohl  durch  ihren  figür- 
lichen Schmuck  wie  durch  ihre  Ornamentation  bemerkenswert.  Aus  der  rein 
ikonographischen  Betrachtungsweise,  auf  die  früher  von  den  christlichen 
Archäologen,  besonders  von  den  der  römischen  Schule  nahestehenden,  soviel 
Gewicht  gelegt  wurde,  würde  etwas  wesentlich  neues  oder  den  christlich- 
archäologischen Wissenskreis  erweiterndes  nicht  resultieren.  Viel  wichtiger  ist 
es  m.  E.  eine  stilistische  Einordnung  durch  Vergleichen  der  Ornamente  zu  ver- 
suchen. Strzygowski  hat  in  seiner  Arbeit  über  die  Mschattafassade  den  Weg 
gewiesen.  Ich  kann  nur  auf  einem  bescheidenen  Nebenwege  in  die  Nähe 
des  von  ihm  glänzend  erreichten  Zieles  gelangen.  Der  Mangel  an  Vergleichs- 
material, mit  dem  ich  zu  kämpfen  habe,  möge  manches  unerreichte  ent- 
schuldigen. 

Die  Form  des  Gefäßes  ist  halbkugelig  mit  einem  niedrigen  konischen 
Fuß.  Am  oberen  Rande  sind  drei  Ösen  für  die  Tragketten  angebracht.  Den 
größten  Teil  der  Außenseite  nimmt  ein  Streifen  mit  fünf  Szenen  aus  dem  Leben 
Christi  ein.  Über  dieser  Bilderreihe,  eingeschlossen  von  zwei  gedrehten  Rund- 
stäben, ein  Ornamentstreifen;  ein  solcher,  aber  schmaler,  dient  auch  als  Ab- 
schluß des  figurierten  Hauptteilcs  nach  unten.  Fuß  und  Boden  sind  ebenfalls 
ornamentiert. 


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^6  EIN  SYHO-PALÄSTINENSISCHES  RÄUCHEK«EKASS. 


Das  Material  ist  helle  Bronze.  Die  figürlichen  Darstellungen  erscheinen 
im  Relief,  die  Ornamente  sind  nach  dem  Guß  durch  die  Punze  angebracht. 
Die  Höhe  des  Fasses  beträgt,  ohne  die  ösenansätze,  65  mm;  der  Durch- 
messer am  oberen  Rande  der  Öffnung  84  mm. 

Die  Erhaltung  zeugt  von  starker  Benutzung.  An  verschiedenen  Stellen 
ist  die  Bronze  durchgebrannt. 

Die  Reliefs  sind  stark  abgerieben,  sodaß  man  Einzelheiten,  wie  Gesichts- 
züge, Nimbierung  etc.  nicht  mehr  feststellen  kann. 

A.  Figürliche  Szenen. 

1.  Verkündigung  an   Maria. 

Maria  sitzt  en  face  mit  etwas  nach  links  ^)  gewendetem  Kopf.  Links  von 
ihr  steht  ein  geflügelter  Engel.    Einzelheiten  lassen  sich  nicht  mehr  erkennen. 

Der  syrisch-palästinensische  Typus  der  Verkündigungsszene  zeigt  Maria 
stets  beim  Spinnen  beschäftigt.  Die  Details  variieren,  insofern  Maria  in  einer 
Denkmälergruppe  steht,  während  sie  hier  auf  einem  Stuhl  zu  sitzen  scheint. 
Auf  den  mir  bekannten  Rauchfässern  ist  die  letztere  Variante  bevorzugt.  Sie 
stellt  sich  als  genaue  Illustration  der  betr.  Stelle  des  Protevangelium  Jacobi 
dar:  xal  Xaßoöaa  xtjV  Tzopcpjpav  JxiO-taev  inl  xoO  frpovou  (xbxffi  (c.  XI,  1).  In- 
folge der  Roheit  der  Technik  fehlen  natürlich  im  vorliegenden  Falle  alle 
Einzelheiten  in  der  Ausstattung  der  Szene.  Doch  wird  man  wohl  kaum 
fehl  gehen  in  der  Annahme,  daß  hier  ebenso  wie  auf  den  parallelen  Ver- 
kündigungsbildern die  Absicht  des  Künstlers  es  war,  die  spinnende  Maria  zu 
geben.  Rechts  von  der  hl.  Jungfrau  dient  ein  sehr  stark  stilisierter  Baum 
mit  lanzettförmiger  Krone  als  Abschluß  der  Gruppe.  Nach  der  angezogenen 
Stelle  des  Protevangelium  Jacobi  trifft  der  Engel  Maria  im  Innern  des  Hauses. 
Der  Baum  aber  soll  die  Begegnung  als  im  Freien  stattgefunden  bezeichnen. 
Es  ist  hier  eine  Vermischung  der  Örtlichkeiten  in  dem  Gedächtnis  des  aus- 
führenden Handwerkers  eingetreten.  Im  Anfang  des  2.  Kapitels  des  Prot- 
evangelium wird  von  zwei  unmittelbar  aufeinanderfolgenden  Verkündigungen 
erzählt.  Die  erste  erfolgt  an  der  Quelle,  zu  der  Maria,  um  Wasser  zu  schöpfen, 
geht;  daran  schließt  sich  sofort  eine  zweite  im  Innern  des  Hauses,  als  Maria 
mit  dem  Spinnen  der  Purpurwolle  beginnt. 

So  einfach  diese  Szene  an  sich  ist,  zeigen  die  verschiedenen  Exemplare 
in  der  Ausführung  doch  mancherlei  kleine  Unterschiede. 

Nur  einmal  ist  Maria  stehend,  mit  dem  Purpurwollenfaden  in  der  Hand, 
dargestellt  (Nr.  10  2).  Die  Kathedra  der  sitzenden  Maria  wird  auf  den  Parallelen 
nur  zweimal  sichtbar  (Nr.  2,  12),  gewöhnlich  wird  sie  fortgelassen.  —  Die 
Stellung  des  Engels  wechselt  zwar  auch,  doch  wird  das  Herannahen  von  links 
bevorzugt.  Auf  der  rechten  Seite  erscheint  er  nur  dreimal  (Nr.  1,  7,  10). 
Auf  zwei  Fässern  läßt  sich  ein  Stab  in  der  Hand  Gabriels  erkennen  (Nr.  2,  10). 

1)  Links  und  rechts  vom  Beschauer  aus. 

2»  Die  Nummern  beziehen  sich  auf  die  am  Schlüsse  eingeschaltete  Tabelle. 


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VON  OrrO  PELKA.  *^' 

2.  Geburt   Christi. 

Das  Lager  des  Christuskindes  wird  von  zwei  Säulen  mit  stark  defor- 
mierten korinthischen  Kapitellen  getragen.  Darüber  die  Köpfe  von  Ochs  (1.) 
und  Esel  (r.).  Links  Josef  in  langer  Tunika  und  Pallium,  anscheinend  sitzend. 
Sein  rechter  Arm  ruht  auf  dem  Schöße,  der  linke  stützt  den  Kopf.  Auf  der 
rechten  Seite  der  Krippe  ist  Maria  liegend  dargestellt.  Eine  Andeutung  der 
Bettstatt  fehlt;  wie  denn  überhaupt  der  Verfertiger  dieses  Stückes  darauf 
verzichtet,  die  Sitzgeräte  zu  kennzeichnen,  so  daß  man  nur  aus  den  Parallelen, 
und  aus  der  auch  nur  sehr  dürftig  angedeuteten  Körperhaltung  imstande  ist, 
einen  Schluß  auf  die  Art  der  in  der  Darstellung  beabsichtigten  Bewegungs- 
oder Ruhemomente  zu  ziehen. 

Die  Geburtsszene  findet  sich  auf  sämtlichen  übrigen  Gefäßen.  Wie  bei 
der  Verkündigung,  so  zeigen  auch  hier  die  einzelnen  Stücke  Abweichungen 
voneinander.  Die  gewöhnliche  Anordnung  ist  dieselbe  wie  auf  dem  Nürn- 
berger Faß:  In  der  Mitte  der  Szene  die  Krippe  mit  dem  Kinde,  darüber  die 
Köpfe  von  Ochs  und  Esel;  zu  beiden  Seiten  Maria,  auf  einem  oval  geformten 
Bett  liegend,  und  Josef  stets  sitzend.  Die  Örtlichkeit,  an  der  der  Vorgang  sich 
abspielt,  wird  durchgängig  nicht  spezialisiert,  mit  einer  Ausnahme  (Nr.  9),  die 
im  Anschluß  an  das  Protevangelium  Jacobi  und  Pseudo-Matthäus^),  eine  Höhle 
andeutet.  Änderungen  des  Grundschemas  der  Komposition  treten  ein  durch 
das  Fortlassen  der  Figur  des  Josef  (Nr.  3,  13).  Auf  dem  letztgenannten 
Stück  wurde  durch  die  Einbeziehung  der  Hirten-  und  Magieranbetung  aus  räum- 
lichen Gründen  die  Übereinanderstellung  der  Lagerstätten  von  Mutter  und 
Kind  notwendig. 

3.  Taufe  Christi. 

Christus  steht  anscheinend  unbekleidet  bis  zu  den  Knieen  im  Wasser, 
links  daneben  Johannes,  bekleidet  mit  Tunika  und  Pallium ;  er  legt  die  Rechte 
auf  das  Haupt  des  Täuflings;  zur  Rechten  Christi  ein  Engel,  bekleidet,  soweit 
sich  erkennen  läßt,  wie  der  Täufer,  hält  in  seiner  erhobenen  Linken  einen 
länglichen  Gegenstand,  dessen  Bedeutung  ich  nicht  zu  ermitteln  imstande  bin, 
der  aber  sicher  nichts  mit  dem  in  der  Hand  des  assistierenden  Engels  sonst 
ausnahmslos  üblichen  Tuche  zu  tun  hat.  Denkbar  wäre  es  vielleicht,  daß 
ein  verunglückter  Versuch  des  Modelleurs  vorliegt,  den  Engel  geflügelt  dar- 
zustellen. —  Über  dem  Haupte  Christi  ist  eine  längliche  Erhöhung  angebracht, 
deren  Umrisse  so  unklar  sind,  daß  die  Deutung  auf  die  Taube  nur  aus  den 
parallelen  Taufdarstellungen  gewagt  werden  kann.  Ein  Baum  links  deutet  die 
Landschaft  an. 

Dieser  Typus  erfährt  in  der  Gesamtanordnung  auf  den  übrigen  Rauch- 
fässern keine  Änderung.    Eines  der  Berliner  Exemplare  (Nr.  9)  hat  zwei  Engel. 

3)  Protev.  Jac.  XVII,  3  bis  XVII,  1:  xai  rjXSoy  ev  rrj  fiior^  odw^  xai  etxev  avrio 
MocQidfi'  xarayuye  juie  dxo  rij^  ovov,  ort  ro  ey  ifioi  exeiyei  fie  XQoeXSeiy.  xai  xariijyayev 
avripf  dxo  rfjg  oyov^  xai  etjtev  avrf/'  jrov  Oe  axd^ta  xai  Oxixdöca  öoü  rijv  döxrjuoövvrjv ;  ort  6 
TÖJtog  ügijiJLog  eOriv,  xcu  ev^ev  OxijXaiov  exei  xai  eiö^ayev  avrijy, 

Ps.-Matth.  Xni :  iussit  angelus  stare  iumentum,  quia  tempus  advenerat  pariendi ;  et 
praecepit  descentlerc  de  animali  Mariam  et  ingredi  in  speluncam  subterraneam. 


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88 


EIN  SYRO-PALÄSTINENSISCHES  RÄUCHERGEFÄSS. 


4.   Kreuzigung. 

Christus  am  Kreuz,  ^angetan  mit  dem  Colobium ;  die  Beine,  nebeneinander 
gestellt,  reichen  bis  zum  Erdboden;  Die  Kreuzesarme  werden  nicht  sichtbar. 
Unter  dem  Querbalken  links  Maria  (?),  rechts  Johannes  {>)\  neben  dem  Kopf 
Christi  über  den  Enden  des  Horizontalbalkens  als  zwei  runde  Scheiben,  Sonne 
und  Mond,  die  aber  durch  den  Gebrauch  so  abgeschliffen  sind,  daß  Einzel- 
heiten nicht  zu  erkennen  sind. 

Es  ist  diese  Szene  ein  Beispiel  für  den  »Haupttypus  der  morgenlän- 
dischen Kreuzigungsdarstellung.«*)  Auf  sämtlichen  Beispielen  des  vorliegenden 
Gefäßtypus  bemerkt  man  die  Bevorzugung  der  »historischen«  Auffassung  für 
die  bildliche  Wiedergabe  der  Kreuzigungsszene.  Christus  ist  nie  allein;  ent- 
weder die  zwei  Schacher,  oder  Maria  und  Johannes  stehen  ihm  zur  Seite, 
einigemale  sogar  die  vier  genannten  Personen  gleichzeitig  (Nr.  7,  11,  12);  nie- 
mals fehlen  Sonne  und  Mond  über  den  Enden  des  Querbalkens. 

5.  Auferstehung. 
In  der  Mitte  das  Grab,  ein  anscheinend  auf  vier  Säulen  oder  Pilastem 
ruhender,  über  einem  niedrigen  Postament  sich  erhebender  Bau  mit  einem 
durch  ein  Zickzackornament  verzierten  Architrav  und  einem  Dach,  das  in 
seiner  Zeltform  mit  der  »gleichsam  gedrehten  Spitze  mit  krönender  Blume«**) 
an  Architekturen,  wie  das  sogenannte  Grabmal  des  Absalom  •),  erinnert.  Links 
vom  Grabe  der  geflügelte  Engel  in  sitzender  Stellung;  auf  der  anderen  Seite 
Maria  ^j  die  Mutter  des  Herrn,  bekleidet  mit  langer  Tunika  und  Palla.  Ob 
sie  etwa,  wie  sonst  üblich,  ein  Salbgefäß  trägt,  ist  infolge  der  nachlässigen 
Modellierung,  nicht  ersichtlich. 

B.  Ornamente. 

Eine  ornamentale  Verzierung  findet  sich  bei  unserem  Rauchfaß,  wie 
bereits  erwähnt,  auf  den  schmalen  Bändern,  die  den  Bildstreifen  oben  und 
unten  begrenzen;  ferner  auf  der  Außenseite  und  am  Boden  des  Fußes.  Die 
Übereinstimmung  dieser  Omamentation  mit  Motiven,  wie  sie  sich  an  syrischen 
Architekturen  und  auf  Miniaturen  des  gleichen  Ursprunges  finden,  legt  es 
nahe,  die  Provenienz  auch  dieses  Rauchfasses   aus  Syrien  als   ziemlich  sicher 


4)  Vgl.  Reil,  Die  frühchristlichen  Darstellungen  der  Kreuzigung  Christi  (Studien 
über  Christliche  Denkmäler,  herausgeg.  von  Johannes  Ficker.  Heft  2).  Leipzig,  1904. 
S.  94.  —  A.  a.  O.  S.  95  und  S.  96  redet  Reil  mit  Bezug  auf  zwei  dieser  Rauchfasser  von 
»Pyxiden«,  eine  Bezeichnung,  die  unzutreffend  ist,  da  man  allgemein  in  der  Terminologie 
der  christlichen  Archaeologie  unter  Pyxis  einen  runden  Behälter  versteht,  der,  mit  oder 
ohne  Deckel,  zur  Aufbewahrung  der  Hostie,  von  Reliquien  oder  höchstens  von  Schmuck- 
sachen verwendet  wurde. 

5)  von   Sybel,   Weltgeschichte   der   Kunst   im  Altertum.    Marburg   1903.    S.  393. 

6)  Abb.  z.  B.  Herders  Bilderatlas  zur  Kunstgeschichte.  Freiburg  1906.  Taf.  VII, 
Nr.  4.  Die  Entstehung  dieses  Bauwerkes  läßt  sich  nicht  sicher  fixieren.  Wahrscheinlich 
gehört  es  dem  ersten  nachchristlichen  Jahrhundert  an. 

7)  Über  die  Zahl  der  Frauen  vgl.  Stuhl fauth,  Die  Engel  in  der  altchristlichen 
Kunst.     Freiburg  1897.     S.  137  f. 


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VON  OTTO  PELKA. 


89 


hinzustellen.  Wenn  andererseits  der  gleiche  Typus  dieser  Fässer  auch  in  Süd- 
rußland vorkommt,  so  erklärt  sich  dies  leicht  durch  die  Tatsache,  daß  im 
VI.  Jahrhundert  bereits  Einflüsse  syrischer  Kunst  auf  Armenien  zu  konstatieren 
sind.®)  Daß  solche  Massenartikel  wie  die  Rauchfässer  dann  durch  Vermittelung 
armenischer  Händler  ihren  Weg  nach  der  Krim  gefunden  haben,  ist  nicht 
weiter  verwunderlich. 

Das  Ornament  des  oberen  Randstreifens  wird  von  zwei  Rundstäben  ein- 
gefaßt; es  besteht  aus  einer  Folge  von  horizontal  gelegten  gleichschenkeligen 
Dreiecken  mit  konkav  gebogenen  Schenkeln  und  sphärischer  Basis,  die  so 
angeordnet  sind,  daß  die  Spitze  des  einen  die  Mitte  der  Grundlinie  des 
nächsten  berührt.  Zu  beiden  Seiten  dieses  mittleren  Dreieckstreifens  liegen 
halbe  Dreiecke  von  gleichem  Aussehen  symmetrisch  gegenübergestellt,  so  daß 
die  Ecken  zweier  von  ihnen  dem  Berührungspunkt  von  zweien  der  Mittelreihe 
anliegen. 

Dieses  Motiv  ist  in  Syrien  sehr  beliebt.  Es  findet  sich  in  den  ver- 
schiedensten Abwandelungen.  Die  einfachste  Form  zeigt  nebeneinandergesetzte 
gleichseitige  Dreiecke.  (Großes  Pyramidengrab  von  El-Barah;  5.  Jahrhundert. 
Vgl.  De  Vogü6,  Syrie  centrale,  pl.  76).  In  Qal*at  Sim*an  erscheinen  die  Drei- 
ecke wie  ineinandergesteckt,  sodaß  eine  Kette  von  Trapezen  übrig  bleibt. 
(Vgl.  De  Vogü^,  a.  a.  O.  pl.  146.  147,  2.  148.  Wohl  schon  aus  der  1.  Hälfte 
des  VI.  Jahrhunderts).  Bereits  in  der  paganen  Architektur  tritt  dieses  Motiv 
auf,  an  einem  Tor  des  Tempels  in  Suw^dä  aus  den  letzten  Jahren  des  ersten 
vorchristlichen  Jahrhunderts  oder  spätestens  vom  Beginn  der  christlichen 
Ära  (Part  II  of  the  Publications  of  an  American  Archaeological  Expedition  to 
Syria  in  1899—1900.  Architecture  and  other  Arts  by  H.  C.  Butler.  New 
York  1904,  S.  332,  334).  Doch  läßt  sich  hier  bereits  eine  Abzweigung  von 
dem  geometrischen  Grundmotiv  erkennen,  die  zur  Umwandlung  in  ein  rein 
vegetabiles  Ornament  führt.  Die  Grundlinie  ist  gebrochen,  so  daß  aus  dem 
Dreieck  eine  Art  herzförmigen  Blattes  geworden  ist.  Eine  weitere  Teilung 
der  Grundlinie  in  drei  Spitzen  oder  Lappen  sieht  man  auf  einem  sassa- 
nidischen  Kapitell  aus  Ispahan,  dessen  Entstehung  Strzygowski  (Jahrbuch  der 
K.  Preuß.  Kunstsammlungen  Bd.  XXV.  1904.  S.  354,  Abb.  117a)  spätestens  in 
das  4.  Jahrhundert  datiert.  Den  gleichen  Schmuck  tragen,  in  durchbrochener 
Arbeit,  die  großen  Rosetten  der  Mschattafassade.  Einer  eigenartigen  Variation 
dieser  Ornamente  begegnet  man  auf  den  Kanonesbögen  der  Rabulas-Hand- 
schrift  vom  Jahre  536.  Dort  sind  die  Seiten  S-förmig  gewunden,  sodaß  der 
Eindruck  einer  blattartigen  Verzierung  erreicht  wird.  Ich  bin  überzeugt,  daß 
alle  diese  Verschiedenheiten  in  der  Auffassung  auf  die  eine  Grundform  der 
Dreieckstreifen  mit  geraden  Seiten  zurückzuführen  sind.  Auf  den  späteren 
Denkmälern  hat  sich  der  Charakter  des  Motivs  unter  der  Hand  verständnis- 
loser Nachahmer  völlig  gewandelt.  Ursprünglich  als  steigendes  Ornament 
gedacht,   und    infolgedessen  nur   für   vertikale  Flächen  verwendet,    geht   man 

8)  Vgl.  Strzygowski,  Byzantinische  Denkmäler  I.  Das  Etschmiadzin-Evangeliar. 
Wien  1891.     S.  81  ff. 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Natiunalmuseum.    1906.  12 


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90 


EIN  «YRO-PALÄSTINENSISCHES  BÄUCHKKüKFÄSS. 


später  dazu  über,  auch  horinzontales  Gebälk,  ja  sogar  wie  bei  Rabulas  Rund- 
bögen damit  zu  verzieren.*) 

Das  untere  Ende  der  Bildreihe  schließt  ein  schmaler  Streifen  mit  Zick- 
zackornament und  eingeschlossenen  Kreispunkten  ab.  Während  das  eben 
beschriebene  Motiv  auf  den  mir  bekannten  Räuchergefäßen  nicht  wieder  vor- 
kommt, wiederholt  sich  dieses,  entsprechend  seiner  sonstigen  Beliebtheit, 
einigemale  (Nr.  2.  7).  Ein  spezifisch  syrisches  Muster  ist  der  Zickzack  nicht. 
Soweit  ich  sehen  kann,  hat  man  ihn  in  der  Architektur  außer  in  der  späteren 
sassanidisch  beeinflußten  Fassade  von  Mschatta  alsVerzierung  von  Einzel- 
teilen nicht  verwendet.  Dagegen  findet  er  sich  im  syrischen  Evangeliar  der 
Laurenziana  des  öfteren.*^) 

Den  Fuß  des  F^asses  bedeckt  eine  Palmettenranke,  die  sich  aus  einer 
Wellenlinie  entwickelt,  von  der  sich  Halbpalmetten  nach  beiden  Seiten 
abzweigen.  Das  Auftreten  dieses  Ornamentes  gibt  einen  Anhalt  für  die 
Datierung  des  Rauchfasses.  Strzygowski  ^  ^)  betont,  daß  »in  Syrien  weder  in 
Baalbek,  Dscherasch,  Palmyra,  noch  in  (Spalato  und)  Jerusalem,  noch  auch 
in  dem  christlichen  Kirchenbau  des  antiochenisch-nordsyrischen  Kreises  irgend 
eine  Spur  dieser  Art  vorliegt.«  Ich  kann  hier  nicht  den  ganzen  Beweisgang 
Strzygowskis  wiederholen.  Nur  das  eine  sei  hervorgehoben,  daß  es  ihm  ge- 
lungen ist,  einen  Kreis  von  Denkmälern  aufzuzeigen,  »die  Persien  und  das 
Zweistromland  als  die  Heimat  jener  Ornamentik  nachweisen,  die  sich  auf  die 
Palmette  als  Hauptmotiv  stützt.«  Das  früheste  jener,  von  Strzygowski  heran- 
gezogenen Denkmäler  datiert  wahrscheinlich  aus  dem  Jahre  651 — 652.  Die 
weiteren  Beispiele  entstanden  in  den  Jahren  832—840  und  sind  altarabischen 
Grabsteinen  in  Kairo  entnommen.*^)  Bedenkt  man,  daß  immerhin  einige 
Zeit  vergehen  mußte,  ehe  der  arabischen  Kunst  diese  Ornamentik  so  ge- 
läufig werden  konnte,  daß  sie  allgemein  verwendet  wurde,  so  geht  man  wohl 
nicht  fehl,  wenn  man  die  Herstellung  des  vorliegenden  und  die  der  übrigen 
damit  verwandten  Gefäße  frühestens  in  die  2.  Hälfte  des  VII.  Jahrhunderts, 
spätestens  in  die  1.  Hälfte  des  VIII.  Jahrhunderts  setzt. 

Die  Bodenfläche  zeigt  auf  punktiertem  Grunde  eine  achtteilige  Rosette  *•) 
mit  8  halbovalen  Blättern  am  Rande.  Dieselben  Blattovale  in  der  gleichen 
Zahl  sind  am  Innenrande  des  Bodens  angebracht. 

Ich  schließe  ein  Verzeichnis  der  mir  bis  jetzt  bekannt  gewordenen 
Räuchergefäße  des  vorliegenden  Typus  an,  indem  ich  gleichzeitig  die  Reihen- 

9)  Eine  von  Nesbitt  als  ägyptisch  bezeichnete  Glasmosaikscheibe  lAbb.  Catalogue 
of  the  collection  of  glass  formed  by  Felix  Slade.  London  1871.  PL  IV,  7),  die  das 
Ornament  in  vegetabiler  Umformung  zeigt,  dürfte  wohl  eher  dem  nordsyrischen  Kunst- 
kreise zuzuschreiben  sein. 

10)  Garrucci,  Storia  dell'arte  cristiana  Tay.  135,  2;  138,  2. 

11 1  Jahrbuch  d.  preuß.  Kunsts.  -25,  S.  282  ff. 

12)  A.  a.  O.  S.  283. 

13)  Abb.  s.  Taf.  II,  2. 


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VON  ÜlTÜ  PELKA 


91 


folge    der  Szenen   in    tabellarischer  Übersicht   gebe.     Die   Anordnung   erfolgt 
nach  der  Anzahl  der  Szenen. 


IVcrkün- 
a.  Mana 


Heim- 
suchung 


^t''- .  ^^'.r- '  T.uf.  'iS7/;3!l  'S-  AU'-  ."Ke>i".-' 


Geburt  i     der     j     der        Taufe     in  Jeru 


Hirten  1  Magier 


.iem!-«-8    »tehung   Th?™.,     '»"r« 


biger 


Berlin,  Kaiser 
Frdr.-Museum  ") 


2. 
3. 

4. 

5. 

6. 

7. 
8. 

9. 
10. 

11. 


Berlin,   K.  F.-M. 

London ,  British 
Museunn'*).  .  .  . 
Nürnberg,  Germ. 
Museum'*).  .  .  . 
Berlin,  Sammlung 

Sarre 

St.    Petersburg, 
Ermitage*')  .  .  . 


Berlin,  K.  F.-M. 


_    I     2    I    -        - 

—  2        —       — 

—  2        —        - 

—  :   2 

2 


3        — 


I 


3        — 


2 


Konstantinopel, 

Slg.  Ledoulx'")   .       1 


Berlin,   K.  F.-M. 


I 


Paris,  Sammlung 
Carrand")  .... 

Berlin,  K.  F.-M. 
Odessa,  Mus.*') 


12 

13.  Odessa,  Mus.'«) 


1 

2 

1  1 

2 

1 

2 

1 

2 

,     4 

1 

3 

1 

2 

3  -        — 

3        —        — 


-        —         3 


4        —         5^ 

3  4        — 

~       1 

o        I  Hirt  a. 
^       d.   Felde      — 
m.Tieren 

4  i     3         5 


3 

3 

3 
4 

4 
4 

5 

7 
6 


4 

4 

4 
5 

5 
6 

6 

5 

7 


5 

5 

5 

5 
6 

6 

7 

7 
6 


8  —     ;     — 


14)  Die  Nummern  1,  2,  5,  6,  7,  9,  11  sind  noch  nicht  publiziert. 

15)  Abb.:  Catalogue  of  Early  Christian  Antiquities  and  objects  from  the  Christian 
East  in  the  Department  of  British  and  mediaeval  Antiquities  and  Ethnographie  of 
the  British  Museum  by  O.  M.  Dalton.  London  1901.  Nr.  540.  S.  107  f.  Daselbst  die 
sonstige  Literatur. 

Fundort:  Kloster  Mar  Muza  el  Habashi  zwischen  Damaskus  und  Palmyra. 

16)  Abb.  s.  Taf.  I— II.     Fundort  unbekannt.     Erworben  1889  in  Bologna. 

17)  Beschrieben  von  Kondakoff,  Ermitage  Imperial.  Guide  pour  la  partie  du 
moyen  äge  et  de  la  Renaissance.  Petersburg  1891,  S.  233  (Russisch).  Erwähnt  von 
P6trid6s  in  den  Echos  d'Orient  VII.     1904.     S.  151. 

Fundort:  Sudaka  (Sugdaea)  in  der  Krim. 

18)  Abb. :  Echos  d'Orient  VII.  1904 :   Pdtridös,  Un  encensoir  syro-byzantin.  S.  149, 150. 
Fundort:  Kloster  in  Midiat,  s.-ö.  von  Diarbekr. 

19)  Abb.:   M^langes  d'Arch^ologie  III.     Paris  1853.     S.  20,  21.     Fundort  unbekannt. 

20)  Abb.:  Rohault  de  Fleury,  La  Messe.    PI.  CDXVI.     Fundort:  Krim. 


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92  EIN  SYRO-PALÄSTINENSISCBES  RÄUOHERGEFÄSS. 


Die  Reihenfolge  der  biblischen  Szenen  auf  den  Denkmälern  deckt  sich 
mit  der  geschichtlichen  Folge;  nur  zweimal  kommt  es  zu  einer  Umstellung. 
Auf  dem  Petersburger  Rauchfaß  (Nr.  6)  ist,  vorausgesetzt,  daß  die  Beschrei- 
bung nicht  irrt,  die  Heimsuchung  vor  die  Geburt  gesetzt.  Ich  glaube  in 
diesem  Falle  aber  eher  ein  Versehen  Kondakoffs»  annehmen  zu  dürfen,  der 
bei  der  im  allgemeinen  schlechten  Erhaltung  der  Gefäße  sehr  leicht  dazu 
kommen  konnte  eine  Verkündigung  für  die  Heimsuchung  zu  halten.  Bei 
dem  von  Fleury  publizierten  Stück  aus  dem  Museum  in  Odessa  dagegen, 
liegt  die  Sache  etwas  anders.  Dort  ist  die  Vernachlässigung  der  Chronologie 
bei  weitem  erheblicher,  wie  aus  der  Tabelle  hervorgeht.  Ich  vermute,  daß 
diese  totale  Änderung  der  Szenenfolge  hier  nicht  mit  der  Annahme  künstle- 
rischer Freiheit  oder  handwerklicher  Willkür  allein  erklärt  ist.  Meines  Er- 
achtens  dürfte  diese  überraschende  Inversion  vielleicht  auf  Eigentümlichkeiten 
der  am  Benützungsort  bestehenden  Liturgie  zurückzuführen  sein.  Einen  Beweis 
für  diese  Vermutungen  zu  bringen,  vermag  ich  mangels  jeglichen  Materiales 
nicht. 

Auf  eine  Eigentümlichkeit  des  Pariser  Exemplares  (Nr.  10)  möchte  ich 
schließlich  noch  aufmerksam  machen.  Dort  ist  die  Episode  vom  ungläubigen 
Thomas  zwischen  Heimsuchung  und  Geburt  eingeschoben.  Cahier  a.  a.  O. 
S.  21*^)  versucht  eine  Erklärung,  die  mich  indes  nicht  ganz  plausibel  dünkt. 

21)  »Comme  cela  se  trouve  prt^cis^ment  ä  l'opposite  de  l'Ascension,  il  est  fort 
probable  qu'on  l'aura  fait  ä  dessein  pour  donner  k  un  mystfere  glorieux  le  centre  (ä  peu 
prfes)  de  chacune  des  deux  faces.« 


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BILDER  AUS  DEM  KINDERLEBEN  IN  DEN  DREISSIGER  JAHREN 
DES  SECHZEHNTEN  JAHRHUNDERTS. 

VON  HEINKICH  flKKRWA(iKN. 

Mit  seinem  »Kinderleben  in  der  deutschen  Vergangenheit«  ^)  hat  Hans 
Boesch  eines  der  reizvollsten  Kapitel  der  Kunde  von  deutscher  Art 
aufgegriffen  und  in  behaglicher  Folge  launige  und  ernsthafte  Bilder  vom  Tun 
und  Treiben  jener  kleinen  Welt  inmitten  so  mancher  Wandlungen  deutschen 
Geistes  und  Gemütes  vor  uns  ausgebreitet.  Eine  bunte  Menge  von  köst- 
lichen, unmittelbarsten  Zeugnissen,  mit  dem  Bienenfleiß  des  belesenen  Ver- 
fassers unter  Beihilfe  eines  beneidenswerten  Gedächtnisses  aus  mannigfachem 
Schrifttum  zusammengetragen  und  gesichtet,  lieferte  dem  gemütvollen  Schil- 
derer die  Bausteine  für  sein  anziehendes  Werk. 

Natürlich  konnte  es  des  Verfassers  Absicht  nicht  sein,  alle  erreichbaren 
Quellen,  all  die  unterschiedlichen  Rüstkammern  unseres  Museums  zu  er- 
schöpfen. Keinen  Augenblick  verhehlte  er  sich,  welcher  Ergänzung  die  von 
ihm  für  sein  Thema  gebrachten  Unterlagen  noch  fähig  wären,  wie  viel  vor 
allem  noch  aus  vergilbten  Blättern  in  Archiven  und  Bibliotheken  geholt 
werden  konnte.  Was  weiter  ungenutzt  am  Wege  liegen  mochte,  mußte  er 
dem  überlassen,  dem  von  ungefähr  jene  Ährenlese  zufiel. 

Eine  solche  Nachlese  soll  auf  den  folgenden  Blättern  versucht  werden, 
indem  wir  hier  aus  den  Aufzeichnungen  des  bekannten  Nürnberger  Humanisten 
Dr.  Christof  Scheurl*)  in  seinem  Schuld-  und  Rechnungsbuch^  dies 

1)  Monographien  zur  deutschen  Kulturgeschichte,  hrsg.  v.  Gg.  Steinhausen,  Bd.  V. 

2)  Allgemeine  deutsche  Biographie,  Bd.  XXXI,  S.  145—154.    (Mummenhoff). 

3)  Frhrl.  von  Scheurl'sches  Familienarchiv  im  Germanischen  Nationalmuseum. 
Dem  schlichten,  übrigens  auch  nicht  erschöpfenden  Titel  [»Dr.  Ch.  Scheurl.  Schuld  und 
Rechnungsbuch  =  Christof  III.  Familienbuch  1543—1592«],  den  das  aufgeklebte  Rücken- 
schildchen  dem  stattlichen  Folianten  (379  El.  in  hübsch  gepreßtem  Pergament-Einband 
mit  Ecken  und  Schließen)  gibt,  ist  es  zuzuschreiben,  wenn  der  reiche  Inhalt,  dessen 
Lektüre  uns  die  intimsten  Einblicke  in  ein  Nürnberger  Bürgerhaus  des  16.  Jahrhunderts 
gewährt,  soweit  wir  sehen,  nirgends  noch  ans  Licht  gezogen  erscheint.  Das  Buch  ist 
noch  von  Dr.  Christof  selbst  mit  der  Nummer  275  und  der  Bezeichnung 

•  Georgias  Schewrl 
19.  april:  1532« 


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94 


BILDER  ALS  D.  KINDKRLEBEN  IN  DEN  ÜREISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 


und  jenes  herausholen,  was  dort  urplötzlich  zwischen  trockenen  geschäftlichen 
Notizen  aller  Art  sich  einschob,  wenn  der  so  vielfach  in  Anspruch  genommene 
Mann  wieder  einmal  den  frohen  Weg  von  seinem  stillen  Schreibtisch  hinüber 
zur  Kinderstube  in  dem  geräumigen  Hause  der  Scheurl  unter  der  Veste*) 
gefunden  hatte. 

Eine  regelrechte  Hauschronik  zu  begründen,  war  bei  Anlage  dieses 
Buches  zunächst  nicht  in  Aussicht  genommen.  Die  Aufnahme  jedes  kleinsten 
Postens  in  dasselbe  sollte  dem  Besitzer  für  die  Überschau  von  Soll  und 
Haben  die  nötigen  zahlenmäßigen  Unterlagen  zusammenhalten,  im  Falle  plötz- 
lichen Ablebens  des  Buchführenden  den  Vermögensstand  der  Familie  klar 
ausweisen*).  In  der  Tat  nehmen  denn  auch  die  gewissenhaften  Eintragungen 
jeder  Einnahme  und  Ausgabe,  die  Angaben  über  den  Vermögenszuwachs  aus 
dem  Gewinn  bei  Handelsunternehmungen,  sowie  durch  den  Anteil  der  Familie 
an  der  Bergwerksausbeute  von  Annaberg,  Joachimstal  und  Schlaggenwald 
einen  gar  breiten  Raum  ein. 

Zum  Teil  nun  in  Zusammenhang  mit  diesen  rein  wirtschaftlichen  Auf- 
stellungen, teils  nur  lose  mit  ihnen  verknüpft,  treten  uns  wiederholt  an- 
sprechende Niederschriften  über  das  Mancherlei  des  täglichen  Lebens  ent- 
gegen, die  als  willkommene  Beiträge  zur  Erkenntnis  der  Lebenshaltung  einer 
in  günstigsten  Verhältnissen  lebenden  reichsstädtischen  Bürgerfamilie  in  der 
ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  bezeichnet  werden  dürfen.  Mit  Stolz  er- 
gänzt der  Herr  des  Hauses  jeweils  das  Inventar  desselben.  An  der  Hand 
dieser  regelmäßigen  Aufzeichnungen  läßt  sich  genauestens  verfolgen,  wie  das 
Haus  sich  füllt  mit  köstlicher  Habe,  findet  sich  doch  jedes  einzelne  Stück, 
mochte  es  jeweils  mit  Bedacht  gekauft,  oder  durch  Gunst  der  Fürsten  und 
Großen  dem  gelehrten  Manne  zugefallen  sein,  an  seiner  Stelle  sorgsam  ge- 
bucht vor*).  Aber  auch  über  den  Kaiser  Karl  V.,  über  verschiedene  Fürst- 
lauf der  unteren  Schmalseite  des  Schnitts)  versehen  worden.  Die  Innenseite  des  Deckels 
und  beide  Seiten  des  Vorsatzblattes  füllen  Sprüche  aus  der  Bibel  und  den  Kirchenvätern. 
Christof  ni.,  der  in  der  Folge  dies  »gehaimbuch«  if.  260)  seines  Vaters  fortsetzte,  hat 
diesen  Aufzeichnungen  dann  den  Namen  »Christof  Scheurl-Buch«  gegeben.  Ein  Eintrag 
des  Sohnes  meldet  f  257  b  unmittelbar  unter  Dr.  Christofs  letzten  Eintrag  vom  19.  Mai  1542 
den  am  14.  Juni  desselben  Jahres  erfolgten  Tod  des  Vaters.  Auf  einem  folgenden,  sonst 
leer  gebliebenen  Blatt  hat  Christof  III.  sein  Exlibris  angebracht.  Folgen  fol.  258  f  allerlei 
Sprüche.  259a:  »Alhi  fecht  sich  Christof  Scheurls  Buch  an.«  Darnach  weitere  Sentenzen. 
260:  Vorrede  und  Programm,  d.  d.  1579,  4.  Jan.,  auf  des  Vaters  Einträge  bezugnehmend. 
261  ff.:  Nachrichten,  mit  dem  Jahre  1543  anhebend  und  die  spätere  Jugendzeit  Chr.  III. 
schildernd.  Ab  Fol.  318  a  eine  zweite  Fortsetzung  (1592—1603)  von  der  Hand  des  Hans 
Christof  Scheurl,  eines  Enkels  von  Dr.  Scheurl. 

4)  Heute:  Burgstraße  Nr.  10.  Das  Haus  befindet  sich  seit  1486  (ununterbrochen)  in 
Scheurl'schem  Besitz. 

5)  Fol.  la:  »all  mein  vermögen,  einnemen,  ausgeben  und  handlung  ordenlich  zu 
schreiben,  künftig  irrung  nach  meinem  tod  zufurkummen.« 

6)  Unter  diesen  Einträgen  über  angekaufte  oder  geschenkt  erhaltene  Gegenstände 
begegnet  uns  so  mancher  Künstlername  jener  Zeit,  manche  für  die  Geschichte  der  Kunst 
und  des  Kunstgewerbes  nicht  uninteressante  Angabe.  Ich  behalte  mir  vor,  meine  dies- 
bezüglichen Auszüge  an  dieser  Stelle  gelegentlich  im  Zusammenhange  zu  bringen. 


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VON  HEINRICH  HEBBWAGEN. 


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lichkeiten,  Adelige,  Mitbürger  ic.  fällt  dann  und  wann  ein  Wort,  städtische 
wie  Reichs- Angelegenheiten  kommen  vielfach  zur  Sprache.  Nicht  selten  findet 
eine  »neue  Zeitung«  ihr  Plätzchen  im  Familienbuch.  Ein  frommer  Geist  geht 
durch  das  Ganze  und  offenbart  sich  stets  aufs  neue  durch  eine  Fülle  von 
eingestreuten  Worten  der  hl.  Schrift  und  der  Kirchenväter.  Dem  Aberglauben 
der  Zeit  huldigt  die  Unzahl  der  Mitteilungen  von  Prophezeiungen  (iudicia), 
die  dem  Doktor  und  zuvor  seinem  Vater  auf  deutschem  und  wälschem  Boden 
zuteil  geworden  sind  und  hier  nun  mit  einer  für  unser  Gefühl  etwas  be- 
fremdlichen Sorgfalt  aufgezeichnet  erscheinen. 

Das  Ansprechendste  unter  dem  allem  bleiben  jedoch  die  von  Zeit  zu 
Zeit  immer  wieder  auftauchenden,  von  einem  glücklichen  Vater  mit  sicht- 
lichem Behagen  ausgemalten  Genrebildchen  aus  der  Kinderstube,  die,  wenn 
auch  der  treuherzige  naive  Ton  des  großen  Kinderfreundes  Martin  Luther^) 
nicht  getroffen  ist,  doch  durch  unwiderstehliche  Einfalt  und  ergötzliche  Un- 
mittelbarkeit gewinnen. 


7)  Verf.  erinnert  an  den  bekannten  Brief  des  Reformators  an  sein  Söhnlein 
Hänsichen  (abgedruckt  bei  Köstlin,  Martin  Luther,  4.  Aufl.  Bd.  IL  Beriin  1889,  S.  214 
— 215,  bei  de  Wette  und  Seidemann,  Briefe,  Sendschreiben  und  Bedenken  Luthers: 
I.  41  f.). 

Zur  Veranschaulichung  der  Scheurl'schen  Genealogie,  soweit  ihre  Kenntnis  hier 
vorausgesetzt  werden  muß,  bringe  ich  diesen  Stammbaum: 

Christof  I.  Scheurl, 

1457—1519. 

Gem.:  Helena  Tucher. 


Dr.  Christof  II. 
Ratskonsulent    und    kais. 

Rat  in  Nürnberg, 
geb.  1481,    11.  November, 

t  1542,  14.  Juni. 

Vermählt  1519, 

29.  August  mit 

Katharina    Fütterer 

(T.  des  Ulrich  F.  und  der 

Ursula   F.,   geb.   Behaim), 

geb.  1491,  10.  August, 

t  1543,  12.  Februar. 


Albrecht  V. 
t  1531  durch  Meuchel- 
mord, hinterläßt  einen 
Sohn,  Albr.   VI.,  und  fünf 
Töchter. 


Kinder  außer  3  Söhnen  und  3  Töchtern,  die  alle  bald  nach  der  Geburt  verstarben: 


Georg  (Jörg), 

geb.  1532,  19.  April, 

t  1602,  11.  November. 


Hier  onymus, 

geb.  1533,  19.  März, 

t  1533,  23.  März. 


Christof  IIL, 

des  hl.  Rom.  Reichs  Stadt-, 

Blut-  und  Bann-Richter  zu 

Nbg.    (Gemahlin :    Sabina 

Geuder  v.  Heroldsberg.) 

geh    1535,  3.  August, 

t  1592,  19.  November. 


Hans  Christof, 

1562—1632 

Stammherr  der  noch 

blühenden   frhrl.  Familie 

V.  Scheurl. 


Georg. 


Karl. 


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90        BILDKR  AUS  D.  KINDEKLKBEN  IN  DEN  DREISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 


Auszüge. 

1532. 

[fol.  4a:]      Item  ich    koufet    der    doctorin    in    ir    künftig    kindpet, 
atias  deck.        ^jg^  Herr  verleih  mit  seinen  gnaden,  24  ein  pruckischen®)  atlas,  hie  im  prediger- 

closter  gmacht,  halb  ploe  und  halb  goltfarb,  die  ein  umb  8  ß,  tut  9  fl.  12  ß*), 

zalt  ich  ir  durchs  Krafts  Endlein  etc. 

Ä^e'i/^'SS  Item  ich  gab  für  ain  beschlagne   wigen 2  fl.  4  /  6  ^ 

guter  'kouf.  ^^j  ^^^  j^^  p^g^^  doruber  sampt  trankgelt —     1  /17  ^ 

lorgen  deck,  ^^^^    ^^,^     j^j^   koufct    meinem  Jörgen    472    ein   ploen    und    goltvarben 

pruckischen  atlas    zu   ainer   deck    von    sechs   strichen,    über   die  wigen    umb 

I  fl.  16  ß,  2  ein  weiss  futter  tuchs  umb  84  /^,  ain  ein  gelbn  schetter^**)  umb 
25  /^.  2V2  lot  neeseiden  umb  4/,  dovon  zu  machen  —  —  —  —  3  ort, 
tutdiseidenkindsdeck    —  — —  —  —  —  2fl.  5/28/^. 

[fol.  4b:]  Zu  gedenken  diweil  ich  zu  Regnspurg  was  aufm  reichstag, 
teten  frau  Margret  Endres  Tucherin  und  ander  vil  nachfragens,  versuchten 
etlich  und  dingten  den  1.  Mai  zu  ainer  ammen  meinem  sun  Jörgen,  Anna 
Erhartn  dachdeckers,  so  sich  neulich  zu  tot  gefalln  het,  wittib,  zu  ainer 
ammen,  ein  fein  beschaiden  weib,  do  mit  mir  wol  gedint  was  und  das  mich 
vil  sorgen  entlud,  das  iar  umb 8  fl. 

[fol.  5a:]  vnd  als  ich  vor  2  jarn  zu  Forcheym  gewesn,  ward  ich  an  ein 
frauen  gewisen,  die  auch  vil  fruezeitige  Kinder  gehabt  het,  die  saget 
mir  schrepfen  het  ir  geholfen,  doran  kont  ich  mein  weib  koum  bringen,  bis 
das  sie  es  auch  tet,  wiwol  ich  acht,  das  groß  gepet  zu  unserm  heiland  hab 
uns  unsern  Samuel  vom  got  Israhel  erworben,  der  frist  im  in  seinen  wegen 
sein  leben. 

Noch  hab  ich  ins  haus  des  vergangn  monet  Aprilis   über  di   egemelten 

II  fl.  beileuftig  verzert  diweil  ich  des  kindpets  halben  vil  zufals")  und  zu 
sampt  dem  schreiber  puben  2  maiden,  ein  kelnerin^*)  und  di  ammen  hilt, 
tut  bis  auf  18  Maii 8  fl.  6/  13  ^. 

IC,  IC.  (weitere  Anschaffungen,  u.  a.  a.:) 

[fol.  5a:]     ain   gewantkalter^^)    mit    Schubladen    in   di    kintpetstuben  ic. 

[fol.  6a:]     Item   der  Anna   seugammen   iren   Ion    das   erst    virtl    iars 

zalt  am  tag  Laurenti[i] 2  fl. 

8)  von  Brügge. 

9)  Mit  ß  bezeichnet  Scheurl  den  »kurzen«  Schilling  ^/2o  fl.  12  ^  (Groschen), 
weiterhin  mit /den  »langen«  Schilling  Vs  fl.  -  30  ^.  Vgl.  Schmeller,  II,  398  u.  399. 
Wer  nachrechnet,  wird  freilich  erkennen,  daß  die  Zahlenangaben  unserer  Vorlage  mit 
dieser  Aufstellung  nicht  überall  sich  in  Einklang  bringen  lassen. 

10)  schätter,  schotter:  lockere,  undichte  Leinwand.  Schmeller-Frommann,  Bayer. 
Wörterbuch  II,  Sp.  482. 

11)  Zuspruch,  Besuch. 

12)  Kindbett  Wärterin,  noch  heute  in  Nürnberg  Kindbittkell(n)erin. 

13)  Kleiderschrank. 


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VON  HEINKICH  HEERWAGKN. 


97 


und  eodem  die  der  milchpeurin,  dis  virtl  iars,  erstlich  des  tags  ein  seidlein, 

dornoch  ein  mas  milch,  tut  4/18   ^,  zalt  ich  ganz  gern  für  meinen  lieben 

sun  Jörgen  der  herr  verleih  lang. 

[fol.  6a  19.  Aug.   1532:]     und   desselben  tags   der    doctorin  von    lorgen 

wegen  ain  kulwemmen^^)  pelz  mit  ainem  groefehn^^)  prem^*)    .    .   5  fl.  4  / 

[fol.  6b  Oktober  1532  :J    Ich  kauft  von  Merten  Kreln  deckwebern  2  grün     «'"dVcK^^" 
deck,  sein  lang  4^2  und  prait  4  ein,  mer  ein  deck  meinem  sun  Jörgen 
l^/i   ein   lang,    1^2  prait,   mer  ein   rucktuch  in  die  eßstuben,  5^4  lang, 

IV2  prait,  dofur  zalt  ich  den  15  octob 8  fl. 

Noch  kouft  ich  lorgen  ein  schlechte  weise  teck  umb    ....     3  / 

Ich  hab  zalt  den  19  octob.  doran  mein  lieber  sun  Jörg  aus  gotlicher 

begnadung  halbjerig  worden  ist,  der  Prunsterin  im  für  ein  rot  piret^^) 

2  /  3  /^,   seiner   ammen   2  fl.,    der  Ursel   koohin    1    fl.,   Mathesn  1  fl., 

dodurch  sein  die  ehalten*^)  alle  omnium  sanctorum  zalt. 

Ker  umb  fol.  38. 
[fol.   10a  f.:] 

Georgius. 
Nach  dem  willen  des  herrn  gots,  dem  allain  in  allen  dingen  lob  und  ehr 
sei,  gebar  mein  liebe  hausfrau  Katherina,  di  doch  aller  erst  auf  Urbani 
gerechnet  het,  freitag  nach  misericordia  domini,  den  19  Aprilis  3^4 
stund  auf  den  tag,  das  ist  87*  uhr,  aufm  klain  seger  ^®)  1532,  einen  jungen 
sun,  den  herr  Symon  Pistoris  doctor,  meins  g.  herrn  herzog  Jörgen 
zu  Sachsen  2C.  canzler,  der  sampt  seinem  schwesterman  Wolfen  Wid- 
man  burgermaistern  zu  Leypzk,  domaln  bei  mir  herbriget,  an  stat 
hochgedachts  m.  g.  h.  herzog  Jörgen  2C.  im  haus  aus  der  touf 
hub  und  Gorgen  nennet,  und  im  alsbald  einpand  zehn  Joachim- 
taler, seiner  g.  gebrech  ^").  Der  doctorin  ward  etwas  wehe  zu  morgents 
ein  halbs  nach  ainem  gen  tag,  arbetet  aber  gar  kurzlich  mit  dem  gepern, 
doch  nit  an  sunder  gros  we[c]lagn  und  schmerzn.  di  geburt  geschach 
im    hintern    haus,  in    unser   gewonlichn   eßstuben  gegm  rosnpad^^),   ich 

14)  Nach  Du  Gange  III,  593  ist  gula  =  pellis  rubricata  (rotgeförbtes  Fell) ;  wemmen 
•aus  Wamme'  zu  wamme  Bauch.  (Schm.  I,  1238;  II,  914).  Man  vergleiche  hiezu  kul- 
mantel:  spenula,  cholmantil,  quam  mulieres  in  aestate  portant:  Glossar  in  Mone's  An- 
zeiger f  K.  d.  d.  V.  VII,  590. 

15)  Grauwerk,  also  Eichhörnchenrücken,  im  Gegensatze  zu  dem  häufigeren  Bunt- 
werk (Bauch  und  Seiten).  Freundliche  Mitteilung  von  Dr.  August  Gcbhardt-Erlangen. 
Vgl.  Mhd.  Wb.  I,  135. 

16)  bröm,  prem:  Einfassung,  Pelzstreifen.    Vgl.  Lexer  I,  348. 

17)  pirct  =  Barett,  Hut,  Mütze. 

18)  Dienstboten. 

19)  Statt  seiger  (Zeiger). 

Vgl.  die  Ausführungen  über  die  sog.  »Nürnbergische  Uhr«  (eine  Rechnungsweise, 
die  die  jeweilige  Länge  und  Kürze  der  Tage  und  Nächte  zugrundelegt)  bei  J.  Chr- 
Wagenseil,  De  .  .  .  civitate  Noribergensi  commentatio.  1697.  S.  138  und  Nicolai, 
Beschr.  einer  Reise  durch  Deutschland  und  die  Schweiz.     I.  Bd.  3.  A.  1788,  S.  97  ff. 

20)  Gepräge. 

21)  Das  Rosenbad,  oben-  am  Brunnengäßchen,  zunächst  an  der  Schildgasse  ge- 
legen, alte  Nr.  S.  608. 

Miltbiluuifeij  aua  <i<;iii  ^vrtuAh.  Nationalmuseum.    1^M>.  Vi 


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9^        BILDER  AUS  Ü.  KINDEHLEBKN  IN  DEN  DRS188IG.  JAHREN  DE»  XVI  JAHRHUNDERl'S. 


ward  verjagt  vom  aufschlohn  des  pets,  frau  Margrete  Endres  Tucherin, 
Ursula  Fritz  Tezlin,  Madlena**)  Mugnhoferin  wittiben,  vnd  Anna  di 
hebamm  stunden  ir  bei,  zu  denen  hernach  auch  kam  Katherina 
Hansen  Imhof.  Und  bemelter  canzler  schanket  der  gefattern  für  sich 
selbst  ain  gülden  ringlein,  mit  ainem  rubin  und  demunt  tefelein,  im 
wert  bis  in  7  fl.,  das  lies  ich  ir  änderst  versetzn  und  dorein  schreiben: 
Gorg.   19   April  1532.  dofür   zalt    ich  Mertn  Kraftn    sampt    dem   halben 

ung.  gülden  —  tut    — Ifl.  5/19^ 

Item  Appolonia  Tucherin  schankt    ins    kindpet  15  frische   air  und 

frau  Margreta  Tucherin  wittib   ein   gemalt s   tefelein,  die  hailign  drei 

könig,  die  dem  neu  gebornen  könig  ir  schenk  vom  orient  prachten. 

[fol.  IIa.:]    Item  als  am  suntag  den  21  Aprilis  Jörg  Scheurl  mit  freuden 

aus   der   wester   gepat*^)  wurd,   gab  ich  baiden  hausgesinden,   hinten  und 

vorn,  sampt  meins  brudern  seligen  kinden,  der  Endres  Tucherin,  iren  dreien 

stifeniklein  **)  .  .  .  met,  wein  und  prot. 

[fol.  IIa:]  und  den  23.  Aprilis,  S.  Jorgn  tag,  schickt  ich  frauen 
Charitas  Pirchamerin*^)  und  Tucherin  zu  S.  Clarn,  Merten  Pfinzingin, 
Seufrid  Pfinzingin  undMathesSaurmennin*®)  in  namen  meins  suns  presenz, 
ain  viertl  kostlichs  weins,  nemlich  seins  potns^^)  m.  g.  h.  h.  Jorgn  zu 
Sachsn  ic.   und  s,i  sagten  all  er  wurd  mild  werden. 

[fol.  IIa:)    Item  ich  gab  der  Endres  Tucherin  den  25.  Ap.  5  fl.,  meinen 

^/rVueiT'  mumen  in  den  Clostern  aufzutailen    und    got   für  meinen   sun   zu 

pitten    und   danken,    nemlich  Feliz  Kopfin    und    Anna    Tucherin    zu 

Engltal,  Christina  Tucherin  zu  S.  Katherina,  Marta  und  Helena  Tucherin 

zu  Pilnreut  und  Juliana  Tucherin  zum  Gnadenperg, 

[fol.  IIb:]    Item  der  Ursel,  meiner  Kochin,  di  das  potnprot*®)  gewan, 

Endlein    meiner    untermaid,  Anna    seugammen   und  Margreten    meiner   kind- 

petpflegerin  schankt  ich ic. 

22)  am  Rand:  gnod  ir  got,  starb  im  sterbn  1533. 

23)  Ober  West  er  (zu  got.  wasti,  vestis  sc.  alba,  Candida)  und  Westerbad 
(das  am  3.  Tag  herkömmliche  Westerbad:  Nürnberger  Hebammenordnung  von  1755), 
siehe  Schmeller  II,  1044,  und  Kamann,  Aus  Nürnberger  Haushaltungs-  und  Rechnungs- 
büchern des  15.  u.  16.  lahrhdts.  in  den  Mitteilungen  des  V.  f.  G.  d.  St.  Nürnberg,  7.  Heft, 
1888,  S.  66.     (»Auf  13.  december  1549  hat   man  das  westerpad  gehalten   zu  mittag   nach 

geprauch «).     Nebenbei   wäre   auch    noch   die  »Westerhaube«    (auch    wol 

»Glückshaube«  genannt)  heranzuziehen:  »ain  westerhauben,  also  wird  das  fellin  genannt, 
das  die  kinder  zu  zeiten  ob  ihrem  angesicht  mit  ihnen  an  die  weit  bringen«  (1519; 
Boesch,  Kinderleben,  S.  17). 

24)  Stiefenkeln. 

25)  Die  berühmte  Schwester  Willibald  Pirckheimers,  Charitas,  1466 — 1532,  Äbtissin 
des  S.  Klara-Klosters  in  Nürnberg  seit  1503  (20.  Dez.). 

26)  Mathes  Sauermann  war  bis  1520  Scheurls  Nachbar  als  Eigentümer  des  südlich 
angrenzenden  Hauses  (Burgstraße  8),  das  er  in  jenem  Jahre  an  Marquard  Rosenburger 
verkaufte. 

27)  seines  Paten. 

28)  Das  sogen.  Botenbrot  gebührte  der  Person,  die  als  erste  dem  Vater  die 
Kunde  von  der  glücklichen  Geburt  seines  Kindes  überbrachte.  Vgl.  Schmeller  I,  308; 
Boesch,  S.  13. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


99 


[fol.  IIb:]  Item  noch  schicket  mein  sun,  an  S.  Jörgen  tag  prcsenz,  ein 
stuck  mayenkuchen  ^**)  und  ain  halbe  kandl  guts  weins,  junckfrau  Urseln 
und  der  alten  Kreftin. 

[fol.  IIb:]  Item  ich  het  furgnomen  und  bedacht  ein  ehrliche  kind- 
touf  zu  halten  und  darzu  zu  laden  auf  meiner  seiten:  frauen  Helena "j"'**) 
Jh.  Ebnerin,  frauen  Helena  Chr.  Kressin,  frauen  Margreten  Ch.  Kolerin, 
Annaf  Clement  Volkamerin,  Clara  Linhart  Tucherin,  Katherina  Ch.  Furerin, 
Ursula f  Seyfrid  Pfinzingin,  Barbara  Hans  Koburgerin  und  Helena  Florentins 
Ortlin. 

und  auf  meins  weibs  seiten:  Clara  Fritz  Behamin,  Cordula  Joachim 
Hallerin,  Katherina  Jeronimus  Futtrerin,  Lucia  Albrecht  Letscherin,  Anna 
Jörg  Eisvoglin,  Madlena  Wilhelm  Schluslfelderin,  Anna  Sebolt  Peslerin,  Ur- 
sula f  Antoni  Schluslfelderin. 

Jörg  Scheurl. 
[fol.    12a:]     Nota,    mitwoch    nach  Jubilate   den    24.  Aprilis.    padet 
man  meinen  lieben    sun,    zum  andern  mal,    der    hat   sich   so  ser  ver- 
gilbt, das  auch  die  wintel  etwas  gelb  wurden,  do  sagt  Anna  Peter     blJI^^Sedcut 
Hessin,  si  het  vor  langn  jahrn  zu  Ellingen    von    einem  teutschen  herrn       '*"<?  '^**«" 
gehört,    das    solchs   ain    gewiss   zaichen    wer,    ains  kinds  langlebens, 
welchs  der  got  Israhel  schick  nach  seinem  gotlichen  wolgefallen.    Amen. 

[fol.  12a:] Margret    kindpetwarterin    schenket    meinem 

sun  lorgen  ein  hemdlein  und  ein  pelzlein  mit  golt. 

[fol.  12a:]  Mein  gnedigster  herr,  herr  Albrecht  cardinal  zu  Mainz  2C. 
kam  her  in  unser  behausung  montag  nach  Exaudi,  den  13.  Maii  1532,  zog 
wider  weg,  den  volgenden  mitwoch  vor  tags,  nach  Regnspurg.  Schankt  mir 
zur  letz  und  umb  meiner  verdinst  willen  einen  schönen  übergulten  bedeckten 
köpf.'*)  ....  und  meiner  kindpetterin  ein  schöne  ketten,  ains  selt- 
zamen  musters,  rund  von  gülden  treten  ^^),  als  ein  getrungene  schnür,  wigt 
11  gülden  ungr.,  mag  sampt  dem  macherlon  wert  sein  bei  16  fl.,  meiner  ge- 
schweien^^)  10  gohgulden  und  beiden  hausgesinden  8  fl.  golt,  ein  milter 
kurfürst  und  herr. 

[fol.  12b:]  Item  am  suntag  Exaudi  den  12.  Maii.  1532.  was  Elizabeth 
Pehamin  zu  S.  Clarn,  meiner  schwiger  Schwester  jubilea,  schankt  ich  dem 
convent  16  mass,  Endres  Tucherin  pesten  weins,  und  46  ^  weis  prot  zu 
presenz,  dorumb  das  si  mir  vom  got  Israhel  meinen  lieben  sun  Jörgen 
erpeten  hetten. 

29)  maienkuchen ;  mit  Rücksicht  auf  den  herannahenden  Mai  (Georgentag  ist  der 
23.  April)  so  genannt? 

30)  Ober  die  Taufnamen  derjenigen  eingeladenen  Frauen,  die  wenig  später  ver- 
starben, hat  Dr.  Scheurl  jeweils  ein  f  gesetzt. 

31)  kugel-  oder  halbkugelförmiges,  auf  einem  Fuß  stehendes  Geschirr  für  Flüssig- 
keiten.   Schm.  I,  1274. 

32)  Drähten. 

33)  Schwägerin.     Schm.  II,  615. 


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100     BILUEK  AUS  D.KINDEKLEBEN  IN  DEN  DRBISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 


[fol.  12b:]  und  die  maid  sagten  sein  kopflein  wer  im  weit  oflen,  zaiget 
langleben:  Et  recordatus  dominus  Rachaelis,  exaudivit  eam  et  aperuit  vul- 
vam  eius  quae  concepit  et  peperit  filium  dicens  Abstulit  deus  obprobrium 
meum  et  vocavit  nomen  illius  Joseph  dicens:  Addat  mihi  deus  filium  alterum.  ^*) 
[Gen.  XXX.] 

[fol.  12b:]  Item  mein  g.  herr  herzog  Jörg  zu  Sachsen  2C.  beschwert  sich 
die  gevatt  er  Schaft  zu  ratificirn.  Het  solichs  dem  lanlgrafen  und  andern 
abgeschlagen,  mangl  halben  des  Chrisma.  ^*)  Schrib  mir  doch  am  pfingst- 
abent  mit  aigner  Hand,  und  erzaigt  sich  vast  mein  gnedigen  Herrn  sein,  [sie!] 

[fol.  12b:]  Man  riet  mir,  ich  solt  meinen  Jörgen  unbeschoren  sein 
erstes  har  behalten  lasn,  wi  auch  mein  über  vetter  Albrecht  hat,  dinet 
zu  der  memori®*)  und  anderm  mer. 

[fol.  12b:]  Item  dem  28  Maii  gab  mein  Weib  den  airkuchen, 
schicket  ich  den  nachbourn  hinten  und  vomen,  auch  etlichen  hant- 
werkern,  Schweinen  gesalzn  wilpret,  Speckkuchen,  wein  und  zum  tail  west- 
feli.sch  hammen'^),  entbot  mir  maister  Sebastian  Wagner  [f]'®),  futer- 
macher,  mein  sun  wer  ein  sunnenkind,  wurd  wol  beredt,  fursten  und 
herrn  angnem,  ein  gros  namhaft  man,  ein  libhaber  der  warheit  und  ein 
feind  der  lügen  werden,  das  verleihe  der  herr  got  mit  gnoden  Amen. 

[fol.  13a:]  Item  Juliana  Jörg  Spenglerin  mein  mum  gab  meinem  sun 
Jörgen  ein  pulver  von  gepranten  unten  pasten®*),  praucht  man  im  prei,  ein 
gute  kunst  für  das  fraislich^^),  versegnt  und  das  in  offen  behelt  und  durch- 
gängig macht. 

Ich  zalet  der  Margreten  kindpetwerterin  den  3  Junii  für  iren  Ion  12  / 
[und  schankt  ir  und  meinen  baiden  maiden,  so  des  betn  prot*^)  gewunnen 
hetten,  ein  weiss  tuch  zu  unterrocken,  kostet 4  fl.  1  ort.] 

Es  waren  bei  hundert  erbar  frauen  ins  kindpet  gangen,  sich 
mit  uns  und  unserm  sun  zu  erfreuen,  legten  auf  di  wigen  bei  2  fl.  und 
2  /,  koufet  di  doctorin  ainen  schwarzen  schürz  dorumb. 

[fol.  13a:]  Item  Lucas  Gauricus*^)  Neapolitaner  entput  mir  den  10.  Junii, 
mein  lieber  sun  Jörg  wurd  leben  und  ich  wurd  zu  jar  einen  andern 
sun  haben  und  Jörg  Neusesser  koufet  meinen  Jörgen  1  K*^)  in  der 
untern  12  mas  nachm  Aberthams  funtgruben  umb  20  fl.  g. 

34)  Am  Rande:  »No[minel  Jeronimus.« 

35)  Das  bei  der  Taufe  nach  kathol.  Ritus  angewandte  Salböl.  Mit  der  Reformation 
kam  der  Brauch  der  Salbung  hier  wie  anderswo  in  Wegfall. 

36)  Zur  Stärkung  des  Gedächtnisses. 

37)  Hamme,  Schinken.    Schm.  I,  1105—1106. 

38)  Seb.  Wagners  Prophezeiungen  s.  ferner  zu  fol.  108b  u.  171a. 

39)  Lindenbast. 

40)  Das  Fraislich,  auch  die  Frais,  die  Freisei  oder  das  Gefrais,  Krämpfe: 
Schm.  I,  826. 

41)  Siehe  Anm.  28.    Der   letzte    hier  in  []  gesetzte  Posten  ist   nachtr.  gestrichen. 

42)  Lucas  Gaurico,  der  berühmte  Mathematiker  und  Astrolog,  geb.  12.  März  1476 
zu  Gifoni  in  der  Mark  Ancona,  t  z«  Ferrara  6.  März  1558.  Vgl.  über  ihn  Allgemeine 
Encyklopädie.  hrsgg.  v.  Ersch  u.  Gruber,  Erste  Sektion,  55.  Teil,  S.  29. 

43)  Kux,  Bergwerksanteil. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN.  101 


Noch  schreibt  Gauricus:  filius  meus  erit  pulcher  et  venustus  mihi 
assimilabiter,  erit  dives  locuples  pecuniosus  ingeniosus  facundus  et  verbosus, 
si  vixerit,  habebit  duas  uxores  et  multos  utriusque  sexus  liberos.  et  dicat 
omnis  populos  amen. 

[fol.  13b:]  Junckfrauen  Anna  Berbla**)  Thurlein**)  Kreftin  schankten 
meim  Jorgn  ein  gülden  hemt,  furtuchlein  und  fazolet**^). 

[fol.  14a:]  Item  ich  schenkt  freitag  den  19.  Julii,  doran  mein  lieber 
sun  Jörg,  aus  gotlicher  parmherzigkait,  ein  virtl  ains  lars  alt  ward 
der  got  der  tugent  verleihe  weiter  gned  —  der  ammen,  domit  sie  sein 
treulich  wartet  und  im  zu  nachts  aufstund  und  ine  nit  lang  schreien 
liess 1  fl. 

[fol.  14a:]  Jorgn  erstes  schreiben:  des  selben  tags  [19.  Juli  1532] 
schrieb  mein  sun  Jörg,  mit  meiner  hand,  meiner  mumen  Appolonia  Tucherin, 
zu  S.  Clarn,  einen  langen  prief,  allerlei  allegation  gotlicher  schrift  inhaltend, 
mit  angehefter  danksagung,  das  si  ine  vom  herm  got  erpeten  hetten,  über- 
sendet doneben  dem  convent  2  fl.  und  50  /  schons  reis  ic. 

[fol.  14b:]  Ich  schenkt  an  S.  Christofls  tag  25  Julii  zu  presenz  und 
von  wegen  meins  suns  lorgen  meiner  geschweien  zweien  stifschwestern 
Ketteria  *^)  und  Urseln,  auch  iren  zweien  maiden,  ein  ganz  gelbs  tuch  zu 
unterrockn,  kostet  4  V4  ff.,  dogegen  bezalt  sie  das  verberlon 5  / 

Item  Hans  Linhart  perkmaister  aufm  Anneperg  schankt  meinem  sun 
Jörgen  1  K  in  der  4  mas  und  Hans  Puchner  2  K  in  der  fünften  mas  2C.  2C. 

[fol.  35a:]     Unter  der  Rubrik  »Verdinst  und  Schankung«: 

Item  mir  schankt  Anthoni  Vento*®)  2  judicia  so  der  gros  berombt 
astrologus  Lucas  Gauricus  Neapolitanus  meinem  lieben  sun  Jörgen  gemacht 
hat  und  Albrechten,  do  gegen  schankt  ich  im  umb  8  fl.  3  /  27  /^  zinen 
schusseln. 

[fol.  35b:]  Erasmus  futrer  hat  meinem  sun  geschenkt,  sontag  abents 
den  22  Sept.,  ein  Mailendisch  rot  Scharlachs  piretlein**)  und  Katherina  Kreßin 
ein  elentkloen*®)  eingefaßt  in  vergult  silber,  an  hals  für  das  frai schlich^») 
Maid  habens  verlorn. 

[fol.  35b:]  Wolf  Lochmayr  (f)  auf  S.  Annaperg  schankt  meinem  sun 
Jörgen,  1  K  doselbst  in  S.  Anna  hofnung  und  verkouft  im  2  K  in  kaiser 
Carln  funtgrubn  zwischen  der  unter  nehsten  und  andern  mas  in  S.  Lorenzn 
gots  gotsgab  [sie!]  aufm  Abertham,  umb  6  fl.  den  16  octob.  1532.  der  herr 
geb  gnod  — . 


44)  Barbara. 

45)  Dorothea. 

46)  Schnupftuch.     Schm.  I,  780. 

47)  Katharina. 

48)  Ein  vielgenannter  Geschäftsfreund  Scheurls. 

49)  Barett,  Hut,  Mütze. 

50)  Klaue  des  Elchs. 

51)  Siehe  Anm.  40. 


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102     BILDER  AUS  D.  KINDERLBBEN  IN  DEN  DRBISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 


[fol.  36b:]  Maister  Endres  im  rosnpad*^)  schankt  meinem  sun  lorgen 
ainen  padhut  und  maister  Jörg  putner®*)  ein  wenlein**),  als  man  das  erst 
mal  ins  päd  hinüber  trug  20  novemb.  So  schankt  ich  der  paderin  1  mos 
salbeweins  und  dem  gesind  ain  virtl  pirs. 

[fol.  36b:]  Jorgn  hochzeit  hempt:  Junckfrau  Anna  Tucherin***)  Linharten 
Thoma  von  Kempten  praut  schenkt  am  hochzeittag  den  3  decembris 
meinem  Jörgen  ein  schon  hemt  mit  golt. 

[fol.  36b.     Am  Rand  nachgetragen:] 

31.  dec.  schankten  Appolonia  Tucherin  zu  S.  Clarn  2  leckkuchen*®) 
Jorgn  und  mir,  und  Martha  Tucherin  zu  Wildenreut*^)  Jorgn  ain  hübsch 
schlotterlein®®),  der  mutter  ein  nodlpant®*)  und  mir  ain  fazolet*®),  zu 
neunjar. 

[fol.  37  a:]  Annala*^*)  Jorgn  wieger  in:  Ich  hab  das  maidlein  im  haus 
behalten,  meinen  Jörgen  zu  wiegen,  der  in  8  wochen  ein  funtgrubner 

ist  worden  und  nimt  auspeut  aus  sein  K  in  S.  Katra  stolln  itzo 5  fl. 

So  ich  im  erkauft  hab  umb  15  fl.,  dem  herrn  sei  lob. 

[fol.  38a:)  Rubrik  »Haushalten«,  mit  vielen  hieher  gehörigen  Angaben. 
Obergangen.] 

[fol.  38a:]  Item  ich  hab  sampt  meinem  weib  unsern  sun  Jörgen  das 
erst  mal  aus  +  und  in  sant  Sebolts  kirchen  getragen  und  aufge- 
opfert meinen  herrn  got,  mit  ratification  des  gelübds,  ine  in  seinen  wegen 
und  gepoten  treulich  zuerzihen,  im  den  ergeben,  bevolen,  gepeten,  lob  gesagt 
und  gedankt  montag,  S.  Martins  tag,  1532,  doran  mein  52  jar  ange- 
fangen, dorinnen  mir  maister  Lucas  Gauricus  noch  ainen  sun  judi- 
cirt  hat. 

Hiezu  die  Randbemerkung:  Ich  hab  meinen  sun  Jörgen  dem  herrn 
heimgestelt.     Voti  solemnis  ratificatio. 

1533. 

[fol.  41a:]  Diweil  der  almechtig  gutig  herr  got,  aus  seiner  gotlichen 
begnadung  und  barmherzigkeit ,  der  sei  glori  lob  und  dank  in  ewikait,  mir 
doctor  Christofen  Scheurln,  dises  vergangn  1532.  und  nemlich  den  19.  aprilis, 
meinen  lieben  sun  Jörgen  beschert  hat,  wil  ich  im  mit  meiner  hand 
hirein  verzeichnen,  wi  ich  bemelt  iar  hausgehalten  2C.  2C. 


52)  Siehe  Anm.  21. 

53)  Büttner,  Böttcher. 

54)  Badwännlein. 

55)  Anna  Tucher  1513-— 1540.  Biedermanns  Geschlechtsregister  des  hochadeligen 
Patriciats  zu  Nürnberg  nennt  tab.  DVIII  »Herrn  Leonhard  Thomas  von  Memmingen« 
als  Bräutigam. 

56)  Lebkuchen. 

57)  Pillenreut. 

58)  mhd.  sloterlin,  schlotterlein,  in  Nürnberg  noch  jetzt  >Schlotter«,  die  Klapper 
oder  Rassel,  ein  Kleinkinderspielzeug.    Lexer  II,  986. 

59)  Bandstreifen,  auf  dem  Nadeln  befestigt  sind  oder  werden  ? 

60)  Siehe  fol.  121a  S.  111. 


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VON  HEINRICH  HEER  WAGEN.  103 

am  Rande  steht  ebenda:  »Meinem  sun  tu  ich  rechnschaft  seins  ge- 
burtjars.« 

Folgen  die  einzelnen  Posten. 

[fol.  46a:]  Mein  kochin  Ursel,  mein  untermaid  Endlein,  und  das 
jung  siebenjerig  maidlein  Annalein  Scheurlin  des  Khuelinleins  [sie!]  von 
Thillingen**^)  tochter,  so  ich  umb  gots  willen  zeug  und  angnomen  hab  den 
9  octob.  1532. 

[fol.  46b:]  Mein  mum  Helena  C  Kressin  schenkt  mir  und  Jörgen  meinem 
sun  meiner  perckwerk  arbeit  halben  2  guldne  hembd  27  Jan. 

[fol.  46b.]  1533:  Item  ich  hab  zu  neuen  jar  geschenkt,  meinem  weib 
und  dem  Jorgn  2  fl.,  der  seugammen  V*  ^i"s  Joachimtalers,  Appolonia 
Tucherin  in  Gorgn  namen  2  halb  fl.  gr.  ic. 

[fol.  48a:]  Item  di  doctorin  hat  zu  ader  gelasn  donerstag  den 
16  Januarii  und  das  kind  regt  sich  zimlich  fluchs  dorauf,  got  lob,  der  mich 
den  volgenden  19  Aprilis  (darüber:  Martii)  reichlich  begnadet  hat  mit 
meinem  libsten  sun  Jörgen  (darüber:  Jheronimus).  Im  sei  glori  er  und  preis 
in  sempiterna  secula. 

[fol.  52af:]  Erasmus  Ebner**)  zalet  das  mol,  dann  er  hielt  für  gewies 
mein  weib  trueg  ainen  sun,  das  verleih  der  hr.  got. 

[fol.  52b]  (1533).     Freitag,  14  Martii   schankt  Seufrid  Pfinzing   meinem 

vetter  Albrecht   und  meinem   sun  Jorgn  ein  schwarz  pferdlein,  des  Albrecht 

und  mein  oheim  Eberhart  Kurn   vast  fro  warn,    Kurn  riets  [ritt  es]  dornach 

in  Thal.  •«) 

4- 
Iheronimus  Schewrl. 

[Fol.  53a:]  Benedictus  deus  in  donis  suis.  Quia  fecit  mihi  magna 
qui  potens  est.  Et  sanctum  nomen  eins.  Aus  gotlicher  barmherzikait  ist 
mein  sun  Jheronimus  geporn  als  di  taglang  13  stund  und  di  nachtlang 
11  stund  anfiengen  zu  werden,  mitwoch  nach  oculi  den  19  martij,  als  ain  virtl 
schluch  über  achte,  2  stund  ^/4  nach  mitternacht,  und  2  stund  3  virtl  vor 
tags,  nach  dem  halben  seger  ain  virtl  vor  dreien,  nach  mitternacht^*).  Es  ging 
in  zweien  stunden,  alles  so  glücklich  zu,  das  mir  di  frolich  potschaft  ans  pet 
pracht  worden,  doch  die  weil  das  kind  etwas  schwechtet,  und  vast  windig 
regnig  boes  wetter  war,  lies  ich  meinen  sun,  des  selben  tags  vor  essens,  in 
der  hintern  Stuben  gegen  predigern,  auf  einem  tisch  vorm  kintpet  herm 
Jörgen  — **)  Schafner  zu  S.  Sebolt  taufen,  das  hub  mein  guter  freund  und 
mitburger  Anthoni  Vento  von  Genua  aus  der  tauf  und  nent  es,  nach  meins 
vater  brudern  seligen,  des  rats  zu  Preslau,  Jheronimus,  dem  gutigen  herrn 
got  sei  lob  ehr  und  dank  in  ewikeit. 

61)  Dillingen. 

62)  Über  ihn  A.D.B.  V,  591  f.  Seine  spätere  Unglücksprophezeiung  siehe  S.  106 
(nach  fol.  65  b). 

63)  Thal  =  Joachimsthal. 

64)  Für  den  Familiennamen,  den  Scheuri  im  Augenblick  nicht  anzugeben  wußte, 
ist  in  der  Handschrift  ein  entsprechender  Zwischenraum  aufgespart.  Gemeint  ist  Georg 
Mann,  Schaffer  bei  St.  Sebald,  f  1535.     (Würfel,  Diptycha  I,  41.) 


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104     BILDER  AUS  D.  KINDERLBBBN  IN  DBN  DREISSIO.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERfS. 


und  die  mutter  het  aller  erst  von  primo  augusti  her  gerechnt  und  auf 
Walburgis  verhoft  niderzukomen,  also  das  si  irs  erachtens,  wi  auch  di  andern 
kinder  schwerlich  32  wochen  tragen  het,  doch  was  das  kind  mit  negeln  und 
aller  ding  anzusehen  gnung  völlig  und  leibig,  het  aus  der  masn  vil  schwarz, 
hars  und  wi  hivor  geschriben  stet,  hat  mir  hr.  Lucas  Gauricus,  den  ver- 
gangn  sumer  aufm  reichstag  zu  Regnspurg  dises  jar  ainen  sun  iudicirt  und 
mein  oheim  Erasmus  Ebner  in  kainen  zweifei  gesteh.  Der  herr  verleih  im 
das  leben,  und  in  seinen  wegen  gelaitet  und  erzogen  ze  werden. 

Also  het  ich  an  heut  2  sun,  warn  baid  noch  nit  48  wochn  alt,  ein 
klains  und  ein  winzigs,  und  ich  was  mein  leben  lang  nie  reicher  gewesn, 
got  lob. 

[fol.  53b:]  den  volgenden  tag,  20.  Martii,  schankt  mir  mein  gnedigster 
herr,  cardinal  zu  Mainz,  ein  stuck  guts  reinisch  weins,  wart  visirt  13  aimer 
4  virtl,  zalt  ich  ungelt. 

den  21.  martii  ward  Jeronimus  aus  der  wester  gepadt**)  het  ich  zu 
gast  mein  mumen  Madlena  Hans  Mugnhoferin,  di  Holpeckn  Anna  und  Christa 
ir  Schwester,  denen  ich  ainen  gülden  golt  schankt  und  ain  ort  und  noch  500 
stecknodln  und  schenkt  am  suntag  Letare,  den  23.  Martii,  frauen  Katherina 
Pirchamerin  eptesin  und  convent  zu  S.  Clarn  umb  met  und  prot  ainen 
gülden,  got  für  mich  und  Iheronimus  zu  pitten  und  zu  danken,  das  di  gotselig 
Appolonia  Tucherin  der  masn  für  mich  gepetn,  das  ich  sein  entphunden  het, 
wi  si  in  irem  sterben  zugesagt. 

[fol.  53b:]  Item  wiwol  mir  Gauricus  pronosticirt  het,  Alteram  sobolem*^) 
masculam  pulchram  satis  fortunatam,  wirget  doch  das  fraislich*®)  den 
Jheronimus  inwendig,  den  22  Martii,  das  er  auswendig  vom  rechtn  fuslein  aufhin 
die  rechten  Seiten  erschwarzet,  vil  pein  erlied  und  starb  suntag  letare  23  Martii 
2  stund  */4  vor  tags  in  masn  er  geporn  ward,  also  das  er  gerad  gelebt  het 
4  tag  und  ich  nie  reicher  war,  denn  mit  diesen  meinen  baiden 
sunen®'),  der  halben  ich  ainen  laidigen  letare  het  und  mein  freud  kurzlich  in 
traurikeit  bewendt  ward  Aber  dises  was  der  will  meins  herrn  gots,  dem  es 
also  gefil,  das  ich  pillich  mit  freuden  annemen  sol,  dorumb  sei  im  abermaln 
lob,  ehr  vnd  dank.  [Am  Rand  das  Bibelwort:  Raptus  est  ne  malitia  mutaret 
intellectum.  Sap.  4.]  Er  hat  den  sun  geben,  wider  gnomen,  kan  mich  als 
ein  mechtiger  herr,  des  wol  widerumb  ergetzn,  dorumb  ich  ine  treulich  pit. 
oder  ia  /  das  er  meinem  Jörgen  das  leben  lang  friste  / 

[fol.  54  a:]  Item  23  Martij  schankt  meins  gutn  freunds  doctor  Gregori 
Kreutzers  weib  der  doctorin  ain  par  cappaun  ins  kindpet. 

[fol.  54  b:  1533  Aprilis  ]  Item  meinem  Jorgn  4^2  ein  ulmer  parchant 
zu  einem  rocklcin  auf  di  ostern  zu  29  /^   —  thut  —  4/15  /^. 

65)  Siehe  Anm.  23,  S.  98. 

66)  =  suboles  (fem.)  Sprößling,  Kind. 

67)  Das  hier  gesperrte  ist  im  Original  unterstrichen. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


105 


1533. 

Georgius  Scheurl  eins  iar  alt.  iSSSi?" 

[fol.  55b:]    An  heut  sunabent  in  albis,  den  19.  Aprilis,  ist  main  liebster     An  heut, 
sun  Jörg  eins  iars  alt  worden,  und  bis  hiher,  frumb  und,  auserhalb  ainichs 
aufstossens,    gesunt  gewesn,    dann  so  vil  je  zuzeiten  die  zen,    der  er   sechst- 
halbn  hat,  vor  oben  zwo  gros  schaufeln,  etwas  hitz  im  köpf  verursacht  haben, 
hat    bisher   ein    gute   ammen    gehabt,    wol    zugnomen   und  gewachsn,    einen 
starken  grosn  köpf,   lacht    gern,    frolich  und   guter  ding,   kan  reden    ka,  ka,     iichtgem. 
dem  vater  das  hentla  reichen,  und  vogela  zaigen  im  heuslein  am  fenster,  get 
gern  hutzn*®),  aus  der  stubn  an  luft.     So  oft  er  den  vater  *siht   ausm   peck 
[Becken]  di  hend  waschen,  mues  er  im  si   auch  waschn   und  pfadlen^*)  lasn, 
geret  auch  in  disein  dem  vater  nach,  das  er  anfecht,  ab  den  pferden  sich  zu       pSrd. 
erfreuen,  hat  am  laib  bis  in  10  werzeln,  das  unser  nachbour  Weidner    lOwcnein. 
sagt    ein    zaichen    sein    des   langlebns,    wi    im    auch    der   köpf  noch 
offen  stet   ains   gülden  prait'®),    ißt   und  trinkt  fluchs  zu,  wil  lauter  nit 
sitzen  weder  im   stüelein  noch    sunst,    peugt  sich   über  sich    und   strebt    do- 
wider,  kreint^^)  nit,  ist  nit  aigen willig,  sonäer  leichtlich  mit  der  ammen  zu  stillen, 
der  er  auf  den  sessel  deutet,  di  er  ser  liebet  als  wol  als  si  ine,  geet  gern  zu 
vater,  hat  ine  lieb.     Herwiderumb    ist   er  auch  seins  vatern   alle   freud   er- 
gezlikait    und    reichtumb,    der  herr   got   verleih  lang  mit  gnaden,   das  si  dciide  patente, 
baid  wandern  in  seinen  gepotn,  ine  allain  lieben  und  anhangn,  vor  alln  dingen, 
dem  sei  ehr  lob  preis  und  dank  von  ewikeit  in  ewikeit  Amen. 

Hans  Schnot  [Schnöd]  schankt  im  ainen  peutp fennig,  mit  der  Über- 
schrift, des  türken  belagerung  der  stat  Wien,  den  24  septembris.  1529. 

und  so  der  vater  sagt:  Jörg  mach  ein  poslein,  rümpfet  er  das  neslein, 
und  so  der  vater  hustet,  hustet  er  hinach,  kont  allein  nebem  vater  sitzen, 
und  verstund  und  zaiget  datla,  in  suma  Jörg  Scheurl  beweist  sich  im  jar  mit 
rullen'*)  und  seinen  geberden,  als  ob  er  beherzigt  und  fraidig  werden  wolt, 
feht  an  etwas  in  henden  zu  behalten  und  ser  gern  mit  puchern  und  prifen 
oder  papir  umbzugin.    Wurft  di  arm  auf  und  guchzet'^).    Act.  19  aprilis  1533. 

[fol.  62b:]  Item  ich  hab  meinem  sun  Jörgen  sein  erste  rais  aus- 
geschickt, gen  Wildenreut  '*)  zu  Madlena  Futterin  seiner  mutter  jschwester, 
sampt  seiner  mutern,  ammen,  meiner  geschweien,  den  kindern,  Albrechtn 
Eberhartn  2C.  suntag  den.  22.  Junii,  habn  verzert  anderthalbn  gülden  und 
bin   selbst   auch  hinaus  geritn  sampt   meinem   gevatter  Anthonien  Vento  2C. 

[fol.  62  b:]  (Juni  1533)  und  er  Seufrid  [Pfinzing]  schankt  meinem  sun 
Jörgen  ein  seiden  teschlein  und  ainen  degen,  mit  conterfeten  beschlagen. 


68)  hutzcn  gen  =  hin  und  her  gehn.    Vgl.  Schm.  I,  1195. 

69)  plätschern. 

70)  Im  Original  unterstrichene  Stellen. 

71)  greinen  (mhd.   grinen,   den  Mund   verziehen)   heißt   noch   heute   in  Nürnberg 
'weinen.' 

72)  Rollen. 

73)  jauchzet. 

74)  Pillenreut. 

MitteilniifeD  aui  dem  gennan.  NationalmuMum.    1906.  14 


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106 


BILDER  AUS  D.  KINDEKLEBEN  IN  DEN  DREISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 


[fol.  64  a:]  Ich  schickt  meiner  mumen  Juliana  Tucherin  zu  Gnadenperg 
von  meins  suns  Jörgen  wegen,  got  für  in  zu  pitten  den  12  Julii 1  fl. 

[fol.  65b:]  (Juli  1533)  .  .  .  und  send  inen  [den  Klarissinnen  am  Gedächt- 
nistage der  Apollonia  Tucher]  meinen  lieben  sun  Jorgn,  in  templ  gots  zu 
statuirn,  dem  herrn  got  aufzuopfern  und  zu  piten  umb  gnad,  das  er  auf- 
wuchs und  erzogen  wurd  in  seinen  wegen  und  gepoten,  wi  ich  mir  dan  an- 
fenglich  furgnomen  und  gelobt  hab,  meinen  getreuen  moglichn  vleis  furzu- 
wenden,  wi  gros  von  noten  sein  wirdet,  diweil  im  Erasmus  Ebner 
so  vil  Ungeschicks  und  böses  pronosticirt,  das  mich  zu  höchsten  beküitiert 
und  ungeschlafn  Jegt,  der  herr  got  erbarm  sich  unser. 

[Juli  1533.  Anfang  des  großen  Sterbens  —  fol.  66a  u.  66b:  Flucht 
der  Schwägerin  nach  Amberg]. 

[fol.  66  b:]  Sunabent  den  2  Augusti  hab  ich  zalt  Mathesn  Perger  ain 
fl.  Ions  und  aller  ding  Anna  Jorgn  ammen2fl.  Ions,  Ella  unser  gertnerin 
seiner  milchpeurin  6  /  2  /^,  gredlein  unser  kochin,  1  fl.  Ions,  2C.  2C. 

[fol.  70a:] 

-f 

-h  Benedictus  deus  -f 

+ 

-h  Mihi  autem  adherere  deo  bonum  est,  ponere  in  domino  deo  -h 
-f  spem  meam  ps.  LXXII.  -f 

Im  namen  des  herrn  gots,  di  weils  bei  uns  des  tags  zu  30  personen 
allnthalbn  stirbt,  und  ich  in  15  tagen  ausm  haus  nit  komen  bin,  die  zeit  mit 
den  buchem  vertreib  und  lust  hab  zu  arbeten  zu  raysen  und  meine  herrn 
und  freund  zu  besuchen,  haben  meine  herrn,  ein  erbar  rat,  mich  vergent  und 
erlaubt,  anheut  sunabent  vigilia  Bartholomei  23  Augusti,  von  zeit  meins  aus- 
reutens  fünf  wochn  lang,  mit  meinem  schwagern  Hansn  Johann  gen  Preslau  zu 
raisen  und  im  beistendig  und  hulflich  zu  sein,  seins  vatern  Lorenzen  Johanns 
vertragne  verpfendte  3700  fl.  von  Conraden  Saurman  seinem  schwager  einzu- 
pringen. 
sttrbn  nihen.  [^fol.  70a:]     Item  ich  hab  ausgeschickt  mein  weib,   Katharina  Tucherin, 

mein  sun  Jorgn,  sein  ammen  Anna,  Gredlein  kochin,  Mathesn  und  Annalein  di 
Scheurl  gen  Henfenfelt  zu  herrn  Hansen  pfarherrn^"),  4  stund  auf  den  tag  den 
30  Aug.,  und  hab  der  doctorin  zu  zerung  geben  25  fl. 

[fol.  70b:]  Mein  diner  Methes  Perger  ward  mit  dem  regirenden 
prechen  beladen  freitags  vor  tag,  29.  Aug.  Ich  lis  in  in  gartn^*)  gin,  ver- 
schaft  im  bei  Meuseln  alle  notturft,  der  herr  got  sei  im  beistendig. 

Ich  hab  Hansn  Meuseln  mein  sach,  auch  das  haus  bevoln,  dergleichn 
Johan  Neudorfern '^),  hab  mein  tag  nit  herter  gearbeit  denn  die  vergangn 
10  tag  und  bin  nach  Preslau  verritn  und  heut  suntag  31  Augusti  gen  Henfen- 

75)  Johann  Frank.    (Würfel,  Diptycha  IV,  221). 

76)  gemeint  ist  der  Scheurlsche  Garten  vor  dem  Tiergärtnertor. 

77)  dem  berühmten  Schreib-  und  Rechenmeister  (1497—1663).  Derselbe  bewohnte 
das  heute  als  Burgstraße  16  bezeichnete  Haus  unter  der  Vcste. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


107 


feit  zu  weib  und  kind,  der  parmherzig  herr  got  verleih  mir  sein  g.,  dem  sei 
lob  ehr  preis  und  denk  in  ewigkait  amen. 

Actum.  31.  Augusti  1533. 

31.  augusti  als  ich  verrit  starben  54  person. 

Widerkomen. '®) 

[fol.  70b  f:]  Als  ich  den  31  Augusti  gen  Henfenfelt  geritn  und  mein 
gesint  elend  ^®)  gefunden^  hab  ich  von  Amberg  aus  maister  Jörgen  von  gerbers- 
mül  nach  inen  geschickt,  haben  mein  weib  und  unser  sun  Jörg,  dinstag 
den  2  Sept.  in  der  heg®^)  übernacht  und  sein  den  3  Sept.  gen  Amberg 
komen,  do  ich  inen  bei  Margreta  Gerstnerin  einbestanden  hab  und  bin  des- 
selben tags  yerriten®*)  übers  gepirg,  auf  Bamberg,  der  Pfinzing,  herrn  Sig- 
munden Fürers  und  Christofen  Fürers  hutten  bei  Arnstat,  gen  Weinmar, 
Leipzk,  Dresden  und  Breslau,  bin  do  bliben  25  tag.  Hab  Hansn  Johan  sein 
Sachen  contra  Conraden  Saurman  wol  aufgericht,  bin  bei  m.  g.  h.  pischofn 
Jacobn  do  selbst  gewesen  und  herwider  geritten  gen  Dresden  zu  m.  g.  h. 
herzog  Jorgn  zu  Sachsn  2C.  gen  Grim  [Grimma],  gen  Wittenberg,  gen  Hall 
zu  m.  g.  h.  herrn  Albrech tn  cardinaln  zu  Mainz  zc,  gen  Leipzk,  aufn  Anna- 
perg,  ins  Joachimthal  zu  grafen  Jeronimus  Schlickn  2C.  und  Jorgn  Neusessem, 
gen  Schlackenwald  auf  meins  vatem  seligen  begrebnus,  gen  Eger,  gen  Am- 
berg und  Nürmberg,  den  14.  Novemb.     Laus  deo. 

[fol.  71a:]  Zu  Amberg  hab  ich  froliche  Mertnsnacht  gehalten,  alle  die 
meinen  gesunt  gefunden,  und  das  mein  sun  Jörg  umb.  19.  octob.,  als  er  aus 
gotlicher  begnadung  anderthalb  ior  erraicht  het,  an  alle  beschwernus  entwent 
was  und  kant  itzo  gin,  laufen,  tanzen  und  reiten,  doch  wolt  er  kainen 
schwarzn,  sonder  allein  ainen  gescheiten  weisen  stecken  reiten,  und  must  im 
Matthes  Scheurl,  den  er  ser  liebet,  nachreiten,  und  auf  ine  warten,  als  ein 
knecht  auf  seinen  herrn,  das  den  vater  nit  wenig  freuet®^),  demnach 
er  den  gutigen  herrn  got,  seiner  gnadenreichen  gaben  pillich  dankbar  ist,  und 
redt  Jörg  noch  nichts,  lacht  allein  und  kennet  den  vater  bald  und  wolt  nit 
von  im. 

[fol.   73  b:]     Item   mein    bruderlicher    freund    Jörg   Neusesser    hat    den 

7  Novemb.  meinem  sun  Jörgen  zu  seiner  gedechtnus  geschankt,  ein  schöne 
erzstufen  und  etlich  rot  gülden  stüflein  gedigen  silber,  aus  der  ainikeit,  und 
2  silbren  g.  könig  Ludwigs  und  kongin  Maria  pildnus  und  dann  grafen 
Stefan  und  grafen  Lorenzn  Schlicken   pildnus  im  wert 10  fl. 

[fol.  73  b:]     Ich    hab  frauen   Helena    Ch.  Kressin,    meiner   mumen    den 

8  decemb.,  von  wegen  meins  suns  Jörgen,  zu  neuen  iar  verert,  einen 
schwarzen  lidren®^)  stul,  kouft  ich  von  maister  Lucasn  p.  2*/«  fl.  und  hab  di 
zeit  so  ich  allein  hi  gewesn  bin,  bei  14  maln,  mit  inen  geessen. 

78)  Am  Rand:  Heimkunft  gen  Nürnberg. 

79)  In  der  Fremde. 

80)  Hecke.    Schm.  I,  1068.    Am  Rand:  Gorgn  herbrig  in  der  heg. 

81)  Randbemerkung:  Schlesisch  rais. 

82)  ledern. 


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108      BILDER  AUS  D.  KINDERLEBEN  IN  DEN  DREISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 


Gorgn  Scheurls  gepet. 

[fol.  74a:]  Item  ich  kouft  meinem  sun  Jörgen  den  2  decemb.  [1533] 
ein  pelzene  huseckn**^)  umb  4*2  /,  di  schickt  ich  im  gen  Amberg,  mit  be- 
velch  das  ine  Neudorfer  und  mein  vetter  Albrecht  dorein  kleiden  und  den 
pelz  benedeien  solten,  mit  disem  gebet. 

[Folgt  ein  längeres  lateinisches  Gebet  (»oratio«)  mit  der  bezeichnenden 
Stelle:  ».  . .  ut  te  creatorem,  recta  et  sancta  ecclesie  tue  catholice  fide  colat.«] 

Mer  übersent  ich  im  ein  teschlein  mit  zucker  mit  disem  gepet 
umbzugurten,  precingat  te  dominus  zona  iusticie,  ut  immaculata  conserves 
omnia  mandata  sua. 

mer  ein  par  pantofl  kostn  32  ^  und  ein  par  hentschuch  kostn  26  /^, 
auf  dem  weg  herab  zu  prauchn. 

Und  sein  mein  weib,  unser  sun  Jörg,  junckfrau  Katherina  Tucherin, 
Mathes,  Annalein  di  Scheurl,  Anna  seugam,  gredlein  kochin,  gefarn  montag, 
8  decemb.  von  Amberg  gen  Engltal  und  auf  9.  gen  Nbg.  mit  freuden  vom 
vater  entphangen.     got  sei  lob  in  ewikeit  amen.  / 

[fol.  74  b:]  und  haben  meine  leut  auserhalb  des  geschickten  weins 
di  zeit  nemlich  14  wochn  zu  Amberg  sampt  10  fl.  zins  und  holzgelt  der 
Gerstnerin  am  rosmarkt  bezalt  und  den  furlon  und  zerung  auf  dem  weg 
verzert,  beileuftig  78  fl.  deo  gratias,  das  wir  gesunt  sein. 

1534. 

[fol.  75a:]  Auch  schankt  ich  eptesin  und  convent  zu  S.  Clarn,  der 
Appolonia  Tucjierin  jartag,  den  15  Januarii,  zu  begin,  und  den  herm  got  für 
meinen  sun  Jorgn  zu  pitn  1  fl.  dogegen  schankten  si  mir  ainen  gutn  ge- 
würztn  leckuchn. 

Georgius  filiolus  bimus: 

[fol.  83a:]  Suntag  quasimodogeniti.  19  aprilis.  ist  aus  gotlicher  be- 
gnadung mein  lieber  sun  Jörg  zwei  jar  alt  worden  und  augenscheinlich  zu- 
genomen  und  gewachsen,  hat  noch  bisher  keinen  aufstoss  gehabt,  lauft, 
springt,  tanzt  den  Murascha-Tanz®*)  und  ist  frolich  und  guter  ding,  hat 
all  sein  freud  zu  reiten  und  zun  pferden,  kan  noch  nichzit  reden,  dann 
mamma  data,  verstet  schier  alles,  der  gütig  herr  got  verleih  weiter  gnad,  dem 
sei  lob  ehr  und  dank,  den  ich  pillich  lieben,  eren,  loben  und  furchten  sol 

[fol.  90b:]  1534  September:  Veranschlagung  des  Gesamtvermögens,  des 
Hausrats,  der  Bibliothek  zc.     Darunter  findet  sich  die  Angabe: 

und  meins  lieben  suns  Jörgen  Scheurls  perckwerk  7500  fl. 

Weiterhin  am  Rande: 

diligenter  nota,  o  Georgiole,  fili  charissime.  Daneben:  Timete  do- 
minum omnes  sancti  eius,  quoniam  nihil  deest  timentibus  eum.  ps.  33.  In- 
quirentes  autem  dominum,   non  defitient  omni  bono.    Math.  11.     hoc  fac  fili 

83)  husecken,  Schaube,  Mantel.     Schm.  I,  1184. 

84)  Vielleicht  derselbe  Tanz,  der  sich  bei  Czcrwinski :  »Die  Tänze  des  XVI.  Jahr- 
hundertst  .  .  .  Danzig  1878.  8°.  S.  121  unter  dem  Namen  »Die  Moriske«  findet.  (Tanz 
eines  Knaben  mit  geschwärztem  Gesicht.) 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


109 


mi  Georg iole  et  vives  et  abundabis,    hoc   det   tibi   piissimus   et   misericors 
dominus  noster  Jesus  Christus.     Sollicitudo  autem  est  mater  divitiarum: 
Attamen  divitie   si  aiifluant,    noli   apponere    cor,    sed    his  utere  ad  honorem 
creatoris  et  pauperis  alimenta. 

[fol.  95b:]  Item  sunabent  den  21.  novembris  hab  ich  mein  testament 
geendert,  zu  erben  Jorgn  Scheurln  und  zu  aftererbn  Albrechtn  Scheurln  mein 
Hb  sun  instituirt  und  zu  vormundern  gesetzt  doctor  Christof  Gugeln,  Jorgn 
Neusesser,  Gothartn  König,  Linhartn  Thoman  und  mein  weib.  Gleichwol 
hab  ich  noch  keinen  gepeten,  auserhalb  Neusessers  ic. 

[fol.  95  b:]  Oratio  pro  Georgiolo  Scheurl:  Item  als  frau  Katherina 
Pirckamerin  und  convent  wi  hioben  geschriben  stet,  meinen  sun  Jörgen  in 
templ  statuirt  und  geopfert  [haben],  haben  si  gesungen  das  responsorium 
Benedicite  deum  2C. 

1535. 

[fol.  103a:]  Benedictus  deus  in  donis  suis,  den  19  aprilis,  als  ich  gen 
Perching  riet  [ritt],  ist  mein  lieber  sun  Jörg  Scheurl  drei  jar  alt  worden, 
hat  dises  iar  ganz  keinen  aufstoss  gehabt,  ist  gar  nichzit  gefallen,  liebet  di 
muttern  herzlich,  libet  was  rot  ist,  von  wein  und  kleidern,  trinkt  gern  wein, 
sunderlich  roten,  ißt  gern  fisch,  krebs,  hirn,  ist  stets  frolich  und  guter  ding, 
kreint  nimer  nit,  libet  aus  der  masn  ser  pferd  und  was  zur  reuterei  dinet, 
padt  gern,  reit  und  vert  gern,  kan  noch  nichzit  reden,  dann  data  mamma, 
aia,  das  ist  Albrecht,  zin  und  wein,  ist  ser  merklich,  hat  vast  einen  guten 
verstand,  verstet  schir  alles,  furcht  di  ruten  über  aus  ser,  vermaint  etwan 
dem  vater  und  der  ruten  zu  entloufen,  der  gutig  herr  got  sei  gelobt  und  ver- 
leih im  gnad  in  seinen  wegen  erzogen  ze  werden. 

[fol.  104  a:]  Item  bei  m.  g.  herrn  grafen  Jeronimum  und  grafen  Loren- 
tium  den  Schlicken  hat  Jörg  Neusesser  zu  sant  Jorgn  tag  unterbracht  an  be- 
heimischen gelt  meinem  vettern  Albrechtn  4000  fl.  und  meinem  sun  Jorgn 
lOÖO  fl. 

[fol.  105b:] 

Benedictus  deus  in  donis  suis,  dinstag  den  dritten  Augusti,  anno 
gotlicher  menschwerdung  1535,  gerad  zu  zwelf  urn  des  halbn  segers,  ward 
mir  geborn  aus  gotlicher  begnadung  mein  neudtes®^)  kind,  mein  sun  Christof 
und  anhaims  zu  vesper  zeit  getouft,  den  hueb  [fol.  106]  aus  der  tauf, 
mein  guter  freund  Johann  Neudorfer  rechnmaister  an  stat  und  von  wegen 
meins  lieben  und  getreuen  freunds  Jorgn  Neusessers  im  Joachimthal,  der  mir 
zu  vor  solichs  auf  mein  pitlich  ansuchen  zu  dank  zugeschriben  het,  di  pot- 
schaft  kam  mir  über  tisch,  auf  der  hochzeit  meins  oheims  Anthonien  Tuchers 
vnd  Junckfrauen  Felizn  Im  Hoff,  in  hm.  Endresn  Im  hof  behausung,  meinem 
frumen  gutigen  lieben  herrn  got  sei  lob  ehr  preis  und  dank  in  ewikeit,  der 
verleih  im  kraft  und  macht.  Auf  volgenden  donerstag  ward  mein  sun  Christof 
aus  der  wester  gepadt.  ^^)  Schankt  ich  Anna  hebammen  ainen  Lorentzer 


85)  neudtes  verschrieben  für  neuntes. 

86)  Siehe  Anm.  23  S.  98. 


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110 


BILDER  AUS  D.  KINDBRLEBBN  IN  DEN  DREISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 


gülden,  iren  maiden  3  z  weif  er  und  het  zu  gast  frauen  Helena  Christof 
Kreßin,  Margreta  Endres  Tucherin,  Ursula  Fritz  Tetzlin,  Katherina  leronimus 
Fütrerin;  Doctor  Christof  Guglin,  Ursula  Seufrid  Pfinzingin,  Barbara  Hans 
Koburgerin,  Anna  hebammen,  mein  geschweien  Anna  Albrecht  Scheurlin,  und 
wir  assn  zimlich  gut  milaunen®')  und  waren  frolich  und  leichtsinnig,  guter  ding 
lobten  und  preistn  got. 

[fol.  106a:]  Sunabent,  7.  Augusti,  gegn  abent,  als  mein  ander  lieber 
sun  Christof  elter  dann  vir  tag®*)  alt  worden,  derhalbn  ich  nie  reicher 
waß,  kam  potschaft,  das  unser  aller  herr,  di  Romisch  kayserlich  M*®*)  die 
bevestigung  La  Goleta^**)  sambt  dem  geschloß  und  stat  Tunis  ®^)  gwaltig- 
lich  erobert,  das  ich  acht  meinem  neu  gebornen  sun  und  der  ganzn  christn- 
hait  ein   gluckliche  zeitung  sein  / 

[fol.  106b:]  Das  ist  aber  war  und  verfolgt  statlich:  den  14  Julii  hat 
unser  herr  kaiser  Goleta  gewonnen,  den  dritn  Augusti  ist  mein  über  sun 
Christof  von  gots  gnadn  geborn,  den  21  Julii  hat  kaiserlich  M^  gschloß 
und  stat  Tunisy  gewunnen,  4  tag  und  nacht  geblündert  vnd  trefnliche  anzal 
geschütz  schiffung  und  vil  guts  gewunnen.  die  zaitung  komen  gen  Maylant 
9  Augusti  4  stund  nach  mittag  und  das  Barbarossa  mit  2000  Alarber  (sie!) 
pferden  entrunnen  was,  dem  di  kaiserischen  zu  wasser  und  land  heftig  nach- 
eiltn.  deo  gratias.  und  sol  am  jungstn  kaiserlich  M*  im  Teutschland  gesagt 
Pilgram.  habn:  Er  sei  dogwesn  als  ein  pilgram,  zu  nehstn  so  er  widerkom,  wol  er 
Kriegsman.    komen  als  ein  kriegsman. 

[fol.  108a f.  (1534)].  Den  20  octob.  ward  mein  lieber  sun  Christof 
an  kindsblatern  heftig  krank,  und  über  acht  tag  von  einem  inwendigen ^'') 
fraischlich  2  oder  3  mal  berürt,  dorumb  gab  im  sein  milchpeurin  ein  gert- 
nerin  einen  samen  zu  trinken,  darzu  überkam  er  das  versegnt*^)  und  durch- 
schlechten, ®^)  das  mich  alles  hart  erschrecket  und  bekumret,  aber  mein  frumer 
herr  got  verlih  bald  sein  gnad  und  pesserung,  dem  sei  lob  ehr  preis  vnd 
dank  in  ewikeit,  der  verleih  alzeit  was  sein  gotlicher  will  und  lob  ist. 

[fol.  108b.  1  Januarii  1535:]  Aus  desselben  begnadung  hat  benanter 
mein  sun  bisher  wol  gewachsn  und  zugnomen,  gleichwol  an  der  narung  kainen 
mangl.  Er  lest  auch  nit  noch,  wil  für  und  für  vol  sein,  bis  es  überget,  und 
ist  gut  mit  im  auszukomen,  dann  so  bald  er  hungrig  wirt,  ist  er  ser  ieh, 
schreit  und  gibt  kainen  frid,  bis  er  wol  gessen  hat,  vil  sagen  er  werd  ein 
ander  anherr  werden  und  im  gleich  sehen  meinem  vattem. 

Maister  Sebastian  Wagner  iudiciret  benantem  meinem  sun  Christof 
den  3  dec.  Er  wurd  sein  rund  behend  trutzig  seiner  Sachen  recht  haben 
wollen,  und  sich  nimant   maistern  lasen,    und  etwan  nit   bald  gute  wort   aus 


87)  Melonen. 

88)  Sein  verstorbener  Bruder  Hieronymus  war  gerade  vier  Tage  alt  geworden. 

89)  Feldzug  des  Kaisers  gegen  Haradin  Barbarossa. 

90)  Goletta. 

91)  Tunis. 

92)  Rotlauf.     Schm.  II,  240. 

93)  Masern.     Vgl.  Grimm  W.  B.  II,  1667. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN.  1 1 1 


geben,  und  grosers  leibs  sein  dann  sun  Jörg,  der  tetig  und  nit  zu  gros  noch 
zu  klain  sein  wurd,  itzo  aber  ist  er  ein  bos  bublein,  und  doch  dem  vater  lieb, 
vacht  an  zu  schwatzn,  wen  er  gern  wein  und  met  trünkt,  und  zucker  candet  •*) 
eß  so  ist  im  ein  gred  •*)  im  hals  besteckt,  So  ist  er  haiser  und  hat  di  husten, 
das  schir  für  und  für  beschicht,  und  acht  sich  der  mutter  bei  weitem  mer 
dan  des  vatem.  Er  hat  die  fleckn,  wi  meins  brudern  kinder  alle,  und  der 
gmain  iargang*®)  was  überkomen  den  13  dec.  vnd  12  tag  in  der  stubn  gelegn 
und  sich  doch  wenig  anfechtn  lasn. 

1536. 
[fol.  121a:]  Item  di  weil  wir  schuldig  sein,  aneinander  guts  zu  tun 
und  sunderlich  armen  freunden®^),  wie  Meinander  sagt,  recordare  dives  existens 
pauperes  iuvare,  hab  ich  Mathesn  Scheurln  von  Dillingen  und  sein  Schwester 
Annala  mitwoch  den  13  octob.  1532  vnd,  auf  des  Annala  absterben,  ir 
Schwester  Ketteria  den  8  Januarij  1534  zu  erzihen  angenomen  ic.  2C. 

Jörg  vom  Rotenhan. 
[fol.  122  b.  1.  Januarii  1536:]  Item  diweil  herr  Sebastian  vom  Rotnhan 
ritter  vnd  doctor,  ein  gelerter  namhafter  redlicher  Frank  vor  37  jarn  zu 
Bononien*®)  mein  schulgesel  und  bis  in  sein  absterben  —  **)  mein  liber  und 
guter  freund  gewesen  ist,  und  domit  auch  mein  liber  sun  Jörg  Scheurl, 
mit  erlicher  geselschaft  erzogen  wurd,  hab  ich  seins  brudern  Hansn  von 
Rotnhan  zu  Rentweinsdorf  ^^^)  sun  Jörgen,  seins  alters  6  Jar  und  8  tag,  den 
23  Augusti  1535  in  mein  behausung  angnomen  zuerzihen,  zu  guten  tugenden 
und  Sitten,  und  lernen  zu  lasn,  unbenant  ainicher  zeit,  noch  kostgelts,  mer 
umb  freuntschaft  willen,  hab  bisher  nichzit  entphangn  und  bin  unverbunden 
und  wol  zufriden  was  mir  sein  vater  und  mutter  Margreta  von  Seckndorf 
geben  oder  nit  geben.  Ir  voit  zu  Hebelsried  ^***),  gewislich  ein  beschaiden  ver- 
stendig  und  seiner  herschaft  getreu  man,  haist  Jobst  Dhein,  wie  sein  sun. 

Jörg  Neusesser  junior. 

[fol.  122b:]  Der  ist  zu  mir  komen  dinstag  den  9.  Novembris  nehst 
verschinen,  seins  alters  auf  S.  Niklas  tag  12  jar  alt,  den  hab  ich  in  mein 
haus  und  an  meinen  tisch  angnomen,  auszuzihen  und  lernen  zu  lasn,  im  auch 
zucht  er  und  veterliche  guthait  zu  beweisen  ic.  ic. 

[fol.  124  a:]     Anna  seugam: 

Item  ich  hab  die  Anna  auf  27  Aprilis  1532  gedingt  umb  8  fl.  und  ir 
darzu  allerlei  geschenkt,  dorumb  das  si  meinen  liben  sun  Jorgn  gemuttert, 
und  sein  bisher  gewartet  und  er  ir  gute  gnad  hab,  volgent  hab  ich  ir  ein  zeit 


94)  Kandiszucker. 

95)  Fischgräte. 

96)  die  Kinder  in  seinem  Alter. 

97)  Verwandten. 

98)  Bologna. 

99)  Platz  frei  gelassen,  wohl  zu  künftiger  Eintragung  des  Todestages  bestimmt. 

100)  Markt,  A.G.  Baunach  und  B.A.  Ebern  (Unterfranken). 

101)  Vermutlich  Namensvariante   für  das  später  vorkommende  Ebelsbach,  Dorf  im 
heutigen  Amtsger.-Bez.  Eltmann,  B.-A.  Haßfurt,  Unteriranken. 


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112 


BILDER  AUS  D.  KINDERLEBEN  IN  DEN  DREISSIG.  JAHREN  DES  XVL  JAHRHUNDERTS. 


lang  6  fl.  geben  und  gib  ir  seint  aller  hailigen  tag,  doran  si  aller  ding  bezalt 
gewesen  ist,  4V2  fl. 

[fol.    124a:]     Katherina   von  Staflstein   seugam   Hansn  Fuchsn  tochter. 

Als  mein  lieber  sun  Christof  geborn  ist  dinstag  den  3  Augusti  1535. 
hab  ich  im  das  Ketteria,  in  zu  muttern  gedingt  den  5.  Augusti  umb  8  fl.  ein 
jar.  und  ein  gülden  leikauf,  dofür  hab  ich  ir  itzo  zum  neuen  jar  geschenkt 
tuch  zu  ainem  Unterrock,  und  im  solt  auf  lichtmes  künftig  zalt  2  fl. 

Milchpeurin. 

[fol.  124a:]  Item  meiner  baider  sun  milchpeurin  di  Linhartin  in  Peter 
Schneiders  garten  hinter  der  vesten,  gibt  alle  tag  herein  3  seidla  guter  milch 
umb  3  /^  tut  ein  virtail  iars  9  /  3  /^  und  ist  zu  aller  hailign  tag  zalt  ge- 
wesen /. 

[fol.  125a:]  und  di  benant  Agnes  Perin  hat  meinem  lieben  sun  Christofn 
ain  gut  gesotten  pulver  für  das  fraislich  eingeben,  das  in  neben  gotlicher 
begnadung  bald  und  wol  geholfen  hat.  der  sei  lob  ehr  und  dank  zc. 

[fol.  127b:]  Mer  zalt  ich  den  2  feb.  Linhartin  gertnerin  meins  suns 
Christof  auch  Jörgen  milchpeurin  des  tags  3  seidlein  milch  3  ^  tut 
ein  virtl  jars  von  omnium  sanctorum  bis  her —     Ifl.  0/21/^. 

[fol.  130b.  Mai  1536:]  Meiner  seugammen  Ketteria  von  Staffelstain  2  fl. 
Jorgn  mait  der  Anna  1  fl.  ein  halb  ort  im  lidlon  ....  Walpurgis. 

[fol.  134a.  1536,  Prty,  nach  Laurentii:]  Es  verlassen  den  Dienst  u.  a.: 
Anna  Hofmanin,  di  meinen  üben  sun  Jorgn  gemuttert  und  4V4  iar  treulich 
erzogn  hat,  der  schankt  ich  zu  samt  irem  Ion  4  halb  Joachimtaler,  und 
Katherina  von  Staffelstain,  di  meinen  lieben  sun  Christofen  ein  iar  gemutert 
hat,  den  man  nun  entwenen  muß,  der  zalt  ich  iren  austendigen  virtail  iarlon 
2  fl.  und  schankt  ir  auch  von  irs  suns  wegen  2  halb  Joachimtaler,  do  was 
vil  wainens  ic. 

[fol.  139a:]  Item  als  ich  Hansn  vom  Rotnhan  zu  Rentweinsdorf  ^^^)  seinen 
sun  Jörgen  den  23  Augusti  1535.  in  di  kost  angnomen  hab,  hat  mir  sein 
voit  zu  Ebelsbach  ^<^2)  den  5  octob.  zalt  kostgelt  das  vergangn  iar  28  fl.  vil 
dargelihns  gelts  5  fl.  6  /  11   /^. 

[fol.  139a:]  Item  ich  kouft  [von  Melchior  Beyr]  den  11.  Nov.  ein  pecher 
den  ich  Gorgn  schenkt,  wigt  11  lot  1  q  1   ^. 

1537. 

Christof  Schewrl  ambulans: 
[fol.  155  b:]  Item  Christina  Neusesserin  hat  irm  poten  [Paten]  Christofen 
Scheurln  geschenkt  ein  podkittelein  ausgenet  mit  gold  und  seiden  lustig 
und  kunstlich,  der  hat  angefangen  zu  gin  allein,  suntag  Letare,  11  Martii 
1537,  als  er  alt  was  19  monat  und  7  tag.  dorumb  sein  vater  als  von  seinem 
sun  sunderlich  geliebt,  einen  frolichen  Letare  het,  gott  den  herrn  got  lobet 
danket  und  bat  umb  gnad  das  baide  seine  sun  gin  mochten  und  wandern 
in  seinen  hailigen  wegen  und  gepoten  amen. 

102)  s.  d.  vor.  Anm. 


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VON  HEINRICH  HBERWAGEN. 


113 


[fol.  157a:]  Linhartin  milchpeurin,  meins  suns  Christofen  tegliche 
milch  9  /3  .^. 

Sun  Christof. 

[fol.  159b.  Augustus.  1537:]  Item  an  heut  freitag  den  3  Augusti  zu  12 
um  des  halben  seigers  ist  mein  geübter  sun  Christof  Scheurl  zwei  jar  alt 
worden,  und  aws  gotlicher  begnadung  dises  iar  nur  wol  gesunt  gewesen, 
leibig  und  völlig  worden,  hat  ser  gewachsn  und  zugnumen,  hat  letare  ver- 
gangen angefangen  zug  in,  aber  doch  nichzit  zu  reden,  dann  da  und  ma,  auch 
bisher  gar  nichzit  trunken,  dann  ein  gute  warme  kuemilch,  di  er  wol  zechen 
niag,  got  gesegn  ims,  und  ist  zumal  ein  schöner,  frolicher  holtseliger  pueb, 
der  den  vater  ser  liebet,  und  mit  ofnem  weiten  maul  an  ine  feit  und  kust, 
und  widerumb  von  im  herzlich  geliebet  wirdet,  in  masen  er  auch  sein  mutter 
überaus  ser  libet,  und  grose  naigung  zu  pferden  hat,  erzaigt  sich  auch,  als 
ob  er  gern  peten  wolt. 

Sun  Jörg. 

Der  gleichn  wehst  auch  sun  Jörg  aus  der  masn  ser,  ist  auf  19  Aprilis 
5  jar  alt  worden,  pet  gern,  kan  noch  nit  r  sprechen,  aber  zu  tisch  peten, 
lateinisch,  pater  noster,  ave  maria,  simbolum,  decem  precepta,  Benedicite, 
Ego  sum  dominus  deus  tuus,  summa  legis  und  der  gleichn  mer,  hat  lust  zun 
pferden,  kurzweilt  gern,  begint  den  vater  mer  zu  lieben,  dann  vor  3  jarn, 
von  dem  allen  der  vater  in  seinen  alten  tagen  die  höchst  ergezlikait  und  freud 
hat,  und  die  beid  sun  für  seinen  grosten  reichtumb  acht  und  helt  hoher 
dann  ein  furstentumb,  wi  sich  auch  Jörg  nent  einen  pfalzgrafen  und  herzog 
Jörg  ze  Vischbach.  trinkt  aus  der  masn  gern  wein,  ist  gern  wol,  und  hat 
freud  zu  gülden  hembden  und  seiden  claidern.  In  suma  ich  lob  preis  ehr 
und  dank,  got  meinen  herrn,  der  grosen  gnaden,  fleuch  pittent,  mir  sein 
gotliche  gnad  zuverleihen,  beide  meine  herzlibsten  sun  zu  erziehen,  in  seinen 
gotlichen  gepoten  und  wegen,  das  beger  ich  und  pit  vom  ganzem  herzen,  und 
wer  mir  di  höchst  freud  auf  erdrich.  das  verleih  mir  und  inen  der  frum  gutig 
und  barmherzig  mein  libster  herr  und  got,  dem  sei  allein  lob  und  ehr  in 
ewikeit  Amen. 

[fol.  161b:     Gewinnanteile  der  Söhne.] 

[fol.  162  b.  März  1537:]  ....  und  meins  lieben  suns  Christofen,  der 
noch  bisher  kainen  andern  trunk  tun  hat,  milchpeurin  di  Linhartin,  alle  tag 
3  seidlein  milch  p  3  ^.     Tut  von  Walb.  bis  1.  Novemb.  2  fl.  1  /  12  ^. 

1538. 

[fol.  165b.     A.  dl  1.  Januarii  1538:] 

Ein  gluckselig  neu  jar  und  vleisige  haltung  der  gepot  gots,  verleih  uns 
allön,  sunderlich  meinen  libsten  sunen  Jörgen  und  Christofen,  denen  hab  ich 
nachvolgende  verzeichnus  an  heut  den  ersten  tag  Januarii  einschreiben  und 
zu  ainem  neuen  jar  schenken  wollen,  mein  dobei  zu  gedenken. 

Wiwol  sich  niemant  an  juditia  lasen,  noch  dorauf  vil  pauen  sol,  hab  ich 
doch  von  jugent  auf  di  selben  nit  verachten  wollen  und  sundre  naigung  dar- 
zu  gehabt,  wol  wissent,  das  si  vilmaln  velen  und  herwiderumb  auch  mermaln 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1906.  ]5 


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1 14     BILDER  AUS  D.  KINDERLEBEN  IN  DEN  DREISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 

zutreffen,  dorumb  wil  ich  auch  meinen  liebsten  sunen  dis  orts  summaris  aus- 
zihen,  was  mir  mein  tag  judicirt  und  pronosticirt  ist. 

—    —  [fol.    165b— 171a:    Wiedergabe   solcher  Prophe- 

zeihungen  ^®^).] 

[fol.  166a:]  Kurzlich  nach  dem  ich  von  Rom  wider  gen  Bononien^®*)  kam, 
macht  ich  kuntschaft  mit  ainem  vast  berumbten  chyromantico  von  Mirandula**^*), 
so  von  diser  kunst  des  hendsehens  getruckte  puchlein  hat  ausgin  lasen, 
der  urtailet  mir,  wo  ich  verharret  im  studirn,  wurd  ich  gros  ehr  haben  und 
zeitlich  selig  sein,  ich  wurd  mein  gut  mern  und  reich  sterben,  ich  wurd  in 
allweg  wol  sterben  und  reich,  es  wurd  mir  nach  40  jarn  glucklich  zustin, 
bis  in  tod,  um  die  75  jar.  Mir  werden  zwen  sun  bei  leben  bleiben, 
und  der  ain,  ein  überaus  groß  man  werden^®*).  Ich  wurd  gros  gluck 
haben,  bei  fursten  und  herrn. 

[fol.  171b.  1538,  9.  Jan.:]  Mein  lieber  sun  Jörg  Scheurl  von  gots 
gnaden  wird  auf  19  aprilis  6  jar  alt,  wechst  so  ser,  das  er  ganz  dürr  und 
hager  ist,  und  etwas  ein  lenglet  angesicht  hat,  mag  wol  lernen,  hat  lust  dar- 
zu,  lernt  den  Donat  lesen,  kan  berait  auswendig  und  betet  dem  vater  vorm 
tisch,  doch  mit  zugetonen  henden,  domit  er  kein  kind  geachtet  werd,  Ora- 
tionem  dominicam  Math.  16,  Salutationem  angelicam  Luc.  1.,  Simbolum 
fidei,  Decem  praecepta  Exo.  20,  Ego  sum  dominus  deus  tuus,  fortis  zelotes, 
visitans  iniquitatem  etc.  Exo.  20,'  diliges  dominum  deum  tuum.  Math.  20, 
Consumatio  itaq.  legis.  Rom.  13,  omnia  quaecumque  volueritis.  Math.  10,* 
vii  schöner    perfectio  Icgis  Christus.    Rom.  10,  Cantum  Marie  Luc.  1.     Si  in  praeceptis 

Spruch.  . 

meis  ambulaventis  etc.  etc. 

Gleich  wol  kan  er  noch  nit  r  oder  —  *®^  sprechen  noch  volkumenlich 
reden,  schwatzt  doch  vil,  freut  sich  der  pferd  und  reutens,  hat  lust  zu  gülden 
hembden,  wais  wer  im  ain  ides  unter  den  zehen  geben  hat,  tregt  gern 
seidene  wammes  und  gute  claider,  ist  aus  der  masn  gern  krebs,  hirn  und 
gute  pisla,  trinkt  gern  roten  und  neuen  wein,  tut  mermaln  einen  guten  sauf, 
stets  frolich  guter  ding,  gesunt,  get  in  Sprüngen,  het  den  vater  lieber  dann 
anfangs  sein  mutter,  di  er  noch  mamma  haist,  und  bruder  Christof,  der  gutig 
herr  got  benedei  in,  amen. 

[fol.  172a  gl.  Dat.:]  Christof  Scheurl  mein  lieber  sun  von  gots  gnaden, 
wird  itzo  auf  künftig  3.  februarii   drithalben  jars,   zecht   teglich   bei   ainer 

103)  u.  a.  erzählt  Dr.  Ch.  Seh.  ans  seiner  eigenen  Kinderzeit  [fol.  165b]:  Di  weil  ich 
ein  kind  was,  spilet  ich  mit  korblein,  hing  die  an  di  tischecken,  und  begeret  dero  ümer 
mer,  das  mein  vater  sprach,  Nun  wil  ich  dir  korb  gnung  koufen,  es  sei  dann,  das  ich 
kainen  vail  find  ? 

Do  ich  erst  geborn  ward,  und  mich  mein  anfrau  von  der  erden  vom  stroe  aufhub, 
und  ich  so  einen  grosen  köpf  het,  sagt  sie :  Stirb  liebs  kind,  wen  du  wilt,  so  stirbt  deinem 
vater  ein  gros  haubt. 

104)  Bologna. 

105)  Mirandola  bei  Modena. 

106)  Am  Rand  hat  der  Sohn  Christof  bescheidenen  Sinnes  angemerkt :  filii  magni  — 
quo  ad  staturam,  verum  dixit. 

107)  Lücke. 


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VON  HEINRICH  HEER  WAGEN  115 

maß,  guter  geweihter^®®)  warmer  kue  milch,  di  schmeckt  im  wol,  hat  noch  bis- 
her kainen  andern  trunk  tun,  dann  milch,  tut  im  recht,  hat  laufen  lernen  zu 
mitvasten^"*),  kan  noch  nichtz  reden,  denn  data  mama,  nain,  ja  verstets  als, 
hat  aus  der  masn  ein  schon  rund  angesicht,  ein  weiser  har,  dann  bruder  Jörg, 
überaus  ein  schöner  freuntlicher  holtseliger  bueb,  hengt  stets  an  der  mutter, 
hat  den  vater  mechtig  lieb,  halst,  schmückt**^),  musslt*^^)  und  tut  im  schun, 
wart  auf  in,  so  er  aus  der  Schreibstuben  zu  tisch  get,  sucht  im  seinen  loffl 
und  messer  zuweg,  ist  wol  zu  zihen,  bisher  nit  gevallen,  keint  [sic!]^^*)  nit, 
kreist ^^*)  nit,  gesunt  wie  ein  fisch,  wol  leibig,  nimt  wol  zu,  stark  und  dick 
wie  sein  bruder,  roslet*^*),  wol  geferbt,  und  eins  edlen  guten  Verstands,  aus 
der  massn  zwai  schone  schwarze  äugen,  haben  ser  lieb  anainander,  herwide- 
rumb  het  si  der  vater  bed  zugleich  ser  lieb  und  all  sein  freud  ergetzlikeit 
und  reichtumb  an  disen  baiden  sunen,  do  mit  in  der  gutig  barmherzig  herr 
got  in  seinem  alter  so  gnediglich  begobt  und  fursehen  hat  .  .  .  [Gebet]. 

[174b.  1538,  9.  Febr.:]  Item  ich  het  zalt  der  Linhartin  für  meinen  liben 
sun  Christofn  der  noch  nichzit  änderst  zecht,  dis  quartal  bis  auf  lichtmes  al 
tag  3  /^  p  3  seidla  milch  9  /  3   ^. 

[181  b.  1538,  Juli:]  .  .  .  und  maister  Lamprechtn,  meins  lieben  suns 
fechtmaistern,  im  schwert  1  fl. 

Meins  suns  Christofen  milchpeurin,  ein  tag  ein  moß  p  2  /^.  6/2  /^. 
der  noch  bis  her  änderst  nichzit  trinkt. 

dem  gutigen  herrn  got  sei  preis  lob  ehr  und  dank,  der  verleih  meinen 
liben  sunen  Jörgen  und  Christofen  sein  gotliche  gnad,  das  sie  seine  heilige 
gepot  treulich  halten,  auch  gern  zalen,  und  in  irem  tun  ordenlich  und  vleisig 
sein,  so  werden  si  auch  reich,  wie  geschriben  steht:  Solicitudo  est  mater  divi- 
tiarum.  divitie  si  affluant,  nolite  apponere  cor.  Benedictio  illius  quasi  fluvius 
inundabit.  eccl.  39. 

[183a.  1538:]  Item  dinstag  13  Augusti  ist  Jörg  vom  Rotenhan 
widerkumen  von  Rempersdorf  ^^^)  hat  ipir  zalt  dises  jars,  so  sich  enden  wirdet 
23  Augusti  kostgelt,  als  nemlich  fl.  28,  die  hob  ich  einnemen  lassen  Melchior 
Peyrin^**)  goltschmidin. 

[fol.  189b:]  Linhartin  milchpeurin  meinem  lieben  sun  Christofen,  der 
überaus  heftig  grintig  ist,  einen  ser  flisenden  köpf  hat  und  noch  nichtz 
dann  milch  trinkt,  des  tags  3  seidlein,  tut  des  virtl  jars  1  fl.  0  /  19  /^. 

108)  Milch,  die  bei  ruhigem  Stehen  den  sich  über  der  Oberfläche  wölbenden  Rahm 
erzeugt  hat. 

109)  Mittwoch  vor  Laetare. 

110)  schmucken,  schmiegen.    Schm.  II,  544. 

111)  sonst  muscheln,  sich  anmuscheln,  sich  anschmiegen. 

112)  statt:  greint. 

113)  kreischt. 

114)  von  rosiger  Gesichtsfarbe. 

115)  =  Rentweinsdorf.     S.  Anm.  100  S.  111. 

116)  Melchior  Baier,  Goldschmied  in  der  Bindergasse.  Sein  Name  kehrt  in  unserer 
Vorlage  immer  wieder.  Fol.  226a  heißt  ihn  Dr.  Scheurl  ausdrücklich  seinen  Gold- 
schmied. Mehr  über  M.  Baier  bei  Hampe,  Nürnberger  Ratsverlässe,  Einlcit.  S.  XIII  und 
Bd.  I  nr.  3080  mit  Anm.  2,  in  der  die  bezügl.  literarischen  Nachweise  beigebracht  werden. 


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116 


BILDER  AUS  D.  KINDEHLEBBN  IN  DEN  DREISSIG.  JAHREN  DES  XVI.  JAHRHUNDERTS. 


[fol.  202b.  1.  Februarii  1539:]  Linhartin  milchpeurin  mein  sun  Christofen 
alle  tag  3  seidla  milch,  dieweil  er  noch  nit  anders  tringt,  tut  9  /  1  ^. 

[fol.  207  a.     1.  März  1539:]     Kurze  Notiz  zur  gleichen  Ausgabe. 

[fol.  211a.  1  Aug.:]  meins  üben  suns  Christofen  milchpeuerin  ein  tag 
3  seidlein  milch,  die  er  genzlich  und  sunst  nichzit  auszecht,  1  fl.  0/21   /^. 

[fol.  211b.     30.  Aug.:]     Christofn  milchpeurin  1  fl.  21   ^, 

[fol.  215a.  31.  Okt.:]  der  milchpeurin  sun  Christofen  di  vergangen 
13  Wochen  alle  tag  3  seidlein  milch  zupringen  p  3  ^9^  tut   1  fl.  0  /  21   ^. 

[fol.  217  a:]  Item  als  ich  Keterla  Scheurlin  Linhart  Scheurls  tochter, 
nach  absterben  irer  Schwester  Annalein,  4  jar  in  meinem  haus  erzogen,  und 
si  aber  zu  aller  posselarbet  ^ ' ')  gebraucht  und  der  maid  maid  gewesn  ist,  das 
si  weder  gotsvorcht  peten  lesen  noch  spinnen  gelernt  hat,  hab  ich  sie  aus  an- 
gezaigten  Ursachen  donerstag  den  11.  decemb.  zu  Kungunten  Scherbin  unter 
der  vesten  gelasen,  und  ir  gedingt  zu  geben  ein  jar  14  fl.  und  auf  di  kreuz- 
wochen  ainen  Joachimstaler  zu  ainem  leikouf  oder  taler.  Ich  zalt  ir  sunabent 
20  Martii  V*  kostgelt  3  fl.  4  /  6  ^. 

[fol.  217  a:]  Item  Steffan  Merten  mein  Schreiber  ist  seins  Ions  des  ersten 
jars,  so  sich  auf  6  dec.  geendet  hat,  bezalt,  nemlich  8  fl.  für  Fabian  Mulzn 
und  Jorgn  vom  Rotenhan.  darzu  schankt  ich  im  von  der  Kinder  rechnung 
und  anderm  zu  schreiben  2  fl.  und  gib  im  das  jar  von  beden  meinen 
sunen  zu  leren   2  fl.  und  was  er  weiter  erdinet. 

1540. 

[fol.  221a:]  Georg  Scheurl  mein  lieber  sun  ist  aus  gots  begnadung 
anheut  montag  nach  Jubilate  19  Aprilis,  37*  stund  auf  den  tag  alt  worden 
acht  jar.  dem  sei  lob  ehr  preis  und  danksagung  in  ewikeit.  der  verleih  im 
sein  gotliche  gnad  das  er  aufwachs  in  seinen  heiligen  gepoten,  und  alt 
werd,  wi  hioben  a.  z.  12  eingeschriben  ist. 

[fol.  221a.  auf  walburgis  =  1.  Mai:]  Meins  lieben  suns  Christofen 
milchpeurin  des  tags  3  ^  für  milch,  seinen  wein  und  pier,  tut  1  fl.  21  ^. 

[fol.  224b:]  Item  a.  di.  dito.  3.  Augusti,  doran  mein  lieber  sun  Christof 
zu  mittag,  aus  gotlicher  begnadung  alt  worden  ist  5  jar.  der  herr  got  geb 
lenger  nach  seinem  gotlichen  willen,  dem  sei  allein  lob  ehr  glori  und  dank- 
sagung.   was  mir  Pirckman  schuldig  .  .  .  (folgen  die  Posten). 

1541. 

[fol.  247a.  Nov.:]  Item  ich  hab  zalt  maister  Petern  von  Hausen  meinem 
balbirer  hausarmen  leuten  umb  gots  ehr  auszuteilen,  wi  vormaln  fl.  3  ein  ort, 
und  sunderlich  der  Anna  seugammen  meins  suns  Jörgen  den  halben  tail  zu 
geben,  den  erfult  ich  ir  mit  1 '/a  orten,  domit  si  den  hauszins  bezalen 
mocht. 

Mit  herzlichem  Dank  gedenke  ich  auch  an  dieser  Stelle  der  ausgezeichneten  Bei- 
hilfe, die  mein  Freund  Dr.  August  Gebhardt-Erlangen  mir  gelegentlich  der  Revision 
des  Textes  und  der  endgiltigen  Fassung  der  Anmerkungen  durch  vielfache  Nachweise 
und  Verbesserungsvorschläge  hat  zuteil  werden  lassen.  H.  H. 

117)  Geringe  Arbeit.    Vgl.  Schm.  I,  410. 


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ÜBER   EINIGE   NEUERWERBUNGEN  DER   SKULPTUREN- 
SAMMLUNG  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR  W.  JOSEPflI. 
(Mit  2  Tafeln.) 

Die  umfangreiche  Skulpturenabteilung  des  Germanischen  Museums  erhielt 
in  den  letzten  beiden  Jahren  sehr  erhebliche  Bereicherung;  die  be- 
deutendsten Stücke,  und  zwar  zunächst  die  dem  Mittelalter  enstammenden, 
sollen  im  Folgenden  einer  Besprechung  unterzogen  werden. 

An  erster  Stelle  ist  der  weniger  künstlerisch  als  kunsthistorisch  wert- 
volle Kruzifixus  (Pl.-O.  2056,  Taf.  VI)  zu  nennen,  der  unter  die  im  Jahrgang 
1905  dieser  Mitteilungen  S.  89  ff.  behandelten  Frühwerke  der  Holzplastik 
einzureihen  ist.  Seine  Erwerbung  war  für  das  Museum  um  so  erfreulicher, 
als  er  die  nur  sehr  lückenhaft  vertretene  Obergangsgruppe  zwischen  den 
Frühwerken  gotischen  Stils  und  der  reifen  Plastik  des  beginnenden  XV.  Jahr- 
hunderts anschaulich  vertritt.  Bisher  besaß  das  Germanische  National-Museum 
nur  einen  kleinen  Kruzifixus  dieser  kunstgeschichtlich  wichtigen  Epoche  (Pl.-O. 
308),  während  einerseits  die  Frühzeit  mehrfach  (Pl.-O.  33,  34,  35,  36.  Vgl. 
Mitteilungen  aus  dem  Germanischen  Nationalmuseum.  1905.  S.  125  ff.),  andrer- 
seits aber  vor  allem  die  Spätzeit  durch  ganz  hervorragende  Exemplare  ver- 
treten ist. 

Der  nackte,  nur  mit  dem  bis  über  die  Kniee  reichenden  Lendentuch 
bekleidete  lebensgroße  Christus  hängt  mit  übereinander  gelegten  Füssen,  von 
drei  Nägeln  durchbohrt,  am  Kreuze.  Die  Körpermittellinie  ist  eine  fast  gerade, 
nur  eine  ganz  leichte  Ausbiegung  der  rechten  Hüfte  bewirkt  eine  Abweichung. 
Das  mit  einem  gewundenen  Doppeltau,  dem  Dornenkranz,  gekrönte  Haupt, 
an  dessen  rechter  Seite  sich  noch  ein  Arm  des  aus  Eisen  geschnittenen  lilien- 
förmigen  Kreuzesnimbus  befindet,  ist  ein  wenig  nach  rechts  geneigt  und  vor- 
wärts gesenkt;  die  Arme  sind  durch  das  Gewicht  des  Körpers  aus  der  Hori- 
zontalen abgelenkt.  Der  auffällig  schmale  Kopf  hat  lockiges  Haupthaar  und 
einen  kurzen  straffen  Backen-  und  Kinnbart.  In  der  rechten  Brust  befindet 
sich  eine  zackige  Wunde,  unter  welcher,  wie  auch  unter  den  Wundmalen  der 
Füße,  der  Blutstrom  plastisch  wiedergegeben  ist.  Das  Lendentuch  hat  an 
beiden  Seiten  lange,  reichgefältete  Überschläge. 


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IIS     ÜBER  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULPTURENSAMMLUNG  D.GERM.  MUSEUMS. 


Das  Material  des  Körpers  ist  Lindenholz,  das  des  Kreuzes  ist  Fichten- 
holz. 

Die  Länge  des  Körpers  Christi  von  der  Hauptesmitte  bis  zu  den  Zehen 
beträgt  167  cm,  die  Breite  der  ausgestreckten  Arme  154  cm.  Das  Kreuz  hat 
eine  Höhe  von  210  cm  und  eine  Breite  von  162,5  cm. 

Die  Figur  ist  vollrund  gearbeitet,  aber  hohl;  sie  scheint  demnach  aus 
Teilen  zusammengesetzt  zu  sein,  was  unter  der  starken  Übermalung  im  Ein- 
zelnen nicht  festzustellen  ist.  Die  Bemalung  ruht  auf  Kreidegrund  mit  ge- 
legentlicher Leinenunterlage,  doch  stammt  die  oberste  Schicht  zweifellos  erst 
aus  der  Barockzeit:  Weiß  und  Rot  herrschen  vor.  Die  ursprüngliche  Färbung 
nachzuweisen  war  angesichts  der  schlechten  Erhaltung  der  wenig  von  einander 
unterscheidbaren  Farbschichten  unmöglich. 

Das  Kreuz,  das  keine  Grundierung  besitzt,  scheint  einfarben  braun  an- 
gestrichen gewesen  zu  sein;  über  dem  Haupte  Christi  findet  sich  die  Dar- 
stellung von  Flammen.  Die  Rückseite  ist  flammenartig  in  Rot  und  Gelb  orna- 
mentiert. 

Im  Gegensatz  zu  der  Erhaltung  der  Färbung  ist  das  Holz  verhältnismäßig 
intakt  geblieben.  Es  fehlen  nur  die  drei  ersten  Finger  der  rechten  Hand,  die  vier 
letzten  Zehen  des  linken  und  sämtliche  Zehen  des  rechten  Fußes;  ferner  sind 
noch  kleinere  Wurmfraßdefekte  vornehmlich  an  den  Ohren  und  an  den 
Zipfeln  des  Lendentuchs  zu  konstatieren.  Von  dem  vertikalen  und  dem 
linken  Arm  des  wohl  nicht  ursprünglichen  eisernen  Lilienkreuznimbus  finden 
sich  nur  noch  die  angenagelten  Stümpfe. 

Ergänzungen  lassen  sich  unter  der  späteren  Farbschicht  mit  Sicherheit 
schwer  nachweisen;  sicher  sind  nur  der  vierte  und  fünfte  Finger  der  rechten 
Hand  hinzugefügt. 

Auf  der  Rückseite  des  Kreuzesstammes  findet  sich  die  nachstehende, 
im  Einzelnen  schlecht  lesbare  Inschrift: 

dises  Crucifix  ist  Anno 
1699  mense  7bri  aus 
dem  bein  haislein  hie 
her  auf  S.  Ulrich  (?)  gesetzt 
warden. 

(Abgesehen  vom  letzten  Worte  ist  die  vierte  Zeile  fast  unleserlich). 

Damit  ist  zweifellos  der  Zeitpunkt  für  die  Fertigung  des  Kreuzes,  sowie 
für  die  Erneuerung  der  Färbung  des  Körpers  gegeben.  Derselben  Zeit  dürfte 
auch  wohl  der  eiserne  Kreuzesnimbus  angehören,  ebenso  die  drei  Eisennägel, 
die,  wenigstens  an  den  Händen,  in  keinen  Beziehungen  stehen  zu  den  durch 
das  Hängen  aufgerissenen  und  verzerrten  Wunden.  ^ 

Die  Herkunft  der  Arbeit  steht  nicht  fest;  sie  wurde  in  Konstanz  im 
Kunsthandel  erworben  und  sollte  sich  gemäß  den  Angaben  des  Vorbesitzers 
ehemals  im  dortigen  Dominikanerkloster,  dem  heutigen  Inselhotel,  befunden 
haben.  Die  Richtigkeit  dieser  Angaben  war  nicht  nachweisbar;  sie  ist  mög- 
lich, doch  gibt  die  obige  Inschrift  zu  gewissen  Bedenken  Anlaß.  Die  Nennung 
des  Heiligen  Ulrich,    falls  dies  Wort  richtig  entziffert  ist,   würde  ja   in  erster 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


119 


Linie  nach  Schwaben  weisen,  doch  ist  das  kein  Grund,  der  schwerwiegender 
gegen  die  doch  immerhin  wahrscheinliche  Herkunft  aus  Konstanz  oder  dessen 
Umgebung  sprechen  würde.  Infolge  der  unentwickelten  Stilphase  läßt  sich 
eine  örtliche  Zuweisung  aus  einem  Lokalcharakter  künstlerischer  Art  nicht 
vornehmen:  künstlerische  Stammesschattierungen  finden  an  diesem  rohen 
Werke  noch  keinen  Ausdruck. 

Als  Entstehungszeit  wird  die  Mitte  oder  die  zweite  Hälfte  des  XIV.  Jahr- 
hunderts anzunehmen  sein.  Die  richtige  Datierung  derartiger  Kruzifixe  ist 
erschwert,  weil  bei  diesem  einfachen  Motiv  der  bei  jeder  mittelalterlichen 
Figur  doch  in  erster  Linie  maßgebende  Faltenstil  der  Gewandung  nur  unter- 
geordnete Bedeutung  besitzt.  In  den  deutschen  Kunstinventaren  hält  sich 
deshalb  die  Datierung  meist  in  sehr  weiten  Grenzen  und  begnügt  sich  in  der 
Regel  mit  der  Feststellung  des  Jahrhunderts. 

So  viele  und  dem  hier  behandelten  Exemplare  künstlerisch  nahestehende, 
oft  sogar  überraschend  ähnliche  Kruzifixe  der  deutsche  Denkmälerbestand 
aufweist,  so  wenige  datierte  Stücke  finden  sich  unter  ihnen.  Unter  den 
datierten  Erzeugnissen  der  Großplastik  kenne  ich  kein  einziges,  das  stilistisch 
mit  dem  Kruzifix  des  Germanischen  Museums  in  enge  Beziehung  zu  bringen 
wäre.  Und  Vergleiche  mit  kleinplastischen  Werken,  denen  ganz  andere  Voraus- 
setzungen zu  Grunde  liegen,  bergen  —  ganz  besonders  dann,  wenn  man  nicht 
nach  den  Orginalen  zu  urteilen  Gelegenheit  hat  —  bedenkliche  Fehlerquellen 
in  sich.  Trotzdem  kann  man  allgemein  wohl  die  Behauptung  aufstellen,  daß 
beispielsweise  der  Kruzifixus  des  Grabower  Altars  von  1379  in  der  Ham- 
burger Kunsthalle  (Schlie,  Die  Kunst-  und  Geschichtsdenkmäler  des  Groß- 
herzogtums Mecklenburg-Schwerin  III.  Lichtwark,  Meister  Bertram)  an  Körper- 
durchbildung, natürlicher  Auffassung,  seelischer  Vertiefung  und  Stilisierung 
der  Stoffaltelung  erheblich  fortgeschrittener  ist  als  der  hier  behandelte.  Aller- 
dings war  auch  der  Plastiker  des  Grabower  Altars,  mag  er  nun  Meister  Bertram 
geheißen  haben  oder  nicht,  ein  für  seine  Zeit  hochbedeutender  Künstler,  was 
von  dem  Verfertiger  des  Konstanzer  Kruzifixes  wohl  nicht  behauptet  werden 
darf.  Ebenso  ist  der  Kruzifix  des  Schrenkaltars  in  der  Peterskirche  zu 
München  (v.  Bezold  und  Riehl,  Die  Kunstdenkmale  des  Königreichs  Bayern. 
I.  Oberbayem.  Tafel  170),  der,  vielleicht  nicht  mit  Recht,  auf  1376  datiert 
wird,  wesentlich  entwickelter.  Ziemlich  nahe  dagegen  steht  ihm  der  bei 
von  Bezold  und  Riehl,  ebenda,  Tafel  89  abgebildete  Kruzifixus  auf  dem  Grab- 
stein des  Joh.  Lapic(ida)  von  1380  in  Mittenwald.  Es  ist  dies  Beispiel  aber 
ein  Relief  in  Stein,  sodaß  die  Vorbedingungen  andere  sind. 

Im  allgemeinen  dürfte  aus  diesen  Vergleichen  hervorgehen,  daß  der 
Nürnberger  Kruzifix  stilistisch  etwas  altertümlicher  ist,  als  jene  allerdings 
führenden  datierten  Stücke,  und  demnach  wohl  in  die  zweite  Hälfte  des 
XIV.  Jahrhunderts  zu  setzen  sein  wird.  Gegen  eine  noch  frühere  Zeit 
spricht  das  schon  ziemlich  reich-  und  weichfaltig  angelegte  Lendentuch,  das 
somit  schon  auf  die  konsequent  allerdings  erst  zu  Beginn  des  XV.  Jahrhunderts 
einsetzende  Stilphase  hindeutet.  Die  Fältelung  an  den  Säumen  der  Über- 
schläge ist  zwar  noch  flach  und  unplastisch,  zeigt  aber,  allerdings  nur  zeichne- 


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120    Ober  einige  Neuerwerbungen  der  skulptureksabcmlung  d.  germ.  museuhs. 


risch  angedeutet,  bereits  die  sich  zu  Beginn  des  XV.  Jahrhunderts  zu  plas- 
tischer Fülle  entwickelnden  Röhrenfalten.  Wenn  der  in  den  Mitteilungen  des 
Germanischen  Nationalmuseums  1905,  S.  133  abgebildete  Kruzifix  aus  dort 
angeführten  Gründen  an  das  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  gesetzt  werden 
mußte,  so  beweist  der  Vergleich,  daß  der  hier  behandelte  nur  eine  Vorstufe 
dazu  repräsentiert  und  daher  etwas  früher  zu  datieren  ist. 

Von  undatierten  Stücken  möchte  ich  einige  anführen,  die  mir  zeit- 
stilistisch dem  Nürnberger  Exemplar  besonders  nahe  zu  stehen  scheinen.  Vor 
allem  ist  dies  der  Kruzifix  der  katholischen  Pfarrkirche  zu  Kendenich.  (Giemen, 
Die  Kunstdenkmäler  der  Rheinprovinz.  IV.  Bd.  Die  Kunstdenkmäler  des  Land- 
kreises Köln.  Fig.  71:  »XIV.  Jahrhundert«),  wie  auch  die  Kruzifixe  von  Ahlen 
und  Sünninghausen  (Ludorff,  Die  Bau-  und  Kunstdenkmale  von  Westfalen.  Kreis 
Beckum.  Beide  als  »gotisch«  datiert)  hier  angeführt  werden  können.  In  der 
Durchbildung  des  Körpers  haben  die  Kruzifixe  von  Apierbeck  (im  städtischen 
Museum  zu  Dortmund.  Ludorff,  ebenda.  Kreis  Horde:  »Übergang«),  in  der 
Gaukirche  zu  Paderborn  (Ludorff,  ebenda.  Kreis  Paderborn:  »gotisch«), 
sowie  auch  das  Triumphkreuz  des  Güstrower  Doms  (Schlie,  Die  Kunst-  und 
Geschichtsdenkmäler  des  Großherzogtums  Mecklenburg -Schwerin.  Bd.  IV: 
»Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts«)  große  Ähnlichkeit.  Auch  auf  den  in  den 
Mitteilungen  der  K.  K.  Centralkommission  VII.  Neue  Folge.  1881.  S.  133 
behandelten  Silberkruzifix  im  Domschatz  der  Metropolitankirche  zu  Görz 
(»XIV.  Jahrhundert«),  sei  als  Analogon  hingewiesen. 

Die  Stufe  künstlerischer  Entwicklung  und  künstlerischen  Könnens,  die 
sich  in  diesem  Denkmsrl  ausspricht,  ist  eine  recht  tiefe:  das  Sehvermögen  des 
Künstlers  und  seine  Fähigkeit,  das  Gesehene  zweckentsprechend  wiederzu- 
geben, ist  noch  wenig  entwickelt.  Der  erste  Eindruck,  den  das  Bildwerk  auf 
den  Beschauer  macht,  ist  demnach  ein  solcher  roher  Handwerklichkeit.  Ästhe- 
tisch bedeutet  das  Bildwerk  wenig,  sein  Wert  liegt  lediglich  in  seiner  kunst- 
historischen Stellung,  die  es  allerdings  mit  einer  Anzahl  sehr  ähnlicher  Werke, 
insbesondere  solcher  in  der  Provinz  Westfalen  (vgl.  das  Ludorff^sche  In- 
ventar) teilt. 

Vor  allem  merkwürdig  mutet  das  Ringen  des  Meisters  an,  anatomische 
Details,  vor  allem  an  der  Bauchpartie,  zur  Darstellung  zu  bringen.  Das  kugelige 
Heraustreten  der  Eingeweidemasse  ist  zwar  an  sich  bei  dem  hängenden 
mageren  Leichnam  möglich,  dürfte  aber  in  Wirklichkeit  schwerlich  in  dieser 
gewaltsamen  Weise  vorkommen.  Um  so  merkwürdiger  ist  es,  daß  eine  große 
Zahl  von  Kruzifixen  dieser  Zeit  ohne  jeden  anderen  Zusammenhang  als  den 
der  Zeit  in  fast  identischer  Weise  dies  Motiv  vorführt  (besonders  Ahlen  in 
Westfalen,  Güstrow  in  Mecklenburg -Schwerin,  Apierbeck  in  Westfalen  und 
noch  andere).  Noch  deutlicher  macht  sich  diese  in  der  Darstellung  zu  einem 
Schematismus  erstarrende  Naturbeobachtung  bei  den  an  der  Bauchhöhle  ab- 
rupt endenden  falschen  Rippen,  die  eigentlich  nur  aus  parallel  eingekerbten 
Linien  bestehen,  geltend.  Die  Brustpartie  entbehrt  jeder  feineren  Modellierung, 
wie  auch  die  Extremitäten,  bei  denen  aber  wieder  die  allerdings  völlig  un- 
verstandene und  unkorrekte  Wiedergabe  der  Sehnen  auffällt,  aufs  rohste  ge- 


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VON  DR.  W.  JüSEPflI. 


121 


Staltet  sind.  Der  Kopf  ist  nur  ganz  allgemein  angelegt;  durch  die  später 
erneute  Bemalung  erscheint  er  lebensvoller,  wenn  auch  nicht  gerade  sym- 
pathischer, als  er  es  seiner  plastischen  Anlage  nach  verdient.  Da  es  sich 
um  ein  Werk  des  XIV.  Jahrhunderts  handelt,  muß  immerhin  zu  Gunsten  des 
Herstellers  angeführt  werden,  daß  er  sich  nicht  nach  der  üblichen  Weise 
über  die  schwierige  Wiedergabe  der  Ohren  durch  einfache  Negierung  derselben 
kühn  hinwegsetzte,  sondern  unter  dem  vom  Haupte  wegfließenden  Haupthaar 
verhältnismäßig  gut  durchgebildete  Ohren  gestaltet  hat,  deren  unnatürliche 
Stellung  —  sie  stehen  rechtwinklig  zum  Schädel  —  allerdings  das  Waghalsige 
dieses  Versuches  in  Erscheinung  treten  läßt. 

Über  die  Faltenstilisierung  und  deren  Bewertung  ist  bereits  oben  ge- 
sprochen: sie  ist  eine  nur  andeutende  und  entbehrt  plastischer  Empfindung 
und  Durchbildung. 


Wenn  wir  die  Neuerwerbungen  in  zeitlicher  Reihenfolge  betrachten,  so 
ist  an  zweiter  Stelle  die  wertvolle  und  künstlerisch  hochbedeutende  Gruppe 
der  Madonna  mit  dem  Kinde  zu  nennen,  die  als  hochherzige  Spende  der  Familie 
des  jüngst  verstorbenen  Nürnberger  Buchdruckereibesitzers  Hans  Sebald  in 
das  Germanische  Nationalmuseum  gelangte.     (Pl.-O.  2030.  Abb.  1.) 

Diese  Gruppe  ist  ein  rückseits  gehöhltes  Hochrelief.  Maria  steht  mit 
entlastet  vorgesetztem  linken  Bein  auf  dem  Monde,  der  als  ein  der  Länge 
nach  halbiertes  liegendes  Gesicht  wiedergegeben  ist.  Der  ganze  Oberkörper  der 
Madonna  ist  unnatürlich  weit  nach  rechts  ausgebogen,  das  Gesicht  mit  leichter 
Wendung  nach  links  dem  nackten  Christuskinde  zugeneigt,  das  mit  über- 
einander gelegten  Beinen  auf  der  linken  Hüfte  der  Mutter  sitzt  und  von  ihrer 
linken  Hand  stützend  umfaßt  wird.  Der  rechte  Unterarm  der  Maria  ist  vor- 
wärts gestreckt,  die  etwas  nach  unten  gesenkte  vertikal  gestellte  Hand  macht 
eine  leichte  Griflfbewegung  (anscheinend  um  ein  jetzt  verlorenes  Scepter  zu 
halten).  Das  krausköpfige  Kind  blickt  mit  seinem  etwas  nach  links  geneigten 
Gesicht  geradeaus.  Seine  linke  Hand  faßt  eine  auf  dem  linken  Knie  auf- 
ruhende stilisierende   Rose,   die   rechte   zerrt   an   dem   Kopftuch   der  Mutter. 

Maria  ist  in  ein  langes  gegürtetes  Gewand  gekleidet,  das  in  rundem 
Ausschnitt  den  Halsansatz  frei  läßt  und  faltenlos  die  Brust  umspannt,  während 
es  die  Unterschenkel  in  reichem  Faltenwurf  umhüllt  und  vermöge  seiner 
Überlänge  faltig  auf  dem  Boden  auflagert.  Um  die  Schultern  ist  ein  bis 
über  die  Kniee  reichender  stoffreicher  Mantel  geworfen,  der  von  rechts  nach 
links  über  den  Unterkörper  gezogen  ist  und  in  dieser  Lage  durch  das  Ge- 
wicht des  Kindes  erhalten  wird.  Dieser  Mantel  schlingt  sich  einerseits  um  die 
gehobene  rechte  Hand,  andererseits  bildete  er  auch  an  der  linken  Seite  beim 
Zusammenstoß  der  Säume  ein  reiches  Gewirr  weicher  Röhrenfalten.  Eine 
Krone,  gebildet  aus  einem  Reif,  aus  dem  sich  in  regelmäßigem  Wechsel  eine 
Zacke  und  eine  auf  stilisierten  Blättern  ruhende  Rose  erheben,  schmückt  das 
Haupt,  dessen  wellig  aus  dem  Gesicht  fließendes  Haar  teilweise  durch  ein 
von  gewelltem  Saum  umfaßtes  Kopftuch  bedeckt  ist.  Während  der  linke 
Zipfel  dieses  Kopftuchs  auf  die  linke  Hüfte  der  Mutter  herabfällt  und  sich 
Mitteilangen  aus  dem  gennan.  Nationalmoaetim.    1906.  16 


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122      ÜBER  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULFl'URENSAMMLUNG  D.  GERM.  MUSEUMS. 

letzten  Endes  um  den  linken  Oberschenkel  des  Kindes  schlingt,  wird  der 
rechte  Zipfel  von  dem  Kinde  mit  seiner  rechten  Hand  an  sich  herangezogen. 
Das  Material  ist  Lindenholz.  Die  Rückseite  der  flach  angelegten  Gruppe 
ist  so  sehr  ausgehöhlt,  daß  hie  und  da  infolge  Durchbrechung  einzelner  be- 
sonders dünner  Stellen  Defekte  entstanden  sind.  Das  Gewicht  dieser  160  cm 
hohen  Gruppe  ist  ein  auffällig  geringes. 


Abb.  1.    Madonna.     Französisch.     2.  Hälfte  des  XIV.  Jahrh. 
Pl.-O.  2030.     Höhe  160  cm. 

Die  Gruppe  ist  ausgezeichnet  erhalten.  Irgend  welche  wesentlichen  Er- 
gänzungen sind  nicht  nachzuweisen.  Die,  wie  die  Technik  und  die  Richtung 
der   Wurmlöcher   beweisen,    ursprünglich    vorhanden   gewesene    Färbung    ist 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


123 


entfernt,  dafür  ist  aber  ein  leicht  abwaschbarer  bräunlicher  Anstrich  aufgetragen. 
Farbspuren  sind  nicht  mehr  vorhanden. 

Erworben  wurde  die  Gruppe  im  Kunsthandel;  sie  soll  sich  lange  Zeit 
im  Münchener  Privatbesitz  befunden  haben. 

Gemäß  dem  sehr  charakteristischen  Faltenstil,  sowie  der  typischen 
Körperhaltung  müßte  die  Gruppe,  falls  es  sich  um  eine  deutsche  Arbeit 
handelte,  etwa  in  das  erste  oder  zweite  Jahrzehnt  des  XV.  Jahrhunderts  gesetzt 
werden.  Allein  gegen  die  deutsche  Herkunft  spricht  die  feine  Durchbildung 
des  Gesichts,  die  für  jene  Zeit  etwas  ganz  Abnormes  wäre.  Man  vergleiche 
damit  etwa  die  im  Faltenstil  und  Haltung  sehr  ähnliche,  wenn  auch  sogar 
schon  etwas  fortgeschrittenere  nürnbergische  Madonna  des  Germanischen 
Nationalmuseums  (Pl.-O.  37.  Katalog  der  Originalskulpturen  1890.  Nr.  80. 
Abgebildet  bei  Albrecht,  Meisterwerke  deutscher  Bildschnitzerkunst  im  Ger- 
manischen Nationalmuseum,  Taf.  4,  sowie  bei  Münzenberger,  Mittelalterliche 
Altäre  Deutschlands),  sowie  die  vielen  Pietäs  und  Madonnen  dieses  weich- 
faltigen Stils,  wie  sie  vor  allem  die  Kunstinventare  Bayerns  und  Westfalens 
publiziert  haben,  um  den  Unterschied  in  der  Detaillierung  der  Gesichtszüge 
sowie  in  der  Zartheit  der  Wiedergabe  äußerer  Formen  einzusehen.  Soweit 
photographische  Reproduktionen  ein  Urteil  erlauben,  muß  ich  diese  Gruppe 
in  den  französischen  Kunstkreis  versetzen. 

Fast  ebenso  wie  in  Deutschland  hat  auch  in  Frankreich  die  Kunst- 
geschichte der  Erforschung  der  mittelalterlichen  Plastik  bis  in  neuste  Zeit 
wenig  Sympathie  entgegengebracht.  Über  die  Elfenbeinwerke  sind  wir  relativ 
noch  am  besten  unterrichtet;  und  auf  diesem  Gebiete  der  Kleinkunst  zeigen  sich 
im  XIV.  Jahrhundert  deutlich  erkennbar  und  in  auffälligem  Gegensatz  zum 
deutschen  Kunstschaffen  jene  für  unsere  Figur  charakteristischen  Eigenheiten  in 
der  Formengebung  der  weiblichen  Gesichtszüge:  die  übermäßig  hohe  Stirne, 
die  zart  verlaufende  und  besonders  an  den  Flügeln  fein  beobachtet  wieder- 
gegebene Nase,  die  in  feinen  Schwellungen  modellierten  Partien  unter  den 
Augen  und  zwischen  Nase  und  Mund,  der  zarte,  meist  an  den  Winkeln  etwas 
nach  oben  gezogene  Mund,  dessen  feines  Lächeln  weit  entfernt  ist  von  der 
den  deutschen  Skulpturen  eigenen  gewaltsamen  Ausdrucksbetätigung,  vor 
allem  aber  die  etwas  schräg  verlaufenden  und  von  den  Oberlidern  halb  be- 
deckten Augen.  Alle  diese  Motive,  die  an  der  neu  erworbenen  Gruppe  auf- 
fallen, finden  sich  charakteristisch  wieder  in  den  auch  in  Deutschland  zahl- 
reich verbreiteten  Erzeugnissen  französischer  Elfenbeinkunst. 

Neuerdings  sind  wir  durch  das  treffliche  Tafelwerk  von  Paul  Vitry  und 
Gaston  Bri^re :  Documents  de  sculpture  frangaise,  in  die  Lage  versetzt,  auch  die 
mittelalterliche  Monumentalplastik  Frankreichs  in  vorzüglicher  Weise  überblicken 
zu  können.  An  der  Hand  dieses  äußerst  reiches  Material  bietenden  Werkes  ist 
umfassende  Gelegenheit  zu  vergleichenden  Studien  gegeben,  und  in  der  Tat 
finden  sich  alle  jene  Momente,  die  bei  einer  deutschen  Skulptur  jener  Zeit 
befremden  müßten,  hier,  und  zwar  schon  in  frühester  Zeit,  deutlich  und  den 
Eindruck  bestimmend  wieder.  Bekannt  und  oft  bewundert  ist  ja  dieser  vor- 
nehme   Liebreiz   der   Gesichtstypen,   diese   feine  Durchbildung  des  Antlitzes 


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124      CBEK  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULPTURENSAMMLUNG  D.GERM.  MUSEUMS. 


schon  bei  den  Frühwerken  monumentaler  französischer  Plastik,  ich  denke  vor 
allem  an  die  Werke  von  Amiens  und  Rheims  aus  dem  XIII.  Jahrhundert, 
denen  als  gleichwertige  Erzeugnisse  im  deutschen  Kunstgebiet  einzig  und 
allein  die  mit  französischen  Elementen  stark  durchsetzten  Statuen  der  Kirche 
und  der  Synagoge  am  Straßburger  Münster  an  die  Seite  zu  stellen  sein  dürften. 
Dieser  Stil  setzt  sich  dann  in  Frankreich  durch  das  ganze  XIV.  und  XV.  Jahr- 
hundert hindurch  fort,  wofür  Vitry  und  Bri^re  zahlreiche  Beispiele  bringen 
(PI.  XCIII— CXVII). 

Die  Zuweisung  dieser  Figur  in  den  französischen  Kunstkreis  wird  äußer- 
lich bestätigt  durch  die  eigenartig  schöne  Form  der  Krone.  In  der  deutschen 
Kunst  kommen  zwar  ähnliche  stilisierte  Rosen  als  Zier  von  schapelartigen 
Kopfbändern  gelegentlich  vor,  doch  eine  Krone  dieser  Art,  deren  Zacken  in 
dieser  schönen  Form  abwechselnd  durch  Spitzen  und  auf  Dop|>elblättern 
liegenden  stilisierten  Rosen  gebildet  werden,  ist  mir  bisher  im  deutschen 
Denkmälerbestande  nicht  bekannt  geworden.  Demzufolge  erscheint  mir  als 
ein  die  Zuweisung  in  den  französischen  Kunstkreis  bestätigendes  Moment  der 
Umstand,  daß  sich  dieselbe  Krone,  und  zwar  fast  identisch,  —  nur  der  Reif 
ist  niedriger  —  an  einer  aus  der  ersten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  stam- 
menden Muttergottesstatue  im  Kreuzgang  der  Kathedrale  von  St.  D\6  (Vosges) 
findet;  auch  das  Christkind  hält  dort  in  ganz  ähnlicher  Weise  seine  Rose. 
(Vitry  und  Bri^re,  PI.  XCIII,  3). 

Weitere  Untersuchungen,  in  welche  Zone  französischer  Kunst  diese 
Skulptur  einzuordnen  ist,  vermag  ich  zur  Zeit  nicht  zu  machen,  da  erfahrungs- 
gemäß gerade  auf  dem  Gebiet  der  Plastik  die  photographischen  Reproduktionen 
für  feinere  stilistische  Untersuchungen  absolut  ungenügend  sind  und  regel- 
mäßig zu  falschen  Schlüssen  verleiten. 

Als  Entstehungszeit  der  Gruppe  wird  das  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts 
anzunehmen  sein.  Die  Fülle,  die  der  Figur  ihre  Eigenart  gibt,  tritt,  wie  in 
Deutschland  erst  gegen  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts,  in  Frankreich  schon  bald 
nach  Mitte  allgemein  auf.  Abgesehen  von  dieser  kleinen  zeitlichen  Differenz 
verläuft  die  Entwicklung  in  beiden  Ländern  fast  analog. 

Zeitstilistisch  stehen  unserem  Werke  nahe  die  Madonnenfigur  am  Nord- 
turm der  Kathedrale  von  Amiens  (Vitry  und  Bri^re,  PI.  CHI,  3.  Zwischen 
1373  und  1375),  die  Apostelstatue  in  St.  Croix  in  Bemay  (ebenda  PI.  CV,  8. 
Ende  des  XIV.  Jahrh.),  die  Madonnen  an  der  Kirche  zu  Rouvres  (Ebenda 
PI.  CXI,  2.  Zweite  Hälfte  des  XIV.  Jahrh.),  in  Paris  im  Mus^e  du  Louvre 
und  im  Mus^e  de  Cluny  (Ebenda  PI.  CXI,  6  u.  8.     Mitte  des  XIV.  Jahrh.). 

Ferner  ist  die  zeitliche  Entfernung  der  Gruppe  von  Claus  Sluters 
1395—1402  in  Dijon  errichteten  Mosesbrunnen  (Ebenda  PI.  CVIII.  Marcou, 
Album  du  mus6e  de  sculpture  compar^e  III.  PI.  XXX — XXXII.  Klassischer 
Skulpturenschatz  39,  46,  52,  57)  keine  allzugroße,  jedenfalls  aber  verbietet 
die  flache  Formgebung  der  Brust  in  das  XV.  Jahrhundert  hineinzugehen.  Im 
Faltenwurf  sehr  verwandt  mit  dieser  Gruppe  ist,  soweit  ich  nach  der  unge- 
nügenden Abbildung  bei  Jules  Heibig,  La  sculpture  et  les  arts  plastiques  au 
pays  de  Liege  et  sur  les    bords   de   la  Meuse  1890,    S.  118,  urteilen   kann. 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI.  125 


die  Madonnenstatue  in  Notre-Dame  zu  Maestricht;  Heibig  datiert  jene  Figur 
nicht,  doch  geht  aus  der  Titelüberschrift  hervor,  daß  er  sie  vor  1390  ansetzt. 
Allerdings  bringt  derselbe  Verfasser  in  seinem  Werk,  L'art  Mosan.  Tome  I, 
1906,  S.  126  dieselbe  Abbildung,  mit  der  Datierung:  XV.  Jahrhundert. 

Kunsthistorisch  ist  die  Gruppe  jener  sympathischen  Stilphase  einzu- 
reihen, in  der  im  Gegensatz  zu  der  frühgotischen  Knappheit  auf  das  Stoff- 
liche der  Gewandung,  vielleicht  durch  einen  Modewechsel  angeregt,  ein  ganz 
besonderer  Nachdruck  gelegt  wird.  Bei  unserer  Figur  dominiert  für  den  Ein- 
druck der  Kleiderstoff,  wie  er  in  seiner  weichen  Fülle  und  seinem  faltigen 
Reichtum  den  Körper  umhüllt.  Trotz  dieser  Bevorzugung  des  Stofflichen 
sind  aber  die  einzelnen  Faltenmotive,  insbesondere  dort,  wo  sie  sich,  wie  an 
beiden  Seiten,  häufen,  durchaus  nicht  natürlich,  sondern  in  den  Einzelheiten 
unfrei  und  schematisch.  Trotzdem  mutet  aber  dieser  Faltenstil  in  seiner 
Weichheit  und  Ruhe  wahrer  und  vor  allem  sympathischer  an  als  der  viel 
raffiniertere  scharfbrüchige,  doch  in  den  Einzelmotiven  viel  maniriertere  der 
zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts. 

Dem  Laien,  der  gewohnt  ist,  jedes  Kunstwerk  vom  Standpunkt  der 
Gegenwart  aus  zu  beurteilen,  wird  vornehmlich  die  anatomische  Unrichtigkeit 
in  der  Formgebung  auffallen,  und  doch  ist  gerade  sie  typisch  für  die  Zeit, 
in  der  das  Werk  entstand.  Der  vorgetriebene  Unterkörper  ist  viel  zu  lang 
im  Verhältnis  zu  dem  fast  negierten  Oberkörper,  an  dem  weibliche  Formen 
kaum  angedeutet  sind;  die  Verkürzung  des  Unterarms  ist  übertrieben,  der 
Halsansatz,  der  infolge  des  Kleiderausschnittes  sichtbar  ist,  unorganisch.  Ein 
Blickkonnex  zwischen  Mutter  und  Kind  ist  versucht,  aber  noch  nicht  ge- 
lungen. Die  ganze  Haltung  ist  äußerst  gezwungen  und  wirkt  sogar  direkt 
unschön.  Aber  gerade  diese  gekünstelte  Körperhaltung  beweist,  daß  es  dem 
mit  den  Aüsdrucksmitteln  noch  ringenden  Meister  darum  zu  tun  war,  seinem 
Werke  Leben  einzuprägen,  und  so  gelangte  er,  da  ihm  ein  eingehendes 
Studium  der  Natur  noch  nicht  zu  Gebote  stand,  auf  diese  gewaltsame  Ver- 
renkung. Andererseits  muß  aber  auch  in  Rücksicht  gezogen  werden,  daß 
derartig  geschwungene  Stellungen  zweifellos  dem  hochgotischen  Schönheits- 
ideal entsprachen  und  demzufolge  gern  gebildet  wurden.  Bei  dieser  Gruppe 
ist  jedenfalls  die  Wirkung  die,  daß  eine  Art  Gleichgewicht  entsteht  zwischen 
dem  auf  der  linken  Hüfte  der  Mutter  sitzenden  Kinde  und  dem  Oberkörper 
der  Madonna. 

Ebensowenig  Naturkenntnis  verrät  die  Durchbildung  der  Gesichtszüge, 
und  doch  sind  sie  ein  Hauptmoment  für  den  sehr  sympathischen  Eindruck 
der  Figur.  Der  eigenartige  Liebreiz,  der  über  diese  Gruppe  ausgegossen  ist, 
die  ?arte  Empfindung,  die  sich  in  Haltung  und  Gebärden  ausspricht,  die 
Weichheit  der  ganzen  Formengebung,  alles  das  verleiht  der  Arbeit  einen 
eigenen  Wert. 

Viel  besser  ist  das  nackte  Kind  durchgebildet;  wie  so  oft,  so  zeigt  sich 
auch  bei  dieser  Gruppe,  daß  die  Kunst  verhältnismäßig  früh  verstand, , den 
Kinderkörper  in  seiner  Eigenart  zu  erfassen,  während  gleichzeitig  der  be- 
kleidete Körper  Erwachsener   die   nach   unserem  Gefühl  gröbsten  Unrichtig- 


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126     ÜBER  EINIGB  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULPTURENSAMMLUNG  D.  GERM.  MUSEUMS. 


keiten  aufweist.  Sehr  hübsch,  wenn  auch  in  der  Wiedergabe  nicht  ganz  ein- 
wandsfrei,  ist  das  Weichliche  des  Kinderkörpers  beobachtet,  indem  die  Finger 
der  Mutter  sich  in  die  schwellende  Fülle  eindrücken,  andererseits  an  den  drallen 
Ärmchen  über  dem  quellenden  Fettpolster  die  Haut  sich  ringförmig  strafft 
und  einzieht. 

Die  Form  der  Konsole,  so  eigenartig  sie  auch  anmutet,  ist  dennoch  keine 
originale  Erfindung.  Das  halbierte,  meist  auch  mit  dem  Kopftuche  bekleidete 
Gesicht,  findet  sich,  wie  in  der  französischen  Kunst  (Beispiele  im  Louvre), 
so  auch  in  der  deutschen  Kunst  nicht  selten.  Ich  erwähne  etwa  die  thronende 
Madonna  in  Gries  (Mitte  des  XV.  Jahrhunderts),  ferner  verschiedene  ober- 
bayerische, schwäbische  und  fränkische  Madonnen  meist  von  der  Mitte  bis 
zum  Ende  des  XV.  Jahrhunderts.  Ganz  besonders  beliebt  scheint  aber  diese 
Darstellungsart  im  niedersächsischen  Kunstkreise  gewesen  zu  sein;  das 
Schlie'sche  Kunstinventar  von  Mecklenburg -Schwerin  bildet  eine  auffällig 
große  Anzahl  ab,  unter  denen  der  Krämer -Altar  in  Wismar  (Mitte  des 
XV.  Jahrhunderts)  die  älteste  Darstellung  ist.  Ein  Beispiel  aus  dem  west- 
lichen Kunstkreise  ist  die  oben  erwähnte  Madonna  zu  Maestricht.  In  späterer 
Zeit  verschwindet  diese  Form  mehr  zu  Gunsten  der  Sichelform,  doch  findet 
sich  damit  noch  gelegentlich  vereint  die  dreidimensionale  Wiedergabe  des  Ge- 
sichts. Das  bayerische  Kunstinventar  gibt  besonders  viele  Beispiele  dieser  Art, 
am  bekanntesten  dürfte  die  herrliche  Multscher'sche  Madonna  zu  Sterzing  vom 
Jahre  1458  sein,  bei  der  sich  das  dreidimensionale  Gesicht  mit  der  Sichel 
verbindet. 


Aus  Altdorf  bei  Landshut  in  Niederbayern  wurde  die  aus  Lindenholz 
geschnitzte  Gruppe  einer  Madonna  mit  dem  Kinde  erworben.  (Pl.-O.  206L 
Höhe:  93  cm,  Abb.  2).  Maria  sitzt  auf  einer  an  den  Seitenflächen  oben  und 
unten  in  einfachen  Profilen  auslaufenden  marmorartig  bemalten  Bank.  Sie  ist 
in  einen  weiten  goldenen,  hellblau  gefutterten  Mantel  gekleidet,  der  von  links 
nach  rechts  über  die  Kniee  geworfen  ist;  sein  überlanges  Ende  ist  zur  Rechten 
der  Maria  auf  die  Bank  gelegt,  vor  der  die  Stoffmasse  in  reichen  undulierenden 
Falten  hemiederfällt.  Über  das  Haupt,  das  von  schematisch  stilisierten  ver- 
goldeten Locken  umrahmt  ist,  ist  ein  silbernes  Kopftuch  gelegt,  dessen  linker 
Zipfel  auf  die  Brust  herabfällt,  während  sich  der  rechte,  unter  dem  Kinn 
weggezogen,  über  die  linke  Achsel  auf  den  Rücken  legt.  Während  die  vor- 
gestreckte rechte  Hand  einen  goldenen  Apfel  hält,  umfaßt  die  linke  das  auf 
dem  rechten  Knie  der  Mutter  in  Profilstellung  sitzende  nackte  Kind,  dem  sie 
ihr  Haupt  zuwendet.  Der  Kopf  des  Kindes  ist  mit  scharfer  Wendung  nach 
links  gedreht,  also  dem  Beschauer  zugewandt;  beide  Arme  umklammem  einen 
goldenen  Vogel.  Die  Haare  sind  gelockt  und  vergoldet.  Die  Figur  des 
Kindes  ist  selbständig  gearbeitet  und  mit  einem  Dübel  in  der  auf  dem  linken 
Oberschenkel  der  Mutter  angebrachten  Vertiefung  befestigt. 

Ergänzt  ist  die  rechte  Hand  der  Maria;  die  linke  ist  angedübelt,  doch 
anscheinend  alt.  Beim  Kinde  rühren  die  Beine  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  von 
einer   Ergänzung    her;    ebenso    stammen    seine    vordem    roh    entfernten    Ge- 


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VON  DR.  w.  JosErni.  127 


schlechtsteile  von  der  letzten  Restaurierung.  —  Beide  Figuren  trugen  ehemals 
Kronen,  wie  der  tiefe  horizontale  Einschnitt  um  den  Oberkopf  des  Kindes 
sowie  die  unbearbeitete  Partie  um  den  Scheitel  der  Maria  beweisen  (bei  der 
Restaurierung  ausgeglichen).  Doch  scheint  beim  Kinde  dies  erst  eine  nach- 
trägliche Zurichtung  zu  sein,  während  sie  bei  der  Mutter  ursprünglich  ist.  — 
Die  Rückseite  der  Gruppe  ist  bearbeitet,  doch  ist  die  Bank  ausgehöhlt. 

Als  die  Gruppe  in  den  Besitz  des  Germanischen  Nationalmuseums  ge- 
langte, war  sie  entstellt  durch  eine  in  neuerer  Zeit  vorgenommene  dicke 
Cberschmierung    mit    Ölfarben    und    unechter    Vergoldung    und  Versilberung. 


Abb    2.     Pl.-O.  2061.     Maria  mit  dem  Kinde.     Nieder- 
bayerisch.     Erste  Hälfte  des  XV.  Jahrb.      Höhe  93  cm. 

Das  Direktorium  sah  sich  deshalb  genötigt,  eine  Entfernung  vorzunehmen. 
Im  Verlaufe  dieser  Arbeit  erwies  sich,  daß  mehrfach  Übermalungen,  und  zwar 
in  willkürlichen  und  oft  direkt  falschen  und  störenden  Färbungen  vorhanden 
waren.  Im  Gesicht,  dessen  letzter  bäuerlich-roher  Antrieb  vornehmlich  zu 
einer  Korrektur  herausforderte,  ließen  sich  mit  Sicherheit  4  Schichten  kon- 
statieren, deren  unterste  sehr  feine  und  zarte  Tönungen  aufwies.  Nach  Maß- 
gabe der  zahlreich  auf  dem  vollständig  erhaltenen  Kreidegrund  vorgefundenen 
Farbenspuren  konnte  die  oben  geschilderte  ursprüngliche  Farbengebung  mit 
Sicherheit  wiederhergestellt  werden,  so   daß   der  derzeitige  Eindruck  ein  un- 


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128      ÜBER  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULPl'URENSAMMLUNG  D.  GERM.  MUSEUMS. 


getrübterer  und  vor  allem  unverfälschterer  ist  als  zuvor.  (Die  beigegebene 
Abbildung  gibt  die  Figur  in   ihrem  Zustande  vor   der  Restaurierung  wieder). 

Die  Gruppe  zeigt  bayerischen  Kunstcharakter  und  gliedert  sich  gut 
den  thronenden  Madonnen,  vor  allem  aber  den  Pietäs  dieses  weichfaltigen 
Stils  an,  die  Ober-  und  Niederbayem  in  großer  Zahl  aufweisen.  Die  Wahr- 
scheinlichkeit spricht  dafür,  daß  dies  Werk  in  Landshut  gefertigt  wurde,  wo 
sich  seit  dem  Beginn  des  XV.  Jahrhunderts  im  Anschluß  an  den  Bau  der 
Martinskirche  und  anderer  bedeutender  Kultstätten  auch  für  das  Gebiet  der 
Skulptur  eine  Hauptpflegestätte  bayerischer  Kunst  bildete.  (Fr.  Haack,  Die 
gotische  Architektur  und  Plastik  der  Stadt  Landshut.  Inaug.-Diss.  München. 
1897.  Leider  ist  das  bayerische  Kunstinventar  noch  nicht  an  die  Publizierung 
Niederbayerns  gelangt,  sodaß  Vergleichsmaterial  in  größerem  Umfange  fehlt, 
doch  scheinen  mir  die  dortigen  Denkmale,  soweit  ich  nach  den  mir  vor- 
liegenden Photographien  zu  urteilen  wagen  darf,  nicht  gegen  diese  an  sich 
schon  durch  die  Herkunft  des  Werkes  wahrscheinliche  Annahme  zu  sprechen. 
Insbesondere  scheint  die  Pietä  in  Kloster  Seligental,  ein  Werk,  das  sicherlich 
dem  Landshuter  Kunstkreise  angehört,  nach  mancher  Richtung  Analogien  zu 
bieten. 

Einer  genaueren  Datierung  der  Gruppe  stehen  insofern  Schwierigkeiten 
entgegen,  als  alle  ähnlichen  Darstellungen  einer  sicheren  Zeitangabe  entbehren. 
Auch  die  vielfachen  Beispiele,  die  das  bayerische  Kunstinventar  vorführt, 
bieten  hierfür  wenig,  da  dies  Inventar  infolge  der  Langsamkeit  seines  Er- 
scheinens jede  Einheitlichkeit  in  der  subjektiven  Datierung  verloren  hat. 
Doch  ist  soviel  sicher,  daß  der  steinerne  Hochaltar  in  St.  Martin  zu  Lands- 
hut vom  Jahre  1424,  ein  Werk,  das  sicherlich  den  Höhepunkt  des  dortigen 
plastischen  Könnens  jener  Zeit  verkörpert,  in  den  Einzelheiten  wesentlich 
altertümlicher  anmutet.  Auch  die  herrliche  thronende  Madonna  aus  Kloster 
Seeon,  wohl  das  schönste  Werk  dieses  weichfaltigen  Stils,  das  das  bayerische 
Nationalmuseum  in  München  besitzt  und  das  der  Katalog  von  1896  (Nr.  493) 
»um  1433«  datiert,  ist  stilistisch  erheblich  älter.  Von  den  bei  B.  Riehl  in 
seiner  Abhandlung:  Geschichte  der  Stein-  und  Holzplastik  in  Oberbayem. 
(Abh.  d.  III.  Cl.  d.  k.  b.  Akad.  d.  Wissensch.  XXIII.  1.)  abgebildeten  Pietäs 
steht  die  von  Moosburg  (»gegen  Mitte  des  XV.  Jahrh.«)  unserer  Gruppe  am 
nächsten.  (Abgebildet  auch  in  »Die  Kunstdenkmale  des  Königreiches  Bayern«. 
I.  Band.  Oberbayern.  Tafel  149).  Einzelne  stilistische  Momente  deuten 
bereits  auf  den  Übergang  zur  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts,  und  so  wird 
die  Datierung  gegen  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  die  richtige  sein. 

Erst  nach  der  Ablaugung  zeigte  sich  die  große  Feinheit  der  Arbeit,  da 
zuvor  alle  Details  unter  der  dicken  Farbenschicht  versteckt  lagen.  Die  Be- 
wegung der  Madonna  zeugt  von  zartem  Empfinden,  die  Drapierung  der 
weichen  Stoffmasse  von  großem  plastischem  Feingefühl.  Das  Antlitz  ent- 
behrt, wie  bei  allen  Figuren  dieser  Zeit,  noch  der  feineren  Durchbildung, 
wirkt  aber  im  ganzen  sehr  sinnig  und  anmutig.  Weniger  befriedigt  das  Kind, 
das  im  Gegensatz  zur  Mutter  recht  derb  aufgefaßt  ist  und  durch  seine  un- 
schöne Kopfform  unsympathisch  berührt. 


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VON  DR,  W.  JOSEPHI. 


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Seltsamerweise  ist  die  Szene  exzentrisch  komponiert:  die  Madonna  sitzt 
auf  der  einen  Seite  der  Bank,  und  auch  der  abgeeckte  Sockel  erstreckt  sich 
nicht  unter  das  ganze  Bildwerk,  sondern  nur  unter  die  Figur.  Der  Eindruck 
ist  ein  solcher,  als  habe  sich  ehemals  noch  etwas  zur  Rechten  der  Madonna 
befunden,  oder  die  Bank  sei  in  späterer  Zeit  willkürlich  verlängert  worden, 
worden.  Trotzdem  nun  in  der  Tat  an  dieser  Stelle  das  Holzmaterial  zu- 
sammengestückt ist,  so  hat  sich  doch  bei  der  Ablaugung  ergeben,  daß  diese 
Zusammensetzung  ursprünglich  ist,  auch  die  Anordnung  der  ziemlich  will- 
kürlich über  das  Bankende  gelegten  Gewandmaße,  läßt  den  Gedanken  einer 
späteren  Hinzufügung  als  untunlich  erscheinen.  Möglich,  wenn  auch  nicht 
wahrscheinlich,  wäre  allerdings,  daß  die  Gruppe  nur  der  Teil  einer  größeren 
Szene,  etwa  einer  Darstellung  der  Anbetung  der  heüigen  drei  Könige,  gewesen 
sei,  aber  auch  damit  ergibt  sich  keine  allseits  befriedigende  Erklärung  für 
das  Unsymmetrische  der  Komposition. 


Als  einziges  Steinbildwerk  unter  den  hier  besprochenen  Skulpturen  ist 
die  Madonna  vom  Hause  Albrecht  Dürerplatz  4  in  Nürnberg  (Pl.-O.  2057. 
Abb.  3)  zu  nennen,  die,  um  der  zunehmenden  Verwitterung  Einhalt  bieten 
zu  können,  an  Ort  und  Stelle  durch  eine  Kopie  ersetzt  werden  mußte, 
während  das  Original  als  Eigentum  der  Stiftung  zur  Erhaltung  Nürnberger 
Kunstwerke  in  die  im  Germanischen  Museum  aufbewahrten  Kunstsammlungen 
der  Stadt  Nürnberg  gelangte.     (Vgl.  R^e,  Nürnberg,  1900.     S.  79). 

Maria  steht  da  mit  entlastet  vorgesetztem  rechten  Bein.  Sie  ist  in  ein 
langes  rotes,  am  Halse  rund  ausgeschnittenes,  langärmeliges  Gewand  ge- 
kleidet, das  sie  mit  ihrer  rechten  Hand  vorne  emporrafft.  Die  Linke  trägt 
oberhalb  der  etwas  ausgebogenen  linken  Hüfte  das  krausköpfige,  mit  über- 
einandergelegten  Beinen  dasitzende  nackte  Kind.  Ein  langer  Mantel  bedeckt 
den  Rücken  der  Mutter.  Ihr  Haupt  ist  etwas  nach  links  gewandt  und  nach 
vorne  geneigt,  der  Blick  ist  geradeaus  gerichtet. 

Es  fehlen  ein  größeres  Stück  vom  rechten  Arm,  sowie  Stücke  der  Ge- 
wandpartie des  linken  Ellenbogens.  Als  Ergänzung  ist  nur  die  schmiede- 
eiserne Krone  zu  nennen,  die  in  den  romantisch-gotischen  Formen  der  Mitte 
des  XIX.  Jahrhunderts  gefertigt  ist. 

Eine  an  der  Vorderseite  mit  einem  Wappenschilde  gezierte  Konsole 
aus  spätgotischem  Astwerk  mit  einer  reich  profilierten  achtseitigen  Deck- 
platte trägt  diese  Figur,  Auf  dem  Wappenschilde  ist  ein  wahrscheinlich  im 
XVI.  oder  gar  erst  im  XVII.  Jahrhundert  gemaltes  Wappen,  das  nicht  iden- 
tifiziert werden  konnte  —  nur  das  Bild,  nicht  aber  die  Tinkturen  entsprechen 
dem  der  Nürnberger  Patrizier  Rieter  von  Kornburg.  —  Auf  zwei  Seiten  der 
Konsole  stehen:  kazel  —  1482. 

Von  der  Bemalung,  die  sicher  mehrmals  erneuert  worden  ist,  ist  nur 
die  rote  Färbung  des  Gewandes,   sowie  die   blaue   des  Mantels  nachweisbar. 

Die  Gruppe  (ohne  Krone)  hat  eine  Höhe  von  182  cm.  die  Konsole  eine 
solche  von  50  cm. 


Mitteilungen  aus  dem  germao.  Nationalmuseum.    1906.  17 


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130     ÜBER  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULFTURENSAMMLUNG  D.  GERM.  MUSEUMS. 


Die  Bedeutung  dieser  unzweifelhaft  der  Nürnberger  Kunst  entstammenden 
Gruppe,  die  rein  künstlerisch  schon  eine  sehr  große  ist,  erhöht  sich  kunst- 
historisch noch  durch  die  sichere  und  unanfechtbare  inschriftliche  Datierung. 


Abb.  3.    Madonna.   Nürnbergisch.  1482.    Pl.-O.  2057.     Höhe  382  cm. 

Durch  diese  Arbeit  ist  eine  Stilphase  festgelegt,  wie  sie  einem  ganz 
hervorragenden  Steinplastiker  zu  Beginn  der  achtziger  Jahre  des  XV.  Jahr- 
hunderts   eigen  war.     Die   künstlerische   Bedeutung  dieser  Figur  ist  eine    so 


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VON  DR  W.  JOSEPHI. 


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große,  daß  nur  einer  der  ersten  seiner  Zeit  sie  zu  gestalten  vermochte,  was 
vornehmlich  durch  einen  Vergleich  mit  der  herrlichsten  Madonnenschöpfung 
unterfränkischer  Kunst,  der  um  elf  Jahre  jüngeren  und  dem  Riemenschneider 
zugeschriebenen  Madonnenstatue  im  Neumünster  zu  Würzburg  (Tönnies, 
T.  Riemenschneider.  Abb.  IV)  erhellt.  Besonders  auffällig  berührt  der  für 
die  Entstehungszeit  merkwürdig  reich  und  weich  gestaltete  Faltenwurf  und 
die  gute,  den  Faltenverlauf  bestimmende  Durchbildung  der  weiblichen  Brust. 

Die  Auffassung  der  Gruppe  ist,  ihrer  Zweckbestimmung  gemäß,  eine 
dekorative,  was  vornehmlich  in  dem  großflächigen  Faltenwurf  zum  Ausdruck 
kommt.  Trotzdem  spricht  aus  vielen  Zügen  eine  sehr  feine  und  liebevolle 
Naturbeobachtung;  vor  allem  in  dem  sehr  naturwahr  durchgebildeten  Christus. 
Weniger  gelungen  sind  die  Gesichter,  denen  eine  gewisse  Strenge  und  Herbe 
eigen  ist  und  bei  denen  vor  allem  die  scharfe  und  harte  Formengebung  der 
Augenpartie  auffallt. 

Unter  den  Nürnberger  Hausmadonnen  ist  mir  keine  bekannt,  die  mit 
Sicherheit  dem  Meister  von  1482  zuzuweisen  wäre.  Unter  den  vielen  der- 
artigen Schöpfungen  steht  ihm  aber  sehr  nahe  die  Madonna  an  der  Tetzels- 
kapelle  von  St.  Ägidien,  die  man  früher  als  ein  Jugendwerk  Adam  Kraffts 
ansprach.  Doch  scheinen  mir  beide  Werke  sich  sehr  erheblich  von  den  dem 
Krafft  authentisch  zuzuweisenden  Arbeiten  zu  unterscheiden. 


Eine  charaktervolle  und  wirksame  Arbeit  etwa  aus  dem  letzten  Dezenium 
des  XV.  Jahrhunderts  ist  die  Rundstatue  des  heiligen  Nikolaus  (Pl.-O.  2022. 
Abb.  4,  ferner  abgebildet  bei  .Dehio  und  von  Bezold,  Die  Denkmale  der 
deutschen  Bildhauerkunst.     Taf.  40,2). 

Auf  niedriger  achtseitiger  Platte  steht  der  Heilige,  das  linke  Bein  ent- 
lastet vorgestellt.  Er  ist  bischöflich  gekleidet:  über  der  weißen,  goldgesäumten 
und  mit  braunen  Punteten  übersäten,  vorne  mit  einem  roten  Damaststreifen 
verzierten  Alba  trägt  er,  nur  an  den  Seiten  sichtbar,  die  rotdamastne  befranste 
und  beiderseits  aufgeschnittene  Dalmatika,  über  welche  die  goldene  mit  ein- 
geritzter Kreuzverzierung  versehene  Kasula  geworfen  ist.  Um  den  Hals  ist 
das  faltige  weiße,  doch  rotgesäumte  Humerale  gelegt.  Auf  dem  Haupte  trägt 
er  die  rote,  goldbebortete  Mitra,  deren  in  Fransen  endende  Bänder  beider- 
seits in  freiem  Schwung  nach  vorne  über  die  Schultern  fallen.  Die  Hände 
stecken  in  weißen  Handschuhen,  deren  Rücken  mit  einem  gemalten  roten  und 
goldenen  kreisförmigen  Ornament  bedeckt  ist.  Auf  dem  Daumen  der  linken 
Hand  steckt  der  Bischofsring. 

Beide  Arme  sind  derart  vorgestreckt,  daß  sich  die  glockenförmige  Kasula 
beiderseits  über  den  Unterarmen  zusammenschiebt,  wodurch  sie  auf  ihrer 
Vorderfläche  faltig  belebt  wird.  Die  rechte  Hand  faßt  den  in  schöner  goti- 
scher Blattkrümme  endenden  Bischofsstab  und  rafft  gleichzeitig  das  daran 
befestigte  Schweißtuch  empor,  während  die  linke  ein  mit  Zierbeschlägen  ver- 
sehenes aufgeschlagenes  Buch  trägt,  auf  welchem  die  pyramidenförmig  über 
einander  angeordneten  drei  Kugeln,  das  Attribut  des  Heiligen,  lagern.     Kasel- 


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132      ÜBER  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULFl'UREXSAMMLUNG  D.  GERM.  MUSEUMS. 


kreuz  und  Kaselsäume,  sowie  die  Borten  der  Inful  sind  überreich  durch  ein- 
gepflockte Kügelchen    verziert,    ebenso    finden    sich   noch   auf  der  Mitte  der 


Abb.  4.    St.  Nicolaus.    Tyrolisch?  Ende  des  XV.  Jahrh. 
PI.-O.  2022.     Höhe  171  cm. 

Mitra  und  auf  der  rechten  Brust  der  Kasel  geschnitzte  vierpaßartige  Schmuck- 
stücke aufgesetzt. 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


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Die  Statue  ist  vollrund  gearbeitet;  auch  die  Rückseite  ist  durchgeführt. 
Das  Material  ist  ein  sehr  gut  erhaltenes,  kerniges  und  auffallend  schweres 
Lindenholz.  Die  Bemalung  und  Vergoldung  befindet  sich  auf  Leinen-  und 
Kreidegrund.     Die  Höhe  beträgt  171  cm. 

Die  Erhaltung  ist,  abgesehen  von  Farbendefekten,  eine  vorzügliche :  nur 
eine  Ecke  des  Buchs  hat  vom  Wurmfraß  gelitten,  auch  fehlen  viele  der 
kleinen  Zierknöpfe  und  der  aufgesetzten  Schmuckstücke.  Der  Stab  des 
Pedum  ist,  vom  unteren  Ende  des  Sudarium  an  abwärts,  modern  ergänzt. 

Die  Durchbildung  und  Bemalung  der  Rückseite  scheint  zwar  dafür  zu 
sprechen,  daß  die  Figur  ehemals  frei  aufgestellt  war;  doch  deutet  das  Flächige 
der  Rückenbehandlung  mehr  darauf  hin,  daß  doch  an  eiaen  Hintergrund  dafür 
gedacht  war.  Bestätigt  wird  diese  Vermutung  dadurch,  daß  die  in  verhältnis- 
mäßig früher  Zeit  erneuerte  Vergoldung  auf  der  Rückseite  willkürlich  abbricht 
und  eine  schmale  senkrechte  Zone  frei  läßt,  in  der  die  erste  Vergoldung 
bezw.  deren  rote  Untermalung  zu  Tage  tritt.  Die  Durchbildung  der  Rück- 
seite scheint  demnach  mehr  auf  eine  Betätigung  liebevoller  Sorgfalt  des 
Verfertigers  als  auf  eine  praktische  Notwendigkeit  zurückzuführen  zu  sein. 
Möglich  wäre  ja  allerdings  auch  eine  derartige  Aufstellung,  daß  mit  einem 
teilweisen  Sichtbarwerden  der  Rückseite  hätte  gerechnet  werden  müssen, 
also  etwa  vor  einem  Rundpfeiler.  < 

Die  Statue  ist  eine  künstlerisch  bedeutende  Leistung  des  ausgehenden 
XV.  Jahrhunderts,  weniger  im  Faltenwurf,  der  trotz  der  geschickten  und 
wirkungsvollen  RafTung  der  Kasula  etwas  flach  und  unwahr  erscheint; 
weniger  auch  in  der  Haltung,  die  steif  und  gezwungen  anmutet  und  unwill- 
kürlich den  Gedanken  an  eine  Aufstellung  im  engen  Schrein  eines  spätgoti- 
schen Schnitzaltars  aufkommen  läßt.  Vielmehr  ist  das  Bedeutende  an  der 
Figur  die  feine  und  charaktervolle  Durchbildung  und  Beseelung  des  Antlitzes. 
Ohne  kleinlich  zu  werden,  und  nur  unter  Zurhülfenahme  einfachster  Mittel 
wußte  der  tüchtige  Künstler  dem  Kopfe  ein  faszinierendes  Leben  einzuprägen, 
das  durch  die  wirkungsvolle  Bemalung  nur  noch  mehr  gehoben  wird. 

Die  herben  Spuren  des  Alters  in  den  weichen  Partien  der  hier  origineller 
Weise  etwas  schräge  gestellten  und  in  feinen  Schwellungen  sich  vom  ener- 
gisch gezogenen  Augenbrauenbogen  abhebenden  Augenhöhlen  sind  mit  großer 
Feinheit  beobachtet  und  mit  nicht  minderem  Geschick  wiedergegeben,  ebenso 
zeigt  sich  in  der  Modellierung  der  fleischigen  Wangen  und  des  rundlichen 
Kinns  großer  künstlerischer.  Sinn .  jmd  bedeutende  technische  Fertigkeit. 

Der  Einreihung  in  eine  lokale  Gruppe  stehen  insofern  Schwierigkeiten 
entgegen,  als  über  die  ursprüngliche  Herkunft  nichts  bekannt  ist.  Die  Statue 
befand  sich  in  Paris,  und  es  ist  erfreulich,  daß  es  dem  Germanischen  National- 
Museiun  gelang,  dies  echt  deutsche  Kunstwerk  in  seine  Heimat  zurückzu- 
führen. 

Eine  lokale  Einordnung  nach  stilistischen  Merkmalen  ist  infolge  der 
derzeit  noch  sehr  mangelhaften  Publizierung  des  deutschen  plastischen  Materials 
sehr  erschwert,  und  die  kleinen  originellen  Äußerlichkeiten,  wie  die  Applizierung 
der  Kügelchen   und  des  Schmucks  besagen  nichts,   da  derartiges  in  Lübeck 


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134     ÜBER  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULPTURENSAMMLUNG  D.  GERM.  MUSEUMS. 


und  Mecklenburg  oder  überhaupt  in  Niedersachsen  genau  ebenso  vorkommt, 
wie  in  Obersachsen,  Schwaben  oder  Franken.  Doch  scheint  ganz  allgemein 
ein  tirolischer  Charakter  der  Figur  eigen  zu  sein,  ohne  daß  jedoch  irgend 
welche  Beziehungen  zu  dem,  wenn  man  der  Literatur  glauben  darf,  für  alle 
besseren  Tiroler  Arbeiten  verantwortlichen  Fächer  oder  seiner  Schule  behauptet 


Abb.  5.   Johannes  der  Täufer.   Nordschwäbisch.   Um  1500. 
PI.-O.  2054.     Höhe  128  cm. 

werden  dürften.  Allerdings  wird  es  mir  erst  nach  eingehendem  Studium  des 
bisher  nur  äußerst  mangelhaft  publizierten  Tiroler  Materials  möglich  sein,  ein 
abschließendes  Urteil  zu  fällen.  — 

Aus  dem  Privatbesitz  konnte  eine  Figur  Johannes  des  Täufers  erworben 
werden  (Abb.  5.  Pl.-O.  2054  Lindenholz,  Rückseite  abgeplattet  und  gehöhlt. 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


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Höhe  128  cm).  Auf  einer  felsigen  Basis  steht  der  mit  dem  langen  Fellgewande 
bekleidete  Heilige;  sein  lockenumwalltes  und  bebartetes  Haupt  ist  leicht  auf 
die  linke  Seite  geneigt.  Der  rechte  Arm  ist  segnend  erhoben,  während  die 
horizontal  gestreckte  linke  Hand  das  Attribut,  ein  Buch  mit  dem  liegenden 
Lamm,  trägt.  Der  rechte  Fuß  ist  entlastet  vorgesetzt;  ein  Mantel  fallt  von 
den  Schultern  über  den  Rücken  herab,  sein  linker  vorderer  Teil  ist  in  faltigem 
Schwünge  über  den  Unterleib  gezogeft  und  wird  mit  dem  rechten  Arm  an 
der  rechten  Hüfte  festgedrückt. 

Ergänzt  sind  die  ganze  rechte  Hand,  der  kleine  Finger  der  linken  Hand, 
einige  unwesentliche  Stücke  in  der  Gewandung,  sowie  vom  Lamm  das  Ohr 
und  die  Vorderbeine.  Der  obere  Teil  des  Kopfes  des  Johannes  ist  bei  einer 
Restaurierung  mit  Gipsmasse  ausgefüllt.  Das  Holz  hat  durch  Wurmfraß 
gelitten. 

Die  Figur  war  bemalt,  doch  wurden  in  Ansehung  des  schlechten  Zu- 
standes  vom  letzten  Besitzer  die  Farben  abgenommen.  Spuren  sind  fast 
nicht  erhalten. 

Die  um  1500  gefertigte  Figur  wird  dem  nordschwäbischen  Kunstkreise 
entstammen,  sie  findet  ihre  besten  Analogien  unter  den  Kunstwerken  der 
Neckargegenden  und  insbesondere  die  holzgeschnitzten  Statuen  des  Hoch- 
altars der  Stadtkirche  zu  Besigheim  (Abgebildet  bei  Dr.  Ed.  Paulus,  die 
Kunst-  und  Altertumsdenkmale  im  Königreich  Württemberg,  Neckarkreis. 
Textband  1889,  Seite  64,  sowie  klassischer  Skulpturenschatz  Nr.  389)  weisen 
überraschend  verwandte  Züge  auf.  Vergleiche  femer  die  Skulpturen  des 
Altarschreins  zu  Bönnigheim  im  Württemberger  Neckarkreis  (abgebildet  bei 
Paulus,  ebenda  Atlas  1889).  Mit  der  Lokalisierung  dieser  Statue  in  das  nörd- 
liche Württemberg  erklären  sich  auch  die  leichten  Anklänge  an  die  unter- 
fränkische Kunstart. 


Femer  wurde  die  interessante  Freifigur  eines  Palmesels  erworben  (Pl.- 
O,  1875),  den  die  Tafel  VII  wiedergibt.  Sein  Material  ist  Lindenholz,  das  auf 
Kreidegrund  mit  stellenweiser  Leinenunterlage  bemalt  ist. 

Im  Kultus  der  mittelalterlichen  und  insbesondere  in  der  spätmittelalter- 
lichen Kirche  spielten  die  Palmesel  eine  sehr  populäre,  und,  wie  zeitgenössi- 
sche Chroniken  vermelden,  zu  mannigfachem  Unfug  Anlaß  gebende  Rolle;  sie 
waren  bei  der  Palmsonntagsprozession  das  beliebteste  Schaustück.  Diese  Sitte 
ist  sehr  alt;  angeblich  ist  sie  in  der  römischen  Kirche  von  Papst  Gregor  I. 
(um  600)  eingeführt,  und  da  bereits  Gerardus  in  seiner  Lebensbeschreibung 
des  heiligen  Ulrichs  von  Augsburg  (f  973)  ausdrücklich  eines  solchen  Palm- 
esels Erwähnung  tut,  so  ist  sie  für  Deutschland  schon  im  10.  Jahrhundert 
feststehend.  (Wetzer  und  Weite's  Kirchenlexikon  IV  (1886)  1407.  Bergner, 
Otte,  femer  Beck  im  Diözesenarchiv  von  Schwaben  XXI  1903  Nr.  1,  Stückel- 
berg im  Festbuch  zur  Eröflfnung  des  historischen  Museums  zu  Basel  1894 
S.  17flf.,  V.  Strele,  der  Palmesel,  in  der  Zeitschr.  des  deutschen  und  öster. 
Alpenvereins  XXVIII  1897  S.  135  ff.  etc.)  Tatsächlich  sind  auch  deren  noch 
heute  eine  größere  Anzahl  erhalten,   und   das  Germanische  National-Museum 


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ÜBER  EINIGE  NEUER  WERBUNGEN  DER  SKULPTÜRENSAMMLUNO  D.  6BRM.  MUSEUMS. 


besitzt,  abgesehen  von  dem  hier  behandelten  Palmesel  noch  deren  vier  (Pl.- 
O.  152,  153,  154  und  2055;  Pl.-O.  154  abgebildet  bei  Albrecht,  Meisterwerke 
deutscher  Bildschnitzerkunst  im  Germanischen  Nationalmuseum  Tafel  24). 
Von  diesen  ist  das  eine  aus  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  stanunende 
Exemplar  ein  Unikum  infolge  der  rein  israelitisch  aufgefaßten  Gesichtszüge 
Christi,  während  ein  anderes  Exemplar,  das  aus  der  Zeit  um  1700  stammt 
und  sich  ehemals  im  oberbayerischen  Kloster  Altomünster  befand,  interessant 
ist  als  ein  später  Nachzügler  jener  mittelalterlichen  Sitte,  die  allerdings  in 
vereinzelten  katholischen  Ländern  bis  in  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  von 
Bestand  geblieben  ist. 

Die  große  Bedeutung,  die  der  Palmesel  im  Volksleben  inne  hatte,  erhellt 
auch  daraus,  daß  es  meist  durch  alte  Sitte  festgelegt  war,  wer  ihn  in  der 
Prozession  zu  ziehen  hatte.  »In  Zürich  sollen  die  Metzger,  mit  anderen  Worten 
die  stärksten  Männer  den  Esel  gezogen  haben;  in  Nordheim  hingegen  zogen 
nur  vier  Knaben  den  Esel,  während  in  Meßkirch  von  sechs  der  vornehmsten 
Ratsherrn,  die  in  Joche  gereiht  zogen,  in  Nürnberg  ebenfalls  von  Patriziern 
die  Rede  ist.c  (Stückelberg).     Weitere  derartige  Mitteilungen  bei  von  Strele. 

Die  Darstellung  ist  die  übliche  des  auf  dem  Esel  reitenden  Christus. 
Seine  Stellung  ist  eine  streng  frontale:  das  mit  einer  vegetabil  ornamen- 
tierten goldenen  Krone  gezierte  Haupt  mit  lang  herabwallendem  Haupthaar 
und  kurzem  lockigen  Bart  ist  geradeaus  gerichtet.  Die  Rechte  ist  segnend 
erhoben,  während  die  Linke  vorwärts  gestreckt  und  gekrümmt  ist  und  wohl 
ehemals  die  Zügel  oder  einen  Palmenzweig,  vielleicht  auch  beides,  hielt;  denn 
die  analogen  Denkmäler  zeigen  hierin  Willkür.  Christus  ist  in  ein  langes 
violettes  Gewand  gekleidet;  über  dieses  ist  ein  roter  goldumsäumter,  innen 
grüner  Mantel  geworfen,  der  vorne  auf  der  Brust  durch  eine  kleine  goldene 
Agraflfe  zusammengehalten  wird  und  dessen  linker  Zipfel  quer  vor  dem  Unter- 
leib über  den  rechten  Arm  geworfen  ist  und  so  eflFektvoUe  Schrägfalten  bildet. 
Die  Füße  sind  unbeschuht.  Der  naturfarben  bemalte  ungesattelte  Esel  steht 
in  Schrittstellung  auf  einer  atischeinend  alten  Fußplatte;  die  Räder  daran 
fehlen,  waren  auch  wahrscheinlich  nie  vorhanden,  so  daß  dies  Exemplar  zu 
jenen  gehört,  welche  beim  Umzug  auf  einen  besonderen  Wagen  gestellt  wurden. 

Die  Gesamthöhe  der  Gruppe  beträgt  180  cm.  Der  Oberleib  Christi  ist 
abnehmbar,  die  unteren  Extremitäten  sind  mit  dem  Esel  zu  einem  Stück  ver- 
bunden; die  Trennung  ist  hier  also  nicht  in  der  üblichen  Weise  vorgenommen; 
denn  gewöhnlich  ist  die  ganze  Figur  Christi  abnehmbar. 

Die  Erhaltung  ist  eine  vorzügliche :  lediglich  in  der  Färbung  zeigen  sich 
Defekte.     Ergänzungen  sind  nicht  nachweisbar. 

Trotz  auffalliger  Mängel  in  der  plastischen  Durchbildung  macht  das 
Stück  dennoch  einen  künstlerischen  Eindruck  und  scheint  von  einem  tüch- 
tigen Schnitzer  der  ausgehenden  Gotik  herzurühren.  Die  Farbe  und  Knapp- 
heit der  Körperformen  steht  in  gewissem  Gegensatz  zu  dem  barockartig 
geschwungenen  und  auf  lebhafte  Schattenwirkun^  angelegten  Gewände,  die 
Ruhe  der  Haltung  und  des  Ausdrucks  zu  der  lebhaften  Bewegung  des  StoflFes. 
Merkwürdig   streng   ist   das    schmale   knochige    Gesicht   aufgefaßt,    das    fast 


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VON  DR  W.  JOSEPHI. 


137 


nur  gerade  Linien  aufweist:  weder  finden  sich  feinere  Modellierungen  der 
zarteren  Übergangspartien,  noch  überhaupt  Details.  Ebenso  einfach  sind  der 
überschlanke  Hals  und  Hände  und  Füße  behandelt.  Dagegen  hat  der  Meister, 
vielleicht  mit  Rücksicht  auf  den  Zweck,  die  Vorführung  unter  freiem  Himmel, 
ein  Hauptgewicht  auf  eine  kontrastreiche  Anordnung  der  Gewandfalten  und 
ihre  plastische  Durchbildung  gelegt,  wodurch  er  eine  erhebliche  Schatten- 
wirkung erzielte.     Sehr  fein  ist  auch  die  originell  erfundene  Krone. 

Trotz  der  großen  Eigenart,  die  sich  in  diesem  Schnitzwerk  ausspricht,  ist 
es  mir  nicht  geglückt,  unter  den  publizierten  deutschen  Skulpturen  Vergleichs- 
stücke zu  finden,  die  eine  örtliche  Fixierung  ermöglichten.  Zwar  soll  sich 
nach  Angabe  des  Vorbesitzers  der  Palmesel  ehemals  im  württembergischen 
Kloster  Blaubeuren  befunden  haben,  allein  die  Nachricht  scheint  mir  ziemlich 
willkürlich.  Jedenfalls  hat  die  Arbeit,  die  etwa  im  ersten  Jahrzehnt  des 
16.  Jahrhunderts  entstanden  sein  mag,  nicht,  gemein  mit  den  reichen  und  im 
Kunstcharakter  einheitlichen  Schnitzwerken  Blaubeurens,  wie  sie  überhaupt 
nicht  aus  der  Ulmer  Schnitzschule  und  sicher  nicht  aus  Syrlins  Werkstatt 
hervorgegangen  ist.  Im  weiteren  Sinne  mutet  das  Werk  allerdings  schwäbisch 
an,  wie  ja  überhaupt  Schwaben  und  die  Schweiz  die  Hauptstätten  solcher 
Palmesel  gewesen  zu  sein  scheinen. 


Von  Neuerwerbungen  aus  dem  Gebiete  der  Kleinplastik  ist  ein  Hoch- 
relief zu  nennen,  das,  wenngleich  dem  vorgeschrittenen  16.  Jahrhundert  ent- 
stammend, dennoch  gemäß  der  Anlage  und  Auffassung  wie  auch  im  Hinblick 
auf  die  Ausführung  der  Einzelheiten  den  mittelalterlichen  Kunstwerken  zu- 
gerechnet werden  muß.  Das  kleine  Hochrelief  (Pl.-O.  360.  Abb.  6)  ist  aus 
Buchsbaumholz  geschnitzt;  es  ist  16  cm  breit  und  in  seinem  derzeitigen  Zu- 
stande 14,2  ein  hoch.  Dargestellt  ist  die  Kreuzigung  Christi;  allerdings  ist 
das  vorliegende  Exemplar  defekt  und  völlig  falsch  ergänzt,  so  daß  der  Ein- 
druck getrübt  worden  ist.  Über  der  figurenreichen  Komposition  erhoben  sich 
ehemals  in  der  Mitte  Christus  als  Kruzifixus  und  ganz  zur  Seite  —  die  ein- 
genuteten Stümpfe  sind  an  der  Rückseite  sichtbar  —  die  Kreuze  der  beiden 
Schacher.  Eine  ungeschickte  Ergänzung  hat  nun  aber  an  die  Stelle  des 
mittleren  ein  unverhältnismäßig  kleines  Kreuz  ohne  den  Gekreuzigten  gesetzt. 
Von  diesen  Mängeln  abgesehen,  ist  das  Kunstwerk  gut  erhalten  und  weitere 
Ergänzungen,  vielleicht  abgesehen  von  dem  Haupte  der  das  Kreuz  umklam- 
mernden weiblichen  Gestalt,  scheinen  nicht  vorgenommen  zu  sein. 

Das  Kaiser  Friedrich-Museum  in  Berlin  besitzt  von  der  Hand  desselben 
Meisters  eine  besser  erhaltene  und  in  der  Ausführung  feinere  Variante  dieses 
Reliefs,  vermittelst  derer  sich  die  ursprüngliche  Darstellung  gut  rekonstruieren 
läßt.  Darnach  gehört  in  die  Mitte  ein  stark  überhöhtes,  rein  frontal  gestelltes 
Kreuz  mit  dem  nackten,  nur  mit  dem  Lendenschurz  bekleideten  Christus, 
dessen  domengekröntes  Haupt  leicht  auf  die  linke  Seite  geneigt  ist.  Zu 
äußerst  auf  beiden  Seiten  befinden  sich  die  rein  seitlich  gestellten  Kreuze 
mit  den   ebenfalls  im  Profil   wiedergegebenen,  in   originelles  Zeitkostüm   ge- 

Uitteilangen  aus  dorn  german.  NationaJoiuseum.    1906.  18 


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138      ÜBER  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULPTUREN  SAMMLUNG  D.GERM.  MUSEUMS. 


kleideten  lebhaft  bewegten  Gestalten  der  Schacher.  Die  geraden  Linien  ihrer 
Kreuzesstämme   bilden    gleichsam    einen  Rahmen   um   die  ganze  Darstellung. 

Andrerseits  sind  aber  doch  auch  wieder  die  Unterschiede  zwischen  dem 
Nürnberger  und  dem  Berliner  Relief  sehr  erhebliche,  und  insbesondere  verleiht 
die  verändert  komponierte  Gruppe  der  Frauen  den  Arbeiten  einen  anderen 
Gesamteindruck. 

Der  Meister  beider  Repliken  ist  zweifellos  der  gleiche,  wie  die  stilistische 
Gleichheit  —  ich  weise  vornehmlich  auf  die  in  ihrer  Manieriertheit  sehr  auf- 
fallige Behandlung  der  Mäntel  des  Johannes  und  der  Frauen,  ebenso  der 
Körperformen  des  behelmten  Kriegers  ganz  rechts  hin  —  zwingend  beweist; 


Abb.  6.    Kreuzigung  Christi.    Relief  von  H.  Leinberger  in  Landshut.     CJm  1515. 
Pl.-O.  360.     Höhe  142,2  cm,  Breite  16  cm. 

jedoch  ist  das  Berliner  Relief  das  reifere  und  weit  feinere,  und  muß  als  die 
jüngere,  fortgeschrittnere  Arbeit  angesprochen  werden.  Darauf  deuten  nament- 
lich die  einzelnen  veränderten  Züge  in  der  Gesamtkomposition.  Im  Gegen- 
satz zum  Berliner  Relief  macht  die  Nürnberger  Gruppe  einen  weniger  kon- 
zentrierten Eindruck:  die  Komposition  fällt  auseinander.  Im  Berliner  Relief 
ist  vornehmlich  die  Frauengruppe  geklärter  und  künstlerisch  geschlossener: 
die  hülfeleistenden  Frauen  sind  einander  gegenübergestellt,  der  Körper  der 
Maria  verkürzt  sich  in  den  Hintergrund  und  entbehrt  jener  fast  komischen 
Gewaltsamkeit  der  Bewegung.  Durch  diese  Umordnung  wird  die  beim  Nürn- 
berger Relief  als  Füllfigur  im  Hintergrunde  knieende  weibliche  Gestalt  zu 
einer  die  Mitte  der  Basis  betonenden  dominierenden  Gewandfigur.     Die  von 


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VON  DR.  W.  JOSEPHI. 


139 


dieser  Basis  aus  aufsteigende  Mittellinie  setzt  sich  nach  dem  Kruzifixus 
hin  vermittelst  der  in  das  Zentrum  der  Komposition  gestellten  Profilgestalt 
des  Mannes  mit  der  Kapuze  fort,  der  auf  dem  Nürnberger  Relief  auf  die 
rechte  Seite  gerückt  ist.  Im  Gegensatz  dazu  ist  die  auf  dem  Nürnberger 
Relief  den  Kreuzestamm  umklammernde  Magdalena  —  bei  beiden  Reliefs 
die  unkünstlerischste  Figur  der  Gruppe  —  in  der  Berliner  Arbeit  etwas  auf 
die  linke  Seite  gerückt  und  streckt,  den  Blick  nach  oben  gerichtet,  voll  tiefen 
Schmerzes  ihre  Arme  zum  Gekreuzigten  empor. 

Mit  diesen  kompositionellen  Vorzügen  des  Berliner  Reliefs  geht  neben 
künstlerischerer  Ausführung  auch  eine  Bereicherung  durch  Einzelheiten  Hand 
in  Hand.  Vornehmlich  ist  das  Kostüm  der  Krieger  reicher  und,  wenn  man 
so  sagen  darf,  antiker  geworden,  daneben  ist  in  der  Gestalt  des  ganz  zur 
Linken  stehenden  Lanzknechts  der  modernen  Schlitztracht  in  treuster  Wieder- 
gabe Rechnung  getragen. 

Die  meisten  dieser  Veränderungen,  zumal  diejenigen  in  der  Komposition, 
sind  allein  aus  künstlerischen  Gründen  hervorgegangen  und  lassen  zwingend 
das  Berliner  Relief  als  die  jüngere,  verbesserte  und  reifere  Arbeit  erscheinen. 

Es  gibt  noch  eine  dritte  Variante  dieses  Reliefs,  ein  Flachbild  auf  der 
Platte,  das  sich  im  Münchener  Nationalmuseum  befindet  und  das  die  Signatur 
H.  L.  sowie  die  Jahreszahl  (15)16  enthält  (abgeb.  im  Münchener  Jahrbuch 
der  bild.  Kunst  I.  1906).  Dr.  Georg  Habichs  Forschungen  ist  es  gelungen, 
diesen  Meister  H.  L.  als  den  Landshuter  Bildhauer  und  Schnitzer  Hans  Lein- 
berger  zu  identifizieren.  Eine  Abhandlung  im  oben  genannten  Münchener 
Jahrbuch  ist  diesem  bisher  unbekannten  Meister  gewidmet,  dessen  künst- 
lerische Bedeutung  und  kunsthistorische  Stellung  eingehend  gewürdigt 
wird.  Die  urkundliche  Auffindung  des  Meisternamens  wurde  ermöglicht  durch 
das  mit  der  gleichen  Signatur  versehene  und  1524  datierte  Relief  der  Krö- 
nung Maria  an  der  Martinskirche  zu  Landshut  in  Niederbayern  (abgebildet 
Münchener  Jahrbuch  Abb.  1.,  sowie  Formenschatz  1896  N.  162).  Habich 
erwähnt  kurz  das  Nürnberger  und  das  Berliner  Relief  und  gliedert  beide 
Werke  der  gleichen  Stilrichtung  an,  welcher  Leinberger  angehört.  Ich  halte 
dagegen  die  beiden  Werke  für  Arbeiten  Leinbergers  selbst;  denn  einerseits 
berechtigt  die  übereinstimmende  Eigenart  des  sehr  viele  persönliche  Momente 
aufweisenden  Stils  in  den  gegenständlich  gleichen  Darstellungen  Münchens, 
Nürnbergs  und  Berlins  zu  diesem  Schluß,  andrerseits  sind  aber  die  Umbildungen 
in  diesen  3  Reliefs  so  logische,  daß  sie  auf  einen  und  denselben  künstlerisch 
mehr  und  mehr  fortschreitenden  Meister  hinweisen.  Kompositionen  stehen 
sich  das  Nürnberger  und  das  Münchener  Relief  am  nächsten;  auch  die  Falten- 
stilisierung weicht  wenig  von  einander  ab,  wenn  auch  infolge  der  Verschie- 
denheit der  Anlage  bei  dem  Münchener  Flachbild  die  Wiedergabe  eine  mehr 
flächige  gegenüber  dem  Nürnberger  Hochrelief  geworden  ist.  Die  den  all- 
gemeinen Eindruck  bestimmende  Komposition  der  Frauengruppe  ist  bei  beiden 
Reliefs  die  gleiche,  doch  fehlt  auf  dem  Nürnberger  Relief  der  kleine  Stecken- 
reiter, der  dann  schließlich  in  dem  in  jeder  Beziehung  vornehmeren  und  ge- 
klärteren  Berliner  Relief  als   ein  antik   gekleideter  schildtragender  Putto   cr- 


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HO     OBER  EINIGE  NEUERWERBUNGEN  DER  SKULPTURENSAMMLUNG  D.GERM.  MUSEUMS. 

scheint.  Durch  diese  Sachlage  ist  denn  auch  eine  ziemlich  genaue  zeitliche 
Fixierung  des  Nürnberger  Reliefs  gegeben;  es  wird  wahrscheinlich  kurz  vor 
dem  Münchener  Relief  von  1516  entstanden  sein.  Eine  Gegenprobe  erfährt 
diese  Datierung  dadurch,  daß  das  Nürnberger  Relief  eine  überraschende  stili- 
stische Ähnlichkeit  mit  der  von  Habich  dem  Leinberger  zugeschriebenen  und 
von  Bode  um  1515  datierten  Moosburger  Bronzemadonna  des  Berliner  Kaiser 
Friedrich-Museums  (Abb.  bei  Habich  im  Münchener  Jahrbuch  I  1906  Abb.  12) 
sowie  mit  dem  von  Habich  in  die  gleiche  Zeit  gesetzten  signierten  Buchs- 
baumrelief der  Beweinung  Christi  im  Berliner  Kaiser  Friedrich -Museum 
(Ebenda  Abb.  4)  zeigt,  während  das  ebenfalls  signierte  und  1524  signierte 
Landshuter  Relief  der  Krönung  Maria,  die  Grundlage  der  ganzen  Leinberger- 
forschung, einen  weit  vorgeschrittneren  und  nicht  allein  durch  das  Stein- 
material bedingten  klareren  Faltenstil  aufweist. 


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BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI 

IN  NÜRNBERG. 

VON 
DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ. 

Vorbemerkungen. 

Wer  heute  über  die  Plätze  und  durch  die  Straßen,  Gassen  und  Gäßchen 
der  Nürnberger  Altstadt  wandert,  der  wird  gewiß  seine  Freude  haben 
an  der  gediegenen  Art  der  bürgerlichen  Baukunst,  an  dem  unerschöpflichen 
Reichtum  der  Einzelmotive  und  an  dem  trotz  der  stark  variierenden  Detail- 
gestaltungen in  kraftvoller  Zusammenfassung  offen  in  die  Erscheinung  treten- 
den malerischen  Totaleindruck.  Eines  aber  wird  und  muß  ihm  bald,  wenigstens 
in  gewisser  Beziehung,  störend  vorkommen.  Die  große  Schlichtheit  im  Aufbau 
und  das  weise  Maßhalten  in  den  Mitteln  der  belebenden  Auszierung  stimmen 
ernst.  Man  kommt  von  selbst  dazu,  hier  etwas  zu  vermissen,  und  zwar  ein  das 
Ganze  mit  frischem  Leben  erfüllendes  Mittelglied:  Die  Farbe.  Aber  wie 
es  heute  ist,  so  war  es  nicht  früher.  Im  Wandel  der  Zeiten  ist  hier  durch 
die  zersetzenden  Einflüsse  eines  ungünstigen  Klimas  und  durch  teilweise 
spätere  Verständnislosigkeit  alles  das  nach  und  nach  zu  nichte  gemacht 
worden,  was  uns  ein  leuchtendes  Bild  von  einer  besonderen  Phase  des  Kunst- 
■  sinns  und  des  Geschmacks  unserer  Altvordern  gegeben  hätte.  Die  Vorliebe 
für  nivellierende  äußere  Glätte  hat  ein  Übriges  getan,  um  die  schließlich 
noch  vorhandenen  wenigen  Spuren  ganz  und  gar  hinweg  zu  tilgen.  So  sind 
wir  heute  zur  Beurteilung  der  Außenmalerei  im  alten  Nürnberg  lediglich  an- 
gewiesen auf  ältere  Darstellungen  und  archivalische  Nachrichten,  zwei  Quellen, 
welche  es  nur  sehr  schwer  ermöglichen,  eine  klare  Vorstellung  über  das  in 
Frage  kommende  Gebiet  zu  schaffen.  Die  Darstellungen  sind,  abgesehen 
von  einigen  Entwürfen  und  einigen  mit  mehr  Liebe  und  Sorgfalt  als  ge- 
wöhnlich durchgeführten  Kupferstich-Prospekten,  meist  von  sekundärer  Be- 
deutung. Sie  stammen  aus  späterer  Zeit,  sind  im  Empfinden  der  sie  re- 
produzierenden Epoche  gehalten,  geben  nur  ein  ungenügendes  Abbild,  und 
oft  nicht  einmal  das,  sondern  nur  Andeutungen  gänzlich  aphoristischer  Natur. 
Und  was  die  archivalischen  Nachrichten  betriff't,  so  bieten  sie  nur  wenig  Hand- 


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142  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AÜSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 


haben,  um  dieses  Abbild  zu  klären.  In  den  meisten  Fällen  haben  wir  es 
nur  mit  kurzen  Angaben  zu  tun,  die  mehr  historischer  und  kulturgeschicht- 
licher Natur,  als  direkt  belangvoll  für  unsere  Zwecke  sind.  Wenn  dennoch 
der  Versuch  gemacht  wurde,  dieses  unzulängliche  Material  in  chronologischer 
Aufeinanderfolge  zusammen  zu  arbeiten,  so  ist  es  geschehen,  weil  nur  auf 
diese  Weise  ein  ungefähres  Urteil  über  die  verschiedenen  Blüteperioden,  die 
Art  und  die  Darstellungsgebiete  der  Nürnberger  Außenmalerei  ermöglicht 
werden  kann.  Als  etwas  endgültig  Abgeschlossenes  jedoch  können  und  wollen 
diese  Darlegungen  nicht  gelten;  sie  beschränken  sich  zudem  auf  das  aus  den 
Sammlungen  des  Germanischen  Museums  und  aus  der  städtischen  Kupferstich- 
sammlung sowie  der  Noricasammlung  in  der  Stadtbibliothek  gewonnene  Material 
und  die  in  der  einschlägigen  gedruckten  Literatur  enthaltenen  Nachrichten. 
Professor  von  Thiersch  hat  in  seinem  Vortrag  über  die  Augsburger 
Fagaden-Malereien  auf  der  vom  1. — 3.  September  1902  in  Augsburg  statt- 
gefundenen 15.  Wanderversammlung  des  Verbandes  deutscher  Architekten- 
und  Ingenieur- Vereine  als  ersten  der  drei  Umstände,  welche  der  Wiederauf- 
nahme der  Fagadenmalerei  im  Wege  stehen,  den  aufgeführt,  daß  wir  heute 
zu  verzärtelt  wären  und  keine  ausgesprochene  Farbe  mehr  vertragen  könnten. 
Wenngleich  sich  nach  dieser  Richtung  in  den  letzten  Jahren  ein  Umschwung 
vollzogen  hat,  so  ist  doch  diese  Feststellung  im  Großen  und  Ganzen  auch 
heute  noch  richtig.  Tatsächlich  war  in  älteren  Zeiten  der  Sinn  für  farbige 
Behandlung  und  lebhafte  Kontraste  in  weit  höherem  Grade  ausgeprägt  als 
heute.  Ich  will  hier  nicht  auf  die  romanische  und  gotische  Zeit  zurück- 
greifen. Ihre  weitgehende  Vorliebe  für  polychrome  Ausgestaltung  ist  zur 
Genüge  bekannt.  Aber  auch  in  den  folgenden  Jahrhunderten  war  die  Neigung 
zu  lebhaften,  frisch-kräftigen  Tönen  eine  große.  Überhaupt  muß  das  alte 
Nürnberg  in  früheren  Zeiten  einen  viel  lebendigeren  Eindruck  hervorgerufen 
haben.  Zunächst  hat  man,  was  ja  allerdings  zum  Teil  noch  in  die  Zeit  der 
Gotik,  wenn  auch  in  diejenige  der  spätesten  Spätgotik  zurückreicht,  an  die 
in  sattem  Rot  freiliegenden  Fachwerke  der  Nürnberger  Wohn-  und  Klein- 
bürger-Häuser zu  denken.  Heute  sind  dieselben  zumeist  unter  jahrelanger, 
dickkrustiger  Tünche  vorborgen.  Der  bei  weitem  größte  Teil  der  kleineren 
Häuser  war  aber  in  älteren  Zeiten  in  Fach  werk  erbaut.  Welch  ein  im  Ganzen 
freudig  stimmendes  Farbenbild  durch  die  rot  gestrichenen  Hölzer  der  Fach- 
werkbauten mit  ihren  gelblich-weiß  schimmernden  Gefachen  hervorgerufen 
worden  sein  mag,  dafür  bietet  das  hübsche  Grolandsche  Haus  am  Paniersplatz 
V.  J.  1489,  das  erst  jüngst  seitens  des  städtischen  Bauamtes  freigelegt  wurde, 
ein  BeispieP).  Es  muß  anerkannt  werden,  daß  nach  dieser  Richtung  hin  in 
neuerer  Zeit  ein  erfreulicher  Wandel  eingetreten  ist.  Eine  ganze  Reihe  alter 
Fachwerkhäuser  schimmert  heute  in  erneuertem  alten  Gewände.  Oft  waren 
auch  die  Fensterläden  mit  bildmäßigem  oder  dekorativem  Schmuck  versehen. 
Ich  führe  hier  z.  B.  an,  was  Andreas  Gulden  in  seiner  Fortsetzung  von  Johann 

1)  Vgl.   Die  Denkmalpflege  1903,  Seite  71—72,  und  Schulz,  Alt-Nürnbergs  Profan- 
architektur, S.  16  und  Tafelabb.  43. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUöüTT  SCHULZ. 


143 


Neudörfers  Nachrichten  von  Künstlern  und  Werkleuten*)  von  dem  Hafner 
Andreas  Leupold  (f  1676)  sagt:  »giebt  auch  einen  feinen  Zeichner  und  Maler, 
wie  er  dann  die  Fensterladen  auswendig  an  seiner  Werkstatt,  an  seinem  haus 
am  Milchmarkt  mit  allerlei  hafnereigeschirren  von  oelfarb  manierlich  und  ver- 
ständig selber  gemahlet,  also  daß  er  neben  seinem  handwerk  auch  billig  für 
einen  künstler  zu  halten  istc.  Die  Läden  der  Erdgeschoßfenster  an  der 
Kugelapotheke  waren,  wie  der  Delsenbachsche  Prospekt  »bey  der  Haupt- 
u.  Pfarr-Kirche  St:  Sebaldc  erkennen  läßt,  ehedem  mit  stehenden  Einzel- 
figuren bemalt.  Allerhand  kleine  Darstellungen  weisen  die  Läden  eines  Hauses 
gegenüber  der  ehemaligen  Salvatorkirche  auf  dem  Delsenbachschen  Prospekt 
des  Kommarktes  v.  J.  1715  auf.  Überhaupt  waren  der  belebenden  Elemente 
am  Nürnberger  Hause  früher  weit  mehr  wie  heute.  Ja,  man  kann  sagen,  daß 
hier  im  drängenden  Verkehrsgetriebe  und  bei  veränderten  Anschauungen 
späterer  Zeiten  das  reizvolle  Alte  so  gut  wie  ganz  verschwunden  ist.  Das 
Anbringen  von  Sonnenuhren  war  nichts  ungewöhnliches.  Vielfach  findet  njan 
auf  älteren  Straßenansichten  unten  an  den  Häusern  von  Kästen  eingehüllte 
Bäume,  die  eine  für  das  Auge  sehr  wohltuende  Unterbrechung  hervorgerufen 
haben  müssen.  Vor  den  Fenstern  waren  in  ausgedehntem  Maße  auf  Streben 
vorkragende  Bretter  angebracht,  auf  denen  Blumen  standen.  Auch  auf  die 
Fensterbänke  stellte  man  solche.  Neben  den  großen  Chörlein  sehen  wir  zahl- 
reiche vorspringende  Fensterkästen,  welche  es  gestatteten,  die  Straße  draußen 
beiderseits  geschützt  zu  überschauen.  Ein  vortrefiliches  Beispiel  hierfür  bietet 
der  Prospekt  des  Neuen  Baues  nach  dem  Haller  Türlein,  gestochen  von  Joh. 
Ulrich  Kraus,  nach  der  Natur  gezeichnet  und  herausgegeben  i.  J.  1693  von  Joh. 
Andreas  GrafT  (Abb.  1).  Groß  muß  ehedem  auch  die  Zahl  der  an  den  Häusern 
angebrachten  Abzeichen  gewesen  sein.  Da  die  Numerierung  der  Häuser 
erst  i.  J.  1796  stattfand,  mußten  bis  dahin  die  Abzeichen  vielfach  als  ein 
Hülfsmittel  zur  Kennzeichnung  der  Häuser  und  namentlich  der  Lage  ihrer 
Nachbarhäuser  dienen.  Hiervon  hat  sich  allerdings  manches  bis  auf  den 
heutigen  Tag  erhalten.  Im  Folgenden  können  wir  natürlich  auf  diesen,  vor- 
mals charakteristischen  Schmuck  des  Nürnberger  Wohnhauses  nicht  näher 
eingehen.  Wir  können  nur  Proben  davon  geben,  wie  wir  selbstverständlich 
auch  absehen  müssen  von  der  nur  für  den  augenblicklichen  Zweck  geschaffenen 
Ausschmückung  der  Fagaden  anläßlich  festlicher  Ereignisse.  Es  genügt  hier 
hinzuweisen  auf  den  Stich  von  G.  D.  Heumann  mit  der  illuminierten  Fagade 
der  Schau  i.  J.  1725  zu  Ehren  der  Erzherzogin  Maria  Elisabeth  und  auf 
das  große  Blatt  mit  der  Wiedergabe  des  festlich  geschmückten  Deutsch- 
Ordens-Commenth-Hauses  zur  Feier  des  Einzugs  des  kaiserlichen  Kommis- 
sarius  Grafen  von  Sazenhofen  zur  Huldigung  am  8.  Februar  1746  von  J.  M. 
Seeligmann.  Wenn  die  schlanke  Spitze  des  vormaligen  viereckigen  Frauen- 
torturms  mit  buntglasierten  Ziegeln  gemustert  war,  so  spricht  sich  auch 
hierin  die  Vorliebe  für  bunte  Farben,  für  lebhafte  Kontraste  aus. 

Es  dürfte  wohl  nicht  vollkommen  zutreffen,  wenn  man  meint,  daß  in  der 
Nürnberger  Außenmalerei  ein  hervorstechendes  Charakteristikum  das  sei,  daß  die 

2)  Ausgabe  von  Lochner,  Seite  218. 


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BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AÜSSENMALEKEI  IN  NÜRNBERG.  145 

Farbe  der  Form  gegenüber  zurücktrete.  Noch  viel  weniger  ist  die  Behauptung 
haltbar,  daß  dies  mit  der  ausschließlichen  Verwendung  des  Hausteins  als 
Baustoffes  zusammenhänge.  Es  gibt  in  Nürnberg  hinreichend  große  Gebäude, 
die  in  Fachwerk  errichtet  sind.  Die  kleineren  Häuser  sind  es  in  der  Mehr- 
zahl. Nun  aber  sind  sowohl  massive  Sandsteinhäuser  als  auch  größere  und 
kleinere  Fachwerkbauten  mit  Außenmalereien  dekoriert  worden.  Der  Baustoff 
spielte  hier  keine  maßgebende  Rolle.  Große  Flächen  standen  in  den  wenigsten 
Fällen  zur  Anbringung  von  Darstellungen  zu  Gebote.  So  mußte  man  sehen, 
wie  man  sich  nach  Tunlichkeit  auf  den  vorhandenen  Flächen  einrichtete. 
Man  schmückte  sie  aus,  weil  jeder  wollte,  daß  sein  Haus  besonders  in  die 
Augen  fiel.  Man  wollte  seiner  Wohlhabenheit  und  seinem  Kunstsinn  nach 
außen  einen  glänzenden  Ausdruck  geben.  Man  fragte  nichts  nach  Form. 
Das  Entscheidende  war,  zu  erreichen,  daß  das  Haus  sich  von  den  anderen 
abhob.  Man  scheute  hier  keine  Kosten,  und  so  konnte  es  schließlich  sogar 
dahin  kommen,  daß  man  in  öffentlich  Anstoß  erregender  Weise  übertrieb. 
Dies  ist  auf  das  deutlichste  aus  einem  von  Archivrat  Dr.  Mummenhoff  im 
10.  Heft  der  Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg 
S.  273  angezogenen  Ratsverlaß  vom  22.  August  1695  ersichtlich.  Ich  wieder- 
hole denselben  an  dieser  Stelle,  weil  ihm  in  diesem  Zusammenhang  eine  be- 
sondere Bedeutung  beizumessen  ist.  Er  lautet:  »Nachdem  unter  andern 
dieses  vorkommen,  daß  verschiedene  Burger  ihre  Häuser  von  außen  mit  Auf- 
wendung vieler  Kosten  sehr  prächtig  mahlen  und  renovieren  ließen,  welches 
denen  Fremden  sehr  in  die  Augen  falle  und  zu  vielen  gehässigen  und 
wiedrigen  Vorbildungen  Anlaß  gebe,  als  ist  der  Herr  Baumeister  ersucht,  die 
Mahler  und  Tüncher  dahin  zu  bewegen  und  ihnen  zuzusprechen,  daß  sie  die 
Leute  von  solchen  unnöthigen  Kosten  und  Übermahlung  der  Häuser,  so  durch 
unanständige  Witterung  bald  verderbet  werden  können,  abmahnen  und  hin- 
gegen dahin  disponiren,  daß  sie  es  allein  bei  Einfassung  der  Fensterstöck 
bewenden  lassen  mögen.c  Einen  Zwang  amtlicherseits  konnte  man  nicht  auf 
die  Hausbesitzer  ausüben.  Es  stand  also  jedwedem  frei,  sein  Haus  nach  seinem 
Geschmack  dekorieren  zu  lassen.  Der  Baumeister  sollte  nur  versuchen,  auf 
die  ausführenden  Kräfte,  die  Maler  und  Tüncher,  einen  leisen  Druck  auszu- 
üben. Doch  da  wird  er  schwerlich  Erfolg  gehabt  haben;  eine  Beeinträchtigung 
ihres  Gewerbes  werden  dieselben  kaum  der  Obrigkeit  zu  Liebe  auf  sich  ge- 
nommen haben.  Und  tatsächlich  finden  wir  auch  noch  in  späterer  Zeit  hin- 
reichend figurale  Kompositionen  größeren  Stils.  Im  System  dürfte  sich  somit 
die  Nürnberger  Außenmalerei  wenig  von  der  Fagadenmalerei  (wenigstens  der 
älteren  Zeit)  in  Augsburg^)  unterscheiden.  Auch  der  Nürnberger  Künstler 
bringt  nicht  die  malerische  Dekoration  bewußt  mit  der  Architektur  in  Ein- 
klang. Er  faßt  seine  Aufgabe  lediglich  vom  malerischen  Standpunkt  aus  auf. 
Eine  harmonische  Zusammenwirkung  von  Architektur  und  Malerei  wird  nicht 
als   Endziel   angestrebt.     Doch   das   eine   darf   man   sagen:    der  Nürnberger 

3)  Siehe  über  diese  Adolf  Buff  in  der  Zeitschrift  f.  bild.  Kunst  XXI,  58  ff.,  104  ff. 
u.  XXn,  173  ff.,  275  ff.  sowie  auch  Prof.  Friedr.  von  Thicrsch,  die  Augsburger  Fassaden- 
malereien, Süddeutsche  Bauzeitung  1902,  Nr.  43,  44,  45  und  46. 

MittoiloDirMi  aat  dem  ^mutn.  NationalmuteoiiL    1906.  19 


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146  BBITRÄGB  ZUR  ÜESCHICHI'E  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 


Künstler  übertrifft  den  Augsburger  insofern,  als  er  ein  wenig  mehr  Maß  übt 
und  die  ihm  durch  die  Architektur  gezogenen  Grenzen  mehr  respektiert. 
Dem  Beschauer  geht  das  Gefühl  für  das  Konstruktive  des  Baues  wenigstens 
nicht  ganz  verloren.  Nach  dieser  Richtung  hat  sich  ja  auch  in  Augsburg  in 
der  späteren  Zeit  ein  Umschwung  zur  Besserung  vollzogen. 

Das  XIV.  Jahrhundert. 

Wenn  es  nicht  möglich  ist,  über  die  Nürnberger  Außenmalerei  der 
ältesten  Zeit  —  ich  meine  das  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  —  etwas  Posi- 
tives zu  sagen,  so  liegt  dies  an  der  Unzulänglichkeit  und  Unzuverlässigkeit 
der  Quellen.  Die  früheste  bestimmte  Kunde  davon,  daß  in  Augsburg  die 
Außenseiten  von  Bauwerken  mit  Malereien  geziert  wurden,  stammt  aus  dem 
Jahre  1362.  Damals  schmückte  der  Maler  Hermann  das  Gögginger-  und  heil. 
Kreuzertor  mit  Bildern.*)  Auch  die  älteste  Nachricht  über  die  Außenmalerei 
in  Nürnberg  bezieht  sich  auf  die  Auszierung  der  Stadttore.  »1388  ließ  der 
Rat  die  Stadttürme  frisch  tünchen  und  malen.«  *^)  Allerdings  ist  die  Deutung 
dieser  Notiz  in  Bezug  auf  das  hier  in  Frage  kommende  Gebiet  nicht  ganz 
unanfechtbar;  denn  »malen«  kann  auch  gemeinhin  »mit  Farbe  anstreichen« 
bedeuten,  ohne  daß  damit  zugleich  gesagt  wäre,  daß  es  sich  um  eine  bunte 
Auszierung  handelt.  Überhaupt  brauchen  wir  bei  der  von  Baader  gebrachten 
Notiz  nicht  gleich  an  eine  figurale  Ausschmückung  der  ganzen  Türme  zu 
denken.  Der  Zusatz  »frisch  tünchen«  verbietet  dies  auch  schon  an  sich. 
Aber  nicht  unberechtigt  sind  wir,  die  Anbringung  einer  oder  mehrerer  kleinerer 
Darstellungen  anzunehmen,  wird  doch  zum  Jahre  1500,  wie  wir  nachher  sehen 
werden,  von  einer  Erneuerung  des  Gemäldes  unter  dem  weißen  Turm  ge- 
sprochen. 

In  den  Jahren  1385 — 1396  erhielt  Nürnberg  eines  seiner  berühmtesten 
Wahrzeichen  —  nach  Hans  Rosenplüt  war  es  der  Stadt  fünftes  Kleinod  —  näm- 
lich den  Schönen  Brunnen  in  der  Nordwestecke  des  Hauptmarktes.  Gehört 
derselbe  auch,  streng  genommen,  nicht  in  diese  Darlegungen  hinein,  so  dürfen 
doch  die  an  seiner  Polychromierung  wirksamen  Meister  hier  nicht  ganz  über- 
gangen werden,  sind  sie  doch,  wenn  auch  in  ganz  allgemeinem  Sinn,  mit  als 
Außenmaler  anzusehen.  Es  existiert  eine  gleichzeitige,  allerdings  recht  sum- 
marisch behandelte  Baurechnung,  aus  der  wir  entnehmen,  daß  Meister  Rudolf, 
der  Maler,  die  Vergoldung  und  das  Bemalen  des,  wie  ich  bereits  an  anderer 
Stelle  betont  habe,  sicherlich  auf  Polychromie  berechneten  zierlichen  Kunst- 
baues besorgte.  Neben  ihm  war  Cunz  Klügel,  Maler,  mit  Malen  und  Ver- 
golden beschäftigt.®) 


4)  Siehe  darüber  Adolf  Buff  a.  a.  O.  XXI,  ßeite  58,  und  Centralblatt  der  Bauver- 
waltung 1902,  Seite  442. 

5)  Jos.  Baader,  Beiträge  zur  Kunstgeschichte  Nürnbergs,  2.  Reihe,  Nördlingen  1862, 
Seite  2. 

6)  Jos.  Baader,  Beiträge  zur  Kunstgeschichte  Nürnbergs,  2.  Reihe,  Nördlingen  1862, 
Seite  11 — 12;  Schulz,  der  Schöne  Brunnen  zu  Nürnberg,  Süddeutsche  Bauzeitung  1904, 
Nr.  4. 


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VON  DB.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ.  147 


Kurz  gestreift  sei  an  dieser  Stelle  auch  eine  auf  das  Rathaus  bezügliche 
Nachricht,  welche  in  der  Zweitältesten  der  uns  erhaltenen  Stadtrechnungen, 
nämlich  in  derjenigen  vom  J.  1378,  enthalten  ist.  Es  heißt  dort  zum  17.  März 
des  genannten  Jahres:  »Item  dedimus  ^2.  SB.  hlr.,  daz  man  daz  hawse  [d.  h. 
das  Rathaus]  schön  macht  und  die  pilde  wischet  und  sawbert.«^)  Leider 
aber  ist  diese  Notiz  viel  zu  aphoristisch  abgefaßt,  um  weitere  Schlüsse  darauf 
aufzubauen. 

Garnichts  anzufangen  ist  mit  einem  ehemals  am  Aeußeren  des  Lorenzer 
Pfarrhofes  angebracht  gewesenen,  von  Heideloff  in  das  Innere  desselben  ver- 
setzten Frescobild,  als  dessen  Entstehungszeit  Heideloff  das  Jahr  1358  genannt 
hat.  ®)  Eis  befindet  sich  heute  in  einer  flachbogigen  Nische  seitwärts  der  Treppe 
im  Erdgeschoß.  Dargestellt  ist  vor  einem  Vorhang  sitzend  St.  Lorenz  mit 
großem  Rost.  Zu  seinen  Seiten  stehen  vor  Fenstern  mit  Ausblicken  auf  bergige 
Landschaften,  die  durch  kleine  Gebäude  belebt  sind,  die  Heiligen  Stephan 
und  Vincenz.  Das  Gemälde  ist  durch  spätere  Übermalungen  in  Öl  derart 
verdorben,  daß  sein  ursprünglicher  Charakter  vollkommen  verwischt  ist.  Doch 
dürfte  es  eher  in  der  1.  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts  als  im  Jahre  1358  ent- 
standen sein.  Als  heute  völlig  belanglos  müssen  wir  es  aus  dem  Zusammen- 
hang unserer  Untersuchung  ausschalten. 

Diese  wenigen  Nachrichten  dienen  nicht  dazu,  die  Möglichkeit  des  Ge- 
winnens einer  Vorstellung  von  der  Art  und  dem  Charakter  der  Nürnberger 
Außenmalerei  im  XIV.  Jahrhundert  herbeizuführen.  Sie  haben  nur  Wert  als 
registrierende  Notizen  von  rein  kulturgeschichtlicher  Bedeutung.  Ob  Privat- 
häuser bemalt  worden  sind,  davon  verlautet  nichts.  Fast  möchte  man  glauben, 
daß  die  Außendekoration  in  diesem  Jahrhundert  noch  keine  maßgebende 
Rolle  gespielt  hat. 

Das  XV.  Jahrhundert. 

Das  änderte  sich  gleich  mit  dem  Beginn  des  XV.  Jahrhunderts,  wo  wir 
alsbald  von  einer  Außenbemalung  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  größeren  Um- 
fangs  hören.  In  Endres  Tuchers  Memorial,  welches  die  Zeit  von  1421 — 1440, 
und  zwar  vornehmlich  die  täglichen  Ereignisse  und  diq  inneren  Angelegen- 
heiten der  Stadt  behandelt,  finden  wit  zum  Jahre  1423  folgende  wichtige 
Notiz:  »Item  do  man  zalt  1423  jar  zwischen  ostem  und  pfingsten  do  molet 
man  das  rothaus  hinten  und  vom.«*)  Diese  etwas  allzukurze  Angabe  findet 
eine  für  den  vorliegenden  Zweck  außerordentlich  gewichtige  Ergänzung  aus 
den  Stadtrechnungen  zum  August  dieses  Jahres.  Es  heißt  dort:  »It.  dedim. 
150  guld.  new  meister  Berchtolten  moler  von  dem  rothaws  czu  malen 
auszen  binden,   vornen,   neben  und  unter  dem  rothawse  von  czwein  Stuben, 

7)  Die  Chroniken  der  deutschen  Städte  III,  Seite  155,  Anm.  1;  Mummenhoff,  das 
Rathaus  in  Nürnberg,  Nbg.  1891,  Seite  38;  H.  Thode.  die  Malerschule  von  Nürnberg  im 
14.  u.  15.  Jahrh.,  Frankfurt  a.  M.  1891,  Seite  9. 

8)  R.  V.  Rettberg,  Kunstblatt  1849,  Seite  13;  und  H.  Thode,  die  Malerschule  von 
Nürnberg  im  14.  u.  15.  Jahrh.,  Frankfurt  a.  M.  1891,  Seite  314. 

9)  Die  Chroniken  der  deutschen  Städte  II,  Seite  11 ;  vgl.  hierzu  u.  zu  dem  folgenden 
auch  H.  Thode,  die  Malerschule  von  Nürnberg  im  14.  u.  15.  Jahrh.,  Seite  39—40. 


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148  BEITRÄGE  ZOR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 


und  vom  rothawse  ynnen  von  dem  gemeide  czu  bessern,  daz  man  im  gab 
für  sein  malen  und  arbeit,  die  er  daran  getan  het,  über  alle  andre  arbeit, 
die  der  paumeister  auch  daran  getan  het  unum  pro  1. .%.  1  sz  und  8  hllr.  Summa 
in  hallensibus  100  und  62^2  SE.  hllr.  r(ecepit)  per  se.c  Und  kurz  darauf 
findet  sich  folgender  Vermerk :  »It.  ded.  4  guld.  new  des  meister  Berchtolds 
maier  sünen  und  knechten  czu  trinkgelt,  unum  pro  1  IB.  1  sz  8  hllr.  Summa 
in  hallensibus  4  %.  6  sz  und  8  hllr.  ^®)  Es  unterliegt  gar  keinem  Zweifel, 
daß  in  den  vorstehenden  Nachrichten  von  einer  Außenbemalung  des  Rat- 
hauses die  Rede  ist.  Die  nähere  Bezeichnung  »do  molet  man  das  rothaus 
hinten  und  vorne  und  »von  dem  rothaws  czu  malen  auszen  binden,  vomen« 
könnte  darauf  schließen  lassen ,  daß  nur  die  Giebelfronten  dekoriert  worden 
seien.  Die  nicht  geringe  Kostensumme,  welche  sich  allerdings  auch  auf 
die  Ausmalung  zweier  Stuben  (das  »neben«  auf  eine  Bemalung  der  Süd- 
seite zu  deuten,  halte  ich  für  zu  gewagt)  und  auf  die  Ausbesserung 
der  Malereien  im  großen  Rathaussaal  bezieht,  der  Umstand,  daß  der  aus- 
führende Künstler  der  bedeutendste  unter  den  damals  in  Nürnberg  an- 
säßigen Meistern  war,  und  daß  er  sich  bei  der  Ausführung  der  Beihülfe 
seiner  Söhne  und  Gesellen  bediente,  lassen  gewiß  den  Schluß  zu,  daß  die 
Giebeldekorationen  solche  von  mehr  monumentaler,  sicherlich  aber  solche 
von  ausgedehnterer  Art  gewesen  sein  müssen.  Des  Meisters  kraftvolle, 
markige  Behandlungsweise,  sein  Streben,  in  großzügigen,  imposanten  Einzel- 
figuren nach  einem  Ausdruck  seiner  Ideen  zu  suchen,  sein  Sinn  für  das 
Große  und  Würdevolle,  für  einen  idealen  Stil,  für  das  Feierliche,  sprechen 
schon  allein  für  die  Berechtigung  unserer  Annahme.  Man  denke  z.  B.  an 
das  hervorragendste  unter  seinen  Werken,  an  den  Imhofschcn  Altar  in  der 
Lorenzkirche.  Man  könnte  in  einigen  Zweifel  geraten,  ob  der  hier  genannte 
»meister  Berchtold  maier«  wirklich  identisch  ist  mit  dem  berühmten  Meister 
des  Imhofschen  Altares.  Schon  Thode  hat  sich  mit  dieser  Frage  beschäftigt.  **) 
Er  stellt  fest,  daß  in  den  Archivalien  ein  »Meister  Berthold,  Bildschnitzer 
und  Maler«  schon  1363,  dann  1378  erwähnt  wird,  daß  1396  ein  »Berthold, 
Moler«  vorkommt,  daß  1406  ein  Maler  Berthold  die  Schildlein  und  Wappen 
an  den  Armbrüsten  und  Tartschen  im  Rathaus  malt,  daß  weiter  1413  ein 
»Meister  Berchtold  Moler«  und  1427 — 1430  ein  »Berchtolt  Moler«  aufgeführt 
wird.  Es  ist  nicht  recht  möglich,  daß  es  sich  in  den  von  Thode  bei- 
gebrachten Aufzählungen  um  ein  und  denselben  Künstler  handeln  sollte. 
Dieser  müßte  alsdann  etwa  67  Jahre  lang  tätig  gewesen  sein  und  in  seiner 
Entwicklung  die  ganze  Wandlung  aus  der  älteren  in  die  neuere  Kunst- 
richtung durchgemacht  haben.  Das  ist  aber  doch  wohl  so  gut  wie  ausge- 
schlossen. Thode  unterscheidet  darum  einen  älteren  und  einen  jüngeren 
Berthold.  Letzterer  wäre  der  1406,  1413  und  1427—1430  erwähnte.  Un- 
bestimmt läßt  er  —  und  das  ist  ja  auch  kaum  mit  Gewißheit  zu  sagen  — , 
wer  von  beiden  der  1396  aufgeführte  ist.  In  die  Zeitspanne  nun,  welche 
von  Thode   für   den  jüngeren  Berthold,   den  Berthold    des  Imhofaltares,   als 

10)  Die  Chroniken  der  deutschen  Städte  II,  Seite  11,  Anm.  6. 

11)  a.  a.  O.  Seite  40. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


149 


Dauer  seiner  Wirksamkeit  gewonnen  ist,  paßt  die  Ausführung  der  Rathaus- 
malereien im  Jahre  1423  nun  insofern  ganz  vortrefflich  hinein,  als  sie  in  eine 
Epoche  fällt,  in  welcher  der  Künstler  auf  dem  Höhepunkt  seines  Schaffens 
stand.  Er  hatte  soeben  mit  dem  Imhofschen  Altar  eine  glänzende,  ja  die 
glänzendste  Probe  seines  Könnens  und  seiner  Fertigkeit  abgelegt.  Nur 
einem  solch  begabten  und  in  dieser  Weise  erprobten  Meister  konnte  man 
die  schwierige  Aufgabe  der  Außenbemalung  des  wichtigsten  Profanbaues  der 
Stadt,  in  dem  sich  das  ganze  öffentliche  Leben  konzentrierte,  den  man  zu- 
gleich als  den  schönsten  und  eindrucksvollsten  Bau  dastehen  haben  wollte, 
übertragen.  Es  war  darum  »eine  große  und  ehrende  Aufgabe,  ja  vielleicht 
die  ehrenvollste,  die  ein  Maler  der  Stadt  Nürnberg  erhalten  konntec  (Thode). 
Ist  Meister  Berthold  durch  die  von  ihm  erhaltenen  Arbeiten  als  der  hervor- 
ragendste unter  den  Nürnberger  Malern  der  ersten  Jahrzehnte  des  15.  Jahr- 
hunderts erwiesen,  so  ist  die  Thodesche  Vermutung,  daß  er  es  auch  ge- 
wesen, der  die  Malereien  am  und  im  Rathaus  ausgeführt,  mehr  als  eine  bloße 
Wahrscheinlichkeit,  sie  ist  fast  eine  nicht  hinwegzuleugnende  Bestimmtheit. 
Keiner  hat  solch  gewaltige  Werke  hervorgebracht  wie  er.  Seine  charakter- 
volle Art,  seine  tiefgegründete  Empfindung  für  Größe  und  erhabene  Würde, 
seine  Neigung  für  das  Dauernde,  Ewige  und  Unvergängliche,  seine  kühne 
Gestaltungskraft  wirken  bestimmend  auf  die  Nürnberger  Kunst  der  ersten 
Jahrzehnte  des  15.  Jahrhunderts.  »Keinem  Maler  neben  ihm  darf  man  irgend 
welche  hervorragende  Stellung  einräumen«  (Thode  S.  38). 

Aber  was  waren  es  nun  für  Malereien,  mit  denen  Meister  Berthold  das 
Nürnberger  Rathaus  schmückte?  Was  für  Stoffe  behandelten  sie,  und  welcher 
Art  waren  sie  ?  Auf  alle  diese  Fragen  erhalten  wir  aus  den  nur  die  geschehene 
Tatsache  und  die  erwachsenen  Kosten  feststellenden,  knapp  abgefaßten  Nach- 
richten keine  Antwort.  Nicht  einmal  Andeutungen,  welche  unsere  Phantasie 
wenigstens  in  etwa  anzuregen  im  Stande  wären,  werden  uns  gegeben.  Waren 
es  etwa  Gemälde  religiösen  Charakters.?^  Fast  möchte  das  kirchliche  Stoffjgebiet 
am  ehesten  der  Gemütsart  Meister  Bertholds  entsprochen  haben.  Ja,  man  muß 
zu  dieser  Vermutung  neigen,  wenn  man  sich  etwas  näher  mit  des  Künstlers 
innerem  Wesen  befaßt  hat.  Seinen  Gedanken  aber  über  eine  bloße  Ver- 
mutung hinaus  Raum  zu  geben,  erscheint  nicht  zulässig. 

Noch  eine  Frage  bedarf  einer  kurzen  Erwägung:  Welches  war  die  Ver- 
anlassung dazu,  das  Rathaus  außen  und  innen  durch  einen  solch  bedeutenden 
Meister,  wie  es  Berthold  war,  dekorieren  zu  lassen?  Ein  festliches  Ereignis 
stand  nicht,  wenigstens  nicht  unmittelbar  bevor.  Die  Einbringung  der  Reichs- 
kleinodien fand  erst  ein  volles  Jahr  später,  am  22.  März  1424,  statt.  So  lange 
vorher  wird  man  also  kaum  an  eine  Ausschmückung  des  Rathauses  gedacht 
haben.  Scheinbar  war  demnach  lediglich  der  allgemeine  Wunsch,  den  gewich- 
tigsten Bau  der  Stadt  möglichst  glänzend  und  prächtig  in  die  Erscheinung 
treten  zu  lassen,  die  maßgebende  Veranlassung. 

Wenn  Baader  die  von  uns  oben  beigebrachten,  sich  auf  die  Aus- 
schmückung des  Rathauses  mit  Malereien  beziehenden  Nachrichten  in  Zu- 
sammenhang  bringt    mit    dem  Abbruch    der  Krame    und  Brotbänke,   die   an 


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150  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBER(i. 


dasselbe  angebaut  waren,  und  zwar  insofern,  als  die  Abtragung  der  letzteren 
der  Bemalung  des  ersteren  zeitlich  vorangegangen  wäre,  so  entspricht  dies 
nicht  den  tatsächlichen,  durch  die  Archivalien  festgelegten  Verhältnissen. 
Gerade  das  Umgekehrte  ist  der  Fall,  und  viel  eher  die  Annahme  gerecht- 
fertigt, daß  die  Freilegung  des  Rathauses  eine  Folge  der  Auszierung  mit 
Gemälden,  die  man  vielleicht  auf  diese  Weise  besser  zur  Geltung  bringen 
wollte,  gewesen  ist.  Die  betreffende  Stelle  bei  Baader ^^)  lautet:  »In  den 
Jahren  1423  und  1424  wurde  das  Rathaus  restaurirt  und  von  den  Kramen 
und  Brotbänken  befreit,  die  an  dasselbe  angebaut  waren.  Der  Rat  ließ  sie 
abbrechen  nicht  ohne  große  Opfer.  Sie  waren  an  Bürger  der  Stadt  vererbt ; 
ihre  Zahl  belief  sich  auf  etliche  60  Krame  und  Bänke.  ^*)  Der  Rat  löste  den 
Bürgern  das  Erbe  ab  und  bezahlte  ihnen  dafür  4237  Pfund,  13  Schillinge 
und  3  Haller.  Nachdem  das  Äußere  von  diesen  unschönen  [}]  Anhängseln 
befreit  worden,  ließ  der  Stadtbaumeister  Andres  Volkamer  die  Restaurations- 
arbeiten im  Innern  beginnen.  Sodann  malte  Meister  Berchtold  der  Maler 
>außen,  binden,  vornen  vnd  vnder  dem  Rothawse«,  desgleichen  zwei  Stuben 
desselben.  Das  Gemälde  im  Innern  des  Rathauses  besserte  er  aus.«  Was 
Baader  hier  an  tatsächlichen  Geschehnissen  bringt,  ist  ja  an  sich  nicht  un- 
richtig. Doch  zieht  er  das,  was  in  zwei  verschiedenen  Jahren  ohne  inneren 
Zusammenhang  mit  einander  getan  wurde,  zu  einem  einheitlichen  Ganzen 
zusammen  und  konstruiert  sich  auf  diese  Weise  eine  in  den  Jahren  1423/24 
vorgenommene  größere  Restaurierung  des  Rathauses.  Nun  aber  fand  die 
äußere  und  innere  Bemalung  des  Rathauses  (siehe  das  Nähere  darüber  oben) 
durch  Meister  Berthold  zwischen  Ostern  und  Pfingsten  1423  statt.  Die  Ab- 
lösung der  Krame  mit  den  darauf  ruhenden  Lasten  erfolgte  aber  erst,  wie 
Mummenhoff  festgestellt  hat,  am  28.  August  1424^*).  So  kann  also  das  erst- 
genannte Ereignis  nicht  eine  Folge  des  zweiten,  zeitlich  späteren  sein.  Beide 
stehen  vielmehr  vollkommen  unabhängig  von  einander  da.  Bei  beiden  können 
schwerlich  bevorstehende  größere  festliche  Ereignisse  die  nähere  Veranlassung 
gewesen  sein.  War  die  Bemalung  ein  Ausdruck  des  Kunstsinnes  des  Nürn- 
berger Rates  und  damit  auch  der  Bürgerschaft,  so  möchten  wir  auch  in  der 
Entfernung  der  Krame  und  Brotbänke  die  Äußerung  eines  regeren  Gefühles 
für  äußere  Schönheit,  das  die  Malereien  ganz  zur  Geltung  gebracht  wissen 
wollte,  sehen.  Auch  sonst  sind  die  von  Baader  beigebrachten  Einzelheiten 
zu  berichtigen.  Nach  dem  Jahresregister  IL  Bl.  243a ^^)  betrug  die  Ablösungs- 
summe »in  hallensibus    in   toto  3237  ft.  13  sz  und  3  hllr.«,  nämlich   »244  Ä. 

12)  Jos.  Baader,  Beiträge  zur  Kunstgesch.  Nürnbergs,  2.  Reihe,  Nördlingen  1862, 
Seite  2—3. 

13)  Mummenhoff,  das  Rathaus  in  Nürnberg,  Nbg.  1891,  Seite  312,  Anm.  92,  zählt 
deren  an  der  Hand  des  Jahresregisters  nur  40. 

14)  Siehe  Mummenhoff,  das  Rathaus  in  Nürnberg,  Nbg.  1891,  Seite  312,  Anm.  92. 
In  den  Jahrbüchern  des  15.  Jahrh.?  (Die  Chroniken  der  deutschen  Städte  X,  Seite  142) 
heißt  es  allerdings  bereits  zum  22.  März  1424:  »do  wurden  die  krem  und  protlauben 
vor  dem  rothaus  über  den  weck  abgeprochen«.  Doch  kann  dies  schlechterdings  nicht 
möglich  sein,  da  an  diesem  Tage  die  Einbringung  der  Reichskleinodien  geschah. 

15)  Siehe  die  Chroniken  der  deutschen  Städte  X,  Seite  142,  Anm    6. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOIT  SCHULZ. 


151 


9  sz  hllr.  und  1236  guld.  werung,  unum  pro  1  IE.  und  4  sz  hllr.  und  darczu 
1300  und  92  guld.  und  3  ort  new,  unum  pro  1  ft.  1  sz  und  8  hllr.« 

Nicht  unterlassen  möchte  ich,  auf  eine  von  Sigmund  Meisterlin  gebrachte, 
allerdings  mit  größter  Vorsicht  aufzunehmende  Notiz  hinzuweisen,  da  es  nicht 
ganz  ausgeschlossen  erscheint,  daß  dieselbe  auf  eine  gleich  zu  Anfang  vor- 
genommene Außenbemalung  des  Rathauses  bezogen  werden  könnte.  Meisterlin 
erzählt  nämlich:  »Es  was  das  rathaus  under  Ludwico  etwas  gepawet  und 
gemalt  mit  historien,  genomen  ausz  Vklerio  Maximo,  Plutarcho  und  Aggellio: 
die  histori  die  ratsherren  und  richter  solten  bewegen  zu  gerechtigkeit,  des- 
gleichen die  notari  und  Schreiber,  aber  das  gemeld  hat  abgenomen  und  ist 
auch  veracht  das,  das  es  bedeutet,  doch  ward  es  nach  dem  auflauf  gar 
gebawet  und  zugericht^*).«  Das  kurze  Aufeinanderfolgen  der  Worte  »gepawet 
und  gemalt«,  die  Übersetzung  des  letzteren  durch  »depingitur«  in  der  latei- 
nischen Fassung  der  Chronik  legt  den  ausgesprochenen  Gedanken  wenigstens 
nahe.  Mummenhoff  bezieht  die  Meisterlinschen  Nachrichten  auf  das  Innere  des 
Rathaussaales ^').  Auch  Thode  denkt  dabei  an  Innendekorationen^®).  Ich 
lasse  die  Entscheidung  dieser  Frage  angesichts  der  Unzuverlässigkeit  und 
Unklarheit  der  Meisterlinschen  Erzählung  unentschieden,  nicht  verhehlend,  daß 
auch  mir  die  Annahme  einer  Innenausschmückung  des  Rathauses  plausibler 
erscheinen  will.  Aus  diesem  Grunde  bin  ich  erst  hier  und  nicht  schon  beim 
14.  Jahrhundert  auf  diesen  Punkt  zu  sprechen  gekommen. 

Es  dürfte  fast  selbstverständlich  sein,  daß  die  Außenbemalung  des  ge- 
wichtigsten Baues  der  Stadt  Auszierungen  auch  einer  größeren  Zahl  von 
Bürgerhäusern  zur  Folge  gehabt  hat.  Schweigen  hier  auch  die  Quellen  im 
Großen  und  Ganzen,  so  ist  doch  darin  kein  Gegenbeweis  zu  sehen;  denn 
auch  die  Haus-  und  Kaufbriefe  späterer  Zeiten  ermangeln  zumeist  hierher 
gehöriger  Mitteilungen.  Die  mit  der  Dekorierung  des  Rathauses  stärker  in 
Übung  gekommene  Sitte  der  Bemalung  des  Äußeren  der  Profangebäude 
schwand  aber  auch  für  die  Folgezeit  nicht  dahin.  Doch  sind  die  vorliegen- 
den Nachrichten,  welche  zu  dieser  Annahme  ermutigen,  recht  spärlich  gesät. 
Im  Jahre  1431  wurde  am  neuen  Gewandhaus  ein  Gemälde  angebracht*^). 
Das  Gebäude  war  im  Jahr  zuvor  aufgeführt  worden  ^'^).  Im  Jahre  1447  wurde 
eine  Neupolychromierung  des  Schönen  Brunnens  auf  dem  Hauptmarkt  erfor- 
derlich**). Die  gleich  nach  seiner  Erbauung  angebrachte  Fassung  war  somit 
von  keiner  langen  Dauer.     Ihr  Bestand  beziffert  sich  auf  kaum  volle  50  Jahre. 

Bedenklich  stimmt  eine  von  Lochner  in  seinen  Abzeichen  (S.  67)  gebrachte 
Nachricht,  der  zu  Folge  ähnlich  wie  im  vordem  Hofe  des  Gasthauses  zum 
Bitterholz  (des  späteren  Bayrischen  Hofes)  noch  damals  d.  h.  im  Jahre  1855 

16)  Die  Chroniken  der  deutschen  Städte  III,  Seite  154—155. 

17)  a.  a.  O.  Seite  38. 

18)  H.  Thode,  die  Malerschule  von  Nürnberg  im  14.  u.  15.  Jahrh.,  Frankfurt  a.  M. 
1891,  Seite  9  -  10. 

19)  Jos.  Baader,  Beiträge  zur  Kunstgeschichte  Nürnbergs,  2.  Reihe,  Nördlingen  1862, 
Seite  3-4. 

20)  Nopitsch,  Wegweiser  für  Fremde  in  Nürnberg,  Nbg.  1801,  S.  50. 

21)  Schulz,  der  Schöne  Brunnen  zu  Nürnberg,  Süddeutsche  Bauzeitung  1904,  Nr.  4. 


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152  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 

ein  ungewöhnlich  großer  Mann  im  Stemhof  mit  folgender  Beischrift  abgemalt 
war:  »Jakob  Spanmann  aus  dem  Lande  Lüneburg  seines  Alters  21  Jahre  miszt 
96  Zoll  und  kann  in  die  Höhe  langen  108  Zoll.  Gemalt  1468  (!).  Renovirt 
1684,  1718,  1748,  1818  und  1846«.  Von  1468  bis  zum  Jahre  1684  dürfte 
sich  eine  Außendekoration,  und  noch  dazu  eine  solche  mehr  für  den  Augenblick 
geschaffene,  schwerlich  derart  erhalten  haben,  daß  man  sie  sachgemäß  hätte 
wiederherstellen  können.  Entschieden  liegt  hier  ein  Irrtum,  hervorgerufen  durch 
eine  Entstellung  der  Jahreszahl,  vor.  Schuld  an  derselben  sind  die  vielfachen 
Auffrischungen,  die  auch  das  ursprüngliche  Bild  schließlich  bis  zur  völligen 
Unkenntlichkeit  verderbt  haben.  Die  Urgestalt  dieser  Wandmalerei,  auf  die  wir 
nur  der  Kuriosität  halber  hier  näher  eingehen,  ist  uns  in  einer  Radierung  vom 
Jahre  1613  (Siehe  Abb.  2)  erhalten,  welche  einen  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
in  Nürnberg  tätigen  Dilettanten  von  mittelmäßiger  Qualität  namens  Peter  Helffrich 
zum  Urheber  hat**).  Dargestellt  ist  ein  Mann  in  der  Tracht  des  beginnenden 
17.  Jahrhunderts,  mit  rundem  Hute,  wie  er  Büchse  und  Gabel  zum  Auflegen  be- 
reit trägt.  Die  Figur  ist  nach  links  hin  gerichtet,  während  die  Malerei  dieselbe 
nach  rechts  gewendet  gab.  Wenn  diese  Darstellung  im  Gegensinn  nicht  auf 
Konto  des  Unvermögens  des  dilettierenden  Künstlers  zu  setzen  ist,  so  liegt  mög- 
licherweise in  dem  Exemplar  unserer  Sammlung  ein  Beispiel  des  Gegendrucks  des 
originalen  Blattes  vor,  dessen  Vorhandensein  von  Nagler  als  wahrscheinlich  hin- 
gestellt wird*^).  Durch  diese  Radierung  nun  wird  bewiesen,  daß  die  von  Lochner 
erwähnte  Darstellung  im  Stemhof  nicht  schon  im  Jahre  1468  gemalt  worden 
sein  kann,  sondern  daß  sie  frühestens  erst  im  Jahre  1613  angebracht  worden  ist. 
Die  Radierung  trägt   nämlich   folgenden  textlichen   Zusatz:    »lACOB  DAMA, 

V  PISPEN,  aus  dem  Land  Lüneburg,  sein  span  ist  •  16  •  zoll  u:  er  ist  96.  zoll 
Lang  kan  in  die  Höhe  reichen  126,  zolls:  Alters,  22^2,  Jahr  in  Mon: 
Sep  —  kam  in  Nürnbe:  A  1613«.  Der  größere  Teil  der  Inschrift  steht  oben 
beiderseits  des  Kopfes,  der  kürzere  Teil  hinter  dem  Gedankenstrich  befindet 
sich  seitlich  der  Beine  und  zwischen  denselben.  Es  gewinnt  den  Anschein, 
als  wenn  Nagler  diese  Radierung  nicht  durch  Autopsie  kennen  gelernt  habe; 
denn  einerseits  ist  die  Wiedergabe  der  Inschrift  bei  ihm  nicht  ganz  fehler- 
frei (z.  B.  PIPSEN  statt  PISPEN),  anderseits  bemerkt  er,  daß  dieselbe  am 
Pulverhorn  des  Jacob  Damman  angebracht  sei,  während  dort  nur  zu  lesen 
ist:  »P  H  fec  aqua  forte«.  Auch  die  Wiedergabe  der  Inschrift  bei  Müller**) 
ist  nicht  vollkommen  einwandfrei.  Noch  besitzen  wir  ein  großes  Holzschnitt- 
blatt mit  einer  Darstellung  der  kolossalen  Hand  des  Riesenmannes  in  originaler 
Größe.  Rechts  oben  findet  sich  folgende  Beischrift:  »Jacob  Damman  von 
Piszpen,  ausz  dem  Land  Lünenburg,  sein  Spanne  die  ist  16.  Zoll,  vnnd  er 
ist  96.  Zoll  lang,  vnd  kan  inn  die  höhe  reichen  126.  Zoll,  seines  alters  drit- 
halben  vnnd  zwantzig  Jahr,   Im  Jahr  1613«.     Es  unterliegt  demnach  keinem 


22)  Nagler,  Monogrammisten  IV,  Nr.  3001. 

23)  Siehe  im  übrigen  Barbeck,  Alt-Nürnberg,  Haus  und  Hof,  Bl.  15. 

24)  C.  G.  Müller,  Verzeichnis  von  Nürnbergischen  topographisch-historischen  Kupfer- 
stichen und  Holzschnitten,  Nbg.  1791,  S.  176. 


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VON  DR.  FttlTZ  TKAUGO'IT  SCHULZ. 


153 


Zweifel,  daß  Jakob  Damman  erst  im  Jahre  1613  nach  Nürnberg  kam  und 
wohl  noch  im  gleichen  Jahre  im  Sternhof  auf  die  Wand  konterfeit  worden 
ist.  Angesichts  der  Vergänglichkeit  der  Malerei  aber  mußte  dieselbe  von 
Zeit  zu  Zeit  aufgefrischt  werden.     Künstler  als  solche  haben  sich  schwerlich 


gy%V%'»yw     ^OcU^^^y^jH^    .^./fcn^    8.    ^l^^^r 

Abb.  2.    Radierung  nach  einem  Wandgemälde  im  Sternhof  zu  Nürnberg.    1613. 
(Der  im  Original  vorhandene  Strich  über  dem  A  fehlt  in  der  Reproduktion.   Siehe  S.  12). 

mit  einer  solchen  Aufgabe  befaßt.  Besondere  Sorgfalt  auf  eine  vollkommen 
getreue  Wiederherstellung  wurde  auch  nicht  verwandt.  So  wandelte  das  Bild 
seine  Gestalt  nach  der  Laune  des  Malers  und  dem  Geschmack  und  der  Mode 

Mitteilungen  aus  dem  gennan.  Nationalmusoum.    190G.  20 


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1^  BEITRÄGE  ZUR  OKSCHICHTE  DER  AUSSENMAI^REl  IN  NÜRNBERG. 


der  Zeit  so  lange,  bis  schließlich  vom  Original  keine  Spur  mehr  vorhanden 
war.  Deutlich  lehrt  dies  ein  Vergleich  der  Helffrichschen  Radierung  mit  den 
beiden  aus  späterer  Zeit  stammenden  Wiedergaben  bei  Barbeck.  Auf  der 
kleineren  trägt  unser  Damman  schon  einen  Hut  aus  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts; auch  seine  sonstige  Tracht  ist  dieser  Zeit  angepaßt.  Auf  dem 
Aquarell  von  Pfann  vom  Jahre  1881  hat  die  Figur  eine  weitere  Wandlung 
nach  der  neueren  Zeit  hin  erfahren. 

Nach  dieser  Abschweifung  kehren  wir  zur  historischen  Abwicklung 
unseres  eigentlichen  Themas  zurück.  Wiederum  ist  es  der  Schöne  Brunnen, 
dessen  wir  Erwähnung  tun  müssen.  Im  Jahre  1490  soll  derselbe  von  keinem 
Geringeren  als  von  Michael  Wolgemut,  dem  Lehrmeister  Albrecht  Dürers, 
neu  bemalt  worden  sein.  *'^)  Wir  sind  damit  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
angelangt.  In  dasselbe  könnte,  wenn  in  ihrem  ursprünglichen  Zustand  mit 
dem  Bau  gleichzeitig,  eine  an  dem  ehemaligen  Zachariasbad  angebracht  ge- 
wesene Malerei,  nach  Lochner  (Abzeichen  S.  20)  zeigend,  wie  dem  Priester 
Zacharias  der  Engel  erscheint,  gesetzt  werden.  Etwas  Bestimmtes  jedoch 
läßt  sich  nach  dieser  Richtung  nicht  sagen.  In  der  letzten  Fassung,  in  der 
das  vielleicht  auch  wiederholt  übermalte  Bild  vor  dem  Abbruch  des  Baues 
sich  zeigte,  trug  es,  wie  sich  Herr  Direktor  Dr.  Stegmann,  dem  ich  für  den 
gütigen  Hinweis  Dank  schulde,  bestimmt  zu  erinnern  weiß,  sowohl  in  dem 
annehmbaren  Kolorit  als  in  der  bewegten  Haltung  der  Figuren  (der  Engel 
naht  sich  von  rechts  her  dem  aufrecht  dastehenden  Zacharias)  augenfällig 
die  Merkmale  vom  Ende  des  17.  oder  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  zur  Schau. 
Das  Bild  befand  sich  auf  der  Giebelseite  in  der  Höhe  des  ersten  Stockes  und 
nahm  eine  Gefachfläche  seitwärts  eines  am  Eck  über  spätgotischen  Konsölchen 
vorgekragten  Fensters  ein. 

Zum  1.  Juni  des  Jahres  1500  berichtet  ein  Ratsverlaß^*):  »Es  ist  er- 
laubt, das  gemel  unter  dem  Weyssen  thurn  zu  verneuen,  doch  das  man 
dheynen  schilt  daran  mal.«  Wir  werden  hierbei  an  die  Notiz  v.  J.  1388 
erinnert,  dergemäß  damals  die  Stadttürme  frisch  getüncht  und  bemalt  wurden. 
Durch  den  Rats  verlaß  v.  J.  1500  werden  wir  gedrängt  anzunehmen,  daß  zum 
Jahre  1388  nicht  etwa  die  Rede  sein  kann  von  monumentalen  Kompositionen 
umfangreicher  Art,  sondern  nur  von  der  Anbringung  eines  oder  mehrerer 
kleinerer  Bilder.  Vielleicht  befand  sich  am  Weißen  Turm  die  zu  erneuernde 
Malerei  innerhalb  der  plumpen  spätromanischen  Seitennischen. 

Ob  sich  der  vielerorts  erwähnte  Hans  Beuerlein  auch  mit  dem  Bemalen 
von  Häusern  befaßt  hat,  darüber  ist  nichts  überliefert.  Da  er  aber  ausdrück- 
lich als  ein  Maler  aufgeführt  wird,  der  zu  seiner  Zeit  gar  renommiert  war, 
daß  er  die  Malerei  mit  Ölfarben  an  den  Mauern  mit  gutem  Verstand  zu 
applizieren  wußte  ^'),  so  müssen  wir  seiner  wenigstens  Erwähnung  tun.    Nach 

25)  Schulz,  Der  Schöne  Brunnen  zu  Nürnberg,  Süddeutsche  Bauzeitung  1904,  Nr.  4. 

26)  Hampe,  Nürnberger  Ratsverlässe  I,  Nr.  586. 

27)  Doppelmayr,  histor.  Nachricht  von  den  Nürnbergischen  Mathematicis  und  Künst- 
lern, S.  177. 


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VON  DR  FRITZ  TRAUG01"r  SCHULZ.  155 

Doppelmayr  starb  er  gegen  1500.  Thode*®)  möchte  mit  Rücksicht  darauf, 
daß  noch  im  Jahre  1518  ein  Maler  Hans  Peurl,  der  möglicherweise  mit 
unserem  Hans  Beuerlein  identisch  sein  kann,  in  den  Bürgerlisten  erscheint, 
sein  Todesjahr  später  ansetzen  und  ihm  ein  hohes  Alter  vindicieren.  *®) 
Urkundlich  erwähnt  wird  er  zum  ersten  Mal,  und  zwar  als  Bildschnitzer,  im 
Jahre  1461.®^)  Er  soll  verschiedene  Wandmalereien  in  der  Augustinerkirche, 
auf  dem  »Augustinerklostersaale«  und  in  der  Dominikanerkirche  geschaffen 
haben.  Thode  bringt  nähere  Nachrichten  darüber.  Auf  dem  »Augiistiner- 
klostersaalec  malte  er  zwei  große  Bilder  an  die  Wand.  »Zur  Rechten  Maria 
Magdalena  und  Christus,  über  Lebensgröße,  zur  Linken  ist  der  Heiland 
zwischen  den  beiden  Schäcljern  am  Kreuze,  nebst  vielen  Personen.  Alle  sind 
in  Lebensgröße.  1489.«  Diese  Malereien  sind  durch  den  völligen  Abbruch 
des  Augustinerklosters  zu  Grunde  gegangen.  Doch  ist  wenigstens  eine  da- 
von in  einem  Abbild  auf  uns  gekommen.  Während  des  Abbruches  des 
Klosters  im  Jahre  1883  hat  nämlich  der  damalige  Maler  und  Professor  an  der 
Kunstgewerbeschule  in  Nürnberg  Gg.  Eberlein  mehrere  der  zu  jener  Zeit 
noch  sichtbaren  Wandgemälde  kopiert  und  diese  farbigen  Wiedergaben  als- 
dann in  einer  Ausfertigung  dem  Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm,  in  einer 
anderen  dem  Magistrat  der  Stadt  Nürnberg  überreicht.  Die  an  die  Stadt  ge- 
langten Copien  befinden  sich  heute  in  der  städtischen  Kupferstichsammlung 
im  Germanischen  Museum.  Es  sind  im  Ganzen,  inclusive  Titelblatt,  12  Blätter, 
die  aber  bislang  noch  keine  Beachtung  gefunden  zu  haben  scheinen.  Vier 
dieser  Copien  bringen  Wiedergaben  von  Gewölbedekorationen ;  bei  dreien  von 
ihnen  bestehen  dieselben  in  naturalistisch  gemalten  Blumen  und  Blattranken; 
bei  dem  vierten  Blatt  scheint  es  sich  nur  um  bildhauerischen  Schmuck  zu 
handeln.  Dann  finden  wir  einzelne  Figuren  aus  Fensterlaibungen  in  den 
Kreuzgängen,  zwei  Engel  aus  einer  Himmelfahrt  Christi  und  die  ornamen- 
talen Zierate  im  Scheitel  einer  Spitzbogenlaibung.  Es  folgen  nunmehr  vier 
Copien  nach  größeren  Wandgemälden,  stofflich  behandelnd  die  Kreuzigung, 
die  Auferstehung,  Christus  als  Gärtner  Maria  Magdalena  erscheinend  und  die 
Au.sgießung  des  heiligen  Geistes.  Der  Wert  dieser  Copien  ist  ein  sehr  ge- 
ringer, da  es  augenscheinlich  ist,  daß  Eberlein  aus  dem,  was  er  darstellen 
wollte,  etwas  ganz  Eigenes,  etwas  Modernes  gemacht  hat.  Weder  ist  der 
Stil  noch  die  Malart  der  älteren  Schule  in  etwa  erfaßt.  Das  Einzige,  was 
wir  an  Nutzen  aus  diesen  Copien  ziehen,  ist,  daß  wir  ungefähr  eine  Vor- 
stellung von  der  Composition  dieser  sicherlich  einst  nicht  unbedeutenden 
Wandmalereien  erhalten.  Nach  dieser  Richtung  gewinnt  das  Blatt  mit 
Christus  als  Gärtner  der  Maria  Magdalena  erscheinend  insofern  einigen  Wert, 
als  es  nicht  ausgeschlossen  erscheint,  daß  das  Original  ein  Werk  von  Hans 
Beuerlein  ist,  dessen  Art  und  Weise  somit,  wenn  auch  nur  in  blasser 
Dämmerung,  dokumentiert  ist  (Abb.  3).  Dies  war  auch  der  Grund,  weshalb 
wir  den  Namen  Beuerlein  in  unsere  Untersuchung  hineingezogen  haben.     An 

28)  a.  a.  O.  S.  101—102. 

29)  Siehe  auch  Hampe  a.  a.  O.,  Seite  237,  Anm, 

30)  Thode  a.  a.  O. 


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156  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 


der  Hand  dieser  Copicn  weiterhin  feststellen  zu  wollen,  was  im  Original  von 
Beuerlein,  und  was  von  Hans  Trautt  gemalt  sein  könnte,  dürfte  ein  eitles 
Unterfangen  sein.  Auch  Hans  Trautt  hat  sich  bekanntlich  an  der  Ausmalung 
des  Augustinerklosters  mit  beteiligt. 


Abb.  3.     Wandmalerei  auf  dem  ehemaligen  Augustinerklostersaale  in  Nürnberg. 
Kopie  von  Gg.  Eberlein,  1883. 

Ziehen  wir  kurz  ein  Resultat  aus  den  Nachrichten,  welche  wir  für  das 
15.  Jahrhundert  beizubringen  vermochten,  so  haben  wir  das  Einsetzen  einer 
starken  Woge  gleich  zu  seinem  Beginn  zu  konstatieren.  Aber  sie  behält 
ihre  Kraft  nicht.  Sie  löst  sich  auf,  ohne  jedoch  zusammenzubrechen.  In 
kleineren  Wellen    lebt  sie   fort.     Und   diese   vereinigen   sich   zu   Beginn   des 


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VON  DR.  KRITZ  TRMJGp-lT  SCHULZ.  157 


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16.  Jahrhunderts  zu  einem  von  nun  an  ständig  und  lebenskräftig  durch  die 
Jahrhunderte  fließenden  Strom.  Die  Bemalung  des  Rathauses  durch  den  be- 
deutendsten Künstler  der  Zeit,  durch  Meister  Berthold,  kann  unmöglich,  ohne 
im  vorbildlichen  Sinn  Einfluß  auszuüben,  hingegangen  sein.  Meister  Berthold 
eröffnet  den  Reigen,  der  vielleicht  —  gewiß  können  wir  das  nicht  sagen  — 
durch  Hans  Beuerlein  beschlossen  wurde.  Zwischen  diesen  beiden  Angeln 
bewegt  sich  in  ruhigem  Fortgang,  ohne  Aufsehen  erregende  Zwischenfälle, 
die  Fagadenmalerei  im  15.  Jahrhundert.  Ihr  Stoffgebiet  war  wohl  das  kirch- 
liche; es  lag  dies  einerseits  im  Geiste  der  Zeit  und  anderseits  sprachen  da- 
für die  von  uns  zum  Ausdruck  gebrachten  Vermutungen,  deren  Berechtigung 
versucht  wurde,  zu  erweisen,  soweit  von  einem  »erweisen«  bei  der  Unzu- 
länglichkeit der  Unterlagen  überhaupt  gesprochen  werden  kann. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Vom  Deutschen  Buchgewerbeverein  geht  uns  die  nachstehende  Mitteilung  zu,  der 
wir  im  Interesse  der  Sache  gerne  weitere  Verbreitung  geben:  Eine  für  Künstler  und 
Kunstfreunde  wichtige  Veröffentlichung  wird  auf  Anregung  des  internationalen  Verleger- 
kongresses zu  Mailand  1904  unter  dem  Titel  „Neuigkeitendes  Deutschen  Kunsthandels" 
nebst  den  wichtigsten  Erscheinungen  des  Auslandes  demnächst  beginnen.  Redaktionell 
vom  Deutschen  Buchgewerbeverein  zu  Leipzig  geleitet,  werden  diese  monatlichen  Ver- 
zeichnisse alle  käuflichen  Photographien  und  Kunstblätter  jedweder  graphischen  Technik 
in  Original  wie  Nachbildung,  Tafelwerke  künstlerischen  wie  kunsthistorischen  Inhaltes 
einschließlich  aller  Vereins-  und  Privatpublikationen,  sowie  Verzeichnisse  der  Ausstellungen, 
Museen,  Privatsammlungen,  Kunstverleger  und  Antiquariate  verzeichnen.  Der  Deutsche 
Buchgewerbeverein  vereinigt  einesteils  in  seiner  geschäftlichen  Leitung,  andernteils  durch 
sein  Museum,  praktische  wie  wissenschaftliche  Erfahrung.  Wir  sind  deshalb  sicher,  daß 
die  Verzeichnisse  nicht  nur  ein  wichtiges  Nachschlagemittel  für  den  bisher  bibliographisch 
sehr  stiefmütterlich  bedachten  Kunsthandel  sein  werden,  sondern  auch  für  den  Kunst- 
historiker, für  Sammlungen  und  Künstler.  Es  wird  deshalb  auch  im  Interesse  aller  be- 
teiligten Kreise  liegen,  das  Unternehmen  zu  unterstützen  und  der  Geschäftsstelle  des 
Deutschen  Buchgewerbevereins,  Leipzig,  Deutsches  Buchgewerbehaus,  sämtliche  Neuer- 
scheinungen an  Kunstverlags- wie  Privatpublikationen  regelmäßig  zur  Aufnahme  einzusenden. 

Leipzigs  Handelskorporationen.  (Kramerinnung,  Handlungsdeputierte,  Handels- 
vorstand, Handelsgenossenschaft.  Die  Leipziger  Kaufmannschaft  und  die  Kommune- 
repräsentation.) Versuch  der  Gründung  Sächsischer  Handelskammern  im  19.  Jahrhundert. 
Herausgegeben  von  der  Handelskammer  zu  Leipzig.  Verfaßt  von  deren  Bibliothekar 
Siegfried  Moltkc.  Mit  mehreren  Abbildungen.  Leipzig.  In  Kommission  bei  der 
Buchhandlung  von  A.  Twietmeyer.  1907.     VIII  u.  248  S.  8». 

Auch  dies  neue  Werk  des  Verfassers  baut  sich  auf  Forschungen  in  den  Archiven 
der  Handelskammer  auf,  die  bereits  für  zwei  wenig  früher  erschienene  Darstellungen  als 
Grundlagen  dienen  konnten:  »Die  Leipziger  Kramer-Innung  im  15.  u.  16.  Jahrh.«  (1901) 
und  »Urkunden  zur  Entstehungsgeschichte  der  ersten  Leipziger  Großhandelsvertrctung« 
(1904).  In  einem  dritten  abschließenden  Bande  dieser  Studien  zur  Handelsgeschichte 
Leipzigs  untersucht  nun  M.  Entstehung,  Entwicklung,  Ausgestaltung  und  Ende  derjenigen 
kaufmännischen  Korporationen,  die  der  heutigen  Handelskammer  zu  Leipzig  nicht  un- 
wesentlich vorgearbeitet  haben,  bis  sie  eben  endlich  von  dieser  abgelöst  werden  sollten. 
Besonderes  Interesse  verdient  die  Darstellung  der  vorangehenden  Versuche  zur  Gründung 
von  Handelskammern  in  Sachsen,  insbesondere  einer,  noch  vor  1861  (Entwurf  der  Gewerbe- 
ordnung), für  Leipzig  geplanten. 

Wer  sich  mit  Studien  über  die  Entwicklungsgeschichte  des  Handels  und  der  Industrie 
Sachsens  im  19.  Jahrhundert  befaßt,  wird  auf  die  schätzbare  Verarbeitung  des  bedeut- 
samen Leipziger  Materials,  wie  sie  S.  Moltke  hier  bietet,  zurückkommen  müssen. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


159 


Ffihrer  durch  das  städtische  Museum  (in  Troppau)»  nebst  einer  Einleitung,  ver- 
faßt im  Auftrage  des  Ausschusses  des  städtischen  Museums  in  Troppau  von  Prof.  Erwin 
Gerber,  Kustos.    Troppau.  1906.    Im  Selbstverlage.    8^    9  S. 

Das  anspruchslose  Büchlein  dürfte  sich  als  ein  guter  Wegweiser  bewähren  für  die 
Besucher  der  Stadt  Troppau,  deren  Geschichte  und  Sehenswürdigkeiten  das  einleitende 
Kapitel  gewidmet  ist,  sowie  ihrer  neuerdings  im  imposanten  Schmetterhause  aufgestellten 
Altertumssammlung.  Zu  wünschen  ist,  daß  bei  einer  Neuauflage  mehr  Gewicht  auf  An- 
gabe der  Entstehungszeiten,  insbesondere  der  Kunstwerke  und  kunstgewerblichen  Er- 
zeugnisse, gelegt  werde.  Bei  undatierten  Stücken  fehlen  die  Zeitangaben  fast  durch- 
gehends,  und  diese  sind  für  den  Besucher,  nicht  minder  auch  für  den  Fachmann,  der 
sich  an  der  Hand  des  Führers  im  allgemeinen  über  die  Bestände  unterrichten  will,  un- 
erläßlich.   Dagegen  sollten  Ausdrücke  wie  »alt«  oder  »altertümlich«  ausgemerzt  werden. 

W.  J. 

Kirchliche  Kunstaltertfimer  in  Deutschland.  Von  Dr.  Heinrich  Bergner. 
Mit  9  Tafeln  in  Farbendruck  und  Autotypie  sowie  über  500  Abbildungen  im  Text. 
Leipzig.    1905.     Chr.  Herm.  Tauchnitz.    619  S.     8. 

Bergners  kirchliche  Kunstaltertümer,  denen  inzwischen  desselben  Verfassers  Hand- 
buch der  bürgerlichen  Kunstaltertümer  in  Deutschland  (1906)  gefolgt  ist,  macht  zwar 
Ottes  »Handbuch  der  kirchlichen  Kunstarchäologie  des  deutschen  Mittelalters«  nicht 
überflüssig,  ergänzt  es  aber  nach  verschiedenen  und  sehr  wesentlichen  Seiten.  Bewunde- . 
rungswert  ist  die  dem  Verfasser  eigene  weitgehende  Kenntnis  der  vielverzweigten  Literatur, 
nicht  minder  sein  kritischer  Scharfblick  bei  der  Verwendung  dieser  ungleichwertigen 
Quellen.  Trotzdem  es  sich  um  ein  kompilatorisches  Werk  handelt  und  trotzdem  der 
umfangreiche  Stoff  durch  strengste  Sichtung  und  größte  Knappheit  der  Darstellung  in 
einen  Band  zusammengedrängt  werden  mußte,  ist  das  Buch  durchaus  lesbar  und  anregend, 
wenn  es  auch,  vor  allem  durch  seine  reichen  Literaturnachweise,  in  erster  Linie  als 
Nachschlagwerk  gelten  muß.  W.  J. 

Die  Revolution.  Von  Dr.  Paul  Liman.  Eine  vergleichende  Studie  über  die  großen 
Umwälzungen  in  der  Geschichte.  Berlin.  C.  A.  Schwetschke  &  Sohn.  1906.  VIIL 
286.  St.    Preis  5  Mk.,  gebunden  6  Mk. 

Die  Betrachtungen,  welche  Liman  in  seinem  neuen  Buche  gibt,  sind  ihrer  Gattung 
nach  Eßays,  sie  behandeln  die  Geschichte  in  ausgesprochen  persönlicher  Auffassung, 
unter  stetem  Hinblick  auf  die  heutigen  Verhältnisse.  Das  Buch  gewinnt  dadurch  etwas 
äußerst  anregendes,  aber  es  fordert  selbst  bei  dem,  der  den  politischen  und  konfessionellen 
Standpunkt  des  Verfassers  teilt,  vielfach  Widerspruch  heraus.  Den  Grundgedanken  wird 
man  indes  zustimmen  können.  Das  Buch  ist  sehr  gut  geschrieben  und  von  Anfang  bis 
zu  Ende  interessant. 


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Inhaltsverzeichnis  zum  Jahrgang  1906 

der 

Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum. 


Seite 
Koptische  Altertümer  im  germanischen  Nationalmuseum.    Von  Dr.  Otto  Pelka. 

Mit  2  Tafeln 3 

Eine   Nürnberger   Hauskapelle.     Nachtrag.    Von   Dr.   Fritz   Traugott   Schulz. 

Mit  1  Tafel 47 

Meister  Bertram,  eine  resümierende  Betrachtung  an  der  Hand  der  Lichtwarkschen 

Studie.    Von  Dr.  Fritz  Traugott  Schulz 60 

Eine  Glocke  aus  dem  XVIII.  Jahrhundert.    Von  GustavvonBezold 79 

Ein  syro-palästinensisches  Räuchergeföß.  Von  Otto  Pelka.  Mit  2  Tafeln  ...  85 
Bilder  aus  dem  Kinderleben  in  den  dreißiger  Jahren  des  XVI.  Jahrhunderts.    Von 

Heinrich  Heerwagen 93 

Über  einige  Neuerwerbungen  der  SkulpturensammlVing  des  germanischen  Musenms. 

Von  Dr.  W.  Josephi.    Mit  2  Tafeln 117 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Außcnmalerei  in  Nürnberg.    Von  Dr.  Fritz  Traugott 

Schulz 141 

Literarische  Besprechungen '  .  43,  81,  158 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1906. 


Taf.  I. 


5. 


Tonstempel. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1906.  Taf.  II. 


5.  6. 

Tonstempel. 


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Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum.     1906.  Taf.  IV. 


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Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum.     1906.  Taf.  V. 


Gefaßboden. 
2. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1906. 


Taf.  VI. 


Pl.-O.  2056.    Kruzifix. 


Oberdeutsch.    Zweite  Hälfte  des  XIV.  Jahrh. 

Höhe  210  cm. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1906.  TTsl^,  'yjl 


Palmesel.    Schwäbisch.    Um  1500.    Pl.-O.  1875.    Höhe    180  cm. 


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Mitteilungen 


AUS  DEM 


Germanischen  Nationalmuseum 


HERAUSGEGEBEN 


VOM  Direktorium. 


JAHRGANG  1907. 

MIX   ABBILDUNGEN. 


NÜRNBERG 

VERLAGSEIGENTUM  DES  GERHANISCHEN  MUSEUMS 

1907. 


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Die  fränkischen  Epitaphien 
im  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert. 

Von 
Dr.  Edw^ln  I^ecislol3. 


Vorbemerkung. 


Die  folgenden  Ausführungen  legte  ich,  als  Erweiterung  einer  akademischen 
Preisaufgabe,  im  Jahre  1906  der  hohen  philosophischen  Fakultät  der  Heidelberger 
Universität  zur  Promotion  vor.  Die  seitdem,  zumal  als  Folge  der  histo- 
rischen Ausstellung  der  Stadt  Nürnberg  1906,  erschienene  Literatur  habe  ich  nach- 
träglich noch  zu  benutzen  versucht.  Naturgemäß  konnte  es  sich  dabei  nicht  um 
eine  Verschiebung  meiner  Hauptresultate  handeln,  die  nur  durch  Unterordnen  der 
kunstgeschichtlichen  Entwickelung  unter  den  gegenständlichen  Gesichtspunkt 
meines  Themas  gewonnen  werden  konnten. 

Außer  den  Neuerscheinungen  der  Literatur  habe  ich  der  Hilfe  meiner  verehrten 
Kollegen  am  Germanischen  Nationalmuseum  und  der  Architekten  der  Bauhütten 
von  St.  Sebald  und  St.  Lorenz,  der  Herren  Prof.  Joseph  Schmitz  und  Otto 
Schulz  dankbar  zu  gedenken.  Vor  allem  aber  drängt  es  mich,  an  dieser  Stelle 
meinem  hochverehrten  Lehrer,  dem  Herrn  Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  Henry  Thode 
den  herzlichen  Dank  für  die  Anregung  und  Förderung  meiner  Arbeit  auszusprechen. 


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Verzeichnis  der  wichtigsten  Literatur. 

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1.  Grabplastik. 

Otto  Buchner:  Die  mittelalterliche  Grabplastik  in  Nord-Thüringen.  Straß- 
burg, Heitz  1902. 

H.  Schweitzer:  Die  mittelalterlichen  Grabdenkmäler  in  den  Neckargegenden, 
Straßburg,  Heitz  1898. 

H.  Bröger:  Grabdenkmäler  im  Maingebiet.  Leipzig,  Hiersemann,  1907. 

Paul   Knoetel:  Die  Figurengräber  Schlesiens.    Jenenser  Diss.  1890. 

2.   Zur  Geschichte  der  fränkischen  Kunst. 

Henry  Thode:  Die  Malerschule  von  Nürnberg  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert. 

Frankfurt  a.  M.,  Keller,  1891. 
Friedrich   Dörnhöffer:    Beiträge  zur  Geschichte   der   älteren    Nürnberger 

Malerei.    Repertorium  XXIX,  1906. 
Janitschek:   Geschichte  der  deutschen  Malerei,  1890. 
Waagen:    Kunstwerke  und  Künstler  I.  1843. 
Schnaase:   Geschichte  der  bildenden  Künste. 
K  u  g  1  e r:   Kleinere  Schriften,  I883. 
Sighart:   Geschichte  der  Kunst  in  Bayern,  München  1862. 
W.  Bode:   Geschichte  der  deutschen  Plastik,  Berlin  1887. 
Pückler-Limpurg:  Die  Nürnberger  Bildnerkunst  um  die  Wende  des  XIV. 

und  XV.  Jahrhunderts.    Straßburg,  Heitz  1904. 
Dehio:    Handbuch  der  deutschen  Kunstdenkmäler.    Berlin,  Wasmuth  1905. 

3.  Nürnberg. 

M.  M.  Mayer:   Die  Kirche  des  hlg.  Sebaldus,  Nürnberg  18)1. 

0.  Schulz:   Geschichte. der  Wiederherstellung  der  Sebalduskirche,  Nürnberg  1905. 

J.  W.  Hilpert:   Die  Kirche  des  hlg.  Laurentius,  Nürnberg  I831. 

P.  R6e:  Die  Bilder  in  der  Sebalduskirche.    Kunstchronik  XX 111.    Nürnberg,  ber. 

Kunststätten  V,  1900. 
Christian   Rauch:  Die  Trauts.    Straßburg,  Heitz, '1907. 
B.  Daun:   P.  Vischer  und  Adam  Krafft,  Künstlermonographien  LXX  1905,  Veit 

Stoß,  LXXX. 
Berg  au:   Veit  Stoß  bei  Dohme:  Kunst  und  Künstler. 
Katalog  der  histor.  Ausstellung  der  Stadt  Nürnberg  1906. 


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VERZEICHNIS  DER  WICHTIGSTEN  UTERATUR. 


4.  Heilsbronn. 

Hocker:   Heilsbronner  Antiquitätenschatz,  Onolzbach  i73i. 
Muck:   Geschichte  des  Klosters  Heilsbronn-Nördlingen  1879. 
S  t  i  1 1  f  r  i  e  d:   Grabstätten  des  Hauses  Hohenzollern  1874.    Denkmale  des  Hauses 
Hohenzollern  Bd.  I,  Kloster  Heilsbronn  1877. 

5.  Eichstätt. 

S  a  X :   Geschichte  von  Eichstätt. 

F.  H.  Herb:   Eichstätts  Kunst.    München,  Ges.  f.  christl.  Kunst  1901. 
J.  Fischer:   Domkreu^ang  u.  Mortuarium.  Vortrag.    Eichstätt  1889.    Pastoral- 
blatt des  Bistums  13  u.  15- 
Sammelblatt  des  historischen  Vereins  8  u.  12. 
A.  Hämmerle:  Der  Pappenheimer  Altar,  Eichstätt  1906. 
Felix  Mader:   Loy  Hering,  München,  Ges.  f.  christl.  Kunst  1905. 

6.  Bayern  und  Schwaben« 

Berth.  Riehl:  Zur  bayer.  Kunstgeschichte  I.  Die  ältesten  Denkmale  der 
Malerei.  Studien  zur  Geschichte  der  bayer.  Malerei  des  XV.  Jahrhunderts. 
1895.    Augsburg,  ber.  Kunststätten  XX 11,  1903). 

A.  Schröder:  Die  Monumente  des  Augsburger  Domkreuzganges.  Jahrbuch  des 
Hist.  Vereins  Dillingen  1878. 

Walter  Josephi:  Die  gotische  Steinplastik  Augsburgs.   Münchener  Diss.  1902. 

A.  Seyler:  Die   mittelalterliche  Plastik  Regensburgs.   Münchener   Diss.     1905. 

7.  Zur  Ikonographie. 

Otte:   Handbuch  der  kirchlichen  Kunst- Archäologie. 

Bergner:   Handbuch  der  kirchlichen  Kunstaltertümer  in  Deutschland.  1905. 

Lehmann:   Das  Bildnis:  Straßburg,  Heitz. 

8.  Über  Inschriften. 

Klemm:   Über  die  Entwickelung  der  Schriftformen  in  der  Steinschrift  1000—1600. 

Christi.  Kunstblatt  1884. 
W.  Weimar:  Monumental- Schriften  vergangener  Jahrhunderte  1898. 

g.  Abbildungsmaterial. 

M.  Ger  lach:  Totenschilde  und  Grabsteine.    Wien.  Gerlach  &  Schenk. 


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Die  Entstehung  der  Epitaphienform. 

Die  Begräbnisstelle  für  die  Vornehmen  war  im  Mittelalter  das  Innere  der  Kirche. 
Die  Grabstätten  wurden  unter  den  Fußboden  eingemauert  und  mit  einer  Steinplatte 
geschlossen.  Absichtlich  den  verwischenden  Schritten  preisgegeben,  trugen  diese 
Platten  anfangs  nur  einfache  Zeichen:  ein  Kreuz  oder  ein  Wappenschild  und  eine 
kurze  Inschrift;  allmählich  verzierte  man  sie  in  flachem  Relief  mit  dem  Bilde  des 
Toten,  für  dessen  Charakteristik  die  allgemeinen  Merkmale  seines  Standes  und  Alters 
genügten. 

Aber  immer  mehr  wuchs  das  Verlangen,  den  Stein  dem  Bilde  des  Aufgebahrten, 
den  er  bedeckte,  ähnlich  zu  gestalten:  am  Ende  des  12.  Jahrhunderts  hatte  sich  eine 
reichere  Form  durchgesetzt,  welche  das  Relief  erhöhte  und  die  Züge  des  Dargestellten 
portraitartig  herausarbeitete.  Dann  verlieh  die  Gotik  den  Grabsteinen^)  größere 
Pracht:  häufig  wurde  die  Gestalt  unterarbeitet  und  mit  reichem  Zierrat  umrahmt. 
Solche  Werke  konnten  nicht  mehr  ein  Teil  des  Fußbodens  sein:  sie  wurden  als 
Tumben  sarkophagartig  untermauert  oder  von  kleinen  Pfeilern,  die  bald  als  Wappen- 
träger plastische  Gestalt  bekamen,  als  Hochgräber'')  über  den  Boden  gehoben. 

So  bekamen  die  Grabsteine  den  Sinn  von  Portraits  und  wurden  daher  oft  schon 
bei  Lebzeiten  gemeißelt;  neben  die  Abbildung  des  Aufgebahrten  trat  die  Wieder- 
gabe des  Lebenden  in  der  Fülle  seiner  Kraft  und  Macht:  der  Brauch,  zu  dem  auch 
räumliche  Gründe  zwangen,  daß  man  die  Steine  aufrecht  an  die  Wand  stellte,  war 
kein  Widersinn  mehr. 

Wurden  anfangs  nur  die  Herrschenden  durch  ein  Denkmal  ausgezeichnet,  so 
drängten  sich  allmählich  immer  mehr  Gemeindemitglieder  zu  der  Ehre,  ihr  Bildnis 
nach  dem  Tod  zu  erhalten.  Der  Raum  der  Kirche  konnte  für  größere  Gemeinden 
nicht  mehr  genügen,  so  daß  auch  der  Kreuzgang  als  Begräbnisstelle  herangezogen 
werden  mußte. 

Die  Anlage  eines  Domkreuzganges  war  aus  dem  Verlangen  entstanden,  den 
Kanonikern  und  Geistlichen,  die  am  Dome  wohnten,  einen  abgeschlossenen  Wandel- 
raum zu  geben.    Dann  wurde  der  Kreuzgang  immer  mehr  als  ein  Teil  der  Kirche 


1)  Vgl.  Lind,   die  Grabdenkmale  während   des  M.  A.  in  d.  Bcr.  u.  Mitt.  d.  A.  V.  zu 
Wien  XI  (1870)  S.  163—213.    Schultz,  Höfisches  Leben  II,  S.  410-416. 

2)  Buchner  (S.  65)  erklärt   die  Entwicklung  zum  Hochgrab  aus  »dem  Einfluß  der  im 
Sinne  des  Verticalismus  treibenden  Architektur". 


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DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT  VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.     7 

aufgefaßt,  wie  es  beim  Augs  bürg  er  Dom  ^)  gut  zu  erkennen  ist.  Hier  wurde  er 
durch  Verlegung  der  Kanonikerwohnung  seiner  ursprünglichen  Bestimmung  entfremdet, 
und  bald  trat  er  mit  der  Kirche  in  enge  Verbindung,  indem  er  ihren  einen  Zweck 
teilte  und  zur  Begräbnisstätte  ward.  Die  Verwendung  seiner  drei  Flügel 
war  genau  geregelt:  der  westliche,  dem  ehemaligen  Hauptchor  der  Kirche  zu- 
nächst liegende  Teil  diente  den  Kanonikern  als  Grabstätte  (ambitus  canonicorum), 
der  nördliche  den  Domvicaren  (ambitus  vicariorum),  der  östliche  Flügel  war 
auch  Laien,  Männern  wie  Frauen,  meist  adeligen  Stammes,  die  irgendwie  durch 
Stiftungen  oder  Verwandtschaft  der  Domkirche  nahegestanden,  zum  Begräbnis  über- 
lassen.*) Zunächst  wurden  die  Grabsteine,  nach  der  ältesten  Sitte,  in  das  Estrich 
eingelassen;  die  Schmalheit  des  Ganges  machte  es  unmöglich,  das  Relief  hoch  heraus- 
zuarbeiten oder  die  Platte  über  den  Boden  zu  heben.  Um  daher  die  Namen  der  Ver- 
ewigten zu  erhalten,  wurden  bald  in  der  Nähe  des  Grabsteins  an  der  Wand  einige 
Zeilen  oder  eine  Inschrift  in  Verbindung  mit  einer  heiligen  Darstellung,  ein  „Epi- 
taphium", angebracht.  Das  älteste  Epitaph  des  Augsburger  Kreuzganges  stammt 
vom  Jahre  1348^). 

Das  Wort  Epitaph  bedeutet  ursprünglich  jede  gesonderte  Gedächtnisin- 
schrift für  einen  Toten,  dann  ist  es  ausschließlich  zur  Bezeichnung  des  mit  einer 
Inschrift  verbundenen  Andachtsbildes  verwendet  worden,  das  an  der  Wand  in  der 
Nähe  der  Begräbnisstelle  angebracht  wurde. 

Die  ältesten  Beispiele  für  Inschriften  befinden  sich  auf  Steinplatten,  die  in 
dem  aus  der  Mitte  des  XI.  Jahrhunderts  stammenden  Teile  der  Krypta  des  Bonner 
Münsters  gefunden  worden  sind.  Ihr  hohes  Alter  ist  daraus  zu  folgern,  daß  sie 
schon  in  so  früher  Zeit  als  Baumaterial  behandelt  wurden.  Sie  entsprechen  in  ihrer 
Form  (ungefähr  ein  zu  einen  halben  Meter  groß)  verkleinerten  Grabsteinen  und  sind 
zur  Aufnahme  der  Inschrift  mit  einem  Kreuz  durchzogen.  Reste  ähnlicher  Stein- 
platten sind  im  Museum  zu  Köln  erhalten,  zwei  weitere  in  Bonn  und  einer  —  zur 
Aufmauerung  des  Hauptaltars  verwendet  —  in  der  Kirche  zu  Dollendorf  bei  Bonn  ®). 

Neben  diesen  Inschriften  kamen  im  vierzehnten  Jahrhundert  die  Totenschilde 
auf:  erst  schildförmige,  dann  zumeist  runde,  von  einer  Inschrift  umrahmte  Holz- 
tafeln mit  dem  geschnitzten  oder  gemalten  Wappen  des  Verstorbenen') . 


3)  Die  Augsburger  Bildwerke  behandeln  zwei  eingehende  Schriften:  der  Arbeit  Schröders 
im  X.  und  XI.  Band  des  Dillinger  Jahrbuches  von  1897  und  1898,  und  Walter  Josephis 
Münchener  Dissertation  über  die  gotische  Steinplastik  Augsburgs,  1902,  besonders  S.  35 — 41, 
S.  53-55  und  60  ff.  Mehrere  Abbildungen  und  eine  zusammenfassende  Übersicht  finden  sich 
in  Berthold  Riehls  Augsburg  (Ber.  Kunststatten  22,  1903). 

4)  Hierzu  Schröders  Arbeit. 

5)  Abguß  im  Germ.  Museum. 

6)  Bonner  Jahrbücher  LVII,  Tafel  XIII  S.  213  XXXII,  Tafel  II  S.  144—220.  Nieder- 
rhein. Annalen  II,  1,  2  u.  X,  91  und  222.  Otte,  I,  5,  S.  344.  Bergner,  S.  300.  Dazu  kommen 
Steininschriften  in  der  Neumünster  Kirche  zu  Würzburg  und  —  in  Verbindung  mit  Wappen 
—  aus  der  Zeit  um  1200  in  der  Kirche  zu  Weinsberg.  Andere  Beispiele  bei  Otte  I  S.  i45. 
Quast  veröffentlicht  im  Korresp.-Blatt  d.  Oes.  V.  d.  Gesch.  u.  Altert.  V.  I  (1853)  S.  37  zwei 
Inschriftsteine  vom  Jahre  938  und  1048. 


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8  DIE  FRÄNKISCHEN  EPIfAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Ein  praktischer  Grund,  der  auf  die  Erhaltung  der  Inschrift  Wert  legen  ließ, 
ist  bisweilen  die  Erinnerung  an  eine  Seelenmesse  gewesen®),  mit  der  sich  der 
Stifter  das  Recht  erkauft  hatte,  in  der  Kirche  bestattet  zu  werden  •). 

Da  man  bei  Epitaphien  neben  der  Inschrift  eine  kleine  Darstellung  des 
Verstorbenen  anbrachte,  gewöhnte  man  sich  an  diese  Verbindung  von  Heiligenbild 
und  Portrait,  und  auch  bei  der  Schenkung  eines  Andachtsbildes  unteriieß  man  nicht, 
den  Stifter  in  kleinem  Maßstab  auf  die  Tafel  zu  malen.  Oft  wurde  dann  wieder  bei 
einem  solchen  Bilde  Raum  gelassen,  um  später  das  Todesdatum  des  Stifters  einzu- 
tragen und  es  so  zu  einem  Epitaph  zu  machen  ^o). 

Die  Erklärung  für  diese  Verbindung  von  Frömmigkeit  und  Sorge  für  die  Er- 
haltung seines  Gedächtnisses  liegt  in  dem  Wesen  des  Bürgertums.  Als  es  im  vier- 
zehnten Jahrhundert  —  in  Nürnberg  besonders  durch  die  Einsicht  Karls  des  IV.  ge- 
fördert —  immer  mehr  an  Bedeutung  gewann,  als  das  Empfinden  der  Zeiten,  welche  die 
Reformation  vorbereiteten,  einen  jeden  nach  Gleichstellung  seinem  Gotte  gegenüber 
verlangen  ließ,  drang  diese  Ausprägung  gesellschaftlichen  Bewußtseins  auch  in  die 
Bestattungsbräuche  ein  ^  *).  Freilich  nur  ausnahmsweise  gesellten  sich  die  Bürger  gleich- 
berechtigt zu  den  machtvollen,  steingehauenen  Gestalten  der  Geistlichen,  Fürsten  und 
Ritter  *  ^).  Auf  die  Fürbitte  der  Heiligen  angewiesen,  wurden  sie  gruppenweise  in  kleinen 
Maßen  dargestellt,    wie   sie  ihres  Schutzheiligen  Vermittelung  vor  dem  Bilde  der 


7)  Die  Totenschilde  der  Elisabethkirche  zu  Marburg,  die  besten  Beispiele  dieser  Er- 
innerungsform,  wurden  1884  von  Bikell  und  Warneke  publiziert.  Hier  ist  das  älteste  Bei- 
spiel das  Wappen  des  Landgrafen  Heinrich  I.  (f  1308),  das  aus  gestreifter  Leinwand  und. 
Schnitzerei  hergestellt  ist.  Abbildung  bei  Hefner,  Trachten  I.  Tafel  82.  Nach  F.  Küch,  der 
in  der  Zeitschrift  für  hessische  Geschichte  (XXVI,  N.  F.  145—225,  Marburg  1902)  über  Toten- 
schilde spricht,  bedeuten  sie  nicht  den  ehemaligen  Kampfschild,  sondern  eine  für  den  se- 
pulchralen  Zweck  bestimmte  Nachbildung  des  Wappens,  das  die  Persönlichkeit  des  Toten 
versinnbildlichen  soll.  Dazu  Oerlach's  Abb.  und  die  Sammlung  im  Germanischen  Museum 
mit  Beispielen  von  1332  ab. 

8)  Als  Vertreter  mehrerer  Beispiele  nenne  ich  an  der  Stadtkirche  zu  Eisfeld  in 
S.-Meiningen  eine  Inschrift  aus  dem  Jahre  1364  und  eine  zweite  aus  dem  Jahre  1436,  die 
Ditzel  Heffners  und  seines  Geschlechts  Begräbnis  bezeichnet,  „das  man  ewiglich  des  Jahres 
vierstund  begeen  soll  alle  Quatember  —  darum  das  Geschlecht  ewige  Zinsen  gemacht  haben". 
(Thüringer  Kunstdenkmale  XXX.  S.  133).  Vgl.  A.  Ooldschmidt :  Lübecker  Malerei  und  Plastik, 
1890,  S.  2.  Noch  auf  dem  1530  entstandenen  Grabstein  des  Propstes  Petrus  Häckel  in  der 
Klosterkirche  zu  Au,  der  in  Epitaph-Form  oben  Gottvater  und  den  von  Maria  gehaltenen  toten 
Christus,  unten  den  knieenden  Probst  zeigt,  steht  hinter  dem  Namen:  „stiffter  diser  wochen 
mess."    (Bayrische  Kunstdenkmale  I  S.  1931  u.  1932). 

9)  Otte,  1883  S.  334. 

10)  Schröder,  S.  84  sieht  in  dieser  Verbindung  des  bei  Lebzeiten  gestifteten  Bildes 
mit  der  oft  nachträglich  angefügten  Epitaphbestimmung  mit  Recht  den  Grund  für  die  auf- 
fallende Erscheinung,  daß  die  Epitaphien  so  selten  Bezug  auf  den  Tod  oder  das  Leben  nach 
dem  Tode  haben,  sondern  bloße  Andachtsbilder  von  beliebigem  Vorwurf  bedeuten. 

11)  In  der  Kirche  Gedächtnisbilder  anzubringen,  war  in  Nürnberg  nur  den  ratsfähigen 
Geschlechtem  eriaubt:  man  vergleiche  Hilperts  Notiz  über  den  Homschen  Grabstein,  der  für 
das  Innere  der  Lorenzkirche  aus  mühsam  eingeführtem  Marmor  gearbeitet  war,  aber  wegen 
des  Wappens  der  Frau,  die  keinem  Patrizierhaus  entstammte,  an  der  Außenseite  verwittern 
mußte.    (Hilpert,  St.  Lorenz  S.  12  und  im  Beobachter  an  der  Pegnitz  I.  3.  1807  S.  173.) 

12)  Als  Beispiel  dieser  Denkmalsart  sei  nur  das  in  Pückler-Umpurgs  Buch  über  die 
Nürnberger  Bildhauerkunst  (S.  29)  besprochene  Grabmal  des  Konrad  Groß  in  der  Spitalkirche 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


Madonna  oder  des  Schmerzensmannes  erflehten,  oder  sie  wurden  ohne  Zusammen- 
hang mit  der  Darstellung  am  Inschriftstreifen  untergebracht.  Man  konnte  die 
winzigen  Gestalten  fast  übersehen,  und  gerne  ließ  es  sich  die  Geistlichkeit  gefallen, 
daß  auf  solche  Weise  ihre  Kirche  mit  Darstellungen  der  heiligen  Geschichte  immer 
reicher  und  bunter  geschmückt  wurde. 

Zur  Herausbildung  dieser  neuen  Denkmalsart  hatte  die  Malerei  höchstens  in 
den  Widmungsblättern  der  Codices  ein  Vorbild;  in  der  Plastik  gab  es  schon  in  früherer 
Zeit  Grabesplatten,  die  statt  der  lebensgroßen  Gestalt  des  Verstorbenen  eine  Dar- 
stellung schmückte.  Schon  im  zwölften  Jahrhundert  zeigt  ein  Hildesheimer  Grab- 
stein^^) des  Presbyters  Bruno,  in  drei  Teile  geteilt,  zu  unterst  die  Beweinung  des 
Leichnams  durch  Arme  und  Geistliche,  darüber  die  zum  Himmel  fliegende  Seele, 
und  oben  Christus,  der  sie  empfängt.  Seit  der  Mitte  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
entstanden  häufig  Grabsteine,  die  eine  heilige  Gestalt  mit  der  des  Verstorbenen  ver- 
banden. Für  Franken  vertritt  diese  Art  der  Grabstein  Berthold  Ruckers  an  der 
Pfarrkirche  zu  Schweinfurt  (Todesjahr  1377)  mit  einem  Schmerzensmann  über  dem 
knieenden  Verstorbenen  ^  *) . 

So  führt,  als  Konsequenz  der  Aufrechtstellung,  ein  Weg  vom  Grabstein  zum 
Epitaph.  Weil  der  Grabstein  im  Innern  der  Kirche  aufgestellt  werden  sollte,  lag  es 
nahe,  die  Gestalt  des  Verewigten  in  der  knieenden  Haltung  des  Betenden  darzu- 
stellen ^'*)  und  allmählich  zur  Motivierung  dieser  Stellung  den  verehrten  Heiligen 
beizufügen. 

Also  mehrere  Motive  und  Entwickelungen  auf  verschiedenen  Gebieten  kommen 
zusammen  und  lassen  die  neue  Kunstform  entstehen.  Jedoch  als  entscheidend  für 
die  Herkunft  des  Epitaphs  ist  zu  betonen,  daß  es  sich  aus  den  Formen  des  mittel- 
alterlichen Grabsteines  entwickelte,  und  daß  es  zunächst  im  Dienste  der  herrschenden 
Klasse  stand. 

Den  formalen  Charakter  bekam  das  Epitaph  durch  die  dekorative  Aufgabe, 
die  es  im  Inneren  oder  an  den  Außenwänden  der  Kirche  zu  erfüllen  hatte. 

Dieser  dekorative  Zweck  verursachte  eine  eigentümliche  Verquickung  plastischer 
und  malerischer  Stilelemente,  deren  Verständnis  für  die  richtige  Auffassung  der 
mittelalterlichen  Kunst  in  Deutschland  entscheidend  ist. 

Malerei  und  Plastik  standen  damals  nicht  in  formalem  Gegensatz  zu  einander, 
da  das  deutsche  Mittelalter  fast  keine  Freiplastik  kannte.  Zuerst  war  die  Architektur 
für  die  Plastik  stilbestimmend,  indem  die  Bildwerke  durch  Form  und  Zweck  der 


(t  1356)  genannt  (Abb.  R^  Nürnbergs.  60),  der  sich  (wohl  noch  bei  Lebzeiten)  ein  Hochgrab 
mit  acht  Trauernden  als  Träger  der  Steinplatte  errichten  ließ,  was  ihm,  in  derselben  Kirche, 
Herdegen  Valzner  nachmachte.  (Vergl.  Buchner  über  Tumben  im  4.  Abschnitt.)  Mit  Pücklcr- 
Limpurg  an  direkte  Nachahmung  eines  burgundischen  Herrschergrabes  zu  denken,  scheint  mir 
nicht  nötig,  da  sich  viele  Werke  dieser  Anlage  in  Deutschland  finden.  Ich  nenne  nur  für 
die  ältere  Form  das  Hochgrab  Conrad  Wurzbolds  im  Limburger  Dom,  aus  dem  XIII.  Jahr- 
hundert und  die,  gegen  1300  begonnene  Reihe  von  Tumben  in  der  Elisabethkirche  zu 
Marburg. 

13)  Abguß  im  Germanischen  Museum. 

14)  Dehio,  Handbuch  der  Deutschen  Kunstdenkmäler  I,  S.  280. 

15)  Buchner,  S.  54  u.  Taf.  5:  Th.  v.  Lichtenhayn  in  der  Erfurter  Predigerkirche  vom 
Jahre  1366. 


Mitteiluni^en  aus  dem  german.  Nationalmitseam     1907.  2 

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10  DIB  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XY.  JAHRHUNDERT. 

Bauteile,  welche  sie  verzierten,  ihre  formalen  Gesetze  erhielten.  Dazu  entwickelte 
sich  am  Tympanon  die  Reliefplastik  und  später  für  den  Schmuck  des  Kircheninnern 
die  Holzskulptur,  aus  der  die  Altarmalerei  ihr  Vorbild  gewann. 

Aber  wegen  dieses  Zusammenhanges  mit  der  unter  den  Gesetzen  der  Architektur 
zu  omamentaler  Stilisierung  gezwungener  Plastik  erhärtete  sich  in  der  Malerei  die 
Entwickelung:  lange  wirkte  die  strenge  und  gesonderte  Figurenanordnung  der  Skulptur 
nach;  ihrer  dekorativen  Bedeutung  entsprechend  vielfach  als  Ersatz  der  Plastik 
oder  der  Weberei  entstanden,  bewahrte  die  Malerei  im  Widerspruch  zu  ihren  freieren 
Möglichkeiten  einen  starr  gebundenen  Stil. 

Dennoch  brachte  sie  notwendiger  Weise  lebendigere  und  gewandtere  Lösungen 
für  die  dekorativen  Aufgaben,  die  ohne  Bedenken  sofort  auf  die  Plastik  übertragen 
wurden  und  deren  architektonisch  bestimmte  Formgesetze  lockerten. 

Darin  liegt  also  die  Bedeutung,  welche  die  Epitaphienkunst  für  die  Erkenntnis 
der  mittelalterlichen  Formauffassung  hat,  daß  sich  hier  die  Wechselwirkung  der 
beiden  Schwesterkünste  in  ihrer  gegenseitigen  Bedingtheit  erkennen  läßt. 


U. 

Die  Epitaphien  des  vierzehnten  Jahrhunderts  in  Heilsbronn 

und  Nürnberg, 

Der  Nürnberger  Kunstbetätigung  fehlte  der  vereinheitlichende  Einfluß  eines 
Bischofsitzes  oder  einer  alten,  heimischen  Tradition.  Durch  die  Verschiedenartigkeit 
der  von  den  Bestellern  geforderten  Aufgaben  verwirrt,  mußten  die  Ausführenden 
immer  von  neuem  sich  mühsam  die  äußeren  Formbedingungen  suchen,  ein  Zwang 
freilich,  der  sie  zu  den  schöpferischsten  und  eigenartigsten  Meistern  des  späten 
Mittelalters  machte. 

Ein  Gesamtbild  der  fränkischen  Kunst  wird  erst  in  den  fortgeschrittenen  Zeiten 
möglich;  auch  innerhalb  der  Epitaphienkunst  lassen  sich  für  den  Anfang  nur  ver- 
einzelte Werke  aufführen,  deren  früheste  für  die  Heilsbronner  Kloster- 
kirche entstanden  sind. 

Die  kleine  Reihe  beginnt  mit  dem  frei  aufgestellten  Steinepitaph  des  1390  ver- 
storbenen Abtes    Heinrich    von    Annavarsen. 

Der  oben  durch  einen  kleinen  Giebel  erweiterte  Stein  mißt  etwa  ein  Drittel 
von  der  Größe  einer  Grabplatte.  Auf  beiden  Seiten  in  handwerklicher  Aus- 
führung bearbeitet,  wirkt  er  doch  durch  seine  gedrungene,  maßvolle  Geschlossenheit, 
zumal  bei  dem  einen  Relief,  dessen  Giebel  geschickt  dazu  benutzt  ist,  die  Darstellung 
des  Gekreuzigten  mit  Maria  und  Johannes  und  dem  knieenden,  nach  vorn 
schauenden  Stifter  einzufügen.  Die  Rückseite  zeigt  die  Krönung  Maria,  die 
mit  dem  Sohne  vor  einem  von  drei  Engeln  gehaltenen  faltenreichen  Vorhang  sitzt; 
Christus  hat  die  Hand  noch  erhoben,  die  der  Mutter  eben  die  Krone  aufs  Haupt  ge- 
setzt hat,  ihm  wendet  sich  der  Bischof  betend  zu. 

Zu  diesem  Relief  gesellen  sich  drei  gemalteEpitaphien,  von  denen 
nur  das  älteste  hinreichend   erhalten   ist:   eine   schmale,   zwei  und  einen  halben 


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VON  DR  EDWIN  REDSLOB. 


11 


Meter  hohe  Tafel,  die  im  Format  die 
Größe  eines  Grabsteines  übertreffen  will, 
stellt  vor  dem  Kreuze  und  den  Lei- 
denswerkzeugen überlebensgroß  den 
mit  Blut  und  Wunden  bedeckten 
Schmerzensmann  dar.  Seine  Gestalt 
ist  machtvoll  und  wuchtig  im  Sinne  der 
alten  Wandmalereien  aufgefaßt:  die 
Arme  hat  er  starr  übereinandergelegt, 
der  Kopf  neigt  sich  nach  links,  und  aus 
den  zur  Seite  gewandten  Augen  dringt 
ein  erschütternder  Blick  unter  geraden 
Brauen  hervor;  die  linke  Schulter  trägt 
den  Mantel,  der  oben  in  festen  Linien 
fällt,  während  er  unten  reiche,  unruhig 
gebauschte  Falten  bildet,  deren  grau- 
grüner Ton  mit  dem  Dunkelgrün  des 
Mantels,  dem  gelblich  roten  Futter,  de^ 
grünlich  braunen  Fleisch  und  dem 
bräunlich  und  grünlich  goldenen,  reich 
gemusterten  Hintergrund  zu  einerschwe- 
ren Harmonie  bronzener  Farbtöne 
zusammenklingt.  Ihre  Einheitlichkeit 
ist  allerdings  zum  Teil  auf  Kosten  der 
späteren  Übermalung  zu  setzen.  Die 
Gestalt  des  verstorbenen  Abtes  ist  klein 
und  läßt  Raum  für  zwei  Spruch- 
bänder, eines  mit  der  Inschrift: 
Apt  Friedrich  von  Hirzlach,^*^ 
eines  mit  dem  bei  Epitaphien  oft  an- 
gewandten Spruch :  miserere  mei  deus.  * ') 
Die  Bedeutung  dieses  Werkes  erläutert 
am  besten  ein  Vergleich  mit  der  nur 
wenig  später  entstandenen  Fresko- 
Malerei^®)  eines  Schmerzensmannes  im 


16)  Friedrich  von  Hirzlach   starb  1361. 

17)  Thode  Tafel  I  und  S.  14  Nürn- 
berger Ausstellung  1906  No.  45.  Lehmann: 
das  Bildnis,  S.  149  mit  Abbildung.  Dom- 
höffer,  S.  446.  Das  Klischee  zu  der  vor- 
liegenden Abbildung  wurde  uns  aus  dem 
Thodeschen  Werke  vom  Kellerschen  Verlag 

zu  Frankfurt  a.  M.  freundlichst  überiassen.      Abb.  i.    Epitaph   für   den   Abt  Friedrich   von 

18)  Bei     den    Schmitz'schen    Wieder-      Hirzlach    In  der    Klosterkirche  zu    Hellsbronn 
herstellungsarbeiten  1905  zu  Tage  gekommen.  (um  1 361 ). 

Buchner  (S.  52)  stellt  das  Heilsbronner  Bild 


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12  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Ostchor  von  St.  Sebald,  dem  ausdruckslosen  und  plumpen  Bild  eines  schwachen 
Nürnberger  Handwerkers.  — 

Vielleicht  waren  zwei  andere  Werke  dem  Hirzlach- Epitaph  ähnlich:  eine  in  zwei 
Teile  zerlegte  Tafel  zeigtoben  die  Halbfigur  der  Madonna  vor  einem  brokatenen 
Muster;  schmal  ansetzend,  steigt  der  Umriß  malerisch  geschlossen  in  die  Höhe,  unten 
kniet  auf  blauem  Grund  (die  gewöhnliche  Farbe  des^Hintergrundes  für  den  getrennt 
dargestellten  Stifter)  vor  einem  Betpult  der  Bischof,  den  Stab  in  der  Mitte  haltend,  den 
Kopf  nach  oben  zur  Madonna  erhoben;  rechts  ist  ein  Spruchband  angebracht:  Maria 
mater  dei  miserere  mei.  Darunter  steht,  zwischen  dem  Hohenzollem-  und  Bischof- 
Wappen  (der  Verstorbene  war  der  Sohn  des  Burggrafen  Friedrich  IV.  von  Nürnberg),  die 
Inschrift  mit  dem  Namen  Bertholdus  und  dem' Todesjahr  1365*®).  Die  Farben 
der  grabsteingroßen  Tafel  haben  durch  häufige  Übermalung  (die  erste  1497)  so  ge- 
litten, daß  der  ursprüngliche  Charakter  des  Bildes  völlig  verloren  gegangen  ist. 

Daher  läßt  sich  nicht  mehr  bestimmen,  wie  weit  es  Ähnlichkeiten  mit  dem  Stile 
der  Schule  des  Prager  Meisters  Theodorich  hatte,  doch  scheint  eine  Verwandtschaft 
mit  dem  Votivbild  des  Erzbischofs  Johann  Ocko  von  Wlaschim  im  Rudolphinum 
zu  Prag  sich  behaupten  zu  lassen. 

Auch  bei  dem  kleinen  Epitaph  für  den  Arzt  Mengst  (t  1370)  läßt  sich  nur 
noch  von  der  Anordnung  sprechen:  in  der  Mitte  steht  Christus,  auf  die  Wunde  der 
entblößten  Brust  weisend,  rechts  Maria,  und  links  kniet  in  einem  roten,  hermelin- 
gefütterten Mantel  der  graubärtige  Magister;  der  Raum  über  seinem  Kopf  ist  durch 
zwei  Spruchbänder  ausgefüllt,  über  denen  aus  Wolken  Gott- Vater  erscheint,  der 
mit  der  Hand  auf  seinen  Sohn  zeigt.  Das  Thema  der  Entsündigung  durch  Christus 
und  Maria  entspricht  dem  Zweck  des  Epitaphs,  kommt  aber  seltener  vor,  als  man 
voraussetzen  sollte.  Das  Bild  stimmt  mit  den  bei  Thode  erwähnten  vier  Szenen 
aus  Christi  Leben  überein,  die  so  erhalten  sind,  daß  man  in  ihnen  den  Stil  besser 
erfassen  kann.*®) 


Von  gemalten  Epitaphien  im  Stile  des  ausgehenden  vierzehnten  Jahrhundert 
sind  innerhalb  Nürnbergs  nur  Nachzügler  erhalten.  Eine  Schmerzensmanndar- 
stellung in  St.  Lorenz"),  das  Epitaph  des  Paul  Stromer,  möchte  ich 
trotz  des  frühen  Todesdatums  (1406)  später  besprechend^).  Die  Kreuzigung  in 
der  Tetzelkapelle  der  Aegidienkirche  für  Anna  Kunz  Mendel  (t  1406) 
ist  derartig  [übermalt,  daß  eine  Beurteilung  unmöglich  ist.  Ein  späteres 
Machwerk  im  alten  Stil  ist  das  Epitaph  für  Klara  Holzschuherin  im 
Germanischen  Museum  (Nr. 93),  auf  Goldgrund  in  halblebensgroßen 
Figuren  Maria  mit  dem  Kinde,  die  Heiligen  Dominicus  und  Katharina  von  Siena 


mit  einem  Grabstein   in  Lineartechnik  der  alten  Erfurter  Peterskirche  zusammen.    Abbildung 
bei  F.  Tettau,  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der  Provinz  Sachsen,  Erfurt  (S.  283). 

19)  Sighart  II,   409  Waagen  1,   311,   Muck  81,   Hocker  S.  5   und   6  Abbild,  pag.  VI 
Thode  S.  13,  Lehmann  S.  150  Dr.  Julius  Meyer:  Hohenzollem-Denkmale  in  Heilsbronn. 

20)  Thode   S.  13  und  14.    Abbildung  im  Katalog  der  Nürnberger  Ausstellung  1906 
S.  390  (Nr.  44). 

21)  Thode  S.  15  Janitschek  S.  206 

22)  Kapitel  IV. 


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VON  DR.  EDWIN  KEDSLOB. 


13 


darstellend,  vor  deren  Füßen  die  klein  gebildete  Verstorbene  mit  dem  Wappen  der 
Holzschuher  kniet^*).  Die  Inschrift  lautet:  Da  man  zeit  nach  Cris:  geburdt  m.^ 
CCCC.  XXVI.  Jar  an  dem  andern  pfingstag  do  verschiet  Schwester  Clara  Holtz- 
schuerin  der  Got  genadt  Am. 


Die  Darstellungen  auf  den  besprochenen  Werken  sind  für  die  Zeit  vor  1400 
bezeichnend,  indem  sie  die  damals  besonders  beliebten  Stoffe  behandeln.  Die  Kreu- 
zigung wird  Vielleicht  am  häufigsten  verwertet,  daneben  erscheint  bereits  die  Gestalt 
der  Maria,  aber  vor  allem  wurde  ein  Bild  des  Schmerzensmannes  von  den  Stiftern 
verlangt.  Für  die  erzählten  Ereignisse  der  Glaubenslehre  noch  nicht  interessiert, 
faßte  man  die  Gestalt  Christi  in  typischer  Erscheinung  auf,  wie  er  als  Erlöser  von 
den  Predigern  geschildert  wurde:  von  Blut  und  Wunden  entstellt,  mit  wehem  Zug 
auf  die  Male  zeigend,  die  dem  Verstorbenen  Errettung  verheißen.  Dabei  begnügte 
man  sich  für  die  Wiedergabe  des  Körpers  mit  einem  sehr  schematischen  Typus:  nur 
auf  dem  Epitaph  des  Abtes  von  Hirzlach  ist,  unter  Einfluß  der  Wandmalerei,  eine 
große  Formensprache  innerhalb  der  alten  Stilisierung  erreicht. 

Immer  bedeutet  die  heilige  Gestalt  den  Hauptzweck  des  Epitaphs,  die  Gestalt 
des  Verstorbenen  wird  klein  und  ohne  scharfe  Charakterisierung  gegeben,  die  In- 
schrift ist  anfangs  meist  lateinisch  und  beschränkt  sich  auf  die  kürzesten  Angaben. 
Während  in  anderen  Städten,  zumal  für  die  Plastik,  die  neue  Denkmalsart  schon 
häufig  verwendet  wurde,  bedeutete  die  Bestellung  eines  Epitaphs  für  Nürnberg  und 
seine  Nachbarorte  eine  Ausnahme,  sodaß  sich  noch  keine  bestimmte  Form  für  die 
Epitaphienkunst  herausbilden  konnte. 


m. 

Plastische  Epitaphien  an  der  Wende  des 
XIV.  Jahrhunderts. 

War  die  Nürnberger  Plastik  zur^Zeit  ihrer  ersten  Anfänge  —  vornehmlich 
an  St.  Lorenz  und  an  der  Frauenkirche  —  noch  nicht  zu  eigenkräftiger  Freiheit 
gelangt,  so  traten  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  vierzehnten  Jahrhunderts  bedeutende 
Aufgaben  an  sie  heran  und  brachten  der  jungen  Schule  eine  rasche  Entwicklung. 

Gegen  1360  wurden  die  Reliefs  am  Lorenzer  Hauptportal  fertiggestellt**);  1366 
bis  1379  wurde  der  Sebalder  Chor  gebaut;  kurz  nach  1366  am  Sebalder  Pfarrhof 
das  Chörlein  begonnen;  1385—1396  fällt  die  Arbeit  am  schönen  Brunnen.  Um 
St.  Sebald  und  St.  Moritz  war  ein  Friedhof  entstanden,  und  in  schneller  Folge  wurden 
die  Außenwände  der  beiden  Kirchen  mit  Epitaphien  bedeckt,  die  zeigen,  wie  auch 
auf  handwerklichem  Gebiet  eine  reg  erwachte  Arbeitslust  nach  reicher  Ausgestaltung 
der  Motive  und  freien  Lösungen  der  Kompositionen  verlangte. 


23)  Thode  S.  15.    Lehmann  (S.  130)  erwähnt,  daß   die  Hände  der  Madonna  größer 
sind  als  ihr  Kopf. 

24)  Nach  Pückler-Limpurg. 


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14  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XY.  JAHRHUNDERT. 

I. 

Am  besten  läßt  sich  die  Entwickelung  der  Handwerker- Plastik  an  einer  Reihe 
Ölberg-Reliefs  verfolgen,  als  deren  frühestes  wohl  das  Relief  in  Hoch- 
format am  Westchor  von  St.  S  e  b  a  1  d  zu  nennen  ist,  das  wie  die  ungeschickte 
Vergrößerung  einer  Elfenbeintafel  anmutet,  denn  ohne  plastisches  Gefühl  sind  die 
Figuren  zu  einem  omamentalen  Gefüge  verteilt,  das  die  Platte  im  Sinne  der  Klein- 
kunst füllt  und  belebt.  Es  lag  weder  in  der  Absicht,  noch  im  Können  des  Meisters, 
die  drei  schlafenden  Jünger  zu  einer  Gruppe  zusammenzuschließen:  rechts  unten 
sitzen,  in  unbegründeter  Symmetrie,  zwei  Jünger  nebeneinander,  darüber  ist  ein  Berg 
gebaut,  um  den  dritten  unterzubringen.  Auch  über  diesem  setzt  sich  der  Höhen- 
zug fort,   sodaß   die  Schlafenden  wie  in  Höhlen   sitzen.      Links  erweitert  sich 


Abb.  2.     Ölbergrellef  am  Westchor  von  St.  Sebald  zu  Nürnberg. 

die  Berglinie;  unter  ihr  ist  für  die  zwei  winzigen  Figuren  der  betenden  Stifter 
Platz,  über  ihr  kniet  Christus,  in  der  alten  Art  der  Adoranten  die  Gestalt  seit- 
wärts, den  Kopf  halb  nach  vorn  gewandt;  aus  engenden  Faltenzügen  hebt  er  seine 
Hände  empor,  dem  Engel  entgegen,  der  von  oben  rechts  sich  herabschwingt,  ein 
Spruchband  in  der  Hand,  das  in  weitem  Bogen  die  Anordnung  der  linken  Seite 
vollendet.  Ein  Relief  mit  dem  Stromerschen  Wappen  aus  dem  Cyclus  am  Ostchor, 
das  nicht  als  Epitaph  bestimmt  ist,  gestaltet  diese  Gruppe  im  Gegensinne  um;  dem 
weniger  hohen  Format  entsprechend  werden  die  Jünger  zusammengeschoben,  und  der 
Blick  kann  sich  mehr  auf  die  Hauptszene  konzentrieren. 

Die  Stileigentümlichkeiten  sind  an  beiden  Reliefs  gleich :  die  Körper  sind  noch 
unbeholfen,  aber  in  ihren  ausgebogenen  Stellungen  und  intensiven  Bewegungen,  in 


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dem  Gegensatz  zwischen  dem  ruhigen  Schlaf  der  Jünger  und  dem  aufgeregten 
Flattern  des  aus  der  Ecke  herausschießenden  Engels  drängt  eine  dramatische  Lebens- 
kraft zu  kraftvollem  Ausdruck.  Die  Gewandfalten  spannen  sich  röhrenartig  in 
zackigem  Bogen  über  die  Körper,  die  Gelenke  sind  energisch  betont. 

Trotz  der  anders  gearteten  Gruppierung  kommen  bei  der  Frage  nach  der  Her- 
kunft dieser  stilisierten  Motive  die  Reliefs  am  Hauptportale  von  St.  I^renz^**)  als  ent- 
scheidende Vorbilder  in  Betracht,  doch  sind  die  Fortschritte  naiver  Beobachtungs- 
lust, die  den  Eindruck  des  Sebalder  Pfarrhauschores  bestimmen,  an  beiden  Werken 
erkennbar. 

Im  Gegensatz  zu  den  gotischen  Nachklängen  dieser  beiden  Ölbergszenen  steht 
das  Relief  in  Querformat  an  St.  Moritz,  das  wieder  als  Epitaph  gedacht  ist. 
Die  Stifter  sind  an  einem  Sockel  unter  dem  Relief  angebracht,  der  geschickt  als 
Postament  der  großen  Christusgestalt  benutzt  ist,  über  dem  Heiland  spannt  sich  die 
Linie  des  Zaunes,  links  gewährt  sie  für  die  dicht  zusammengedrängte  Gruppe  von 
Judas  und  drei  Kriegsknechten  Platz,  rechts  unten  geht  sie  bis  an  den  Rahmen  und 
endet  hinter  den  übereinander  hockenden  Jüngern,  oben  ist  der  Himmel  durch  Wolken 
angedeutet,  vor  denen  die  Hand  Gottes  erscheint.  Die  Figuren  sind  in  ihren 
Bewegungen  lebendig  beobachtet,  aber  sie  sind  ohne  jede  Kenntnis  der  menschlichen 
Gestalt  ausgeführt.  Christus  ist  groß  und  schlank,  weil  für  ihn  Platz  war,  die  anderen 
haben  sich  zum  Teil  mit  drei  Kopflängen  für  ihren  Körper  begnügen  müssen.  Die 
Köpfe  sind  rund  und  plump  und  schauen  ausdruckslos  vor  sich  hin. 

Ein  viertes  Relief  —  an  der  Südseite  des  Westchores  —  ist  ähnlich  an- 
geordnet: durch  die  knieenden  Stifter  unterbrochen,  schließt  der  Zaun  das  Relief 
unten  ab,  links  geht  er  bis  zum  Rande,  sodaß  die  Kriegsknechte  ganz  zusammen- 
gedrückt sind,  indeß  Judas  die  Pforte  öffnet;  rechts  biegt  das  Geflecht  weit  aus, 
den  bequemen  Schlaf  der  Jünger  behütend.  In  der  Mitte  ist  viel  Platz  für  Christus, 
der  —  zum  ersten  Mal  mit  scharfem  Profil  —  in  ausdrucksvoller  Konzentration 
sich  nach  oben  wendet.  Das  Symbol  für  die  Erscheinung  Gottes  ist  heraus- 
gebrochen. Unter  diesem  Relief  befindet  sich  —  seltsam  primitiv  —  eine  Dar- 
stellung der  Dreifaltigkeit:  Christus  als  Schmerzensmann  neben  Gott- Vater,  der 
Maria  im  Arme  hält,  zwischen  ihnen  die  Taube,  rechts  und  links  zwei  Heilige,  die 
mit  ihren  bärtigen  Köpfen  und  untersetzten  Körpern  an  die  Thonapostel  des  Ger- 
manischen Museums  erinnern.  Am  untersten  Abschluß  beider  Reliefs,  ohne  Zusam- 
menhang mit  der  Hauptkomposition,  sind  die  betenden  Stifter  angebracht.  (Das 
Werk  wurde  kürzlich  ergänzt.) 

Das  Epitaph  der  Römer  an  der  Südseite  von  St.  Sebald  (Taf.  I)  mit  In- 
schriften vom  Jahre  1331—1395^®)  entspricht  dem  letzten  Werk,  in  dessen  Nähe  es 
eingelassen  ist,  durch  die  Zweiteilung  der  Platte.  Seine  späteste  Jahreszahl  gibt 
für  die  Ansetzung  der  anderen  Epitaphien  an  der  Wende  des  vierzehnten  und 
fünfzehnten  Jahrhunderts  den  Anhaltspunkt.  Die  Gethsemanedarstellung  ist  mehr 
zusammengedrängt,  Judas  ist  schon  durch  die  Pforte  geschritten.    Die  Gruppe  der 


25)  Der  Baugeschichte  nach  muß  das  Relief  am  Ostchor  um  1379  entstanden  sein. 

26)  Die  Zahl  1416  der  Ergänzung  wird  1366  gelautet  haben,  eine  Lesart,   welche  ihre 
Begründung  aus  der  Reihenfolge  der  Zahlen  bekommt. 


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16  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XY.  JAHRHUNDERT. 

Jünger  ist  mit  sichtlicher  Freude  an  den;  Wechselspiel  der  Motive  gebildet,  wie 
denn  dies  Werk  feineres  Verständnis  für  die  Charakteristik  der  einzelnen]^ Gestalten 
zeigt.  In  der  unteren  Hälfte  steht  ein  schlanker  Schmerzensmann  zwischen  den 
zierlich  geputzten  Angehörigen  der  Familie  Pömer. 

Die  fünfte,  an  der  Nordseite  des  SebalderWestchores  eingemauerte 
Ölbergdarstellung  ist  eine  etwas  spätere  Handwerker  arbeit:  in  den  gedrungenen, 
plumpen  Figuren  im  Gegensatz  zur  gotischen  Schlankheit  der  früheren  Werke  auf 
den  Stil  der  im  Verlaufe  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  ausgebildeten  realistischen 
Bürgerkunst  hinweisend,  bringt  sie  die  einfachste  Scenerie:  unten  die  Jünger,  darüber 
Christus,  der  sich  zum  Felsen  wendet,  hinter  dessen  Zacken  in  ungeschickter  Auf- 
fassung Gott- Vaters  Kopf  auftaucht. 


Abb.  3.     Ölbergrelief  am  Westchor  von  St.  Sebald  zu  Nürnberg. 

In  der  Nähe  befindet  sich  die  Kopie  des  letzten  Reliefs  unserer  Reibe:  es 
zeigt  die  kräftigen  Gestalten  des  benachbarten  Werkes,  vermehrt  um  die  Schar  der 
Kriegsknechte.  Die  Figuren  sind  dicht  gruppiert,  nicht  um  den  Raum  zu  gliedern 
und  zu  beleben:  es  kam  dem  etwas  plumpen  Meister  nur  darauf  an,  ihn  recht  voll- 
gefüllt zu  haben,  ihn  auszunutzen. 

Hier  kommt  der  neue  Stil  entscheidend  zum  Ausdruck:  die  feine  dekorative 
Anordnung  der  Gotik  hört  auf,  das  Einzelne  löst  sich  selbständig  los,  wird  ein  Ganzes 
und  muß  nun  sehen,  allein  möglichst  viel  zu  sagen  und  darzubieten. 


Auf  diesem  einen  Darstellungsgebiet  war  es  möglich,  im  Zusammenhang 
die  Wandlung  der  Plastik  um  1400  zu  verfolgen;  außerhalb  Nürnbergs  bleibt,  im 
Stile  der  zuerst  besprochenen  Wßrke  gehalten,  das  Relief  eines  etwas  manierierten 


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gotischen  Handwerkers  an  der  oberen  Pfarrkirche  in  Bamberg  hinzu- 
zufügen, das  dem  von  Buchner  besprochenen  Epitaph  Heinrichs  von  Meiningen  (t  1382) 
an  der  Erfurter  Augustinerkirche*')  ähnlicher  ist,  als  einem  Nürnberger  Werke.  —  Für 
Nürnberg  haben  wir  noch  andere  Darstellungen  zu  nennen,  die  in  der  Zeit  um  1400 
gearbeitet  worden  sind. 

H. 

Das  früheste  dieser  Epitaphien,  die  am  Äußern  von  St.  Sebald  und  St.  Moritz 
in  Zusammenhang  mit  dem  dortigen  Friedhof  entstanden  sind,  scheint  das 
Epitaph  an  der  Südseite  von  St.  Moritz  zu  sein;  unten  den  in  Verwesung  über- 
gehenden Leichnam  darstellend,  bringt  es  oben  drei  beziehungslos  nebeneinander  ge- 
reihte lamentierende  Gestalten  mit  geneigten  Köpfen:  zwei  Heilige  und  den  mit  einem 
Mantel  umkleideten  Schmerzensmann.  Die  Darstellung  des  verfaulenden,  von 
Schlangen  umringelten  Leichnams  ist  ein  für  den  drastischen  Naturalismus  des  späten 
Mittelalters  bezeichnendes  Motiv.  Mitunter  liegt  er  auf  dem  Grabstein*®)  statt  des  in 
Prunkgewändem  Aufgebahrten,  besonders  bei  Hochgrab- Anlagen,  wo  über  diesem  Stein 
eine  zweite  Platte  getragen  wird,  die  dann  die  Gestalt  des  Lebenden  bringt.  Gern 
wird,  wie  in  der  Grabplatte  Hans  Baumgartners  zu  Kufstein**),  dem  Gleichheits- 
empfinden der  neuen  2^it  entsprechend,  ein  Spruch  beigefügt.  („Arm  und  reich 
vern  all  dem  pild  geleich.")  In  Nürnberg  ist  dies  Epitaph  das  einzige,  welches 
sich  jenem  Todesallegorien  und  Totentänze  in  sich  schließenden  Vorstellungs- 
bereiche nähert. 

Ein  zweites  Steinbild  an  der  Moritzkirche  zeigt  ähnlich  manieriert  be- 
wegte Figuren.  Die  Konsole  der  Mitte  trägt  die  tänzelnd  bewegte  Maria,  an 
den  Seiten  stehen  zwei  heilige  Frauen;  vor  der  Madonna  knieen  die  kleinen 
Figuren  der  Stifters  und  seiner  Frau,  der  Raum  über  ihnen  gab  Platz  für  zwei 
Engelsköpfe,   die  der  Meister  mit  sichtlicher  Liebe  ausführte. 

Die  übertriebenen  Gebärden  der  Gestalten  hat  ein  drittes  Werk  links  vom 
Westportal  derselben  Kirche  (Taf.  II)  mit  dem  Todesjahr  1422^®)  mit  den  beiden 
besprochenen  Arbeiten  gemeinsam.  Von  einer  gotischen  Architektur  umrahmt,  zeigt 
es  die  halbe,  nackte  Figur  des  Schmerzensmannes  über  dem  Grabe,  den  Maria  und 
Johannes  in  weichem  Schmerze  betrauern.  An  den  Seiten  stehen  zwei  weibliche 
Heilige,  aus  der  Grabeskiste  hängt  das  Veronicatuch  bis  in  die  untere  Hälfte  herab, 
wo  die  Stifter  hinter  einem  Papst  und  Bischof  knieen.  Dieses  Schmerzensmann- 
Epitaph   hat  große  Ähnlichkeit   mit  dem  Steinbild   links  vom  Tucherportal  an 

27)  Buchner  S.  74  Abbildung  152  (von  Johannes  Gehart).  Dazu  das  Epitaph  der 
Familie  Pfaffenhofer  (Todesjahr  1429)  in  Erfurt.  (Lübke,  Plastik  II  S.  719.)  Ober  zwei  Öl- 
bergreliefs  von  Anfang  und  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  Wasserburg,  vgl  Bayr.  Kunst- 
denkm.  I,  2085  und  2086.   Über  eine  Reihe  Ölbergreliefs  in  Regensburg,  vgl.  Seyler,  S.  101  ff 

28)  Peter  von  Schaumberg  (f  1467)  in  Rieh],  Augsburg,  S.  43. 

29)  Abb.  Bergner,  S.  301.  Josephi,  S.  65,  66.  Riehl,  Die  Kunst  an  der  Brennerstrasse. 
S.  5  (mit  anderen  Beispielen). 

30)  Lotz.  Rettberg.  Von  Pückler-Limburg  S.  113  und  114  ohne  Zusammenhang  mit, 
anderen  Nürnberger  Werken  behandelt. 

Mitteilungen  ans  dem  gorman.  Nationalmusoiim.    1907.  3 


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18  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UNÜ  XV.  JAHRHUNDERT. 


St.  Lorenz.  Hier  fehlen  die  Heiligen  und  Geistlichen;  an  Stelle  des  Veronica- 
tuches  ist  eine  Inschriftrolle  gekommen,  Maria  und  Johannes  sind  in  Halbfiguren 
gegeben. 

Die  Gestalten  dieser  Reliefs  lassen  uns  an  aie  Schauspieler  denken,  die  auf  den 
Passionsbühnen  die  Leiden  Christi  darstellten.  Wir  erkennen  in  dem  erregten  Ge- 
bahren  der  Figuren  den  empfindsamen  Ausklang  der  gotischen  Kunst. 

Doch  zeigen  diese  beiden  .Werke  die  eigenartigen  Züge  eines  bedeutenden 
Meisters,  der  sich  eine  leicht  zu  erkennende  Formensprache  ausgebildet  hat.    Der 
Christuskörper  hat  spitz  herausgeknickte  Schultern,  über  denen  sich  die  Haut  des 
Halses,  der  den  Kopf  nicht  zu  tragen  vermag,  kraftlos  zusammenzieht.    Der  Brust- 
korb ist  durch  einen  scharfen  Grat  von  den  Rippen  abgesetzt,  die  sich  hart  heraus 


Abb.  4.    Epitaph^am  Tucherportal  von  St.  Lorenz  zu  Nürnberg. 

zeichnen,  darunter  wird  der  Oberkörper  durch  eine  abnorme  Einziehung  über  den 
Hüften  vom  Bauch  getrennt.  Die  Linien  der  Gestalten  sind  weich  und  ausdrucks- 
voll empfunden,  die  Falten  des  Gewandes  zierlich  und  in  zartem  Flusse  angeordnet. 
Unter  deutlichem  Einfluß  des  Reliefs  an  St.  Moritz  steht  das  Epitaph  eines 
Tetzel  in  der  T  e  t  z  e  1  k  a  p  e  1 1  e  der  Aegidienkirche.  Dargestellt  sind  in  der  großen 
oberen  Abteilung,  unten  durch  konsolenartige  Vorsprünge  vorbereitet,  die  drei 
Figuren  der  Kreuzigungsgruppe.  Christi  Körper  zeigt,  bei  aller  schematischen  Be- 
handlung, besonders  des  Knochenbaues,  dennoch  einige  nach  der  Natur  beobachtete 
Einzelheiten,  an  denen  sich  ein  Fortschritt  im  Vergleich  mit  dem  Körper  des 
Reliefs  vom  Jahre  1422  erkennen  läßt.  Die  reich  übereinandergepreßten  Röhren- 
falten in  den  Gewändern  der  beiden  Trauernden  scheinen  ebenfalls  dafür  zu  sprechen, 
bei  einer  stilistischen  Datierung  nicht  vor  die  Zeit  um  1430  hinauszugehen.    In  der 


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unteren,  etwas  verbreiterten  Steinplatte  kniet  links  vor  seinem  Wappen  der  Stifter, 
rechts  würfeln  zwei  Kriegsknechte  um  den  sorgfältig  ausgearbeiteten  ungenähten 
Rock  Christi 

Durch  alle  diese  Plastiken,  die  sich  um  die  Schmerzensmann-Darstellungen 
an  St.  Moritz  und  St.  Lorenz  gruppieren,  erhalten  wir  die  deutliche  Vorstellung  von 
einer  bestimmten  Schaffensrichtung,  die  für  den  Stand  der  Nürnbergei  Kunst, 
nach  der  Vollendung  der  großen,  in  nachahmenden  Formen  ausgeführten  Aufträge 
des  vierzehnten  Jahrhunderts  charakteristisch  zu  sein  scheint.  Noch  wirkt  die 
dekorative  Formauffassung  der  Gotik  nach,  aber  zugleich  verleiht  ein  fast  sentimental 
zu  nennendes  Eingehen  auf  die  seelischen  Regungen  der  einzelnen  Gestalten  den 
Szenen  verinnerlichten  Gehalt. 

Erst  als  die  Bürgerkunst  im  Laufe  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  mit  ihrer 
realistischen  Kraft  einsetzte,  konnte  in  Nürnberg  ein  eigenartiger  Stil  entstehen. 
Dafür  war  nötig,  daß  die  Malerei  sich  vom  Einfluß  der  Plastik  löste»  >),  die  ihr 
keine  pfadfindenden  Stilgesetze  mehr  geben  konnte,  deren  Weiterleben  vielmehr 
selbst  davon  abhing,  ob  die  neue  malerische  Auffassung  die  Wege  öffnen  könnte, 
nach  denen  die  Plastiker  vergeblich  gesucht  hatten. 


31)  Wie  überwunden  der  Einfluß  der  Plastik  auf  die  Malerei  war,  zeigt  am  besten  das 
Epitaph  des  Hans  Stark  (f  1435)  in  St.  Sebald,  das  neben  dem  Abendmahl  auch  das  Gebet 
in  Gethsemane  darstellt.  Leider  macht  seine  Obermalung  (1627)  jede  über  die  Komposition 
hinausgehende  Beurteilung  unmöglich. 


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DIE  FRÄNKISCHEN  EPriAPHIBN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


IV. 

Berthold  Landauer  und  seine  Nachfolger. 

I. 

Die  zarte  Auffassungsart,  die  in  der  Plastik  den  Ausklang  der  gotischen  Kunst 
bedeutet,  wurde  für  die  erste  ausgeprägte  Persönlichkeit  der  Nürnberger  Maler- 
schule, für  den  gegenwärtig  gern  Berthold  Landauer»*)  genannten  Meister,  die 
Quelle  eines  neuen  Stiles.  Die  Malerei  war  ein  beweglicheres  Ausdrucksmittel  für 
den  empfindsamen  Sinn  jener  Übergangszeit,  sie  übernahm  in  der  Epitaphienkunst 
bisher  vorwiegend  der  Skulptur  zugewiesene  Aufgaben,  für  die  sie  eine  leichtere  und 
verinnerlichte  Lösung  fand. 

Das  Stromersche  Epitaph  in  St.  Lorenz**)  erscheint  mir  als  das  bezeich- 
nende Frühwerk  seiner  unter  dem  Einfluß  der  Plastik  entwickelten  Kompositionsart. 
Ähnlich  wie  auf  den  besprochenen  beiden  Reliefs  an  St.  Lorenz  und  St.  Moritz  ist 
eine  Gruppe  des  Schmerzensmannes  mit  Maria  und  Johannes  gebracht.  In  vollstem 
Gegensatz  zu  Malern  des  vierzehnten  Jahrhunderts,  wie  z.  B.  zum  Schöpfer  der 
freskenartig  empfundenen  langgezogenen  Gestalt  der  Hirzlach-Tafel  in  Heils- 
bronn, gibt  Meister  Berthold  seinem  Christus  eine  kleine  Gestalt,  er  malt  ihn  in 
halber  Figur  und  ohne  Wunden,  umgibt  ihn  mit  einem  Strahlenschein,  hinter  dem 
das  grausame  Kreuz  fast  verschwindet,  und  legt  den  Hauptton  auf  die  stille  Klage 
von  Maria  und  Johannes.  Nicht  mehr  mit  der  Brutalität  qualvoller  Drastik  soll  das 
Opfer  Christi  die  Seelen  erschüttern:  die  milde  Trauer  der  zwei  Menschen,  die  ihn 
am  meisten  geliebt  haben,  wird  der  bestimmende  Gehalt  des  Bildes.  Aus  gleichem 
Geiste  entstand  (in  St.  Lorenz)  das  Epitaph  für  Kunz  Rymensnyder 
(t  1409)'*),  dessen  Aufnahme  in  die  unter  Bertholds  Namen  zusammengefaßten  Werke 
sich  vielleicht  innerhalb  dieses  Zusammenhanges  rechtfertigt^*).  Dem  Bilde  des 
germanischen  Museums  (Nr.  96)  entsprechend,  das  ursprünglich  die  Rückseite 
der  Imhofschen  Tafel  in  der  St.  Lorenzkirche  darstellte,  zeigt  es  den  Körper  des 
Schmerzensmannes,  links  von  Maria,  rechts  von  Johannes  erfaßt.  Schon  erscheinen 
die  Eigentümlichkeiten  und  Feinheiten  der  späteren  Zeit  vorgebildet:  der  Typus 
des  Kopfes  mit  seinen  einfachen,  geraden  Linien,  der  Schwung  der  Lider,  und  der 
konzentrierte  Ausdruck  der  Augen,  die  —  in  einer  Bertholds  Gestalten  eigenen  Weise 
—  so  zur  Seite  blicken,  daß  der  weiße  Augapfel  nur  an  einer  Hälfte  sichtbar  ist. 
Schon  läßt  sich  das  für  seine  Figuren  bezeichnende  sensitive  Tasten  seiner  Hände 
empfinden:  sie  wagen  kaum  zu  fassen,  und  bei  der  geringsten  Berührung  durch- 
zittert den  Körper  ein  Schauer. 

Daher  möchteich  in  diesen  beiden  Gemälden,  den  Inschriften  entsprechend,  Werke 
vom  Anfang  des  Jahrhunderts  sehen  und  ihren  Zusammenhang  mit  den  plastischen 


32)  A.  Gümbel:  Meister  Berthold,  ein  Glied  der  Familie  Landauer.     Repertorium  für 
Kunstwissenschaft  XXVI  S.  318. 

33)  Siehe  Kapitel  II  am  Schluß.    Thode  S.  15  Lehmann  S.  15. 

34)  Weltmann  I  S.  405. 

35)  Thode:  Schule  Bertholds. 


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Epitaphien  für  die  Entstehung  der  Kunstweise  als  wichtig  betrachten.  In  der  An- 
ordnung zeigt  sich  darin,  daß  die.  Stifter  von  der  Hauptgruppe  zwar  getrennt  sind, 
aber  doch  durch  das  Veronicatuch  eine  Beziehung  zwischen  beiden  Hälften  gegeben 
ist,  der  Einfluß  der  beiden  Schmerzensmannreliefs  an  St.. Moritz  und  St.  Lorenz, 


Abb.  5.     Epitaph  für  Kunx  Rytnensnyder  (gest.  1409)  in  St.  Lorenz. 

die  als  Beispiele  für  die  Berthold  bestimmenden  Plastiken  einen  für  die  Geschichte 
der  Nürnberger  Malerei  wichtigen  Aufschluß  über  den  Zusammenhang  von  Skulptur 
und  Malerei  geben. 

M. 

Dann  wandte  Berthold  sich  neuen  Stoffen  zu,  deren  Gestaltung  sein  freier 
sich  entwickelndes  Vermögen  ihm  erlaubte,  und  auch  in  seinen  Epitaphien  drückt 
sich  der  Wandel  aus.  Noch  einmal  ist  auf  der  Staffel  der  Prünsterin- Gedenktafel 
im  Germanischen  Museum  (Taf.  IM)  zwischen  zwei  Heiligen  und  den  Stiftern  der 
Schmerzensmann  gebracht.    Aber  oben  in  der  Darstellung  der  Geburt  darf  er  hellere 


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22  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Vorstellungen  verwirklichen,  in  denen  sein  Wesen  sich  besonders  glücklich  äußert. 
Die  Tafel  ist  in  größerem  Format  gehalten:  1,40  m  hoch  und  über  1  Meter  breit; 
da  sie  bestimmt  war,  an  einem  Pfeiler  der  Frauenkirche  zu  hängen,  ist  sie  rund  ge- 
bogen. 

In  diesem  Werke  erkennen  wir  in  Komposition  und  Farbe  den  italienischen 
Einfluß,  der  ihm  offenbar  durch  die  Prager  Richtung  des  Thomas  von  Modena  ver- 
mittelt wurde'*).  Vor  dem  Stalle  kniet  Maria  nach  rechts  gewandt  mit  gefalteten 
Händen  neben  dem  Kind,  das  ein  heller  Lichtglanz  umstrahlt;  ein  Pfosten  sondert 
die  Gestalt  des  heiligen  Joseph,  doch  oben  werden  die  Gruppen  durch  den  Kranz 
dreier  Engel  verbunden,  die  vor  dem  Dache  mit  einem  Glorienband  schweben.  Ähn- 
lich wie  auf  dem  Stromer- Epitaph  trägt' Maria  einen  grünlich-blauen  Mantel  mit 
hellem  Schimmer  auf  den  Faltenhöhen;  Josephs  Gewand  ist  weinrot  mit  blauer 
Kappe,  doch  sind  die  Farben  auffallend  matt,  was  mit  dem  kalkigen  Grund 
des  Bildes  zusammenhängt.  Für  Meister  Berthold  bezeichnend  ist  die  riesige  Scheibe 
des  Heiligenscheins  der  Maria,  für  die  er  durch  Bilder  des  Thomas  von  Modena  eine 
Voriiebe  gefaßt  haben  kann. 

ni. 

Sein  folgendes  Schaffen  ist  fast  ausschließlich  der  Verherrlichung 
der  Maria  gewidmet.  Von  zwei  einander  sehr  ähnlichen  Werken:  der  Imhoff- 
Madonna  in  St.  Lorenz'^  und  dem  Epitaph  der  Elisabeth  Tetzel  (t  1437) 
in  der  T  e  t  z  e  1  k  a  p  e  1 1  e  ist  das  erste  noch  trefflich  erhalten,  indeß  das  andere 
durch  Übermalung  völlig  entstellt  ist.  Die  Komposition  ist  auf  beiden  Tafeln  gleich. 
Wie  im  Epitaph  Bertholds  von  Hohenzollem  zu  Heilsbronn  ist  die  Halbfigur  der 
Madonna  dargestellt,  in  der  Art  des  durch  Böhmen  vermittelten  Lieblingsmotives 
der  Sienesen.  Ein  schlichter,  blauer  Mantel  mit  goldenem  Saum  legt  sich  über  den 
Kopf  und  umhüllt  in  weichen  Falten  die  Gestalt.  Auf  der  rechten  Seite  sitzt  Jesus, 
in  seinen  vollen  Formen  dem  Kinde  der  Prünsterin-Tafel  ähnlich,  und  um  einen 
Vorhang  schweben  4  Engel,  deren  lange,  schmale  Flügel  wie  zum  Kranze  sich  um 
die  Madonna  vereinen.  Auf  einem  getrennten  Streifen  unter  der  Hauptdarstellung 
ist  links  der  Stifter  mit  acht  Söhnen,  rechts  dessen  Frau  mit  vier  Töchtern  unter- 
gebracht, ohne  daß  auf  die  Porträtwiedergabe  viel  Wert  gelegt  wäre. 

In  zwei  entwickelteren  Werken,  die  sich  im  National-Museum  zu 
München  befinden,  ist  der  Gestalt  der  Verstorbenen  mehr  Bedeutung  ver- 
liehen. Diesmal  handelt  es  sich  auch  nicht  um  die  Aufreihung  einer  Stifterfamilie : 
beide   Bilder    sind   für    Dominikaner  -  Nonnen    vom  Kloster  zum   heiligen  Grab 


36)  Schon  bei  einem  Werke  des  vierzehnten  Jahrhunderts  (Kap.  II)  ließ  sich  Theodorichs 
Einfluß  behaupten.  Auch  die  beiden  Tafeln  mit  dem  Bethlemitischen  Kindermord  und  der 
Bestattung  Maria  (Thode,  Taf.  5)  im  Germanischen  Museum  (97  u.  98)  zeigen  Prager  Stil- 
eigentümlichkeiten. Man  wollte  deshalb  Thode  die  Berechtigung,  sie  der  fränkischen  Schule 
einzureihen,  abstreiten;  doch  wird  seine  Ansicht  durch  die  neuaufgefundenen  Freskenreste: 
Qerichtsszenen  aus  dem  Leben  des  Apostels  Paulus  in  St.  Sebald  und  die  Geburt  Christi  in 
St.  Moritz,  gerechtfertigt,  die  engsten  Zusammenhang  mit  den  beiden  Bildern  des  Germanischen 
Museums  erkennen  lassen. 

37)  Abbildung :  Thode,  Tafel  4. 


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23 


in  Bamberg  gemalt.  Die  Inschrift  des  einen  drückt  die  Bestimmung  der 
Tafel  aus:  Anno  domini  M°.  CCCC  dernoch  im  XLIII  iar  an  unsers  herre  leichnä 
obet  do  vschied  gerhaus  ferin  Klosterfraw  zum  heiligen  Grab  der  Got  genedik  sey.^®) 

Im  Typus  stimmen  beide  Werke  völlig  mit  der  Imhoff -Madonna  überein. '•) 
Sie  zeigen  dieselben  gelbblonden  Haare,  die  in  geschmeidiger,  dichter  Masse  den 
seitwärts  gewandten  Kopf  umrahmen  und  denselben  scharf  konzentrierten  Blick 
aus  dunklen,  weit  von  einander  stehenden  Augen,  deren  oberes  Lid  in  einer  markanten 
braunen  Linie  gezogen  ist.  Der  rechte  Winkel  von  Braue  und  Nasenlinie,  die  leichte 
Falte  zwischen  Backe  und  Nasenflügel,  und  die  weit  auslaufende  Linie  des  unten 
gerade  abgeschnittenen  Kinnes  verbreitem  den  Kopf  und  betonen  seine  fest  um- 
rissene,  quadratische  Form,  wodurch  er  den  Ausdruck  feierlicher  Geschlossenheit 
erhält.  Die  Hände  haben  schmale  Finger,  von  denen  meist  nur  zwei  oder  drei  zu  sehen 
sind.  In  gehaltener  Erregung  schieben  sie  sich  aus  den  eng  und  mas  ig  geschlossenen 
Falten  des  Gewandes  hervor,  das  einen  gedrungenen  Körper  umspannt***). 

'  Das  Fehrin- Epitaph  *M  ist  offenbar  später  als  das  der  unbekannten  Nonne  ge- 
malt. Bei  diesem  zeigt  die  symmetrische  Kompositionsart  und  die  reiche  Verwendung 
der  Spruchbänder  Anschluß  an  ältere  Vorbilder,  die  sich  wahrscheinlich  am  Bestel- 
lungsort befanden.  In  Querformat  auf  Goldgrund  stellt  es  in  der  Mitte  die  gekrönte 
Maria  dar,  rechts  von  ihr  steht  die  heilige  Elisabeth,  links  kniet,  von  Johannes  dem 
Evangelisten  empfohlen,  die  Stifterin,  nach  der  das  Christuskind  sein  Ärmchen 
ausstreckt. 

Beim  Fehrin-Epitaph  ist  die  Heilige  weggelassen,  das  Kind,  das  Maria  im  an- 
deren Bild  quer  über  ihrem  Schoß  hielt,  so  daß  es  zurückschauend  sich  zur  betenden 
Nonne  wandte,  konnte  hier  ungezwungen  und  frei  auf  die  eine  Seite  gesetzt  werden. 
Auch  nahm  sich  der  Meister  die  Freude,  hinter  der  Madonna  von  zwei  entzückenden 
Engeln  einen  reichen  Brokat  halten  zu  lassen,  der  in  vollen,  perspektivisch  geschickt 
benutzten  Falten  auf  dem  Boden  liegt.  Auch  die  Nonne  schaut  nicht  mehr  starr  wie 
eine  vorgeschobene  Puppe  aus  dem  Bilde  heraus:  ruhig  und  lebendig  hebt  sie  den 
Blick  zum  Kinde  empor.  Auf  dem  früheren  Epitaph  entsprach  dem  Grün  der  Heiligen 
ein  roter  Mantel  des  Johannes:  auf  dem  zweiten  hat  er,  im  Gegensatz  zu  den  weichen, 
malerischen  Falten  der  dunkelgekleideten  Maria  einen  weißen  Überwurf  mit  scharf 
gezeichneten  Linienzügen/ ^). 

!V. 
Mit  Bertholds  Schaffen  steht  ein  weiteres  Werk  in  Zusammenhang:  der  Tod 
der   Maria   für  Hans  Glockengießer  (t  1433)  in    St.    Lorenz*«).    Ähnlich 

38)  Waagen,  I,  S.  116.  Sighart  S.  613,  Janitschek  S.  285,  Abb.  Förster,  VII,  S.  15 
und  H.  Waldes-Stich,  Thode  S.  32  und  33.  Was  die  Inschrift  betrifft,  so  wird  seit  dem  Be- 
ginne des  15.  Jahrhunderts  die  deutsche  Sprache  bevorzugt. 

39)  Zur  Entstehungszeit  siehe  Thode  S.  32. 

40)  In  diesem  Werke  erscheint  die  von  Thode  behauptete  Beziehung  zu  dem  süd- 
böhmischen Meister  von  Wittingau  besonders  überzeugend. 

41)  Lehmann  S.  133. 

42)  Ich  glaube,  daß  in  Beziehung  zu  dem  Nonnen-Epitaph  das  Rauchenberger  Votiv- 
bild  in  Freising  (aus  Salzburg  stammend)  zu  nennen  ist;  doch  ist  mir  das  Bild  in  den  Einzel- 
heiten nicht  gegenwärtig. 

43)  Lehmann  S.  153. 


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24  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

wie  schon  in  den  Wandmalereien  in  St.  Sebald  und  in  der  Heiliggeistkirche  aus  der 
Zeit  um  1400**)  ist  das  Bett  quer  gestellt,  doch  wird,  dem  Verlangen  nach  belebter 
Handlung  entsprechend,  Maria  nicht  mehr  als  Verstorbene  aufgebahrt  dargestellt, 
sondern  es  ist  der  Moment  erfaßt,  da  sie  im  Gebete  vor  dem  Pult  zusammen- 
bricht. Die  dichte  Gruppe  der  Apostel  links  ist  auch  hier  nicht  gelockert,  aber  im 
übrigen  ist  die  Darstellung  mit  freiem  Lebensgefühl  und  malerischem  Sinn  aufgefaßt. 
Die  lange  Fläche  des  leeren  Bettes  ist  unterbrochen,  indem  Johannes  seinen  Arm 
darüber  nach  der  Maria  zu  ausstreckt.  Der  auffallend  entwickelte  Wirklichkeitssinn 
des  Meisters  dieser  Tafel  vertangte,  Christus  von  der  Szene  zu  trennen:  mit  der 
Seele  der  Verstorbenen  schwebt  er  zwischen  Engeln  über  den  Versammelten.  Be- 
sonders an  diesen  Engeln  mit  ihren  kraftlosen  Flügeln  erkennt  man,  daß  die  Aus- 
führung von  einem  schwächeren  Meister  herrührt,  dessen  Kunst  bei  allem  Ver- 
ständnis für  die  Auffassung  der  Szene  in  den  einzelnen  Gestalten  einen  phleg- 
matischen, von  dem  zurückhaltenden  Wesen  Berthold  Landauers  weit  entfernten 
Charakter  zeigt.  Formal  unterscheiden  sich  seine  Gestalten  durch  die  geringe  Aus- 
bildung der  Hinterköpfe  und  die  unbeholfene  Bewegung  der  Hände. 

Die  Zeichnung  und  Gruppierung  der  Engel  mit  ihren  schwingenden  Flügeln 
und  die  runden  Formen  des  Christuskindes  berechtigen  vielleicht  dazu,  das  gänzlich 
übermalte  Schutzmantelbild  für  die  1422  gest.  Anna  Tetzel  in  der  Tetzelkapelle 
als  Werk  eines  Berthold-Nachfolgers  hier  anzureihen.  Wie  ein  Relief  an  St.  Sebald 
zeigt  es  die  Stifter  zwischen  den  Vertretern  der  Menschheit  als  Schutzbefohlene  unter 
dem  Gewand  der  Gottesmutter. 

Auch  mag  erwähnt  sein,  daß  ein  schwäbisches  Epitaph  für  den  Pfsyrer  Joh. 
Paur  von  Bechthal  (t  1456)  im  Münchener  National-Museum,  Saal  8 
ähnlich  angeordnet  ist,  wie  Meister  Bertholds  Bamberger  Epitaphien. 


Einen  Schüler  Bertholds  hat  Thode  in  dem  Meister  des  Wolfgangs- 
altar es  (St.  Lorenz)  gefunden  und  ihm  das  Epitaph  des  Professors  Friedrich 
Schon  (t  1464)  in  St.  Lorenz,  sowie  die  kleine  Gedächtnistafel  im  Germanischen 
Museum  zugewiesen.  Die  Tafel  des  Germanischen  Museums  stellt,  vermutlich  als 
Staffel  eines  Epitaphes,  den  1449  bei  Fürth  gefallenen  Anton  Imhoff  in  voller 
Rüstung  knieend  dar.  Der  gelehrte  Stifter  der  Lorenzer  Tafel  hat  sich  —  wohl  noch 
bei  seinen  Lebzeiten  und  nach  seinen  Angaben  —  eine  Allegorie  auf  Christi  jungfräuliche 
Geburt  malen  lassen.  Die  in  der  Mitte  befindliche  Szene  der  Geburt,  deutlich  beein- 
flußt von  dem  Prünsterin-Epitaph  Bertholds,  ist  umrahmt  von  einem  auf  der  Spitze 
stehenden  Rhombus  mit  Kreisen  an  den  Ecken,  welche  die  vier  Evangelistensymbole 
enthalten.  In  den  Dreiecken,  die  zwischen  Rhombus  und  Mittelbild  entstehen,  sind 
die  Symbole  der  Reinigung  Pelikan,  Phönix,  Löwe  und  Einhorn  angebracht.  Die 
Dreiecke,  die  der  Rhombus  nach  außen  abschneidet,  enthalten  folgende  Einzel- 
szenen: Moses  vor  dem  feurigen  Busch,  Aaron  mit  dem  blühenden  Stabe,  Ezechiel 


44)  Vergl.   hierzu:   Dr.  Traugott   Schulz  in   der  Süddeutschen  Bauzeitung  VI  (1904) 
mit  Abb.  d.  Freskos  der  Heiliggeistkirche. 


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und  endlich  Gideon  vor  dem  Vliess.     Die  einfassenden  Streifen  boten  Raum  für 
eine  Menge  lateinischer  Inschriften.*'^) 

Man  muß  dies  gelehrte  Epitaph  für  einen  besonders  guten  Empfehlungsbrief 
an  den  Himmel  gehalten  haben,  denn  zum  Gedächtnis  des  1478  verstorbenen  Ulrich 
Starck  ist  es  von  einem  "schwachen  Maler  in  der  Sebalduskirche  nachge- 


Abb.  6.     Epitaph  für  Friedrich  Schon  (gest.  1464)  in  St.  Lorenx  zu  Nürnberg. 

macht  worden;  heute  ist  das  Bild  durch  die  Renovierungen  (1591  u.  1658)  seinem 
ursprünglichen  Charakter  entfremdet.  Daran  reiht  sich,  in  quadratischer  Form 
mit  8  Kreisen,  welche  die  Seiten  des  Rhombus  durchschneiden,  eine  gleichfalls  durch 
Übermalung  entstellte  Tafel  der  T  e  t  z  e  1  k  a  p  e  1 1  e  für  die  Frau  des  Linhart 
Tetzel  (t  1480).  — 


45)  Thode  S.  53.  Als  Beispiel  ähnlicher  Darstellungen  nenne  ich  in  Verbindung  mit 
der  Verkündigung  die  Freske  im  Emmauskloster  zu  Prag  (Neuwirths  Publikation  Tafel  VIII) ; 
in  Verbindung  mit  der  Geburt  zwei  Niederrheinische  Bilder,  die  als  No.  88  und  89  in 
Düsseldorf  1904  ausgestellt  waren.  Vergl.  S.  36  von  Clemens  Katalog  und  die  Literatur- 
angaben über  Typologie  der  unbefleckten  Empfängnis  dort  und  in  den  Kunstdenkmälem  der 
Rheinprovinz  V,  S.  198.  (Abbildungen:  Kdm.  d.  Rheinpr.  V  Tafel  XVII  und  Kdm.  des 
Kreises  Gladbach  S.  76,  Tafel  XVIII)  und  Firmenich-Richartz  in  d.  Ztschr.  f.  christl.  Kunst 
VIII  S.  304.  Kunst-Dkm.  Mecklenburg-Schwerins  I,  S.  189  fg.  Hochaltar  in  der  Kirche  zum 
hl.  Kreuz  zu  Rostock  u.  S.  187  Lettner-Altar  in  derselben  Kirche. 


Mitteilungen  atis  dem  german.  Nationalmusoum.    1907. 


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26  DIE  FRÄNKISCHEN  EPFfAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHKHÜNDERT. 

Interessant  für  unsere  Betrachtung  sind  diese  drei  Werke  vornehmlich  ihres 
Inhaltes  wegen.  Durch  Meister  Bertholds  Schaffen,  der  als  Nachfolger  der  Plastiker 
mit  der  im  vierzehnten  Jahrhundert  beliebten  Darstellung  des  Schmerzensmannes 
begonnen  hatte,  kam  als  entscheidendes  neues  Motiv  für  die  Epitaphien  die  Ver- 
herrlichung der  Madonna  auf.  Er  bringt  sie  als  thronende  Gottesmutter,  oder  in  der 
vertrauten  Weihnachtsszene.  Seine  Nachfolger  übernehmen  die  Geburt  Christi  und 
schmücken  sie  allegorisch  aus.  Hierin  zuerst  zeigt  sich  der  Einfluß  der  Besteller  auf 
die  Kunst,  nachdem  die  Zeit  vorbei  war,  in  der  die  vereinheitlichende  Dogmatik  der 
Kirche  die  festen  Bestimmungen  für  die  Wahl  der  Stoffe  gab. 


Die  Weiterbildung  des  Epitaphs  von  den  Malern  um  die 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts. 

Berthold  Landauer  hatte  die  Epitaphienkunst  aus  der  Plastik  in  die  Malerei 
und  damit  von  der  Außenwand  ins  Innere  der  Kirche  übertragen.  Gleichzeitig 
hatte  er  in  seinen  Altären  gezeigt,  wie  auch  bei  größten  Aufgaben  die  Malerei  die 
Plastik  ersetzen  könne. 

Die  Hauptarbeit  der  schöpferischen  Meister  konzentrierte  sich  seitdem  in  erster 
Linie  auf  die  Ausschmückung  der  Altäre,  sodaß  die  bescheidene  Epitaphienkunst 
mehr  und  mehr  an  Bedeutung  verlor. 

Stand  unsere  Betrachtung  am  Anfang  innerhalb  der  lebendigen  Entwickelung 
der  Nürnberger  Kunst,  so  können  wir  jetzt  zumeist  nur  Rückwirkungen  dessen,  was 
im  Schaffen  der  entscheidenden  Meister  neu  entsteht,  an  den  Epitaphien  erkennen, 
denn  diese  werden  zu  Begleiterscheinungen,  die  meist  nachträglich  und  vermindert 
die  Fortschritte  verwerten. 

Dennoch  haben  noch  einige  Epitaphien  große  Bedeutung  innerhalb  des  gesamten 
Nürnberger  Kunstschaffens.  So  sehen  wir  die  rücksichtslos  zupackende  Auffassung, 
die  der  Meister  des  Tucher- Altares  brachte,  im  Epitaph  des  Pfarrers  Joh.  von  Ehen- 
heim  (f  1438)  in  St.  Lorenz  (4.  Kapelle  rechts)*^)  zum  Ausdruck  kommen.  Dar- 
gestellt ist  die  mit  derbem  Wirklichkeitssinn  erschaute  Gestalt  des  Schmerzens- 
mannes, dem  der  Pfarrer  von  den  reichgekleideten  Heiligen  Heinrich,  Kunigunde 
und  Lorenz  empfohlen  wird.  Es  charakterisiert  die  energische  Art  der  neuen 
Generation,  wie  jetzt  die  Einzelerscheinung  herausgearbeitet  wird,  wie  jede  Gestalt, 
von  einem  kraftvollen  Leben  durchglüht,  in  sich  abgeschlossen  dasteht,  und  auch 
das  Bild  des  Stifters  infolgefder  realistischen  Freude  an  der  Porträtwiedergabe 
größere  Bedeutung  erhält. 

Zwischen  der  gehaltenen  Christusgestalt  des  Tucher-Altares  und  der  gewaltsam 
aufgefaßten  des  Ehenheimschen  Bildes  steht  der  Kruzifixus  auf  dem  Epitaph  des 

46)  Von  Thode  als  Werk  dieses  Meisters  S.  79  näher  beschrieben  und  mit  dem 
Altärchen  der  Johanneskirche  (Abbildung  dieses  Altares  im  Burlington-Magazin  von  1906) 
zusammengestellt.    Lehmann  fragt  S.  70  nach  dem  Namen  des  Pfarrers.    Dörmhöffer  S.  448. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


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1437  verstorbenen    Ritters   Heinrich   von    Hohen-Rechberg    im  Dom  zu 
Eichstätf ) 

Christus  hängt  mit  weit  ausgespannten  und  doch  stark  heruntergezerrten 
Armen  am  Kreuzesstamm;  sein  mit  festen  Linien  umrissener  Kopf  liegt  kraftlos  zur 
Seite,  die  Haare  haben  sich  gelöst  und  fallen  auf  die  rechte  Schulter  herab;  der 
Brustkorb  ist  herausgedrückt,  derT  Unterleib  ist  schmerzhaft  eingezogen.  Die 
einzelnen  Glieder  sind  straff  und  .sehnig,  die  Gelenke  sind  durch  auffallend  kräftige 
Rundung  betont.   Das  Lendentuch  ist  über  einen  Strick  gespannt,  zu  Seiten  flattert 


Abb.  7-     Epitaph  des  Pfarrer  Johann  von  Ehenheim  (gest.  1438)  in  St.  Lorenz  zu  Nürnberg. 

es  in  beweglichen  Windungen  herab.  Die  anderen  Figuren  sind  in  strenger  Sym- 
metrie um  das  Kreuz  gruppiert:  unter  dem  Querbalken  des  Stammes  schweben 
vier  Engel;  links  steht  Maria,  die  Hände  über  der  Brust  zusammengelegt,  den 
Kopf  gesenkt,  von  einem  weißen,  in  reichen  Faltenmassen  gebauschten  Mantel  um- 
hüllt; rechts  steht  Johannes,  den  Kopf  zur  Seite,  die  gefalteten  Hände  kontrastie- 
rend nach  außen  gewandt.  Ganz  vorn  knieen  rechts  und  links  mit  ihren  Wappen 
der  Stifter  und  seine  Frau,  in  dunklem  Gewände  einfach  gegeben,  ähnlich  den 
Adoranten  auf  einigen  der  unter  dem  Namen  Berthold  Landauer  gemeinsam  be- 
sprochenen Bilder. 


47)  Da  ich  das  Bild  unter  ungünstigen  Lichtverhältnissen  sah,  kann  ich  nicht  ent- 
scheiden, wie  weit  es  der  Rückseite  des  Dreikönigsaltares  zu  Heilsbronn  verwandt  ist.  Be- 
sonders das  unterdeß  von  Christian  Rauch  als  Hans  Traut  erkannte  und  Taf.  6  in  seinem 
Buch  reproduzierte  Bild  der  Dreieinigkeit  zwischen  zwei  Heiligen  käme  hierbei   in  Betracht. 


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28  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


In  den  Zusammenhang  der  Werke,  welche  die  Neuerungen  des  Tucher- 
Altares  verwerten,  gehört  offenbar  auch  das  Gedächtnisbild  für  Conrad  Zingl 
(t  1447)  und  seine  1462  verstorbene  Frau  in  der  Wolfgangskapelle  der  Aegidien- 
kirche:  doch  läßt  die  völlige  Übermalung  (zum  erstenmal  1531)  über  den  Charakter 
des  Bildes,  einer  Messe  Gregors  mit  den  Verstorbenen  unter  der  Darstellung, 
Bestimmtes  nicht  sagen.  Der  Christus  erinnert  an  das  Staffelbild  vom  Prünsterin- 
Epitaph  Bertholds. 

Zum  Hauptbild  desselben  Werkes  hat  die  Imhoff -Tafel  in  St.  Sebald*®) 
mit  der  Geburt  Christi  Beziehung;  der  Fortschritt  der  Nürnberger  Kunst  durch  die 
Entstehung  des  Tucher-Altares  zeigt  sich  hier  in  dem  Versuch,  die  Verkürzung  eines 
schwebenden  Engels  darzustellen.  Auch  die  strenge  Einteilung  des  Bildes  entspricht 
der  Art  des  Tucher-Meisters:  die  Balken  des  Stalles  sind  geschickt  zu  einer  Drei- 
teilungbenutzt; in  der  Mitte  kniet  Maria:  ihr  großer  Kopf  auf  dem  dünnen,  kraft- 
losen Hals  erinnert  an  Bertholds  Frauentypus.  Auf  den  abfallenden  Schultern 
liegt  ein  blauer  Mantel  mit  unruhigen  Falten,  die  unten  den  Boden  weit  bedecken. 
Sie  wendet  sich  zum  Christkind,  das  von  zwei  Engeln  und  den  durchs  Fenster  schauen- 
den Hirten  verehrt  wird.  Links  von  der  Maria  macht  sich  —  ein  abgeschlossenes  Genre- 
Bild  —  Josef  am  Herd  zu  schaffen.  Das  Braun  der  Hütte,  davor  das  Blau  der  Maria, 
ein  wenig  Rötlichbraun  in  den  Töpfen  links,  kräftiges  Rot  bei  der  Madonna,  das  ge- 
dämpft in  den  Engelflügeln  und  der  Kappe  eines  Hirten  wiederklingt,  hierzu  der 
Dreieckaufbau  der  Maria  und  die  Einteilung  durch  die  Pfosten:  diese  strenge  An- 
ordnung von  Farben  und  Linien  bewirkt  eine  für  den  Zweck  des  Bildes  fein  empfun- 
dene Symmetrie  und  charakterisiert  den  Stil  des  Meisters,  der  den  Malereien  des 
Tucher-Altares  nahe  kommt,  aber  noch  durch  Einflüsse  des  Wolfgangsaltares  zu 
Bertholds  Schaffen  in  Beziehung  steht. 

Gleiche  symmetrische  Anordnung  gibt  vielleicht  das  Recht,  ihm  ein  später 
entstandenes  Epitaph  in  St.  S e b  a  1  d  zuzuschreiben :  in  der  Mitte  sitzt  —  im 
Staffelbild  der  beiden  Stifter  durch  eine  Konsole  vorbereitet  —  die  heilige 
Anna  mit  der  kleinen  Maria,  zu  ihren  Seiten  stehen  die  Heiligen  Katharina  und 
Nikolaus.  (Vielleicht  haben  wir  in  diesem  Bild  die  bei  Lotz  S.  336  erwähnte  Tafel 
für  den  1460  gestorbenen  Graßner  zu  erkennen,  wodurch  wir  einen  Anhaltspunkt 
für  die  Datierung  gewännen). 

Altertümlicher  in  der  mehr  zeichnerischen  Behandlung  ist  eine  Verkündi- 
gung im  Chor  von  St.  S e b  a  1  d ,  die  im  Stil  und  nach  ihren  allegorischen  Bei- 
gaben der  Kunst  des  Wolfgang-Meisters  verwandt  ist**). 

Zwei  Bilder  ähnlichen  Charakters,  eine  Dornenkrönung  und  eine  Geißelung 
Christi,  hängen  hoch  oben  an  der  gegenüberiiegenden  Chorwand.  **<*)  Wie  die  Ver- 
kündigung durch  die  beiden  unten  in  der  Mitte  ansetzenden  Bogenlinien,  so  bekommt 
die  Dornenkrönung  durch  den  oberen  Bogenabschluß  eine  architektonische  Wirkung, 
das  zweite  Bild  dadurch,  daß  die  Säule  in  die  Mitte  gestellt  ist;  ihr  Postament  unter- 
bricht die  Trennungslinie  zwischen  Darstellung  und  Stiftern,  ähnlich,  wie  beim  Anna- 


48)  Waagen  S.  233. 

49)  Waagen  S.  233. 

50)  Ree,  Kunstchronik  XXIII. 


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Epitaph,  mit  dem  das  Bild  der  t)omenkrönung  das  Wappen  gemeinsam  hat.  Ob 
die  beiden  letzten  Werke  als  Epitaphien  gedient  haben,  ist  nicht  mehr  zu  erkennen, 
da  die  Inschriften  fehlen. 

Für  den  Entwickelungsgang  unserer  Arbeit  vertreten  sie  einen  bestimmten 
Abschnitt:  aus  dem  Typus  des  Gedächtnisbildes,  das  durch  die  Maler  am  Anfang 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  seinen  monumentalen  Charakter  verlor,  hat  sich  die 
Form  des  Andachtsbildes  entwickelt,  das  in  gleicher  Weise  wie  das  Epitaph  mit  der 
religiösen  Darstellung  das  Stifterbild  verbindet. 

Dieselbe,  vom  Epitaph  nicht  bestimmt  zu  unterscheidende  Form  des  An- 
dachtsbildes, welche  die  Werke  aus  der  Zeit  und  dem  Kreise  des  Tucher- Altares  kenn- 
zeichnet, weist  das  Bild  der  Auferstehung  in  der  Frauenkirche  auf. 
Freilich  macht  der  dunkle  Platz  an  der  Südwand  der  Kirche  es  unmöglich, 
sich  eine  abschließende  Ansicht  darüber  zu  bilden.  In  der  alten  Art  der  Darstellung, 
die  auch  der  Tucher-Altar  gibt,  durchschreitet  Christus  den  Stein.  Durch  die  mit 
sichtlicher  Beobachtungsfreude  gegebene  Landschaft  eilen,  von  Johannes  begleitet, 
die  heiligen  Frauen  mit  zusammengeschlagenen  Händen  und  flatternden  Kopf- 
tüchern. Die  sorgfältige  Abbildung  der  Stadt  Jerusalem  im  Hintergrund  mit 
genauer  Wiedergabe  der  durch  die  Bibel  bekannten  Gebäude  ist  charakteristisch 
für  Werke  um  die  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  und  erklärt  sich  aus  den 
damals  besonders  häufigen  Wallfahrten  ins  heilige  Land.  In  der  Heiligen- Kreuz- 
kirche, der  Holzschuher-  und  Wolfgangskapelle  finden  wir  solche  Darstellungen 
hinter  den  Steingestalten  der  Grablegung  Christi,  in  St.  Sebald*^^)  ist  —  ebenfalls 
zeitlich  noch  vor  den  Städtebildern  der  Schedeischen  Weltchronik  entstanden  — 
eine  Jerusalem  versinnbildlichende  Freske  gemalt,  und  an  einigen  Epitaphien  erinnern 
die  Abzeichen  der  Kreuzritter  an  die  Wallfahrt  des  Verstorbenen"^^). 

Von  einem  weniger  begabten  Maler  dieser  Richtung,  ähnlich  schwach  wie  das 
am  Ende  des  vorigen  Abschnittes  erwähnte  Stark- Epitaph,  ist  das  Epitaph  der  Fa- 
milie Stör  (nach  Hilpert)  mit  dem  Todesjahr  1479  in  St.  Lorenz,  „ein  ganz 
rohes  Machwerk,  Christus  in  der  Kelter  darstellend,  dessen  Blut  von 
dem  auf  einem  mit  den  vier  Evangelistensymbolen  bespannten  Wagen  sitzenden 
Papst  aufgefangen  wird."*^)  Das  Thema,  eine  Illustration  zu  Jesaias  63,  2  und  3, 
ist  alt:  schon  Herrad  von  Landsberg  hat  es  im  hortus  deliciarum,  ein  späteres  Beispiel 
ist  das  Wandgemälde  zu  Klein-Komburg**)  und  noch  im  Beginne  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts gibt  sich  das  Baidung  Grien  zugeschriebene  Ansbacher  Bild  mit  dem  Stoffe 
ab.*^*)  So  gesellte  sich  zu  den  Allegorien  der  unbefleckten  Empfängnis,  welche  die 
vorige  Generation  liebte,  eine  neue  allegorische  Vorstellung. 

Damit  sind  wir  am  Ende  einer  Entwicklungsphase  angelangt,  die,  mehr  um  die 
Erscheinung  des  Einzelnen  bekümmert,  mit  lebendiger  Charakteristik  die  alten  Stoffe 

51)  Bei  den  Wiederherstellungsarbeiten  des  Prof.  Joseph  Schmitz  zu  Tage  gekommen. 

52)  Vgl.  das  Ketzel-Epitaph  am  St.  Sebald  und  im  Germanischen  Museum  die  Tafel 
mit  Darstellung  des  Ketzel,  die  zum  hgn.  Grabe  zogen.    (G.  525). 

53)  Thode  S.  78.     Dömhöffer  S.  449. 

54)  Abgebildet  im  christl.  Kunstblatt  1883,  S.  53. 

55)  Copie  im  Germanischen  Museum. 


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30 


DIE  FRÄNKISCHEN  EPITiPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRH.     VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


belebt  und  mit  natürlichen  Mitteln  neugestaltet,  indem  sie  es,  im  Gegensatz  zu  Meister 
Berthold,  auf  eine  drastisch  sich  einprägende  Wirkung  abgesehen  hat  und  eine  oft 
plumpe,  aber  stets  ausdrucksvolle  Sprache  redet.  Soweit  wir  aus  der  offenbar  geringen 
Zahl  der  erhaltenen  Werke  Schlüsse  ziehen  können,  hört  während  dieser  Phase  die 
gehaltene  Denkmalstimmung  des  Gedächtnisbildes  auf,  die  Lust  am  Charakterisieren 
der  verschiedenen  Gefühle  verlangt  sich  durchzusetzen.  Die  Betonung  der  sepul- 
chralen  Bestimmung  hat  sich  fast  völlig  verloren,  die  Gestalten  der  Stifter  werden 
lebenswahr  aufgefaßt,  bleiben  aber  dem  Andachtsbild  untergeordnet,  da  ihre  Größe 
nur  wenig  über  die  winzigen  Verhältnisse,  die  sie  auf  den  frühesten  Epitaphien 
hatten,  hinausgeht.  Der  Maler  Berthold  hatte  das  Epitaph  von  der  Außenwand 
der  Kirche  in  das  Innere  übertragen,  und  in  den  folgenden  Zeiten  mußte  naturgemäß 
die  Auswahl  des  Stoffes  vor  allem  danach  sich  richten,  daß  es  etwas  anderes  brachte, 
als  die  Darstellungen  der  vorher  gestifteten  Votivbilder,  wodurch  eine  einheitliche 
Weiterentwickelung  der  neuen  Denkmalsform  unmöglich  wurde. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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BEITRAGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 
(Mit  6  Tafeln.) 


o  |o|  o 


l->.  ie  Aufgabe,  die  Erscheinung  des  Menschen  in  ihrer  individuellen  Eigenart 
L/  tx2Aii  darzustellen,  wird  in  der  bildenden  Kunst  erst  spät  vollständig  gelöst. 
Kultur  und  Kunst  eines  Volkes  können  eine  große  Höhe  erreicht  haben,  ohne 
daß  sich  das  Verlangen  geltend  macht,  die  Züge  bestimmter  Personen  im 
Bilde  genau  wiederzugeben.  Man  begnügt  sich  lange  mit  Andeutung  einzelner  äußer- 
licher Merkmale,  einer  gebogenen  oder  geraden  Nase,  eines  vorspringenden  Kinns  oder 
eines  langen  Bartes,  ja  man  ist  noch  bescheidener  und  hat  schon  an  der  einem  Stand 
eigenen  Kleidung  und  Bewaffnung  genug.  Das  sind  Vorstufen,  die  allmählich  zum  Bild- 
nis hinführen,  von  einem  Bildnis  kann  aber  erst  gesprochen  werden,  wenn  die  einzelnen 
Merkmale  zu  einer  homogenen  mit  dem  Urbild  übereinstimmenden  Gesamterscheinung 
vereinigt  sind.  Vorbedingung  hierfür  ist,  daß  Auge  und  Hand  soweit  geschult  sind, 
daß  sie  die  individuelle  Sondererscheinung  eines  Menschen  objektiv  aufzufassen 
und  wiederzugeben  vermögen.  Ist  diese  Stufe  erreicht,  so  gewinnt  die  Bildniskunst 
rasch  die  volle  Sicherheit  erst  in  der  objektiven  Darstellung  der  Formen,  dann  im 
Festhalten  vorübergehender  Regungtn  der  Seele.  Aber  das  Interesse  an  der  Er- 
scheinung des  Einzelnen,  wie  die  Fähigkeit,  diese  Erscheinung  künstlerisch  wieder- 
zugeben, hält  nicht  ewig  an,  sie  können  abnehmen,  ja  völlig  erlöschen.  Im  Alter- 
tum besitzt  die  hellenistische  Kunst  die  höchste  Kraft  realistischei  Individualisierung, 
im  Beginne  der  Kaiserzeit  ist  das  Können  noch  sehr  groß;  aber  in  der  langen  Reihe 
der  römischen  Kaiserbildnisse  können  wir  sein  allmähliches  Abnehmen  Schritt  für 
Schritt  bis  zum  tötlichen  Ermatten  verfolgen.  Die  bildnerische  Kraft  versiegt.  In 
der  abendländischen  Kunst  ist  ein  solches  Nachlassen  des  Könnens  bis  jetzt  nicht 
eingetreten.  Wenn  da  und  dort  ein  Künstler  in  einzelnen  Fällen  auf  die  volle,  ob- 
jektive Bildnistreue  verzichtet  hat,  so  hat  das  seinen  Grund  in  einem  bestimmten 
und  bewußten  Kunstwollen,  nicht  in  künstlerischem  Unvermögen,  und  es  ist  keine 
allgemeine  Erscheinung. 

Im  Folgenden  sollen  einige  Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses,  wie  sie  für 
weitere  Leserkreise  von  Interesse  sein  können,  gegeben  werden.  Ich  beschränke 
mich  dabei  auf  das  Material,  das  die  Sammlungen  des  Germanischen  Museums  bieten. 
Die  Betrachtungen  gehen  mehr  von  künstlerischen,  ab  von  streng  wissenschaftlichen 
Gesichtspunkten  aus. 


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32  BEITRÄGK  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


Bildnisse  römisclier  Kaiser  auf  Münzen. 

Die  Quellen  der  Ikonographie  der  römischen  Kaiser  fließen  reichlich.  Die 
Zahl  der  Statuen  und  Büsten  ist  eine  sehr  große;  freilich  hat  sich  Nachahmung  und 
bewußte  Fälschung  schon  früh  dieses  Gebietes  bemächtigt,  aber  auch  die  Zahl  der 
echten  Werke  ist  größer  als  die  irgend  eines  anderen  Zweiges  der  antiken  Skulptur« 
Dazu  kommen  die  Bildnisse  auf  Cameen  und  Gemmen  und  die  auf  Münzen.  Die 
Bildnisse  auf  Münzen  sind  selten,  vielleicht  nie  nach  dem  Leben  gearbeitet  worden, 
sie  sind  also  für  die  Anschauung  von  den  dargestellten  Personen  nur  sekundäre  Quellen, 
ihre  große  Bedeutung  beruht  darin,  daß  sie  bezeichnet  sind.  Statuen,  Büsten  und 
Cameen  tragen  nur  selten  den  Namen  des  Dargestellten,  in  den  meisten  Fällen  ist 
die  Bestimmung  nur  auf  Grund  der  Bildnisse  auf  Münzen  möglich.  Auch  auf  ihrer 
Grundlage  bleibt  manche  Bestimmung  unsicher,  die  Übereinstimmung  verschiedener 
Darstellungen  einer  Person  ist  durchaus  nicht  immer  so  groß,  daß  sie  sofort  unzweifel- 
haft erkannt  werden  kann  und  zuweilen  weist  ein  Münzbild  auf  zwei  Typen,  der 
großen  Plastik,  welche  unmöglich  eine  Person  vorstellen  können. 

Die  Ikonographie  der  römischen  Kaiser  ist  gut  bearbeitet;  es  genügt  hier  auf 
die  grundlegende  Arbeit  Ennio  Quirino  Viscontis,  Iconographie  Romaine,  fortge- 
setzt von  Mongez  und  auf  Bernoullis  römische  Ikonographie  zu  verweisen.  Reiches 
Abbildungsmaterial  bietet  Lenormant  im  Tresor  de  numismatique  et  de  glyptique. 
Abt.   Iconographie  des  empereurs  Romains. 

Es  soll  hier  nicht  Bekanntes  wiederholt  und  mit  dem  lückenhaften  Material 
unserer  Münzensammlung  eine  Ikonographie  der  römischen  Kaiser  zusammengestellt 
werden,  ich  will  vielmehr  versuchen,  die  Entwicklung  des  Bildnisses  auf  Münzen  im 
Verlauf  der  römischen  Kaiserzeit  an  einer  Reihe  von  ausgewählten  Beispielen  zu 
veranschaulichen.  Die  Entwicklung  ist  eine  absteigende,  sie  führt  von  hoher  Voll- 
endung zu  tiefem  Verfall. 

Münzbildnisse  sollen  zuerst  bei  den  Persern  vorkommen,  allein  die  Darstel- 
lungen der  Großkönige  auf  persischen  Münzen  können  schon  aus  dem  Grunde  nicht 
als  Bildnisse  gelten,  weil  die  Könige  in  ganzer  Figur  dargestellt  sind,  wodurch  bei 
der  Kleinheit  des  Maßstabes  eine  treue  Wiedergabe  der  Züge  ausgeschlossen  ist. 
Eine  solche  ist  indes  gar  nicht  beabsichtigt.  Die  Köpfe  persischer  Satrapen  auf 
kleinasiatischen  und  kilikirschen  Münzen  sind  allgemeine  Typen,  keine  Bildnisse. 
Es  sind  Arbeiten  griechischer  Künstler  aus  dem  Anfang  des  vierten  Jahrhunderts, 
aus  der  Zeit,  in  der  die  Kunst  des  Stempelschneidens  bei  den  Griechen  ihren  Höhe- 
punkt erreicht  hat.  Erst  nach  dem  Tode  Alexanders  des  Großen  erscheint  sein 
Bildnis,  wie  das  der  Münzherm  auf  den  Münzen  der  Diadochen.  Der  erste,  der  sein 
eigenes  Bild  in  porträtmäßiger  Treue  auf  seinen  Münzen  anbringen  ließ,  ist  Ptolemaios 
Soter;  ihm  schlössen  sich  bald  Demetrios  Poliorketes  und   Seleukos  Nikator   an. 

Die  Münzbildnisse  sind  zu  allen  Zeiten  ungleich  in  der  Anführung,  so  schon 
in  ihren  Anfängen,  aber  die  besten  unter  den  Münzen  der  ersten  Diadochen  sind  von 
einer  Größe  des  Stils,  die  später  kaum  wieder  erreicht  und  niemals  übertroffen  worden 
ist.  Es  ist  ein  plastisches  Können,  eine  Fähigkeit,  auch  in  kleinem  Maßstab  einfach 
und  groß  zu  arbeiten,  in  diesen  Köpfen  niedergelegt,  das  die  höchste  Bewunderung 
erregt.   Die  plastische  Kraft  läßt  im  Laufe  der  Zeit  nach  und  die  Arbeit  geht  mehr 


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YON  GÜSTÄY  VON  BEZOLD.  33 


ins  Kleine.    Ein  entschiedener  Rückgang  tritt  im  Laufe  des  zweiten  Jahrhunderts 
V.  Chr.  ein.    Die  Köpfe  sind  leer  und  flau  gearbeitet. 

Gegenüber  den  Bildnissen  der  späteren  Ptolemäer,  wie  der  Dynasten  von  Kili- 
kien  und  Kappadokien  bedeuten  die  ersten  Münzbilder  der  römischen  Imperatoren 
einen  Aufschwung.  Sie  sind  nicht  die  ersten  Bildnisse  auf  römischen  Münzen.  In 
der  späteren  Zeit  der  Republik  werden  Denare  mit  den  Bildnissen  der  Könige,  so- 
wie mit  denen  historischer  Persönlichkeiten  geprägt.  Daß  jene  freie  Erfindungen 
sind,  liegt  auf  der  Hand,  aber  auch  diese  sind  alle  erst  nach  dem  Tode  der  Dar- 
gestellten geprägt  und  wir  können  nicht  entscheiden,  wie  weit  ihnen  vorhandene  Bild- 
nisse zu  Grunde  liegen,  wie  weit  sie  Phantasiegebilde  sind;  denn  die  Fähigkeit,  auch 
solchen  das  Gepräge  scharf  ausgesprochener  Individualität  zu  geben,  nehmen  wir 
auch  an  den  Königsbildern  wahr.  Die  Köpfe  des  Ancus  Marcius,  wie  des  Postu- 
mius  und  des  Lucius  Brutus  sind  mindestens  ebenso  persönlich,  als  die  des  Sulla 
oder  des  Pomponius  Rufus.  Letztere  nebst  einer  größeren  Anzahl  von  Bildnissen 
berühmter  Männer  auf  Denaren  aus  der  Zeit  der  Republik  sind  alle  erst  in  der  ersten 
Hälfte  des  ersten  Jahrhunderts  v.  Chr.  nach  Bildern  oder  älteren  plastischen  Dar- 
stellungen gefertigt.  Sie  machen  den  Eindruck  der  Porträtähnlichkeit,  aber  sie  sind 
trocken  behandelt  und  nicht  sehr  sorgfältig  gearbeitet.  Der  Stil  ist  wie  der  der  ge- 
samten römischen  Kunst  jener  Epoche,  hellenistisch;  sie  stehen  auf  der  Stufe  der 
Münzbilder  der  asiatischen  Dynasten  der  gleichen  Zeit. 

Um  vieles  höher  stehen  die  guten  Münzbilder  der  Kaiser  des  julisch-claudischen. 
des  flavischen  Hauses,  ja  auch  der  folgenden  bis  auf  Hadrian.  Von  den  Schwan- 
kungen, welche  die  römische  Kunst  in  dieser  fast  zweihundertjährigen  Periode  durch- 
macht, wird  die  Stempelschneidekunst  kaum  berührt.  Der  Stil  dieser  Kaisermünzen 
läßt  sich  mit  dem  heroischen  der  frühen  Diadochenmünzen  nicht  entfernt  vergleichen, 
er  ist  lange  nicht  so  plastisch  groß;  aber  die  Bildnisse  sind  gut  charakterisiert  und 
geben  uns  eine  lebendige  Anschauung  von  den  dargestellten  Personen.  Die  Köpfe 
sind  stets  im  Profil  gegeben.  Das  Relief  ist  mäßig  hoch,  malerisch  behandelt  und 
bei  guter  Beleuchtung  von  vortrefflicher  Wirkung.  Die  Anlage  ist  fast  immer  her- 
vorragend gut,  sodaß  noch  stark  abgenützte  Exemplare  den  Eindruck  geistreicher, 
treffender  Skizzen  machen.  Die  Durcharbeitung  geht  ins  Einzelne,  ohne  kleinlich 
zu  werden  und  die  Gesamthaltung  bleibt  gewahrt.  Die  Künstler  haben  ein  scharfes 
Auge,  dem  die  geübte  Hand  willig  folgt  und  sie  beherrschen  die  Form  mit  voller 
Sicherheit.    Ein  sehr  großes  Können  vererbt  sich  von  einer  Generation  auf  die  andere. 

Auf  Tafel  1  sind  einige  Münzen  aus  der  Zeit  von  Augustus  bis  auf  Hadrian  Taw  i. 
zusammengestellt;  sie  umfassen  einen  Zeitraum  von  etwa  140  Jahren.    Für  die  lange 
Periode  ist  die  stilistische  Behandlung  auffallend  gleichartig. 

Augustus,  29  V.  Chr.  bis  14  n.  Chr.  (G.  M.  6511;  Cohen  226).  Mittelbronze 
vom  Jahre  764  d.  St.  11  v.  Chr.  Der  Kopftypus  ist  der  der  reiferen  Jahre 
wie  er  um  das  vierzigste  Lebensjahr  aufgestellt  und  von  da  an  festgehalten 
wurde.  Augustus  war  764  (11)  52  Jahre  alt.  Die  Münze  ist  keine  von  den 
besten,  die  Reliefbehandlung  ist  dürr. 

Nero  Drusus.  (G.  M.  65)53;  Cohen  8).  Großbronze  unter  Claudius  ge- 
prägt. Trotz  der  schlechten  Erhaltung  der  Münze  ist  die  vortreffliche  Arbeit 
noch  klar  ersichtlich,  sie  steht  der  vorigen  mindestens  gleich. 

Mitteilungen  aus  dem  grerman.  Nationalmnseum.    1907.  5 


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34 


BBITHAGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


Tiberius,  41— ) 7.  Von  Tiberius  haben  wir  nur  eine  der  falschen  Lyoner 
Bronzen.  Tiberius  erscheint  meist  jugendlich  auf  seinen  Münzen.  Die  schöne 
Goldmünze  (Dilherr  Ae.  8;  Cohen  15)  zeigt  ihn  in  reiferen  Jahren.  Das  scharfe 
Profil  ist  charakteristisch  gegeben.  Leider  ist  die  Münze  an  der  Schläfe  etwas 
abgenützt,  so  daß  das  Auge  jetzt  zu  hoch  liegt. 

Nero,  54—68.  (Dilherr  Ae.  18;  Cohen  278).  Die  Erhaltung  der  schönen 
Münze  ist  kaum  eine  mittlere  zu  nennen,  die  höchsten  Teile  des  Reliefs  sind 
durch  einen  Schlag  abgeplattet,  und  die  Oberfläche  hat  durch  Corrosion  ge- 
litten; aber  die  Trefflichkeit  der  Arbeit  kommt  noch  klar  zur  Erscheinung. 
Die  Ausführung  ist  nicht  mehr  so  lebendig  und  frei,  als  an  den  Münzen  der 
ersten  Claudier.  Die  sinnliche  Fülle  der  Formen,  der  tückische  Blick  Neros 
ist  charakteristisch  wiedergegeben,  legt  man  aber  neben  die  Münze  eine  frühere, 
etwa  die  des  Nero  Drusus,  so  zeigt  sich  der  Abstand.  Die  Münze  ist  etwa  aus 
den  Jahren  65—66,  dem  28.  Lebensjahre  des  Kaisers. 

Vespasian,  69—79.  (G.  M.  6541 ;  Cohen  419).  Die  sehr  abgenutzte  Münze 
zeigt  doch  noch  die  charakteristischen,  energischen  Züge  des  alternden  Kaisers 
in  voller  Lebendigkeit.  Vespasian  regierte  von  69—79  und  kam  mit  60  Jahren 
zur  Regierung. 

Titus,  79—81.  (Dilherr  Ae.  )2;  Cohen  )17).  Die  kleine  Münze  ist  im  Stil 
sehr  ähnlich  den  Silbermünzen  der  Claudier.  Die  Ähnlichkeit  des  Titus  mit 
seinem  Vater  ist  groß  und  würde  sich  im  höheren  Alter  wohl  noch  gesteigert 
haben.    Titus  starb  schon  mit  40  Jahren,  81  n.  Chr. 

Domitian,  81—96.  (G.  M.  6546;  Cohen  )07).  Münze  von  mittlerer  Erhal- 
tung. Die  Münzen  des  Domitian  stimmen  mehr  zu  der  Beschreibung  des  jüngeren 
Plinius,  als  zu  der  Suetons,  der  sagt:  er  hatte  ein  bescheidenes  Gesicht,  errötet 
oft,  hatte  große  Augen,  war  aber  kurzsichtig.  Plinius  dagegen  charakterisiert 
ihn  als  immanis  belua.  Seine  Beg^nung  und  sein  Anblick  flößten  Schrecken 
ein,  Hochmut  auf  der  Stirn,  Jähzorn  in  den  Augen,  weibische  Blässe  am  Körper, 
in  dem  häufig  errötenden  Gesicht  Schamlosigkeit  (Paneg.  48).  Mag  diese  Dar- 
stellung übertrieben  sein,  um  den  Gegensatz  zu  Trajan  stärker  hervorzuheben, 
das  Gesicht  Domitians  widerspricht  ihr  nicht.  Sein  Profil  ist  das  der  Flavier, 
das  Gesicht  ist  schön,  aber  unangenehm;  ein  hochmütiger  Zug  umspielt  den 
Mund.  Die  Münze  ist  85  n.  Chr.  geprägt  als  Domitian  )4  Jahre  alt  war;  ihre 
Erhaltung  ist  ziemlich  gut,  die  Arbeit  ist  schön  und  nicht  kleinlich.  Die 
Silbermünze  (Dilherr  Ar.  36,  Cohen  192)  zeigt  die  gleichen  Züge. 

Julia,  die  Tochter  des  Titus  (G.  M.  1)995;  Cohen  18),  erst  Geliebte,  dann 
Gemahlin  des  Domitian.  Auf  Münzen  ist  ihr  Bildnis  sehr  verschieden  gegeben. 
Ein  geschnittener  Stein  des  Pariser  Kabinetts  von  Euodos  (Germ.  Museum, 
Pl.-O.  1270,  Zinnabguß  von  geringer  Schärfe :  Lenormant  Tr&or,  Iconogr. 
Rom.  Taf.  22.  12)  gilt  als  Bild  der  Judia  und  muß  bei  seiner  hohen 
Vortrefflichkeit  als  die  treffendste  Darstellung  betrachtet  werden.  Unsere 
Münze  stimmt  mit  ihm  nicht  völlig,  doch  ziemlich  überein,  leider  ist  ihre  Er- 
haltung keine  gute,  sie  ist  sehr  abgeschliffen.  Der  Kopf  hat  das  flavische  Profil, 
und  zur  höchsten  Schönheit  erhoben,  die  sich  ihm  abgewinnen  läßt.  Die  Aus- 
führung war  von  vollendeter  Feinheit. 


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VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  35 


Trajan,  98—117.  (G.  M.  13989;  Cohen  5)1).  Trajans  Münzen  haben  einen 
feststehenden,  charakteristischen  Typus  mit  markierten  Zügen,  bezeichnend 
sind  die  schmalen  Lippen  und  der  festgeschlossene  Mund.  Die  Großbronze 
auf  unserer  Tafel  ist  fein  und  sehr  ins  Einzelne  gearbeitet.  Die  kleine  Silber- 
münze (G.  M.  6555;  Cohen  514)  zeigt  die  gleichen  Züge,  ist  aber  in  den  oberen 
Teilen  des  Gesichtes  oberflächlich  behandelt. 

An  dem  letzten  Aufschwung  der  antiken  Plastik  unter  Hadrian  hat  die  Stempel- 
schneidekunst keinen  Anteil;  mit  Hadrian  beginnt  ihr  Verfall.  Erst  leise,  noch 
bleibt  die  formale  Schönheit,  noch  die  äußere  Ähnlichkeit,  aber  die  Durchmodellie- 
rung des  Reliefs  wird  flach  und  leer.  Mit  den  späteren  Antoninen  von  Marcus  Au- 
relius  an,  werden  die  Münzbilder  oberflächlich  und  geistlos.  Die  Haare  werden  sche- 
matisch behandelt;  ein  erschreckendes  Zeichen  sinkender  Beobachtung  ist  die  Front- 
stellung des  Auges  in  Profilköpfen,  ein  Zurücksinken  auf  eine  primitive  Kunststufe; 
selbst  die  äußere  Ähnlichkeit  wird  vernachlässigt  und  die  Beseelung  fehlt  ganz.  Etwas 
besser  sind  die  Münzen  der  folgenden  Zeit,  der  Severe  und  Gordiane.  Ihre  Münz- 
meister sind  gewissenhafte  Medailleure  von  mäßigem  Können  und  ohne  Geist.  Aber 
es  fragt  sich  auch,  ob  diese  Imperatoren  zur  Entfaltung  von  Geist  bei  Aufnahme 
ihrer  Bildnisse,  Anlaß  gegeben  haben.  Die  Münzbilder  erreichen  die  Ähnlichkeit, 
schön  waren  diese  Kaiser  alle  nicht.  Ab  und  zu  begegnet  uns  ein  Charakterkopf, 
der  zu  besserer  Behandlung  anregt.  Das  technische  Können  hält  sich  durch  Jahre 
auf  ziemlich  gleicher  Höhe.  Das  Profil  ist  meist  gut  gegeben,  auch  der  Mund.  Die 
Zeichnung  der  Augen  ist  schlecht,  obwohl  sie  noch  fast  immer  im  Profil  gegeben 
werden.  Haar  und  Bart  sind  kurz  geschoren  und  durch  kurze  vertiefte  Striche  an- 
gegeben. 

Hadrian,  117—1)8.  (G.  M.  6567;  Cohen  1364).  Die  Münzen  Hadrians 
weisen  einen  feststehenden  Typus  des  Gesichts  auf,  der  sich  auch  auf 
unserer  findet.  Die  Behandlung  ist  einfach,  etwas  steif.  Kaum  besser 
ist  die  Silbermünze  (G.  M.  6564  Cohen  1147). 

Sabina,  Hadrians  Gemahlin.  (Dilherr  Ae.  )8;  Cohen  68).  Die  Münze  ist  in 
der  technischen  Behandlung  der  Hadians  verwandt. 

Antoninus  Plus,  138—161.  (G.  M.  17110;  Cohen  1115).  Die  Münze  ist  schlecht  lacei  11. 
erhalten,  doch  läßt  sie  eine  sorgsame,  etwas  ängstliche  Formbehandlung  er- 
kennen und  sie  entspricht  in  ihrer  inneren  Charakteristik  dem,  was  wir  über 
den  Charakter  Antoninus  wissen.  Die  Goldmünze  (Dilherr  Au.  14;  Cohen  3 12), 
ist  hübsch  modelliert,  aber  ohne  Ausdruck,  einen  Christusbild  des  18.  Jahr- 
hunderts ähnlich. 

Faustina  die  Ältere.  (G.  M.  17143;  Cohen  210).  Die  Münze  ist  von  mittlerer 
Erhaltung,  zeigt  uns  das  Bild  einer  schönen  Frau.  Die  Arbeit  ist  gut,  wenn 
auch  nicht  eindringend.  Die  Münze  ist  nach  dem  Tod  Faustinus  um  145  ge- 
prägt. 

Marcus  Aurelius,  161—180.  (Dilherr  Ae.  60).  Die  kleine  Silbermünze 
zeigt  einen  jugendlichen,  bartlosen  Mann.  Die  Ausführung  ist  kaum 
mittelgut.  Noch  geringer  ist  die  Kupfermünze  (G.  M.  6590;  Cohen  115),  sie 
ist  ein  charakteristisches  Beispiel  der  schlechten  Münzen  der  Zeit,  das  Relief 


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36  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

ist  oberflächlich  und  unsicher  behandelt,  das  Auge  nicht  mehr  ganz  im  Profil, 
die  Haare  schematisch,  das  Beiwerk  hart.    Das  Relief  ist  ziemlich  flach. 

Faustina  die  Jüngere.  (G.  M.  6599).  Diese  Münze  ist  kaum  besser 
als  die  vorige,  wenn  ihr  auch  das  etwas  stärkere  Relief  eine  vollere  Wir- 
kung gibt.  Die  Ähnlichkeit  Faustinas  mit  ihrer  Mutter,  der  älteren  Faustina, 
ist  auch  auf  dem  mittelmäßigen  Bilde  augenfällig. 

Commodus,  180— 192.  (G.  M.  6609),  einer  der  Söhne  des  Marcus  Aurelius 
und  dessen  Nachfolger  war  trotz  des  verschiedenen  Profils  dem  Vater 
ähnlich,  besonders  in  den  stark  vortretenden  Augen.  Unsere  Münze  zeigt 
einen  nicht  unschönen  Kopf  ohne  Energie  und  Geist.  Der  Stil  ist  der  der- 
Münzen  des  Marcus  Aurelius,  die  Arbeit  ist  gering. 

Die  Münzen  des  Annius  Verus,  des  Lucius  Verus  und  der  L u- 
c  i  1 1  a  sind  nicht  besser  als  die  hier  erwähnten.  Die  der  folgenden  Kaiser 
stehen  etwas  höher,  die  Arbeit  ist  unbeholfen  aber  die  Ähnlichkeit  wird  erreicht. 
Es  genügt  hier,  einige  herauszugreifen. 

Septimius  Severus,  193—211.  (G.  M.  17106),  vergoldete  Silbermünze.  Der 
Vergleich  mit  größeren  Bronzen  zeigt,  daß  diese  Münze,  welche  im  Relief 
ganz  gut  wirkt,  hinsichtlich  der  Ähnlichkeit  zu  den  geringeren  zählt.  Der 
Charakter  des  Septimius  Severus  kommt  in  ihr  so  wenig  als  in  den  besseren 
zum  Ausdruck. 

Julia  Domna.  (G.  M.  6618;  Cohen  72),  die  zweite  Gemahlin  des  Septimius 
Severus,  wird  als  eine  schöne  und  kluge  Frau  gerühmt.  Die  Münzen  geben 
nur  die  äußerlichsten  Merkmale,  vor  allem  ihre  perückenartige  Frisur.  Die 
kleine  auf  Tafel  1 1  abgebildete  Silbermünze  steht  mit  größeren  Bronzen  wenig- 
stens nicht  mehr  in  Widerspruch,  als  in  anderen  Fällen.  Die  Arbeit  ist  hin- 
sichtlich der  Gesamterscheinung  nicht  schlecht.  • 

Caracalla,  211—217.  (G.  M.  662O;  Cohen  )58).  Die  kleine  Silbermünze  ist 
wie  die  meisten  Denare  Caracallas  nicht  charakteristisch. 

Alexander  Severus,  222—235  (G.  M.  6634;  Cohen  106).  Die  Bronze- 
münzen des  Alexander  Severus  zeigen  einen  ziemlich  übereinstimmenden  Typus, 
der  auch  durch  die  Büsten  des  Kaisers  als  zutreffend  erwiesen  wird.  Unsere 
Münze  ist  eine  trockene,  wenig  künstlerische  Arbeit,  aber  sorgfältig  ausgeführt 
und  als  Porträt  nicht  schlecht.  Hier  tritt  die  langweilige  Behandlung  der 
Haare  und  des  Bartes  mit  kurzen,  vertieften  Strichen  auf.  Ganz  oberfläch- 
lich und  geistlos  ist  die  Silbermünze.    (G.  M.  13988;   Cohen  I83). 

Julia  Mamaea.  (G.  M.  6039;  Cohen  10).  Die  Bronzemünze  der  Mutter 
des  Alexander  Severus  gehört  zu  den  besseren  aus  dem  ersten  Drittel  des  dritten 
Jahrhunderts.  Sie  stammt  mit  der  Büste  Mamaeas  im  Vatikan  zwar  nicht 
genau  überein,  doch  aber  soweit,  daß  sie  noch  als  ein  zutreffendes  Bildnis  gelten 
kann.    Auch  ist  das  Gesicht  nicht  ohne  Ausdruck. 

Maximinus»  235—238.  (G.  M.  6642;  Cohen  10).  Die  Münze  stellt  stilistisch 
der  oben  besprochenen  Mittelbronze  des  Alexander  Severus  nahe,  ja  der  Stempel 
kann  von  der  gleichen  Hand  geschnitten  sein.  Der  Kopf  dieses  Kaisers  wird 
auf  den  Münzen  verschieden  gegeben.    Mit  der  kapitolinischen  Büste  stimmt 


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VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 


37 


das  Profil  in  seinen  Grundzügen,  nicht  aber  in  den  Einzelheiten  überein,  es 
darf  kaum  als  sehr  treffend  bezeichnet  werden. 

Gordianus  III.  Plus,  2)8—244.  (G.  M.  6654;  Cohen  254).  Die  leider* 
durch  Doppelschlag  etwas  entstellte,  sonst  gut  erhaltene  Mittelbronze  zeigt 
abermals  genau  den  gleichen  Stil  wie  die  des  Maximinus  und  des  Alexander 
Severus.  Gordianus  wurde  244  im  Alter  von  19  Jahren  ermordet.  Eine  gute 
Büste  von  ihm  besitzt  das  Louvre,  sie  muß  noch  in  seinen  Knabenjahren  ge- 
fertigt sein.  Das  Bild  unserer  Münze  zeigt  ihn  in  etwas  reiferen  Jahren,  es 
ist  ähnlich,  wenn  auch  äußerlich  und  geistlos  behandelt. 

Philippus  Arabs,  244—249.  (G.  M.  6662;  Cohen  59).  Die  Bronzemünzen 
des  älteren  Philippus  haben  ganz  den  gleichen  Stil  wie  die  vorhergehenden. 
Das  Münzbild  stimmt  mit  der  schönen  Büste  im  Vatikan  gut  überein,  weniger 
die  ziemlich  lebendige  Silbermünze.    (G.  M.  17092;  Cohen  198). 

Volusian,  )52— 25)  (G.  M  .171)4;  Cohen  70).  Das  Bild  ist  trocken  und 
oberflächlich,  aber  nicht  ohne  individuelle  Züge. 

Der  Verfall  der  Stempelschneidekunst  schreitet  in  der  zweiten  Hälfte  des 
dritten  Jahrhunderts  fort.  Noch  ist  die  Fähigkeit,  die  Züge  einer  Persönlichkeit 
wiederzugeben,  nicht  erloschen  und  ab  und  zu  begegnen  uns  Münzbilder,  welche 
augenscheinlich  charakteristisch  und  ziemlich  gut  ausgeführt  sind,  aber  die  große 
Menge  ist  schlecht.  Die  Formen  sind  mager,  es  besteht  die  Neigung,  den  Hals  lang 
zu  machen,  den  Kopf  klein  und  oben  abgeplattet. 

Valerianus,  25)— 260.    (G.  M.  17101;  Cohen  18,  aber  Silber).    Die  Silber-  lafei  iii. 
münze  zeigt  einen  älteren  Mann   mit  vollem  Gesicht   und  dürfte  ein  ziem- 
lich zutreffendes  Bild  des  Kaisers  geben,  der  von  seinem  6).— 70.  Lebens- 
jahre regierte. 

Postumus,  258—267.  (G.  M.  6691).  ein  Usurpator  in  Gallien  während  der 
Regierung  des  Gallienus.  Seine  zahlreichen  Münzen  sind  gut  geschnitten 
und  stimmen  im  Typus  wohl  überein. 

Quintillus,  270.  (Dilherr  Aur.  o.  Nr.;  Cohen  167).  Quintillus  der  Bruder 
des  Kaisers  Qaudius  Gothicus  folgte  diesem  270  in  der  Regierung.  Er  soll 
nur  siebzehn  Tage  regiert  haben.  Ist  diese  Angabe  richtig,  so  müssen  seine 
Stempelschneider  Tag  und  Nacht  gearbeitet  haben,  denn  Cohen  führt  von  ihm 
74  Münzen  an.  Die  äußerst  seltene  Goldmünze  ist  technisch  gut  gearbeitet, 
aber  charakterlos  und  stimmt  nicht  zu  den  Großbronzen. 

Aurelianus,  270—275.  (G.  M.  6701;  Cohen  95).  Das  gleiche  gilt  von  den 
Münzen  dieses  Kaisers.  Sie  zeigen  den  allgemeinen  Kopftsrpus  des  späteren 
dritten  Jahrhunderts  ohne  jegliche  Sorgfalt  der  Individualisierung. 

Tacitus,  275—276.  (G.  M.*6715;  Cohen  1)7).  Das  fette  Gesicht  mit  dem 
dürftigen  Bart  gab  Anlaß  zu  etwas  besserer  Charakteristik,  doch  sind  auch 
die  Bilder  dieses  Kaisers  flau. 

Probus,  276—282.  (G.  M.  >)717;  Cohen  210).  Die  Münzen  des  Probus  sind 
sehr  zahlreich,  aber  sie  begnügen  sich  zum  größten  Teil  mit  einer  sehr  allge- 


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38 


BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


meinen  Charakteristik.    Am  besten  sind  die  Großbronzen,  deren  wir  keine 
besitzen. 

Mit  dem  Ausgange  des  dritten  Jahrhunderts  schreitet  der  Verfall  rascher 
vor.  Man  sieht,  die  Stempelschneider  suchen  noch  individuelle  Bilder  zu  ge- 
winnen, aber  sie  vermögen  es  nicht  mehr.  Die  Bilder  eines  Kaisers  sind  oft 
unter  sich  verschiedener,  als  die  zweier.  Das  Relief  wird  flach,  an  Stelle  der  Model- 
lierung tritt  eine  Art  Zeichnung  mit  erhabenen  Linien.  Der  Augenstern  wird  als 
voller  Kreis  angegeben.  Das  Bild  ist  starr  und  leblos.  Nach  der  Mitte  des  vierten 
Jahrhunderts  greift  die  äußerste  Rohheit  um  sich.  Die  Münzen  des  Magnentius 
(350—353)  sind  von  einer  kindischen  Unbeholfenheit.  Es  lohnt  sich  nicht  hierbei 
zu  verweilen,  einige  Beispiele  bis  zum  Schluß  des  vierten  Jahrhunderts  mögen  ge- 
nügen. Ihnen  folgen  von  Münzen  der  byzantinische  Kaiser  und  germanischer  Fürsten 
des  5.  und  6.  Jahrhunderts. 

Diocietianus,  284—305.  (G.  M.  6730;  Cohen  101 ;  G.  M.  6732;  Cohen  436). 
Die  Münzen  Diolcetians  weichen  so  vielfach  von  einander  ab,  daß  wir  sagen 
können,  sie  geben  alle  kein  zutreffendes  Bild  des  großen  Kaisers.  Vergleichen 
wir  mit  seinem  Bilde  die  seiner  Mitregenten. 

Maximianus,  286— 310.  (G.  M.  6751 ;  Cohen  179  (?)  und  Galerius»  305— 311 
(G.  M.  6769;  Cohen  54),  der  sich  auf  seinen  Münzen  gleichfalls  Maximianus 
nennt,  so  sehen  wir,  daß  nun  von  einer  Individualisierung  überhaupt  keine 
Rede  mehr  ist.  Mit  Recht  bemerkt  Bemoulli  (III.  2.  205)  von  Galerius:  Seine 
Bildnisse  machen  den  Eindruck,  als  ob  es  bloße  Reproduktionen  von  Typen 
der  unmittelbar  vorhergegangenen  Kaiser  wären,  ohne  allen  individuellen 
Charakter. 

Constantius  Chlorus,  305—306.  (G.  M.  6768;  Cohen  44)  weist  auf  den 
Münzen  einen  ziemlich  gleichbleibenden  Typus  mit  sehr  scharfem  Profil  auf, 
der  Stil  ist  der  gleiche  wie  der  der  Münzen  seiner  Mitregenten. 

Helena.  (G.  M.  6811;  Cohen  13).  Es  gibt  von  Helena  auf  Großbronzen 
Bildnisse,  welche  ziemlich  individuell  sind  (Bemoulli  III.  2  Münztafel  VII.  1), 
die  kleinen  Münzen  haben  ähnliche  Typen,  aber  verflacht. 

Constantin  der  Große,  306—337.  (G.  M.  6790;  Cohen  202).  Von  Con- 
stantin  gibt  es  eine  Anzahl  größerer  Medaillons,  welche  zu  den  besseren  Arbeiten 
der  Zeit  gehören,  aber  ein  idealisiertes  Bild  des  Kaisers  geben.  Die  Münzen, 
im  Stil  von  denen  der  Zeitgenossen  nicht  verschieden,  zeigen,  daß  sein  Profil, 
wenn  auch  weniger  scharf,  dem  des  Vaters  ähnlich  war.  Von  Constantin  an 
sind  die  Kaiser  wieder  unbärtig. 

Maximinus  Daza,  305—313.  (G.  M.  6777;  Cohen  96).  Mittelbronze  im 
Stil  des  frühen  4.  Jahrhunderts  ohne  individuelle  Züge. 

Constantin  IL,  337—340.  (G.  M.  6814;  Cohen  38).  Geistlos,  aber  zier- 
lich gearbeitetes  Bildnis  des  jugendlichen  Herrschers. 

Die  Mittelbronzen  Diocletians  und  seiner  Mitregenten  sowie  Constantins  und 
seiner  Söhne  bilden  eine  Gruppe  für  sich,  die  sich  zwar  nicht  wesentlich  von  denen 
der  unmittelbar  vorausgehenden  und  nachfolgenden  Kaiser  unterscheidet,  aber  doch 


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VON   GUSTAV  VON   BEZOLD.  39 

ein  einheitliches  Gepräge  zeigt.  Das  Streben  nach  zierlicher  Behandlung  ist  unverkenn- 
bar, allein  das  Können  ist  gering.  Niemals  weder  vorher  noch  nachher  wurde  lang- 
weiliger und  einförmiger  gearbeitet.  Die  Individualisierung  bleibt  am  Äußerlichsten 
haften  und  wird  auch  ihm  nicht  gerecht,  von  irgend  welcher  psychischen  Charakteristik 
ist  überhaupt  keine  Rede.  Der  Tiefstand  des  Könnens  ist  damit  noch  nicht  einge- 
treten, aber  schon  unter  dem  Usurpator. 

Magnentius,  350— )53-    (G.  M.  6842;  Cohen  31)  wird  er  erreicht.    Die    rafci  iv. 
Münze,  welcher  andere  um  ein  Geringes  bessere  zur  Seite  stehen,  ist  unglaub- 
lich roh  in  der  Auffassung  des  Bildnisses.     Wir  stehen  in  der  Mitte  des 
vierten  Jahrhunderts.    Von  Julianus  und  von  Theodosius  haben  wir  keine 
Münzen. 

Gratianus,  375—383.  (Dilherr  Au.  17;  Cohen  38;  G.  M.  6847;  Cohen  34). 
Die  Ausführung  dieser  kleinen  Münzen  ist  unsicher  und  weichlich.  Noch  um 
eine  Stufe  tiefer  steht  die  Goldmünze  des  Arcadius,  Kaiser  des  oströmischen 
Reiches,  395—408.  (Dilherr  Au.  18).  Nun  tritt  ein  Stillstand  ein.  Die 
Münze  des  Arcadius  vom  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts  ist  stilistisch 
wenig  verschieden  von  der  des  Anastasius,  491—518.  (G.  M.  7149)  oder  des 
Justinian  527—567  (G.  M.  8215;)  aus  dem  Anfang  des  sechsten.  Auf 
Ähnlichkeit  wird  überhaupt  nicht  mehr  gesehen.  Die  germanischen  Könige 
setzen  auf  ihre  Gold-  und  Silbermünzen  die  Köpfe  der  oströmischen  Kaiser. 
Die  kleine  Silbermünze  Theoderichs,  493—526.  (G.  M.  11862)  trägt  das 
Bild  des  Anastasius.  Der  Stempel  zur  Münze  Theoderichs  mag  von  einem 
Stempelschneider  des  Kaisers  geschnitten  sein.  Die  Silbermünze  von  Theo- 
derichs Nachfolger  Athalarich,  526—534  (G.M.  11850)  hat  das  Bild  des  Kaisers 
Justinian,  527—567  und  zwar  in  besserer  Ausführung  als  auf  der  Goldmünze 
dieses  Kaisers  (G.  M.  8215).  Die  Goldmünze  mit  dem  Kopfe  Justinians  (G. 
M.  12403)  ist  provinziell  oder  barbarisch  (westgotisch  .>).  Die  Mittelbronze  des 
Ostgothen  Theodahat,  534—536  (G.  M.  1788)  zeigt  in  starren  Formen  doch 
wieder  bildnismäßige  Züge. 

Auf  oströmischen  Münzen  tritt  sofort  nach  der  Teilung  des  Reiches  ein  neuer 
Typus  der  Münzbilder  auf.  Der  Kaiser  erscheint  im  Brustbild  von  vorn,  er  hält  in 
der  rechten  Hand,  über  die  Schulter  gelehnt,  eine  Lanze  oder  ein  Szepter.  Der  Kopf 
ist  mit  einem  Helm  bedeckt  und  gewöhnlich  etwas  nach  links  gewendet.  Der  Typus 
kommt  schon  auf  Münzen  des  Arkadius  vor  (Sabatier,  discription  g^ndrale  des  mon- 
naies  byzanticus  I.  PI.  HI.).    Er  bleibt  lange  Zeit  sehr  gleichartig. 

Konstantin  IV.  Pogonatos  668—685.  (Dilherr  Au.  16;  Sabatier  H.  S.  17, 
No.  20).  Goldmünze,  dekorativ  sehr  gut  gearbeitet,  die  Bildnisähnlichkeit 
höchstens  ganz  äußeriich. 

Das  Frontbild  kommt  schon  auf  antiken  Münzen  vor.  Die  Köpfe  der  Gott- 
heiten auf  griechischen  Städtemünzen,  namentlich  aus  dem  vierten  Jahrhundert 
V.  Chr.  sind  oft  so  gegeben.  Die  Darstellungsweise  entspricht  sehr  wohl  dem  hohen 
Reliefstil  der  griechischen  Münzen.  Für  Bildnisse  ist  sie  weniger  geeignet;  auf  den 
Münzen  der  hellenistischen  Dynasten  kommt  sie  nur  ausnahmsweise  vor,  unter  den 
römischen  Kaisermünzen  kenne  ich  nur  solche  von  Postumus,  258—267,  welche  das 


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40  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


Frontbildnis  tragen.  Auf  sassanitschen  Münzen  erscheint  es  erst  später  als  in  Byzanz, 
sie  schließen  sich  zuerst  an  achaemenidische  Vorbilder  mit  Profildarstellung  an.  In 
Byzanz  ist  das  Frontbild  vom  6.  Jahrhundert  an  herrschend. 

Phokas»  602-610.  (G.  M.  1)882;  Sabatier  1.  PI.  XXVII).  Äußerlich  ähn- 
lich, aber  starr. 

Leo  VI,,  886—911.  (G.M.  10439;  Sabatier  11.  PI.  XLV),  und  Constantin  X. 
mit  seinem  Sohn.  (Dilherr  Au.  22;  Sabatier  II.  PI.  46)  mögen  als  Beispiele 
genügen.    Der  Stil  ist  hier  ganz  leblos,  fast  ornamental  geworden. 


Bildnisse  auf  Diptychen. 

Neben  die  Münzbilder  treten  vom  fünften  Jahrhundert  an  die  Bildnisse  auf 
Diptychen.  Sie  haben,  wie  die  Münzbilder,  den  Vorzug,  daß  sie  fast'alle  fest  datiert 
sind.  Sie  treten  in  einer  Zeit  auf,  in  welcher  das  Münzbild  schon  ganz  konventionell 
geworden  ist  und  haben,  wie  die  Münzen  des  fünften  und  sechsten  Jahrhunderts, 
keinen  großen  Bildniswert. 

Diptychen  sind  Schreibtafeln,  welche,  aus  zwei  Platten  bestehend,  auf-  und 
zugeklappt  werden  können.  Hier  h^ben  wir  es  mit  Elfenbeintafeln  zu  tun,  die  auf 
der  Außenseite  mit  Reliefs  geschmückt  sind.  Sie  dienten  als  Geschenke.  Insbe- 
sondere war  es  üblich,  daß  die  Konsuln  beim  Antritt  ihres  Amtes  den  Kaiser  und 
andere  vornehme  Personen  mit  Diptychen  beschenkten.  Man  nennt  diese  Diptychen 
Konsulardiptychen ;  sie  tragen  gewöhnlich  auf  einer  oder  auf  beiden  Tafeln  das 
Bild  des  Konsuls.  Anordnung  der  Komposition  und  Darstellung  der  Figur  sind  an- 
fangs mannigfach  verschieden,  gegen  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  tritt  eine  fest- 
stehende Kompositionsformel  ein  und  die  Darstellung  der  Person  wird  schematisch. 
Sie  ist  so  allgemein  gehalten,  daß  man  oft  zweifeln  kann,  ob  sie  das  Bildnis  des  Kon- 
suls ist,  dessen  Namen  das  Diptychen  trägt.  Einige  tragen  individuelle  Züge  we- 
nigstens Isoweit,  daß  man  sie  sofort  als  Bildnisse  anerkennt,  andere  aber  würden 
wir  ohne  die  Beischrift  und  ohne  Kenntnis  ihrer  Bestimmung  nicht  als  Bildnisse 
ansprechen. 

Aber  die  Frage  ist  nicht  so  klar,  daß  sie  sofort  entschieden  werden  körnte. 
Die  Anforderungen,  welche  man  an  die  Ähnlichkeit  eines  Bildnisses  stellt,  sind  zu 
verschiedenen  Zeiten  verschieden  und  waren  im  fünften  und  sechsten  Jahrhundert 
äußerst  gering.  Daß  die  Münzbilder  der  oströmischen  Kaiser  zu  ihren  Lebzeiten 
gefertigt  nicht  einfach  den  Kaiser,  'sondern  Honorius,  Anastasius,  Justinian  u.  A. 
darstellen  sollen  und  wollen,  haben  wir  gesehen,  aber  wir  haben  auch  wahrge- 
nommen, mit  welch  bescheidenen  Leistungen  man  sich  begnügte.  Selbst  wenn  wir 
von  den  rohen  Arbeiten  entlegener  Provinzialkunst  iind  von  den  Nachahmungen 
der  Barbaren  absehen,  welche  nicht  mehr  als  Bildnisse  gelten  können,^  ist  auch 
bei  den  besten  MünzbUdern  das  individuelle  Ingrediens  gering,  l  Bei  einigen  Kon- 
sulardiptychen aber  vermisse  ich  es  vollständig.  Anastasius,  517  Konsul  des  Ostens, 
Magnus,  518  Konsul  des  Ostens  sind  Schemen  ohne  alles  individuelle  Leben,  von  einer 
Allgemeinheit  der  Gesichtsbildung,  die  kaum  übertroffea  JHBl^  kann.  Sie  stellen 
einen  Konsul  in  Amtstracht  dar,  keinf  "^  ^nn  mich  nicht 


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VON  UUSTAV  VON  BEZOLD. 


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davon  überzeugen,  daß  sie  auf  Bestellung  gemacht  sind  und  das  Bildnis  des  Konsuls 
enthalten,  dessen  Namen  sie  tragen,  ich  glaube  vielmehr,  daß  es  rein  industrielle 
Erzeugnisse  sind,  welche  auf  Vorrat  gearbeitet  und  nur  nach  Bedarf  mit  dem  Namen 
des  Käufers  versehen  wurden.  Man  sehe  aber,  was  E.  Molinier  in  seiner  Historie 
gdn^rale  des  arts  appliqufe  ä  Tindustrie  I,  S.  5  für  die  gegenteilige  Ansicht  beibringt.  — 
Ich  bespreche  einige  Diptychen,  jedoch  nur  soweit,  als  sie  für  die  Geschichte  des 
Bildnisses  von  Belang  sind. 

Römische  Familie.  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts.  (Molinier  1,  Wilh.  Tafci  v. 
Meyer  47  a  b  ^)  Auf  der  einen  Platte  ist  der  Mann,  auf  der  anderen  die  Frau 
und  ein  Knabe  dargestellt.  Der  Mann  zeigt  indivuelle  Züge,  er  hat  ein 
schmales,  nach  oben  breiter  werdendes  Gesicht,  kleinen  Mund  mit  vollen 
Lippen,  lange,  gerade  Nase,  mäßig  große,  weit  geöffnete  Augen,  kurzen  Bart. 
Die  Darstellung  macht  den  Eindruck  der  Ähnlichkeit,  wenn  sie  auch  ziem- 
lich äußerlich  behandelt  ist.  Die  Gesichter  der  Frau  und  des  Kindes  sind  rund 
und  voll,  weniger  charakteristisch  als  das  des  Mannes,  aber  doch  glaubwürdig 
als  Bildnisse.  Zur  Bestimmung  der  Personen  fehlen  alle  festen  Anhaltspunkte. 
Es  ist  zu  bedauern,  daß  sie  unter  verschiedenen  Namen  kritiklos  als  gesicherte 
Porträts  bestimmter  Personen  des  sinkenden  Reiches  in  illustrierte  Geschichts- 
werke aufgenommen  worden  sind. 

Felix,  428  Konsul  des  Westens.    (Molinier  3;  Meyer  2).    Das  Original  in 
der  BibliothÄque  nationale  zu  Paris.    Auch  diese  Darstellung  ist  als  Bildnis 


Diptychon  des  Konsuls  Asturius. 


1)  Emile  Molinier,  bist.  g^n.  des  arts  appliqu^s  k  Tindustrie.  —  Wilhelm  Meyer,  Zwei 
antike  Elfenbeintafeln  der  K.  Staatsbibliothek  in  München;  in  den  Abhandlungen  der  K.  b. 
Akademie  d.  W.     Phil.  Cl.   XV.  S.  1  ff. 


MittfiluDgren  ans  dem  ^erman.  NationalrnuKeum.    1907.  ( 

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BBITRXGE  Zur  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


kenntlich;  die  Auffassung  ist  ähnlich  wie  auf  dem  vorigen  Diptychen,  die  Aus- 
führung weniger  sorgfältig,  aber  etwas  lebendiger. 

Asturius,  449  Konsul  des  Westens.  (Molinier  4,  Meyer  )).  Das  Gesicht 
des  sitzenden  Konsuls  bietet  nur  noch  einen  Schatten  von  Ähnlichkeit  und 
die  Ausführung  ist  roh  und  unbeholfen. 

Ttfcjvi.  Unbekannter  Konsul,  zweite  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts.    (Molinier 

38,  Meyer  63).  Das  Original  im  Domschatz  zu  Halberstadt.  Abendländische 
Arbeit.  Auf  den  beiden  Platten  sind  drei  Männer  abgebildet,  ihre  Züge  sind 
verschieden  und  man  hat  wenigstens  bei  denen  auf  der  zweiten  Platte  den 
Eindruck,  daß  individuelle  Charakteristik  angestrebt  ist.  Die  Ausführung  ist 
ziemlich  roh,  die  Erhaltung  schlecht.  Die  Datierung  des  Halberstädter  Dip- 
tychons auf  die  zweite  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  scheint  mir  nicht  ganz 
unzweifelhaft  zu  sein,  es  könnte  auch  als  provinzielle  Arbeit  einer  älteren  Zeit 
angehören.  Doch  kenne  ich  das  Vergleichsmaterial  nicht  genug,  um  meine 
Zweifel  begründen  zu  können. 

Philoxenus,  525  Konsul  des  Ostens.  (Molinier  29,  Meyer  26).  Original 
in  der  Bibliothdque  nationale  zu  PariSv  Aus  der  Reihe  der  sehr  gleichförmigen 
Diptychen  des  sechsten  Jahrhunderts  tritt  das  des  Philoxenus  sowohl  durch  die 
Komposition  wie  durch  die  Behandlung  der  Figuren  heraus.  Auf  jeder  Tafel 
sind  drei  Kreise,  im  oberen  das  Brustbild  des  Konsuls  mit  der  Trabea  bekleidet, 
im  mittleren  die  Inschrift,  im  unteren  das  Bild  einer  Frau.  Die  Züge  des  Mannes 
wie  der  Frau  haben  ein  individuelles  Gepräge.  Die  Wangen  und  das  Doppel- 
kinn des  Mannes,  wie  der  Schnitt  des  Mundes  und  die  eigenartige  Behandlung 
der  Haarlocken  sind  entschieden  nach  Beobachtungen  an  der  Natur  gemacht 
und  weichen  von  dem  allgemeinen  Typus  der  Zeit  so  weit  ab,  daß  wir  die  Dar- 
stellung sicher  als  ein  Bildnis  und  zwar  als  ein  nicht  unzutreffendes  bezeichnen 
dürfen.  Auch  das  Bild  der  Frau  hat  namentlich  im  unteren  Teil  des  Gesichts 
etwas  individuelles,  von  dem  herrschenden  Typus  abweichendes.  Gleichwohl 
bleibt  es  fraglich,  ob  wir  eine  bestimmte  Person  oder  eine  Allegorie  vor  uns 
haben. 

Das  Bild  des  Philoxenus  ist  das  letzte,  welches  ich  als  Bildnis  anerkennen  kann. 
Aber  schon  vor  seinem  Konsulat  kommen  Konsulardiptychen  vor,  auf  welchen  das 
Bild  des  Konsuls  aller  individuellen  Züge  bar  ist.  Als  Beispiel  mag  ein  Diptychon 
genügen,  das  ohne  ausreichenden  Grund  dem  Magnus,  518  Konsul  des  Ostens,  zuge- 
schrieben wird.  (Molinier  24,  Meyer  31).  Die  Übereinstimmung  des  Gesichtes  des 
Konsuls  mit  denen  der  hinter  ihm  stehenden  allegorischen  Gestalten  der  Roma  und 
Constantinopolis  zeigt  klar,  daß  hier  nur  ein  Konsul,  nicht  aber 'eine  bestimmte 
Person  dargestellt  ist,  soferne  nicht  das  gekräuselte  Haar  als  individualisierendes 
Zeichen  gelten  soll.  Auch  wenn  dies  zutreffen  sollte,  wäre  damit  bewiesen,  daß  die 
Bildniskunst  vom  Wesentlichen  auf  das  Unwesentliche,  auf  äußerliche  Merkmale 
zurückgesunken  ist,  von  welchem  sie  auf  primitiven  Kunststufen  ihren  Ausgang  ge- 
nommen hat. 

Die  antike  Bildniskunst  hat  ihren  Lauf  vollendet.    Werfen  wir  einen  Blick  aut 
den  Weg  zurück,  welchen  sie  seit  dem  Beginn  der  römischen  Kaiserzeit  durchlaufen 


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VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 


43 


hat.  Zur  Zeit  des  Augustus  ist  der  Höhepunkt  schon  überschritten,  aber  das  künst- 
lerische Vermögen  ist  noch  sehr  groß  und  die  besten  Kräfte  werden  in  den  Dienst 
des  Kaisers  gezogen. 

Es  waren  Griechen,  und  als  ein  Sproß  der  griechischen  Kunst  muß,  wie  ich 
schon  eingangs  betont  habe,  die  römische  Bildniskunst  betrachtet  werden.  Schon 
im  dritten  Jahrhundert  ist  in  den  Büsten  der  Diadochen  das  Äußerste  an  realistischer 
Bildnistreue  erreicht.  Die  Bildnisse  der  claudischen  Kaiser  zeigen  eher  ein  Zurück- 
greifen auf  typische  Formgebung,  sie  sind  mit  bewußter  Absicht  dem  Bilde  des 
Augustus  genähert.  Wie  weit  dies  mit  allgemeinen  stilistischen  Strömungen  der 
Zeit  in  Zusammenhang  steht,  soll  in  dem  engen  Rahmen  dieser  Arbeit  nicht  unter- 
sucht werden.  Die  Münzbilder  sind  von  einer  reifen  und  vollen  Schönheit,  sie  bleiben 
auch  bei  einer  sehr  ins  Einzelne  gehenden  Durchbildung  frei  und  groß.  Der  Stil 
ändert  sich  bis  auf  Hadrian  kaum.  Dann  tritt  der  Verfall  ein,  und  zwar  im  Münz- 
bilde weit  entschiedener  als  in  der  großen  Plastik.  Während  noch  unter  den  Severen 
Meisterwerke  der  Bildniskunst  wie  die  Büste  des  Caracalla  in  Berlin  geschaffen  werden, 
sind  die  Münzbilder  der  Antonine  schon  durchgehends  erschreckend  geistlos  und 
nachlässig  gearbeitet.  Etwas  besser  sind  die  Münzen  der  Severe,  der  Gordiane  und 
ihrer  nächsten  Nachfolger.  Ihr  Stil  ist  trocken,  ihre  technische  Ausführung  mittel- 
mäßig, aber  sie  erreichen  im  allgemeinen  die  Ähnlichkeit.  Mit  dem  Ausgang  des 
dritten  Jahrhunderts  sinken  die  Anforderungen  an  die  Ähnlichkeit  auf  eine  ganz 
niedrige  Stufe,  der  Stil  schwankt  zwischen  Relief  und  Zeichnung,  die  technische 
Ausführung  ist  unbeholfen.  Das  Gefühl  für  den  organischen  Bau  des  Gesichts 
schwindet,  man  begnügt  sich  mit  einer  mehr  oder  minder  unvollkommenen  Wieder- 
gabe einzelner  Merkmale;  Nebensächliches  wie  die  Tracht  tritt  in  den  Vordergrund. 
Schließlich  werden  nur  noch  die  Standesabzeichen  gegeben,  das  Münzbild  hört  auf 
Bildnis  zu  sein,  es  ist  Symbol  geworden. 

Daß  in  der  Frühzeit  des  sechsten  Jahrhunderts  noch  eine  beschränkte  Fähig- 
keit der  charakteristischen  Darstellung  bestimmter  Personen  vorhanden  war,  zeigen 
einige  Diptychen.  Aber  die  meisten  von  diesen  Erzeugnissen  der  Kleinkunst  lassen 
erkennen,  wie  wenig  Wert  man  auf  die  Bildnistreue  legte. 

Dieser  Verzicht  ist  ein  Symptom  einer  allgemeinen  Erscheinung,  eines  voll- 
ständigen Wandels  des  Kunstgefühls.  Die  lineare  und  plastische  Anschauung,  welche 
die  griechische  Kunst  beherrscht  und  zur  höchsten  Vollendung  der  Form  geführt 
hat,  tritt  zurück,  der  plastische  Formensinn  erlischt,  die  bildende  Kunst  gelangt 
zu  völliger  Vernachlässigung  der  formalen  Durchbildung.  Man  sucht  und  findet 
Ersatz  in  einer  Kunst,  welche  durch  Licht  und  Farbe  wirkt  und  das  psychologische 
Moment  der  Stimmung  einführt,  das  wissenschaftlich  kaum  faßbar  ist.  Wer  in 
Ravenna  die  kleine  Grabkapelle  der  Galla  Placidia  betritt,  wird  inne,  mit  welcher 
Macht  hier  nur  durch  Licht  und  Farbe  ein  sehr  starker  ästhetischer  Eindruck  erzielt 
wird.  Doch  wir  können  nur  ermessen,  wie  der  Raum  auf  uns  wirkt.  Es  ist  ja  anzu- 
nehmen, daß  die  Wirkung  auf  die  Menschen  des  fünften  Jahrhunderts  ähnlich  war, 
aber  wenn  wir  von  dem  Stimmungsgehalt  alter  Kunstwerke  sprechen,  projizieren 
wir  doch  nur  unser  Gefühl  in  frühere  Zeiten. 

Noch  ein  zweites  wirkte  zersetzend  auf  den  Formensinn.  Die  spät  antike  Kunst, 
namentlich  die  christliche,  operiert  in  ausgedehntem  Maße  mit  Assoziationsvor- 


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44  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES  VON  GUSTAV  VON  BBZOLD. 

Stellungen,  welche  durch  Symbole  hervorgerufen  werden.  Das  aber  führt  von  der 
Anschauung,  der  einzigen  Grundlage  ästhetischer  Wirkung,  in  Gebiete,  die  der  Kunst 
fernliegen. 

Es  wäre  verlockend,  die  Entwickelung  der  spätantiken  Poesie  zu  der  der  bil- 
denden Kunst  in  Parallele  zu  setzen.  Es  ist  kaum  zufällig,  daß  gleichzeitig  mit  dem 
Schwinden  des  plastischen  Formensinnes  der  quantitierende  Vers  in  Verfall  gerät 
und  daß  der  akzentuierende  rhythmische  mit  dem  Reimschluß  in  Aufnahme  kommt. 
Hier  sei  nur  darauf  hingewiesen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Alfred  Walcher  Ritter  von  Moltheln,  Bunte  Hafnerkeramik  der  Renaissance  in  den  öster- 
reictiisctien  Ländern  Oesterreicti  ob  der  Enns  und  Salzburg  bei  besonderer  Beräckslchtigung  Ihrer 
Beziehungen  zu  den  gleichzeitigen  Arbeiten  der  Nürnberger  Hafner.    Wien  1906. 

Die  Geschichte  der  deutschen  Keramik  hat  im  letzten  Jahrzehnt  durch  die  immer  weiter 
greifende  Sammlertätigkeit  auf  diesem  Gebiet  zu  manchen  neuen  und  glücklichen  Ergebnissen 
geführt.  Eines  der  schwierigsten  Kapitel  bildete  von  jeher  die  Provenienz  und  Entwicklung  der 
aus  gewöhnlichem  Töpferton  mit  Buntglasur  hergestellten  Ware,  die  sich  in  zwei  Hauptgebiete, 
die  Gefäß-  und  die  Ofenkeramik  abteilen  läßt.    Nur  sehr  zeit-  und  müheraubende  SpezialStudien 


Abb.  1.    Nürnberger  Hafnerkrug, 

der  Preuningschen  Werkstätte  zugeschrieben. 

für  kleinere  lokalere  Gebiete  können  Aussicht  geben,  in  das  noch  vielfach  herrschende  Chaos  Ord- 
nung zu  bringen.  Alfred  von  Walcher,  der  Kustos  der  berühmten  Sammlungen  des  Grafen  Wilczek 
hat  diese  Aufgabe  bezüglich  Salzburgs  und  Österreichs  für  die  Renaissanceperiode  in  einem  muster- 
haft angelegten  Werke  in  Angriff  genommen,  wie  es  seines  Gleichen  auf  deutschem  Boden  noch  nicht 
gefunden  hat.    Auch  wenn  man  nicht  allen  Schlüssen  des  Verfassers  beistimmen  kann,  so  trägt 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


die  Herbeischaffung  alles  nur  erreichbaren  urkundlichen  und  Denkmälermateriales  und  seine 
sorgfältige  Prüfung  zur  Aufhellung  des  gerade  in  jenen  Gebieten  glänzend  vertretenen  Kunst- 
zweiges doch  wesentlich  bei. 

Den  Beginn  der  Untersuchungen  macht  v.  Walcher  mit  der  Stadt  Steyr,  deren  Bedeutung 
als  Transitplatz  für  den  deutsch-italienischen  Handel  er  auch  als  ausschlaggebend  für  die  große 
Hafnerindustrie  ansehen  möchte.  Nach  kurzer  Erzählung  der  Geschichte  des  dortigen  Hafner- 
gewerbes und  Aufführung  der  nachweisbaren  Meister  geht  er  mit  Geschick  an  die  Zusammen- 
stellung der  vermutlich  in  Steyr  gefertigten  Gefäße  ein.  Hier  wie  an  anderen  Stellen  des  Werkes 
muß  freilich  bemerkt  werden,  daß  die  Versuche,  unbezeichnete  alte  Gefäße  auf  Meister  zu  bezichen, 
von  denen  nichts  als  der  Namen  überliefert  ist,  zu  gewagt  erscheint.  Die  Blütezeit  der  Steyrer 
Hafnerkeramik  fällt  in  die  Jahrzehnte  um  1600.  Sodann  wendet  er  sich  den  Hafnern  im  Krems- 
tale zu,  die  durch  die  Art  der  Verwendung  von  Reliefauflagen  und  die  Art  der  Zinn-  und  Blei- 


Abb.  2.     Nürnberger  (?)  Krug  mit  Porträtmedaillons  um  1530. 

Sammlung  Figdor,  Wien. 

glasuren  dem  Verfasser  eine  enge  Verbindung  mit  gleichzeitiger  und  vorangehender  Gefäßkeramik 
in  Nürnberg  vermuten  lassen.  Der  Export  nach  dort,  insbesondere  der  Plutzer  genannten  Wein- 
krüge, wovon  Abb.  1  ein  Beispiel  aus  der  Sammlung  Wilczek  *)  gibt,  ist  sicher  und  ebenso  die  tech- 
nische und  stilistische  nahe  Verwandtschaft  dieser  und  der  Kremstaler  Hafnergeschirre,  so  daß 
außer  dem  Exportgut  selbst,  wohl  auch  die  Ansäßigmachung  eines  oder  mehrerer  Nürnberger 
Hafner,  von  Gesellen,  die  dort  gearbeitet,  sehr  wahrscheinlich  wird.  Daß  der  in  Kremsegg  ge- 
nannte Hafner  Acher,  der  die  neue  „aufgelegte"  Ware  nach  vorhandenen  Akten  einführte,  der 


1)  Die   Klischees   zu    dieser  wie  zu  den  folgenden  Abbildungen  wurden   für  diese  Be- 
sprechung von   Herrn  v.  Walcher  freundlichst  überlassen. 


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LITERARISCHE;BESPKECHUNOEN. 


47 


.Überbringer  der  Nürnberger  Tradition  war,  bleibt  zum  mindesten  wahrscheinlich.  Ein  weiterer 
Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  den  Welser  und  Ennser  Töpfereien.  Die  Hypothese  über  die  Ge- 
fäße mit  Sandanwurf  und  Porträts  als  Erzeugnisse  der  Nürnberger  Werkstatt  Oswald  Reinhart, 
Nickel  und  Hirsvogel  möchte  ich  in  diesem  Zusammenhang  doch  nicht  für  völlig  begründet  er- 
achten, noch  weniger  den  etwas  phantastisch  konstruierten  Zusammenhang  Reinharts  mit  dem 
angeblichen  Zwinglibecher.  Novellen  sind  in  der  Kunstgeschichte  stets  von  Übel.  Betrachtet 
man  die  Wanderung  der  rheinischen  Steinzeugdekoration  durch  ganz  Deutschland,  so  wird  man 
bei  dem  ja  heute  noch  stattfindenden  Wandervertrieb  keramischer  Erzeugnisse  das  Vorkommen 
ähnlicher  Formen  und  Techniken  in  jener  Zeit  auch  ohne  spitzfindige  Erörterungen  begreifen. 
Immerhin  mag  Nürnberg  eher  als  Köln  für  die  oben  erwähnte  Hafnerwaren  den  ersten  Ausgangs- 
punkt gebildet  haben  (s.  Abb.  2  u.  3)-  Neben  dem  in  Wels  sehr  viel  vorkommenden  gekörnten 
Grunde,  kommen  auch  gepunzte  Stücke  in  den  in  der  Gegend  gemachten  Funden  vor.    Im  weiteren 


Abb.  3.    Nürnberger  (?)  Hafenkrug  am  1550. 

österreichisches  Museum,  Wien. 

Verlauf  werden  von  einer  Reihe  weiterer  Städte  und  Märkte  meist  des  nördlichen  Oberösterreichs 
Notizen  gebracht  und  das  hiezu  gehörige  Denkmälermaterie  abgebildet.  ( Proben  in  Abb.  4  u.  5.) 
Dann  wendet  sich  die  Betrachtung  dem  Salzkammergut  zu.  Der  an  erster  Stelle  zu  nennende  Ort 
ist  Gmunden  am  Traunsee,  über  dessen  Hafnergeschichte  wir  allerdings  erst  seit  dem  17.  Jahr- 
hundert Genaueres  wissen.  Von  den  Hafnerorten  ist  Frankenberg  (ursprünglich  Zwispallen  genannt) 
und  Sitz  des  Khevenhüllerschen  Grafengeschlechtes,  weitaus  der  wichtigste.  Eine  interessante 
Hypothese  bezüglich"der  Hinwirkung  Augustin  Hirsvogels  auf  die  Frankenburger  Töpferei  knüpft 
V.  Walcher  an  die  enge  Bekanntschaft  des  Nürnberger  Künstlers  mit  dem  kaiserlichen  Kammer- 
rat Christoph  Khevenhüller.  Ins  Salzkammergut  versetzt  Walcher  auch  den  sehr  frühen,  interes- 
santen Weinkühler  der  Sammlung  Lanna  in  Prag,  auf  Grund  des  Vorkommens  desselben  Modells 


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48 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


mit  Josua  und  Kaleb  an  ein«:m  Halleiner  Ofen.  Bezüglich  der  möglicher  Weise  dem  Salzkammer- 
gut entstammenden  Wasserblase  im  Germanischen  Museum  ist  zu  bemerken,  daß  sie  auf  der  einen 
relifierten  Seite  nicht  eine  Darstellung  der  Ohrenbeichte,  sondern  Adam  und  Eva  in  einer  im  Maß- 
stab der  Figuren  und  Auffassung  von  der  anderen  Seite  völlig  verschiedenen  Auffassung  zeigt, 
ein  weiterer  Beweis,  daß  die  Hafner  ziemlich  wahllos  Model  der  verschiedensten  Provenienz  ver- 
wendeten. 

Den  letzten  Abschnitt  über  Gefäßkeramik  nimmt  Salzburg  ein,  das  in  dieser  Beziehung 
wie  auch  in  der  Ofenkeramik  in  den  behandelten  österreichischen  Kronländem  unbedingt  die  erste 
Stelle  einnimmt.  Die  Zuweisung  des  schönsten  keramischen  Werkes  der  Renaissance  der  deutschen 
Kronländer  Österreichs,  der  Zunftkachel  der  Sammlung  Figdor  nach  Salzburg  dürfte  jedenfalls 
richtig  sein,  ebenso  die  daran  anschließenden  Werke,  wenn  auch  hier,  wie  überall,  der  Verfasser 
geneigt  ist,  eine  ansprechende  Namenshypothese  wie  in  diesem  Falle  des  Thomas  Strobl  als  feste 
Tatsache  anzunehmen. 


Abb.  4.     Buntglasierte,  oberösterreichische  Feldflasche  aus  der  2.   Hälfte   des  16.  Jahrh. 

Sammlung  Figdor,  Wien. 

Den  letzten  weitaus  umfangreichsten  Abschnitt  der  geschichtlichen  Untersuchung  bildet 
derjenige  über  die  Ofenkeramik  Oberösterreichs  und  Salzburgs.  Die  Untersuchung  geht  natur- 
gemäß vom  Hohensalzburger  Ofen  aus,  den  v.  Walcher  mit  ausführlichen  Darlegungen  für  eine 
Halleiner  Werkstätte  reklamiert.  Daß  er  heimatlichen  Ursprungs  ist,  wird  heute  wohl  niemand 
mehr  in  Abrede  stellen;  aber  das  nächstliegende  wird  doch  immer  bleiben,  ihn  in  Salzburg  selbst 
entstanden  zu  denken.  Sehr  dankenswert  ist  die  Zusammenstellung  der  einheimischen  Kacheln 
vor  dem  Eindringen  der  alle  Model  der  deutschen  Gaue  nivellierenden  Vorlagen  der  Kleinmeister. 
Material  und  Art  der  Glasur  geben  späterhin  allein  noch  die  Handhaben  zu  richtiger  Bestimmung. 
Beizustimmen  ist  Walcher  wohl  in  der  Zuschreibung  des  kostbaren  Ofens  mit  den  freien  Künsten 
im  Germanischen  Museum  an  einen  österreichischen  Meister,  wogegen  die  Deutung  der  Initialen 
desselben  auf  Andre  Finkh-Wels,  schon  wegen  der  Datierung  unbedingt  abzulehnen  ist  Der 
Einfluß  der  Nürnberger  Ofenkeramik  auf  die  übrige  deutsche  und  insbesondere  die  österreichische 
wird  meines  Erachtens  von  Walcher  und  anderen  stark  überschätzt.    Die  Vorlagen,  wie  die  Model- 


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LPIX«AltIBDB]g<ffl8PRS0flariMEENJ  ^^ 

{«txdrüdklri  ideri)  rDürdl^hhxtllswaiKslwnsdni^ll«dingSj^i^lfacJ^i  ilii^'i^^  >9Pn;iciner 

tfähr^dfe3tifi]oUdl<ürabeclgs{8|)reGiieik)tu<^olleii^:9äit^iik  dimiieiid£.Asbe)Uni  Nfiim- 

Tj^^virMttterwibhtigfi  AnfschlaisH  b^n^^ir.1^adeHeEiübek)l^e^V(Bll'xldfi  ästerte^hischeil^iUififccibi 
iseschaifdidft  Bfidi^liiten^ddear,!  i^enibidkisosa^gantiärfvrvoiQiOft^  l^ottttLiäLsuMr 

iCehti(W4di^bev[afli)f  itiici^ögtictef  \yiei^eibev/deRiit^aitfZiiulalininenfaaii|r'  öasij  Mnsteidt^smit  ^lä)ing 

das  Hellersche  Epitaph  von  1542  aus  Wasserburg,  jetzt  im  Germanischen  Museum,  nidit^äihbr 
4tiu;Qndi iterivieist rhtsr;  wiejbeiidehirsidheir tad^^nnw/Sal&uigef ulOüiätleH^znrack^faiaieh ) Jakobs- 
Jprergef/iRfiliflft^  YonlifS80'j(B^zj^J^i  RosekUleim^:4iteiVi  Sistüiri  Sa>lzboTg^iltfiigeil6r^t^altf'JiBmeat^NIi■^I- 
fifM|j:T   Tjfj  litt   'jdi:? 


-ii!'.//    IM   fil  PI    ni  T-Mfl 

•  /li)'\    ifjifi  _  Iiji.nodii;^ 

Abb.  5.    Bunte  TonscIHbMl  dm<16tM)/ t]H«fiiMr^hf«ttir  tfetar'^lxl^^ 

•jvm']  ms  ^iv/t;n*3'ni  iüii  /^-Jh.  ^''  '•'-■'''S^ftllttKlii^' 'Flfc'dtyi^^'^Vi^ÄJ'  ^"'fi'^!'- ''-^  -"^  '^-f'  n^j^n^lü  fn! 

cfftV^iÄ^ieii^isi'  ^^Jr^Jdi  v^fscikitdert;  'fifr'l^ii^ht(^^g'^be^^^^^  ^^^^'  ^''  ^^^^  ''^''''^'^ 

'^^^^'^^^^^ 

Utk  emscii1ä'i:ig:en^  Ur'kundenmateriats/ soweit'  öi  ti^'  dahin  vorliei^t  seiA  XiigenVerk''gewi(imei 

abgedruQkt^OdVjenchiedenen  Hafnerordnungen  aus  den  beiden  fraglichen  Kronländem  von  hohem 
Wert.  Es  sind  dies  die  Hafnerordnung  für  die  Stadt  Steyr  von  1485,  bezw.  1628,  die  Ordnung 
des  Hafnerhandwerks  der  Stadt  Wels  von  1589,  die  Hafnerordnung  für  die  sieben  landesfürst- 
lichen Städte  Oberösterreichs  von  l65l,  die  Hafnerordnung  für  Oberösterreich  von  1669,  die  Hafner- 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationahnuseum.    1907. 


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50 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Ordnung  für  den  Markt  Frankenburg,  erlassen  vom  Grafen  Franz  Christoph  Khevenhüller  von 
1632  und  die  Salzburger  Hafnerordnung  des  Erzbischofs  Johann  Jakob  von  Khuen-Belasy  von 
1578.  Nach  derselben  Richtung  bewegen  sich  die  weiter  abgedruckten  Urkunden,  ein  Welser 
Lehrbrief  von  1535,  ein  Streitentscheid  zwischen  der  Steyrer  Hafnerzunft  und  dem  Kremsegger 
Meister  Acher  durch  den  Steyrer  Bürgermeister  1581  und  ein  Hausierverbot  für  Hafnerwaren 
in  Steyr  1628.  Trotz  der  etwas  ermüdenden  Weitschweifigkeit,  wie  sie  den  Handwerksschriften 
eigen  zu  sein  pflegen,  fällt  doch  mancher  Lichtstrahl  in  das  kleinbürgerliche  süddeutsche  Leben 
der  Zeit. 

Gleichhoch  wie  die  Bedeutung  der  wissenschaftlichen  Forschung  möchte  ich  für  Fach- 
und  Sammlerkreise  den  illustrativen  Teil  des  Werkes  stellen.  Hier  ist  einmal  an  einem  kleinen, 
scheinbar  unbedeutenden  Zweig  des  Kunsthandwerks  gezeigt,  wie  weit  wir  heute  in  der  Wieder- 
gabe farbiger  Vorlagen  gekommen  sind.  Die  farbige  photomechanische  Wiedergabe  der  Tafeln 
ist  eine  so  ausgezeichnete,  daß  diese  Abbildungen  den  höchsten  Anforderungen  für  die  stilkritischen 


Abb.  6.    Oriinglasierte  Terrine,  Salzbarg,  um  1600. 

Sammlung  Schwarz  in  Wien. 

Vergleichungen  genügen.  Die  ja  hauptsächlich  durch  die  Farbe,  weniger  durch  die  Form  wirkenden, 
hier  in  Betracht  kommenden  Hafnererzeugnisse  sind  auf  den  dreizehn  bunten  Tafeln  in  Mehr- 
farbenautotypie und  farbigem  Lichtdruck  förmlich  lebendig  geworden.  Auch  die  nicht  poly- 
chromen Lichtdrucke  geben  die  farbigen  Wirkungen  trefflich  wieder. 

Im  übrigen  hat  v.  Walcher  mit  dankenswerter  Vollzähligkeit  alles  nur  irgendwie  zur  Frage 
wichtige  Material  in  Abbildungen  gebracht,  in  nicht  weniger  als  fünfundzwanzig  Tafeln  und  140 
Textabbildungen,  so  daß  man  diese  Arbeit  gleichzeitig  als  ein  ziemlich  vollständiges  illustriertes 
Inventar  der  bis  jetzt  bekannten  Oberösterreicher  und  Salzburger  Hafnerkeramik  betrachten  kann. 

Daß  die  mit  peinlichster  Sorgfalt  durchgeführte  Arbeit  auch  typographisch  den  höchsten 
Anforderungen  entspricht,  kann  nach  dem  Gesagten  als  fast  selbstverständlich  gelten,  ebenso  das 
sorgfältige  Register  die  Benutzung  für  den  Museumsfachmann  und  Sammler  wesentlich  erleichtern. 

H.  Stegmann. 


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LITEBARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


51 


Gemälde  alter  Meister  im  Besitz  seiner  Majestät  des  Deutschen  Kaisers  und  Königs  von 
PreuBen.  Unter  Mitwirkung  von  Wilhelm  Bode  und  Max  Friedländer,  heraus- 
gegeben von  Paul  Seidel. 

Rembrandt in  Bild  und  Wort,  herausgegeben  von  Geheimrat  Dr.  Wilhelm  Bode  unter 
Mitwirkung  von  Dr.    W.    V  a  1  e  n  t  i  n  e  r.     Berlin,    Rieh.    Bong,    Kunstverlag. 

Von  den  beiden  in  jüngster  Zeit  von  dem  rührigen  Bongschen  Kunstverlage  in  den  Verkehr 
gesetzten  Prachtwerken  über  ältere  Malerei  war  das  erste  über  den  Familienbesitz  der  Hohen- 
zollem  an  älteren  Bildern  bestimmt,  als  Huldigungsgabe  anläßlich  der  silbernen  Hochzeit  des 
Kaiserpaares  zu  dienen.  Der  Gemäldeschatz  der  preußischen  Schlösser  begann  mit  der  Aus- 
stellung einer  wertvollen  Auswahl  der  von  Friedrich  d.  Großen  gesammelten  französischen  Bilder 
auf  der  Pariser  Weltausstellung  1900  die  Aufmerksamkeit  der  ganzen  gebildeten  Welt  auf  sich  zu 
lenken.  Die  vorliegende  Publikation,  welche  den  gesamten  Gemäldebesitz  des  preußischen 
Königshauses  an  künstlerisch  wichtigen  Stücke  umfaßt,  läßt  erkennen,  wie  viel  Interessantes 
und  Schönes  bei  der  in  der  ersten  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts  vorgenommenen  Über- 
führung des  Hauptteiles  des  Gemäldebestandes  in  die  königlichen  Museen  in  den  Schlössern, 
besonders  von  Berlin  und  Potsdam,  zurückgeblieben  und  bisher  der  Forschung  und  dem 
Kunstfreund  so  gut  wie  unbekannt  geblieben  ist  Neben  der  französischen  Kunst  des  18.  Jahr- 
hunderts, die  nirgends  auf  der  Welt  eine  so  quantitativ  und  qualitativ  großartige,  Vertretung 
aufweisen  kann,  haben  sich  insbesondere  auch  für  die  Kunst  Cranachs  und  Rubens  ungekannte, 
oder  doch  unbeachtete  Schätze  heben  lassen.  Der  Herausgeber,  als  Vorstand  der  Königlichen 
Kunstsammlungen,  macht  den  Leser  zunächst  mit  der  Sammlertätigkeit  des  preußischen  Königs- 
hauses bekannt,  wobei  diejenige  Friedrichs  des  Großen  an  erster  Stelle  steht,  der  nicht  nur 
die  französischen  Maler  seiner  Zeit,  sondern  auch  Correggio  und  andere  Italiener,  die  großen 
Namen,  wie  Rubens  und  van  Dyk  in  den  Kreis  seiner  großzügigen  Kunstleidenschaft  zog.  Die 
altdeutschen  und  altniederländischen  Gemälde  sind  von  Max  Friedländer,  die  Holländer  und 
Italiener  von  W.  Bode,  die  Franzosen  des  XVIII.  Jahrhundert  wieder  von  Seidel  behandelt. 
Die   Namen   dieser  ersten  Autoritäten  ihres  Faches  verbürgen  an  sich  den  Wert  des  Gebotenen. 

Die  bildliche  Ausstattung  des  Werkes  ist  eine  ganz  ausgezeichnete  und  in  den  72  Kupfer- 
drucktafeln hat  der  auf  diesem  Gebiet  ja  schon  rühmlichst  bekannte  Verlag  das  Glänzendste  zu 
so  verhältnismäßig  billigem  Preise  geleistet,  was  bisher  auf  dem  deutschen  Markte  erschienen. 
Das  gleiche  uneingeschränkte  Lob  verdienen  auch  die  noch  zahlreicheren,  zum  Teil  in  größtem 
Maßstabe  gefertigten  Autotypien. 

Das  Werk  über  Rembrandt  hat  einen  etwas  anderen  Charakter.  „Rembrandt  in  Bild 
und  Wort"  will  ein  im  Verhältnis  zu  seiner  Ausstattung  billiges  Prachtwerk  für  den  weiten 
Kreis  deutscher  Kunstfreunde  sein.  Auch  hier  stehen  in  gewissem  Sinne  die  60  Kupfergravüren 
nach  Gemälden  Rembrandts  im  Vordergrund,  wenn  sie  auch  an  Feinheit  und  Tonigkeit  an  die  des 
erstgenannten  Werkes  nicht  ganz  heranreichen.  Daß  ein  auch  in  Illustrationsfragen  so  feinsinniger 
Mann  wie  Bode  an  der  Reproduktion  der  Radierungen  und  Handzeichnungen  in  Autotypie  auf 
stark  glänzendem,  gestrichenem  Papier  Gefallen  gefunden  haben  sollte,  ist  indes  wenig  glaublich. 
Der  Text  mit  wissenschaftlicher  Gründlichkeit  und  doch  in  warmer,  leichtverständlicher  Weise 
geschrieben,  ist  eine  ganz  ausgezeichnete  Einführung  in  das  Wesen  des  dem  deutschen  Volke  so 
nahestehenden  hoUändischen^Meisters,  wie  sie  bisher  trotz  der  reichhaltigen  Rembrandtliteratur 
nicht  vorhanden  war.  H.  St. 

Miinchener  Jalirbuch  der  bildenden  Kunst.  Herausgegeben  von  Ludwig  von 
Buerkel.  Verlag  von  Georg  D.  W.  Callwey,  München.  Bd.  I  1906  und  1907 
1.    Halbband, 

Ein  seit  vielen  Jahren  gefühltes  Bedürfnis  in  Süddeutschland  war  es,  für  den  gesamten 
kunstwissenschaftlichen  Betrieb  ein  Organ  zu  schaffen,  das  für  Süddeutschland  und  speziell 
für  Bayern  dieselben  Ziele  verfolgen  solle,  wie  dies  in  Osterreich  vom  Jahrbuch  der  Kunst- 
sammlungen des  Allerhöchsten  Kaiserhauses,  in  Preußen  durch  das  Jahrbuch  der  Kgl. 
preußischen  Kunstsammlungen  geschieht  Versuche  und  Anregungen,  eine  ähnliche  Publikation 
durch  die  staatliche  Kunstverwaltung  in  die  Wege  zu  leiten,  sind  bisher  an  der  leidigen  Geld- 
frage gescheitert.     Im  vorigen  Jahre  hat  ein  jüngerer  Münchener  Kunstgelehrter,  Dr.  Ludwig 


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IS2 


fMem;i;tailfceiniirarj¥ftMinit»it)^udlr;>i5e«if>op;'  >^niQtlkUeyarhcA  lyeHiffsInlMIatalpmdfti  aner- 
]Qfimenswert«nn  jMitt  getttibt;:  die  l.Lösusi|p<<ttrr[  li^kHtigeW  uoil  .^soMvierififöivJUü^abedttunfli 
private    Initiative    zu    versuchen.     Die    Publikation,    die    zugleich  L  ias^^  öffia^eiiOrgonHode^ 

ist,  liegt  iix?^(,fi;^n^>fJahrf^i^  (;^9p^)^  ui^hii^  eiije^  i>y^t^iiep7HMttahrffb^  iÄ««i^//yiW• 
,Pff^.^^f^^?g;f^er;,;^^l^],f^j^•  gt9fi^n^,,ffVWfii,M^rstoWlW»v  fi95TÄI^i(AP?AM-.*^^tWier  Mit- 

^jtigl^,Afgl^9fWiif»iil^sfli^i!ijM.  l9*fttyHNiwWfrt?*fr,jw>Äf)lW  if^)r??|cl>fftt^hwdHifta^ 
4^,  ^i^er.ftrsfiWejiefi  r^vhWf  ,^iiw«:^f5fl,.ok^^«i  ^f)irt^.^MW»Wh^,<ver4fÄ!^ißs  „^^n%if.ÄffWBC»» 
-Art;(|d^fWWrtifi&^f4fp.l^dißß,  Är?t^,ri^i^,f^H5i*lW#rf?|,  A*)^n  fr^flWw4e%fWni}ftj(WfV 
i?UYf^l?en„  j^/  4^  Ap:di^|<^,  t)iwt; .  A*>V  ;J?Vfftw»Wrtfr  <  Wfi ;. JW(l§«M»iW9ft  J?eitl»«iPqüfw  )4ie 

*Wt^^ '*^^t.fl^a|^¥»W.H9^  ^«yHncljQfirtrAn^flM^f^,:  fW^irjf^  ^Gft«r&..H?JWPft/iWi 

.^^niMi^,^KÄfcW<>/*'^>Wb}M?^n/i*l»tik9(  j  Moi>^gie9^i;rtiuSi;..WwctoeÄf  P^v^t^^fr^ri^n^to" 

,>i9D  l!5Wl^»^rT^-MPd,,Maf,fy|^  g^riChft9>fTlo«[ßlvfrrt-.    tM>ffi^rf«>  |W»erwwJ»n(»>^r^f^,J„^J|Jf 

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^^er^.Arjbi?^jteiv,..^i^  flp^er^^fttwert}  l?(*ftr  i^t^.wenn,  jmch,n>aÄ(*»^  i|fJ,eii^ejS<:l>flife^l^rti, 
(^    «fjei^o  .gHJt/^iä^^Wg^n^t  :b*ei^WHöp|ißn^^  ?^j  to^^^PflBSÖJfei^h? 

^«|rt,|T^f)0^lj4^er![|JAHl|USk?tWft!AHSSta<ttUl^  d<^:4 

Die  Aufgabe,  die  sich  der  Herausgeber  der  neuen  ZeitSÄiWFi(t^<g§?tem;|^*ttiisfc,.4»ij#M)l 
1^1  nwiemft, JCtfi^h  und,  Jfjwifit,»^eor?^.^ßW»^,  W^sewn^fil^uf^p  iWms^^S^n^  ,iyif4»VfiiH'/ Überaus 
rtrlfl^^Jtig^  Qlp  j(i^,.4i^^'iW«jiifM:miif=gf<9te.>^^itW8Pfi^  dift.Z^kiwft 

j,fthwnr!-iPi9ni,fu8etJiftibf.4fiT  iA(yw*^ciri  v^^n^ttMWrßJ^henO«.  teHr^^mniö^^lwtiööi^fth«' 
d^  .,feig^4^9,,fie4aftift?Pj,4wtf4r|ngp»)i  )iiJpM^w^y/pt^,,^^  /i»i  Mftc«iis$A(offnfn.gfi9ii^gigin 
^tuiift^ii^>v.Us<^r>Ä9Jh,M*Mc-hAmiP/«b#H%tiftrt(n,i^h.ij^KMi»ft^:^ 

}^fld^,kjf}^kP.  flptfi^^htHngWÖfr^n  2|?JteefH)$fti§<fhft,,ISu!^JfrÄgWi;ftW5^5ph^e«j^-rt.^ 

i^K¥MrJiJif u  I^UA^  J^r.»9l.!ap4ftri?n;Ort^i>,.jf^M^4rtffi.!«^uw.:r?iirf:i^^  Üim 

^,yn^$m*hJT?»M§Piu4w  dH;f^)VÄg^,nfcW?  fmt  Wiy^rtiW/i(Q4»r,ai44f)^hi^rt/ZHfftuivi^ 

ricas,  ^n.H Amsterdam,  den  jüngst  erworbenen  Cranach- Altar  bei  StädeV>.v^i|^{,i$it|iHU^  jVfeW 
Thomas  Couture,  nicht  etwas  stark  den  Eindruck  von  künstlich  als  Lückenbüßer  heran- 
gszQgenca  I'  FüDlssli»  /msidtitn.ii '.  ^nderertfeitsJ&rlilOt  nsMKibNvbhit^bevivntoiB^  ibifi^rljtwiMn  das 
MiftncHencr  <K^iinst$aHrbuch/i^>iävkiklV  fnifih;tb#ingiend/  fOt  üaraUSgeber/  ytüz§6t  uhd>l7eiMa 
weiteren  Leserkreis  werden  soll,  der  ziemlich  exclusiv  münchnerische  Standpuhht.  defeHJWtei> 
nehmens«  dei^  skh  tm  ictwatseiiisehigbhjXrets  id^::!Aütoreti{::>ivi^  rinuddr  (vdcwiegiesidflitiSphilre 
des  Imhüfts^  klmdglbti'  äüf  eine  breitem  hwymsdat^  h^t^f^j^aüdäavi^h^^ 
Sensti  kdbnt^i  ihr  .Lau£e>  /  dto  Zeit  « die  i  iadere.  £xiäteBzbecädlti9un^  r  derv  vi^brspiedtfiidfin 
Publikation ilskttif feil  ihrefai  Sdutden'.ttttm&mn  .",^01  rir '.i  >  r.*,^f'.nfiv,;i/H./'8iteg.pii*ttfirnt> 
('o|ij -''il"i)'i  iil-ji\i\i\'i,    ';i.ij    .v.i^-fvyii'J    hfiii    •::\-A\/\\J      .1'"  ifl^/'.v  (!j"(in'frriij..  jVf'i.'/i   ii'jflO'/fJu'.iq 


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Die  fränkischen  Epitaphien 
im  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert. 


Von 
Dr.  Bdwin  F^edslotD. 

(Fortsetzung.) 


VI. 

Plastische  Epitaphien  um  die  Mitte  des  fünfzehnten 

Jahrhunderts. 

Man  müßte  den  einzelnen  Werken  der  fränkischen  Epitaphienkunst  Gewalt 
antun,  wollte  man  sie  unter  dem  Gesichtspunkt  einer  abgeschlossenen  Entwickelung 
betrachten. 

In  Städten  außerhalb  Frankens,  zumal  für  Kreu^änge  von  Domkirchen,  hat 
sich  mitunter  eine  gewisse  Tradition  in  der  Form  der  plastischen  Epitaphien  heraus- 
gestellt, die  eine  einheitliche  Behandlung  ermöglichen  würde.  In  Nürnberg  hat 
sich,  wie  es  der  Mannigfaltigkeit  der  Besteller  und  der  Verschiedenheit  der  Ver- 
wendung im  Innern  und  Äußern  der  vielen  Kirchen  entsprach,  keine  feste  Ge- 
staltung des  Epitaphs  ausbilden  können.  Die  auf  diesem  Gebiete  tätigen  Meister 
haben  neben  ihren  anderen  heiligen  Gemälden  und  Skulpturen  auch  solche 
geschaffen,  die  mit  dem  religiösen  Gehalt  den  persönlichen  Zweck  des  Gedächtnis- 
bildes verbanden,  die  aber  den  anderen  Werken  so  ähnlich  sind,  daß  ihre  gesonderte 
Behandlung  nicht  durch  vereinheitlichende  Hypothesen  zu  bequemer  Übersichtlich- 
keit gebracht  werden  kann. 

Immer  wieder  zur  Betrachtung  vereinzelt  stehender  Werke  gezwungen,  sehen 
wir,  wie  auch  für  unbedeutende  Aufgaben,  welche  kleinen  Handwerkern  übertragen 
werden,  diese  eifrigen  Meister  eine  selbständige  Lösung  erstreben.  Niemals  sind  sie  mit 
dem  Überiieferten  zufrieden;  wohl  benutzten  sie  die  erweiterten  Kenntnisse  eines 
vorangehenden  Meisters,  aber  der  nächste  sucht  sofort  seinen  eigenen  Weg  einzuschlagen. 

Daher  diese  verwirrende  Fülle  isolierter  Werke,  daher  der  Mangel  an  Tradition,  da- 
her dieser  Reichtum  lebenskräftiger  Ansätze,  die  ungenutzt  und  ohne  Nachfolge  blieben. 

Die  Unfähigkeit,  sich  einer  Überlieferung  unterzuordnen,  erklärt  aber  auch, 
warum  bei  aller  Intensität  der  Auffassung  das  Niveau  für  die  handwerklichen  Arbeiten 
so  niedrig  ist,  warum  zum  Beispiel  die  Nürnberger  Steinmetzarbeiten  hinter  denen 
der  Augsburger  Handwerker  zurückbleiben,  deren  Skulpturen  infolge  des  traditionell 
geschulten  omamentalen  Verständnisses  sich  organisch  aneinanderreihen. 


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54  DlK  FRXnKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XlV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Aus  solchen  Gründen  ist  zu  verstehen,  daß  sich  nach  den  um  1 380—1420  an 
St.  Sebald  und  St.  Moritz  entstandenen  Werken  die  Bedeutung  der  Epitaphienplastik 
für  die  Kunstentwicklung  so  schnell  verminderte. 

Als  Ausnahmeerscheinungen  sind  zwei  Werke  zu  nennen,  die  durch  ihre 
freiplastische  Gestaltung  das  Gebiet  der  Epitaphienkunst  verlassen.  Beide  Figuren 
stehen  an  St.  Sebald.  Das  erste,  der  Rietersche  Christus  (Datum 
1437)*^*),  befand  sich  ursprünglich  an  der  Sakristei  und  hat  jetzt  im  Innern,  rechts 
vom  Peterschor  seinen  Platz  gefunden.  Neben  dem  Rieterschen  Christus  war  ein 
Messingtäfelchen  mit  der  Inschrift  angebracht.  Das  zweite  Werk,  der  Schlüssel- 
felderische Christophorus  vom  Jahre  1442,  steht  rechts  vom  Portal  des 
Sebalder  Westchores'^').  Zu  der  eigentlichen  Epitaphienkunst  haben  sie  beide  keine 
Beziehung;  zumal  die  Statue  des  Christophorus  mit  ihrem  Reichtum  plastischer 
Motive  und  der  gedrungenen  Formenbehandlung  zeigt,  wie  wenig  diese  bescheidene 
Kunst  einem  frei  entwickelten  Schaffen  genügen  konnte. 

Da  es  bei  den  anderen  Epitaphien  unmöglich  ist,  sie  nach  ihrer  formalen 
Entwicklung  zu  gruppieren,  wird  sich  eine  Anordnung  nach  den  Stoffen  der  Dar- 
stellung empfehlen. 

I.Darstellungen  der  Kreuzigung. 

Bei  der  Besprechung  der  Gethsemane- Reliefs  hatte  ich  die  letzten  Werke  mit 
ihren  dicht  im  Räume  zusammengeschobenen,  untersetzten  Gestalten  als  charakte- 
ristisch für  den  Stil  der  neuen  Bürgerkunst  hingestellt.  In  ähnlichen  Formen  sind 
zwei  spätere  Reliefs  mit  der  Kreuzigung  an  St.  Sebald  gehalten,  die  eine  (1448)  für 
Hermann  Maurer  von  einem  handwerklichen  Meister,  der  mit  gesunder  Kraft  und 
fester  Faust  den  Stein  bearbeitet;  die  zweite  zur  Erinnerung  anBurckhartSemm- 
1er  (t  1463),  die  sich  in  ähnlicher  Weise  durch  kleine  gedrungene  Figuren  von  den 
Arbeiten  der  vorhergehenden  Generation  unterscheidet.  Eine  Beurteilung  des  Stiles 
im  Einzelnen  entzieht  sich  der  Möglichkeit,  da  an  der  Kirche  Kopien  angebracht 
werden  mußten,  und  die  schon  sehr  zerstörten  Sandstein-Originale  —  jetzt  in  der 
Krypta  des  Westchores  aufbewahrt  —  noch  eines  Ausstellungsraumes  harren. 
Indeß  beim  ersten  Relief  die  Stifter  in  die  Gruppe  aufgenommen  waren,  ist  bei  dem 
zweiten  die  Abteilung  für  Stifter  und  Inschrift  über  der  Hauptdarstellung  an- 
gebracht. 

Weiter  ist  die  Kreuzigung  für  Hans  Rebeck  (t  1482)  im  Witteisbacher 
Hof  des  Germanischen  Museum s^^)  zu  nennen  und  auf  Werke  in  Bam- 
berg sowie  auf  das  reich  ausgestattete  Relief  in  St.  Burkhard  zu  Würzburg 
hinzuweisen,  das  in  architektonischer  Umrahmung  spätgotischen  Geschmackes 
Christus  am  Kreuze  zeigt,  links  Maria,  von  zwei  Frauen  gehalten,  rechts  Johannes, 
darüber  den  Pelikan,  darunter  den  Löwen.  Ein  anderes,  mehr  handwerkmäßiges 
Kreuzigungsrelief  ist  an  der  Außenseite  des  dortigen  Domes  für  den  1451  ver- 
storbenen Hans  Kraft  gestiftet. 

56)  Pückler-Limpurg  S.  145-149  mit  Angabe  der  deutschen  Inschrift  auf  der  Kon- 
sole, 1757. 

57)  Wurf  fei  Diptycha  ecclesiae  Sebaldianae.  Nürnberg  1757  Seite  11,  Pückler-Limpurg 
S.  157  bis  160. 

58)  Gr.  202  mit  den  Todesdaten  1493  und  1482;  aus  dem  Nürnberger  Augustiner- 
kloster stammend. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOß.  55 


II.  Darstellungen  des  Schmerzensmannes. 
I   !     Der  alte  Hauptstoff  der    plastischen  Epitaphien    war    die  Darstellung    des 
Schmerzensmannes. 

I  '  Gern  wählte  man  ihn  oder  die  Gruppe  der  Dreieinigkeit,  wenn  das  Bild  des 
Verstorbenen  die  Hauptsache  sein  sollte.  Im  Entwurf  zum  Epitaph  Ludwigs  des 
Gebarteten  (f  1447)  im  National-Museum  zu  München ^^)  wendet  sich  der  Herzog 
betend  der  Dreinigkeit  zu.  Die  Gestalt  des  Fürsten  ist  eine  der  besten  Porträt- 
darstellungen, die  wir  innerhalb  der  Epitaphienkunst  jener  Zeit  finden :  wie  durch  ein 
Wunder  überrascht  blickt  er  auf  die  von  Engeln  umschwebte  Erscheinung.  Die  aus- 
geführte Tafel  bringt  die  Engel  und  Gott- Vater  ungeschickt  nebeneinander  gereiht 
und  trennt  den  Herzog  von  der  heiligen  Darstellung. 

^';  An  einem  Gedächtnisstein  für  Paul  Truchs  zu  Dachsbach  auf  der 
Altenburg  bei  Bamberg  steht  eine  kleine  Christusgestalt  im  Zierrat,  welches 
das  Brustbild  des  Verstorbenen  umrahmt.  In  Schwabach  an  dem  großen 
Aufbau  um  die  Freifiguren  des  Ritters  Hans  von  Waiderot  (f  1473) 
und  seiner  Frau  (f  1459)  ist  der  Schmerzensmann  unter  dem  gotischen  Baldachin 
angebracht. 

Ähnlich  angeordnet  ist  das  Epitaph  für  Joh.  von  Salfeld  in  der  Erfurter  Bar- 
füßerkirche mit  den  Todesdaten  1394  und  1400  (Größe  1,57  : 2,40)^°),  und  das  nach 
Buchner  zwischen  1410  und  1420  entstandene  Grabmal  des  Grafen  Albert  von  Kirch- 
berg in  Kapellendorf^^),  der  mit  seiner  Frau  den  Schmerzensmann  verehrt. 

Als  einige  weitere  Beispiele  dieser  meist  durch  Werke  außerhalb  Frankens  zu 
belegenden  Form  greife  ich  heraus:  mit  den  Todesdaten  1477  und  1461  das 
Epitaph  für  Daniel  von  Muderspach  zu  Limburg  an  der  Lahn:  unter  drei  reich  ver- 
zierten Spitzbogen  knieen  zur  Seite  die  Gatten,  in  der  Mitte  befindet  sich  eine  Pietä 
in  kleinen  Verhältnissen;  im  Museum  zu  Heilbronn  der  Grabstein  des  Bürger- 
meisters Berlein  (f  1472),  an  dem  die  Ornamente  der  Umrahmung  die  heiligen  Figuren 
enthalten,  ein  Typus,  der  vor  allem  an  den  Mainzer  Bischofsdenkmälern  reich  aus- 
gebildet wurde;  im  Wanddenkmal  des  Schenken  Friedrich  III.  von  Limpurg  kniet 
der  1445  Verstorbene  mit  seiner  Frau  unter  dem  von  einem  Engel  gehaltenen 
Veronika-Tuch.^^)  Aus  solchen  Grabsteinen  und  Epitaphienumbildungen  hat  sich 
dann  die  Form  des  in  großer  Architektur  aufgebauten  Renaissancewandgrabmals 
entwickelt,  welches  die  Statuen  der  Fürsten  und  Bischöfe,  meist  vor  dem  Kruzifixus 
knieend,  in  rundplastischer  Arbeit  zeigt. 

Wichtiger  für  unsere  Untersuchung  ist  es,  eine  andere  Umbildung  zu  verfolgen, 
die  sich  vom  Monumentalen  entfernt  und  die  malerische  Auffassung  der  zweiten 
Hälfte  des  vierzehnten  Jahrhunderts   zur  Geltung  bringt:  die  Umgestaltung  der 

59)  Bode  S.  192  Abbildung  des  Entwurfs:  Altertümer  des  bayer.  Herrscher-Hauses. 
1855  Kap.  II  (Tafel  8)  Abb.  d.  ausgeführten  Steines:  Gerlach  Taf.  I,  1.  Riehl,  Abhandlung 
d.  histor.  Kl.  d.  kgl.  bayer.  Acad.  d.  Wissensch.  XXIII  Bd.  I  Abt.  S  56. 

60)  Buchner  S.  86  Tettau  S.  174. 

61)  Buchner  S.  91  und  Tafel  8.  Lehfeld,  Thüringer  Kunstdenkm.  XVIII.  S.  258  nimmt 
einen  Italiener  als  Steinmetzen  an.    Dehio,  Handbuch  I  S.  154. 

62)  Kunst-  und  Altertums-Denkmale  im  Königr.  Württemberg.  Fortsg.  32—35,  1907, 
S.  632,  633. 


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56  DIE  FRÄNKISCHEN  EPHAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

einfachen  Darstellung  des  Schmerzensmannes  zu  dem  reicheren  Bilde  der  Gregors- 
Messe*®).  Das  gemalte  Zingl- Epitaph  aus  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  ward 
schon  genannt ;  bald  danach  ist  das  Wandbild  der  Gregors-Messe  in  St.  Sebald 
entstanden**). 

Plastisch  finden  wir  diesen  Stoff  im  Riet  er -Epitaph  (Todesdaten  1462  und 
1476)  imGermanischenMuseum  aus  Sandstein  gebildet.  Streng  symmetrisch 
in  gehaltener  Ruhe  knieen  Gregor  und  der  Kardinal  Bonaventura  vor  dem 
Altare;  die  zwei  Stifterfiguren  sind  mit  in  die  Gruppe  aufgenommen,  indem 
St.  Franziskus  den  in  Ordenstracht  knieenden  Peter,  St.  Klara  die  gleichfalls  in 


Abb.  8.     Epitaph  des  Peter  Rieter  und  seiner  Frau  Barbara 
(gest.  1462  und  1476)  im  Germanischen  Nationalmuseum.     Pl.-O.  191. 

Ordenstracht  knieende  Barbara  empfiehlt.  Dieselbe  Darstellung  finden  wir  in 
einem  Relief  an  St.  Sebald.  In  Bamberg  an  der  Pfarrkirche  bringt  ein 
kleines  Relief  für  Heinrich  von  Schaumberg  (f  1501)  überladen  und  unruhig 
bewegt  die  gleiche  Szene**). 

Die  Kirche  zum  heiligen  Kreuz  in  Nürnberg  enthält  ein  farbiges 
Holzrelief  als  Epitaph  der  Wolkenstein  (vom  Jahre  1496),  das  im  Geiste 
Wolgemuts  komponiert  ist  und,  seiner  Größe  entsprechend,  zugleich  als  Altar- 
aufsatz dient. 

In  der  Plastik  ist  der  Stoff  durch  jene  Reliefs  vorbereitet,  die  den  Schmerzens- 
mann von  den  Leidenswerkzeugen  umgeben  zeigen,  ein  Motiv,  das  schon  im  vier- 
zehnten Jahrhundert  aufkam,  wofür  ein  Grabstein  des  Oberdorfer  Friedhofs'*)  mit 
der  Umschrift:  ,vere  languores  nostros  ipse  tulit  et  dolores  nostros  portavit*  als 


63)  Bischof  Gregor  faßte  zuerst  das  Meßopfer  als  eine  Wiederholung  des  Opfertodes 
Christi  auf. 

64)  Traugott  Schulz  in  der  Denkmalspflege,  VI,  1904  mit  Abb.  S.  43. 

65)  Das  Relief  in  Münnerstadt  (Unter-Franken)  ist  sehr  schlecht  erhalten. 

66)  Thüringer  Kunstdenkmäler  XXVI  S.  8. 


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VON  DB.  EDWIN  REDSLOB.  57 


Beispiel  anzuführen  ist.  Die  Ausbildung  der  Komposition  aber  wurde  von  der  Malerei 
gebracht  und  ist  offenbar  in  den  Niederlanden  erfolgt,  wie  die  von  Tschudi  für 
eine  spätere  Kopie  nach  dem  Meister  von  F16malle  gehaltene  Tafel  der  Galerie  Weber 
zu  Hamburg  mit  der  Inschrift:  „Dees  tafel  was  gemaeckt  int  iaer  0ns  Heeren  MVc. 
XIV"  zu  beweisen  scheint^'). 

In  Nürnberg  tauchen,  wie  wir  sahen,  Darstellungen  der  Gregorsmesse  in  der 
Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  auf.  Weitere  Beispiele  sind  das  Bild  Wolgemuts 
für  Hans  Meyer  und  seine  Frau  (Todesjahre  1473  und  1450)  in  St.  Lorenz,  das 
große  Bild  im  Germanischen  Museum  vom  Jahre  1493,  und  die  Holz- 
schnitzerei aus  Rastatt  im  Germanischen  Museum. 

III.  Madonnenbilder. 

Spät  erst  wird  die  Madonna  auf  Nürnberger  plastischen  Epitaphien  dargestellt: 
Eins  der  schönsten  Madonnenrelief  ist  das  zierliche  Schutzmantelbild*®)  für 
Neidhard-Fugger  (nach  Mayer  gest.  1497)  an  St.  Sebald.  Schlanke  Figuren, 
schlanker  noch  erscheinend  infolge  der  leichten,  langen  Falten  der  weichen  Gewänder, 
die  in  feinem  omamentalen  Schwung  gezogen  sind,  verieihen  dem  Werke  eine  be- 
wegliche Zartheit,  die  wie  ein  Nachklang  gotischer  Formen  erscheint. 

Aus  Holz  ist  das  Epitaph  des  Friedrich  Gerung  vom  Ende  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  im  Germanischen  Museum  mit  der  in  Dreiviertelrelief  ge- 
arbeiteten M  a  r  i  a  im  Ä  hren kleide**),  das  ehemals  an  einem  Rundpfeiler 
angebracht  war. 

Ebenfalls  aus  Holz  ist  ein  flach  behandeltes  Relief  in  St.  Sebald,  das  angeblich 
vom  jungen  Michael  Wolgemut  zur  Füllung  des  Bogens  über  der  Südtüre  für  die 
schon  1356  verstorbene  Christina  Ebner  in'®)  geschnitzt  wurde  und  sich  durch 
seltene  Feinheit  und  Sorgfalt  der  Arbeit  auszeichnet.  Das  Kind  an  die  Brust 
drückend,  sitzt  Maria  auf  der  Mondsichel,  über  der  sich  der  reich  gefaltete  Mantel 
bauscht.  Über  ihr  schweben  Engel  im  Federkleide  mit  der  Krone,  zur  Seite  kniet 
die  Verstorbene.  Die  ausladende  Form  des  Bogens  ließ  ein  sorgsames  Ausbreiten 
und  Verteilen  der  brüchigen  Falten  zu,  die  dem  Werke  seinen  reichen  Charakter 
verleihen. 


67)  Friedländer:  Rep.  1903  S.  8.  Dazu,  in  der  Wiesenkirche  zu  Soest,  das  dem 
Weberschen  entsprechende  Bild,  und  die  mit  der  Gregorsmesse  verbundene  symbolische  Dar- 
stellung der  Leiden  Christi  im  Utrechter  Museum  vom  Jahre  1486.  Über  ein  Bild  der  Gregors- 
messe im  Museum  zu  Gotha :  Thüringer  Kunstdenkm.  XXVI  S.  75.  Über  den  Holzschuherschen 
Grabteppich  im  Oerman.  Mus.  vom  Jahre  1495:  Mitt.  d.  Germ.  Mus.  1895  S.  99  ff.  und  Taf.  IV. 

68)  Zur  Ikonographie  des  Schutzmantelbildes:  Lehmann  S.  210. 

69)  Zur  Ikonographie:  Thode,  S.  33,  Schulz,  Legende  vom  Leben  der  Jungfrau  Maria, 
Stephan  Beissel  in  der  Zeitschr.  f.  christl.  Kunst,  1904  XVII,  12.  J.  Graus,  Kirchenschmuck, 
XXXV,  11  1904.  Döbner:  Anz.  f.  Kunde  d.  deutsch.  Vorzeit  1870  S.  269.  Otte:  Kirchl. 
Kunst-Arch.  S.  729.  —  Auf  einem  gemalten  Epitaph  in  der  Römhilder  Stadtkirche  (Thür. 
Kunstdenkm.  XXXI,  S.  415.  Erfurter  hist.  Ausstellung  1903  No.  124)  vom  Jahre  1482  steht 
die  Ährenkleid  Jungfrau  zwischen  4  Heiligen.  Dies  Bild  scheint  vom  Meister  der  Themarer 
Altarwerke  (Stadtkirche)  gemalt  zu  sein;  es  zeigt  dieselbe  Art,  durch  gesuchte  Zieriichkeit 
und  seltsame  Haltung  die  innere  Plumpheit  zu  verbergen. 

70)  Bode:  S.  118. 

MitteilnDgen  aus  dem  german.  Nationalmoseuin.    1907.  8 


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58  DIE  FKÄNKISCHEN  EPHAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


Auch  der  Löffelholzaltar  in  derselben  Kirche  mit  Holzschnitzereien  zur 
Katharinenlegende  hat  als  Epitaph  gedient.  Nach  Bode'^)  ist  er  von  einem  Vorläufer 
der  Wolgemutschen  Werkstatt  geschnitzt  worden.    (Todesjahr  1453-) 

IV. 

Von  verschiedenen  anderen  Darstellungen  seien  erwähnt:  An  St.  Sebald  das 
Grabmal  des  Heinrich  Ketzel  (t  1438)  „mit  einer  Darstellung,  wie  die  Seelen  aus 
dem  Fegefeuer  errettet  werden'*'^)  und  an  St.  Lorenz  das  wenig  bedeutende 
Marmor- Epitaph  mit  der   Dreifaltigkeit  für  Conrad  Hörn. "8) 

Nur  sehr  vereinzelt  finden  wir  profane  Stoffe  behandelt:  in  Milbertshofen 
zeigt  das  Stein- Epitaph  des  Andreas  Keferlocher  den  Verstorbenen,  wie  er  das 
Feld  mit  einem  vierspännigen  Pflug  bestellt.'^)  Ein  Grabrelief  auf  dem  Johannis- 
Friedhof  zu  Nürnberg  bringt  die  Darstellung  einer  Buchdruckerei. ''^) 

V. 

Gesondert  von  den  anderen  Werken  muß  der  große  Stein  für  den  1485  verstor- 
benenDr.  HartmannSchedelan  der  Sebalduskirchegenanntwerden.  (Abb. 9). 


Abb.  9.     Epitaph  des  Dr.  Hartmann  Schedel  an  St.  Sebald  zu  Nürnberg. 

71)  Bode:  S.  115.    Waagen  K.  in  Deutschland  I.  S.  237. 

72 )  Rettberg :  S.  52.  -  Wegen  der  Kreuzritterabzeichen :  Vase,  Kreuz,  Rad  und  Schwert 
ist  cap.  3  zu  vergleichen.    Abbildung:  Gerlach,  Taf.  39,  2. 

73)  Renov.  1702;  näheres  Hilpert  S.  12. 

74)  Das  Grabmal  des  Theologie-Professors  Johann  Altorf  (f  1505)  in  der  Frauenkirche 
zu  Ingolstadt  stellt  im  Sinne  italienischer  Denkmale  den  Gelehrten  im  Hörsal  dar. 

75)  Abguß  im  Germanischen  Museum. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  59 


Neben  der  Bronzetafel  mit  der  lateinischen  Inschrift,^*)  kniet  unten  der  ge- 
lehrte Doktor.  Ein  Engel  schreitet  auf  ihn  zu,  ihn  zum  Reigen  der  Seligen  zu 
rufen,  die  dem  Himmelstor  entgegen  gehen,  während  auf  der  rechten  Seite  die 
Verdammten  die  Qualen  der  Hölle  erdulden.  Über  der  Inschrifttafel  erheben  sich 
drei  Auferstehende,  die  in  der  Zierlichkeit  ihrer  Gestalten  und  Gebärden  an  die 
Auferstehenden  des  Veit  Stoß  zugeschriebenen  Schwabacher  Altars  erinnern. '') 
Ist  es  doch  bezeichnend,  daß  am  Ausgange  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  die 
Steinbildnerei  häufig  mit  der  Leichtigkeit  der  Holzschnitzerei  zu  wetteifern  versucht. 
Über  dieser  Gruppe  knieen  Maria  und  Johannes,  die  sich  nach  oben  wenden, 
wo  Christus  thront;  zu  Christi  Seiten  sitzen  die  Apostel  mit  Thomas  in  großen  Ge- 
stalten, auf  mannigfach  gewundenen  Wolkenzügen  mit  reichem  Faltenwurfe  schwerer 
Mäntel  angeordnet,  in  der  Höhe  schweben  vier  Engel. 


VI. 

7.  Die    Reliefs  im   Kreuzgang   der   Stiftskirche  zu  Aschaf- 
fe n  b  u  r  g. 

Der  Einfluß  der  Nürnberger  Kunst  an  den  Grenzen  des  fränkischen  Stammes- 
gebietes ist  gering.  Das  große  Relief  der  Kreuzabnahme  und  der  Grabstein  mit  dem 
von  Maria  und  Johannes  beklagten  Schmerzensmann  für  Ren.  von  Weinsperg  in  Ans- 
bach sind  Werke,  die  schon  ihrer  Form  nach  mit  der  eigentlichen  Epitaphienkunst 
keinen  Zusammenhang  haben. 

Interessanter  wird  die  Selbständigkeit  einer  auf  die  örtliche  Tradition  be- 
schränkten Arbeitsart  bei  den  Grabsteinen  im  Kreuzgang  der  Stiftskirche  zu 
Aschaffenburg.'®)  Alle  sind  einander  verwandt  in  der  Enge  und  Fülle  der  zusam- 
mengedrängten Komposition,  welche  die  Figuren,  trotz  der  festen,  charaktervollen 
Köpfe,  trotz  der  energischen  und  gegensetzlich  gespannten  Falten  steif  und  ungelenk 
erscheinen  läßt.  Enge  Falten,  die  nur  an  den  Endigungen  in  runde  Linien  übergehen, 
parallele  Linienführung  in  Haaren  und  Gewandzügen,  gedrungene,  schwer  lastende 
Formen  und  eindrucksvolle  Köpfe  bestimmen  den  Charakter  der  harten  Stein- 
arbeiten. 


76)  Zur  Zeit  der  Humanisten  werden  die  Grabinschriften  zumeist  wieder  lateinisch 
und  in  der  Capitale  geschrieben. 

77)  Bode,  S.  126:  nach  Veit  Stoß. 

78)  Dehio:  Handbuch  d.  Kunstdenkmäler  I,  S.  18.  A.  Amrhein:  Die  Prälaten  und 
Kanoniker  des  St.  Peter-  und  Alexander-Stifts,  1882.  J.  May:  Geschichte  der  Stiftskirche 
1857.  Girstenbrey:  Festschrift  1882.  Während  des  Druckes  dieser  Arbeit  erschien  als  Nr.  V 
der  Hiersemannschen  Monographien:  Hans  Bröger,  Grabdenkmäler  im  Maingebiet.  Hier 
sind  die  Aschaffenburger  Denkmale  S.  38  ff.  behandelt,  das  Kronenbergsche  ist  auf  Tafel  16 
abgebildet. 


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50  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Es  ist  für  unsere  Betrachtung  wichtig,  wie  hier  aus  dem  Vermeiden  der  lebens- 
großen Porträtfigur  ein  eigenartiger  Grabsteintypus  sich  entwickelt,  indem  an  Stelle 
der  Figur  eine  religiöse  Komposition  tritt.  Vielleicht  ist  die  Vermutung  berechtigt, 
daß  der  niederen  Geistlichkeit  die  lebensgroße  Porträtwiedergabe  nicht  gestattet  war. 


Abb.  10.     Grabstein  für  Johann  von  Kronenber;  (gest.  1439)  in  der  Stiftskirche  zu  Aschaffenburg. 

So  entstanden  die  Mariendarstellungen  vom  Jahre  1424  und  1437,  der  Christo- 
phorus  aus  rotem  Sandstein  für  Johann  von  Kronenberg  (vom  Jahre  1439),  die 
Kreuzigung  mit  dem  Steinmetzzeichen  ^^  (1456),  der  Tempelgang  Maria  (1463), 
die  Pietä  für  Wiedewed  von  Lammerbach  (1474).  Dann  werden  die  Dimensionen 
allmählich  größer  bis  zum  Epitaph  mit  dem  heiligen  Martin  (Todesjahr  1505),  das  die 


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VON  DB.  EDWIN  RBDSLOB.  61 


Grabsteingröße  bei  weitem  überschreitet.     Erst  eine  Pietä  mit  dem  Todesjahre  1536 
bringt  die  kleineren  Verhältnisse  der  Renaissance- Epitaphs. 

Einen  Aufschluß  darüber,  warum  ebenso  wie  in  der  Malerei  auch  in  der 
Plastik  eine  bestimmte  Entwickelung  des  G^enständlichen  sich  in  der  Epitaphien- 
kunst des  fünfzehnten  Jahrhunderts  nicht  feststellen  läßt,  dürfen  wir  gerade  den 
Grabplatten  des  Aschaffenburger  Kreuzhanges  entnehmen:  die  Auftraggeber  trugen 
bei  der  Bestellung  eines  Epitaphs  vor  allem  dafür  Sorge,  daß  eine  neue  Darstel- 
lung gebracht  würde. 


vn. 

Die  Epitaphien  Wolgemuts  und  seiner  Stilgenossen. 

Als  in  der  zweiten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  Wolgemut  seine  große 
Werkstatt  in  Nürnberg  begründet  hatte,  wurden  die  gemalten  Epitaphien  meist  bei 
ihm  hergestellt.  Schematische  Arbeiten,  die  traditionelle  Typen  weiter  ausbilden, 
sind  sie  fast  alle  von  Schülern  ausgeführt,  woraus  sich  die  Unterschiede  in  Manier 
und  Tüchtigkeit  erklären.  Charakteristisch  ist,  daß  hauptsächlich  der  Verehrung 
Mariae  gewidmete  Bilder  in  dieser  Zeit  verlangt  wurden. 

I. 

Ein  holzgeschnitztes  frühes  Werk  des  Wolgemutschen  Kreises,  das  Madonnen- 
relief zu  St.  Sebald,  ist  schon  im  vorigen  Abschnitt  besprochen  worden.  Eines  der 
frühesten  Gemälde  aus  Wolgemuts  Schule,  das  Epitaph  des  Hans  Lochner  in 
St.  Lorenz  (zweite  Kapelle  rechts)  mit  dem  Todesjahr  1466,  stellt  den  Tod  der 
Maria  dar:  von  Johannes  gehalten,  bricht  sie  vor  dem  Betpult  zusammen.  Die 
Leblosigkeit  in  cJer  Handlung,  die  großen  Köpfe  mit  niedriger  Stirn,  die  schwer  auf 
dem  kleinen  Körper  hängen;  die  dunklen  Augen,  unter  deren  scharfgezogenen  Brauen 
ein  glanzloser  Blick  vergebens  sich  Bedeutung  zu  geben  versucht,  die  dicken  Nasen- 
kuppen, die  vollen  Backen  und  die  künstlich  zugespitzten  kleinen  Hände:  alles  sind 
typische  Merkmale  für  die  Figuren  der  Wolgemutschen  Werkstatt,  die  den  Eindruck 
nutzlos  in  krampfhafter  Starrheit  verharrender  Holzpuppen  hervorrufen. 

Dieselbe  Szene,  aber  in  größerem  Stil,  behandelt  das  Hallersche  Epitaph 
(Todesjahr  1487)  im  Germanischen  National-Museum  (s.  Abb.  11),  dessen 
Gruppierung  durch  den  Schongauerschen  Stich  angeregt  worden  ist.'*)  In  wahlloser 
Buntheit,  ohne  Rücksicht  auf  die  Komposition,  sind  die  vollen  Farben  an  den  dick 
gebauschten  Gewändern  verschwendet.  Die  Stilart  Wolgemuts  erkennt  man  an  dem 
phlegmatischen  Mißmut,  mit  dem  die  Figuren  an  der  Aktion  teilnehmen:  der  zusam- 
mengepreßte Mund  und  die  hochgezogenen,  eingekniffenen  Nasenflügel  sind  charakte- 
ristische Züge,  deren  Vorhandensein  sich  wohl  eher  aus  dem  für  das  Ende  des  fünf- 


79)  Thode  S.  145.  Beschr.  im  Katalog  d.  germ.  Mus.  115.  Schultz:  Deutsches  Leben 
im  14.  und  15.  Jahrhundert  S.  101,  Abbild.  S.  105.  Wölfflin.  Die  Kunst  Albrecht  Dürers 
S.  20.  Die  Abbildung  wurde  uns  aus  Dr.  H.  Schweitzer,  Gesch.  d.  deutschen  Malerei  S.  260, 
Fig.  212  von  Herrn  Verleger  Mayer  zu  Ravensburg  überlassen. 


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62  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

zehnten  Jahrhunderts  bezeichnenden,  unbeholfenen  Streben  nach  Verfeinerung  und 
Zierlichkeit,  als  aus  Wolgemuts  philiströsem  und  bösartigem  Charakter  erklären  läßt.®^) 
Eine  dritte  Darstellung  in  der  Ägi dien kir che  für  Frau  Margaretha  Tetzel 
(t  1496)  zeigt  eine  fein  geschlossene,  symmetrische  Komposition,  wodurch  sie  an 
Werke,  wie  die  Anbetung  der  drei  Könige  in  der  Wolfgangskapelle,  erinnert.    Das 


Abb.  11.    Epitaph  der  Frau  Margret  Haller  (t  M87)  von  Michel  Wohlgemut 
im  Germanischen  Nationalmuseum.  (G.  115.) 

Bett  ist  diesmal  mit  der  Längsseite  an  die  Wand  gestellt;  die  Mitte  des  Bildes  wird 
durch  die  Gruppe  des  Petrus,  der  zur  Sterbenden  schaut,  und  des  Johannes,  der  sich 
an  Petrus  lehnt,  gut  betont.  Wie  in  fast  allen  Werken  dieser  Zeit  sind  die  Stifter 
des  Epitaphs  vom  Hauptbild  getrennt. 

II. 
Ähnlich  dem  zuletzt  genannten  Epitaph  erscheint  die  Volkamersche  Gedächt- 
nistafel   mit   der   Himmelfahrt  Christi   an   der  rechten   Seite   des  Chor- 
umganges in  St.  Lorenz, ®0  und  in  diesem  Zusammenhang  ist  die  Verklärung 

80)  Lehmann,  S.  164. 

81)  Thode  S.  148. 


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VON  DR  EDWIN  REDSLOB.  63 


Christi  in  der  siebenten  Kapelle  links  zu  nennen  (nach  Hilpert  zum  Gedächtnis 
des  1500  verst.  Hans  Mayer  gestiftet),  dieThode  als  Schulbild  Wilhelm  Pleyden- 
wurff s  bezeichnet  hat.  (Hier  ist  der  Stifter  links  am  Bild  sehr  klein  angebracht.) 
Es  ist  bezeichnend,  wie  sich  nunmehr  das  Verlangen  regte,  auch  dem  Leben 
Christi  neue  Stoffe  für  die  Epitaphien  zu  entlehnen.  So  zeigt  ein  Tuch  er- Epitaph 
(Todesjahr  1485)  in  der  Sebalduskirche  die  Kreuztragung  nach 
dem  Schongauerschen  Stich,  *^)  und  die  Andachtsbilder  aus  dieser  Zeit  suchen 
immer  wieder  durch  selten  behandelte  Szenen  des  neuen  Testamentes  mit  dem  Er- 
findungsreichtum der  Kupferstiche  zu  wetteifern. 

III. 

Andere  Werke  wiederholen  den  älteren  Typus  der  für  Epitaphien  beliebten 
Nebeneinanderordnung  von  Heiligen,  den  schon  das  Ehenheimsche  Epitaph  in 
St.  Lorenz  zur  Entstehungszeit  des  Tucher-Altares  brachte.  An  die  Anordnung  dieses 
Werkes  erinnert  das  Epitaph  des  1488  verst.  Leonhard  Spengler  in  St.  Lo- 
renz ®^)  mit  Christus  zwischen  den  Heiligen  Philippus  und 
Jacobus;  ein  Bild,  das  wieder  durchaus  die  harte  und  manierierte  Gespreiztheit 
Wolgemuts  zeigt  und  besonders  an  die  vier  Altarflügel  mit  Helena,  Christoph, 
Elisabeth  und  Anna  selbdritt  in  St.  Jacob  erinnert. 

Der  Anordnung  nach  entspricht  ihm  das  Epitaph  des  Erhard  Schon  (t  1464) 
in  St.  Lorenz  mit  drei  nebeneinander  stehenden  Heiligen  auf  Goldgrund,  hinter 
denen  Engel  einen  blauen  Teppich  halten;  an  der  Staffel  knieen  der  Vater  mit  fünf 
Söhnen  und  gegenüber  fünf  Frauen  in  großen  weißen  Hauben.®*)  (Ähnlich  sind  die 
Heiligengestalten  im  Germanischen  Museum  Nr.  104  u.  105.)  Auch  das  Römhildsche 
Epitaph,  das  ich  im  vorigen  Kapitel  bei  Besprechung  der  Maria  mit  dem  Ährenkleid 
nannte,  muß  in  dieser  Reihe  aufgezählt  werden. 

Endlich  sei  im  L  o  r  e  n  z  e  r  c  h  o  r  das  R  o  s  e  n  k  r  a  n  z  b  i  I  d  für  die  1 502 
verst.  Anna  Nicolaus  Paumgärtnerin®^)  und  Hanns  Trauts^^)  heilige 
Sippe  genannt, 

Ein  Altarwerk  mit  dem  Nebenzweck  des  Epitaphs  aus  der  Wolgemutschen 
Schule  am  Ausgang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  ist  der  V  o  1  k  a  m  e  r  -  A  1 1  a  r 
in  Bamberg  (Museum)  mit  den  großen  Tafeln  der  Kreuzigung,  der 
Krönung  Mariae  und  der  P  i  e  t  ä.  Die  drei  Mitglieder  der  Volkamerschen 
Familie,  deren  Gedächtnis  die  Tafeln  gewidmet  sind,  wurden  getrennt  von  den 
Altarblättern  dargestellt;  ihre  Todesdaten  sind  148},  1494  und  1521. 

Die  Messe  des  heiligen  Gregor  in  St.  Lorenz  (4.  Kapelle 
links)  für  den  1473  verst.  Hans  Meyer  ist  eine  besonders  figurenreiche  Darstellung 
dieses  schon  besprochenen  Gegenstandes. 

82)  Waagen  K.  i.  D.  I  S.  234,  Thode  193. 

83)  Thode  S.  147,  Rettberg  S.  64,  Lehmann  S.  167. 

84)  Thode  S.  147. 

85)  Erwähnt  bei  Waagen  S.  248  und  Thode  S.  290. 

86)  Nach  Scheibler,  Vischer  Studien  364,  Thode  S.  216.  Besprochen  von  Christian 
Rauch,  Die  Trauts,  I,  S.  33  und  Tafel  8.  Rauch  bringt  auch  die  Inschrift,  ein  lateinisches 
Distichon. 


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64  DIB  FRiNKISCHBN  EPITAPHIEN  IM  XIT.  UND  XY.  JAHRHUNDERT. 

Der  Richtung  des  Peringsdörfer  Altares  ist  in  St.  Lorenz  die  für  B.  Kraft 
(ti475)  gestiftete  handwerkliche  Tafel  mit  dem  Martyrium  des  heiligen 
Dionys  anzureihen,  an  der  das  naive  Bemühen  um  die  Wiedergabe  der  Land- 
schaft besonders  hervorzuheben  ist. 


Als  Resultat  dieses  Abschnittes  läßt  sich  zusammenfassen:  mit  dem  Einfluß 
der  Wolgemutschen  Arbeitsweise  wird  die  Epitaphienmalerei  ein  Gebiet  für  Hand- 
werker; so  weit  wir  auf  Grund  der  erhaltenen  Tafeln  ihre  Leistungen  überschauen 
können,  gibt  sie,  den  anderen  Andachtsbildem  entsprechend,  die  beliebtesten  Stoffe 
der  Zeit,  die  aus  dem  Verlangen  nach  reicher  Komposition  und  Schilderung  bewegter 
Handlung  entstehen.  Gern  wird  eine  momentane  Situation  erfaßt,  so  daß  die 
Szenen  der  sterbenden  Maria  oder  des  unter  der  Last  des  Kreuzes  zusammen- 
brechenden Christus  besonders  häufig  dargestellt  werden.  Aber  von  all  den  künst- 
lerischen Motiven,  wodurch  diese  Stoffe  für  die  Zeit  vor  Dürers  Schaffen  so  bedeu- 
tungsvoll wurden,  ist  in  diesen  nüchternen  Leistungen  untergeordneter  Maler  wenig 
zu  bemerken:  für  den  flüchtigen  Blick  scheint  kaum  ein  Unterschied  zwischen 
solchen  bewegten  Szenen  und  den  kompositionslos  im  alten  Sinne  nebeneinander 
gereihten  heiligen  Gestalten  zu  sein. 

Die  Figur  des  Stifters  vertiert  an  Bedeutung.  Zu  der  veriangten  Ähnlichkeit 
hätte  die  Handwerkerarbeit  nicht  genügt,  und  das  Interesse  daran  war  vermindert, 
weil  seit  dem  entscheidenden  Schritt  Hans  Pleydenwurffs  im  Schönbom-Porträt  die 
Bildniskunst  sich  zu  selbständiger  Bedeutung  loszulösen  begann.  Dazu  kam,  daß 
infolge  der  Sitte,  den  Verstorbenen  mit  seiner  gesamten  Familie  anzubringen,  die 
Figuren  schematisch  nebeneinander  geordnet  wurden.  Es  genügte,  wenn  man  an 
dem  Bilde  abzählen  konnte,  wieviel  Frauen,  wieviel  Söhne  und  Töchter  das  Familien- 
haupt gehabt  habe.  Die  verstorbenen  Familienglieder  wurden  durch  Kreuze  über 
ihrem  Kopf  gekennzeichnet;  die  verheirateten  Töchter  erkannte  man  an  der  weißen 
Haube  einer  Ehefrau. 


vm. 

Die  plastischen  Epitaphien  im  Dom  zu  Eichstätt. 

Da  die  Nürnberger  Epitaphienkunst  nicht  zur  Ausbildung  eines  bestimmten 
Typus  gekommen  war,  ist  es  begreiflich,  daß  sie  keinen  entscheidenden  Einfluß  auf 
die  Arbeiten  benachbarter  Städte  gewinnen  konnte. 

Der  Lage  des  Ortes  entsprechend  hatte  schon  früher  in  Eichstätt®^) 
schwäbische  Art  neben  fränkischer  und  bayerischer  die  Kunstbetätigung  des  Alt- 


87)  Riehl:  Denkmale  frühmittelalterlicher  Baukunst,  spricht  über  den  Ausdruck  der  drei 
Stammeseigentümlichkeiten  in  der  Architektur,  Pückler-Limpurg,  S.  89  über  den  beginnenden 
Nürnberger  EinHuß.  Dazu:  Josephi,  Augsburger  Steinplastik  S.  96  und  Anmerkung  zu  S.  56. 
Herb:  Eichstätts  Kunst  Joseph  Schlecht:  Zur  Kunstgesch.  d.  Stadt  Eichstätt  (Vortrag  in  der 
Görrcs-Versammlung  1888).  Riehl:  Kunsthist.  Wanderungen  durch  Bayern  1888  S.  109.  Bodc 
S.  192  und  193. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  65 


mühltales  bestimmt.  So  erklärt  es  sich,  daß  auch  die  plastischen  Epitaphien, 
die  zum  Schmucke  des  Dommortuariums  am  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
ausgeführt  wurden,  in  Anknüpfung  an  Augsburger  Reliefs  entstanden  sind. 

Dem  neuen  Zwecke  des  Domkreuzganges  entsprechend,  hatte  Bischof 
Wilhelm  von  Reichenau  (1471—1496)  die  eine  Seite  des  Ganges  erweitert, 
und  ein  geräumiges,  zweischiffiges  Mortuarium  geschaffen.  In  kurzer  Zeit  wurde 
für  dessen  Ausschmückung  gesorgt,  —  sogar  Glasfenster  wurden  durch  den  Epitaphien- 
zweck gewonnen  — ,  so  daß  der  Bau  einen  einheitlichen  Eindruck  von  dem  Kunst- 
schaffen am  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  geben  kann. 

I.  Hans  Peuerlin  von  Augsburg. 

Der  Bischof  selbst  hatte  durch  einen  Künstler  des  Ortes,  der  ihm  die  Anregung 
zu  seinem  Baue  gab,  noch  im  Innern  des  Domes,  offenbar  vor  seinem  Tode,  sich  ein 
Grabmal  aus  rotem  Marmor  errichten  lassen  (Taf.  IV).  Völlig  dem  Epitaph  Bischof 
Friedrichs  von  Zollern  (t  1 505  ®®)  im  Augsburger  Dome  entsprechend,  stellt  es  vor  einem 
architektonischen  Hintergrunde  zur  Seite  des  nach  rechts  geschobenen  Kreuzes,  dessen 
Stamm  Maria  Magdalena  umfaßt,  die  Mutter  Christi  mit  Johannes  dar.  Zu  dieser 
Gruppe  tritt  von  links  Jacobus  heran,  den  reich  gekleideten,  knieenden  Bischof  em- 
pfehlend. Ein  erregtes  Empfinden,  das  aber  durch  die  feinberechnete  Geschlossenheit 
der  Komposition  gemildert  wird,  hat  das  Werk  von  innen  heraus  belebt;  es  macht 
sich  bis  in  die  gewundenen  Säulenschafte  geltend  und  bis  in  die  vielen  omamentalen 
Streifen,  welche  als  Lendentuch,  als  Spruchband,  oder  als  Gewandsäume  die  Grup- 
pierung durchspannen. 

Eine  Inschrift  nennt  uns  den  Künstler:  „Hans  Pewerlin  von  Augsburg  hat  den 
Stein  gemacht."  Wir  wissen  von  Peuerlin®*),  daß  er  bis  gegen  1508  in  Augsburg 
tätig  war,  wo  er  außer  dem  Hohenzollernschen  Grabdenkmal  auch  das  für  den  erst 
1517  verstorbenen  Bischof  Heinrich  von  Lichtenau  mit  der  Ölbergszene*®)  schuf. 
Mit  Recht  betont  Riehl  die  Vorzüge  der  Komposition  im  Augsburger  Kreuzigungs- 
relief vor  dem  Eichstätter:  Maria  und  Johannes  sind  dem  Kreuzesstamm  deutlicher 
zugewendet,  der  Heilige,  der  den  Stifter  empfiehlt,  muß  sich  nicht  mehr  so  mühsam 
•  vor  der  Säule  seinen  Platz  suchen,  und  die  freie  Bewegung  der  Figuren  wird  durch 
eine  perspektivisch  mit  mehr  Geschick  verwendete  Architektur  erleichtert. 

II. 
Im  Gegensatz  zu  den  kraftvollen  Arbeiten  Peuerleins  aus  ihrem  harten  roten 
Marmor  steht  eine  Reihe  von  Epitaphien  im  Mortuarium,  die,  verleitet  von  den  leich- 
teren Möglichkeiten  ihres  Materials,  des  im  Altmühltal  gebrochenen  weichen  Schwamm- 

88)  Nach  Braun  (Geschichte  der  Bischöfe  von  Augsburg  III,  1814  Seite  151)  zu  Lebzeiten 
des  Bischofs  entstanden.  Josephi,  Seite  80  fg.  Abbildung  Riehl,  Augsburg  S.  74  und  Gerlach 
48,  3.  Bodes  (S.  193)  Betonung  bayer.  Kunstart  bei  Wilhelms  Epitaph  scheint  infolge  des 
klar  zu  erkennenden  Zusammenhanges  mit  den  Augsburger  Werken  hinfällig  zu  werden.  Mader, 
Loy  Hering  S.  1  u.  2.    Abguß  im  German.  Nationalmuseum. 

89)  Herberger  im  Jahrbuch  d.  bist.  Vereins  f.  Schwaben  und  Neuburg  1855-  Robert  Vischer: 
Studien  zur  Kunstgesch.  1886  (Veröffentlichung  der  Augsburger  Handwerkerbücher). 

90)  Riehl:  Augsburg  S.  74  bis  76  mit  Abb.  Josephi.  Bode.  Abguß  im  German.  National- 
museum. 


Mitteilungen  lOB  dem  gennan.  Nationalmaseom.    1907. 


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66  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

kalkes,  ihr  formales  Vorbild  der  Holzskulptur  entnehmen.  Ihre  Gestalten  sind  un- 
gelenker und  werden  in  der  Steigerung  des  Empfindens  manieriert.  Dennoch  haben 
diese  Reliefs  einen  selbständigen,  der  oberfränkischen  Kunst  nahekommenden  Cha- 
rakter, so  daß  es  berechtigt  erscheint,  als  Herkunftsort  die  Werkstatt  eines  von  der 
Schnitzerei  ausgehenden  Eichst ätter  Handwerkers  zu  vermuten 

Bald  nach  1473  niuß  das  Epitaph  der  Pröbste  von  H  e  1 1  p  u  r  g»i)  entstanden 
sein.  Es  hat  drei  Todesdaten,  aber  nur  die  beiden  ersten  (1464  u.  1473)  haben  gleiche 
Buchstabenstellung  und  gleiche  Zeilenzahl;  die  dritte  Inschrift  für  den  1481  ver- 
storbenen Johannes  hat  weiter  auseinahdef  stehende  Buchstaben,  ist  also  offenbar 
erst  nach  Aufstellung  des  Werkes  gemeißelt  worden. 

Über  der  unverhältnismäßig  großen  Inschrifttafel  baut  sich  eine  zierliche  Archi- 
tektur auf:  bis  zur  Hälfte  gehen  zwei  Säulen,  die  einen  mit  Krabben  geschmückten 
und  in  einer  Kreuzesblume  endenden  Kielbogen  tragen.  Als  Abschluß  der  Seiten 
stehen  auf  den  Säulen  zwei  Fialen;  der  Platz  zwischen  den  Fialen  und  der  Kreuzes- 
blume ist  durch  eine  Arkatur  ausgenützt.  Da  unten  noch  ein  Streifen  mit  den  drei 
knieenden  Adoranten  abgeschnitten  ist,  nimmt  die  Hauptdarstellung  nur  wenig  Raum 
ein.  In  der  Mitte  steht  Gott- Vater  und  hält  vor  sich  den  leblos  zusammengeknickten 
toten  Christus.  Sein  Kopf  fällt  nach  links,  auf  der  freien  Schulter  sitzt  die  Taube 
des  heiligen  Geistes;  die  Arme  Christi  werden  von  den  zur  Seite  knieenden  Gestalten 
der  Maria  und  des  Johannes  gehalten.  Die  Formen  sind  hart,  die  Umrißlinien  be- 
wegen sich  in  ungeschickt  eckiger  Zuckung;  in  den  Falttnzügen  ist  viel  Reichtum 
erstrebt,  doch  sind  sie  in  unruhig  gegeneinander  stoßenden  Winkeln  gebrochen. 
Trotz  dieses  Zickzackspieles  in  Haltung,  Umriß  und  Faltenlinien  wirkt  das  Relief 
durch  den  strengen  Zusammenhang  der  Gruppe  mit  dem  umrahmenden  Kielbogen. 

Ähnliche  architektonische  Umrahmung,  aber  in  breiterer  Anlage  und  reicherer 
Ausführung  hat  das  Eyb- Epitaph  (letzte  Jahreszahl  1487).  (S.  Abb.  12). 
Die  Inschrift  nimmt  weniger  Platz  ein,  das  Wappen  ist  nur  einmal  und  deshalb  in 
beherrschender  Größe  in  der  Mitte  der  Schrifttafel  gegeben,  die  vier  Adoranten  knieen 
vor  Nischen.  Unter  dem  von  einem  Baldachin  abgeschlossenen  Kielbogen  steht, 
von  zwei  schwebenden  Engeln  gekrönt,  Maria  auf  der  Mondsichel,  rechts  von  ihr 
die  heilige  Barbara,  links  von  ihr,  mit  dem  Schwert,  die  heilige  Katharina. 

Dies  Relief  zeigt  am  deutlichsten,  wie  am  Ausgang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
der  Stil  der  Schnitzaltäre  Einfluß  auf  die  Steinarbeit  gewann.  So  wirken  die  drei 
Frauengestalten  wie  in  Stein  nachgebildete  Holzfiguren:  die  dicken  Köpfe  sitzen 
plump  und  ohne  Übergang  auf  dem  vollen  Halse;  die  Stirn  zeigt  jene  der  fränkischen 
Kunst  eigene  herausgewölbte  Form;  die  Brauen  sind  in  hohem  Bogen  gezogen;  die 
kleinen  Nasen  haben  klobige  Kuppen,  von  denen  eine  scharfe  Falte  zu  den  vollen, 
zugespitzten  Lippen  geht;  auf  der  Kopf  und  Hals  verbindenden  Masse  sitzt  wie  auf- 
geklebt ein  kleines  Stückchen  Kinn. 

Aus  der  Holzskulptur  ist  auch  die  ausbiegende  Körperbewegung  übertragen, 
aber  durch  die  Fülle  des  schweren  Faltenwurfs  und  des  dicken  Haares,  wie  durch 
den  engen  Zusammenschluß  der  Figuren  ist  dennoch  eine  der  Steinarbeit  entsprechende 
Geschlossenheit  der  einzelnen  Gestalt  und  der  Gruppe  erreicht.  Trotz  all  ihrer  Massig- 

91)  Abb.  Gerlach,  Tafel  39,  1. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


67 


keit  wirken  die  manieriert  bewegten  Figuren  kraftlos,  zumal  das  schwere  Ornament 
des  Rahmens  sie  niederzudrücken  scheint.  Aber  freilich,  diese  Werke  nach  den 
Einzelheiten  zu  beurteilen,  hieße  dem  Stil  des  Meisters  unrecht  tun,  der  einzig 
auf  einen  architektonisch  geschlossenen  Eindruck  hinarbeitet  und  mit  der  reichen 
Farbwirkung  seiner  kräftigen  Bemalung  rechnet. 


Abb.  12.   Eybsches  Epitaph  im  Mortuariutn  des  Domes  zu  Eichstätt. 

Das  dritte  Werk,  das  Seckendorf-Epitaph,  zeigt,  wie  diese  von 
der  Holzskulptur  bedingte  Stilrichtung  sich  mit  dem  Einfluß  des  unterdeß  von 
Peuerlin  gearbeiteten  Reichenau- Epitaphs  auseinandersetzt.    Da  die  letzte  seiner  vier 


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68  D»  FRlNKISGHEN  EPITAPHIBK  Df  XIY.  UND  XV.  JAHRHÜNDEBT. 

Inschriften  (1505)  mit  ihren  dickeren  Buchstaben  einen  späteren  Zusatz  erkennen 
läßt,  dürfte  es  nach  dem  Tode  des  Johannes  von  Seckendorff  (1490)  entstanden  sein, 
also  in  der  Zeit  des  Reichenau-Denkmals.  Dargestellt  ist  zwischen  Maria  und 
Johannes  der  Gekreuzigte,  dessen  Blut  drei  kompliziert  bewegte  Engel  auffangen. 
Maria  und  Johannes  zeigen  die  gedrungenen,  schwerfälligen  Formen  und  die 
massige  Gewandbehandlung  mit  den  zackig  geknickten  Faltenmassen,  die  bei  den 
heiligen  Frauen  des  Eyb-Epitaphs  an  Halbreliefs  aus  Holz  denken  ließen.  Doch  sind 
diese  Eigentümlichkeiten  hier  weniger  ausgesprochen,  denn  gleichzeitig  hat  sich  der 
Verfertiger  dieses  Epitaphs  bemüht,  seinen  Gestalten  etwas  von  der  derben  Kraft 
Peuerlins  zu  geben. 

Das  vierte  Werk  dieser  Reihe  hat  Bischof  Wilhelm  von  Reichenau  1493 
dem  Andenken  zweier  geistlicher  Würdenträger  seines  Geschlechts  errichten  lassen. 
Noch  mehr  im  Anschluß  an  die  Holzskulptur  ist  hier  die  feste,  der  Steinplatte  ent- 
sprechende Umrahmung  in  Zierrat  aufgelöst:  zur  Seite  stehen  auf  einer  Säule  und 
unter  einem  Baldachin  die  Heiligen  Richard  und  Wunibald,  oben  ist  zwischen  fein 
durchbrochenem  Rankenwerk  in  drei  Einzelfiguren  das  Mart3a'ium  des  heiligen 
Stephan  gebracht.  Besonders  geschickt  ist  die  Figur  des  linken  Schergen  unter  einen 
den  Aufbau  durchschneidenden  Gewölbeansatz  komponiert:  er  ist  niedergekniet, 
um  seine  Armbrust  zu  spannen.  Als  Hauptfigur  steht  unter  der  altarartigen  Be- 
krönung  zwischen  Willibald  und  Waldburg,  den  Schutzheiligen  des  Hochstifts, 
Maria  mit  dem  Kinde,  über  ihrem  Haupt  halten  zwei  schwebende  Engel  die  Krone. 
Die  Gesamtanordnung  wirkt,  zumal  .  heute  bei  der  schlechten  Erhaltung  der 
Farben,  weniger  geschlossen,  als  bei  den  anderen  Werken:  es  widerspricht  dem  Stil 
des  Steinreliefs,  den  Grund  der  Platte  aufzugeben  und  Figuren  und  Ornamente  einzeln 
in  die  Wand  zu  fügen,  wie  es  bei  größeren  Holzschnitzwerken  aus  Gründen  des  Ma- 
terials bedingt  ist.  Doch  die  Einzelheiten  sind  in  Anlehnung  an  Augsburger  Reliefs»«) 
feiner  und  gewandter  gegeben,  als  bei  den  anderen  Werken  dieser  Gruppe:  die  Ma- 
donna zeigt  schon  die  etwas  inhaltlose,  aber  zarte  und  ruhige  Gesichtsbildung  und 
den  weich  und  voll  veriaufenden  Faltenwurf  Loy  Heringscher  Figuren. 

Diese  Stiländerung  ist  durch  Einflüsse  bestimmt,  die  wiederum  ein  schwäbischer 
Meister  vermittelte. 

III. 

In  der  Zeit  um  1490  war  im  Inneren  des  Domes  der  Pappenheime r- 
Altar**)  (Taf.  V)  entstanden,  der  mit  dem  Kultzweck  die  Epitaph- Bestimmung 
für  drei  Mitglieder  und  einen  Verwandten  des  gräflichen  Geschlechtes  verbindet, 
die  dem  Eichstätter  Kapitel  als  Domherrn  angehört  haben. 

Wenn  schon  die  um  das  Eyb-Epitaph  sich  gruppierenden  Werke  in  ihren  Ge- 
stalten von  dem  Stil  der  Holzskulptur  beeinflußt  waren,  so  will  der  Pappenheimer 
Altar,  ähnlich  dem  Hochaltar  der  Martinskirche  zu  Landshut,  geradezu  einen 
großen  Schnitz-Altar  ersetzen.     Er  mißt  mit  dem  Altartisch  über  zehn  Meter 


92)  Man  vergleiche  etwa  das  Freiberg- Epitaph  (Schröder  Nr.  392)  vom  Jahre  1474. 

93)  Bode,  S.  192.  Herb  mit  Abb.  auf  S.  35.  A.  Hämmerte:  D.  Pappenheimer  Altar,  Wiss. 
Beil.  d.  K.  Gymn.  zu  Eichstätt,  1906  bei  Seitz,  mit  besonders  ikonographisch  eingehender  Be- 
schreibung und  mehreren  Abbildungen.  Über  den  Landshuter  Altar:  Haack,  Gotische  Archi- 
tektur und  Plastik  der  Stadt  Landshut.    Münchener  Diss.   1894  S.  62  bis  64. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  ÖO 


Höhe;  neben  dem  Altarblatt  waren  bewegliche  Flügel  aus  Holz;  als  Bekrönung 
trägt  er  einen  schlanken  Aufbau  von  steinernen  Fialen;  in  diesem  Aufbau  stehen 
elf,  in  den  Laibungen  zehn  Figuren,  an  der  Predella  knieen  vor  Nischen  zu  Seiten  der 
Inschrift  die  vier  geistlichen  Herren.  In  einem  ähnlichen  Sinne,  wie  bei  den  Kraft- 
schen  Sakramentshäuschen,  ist  der  Versuch  gemacht,  die  Härte  des  Steinmaterials 
zu  überwinden  und  die  Zierlichkeit  geschnitzter  Holzornamentik  zu  erreichen. 

Der  feinen  Gliederung  des  Rahmens  entspricht  die  Ausführung  des  Altar- 
blattes. Aus  einer  figurenreich  übereinander  angeordneten  Menschenmenge  ragen  die 
drei  Kreuze  heraus.  Mit  echt  schwäbischer  Eigenart  ist  die  Haupthandlung  durch 
eine  Fülle  freudig  und  gewandt  erzählter  Einzelmotive  übertönt.  Links  raufen  sich 
gelenke  Kriegsknechte  um  die  Kleider  Christi,  hinter  ihnen  sieht  man  Maria  zu- 
sammenbrechen, über  dieser  Gruppe  drängen  sich  Schergengestalten,  zur  Seite  des 
Kreuzes  hält  auf  seinem  Pferde  Longinus,  im  Begriff,  mit  Hilfe  seines  Knechtes  die 
Lanze  in  die  Seite  des  Heilands  zu  stoßen,  um  sich  durch  das  Blut  Heilungzu  verschaffen. 
Auch  rechts,  unter  dem  Kreuze  des  bösen  Schachers,  herrscht  dichtestes  Gedränge: 
oben  entspricht  der  Gruppe  der  linken  Seite  die  Menge  der  spottenden  Juden  und 
der  Kriegsknechte,  nur  vorne  staut  sich  die  Bewegung  an  den  in  breitspuriger  Ruhe 
verharrenden  Urteilsvollstreckern. 

Der  Zusammenfügung  des  Altarblattes  aus  zwei  Teilen  entsprechend,  nimmt  die 
Schar  der  um  das  Kreuz  Versammelten  genau  die  untere  Hälfte  ein.  Hoch  in  die 
obere  Hälfte  hinauf  ragen  die  drei  Kreuze,  hinter  denen  sich  die  Felsen  mit  den  ge- 
wissenhaft zur  Darstellung  gebrachten  Gebäuden  Jerusalems  türmen.  Den  Ab- 
schluß nach  oben  bilden  rhythmisch  bewegte  Fialen,  die  weit  über  das  Altarblatt 
hinausragen. 

Ist  der  Pappenheimer- Altar  seiner  Größe  und  Form  nach  kaum  noch  als  Epitaph 
anzusehen,  so  wird  er  doch  innerhalb  unserer  Betrachtung  wichtig,  weil  sich  ihm 
zwei  andere  Werke  schwäbischer  Stilart  anreihen. 

Gleiches  Verständnis  für  die  Beweglichkeit  der  Körperformen,  gleiche  Vorliebe 
für  enganliegende  Bekleidung  des  ausgehenden  fünfzehnten  Jahrhunderts,  welche 
die  Elastizität  der  Gliedmaßen  besonders  hervorhebt,  gleiche  künstlerische  Kraft, 
die  auch  im  Ornament  Rhythmus  und  Leben  ausdrückt,  und  die  gleiche  taktvolle 
Zurückhaltung,  die  trotz  aller  Fülle  der  Einzelformen  die  geschlossene  Wirkung  nie 
außer  Acht  läßt,  zeichnen  die  S  t  e  i  n  i  g  u  n  g  des  h  1  g.  Stephan  für  den 
Chorherren  Karl  von  Wippfeld  (t  1499)  aus.®*)  Zuckendes  Leben  ist  in  allen 
Muskeln  des  Gefesselten  zu  empfinden,  neben  dem  an  jeder  Seite  die  trefflich  zur 
Gruppe  vereinten  Gestalten  der  Richter  und  Henker  stehen;  der  Baldachin  ist  reich 
ornamentiert;  in  der  unteren  Hälfte  ist  in  der  Anordnung  des  Wappens  und  der 
beiden  Betenden  die  Dreiteilung  der  Hauptgruppe  wiederholt.  Ganz  unten  befindet 
sich  die  Inschrift,  welche,  wie  an  allen  Reliefs  des  Mortuariums,  in  lateinischer 
Sprache  verfaßt  ist. 

Freier  und  leichter  in  der  Anordnung  ist  das  Wolfersdorf-  Epitaph 
(Todesdatum  1505),   das   in   der  Mitte  einer  dreiteiligen  Rundbogenordnung   die 


94)  Abb.  O.  Gerlach  Tafel  39. 


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70  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 

Madonna  zeigt.  Rechts  schreitet  der  heilige  Christophorus  heran.  Die 
Gruppe  der  Madonna  und  des  in  gleicher  Größe  vor  ihr  knieenden  Stifters  ist  da- 
durch abgesondert,  daß  zwei  Engel  innerhalb  der  beiden  linken  Bogen  einen  Vor- 
hang ausspannen.  Das  Christuskind  ist  stark  verstümmelt,  offenbar  hatte  es  eine 
ähnliche  Stellung,  wie  das  Kind  des.Klieberschen  Epitaphs  der  Anna  selbdritt  vom 
Jahr  i498  im  Augsburger  Domkreuzgang  (Schröder  Nr.  32).  Auch  die  Hand  der 
Mutter  zeigt  dieselbe  Feinheit;  und  die  massige,  in  weiten  runden  Falten  sich  stauende 
Gewandbehandlung  ist  beiden  Reliefs  gemeinsam.  Die  junge  Maria  mit  der  zierlichen 
geraden  Nase  und  den  dicken  Backen,  mit  dem  feinumsäumten  Gewand,  das  einen 
schlanken  Körper  umschmiegt,  und  mit  dem  langen,  in  einzelnen  gewellten  Strähnen 
herabfließenden  Haar  erscheint  auf  beiden  Werken  als  dieselbe  Gestalt.  Da  auch 
das  Gefühl  in  der  Anordnung  entsprechend  ist,  dürfen  wir  wohl  annehmen,  daß  das 
kleine  Wolf ersdorf- Epitaph  von  einem  Augsburger  Künstler  geschaffen  ist,  der 
vorher  das  Kliebersche  Relief  gearbeitet  hat. 

Im  i6.  Jahrhundert  hatte  Eichstätt  am  Hofe  seiner  Bischöfe  einen  Künstler, 
der  die  unter  Wilhelm  von  Reichenau  gepflegte  Tradition  fortsetzte:  den  Schüler 
Peuerlins,  Loy  Hering»»),  dessen  Werke  dem  Stile  nach  bereits  der  Renaissance- 
Kunst  angehören  und  Peuerlins  Absichten  zur  Vollendung  bringen. 


IX. 

Die  Epitaphien- Kunst  am  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  und 
ihre  Überleitung  in  die  Renaissancezeit.  *^) 

Im  Gegensatz  zur  vereinheitlichenden  Kunstauffassung  der  CJotik  betonte 
die  Renaissance  die  Selbständigkeit  der  verschiedenen  Kunstarten  und  suchte  die 
künstlerischen  Aufgaben  nach  den  Stilbedingungen  zu  lösen,  die  Material  und  Arbeits- 
art mit  sich  brachten.  Auch  innerhalb  der  einzelnen  Kunst  verlangte  man  nach 
Trennung  der  verschiedenen  stofflichen  Gebiete,  so  daß  die  naive  Verbindung  von 
Andachtsbild  und  Porträt,  welche  die  Form  des  Epitaphs  bedingte,  als  wider- 
spruchsvoll erkannt  wurde. 

95)  F.  Mader:  Loy  Herings  Epitaphien  in  Unterknöringen,  Christi.  K.  1904,  69.  Jahrg. 
F.  Mader:  Loy  Hering,  München,  1905.  Henner,  Altfränkische  Bilder,  1899,  1900,  1904.  Über 
Loy  Herings  Beziehungen  zu  Eichstätt  vgl.  in  Maders  Monogr.  S.  2  bis  5-  Danach  hat  Loy  Hering 
von  etwa  1513  bis  nach  1554  in  Eichstätt  gelebt  H.  Graf.  Ztschr.  d.  Münchener  K.-Gew.  V.  1886, 
S.  777.  Repertorium  XI  u.  XXX. 

96)  Auf  handwerkliche  Werke  gehe  ich  in  diesem  Schlußkapitel  nicht  mehr  ein.  Genannt 
sei  in  St.  Jakob  (Lösch  S.  31)  das  jüngste  Gericht  für  Hans  Murr  (t  1512)  schon  1570,  dann  1693 
übermalt;  dazu,  mit  demselben  Todesjahr,  das  Epitaph  für  die  Familie  Gewandtschneider  mit 
der  Auferstehung.  Stofflich  interessiert  hier  die  bei  Epitaphien  damals  noch  ungewöhnliche  Todes- 
allegorie, eine  Anordnung  von  Schädel,  Blumenkranz  und  Inschriftband:  vanitas  vanitatum  et 
omnia  vana.  Auch  ein  1480  entstandenes  Straßburger  Epitaph  hatte  eine  Todesallegorie:  Es 
„bestand  aus  einem  viereckigen  Stein  mit  drei  Totenköpfen.  Darüber  war  ein  Gemälde,  das  auf 
einer  Seite  einen  Engel  mit  einem  Stundenglase,  auf  der  anderen  die  Darstellung  des  Todes  mit 
dem  Schachspiel  zeigte:  Ich  sag  es  dir.  es  ist  daran,  Du  sollt  tötlichen  Schach  matt  han!"  Leit- 
Schuh,  Straßburg  Seite  86. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  71 


I. 

In  Schäufelein s»')  Epitaphien  kann  man  diesen  Vorgang  verfolgen. 
Werken  wie  dem  großen  Wolgemutschen  Marientod  verwandt,  geben  sie  den  Stifter- 
bildnissen geringe  Bedeutung.  Ohne  Freude  an  der  Beobachtung  individueller  Züge 
sind  sie  auf  einer  besonderen  Staffel  untergebracht,  oder,  in  Übereinstimmung  mit 
Albrecht  Dürers  Paumgartner-Altar,  klein  und  bedeutungslos  im  vordersten  Grunde 
aufgestellt,  sodaß  der  Blick  über  sie  hinwegsieht,  wie  über  die  Grasbüschel  am  Rande 
eines  Bildes.  Dafür  nimmt  Schäufelein  inhaltlich  gern  auf  die  Bedeutung  als  Grab- 
mal Bezug:  Gruppen,  in  denen  er  ähnliche  Probleme,  wie  sie  Dürer  nach  dem  zweiten 
venezianischen  Aufenthalt  beschäftigten,  mit  der  Geschmeidigkeit  seiner  schwäbischen 
Überlieferung  zu  lösen  scheint,  indem  er  flau  und  weichlich  die  kubischen  Schwierig- 
keiten verwischt,  geben  in  leuchtenden,  breit  über  weite  Flächen  verbreiteten  Farben 
die  Szene  des  Abschieds  Christi  von  der  Mutter  (Epitaph  der  Anna  Brigels, 
gest.  1515)  oder  die  Beweinung  vor  dem  Kreuz,  oder  (für  Jörg  Brigels, 
gest.  1521)  die  Krönung  der  Maria.  (Alle  in  der  Georgskirche  zu  Nörd- 
1  i  ngen.) 

Bei  Hans  von  Kulmbach  sind  die  Formen  härter  und  sorgsamer 
durchgebildet,  aber  auch  er  will  —  wonach  Dürer  so  mühevoll  rang  —  leicht  und 
elegant  wirken.  Daher  zieht  er  die  Glieder  in  die  Länge,  spielt  mit  den  Endigungen 
der  faltigen  Gewänder  und  sucht  die  scharfe  Einzelarbeit  durch  konzentrierte  Licht- 
wirkung zu  mildern.  Für  die  kleineren  Stifterfiguren  schafft  er  sich  durch  Engel 
die  Verbindung  mit  der  Hauptgruppe.  (Krönung  der  Maria  in  Wien,  Gem.-Gal. 
Nr.  14)8.) 

Als  das  vollendete  Beispiel  für  die  andere  Entwicklungsrichtung,  welche  die 
Porträtfigur  als  gleichberechtigt  in  die  Darstellung  aufnimmt,  ist  Hans  Hol- 
beins am  Anfang  der  zwanziger  Jahre  gemalte  Madonna  des  Bürgermeisters  Meyer 
im  Großherzogl.  Schloß  zu  Darmstadt  zu  nennen.  Ihrem  Gehalt  nach  aus  dem  alten 
Schutzmantelbild  entstanden,  bedeutet  sie  in  der  wunderbaren  Vereinigung  der 
Gottesmutter  mit  den  sechs  mittelalterlichen  Gestalten  die  Vollendung  der  Bildform, 
die  von  der  Epitaphienkunst  geschaffen  wurde. 

Als  Allegorie  auf  die  Entsündigung  der  Menschheit  durch  Christi  Opfertod 
steht  Lucas  Cranachs»«)  Altarbild  der  Stadtkirche  zu  Weimar  in  Be- 
ziehung zu  den  alten  Blutkelterdarstellungen.  Aber  trotz  des  gedanklichen  Auf- 
wandes bekommt  es  seinen  Wert  durch  die  Gestalt  Doktor  Martin  Luthers:  wahrer 
und  zwingender  als  die  gelehrten  Deutungen  bringt  das  einfache  Bildnis  des  Re- 
formators die  Größe  und  den  Sinn  des  Protestantismus  zum  Ausdruck:  in  der  Malerei 
hat  die  Porträtdarstellung  das  Erbe  der  Epitaphienkunst  angetreten. 


97)  Schaffners  Epitaphien  sind  in  der  Monographie  des  Grafen  Pückler-Limpurg  (bei  Heitz, 
1899)  behandelt. 

98)  Als  Werk  Cranachs  des  Älteren  möchte  ich  auch  das  Epitaph  für  Ursula  Meienburg 
(1529),  als  solches  Cranachs  des  Jüngeren  das  für  Michael  Maienburg  (1555),  die  Auferweckung 
des  Lazarus  in  Gegenwart  der  Reformatoren  und  der  Familie  Meienburg,  beide  Werke  in  der  Bla- 
sien- Kirche  zu  Nordhausen,  nicht  unerwähnt  lassen. 


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72  DIE  FRANKISCHEN  KPITAPHIKN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT. 


II. 

Aus  den  plastischen  Grabdenkmälern  hat  sich  das  Epitaph  entwickelt.  War 
es  in  der  Malerei,  die  ihrem  Wesen  nach  den  monumentalen  Aufgaben  der  Grabkunst 
widerspricht,  nie  zu  einem  abschließenden  und  aus  sich  heraus  entwicklungsfähigen 
Typus  gelangt,  so  ist  die  plastische  Behandlungsart  einheitlicher  und  darum  auch 
lebensfähiger  gewesen»»).  In  Nürnberg  erlebte  die  Epitaphienkunst  ihre  Vollendung 
in  den  Schöpfungen  von  Adam  Kraft  und  Peter  Vischer. 

Adam  Kraft  hatte  sich  mit  den  sieben  Stationen  der  Kreuztragung  einen 
festen  Stil  erarbeitet,  der  in  seiner  Nebeneinanderreihung  gedrungener  Figuren  die 
einfachste  Komposition  brachte  und  die  bestimmte  Herausbildung  der  Einzelgestalt 
als  entscheidend  betonte. 

Seine  Epitaphien*^'')  sind  später  entstanden,  als  er,  hindurchgegangen  durch 
eine  Zeit,  da  er  brüchige  Falten  und  gebogene  Gebärden  liebte,  den  gedrungenen  Stil 
seiner  Anfangsjahre  mit  reichem,  ornamental  wirkungsvollem  Schwung  zu  beleben  ver- 
mochte und  immer  verinnerlichter  die  Ausdruckskraft  seiner  Köpfe  durch  Einfach- 
heit und  Konzentration  zu  steigern  begann.  So  vereinigen  sie,  wie  es  der  Sinn  des 
Epitaphs  bedingt,  dekorative  Anordnung  und  inneren  Gehalt. 

Die  Pergerstörffersche  Gedächtnistafel  in  der  Frauenkirche 
zu  Nürnberg,  zwischen  i498  und  1499  gestiftet,  bringt  in  reicher,  oben  durch 
einen  Baldachin  zusammengeschlossener  Ornamentik  die  Gnadenmutter,  über  deren 
Haupt  Engel  die  Krone  tragen.  Zwei  andere  halten  schwebend  die  rundgebogenen 
Falten  des  Mantels,  unter  dem  links  die  typischen  Vertreter  der  Christenheit,  rechts 
die  Angehörigen  der  Pergerstörfferschen  Familie  knieen.  Die  Mittellinie  wird  unten 
durch  das  Postament  der  Maria  betont. 

Um  1500  entstand  das  Rebecksche  Epitaph  derselben  Kirche  mit  der  Krönung 
der  Maria,  dessen  Anordnung  der  Veit  Stoßschen  Schnitzerei  im  Germanischen  Museum 
verwandt  ist^oi).  im  Schutzmantelbild  wurde  die  Gliederung  der  Komposition  durch 
den  Unterschied  der  scharf  herausgebildeten  Falten  bei  der  Madonna  und  den  Engeln 
und  der  weicheren  Gewandbehandlung  bei  den  kleinen  Gestalten  unter  dem  Mutter- 
gottesmantel bestimmt:  hier  faßt  die  einheitliche  Durchbildung  die  Kompositions- 
gruppe fest  zusammen,  trotzdem  die  Zacken  und  Spiralen  der  Falten  im  einzelnen 
viel  unruhiger  gegeben  sind. 


99)  Für  Augsburg  gibt  die  Schrödersche  Arbeit  die  Übersicht  über  die  Werke  der  Renaissance. 
Über  die  Fuggergrabdenkmäler  (Abb.  in  Riehls  Augsburg  S.  78  u.  79),  zu  denen  Dürer  das  Dipty- 
chon der  Philisterschlacht  und  Auferstehung  entworfen  hatte  (Berlin  und  Albertina),  vgl.  Vischers 
Studien  S.  583  fg.  Von  Graf  (Ztschr.  d.  Kg.  V.  München,  1886,  S.  77  f.)  u.  Mader,  (S.  35  fg.)  werden 
alle  vier  Reliefs  Loy  Hering  zugewiesen.  Über  Hans  Daucher:  neben  Bodes  Aufsatz  1887  im 
VIII.  Bd.  des  preuß.  Jahrbuchs,  G.  Habich  in  Helbings  Monatsberichten  III,  1903  mit  Abb.  von 
Grabsteinen  u.  Wiegands  Monographie  1903. 

100)  Über  das  Schrey ersehe  Grabdenkmal  an  St.  Sebald  vergl.  Gümbel,  Rep.  1892  und 
(mit  den  Abbildungen)  die  letzte  eingehende  Untersuchung  in  Dauns  Monographie. 

101)  Dauns  Veit  Stoß-Monographie.  In  großer  Abb.  in  der  Dehio-Bezoldschen  Publikation 
deutscher  Skulpturen  in  Wasmuths  Verlag  1906  II.  Liefg.  Diesem  Relief  entspricht  das  rund- 
gebogene Fichtenholz- Epitaph  für  Konrad  und  Katharina  Imhoff  im  Nationalmuseum  zu  München. 
(Todesdaten  1486  u.  1494  Daun,  Veit  Stoß  1903).  Abb.  im  VI.  Katalog-Band  S.  XXIV.  Be- 
Schreibung  S.  43  Nr.  679,  S.  42  u.  43  mit  Abb.  Fig.  20. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLÜB. 


73 


Das  Landauer  Grabmal  der  Ä  g  i  d  i  e  n  k  i  r  c  h  e  (i  503  vollendet) 
bringt  die  drei  Figuren  der  Krönung  als  gesonderte  Gruppe,  indem  die  archi- 
tektonische Anordnung  das  Relief  in  drei  Teile  zerlegt.  Unten  setzt  sich  diese  Glie- 
derung fort:  in  der  Mitte  sind  singende  und  musizierende  Engel,  links  kniet  die 
Christenheit  des  Peterstorff  -  Epitaphs,  rechts  eine  Gruppe  von  Stifterfiguren,  fein 
beobachtet  mit  ihrer  eigentümlich  zurückgeworfenen,  stolzen  und  zuversichtlichen 
Kopfhaltung;  leider  sind  sie  schlecht  erhalten 


In  den  ein  wenig  konventionellen  Erztafeln  Peter  Vischers^®*)  erhielt  die 
Stifterfigur  wieder  größere  Bedeutung.  Am  meisten  im  Zusammenhang  mit  gotischer 
Tradition  steht  noch  das  Relief  auf  der  Vorderseite  des  Grabmals  für  F  r  i  e  d  r  i  c  h 
Casimir  im  Dom  zu  Krakau,  das  den  von  St.  Stanislaus  und  St.  Pie- 
trovin  geleiteten  Cardinal  im  Gebet  vor  der  Madonna  abbildet  (1500),  und  in  der 
Schloßkirche  zu  Wittenberg  das  Gedenkbild  Henning  Godens 
(1521)  mit  der  Krönung  Mariä^os).  Die  Rundbogenumrahmung  leitet  perspektivisch 
in  die  Hauptdarstellung  über,  vor  ihr  kniet  der  Stifter,  rechts  drängen  sich  musi- 
zierende Engel  vor. 

In  dem  perspektivischen  Architekturhintergrund  und  den  gewandten  Renais- 
sanceformen zeigt  die  Tuchers  che  Tafel  im  Regensburger  Dom  (Todes- 
jahr 1521)  und  die  entsprechenden  Tafeln  im  Münchener  Nationalmuseum 
und  im  Erfurter  Dom,  wie  das  humanistische  Stilideal  sich  immer  reiner  und 
gefälliger  ausbildete.  Nach  Dauns  Dariegung  ist  die  Begegnung  mit  dem  kananitischen 
Weibe  dargestellt.  Der  Stifter  ist  bei  diesen  mehrmals  gegossenen  Tafeln  weg- 
gelassen. Für  die  Person  des  Stifters  ist  die  Erztafel  des  Anton  Kreß(tl5l3) 
in  St.  Lorenz  zu  Nürnberg  hergestellt,  deren  Gegenstück  Hans  Vischer 
für  H  e  k  1 0  r  P  o  e  m  e  r  (t  1541)  arbeitete,  ohne  die  zarte  und  graziöse  Arbeit 
der  Kreß'schen  Platte  erreichen  zu  können.  In  Renaissancenischen  knieen  die 
Prälaten  vor  dem  Altar;  aus  dem  Gekreuzigten,  der  früher  die  Anordnung  des 
Bildes  bestimmt  hätte,  ist  ein  kleines  Kruzifix  geworden;  das  Verhältnis  der  beiden 
Darstellungselemente  hat  sich  zu  Gunsten  der  Bildnisfigur  umgedreht. 

III. 

Damit  ist  das  Renaissance- Epitaph  ausgebildet:  die  Malerei  schafft  nur  noch 
selten  Gedächtnistafeln,  die  Plastik  kehrt  zu  der  Aufgabe  zurück,  der  die  Grabkunst 
ihre  Entstehung  verdankt.  Immer  häufiger  werden  die  Reliefs  mit  dem  Brustbild 
des  Verstorbenen^®*)  und  neben  Werken,  die  büstenartig  die  obere  Hälfte  eines 
Grabsteins  bringen,  entwickelt  sich  als  maßgebender  Typus  die  Vollgestalt  des  vor 
dem  Kruzifix  Knieenden. 


102)  Die  Vischer- Literatur  ist  zusammengefaßt  in  Th.  Hampes  Ausgabe  der  Nürnberger 
Ratsverlässe  B.  1.  Anm.  S.  50  u.  51.  Auf  fragliche  Werke,  wie  das  der  Ellwanger  Stiftskirche 
für  Johann  von  Hirschheim  (f  1460)  und  Albrecht  von  Rechberg  (f  1^02)  mit  der  Pietä  bin  ich 
nicht  eingegangen.  Hierzu  Bergau,  Kunstchronik  XIV,  S.  15  und  Paulus,  Württembergische 
Kunstdenkm.  III,  S.  125. 

103)  Wiederholung  im  Dom  zu  Erfurt.    Abguß  im  German.  Museum. 

104)  Im  Augsburger  Domkreuzgang  für  Adolf  Occo  (gest.  1503).  Riehl,  Augsburg  S.  74 
und  Abb.  S.  73* 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  10 


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74  DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XY.  JAHRHUNDERT. 

Diesem  Typus  hat  für  Franken  Loy  Hering  die  vollendete  Form  gegeben. 
Freilich  erreichte  er  das  nur  dadurch,  daß  er  die  heilige  Darstellung  zurückdrängte 
und  der  Gestalt  des  Stifters  monumentale  Bedeutung  verlieh.  Zu  dieser  Vereinigung 
fast  rundplastisch  herausgearbeiteter  Figuren  brauchte  er  eine  reiche  Umrahmung, 
und  diese  architektonische  Auffassung  des  Epitaphs  bedeutet  die  entscheidende 


Abb.  13.  Epitaph  der  Markgrafen  Friedrich    und  Qeorg;  von  Brandenburg;  (gest.  1539  und  1543) 
von  Loy  Hering  in  der  Klosterldrche  zu  Heilsbronn. 

Neuerung  der  Renaissance.  Hierfür  ist  sein  Epitaph  der  Markgrafen  Friedrich 
und  Georg  von  Brandenburg  in  derHeilsbronner  Klosterkirche*^*) 
das  deutlichste  Beispiel.    Der  Kruzifixus,  dessen  Formen  uns  von  Peuerleins  Grab- 

105)  Mader,  S.  86  u.  87  mit  Abbildung.  Die  Abbildung  wurde  uns  aus  Maders  Werk  vom 
Verlag  der  Gesellschaft  für  christliche  Kunst  überlassen.  Als  „unbekannter  Meister  der  Ober- 
deutschen Kunst"  vom  klassischen  Skulpturenschatz,  Nr.  280,  gebracht. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


75 


stein  des  Bischofs  von  Reichenau  in  Eichstätt  bekannt  sind,  ist  zurückgeschoben; 
streng  symmetrisch  steht  er  in  der  Mitte  und  die  kassetierte  Apsis  trägt  dazu  bei, 
ihn  für  das  Auge  entfernt  erscheinen  zu  lassen.  Ganz  vorn  zu  beiden  Seiten  knieen 
die  Markgrafen,  der  Eindruck  ihrer  Lebendigkeit  und  unmittelbaren  Nähe  wird 
dadurch  verstärkt,  daß  ihre  Füße  über  den  Rahmen  hinausgehen,  der  die  Gruppe 
umspannt.  So  wird  eine  Tiefenwirkung  erreicht,  und  indem  der  verkleinerte  Christus 
aus  der  Nähe  der  knieenden  Ritter  entfernt  wird,  erscheint  er  höher  und  beherrscht 
die  Komposition. 

Solche  architektonische  Denkmale  im  Inneren  der  Kirche  hatten  nur  Sinn 
bei  fürstlichen  Epitaphien.  Das  stetige  Anwachsen  der  Städte  verlangte  an  den 
für  das  fränkische  Kunstschaffen  entscheidenden  Plätzen  das  Verlegen  der  Friedhöfe 
vor  die  Stadt,  sodaß  auch  am  Äußeren  der  Kirche  ein  Anbringen  von  Gedächtnis- 
zeichen sinnlos  wurde»»«).  Nur  in  den  Kreuzgängen  der  Klostergeistlichkeit  blieb 
die  alte  Form,  und  in  kleinen  Städten  erhielt  sie  sich  mitunter  bis  ins  achtzehnte 
Jahrhundert  hinein,  den  Handwerkern  überlassen  und  meist  ohne  künstlerische 
Bedeutung. 

Im  Innern  der  größeren  Kirchen  blieb  nur  das  Prunkgrab  der  Spätrenaissance, 
das  in  reichem  Aufbau  die  ganze  Wand  bedeckt,  und  aus  dem  das  mit  Todesalle- 
gorien überhäufte  Barockgrabmal  entstand:  Vielfach  ein  Wandgrab  mit  Kronos,  der 
den  Sargdeckel  schließt,  oder  eine  ähnliche  allegorische  Gruppierung,  die  Putten 
und  Tugenden  reichliche  Gelegenheit  zu  pathetischen  Schmerzensäußerungen  ge- 
währt. 

Dann  löste  sich  auch  beim  Fürstendenkmal  die  Verbindung  mit  dem  kirchlichen 
Gedanken  immer  mehr:  die  Kirche  ist  nicht  mehr  der  entscheidende  Versammlungs- 
ort der  Gemeinde  und  bildet  die  alten  Formen  der  Grabsteine  und  Epitaphien  nur 
noch  für  die  hohen  Geistlichen  weiter,  der  Held  gehört  unter  die  Augen  der  Menge 
auf  die  Märkte  und  Plätze,  und  in  einem  völlig  anderen  Sinne  bekommt  nun  das 
Denkmal  von  neuem  seine  Verbindung  mit  der  Architektur. 

IV. 

So  ist  in  der  Renaissancezeit  in  zwei  Gebiete  geteilt  worden,  was  sich  Albrecht 
Dürer  als  doppelte  Aufgabe  der  Malerei  überlegt  hatte:  „die  Kunst  ^es  Malens  wird 
gebraucht  im  Dienste  der  Kirchen  und  dadurch  angezeigt  das  Leiden  Christi,  behält 
auch  die  Gestalt  des  Menschen  nach  ihrem  Absterben",  ^o') 

Wie  bedeutungslos  die  kleinen  Stifter  auch  anfangs  am  Rande  der  heiligen 
Bilder  erschienen:  nicht  dem  religiösen  Gehalt,  sondern  der  Verbindung  mit  dem 
Bildnis  verdankt  die  Epitaphienkunst  ihre  Entwicklung.  Denn  die  innere  Einheit 
bekommt  sie  nicht  durch  einen  gleichmäßigen  Ausbildungsgang  des  Stofflichen,  ob- 
wohl der  allgemeine  Wandel  der  Anschauungen  auch  hier  zum  Ausdruck  kommt. 

Wir  können  am  Schlüsse  der  Arbeit  auf  eine  wechsel  volle  Reihe  von  Darstellungen 
innerhalb  der  fränkischen  Epitaphienkunst  zurückschauen,  der  die  Entwicklung  in 
anderen  Gegenden  entspricht. 

106)  Hilpert   (St.  Lorenz)  teilt   mit,  daß  1518  das  Begraben  um  diese  Kirche  abgeschafft 
wurde,  wofür  die  Gemeinde  den  St.  Rochus- Gottesacker  anlegte. 

107)  Lange- Fuhse:  Dürers  schriftlicher  Nachlaß  S.  297. 


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76     DIE  FRÄNKISCHEN  EPITAPHIEN  IM  XIV.  UND  XV.  JAHRHUNDERT  VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


Zuerst  steht  das  Bild  des  Schmerzensmannes  im  Vordergrund,  dann  verlangt 
man  nach  dramatischer  Belebung  und  bestellt  sich  Szenen  der  Passion,  oder  man 
wandelt  die  Schmerzensmanndarstellung  in  die  figurenreiche  Gregorsmesse  um. 
Gleichzeitig  bekommt  die  Madonna  erhöhte  Bedeutsamkeit:  Berthold  Landauer  findet 
zuerst  die  bestimmte  Form,  unter  seinen  Schülern  werden  die  belebten  Szenen  der 
Geburt  Christi  und  des  Todes  Maria  besonders  beliebt.  Diese  Stoffe  bleiben  für  die 
kommende  Zeit.  Man  sucht  sie  durch  allegorische  Ausdeutung  zu  bereichem,  bis 
endlich,  als  die  Plastik  wieder  Bedeutung  gewinnt,  die  malerische  Auffassungsart 
zurücktritt.  Nun  wird  die  Göttlichkeit  Christi  und  der  Madonna  in  symbolischer 
Erscheinung  erfaßt:  für  Christus  wird  die  Darstellung  des  Gekreuzigten,  für  die 
Madonna  die  Szene  der  Krönung  allgemein  gültig  und  in  schematisch  festgelegter 
Form  wiederholt. 

Damit  hat  die  Plastik  die  Malerei  wieder  verdrängt,  die,  ohne  einen  festen  Stil 
zu  finden,  die  Denkmalskunst  hatte  bestimmen  wollen.  Aber  sogleich  verliert  die  Plastik 
ihre  erfinderische  Quelle  und  verfällt  dem  gedankenlos  wiederholenden  Handwerk. 

Entscheidend  zur  Begründung  dieses  Entwicklungsganges  ist  der  Umstand,  daß 
die  mittelalteriiche  Kunst  im  Dienste  der  Auftraggeber  steht:  die  Epitaphienbildnerei 
hat  nicht  die  einheitlich  in  ihrem  Lehrgebäude  geschlossene  Macht  der  Kirche  hinter 
sich,  sondern  die  unübersehbare,  für  uns  Heutige  in  ihren  verschiedenen  Motiven  un- 
erkennbare Menge  der  einzelnen  Besteller.  Sie  ist  das  erste  Betätigungsfeld  für  die 
Kunst  des  Publikums,  welche  die  Kunst  der  Kirche  ablöste. 

Was  wir  für  die  gesellschaftliche  Gesamtheit  als  Inhalt  des  späten  Mittelalters 
erkennen  können:  den  Kampf  des  Einzelnen  um  die  freie  Ausdruckskraft  seiner 
Persönlichkeit,  gibt  ihr  neben  den  vielen,  mit  anderen  Schaffensgebieten  gleichen 
Motiven  den  einheitlichen  Charakter  und  die  auch  für  Probleme  unserer  Zeit 
lebendige  Bedeutung. 


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BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 

VOM  GUSTAV  VON  BEZOLD. 
(Fortsetzung.) 
(Mit  7  Tafeln.) 

Bildnisse  des  frühen  Mittelalters. 

Als  die  Germanen  das  Erbe  der  Römer  antraten  stand  ihre  Kunst  auf  einer 
Entwicklungsstufe,  welche  eine  genaue  Naturbeobachtung  ausschloß.  Orga- 
nische Wesen  kamen  nur  in  strenger  ornamentaler  Stilisierung  zur  Darstellung.  Auf 
Schmuckgegenständen  und  auf  dekorierten  Geräten  geht  die  Stilisierung  so  weit, 
daß  sogar  der  organische  Zusammenhang  der  Teile  aufgelöst  oder  fast  bis  zur  Un- 
kenntlichkeit umgestaltet  wird.  Die  Textfigur  gibt  einige  Beispiele  ornamental 
umgestalteter  Köpfe  aus  Grabfunden  der  merowingischen  Zeit.  Die  Berührung 
mit  der  spätantiken  Kunst  erfolgte  zu  einer  Zeit,  als  diese  selbst  gealtert  und  in 
Auflösung  begriffen  war.  Auch  hier  war  an  Stelle  der  eigenen  Beobachtung  mehr 
und  mehr  eine  schematische  Stilisierung  getreten.    Es  soll  nicht  verkannt  werden, 


Ornamental  stilisierte  Köpfe  aus  merowinp'schcr  Zeit. 

daß  in  den  großen  Mosaikbildern  der  Kirchen  noch  hoher  Ernst  und  Würde  walten, 
aber  das,  worauf  es  uns  hier  ankommt,  die  Fähigkeit  zu  individualisieren,  war  bis 
auf  geringe  Reste  geschwunden.  Die  byzantinische  Kunst,  in  der  sich  die  antike 
Tradition  noch  Jahrhunderte  hindurch  erhält  und  auslebt,  zeigt  in  ihrem  langen 
Verlauf  manche  Schwankungen,  es  wechseln  mit  Epochen  des  Niedergangs  solche 


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78 


BEITHÄÜE  ZUR  GESCHlCIIiE  DES  BILDNISSES. 


des  Autschwungs  und  ein  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  vererbtes  technisches  Können 
hält  die  äußerste  Rohheit  fem.  Die  ersten  Kunstregungen  der  Germanen,  sobald 
sie  über  das  rein  Dekorative  des  Kunstgewerbes  hinausgingen,  vollziehen  sich  im 
Anschluß  an  die  byzantinische  Kunst.  Daneben  fanden  direkte  Anleihen  von  der 
klassischen  Antike  statt.  Aber  bei  aller  Abhängigkeit  von  den  Vorbildern  zeigen  sich 
schon  sehr  früh  die  ersten  Ansätze  einer  selbständigen  abendländischen  Kunst. 

Eigene  Beobachtungen  muß  man  im  voraus  beim  Bildnis  erwarten,  aber  die 
Künstler  sind  nicht  rückhaltslos  an  die  Natur  herangetreten,  die  nachzubilden  ihr 
Können  nicht  ausreichte,  sondern  sie  suchten  in  ein  nach  fremdem  Vorbild  ge- 
zeichnetes Gesicht  die  individuellen  Züge  der  Person  hineinzutragen.  Die  An- 
sprüche waren  Jahrhundertelang  bescheiden;  zu  vollem  individuellen  Dasein  durch- 
gebildete Köpfe  sind  vor  dem  .1}.  Jahrhundert  kaum  entstanden. 

Bei  den  germanischen  Völkern  sind  die  Münzbilder  die  frühesten  Darstellungen, 
welche  zu  bestimmten  Persönlichkeiten  in  Beziehung  stehen.  Wir  haben  schon  ge- 
sehen (S.  39),  daß  die  Ostgoten  einfach  die  Köpfe  römischer  Kaiser  herübernahmen. 
Der  byzantinische  Typus  herrscht  auch  in  den  Münzen  der  anderen  germanischen 
Reiche.  Auf  den  Münzen  der  späteren  Westgoten,  7.  B.  des  Recared  (586—601) 
Taf.  IV.  und  des  Egica  (687—700)  (Taf.  IV),  ist  das  byzantinische  Frontbild  völlig  zum 
ornamentalen  Schema  geworden,  es  ist  nur  Hoheitszeichen  ohne  allen  Porträt- 
charakter. 

Etwas  höher  als  die  westgotischen  Münzen  stehen  die  langobardischen;  sie 
sind  wenigstens  nicht  ganz  unorganisch,  aber  Bildniswert  kommt  ihnen  nicht  zu. 
Das  Profilbild  eines  unbekannten  Fürsten  aus  der  Mitte  des  siebenten  Jahr- 
hunderts sowie  die  Frontbilder  von  Arrigis  (758—787),  Grimwald  III.  (787  bis  806) 
und  Sighard  (832—839)  tragen  ihre  byzantinische  Abkunft  deutlich  zur  Schau.  Das 
erste  hat  noch  ein  mäßiges  Relief,  die  drei  anderen  sind  im  Grunde  nur  2^ich- 
nungen  mit  erhabenen  Linien. 

Bei  den  Franken  herrscht  das  Profilbild  vor.  Die  Arbeit  ist  sehr  roh,  der  byzan- 
tinische Typus  löst  sich  auf;  aber  bei  aller  Rohheit  wird  ein  geringes  Relief  beibe- 
halten, die  Bilder  sind  nicht  so  rein  zeichnerisch,  wie  die  langobardischen.  Als  Bei- 
spiele mögen  zwei  unbekannte  Merowinger,  Sigebert  III.  (645  —  657) 
und  aus  karolingischer  Zeit  Ludwig  der  Fromme  (814—840)  genügen.  Sie  unter- 
scheiden sich  von  den  westgotischen  und  langobardischen  Münzbildern  durch  eine 
weniger  schematische  Stilisierung,  es  sind  wirkliche  Darstellungen  von  Menschen, 
wenn  auch  äußerst  primitive. 

In  der  karolingischen  Zeit  stellt  sich  das  Bestreben,  die  Züge  bestimmter  Per- 
sonen im  Bild  wiederzugeben  ein.  Die  wichtigste  Quelle,  die  monumentale  Malerei 
versagt  vollständig,  das  Bild  Karls  des  Großen  im  Lateran  ist  so  überarbeitet,  daß  es 
nicht  mehr  in  Betracht  kommt.  Dagegen  ist  in  den  Miniaturen  wertvolles  Material 
erhalten.  Kemmerich  hat  in  seiner  eingehenden  Studie  über  die  frühmittelalter- 
liche Porträtmalerei  in  Deutschland  den  ersten  Anfängen  des  Porträts  bei  den  Deut- 
schen nachgespürt  und  den  wichtigen  Nachweis  erbracht,  daß  die  Fähigkeit,  eine 
Person  porträtmäßig  darzustellen  in  karolingischer  Zeit  wenigstens  in  "Anfängen 
vorhanden  war.  Er  führt  den  Nachweis  an  den  Bildnissen  Karls  des  Kahlen,  welche 
allerdings  eine  gewisse  Übereinstimmung  zeigen,  aber  eine  feste  Erfassung  des  indi- 


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VON  GUSTAV  VON  BEZOLD.  79 


viduell  Besonderen  fehlt  durchaus.  Was  ich  oben  vom  Hineintragen  individueller 
Züge  in  traditionelle  Typen  gesagt  habe,  gilt  insbesondere  von  diesen  Bildnissen. 
Die  Bilder  sind  nach  Komposition  und  Einzelformen  byzantinisch.  Das  konnte 
nicht  anders  sein.  Der  Übergang  von  der  ornamentalen  Gestaltung  organischer 
Wesen,  wie  sie  in  der  merowingischen  Malerei  herrschend  war,  zu  realistischer  Dar- 
stellung konnte  sich  nur  im  Anschluß  an  eine  überlegene  fremde  Kunstweise  voll- 
ziehen und  das  war  die  byzantinische.  Sie  besaß,  was  man  erstrebte.  Die  byzan- 
tinischen Gestalten,  so  beengend  uns  ihre  stilistische  Gebundenheit  erscheint,  mußten 
dem  erwachenden  Auge  der  Karolinger  als  volle  Darstellungen  der  Wirklichkeit  er- 
scheinen. Man  hatte  das,  was  sie  an  Realismus  enthielten,  übersehen,  solange  das 
Auge  für  die  Erfassung  der  organischen  Form  noch  nicht  reif  war,  und  solange  die 
Hand  ihren  eigenen,  vom  inneren  Schauen  vorgezeichneten  Weg  ging,  nun  nahm 
man  es  wahr  und  schtoß  sich  ihm  im  eigenen  Kunstschaffen  rückhaltslos  an.  Der 
Anschluß  ist  ein  sehr  enger,  wir  haben  karolingische  Elfenbeinskulpturen  jahrzehnte- 
lang für  byzantinisch  gehalten  und  noch  vermögen  wir  die  Grenzen  nicht  scharf  zu 
ziehen,  aber  zu  vollem  Aufgehen  in  byzantinischer  Kunstweise  hat  er  doch  nicht 
geführt.  Sobald  man  die  wirkliche  Erscheinung  des  Menschen  künstlerisch  wieder- 
zugeben suchte,  war  man  auf  eigene  Beobachtung  von  Bewegungen  und  Formen 
angewiesen.  Sie  ist  noch  nicht  intensiv  und  auf  dem  Wege  vom  Auge  durch  die 
Hand  auf  das  Bild  geht  vieles  verloren,  aber  sie  führt  notwendig  zu  einer  leichten 
Modifikation  des  Stils.  So  erscheint  die  karolingische  Kunst  dem  rückwärts  ge- 
wandten Blick  als  ein  später  Ausläufer  der  byzantinischen,  dem  vorwärts  gerichteten 
als  Keim  einer  neuen  Kunst,  der  romanischen.  Allein  der  beginnende  Realismus 
bei  den  Franken  stützt  sich  nicht  einzig  auf  die  byzantinische  Kunst,  er  sucht  Hilfe 
wo  er  sie  findet,  auch  bei  der  klassischen  Antike. 

Sehen  wir  genau  zu,  was  auf  den  Bildnissen  Karls  des  Kahlen  porträtmäßig 
ist,  so  bleibt  wenig.  Schon  die  allgemeine  Form  des  Gesichts  ist  nicht  individuell, 
die  einzelnen  Merkmale,  ein  volles,  bartloses  Kinn,  ein  schmaler  Schnurrbart,  ein 
starker  Hals  finden  sich  zwar  auf  mehreren  Bildern,  aber  sie  sind  nur  oberflächlich 
angedeutet  und  stimmen  auf  den  verschiedenen  Bildern  nicht  genau  überein.  Als 
wirkliche  Porträts,  die  eine  objektiv  deutliche  Anschauung  einer  Person  geben, 
können  diese  Bilder  noch  nicht  gelten;  anderseits  beweisen  sie  aber,  daß  nun  doch 
die  Beobachtung  individueller  Form  eingetreten  ist.  Die  Anfänge  des  Porträts  sind 
gegeben.  Mehr  als  zweihundert  Jahre  mußten  vergehen,  bis  sie  zu  voller  Entfaltung 
kamen. 

Das  germanische  Museum  besitzt  keine  karolingischen  Miniaturen,  welche  für 
die  Geschichte  des  Bildnisses  in  Betracht  kämen.  Von  der  bekannten  Reiterfigur 
des  Muste  Carnavalet  in  Paris  haben  wir  einen  Gipsabguß.  Sie  gilt  allgemein  als 
ein  Bild  Karls  des  Großen.  Die  Benennung  stützt  sich  nur  auf  eine  unsichere  Tra- 
dition, sie  läßt  sich  nicht  begründen  und  würde  besser  aufgegeben.  Daß  sie  einen 
karolingischen  Herrscher  darstellt,  steht  fest,  zu  einer  sicheren  Benennung  fehlen 
die  Unterlagen.  Wollte  jemand  in  ihr  Karl  den  Kahlen  erblicken,  so  ließe  sich,  so- 
ferne  man  sich  mit  den  oben  angegebenen  Merkmalen  begnügt,  kaum  sehr  viel  da- 
gegen einwenden,  aber  zwingend  sind  die  Analogien  keineswegs.  In  der  Bildung  des 
Gesichts  wird  das  Individuelle  von  dem  stilistisch  Bedingten  überwogen.    Das  gilt 


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80  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


besonders  von  der  Stime  und  den  Augen,  welche  hoch  liegen  und  froschartig  heraus- 
getrieben sind;  im  Schnitt  des  Mundes,  in  der  Gestaltung  des  Kinns  mag  man  den 
Versuch,  ein  bestimmtes  Vorbild  wiederzugeben,  vermuten,  vergleichen  wir  aber 


Reiterstatue  im  Mus(§e  Carnavalet  zu  Paris. 

andere  karolingische  Skulpturen,  z.  B.  den  Elfenbeindeckel  mit  der  Darstellung  eines 
Bischofs  in  der  Bibliothek  zu  Frankfurt,  so  werden  wir  zur  Vorsicht  gemahnt,  denn 
dieser  Kopf,  der  kaum  als  Bildnis  aufzufassen  ist,  ist  weit  sorgfältiger  und  natur- 
wahrer durchgebildet. 

Den  Münzbildern  kommt  in  karolingischer  Zeit,  ja  im  ganzen  Mittelalter  kein 
großer  Bildniswert  zu.  Sie  können  hier  kurz  behandelt  werden.  In  der  über- 
Taf.  VII.  wiegenden  Mehrzahl  ist,  wie  die  Zusammenstellung  auf  Tafel  Vll  zeigt,  irgend 
welche  Ähnlichkeit  gar  nicht  angestrebt.  Sie  sind  zum  Teil  Frontbilder,  zum  Teil 
Profilbilder.  Die  Frontbilder  sind  ausnahmslos  schematisch,  selbst  noch  bei  Rudolf  von 
Habsburg  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.  So  können  sie  als  ikono- 
graphische  Quelle  nicht  anerkannt  werden.  Unter  den  Profilbildern  Heinrich  H. 
ragen  die  einiger  Regensburger  Denare  durch  sorgfältige  Behandlung  des  Kopfes 
hervor.  Vergleicht  man  sie  mit  den  Miniaturen,  namentlich  mit  Fol.  IIa  des 
Münchener  Codex    Clm.  60,  so  wird  man  ihnen  Bildniswert  nicht   absprechen. 


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VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 


81 


Etwas  hart,  aber  vortrefflich  geschnitten  sind  die  Augustalen  Friedrich  II.  Sie 
gehen  direkt  auf  antike  Vorbilder  zurück.  Wie  weit  das  Profil  lebenswahr  ist, 
kann  ich  hier  nicht  feststellen.  Auf  der  Silbermünze,  die  nach  den  Augustalen 
gearbeitet  ist,  ist  es  willkürlich  verändert. 

Neben  die  Münzbiider  treten  von  den  Karolingern  an  die  Si^elbilder 
der  Könige  und  Kaiser.  Kaiser  Wilhelm  II.  hat  dem  germanischen  Museum  an 
seinem  fünfzigjährigen  Stiftungsfeste  die  von  Geheimrat  Poße  in  Dresden  gefertigten 
galvanoplastischen  Nachbildungen  der  sämtlichen  deutschen  Kaisersiegel  gestiftet. 
Diese  bedeutende  Quelle  ist  nach  kunstgeschichtlicher  Richtung  noch  wenig  aus- 
gebeutet. Da  die  große  Publikation  von  Poße  noch  aussteht,  muß  ich  mir  bei  der 
Benützung  der  Sammlung  einige  Zurückhaltung  auferlegen.  Es  ist  ja  auch  nicht 
meine  Aufgabe,  eine  Ikonographie  der  deutschen  Kaiser  zu  geben.  Die  Siegelbilder 
haben  den  großen  Vorzug,  daß  sie  zu  Lebzeiten  der  Kaiser  und  in  deren  Nähe  ge- 
fertigt sind.  Das  sagt  nicht  unmittelbar,  daß  sie  als  besonders  ähnliche  Bildnisse 
zu  gelten  haben,  wohl  aber  geben  sie  darüber  Aufschluß,  welche  Anforderungen  an 
die  Ähnlichkeit  man  zu  verschiedenen  Zeiten  stellte.  Ihre  Größe  und  sorgfältige 
Ausführung  verleiht  ihnen  eine  Bedeutung,  welche  weit  über  die  der  Münzbilder 
hinausgeht.  Die  Benützung  der  Siegelbilder  der  Kaiser  wird  dadurch  erschwert, 
daß  die  Abdrücke  großenteils  stumpf  geworden  oder  sonst  beschädigt  sind.  Front- 
bilder haben  unter  der  Abnützung  stärker  gelitten  als  Profilbilder. 

Die  merowingischen  Könige  siegelten  mit  Ringen,  welche  für  sie  geschnitten 
waren.  Der  Ring  Childerich  I.  trug  das  Frontbild  des  Königs  mit  gescheiteltem, 
langem,  geflochtenen  Haar  und  mit  der  Lanze.  Der  Typus  ist  byzantinischen  Münzen 
entnommen.  Die  Ausführung  war  roh  und  trug  nur  im  ganzen  der  fränkischen 
Haartracht  Rechnung,  während  das  Gesicht  schematisch  dargestellt  war,  ohne  indi- 
viduelle Züge.  Ein  Ring  in  der  Bibliothdque  nationale  in  Paris  zeigt  einen  bärtigen 
Kopf  mit  langen  Haaren  und  den  Buchstaben  S  R.  (Sigebertus  Rex  ?)  Ob  Racne- 
thramnus,  dessen  Ring  ein  ähnliches  Bild  zeigt,  dem  königlichen  Hause  angehörte, 
ist  ungewiß.  Köpfe  in  Frontansicht  mit  langen  Haaren  zeigen  auch  die  Siegel 
anderer  merowingischer  Könige,  wie  Childebert  III.,  Chilperich  II.,  Chlodwig  IIL, 
welche  bei  Le  Normant,  Tr&or  de  numismatique,  Sceaux  des  rois  et  reines  de  France 
PI.  I.  abgebildet  sind.  So  mangelhaft  diese  Köpfe  sind,  die  Könige  siegelten  mit 
ihrem  eigenen  Bilde,  wie  sie  ihr  eigenes  Bild  auf  ihre  Münzen  prägten.  Die  Ringe 
Privater  trugen  bildliche  Darstellungen,  Ornamente  oder  Schriftzeichen,  zuweilen 
waren  antike  Gemmen  eingesetzt.  Der  Gebrauch  antiker  Gemmen  zum  Siegeln 
wurde  unter  den  Karolingern  auch  von  den  Königen  angenommen.  Daneben  tritt 
aber  schon  früh  das  Bild  der  Herrscher  wieder  in  seine  Rechte  und  es  tritt  in  seine 
Rechte  mit  ganz  anderen  Ansprüchen  an  die  Auffassung  und  Wiedergabe  der  Wirk- 
lichkeit. Allein  es  ist  fraglich,  wie  weit  die  Stempel  für  die  Könige  neu  gefertigt, 
wie  weit  antike  Gemmen  mit  den  Köpfen  römischer  Kaiser  verwendet  wurden.  Die 
Frage  wird  für  die  ersten  Karolinger  allgemein  dahin  beantwortet,  daß  antike  Gem- 
men in  Gebrauch  waren.  Sie  bedarf  indes  der  Nachprüfung,  die  Siegel  müssen  genau 
auf  ihre  stilistischen  Merkmale  geprüft  werden.  Die  Stempel  sind  bis  auf  einen, 
die  Gemme  Lothar  IL  im  Lotharkreuz  in  Aachen,  nicht  erhalten,  die  Untersuchung 
kann  nur  noch  an  den  Abdrücken  gemacht  werden,  die  alle  mehr  oder  weniger  ge- 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  11 


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82  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DBS  BILDNISSES. 


litten  haben.  Mir  stehen  nicht  einmal  diese,  sondern  die  galvanoplastischen  Nach- 
bildungen Poßes  zur  Verfügung.  So  sorgfältig  sie  gemacht  sind,  können  sie  doch 
die  Originale  nicht  ganz  ersetzen.  Dagegen  bietet  die  Sammlung  die  Möglichkeit, 
die  ganze  Reihe  unmittelbar  zu  vergleichen.  Die  Frage  der  Echtheit  der  Siegel  zu 
prüfen  liegt  nicht  in  meiner  Aufgabe,  sie  kann  nur  an  den  Originalen  geprüft  werden. 
Das  ist  von  Poße  u.  A.  geschehen,  die  sicher  kompetenter  sind,  als  ich.  Zunächst  fragt 
es  sich,  aus  welchem  Material  die  Stempel  gefertigt  sind.  Soweit  antike,  geschnittene 
Steine  in  Verwendung  waren,  wurden  sie  mit  einer  Metallfassung  versehen,  welche 
die  Inschrift  trug.  Auch  einige  der  Stempel,  deren  Ursprung  näher  zu  untersuchen 
ist,  sind  aus  den  gleichen  Materialien,  Stein  in  Metallfassung,  hergestellt.  Zweifellos 
von  Metall  waren  die  Matrizen  für  Bleibullen.  Viele  Siegel  zeigen  oben  den  Ab- 
druck eines  Ringes  oder  einer  Öse.  Eine  solche  kann  an  dem  Stempel  nur  ange- 
bracht sein,  wenn  er  eine  Metallfassung  hat,  oder  ganz  von  Metall  ist.  Daß  die  Öse 
mit  dem  Stempel  aus  einem  Stein  geschnitten  sei,  ist  unwahrscheinlich;  ist  sie  vor- 
handen, so  ist  anzunehmen,  daß  der  Stempel  von  Metall  ist  oder  eine  Metallfassung 
hat.  Die  Fassung  wird  im  allgemeinen  als  Rand  erscheinen,  aber  es  ist  auch  mög- 
lich, daß  sie  nicht  über  die  Fläche  der  Platte  vortritt.  In  solchen  Fällen  ist  eine 
Entscheidung  über  das  Material  des  Stempek  kaum  möglich,  umsoweniger,  als  die 
Abdrücke  gewöhnlich  stumpf  sind.  Darf  aber  in  karolingischer  Zeit  überhaupt  die 
Fähigkeit,  Bilder  in  Stein  zu  schneiden  vorausgesetzt  werden  ?  Die  Frage  darf  wohl 
bejaht  werden.  Der  technisch  hohe  Stand  der  Elfenbeinskulptur  läßt  mit  Sicherheit 
annehmen,  daß  auch  andere  Zweige  der  Glyptik  nicht  völlig  damiederlagen.  Auch 
gestatten  die  Siegelstempel  der  Ottonen,  von  welchen  wenigstens  einige  aus  Stein 
waren,  den  Rückschluß,  daß  man  auch  in  karolingischer  Zeit  in  Stein  schneiden 
konnte. 

Die  Stempel  der  späteren  Karolinger  sind  mit  einer  oder  zwei  Ausnahmen 
fränkische  Originalarbeiten.  Es  ist  z.  B.  ausgeschtossen,  daß  Kart  der  Dicke  gleich 
drei  ähnliche,  antike  Gemmen  gehabt  habe,  mit  welchen  er  in  den  Jahren  880,  882 
und  887  gesiegelt  hat.  Auch  der  Raum,  welchen  das  Bild  auf  der  Platte  einnimmt, 
beweist  den  fränkischen  Ursprung.  Auf  allen  dreien  ist  die  Inschrift  auf  der  Platte 
selbst  angebracht,  die  Fläche  der  antiken  Gemme  wird  fast  ganz  durch  das  Bild 
ausgefüllt.  Der  Typus  ist  nicht  der  der  antiken  Gemmen,  sondern  der  der  antiken 
Münzen  —  Kopf  mit  Lorbeerkranz  und  Umschrift  oder  Brustbild  mit  Lanze  und 
Schild.  Diese  Stempel  können  nur  für  die  Herrscher,  deren  Namen  sie  tragen  in 
karolingischer  Zeit  gefertigt  sein.  Sie  sind  technisch  nicht  schlechter,  sondern  eher 
besser  gearbeitet,  als  die  antiken  Münzen  vom  vierten  Jahrhundert  an,  aber  sie  ent- 
sprechen stilistisch  keiner  Zeit  der  antiken  Stempelschneidekunst. 

Die  Stempel  Ludwig  des  Frommen,  Lothar  II.  im  Lotharkreuz  zu  Aachen 
und  Ludwig  des  Deutschen  von  831  gelten  als  antike  Gemmen.  Über  die  Siegel 
der  ersten  Karolinger  von  Pippin  bis  zu  Ludwig  des  Frommen  handelt  ausführlich 
Th.  Sickel,  Lehre  von  den  Urkunden  der  ersten  Karolinger  S.  347  ff.  Die  Siegel 
Ludwig  des  Frommen  sind  S.  352—354  besprochen,  die  Siegelplatte  Lothar  II. 
S.  346  Note  13. 
Taf  VIII  Von  Ludwig  dem  Frommen  gibt  es  zwei  Siegel.    Das  eine  ist  von  814—833 

und  von  836— 840  in  Gebrauch,  das  zweite  von  833—836;    beide  sind  Gemmen- 


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VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 


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Siegel  mit  Metallfassung,  beide  zeigen  einen  nach  links  gewandten  Profilkopf  mit 
Lorbeerkranz  und  Ansatz  des  Mantels.  Der  erste  Stempel  ist  weitaus  besser  ab 
der  zweite.  Ist  ein  römischer  Kaiser  dargestellt,  so  kann  es  nur  ein  Oströmer  aus 
später  Zeit  sein.  Ich  will  das  nicht  unbedingt  bestreiten,  aber  der  Vergleich  mit 
byzantinischen  und  karolingischen  Elfenbeinskulpturen  weist  doch  viel  mehr  auf 
eine  fränkische  als  auf  eine  byzantinische  Arbeit.  Auch  die  Form  des  Kopfes  und 
die  Barttracht  spricht  für  fränkischen  Ursprung.  Zweifellos  fränkisch  und  eine 
ziemlich  geringe  Arbeit  ist  der  zweite  Stempel.  Ebenso  muß  ich  die  Siegelplatte 
Lothar  IL  für  fränkisch  erklären.  Wäre  es  eine  antike  Arbeit,  so  müßte  sie  aus 
dem  späteren  dritten  Jahrhundert  sein.  Aber  so  gering  man  die  Kunst  dieser  Zeit 
einschätzen  mag,  so  hätte  doch  ein  antiker  Steinschneider  den  Kopf  niemals  so  un- 
geschickt in  den  Raum  gesetzt  und  die  Fläche  mehr  ausgefüllt.  Es  ist  augenschein- 
lich, daß  hier  mit  Absicht  Raum  für  die  Umschrift  gelassen  ist.  Auch  der  Stil  des 
Kopfes  spricht  bestimmt  für  fränkischen  Ursprung.  Die  Platte  erscheint  mir  ab 
Nachahmung  der  antiken  Gemme,  mit  welcher  Lothar  II.  am  13.  April  862  ge- 
siegelt hat  und  welche  die  gleiche  ist,  wie  die  Lothar  I.  auf  einer  Urkunde  vom 
21.  Mai  843.  Soweit  die  beiden  stumpfen  Abdrücke  ein  Urteil  gestatten,  ist  es  ein 
Bild  Gordianus  III.  Weniger  bestimmt  ist  mein  Urteil  über  das  Siegel  Ludwig 
des  Deutschen  (18.  August  831).  Auch  hier  sprechen  die  stilistischen  Merkmale 
und  der  Umstand,  daß  die  Umschrift  in  den  Grund  der  Gemme  graviert  ist,  stark  für 
karolingisch-fränkischen  Ursprung,  aber  es  ist  nicht  ganz  ausgeschlossen,  daß  wir  eine 
byzantinische  Arbeit  des  sechsten  Jahrhunderts  vor  uns  haben. 

Wenn  ich  im  folgenden  die  vier  Siegel  als  fränkisch  betrachte,  bin  ich  mir  be- 
wußt, daß  die  Frage  noch  nicht  vollständig  entschieden  ist. 

Bei  der  Prüfung  der  karolingischen  Siegel  auf  ihren  Bildniswert  ist  zu  berück- 
sichtigen, daß  es  die  Anfänge  der  Wirklichkeit  nachstrebender  Darstellungen  mensch- 
licher Köpfe  bei  den  Franken  sind,  welche  sich  notwendig  unter  starker  Anlehnung 
an  fremde  Vorbilder  vollziehen.  Der  Künstler,  der  noch  in  der  Nachahmung  be- 
fangen ist,  kann  nur  wenig  von  eigener  Beobachtung  zugeben.  So  ist  in  den 
Köpfen  Ludwig  des  Frommen,  Ludwig  des  Deutschen  und  Lothar  IL  eine 
unmittelbar  auffallende  Individualisierung  nicht  wahrzunehmen.  Auch  auf  dem 
Wege  der  Vergleichung  mit  anderen  Bildnissen  ist  nicht  weit  zu  kommen. 
Material  liegt  für  Ludwig  den  Frommen  und  Ludwig  den  Deutschen  vor, 
aber  es  ist  unzureichend.  Die  auf  Tafel  IV  abgebildete  Münze  Ludwig  des 
Frommen  ist  so  roh,  daß  sie  zur  Vergleichung  kaum  herangezogen  werden  kann. 
Das  Bild  Ludwig  des  Frommen  in  der  Wiener  Handschrift  des  Hrabanus  Maurus 
(Jahrbuch  der  k.  k.  Kunstsammlungen  XIII.  S.  9)  stimmt  mit  unserem  Kopfe  nur 
wenig  überein.  Es  ist  ein  Repräsentationsbild  nach  einer  spätantiken  Vorlage,  bei 
welchem  die  Nachahmung  völlig  überwiegt.  Von  Ludwig  dem  Deutschen  ist 
außer  der  Urkunde  von  831,  deren  Siegel  den  Typus  der  byzantinischen  Münzen 
des  sechsten  Jahrhunderts  nachahmt,  ein  zweites  Siegel  an  einer  Urkunde  von  874, 
das  ebenfalls  von  einem  Originalstempel  abgedrückt  ist,  es  ist  das  Bild  eines  jugend- 
lichen Herrschers  mit  entblößter  Schulter,  über  welcher  der  Mantel  geschlossen  ist. 
Der  Typus  kommt  zuerst  unter  den  Antoninen  auf.  Hier  ist  der  Herrscher  mit 
Schild  und  Lanze  dargestellt.     Irgend  welcher  Bildniswert  kommt  dem  Stempel 


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BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


nicht  zu,  er  stimmt  mit  dem  älteren  nicht  überein  und  kann  noch  weniger  als  Por- 
trät gelten  als  jener.  Bemerkenswert  ist,  daß  der  Reliefstil  in  dem  Siegel  von  874 
weit  freier  geworden  ist  als  in  dem  älteren.  Für  Lothar  11.  fehlt  alles  Vergleichs- 
material. 

Den  Siegeln  der  folgenden  Herrscher  liegen  römische  Münzen  früherer  Epochen, 
des  zweiten  und  dritten  Jahrhunderts  zugrunde,  die  Köpfe  sind  größer  als  bisher, 
die  Behandlung  sicherer. 

An  einer  Urkunde  Karlmanns  vom  }.  Dezember  878  ist  ein  Originalsiegel. 
Leider  ist  der  Abdruck  sehr  stumpf.  Der  Kopf  sieht  sehr  individuell  aus,  das  Profil 
ist  fein  gezeichnet,  die  einzelnen  Teile  sind  bis  auf  das  sehr  tief  sitzende  Ohr  richtig 
gruppiert.  Man  hat  den  Eindruck,  daß  hier  eine  bestimmte  Person  charakteristisch 
dargestellt  ist.  Aber  gerade  hier  ist  große  Vorsicht  angezeigt,  denn  es  läßt  sich  nicht 
ermessen,  wieweit  der  Eindruck  freier  Formgebung  durch  die  Verwischung  der  Formen 
hervorgerufen  wird.  Und  da  alles  Vergleichsmaterial  fehlt  ist  eine  Prüfung  auf  die 
Ähnlichkeit  nicht  möglich.  Doch  selbst  wenn  sie  ganz  fehlen  sollte,  was  ich  nicht 
glaube,  bleibt  der  Stempel  eine  achtungswerte  Leistung  karolingischer  Glyptik. 

Von  Karl  dem  Dicken  sind  sieben  verschiedene  Siegelbilder  vorhanden, 
alle  Originalarbeiten.  Es  sind  zwei  verschiedene  Typen,  ein  Imperator  mit  Lorbeer- 
kranz und  der  junge  Herrscher  mit  Schild  und  Lanze,  den  wir  zuerst  bei  Ludwig 
dem  Deutschen  gefunden  haben.  Die  Siegel  vom  8.  Februar  880,  vom  23.  April  882 
und  vom  17.  März  887  stimmen  zwar  im  Profil  nicht  völlig  überein,  sind  aber  doch 
unter  sich  so  ähnlich,  daß  man  sie  als  Porträts  ansprechen  darf.  Die  Nase  ist  lang, 
die  Oberiippe  kurz  und  etwas  aufgeworfen,  die  Unterlippe  tritt  zurück,  das  Kinn 
springt  vor.  Die  Stempel  von  880  und  882  sind  vielleicht  von  der  gleichen  Hand 
wie  der  Karimanns  von  878.  Vorbilder  sind  Münzen  aus  der  Zeit  der  Gordiane. 
Ein  Stempel,  mit  welchem  am  9.  Mai  881  und  am  5.  Mai  883  gesiegelt  wurde,  ist 
nach  einer  römischen  Münze  aus  dem  dritten  Jahrhundert  gearbeitet,  ohne  genaue 
Kopie  zu  sein;  es  ist  nicht  möglich  zu  bestimmen,  welchem  Kaiser  das  Original  an- 
gehörte, vielleicht  Maximinus.  Die  Arbeit  ist  gering.  Zwei  weitere  Siegel  vom 
9.  Juni  886  und  vom  29.  Mai  886  haben  den  Typus  des  jungen  Herrschers  mit 
Schild  und  Fahne.  Das  erste  (Abbildung  bei  Heffner,  die  deutschen  Kaiser-  und 
Königssiegel  Taf.  I  Nr.  6),  ein  jugendlicher  bekränzter  Kopf  in  hohem  Relief  ist 
sehr  hübsch,  obgleich  die  Durchbildung  der  Einzelheiten  zu  wünschen  übrig  läßt. 
Der  zweite  ist  weniger  schön.  Bildniswert  haben  beide  nicht.  Wohl  ist  das  Bild 
auf  dem  ersten  so,  daß  es  als  Jugendbildnis  Karls  aufgefaßt  werden  könnte,  aber 
wir  haben  kein  Recht  zu  der  Annahme,  daß  der  Stempel  schon  so  früh  gefertigt 
worden  sei,  um  so  weniger  als  er  schon  als  Imperator  bezeichnet  ist.  Der  Stil  der 
Siegel,  mit  Ausnahme  dessen  vom  9.  Mai  881,  ist  gut.  Sie  stehen  den  römischen 
Münzen  des  späten  dritten  Jahrhunderts  mindestens  gleich.  Die  Profile  sind  rein 
gezeichnet,  das  Relief  ist  kräftig  und  gut  abgestuft.  Die  Profilstellung  der  Augen 
ist  nicht  ganz  gelungen,  auch  besteht  ein  Widerspruch  zwischen  der  Frontstellung 
des  Rumpfes  und  der  Profilstellung  des  Kopfes.  Ganz  abweichend  im  Stil  ist  eine 
Bleibulle  vom  30.  Mai  887,  von  deren  Echtheit  ich  nicht  überzeugt  bin. 

Von  Arnulf  sind  sechs  verschiedene  Siegelbilder  vorhanden.  Das  vom  5.  Oktober 
889  ist  so  stumpf,  daß  sich  nichts  aus  ihm  entnehmen  läßt.  Drei  andere  haben  unter 


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VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 


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sich  wohl  im  Profil  einige  Ähnlichkeit,  stimmen  aber  im  einzelnen  wenig  überein. 
Das  beste  ist  das  vom  20.  Juni  889,  Profilkopf  mit  Lorbeerkranz,  Fahne  und  Schild. 
Leider  ist  der  Mund  verwischt.  Die  Arbeit  ist  gut  und  erinnert  an  die  Siegel  Karl 
des  Dicken.  Das  Siegel  vom  6.  Januar  893  ist  roh  gearbeitet  und  der  Abdruck 
stumpf.  Der  Typus  ist  der  gleiche  wie  der  des  vorigen.  Das  dritte  vom  7.  Februar 
893  ist  besser  gearbeitet,  aber  auch  gerade  am  Profil  etwas  verdrückt.  Am  ehesten 
darf  das  erste  als  Bildnis  Arnulfs  gelten.  Sehr  befangen  in  Zeichnung  und  Ausführung 
ist  ein  Stempel,  mit  welchem  am  30. 1.897  und  am  13.  XI  1.898  gesiegelt  wurde. 
Profilkopf  mit  Diadem,  Schild  und  Lanze.  Das  Profil  weicht  von  dem  vorigen  sehr 
ab  und  kann  nicht  als  porträtmäßig  gelten.  Endlich  ist  eine  sehr  roh  gearbeitete 
Bleibulle  vom  i.  V.  896  vorhanden.    Sie  zeigt  wieder  völlig  andere  Formen. 

Mit  Ludwig  dem  Kind  (IV.)  tritt  ein  neuer  Typus  ein,  der  Herrscher  erscheint  Taf.  ix. 
als  nach  links  gewandte  Halbfigur  mit  Lanze  und  Schild.  Dabei  ist  der  Schild  in 
perspektivischer  Ansicht  gegeben.  Die  technische  Ausführung  ist  geringer  als  in 
der  unmittelbar  vorhergehenden  Periode,  die  Reliefbehandlung  trocken.  Die  Siegel 
zweier  Urkunden  vom  24.  VI.903  und  vom  16.  VI.  911  gehören  diesem  Typus  an, 
sie  zeigen  den  König  mit  sehr  ausgeprägten  Zügen.  Die  Nase  ist  kräftig,  die  Flügel 
senken  sich  gegen  die  Spitze,  die  Oberlippe  ist  gerade,  die  Mundwinkel  nach  abwärts 
gezogen.  Vom  Nasenflügel  geht  eine  Falte  um  den  Mundwinkel,  die  Unterlippe  tritt 
zurück,  das  Kinn  springt  scharf  vor.  Die  Augen  sind  auf  beiden  Bildern  oberfläch- 
lich behandelt.  Stimmen  die  Bilder  leidlich  überein,  so  erregt  es  Bedenken,  daß  sie 
einen  Mann  von  etwa  vierzig  Jahren  darstellen,  während  Ludwig  91 1  im  Alter  von 
18  Jahren  gestorben  ist.  Heffner  gibt  a.  a.  O.  Taf.  I,  8  ein  Siegel  Ludwigs,  Brust- 
bild mit  Schild  und  Lanze,  das  jugendlichere  Züge  aufweist  und  mit  den  beiden  anderen 
einige  Ähnlichkeit  im  unteren  Teil  des  Gesichtes  hat.  Geben  wir  zu,  daß  die  Siegel 
eine  wenn  auch  beschränkte  Bildnistreue  haben,  so  zeigt  die  Unfähigkeit  das  Lebens- 
alter anzudeuten,  daß  das  künstlerische  Vermögen  im  Rückgang  ist. 

Das  bestätigen  auch  die  Siegel  Konrad  I.  Sie  weisen  alle  den  Typus  der  nach 
links  gewandten  Halbfigur  mit  Fahne  und  perspektivisch  gezeichnetem  Schild  auf. 
Ein  Siegelbild  vom  10.  XI.911  ist  ganz  steif  und  leblos.  Höher  stehen  die  Siegel 
vom  11.1.  und  vom  8.  VI  1 1 .  91 2.  Sie  sind  nicht  ganz  gleich.  Das  Profil,  kurze  gerade 
Nase,  gerade  Oberlippe,  schmale  Lippen  und  etwas  vortretendes  Kinn  ist  auf  beiden 
verwandt.  Die  gleiche  Form  des  Mundes  und  der  Oberlippe  zeigt  das  bei  Heffner 
a.  a.  0.  Taf.  1. 9  abgebildete  Siegel,  das  in  der  Gesamtfigur  wieder  etwas  verschieden 
ist.  Wieder  unter  sich  fast  gleich  sind  das  Siegel  einer  Urkunde  vom  13.  IX.  918 
und  ein  Abdruck  in  Zürich,  die  in  den  Maßen  übereinstimmen,  aber  in  der  Form  der 
Umschrift  kleine  Unterschiede  aufweisen.  Hier  ist  das  Profil  bewegter,  die  Nase 
tritt  mehr  hervor,  Lippen  und  Kinn  sind  stärker  geschwungen.  Drei  weitere  Siegel 
sind  so  schlecht  erhalten,  daß  sie  kaum  mehr  zu  beurteilen  sind.  Das  vom  18.  X.  927 
hat  im  Profil  mit  den  beiden  zuletzt  besprochenen  Ähnlichkeit.  Eine  Entscheidung 
über  den  Grad  der  Bildnistreue  ist  umso  weniger  zu  treffen,  als  durch  die  diesem  Typus 
angehörenden  Siegel  Ludwig  IV.,  Konrads  und  Heinrich  I.  ein  Zug  von  Ähnlichkeit 
geht,  der  starke  Zweifel  der  Individualität  der  Formen  erregt.  Es  ist  wahrscheinlich, 
daß  hier  überhaupt  keine  Bildnisse  vorliegen,  sondern  Kopien,  welche  von  einem 
Original  Ludwig  IV.  ausgehen  und  immer  wiederholt  werden. 


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Ö6  BEITRÄGE  ZÜK  GESCÖICÖTß  DBS  BlLDI^lSSßS. 


Der  Typus  der  nach  links  gewandten  Halbfigur  mit  Fahne  und  Schild  dauert 
auch  unter  den  sächsischen  Kaisern  neben  anderen  Typen  noch  fort.  Die  Ausführung 
ist  lässiger.  Das  Siegel  Heinrich  I.  vom  18.  X.  927 ist  als  Kopienach  einem  Konrad  1. 
zu  betrachten.  Das  Otto  I.  vom  29.  V.  940  ist  oberflächlicher  gearbeitet  als  die 
meisten  früheren;  aus  dem  gleichen  Stempel  scheint  das  fast  ganz  verwischte  Otto  II. 
vom  24.  Vn.961  abgedruckt  zu  sein.  Das  letzte  Beispiel  bieten  die  Rückseiten 
zweier  Bullen  Otto  III.  vom  3. 1.  und  vom  1}.  IV.  999.  Der  überaus  flau  gearbeitete 
Stempel  enthält  eine  ganz  schematische  Halbfigur  (vgl.  Heffner  Taf.  1. 18  b) 

Auch  der  Profilkopf,  wie  er  vor  Ludwig  IV.  üblich  war,  findet  sich  unter  den 
Siegeln  der  sächsischen  Kaiser  noch  in  einigen  Beispielen  vor.  Heinrich  I.,  )0.  IV.  925. 
Bartloses  Gesicht  mit  gerader,  ziemlich  scharf  vorspringender  Nase,  kleinem  Munde 
und  Kinn,  Augen  unrichtig  gezeichnet.  Vergleichsmaterial  zur  Feststellung  des 
Porträtwertes  fehlt;  auf  keinen  Fall  ist  die  Ausführung  eindringlich.  Weitere  Profil- 
köpfe finden  sich  auf  Bleibullen.  Otto  III.,  3.  I.  und  11.  IV.  999  und *)0- VI.  1000, 
das  Motiv  des  spätrömischen  Imperatorenkopfes  mit  Krone.  Porträtähnlichkeit 
ist  gar  nicht  angestrebt  (Heffner  Taf.  1.  18  a).  Konrad  II.  Bulle  einer  Urkunde 
vom  23.  VIII.  1028.  Heinrich  III.  22.  VII.  1040.  Ich  komme  auf  diese  beiden 
Köpfe  zurück. 

Die  Profilköpfe  verschwinden  von  da  an  aus  den  Siegelbildern.  Ihr  Stil  ist 
in  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  streng  und  befangen;  noch  ist  die  Abhängig- 
keit von  byzantinischen  Vorbildern  groß.  Sie  haben  die  Eigenheiten  des  fränkischen 
Stils,  die  wir  aus  Elfenbeinreliefs  und  der  Reiterfigur,  die  für  Karl  den  Großen  gilt, 
kennen,  aber  sie  geben  wenig  Individuelles.  Unter  den  späteren  Karolingern  hebt 
sich  das  technische  und  künstlerische  Können.  Die  Abhängigkeit  von  Vorbildern 
wird  geringer,  sie  schließen  sich  ihnen  wohl  noch  im  Motiv  an,  aber  die  Ausführung 
ist  ziemlich  selbständig.  Die  Profile  sind  sorgfältig  gezeichnet  und  geben  individuelle 
Züge  wieder,  wenn  sie  ihnen  auch  nicht  in  die  letzten  Feinheiten  folgen.  Das  Relief 
ist  kräftig  und  gut  abgestuft.  Im  Beginn  des  10.  Jahrhunderts  wird  die  Behandlung 
einförmiger.  Die  Halbfigur  bringt  einen  kleineren  Maßstab  des  Kopfes  mit  sich, 
welcher  eine  einfachere  Formgebung  bedingt.  Man  legte  weniger  Wert  auf  die  Bildnis- 
treue als  früher,  ganz  scheint  sie  aber  doch  nicht  zu  fehlen.  Die  Bleibullen  Kon- 
rad II.  von  1028  und  Heinrich  III.  von  1040  geben  in  groben  Zügen  einige  Ähn- 
lichkeit ohne  auf  Richtigkeit  im  Einzelnen  auszugehen. 

Von  Otto  I.  an  treten  Frontbilder  neben  die  Profilbilder  und  verdrängen  sie 
bald  vollständig.  Das  Frontbild  ist  für  eine  Reliefbehandlung  nicht  günstig,  erst 
späte  Zeiten  haben  es  völlig  bewältigt  und  eine  leichte  Wendung  des  Kopfes  der 
strengen  Frontansicht  vorgezogen.  Der  erste  Typus  ist  die  frontale  Halbfigur  mit 
Szepter  und  Reichsapfel  (Weltkugel  vom  Kreuz  bekrönt),  Krone  und  Mantel.  Er 
kommt  auf  byzantinischen  Münzen  schon  im  8.  Jahrhundert  vor.  Die  Siegel  vom 
21.  II.  962  und  vom  5.  IV.  965  zeigen  ein  volles  Gesicht  mit  Schnurrbart  und  breitem 
Vollbart.  Die  Augen  sind  rund  und  glotzend.  Auf  diesen  Siegeln  sind  höchstens 
die  äußeren  Merkmale  des  breiten  Gesichts  und  des  großen  Bartes  bildnismäßig. 
Das  bestätigt  der  Vergleich  mit  dem  Elfenbeinrelief  in  der  Sammlung  der  Marchese 
Trivulzi  in  Mailand,  das  den  Kopf  im  Profil  gibt.  Es  ist  weit  besser  gearbeitet  als 
die  Siegelstempel,  aber  es  geht  in  der  Wiedergabe  der  individuellen  Formen  auch  nicht 


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Von  Gustav  von  bezolü.  87 

über  das  Allgemeine  hinaus.  Dis  spätere  Majestätssiegel  Otto  I.  ist  ganz  schematisch 
und  leblos;  der  schmale  magere  Kopf  mit  spitzem  Kinn  und  Bart^  die  gezierte  Haltung 
der  Arme,  all'  das  ist  undeutsch. 

Fast  identisch  mit  dem  vorigen  ist  das  Siegel  Otto  II.  (13-  V.  974  und  3.  HI.  980; 
Abb.  bei  Heffner  Taf.  II.  5).  Otto  II.  Königssiegel  vom  27.  VII.  934  zeigt  einen 
jugendlichen  Kopf,  ist  aber  sehr  undeutlich,  ebenso  die  Siegel  vom  3.  X.  968  und 
vom  18.  X.  972,  die  unter  sich  sehr  ähnlich  sind.  Otto  erscheint  auch  auf  ihnen 
noch  jugendlich,  mit  schmalem  Gesicht,  auf  dem  ersten  bartlos,  auf  dem  zweiten 
mit  kurzem  Bart  ( ?).  Die  Darstellung  ist  unbeholfen,  am  ehesten  kann  das  Siegel 
von  968  als  leiser  Versuch  zu  bildnismäßiger  Darstellung  angesehen  werden. 

Von  Otto  III.  gibt  es  zwei  Siegel  (27.  X.984  und  12.  XII.  993),  welche  die 
frontale  Halbfigur  haben.  Ein  Vergleich  mit  den  viel  besseren  Miniaturen  (Kemmerich 
S.  64  ff.)  zeigt,  daß  ihnen  kein  Bildniswert  zukommt. 

Otto  III.  hat  noch  zwei  andere  Siegeltypen,  den  stehenden  und  den  thronenden 
Imperator.  Der  stehende  findet  sich  auf  zwei  wenig  verschiedenen  Siegeln  vom 
15.  IX.  996  und  einem  undatierten  in  der  Sammlung  Sara  in  Wien;  ein  gekrönter 
Kaiser  in  langem  Leibrock  (der  byzantinischen  Tunica),  Mantel,  mit  langem  Szepter 
in  der  Rechten  und  der  Weltkugel  (Reichsapfel)  in  der  Linken,  auch  das  ist  ein 
byzantinisches  Motiv.  Der  Umriß  des  Kopfes  stimmt  ziemlich  zu  den  Miniaturen, 
weniger  die  Zeichnung  innerhalb  dos  Umrisses. 

Dann  tritt  unter  Otto  III.  der  Typus  auf,  welcher  von  nun  an  bis  ins  18.  Jahr- 
hundert für  die  Kaiserbilder  der  Majestätssiegel  herrschend  bleibt,  der  auf  dem  Thron 
sitzende  Kaiser  in  frontaler  Haltung.  Es  ist  das  Repräsentationsbild,  das  schon 
unter  den  römischen  Kaisern  vorkam.  Typisch  ist  es  für  die  Consulardiptychen. 
Der  Kaiser  hat  in  der  Rechten  das  Szepter,  in  der  Linken  den  Reichsapfel,  zuweilen 
auch  umgekehrt.  Die  Arme  sind  fast  symmetrisch  erhoben.  Der  Kaiser  ist  mit 
langem  Rock,  Mantel  und  Krone  bekleidet.  Die  Stellung  der  Beine  ist  symmetrisch, 
die  Knie  sind  etwas  auseinander  gerückt,  die  Füße  nach  auswärts  gerichtet.  Die 
Durchbildung  des  Gesichts  ist  nicht  sorgfältig.  Das  hängt  damit  zusammen,  daß 
der  Kaiser  nun  in  ganzer  Figur  dargestellt  wird.  Doch  wenn  auch  die  Vorstellung, 
welche  uns  diese  Siegelbilder  bieten,  ungenügend  bleibt,  sind  sie  doch  eine 
wichtige,  ja  für  die  Frühzeit  vielleicht  die  wichtigste,  ikonographische  Quelle.  Der 
Porträtstil  hält  sich  unter  den  fränkischen  Kaisern  und  ihren  nächsten  Nachfolgern 
noch  an  die  äußerlichsten  Merkmale.  Die  Fähigkeit  andeutend  zu  charakterisieren, 
zu  skizzieren,  steht  noch  in  den  ersten  Stadien.  Sie  tritt  erst  im  14.  Jahrhundert 
sicher  hervor.  Die  größte  Zeit  der  deutschen  Plastik  hat  einzelne  sehr  schöne  Siegel- 
bilder aufzuweisen,  aber  als  Bildnisse  stehen  diese  Arbeiten  nicht  hoch.  Unter  den 
Luxemburgern  beginnt  eine  neue  Epoche  für  das  Siegelbild,  die  Fähigkeit,  ein  Ge- 
sicht in  wenigen  Zügen  charakteristisch  wiederzugeben  ist  gewonnen. 

Es  ist  für  unsere  mehr  auf  das  Stilistische,  als  auf  das  Ikonographische  ge- 
richtete Betrachtung  nicht  nötig,  die  Siegelbilder  sämtlicher  deutscher  Kaiser  zu 
besprechen. 

Die  zahlreichen  Siegel  Konrad  II.  stimmen  mit  einer  Ausnahme  (12.  1. 1025)   Taf.  x 
in  der  schmalen  Gesichtsform,  dem  langen  spitzen  Bart  und  dem  großen  Schnurrbart 
überein.    Es  sind  äußeriiche  Merkmale,  die  Individualisierung  fehlt.     Ich  gebe  auf 


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88  BBITRÄÜE  ZUR  GESCHICHTE  DES  BILDNISSES. 


Tafel  X  ein  Siegel  vom  1.  V.  1039.  Nun  stimmt  das  oben  erwähnte  Profilbild 
(23.  VIII.  1028)  wohl  in  den  allgemeinen  Grundzügen  mit  den  Frontbildem  überein. 
Aber  es  gibt  wesentlich  mehr  und  besseres. 

Wie  gering  der  Wert  der  Frontbilder  Konrads  anzuschlagen  ist,  zeigt  der  Ver- 
Tafci  XI.  gleich  mit  denen  Heinrich  III.  Die  Gesichter  auf  beiden  sind  fast  identisch.  Auch 
sie  finden  in  dem  Profilkopf  einer  Bulle  (22.  VII.  1040)  eine  Ergänzung.  Dieses  Bild 
ist  weniger  gut  als  das  Konrads,  verdient  aber  trotz  seiner  ziemlich  unbeholfenen 
Ausführung  einiges  Vertrauen.  Das  Profil  ist  stark  bewegt,  die  Stirn  gewölbt,  die 
kräftige  Nase  etwas  gebogen,  die  Oberlippe  kurz,  die  Unterlippe  wulstig,  der  Bart 
ist  in  runde  Knollen  und  längliche  Zotten  stilisiert.  Das  Auge  liegt  tief  unter  dem 
gegen  die  Nase  gesenkten  Augenbogen.  Auffallender  Weise  ist  hier  der  obere  Teil 
des  Gesichts  besser  gezeichnet  als  der  untere. 

Die  Majestätssiegel  der  späteren  fränkischen  Kaiser  und  Lothar  III.  sind  formal 
gering,  besonders  dürftig  sind  die  Beine,  welche  vom  Knöchel  gegen  das  Knie  keulen- 
förmig anschwellen.  Als  Bildnisse  bieten  sie  fast  nichts.  Zu  bedauern  ist,  daß  der 
Kopf  des  Siegels  Rudolfs  von  Schwaben  (25.  III.  1079)  ganz  verwischt  ist.  Hier 
hätte  man  zum  Vergleich  das  Grabmal  im  Dom  zu  Merseburg. 

Nun  möchte  man  gerne  von  den  großen  Hohenstaufen  genaue  Bildnisse  haben. 
Die  bieten  uns  die  Siegel  nicht,  aber  einen  Fortschritt  gegenüber  den  Siegeln  der 
Salier  bekunden  sie  doch.  Schon  die  Stilisierung  ist  fester,  das  Relief,  wenigstens 
bei  den  guten  Siegeln,  schön  und  kräftig,  aber  die  Beobachtung  der  Körperformen 
und  der  Bewegungen  ist  noch  mangelhaft.  Merkwürdig  ungleich  ist  die  Behandlung 
der  Gesichter,  neben  solchen,  welche  den  organischen  Bau  des  Kopfes  gut  erfassen, 
stehen  noch  im  13.  Jahrhundert  völlig  befangene  schematische  Bildungen  ohne  alles 
Leben.  Einige  Köpfe  sind  wirklich  schön.  Aber  gerade  sie  müssen,  wenn  es  sich 
um  den  Bildniswert  handelt,  mit  Mißtrauen  betrachtet  werden.  Sie  stammen  aus 
der  Blütezeit  der  mittelalterlichen  Plastik,  in  der  man  auch  Idealköpfe  zu  vollem 
Leben  durchzubilden  vermochte.  Die  Frage,  ob  die  Stempel  deutsche  oder  italienische 
Arbeiten  sind,  ist  schwierig  und  kann  mit  dem  Vergleichsmaterial,  welches  mir  hier 
zur  Hand  ist,  nicht  gelöst  werden.  Man  wird  geneigt  sein,  die  besseren  für  italienisch 
zu  halten.  Es  muß  aber  darauf  hingewiesen  werden,  daß  im  13.  Jahrhundert  die 
deutsche  Plastik  weit  höher  steht,  als  die  italienische. 
Tafel  XII.  Die  Siegel  Friedrich  I.  Barbarossa  stimmen  mit  Ausnahme  einer  Goldbulle 

von  1154  in  Wolfenbüttel  so  weit  überein,  daß  ihnen  trotz  der  Stilisierung  des  Kopfes 
Bildniswert  zugemessen  werden  darf.  Die  Form  des  Kopfes  ist  oval,  Schnurrbart 
und  Vollbart  sind  kräftig,  doch  nicht  lang,  die  Unterlippe  tritt  deutlich  hervor,  die 
Nase  ist  ziemlich  lang.  *  Eine  richtige  Darstellung  der  Augen  ist  noch  nicht  gelungen. 
Unter  den  Siegeln  ist  das  vom  26.  II.  1162  das  beste.  Das  Stadtsiegel  von  Geln- 
hausen mit  den  Halbfiguren  Friedrichs  und  Beatrices  hat  keinen  Bildniswert.  Zieht 
man  andere  Darstellungen  heran,  welche  teils  mit  Sicherheit,  teils  vermutungsweise 
auf  Friedrich  bezogen  werden,  so  haben  sie  zwar  alle  einige  Ähnlichkeit  mit  den 
Siegeln,  stimmen  aber  keineswegs  soweit  mit  ihnen  überein,  daß  man  sofort  von  der 
Identität  der  dargestellten  Person  überzeugt  ist.  Eine  kolorierte  Zeichnung,  welche 
Propst  Heinrich  von  Schaf tlarn  1180  gefertigt  hat,  jetzt  in  der  Vatikanischen 
Bibliothek  (Cod.  Vat.  2001.    Abb.  in  O.  Jägers  Weltgeschichte  II.  S.  264),  zeigt  den 


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VON  GUSTAV  VON  BEZOLD. 


89 


Kaiser  in  ganzer  Figur,  die  Form  des  Bartes  ist  ähnlich  wie  auf  den  Siegeln,  weiter 
erstreckt  sich  die  Ähnlichkeit  nicht.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  Relief  im  Kreuzgang 
von  S.  Zeno  in  Reichenhall  (Abb.  in  Kunstdenkmale  des  Königreichs  Bayern  I. 
S.  2911)  und  dem  am  Portal  des  Domes  zu  Freising  (Sammelblatt  des  Hist.  Vereins 
Freising  V.  Taf.  1).  Sie  sind  alle  nicht  nach  dem  Leben  gefertigt.  Das  Kopfreliquiar 
in  Cappenberg  in  Westfalen,  welches  vor  1171  gefertigt,  wird  in  der  Schenkungs- 
urkunde als  „arf  imperatoris  formatum  effigiem''  bezeichnet.  Daß  dieser  Kaiser 
Friedrich  I.  ist,  ergibt  sich  aus  einer  anderen  Stelle  der  Urkunde.  Der  Kopf  ist  in 
Erz  gegossen  und  äußerst  streng  stilisiert,  so  daß  man  ihn  ohne  die  Notiz  nicht  als 
Bildnis  ansehen  würde.  Ich  kann  mich  auch,  trotz  der  sehr  lebendigen  Behandlung 
des  unteren  Teils  des  Gesichts  und  der  Ähnlichkeit  des  Bartes  mit  den  anderen  Bildern 
Friedrichs  nicht  überzeugen,  daß  wir  hier  ein  nach  dem  Leben  gearbeitetes  Porträt 
vor  uns  haben.  (Über  das  Reliquiar  vgl.  Philippi  in  den  Mitteilungen  des  Vereins 
für  Altertumskunde  Westfalens  Bd.  44.  1886  mit  2  Abbildungen  und  Ludorff,  Die 
Bau-  und  Kunstdenkmäler  von  Westfalen,  Kreis  Lüdinghausen,  Taf.  24.) 

Die  Siegel  Friedrich  IL  sind  sehr  verschieden,  während  einige  ein  rundes  Ge- 
sicht ohne  alle  Individualisierung  geben  und  andere  (zwischen  1224  und  1276)  einen 
jungen  Mann  mit  hübschem,  aber  ausdruckslosem  Gesicht  zeigen,  hat  ein  Siegel 
vom  2.  VI.  1213  einen  schönen,  durch  die  tiefe  Lage  der  Augen  ausdrucksvollen  Kopf,  Tai.  xiii. 
der  mit  dem  eben  erwähnten  wenigstens  eine  allgemeine  Ähnlichkeit  hat.  Man  möchte 
hier  ein  im  großen  Sinn  des  13.  Jahrhunderts  stilisiertes  Bildnis  vermuten.  Das 
Gleiche  gilt  von  dem  Siegelbild  König  Heinrich  (VII). 

Der  außerordentlich  schöne  Kopf  Ricliards  von  Cornwallis  (1257—1272)  auf 
dem  Siegel  vom  16.  VIII.  1268  kann  wohl  nur  als  Idealbild  aufgefaßt  werden. 

In  den  Siegeln  des  ausgehenden  13.  und  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts 
finden  wir  manche  individuelle  Züge,  aber  ein  wesentlicher  Fortschritt  in  der  Er- 
fassung und  Wiedergabe  der  Wirklichkeit  tritt  nicht  ein. 


Mitteilungen  ans  dem  german.  Nationalmusenm.   1907. 


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SILBERVEROOLDETES  MONILE. 

Von  DR.  EDWIM  REDSLOB. 

(Neuerwerbung  des  Jahres  1907.) 
(Mit  1  Tafel.) 

Während  die  Geschichte  der  deutschen  Spätrenaissance  innerhalb  der  freien 
bildenden  Künste  eine  schnelle  Verarmung  an  Gedanken  und  Formen  zu  ver- 
zeichnen hat,  läßt  sich  beim  Kunstgewerbe  noch  ein  Jahrhundert  über  die  Blüte- 
zeit hinaus  eine  lebendige  Weiterentwickelung  erkennen.  Vor  allem  die  Gold- 
schmiedekunst bewahrte  sich  infolge  der  zunehmenden  Freiheit,  die  sie  in  der  tech- 
nischen Behandlung  des  Materials  gewann,  noch  bis  in  das  siebzehnte  Jahrhundert 
hinein  ihre  hervorragende  Stellung. 

Ein  bezeichnendes  "Beispiel  ihrer  Leistungsfähigkeit  wurde  im  Jahre  1907  im 
Münchener  Kunsthandel  für  die  Abteilung  der  kirchlichen  Geräte  unserer  Samm- 
lungen erworben.  Es  handelt  sich  um  eine  silbervergoldete  Agraffe,  ein  sogenanntes 
Monile,  das  im  liturgischen  Gebrauch  als  Zierstück  eines  Pluviale-Mantels  be- 
stimmt war. 

Unser  Stück  hat  die  Form  eines  aus  Halbkreisen  gebildeten,  durch  die  hervor- 
stehenden Ecken  eines  Quadrates  erweiterten  Vierpasses,  der  15,5  cm  im  Durchmesser 
aufweist.  Auf  der  zwei  lange  Haken  tragenden  silbernen  Rückseite  ist  eine  zweite 
Platte  angeschraubt,  vor  der,  innerhalb  einer  aufgelöteten  Profilumrahmung,  die 
Zierformen  aufgesetzt  sind.  Die  Mitte  der  Komposition  wird  durch  die  Madonna 
gewonnen.  Mit  dem  Flammenkranz  umgeben  thront  sie  vor  einer  Renaissancenische, 
auf  einem  bankartigen,  mit  schwerem  Stoff  bedeckten  Sitz.  Im  Sinne  der  Spät- 
renaissance ist  sie  als  jugendliche  Himmelskönigin  charakterisiert.  Auf  dem  Haupt, 
von  dem  das  gelöste  Haar  in  langen  Wellen  herabfällt,  trägt  sie  eine  kleine  Krone, 
in  der  rechten  Hand  hält  sie  das  Scepter,  indeß  das  auf  ihrer  linken  sitzende,  in  ein 
kurzes  Hemd  gekleidete  Kind  den  Reichsapfel  hält  und  die  rechte  Hand  segnend  er- 
hebt. Marias  Gewandung  besteht  aus  reich  gemusterten  Stoffen.  Sie  trägt  ein  ge- 
gürtetes, enganliegendes  Kleid,  über  dem  der  Mantel  in  feinen  Falten  liegt. 

Mutter  und  Kind  wenden  sich  dem  Stifter  zu,  dessen  kleine  Figur  etwas  un- 
geschickt links  vom  Thron  die  sonst  streng  regelmäßige  Anordnung  unterbricht.  Er 
kniet  in  Profilstellung  vor  dem  Betpult.  Seine  Kleidung  ist  die  weltliche  Tracht  der 
Zeit  um  l6oo,  nur  das  auf  dem  Pulte  liegende  Barett  deutet  auf  seine  geistlichen 
Würden  hin  und  läßt  wohl  am  ehesten  auf  enien  Domherrn  schließen. 

Die  vier  Pässe  sind  ornamental  gefüllt.  Im  oberen  ist  zur  Bekrönung  der  Nische 
ein  Baldachin  untergebracht,  dessen  von  zwei  schwebenden  Putten  zur  Seite  geraffte 
Vorhänge  die  Hauptgruppe  nach  rechts  und  links  abschließen.  Der  Rundung  der 
zwei  seitlichen  Halbkreise  paßt  sich  das  einfach  und  klar  geordnete  Schweifwerk 


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SILBKRVERGOLDETES  MONII.K.    VON  DR.  EDWIN  REDSLUH. 


91 


an,  mit  dem  die  Flügel  von  zwei  zur  Madonna  emporscliauenden  Cherubimköpfen 
endigen.  Im  unteren  Paß  liegt  ein  Lorbeerkranz,  dessen  Oval  nach  oben  zwei  ge- 
flügelte Engelsköpfe  erweitern.  Der  Kranz  umrahmt  eine  mit  geperlter  offener 
Krone  bedeckte  Kartusche,  auf  der  das  Wappen  aufliegt.  Es  zeigt  einen  quadrierten 
Schild  und  enthält  im  ersten  und  vierten  Feld  einen  doppelten  Hausanker,  im  zweiten 
und  dritten  drei  als  Mispelblüten  zu  deutende  fünfblättrige  Blüten  in  der  Anordnung 
2  über  1.  Zwischen  Schild  und  Kranz  sind  sechs  Buchstaben  eingraviert: 
SVHHZW,  die  auf  Grund  des  Wappens  aufzulösen  sind  in:  S.  von  Hatzfeld, 
Herr  zu  Wildenburg. 

Die  technische  Ausführung  der  montierten  Arbeit  verrät  eine  außerordentliche 
Sorgfalt.  Die  Teile  sind  einzeln  in  Silber  gegossen  und  mit  Stiften  oder  Muttern 
an  der  Rückplatte  angezogen,  nur  die  Vorhänge  des  Baldachins  und  die  Ornamente 
des  Wappens  sind  getrieben  und  angelötet.  Auch  der  mit  der  Madonnenfigur  an- 
geschraubte Strahlenkranz  ist  aus  dem  Stück  geschnitten. 

Der  Vergoldung  sind  durch  verschiedene  Materialbehandlung  farbige  Unter- 
schiede abgewonnen.  Die  am  stärksten  modellierten  Teile,  also  besonders  alle  Fleisch- 
partien, das  Ranken  werk  in  den  seitlichen  Pässen  und  die  Pfosten  des  Thrones  haben 
den  gewöhnlichen  Glanz.  Die  Vergoldung  der  durch  einfache  Rauten  verzierten 
Hintergrundplatte  mit  der  Nische  ist  poliert,  so  daß  sie  mit  den  vielen  Reflexlichtern 
der  vorgeschraubten  Zierstücke  von  hinten  hell  hervorleuchtet.  Als  dritter  Ton 
kommt  die  mattgeschlagene  Vergoldung  des  Ornamentstreifens  unter  dem  Thron 
in  Betracht.  Am  mühsamsten  sind  die  stofflichen  Teile  behandelt.  Kleid  und 
Mantel  der  Maria  sind  durch  sorgfältig  mit  dem  Punzen  eingeschlagene  Gewebe- 
ornamente unterschieden.  Auch  die  Tracht  des  Stifters,  die  getriebenen  Baldachin- 
streifen, die  Decke  des  Thrones  sowie  die  kleinen  Tücher  am  Halse  der  zwei  seitlichen 
Cherubim  sind  durch  Ziselierung  als  Stoffteile  charakterisiert.  Wichtig  und  be- 
sonders bewundernswert  erscheint,  daß  also  nur  durch  die  Materialbehandlung  die 
einzelnen  Unterschiede  gewonnen  sind;  die  Farbe  der  Vergoldung  selbst  ist  für 
alle  Teile  die  gleiche;  einige  Unterschiede  in  der  Färbung,  durch  die  besonders  die 
Pfosten  und  die  Decke  des  Thrones  nebst  Teilen  des  unteren  Paßrundes  auffallen, 
erklären  sich  durch  eine  vor  Aufnahme  des  Stückes  in  unsere  Sammlungen  vorge- 
nommene Reparatur. 

Für  die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Arbeit  kommen,  außer  dem  Hinweis  durch 
das  Wappen  des  in  den  Rheinlanden  ansässigen  Hatzfeldischen  Geschlechtes,  die  auf 
der  Rückseite  des  Stückes  oberhalb  seiner  Haken  angebrachten  Beschauzeichen  in 
Betracht.   Zu  unterst  befindet  sich  das  2,7  cm  lange,  in  Form  der  sogenannten  Säge 


Abb.  1.     Beschauzeichen  von  der  Rückplatte  des  Monile. 

eingeschnittene  Vollwertzeichen,  mit  dem  die  Geschworenen  der  Zunft  den  Feingehalt 
des  Materiales  garantiert  haben.    Darüber  sind  zwei  Wappen,  jedes   von   3  mm 


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92  SILBEKVERüOLDETES  MONILE. 


Höhe,  die  unsere  Abbildung  in  sechsfacher  Größe  wiedergibt.  Das  rechte  Wappen 
mit  dem  Pentagramm  bedeutet  das  Meisterzeichen,  das  linke  ist,  wie  uns  auch  eine 
freundliche  Mitteilung  des  Herrn  Professor  Marc  Rosenberg  zu  Karlsruhe  zusichert, 
als  Beschauzeichen  der  Stadt  Köln  zu  deuten.  Im  oberen  Felde  haben  wir  die  heiligen 
drei  Könige,  die  Schutzheiligen  der  Stadt,  zu  erkennen,  das  untere  Feld,  wo  im  Stadt- 
wappen elf  Flammen  als  Symbol  der  elftausend  heiligen  Jungfrauen  erscheinen,  ist 
durch  ein  Gitterwerk  gefüllt. 

Die  Entstehung  der  Arbeit  in  den  Rheinlanden  ergibt  sich  auch  aus  formalen 
Gründen.  Stilistische  Vergleichung  führte  uns  dazu,  an  einem  in  altem  west- 
fälischen Privatbesitze  befindlichen  Werke  dieselbe  Arbeitsart  zu  erkennen. 
In  dem  der  Familie  von  Twickel  gehörigen,  im  Kreise  Lüdinghausen  gelegenen 
Rittergut  Ermelinghof  wird  ein  kleiner  Hausaltar  bewahrt,  der  in  einer  späteren, 
mit  Beschlägen  verzierten  Ebenholzumrahmung  die  silberne  Figur  der  Madonna 
enthält.  (Abgebildet:  Bau-  und  Kunstdenkmäler  von  Westfalen,  Kreis  Lüding- 
hausen, Tafel  45.)  Über  Wolken  auf  dem  Halbmond  stehend,  ist  sie  ähnlich  der 
Figur  des  Monile  charakterisiert.  Ihr  gegürtetes  Untergewand  ist  ungemustert, 
aber  der  in  feingewellte  Falten  gelegte  Mantel  zeigt  ähnliche  Ornamente  wie 
das  Gewand  unserer  Madonna,  und  die  Ziselierung  seiner  Innenseite  entspricht 
ganz  der  Behandlung  der  getriebenen,  von  den  schwebenden  Engeln  gehaltenen 
Vorhänge  an  der  Agraffe.  Diese  Engel  lassen  sich  am  besten  mit  dem  in  Ermelinghof 
unbekleidet  gegebenen  Christuskind  vergleichen,  da  sie,  ihrer  Größe  entsprechend, 
sorgfältiger  durchmodelliert  werden  konnten,  während  sich  bei  einer  Gegenüber- 
stellung der  Madonnen  die  freiere  und  weichere  Behandlung  an  der  Standfigur  be- 
merken läßt,  die  ja  auch  in  annähernd  doppelter  Größe  gebildet  wurde. 

Die  Kenntnis  dieses  Werkes  ist  für  die  Datierung  wichtig,  weil  wir  diese  vor 
allem  aus  stilistischen  Gründen  gewinnen  müssen.  Wie  das  Monile  zeigt  es  Formen 
der  Spätrenaissance.  Da  wir  Arbeiten  der  Kölner  Kunst  vor  uns  haben,  kann 
eine  zeitliche  Ansetzung  nicht  hoch  in  das  siebzehnte  Jahrhundert  hinaufgehen.  Die 
Übersichtlichkeit  und  Ruhe,  die  besonders  das  Monile  in  Figuren  und  Ornamentik  aus- 
zeichnet, veränderte  sich  schon  in  den  zwanziger  und  dreißiger  Jahren  des  siebzehnten 
Jahrhunderts,  und  zwar  vornehmlich  unter  dem  Einfluß  der  frühzeitig  mit  Elementen 
des  Barockes  durchsetzten  Augsburger  Goldschmiedekunst.  Ein  Werk  wie  der  I633 
entstandene  Engelbertschrein  des  Kölner  Domschatzes  zeigt  diesen  Wandel.  Hier 
sind,  trotz  der  noch  einfachen  Gesamtkomposition,  die  Figuren  in  ihren  Stellungen 
und  Bewegungen  leidenschaftlich  und  aufgeregt,  die  Zierformen  zeigen  gewundene 
Übergänge  und  mannigfach  ausgebuchtete  Umrisse,  die  einzelnen  Ornamentmotive 
werden  bis  in  ihre  letzte  Konsequenz  zu  immer  neuen  Verzweigungen  ausgenutzt. 
(Abbildung:   Berühmte  Kunststätten  38:   E.  Renard,  Köln,  Fig.  168.) 

Unser  Bemühen,  die  Datierung  auch  auf  Grund  von  Anhaltspunkten  aus  der 
Hatzf eidischen  Familiengeschichte  zu  bestimmen,  fand  das  bereitwilligste,  dankbar 
an  dieser  Stelle  zu  nennende  Entgegenkommen  von  Seiten  des  herzoglich  Hatz- 
feldischen  Archives  zu  Trachenberg,  des  fürstlich  Hatzf  eidischen  zu  Crottorf  und 
der  bischöflichen  Archive  zu  Münster  und  Osnabrück.  Leider  konnte  sich  aber 
nicht  bestimmt  ergeben,  auf  wessen  Person  der  Name  S.  von  Hatzfeld  zu  deuten  sei. 
In  Betracht  kommt  erstens  der  Osnabrücker  Domherr  Stephan  von  Hatzfeld.    Als 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB.  93 


vierter  Sohn  aus  der  152}  geschlossenen  Ehe  zwischen  Hermann  Hatzfeld  aus  der 
Wildenburgischen  Linie  und  Anna  Droste  von  dem  Schweckhaus  könnte  er  noch  im 
Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts  Stifter  der  Schließe  gewesen  sein.  Allerdings 
müßte  dann  das  Datum  seiner  Geburt  sehr  spät  anzusetzen  sein,  da  die  Darstellung 
im  äußersten  Falle  auf  einen  Mann  in  der  Mitte  der  fünfziger  Jahre  schließen  läßt. 
Eine  zweite,  ursprünglich  von  uns  gehegte  Vermutung,  der  auch  die  Meinung 
Sr.  Durchlaucht  des  Herzogs  zu  Trachenberg  entspricht,  geht  dahin,  den  Namen 
S.  von  Hatzfeld  auf  Sebastian  von  Hatzfeld  zu  deuten,  der  sie  seinem  Sohne  Franz 
geschenkt  haben  könne.  Dieser  Franz  wurde  i6}0  Fürstbischof  von  Würzburg; 
die  Schließe  müßte  vorher  gestiftet  worden  sein,  denn  es  wäre  anzunehmen,  daß 
man  sonst  die  bischöflichen  Insignien  angebracht  hätte.  Auch  waren  nicht  die  Bischöfe, 
sondern  die  Domherren  zur  Stiftung  eines  Pluviale  mit  der  zugehörigen  Schließe 
verpflichtet.  Als  Resultat  bleibt  immerhin,  daß  wir  auch  auf  Grund  der  Hatzf eidischen 
Familiengeschichte  Anhaltspunkte  für  die  Entstehungszeit  der  Arbeit  am  Anfang: 
des  siebzehnten  Jahrhunderts  gewinnen. 


Die  Form  des  Monile  hatte  bis  zu  dieser  Zeit  schon  eine  lange,  durch  die  Aus- 
bildung des  Pluvialemantels  bestimmte  Tradition.  Das  Pluviale  hatte  sich  ziemlich 
schnell  zum  Prunkgewand  entwickelt.  Ursprünglich  hatte  es  bloß  den  Zweck  ge- 
habt, als  Regenmantel  bei  Prozessionen  die  reiche  Festtracht  vor  den  Einflüssen 
der  Witterung  zu  schützen.  Als  allmählich  die  einzelnen  Gewebeomamente  immer 
größer  und  verzweigter  sich  über  die  Bahnen  der  Stoffe  erstreckten,  schien 
der  umfangreiche  Mantel  besser  als  die  schmale  und  glatte  Casula  geeignet, 
die  golddurchwebten  Brokate  in  schweren,  auf  den  Höhen  erglänzenden  Falten- 
massen zur  Geltung  zu  bringen.  So  wurde  das  Pluviale,  das  schon  seit  dem  vier- 
zehnten Jahrhundert  vereinzelt  als  Amtstracht  der  Bischöfe  im  Inneren  der  Kirche 
verwendet  wurde ,  im  Verlaufe  des  sechszehnten  fast  allgemein  von  Bischöfen  und 
Domherren  an  Stelle  der  Kasel  getragen.  Vorn  geöffnet  und  mit  breiten,  meist  ver- 
schwenderisch bestickten  Borten  umsäumt,  wurde  es  über  der  Brust  durch  eine 
Spange  gehalten.  Damit  das  Gewicht  des  Mantels  diese  Spange  nicht  hinaufzöge, 
mußte  man  sie  beschweren.  Auch  Gründe  der  Schönheit  verlangten,  das  Zusammen- 
halten des  Mantels  über  der  Brust  klar  zu  veranschaulichen,  und  hierzu  konnte  inner- 
halb der  reichen  Säume  ein  schmales  Stück  Stoff  kaum  geeignet  erscheinen. 

Infolge  dieser  Anforderungen  entwickelten  sich  verschiedene  Formen  für  die 
Verzierung  der  Spange.  Man  besetzte  den  Streifen  mit  Perlen  und  schweren,  großen 
Steinen.  (Gute  Beispiele  dieser  Form  sind  auf  Bildern  der  Cranachschule  enthalten.) 
Oder  man  ließ  ihn  ganz  fallen,  richtete  den  Schnitt  so  ein,  daß  die  beiden  Mantel- 
hälften sich  in  Brusthöhe  trafen  und  steckte  sie  mit  einer  Agraffe  zusammen. 
(Beispiel:  Grabmal  des  Erzbischofs  Uriel  von  Gemmingen,  Kurfürsten  von  Mainz, 
gest.  1514,  im  Dom  zu  Mainz;   Gipsabguß  im  Germanischen  Museum.) 

Die  erste  Form  hatte  den  Nachteil,  daß  sie  als  Gegengewicht  zu  der  Rückseite 
nicht  schwer  genug  war,  und  daß  die  Steine,  sobald  die  Spange  nicht  mehr  auf  der 


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SILBER VERGoM»KTK.S  MUXILF. 


Brust  ruhte,   den  Zeugstreifen  übermäßig  belasteten.     Die  zweite  Form  zog   den 
Mantel  in  unschön  geknitterten  Falten  über  der  Brust  zusammen. 

Die  beste,    vor  allem    auch  für  die  Zeremonie    des  Umkleidens  am  Altare 
geeignetste   Lösung  war  die,  daß  man  auf  der   Spange  mittels  zweier  Krampen 


Abb.  2.     Teilstück  der  Bischofsfigur  von  einem  schwäbischen  Holzrelief 
des  Germanischen  Museums.    (PI.  O.  131) 

das  Metallschild  in  zwei  Laschen  aufsteckte.  Diese  Form  veranschaulicht  unsere 
Abbildung,  die  einen  Bischof  vom  Anfang  des  sechzehnten  Jahrhunderts  darstellt. 
(Da  B  r  a  u  n  —  Liturgische  Gewandung,  S.  )21  bis  )29  —  die  Bedeutung  des  Monile 
als  Gewicht  nicht  berücksichtigt ,  sieht  er  im  Aufstecken  der  Scheibe  auf  den  Quer- 
riegel ein  Zeichen  dafür,  daß  die  Pluvialschließe  nach  Aufgabe  der  Spangenform  zum 
bloßen  Schmuckstück  ohne  praktischen  Wert  geworden  sei.  Vgl.  auch  0 1 1  e, 
Kunstarchäologie,  1885,  I,  212  u.  276;  Bergner,  Kirchliche  Kunstallertümer, 
1905,  S.  357  und  375.) 

Diesen  aus  Anforderungen  der  Schönheit  und  Verwendbarkeit  sich  ergebenden 
Grundbedingungen  entspricht  die  Entwickelung,  die  sich  ganz  im  allgemein  für 
die  Pluvialschließe  erkennen  läßt.  Im  dreizehnten  Jahrhundert  trug  man  meist  ge- 
stickte Agraffen,  wie  auf  dem  Rauchmantel,  so  auch,  als  broschenarliges  Zierstück, 
auf  der  Kasel.  (Beispiel:  Gestickte  Agraffe  in  Vierpaßform  von  der  Braunfelser 
Kasel  des  Fürsten  Sohns,  Abb.,  Zeitschrift  f.  christliche  Kunst,  1903,  207.  Englische 
Arbeit  aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.) 


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VON  DK.  EDWIN  REHSLÜB. 


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Solche  paramentischen  Entwürfe  wurden  dann  von  den  Goldschmieden  über- 
nommen und  vielfach  mit  Emailmalerei  und  Edelsteinschmuck  ausgestattet.  (Vgl. 
Viollet-le-Duc :  Dictionnaire  raisonn6,  11,  PI.  XLVIII.  Joseph  Braun:  Pluvial- 
schließen  der  Stiftskirche  zu  Tongern,  Zeitschrift  f.  christliche  Kunst,  1904,  245  fg.) 

Allmählich,  besonders  im  Verlaufe  des  fünfzehnten  Jahrhunderts,  gab  man 
die  farbige  Belebung  der  Scheiben  auf,  der  figürlichen  Arbeit  aus  vergoldetem  Kupfer 
oder  Silber  wurde  die  Hauptbedeutung  beigemessen.  Durch  Fialen  und  Baldachin- 
überdachungen vertikal  gegliedert,  bekamen  die  Schließen  einen  architektonischen 
Charakter.  (Beispiele:  Hirth's  Formenschatz,  1906,  15  und  12),  zwei  Aachener 
Schließen,  Abguß  der  ersten  (K.  G.  66))  im  Germanischen  Museum.  Katalog 
der  Sammlung  Felix,  1886.  Heideloff:  Stilformen  des  Mittelalters,  H.  IX,  PI.  III. 
Bock:  Das  heilige  Köln,  1858,  VIII,  S.  )2.  Braun:  Liturgische  Gewandung.  ))2fg. 
Bau-  und  Kunstdenkmäler  in  Westfalen:  Agraffe  von  1487  im  Mindener  Dom.  Das 
Germanische  Museum  besitzt  aus  der  Spätzeit  der  Gotik  ein  kupfervergoldetes 
Monile  (K.  G.  611),  das  in  kreisrunder  Umrahmung  unter  Baldachinen  die  Madonna 
zwischen  Katharina  und  Barbara  enthält.) 

Im  Verlaufe  des  sechzehnten  Jahrhunderts  trat  die  vertikale  Einteilung 
und  Überhöhung  wieder  zurück :  eine  runde,  rosenförmig  um  die  Mitte  konzentrierte 
Anordnung  entsprach  dem  beruhigten  Formensinn  der  Renaissance.  Aber  die  go- 
tische Tradition  wirkte  noch  immer  nach  und  arbeitete  sich  im  Verlaufe  der  Zeit 
immer  wieder  durch.  Auch  unsere  Neuerwerbung  ist  ein  Beispiel  für  das  lange 
Nachleben  mittelalterlicher  Formen  innerhalb  der  kirchlichen  Kunst. 


aoa 


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EIN  BILDNIS  GEORG  PHILIPP  HARSDORFERS 
VON  GEORG  STRAUCH. 

VON  DR.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 

(Mit  2  Tafeln). 

Die  300.  Wiederkehr  des  Geburtstages  des  Begründers  des  Pegnesischen 
Blumenordens  Georg  Philipp  Harsdörfer  am  1.  November  1907  gab  uns 
Veranlassung,  zur  Erinnerung  an  diesen  vielseitigen,  ungemein  tätigen  und  seiner  Zeit 
einflußreichen  Literaten  eine  Ausstellung  zu  veranstalten.  Wir  kamen  damit  zu- 
gleich einem  Wunsch  des  jetzigen  1.  Vorstandes  des  Pegnesischen  Blumenordens, 
des  Herrn  Hofrats  Dr.  Wilhelm  B  e  c  k  h,  entgegen.  Unser  Bestreben  war  da- 
hin gerichtet,  ein  zusammenfassendes  Bild  des  Wirkens  und  der  Persönlichkeit  des 
Dichters  zu  geben,  unter  Berücksichtigung  der  Zeit,  in  der  er  gelebt,  und  nicht  zum 
mindesten  des  Ordens,  den  er  gestiftet.  Wir  konnten  aus  verschiedenen  Besitz- 
ständen ein  reichhaltiges  Material  zusammentragen.  Zum  größten  Teil  wurde  es 
unserem  Kupferstichkabinett  und  unserer  Bibliothek  entnommen.  Nicht  gering 
war  auch  die  Stoffülle,  welche  uns  die  Nürnberger  Stadtbibliothek  bot.  Hinzu 
kamen  Gegenstände  verschiedener  Art  aus  dem  Besitz  des  Pegnesischen  Blumen- 
ordens selbst,  aus  der  bei  uns  verwahrten  Bibliothek  der  Paul  Wolfgang  Merkei- 
schen Familienstiftung  und  aus  der  Kupferstichsammlung  der  Stadt  Nürnberg. 
Über  die  Ausstellung  ist  im  Zusammenhang  an  anderer  Stelle  berichtet  worden^). 
Auch  wurde  ein  handschriftliches  Verzeichnis  aller  ausgestellt  gewesenen  Gegen- 
stände angelegt.  Ich  kann  darum  davon  absehen.  Näheres  über  die  Ausstellung 
zu  bringen,  und  mich  unmittelbar  meiner  voriiegenden  Aufgabe  zuwenden. 

Selbstverständlich  mußte  unser  Ziel  neben  anderem  darauf  gerichtet  sein,  so- 
weit es  möglich  war,  alles  zu  vereinigen,  was  eine  porträtmäßige  Vorstellung  des 
Dichters  gibt.  A  priori  schien  zu  erwarten  zu  sein,  daß  hierbei  die  längst  bekannten 
und  wiederholt  reproduzierten  Bildnisse  wieder  ans  Tageslicht  kommen  würden, 
und  daß  sich  nach  dieser  Richtung  etwas  Neues  nicht  finden  lassen  würde.  Doch 
dem  war  nicht  so;  denn  bei  der  Durchsuchung  der  umfangreichen  Porträtsamm- 
lung der  Bibliothek  der  Paul  Wolfgang  Merkel'schen  Familienstiftung  stießen  wir 
unvermutet  auf  ein  bisher  gänzlich  unbekanntes  und,  was  das  Wichtigste  war,  originales 
Porträt.  Es  ist  eine  getuschte  Federzeichnung,  in  der  Mitte  unten  bezeichnet: 
„G.  Strauch,  fec:  1651"  Damals  war  der  Dichter  44  Jahre  alt  und  stand  also  in  der 
Vollkraft  seines  Lebens.  Sieben  Jahre  später  raffte  ihn  der  Tod  dahin.  Wir  haben 
also  eine  Darstellung  vor  uns,  welche  uns  Georg  Philipp  Harsdörfer  mit  voll  ausge- 
prägten Gesichtszügen,  die  späterhin  wenig  Veränderungen  mehr  erfahren  haben 

1)  Frank.  Kurier,  Abendausgabe  vom  6.  November  1907  (Nr.  569). 


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EIN  BILDNIS  GEORG  PBIL.  HARSDÖRFERS  VON  GEORG  STRAUCH.  VON  FR.  TR.  SCHULZ.        97 

werden,  zeigt.  (Taf.  XX).  Er  ist  als  Brustbild  gegeben,  das  von  einem  breiten  acht- 
eckigen Rahmen  umschlossen  wird.  Das  Antlitz  ist  dem-  Beschauer  fast  en  face  zuge- 
wandt, während  der  Oberkörper  nach  links  (vom  Dargestellten  aus)  gedreht  ist.  Das 
Gesicht  ist  rund  und  fleischig,  die  Nase  wenig  gekrümmt  und  energisch  ausgebildet. 
Die  unteren  Augenlider  treten  mäßig  schwer  hervor.  Die  Augenbrauen  sind  im 
Bogen  hinaufgeschwungen,  so  daß  die  darunter  liegende  Partie  als  breite  Fläche 
erscheint.  Alles  das  deutet  auf  einen  stark  entwickelten  Körper  hin.  Ein  kleiner 
Schnurrbart  deckt  die  Oberlippe.  Ein  kurzer  Knebelbart  umzieht  das  Kinn.  Der 
Hals  tritt  unter  den  Kinnbacken  fleischig  heraus.  Die  vollen  Gesichtszüge  deuten, 
wenn  dies  erlaubt  ist  zu  sagen,  auf  Wohlhabenheit  und  Gesundheit  hin.  Das 
Haupthaar  ist  in  der  Mitte  gescheitelt  und  wallt  beiderseits  in  welligem  Lockenfluß 
bis  auf  die  Schultern  herab.  Ein  breites,  beiderseits  gefranstes  Band  geht  von  der 
rechten  Schulter  nach  der  linken  Hüfte  herab.  Unterhalb  der  Schnalle  hängt, 
scheinbar  an  einem  besonderen,  um  den  Hals  getragenen  Bande,  ein  ovales  Medaillon 
mit  dem  Symbol  der  fruchtbringenden  Gesellschaft,  dem  Palmbaum.  Der  Unter- 
grund ist  licht  getuscht  und  durch  quergelegte  Parallelschraffuren  gegliedert.  Der 
Oberkörper  endet  nicht  unmittelbar  an  dem  Rahmen,  sondern  wird  von  diesem  durch 
einen  leeren  Streifen  getrennt,  auf  dem  ebenso  wie  auf  dem  Rahmenband,  welches 
das  Bildnis  als  Achteck  umschließt,  Schrift  angebracht  werden  sollte.  Der  Künstler 
hat  jedoch  hiervon  abgesehen.  Seine  Aufgabe  bestand  lediglich  in  der  getreuen 
Darstellung  und  dem  Arrangement  im  Ganzen;  alles  übrige  war  Sache  des  Stechers. 
Als  äußerer  Abschluß  dient  ein  rechteckiger  Rahmen,  den  eine  dünne  Federlinie 
umgrenzt.  In  den  oberen  Eckzwickeln  hat  der  Künstler  rechts  das  Wappen,  links 
die  Helmzier  Harsdörfers  angebracht,  beide  mit  flatternden  Bändern  verziert.  Das 
untere  Stück  des  Bildes  wird  von  einer  perspektivisch  gestellten  Tischplatte  ein- 
genommen. Auf  dieser  bemerken  wir  links  ein  Buch  mit  geöffnet  darauf  liegender 
Uhr,  rechts  auf  einem  vorn  umgebogenen  Stück  Papier  einen  dreischenkligen,  auf- 
recht gestellten  Zirkel.  Rechts  von  diesem  wird  das  Ende  einer  Papierrolle,  links 
der  untere  Teil  eines  scheinbar  zylindrischen  Gefäßes  bemerkt.  Oberhalb  der  er- 
wähnten Inschrift  endlich  liegen  ein  Messerchen  und  eine  Feder. 

Die  Darstellungsart  ist  eine  flotte.  Die  Konturen  sitzen  fest  und  sicher.  Das 
Gesicht  ist  sprechend  im  Ausdruck.  Entschieden  darf  dieses  Porträt  den  besseren 
Bildniszeichnungen  der  Zeit  beigezählt  werden.  Das  Arrangement  im  Ganzen  ist 
ein  glückliches  und  ansprechendes. 

Als  Verfertiger  dieses  Bildnisses  hat  sich,  wie  schon  bemerkt,  Georg  Strauch 
genannt,  ein  Künstler,  der  sich  als  Maler,  Kupferstecher  und  Emailmaler  betätigte*). 

2)  An  Literatur  über  diesen  ist  zu  verweisen  auf:  Andreas  Gulden's  Fortsetzung 
der  Johann  Neudörf  erischen  Nachrichten  von  berühmten  Künstlern  und  Handwerkern  im 
17.  Jahrhundert  in  der  Ausgabe  von  Lochner,  S.  203  u.  231.  —  Joh.  Gabriel  Doppel- 
mayr,  historische  Nachricht  von  den  Nümbergischen  Mathematicis  und  KünsUem,  Nürnberg 
1730,  S.  233  u.  234,  unter  Berücksichtigung  der  Zusätze  in  seinem  Handexemplar,  das  unsere 
Bibliothek  besitzt.  —  N agier,  neues  allgemeines  Künstler- Lexikon,  XVII,  S.  465  u.  467-  — 
Nagler,  Monogrammisten  III,  Nr.  370,  384  u.  2913-  —  Andresen,  der  deutsche  Peintre- 
Graveur  V,  S.  140  ff.  —  Allgemeine  deutsche  Biographie,  Bd.  XXXVI,  S.  527  u.  f.  —  Hans 
Bosch,  die  Nürnberger  Maler,  ihre  Lehrlinge,  Probestücke,  Vorgeher  u.  s.w.  von  1596—1659, 
in  den  Mitteilungen  des  Germanischen  Nationalmuseums  1899. 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  13 


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98  EIN  BtLDNlS  GEORG  PHILIPP  HARSDÖRFERS  VON  GEüRQ  STRaÜCÖ. 


Er  wurde  am  17.  September  1613  in  Nürnberg  geboren,  wo  er  wirkte  und  am 
1).  Juli  1675  starb.  Rte  irrt  wohl  nur,  wenn  er  in  seinem  Artikel  über  Georg 
Strauch  in  der  Allgemeinen  deutschen  Biographie  167)  als  Todesjahr  angibt.  Ge- 
rade das  Bildnis  des  Meisters  von  unbekannter  Hand,  das  er  im  Auge  hat,  nennt 
1675  als  Todesjahr.  Übrigens  ist  dieses  Bildnis  recht  herzlich  schlecht.  In  jeder 
Hinsicht  steht  es  als  eine  mindere  Leistung  da,  vollkommen  abfallend  gegen  das 
reizende  kleine  Porträt  mit  der  Pelzmütze,  das  der  Künstler  im  Jahre  1655  eigen- 
händig radierte,  und  das  er  mit  folgender  Devise  versah:  „Gott  ist  meines  Lebens 
Krafft,  Sein  Wort  meiner  Seelen  Safft".  Eines  der  Exemplare  dieses  Selbstbild- 
nisses, welche  sich  in  der  Porträtsammlung  der  Bibliothek  der  Paul  Wolfgang  Mer- 
kel'schen  Familienstiftung  befinden,  trägt  folgenden  handschriftlichen  Vermerk: 
„Georg  Strauch  fecit  1655.  0hl  und  Schmeltz  Mahler  in  Nürenberg  raddierte  auch 
1675".  Der  Drang  zur  Kunst  soll  sich  frühzeitig  in  ihm  geregt  haben.  Wie  Doppel- 
mayr  berichtet,  illuminierte  er  „die  mehreste  biblische  Figuren  schon  in  dem  10. 
Jahr  seines  Alters,  ohne  daß  er  die  geringste  Anweisung  zuvor  darinnen  gehabt, 
so  fein,|daß  sich  viele  darüber  verwundert**.  Sein  Lehrmeister  wurde  Johann 
Hauer,  zu  dem  er  1626  (1628)  „zur  Beförderung  seines  guten  Intents**  ging.  Weil 
er  kein  Lehrgeld  gab,  mußte  er  sich  auf  sechs  Jahre  zu  diesem  verdingen.  Unter- 
richtet wurde  er  im  Malen  und  Radieren.  Er  machte  so  gute  Fortschritte,  daß  er 
schon  im  Jahre  16)5  sein  Probestück  fertigen  konnte,  bestehend  in  der  Darstel- 
lung des  heiligen  Sebastian,  wie  selbiger  an  einen  Baum  angebunden.  Meister  wurde 
er  am  8.  September  dieses  Jahres.  1647/51  und  1654/58  war  er  Vorgeher  der  Maler- 
zunft. 1651  wurde  er  zum  Genannten  des  größeren  Rats  gewählt.  1667  wurde 
er  Kirchner  bei  St.  Sebald.  Er  war  also  angeschrieben:  „Der  erbar  und  fürnehm 
Georg  Strauch  Mahler  u.  Contrefeyer,  auch  diese  Zeit  verordneter  Kirchner  bey 
S.  Sebald  auf  der  vordem  Füll**.  Seine  Frau  war  den  28.  Mai  1682  folgendermaßen 
angeschrieben:  „Die  erbar  und  ehrntugendsame  frau  Magdalena  des  erb:  und  für- 
nehm Georg  Sträuchen  Mahlers  u.  Contrefeyers  auch  verordneten  Kirchners  bey 
S.  Sebald  hinteriassne  wittib,  unterhalb  St.  Lorenzen**.  Georg  Strauch  war  ein 
Sohn  des  Hans  Strauch,  der  als  Visierer  bezeichnet  wird*). 

Was  seine  künstlerische  Wirksamkeit  betrifft,  so  genügt  es  für  den  vorliegen- 
den Zweck,  wenn  ich  mich  auf  einige  allgemeine  Angaben  beschränke.  Zunächst 
war  er  als  Radierer  tätig.  Als  solcher  wird  er  geschätzt.  Seine  Blätter  sind  zum 
Teil  selten.  Andresen  zählt  deren  }}  auf,  darunter  16  Porträts.  Als  Maler  fertigte 
er  historische  Darstellungen  und  Bildnisse.  Für  die  letztgenannte  Seite  seiner 
Tätigkeit  besitzen  wir  ein  hübsches  Beispiel  in  dem  auf  Holz  gemalten  Kniebild 
einer  unbekannten  Nürnbergerin  mit  einer  Flitterhaube  vom  Jahre  1664,  das  außer- 
ordentlich zierlich  durchgeführt  ist  und  fast  einer  Miniature  gleicht.  Es  mißt 
nur  23  cm  in  der  Höhe  und  18  cm  in  der  Breite*).  Einen  besonderen  Ruf  genoß 
er  als  Emailmaler.  Es  heißt  von  ihm:  „Malte  gar  klein  Ding  von  Schmelzglas  auf 
Gold**.    Bei  Doppelmayr  lesen  wir:  „absonderiich  aber  war  er  in  der  Mahlerey  mit 

3)  Siehe  Th.  Hampe,  Nürnberger  Rats  verlasse  über  Kunst  und  Künstler  im  Zeitalter  der 
Spätgotik  und  Renaissance,  II,  Nr.  2615-  Dort  heißt  es  zum  1.  Nov.  1613:  »»An  statt  Christoff 
Reingrubers  soll  man   Hansen  Sträuchen  zu  einem  geschwomen  visierer  annemen**. 

4)  Katalog  der  im  Gennanischen  Museum  befindlichen  Gemälde,  3-   Aufl.,   Nr.  834. 


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VOK  DH.  FRrrZTRAliGOl^  SCfiüLZ.  ÖO 

Gummi-Farben  und  im  Schmeltz-Wercke  oder  in  dem  so  genannten  Emailliren  treff- 
lich geübt,  und  bemühet  viel  schönes  davon  zum  Andencken  zu  hinterlassen,  welche 
man  noch  bis  dato  als  treffliche  Kunst-Stücke  in  hohen  Werth  hält".  Andresen 
und  R6e  führen  Proben  seines  Wirkens  auf  diesem  Gebiet  an',  die  sich  damals  in  der 
Kunstkammer  in  Berlin  und  im  Belvedere  zu  Wien  befanden.  Ganz  besonders  groß 
aber  ist  die  Zahl  seiner  Zeichnungen,  die  er  für  den  Stich  im  Einzelblatt  und  in  Büchern 
schuf.  Sie  bestehen  in  Historien,  Landschaften,  Grotesken,  Emblemen,  auch  In- 
schriften und  Sentenzen.  Neben  anderem  war  er  als  Illustrator  für  verschiedene 
geistliche  Schriften  des  bekannten  Predigers  Joh.  Mich.  Dilherr  tätig,  was  zu  be- 
merken deshalb  nicht  unwichtig  ist,  weil  er  bei  einer  dieser  Gelegenheiten  auch  mit 
Georg  Philipp  Harsdörfer  in  Berührung  kam,  was  für  diesen  Veranlassung  geworden 
sein  mag,  gerade  durch  ihn  sein  Bildnis  als  Vorlagezeichnung  für  den  Kupferstich 
fertigen  zu  lassen.  Zu  Joh.  Mich.  Dilherr's  evangelischer  Sonntags-,  Fest-  und 
Epistelpostill  nämlich,  welche  dieser  die  Sabbaths-Ruhe  benannte,  hat  Georg  Philipp 
Harsdörfer  die  Sinnbilder  erfunden  und  diese  dann  unser  Georg  Strauch  gezeichnet. 
Ich  entnehme  diese  Notiz  unserem  mit  zahlreichen  handschriftlichen  Zusätzen  ver- 
sehenen Handexemplar  von  Doppelma)^*,  bei  der  mir  jedoch  die  Angabe  des  Jahres 
der  Herausgabe  dieses  Buches  (1674)  etwas  zweifelhafter  Natur  zu|iein  scheint.  Die 
Zahl  der  religiösen  Embleme  dieses  Werkes  wird  auf  182  angegd)en.  Der  Stich 
zu  ihnen  rührt  von  Melchior  Küsseil  her.  Weiter  zeichnete  Strauch  viele  Bildnisse, 
die  von  Sebastian  Furck,  Bartholomeus  Kilian,  Andreas  Khol,  J.  F.  Leonhart, 
Jak.  Sandrart,  Jak.  Schollenberger,  Com.  Nie.  Schurz,  Matthaeus  Küsseil  u.  a.  m. 
in  Kupfer  gestochen  wurden.  Zu  diesen  gehört  auch  das  vorliegende  Porträt  Georg 
Philipp  Harsdörfers,  das  in  allem  deutlich  darauf  hinweist,  daß  es  eine  nach  dem 
Leben  gezeichnete  Vorlage  für  einen  Stich  ist.  Dieser  wurde  von  Andreas  Khol 
in  Kupfer  gebracht. 

Wie  verhält  sich  nun  der  Khol'sche  Stich  unseres  Harsdörfer-Porträts  zu  der 
Strauch'schen  Originalzeichnung  .^  Wir  müssen  uns  näher  mit  dieser  Frage  be- 
schäftigen, weil  es  von  Wichtigkeit  ist  festzustellen,  ob  uns  in  den  verschiedenen 
allgemein  bekannten  und  oft  reproduzierten  Bildnissen  Georg  Philipp  Harsdörfers 
sein  charakteristisch  physiognomischer  Gesichtsausdruck  getreu  und  wahr  über- 
liefert worden  ist.  Vorweg  ist  noch  zu  bemerken,  daß  der  Stich  des  Andreas  Khol, 
wie  aus  der  Unterschrift  geschlossen  werden  darf,  eine  Widmung  des  bekannten 
Nürnberger  Kupferstechers,  Kunsthändlers  und  Verlegers  Paul  Fürst  an  den  Dichter 
ist;  denn  nur  auf  diesen  können  die  beiden  Initialen  P.  F.  gedeutet  werden.  Bei 
der  Vergleichung  der  Zeichnung  und  des  Stiches  sehe  ich  von  äußerlichen  Ab- 
weichungen wie  auch  von  einer  Erklärung  des  Beiwerks  in  den  Zwickeln  links  und 
rechts  unten  ab  und  beschränke  mich  lediglich  auf  das,  worauf  es  mir  hier  ankommt, 
auf  das  Antlitz  des  Dichters,  wie  es  hier  und  dort  wiedergegeben  erscheint.  Zug  um 
Zug  läßt  sich  konstatieren,  daß  der  Stecher  die  feinen  Gesichtszüge  vergröbert,  entstellt 
und  verdorben  hat.  Die  hohe  Stirn  des  Originals  ist  im  Stich  (Taf.  XXI)  niedriger 
gegeben,  sie  ist  in  die  Breite  gezogen  und  mehr  nach  vorn  herausgedrückt.  Die 
Folge  davon  ist,  daß  das  volle  lockige  Haupthaar  nicht  mehr  in  seiner  bezeichnen- 
den Weise  herabflutet.  Der  Scheitel  sitzt  verkehrt,  wodurch  bewirkt  ist,  daß  die 
Natürlichkeit  des,  wenn  ich  so  sagen  darf,  künstlerischen  Haararrangements  in  eine 


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100  EIN  BILDNIS  GEORG  PHILIPP  HARSDÖRFERS  VON  GEORG  STRAUCH. 


steife  Symmetrie  verkehrt  ist.  Durch  diese  Veränderung  ist  dem  Antlitz,  wie  wir 
es  in  der  Zeichnung  dargestellt  finden,  eines  seiner  wichtigsten  Merkmale  genommen 
worden.  Ganz  anders  wirkt  ferner  die  Behandlung  der  Augen  hier  und  dort.  Zwar 
treten  die  Augen  auch  in  der  Zeichnung  etwas  schwer  markiert  aus  den  Höhlen 
heraus.  Doch  ist  der  Schwung  der  Lider  hier  weit  mehr  gerundet.  Das  obere  Lid 
ist  auch  nicht  so  breit  und  lastet  darum  nicht  so  schwer.  Das  untere  Lid  liegt  nicht 
so  plastisch  auf,  wie  wir  es  auf  dem  Stich  sehen.  Hinzu  kommt,  daß  die  Augen- 
brauen viel  freier  hinaufgezogen  sind.  So  ist  der  Effekt  in  der  Kupferstich  wieder- 
gäbe ein  ganz  anderer.  Die  Verzeichnung,  die  Verschiebung  der  charakteristischen 
Lagen  der  Linien  in  den  Augenpartien,  die  übertriebene  Herausarbeitung  ins  Pla- 
stische hat  dem  geistreichen  Zug,  den  das  Antlitz  des  Dichters  in  der  originalen 
Zeichnung  zur  Schau  trägt,  in  ganz  bedenklicher  Weise  Abbruch  getan.  Der  Stecher 
hat  etwas  ganz  anderes  daraus  gemacht.  Auch  die  Form  der  Nase  hat  er  verändert. 
Der  Rücken  ist  in  Wirklichkeit  höher  und  im  oberen  Teil  energischer  ausgeprägt. 
Die  Partie  zwischen  Nase  und  Mund  wirkt  dadurch,  daß  die  Haare  des  kleinen 
Schnurrbarts  aufwärts  gekämmt  und  die  neben  den  Nasenlöchern  beginnenden 
Wangenfalten  stärker  hervorgekehrt  sind,  im  Stich  ebenfalls  anders  als  im  Original. 
Überhaupt  hat  das  ganze  Antlitz  eine  mehr  länglich-ovale  Form  bekommen,  wäh- 
rend es  auf  der  Zeichnung  mehr  in  die  Breite  geht.  Das  Fleisch  der  Gesichtsteile 
ist  femer  bei  weitem  nicht  so  straff  gespannt;  es  ist  weicher  und  voller.  Die  offen- 
sichtliche Unfähigkeit  des  Stechers  gegenüber  seiner  Vorlage,  die  sich  in  allem  als 
künstlerisch  bedeutsam  erweist,  hat  so  ein  Bild  zuwege  gebracht,  das  nicht  im 
Entferntesten  den  Feinheiten  der  Zeichnung  gerecht  geworden  ist.  Es  ist  eine 
Wiedergabe,  die  sich  nur  in  dem  allgemeinen  Gesamteindruck  dem  Original  nähert, 
aber  in  den  wirklich  charakteristischen  Einzelheiten  auf  Treue  der  Durchführung 
nicht  den  geringsten  Anspruch  erheben  darf.  Der  Stich  ging  in  zahlreichen  Exem- 
plaren in  die  Welt  hinaus  und  bestimmte  für  die  Folgezeit  die  Vorstellung  von  der 
äußeren  Persönlichkeit  des  Dichters.  Die  originale  Zeichnung  aber,  die  allein  das 
richtige  Abbild  bringt,  war  nur  einmal  vorhanden.  Sie  blieb  verschollen,  um  erst 
vor  kurzem  durch  einen  Zufall  wieder  ans  Tageslicht  zu  kommen.  Beide  sind  zu- 
gleich ein  Beweis  für  die  Richtigkeit  des  allgemeinen  Satzes  in  Naglers  Monogram- 
misten:  „G.  Strauch  lieferte  auch  Zeichnungen  zum  Kupferstiche,  welche  aber  nicht 
gut  übertragen  wurden**. 

Der  Porträtstich  des  Andreas  Khol,  welcher  Künstler  im  Jahre  1656  starb, 
wurde  die  Quelle  weiterer  Übel,  denn  es  dürfte  kaum  einem  Zweifel  unteriiegen, 
daß  auf  ihn  der  erst  nach  dem  Tode  des  Dichters  geschaffene  Stich  des  Jakob  von 
Sandrart  zurückgeht.  Zwar  heißt  es  links  unten  auf  dem  letzteren  „G.  Strauch 
delin:*',  aber  ein  Vergleich  der  drei  Blätter  lehrt,  daß  diese  Notiz  nur  insofern  Be- 
rechtigung hat,  als  Sandrart  nur  indirekt,  nämlich  durch  das  Porträt  des  Andreas 
Khol  auf  die  originale  Darstellung  zurückging.  Eine  neue  Zeichnung  des  Georg 
Strauch  scheint  mir  hier  nicht  vorzuliegen.  Die  Veränderungen,  welche  Sandrart 
vornahm,  sind  nämlich  nur  äußerlicher  Natur.  Er  kleidete  den  Dichter  in  die  Tracht 
eines  Nürnberger  Senators,  welche  Würde  er  ja  einnahm,  und  umschloß  sein  Bild 
mit  einem  ovalen  Rahmen,  der  in  einer  Pilasterstellung  mit  größeren  allegorischen 
Figuren  und  kleinen  Darstellungen  ruht.    Die  Gesichtszüge  behielt  er  bei,  sie  je- 


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VON  DR  FRITZ  TRAÜQOTT  SCflÜLZ. 


101 


doch  noch  weiterhin  verflachend  und  vergröbernd.  Hierdurch  entfernte  sich  das 
von  ihm  geschaffene  Bildnis  noch  weiter  von  der  gezeichneten  Vorlage.  Der  Cha- 
rakter des  Urbildes  wurde  in  fortschreitender  Skala  entstellt,  verwischt  und  ver- 
dorben. So  darf  der  Sandrartsche  Porträtstich,  zu  dem  sich  die  originale  Kupfer- 
platte jetzt  als  Depositum  des  Pegnesischen  Blumenordens  bei  uns  befindet,  auf  Treue 
und  Zuverlässigkeit  der  Wiedergabe  im  Grunde  genommen  noch  weniger  Anspruch 
erheben  als  das  Blatt  des  Andreas  Khol.  In  weit  geringerem  Maße  aber  gilt  dies 
noch  von  dem  auf  den  ersten  Blick  täuschend  ähnlichen  Nachstich,  den  der  Nürn- 
berger Kupferstecher  Augustin  Christian  Fleischmann  zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
nach  dem  Sandrarf sehen  Porträt  schuf.  Auch  er  fand  nichts  Verwerfliches  darin, 
wenn  er  seinem  Blatt  ein  „G.  Strauch  delin."  beifügte  und  dabei  in  Wirklichkeit 
nicht  auf  die  Zeichnung,  sondern  auf  den  bereits  sekundären  Stich  Sandrarts  zurück- 
ging. Die  damalige  Zeit  war  in  derlei  Dingen  nicht  so  ängstlich,  wie  man  es  heute 
zu  sein  gewöhnt  ist;  auch  der  Nachstich  hatte  damals  noch  nicht,  oder  wenigstens 
nicht  immer,  den  Beigeschmack  des  Unerlaubten  und  Verbotenen. 


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DIE  HOLZMOBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

VON  DR.  HAnS  STCGMANN. 

(Fortsetzung.) 


Verbleiben  wir  bei  der  Betrachtung  der  Renaissanceschränke  gleich  bei  dem 
zuletzt  behandelten  Stollenschränken  aus  dem  Rheinland  und  Westfalen,  so  ist  eine 
konstruktive  Weiterbildung  kaum  zu  bemerken.  Der  Schrankkasten  steht  je  nach- 
dem auf  vier  oder  sechs  Stollen,  die  sich  um  die  Hälfte  verringern,  wenn  die  Rück- 
wand des  Kastens  bis  zum  Boden  oder  dem  unteren  Querbrett  heruntergezogen  ist. 
Der  Schrank  ist  ganz  regelmäßig  als  rechteckiger  Kasten  gebildet,  die  Vorderfläche 
zwei-  oder  dreigeteilt  mit  zwei  Türen  im  ersteren,  mit  einer  mittleren  oder  zwei 
seitlichen  im  letzteren  Falle. 

Das  Museum  besitzt  von  rheinischen  und  westfälischen  Stollenschränken  eine 
schöne  Reihe  meist  in  guter  originaler  Erhaltung.  Die  rheinischen  Schränke,  die 
wie  ihre  spätmittelalteriichen  Vorfahren,  mit  ihren  flandrischen  und  französischen 
Genossen  in  naher  verwandtschaftlicher  Beziehung  stehen,  sind  durchaus  in  Eichen- 
holz gearbeitet;  die  allein  gezierten  Vorderflächen,  gelegentlich  auch  die  Vorder- 
stollen sind  mit  reicher  omamentaler  und  figürlicher  Schnitzerei  bedeckt. 

Beginnen  wir  mit  dem  schönsten  Exemplar  (Abb.  121  u.  122).  Es  wurde 
von  dem  bekannten  Möbelhändler  und  Restaurator  Most  in  Köln  bei  einem  Bauern 
in  Wanne  aufgefunden  und  von  A.  v.  Essenwein  I883  in  unrestauriertem  Zustand 
für  das  Museum  erworben.  Es  wurde  dann  von  Most  in  verhältnismäßig  schonen- 
der Weise  wiederhergestellt.  Wenn  Essenwein  (Mittig.  d.  Germ.  Mus.  Bd.  1  S.  182  f.  u. 
Tafel  XI 11)  in  seiner  Besprechung  des  Stückes  dasselbe  um  die  Wende  des  16.  und 
17.  Jahrhunderts  ansetzt,  so  dürfte  nach  dem  echten  Frührenaissancecharakter  des 
Ornaments,  auch  wegen  der  Kostüme  der  Medaillonköpte  diese  Entstehungszeit 
um  einige  Jahrzehnte  zu  spät  gegriffen  sein.  Ich  möchte  diesen  Stollenschrank 
und  seine  beiden  Genossen  im  Museum  eher  um  1560  datieren.  Mit  Recht  betont 
aber  Essenwein  den  gotischen  Grundcharakter  des  Schrankes,  der  auch  in  den 
scharfen,  feinen  Profilierungen  des  Schreinerwerks,  nicht  nur  in  dem  ganz  nach  außen 
gelegten  Beschläge  nachklingt.  Ganz  renaissancemäßig  dagegen  ist  die  in  Entwurf 
und  Ausführung  gleich  ausgezeichnete,  geschnitzte  Dekoration  der  Vorderstollen, 
der  drei  obern  Schrank-  und  der  beiden  Schubladenfelder.  Das  feine  künstlerisch 
Verständnis  in  der  Behandlung  der  Verhältnisse  und  des  Details  geht  weit  über  die 
oft  übliche  ungeschickte  Übernahme  von  Omamentstichvorbildem  hinaus.  Man 
beachte  beispielsweise  die  verständnisvolle  Verwendung  des  Akanthusblattwerks  an 


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DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS.  VON  DR.  HANS  STEGMANN.      10^ 

den  Vorderstollen,  die  frisch  er-  und  empfundene  Art  der  Flächenfüllung  mit  von 
Maskarons,  Panisken  und  Vögeln  durchsetzten  Blattwerks,  oder  die  ausgezeichnete 
aufsteigende    Kandelaberfüllung   mit  Putten  des  Mittelteils.     Charakteristisch  für 


Jim 


Abb.  121.    Westfälisch-rheinischer  Stollenschranic.    Mitte  des  16.  Jahrhunderts. 

die  rheinischen  Stollenschränke  ist  die  Verwendung  frei  aus  der  Fläche  heraus- 
tretender Brustbilder  aus  den  Türfüllungen,  die  zugleich  die  Funktion  der  Türknäufe 
versehen    sollten.    Ob    für  diese  eigenartige   Büstenverwendung   Frankreich  oder 


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104  DIB  HOLZMÖBBL  DES  GBRICANISCHBN  BfTJSEUMS. 

Deutschland  die  Priorität  gebührt,  läßt  sich  bei  dem  angeführten  gleichzeitigen  Auf- 
treten des  Motivs  in  beiden  Ländern  schwer  entscheiden. 

Die  Einteilung  des  Schrankes  mit  zwei  Türen  und  einem  unbeweglichen  Mittel- 
teil, darunter  zwei  Schubladen,  ist  die  übliche.    Ebenso  die  typische  Verzierung 


Abb.  122.     Seltenansicht  des  Schrankes  Abb.  121. 

der  Seiten  mit  Pergamentrollen,  die  nur  durch  Anbringung  strickförmig  gedrehter 
Rundstäbe  in  den  Knickungen  der  Rolle  etwas  antikisiert  erscheinen.  Die  Maße  des 
Schrankes  sind  Höhe:  1,55,  Breite  1,2  und  Tiefe  0,58  m. 


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VON  DR  HANS  STEGMANN.  105 


Dem  eben  besprochenen  und  abgebildeten  rheinisch-westfälischen  Stollenschrank 
steht  ein  weiterer  der  Sammlung  sehr  nahe.  Der  Schrankaufbau  (zum  großen  Teil 
modern  ergänzt)  ist  genau  derselbe.  Er  hat  dieselben  (drei)  Vorderfelder  mit  zwei  Türen 
im  eigentlichen  Schrankkasten,  darunter  ebenso  zwei  Schubladen.  Nur  ist  er  breiter 
auseinandergezogen.  Die  Stollen  und  der  gesamte  Unterbau  sind  schwerer,  nicht 
geschnitzt  und  kaum  profiliert.    Die  Teilungsfüllung  zwischen  den  Schubladen  ist 


Abb.  123.    Vorderansicht  eines  rheinischen  Stollenschrankes. 

auch  hier  als  eine  Art  „Hängestollen"  mit  Kropf  gebildet.  Die  Profilierungen  des 
bekrönenden  Gesimses  und  der  Umrahmungen  nähern  sich  mehr  der  gotischen 
Formensprache,  als  derjenigen  der  Renaissance.  Die  Flachschnitzereien  der  Schub- 
ladenvorderseiten weisen  Mascarons  mit  Blattwerk,  die  drei  eigentlichen  Schrank- 
füllungen, von  denen  die  mittlere  wesentlich  schmäler  als  die  beiden  äußeren  sind, 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  14 


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106 


DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


in  der  Mitte  sämtlich  frei  heraustretende  Köpfe,  links  (vom  Beschauer)  den  einer 
Frau,  rechts  und  in  der  Mitte  von  Männern.  Die  Umrahmung  bildet  das  übliche 
Blattwerk.  Die  Seitenteile  haben  in  3  Feldern  Pergamentrollenverzierung.  Die 
Ausführung  ist  eine  sorgfältige,  wenn  auch  nicht  so  meisterhaft,  als  beim  vorher- 
gehenden Stück. 


Abb.  124.     Seitenansicht  des  Scliranlces  Abb.  123. 

Die  Schlösser  fehlen,  die  wiederum,  wie  bei  diesen  Möbeln  üblich,  außen- 
liegenden Türbänder  sind  in  ähnlichen  gotischen  Formen  gehalten,  wie  bei  dem  vorigen. 

Derselben  Gruppe  und  Zeit  gehört  ein  kleinerer,  von  A.  v.  Essen  wein  schon 
Ende  der  sechziger  Jahre  in  Köln  bei  einem  kleinen  Händler  erworbener  und  nach 
dem  Ankauf  maßvoll  restaurierter  Stollenschrank  (besprochen  und  abgebildet  Mittig. 
d.  Germ.  Mus.  Bd.  I  S.  19)  f.  u.  Tafel  XIV)  an,  den  die  Abbildungen  123  und  124  in 


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VON  DR.  HANS  STEGBiANN. 


107 


Vorder-  und  Seitenansicht  wiedergeben  Er  ist  wesentlich  kleiner  (die  Höhe  be- 
trägt 1,4,  die  Breite  0,88,  die  Tiefe  0,45  m).  Die  Dreiteilung  des  Schrankkastens 
ist  hier  so  getroffen,  daß  auf  ein  breites  Mittelfeld  mit  der  Tür  zwei  schmale  Seiten- 
felder treffen.  Der  seitlichen  Pergamentrollenfüllungen  sind  es  auch  nur  zwei,  eine 
mit  senkrechter  und  eine  mit  wagrechter  Anordnung  des  Pergaments.  Die  geschnitzte 
Dekoration  bewegt  sich  in  den  üblichen  Formen  mit  den  heraustretenden  Medaillon- 
büsten in  den  Rahmenfüllungen  und  dem  schon  etwas  flau  und  oberflächlich  be- 
handelten Blattwerk. 

Einen  sehr  nahe  verwandten,  aber  doch  nicht  gleichen  Typus  der  Stollen- 
schränke lernen  wir  in  zwei  Exemplaren  aus  Westfalen  kennen,  die  ebenfalls  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  entstammen  dürften.  Gleich  ist  bei  ihnen 
und  den  rheinischen  Schränken  das  Material  und  die  reiche  Verwendung  von  Relief- 
schnitzerei; dieselbe  erstreckt  sich  hier  sogar  auf  alle  gliedernden  und  tragenden 
Teile.  Dies  ergibt  bei  den  in  verhältnismäßiger  Kleinheit  durchgeführten  über- 
reichen Motiven  ein  etwas  unruhiges,  zum  Teil  sogar  unklares  Bild. 

Das  erste  Exemplar  ruht  auf  vier  brettförmigen  Stollen  (die  untere  Querplatte 
mit  den  kurzen  glatten  Stollen  darunter  ist  moderne  Ergänzung),  von  denen  die 
beiden  vorderen  in  Reliefschnitzerei  (nur  auf  der  Vorderseite)  als  Säulen  auf  über- 
hohen, mehrfach  gegliederten  Postamenten  behandelt  sind.  Der  Schrankkasten 
ist  an  der  Vorderseite  in  drei  Felder  gegliedert,  von  denen  das  breitere  mittlere  die 
Türe  mit  originellem,  gotisierendem  Schloß  enthält.  Die  schmalen  Seitenfüllungen, 
durch  breitere  äußere  und  schmälere  innere  Pilaster  abgegrenzt,  haben  aufsteigende 
kandelaberartige  Kompositionen,  von  vielen  kleinen  Putten  umspielt.  Auf  der  Mitte 
des  Kandelaberschafts  hängt  je  ein  Wappen  (links  vom  Beschauer  mit  Schachbrett- 
muster, rechts  mit  drei  ins  Dreieck  gestellten  Rosen).  Ähnliche,  auf  Omament- 
stiche  als  Vorbilder  deutlich  hinweisende,  aufsteigende  Füllungen  haben  die  in  der 
Axe  der  Stollen  laufenden  Pilaster.  'Der  Einfluß  der  in  Technik  und  Geschmack 
weit  durchgebildeteren  Handwerksgenossen  am  Rhein  läßt  sich  leicht  erkennen. 
Eigenartig  ist  bei  diesem  Stück  die  Behandlung  der  Rundstäbe,  die  wo  immer  an- 
gängig ein  strickartig  gedrehtes,  abwechselnd  aus  glattem  Band  und  Perlstab  zu- 
sammengesetztes Muster  zeigen.  (Abb.  125).  Die  Maaße  betragen:  1,48  m  Höhe, 
1,01  m  Breite,  0,55  m  Tiefe. 

Das  zweite  Exemplar,  etwas  kleiner,  die  Höhe  beträgt  1,44,  die  Breite  1,03, 
die  Tiefe  0,51  m,  entfernt  sich  vom  landläufigen  Typus  des  Stollenschrankes  etwas 
dadurch,  daß  der  Schrankkasten  sich  ohne  Trennung,  ja  sogar  ohne  Schlagleisten  in 
zwei  fast  die  ganze  Breite  einnehmende  Türen  öffnet.  Das  stark  restaurierte  Stück  — 
Deckplatte  mit  Sims,  Untergestell  bis  auf  die  skulptierten  Vorderpfosten,  und  Seiten- 
wände sind  erneuert  —  zeigt  in  Anordnung  und  Ausführung  mit  seinem  vorbe- 
schriebenen Genossen  sehr  viel  Ähnlichkeit.  Besonders  gut  sind  hier  die  stämmigen, 
mehrfach  abgesetzten  Vorderpfosten  mit  ihrer  Akanthustabverzierung,  dann  die 
vielleicht  ursprünglich  gar  nicht  zu  diesem  Schrank  gehörende  Arabeskenfüllung 
der  unteren  Schublade.  Die  Arabeskenfüllungen  der  Türen,  deren  Mittelpunkt  hier 
zwei  aufgehängte,  offenbar  bürgerliche  Wappen  bilden,  sind  wesentlich  schwächer. 
Das  Schloß  werk  ist  demjenigen  des  in  Abb.  125  wiedergegebenen  ganz  gleich. 


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108  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

Der  lokalen  und  auch  der  stilistischen  Verwandtschaft  halber,  sei  ein  weiterer 
Schrank  aus  den  Rheinlanden  angeschlossen,  der  den  Stollenschränken  fem  steht. 
Er  dürfte  seiner  ganzen  Außenbehandlung  nach  im  ursprünglichen  Zustand  ein 
eingebauter  Wandschrank  in  Verbindung  mit  einer  vielleicht  gleichartig  anschließen- 
den Wandvertäfelung  gewesen  sein,  wenn  er  nicht  etwa  gar  in  späterer  Zeit  (wohl 


Abb    125.     Westfälischer  Stollenschrank.     Ende  des  16.  Jahrh. 

aber  nach  dem  Befund  der  einfachen  Seiten-  und  Rückwand  zu  schließen  vor  dem 
19.  Jahrhundert)  aus  Teilen  einer  Vertäfelung  zusammengefügt  wurde.  (Abb.  126.) 
Die  Vorderseite  ist  dreigeschossig  und  im  Ganzen  in  zwölf  Felder  geteilt,  so  symme- 
trisch, daß  von  einem  ausgesprochenen  Möbelcharakter  eigentlich  nicht  die  Rede 
sein  kann.  Die  Entstehung  des  Schrankes  dürfte  in  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
fallen.    Das  Hauptdekorationsmotiv  des  durch  seitliche   und  mittlere  Pilaster  ge- 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  109 


gliederten  Schrankes  sind  in  den  umrahmten  Füllungen  der  beiden  Untergeschosse 
Spitzrauten,  deren  Inneres  sechsmal  eine  in  Blattwerk  auslaufende  Maske,  einmal 
eine  Schere  und  einmal  eine  Hausmarke  in  Verbindung  mit  der  Zahl  4  aufweist. 
Die  oberen  vier  Felder  dagegen  zeigen  in  reichen  Laubwerkfüllungen  die  rheinischen 
Büstenmedaillon  sin  leider  ziemlich  beschädigtem  Zustand.  Der  Schrank  ist  1,88  m 
hoch,  1,85  m  breit  und  0,63  m  tief. 

Von  weiteren  norddeutschen  Schränken  wären  nur  noch  zwei  der  Frührenais- 
sance zuzuzählende  Stücke  der  norddeutschen  Tiefebene  an  dieser  Stelle  zu  be- 
trachten.   Wirklich   gotische    Schränke,  wie   sie   insbesondere   im  Lüneburgischen 


Abb.  126.     Rheinischer  Schranlc    Ende  des  16.  Jahrh. 

sich  erhalten  haben,  besitzt  das  Museum  nicht.  Der  Aufbau  besteht  bei  diesen  aus 
dem  eingebauten  Schrank  entstandenen  System  aus  einem  in  der  Regel  dreigeschos- 
sigem Gefach,  wobei  mindestens  sechs  einzelne  durch  eigene  Türen  verschlossene 
Fächer  sich  ergeben.  Charakteristisch  ist,  daß  bei  dem  im  Mittelpunkt  des  Schrankes 
liegenden  Fach,  die  Drehungsaxe  der  Tür  nicht  vertikal,  sondern  horizontal  ist,  so 
daß  die  geöffnete  Tür  eine  zum  Schreiben  und  dergl.  geöffnete,  oft  noch  durch  ein 


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110  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


Abb.  127.     Niederdeutscher  Schrank  von  1550. 

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VON  DK.  HANS  STEGMANN.  Hl 


originelles  eisernes  Gestänge  gestützte  horizontale  Platte  bildet.  Ein  merkwürdig, 
reich,  wenn  auch  etwas  derb  geziertes  Stück  dieser  Art,  das  den  mittelalterlichen 
Aufbau  noch  beibehält  —  andere  werden  wir  bei  der  späteren  Be^rechungder  bäuerlichen 
Möbel  vorfinden  — ,  hat  das  Museum  in  einem  mit  der  Jahreszahl  1550  versehenen  großen 
Schrank  aufzuweisen,  der  vielleicht  in  Schleswig- Holsteins  eine  Heimat  hat.  Der 
Schrank  (Abb.  127)  ist  3,12  m  hoch,  1,62  m  breit  und  0,72  m  tief.  Der  Schrank 
ist,  wenn  man  ein  schmales  Schubladengeschoß  hinzurechnet,  viergeschossig.  Das 
Untergeschoß  mit  zwei  Gefachen,  ist  durch  zwei  größere  Türen  geschlossen,  welche 
ebenso  wie  der  trennende  Rahmenstreifen  mit  Arabeskenfüllungen,  die  Türen  außer- 
dem mit  männlichen  Brustbildmedaillons  in  Flachrelief  geziert  sind.  Darüber  zwei 
Schubladen,  deren  Vorderseiten  einen  Spruch  enthalten:  JS(T) .  CODT .  MIT. 
VNS .  WOL  (soll  heißen  Wer)  KAN  .  GEGEN  .  VNS.  Das  nächste  Geschoß  ent- 
hält zwischen  zwei  rein  vegetabilischen  Arabesken  eine  breite,  nach  unten  aufklapp- 
bare Tür  mit  zwei  geschnitzten  Füllungen,  dem  Sündenfall  und  der  Vertreibung 
aus  dem  Paradiese.  Das  oberste  Geschoß  enthält  drei  je  mit  einer  Tür  verschlossene 
Fächer,  die  durch  schmale  Pilaster  getrennt  sind;  die  Reliefs  der  Türen  behandeln 
die  Geschichte  Simsons.  Den  oberen  Abschluß  bildet  ein  hohes,  gebälkartiges  Ge- 
sims, durch  das  die  Pilaster  des  obersten  Geschosses  durchgekröpft  sind.  Über  dem 
Gesims  ein  Aufbau  mit  einer  Wappentafel,  welche  auch  die  Jahrzahl  trägt  und  oben 
und  an  den  Seiten  mit  Muschelhalbkreisen  begrenzt  wird,  in  deren  Zentrum  frei 
heraustretende  männliche  Büsten  sich  befinden.  Die  dekorativen  Teile  stimmen 
wohl  in  der  etwas  derben  Durchführung,  nicht  aber  stilistisch  überein,  so  daß  schon 
Zweifel  an  der  Ursprünglichkeit  des  Schrankes  in  dieser  Form  und  an  der  frühen 
Datierung  aufgetaucht  sind.  Doch  dürfte  sich  für  die  auffallende  Verschiedenheit 
des  figüriichen  und  des  omamentalen  Schmuckes  wohl  die  Erklärung  finden  lassen, 
daß  an  einer  wahrscheinlich  kunstarmen  Stätte  der  Verfertiger  für  die  omamentalen 
Stücke  verhältnismäßig  gute  graphische  oder  andere  Vorlagen  benutzen, 
während  eine  mehr  handwerklich-bäueriiche  Kunst  mit  den  Köpfen  und  Figuren 
—  vielleicht  rohen  Holzschnitten  entnommen  —  nicht  recht  fertig  werden  konnte. 
Die  zwischen  Gotik  und  Renaissance  schwankenden,  reichen,  verzinnten  Beschläge, 
die  Verwendung  von  breitköpfigen  ebenfalls  verzinnten  Nägel  an  Stelle  der  üblicheren 
Holzzapfen,  die  Unteriassung  jeglicher  Verzierung  an  den  trennenden  Horizontal- 
gliedem  lassen  nicht  auf  ein  Kulturzentrum,  etwa  eine  größere  Stadt  als  Entstehungs- 
ort schließen. 

Gleichen  Kreisen  dürfte  der  zweite  in  der  eigentlichen  Möbelsammlung  des 
Museums  sich  befindende  norddeutsche  Schrank  entstammen,  den  wir  in  Abb.  128 
dargestellt  sehen.  Er  ist  sechsteilig  mit  vertikaler  Mittelteilung,  die  durch  sämtliche 
drei  Geschosse  hindurchgeht.  Die  einfache,  aber  sehr  wirkungsvolle  Dekoration 
wird  einmal  durch  das  sehr  reichlich  verwendete,  gotisierende,  durchbrochene  und 
verzinnte  Eisenbeschläg,  das  das  dunkle  Eichenholz  merkwürdig  belebt,  dann  durch 
die  Schnitzerei  der  zahlreichen  Füllungen  gebildet.  Der  Aufbau  ist  sonst  sehr  ein- 
fach. In  einem  von  einem  unteren  glatten  Querbrett,  zwei  schmalen  Pilasterfül- 
lungen  an  den  Seiten  und  einem  kräftig  profilierten  oberen  Abschlußgesims  gebildeten 
Rahmen  besteht  die  Vorderseite.  Zwei  für  Niederdeutschland  charakteristische 
aus  der  Schrankfläche  vorspringenden  Kufenbretter,  in  die  die  Seitenwände  einge- 


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112  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

zapft  sind,  kommen  hinzu.  Die  Horizontal-  und  Querverbindungen  sind  leicht 
ausgekehlt  und  mit  einem  abgesetzten  Stab  verziert.  Die  eingerahmten  Tür- 
füllungen, an  den  beiden  Untergeschossen,  je  vier  im  oberen,  je  zwei  für  jede  Tür, 


Abb.  128.     Niederdeutscher  Schrank  von  1566. 

zeigt   gefälteltes   Pergament    in  der  für   die  Spätzeit   und    die   niederdeutschen 
Gegenden  bezeichnenden  vielfach  gebrochenen  und  sinnwidrig  auch  durchbrochenen 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


113 


und  an  den  Säumen  ausgeschnittener  Art.  Die  beiden  Seitenpilaster  haben  auf- 
steigende Füllungen  mit  dem  üblichen  Ornamentenapparat  in  leidlich  guter  Aus- 
führung. Am  oberen  Ende  der  PilasterfüUungen  befindet  sich  die  Datierung: 
Anm.  1566.  Die  Maße  betragen:  Höhe  2,42  m.  Breite  1,75  m,  Tiefe  0,65  m. 
Die  Gesamtwirkung  ist  eine  ganz  vorzügliche,  wenn  auch  bei  der  Einzelbetrachtung 
diese  norddeutschen  Möbel  an  Sauberkeit  des  Entwurfs  und  der  Ausführung  den 
oberdeutschen  ziemlich  nachstehen. 

Die  Hauptgattung  der  oberdeutschen  Schränke  in  der  Frührenaissance,  deren 
Blüte  wir  bis  ins  späte  16.  Jahrhundert  annehmen  können,  bleibt  der  doppel- 
geschossige  Schrank.  Die  Geschosse  sind  oft  lose  aufeinandergesetzt,  Sockel  und  Ge- 
sims leicht  abnehmbar.  Bei  den  engen  Ausmaßen  der  Treppen  und  Türen  der  Bürger- 
häuser jener  Zeit  war  dies  geboten,  um  die  Aufstellung  und  den  Transport  zu  er- 
leichtern, zumal  da  die  Dimensionen  der  Schränke  dieser  Art,  in  der  Regel  zur  Auf- 
nahme der  mit  dem  zunehmenden  Luxus  immer  ansehnlicher  werdenden  Vorräte 
der  Leinenwäsche,  ziemlich  große  waren.  Im  Gegensatz  zu  den  oben  betrachteten 
rheinischen  und  niederdeutschen  Schränken  ist  der  Aufbau  im  wesentlichen  archi- 
tektonisch. Wie  im  Mittelalter  läßt  der  oberdeutsche  Schrank  das  Vorbild  des  Hauses 
mit  reich  geschmückter  Fassade  durchklingen.  Die  Architektur  der  Schränke  wird 
dabei  immer  reicher.  Dieser  Umstand  geht  Hand  in  Hand  mit  dem  offenbaren  Be- 
wußtsein, daß  der  Inhalt  den  kostbarsten  oder  doch  gepflegtesten  Teil  des  hausfrau- 
lichen Besitzes  enthält.  So  wird  der  oberdeutsche  Schrank  im  Verlauf  des  16.  und 
auch  noch  des  17.  Jahrhunderts  das  prunkvollste  und  repräsentativste  Möbel  des 
ganzen  Hausrats.  Es  entsteht  der  Typus  des  Prunkschrankes,  der  dann  auch  außer- 
halb der  bürgerlichen  Familie  in  Amtszimmern  und  dergleichen  Orten  seinen  Platz 
findet.  Bekannt  ist,  daß  die  ganze  deutsche  Renaissance  in  ihrem  späteren  Ver- 
laufe auch  in  anderen  Zweigen  —  es  sei  nur  auf  die  eigentliche  Architektur,  die 
dekorative  Plastik,  die  Ofenkeramik  hingewiesen  —  einen  charakteristischen,  schreiner- 
mäßigen Zug  hat.  Daß  dieses  üppige  Wuchern  der  Holzarchitektur  auf  ihrem 
eigensten  Gebiet,  der  Möbelkunst,  und  ihrem  damaligen  vornehmsten  Repräsentanten, 
dem  Schrank,  in  spitzfindig  gekünstelten  Ausdrucksformen  noch  vor  Eindringen 
des  eigentlichen  Barockos  besondere  Triumphe  feierte,  kann  daher  nicht  überraschen. 

Von^solchen  erstaunlichen  Schreinerkunststücken,  wie  sie  manche  Samm- 
lungen aus  dem  Ende  des  16.  und  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  besitzen,  hat  das 
Germanische  Museum  zwar  keine  Exemplar  aufzuweisen,  dafür  beginnt  die  Reihe 
der  Entwicklung  mit  sehr  seltenen  frühen  Exemplaren  und  läßt  sich  bis  um  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  ziemlich  lückenlos  an  meist  aus  Nürnberg  oder  dessen  Um- 
gebung stammenden  Stücken  verfolgen. 

Der  schönste  und  zugleich  auch  früheste  Nürnberger  Renaissanceschrank 
stammt  aus  dem  Jahre  1541  (Abb.  129).  Zugleich  gehört  er  zu  dem  frühesten  Be- 
sitz des  Germanischen  Museums,  nämlich  zu  der  Sammlung  des  Begründers  der 
Anstalt,  Freiherm  H.  v.  Aufseß.  Der  spätmittelalterliche  Grundtypus  ist  völlig 
beibehalten.  Zwei  völlig  gleiche  Geschosse  werden  durch  eine  Mittelabteilung  mit 
zwei  Schubladen  getrennt ;  die  Gesamtheit  der  Behälter  steht  auf  ziemlich  hohem 
Untersatz  und  wird  von  einem  ebensolchen  Aufsatz  bekrönt.  Beide  Teile  sind  im 
Gegensatz  zu  den  meist  durchbrochenen  gotischen  Untersätzen  und  Galerien  ge- 

Mitteilttngtn  am  dem  gtnnan.  Nationalfflosemn.   1907  15 


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114  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERBCANISCHEN  MUSEUMS. 


schlössen  gehalten.  Die  Übertragung  der  Renaissanceformen  auf  den  gotischen 
Kern  ist  in  vollkommener  Weise  gelöst.  Die  ungemein  sichere  Behandlung  aller 
Verhältnisse,  die  vollkommene  Beherrschung  aller  Zierformen,  wie  der  Profilierung 
im  neuen  Stil,  die  vornehme  und  phantasievolle  Zeichnung  der  geschnitzten  Fül- 
lungen und  der  umrahmenden  Teile  verraten  den  Entwurf  eines  hervorragenden 
Künstlers,  dem  auch  die  saubere  Ausführung  entspricht.    Es  lag  in  Berücksichtigung 


Abb.  129.     Nürnberger  doppeltgeschouiger  Schrank  um  1540. 

dieser  Umstände  nahe,  an  Peter  Flettner  zu  denken,  doch  dürfte  bei  der  gegen- 
wärtigen Sucht,  jede  nur  irgendwie  bedeutende  Leistung  der  deutschen  Frührenais- 
sance mit  diesem  Namen  in  Beziehung  zu  bringen,  einige  Vorsicht  geboten  sein.  Die 
Dekoration  schwelgt  förmlich  in  den  neuen  von  Italien  herübergekommenen  Formen. 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


115 


Man  beachte  den  klassizistischen  Zug,  der  dieser  frühesten  Zeit  deutscher  Renais- 
sance eignet,  in  der  Verwendung  von  Zahnschnitten,  Eierstäben  und  Blattkränzen, 
dann  von  dorischen  Triglyphen  und  Metopen  mit  Stierköpfen.  Im  geschnitzten 
Relief  wiegen  aus  Vasen  aufsteigende  Pflanzenkompositionen  vor.  Aber  auch  die 
ganz  quattrozentistischen  gekreuzten  Wappenschilder,  die  Behandlung  des  Blatt- 
werks in  der  spätrömischen  Formengebung  verrät  genaue  Kenntnis  der  italienischen 


Abb.  130.    Nürnberger  Renaissanceschrank;  Mitte  des  16.  Jahrh. 

Kunst.  Der  Kern  des  Schrankes  ist  nach  oberdeutscher  Sitte  in  weichem  Holz  aus- 
geführt. Die  Schnitzereien  sind  in  Eichenholz,  die  noch  gotisch  breitflächigen  Rahmen 
der  Türen  mit  hellerem  Eschenholz  foumiert.  Mit  Recht  hat  A.  v.  Essen  wein,  der 
diesen  und  den  folgenden  Schrank  in  den  Mitteilungen  des  Germanischen  Museums 
Bd.   I    S.  238  ff.  Tafel  XVI  beschrieb  und  abbildete,  auch  auf  die  seltene  Stilein- 


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116  DIB  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 

heitlichkeit  sogar  in  den  ausnahmsweise  in  reiner  Renaissance  ausgeführten  Be- 
schlägen —  nur  die  Schlüsselbleche  und  Zuggriffe  liegen  auf  der  Außenseite  —  hin- 
gewiesen. 

Die  Höhe  des  Schrankes  beträgt  2,35,  die  Breite  1,75,  die  Tiefe  0,58  m.  Die 
Jahreszahl  der  Entstehung  (1541)  ist  auf  einem  Täfelchen  im  Mittelpilaster  des 
oberen  Stockwerkes  angebracht. 

Sehr  ähnlich  ist  diesem  ein  weiterer  Schrank  (Abb.  130).  Man  könnte  fast 
glauben,  er  sei  in  derselben  Werkstatt  entstanden,  nur  daß  die  feine  künstlerische 
Empfindung  doch  etwas  geringer  ist.  Der  Aufbau  gleicht  dem  vorigen  vollkommen. 
Einfacher  ist  er  nur  darin,  daß  eine  Vertikalteilung  der  Schrankgeschosse  nicht  mehr 
stattfindet.  An  Stelle  des  trennenden  Pilasters  mit  Füllungen  ist  eine  einfache  Tür- 
schlagleiste mit  Querpfeifen  und  Rauten  getreten.  Auch  die  Füllungen  der  Türen  mit 
einer  architektonischen,  nicht  ganz  organischen  Bogenstellung  harmonieren  nicht 
ganz  mit  dem  reichen  Kandelaber  und  Blattfüllungen  der  umrahmenden  und  trennen- 
den Teile,  die  wieder  von  trefflichem  Entwurf  sind.  Ein  noch  antikisierenderes  Ge- 
präge erhält  der  Schrank  durch  das  Aufsetzen  eines  flachen  tempelartigen  Giebels 
mit  geschnitzter  Giebelfüllung.  Aber  z.  B.  die  ganz  schreinermäßige  Behandlung  des 
Hauptgesimses  verrät  das  Fehlen  eines  einheitlichen  künstlerischen  Entwurfes,  ebenso 
wie  die  Türfüllungen.  Es  ist  offenbar  alles  aus  zweiter  Hand.  Der  Schrank  ist  wie 
sein  vorherbeschriebener  Genosse,  als  dessen  wenig  jüngerer  Bruder  er  wohl  ange- 
sprochen werden  kann.  Nürnberger  Ursprungs  und  wurde  vor  etwa  vierzig  Jahren 
von  dem  bekannten  Erforscher  der  deutschen  Renaissance  Professor  A.  Ortwein  bei 
einem  kleinen  Antiquar  gefunden  und  von  Essenwein  für  den  für  heutige  Verhältnisse 
fast  lächeriich  geringen  Preis  von  80  Gulden  s.  W.  für  das  Museum  erworben.  Er 
ist  2,6  m  hoch,  1,75  m  breit  und  0,60  m  tief. 

Der  dritte  Schrank  dieser  Art  ist  nach  seiner  künstlerischen  Wirkung  der 
geringwertigste.  Als  Ausgangspunkt  einer  neuen  nun  anbrechenden  Entwicklung  aber 
ist  er  wichtig.  Er  besteht  aus  zwei  gleichen  Stockwerken  mit  je  zwei  annähernd 
quadratischen  Türen,  deren  Rahmenwerk  wie  bei  den  vorangehenden  in  Gehrung 
geschnitten  ist  (Eschenholzfoumier),  während  die  hochrechteckigen  Füllungen  in 
in  Eichenholz  geschnitzt  eine  über  einem  architektonischen  Sockel  sich  aufbauende 
Blattwerkfüllung  in  breiten  krautartigen  Formen  zeigen.  Der  niedrige  nicht  über 
den  gesamten  Schrankaufbau  heraustretende  Sockel  enthält,  durch  ein  kleines  ge- 
schnitztes Mittelstück  getrennt,  zwei  einfache  Schubladen.  Die  Türen,  nur  durch 
eine  verhältnismäßig  einfache  Schlagleiste  getrennt,  werden  in  beiden  Geschossen 
von  verhältnismäßig  breiten  pfeilerförmigen  Feldern  begrenzt,  vor  denen  dünne, 
nicht  gerade  schön  gebildete  toskanische  Säulen  auf  vor  dem  Unterbau  herausge- 
kröpften Sockeln  stehen.  Das  schwere,  den  Schrank  abschließende  Gebälk  ruht, 
vor  die  Fläche  der  Vorderseite  vorgezogen,  auf  diesen  Säulen.  Das  Gebälk  mit  ge- 
schnitztem Fries  (abwechselnd  schlecht  gebildete,  flaschenförmige  Vasen  mit  Blät- 
tern und  eine  Blattwerkkomposition)  ist  durch  einen  geschweiften  Aufsatz  (Vasein 
der  Mitte  mit  addosiertem,  in  Laubwerk  auslaufendem  Delphinenpaar)  abgeschlossen. 
Der  Vorsprung  des  Aufsatzes  zeigt  in  der  Untersicht  gedrechselte  Scheiben.  Als 
oberer  Aufsatz  dient  ein  geschweift  ausgesägtes  Brett. 


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VON  DR  HANS  STEGMANN. 


117 


Der  Schrank,  geschickt  im  Entwurf,  zeigt  den  ersten  Versuch,  den  doppelgeschos- 
sigen  Schrank  durch  eine  einzige  Säulenordnung  —  wir  haben  hier  sozusagen  den 
Vater  aller  der  vielen  nachfolgenden  Säulenschränke  vor  uns  —  zu  einem  eingeschos- 
sigen zusammenzufassen.  Deswegen  ist  auch  die  Trennung  der  beiden  Geschosse 
mit  Weglassung  des  üblichen  Zwischengeschosses  durch  ein  paar  nichtssagende 
Gliederungen  sehr  schwach  hervorgehoben.  Die  Maße  des  Schrankes  sind:  Höhe 
2,36,  Breite  2,11,  Tiefe  0,8  m. 


Abb.  131.     Hälfte  eines  doppelgeschossigen  Renaissanceschrankes  um  1600. 

Das  ansehnlichste  Stück  der  zweigeschossigen  Schränke  des  Museums  gehört 
schon  dem  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  an..  Die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
hatte  aber  in  Nürnberg  den  Möbelgeschmack  völlig  geändert.  Die  geleimte  Arbeit, 
vielfache  Kehlungen,  Kröpfungen,   Fournierung  in  den  verschiedenen  Hölzern,  ein 


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118  DIB  HOLZMOBBL  des  germanischen  MUSEUMS. 


Überreichtum  von  Auflagen  mit  der  Laubsäge  hergestellter  Ornamente  und  von 
architektonischen  Gliederungen  waren  an  die  Stelle  der  einfacheren ,  noch  mehr  Relief- 
schnitzereien bevorzugenden  Art  getreten.  Wie  lEssenwein  in  einer  kurzen  Beschrei- 
bung dieses  größten  Renaissanceschrankes  unserer  Sammlungen  (Mitt.  d.  G.M.  Bd.  I, 
S.  265)  richtig  bemerkt,  beeinflußte  die  wachsende  Wohlhabenheit  des  Bürgerstandes 
die  Vermehrung  der  Haushaltungsvbrräte  und  damit  den  Umfang  der  Schränke. 
Die  Täfelung  ganzer  Wände  und  Zimmer,  hinter  denen  die  Schränke  massenhaft  an- 
gebracht wurden,  führte  ebenfalls  dazu,  auf  Fluren  und  Hallen  wahre  Riesenexemplare 
freistehender  Schränke  aufzustellen.  Aus  einem  alten  jetzt  abgebrochenen  Patrizier- 
hause am  Hauptmarkt  zu  Nürnberg,  erst  im  Besitz  der  Volckamer,  dann  der  Forster, 
stammt  unser  Exemplar,  dessen  Höhe  2,58,  Länge  3,40  und  Tiefe  0,8  Meter  beträgt. 
Die  Abbildung  131  bringt  die  Hälfte  desselben  nebst  der  vorderen  Profilierung  zur 
Anschauung.  Man  könnte  den  Schrank,  der  allerdings  vom  Alter  sehr  gebräunt,  aber 
ohne  irgend  welche  andere  Überarbeitung  geblieben  ist,  wohl  auch  richtig  als  Doppel- 
schrank bezeichnen.  Der  Aufbau  der  Schrankfassade  ist  streng  architektonisch. 
Fünf  Säulen  gliedern  jedes  Stockwerk.  Als  Sockel  dient  ein  auf  dem  Boden  auf- 
ruhendes Postament,  das  ebenso  wie  die  Friese  der  beiden  Stockwerksimse  mit  aus- 
gesägtem Ornament  bedeckt  ist.  Schubladen  sind  keine  vorhanden.  Die  Schrank- 
türen sind  zweiflügelig,  die  in  der  Mitte  jeder  Schrankabteilung  liegende  Säule  dient 
als  Schlagleiste,  eine  im  17.  und  18.  Jahrhundert  häufige,  aber  nicht  gerade  stilgerechte 
und  bequeme  Einrichtung.  Die  Säulen  stehen  auf  hohen  Sockeln  vor  einer  flachen, 
entsprechend  in  Felder  geteilten  Wand.  Charakteristisch  für  viele  Schränke  ist,  daß 
der  hier  kannelierte  Säulenschaft  vor  einer  runden  Scheibe  steht.  Zwischen  den 
Säulen  in  der  Wand  je  eine  reich  umrahmte  Muschelnische;  diejenigen  des  Ober- 
geschosses mit  kräftig  vorspringenden  Konsolen  etwas  reicher  als  die  unteren.  Die 
großen,  geblauten  und  teilweise  vergoldeten  Bänder  liegen  innen.  Der  ganze  Schrank 
ist  ohne  überreich  zu  sein,  ein  sehr  gutes  Beispiel  geschmackvoller  Nürnberger 
Schreinerkunst.  Der  Aufbau  ist  wie  üblich  aus  weichem  Holz,  die  aufgeleimten 
Profile  aus  Eichenholz,  die  Einlagen  aus  verschiedenen  helleren  und  dunkleren 
Hölzern  zusammengesetzt. 

Noch  tiefer  ins  17.  Jahrhundert  dürfte  nach  seiner  schon  etwas  weniger  feinen 
Formenbehandlung  ein  doppelgeschossiger  Schrank  gehören,  der  die  Unabhängig- 
keit der  beiden  Schrankgeschosse  von  einander  aufs  Deutlichste  dokumentiert  (Abb. 
132).  Der  Oberteil  des  Schrankes  ist  auf  den  untern  auf  dessen  Deckplatte  inner- 
halb einer  umlaufenden  Leiste  lose  aufgesetzt.  Wie  die  Abbildung  zeigt,  ist  die 
Breite  von  Unter-  und  Oberteil  völlig  verschieden,  das  Untergeschoß  hat  zwei,  das 
Obergeschoß  nur  eine  Tür.  Im  übrigen  gehört  diese  Schrankkombination  zu  den 
sogenannten  Säulenschränken,  hat  keinen  besonderen  Sockel,  sondern  nur  ein  vor- 
springendes Brett  auf  flachen  Kugelfüßen.  Die  toskanischen  Säulen,  deren  glatte 
Schäfte  teilweise  mit  ausgesägten  Ornamenten  bedeckt  sind,  stehen  auf  Konsolen,  eine 
Anordnung,  die  sich  in  Oberdeutschland  besonders  in  Franken  und  Schwaben  in  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  einbürgerte.  Der  in  verschiedenfarbigen,  meist 
helleren  Hölzern  eingelegte  Schrank  zeigt  innerhalb  der  Säulenordnung  das  beliebte 
Rahmen-  und  Füllwerk.    Die  herausgekröpften  Ohren,  das  Fräsen  der  Leisten,  die 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


119 


mageren  Profilierungen  und  die  schon  etwas  verwilderten,  ausgesägten  Ornamente 
verweisen  das  ebenfalls  aus  Nürnberg  stammende  Stück  mindestens  in  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts.    Der  Schrank  ist  1,98  m  hoch,   2,52  m  breit  und  0,6  m  tief. 


Abb.  132.     Doppeigeschossiger  Renaissanceschrank.    2.  Hälfte  des  17.  Jahrh. 

Gegen  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts  verschwindet  allmählich  die  symme- 
trische doppelgeschossige  Anordnung.  Bequemlichkeitsrücksichten  mochten  die  eine 
Veranlassung  davon  sein.    Bei  einem  größeren  einheitlichen  Schrankkasten  gewann 


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120  DIE  HOLZMOBEL  des  germanischen  MUSEUMS. 

naturgemäß  die  Übersichtlichkeit  des  Inhalts.  Aber  auch  künstlerische  Momente 
taten  das  ihrige.  Die  Schrankfassade  wurde  bei  weitem  einheitlicher  bei  der  be- 
liebten Verwendung  der  antiken  Säulenordnung,  wenn  sie  in  einer,  statt  bisher 
in  zwei  Ordnungen  zusammengefaßt  wurde.  Der  in  diesem  Falle  stark  in  die  Er- 
scheinung tretende  Sockel  gab  wiederum  willkommene  Gelegenheit  zur  Anbringung 
der  mehr  und  mehr  beliebten  Schubladen. 


Abb.  133.     Nürnberger  Pilasterschrank.    2.  Hälfte  des  17.  Jahrh. 

Das  zeitlich  früheste  Exemplar  dieser  Gattung  im  Museum  ist  gleichzeitig  das 
schönste,  geradezu  ein  Meisterwerk  der  Intarsierung  (Taf.  XXII).  Auf  einem  auf  dem 
Boden  aufruhenden  dreiteiligen  Sockel  mit  drei  nebeneinander  liegenden  Schubladen 
erhebt  sich  der  zweiflügelige  Schrankkasten.  Die  Gliederung  bilden  drei  flache,  kanne- 
lierte Pilaster  toskanischer  Ordnung  auf  hohen  Sockeln.    Zwischen  den  Pilastem  ist 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN. 


121 


je  eine  Rundbogennische  angeordnet  über  einem  unteren  Feld  mit  Rahmen-  und 
Füllwerk.  Alle  Flächen  sind  mit  reicher  Intarsienarbeit  geschmückt.  Am  reichsten 
das  obere  halbrunde  Türfeld,  das  eine  hervorragend  gezeichnete,  aufsteigende  Kompo- 
sition enthält.  Diese  ist  im  Gegensatz  zu  den  übrigen  nur  zweifarbigen  Intarsien  im 
reichsten  Farbenschmuck  gehalten.  Der  ganze  Schrank  wirkt  freudig  und  reich; 
bedauerlich  ist,  daß  der  obere  Aufsatz  nicht  mehr  der  ursprüngliche  ist,  sondern 
eine  spätere  farblose  und  auch  in  der  Profilierung  nüchterne  Ergänzung.  Die  Maße 
des  jedenfalls  kurz  nach  1600  entstandenen  Möbels  sind  2,4  m  Höhe,  2,24  m  Breite, 
0,82  m  Tiefe. 


Abb.  134.     Nürnberger  Säuienschrank.    2.  Hälfte  des  17.  Jahrh. 

Im  genannten  Aufbau  dem  vorgenannten  ähnlich  ist  ein  weiterer  Schrank  dieser 
Art  (Abb.  133;  beschrieben  und  abgebildet  von  Essenwein,  Mittig.  d.  G.  M.,  1891, 
S.  80).  Nur  daß  die  Zeit  der  Entstehung  wenigstens  fünfzig  Jahre  später  fällt. 
Das  drückt  sich  nicht  nur  in  der  Umwandlung  der  Stilformen,  sondern  auch  in  dem 
ärmlicheren  Charakter  nach  dem  dreißigjährigen  Kriege  aus;  man  möchte  für  Werke 
vor  und  nach  diesem  Deutschlands  künstlerische  Kultur  so  schwer  treffenden  Kampf 

Mitteilungen  aus  dem  gorman.  Nationalm useum.    1907.  IG 


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122  DIE  HOLZMÖBEL  DES  GERMANISCHEN  MUSEUMS. 


das  freudige  Rokoko  und  die  Biedermeierzeit  zum  Vergleich  heranziehen.  Die  Prove- 
nienz auch  dieses  Möbels  ist  nürnbergisch.  Drei  Pilaster,  von  denen  der  mittlere  auch 
hier  als  Schlagleiste  der  Doppeltüre  verwendet  ist,  bilden  die  Fassadengliederung  des 
Schrankkastens.  Die  Türflügel  sind  in  zwei  Felder  geteilt,  ein  niedrigeres  unteres  und 
ein  höheres  oberes  in  Rahmen  und  Füllwerk,  die  mit  den  für  den  Barockstil  charakteri- 
stischen „Ohren"  versehen  sind.  Der  Unterbau  des  eigentlichen  Schrankkastens  ist  etwas 
stärker  betont.  Er  enthält  in  zwei  Geschossen  vier  Schubladen.  Der  ganze  Schrank 
steht  auf  Kugelfüßen,  den  oberen  Abschluß  über  den  Türen  und  Pilastem  bildet  ein 
etwas  kümmerlich  ausgefallenes  Gesims.  Für  die  etwas  ärmliche  Art  der  Form  ent- 
schädigt die  reiche  dekorative  Behandlung  einigermaßen.  Die  Intarsierung  in  meist 
hellen  und  braunen  Hölzern  (Eiche,  Esche  und  Nußbaum)  in  guter,  wenn  auch  etwas 
schematischer  Zeichnung  wird  unterstützt  durch  reichliche  Verwendung  ausgesägten 
und  aufgelegten  Ornaments  in  recht  hübsch  gezeichneten  Mustern.  Der  Schrank 
ist  2,25  m  hoch,  1,94  m  breit  und  0,75  m  tief. 

Für  die  Bewertung  von  Altertümern  ist  die  Notiz  Essenweins  interessant, 
daß  der  heute  als  ein  recht  gutes  Museumsstück  zu  betrachtende  Schrank 
1863  vom  damaligen  I.  Direktor  des  Museums,  Dr.  Michelsen,  auf  dem  Trödel- 
markt in  Nürnberg,  der  freilich  manchen  Kapitalstücken  in-  und  ausländischer 
Sammlungen  früher  zeitweise  Unterkunft  bot,  als  Bureaumöbel  erstanden  wurde. 
Die  Eignung  dazu  hatte  er,  da  er  bis  auf  die  geringste  Einzelheit  tadellos  er- 
halten war. 

Etwas  früher,  wohl  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  dürfte  der  letzte  Schrank 
dieser  Reihe  (Abb.  134)  sein,  der  den  überaus  häufigen  oberdeutschen  Typus  des 
eingeschossigen  Säulenschrankes  in  einer  etwas  späteren  Fassung  vor  Augen  führt. 
Er  gehört  zu  den  reich,  aber  nur  in  zwei  Farben,  hell  und  dunkel,  intarsierten 
Schränken.  Zugleich  aber  ist  auch  die  Wirkung  des  lebhaft  und  kräftig  g^liederten 
Schreinerwerkes  eine  bessere  als  beim  vorhergehenden  Stück.  Der  Sockel,  wieder 
auf  flachen  Kugelfüßen  ruhend,  und  einfach  eingelegt,  hat  nur  eine  mittlere  Schub- 
lade. Den  Schrankkasten  zieren  an  der  Vorderseite  drei  Ringsäulen  toskanischer 
Ordnung  mit  vasenförmigen  Basen  auf  hohen  Sockeln.  Die  Doppeltüre,  für  welche 
die  mittlere  Säule  wieder  als  Schlagleiste  dient,  hat  beiderseitig  zwei  gekröpfte 
Felder,  das  obere  höherund  mit  Giebelarchitektur.  Die  inneren,  intarsierten  Füllungen 
zeigen  Ornamentranken.  Außen  an  dem  Rahmenwerk  findet  sich  wieder  ausgesägtes 
Ornament.  Solches  ziert  auch  die  zwei  langen,  schmalen  Füllungen  des  oberen  Auf- 
satzes, der  der  Architektur  der  Schrankvorderseite  sich  anschließt.  Wie  sämtliche 
vorgenannten  ist  auch  dieser  Schrank  in  weichem  Holz  gearbeitet;  die  Profile  sind 
in  Eiche,  die  Intarsien  in  Ahorn,  Linde  und  Esche  gehalten.  Sehr  hübsch  sind  die 
türklopferartig  ausgebildeten  Griffe.  Die  Türbänder  liegen,  teilweise  geblaut  und 
mit  eingehauenen  Ornament  versehen,  innen.  Die  Höhe  beträgt  2,22,  die  Breite  1,9 
und  die  Tiefe  0,78  Meter. 

Von  oberdeutschen  Schränken  der  Spätrenaissance  wäre  schließlich  noch  ein 
sogenannter  Ulmer  „Fußnetschrank"  zu  erwähnen.  Es  ist  dies  eine  niedrige,  auch 
in  Augsburg  und  Nürnberg  vorkommende  Art  von  Kasten,  der  am  Fußende  des 
Bettes  Aufstellung  fand  und  dessen  Höhe  natürlich  nicht  übersteigen  durfte.   Unser 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  123 


Exemplar  besteht  aus  einem  Schrank  mit  zweiflügeliger  Türe,  der  ohne  beson- 
deren Sockel  und  Aufsatz  gearbeitet  ist.  Er  ruht  auf  Kugelfüßen.  Die  Vorder- 
seite ist  durch  drei  dünne,  auf  kleinen  Konsolen  stehende  gewellte  Säulen 
gegliedert.  Die  Türflügel  sind  in  Füll-  und  Rahmenwerk  mit  einfacher,  einge- 
legter und  ausgesägter  Arbeit  geschmückt.  Die  Höhe  ist  1,14,  die  Breite  1,41,  die 
Tiefe  0,58  Meter. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Der  deutsche  Volks-  und  Stamniescharakter  im  Lichte  der  Vergangenheit.  Reise-  und  Kultur- 
bilder von  Georg  Grupp.  Stuttgart.  Verlegt  bei  Strecker  &  Schröder.  1906 
205  S.    S^. 

„Die  Schwaben  reisen  sehr  gerne,  und  wie  der  Deutsche  überhaupt,  so  schwankt  der  Schwabe 
zwischen  dem  Drang  in  die  Feme  und  der  Heimatliebe.''  Der  diesen  durch  die  Erfahrung  be- 
gründeten und  im  Volksmunde  längst  gefestigten  Satz  niederschrieb,  hat  auch  keine  Ausnahme 
von  der  Regel  sein  wollen:  Selbst  ein  Sohn  der  schwäbischen  Erde  hat  er  nicht  allzufeDi  von  den 
schwarz-roten  Grenzpfählen,  noch  auf  gut  schwäbischem  Boden,  in  dem  stillen  Mjjhingen  als 
Bibliothekar  des  Fürsten  v.  öttingen- Wallerstein  eine  Stätte  befriedigendster  Wirksamkeit  ge- 
funden. Allein  aus  dem  weltentlegenen  schwäbischen  Schlosse,  aus  dem  Bereich  seiner  kostbaren 
Bücher-  und  Altertumssammlungen  zog  es  den  Verfasser  doch  zeitweise  wieder  hinaus  ins  Leben  des 
Tages,  in  die  „grüne  Wirklichkeit"  und  nach  Scheffels  Rezept  hat  auch  er  „je  zuweilen  seine 
Bücherei  abgeschlossen,  bestrebt,  seine  Gedanken  wandernd  und  schauend  auszudenken*'. 

Für  den  Verfasser  gibt  es  mit  Recht  keine  Frage,  daß  für  den  ernsthaften  Erforscher  der 
Kulturgeschichte  die  schriftliche  Überlieferung  der  Ergänzung  durch  lebendige  Anschauung  des 
Gewordenen  nicht  entbehren  darf.  Grupp  hat  nicht  nur  den  größten  Teil  Deutschlands  und 
Österreichs  im  Geiste  Riehls  sich  selbst  entdeckt,  sondern  auch  weitere  Reisen  nach  Italien  und 
Frankreich,  England  und  Holland,  selbst  nach  Skandinavien  und  Rußland  unternommen.  Aus 
Reiseeindrücken,  die  teilweise  schon  ehedem  zu  Zeitschriftenbeiträgen  und  Vorträgen  sich  ver- 
dichtet hatten,  reifte  der  Gedanke  zu  diesem  Buch,  das  nun  auch  das  schon  Veröffentlichte  in 
gänzlich  erneutem  Gewände  und  um  das  Doppelte  vermehrt  vorträgt. 

Die  aufgenommenen  Arbeiten  bemühen  sich  um  die  Lösung  der  alten  Aufgabe,  das  Deutsch- 
tum und  die  einzelnen  deutschen  Stämme  in  ihrer  Sonderart  zu  erfassen  und  Vorzüge  und  Schatten- 
seiten gleichsam  abzuwägen. 

Die  Schwierigkeiten,  die  der  Durchführung  einer  reinlichen  Scheidung  nach  ethnographischen 
Gesichtspunkten  sich  entgegenstellen,  sind  Grupp  klar  vor  Augen.  Es  selbst  stellt  wiederholt 
mit  Bedauern  fest,  daß  die  Unterschiede  zwischen  den  Stämmen,  ja  selbst  zwischen  Rassen  und 
Völkern  sich  mehr  und  mehr  verwischen,  daß  namentlich  der  Süden  das  Bewußtsein  seiner  Eigen- 
art allmählich  hintansetze  und  farblose  Übergänge  die  Erkenntnis  des  ursprünglichen  Volks- 
charakters erschweren.  Vielleicht  daß  der  Verfasser  hier  manchmal  zu  schwarz  sieht.  Schließlich 
ist  auch  solch  ein  Ausgleich  —  rein  sachlich  betrachtet  —  nicht  immer  und  nicht  überall  ein 
Unglück  zu  nennen! 

Andererseits  scheint  der  Umstand  der  Erwähnung  wert,  daß  die  wirtschaftliche  und  poli- 
tische Vergangenheit  neue,  eher  noch  mächtigere,  bestimmendere  Unterschiede  innerhalb  der 
Stammesgrenzen  geschaffen  hat.  Dies  gilt  namentlich  für  den  von  Grupp  fast  gänzlich  beiseite 
geschobenen  Stamm  der  „Franken",  deren  heutiger  Bestand  sich  aus  doch  recht  heterogenen 
Gruppen  zusammensetzt.  Das  bedächtigere,  schwerfälligere  Geschlecht  am  Obermain  und  das 
leichtlebige  Völklein  in  der  Rheinpfalz  z.  B.  eint  schließlich  nur  das  Band  einer  an  sich  schon  ziem- 
lich weitläufigen  Verwandtschaft  der  Mundarten.  So  wäre  es  gewiß  auch  dem  gelehrten  Verfasser 
schwer  gefallen,  hier  die  erwünschte  allgemeine  Formel  zu  finden. 

Bedauerlich  ist,  daß  die  Gruppierung  nach  Stämmen,  wie  sie  der  Leser  nach  der  Fassung 
des  Titels  erwarten  muß,  im  Buche  selbst  nicht  festgehalten,  ja  so  gut  wie  außer  acht  gelassen  ist. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


125 


Bei  näherem  Zusehen  zeigt  sich  denn,  daß  unter  der  Überschrift  „Württemberg"  nur  vom  schwäbi- 
schen Württemberg,  unter  „Bayern"  nur  vom  Stamme  der  Bayern  die  Rede  ist.  Die  fränkischen 
Landesteile  ^er  beiden  süddeutschen  Königreiche  (mit  der  Rheinpfalz)  werden,  wie  gesagt,  merk- 
würdiger Weise  kaum  berührt. 

Der  Verfasser  hat  an  einen  weiteren  Leserkreis  gedacht,  den  gelehrten  Apparat  möglichst 
in  die  übrigens  recht  lesenswerten  Anmerkungen  am  Ende  des  Bandes  verwiesen  und  ohne  Zweifel 
ist  auch  der  rechte  Ton  getroffen.  Man  liest  gleichwohl  in  einem  nachdenklichen  Buch,  das  ab 
und  zu  schon  zum  Widerspruch  auffordert,  immer  wieder  aber  auch  zu  eigener  Beobachtung 
und  eigenem  Nachprüfen  anregt  und  zwischen  hübschen  Reiseerinnerungen  und  den  Abschnitten, 
die  der  historischen  Ergründung  des  Landschafts-  und  Volkscharakters  gelten,  beschäftigen  uns  die 
freimütigen  Äußerungen  des  Autors  über  seine  persönliche  Auffassung  der  religiösen  und  poli- 
tischen Fragen  der  Gegenwart. 

Im  Anhang  bringt  Grupp  einen  uns  naturgemäß  besonders  interessierenden  Abschnitt 
über  das  Germanische  Nationalmuseum,  dem  der  Maihinger  Bibliothekar  seit  1891  als  Pfleger 
schätzbare  Dienste  erwiesen  hat.  Hier  wird  der  mehrfachen  Beziehungen  des  Fürstlichen  Hauses 
öttingen- Wallerstein  und  der  Maihinger  Sammlungen  zu  der  Schöpfung  des  Freiherm  von  Auf- 
seß  gedacht  und  so  manche  persönliche  Erinnerung  und  Begegnung  in  der  liebenswürdig-beschei- 
denen Art  des  Erzählers  überliefert. 

Friirfrich  der  Qrofie  und  der  Netzedistrikt.  Von  Dr.  Christian  Meyer.  Zweite 
vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  München  1906.    Verlag  von  Max  Steinebach.  118  S.  8®. 

Dr.  Christian  Meyer,  der  Geschichtschreiber  der  Provinz  Posen,  zeigt  hier  die 
hervorragende,  an  den  verschiedensten  Punkten  einsetzende  Kulturarbeit  des  großen  Königs  auf, 
die  dieser,  unterstützt  von  tüchtigen  Helfern  ( Kammerpräsident  v.  Domhardt,  Geh.  Finanz- 
rat v.  B  r  e  n  c  k  e  n  h  o  f  f  u.  a.)  dem  unter  polnischer  Verwaltung,  namentlich  nach  der  wirt- 
schaftlichen Seite  hin,  unglaublich  vernachlässigten  Lande  zugewendet  hat.  Die  archivalischen 
Unterlagen  für  diese  Studie  ergaben  sich  für  den  Verfasser  aus  den  reichen  Materialien  des  Posener 
Staatsarchivs.  Die  interessante  Folge  einschlägiger  Cabinets-Ordres  Friedrichs  d.  Gr.  findet  sich 
auf  S.  67  ff.  anhangsweise  vollständig  wiedergegeben. 

Altreichsstädtische  Kulturstudien  von  Dr.  Christian  Meyer,  Staats- Archivar  a.  D. 
München.    Verlag  von  Max   Steinebach.    1906.    257  S.    8®. 

In  einem  handlichen  Bande  hat  der  Verfasser  eine  ansehnliche  Folge  seiner  kleinen  Ab- 
handlungen zur  Geschichte  alter  Reichsstädte  auf  dem  Boden  des  rechtsrheinischen  Bayern  ver- 
einigt. Anspruchslose  Bilder  aus  deutscher  Vergangenheit  sind  es,  die  uns  hier  entgegentreten. 
Viel  Bekanntes  für  den,  dem  die  autobiographische  Literatur  des  Mittelalters  und  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  einigermaßen  vertraut  ist,  anderseits  Anschauung  und  Belehrung  in  reicher  Fülle 
für  die  vielen,  denen  es  nicht  möglich  ist,  aus  unmittelbaren  Quellen  zu  schöpfen,  und  doch  der 
Wunsch  rege  bleibt,  die  Welt  unserer  Vorfahren  nicht  bloß  im  Rahmen  des  geschichtlichen  Romans 
zu  sehen. 

Dem  Verfasser  hat  es  Augsburg  vor  allem  angetan.  Dieser  Stadt  sind  vierzehn  seiner 
Essays  und  allein  vier  Fünftel  des  Ganzen  eingeräumt  worden.  Franken  ist  durch  Nürnberg  und 
Rothenburg  o.  T.  vertreten.  Den  Schluß  macht  eine  Studie  über  Memmingen  im  Reformations- 
zeitalter. 

Nicht  wenige  Besitzer  und  dankbare  Leser  werden  bedauern,  daß  sein  Inhalt  mit  diesen 
vier  Städtel)ildem  erschöpft  ist  und  daneben  die  große  Vergangenheit  anderer  ober-,  mittel-  und 
niederdeutscher  Reichsstädte  so  ganz  leer  hat  ausgehen  müssen.  HH. 

Die  Zenten  des  Hochstifts  Wtirzburg.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  süddeutschen 
Gerichtswesens  und  Strafrechts.  Mit  Unterstützung  der  Savignystiftung  herausgegeben  von 
Dr.  Hermann  Knapp.  I.  Band.  Die  Weistümer  und  Ordnungen  der  Würzburger  Zenten. 
I.  und  II.  Abteilung.  Berlin  1907-  J.  Guttentag.  Veriagsbuchhandlung,  G-  m.  b.  H- 
XII,   IV,  1405  S.  in  8^. 


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126 


UTERAKISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Des  Verfassers  Name  ist  kein  unbekannter  auf  dem  Arbeitsfelde  der  deutschen  Rechts-, 
insonderheit  der  Strafrechtsgeschichte.  Wir  danken  dem  früheren  Würzburger  Privat- 
dozenten, jetzigen  Reichsarchivassessor  in  München  bereits  zwei  vortreffliche  Arbeiten  über  das 
Nürnberger  Kriminalrecht.  Neuerdings  nun  hat  er  den  Fachgenossen  den  reichen  Ertrag  seiner 
fast  lOjähngen  andauernden  Beschäftigung  mit  den  entsprechenden  Verhältnissen  auf  unterfrän. 
kischem  Boden  vor  Augen  gestellt. 

War  Planck  in  seinem  grundlegenden  Werke  über  das  deutsche  Gerichtsverfahren  im 
Mittelalter  (1878—79)  wesentlich  von  niederdeutschem  Quellenmaterial  ausgegangen,  so  sucht 
nun  Knapp  seinerseits  die  Grundlagen  und  treibenden  Kräfte  innerhalb  des  süddeutschen  Straf- 
rechts aufzudecken,  um  den  Unterbau  zu  schaffen  für  eine  künftige  durchgreifende  und  möglichst 
abschließende  historisch- dogmatsche  Verarbeitung  des  gewaltigen  Stoffes.  Nicht  den  leich- 
testeten  Teil  hat  der  Verfasser  gleich  zum  ersten  sich  herausgeholt  und  in  Angriff  genommen: 
die  Ergründung  des  Wesens  und  der  Entwicklung  der  Würzburger  Zenten. 

Die  Ergebnisse  einer  bewundernswerten  Durchdringung  dieses  zumeist  noch  recht  unan- 
gebauten  und  doch  so  reizvollen  Gebietes,  ir  das  Rockingers  bedeutsame  Arbeiten  über  Lorenz 
Fries  locken  mußten,  liegen  nun  in  zwei  starken  Halbbänden  vor. 

Da  gerade  im  Würzburger  Territorium,  dessen  Verfassung  aufs  engste  mit  seiner  Gliede- 
rung in  etwa  70  Zenten  und  Halsgerichte  verwachsen  erscheint,  an  der  Hand  sorgsam  erwogener 
„Fragen"  die  „herbrachten**  Rechtsbräuche  mit  peinlicher  Sorgfalt  ergründet  wurden  und  Auf- 
zeichnung fanden,  so  gibt  uns  das  gesammelte  und  gesichtete  Material  den  erwünschten  Einblick 
in  das  Gefüge  des  kriminellen  Rechtslebens  jener  Zeiten. 

Der  erste  Band  reproduziert  die  OucMcn  selbst,  für  jede  Zent  erst  deren  alte  Weistümer 
und  Halsgerichtsformulare,  dann  den  Kern  des  Ganzen,  den  Text  des  Würzburger  Zentbuchs 
aus  der  Epoche  des  M.  L.  Fries  und  die  so  bedeutsame  Modifikation  des  großen  Bischofs  Julius 
nach  dem  leider  nur  als  Torso  überlieferten  Zentwerke  (Beginn  der  Kodifikation  1576),  zuletzt 
die  vier  nachjulianischen  Ordnungen.  Die  Anordnung  des  gewaltigen  Stoffes,  der  die  chrono- 
logische Folge  fallen  läßt,  um  durch  „Zerreißung**  der  Echter'schen  Sammlung  den  Überblick 
über  die  historische  Entwicklung  der  einzelnen  Zentverfassung  und  den  inneren  Zusammenhang 
zwischen  den  verschieden  zeitlichen  Ordnungen  nicht  zu  verlieren,  sondern  besser  herauszu- 
arbeiten, erscheint  freilich  zunächst  nur  als  eine  philologische  Ungeheuerlichkeit,  aber  für  den 
geschichtlich  und  praktisch  an  die  Sache  Herantretenden  war  das  unbedingt  eine  Forderung  der 
Notwendigkeit.  Dem  historischen  Nacheinander  wird  immerhin  der  Überblick  in  der  Ein- 
leitung (S.  11  ff.)  einigermaßen  gerecht. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß  Knapps  Werk  in  erster  Linie  dem  Rechtshistoriker, 
dem  sich  hier  eine  Fundgrube  allerersten  Ranges  erschließt,  zu  gute  kommt,  doch  ist  damit  der 
Wert  der  Edition  in  keiner  Weise  erschöpft.  Der  Herausgeber  selbst  hat  mit  Bedacht  den  be- 
sonderen Ansprüchen  der  Wirtschaftshistoriker  bezüglich  der  Textwiedergabe  nach  Möglichkeit 
Rechnung  getragen.  Die  jedem  einzelnen  Abschnitt  vorausgeschickten  Übersichtstabellen 
bringen  neben  anderen  willkommenen  Angaben  die  Namen  der  Orte  des  betreffenden  Zent- 
bezirks,  einschließlich  der  Wüstungen,  die  Feststellung  der  Zugehörigkeit  zu  diesem  oder 
jenem  Gau,  zu  Würzburgischen  und  zu  heutigen  Ämtern,  die  kurzgefaßte  Geschichte  jeder 
Zent,  kurzum  Stoff  genug  für  weitere  Forschungen  (Würzburger  Ämterorganisation,  Bedeutung 
der  Leibzeichen  u.  s.  w.),  zugleich  sichere  Ausgangs-  und  Stützpunkte  für  orts-  und  provinzial- 
geschichtliche  Arbeiten.  In  dieser  Hinsicht  sei  auf  die  rasch  orientierende  Übersicht  über  die 
an  das  Hochstift  angrenzenden  Territorien  und  die  innerhalb  des  Würzburger  Landes  von 
geistlichen  und  weltlichen  Herren  ausgeübten  Gerechtsame  (1,2—10)  noch  besonders  hingewiesen. 

Auch  einiger  Bilderschmuck  blieb  dem  Werke,  dessen  materielle  Gestaltung  durch  die  Unter- 
stützung der  Savignystiftung  und  das  Verständnis  eines  opferfreudigen  Verlegers  gewährleistet 
war,  nicht  vorenthalten.  Die  beigegebenen  drei  Farbendrucke  sind  nach  Originalen  im  alten 
Zentgrafen-  und  im  Julianischen  Zentbuche  (dessen  Titel  übrigens  1, 19  zum  Abdruck  gelangt  ist) 
hergestellt. 

Möge  dem  Verfasser  bald  die  Zeit  kommen,  da  er  auch  den  darstellenden  Teil  seiner  „Würz- 
burger Zenten'*  hinausgehen   lassen  kann.     Nicht  minder  sehen  wir  der  in  Aussicht  gestellten 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  127 


Veröffentlichung  der  Ergebnisse  seiner  Beschäftigung  mit  den  Denkmalen  des  bayerischen,  in- 
sonderheit Regensburgischen  Rechtslebens  mit  Spannung  entgegen.  HH. 

Joseph  Braan  S.  J.,  Die  belgisdien  Jesaitenkirchen.  Ergänzungshefte  zu  den  Stimmen 
aus  Maria-Laach.     95-     Freiburg  i.  B.      Herdersche  Verlagsbuchhandlung  1907.    XII.   208  S. 

Die  sehr  sorgfältige  Arbeit  Brauns  ist  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Geschichte  des  Über- 
ganges von  der  Gotik  zur  Renaissance.  Die  Meinung,  daß  die  Jesuiten  die  eifrigsten  Vor- 
kämpfer des  neuen  Stils  in  den  nordischen  Ländern  gewesen  seien,  ist  noch  immer  verbreitet 
und  noch  immer  wird  eine  auf  das  Große  und  Ernste  gerichtete  Art  des  Barocks  als  Jesuiten- 
stil bezeichnet.  Mit  diesen  Anschauungen  räumt  Braun  gründlich  auf,  denn  was  für  Belgien 
gilt,  gilt  auch  für  andere  Länder.  Es  ist  ausgeschlossen,  daß  der  Orden  gerade  in  Belgien 
andere  Grundsätze  für  seine  Bauten  gehabt  habe  als  anderwärts. 

Die  erste  Kirche  des  Ordens  in  Belgien,  die  Kollegskirche  zu  Douai  (1583—1591)  ist 
allerdings  ein  Barockbau  vom  Grundrißtypus  des  Gesü,  ihr  Plan  war  aus  Rom  gekommen. 
Als  aber  einheimische  Ordensmitglieder  die  Kirchen  und  Kollegien  entwarfen  und  ausführten, 
schlössen  sie  sich  den  heimischen  Bauformen  an.  Lange  hielten  sie  an  der  Gotik  fest  und  als 
sie  im  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  zum  Barock  übergingen,  folgten  sie  dem  Zuge  der  Zeit, 
der  in  der  kirchlichen  und  profanen  Architektur  des  Landes  den  Obergang  zum  neuen  Stil 
schon  herbeigeführt  hatte.  Braun  weist  sogar  nach,  daß  in  vielen  Jesuitenkirchen  Belgiens 
das  struktive  System  unter  der  Hülle  barocker  Formen  das  gotische  geblieben  ist.  Die  Behand- 
lung des  Barocks,  welche  die  Jesuitenkirchen  zeigen,  ist  prinzipiell  durchaus  die  gleiche  wie 
die,  welche  es  in  der  profanen  Architektur  des  damaligen  Belgiens  erfuhr;  denn  auch  in  ihr 
war  die  Auffassung  des  Stiles  kaum  etwas  mehr  als  eine  bloß  formale.  Neben  den  Jesuiten- 
kirchen entstanden  gleichzeitig  auch  andere,  welche  den  gleichen  Stil  haben. 

Die  allgemeinen  Ergebnisse  gewinnt  Braun  aus  der  sorgfältigen  Untersuchung  aller 
Monumente,  so  daß  der  Leser  Schritt  für  Schritt  die  Probe  auf  die  Richtigkeit  machen  kann. 

Bezold. 

Dr.  Martin  von  Dentinger,  Beiträge  znr  Geschichte,  Topographie  nnd  Statistik  des 
Erzbistnms  Mfinchen  nnd  Freising.  Fortgesetzt  von  Dr.  Franz  Anton  Specht,  Domkapitular. 
X.  Band.    N.  J.  4.  Bd.    München  1907.    Lindauer'sche  Buchhandlung  (Schöpping). 

Deutingers  Beiträge  sind  von  ihren  Anfängen  an  eines  der  gediegensten  und  wichtigsten 
Sammelwerke  zur  Geschichte  des  Erzbistums  München- Freising,  und  es  war  ein  dankenswertes 
Unternehmen,  daß  sie  nach  längerer  Unterbrechung  unter  Spechts  Leitung  wieder  aufgenommen 
und  fortgesetzt  wurden.  Heute  liegt  schon  der  vierte  Band  der  neuen  Folge  vor,  der  sich 
den  früheren  würdig  anschließt.  Er  wird  eröffnet  durch  eine  gehaltvolle  Arbeit  von  Dr.  Doli 
über  die  Anfänge  der  bayerischen  Domkapitel.  Es  wird  damit  für  Süddeutschland  ein  Gebiet 
urbar  gemacht,  das  im  Norden  unseres  Vaterlandes  schon  vielfach  kultiviert  ist.  Nach  einer 
vortrefflichen  Einleitung  über  die  Entstehung  und  die  rechtlichen  Verhältnisse  der  Domkapitel 
werden  die  Anfänge  der  bayerischen  Domkapitel  Salzburg,  Freising,  Regensburg,  Brixen  und 
Passau  dargestellt.  Dr.  Franz  Xaver  Zahnbrecher  behandelt  in  einer  namentlich  wirtschafts- 
geschichtlich interessanten  Studie  die  Kolonisationstätigkeit  des  Hochstifts  Freising  in  den 
Ostalpen.  Dr.  Max  Fastlinger  untersucht  in  einer  von  guter  Kritik  getragenen  Abhandlung 
die  Bedeutung  der  Erblichkeit  der  Vogtei  des  Freisinger  Hochstifts  für  die  Genealogie  dei 
Ahnherrn  der  Witteisbacher.  Dr.  Richard  Hoffmann  gibt  eine  ausführiiche  Geschichte  und 
Beschreibung,  sowie  eine  baugeschichtliche  Analyse  der  ehemaligen  Dbminikanerkirche  St.  Blasius 
in  Landshut.  Die  schöne  Kirche  ist  einer  der  frühesten  gotischen  Backsteinbauten  in  Bayern; 
ihr  Chor  gehört  wahrscheinlich  noch  dem  13.  Jahrhundert  an.  In  ihrer  gesamten  Anlage  ist 
der  Dominikanerkirche  in  Regensburg  nahe  verwandt.  Von  dem  gleichen  Verfasser  erhalten 
wir  noch  einen  sehr  fleißig  gearbeiteten  Katalog  der  Kunstaltertümer  im  erzbischöflichen 
Klerikalseminar  zu  Freising,  der  auch  als  Separatdruck  erschienen  ist  (Preis  X  2,50).  Friedrich 
H.  Hofmann  gibt  den  Anfang  einer  Statistik  der  Glocken  der  Erzdiöcese. 

So  reiht  sich  dieser  neue  Band  seinen  Vorgängern  würdig  an  und  sei  der  Beachtung 
aller,  die  sich  mit  bayerischer  Geschichte  beschäftigen,  bestens  empfohlen. 

Bezold. 


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128  LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Die  Ortmamen  der  Fränidscheii  Schweiz.  Von  Gymnasiallehrer  Dr.  Christoph  Beck. 
Erlangen.    B.  Hof-  und  Universitätsbuchdruckerei  von  J  u  n  ge  &  So  h  n.    1907.    8.    132  S. 

Zu  den  bewährten  Ortsnamenbüchem  von  Gradl,  Hartmann,  Heilig,  Miedel  u.  a.  gesellt 
sich  ein  neues  Werkchen,  das  jene  anmutige  fränkische  Landschaft  zum  erstenmale  der  wissen- 
schaftlichen Namenkunde  erschließt.  Sein  Verfasser,  ein  sprachenkundiger  Sohn  dieser  in  mehr- 
facher Beziehung  hochinteressanten  Gegend,  ist  mit  ernstem  Eifer  daran  gegangen,  das  quellen- 
mäßige Material  für  die  frühere  Geschichte  der  heimatlichen  Berge  und  Täler,  wie  es  ihm  vor- 
nehmlich das  Münchener  Allgemeine  Reichsarchiv  und  das  Bamberger  Kreisarchiv,  dann  die  ge- 
druckten Urkundenwerke  und  ähnliche  Sammlungen  darboten,  zu  befragen  und  zu  verwerten. 

Der  Ortsnamenkunde  ist  zweifellos  neben  dem  Studium  der  Flurverfassung,  der  Dorfanlage, 
des  Hausbaues,  neben  archäologischen,  folkloristischen  und  somatischen  Untersuchungen,  die 
Bedeutung  einer  wichtigen,  wenn  auch  wohl  eher  über-  als  unterschätzten  Hilfskunde  der 
Siedelungsgeschichte  einzuräumen.  Insbesondere  ist  für  ein  Näherherankommen  an  die  Lösung 
der  „Slavenfrage"  und  die  Feststellung  des  Bereichs  der  alten  „terra  Slavorum**  die  Würdigung 
der  namenetymologischen  Ergebnisse  unerläßlich. 

Die  vorausgeschickten  zwei  Abhandlungen  über  die  „Geschichte  der  Besiedelung**  und 
„Die  Ortsnamen  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Siedelungsgeschichte"  dürfen  jedenfalls  das  Lob  für 
sich  in  Anspruch  nehmen,  daß  sie  mit  Bedacht  an  das  gesammelte  Material  herantreten,  das  vor- 
und  umsichtige  Verwendung  findet,  und  dermaßen  im  wohltuenden  Gegensatze  stehen  zu  den 
phantastischen  Ungeheuerlichkeiten,  denen  man  in  diesen  Dingen  täglich  begegnen  kann. 

Der  Verfasser  folgt  den  sehr  geringen  Spuren  der  Kelten,  auf  die  allenfalls  noch  einzelne 
schwererklärbare  Gewässernamen  hindeuten,  und  sucht  das  Völkergemenge  zu  entwirren,  das 
weiterhin,  bis  zum  Auftreten  der  Franken,  jene  Berge  und  Täler  berührt  oder  besiedelt  haben 
mag.  Neben  den  fränkischen  Eroberem  erkennen  wir  den  wendischen  Einschlag,  den  das  An- 
sässigmachen erst  eingewanderter,  dann  auch  kriegsgefangener  slavischer  Elemente  hereinbrachte, 
und  die  von  der  Sprache  festgehaltene  Erinnerung  an  die  offenbar  auch  in  diesen  Gegenden  er- 
folgte Verpflanzung  der  Sachsen.  Etwas  kühn  erscheint  die  Auffassung  Becks,  wonach  ein  nord- 
albingischer  Stamm,  der  der  Stürmer,  dem  Dorfe  Tiefenstürmig  seinen  Namen  gegeben  hätte. 

Auffallend  groß  ist  die  Zahl  der  Wüstungen  des  Gebiets,  die  in  Urkunden  des  13-  bis  15. 
Jahrhunderts  häufig  auftauchen.  Wertvoll  ist  die  Auseinandersetzung  über  die  Ortsnamen  in  ihrer 
kulturgeschichtlichen  Bedeutung,  bei  deren  Abfassung  des  zu  früh  verstorbenen  Köberlin  ge- 
diegene Arbeit  „Zur  historischen  Gestaltung  des  Landschaftsbildes  um  Bamberg"  (1893)  über- 
sehen zu  sein  scheint  Der  Abschnitt  „Die  Ortsnamen  in  ihrer  Überlieferung"  dient  speziell 
philologischen  Interessen,  er  gliedert  sich  in  die  besonders  wertvolle  Untersuchung  über  die  mund- 
artliche Aussprache  der  Namen  und  eine  Betrachtung  über  deren  Schreibung. 

Der  größere  Teil  des  Buches  tritt  uns  als  Wörterbuch  entgegen,  das  Name  um  Name  in 
alphabetischer  Folge  bringt  und  unter  Voranstellung  der  jetzigen  offiziellen  Schreibweise,  die 
heutige  volkstümliche  Aussprache  feststellt,  die  historische  Gestaltung  des  Namens  verfolgt  und 
mit  einer  derart  kontrollierbaren  Deutung  jeden  Artikel  beschließt.  Hier  ist  der  Bescheid  auf 
viele  wißbegierige  Fragen  der  Besucher  und  Freunde  der  Fränkischen  Schweiz.  Daß  überall  die 
letzte  Antwort  gegeben  wird,  ist  natürlich  ausgeschlossen  und  zu  den  Fragezeichen,  die  der  Ver- 
fasser selbst  setzt,  wird  die  Forschung  noch  andere  bringen.  Aber  ein  sehr  bedeutendes  Stück 
Arbeit  ist  hier  einmal  geleistet  und  durch  die  sorgsam  ermöglichte  Überschau  über  das  erreichbare 
Material  die  Hauptsache  gewonnen. 

Zu  den  S.  63  unter  „Glashütten"  angezogenen  St.  Nikolaus- Kapellen  gehörte  vor  allem 
die  dort  und  auch  bei  K  nicht  genannte  Klaussteinkapelle  bei  Rabenstein.  Für  den,  der  sich  für 
die  Patronate  der  Heiligen  interessiert,  mögen  neben  den  genannten  Kapellen  zu  Reifenberg  und 
Ebermannstadt  noch  die  Pfarrkirchen  von  Pinzberg  und  Baiersdorf  namhaft  gemacht  werden.  — 
Ob  es  notwendig  war,  den  Namen  der  Pegnitz  wiederum  mit  slavisch  bagenc  (Sumpf)  zusammen- 
zubringen ?  Dem  wirklichen  Landschaftsbilde  entspricht  diese  Erklärung  doch  eigentlich  nicht.  — 
In  dem  gelegentlich  (S.  102)  erwähnten  Breemberga  von  805  (MGLL  1, 1, 133)  ist  keinesfalls  eine 
frühe  Nennung  von  Nürnberg  zu  sehen  (der  Verfasser  bringt  mit  Recht  hier  ein  Fragezeichen  an), 
es  handelt  sich  da  vielmehr  zweifellos  um  das  heutige  Kirchdorf  Premberg,  nordöstlich  von  Burg- 
lengenfeld  in  der  Oberpfalz,  unweit  der  Naab. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


129 


Zur  Erklärung  einer  großen  Schicht  von  Ortsnamen  sind  Personen- Namen  herangezogen 
worden,  deren  Formen  wohl  zuweilen  erst  zu  erschließen,  häufig  genug  aber  gerade  für  unsere 
Gegend  belegbar  waren.  Den  Laienetymologen  verstimmen  zumeist  solche  einfach-wahrschein- 
liche Erklärungen  und  so  werden  die  Slavomanen  unter  ihnen  beispielsweise  bei  Poppendorf  ihre 
vielgeliebten  „Popen"  schmerzlich  vermissen.  Aber  gerade  in  diesem  Sichlosmachen  von  der 
bisher  beliebten  vorurteilsvollen  schematischen  Behandlung  (zu  der  auch  die  immer  wieder  nach- 
gesprochene generelle  Aufstellung  der  Endung  -itz  als  eines  slavischen  Charakteristikums  zu 
rechnen),  liegt  der  bleibende  Wert  des  Beck*schen  Buches. 

Den  Historiker  interessiert  natürlich  vor  allem  die  Stellungnahme  des  Sprachforschers  zu 
jener  Hauptfrage,  wie  weit  nach  Westen  man  die  wendischen  Siedelungen  und  Zwangskolonien 
sich  vorgeschoben  zu  denken  hat.  Schon  eine  oberflächliche  Betrachtung  des  Namenbestandes 
lehrt,  daß  da  und  dort  der  Germane  ( Franke,  Bayer)  als  ein  fremdes  Element  erscheint,  der  um- 
liegende Bezirk  also  vermutlich  in  fremden  Händen  war.  Umgekehrt  spricht  die  Bezeichnung 
windisch-  (W.-Gailenreut,  Windischendorf,  heute  Wünschendorf)  für  insulares  Vorkommen  wen- 
discher Ansiedler.  Wenn  Beck  auch  in  Windhof  und  Herzogwind  den  Wendennamen  enthalten 
sieht,  so  wird  man  die  Möglichkeit  zugeben,  die  Frage  aber  zur  weiteren  Diskussion  stellen  müssen. 

Der  naturgegebene  Grundsatz  muß  lauten:  Keine  slavische  Deutung,  solange  die  ältesten 
vorliegenden  Namenformen  ungezwungen  eine  Erklärung  in  unserer  Sprache  zulassen.  Ihm  folgend 
gelangen  wir  mit  Beck  dazu,  die  von  Dilettanten  mit  mehr  Eifer  wie  Sachkenntnis  festgehaltene 
wendische  Provenienz  für  eine  stattliche  Zahl  von  Ortsnamen  abzuweisen. 

Verbinden  wir  die  äußersten  Punkte  im  Westen  des  Untersuchungsgebietes  (des  Fluß- 
gebietes der  Wiesent),  deren  Namen  nach  Beck  für  kürzere  oder  längere  Anwesenheit  der  Slaven 
sprechen,  so  kommen  wir  auf  folgende,  in  merkwürdig  weitem  Abstand  vom  Regnitzgrund  ver- 
laufende Linie:  Treunitz  (nordwestlich  von  Hollfeld),  Leiberös,  Tiefen-  und  Hohen- Pölz,  Teuchatz, 
Traindorf,  Draisendorf,  Kolmreut  (zwischen  Kirchehrenbach  und  Pretzfeld),  Birkenreut  ( ?),  Train- 
meuseU  Moggast,  Windischgailenreut,  Nemsgor-Leimersberg,  Herzogwind.  Die  Angabe  der  Süd- 
grenze, die  von  Herzogwind  über  Graisch,  Trägweis  (?  vgl.  Beck  132),  Kühlenfels,  Körbeldorf 
auf  Nemschenreut  südlich  von  Pegnitz  zu  laufen  würde,  hat  solange  nur  problematischen  Wert,  als 
das  Pegnitzflußgebiet  (die  Hersbrucker  Gegend)  noch  außerhalb  des  Forschungsbereichs  steht. 

Alles  in  allem,  tritt  die  Zahl  der  mehr  oder  weniger  sicheren  wendischen  bezw.  an  die  Wenden 
gemahnenden  Bezeichnungen  doch  auffallend  zurück  gegen  das  ungeheuer  überwiegende  ger- 
manische Namengut.  Freilich  wird  man  gut  tun,  sich  der  Grenzen  der  Beweiskraft  des  sprachlichen 
Materials,  das  eben  nur  einen  Teil  der  frühgeschichtlichen  Geschehnisse  überliefert  oder,  besser, 
durchblicken  läßt,  zu  erinnern  und  beileibe  keine  abschließende  Antwort  auf  die  Frage  nach  der 
Verteilung  der  beiden  Rassen  zu  erwarten.  Auch  Becks  fleißige  Arbeit  wird  nur  aufs  neue  die 
Erkenntnis  festigen,  daß  hier  einzig  und  allein  ein  Zusammenarbeiten  der  verschiedenen  beteiligten 
Wissenszweige  zu  endgültigen  Resultaten  führen  wird.  H  H. 

Die  Trauts,  Studien  und  Beiträge  zur  Geschichte  der  Nürnberger  Malerei.  Von  Chri- 
stian Rauch.  Heft  79  der  Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte.  Straßburg,  J. 
H.  Ed.  Heitz  (Heitz    &  Mündel)  1907.    VIII  u.  114  S.  mit  31  Tafeln. 

Der  Verfasser  beabsichtigte  uranfänglich,  nur  die  Ergebnisse  seiner  Forschungen  über 
den  Dürer- Schüler  Wolf  Traut  an  die  Öffentlichkeit  zu  bringen.  Doch  hatte  er  eben  bei  dieser 
Arbeit  so  viel  Material  auch  über  den  Vater  Hanns  Traut  gewonnen,  daß  er  glaubte,  mit  diesem 
ebenfalls  nicht  zurückhalten  zu  dürfen.  So  liefert  er  uns  einerseits  einen  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Werkstatt  Wolgemuts,  andererseits  einen  solchen  zur  Schule  Dürers. 

Bei  beiden  Meistern  stellt  er  das  Urkundliche  und  Biographische  voran,  um  sich  alsdann 
mit  den  ihnen  zuzuschreibenden  Werken  in  chronologischer  Aufeinanderfolge  zu  beschäftigen. 

Hanas  Traut  begegnet  urkundlich  zum  ersten  Mal  1477-  Er  dürfte  demnach  etwa 
ums  Jahr  1453  geboren  sein.  In  den  Rechnungsbüchem  des  Klosters  Heilsbronn  wird  er  Hanns 
Speyer  von  Nürnberg,  Hanns  von  Speyer  und  Johannes  de  Spira  genannt.  Er  war  also  von 
Speyer  eingewandert.  Rauch  tritt  der  Annahme  Gümbels,  der  auf  Grund  urkundlicher  Nach- 
richten an  zwei  Künstler  des  Namens  „Hanns  Traut"  denken  zu  müssen  glaubt,  entgegen.  In 
der  entsprechenden  Anmerkung  dazu  erörtert  er  in  vorsichtiger  Weise,  wie  etwa  zu  kombinieren 

Mitteilungen  au»  dem  gorman.  Nationalniusonni.    1907  17 


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130  LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


wäre,  wenn  sich  die  Hypothese  Gümbels,  die  mir  allerdings  nicht  hinreichend  begründet  er- 
scheint, durch  Auffindung  weiterer  Belege  dennoch  bewahrheiten  sollte.  Ob  sich  für  diesen 
Fall  die  a  priori  von  Rauch  vorgenommene  Teilung  der  jetzt  seinem  Hanns  Traut  zugeschrie- 
benen Werke  halten  lassen  wird,  müssen  wir  der  Zukunft  überlassen.  Einstweilen  kommen  wir 
ganz  gut  mit  einem  Hanns  Traut  aus.  Rauch  bringt  alsdann  teils  bekannte,  teils  unbekannte 
archivalische  Belege  für  eine  Tätigkeit  des  Hanns  Traut  für  das  Kloster  Heilsbronn,  für  Fried- 
rich den  Weisen  und  für  den  Eichstätter  Bürger  Diebold  Zeller.  Der  Meister  starb  1516.  Der 
Vollständigkeit  halber  sei  erwähnt,  daß  die  Wandmalereien  im  Kreuzgang  des  Augustinerklosters 
zwar  mit  dem  Abbruch  desselben  zu  Grunde  gegangen  sind,  daß  sich  aber  noch  Kopien  da- 
nach, allerdings  etwas  fragwürdiger  Natur,  in  der  bei  uns  aufbewahrten  Kupferstichsammlung 
der  Stadt  Nürnberg  befinden,  worauf  vielleicht  in  Kürze  hätte  eingegangen  werden  können. 
Siehe  darüber  Mitteilungen  aus  dem  Germanischen  Nationalmuseum  1906,  S.  155  u.  f. 

In  seiner  Betrachtung  der  Werke  Hanns  Trauts  geht  Rauch  von  der  einzig  beglaubigten 
Handzeichnung  desselben,  dem  Sebastian  in  Erlangen,  aus.  Er  sieht  in  dieser  eine  Vorstudie 
zu  der  entsprechenden  Darstellung  auf  dem  Peringsdörfferschen  Altar  aus  der  Augustinerkirche 
im  Germanischen  Museum.  Bekanntlich  sagt  Neudörfer  in  seinem  Abschnitt  über  Wolgemut: 
„sein  Gemäld  aber  ist  die  Tafel  in  der  Augustiner  Kirche  gegen  die  Schustergasse,  welches  der 
Peringsdorffer  hat  machen  lassen".  Weiterfußend  auf  den  Einzelheiten  in  der  Verwandtschaft, 
kommt  Rauch  zu  dem  Schluß,  daß  Hanns  Traut  derjenige  war.  der  unter  Wolgemuts  Leitung 
die  Hauptarbeit  am  Peringsdörfferschen  Altar  ausführte.  Seine  diesbezüglichen  Darlegungen 
überschreiten  den  Rahmen  bloßer  Hypothesen,  ohne  daß  aber  damit  gesagt  sein  soll,  daß  seine 
Schlüsse  direkt  zwingend  sind.  Es  ist  ein  wenig  gewagt,  von  einer  Zeichnung  auf  ein 
solch  gewaltiges  Altarwerk  unmittelbar  zu  schließen.  Rauch  führt  dann  weitere  Werke  an,  in 
denen  er  die  Hand  Trauts  erkennen  zu  dürfen  glaubt.  Hier  bewegt  er  sich  auf  posi- 
tiverem Boden,  nur  tut  er  in  diesem  Zusammenhang  dem  kleinen  Führer  durch  die  Lorenz- 
kirche m.  E.  zu  viel  Ehre  an.  Hanns  Traut  zuzuweisen  sind  Rauch  zufolge  Teile  des  Katha- 
rinenaltares  in  S.  Lorenz,  die  Gemälde  des  Rochusaltares  ebendort.  die  Geburt  der  Maria  im 
bayerischen  Nationalmuseum  zu  München,  das  Schutzmantelbild  in  Schleißheim,  der  Drei- 
königsaltar in  Heilsbronn  (doch  wäre  hier  ein  „vielleicht"  nicht  ganz  unangebracht),  zwei  fälsch- 
lich dem  Schwarz  von  Rothenburg  zugeschriebene  Bilder  der  Bamberger  Galerie  (Apostelteilung 
und  die  Madonna  mit  sieben  Heiligen),  das  für  einen  am  20.  Juli  1504  verstorbenen  Johannes 
Löffelholz  gemalte  Tafelbild  der  heiligen  Sippe  in  S.  Lorenz  und  vielleicht  auch  das  Bild  der 
Kreuzauffindung  im  Germanischen  Museum.  Stammt  der  Rochusaltar  in  S.  Lorenz  von  Hanns 
Traut,  dann  könnten  auch  wohl  die  Altarflügel  von  Neunkirchen  am  Brand  möglicherweise  von 
ihm  herrühren,  die  ich  auf  der  historischen  Ausstellung  1906  in  Nürnberg  zur  Darbietung  ge- 
bracht habe.  Siehe  den  Katalog  derselben  Nr.  60  und  61.  Zu  berichtigen  ist,  daß  das  kleine 
Porträt  des  Conrad  Imhof  mit  der  Jahreszahl  1486  in  der  Rochuskapelle  nicht  von  Wolgemut 
herrührt,  sondern  eine  spätere  Kopie  nach  demjenigen  auf  dem  Altärchen  im  Nationalmuseum 
zu  München  ist. 

Reich  war  also  die  Ausbeute,  welche  Hanns  Traut  bot,  nicht.  Zudem  läßt  sich  hier, 
wie  ich  zu  Anfang  andeutete,  nicht  immer  mit  voller  Sicherheit  operieren.  So  ganz  festgefügt 
ist  darum  das  Gebäude,  das  sich  Rauch  auf  Grund  gewissenhafter  Erwägungen  konstruiert, 
nicht.     Immerhin  sind  wir  durch  seine  Untersuchungen  um  ein  gut  Stück  weitergekommen. 

Dankenswerter  war  und  ist  die  Beschäftigung  mit  Wolf  Traut.  Dieser  wurde  um 
1478  geboren  und  starb  im  Jahre  1520.  Er  war  zunächst  als  Gehilfe  seines  Vaters,  dann  in 
der  Werkstatt  Dürers  als  Geselle  tätig.  Eine  seiner  letzten  Arbeiten  in  Dürers  Werkstatt  war 
die  Vorzeichnung  zu  einem  Glasgemälde  für  Sebald  Schreyer  vom  Jahre  1505  in  Schwäbisch- 
Gmünd.  Die  früheste  Spur  der  Betätigung  Trauts  in  Dürers  Werkstatt  findet  Rauch  in  dem 
1 502  herausgegebenen  Werk  des  Conrad  Celtes  ..quatuor  libri  amorum".  Als  das  früheste  Malerei- 
werk des  Künstlers  betrachtet  er  die  Gemälde  eines  Flügelaltars  in  der  Karlsruher  Galerie,  die 
er  gemeinsam  mit  Hans  von  Kulmbach  (um  1505)  herstellte.  Auch  diese  denkt  er  sich  noch 
in  Dürers  Werkstatt  entstanden.  Rauch  stellt  den  Anteil  beider  Künstler  an  ihnen  im  einzelnen 
fest.  Auch  der  Holzschnitt  der  Stigmatisation  des  Franziskus  von  Assisi  ist  nach  seinem  Dafür- 
halten in  Dürers  Werkstatt  und    zwar  unter  Dürers  Augen,    unter  seinem  Vorbild  und  seiner 


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UTERABISCHE  BESPRECHUNGEN. 


131 


Korrektur  entstanden.  Der  Übergang  aus  Dürers  Werkstatt  zu  selbständiger  Tätigkeit  bezeichnet, 
wie  an  einer  Reihe  von  Belegen  dargetan  wird,  ein  Sinken  in  der  Qualität  der  Leistungen  Trauts. 
Eine  Ausnahme  bilden  die  Illustrationen  zur  Bambergischen  Halsgerichtsordnung.  Im  5.  Ab- 
schnitt werden  weitere  für  des  Künstlers  Art  und  Entwicklung  charakteristische  Holzschnitte 
aufgeführt.  Von  einer  vollständigen  Aufzählung  der  mehr  handwerklichen  Arbeiten  wird  abgesehen. 
Im  Jahre  1510  schuf  Traut  eine  Passionsfolge,  die  unter  seinen  Werken  einen  relativ  hohen  Rang 
einnimmt.  Die  Originalität  ist  eine  verhältnismäßig  große.  Daran  schloß  sich  im  folgenden 
Jahr  der  imposante  Hochaltar  der  Johanniskirche,  der  durch  die  Vielseitigkeit  seiner  Darstel- 
lungen weitgehende  Schlüsse  auf  die  künstlerischen  Fähigkeiten  Trauts  erlaubt.  Die  Landschaft 
ist  zuweilen  stimmungsvoll,  der  Kolorismus  oft  recht  wirksam,  die  Komposition  meist  klar. 
Auch  die  vier  Flügelbilder  des  nördlichen  Seitenaltares  in  S.  Johannis  mit  der  vermeintlich 
echten  Altdorfer- Kreuzigung  im  Mittelteil  weist  Rauch  dem  Wolf  Traut  zu,  und  dürfte  damit 
wohl  auch  Recht  haben.  Die  Geburtsdarstellung  des  Johannisaltares  gibt  Rauch  Veranlassung, 
Traut  ein  großes  Holzschnittblatt  mit  Geburt,  Passionsdarstellungen  u.  a.  m.  zuzuteilen.  Als 
zweites  Hauptwerk  des  Meisters  hat  dann  die  Folge  der  Holzschnittillustrationen  (51  BU.)  zu 
dem  1512  von  Hölzel  gedruckten  Buche  Bonaventuras  „die  Legende  des  heiligen  Vaters  Fran- 
zisci**  zu  gelten.  Ungefähr  mit  dem  Jahre  1512  beginnt  eine  regere  Betätigung  Trauts  in  der 
Malerei.  Etwa  dieser  Zeit  dürften  die  beiden  Bilder  des  Johannes  und  der  Barbara  im  Germa- 
nischen Museum  angehören.  Einen  wesentlichen  teil  seiner  Wirksamkeit  in  diesem  Zeitraum 
beanspnichen  die  Arbeiten  für  das  Kloster  Heilsbronn  (Ursulaaltar  1513).  Ganz  ruhte  in  dieser 
Epoche  auch  seine  Tätigkeit  für  die  Holzschnittillustration  nicht.  Was  aber  jetzt  entstand, 
steht  künstlerisch  höher  als  das  zuvor  zutage  geförderte.  Eingehend  beschäftigt  sich  Rauch 
alsdann  mit  dem  Artelshofer  Altar  vom  Jahre  1514  im  bayerischen  Nationalmuseum  in  München. 
Interessant  ist  der  den  Fortschritt  zeigende  Vergleich  der  Hauptdarstellung  mit  dem  Löffelholz- 
bilde von  Hanns  Traut  in  S.  Lorenz.  Traut  erhebt  sich  hier  zu  einer  Höhe,  der  er  nicht  oft 
wieder  nahegekommen  ist.  Was  das  Londoner  Bild  der  Kranzbinderin  betrifft,  so  hat  es  stets 
etwas  mißliches  an  sich,  lediglich  auf  Grund  einer  Photographie  ein  Urteil  zu  fällen.  Ich  möchte 
lieber  die  Akten  über  dieses  Bild  noch  ungeschlossen  lassen.  Das  gefälschte  Dürer-Monogramm 
könnte  auch  an  einen  der  bekannten  Kopisten  (Jörg  Gärtner,  Hans  Hof  mann)  denken  lassen. 
In  das  Jahr  1514  (ällt  auch  eine  tüchtige  graphische  Arbeit,  der  Titelholzschnitt  für  das  1514 
von  Gutknecht  gedruckte  Passauer  Missale,  der  innerhalb  des  Werkes  Trauts  von  erfreulich 
reicher  und  charakteristischer  Wirkung  ist.  Bei  dem  Heilsbronner  Jungfrauenaltar,  dem  Artels- 
hofener  Altar  und  dem  Titelholzschnitt  zum  Passauer  Missale  liegt  Dürers  Einfluß  klar  zutage. 
Ihren  direkten  Ausdruck  findet  diese  Zugehörigkeit  Trauts  zum  Dürerkreis  in  seiner  Beteiligung 
an  der  unter  des  Meisters  Leitung  hergestellten  Ehrenpforte  Maximilians.  Von  ihm  rühren  die 
Zeichnungen  zu  12  Schnitten  her.  Zwischen  1516  und  I5l8  arbeitet  Traut  an  den  Bildern  des 
Heilsbronner  Mauritiusaltares,  die  für  seine  Art  sehr  bezeichnend  sind.  In  engem  Zusammen- 
hang mit  diesem  steht  das  Katharinenaltärchen  in  Bamberg.  In  die  gleiche  Zeit  fällt  die  Taufe 
Christi  im  Jordan  im  Germanischen  Museum,  wie  Stegmann  nachgewiesen  hat,  das  Hauptbild 
eines  Altares  aus  Heilsbronn,  an  dem  Traut  in  den  Jahren  1516—1517  arbeitete.  Auch  zur 
Illustrierung  des  Teuerdank  wurde  Traut  herangezogen.  Es  rühren  die  Zeichnungen  zu  drei 
Blättern  von  ihm  her.  Das  künstlerisch  hochstehendste  Blatt  In  Trauts  Holzschnittwerk  ist 
nach  Rauchs  Ansicht  der  Abschied  Christi  von  seiner  Mutter  (1516).  Im  allgemeinen  gab  Dürer 
(Marienleben)  die  Anregung.  Die  Einzelheiten  aber  sind  durchaus  frei  und  Trautisch  ausgearbeitet. 
Ein  weiteres  größeres  Werk  von  Traut  aus  dieser  Zeit  ist  die  Malerei  des  Peter- Pauls- Altares  in 
Heilsbronn,  der  allerdings  durch  eine  spätere  Restauration  stark  gelitten  hat  Entschieden 
stimme  ich  Rauch  zu,  wenn  er  auch  das  Porträt  des  Abtes  Bamberger,  das  er  erst  als 
solches  erkannt  hat,  Wolf  Traut  zuschreibt.  Es  zeigt,  abgesehen  von  den  übermalten  Teilen, 
des  Künstlers  bezeichnende  Art.  Höher  noch  als  dieses  steht  das  monogrammierte  Porträt  aus 
Freiherrlich  von  Behaimschem  Besitz,  das  ich  auf  der  historischen  Ausstellung  1906  gebracht 
hatte.  Als  Trautisch  bekannt  war  bereits  der  Holzschnitt  Augustin  und  das  Kind.  Er  gehört 
dem  Jahre  1518  an.  Die  Zeichnung  ist  sicher  und  kräftig.  Die  Bäume  sind  gut  charakterisiert. 
In  die  letzten  Lebensjahre  des  Künstlers  fällt  seine  Tätigkeit  für  die  Illustrierung  des  Halleschen 
HeÜigtumbuches,  über  welcher  Arbeit  ihn  der  Tod  ereilte. 


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132 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


Resümieren  wir  kurz,  so  liegt  vor  uns  eine  fleißige,  ungemein  folgerichtig  aufgebaute  und 
verdienstvolle  Arbeit,  voll  guter  Beobachtungen  und  neuer  Anregungen.  Sie  verzichtet  auf  eine 
rhetorisch  ausgeschmückte  Sprache  und  beschränkt  sich  darauf,  mehr  in  knapper,  inventarisa- 
torischer  Art.  aber  bei  entsprechender  Begründung,  die  Forschungsresultate  des  Verfassers  zu- 
sammenzufassen. Dr.  Fritz   Traugott   Schulz. 

Franz  Zell,  Volkstiimnche   Bauweise  in  der  Au  bei  München.  —   Altmiinchener   Tanzplätze. 

75  Aufnahmen  mit  Vorwort.    Verlag  von  Heinrich  Keller  in  Frankfurt  a.  M. 

Wer  München  vor  fünfzig,  ja  noch  vor  vierzig  Jahren  gekannt  hat,  weiß,  daß  um  die 
stille  Großstadt  herum  eine  sehr  kleinbürgerliche,  zum  Teil  halb  bäuerliche  Bevölkerung  gewohnt 
hat,  die  in  beschränkten  Verhältnissen  mit  Behagen  dahinlebte.  Ihre  kleinen  Häuser  reichten 
bis  unmittelbar  an  die  großen  Hauptstraßen  heran;  mit  wenigen  Schritten  gelangte  man  von  der 
Maximilianstraße  in  die  Stemgasse,  die  voll  war  von  malerischen  Holzhäusern,  im  Süden  der 
Stadt  war  es  ebenso  und  nördlich  hat  der  lange  Türkengraben  dem  Umbau  bis  vor  einigen  Jahren 
Stand  gehalten,  eine  kleine  Insel  solcher  Häuschen  war  auch  die  Grube  in  Haidhausen.  Heute 
ist  das  Meiste  verschwunden,  nur  in  der  Au  haben  sich  diese  altmünchener  Häuschen  noch  in 
größerer  Zahl  erhalten.  Ihre  künstlerische  Bedeutung  liegt  auf  der  malerischen  Seite  und  ist 
auch  nach  ihr  nicht  groß,  aber  sie  haben  doch  ihre  bescheidenen  Reize  und  sind  individuell  ge- 
staltet.   Vor  allem  aber  sind  sie  frei  von  künstlerischer  Absichtlichkeit  an  unrechter  Stelle. 

Auch  ihre  Tage  werden  gezählt  sein,  so  war  es  ein  gutes  und  dankenswertes  Unternehmen, 
daß  Franz  Zell,  dem  wir  schon  so  manchen  Beitrag  zur  Kenntnis  altbayerischer  Volkskunst  ver- 
danken, eine  Auswahl  solcher  Bauwerke  in  photographischen  Aufnahmen  herausgegeben  hat. 
Die  Beispiele  sind  gut  gewählt,  von  richtigen  Standpunkten  aus  aufgenommen  und  in  guten 
Autotypien  wiedergegeben. 

Als  Anhang  sind  einige  Tanzplätze  und  andere  Vergnügungsorte  beigegeben. 

B  e  z  o  1  d. 

F.  Baltzer,  Regierungs-  und  Baurat,   Das  Japanische  Haus,  eine  bautechnische  Studie.  Mit  japa- 
nischem Titelbild,  ISO  Textabbildungen  und  9  Tafeln  in  Folio.    Sonderdruck  aus  Zeit- 
schrift für  Bauwesen.     Berlin  1903.    Verlag  von  Wilhelm  Ernst   &Sohn. 
F.  Baltzer,    Regierungs-  und  Baurat,    Die  Architektur   der  Kultbauten  Japans.    Mit  329  Ab- 
bildungen im  Text.     Berlin  1907.    Verlag  von  Wilhelm  Ernst   &  Sohn. 
Der  Verfasser,  welcher  lange  Zeit  in  Japan  als  Ingenieur  tätig  war,  gibt  in  diesen  beiden 
Werken  einen  Ueberblick  über  die  japanische  Baukunst,  aus  dem  wir  sie  sowohl  nach  ihrer  tech- 
nischen, als  nach  ihrer  ästhetischen  Seite  kennen  lernen.     Er  beschränkt  sich  auf  Beschreibung 
und  Abbildung  der  verschiedenen  Gebäudegattungen  und  verzichtet  auf  historische  und  archäo- 
logische Ausführungen.     Seine  Arbeiten  sind  deshalb  als    reine  Quellenpublikationen,  die  nur 
Tatsächliches  bieten,  besonders  wertvoll. 

Das  japanische  Haus  ist  stets  nur  für  eine  Familie  bestimmt,  es  ist  reiner  Holzbau  und 
macht  einen  unscheinbaren  Eindruck.  Der  Typus  ist  trotz  vielfacher  Unterschiede  in  der  Zahl 
und  Anordnung  der  Räume  ein  ziemlich  gleichförmiger.  Im  Grunde  ist  das  Haus  ein  von  Pfosten 
getragenes  Schutzdach.  Die  inneren  Wände  sind  beweglich  und  können  herausgenommen  werden, 
so  daß  aus  mehreren  kleinen  ein  größerer*  Raum  geschaffen  werden  kann.  Aber  auch  die  Außen- 
wände sind  nur  zum  Teil  fest,  große  Schiebetüren  und  Schiebefenster  gestatten  eine  weitgehende 
Öffnung  der  Wände.  Das  Haus  bietet  mehr  Schutz  gegen  Feuchtigkeit  und  Hitze  als  gegen  Kälte. 
Bei  äußerst  sorgfältiger  Ausführung  ist  die  Holzkonstruktion  des  Hauses  nicht  sehr  rationell; 
das  für  die  Stabilität  so  wichtige  Prinzip  der  Dreiecksverbindungen  ist  nicht  ausgebildet,  es  wird 
viel  mehr  Material  verwendet,  als  konstruktiv  notwendig  ist  und  oft  sind  die  Hölzer  an  stark 
beanspruchten  Stellen  geschwächt. 

Als  Material  für  die  Dachdeckung  kommen  Holz,  Rinde,  Stroh  und  Ziegel  in  Verwendung. 
Die  Rahmen  für  die  Zwischenwände  werden  mit  Papier  bespannt,  das  oft  mit  schönen  Malereien 
geziert  ist.  Der  Fußboden  besteht  aus  Brettern,  welche  mit  Matten  aus  Reisstroh  oder  Binsen 
belegt  werden.  Die  Matten  haben  eine  Fläche  von  3  :  6  Fuß  und  weil  sie  den  ganzen  Boden 
/.u  bedecken,  haben  geben  sie  die  Flächeneinheit,  nach  der  die  Größe  der  Räume  bemessen  wird. 


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luerawschk  Besprechungen.  1 33 

Für  die  Verteilung  der  Räume  ist  die  innere»  der  Straße  abgewandte  Seite  des  Hauses 
die  bevorzugte,  die  Wohnräume  liegen  nach  dem  Garten.  Aus  dem  im  ganzen  rechteckigen 
Grundriß  treten  verschiedene  Anbauten  vor.  Symmetrie  wird  nicht  angestrebt.  Bei  großer 
Einfachheit  des  Aufbaues  erhält  nur  das  Dach  eine  etwas  reichere,  gefällige  Ausstattung. 

In  dem  zweiten  Werk,  das  die  Architektur  der  Kultbauten  behandelt,  ist  das  im  ersten 
über  die  Konstruktion  Gesagte  nicht  wiederholt,  dagegen  wird  es  durch  einen  ausführlichen  Ab- 
schnitt über  die  architektonischen  Elemente  und  Zierformen  eingeleitet  Dann  werden  die  ver- 
schiedenen Gebäude,  welche  in  den  Tempelanlagen  vereinigt  sind,  besprochen.  Die  beiden 
Religionen  der  Japaner,  der  Shintoisraus  und  der  Buddhismus,  haben  verschiedene  Tempelformen. 
Der  shintoistische  Tempel  ist  eine  einschiffige  Zelle  mit  umlaufender  Veranda,  der  buddhistische 
eine  dreischiff  ige  Halle  mit  erhöhtem  Mittelschiff,  das  aber  in  zwei  Geschoße  geteilt  ist  Der 
Shintotempel  ist  die  alte  heimische  Tempelform,  der  Buddhatempel  ist  mit  der  buddhistischen 
Religion  von  China  eingeführt  worden,  hat  aber  in  Japan  eine  selbständige  Weiterbildung  er- 
fahren und  auch  auf  die  Shintoarchitektur  eingewirkt.  Der  Entwicklungsgang  der  japanischen 
Tempelarchitektur  läßt  sich  ziemlich  sicher  verfolgen.  Es  zeigt  sich  nämlich  die  sehr  eigentüm- 
liche Erscheinung,  daß  die  Tempel,  welchen  infolge  ihres  Baumaterials  eine  lange  Dauer  nicht 
beschieden  ist,  in  verhältnismäßig  kurzen  Zwischenräumen  ganz  in  ihrer  früheren  Form  erneuert 
werden.  Der  Unterschied  der  verschiedenen  Bauweisen  kommt  hauptsächlich  in  der  Anlage 
und  Form  der  Dächer  zum  Ausdruck.  Drei  Hauptepochen  lassen  sich  unterscheiden.  Die  erste 
geht  von  den  vorgeschichtlichen  Zeiten  bis  etwa  780  nach  Christo,  die  zweite  bis  1500,  die  dritte 
bis  1868.  Von  da  an  kommt  Japan  unter  den  Einfluß  der  europäischen  Kultur  und  Kunst. 
Innerhalb  der  Gruppen  sind  wieder  verschiedene  Stilarten  zu  unterscheiden.  In  der  Besprechung 
dieser  Stilarten  tritt  nun  doch  die  historische  Anordnung  in  Geltung.  Es  folgen  noch  drei  weitere 
Kapitel  über  die  No-Bühne,  über  die  mehrgeschossigen  Turmbauten  und  über  die  Schatztürme. 

Beide  Werke  sind  durch  ein  reiches  Material  an  zeichnerischen  und  photographischen  Auf- 
nahmen illustriert.  Wir  gewinnen  durch  sie  einen  klaren  Einblick  in  ein  Gebiet  der  Kunst- 
geschichte, das  uns  bisher  nahezu  fremd  war. 

Die  Baukunst  der  Japaner  ist  nicht  Architektur  im  höchsten  Sinne,  die  Dimensionen  und 
das  Material  schließen  die  Monumentalität  aus;  nicht  die  Raumgestaltung,  nicht  die  Konstruktion 
stehen  im  Mittelpunkt  des  künstlerischen  Schaffens,  sondern  die  dekorative  Ausgestaltung.  Noch 
eines:  die  Bauformen,  welche  sich  am  Holzbau  entwickelt  haben,  werden  ohne  Rücksicht  auf 
die  Bedingungen  der  Baustoffe  auch  angewandt,  wenn  ausnahmsweise  in  anderem  Material  ge- 
baut wird.  Nimmt  man  diese  Einschränkungen  hin,  so  bleibt  noch  genug  des  künstlerisch  bedeut- 
samen. Die  Wahrnehmung,  daß  die  japanische  Kunst  auf  einer  Entwicklungsstufe  beharrt, 
welche  die  europäische  längst  hinter  sich  hat  daß  sie  aber  die  auf  ihrer  Stufe  gegebenen  Mög- 
lichkeiten in  selbständiger,  höchst  eigenmächtiger  Weise  zu  höchster  Vollendung  steigert,  machen 
wir  auch  in  der  Baukunst  Die  japanischen  Bauten  machen  in  der  energischen  Profilierung  ihres 
Umrisses  und  in  dem  reichen  Wechsel  von  Licht  und  Schatten  einen  bedeutenden  malerischen 
Eindruck  und  erfreuen  durch  die  vollendete,  geschmackvolle  Ausführung  der  einzelnen  Formen. 

B  e  z  o  1  d. 

Meyers  groBes  Konversatlons- Lexikon.  Sechste  gänzlich  neubearbeitete  und  vermehrte 
Auflage.  Bd.  XII  —  XVIL  Leipzig  und  Wien.  Bibliographisches  Institut 
1905—1907.     Lex   8®. 

Herders  Konversatlons- Lexikon.  Dritte  Auflage.  Freiburg  im  Breisgau.  Herder*sche 
Veriagshandlung.     1902— 1907.     Lex.  8®.    (8  Bände). 

Die  Bände  I— XI  der  neuen  Auflage  von  Meyers  Konversations- Lexikon  sind  bereits 
früher  an  dieser  Stelle  Besprechungen  unterzogen  worden.  Die  inzwischen  neu  erschienenen 
Bände  zeigen  sowohl  was  den  Text  als  auch  was  die  reichlich  beigegebenen  Abbildungen  betrifft, 
die  gleichen  Vorzüge.  Bei  der  Umgestaltung  und  Erweiterung,  die  insbesondere  der  Text  erfahren 
hat  macht  sich  das  sehr  berechtigte  Bestreben  geltend,  Worterklärungen,  namentlich  wenn  es  sich 
um  Fachausdrücke  handelt  hinter  den  Sacherklärungen,  wie  sie  unsere  Zeit  des  sich  fortgesetzt 
steigernden  Weltverkehrs  von  Jahr  zu  Jahr  in  immer  größerer  Zahl  fordert,  zurücktreten  zu 
lassen.     So  sind  auch  manche  exotische  Ortsnamen   und  sonstige  speziellere  geographische  Be- 


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134  LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Zeichnungen  in  Wegfall  gekommen,  während  z.  B.  Artikel  über  Japan  und  seine  Kultur  der 
seit  dem  russisch-japanischen  Kriege  so  mächtig  gewachsenen  Bedeutung  des  Landes  und 
Volkes  entsprechend  außerordentlich  an  Umfang  zugenommen  haben,  zum  (nicht  geringen  Teil 
überhaupt,  wie  auch  so  mancher  Abschnitt  über  die  Erfindungen  und  Entdeckungen  der 
jüngsten  Vergangenheit,  neu  hinzugekommen  sind.  Ein  solcher  Versuch,  das  allgemein  Wissens- 
werte vom  rein  fachlichen  Wissen  Jkräftiger  und  klarer  abzuheben,  für  dieses  gewissermaßen 
stillschweigends  auf  die  verschiedenen  Fachlexika  zu  verweisen,  kann  bei  einem  „Nachschlage- 
werk des  allgemeinen  (nicht  des  gesamten!)  Wissens",  wie  gesagt,  nur  mit  Anerkennung  be- 
grüßt werden.  Würde  doch  ohne  solche  weise  Beschränkung  die  Gefahr  nahe  liegen,  den  Stoff 
ms  Ungemessene,  Unübersehbare  anschwellen  zu  lassen. 

Wesentlich  die  gleichen  Gebiete,  wie  die  Umgestaltungen  des  Textes,  betreffen  auch  die 
Wandlungen  die  mit  dem  Abbildungsmaterial  in  der  neuen  Auflage  vorgenommen  wurden. 
Dabei  ist  es  erstaunlich,  aus  einem  Vergleich  der  beiden  Auflagen  zu  ersehen,  wie  tiefgreifend 
auch  hier  die  Veränderungen  sind.  So  zähle  ich  in  dem  beliebig  herausgegriffenen  halben 
Bande  von  „Russisches  Reich  (Geschichte)"  bis  „Schönebeck"  an  Tafeln  in  der  alten  (S) 
Auflage  57.  in  der  neuen  (6.)  Auflage  79,  von  denen  nur  22  —  zumeist  Landkarten  —  genau 
die  gleichen  geblieben  sind ;  12  Tafeln  (Länder  des  Gelben  Meeres  und  der  südlichen  Mand- 
schurei" zum  Artikel:  Russisch -japanischer  Krieg,  „Sägemaschinen",  „Körperteile  der  Säuge- 
tiere", „Schädel  des  Menschen",  „Schlacht-  und  Viehhöfe",  „Schokoladenfabrikation"  u.  s.  w.) 
sind  in  der  6.  Auflage  völlig  neu  hinzugekommen.  3  dagegen  („Salanganen",  „Salzkammer- 
gut", „Sanitätskorps")  fortgefallen,  die  übrigen  wesentlichen  Verbesserungen,  die  zum  größten 
Teil  natürlich  gleichfalls  nur  durch  den  Ersatz  alter  Tafeln  durch  neue  möglich  waren,  unter- 
zogen worden.  Schon  dieser  Vergleich  zeigt  deutlich,  daß  die  6.  Auflage  von  Meyers  großem 
Konversations- Lexikon  sich  mit  größtem  Fug  und  Recht  eine  „gänzlich  neubearbeitete  und 
vermehrte  Auflage"  nennen  kann. 

Gleichzeitig  mit  dem  17.  Bande  des  Meyerschen  Lexikons  ist  der  8.  Band  der  dritten 
Auflage  von  „Herders  Konversationslexikon"  zur  Ausgabe  gelangt,  und  damit  hat  ein 
Werk  seinen  Abschluß  gefunden,  das  bereits  anläßlich  der  früheren  Auflagen  —  die  erste  erschien 
1854—57  in  5  nicht  allzu  stuken  Bänden  — -  als  ein  Meisterwerk  der  Präzision  anerkannt 
worden  ist.  Dieser  Ruhmestitel  vor  allem  muß  auch  der  neuen  Auflage  wiederum  zuerkannt 
werden;  und  da  die  Gedrungenheit,  die  sich  wesentlich  auf  Form  und  Ausdruck  der  einzelnen 
Artikel  bezieht,  mit  einer  außerordentlichen  Reichhaltigkeit  des  Inhalts  und,  soweit  Stich- 
proben ein  Urteil  zulassen,  mit  einer  ungemeinen  Zuverlässigkeit  und  Gründlichkeit  auch  in 
der  Benutzung  der  neuesten  Literatur  Hand  in  Hand  geht,  so  darf  man  wohl  sagen,  daß  nur 
schwer  ein  Buch  gefunden  werden  wird,  in  dem  bei  gleichem  Umfange  eine  gleiche  Fülle 
gediegenen  Wissens  vereinigt  und  zu  bequemer  Aneignung  bereitet  ist.  Als  em  Beispiel  für 
die  Reichhaltigkeit  des  Buches  mag  hier  nur  bemerkt  sein,  daß,  wie  es  bei  einem  Werke  des 
Herderschen  Verlages  nicht  anders  zu  erwarten,  der  katholischen  Kultur  und  ihren  Erschei- 
nungen ein  reges  Interesse  und  weitgehende  Beachtung  geschenkt  wird,  während  wir  in  unseren 
übrigen  großen  Konversationslexika  diese  Kultur  meist  gegenüber  der  nichtkatholischen  ver- 
nachlässigt finden;  man  vergl.  z.  B.  die  Artikel:  Franz  Renz,  Ryan,  Joh.  Frdr.  Schannat, 
Anton  von  Scholz  etc.  etc.  Daß  dagegen  im  Herderschen  Konversationslexikon  sich  etwa  eine 
ähnlicher  Mangel  an  Beachtung  hinsichtlich  der  Hervorbringungen  der  nichtkatholischen  Kultur 
geltend  mache,  dafür  habe  ich  bei  daraufhin  vorgenommenen  Stichproben  kemerlei  Anhalts- 
punkte gefunden.  Erwähnen  wir  noch,  daß  auch  durch  eine  vortreffliche  Bezeichnung  der  Aus- 
sprache und  Betonung  fremder  Namen  und  Worte  dem  Bildungsbedürfnis  und  der  Wißbegierde 
weitester  Kreise  Rechnung  getragen  ist  und  daß  die  Vermittlung  der  Kenntnis  aller  wichtigeren 
Sachen  durch  ein  ausgezeichnetes  Abbildungsmaterial  unterstützt  wird,  so  ist  der  Wunsch  wohl 
berechtigt,  daß  auch  das  handliche  Herdersche  Lexikon  sich  fortgesetzt  zunehmender  Beliebtheit 
und  einer  immer  weiteren  Verbreitung  zu  erfreuen  haben  möchte.  Kann  es  doch  in  gewissem 
Sinne,  wie  angedeutet,  geradezu  als  eine  Art  Ergänzung  der  wichtigsten  anderen  deutschen 
Konversationslexika  betrachtet  werden  Th.  H. 


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Inhaltsverzeichnis  zum  Jahrgang  1907 

der 

Mitteilungen  aus  dem  germanischen  Nationalmuseum. 


Seite 
Die  fränkischen  Epitaphien  im  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert.    Von  Dr.  Edwin 

Redslob.     Mit  5  Tafeln 3,  53 

Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.     Von  Gustav  von  Bezold.    Mit  13  Tafeln    .  31»  77 

Silbervergoldetes  Monile.     Von  Dr.  Edwin    Redslob.    Mit  1  Tafel 90 

Ein  Bildnis  Georg  Philipp   Harsdörfers  von  Georg  Strauch.    Von  Dr.  Fritz  Traugott 

Schulz.     Mit  2  Tafeln " 96 

Die  Holzmöbel  des  Germanischen  Museums.  X.  Von  Dr.  Hans  Stegmann.  Mit  1  Tafel.  102 
Literarische  Besprechungen .45,124 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Tat.  I. 


Epitaph  der  Familie  Pömer  an  St.  Sebald  zu  Nürnberg. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  11. 


Epitaph  vom  Jahre  1422  an  der  Moritzkapelle  zu  Nürnberg. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  III. 


Epitaph  für  Walburg  Prfinsterin  (gest.  1434)  im  germanischen  Nationalmusenm. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  Taf.  IV. 


Epitaph  des  Bischofs  Wilhelm  von  Reichenan  im  Dom  zu  Eichstätt. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907. 


Taf.  V. 


Der  Pappenheimer  Altar  im  Dom  zu  Eichstätt. 

(Photogr.  Ostermayr.  Eichstätt.) 


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Mitteilungen  aiis  dem  german.  Nationalmnseum.    1907. 


Taf.  VIII. 


Valerianus, 


Postumus. 


Quintillus. 


Aurelianus. 


Tacitus. 


Probus. 


Diocletian. 


Diocletian. 


Maximianus. 


Constantius  Chlorus. 


Galerius. 


Maximinus. 


Helena. 


Constantin  d.  G 


Constantin  II. 


Btltrlgt  zar  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  III. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907. 


Taf.  IX. 


Magnentius. 


Gratian.  Gratian. 


••  • 


Anastasi  US. 


Theoderich.  Athalarich. 


Justinian 


Arcadius. 


• 


• 


Gunthamund.  Thrasamund. 

Theodahat. 


Constantin  Pogonatos. 


Phokas. 


Leon  XI. 


Constantin  X. 


Liuva  ( ?). 


Recared. 


Egica. 


Langobarde.  Arrigis. 


Grimoald.  Sighard. 


Unbekannte  Merowinger. 


Siegebert  III.  Ludwig  d.   Fromme. 


Beitrage  zar  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  IV. 

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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum,  ij  1907- 


Taf.  X. 


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Mitteilungen  aus  dem  gernian.  Nationalmuseuni.    1907. 


Taf.  XI. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907.  Taf.  XII. 


Heinrich 


Siegfried  von  Mainz 


Egbert  von  Meißen. 


Friedrich  I. 


Konrad  III. 


Friedrich  I. 


Friedrich  II. 


Philipp. 


Friedrich  II. 


König  Heinrich. 


Richard  von  Cornwallis. 


Rudolf  von  Habsburg. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.  Tafel  VII. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907.  Taf.  XIII. 


Ludwig  der  Fromme. 


Ludwig  der  Deutsche. 


Karlmann. 


Karl  der  Dicke. 


Karl  der  Dicke. 

Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  VIII 


Arnulf. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907.  Taf.  XIV. 


Ludwig  das  Kind.  Konrad  I. 


...    .  ,    ,  Heinrich  I. 

Heinrich  I. 


Otto  III. 
Otto  I. 

Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  IX. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907.  Taf.  XV. 


Konrad  II. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  X. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907.  Taf.  XVI. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1Q07.  Taf.  XVII. 


Friedrich  I. 


Friedrich  II. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  XII. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907.  Taf.  XVII. 


Friedrich  I. 


Friedrich  II. 
Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  XII. 


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Mitteilungen  aus  dem  gerinan.  Nationalmuseum.     1907.  Taf.  XVIII. 


König  Heinrich  (VII.). 


Richard  von  Cornwallis. 
Beiträge  zur  Geschichte  des  Bildnisses.    Tafel  XIII. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  Taf.  XIX. 


SHbervergoldetes  Monile.    (K.  G.  817.) 
Kölner  Arbeit  vom  Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1907.  Taf.  XX. 


Bildnis  Georg  Philipp  Harsdörfers  von  Georg  Strauch  v.  J.  1651. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1907.  Taf.  XXI. 


Bildnis  Georg  Philipp  Harsdörfers.    Kupferstich  von  Andr.  Khol 
nach  Georg  Strauch. 


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Mitteilungen 


AUS  DEM 


Germanischen  Nationalmuseum 


HERAUSGEGEBEN 


VOM  Direktorium. 


JAHRGANG  1908. 

MIX  ABBILDUNOEN. 


NÜRNBERG 

VERLAGSEIGENTUM  DES  GERHANISCHEN  MUSEUMS 

1908. 


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HANS  TRAUT  UND  DER  PERINGSDORFFER-ALTAR. 

VON  DR.  EDWIN  RED$LOB. 

(Mit  1  Tafel.) 

In  dem  einleitenden  Abschnitt  seines  Werkes  „Die  T r a u t s"  (erschienen  1907 
als  Heft  79  der  Studien  zur  Deutschen  Kunstgeschichte)  hat  Christian 
Rauch  den  Zeitgenossen  Wolgemuts  Hans  Traut  behandelt. 

Nach  einer  Zusammenstellung  des  über  den  älteren  Traut  vorhandenen  ur- 
kundlichen und  biographischen  Materiales  versucht  Rauch,  ein  Bild  von  der  künst- 
lerischen Tätigkeit  des  Meisters  zu  geben.  Als  Grundlage  hierzu  dient  ihm  die 
einzig  beglaubigte  malerische  Arbeit  Trauts,  eine  im  Besitze  der  E  r  1  a  n  g  e  r 
Universitätsbibliothek  befindliche,  etwa  55:30  cm  messende  kolorierte  Federzeich- 
nung. Das  Blatt  stellt  den  Heiligen  Sebastian  dar;  es  trägt  von  Dürers  Hand 
die  Bezeichnung:  „Dz  hatt  hans  trawt  zu  Nommirchkg  gemacht".  Das  Wasser- 
zeichen des  benutzten  Papieres  (Ochsenkopf,  ähnlich  wie  Nr.  44  869  in  Briquet: 
Les  Filigranes  T.  IV.  1907)  erscheint  nach  Briquets  Forschungen  auf  meist  vene- 
zianischen Urkunden  der  siebziger  und  achtziger  Jahre  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts.   (Taf.  I  u.  Abb.  1.) 

Durch  V  i  s  c  h  e  r  ist  die  Zeichnung  in  die  kunstgeschichtliche  Literatur  ein- 
geführt. Er  schreibt  (Studien,  1886,  S.  335):  „Die  Manier  ihres  Vortrages  hält  so 
ziemlich  die  Mitte  zwischen  Schongauer  und  Michel  Wolgemut,  kommt  jedoch 
diesem  um  einen  Grad  näher  als  jenem  und  kann  nicht  eben  außergewöhnlich  ge- 
nannt werden."  Ihre  Ähnlichkeit  mit  dem  Sebastian  auf  dem  Peringsdörff er -Altar 
des  Germanischen  Museums  (Nr.  117  des  neuen  Gemäldekatalogs)  wurde 
am  eingehendsten  von  Thode  (Die  Malerschule  von  Nürnberg,  1891,  S.  179—181) 
behandelt.  Doch  hebt  Thode  zugleich  die  deutlichen  Unterschiede  zwischen  den 
beiden  Sebastiangestalten  hervor.  Die  Zeichnung  macht  auf  ihn  einen  „zierlicheren 
Gesamteindruck,  der  besonders  durch  die  hübsche,  kürzere  und  geradere  Nase  und 
den  feinen  Mund  bedingt  wird".  Auf  Grund  dieser  Verschiedenheit  des  künst- 
lerischen Geistes  und  Geschmackes  sieht  er  sich  gezwungen,  die  Zeichnung  als 
eine  Kopie  hinzustellen;  er  nimmt  an,  daß  es  sich  um  eine  Studie  handelt,  „zu 
der  Hans  Traut  jenen  Sebastian  auf  dem  Altarwerk  sich  als  Vorbild  genommen". 

Gegen  diese  „Degradierung"  zu  einer  Nachzeichnung  wendet  sich  Rauch  (S.  19). 
Nach  ihm  zeugt  „jeder  Feder-  und  Pinselstrich  auf  beiden  Bildern  von  demselben 
künstlerischen  Temperament  und  Empfinden".  Die  Freiheit  und  Sicherheit  der 
Zeichnung  habe  nichts  von  dem  unselbstständigen  Tasten  einer  Kopie  an  sich;  beide 
seien  von  ein  und  demselben  Meister  und  die  Zeichnung  sei  höchstwahrscheinlich 


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HANS  TRAUT  UND  DER  PERINGSDÖRFFER-ALTAR. 


eine  Vorstudie  zu  dem  Gemälde.  Daraus  zieht  Rauch  den  Schluß,  der  Perings- 
dörffer-Altar  sei  von  Hans  Traut  gemalt. 

Daß  Vischer  und  Thode  im  Gegensatz  zu  Rauch  bei  ihrer  Wertung  des  Er- 
langer Sebastian  ein  sicheres  Empfinden  leitete,  wird  ersichtlich,  sobald  man  erkennt, 
daß  die  Zeichnung  allerdings  ein  Vorbild  hat,  und  dadurch  einen  gesicherten 
Beurteilungspunkt  für  ihr  Verhältnis  zum  Peringsdörffer-Altar  gewinnt. 

Hans  Traut  hat  in  annähernd  vierfacher  Vergrößerung  nach  MartinSchon- 
g  a  u  e  r  s  großem  Sebastian  (B.  59)  gearbeitet.  Die  Veränderungen,  die  er  vornahm, 
sind  leicht  erkennbar:  der  rechte  Arm  ist  bei  der  Zeichnung  gesenkt,  dement- 
sprechend ist  der  Kopf  mehr  zur  Seite  geneigt.  Der  Körper  ist  nicht  so  weit 
zur  rechten  Seite  gebogen,  das  Lendentuch  ist  statt  an  der  rechten  Hüfte  an  der 
linken  verknotet,  und  hier  flattert  auch  sein  abstehender  Zipfel.  Individuell  ver- 
ändert ist  der  Kopf:  er  ist  rund,  fleischig  und  weich,  die  Augenlider  sind  ein  wenig 
geöffnet,  die  Linien  von  den  Brauen  zum  Nasenrücken  sind  auf  beiden  Seiten 
durchgeführt.  Hierin  wie  in  der  weichen  und  etwas  flauen  Fleischbehandlung 
kommt  die  Verschiedenheit  des  künstlerischen  Temperamentes  deutlich  zum 
Ausdruck. 

Vergleicht  man  Stich  und  Zeichnung,  so  wird  man  für  die  Zeichnung  als 
Deutung  geben  müssen,  daß  es  sich  wahrscheinlich  um  den  unter  Benutzung  des 
Schongauerischen  Blattes  hergestellten  Entwurf  zu  einer  Holzfigur  handelt,  der  ur- 
sprünglich durchaus  nicht  als  Vorstudie  zu  der  Altartafel  gedacht  war. 

Der  Stich  ist  melirfach  zu  Nachbildungen  benutzt  worden.  Nach  dem  Text 
zuAmand-Durands  Publikation  (Oeuvre  de  Martin  Schongauer,  1881) 
haben  ihn  Wenzel  von  Olmütz  und  Israel  von  Meckenem  kopiert; 
im  Gegensinne  erscheint  er  bei  dem  Monogrammisten  3.  1.;  auch  zeigt 
ein  kleines  Bild  der  Königl.  Gemäldegalerie  zu  Wien  (Nr.  1491)  die  Schon- 
gauerische  Gestalt.  Der  unter  Schongauers  Namen  gehende,  gegenseitig  dargestellte 
kleine  Sebastian  (B.  49)  scheint  mir  nur  eine  Kopie  nach  dem  großen  Stich  zu  sein. 

Die  Übernahme  von  Entwürfen  des  Kupferstiches  war  bei  Malern  und  Pla- 
stikern durchaus  gebräuchlich.  Alfred  Schmid  hat  im  fünfzehnten  Bande  des 
Repertoriums  (1892,  S.  19)  eine  ganze  Reihe  von  Beispielen  angeführt,  die  W.  Josephi 
im  Jahrgang  1903  unserer  Mitteilungen  durch  Belege  aus  der  Skulpturensamm- 
lung des  Germanischen  Museums  und  des  Münchener  National-Museums  erweitert 
hat.  Die  Einwirkung  Schongauerischer  Arbeiten  auf  Nürnberger  Skulpturen  hat 
E.  V.  Keyserling  in  der  Beilage  29  der  Allgemeinen  Zeitung  1899  behandelt.*) 

Alle  Veränderungen,  die  Hans  Traut  bei  seiner  Kopie  vornahm,  erklären  sich 
auf  das  einfachste  aus  dem  Verlangen,  sein  Vorbild  für  eine  Holzskulptur  umzu- 
arbeiten. Abgesehen  von  dem  achteckigen,  profilierten  Postament  läßt  sich  dies 
in  der  gesamten  Durchbildung  erkennen.  Für  eine  Skulptur  mußte  die  starke 
Neigung  des  Körpergewichtes  auf  eine  Seite  gemildert  werden;  da  Traut  aber  dennoch 
den  scharfen  Winkel  beibehielt,  der  durch  das  vorgestellte  rechte  Bein  an  der  Hüfte 


1)  Auf  Schongauer  gehen  auch  zwei  Köpfe  zurück,  deren  feine  Form  Dörnhöffer  an 
die  Arbeitsart  des  jungen  Dürer  zu  denken  zwingt:  der  Kopf  der  Maria  von  der  Verkün- 
digung und  von  der  Anbetung  des  Hersbrucker  Altares.     (Vgl.  Repertorium  XXIX,  S.  455  t)- 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


entstand,  bog  er  den  rechten  Arm  herunter  und  gewann  somit  eine  gerade  Abschluß- 
linie. Richtig  ließ  er  den  Kopf  nun  haltlos  sinken,  aber  er  vergaß,  die  linke  Hand 
entsprechend  zu  ändern.  Beim  Schongauerischen  Stich  erklärt  sich  ihre  er- 
hobene Haltung,  denn  sie  wird  durch  den  rechten  Arm  gestützt;  bei  der  Trauti- 
schen Zeichnung  ist  sie  unbegründet.  Da  die  Hand  zu  alledem  noch  übermäßig 
groß  ausgefallen  ist,  muß  dieser  Fehler  besonders  störend  wirken.  A  1  b  r  e  c  h  t 
Dürer  in  der  im  Städelschen  Institut  zu  Frankfurt  aufbewahrten  Vorzeichnung 
zum  Ober- St.  Veiter  Altar  und  Hans  Lautensack  auf  einer  Zeichnung  im 
Kupferstichkabinett  des  Germanischen  Museums,  die  beide  den  Heiligen  mit  hoch- 
gebundenem linken  Arm  und  gesenktem  rechten  dargestellt  haben,  lassen  die 
linke  Hand  richtig  herabhängen. 

Ersichtlich  wird  Trauts  Befangenheit  jeder  Veränderung  gegenüber  auch  bei 
Betrachtung  des  Astes,  den  er  zur  Befestigung  des  rechten  Armes  an  den  Stamm 
angeflickt  hat;  ein  Baum,  der  ganz  deutlich  in  Manneshöhe  sich  zur  Krone  ver- 
zweigt, kann  unmöglich  so  nahe  der  Wurzel  einen  derartig  kräftigen  Ast  abgeben. 
Gegenüber  dem  rechten  Knie  des  Heiligen  ist  eine  andere  Unrichtigkeit  zu  er- 
kennen: hier  war  ursprünglich  die  für  Schongauer  charakteristische  Windung  des 
ausbiegenden  Stammes  vorgezeichnet,  doch  ist  die  Umrißlinie  bei  der  Kolorierung 
glatter  geworden,  wodurch  der  Stamm  den  Eindruck  organischer  Kraft  eingebüßt  hat. 

Zwei  weitere  wichtige  Änderungen  endlich,  das  Weglassen  der  Zweige  und 
der  Pfeile,  deuten  am  überzeugendsten  darauf  hin,  daß  die  Zeichnung  als  Entwurf 
für  eine  Holzskulptur  gearbeitet  wurde.  Wir  wissen,  daß  Hans  Traut  Aufträge 
für  Schnitzereien  angenommen  hat,  und  in  dem  Heilsbronner  Abtei- 
gebäude ist  eine  zum  mindesten  von  ihm  entworfene  Balkendecke  erhalten. 
(Nach  Rauch  S.  6  1494  in  den  Rechnungseinträgen  erwähnt.)  Die  ornamentierten 
Balken  tragen  an  den  Enden  Wappenbilder,  der  mittlere  Balken  ist  reicher  verziert 
und  zeigt  im  Zentrum  die  Madonna,  am  einen  Ende  den  Kaiser,  am  anderen 
Johannes  den  Täufer.  Diese  Johannesfigur  läßt  sich  am  ehesten  mit  der 
Sebastianzeichnung  vergleichen.  Ihre  zierlichen,  weichen  Formen  erwecken  einen 
ähnlichen  Eindruck  wie  die  Zeichnung:  sympathisch  und  angenehm,  wirken  sie 
dennoch  bei  genauer  Betrachtung  der  Einzelheiten  etwas  flau. 

Ein  deutliches  Bild  der  Kunst  Hans  Trauts  können  wir  auf  Grund  dieser  zwei 
beglaubigten  Arbeiten  nicht  gewinnen.  Die  Fresken,  die  er  in  Heilsbronn  (1488 
bis  1495)  gemalt  hat,  sind  nicht  mehr  nachzuweisen;  die  von  Rauch  (S.  6)  ge- 
nannten Reste  der  Hauskapelle  des  Abtes:  Figuren  unter  Baldachinen,  mit  plastisch 
aus  Kreidemasse  gearbeiteten  Köpfen  und  Nimben,  entstammen  bereits  dem  An- 
fang des  fünfzehnten  Jahrhunderts. 

Rauch  hat  dennoch  versucht,  mit  Hilfe  der  einen  Zeichnung  das  malerische 
Schaffen  Trauts  zu  rekonstruieren,  indem  er  annimmt,  daß  von  ihrem  Meister  der 
im  Germanischen  Museum  aufbewahrte  Peringsdörffer-Altar  herrührt. 
Hier  begegnen  wir  nämlich  der  Kopie  nach  dem  Schongauerischen  Stich  in  einer 
erneuten  Umbildung.  Die  Hauptänderung,  welche  die  Zeichnung  dem  Stich 
gegenüber  aufweist,  ist  übernommen:  der  heruntergelegte  rechte  Arm  mit  seiner 
ausdruckslosen  Hand.  Aber  er  ist  höher  angebunden,  so  daß  die  unnatürliche  Form 
des  Trautischen  Baumstammes  verbessert  werden  konnte.    Die  unrichtige  Haltung 


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HANS  TRAUT  UND  DER  PERINQSDÖRFFER- ALTAR. 


des  linken  Armes  ist  nicht  beibehalten:  er  ist  nach  außen  gelegt,  die  Hand 
hängt  müde  und  kraftlos  herunter.  Dieser  Ausdruck  des  Erschöpften  herrscht 
in  der  ganzen  Figur:  die  schweren  Augenlider  sind  fast  niedergefallen,  der  Kopf 
liegt  eingeknickt  auf  der  rechten  Schulter:  der  Gemarterte  ist  zu  ermattet,  als 
daß  er  seinen  Schmerz  mit  Leidenschaft  äußern  könnte.  Also  ein  großer  Abstand 
von  dem  Erlanger  Sebastian,  dessen  nette,  etwas  glatte  Erscheinung  den  Ge- 
danken an  sein  Martyrium  gar  nicht  aufkommen  läßt!  Deutlich  wird  diese  Ver- 
schiedenheit auch  bei  Betrachtung  der  Kopfformen:  der  Heilige  des  Altares  hat 
einen   langen  Schädel,   die  großen  Augen   liegen   unter  hochgewölbten  Knochen- 


Abb.  1.    Kopf  der  Sebastianzeichnufig  von  Hans  Traut  in  Erlangen. 

bogen,  die  Nase  ist  lang  und  schmal,  das  Kinn  tritt  scharf  und  knochig  hervor,  die 
Kinnladen  sind  hart  und  kantig. 

Derartig  selbständige  Änderungen  dem  Vorbild  gegenüber  zeigen  eine 
Stärke  der  Persönlichkeit,  die  der  Benutzer  des  Stiches  vermissen  läßt.  Es 
scheint  mir  deshalb  ausgeschlossen,  mit  Rauch  in  Zeichnung  und  Gemälde  die- 
selbe Hand  zu  erkennen;  ich  glaube,  das  Verhältnis,  in  dem  beide  Meister  zu 
ihrem  jedesmaligen  Vorbild  stehen,  zeigt  hinlänglich  die  verschiedene  Begabung 
zweier  Individualitäten. 


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VON  DR.  EDWIN  REDSLOB. 


Immerhin  bleibt  die  Beziehung  des  Erlanger  Blattes  zum  Peringsdörffer-Altar 
interessant  für  die  Erkenntnis  des  Nürnberger  Werkstattbetriebes  zur  Zeit  der  Wol- 
gemutischen  Unternehmungen,  Der  Peringsdörffer-Altar  stellte  der  jungen  Schule, 
die  für  ausgesprochene  Charakterköpfe  schon  über  eine  reiche,  anstandslos  von  allen 
Malern  gleichzeitig  verwendete  Typenreihe  verfügte,  die  schwere  Aufgabe,  den 
undurchgebildeten  Zügen  junger  Heiligengestalten  charakteristische  Unterschiede 
abzugewinnen.  Man  kann  auf  allen  Tafeln  des  Altares  erkennen,  wie  schwer 
man  sich  gemüht  hat,  dieser  Anforderung  zu  genügen.  Um  so  leichter  verständlich 
wird  uns  daher,  daß  einer  der  Mitarbeiter  für  die  noch  weniger  gewohnte  Dar- 
stellung eines  nackten  Körpers  Hans  Trauts  Vergrößerung  des  Schongauerischen 
Stiches  zu  Hilfe  nahm. 


Abb.  2.    Mittelgmppe  des  Wandgemäldes  im  Ostcfaor  von  St.  Sebald  zu  N&mberg. 

(Vergröfterung  nach  einer  Aufnahme  vor  der  Restauration.) 

In  einer  anderen  Tafel  (Nr.  127  des  neuen  Gemäldekatalogfe),  die  mit  drei 
weiteren  Darstellungen  der  Veitslegende  (Nr.  128  unseres  Kataloges  und  zwei  Tafeln 
in  der  Lorenzkirche)  vermutlich  zum  Peringsdörffer-Altar  gehört  hat,  will  neuerdings 
Albrecht  Weber  (Repertorium  1908,  Heft  1)  Albrecht  Dürers  Selbst- 
porträt erkennen.  Allerdings  zeigt  die  in  Frage  kommende  Hintergrundfigur 
Züge,  die  an  Dürer  denken  lassen  könnten.  Doch  die  Deutung,  daß  man  dem 
sechzehnjährigen  Lehrbuben  erlaubt  habe,  sein  Bildnis  in  die  Tafel  eines  älteren 
hineinzumalen,  scheint  recht  gezwungen,  zumal  eine  der  zugehörigen  Tafeln  in 
St.  Lorenz  von  ihrem  Meister  mit  R.  F.  und  dem  Jahre  1487  signiert  ist.  Eher 
wird  anzunehmen  sein,  daß  der  mit  dem  Bilde  beauftragte  Meister  R.  F.  seinen 
Werkstattgenossen   Modell  stehen  ließ,   um  sich  so   über   die   Schwierigkeit   der 


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8  HANS  TRAUT  UND  DER  PERINGSDÖRFFKR-ALTAR 

Erfindung  eines  neuen  jugendlichen  Kopfes  hinwegzuhelfen.  Der  Stab,  den  die 
betreffende  Gestalt  in  der  Hand  hält,  ist  übrigens  keineswegs  als  Malstock  zu 
deuten:  er  ist  das  übliche  Abzeichen  des  Pagen  oder  überhaupt  bloß  das  Stöckchen 
des  jungen  Stutzers,  wie  es  auch  die  Hintergrundgestalt  der  Sebastiantafel  (siehe 
unsere  Abbildung)  in  der  Hand  hält.  Andere  Beispiele  ließen  sich  in  ziemlicher 
Zahl  aus  Tafelbildern  und  Miniaturen  anführen;  ich  nenne  nur  die  Knappen- 
gestalt auf  der  Gefängnisszene  des  Rochusaltares  in  St.  Lorenz  (Abb.  Rauch, 
Taf.  3)  und  eine  weitere  auf  dem  Gastmahl  des  Herodes  (Bayerisch  um  1480)  in 
der  Augsburger  Galerie  (Phot.  Höfle). 

Wenn  man  also  auch  Webers  Deutung  auf  ein  Selbstporträt  ablehnen  muß, 
so  bleibt  die  Vermutung,  daß  uns  auf  dem  Peringsdörffer  Altar  die  Züge  des 
jugendlichen  Dürer  erhalten  sind,  dennoch  wichtig  genug.  Gemeinsam  mit  der  Tat- 
sache, daß  er  eine  zum  Altar  benutzte  Zeichnung  in  seinem  Besitz  hatte,  zeigt 
Dürers  Verwendung  als  Modell,  wie  sehr  seine  Lehrzeit  in  Zusammenhang  mit  der 
Entstehung  des  Peringsdörffer-Altares  zu  beurteilen  ist. 

Auf  keiner  Tafel  des  Altares  finden  sich  aber  Gesichtszüge,  die  denen 
des  Trautischen  Sebastian  ähnlich  oder  verwandt  erscheinen.  Innerhalb  der  Nürn- 
berger Malerei  am  Ausgang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  läßt  sich  nur  einmal 
ein  ähnlicher  Kopf  nachweisen :  auf  der  im  Ostchor  der  Sebalduskirche 
befindlichen  Freske  mit  Darstellungen  von  Abendmahl  und  Gethsemane,  die  für  den 
1473  verstorbenen  Hans  Stark  gemalt  wurde.  Das  Bild  ist  jetzt  einer  genauen 
Untersuchung  entzogen,  da  bei  den  Wiederherstellungsarbeiten  der  Kirche  seine 
Übermalung  nötig  wurde. 

Dennoch  zeigt  noch  heute,  besonders  aber  auf  der  vor  der  Restauration  auf- 
genommenen Photographie  (Abb.  2),  der  Kopf  des  in  Christi  Armen  zusammensinken- 
den Johannes  Züge,  die  an  den  Sebastian  der  Erlanger  Zeichnung  erinnern  könnten. 
Die  Brauen  sind  ziemlich  gerade  gezogen,  die  Augenlider  sind  sorgfältig  umrändert, 
mit  einem  phlegmatischen  Ausdruck,  der  auch  beim  Sebastian  an  Stelle  des 
Schmerzes  über  dem  Antlitz  liegt,  sind  sie  ein  wenig  geöffnet.  Die  Überleitung 
der  Brauen  zum  Nasenrücken  ist  wieder  beiderseits  durchgeführt  und  zart  ab- 
schattiert, die  Mundform  ist  durch  die  unter  der  schmalen  Oberlippe  weichlich 
hervorquellende  Unterlippe  charakterisiert,  welche  an  der  Profilseite  unvermittelt 
abschließt.  Das  Kinn  ist  spitz,  aber  die  ausladende  Kinnbackenlinie  verbreitert 
den  Kopf. 

Es  läßt  sicli  nicht  bestimmt  beweisen,  daß  Hans  Traut  der  Schöpfer  des  Freskos 
war,  aber  unsere  Vermutung  vermeidet  die  Widersprüche,  in  die  Rauch  dadurch 
gelangt,  daß  er  ohne  sichere  Basis  die  bedeutendsten  Werke  der  Nürnberger  Tafel- 
malerei vor  Dürer  seinem  Meister  zuschreibt. 

Wir  wissen  von  Hans  Traut  durch  Neudörffer  (Rauch  I,  S.  7;  Stiassny 
in  Lausers  Kunstchronik  XI,  1887,  S.  815;  Thode,  S.  217),  daß  er  als  Wandmaler, 
Tafelmaler  und  Bildschnitzer  tätig  war.  Neudörffer  (Quellenschriften  zu  Kunst- 
geschichte X)  erwähnt,  „daß  er  den  Kreuzgang  zu  den  Augustinern  gemalet  und 
darin  viel  erbare  Herren  conterfeyet"  habe.^)   Auch  die  Nachricht  über  die  Fresken 

2)  Die  auf  Hans  Traut  und  ein  Mitglied  der  Familie  Beurlin  zurückzuführenden  Wand- 
gemälde  sind  i883   mit  dem  Abbruch  des  Klosters  zu  Grunde  gegangen.     Die   damals    von 


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VON  DR.  EI>WIN  REDSLOB. 


in  Heilsbronn  zeigt,  daß  er  auf  dem  Gebiete  der  Wandmalerei  besonders  tätig 
gewesen  sein  muß.  Sehr  geschätzt  ist  er  offenbar  nicht  gewesen,  darauf  deutet 
seine  Armut  (Rauch  I,  S.  8)  und  Neudörffers  Urteil,  daß  der  Sohn  Wolf  „dem  Vater 
in  der  Kunst  des  Malens  und  Reißens  hoch  überlegen**  war. 

Somit  wird  er  mit  Recht  als  ein  über  das  Handwerkliche  wenig  erhobener 
Meister  seine  untergeordnete  Stellung  in  der  Geschichte  der  Nürnberger  Kunst  bei- 
behalten. Für  seine  Verbindung  mit  der  Holzschnitzkunst  haben  wir  zwei  Belege: 
den  Erlanger  Entwurf  und  die  Heilsbronner  Balkendecke.  Seine  Tätigkeit  als 
Freskenmaler  ließ  sich  vermutungsweise  mit  den  zwei  Sebalder  Darstellungen  illu- 
strieren. Tafelgemälde  seiner  Hand  wüßten  wir  nicht  zu  erkennen:  die  von 
Rauch  unter  seinem  Namen  zusammengestellten  Bilder  scheinen  uns  nicht  einmal 
Arbeiten  derselben  Meisterhand  zu  sein,  geschweige  denn  mit  Traut  zusammen- 
zuhängen. Vor  allem  müssen  wir  es  ablehnen,  den  Peringsdörffer-Altar  für  Hans 
Traut  in  Anspruch  zu  nehmen. 


Prof.  Gg.  Eberlein  angefertigten  zwölf  Farbenskizzen  (in  zwei  Exemplaren,  eines  im  Besitze  des 
deutschen  Kaisers,  das  andere  im  Kupferstichkabinett  des  Germanischen  Museums  erhalten) 
können  nicht  im  geringsten  eine  Vorstellung  der  Werke  geben.  Vgl.  Dr.  Fr.  Tr.  Schulz  in 
d.  Mit  d.  German.  Mus.  1906,  S.  155  und  156  mit  Abbildung  einer  Eberldinscheii  Kopie. 


Mitteilungen  aus  dem  g<erman.  Nationalmuseum.  1906. 


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BEITRAGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI 

IN  NÜRNBERG. 

VON  DR.  PRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 

(Fortsetzung.) 
(Mit  2  Tafeln.) 

Die  Schau. 

Groß  war  die  Ausbeute,  die  wir  aus  dem  in  unserem  ersten  Aufsatz  0  für  das 
15.  Jahrhundert  zusammengetragenen  Material  zur  Geschichte  der 
Außenmalerei  im  alten  Nürnberg  gewannen,  nicht.  Die  Dürftigkeit  und  Knappheit 
der  quellenmäßigen  Unterlagen,  das  Fehlen  älterer  Darstellungen,  welche  diese  hätten 
verdeutlichen  oder  beleben  können,  schloß  die  Möglichkeit  aus,  für  den  in  Frage 
kommenden  Zeitraum  ein  zusammenhängendes,  entwicklungsmäßig  in  sich  ge- 
schlossenes Bild  zu  zeichnen.  Doch  wurde  die  Wahrscheinlichkeit  erhärtet,  daß 
die  Fassadenmalerei  im  15.  Jahrhundert  in  Nürnberg  ständig  in  Übung  war. 

Einen  neuen  Beweis  hierfür  bringen  die  nun  folgenden  Ausführungen,  die  sich 
mit  dem  ehemaligen  Gebäude  der  Schau  beschäftigen,  das  seine  Stelle  südwärts 
des  Ostchores  von  S.  Sebald  gegenüber  der  eindrucksvollen,  gewaltigen  Front  des 
Wolffschen  Rathausbaues  hatte.  Denn  auch  dieses  Bauwerk  gehört  dem  15.  Jahr- 
hundert an.  Es  ist  nicht,  wie  bislang  angenommen  wurde,  erst  im  Jahre  1520  durch 
einen  Umbau  aus  dem  früheren  Almosenhaus  entstanden;  vielmehr  waren  beide, 
wie  wir  nachher  dartun  werden,  zwei  von  einander  verschiedene  Gebäude.  Die  be- 
kannte Notiz  Joseph  Baaders  in  seinen  Beiträgen  zur  Kunstgeschichte  Nürnbergs 
(2.  Reihe,  Nördlingen  1862,  S.  4)  hatte  mich  veranlaßt,  mir  die  Schau  für  das 
16.  Jahrhundert  vorzubehalten.  Hinterher  aber  mußte  ich  erkennen  —  und  nicht 
zum  mindesten  bin  ich  hier  Herrn  Archivrat  Dr.  M  u  m  m  e  n  h  0  f  f  für  seinen 
Hinweis  dankbar  — ,  daß  ein  Festhalten  an  der  bisherigen  Annahme  nicht  mög- 
lich sei. 

So  gewann  die  Schau  für  unsere  Zwecke  an  Wichtigkeit.  Sie  wurde  zu  einem 
belangvollen  Glied  in  der  Kette,  die  es  hier  zusammenzuschließen  gilt.  Sie 
nimmt  geradezu  eine  hervorragende,  eine  Ausnahmestellung  ein.  Architektur  und 
Malerei  sind  eng  mit  einander  verwoben.  Erstere  ist  für  letztere  geschaffen,  ist  auf 
sie  eingerichtet.  Alles  das  hätte  schon  an  sich  eine  besondere  Behandlung  dieses 
interessanten  Bauwerks  erfordert.  Dazu  kommt,  daß  die  archivalischen  Nach- 
richten etwas  reichlicher  fließen  und  es  an  Darstellungen  nicht  mangelt,  um  unsere 
Vorstellungen  zu  verdichten  und  unsere  Anschauungen  zu  begründen. 


1)  Mitteilungen  aus  dem  Germanischen  Nationalmuseum  1906,  S.  147—157. 


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BEITRÄGE  ZUR  GESCH.  D.  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG.  VON  DR.  FRITZ  TRAÜG.  SCHULZ.     1 1 

Die  Fassade  der  Schau  ist  wiederholt  bildlich  dargestellt  worden.  Belangvoll 
für  unseren  Zweck  sind  aber  nur  die  Wiedergaben  aus  älterer  Zeit.  Wollten  wir 
uns  z.  B.  an  die  Darstellung  des  bekrönenden  Aufbaues  mit  der  Uhr,  die  Heideloff 
in  seiner  Ornamentik  des  Mittelalters  Heft  VI!  Taf.  5  bringt,  halten,  so  würden 
wir  eine  gänzlich  verkehrte  Vorstellung  vom  einstigen  Aussehen  der  Schau  ge- 
winnen. Heideloff  dürfte  die  Schau  auch  kaum  noch  selbst  gesehen  haben.  Wer 
will  sich  darum  darüber  wundern,  wenn  sich  in  seiner  regen  Phantasie  ein  Bild  der- 
selben entwickelte,  das  diese  nicht  zeigt,  wie  sie  einst  wohl  war,  sondern  wie  sie 
sich  in  Heideloffs  pseudogotischem  Stil  restauriert  ausgenommen  haben  würde! 
Das  breite  Band  mit  den  Wappen  der  Kurfürsten  war  in  Wirklichkeit  gar  nicht 
vorhanden.  Die  Figuren  des  Kaisers  und  der  Kurfürsten  waren  nicht  in  spitz- 
bogigen,  sondern  in  flachbogigen  Nischen  untergebracht.  Die  beiden  Zinnen  zu 
den  Seiten  der  Uhr  waren  nicht  höher  hinaufgezogen,  sondern  hatten  die  Größe  der 
übrigen.  Die  Ausbildung  des  Maßwerks  im  äußeren  Uhrkranz  sowie  auch  in  den 
Nischen  der  Staffeln  in  dem  bekrönenden  Aufbau  über  der  Uhr  ist  eine  der  Wirk- 
lichkeit wie  auch  der  ursprünglichen  Entstehungszeit  nicht  entsprechende.  Die 
beiden  Wappen  der  Stadt  Nürnberg  unten  in  den  Zwickeln  des  Mittelstücks  sind 
rein  willküriiche  Zutaten.  Weiter  können  die  seitlichen  Fialen  desselben  sowie  der 
bekrönende  Baldachin,  wie  Heideloff  sie  dargestellt  hat,  nicht  den  mindesten  An- 
spruch auf  Zuverlässigkeit  oder  Stilechtheit  erheben.  Der  gewichtigste  Fehler  aber 
besteht  darin,  daß  Heideloff  glaubte,  die  Figuren  in  den  Nischen  seien  plastisch  ge- 
arbeitet gewesen,  sagt  er  doch  in  dem  zugehörigen  Text :  „Der  Aufsatz  der  Uhr,  das 
Glockentürmchen,  die  sieben  Kurfürsten  mit  dem  Kaiser  (Kari  IV.)  und  die  da- 
mals allein  bekannten  7  Planeten,  Merkur,  Venus,  Mars,  Jupiter,  Saturn  und  Uranus 
personifizirt,  waren  von  Stein".  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  er  die  Schau 
nicht  durch  Autopsie  kannte,  sondern  sich  in  virtuos-freier  Weise  der  Heumann- 
schen  Darstellung  der  Illumination  der  Fassade  zu  Ehren  der  Erzherzogin  Maria 
Elisabeth  im  Jahre  1725  (Abb.  1)  als  Unteriage  bediente.  Diese,  ein  nicht  gerade 
seltener  Kupferstich,  erschien  unter  dem  Titel  „Conspectus  llluminationis,  qua  Aedi- 
ficium  publicum,  vulgo  die  Schau  dictum,  in  honorem  Serenissimae  Archiducis  Au- 
striae  et  Gubernatricis  Belgii  Austriaci,  MARIi€  ELISABETHi€,  jussu  Senatus 
Noribergensis,  e  regione  Curiae,  d.  19.  et  20.  Sept.  Ann.  1725.  collustratum  atque 
Emblematibus  et  Inscriptionibus  exornatum  est"  als  einzelnes  Flugblatt.  Sie  trägt 
nicht  zu  einem  geringen  Teil  Schuld  an  den  Irrtümern,  die  Heideloff  beging.  Eine 
Wiederholung  der  Heideloffschen  Darstellung  finden  wir  auf  einem  Aquarell 
vom  Jahre  1850  von  der  Hand  seines  Schülers  Hutzelmeier •),  das  sich  als  Projekt 
zu  einem][Neuaufbau  der  Schau  mit  zwei  Obergeschossen  erweist,  wie  es  vielleicht 
Heideloff  selbst  vorgeschwebt  hat.  Daß  er  sich  mit  dem  Gedanken  eines  Wieder- 
aufbaues getragen  hat,  scheinen  neben  der  Aufmerksamkeit,  die  er  der  Schau  über- 
haupt schenkte,  die  Begleitworte  zu  der  Darstellung  in  seiner  Ornamentik  des  Mittel- 
alters anzudeuten.  Er  sagt  nämlich:  „Dieses  höchst  interessante  und  schöne 
Gebäude,  welches  mit  dem  Typus  seiner  Umgebung  im  reinsten  Einklang  stand. 


2)  In  der  im   Germanischen  Museum    aufbewahrten    Kupferstichsammlung  der  Stadt 
Nürnberg,  Abt.  Arnoldsche  Sammlung,  Nr.  304. 


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12  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 

fiel  im  Jahre  1811  als  ein  Opfer  der  Unwissenheit,  des  Ungeschmacks  und  der  Roh- 
heit, um  eine  Hauptwache  hinzustellen,  die  mit  ihrer  Umgebung,  der  St.  Sebalds- 
kirche,  dem  Rathhause  etc.  im  schreiendsten  Contraste  steht". 


Oiwa-natrids^^U  EUSABETHjE.jujfuSeniL' 

tusJmihaycruis,  e  ryimc  driae,  djg,  et  20.  S^%Awi.J72S,  coauß^atun 
ataiijt  {Mwlcmatiius  ctSfl/cruüionwus  eaxnyiatimi  csL.^ . 


,JU. 


Abb.  1.    Die  Fassade  der  Schau  in  Nfimberg  mit  der  llluininatiofi  i.  J.  1725. 


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VON  DR.  FRTTZ  TRAÜGOTT  SCHULZ. 


13 


Die  Schau,  welche,  wie  bereits  bemerkt,  an  der  Stelle  der  heutigen  Haupt- 
wache südwärts  des  Ostchores  von  S.  Sebald  und  gegenüber  dem  Rathaus  stand, 
diente  zunächst  dazu,  die  Arbeiten  der  Goldschmiede  auf  ihren  Metallwert  zu  prüfen 
oder,  wie  es  früher  hieß,  zu  „schauen".  Waren  sie  als  ordnungsmäßig  befunden 
worden,  d.  h.  waren  sie  (nach  der  Ordnung  vom  Jahre  1541)  mit  dem  Goldschmied-, 
Kontroll-  und  Wüchsenzeichen  versehen,  so  wurden  sie  in  der  Schau  vom  Wardein 
mit  dem  Stadtzeichen  N  als  Nürnberger  Arbeit  amtlich  beglaubigt^).  Die  Schau 
war  aber  zugleich  auch  Münzschau.  Es  wurde  in  ihr  das  Geld,  das  in  der  Stadt 
in  Umlauf  kommen  sollte,  beschaut  und  probiert,  ob  es  gehörig  von  Schrot  und 
Korn  sei.  Der  Schauamtmann  war  zugleich  Spezial-Münz-Wardein  und  hatte  seine 
Wohnung  im  ersten  Stock  der  Schau.  Endlich  war  die  Schau  das  Zahlamt  der 
Losungsstube  oder  der  Finanzkammer.  Auf  dem  Schauamt  hatte  jeder  Losungs- 
pflichtige seine  Losungssjmibola,  d.  h.  so  viel  metallene  Zeichen,  als  dem  Betrag 
seiner  Losung  entsprachen,  zu  lösen  und  diese  dann  auf  der  Losungsstube  in  Gegen- 
wart eines  andern  Losungspflichtigen  unter  ein  grünes  Tuch,  das  über  den  Tisch 
gebreitet  war,  zu  schieben.  Aufgelöst  wurde  das  Losungs-  und  Schauamt  am 
29.  Oktober  1798*). 

Die  Schau  ist  wohl  zu  unterscheiden  von  dem  Schauhaus  oder  Infektionshaus, 
einem  bei  S.  Jakob  in  der  Lodergasse  (nun  Ottostraße)  am  ehemaligen  Schützenhof 
gelegenen  Krankenhaus  für  arme  Personen,  welche  mit  hitzigen  oder  ansteckenden 
Krankheiten  behaftet  waren  und  dort  unentgeltlich  kuriert  wurden*). 

Was  nun  das  Gebäude  der  Schau  anbelangt,  so  finden  wir  bei  Baader  folgende 
Notiz:  „Dieser  (d.  h.  Meister  Hanns  Beheim)  machte  auch  die  Visirung  zu  der  Schau, 
die  im  Jahre  1520  unter  seiner  Leitung  gebaut  und  ins  Almoshaus  auf  St.  Sebalds- 
kirchof  übergetragen  wurde"®).  Die  Quelle,  woraus  Baader  diese  Nachricht  schöpft, 
ist  nicht  angegeben.  Hierdurch  muß  man  zu  der  Annahme  geführt  werden,  daß 
die  Schau  im  Jahre  1520  durch  einen  Umbau  nach  dem  Plane  und  unter  der  Leitung 
des  Hanns  Beheim  aus  dem  ehemaligen  Almosenhaus  entstanden  sei.  Hinzu- 
zunehmen ist,  was  Johannes  Müllner  in  seinen  Annalen  zum  Jahre  1520  im  An- 
schluß an  eine  Reparatumotiz  in  Bezug  auf^das  Schloß  auf  der  Festung  und  auf 
den  Margarethenturm  bringt.  Es  heißt  dort:  „Auch  hat  man  das  Allmosen  Haus 
auf  St.  Sebaldts  Kirchhof  zu  einer  Münzschau  zugerichtet,  wie  vor  Augen"  ^).  Hält 
man  aber  dagegen,  was  die  Jahrbücher  des  15.  Jahrhunderts  zum  Jahre  1454 
bringen,  so  kann  man  nicht  mehr  daran  glauben,  daß  die  Schau  aus  dem  ehemaligen 
Almosenhaus  hervorgegangen  ist,  sondern  muß  vielmehr  zu  der  Überzeugung  ge- 
drängt werden,  daß  die  Schau  und  das  Almosenhaus  zwei  zwar  im  gleichen  Jahre 
und  dazu  dicht^nebeneinander  erbaute,  aber  dabei  doch  von  einander  verschiedene 
Gebäude  waren.    Klar  und  deutlich   scheint  mir  dies  aus  den   folgenden  beiden, 


3)  Marc  Rosenberg,  der  Goldschmiede  Merkzeichen,  S.  238. 

4)  Nopitsch,  Wegweiser  für  Fremde  in  Nürnberg,  Nürnberg  iSOi,  S.  143;  Die  Haupt- 
wache, früher  Schau  zu  Nürnberg,  1454 — 1903,  von  Generalmajor  z.  D.  von  Dotzauer,  im  Frän- 
kischen Kurier  1903,  Nr.  13I;    E.  Reicke,  Gesch.  d.  Reichsstadt  Nürnberg,  S.  114. 

5)  Nopitsch  a.  a.  O.  S.  144. 

6)  Joseph  Baader,  Beiträge  zur  Kunstgeschichte  Nürnbergs,  2.  Reihe,  Nördlingen  1862,  S.  4. 

7)  Ich  citiere  nach  der  bei  uns  befindlichen  Abschrift  Tom.  II,  S.  247- 


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14  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSBNMALEREI  IN  NÜRNBERG. 

offenbar  unabhängig  von  einander  aufgezeichneten  Nachrichten  der  Jahrbücher 
hervorzugehen:  „Des  jars  (1454)  machet  man  das  almusenhaus  auf  sant  Seboltz 
kirchof  zu  dem  reichen  almusen  alles  neu"  und  „Anno  1454  am  dritten  novembris 
wart  das  heuslein  auf  sant  Sebalts  kirchof  volbracht  und  gemolt  und  die  ur  und 
das  reich  almusen"®).  Das  Häuslein  mit  der  Uhr  ist  eben  unsere  Schau,  die  in 
ihrem  ganzen  Stilgepräge,  wie  wir  nachher  sehen  werden,  auch  auf  diese  Zeit  als 
Entstehungszeit  hinweist.  Auch  Müllner  muß  anfänglich  dieser  Ansicht  gewesen 
sein,  sonst  hätte  er  zum  Jahre  1454  nicht  folgende  Notiz  bringen  können:  „Man 
hat  dis  Jahr  das  Allmoshaus  auf  St.  Sebalds  Kirchhof,  darmit  die  lateinische  Schul 
gebauet  ist  u.  das  Haus  daran  mit  der  Uhr,  in  welchen  der  Amtmann  der  Münz 
Schau  wohnet,  neu  gebauet"*).  Errichtet  wurde  das  Almosenhaus  an  der  Stelle, 
welche  der  Rat  bereits  im  Jahre  1388  zu  dem  Almosen,  das  Burkhard  Sailer  ge- 
stiftet, bestimmt  hatte  ^*^).  Die  Schau  wurde  also  im  Jahre  1454  als  Haus  für  sich 
erbaut.  Von  einem  Umbau  des  ehemaligen  Almosenhauses  zu  einer  Münzschau 
durch  einen  der  beiden  Beheim  weiß  Lochner  in  seinem  Commentar  zu  Johann 
Neudörfers  Nachrichten  von  Künstlern  und  Werkleuten  nichts  zu  berichten,  was  er 
gewiß  nicht  versäumt  haben  würde,  falls  ihm  bestimmte  Anhaltspunkte  hierfür  vor- 
gelegen hätten. 

Die  Schau  war  von  Anfang  an  mit  Malereien  versehen.  Es  ist  dies  klar  und 
deutlich  in  der  zweiten  Notiz  ausgesprochen,  die  wir  aus  den  Jahrbüchern  des  15. 
Jahrhunderts  citierten.  Es  erscheint  darum  natüriich,  wenn  späterhin  wiederholt 
von  einer  Erneuerung  derselben  berichtet  wird.  Zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts 
soll  die  Schau  durch  Hanns  Grossen  gemalt  worden  sein.  Nach  Andreas 
Gulden'^)  ist  dies  im  Jahre  1514  geschehen,  nach  einem  handschriftlichen  Zusatz 
in  unserem  Handexemplar  von  Doppelmayr's  historischer  Nachricht  von  den  Nürn- 
bergischen Mathematicis  und  Künstlern,  im  Jahre  1522,  und  zwar  zugleich  mit  dem 
Rathaus.  Eine  Erneuerung  der  von  Hanns  Grossen  angebrachten  Malereien  fand 
im  Jahre  1579  durch  ThomasOelgast  statt.  Dieser,  ein  Maler,  aus  München 
gebürtig,  genoß  zu  seiner  Zeit  Ansehen  und  Ruf,  „da  er  sowohl  mit  Oel- Farben  als 
in  Fresco  grau  auf  grau  seine  Kunst  an  den  Wänden  und  Mauren  vor  andern  statt- 
lich anzubringen  wußte,  wovon  er  verschiedene  schöne  Proben,  nachdem  er  sich 
gegen  A.  1570.  die  Stadt  Nürnberg  zu  seinem  beständigen  Wohnplatz  ausersehen, 
auch  allda  hinteriassen"**).  Das  Fresco  verfahren,  dessen  sich  Thomas  Oelgast  be- 
diente, war  damals  namentlich  in  Nürnberg  in  Übung.  Doppelmayr  spricht  sich 
hierüber  folgendermaßen  aus:  „Die  Manier  grau  auf  grau,  und  also  durch  und  durch 
mit  einerley  Färb  in  Fresco  zu  mahlen,  ist  zur  selbigen  Zeit  vornemlich  in  Nürnberg 
üblich  gewesen,  welche  Art  zum  öfftesten  gar  zu  bund  ausgefallen"*^).  Eine  weitere 


8)  Die  Chroniken  der  fränkischen  Städte,  Nürnberg,  IV,  S.  211. 

9)  Siehe  unsere  Abschrift  der  Müllnerschen  Annalen  an  gleicher  Stelle  wie  zuvor. 

10)  E.  Reicke  a.  a.  O.  S.  620. 

11)  In  Lochners  Ausgabe  von  Johann  Neudörfers  Nachrichten  von  Künstlern  und  Werk- 
leuten, S.  201. 

12)  Doppelmayr,  histor,  Nachricht  von  den  Nümbergischen  Mathematicis  u.  Künstlern, 
S.  205.     Er  starb  den  24.  Oktober  1584. 

13)  Doppelmayr  a.  a.  O.  Anm.  y. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTl'  SCHULZ.  15 


Erneuerung  erfuhr  dann  „das  Gemäl  aussen  an  der  Schau**  im  Jahre  1652  durch 
den  Stadtmaler  Leonhard  Heberlein'*).  Eine  abermalige  völlige  Reno- 
vierung der  Malerei  erfolgte  im  Juli  I690.  Auch  soll  die  Schau  in  den  Jahren  1716 
und  1778  renoviert  worden  sein").  Höchst  wahrscheinlich  gingen  alle  diese  Erneue- 
rungen Hand  in  Hand  mit  irgend  welchen  sonstigen  Vornahmen  am  Äußeren  der 
Schau,  das  sich,  wie  wir  nachher  sehen  werden,  in  Einzelheiten  des  Fassaden- 
aufbaues späterhin  hier  und  da  veränderte. 

Der  Vollständigkeit  halber  schließe  ich  hier  noch  einige  Notizen  mehr  ge- 
schichtlicher Natur,  auf  die  Schau  bezüglich,  an.  Die  erste  bezieht  sich  auf  die 
Uhr,  mit  der  ja  die  Schau  von  Anbeginn  an  versehen  war.  Im  Jahre  1547,  als  Karl  V. 
nach  Nürnberg  wollte,  wurde  den  Uhrrichtem  des  kleinen  Zeigers  in  der  Schau, 
„zu  unserer  Frau**  und  zu  St.  Egidien  befohlen,  die  Uhren  fleißig  zu  richten^®). 
Durch  Ratsverlaß  vom  5.  Januar  1558  wurde  dem  Cristoff  Lohen,  Illuministen, 
vergönnt,  „das  taflet  unnd  krämlein  an  der  Schau,  darinnen  etwo  bücher  fail  gehabt 
worden**  zu  benutzen  „seine  kunststückh  darinnen  fail  zu  haben,  . .  doch  mit  offner 
hanndt,  das  es  Meine  Herren  zu  irem  gefallen  wider  abschaffen  mögen***').  Weiter 
wurde  durch  Ratsverlaß  vom  15.  Oktober  1611  dem  Caspar  Peutmüller  erlaubt, 
einen  Silberkram  bei  der  Schau  aufzurichten,  vorbehaltlich  allerdings  des  Einver- 
ständnisses des  Amtmanns  in  der  Schau*®).  Im  Jahre  1810  fiel  die  Schau,  um  dem 
noch  jetzt  stehenden  Gebäude  der  Hauptwache  Platz  zu  machen. 

Wie  die  Schau  uranfänglich  aussah,  bot  sie  im  ganzen  ein  schlichtes  Bild,  das 
erst  durch  den  bekrönenden  Uhraufbau  und  namentlich  die  bunten  Farben  der 
Nischengemälde  Leben  bekam.  Insofern  war  sie  ein  konkreter  Ausdruck  der  typi- 
schen Bauart  im  alten  Nürnberg,  welche  auf  Einfachheit  ausging,  aber  durch  spar- 
same und  weise  Anwendung  geeigneter  Zierstücke  am  rechten  Ort  Abwechslung  und 
Stimmung  hervorzurufen  sehr  wohl  imstande  war.  Und  gerade  deshalb  stand  die 
Schau  im  Süden  des  reichgegliederten  Ostchores  von  S.  Sebald  und  schräg  gegen- 
über der  großzügigen  Front  des  Rathauses  an  ihrem  rechten  Platz.  Sie  bestand 
(Taf.  II)  aus  einem  Erdgeschoß  und  einem  Obergeschoß,  die  durch  ein  Gurtband 
getrennt  waren.  Ein  unterkehltes  Kranzgesims  diente  als  oberer  Abschluß.  Das 
JErdgeschoß  zeigte  in  seiner  rechten  Hälfte  ein  durch  eine  Verdachung  geschütztes 
größeres  Fenster,  zu  dem  man  über  zwei  Steinstufen  herantreten  konnte.  Offen- 
bar diente  es  zum  Hereinreichen  der  zu  beschauenden  Gegenstände,  welche  von 
dem  Schauamtmann  oder  seinen  Gehilfen  hier  entgegengenommen  wurden.  Auf 
einer  bei  uns  befindlichen  späteren  Darstellung  eines  Schembartlaufens  vom  Jahre 
1539  (H.  B.  2354,  siehe  Abb.  2)  hatte  das  Fenster  dreiteilige  Form  und  konnte  es  in 
der  unteren  Hälfte  ganz  geöffnet  werden.  Außerdem  war  es  durch  Läden  zu  schließen. 
Auf  der  aus  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  herrührenden  Darstellung  in  dem  bei 

14)  Iit  Lochners  Ausgabe  von  Johann  Neudörfers  Nachrichten  von  Künstlern  und  Werk- 
leuten,  S.  201. 

15)  Beschreibung  der  Reichsstadt  Nürnberg  in  der  Bibl.  des  Germ.  Mus.  Bl.  127a  und 
von  Dotzauer  a.  a.  O. 

16)  E.  Reickfe  a.  a.  O.  S.  1028. 

17)  Th.  Hampe,  Nürnberger  Ratsverlässe  I,  3701. 

18)  Ebendort  II,  2425- 


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16  BBITRÄ6E  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 


uns  aufbewahrten  Stromerschen  Baumeisterbuch  (Taf.  II)  entbehrt  es  der  Läden 
und  ist  es  außerdem  nur  zwiefach  und  zwar  ungleich  geteilt.  Rechts  neben  dieser 
Schalteröffnung  zeigt  die  Schembartdarstellung  ein  wiederum  durch  eine  Ver- 
dachung geschütztes  Fenster.  Im  Stromerschen  Baumeisterbuch  ist  wohl  eine 
Verdachung  vorhanden,  doch  fehlt  das  Fenster,  statt  dessen  ein  regelrechter  organi- 
scher Quaderverband  bemerkt  wird.  Die  linke  Hälfte  des  Erdgeschosses  war  durch 
zwei  kleinere,  dicht  unter  dem  Gurtgesims  gelegene  Fenster  erhellt.  Zwei  in  gleicher 
Höhe  angeordnete,  nur  größere  Fenster  befanden  sich  auf  der  südlichen  Giebelseite. 
Wie  die  nördliche  Giebelfront  ausgestaltet  war,  läßt  sich  nicht  sagen,  da  sie  auf 
keiner  der  vorhandenen  Darstellungen  gezeigt  wird.  Was  die  innere  Einteilung 
des  Erdgeschosses  betrifft,  so  war  nach  einem  aus  der  Zeit  kurz  vor  der  Einlegung 
stammenden  Grundriß  nach  Osten  zu  ein  etwa  drei  Meter  breiter  Raum,  welcher 


Abb.  2.    Die  Schau  in  Nfirnberg. 
Ausschnitt  aus  der  Darstellung  eines  Schembartlaufens  i.  J.  1539. 

die  ganze  Ostfront  einnahm,  mit  zwei  kleineren  Nebenräumen  vorhanden,  während 
gegen  Westen  und  Süden  drei  mit  Fenstern  versehene  Stuben  sich  befanden*").  Das 
Obergeschoß  war  als  Wohnung  eingerichtet  und  nach  vorn  mit  drei  Fenstern, 
von  denen  das  mittlere  die  seitlichen  an  Breite  übertraf,  versehen.  Auf  der 
Schembartdarstellung  sind  die  beiden  seitlichen  Fenster  zwiefach,  das  mittlere  drei- 
fach geteilt.  Auf  der  Darstellung  im  Stromerschen  Baumeisterbuch  entbehren  die 
seitlichen  Fenster  einer  Unterteilung.  Das  Mittelfenster  erscheint  in  ungleicher 
Weise  zwiefach  geteilt.  Auch  zeigen  sämtliche  drei  Fenster  steilgekehlte  Fenster- 
bänke. Auf  der  südlichen  Giebelseite  bemerken  wir  ein  größeres,  zweigeteiltes 
Fenster. 


19)  Von  Dotzauer  a.  a.  O. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOIT  SCHULZ. 


17 


Bis  dahin  war  das  Gebäude  schmucklos  und  im  höchsten  Grade  schlicht.  Nun 
aber  entfaltet  sich  ein  frischeres  Leben.  Zwischen  den  beiderseitigen  Stufengiebeln 
und  dem  mittleren  Uhraufbau  zieht  sich  ein  Kranz  von  acht  größeren  und  sechs 
kleineren  Zinnen  hin,  die  nach  vorn  abgeschrägt  und  zu  flachbogigen  Nischen  ver- 
tieft sind.  So  zeigt  sie  uns  wenigstens  die  Darstellung  der  Schau  im  Stromerschen 
Baumeisterbuch  (Taf.  II),  und  es  dürfte  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  daß  dies 
ihre  ursprünglich  architektonische  Ausgestaltung  war.  Die  Nischen  aber  waren, 
wie  die  Schembartdarstellung  (Abb.  2)  erkennen  läßt,  mit  Figuren  in  bunten  Farben 
(gelb,  hell-  und  dunkelrot,  blau)  ausgemalt.  Daß  es  Malereien  und  keine  relief- 
plastischen Darstellungen  waren,  deuten  die  immer  wiederkehrenden  Nachrichten 
von  Erneuerungen  des  Gemäldes  außen  an  der  Schau  an.  Nie  hören  wir  etwas  von 
Figuren,  ja,  die  Nischen  waren  viel  zu  gering  vertieft,  um  reliefplastische  Arbeiten 
aufnehmen  zu  können.  Gewiß  hätte  man  auch  noch  Reste  im  Bauschutt  vor- 
gefunden, wenn  es  sich  um  Skulpturen  gehandelt  hätte.    Die  von  Baurat  H  e  i  n- 


Abb.  3.    Die  Schau  in  Nfirnberg.  Der  Fassadenaufbau  vor  dem  Abbruch  i.  J.  1810. 

rieh  Wallraff  geleiteten  Aufgrabungen  förderten  solche  aber  nicht  zutage.  Die 
acht  großen  Nischen  enthielten  in  ganzen  Figuren  den  Kaiser  Karl  IV.  und  die 
sieben  Kurfürsten,  ein  in  älterer  Zeit  sehr  beliebtes  Darstellungsmotiv.  Es  ist  wohl 
anzunehmen,  und  die  Zahl  der  Zinnen  spricht  auch  dafür,  daß  man  von  Anfang  an 
die  Einmalung  des  Kaisers  und  der  Kurfürsten  projektiert  und  mithin  den  Bau 
als  solchen  von  vorneherein  darauf  eingerichtet  hatte.  Die  Kurfürsten  waren  in 
stehender  Haltung  dargestellt,  der  Kaiser  scheinbar  thronend  mit  dem  unter  ihm 
angebrachten  zweiköpfigen  Reichsadler.  Diesen  Schluß  möchte  man  aus  der  Blei- 
stiftskizze ziehen,  welche  der  Pfarrer  Johann  Christoph  Wilder  am  6.  Juni  1810 
von  dem  bekrönenden  Aufbau  anfertigte  (Abb.  3).  Allerdings  zeigt  der  Kupferstich 
mit  der  Illumination  der  Fassade  im  Jahre  1725  (Abb.  1)  den  Kaiser  ebenfalls 
stehend. 

MitteiluDgen  aus  dem  german.  NatioDalmuseum.    190B.  8 


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18  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 


Wie  die  acht  großen  Nischen,  so  waren  auch  die  sechs  kleineren  Nischen  von 
Anbeginn  an  mit  figürlichen  Malereien  gefüllt.  Und  zwar  enthielten  sie  in  Halb- 
bezw.  Dreiviertelfiguren  Darstellungen  der  Planeten  Luna,' Merkur,  Venus,  Mars. 
Jupiter  und  Saturn.  Es  muß  auffällig  erscheinen,  daß  wir  hier  nicht  sieben,  sondern 
nur  sechs  Planeten  finden,  kannten  doch  schon  die  Alten  sieben  Planeten,  nämlich 
Merkur,  Venus,  Mars,  Jupiter  und  Saturn,  wozu  sie  auch  Sonne  und  Mond  rech- 
neten. Wenn  darum  die  Sonne  fehlt,  oder  vielmehr,  wenn  ihr  keine  besondere  Nische 
eingeräumt  ist,  so  muß  sie  an  anderer  Stelle  gesucht  werden.  Denn  das[^unterliegt 
keinem  Zweifel,  daß  bei  diesem  kleinen  Bau  alles  wohl  durchdacht  und^berechnet 
war.  Die  Darstellung  der  Schau  in  dem  Stromerschen  Baumeisterbuch  (Taf.  II) 
tut  dar,  daß  in  den  inneren  Kreis  der  Uhr  eine  Sonne  eingemalt  war,  deren 
gewellte  Strahlen  zugleich  als  Ziffemweiser  dienten.  Warum  sollte  sie  da  nochmals 
als  Figur  versinnbildlicht  werden?  Als  einer  der  wichtigsten  Planeten  durfte  sie 
schon  an  sich  eine  bevorzugte  Stelle  beanspruchen.  Sie  war  ihr  an  einem  markanten 
und  zugleich  geeigneten  Ort  gegeben.  Eine  Wiederholung  hätte  dem  harmonischen 
Zusammenklang,  den  der  schmucke  Bau  sonst  aufweist,  in  keiner  Weise  entsprochen. 
In  Wirklichkeit  sind  also  an  der  Schau  nicht  sechs,  sondern  sieben  Planeten  dar- 
gestellt. Die  Anbringung  der  Planeten  am  Äußeren  der  Schau  erklärt  sich  aus  den 
Anschauungen  der  Zeit.  Den  Alten  galten  die  Planeten  als  Gottheiten  ersten 
Ranges  und  jeder  als  Regent  eines  der  sieben  Wochentage.  Die  Römer  nannten 
daher  ihre  Wochentage  nach  ihnen.  Besonders  beliebt  war  die  Darstellung  der 
Planeten  in  der  Renaissance.  Ich  erinnere  nur  an  die  beiden  Planetenfolgen  von 
Hans  Sebald  Beham,  an  die  Plakettenfolge  der  sieben  Planetengötter  von  Peter 
Flötner  und  die  Planetendarstellungen  von  Virgil  Solis.  So  mögen  auch  hier  in 
den  Planeten  Verkörperungen  der  sieben  Wochentage  zu  sehen  sein.  Von  Hans 
Sebald  Beham  gibt  es  eine  reizende  kleine  Folge  der  sieben  Planeten  vom  Jahre  1539 
(B.  114—120),  die  uns,  als  von  einem  Nürnberger  Meister  herrührend,  als  erklärende 
Illustration  zu  den  ja  nicht  mehr  vorhandenen  Bildern  dienen  mag.  Sie  führt  den 
Titel:  „Die  Tag  der  .  VII  .  Planeten",  die  in  folgender  Weise  eriäutert  werden: 
„Sun  .  den  Svntag  .  /  Lvna  .  Montag  .  /  Mars .  Dinstag  .  /  Mercvrivs  .  Mitwoch  .  / 
Jupiter  Dvnerstag  .  /  Venvs  .  Freitag  .  /  Satvmvs .  Sambstag .".  Zu  berück- 
sichtigen ist  nur,  daß  die  Planeten  an  der  Schau,  abgesehen  von  der  Sonne,  als 
Halb-  bezw.  Drei  viertelf  iguren  gegeben  waren.  Das  klare  Schema  der  Anordnung 
macht  es  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich,  daß  ebenso  wie  der  Kaiser  und  die 
sieben  Kurfürsten  so  auch  die  sieben  Planeten  gleich  zu  Anfang  an  der  Schau  an- 
gebracht worden  sind. 

Wie  in  den  Nischen  der  Zinnen,  so  waren  auch  in  dem  die  Mitte  der  Fassaden- 
bekrönung  einnehmenden  Uhraufbau  Farben  zur  Anwendung  gebracht.  Die  schon 
des  öfteren  erwähnte  Schembartdarstellung  (Abb.  2)  läßt  erkennen,  daß  sich  die 
innere  Sonne  in  Gold  von  tiefblauem  Untergrund  abhob.  Der  Ziffemkranz  war 
golden  getont  und  von  schwarzen  Ringen  eingefaßt.  Selbstredend  werden  auch  die 
Eckzwickel  und  Nischen  mit  Farben  angelegt  gewesen  sein,  wie  auch  eine  dem  Zeit- 
geschmack entsprechende  reiche  Verwendung  von  Gold  angenommen  werden  darf. 
Die  Ausbildung  der  Uhr  selbst  ist  kulturgeschichtlich  nicht  ohne  Interesse  (Taf.  II). 
Das  Zifferblatt  war  mit  gotischen  Ziffern  versehen.    Diese  wurden  durch  gewellte 


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VON  DR.  FRITZ  TRAOGOTT  SCHULZ.  19 

Strahlen  betont,  die  von  der  Sonne  des  inneren  Kreises  ausgingen.  Die  Sonne  war 
durch  ein  natürliches  Antlitz  belebt.  Es  war  nur  ein  Zeiger  vorhanden.  Ein  mit 
24  rundbogigen  Kleeblattbögen  in  Reliefplastik  verzierter  breiter  Kranz  schloß  das 
Ganze  nach  außen  hin  ab.  Die  Uhr  bildete  die  Mitte  des  Aufbaues,  dessen  übrige 
Glieder  sich  in  symmetrischer  Weise  um  sie  gruppierten.  Zu  ihren  Seiten  steigen 
Fialen  empor,  deren  Riesen  mit  Krabben  besetzt  und  von  freigearbeiteten  Kreuz- 
blumen bekrönt  sind.  Zwischen  ihnen  leiten  zwei  Stufen  zu  dem  zierlichen  offenen 
Baldachin  empor,  der  die  bekrönende  Spitze  des  Ganzen  bildet.  Die  beiden  obersten 
Stufen  waren  mit  Figuren  besetzt.  Die  konsequent  durchgeführte,  symmetrisch 
ansteigende  Tendenz  des  Uhraufbaues  muß  direkt  zu  der  Afimhmt  führen,  daß 
solche  von  Anfang  an  an  dieser  Stelle  angebracht  waren.  U^d  daß  dies  in  Wirk- 
lichkeit der  Fall  war,  ergaben  die  von  Baurat  Heinrich  Wallraff  -geleiteten 
Ausgrabungsarbeiten,  wobei  die  Schlüsselhand  der  Petrusstatue  gefunden  wurde, 
welche  über  der  linken  Stufe  stand.  Die  vorhandenen  Formen  weisen  auf  die  Zeit 
um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  als  Entstehungszeit  hin.  Auf  der  rechten  Stufe 
war  S.  Sebald  mit  dem  Modell  der  nach  ihm  benannten  Kirche  aufgestellt.  Die 
Figuren  hatten  Lebensgröße.  Der  Baldachin  ist  über  Eck  gestellt  und  von  einer 
kleinen  Kuppel  überdacht,  unter  der  ein  Glöckchen  hängt,  und  welche  eine  große 
Kreuzblume  schmückt.  Die  dünnen  Strebepfeiler  weisen  eine  zwiefache  Abdeckung 
auf.  Die  Kanten  der  Kuppel  sind  mit  Krabben  versehen.  Hinzu  kommt,  daß  die 
Nischen  der  Stufen  und  der  Füllungen  des  Baldachinsockels  bei  rund-  und  flach- 
bogigem  Abschluß  in  bezeichnender  Weise  mit  Maßwerken  belebt  sind,  und  daß 
die  äußere  Umrahmung  der  Uhr  durch  einen  krabbengeschmückten  Kielbogen  nach 
oben  emporgezogen  ist. 

In  dieser,  d.  h.  seiner  ursprünglichen  Gestalt  muß  das  kleine  Häuschen  ehe- 
mals einen  schmucken  Anblick  geboten  haben.  Die  harmonische  Vereinigung  von 
Einfachheit  in  großen  Flächen  mit  zierlichem  Detail  an  maßgebender  Stelle  und 
lebendigen,  wenn  auch  rhythmisch  abgewogenen  buntfarbenen  Malereien  lassen  es 
geradezu  als  einen  für  die  Kunst  der  Gotik  bezeichnenden  Bau  erscheinen.  Die 
bewußte  Berechnung  auf  Bemalung  erhöht  seinen  Wert  in  besonderem  Maße.  Da- 
bei ist  nicht  zu  vergessen,  daß  auch  die  Giebelnischen  mit  buntgemalten  Figuren 
ausgestattet  waren,  und  daß  ferner  das  Äußere  noch  einen  besonderen  Reiz  erhielt 
durch  die  Einbeziehung  des  Giebels  der  westwärts  anschließenden  Schule  in  die 
vordere  Schräge  des  Daches  der  Schau. 

Es  wurde  darauf  hingewiesen,  daß  die  Malereien  an  der  Schau  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  wiederholt  erneuert  werden  mußten.  Aber  auch  der  Bau  und  seine 
Zierteile  blieben  von  Veränderungen  nicht  frei.  Zunächst  wurden  die  Stufen  der 
beiderseitigen  Giebel  abgeschlagen  und  letztere  glatt  geschrägt.  Die  Frontecken 
aber  wurden  zu  Fialen  ausgebildet,  die  denen  zu  den  Seiten  des  Uhraufbaues  konform 
waren.  Der  bekrönende  Baldachin  hatte  bei  seiner  exponierten  Lage  unter  Wind  und 
Wetter  zu  leiden.  Wie  er  zuletzt  aussah,  lehrt  die  Wildersche  Zeichnung  vom  Jahre 
1810  (Abb.  3).  Die  obere  Kreuzblume  fehlt.  An  ihre  Stelle  ist  eine  Helmstange 
mit  Kugelknauf  und  einem  vielstrahligen  Stern  als  Spitze  getreten.  Im  Jahre  1810 
waren  in  dem  Baldachin  drei,  im  Jahre  1725  zwei  Glöckchen,  die  jedesmal  unter 
einander  aufgehängt  waren,  untergebracht.    Auch  mit  der  Uhr  gingen  Veränderungen 


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20  BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  AUSSENMALEREI  IN  NÜRNBERG. 

vor  sich.  Die  gotischen  Ziffern  sind  auf  der  Illuminationsdarstellung  vom  Jahre 
1725  (Abb.  1)  durch  römische  Zahlen  ersetzt. 

So  wandelte  sich  das  Außenbild  der  Schau  im  Laufe  der  Jahrhunderte.  Aber 
es  waren  nur  Änderungen  geringfügiger  Art,  welche  vorgenommen  wurden.  Sie 
waren  meist  bedingt  durch  die  Fürsorge  um  die  Erhaltung  des  Gesamtcharakters 
des  Bauwerks,  den  man  an  solch  maßgebender  Stelle  nicht  verwischt  sehen  wollte. 
Schließlich  aber  wurde  das  Gebäude  doch  zur  Ruine,  und  es  erhob  sich  keine  Stimme 
dagegen,  als  man  Ende  Mai  des  Jahres  1810  mit  seinem  Abbruch  begann,  um  an 
seine  Stelle  die  jetzige,  als  solche  jedoch  heute  nicht  mehr  benützte  Hauptwache 
zu  setzen.  Wie  durch  Baurat  Heinrich  Wallraff  festgestellt  wurde,  steht  sie 
genau  auf  den  Grundmauern  der  Schau,  deren  geräumige  Gewölbe  zur  Vereinfachung 
des  Verfahrens  mit  dem  Abbruchschutt  zugefüllt  wurden.  Ob  und  wie  weit  diese 
die  Aufgabe  der  ehemaligen  Schau  erfüllt,  das  Platzbild  harmonisch  abzurunden, 
darüber  mich  zu  äußern,  liegt  außerhalb  des  von  mir  verfolgten  Zweckes! 

Zwei  noch  erhaltene  Entwürfe  tun  dar,  daß  man  sich  zu  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts mit  dem  Plan  getragen  hat,  die  Schau  baulich  zu  vergrößern.  Es  will  fast 
natürlich  erscheinen,  wenn  man  auf  diesen  Gedanken  kam,  ließ  doch  das  nur  aus 
Erdgeschoß  und  einem  Obergeschoß  bestehende  Gebäude  eine  amtliche  Benützung 
etwas  ausgedehnteren  Umfangs  nicht  zu.  Der  eine  dieser  Entwürfe  ist  in  dem  bei  uns 
aufbewahrten  Stromerschen  Baumeisterbuch  (Taf.  HI  links)  enthalten.  Den  anderen 
(Taf .  1 1 1  rechts)  besitzen  wir  selbst  als  Einblatt  in  unserer  Sammlung  historischer  Blätter 
(H.  B.  13  174.  Bürgerliche  Baukunst).  Beide  rühren  von  der  gleichen  Hand  her, 
und  zwar  von  derjenigen,  welche  die  Schau  in  ihrem  ursprünglichen  Zustand  (Taf.  U) 
zeichnete.  Letztere  Darstellung  war  als  Grundlage  zu  den  beiden  Erweiterungs- 
projekten gedacht  und  zugleich  bestimmt  als  Faktor  zur  Beurteilung  der  mit  diesen 
erzielten  Verbesserungen.  Auf  der  Rückseite  unseres  Blattes  finden  sich  rechts  unten 
die  Buchstaben  W.  J.  St.  . . .  =  Wolf  Jakob  Stromer,  ein  Zeichen,  daß  dieses  Blatt 
ursprünglich  ebenfalls  zu  der  unter  dem  Namen  „Stromersches  Baumeisterbuch" 
bekannten  Sammlung  von  Entwürfen,  architektonischen  und  anderen  Zeichnungen 
gehört  hat.  Das  Papier  ist  außerdem  das  gleiche.  Gemeinsam  ist  den  beiden  Er- 
weiterungsprojekten, daß  sie  das  Erdgeschoß  und  das  Obergeschoß  unverändert 
belassen  wollen,  daß  sie  dagegen  noch  ein  zweites,  höheres  Obergeschoß  und  ein 
verhältnismäßig  hohes  Dach  vorsehen.  Bei  beiden  ist  ferner  die  Beibehaltung  des 
bekrönenden  Uhraufbaues  in  Aussicht  genommen.  Die  Zeichnung  im  Stromerschen 
Baumeisterbuch  (Taf.  HI  links)  will  ihn  an  seiner  alten  Stelle  unverändert  beibehalten 
und  läßt  das  zweite  Obergeschoß  seitwärts  mit  je  zwei  Fenstern  anschließen.  Weiter 
geht  der  in  unserer  Sammlung  aufbewahrte  Entwurf  (Taf.  HI  rechts).  Er  entfernt  den 
Uhraufbau  von  seinem  ursprünglichen  Platz  und  setzt  ihn  oben  auf  die  Mitte  des  zweiten 
Obergeschosses,  das  er  mit  sechs  Fenstern  glatt  durchlaufen  läßt.  Um  eine  bessere 
künstlerische  Gesamtwirkung  zu  erzielen,  leiten  in  diesem  Fall  zwei  durch  ein  Band 
verbundene  Voluten  von  der  Abschlußbrüstung  zum  Uhraufbau  empor.  Die  Bänder 
sind  außerdem  mit  Blumenvasen  besetzt.  Die  Ausbildung  der  Schauseite  des  neuen 
Obergeschosses  entspricht  in  beiden  Fällen  dem  damals  in  Nürnberg  herrschenden 
Stil,  der  in  der  Verquickung  von  gotischen  Stilelementen  mit  denen  der  Renaissance 
seine  Force  suchte.    Kräftige  toskanische  Halbsäulen  über  ornamentierten  Sockeln 


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VON  DR.  FRITZ  TRAUGOIT  SCHOLZ. 


21 


begleiten  die  rechteckigen  Fenster.  Die  Brüstungen  unter  ihnen  sind  mit  durch- 
brochenem Maßwerk  verziert.  Darüber  baut  sich  ein  hohes,  mannigfach  profiliertes 
Kran^gesims  auf,  das  eine  ebenfalls  mit  durchbrochenem  Maßwerk  ausgestattete 
Abschlußbrüstung  trägt.  Das  alte  Prinzip  war  also  beibehalten:  unten  größte  Ein- 
fachheit, oben  reichere  Fülle!  Aber  die  Zeit  verfügte  nicht  mehr  über  die  Fähigkeit, 
in  den  dekorativen  Mitteln  Maß  zu  halten.  So  muß  die  unorganische  Vereinigung 
zweier  in  ihrem  Wesen  grundverschiedener  Stile  notgedrungen  den  Eindruck  des 
Erkünstelten,  des  Erzwungenen  hervorrufen.  Für  uns  sind  diese  beiden  Entwürfe 
an  sich  lehrreich  und  belangvoll.  Sie  zeigen  uns,  wie  in  früheren  Zeiten  neue  Bau- 
werke aus  alten  entstanden.  Dennoch  aber  müssen  wir  es  auf  der  anderen  Seite 
als  ein  Glück  bezeichnen,  daß  sie  nicht  zur  Ausführung  gelangten,  daß  vielmehr 
das  Gebäude  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  im  großen  und  ganzen  erhalten  blieb. 
Die  wunderbare,  anspruchslose  Schlichtheit  desselben  wäre  durch  Veränderungen 
der  projektierten  Art  ganz  und  gar  zerrissen  und  vernichtet  worden. 


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DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 

von 
WALTER  STENGEL 

(Mit  2  Tafeln.) 

Nachdem  i.  J.  1907  die  Gläsersammlung  des  Germ.  Museums  aus  dem  ehe- 
maligen Klosterrefektorium  und  dem  anstoßenden  Raum  nach  dem  geeigne- 
teren Hochparterre  50  überführt  und  dort  neben  den  gemalten  Scheiben  des  17.  Jahr- 
hunderts aufgestellt  worden  war,  konnte  die  am  alten  Ort  mit  dem  Zinn  allein 
verbleibende  Keramik  ausgebreitet,  gesichtet  und  neu  geordnet  werden.  Für  die 
neuen  Etiketten  wurde  mit  Rücksicht  auf  die  Beleuchtungsverhältnisse  Golddruck 
auf  Schwarz  gewählt  und  damit  war  eine  lapidarische  Kürze  der  Angaben  bedingt, 
so  daß  schon  aus  verwaltungstechnischen  Gründen  ein  Kommentar  zu  der  Aufstel- 
lung notwendig  geworden  ist,  der  zugleich  die  heute  teilweise  veralteten  kurzen 
Aufsätze  Essenwein's  über  „Bunt  glasierte  Tonwaren  im  G.  M."  (Anzeiger  f.  K. 
d.  d.  Vorz.  1873 — 1877)  ergänzt.  —  Bezüglich  der  Ofenkeramik  im  G.  M.  können 
wir  auf  eine  Abhandlung  von  M.  Wingenroth  verweisen  (Mitteil.  d.  G.  M. 
1899—1900.  1902).  Ausgesclilossen  haben  wir  femer  die  Abteilungen  der  prähisto- 
rischen und  mittelalterlichen  Keramik  (welch  letztere  inzwischen  gleichfalls  neu 
geordnet  ist).  Auch  das  Bauerngeschirr  wurde,  abgesehen  von  gelegentlichen 
Seitenblicken,  nicht  in  die  folgende  Betrachtung  einbezogen.  —  Wir  vermerken  noch 
besonders,  daß  jetzt  Photographien  von  den  Hauptstücken  der  keramischen  Samm- 
lung erhältlich  sind.  Ein  im  Text  jeweils  der  Inventarnummer  beigefügtes  Stern- 
chen kennzeichnet  sie. 


I.  Fayence. 

Es  ist  ein  Verdienst  von  August  Essenwein,  die  Inkunabeln  der  deutschen 
Fayence  in  Nürnberg  festgehalten  zu  haben.  Essenwein  war  es  auch,  der  zuerst 
auf  die  Möglichkeit  hinwies,  die  Nachrichten  über  Hirschvogels  und  seiner  Ge- 
nossen keramische  Tätigkeit  mit  diesen  Stücken  in  eine  gewisse  Beziehung  zu 
bringen.  O.  v.  Falke  hat  dann  durch  eine  eingehende  Darlegung  des  Sachver- 
halts die  Hypothese  Essenweins  begründet.^) 

Sieht  man  von  der  lokalen  Überlieferung  und  ihrer  etwas  schwierigen  Inter- 
pretation zunächst  ab,  so  läßt  wohl  die  Nürnbergische  Provenienz  der  ältesten  Denk- 
mäler die  fragliche  Annahme  zu,  daß  die  Heimat  der  deutschen  Fayenceindustrie 


1)  Majolika,   Handb.  d.   Königl.  Museen  zu  Berlin  (1896).  S.  184  f. 


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FAYENCE 


23 


des  16.  Jahrhunderts  in  Nürnberg  zu  suchen  sei.  Ein  mehr  positiver  Wahrschein- 
lichkeitsbeweis ist  in  einer  Urkunde  vom  4.  Juni  1518  enthalten,  die  Giuseppe  M. 
Urbani  de  Gheltof  im  R.  Archivio  in  Venedig  entdeckt  und  in  seinen  studi  intorno 
alla  ceramica  veneziana  veröffentlicht  hat.  Da  diese  Studien  als  Privatdruck  er- 
schienen sind  und  somit  schwer  zugänglich  sein  dürften,  wiederhole  ich  den  Text: 

„Leonardo  Peringer  spechiarius  in  marzaria  constitutus  in  officio:  et  narauit 
et  exposuit  qualiter  lui  ha  trouato  gia  fa  mexi  6  in  circa  uno  nouo  artificio  o  defitio 
non  piü  facto  n^  usitato  in  questa  incljrta  cita  de  Venetia  de  far  bone  et  optime 
lauori  de  ogni  sorte  de  porzelane  chome  sono  quäle  de  leuante  transparenti  et  stano 
ad  ogni  bona  proua  de  quele  ditte  de  leuante  et  stano  salde  da  tucte  uiande  cal- 
dissime  et  diboto  fuogo  et  sono  transparenti:  et  pero  dimanda  che  niuno  possi 
adoperar  dicto  suo  arteficio  uel  eficio  senza  licentia  sua  sichome  dispona  la  leze 
sopra  deziö  prexa  ne  lo  excellentissimo  Consegio  de  pregadi." 

Unter  den  verschiedenen  Zeugnissen  von  Porzellanliebhaberei  und  Porzellannach- 
ahmung, die  aus  der  italienischen  Renaissance  auf  uns  gekommen  sind,  ist  dieses 
Dokument  vielleicht  das  beachtlichste,  insofern  es  eine  vollkommene  Einsicht  in  das 
Wesen  des  echten  Materials  bekundet.  Gewiß  dürfen  wir  annehmen,  daß  die  eigent- 
liche Behauptung  des  spechiarius  Vorspiegelung  falscher  Tatsachen  war.  Aber  es 
bleibt  wichtig  für  uns,  daß  dieser  Porzellanarkanist  Nürnberger  Herkunft  gewesen 
zu  sein  scheint.  Der  Name  spricht  dafür.*)  Im  späteren  16.  Jahrhundert  ist  sogar 
eine  Hafnerfamilie  Peringer  in  Nürnberg  nachweisbar.^)  Auch  glaubte  (ohne  hier- 
von zu  wissen  und  unabhängig  von  der  Hirschvogelfrage)  Urbani  de  Gheltof  bereits, 
Leonardo  Peringer  mit  einem  gewissen  Leonardo  qum.  Amoldo  Teutonico  di  nurim- 
berg  identifizieren  zu  dürfen.  Hat  es  aber  mit  der  Nürnberger  Herkunft  Peringers 
seine  Richtigkeit,  so  ließe  sich  denken,  daß  seine  botega  der  Fabrikation  der  gleich- 
zeitigen Venezianer  Majoliken  „alla  porcellana"  mit  Wappen  Nürnberger  und 
Augsburger  Familien  nahe  stand,  und  dann  wäre  auch  das  problematische 
Majolikaunternehmen  von  Hirschvogel  &  Co.  von  einem  Landsmann  vorbereitet 
und  mit  Tradition  gegründet.*) 

Für  die  Schale  mit  der  ungerahmten  Darstellung  von  Simson  und  Dalila 
(H.  G.  351*)  mögen  Majoliken  in  der  Art  jener  faentinischen  Werkstätten,  die  um 
1507  und  später  nach  deutschen  und  italienischen  Stichen  und  Holzschnitten 
arbeiteten  (vgl.  besonders  den  Teller  mit  dem  gleichfalls  ungerahmten  Bilde  des 

2)  In  den  Nürnberger  Bürger-  und  Meisterlisten  der  Zeit  von  1465—1546  sind  dreiund- 
zwanzig Träger  des  Namens  Peringer  bezw.  Beringer  verzeichnet.  1473  und  l48l  kommt  ein 
Linhart  Beringer  vor.     (Mitteilung  des  Königl.  Kreisarchivs.) 

3)  1564  wird  ein  Hafner  Hans  Peringer  Bürger  in  Nürnberg  (vgl.  Anm.  26).  Eine  Frau 
oder  Witwe  Anna  eines  Hafnermeisters  Martin  Beringer  steht  als  verstorben  in  dem  gleichen 
Jahr  1564  in  emem  Nürnberger  Totengeläutbuch  (Hs.  No.  6277  der  Bibliothek  des  German. 
Museums). 

4)  (Orientalisches  oder  italienisches?)  WeiOgeschirr  mit  Blaumalerei,  muß  man  in  Nürn- 
berg schon  gegen  Ende  des  15-  Jahrhunderts  gekannt  haben.  Es  sei  hier  besonders  auf  ein 
H.  Pleydenwurff  zugeschriebenes  Gemälde  der  Alten  Pinacothek  in  München  (No.  234)  hinge- 
wiesen, das  sich  früher  auf  der  Burg  in  Nürnberg  befand.  Dargestellt  ist  die  mystische  Ver- 
mählung der  hl.  Kathanna:  man  sieht  in  der  abgebildeten  Stube  auf  dem  Tisch  einen  weißen 
Teller,  der  mit  blauem  Ornament  bemalt  zu  sein  scheint 


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24 


iH.  G.  351)  Abb.  1. 

verlorenen  Sohnes  nach  Dürers  Stich,  im  Berliner  Kunstgewerbemuseum)  die  An- 
regung gegeben  haben.  In  Venedig,  dessen  Majolikaindustrie  im  Anfang  des 
16.  Jahrh.  mit  Faenza  Fühlung  hatte,  konnte  der  deutsche  Meister  gewiß  damals 
Ähnliches  kennen  lernen.  —  Die  Gruppe  von  Simson  und  Dalila  ist  dem  Holz- 
schnitt von  Hans  Burgkmair  (B.  6)  verwandt,  in  der  Gesamtdisposition  wie  in 
Einzelheiten:  vgl.  den  schlaff  herabhängenden  rechten  Arm  mit  bauschigem  Ärmel 
und  besonders  die  leicht  gekrümmte  Hand,  die  mit  dem  Rücken  den  Boden  berührt. 
Die  Simsonschale  hat  auf  der  Unterseite*)  (Abbildung  1)  deutlich  die  Jahres- 
zahl 1526  und  die  Meistermarke  R.  Ein  dazu  im  Sinne  der  obigen  Hypothese 
passender  Name  ließe  sich  den  Urkunden  wohl  entnehmen.  Aus  dem  in  Zahns 
Jahrb.  f.  Kunstw.  II  S.  77  veröffentlichten  Vertrag  vom  27.  Dez.  1531  scheint  hervorzu- 
gehen, daß  nur  Oswald  Reinhard  und  nicht  Hans  Nickel  hier  in  Frage  kommen  kann, 
da  dieser  mit  Hirschvogel  von  jenem  damals  erst  die  Kunst  des  Schmelzens  lernen 
wollte.  Reinhard  ist  es  jedenfalls,  von  dem  Neudörffer  gehört  hat:  „der  zog  gen 
Venedig,  ward  hie  ehelich  und  ein  Burger,  musste  das  Handwerk  und  Schmelzen*) 
von  neuem  lernen,  kam  wieder  hierher,  bracht  viel  Kunst  in  Hafners  Werken  mit 
sich."  Denn  diese  fünf  Sätze  sind  offenbar  parenthetisch  und  erst  die  Worte 
„machte  also"  nehmen  den  auf  Hirschvogel  bezüglichen  Satz  „machte  eine  Com- 
pagnie  mit  einem  Hafner"  wieder  auf.    Die  letztere  Mitteilung  des  Schreib-  und 


5)  Das  Ornament  hat  keinerlei  Verwandtschaft  mit  dem  auf  der  Rückseite  der  faen- 
tinischen  Teller.  Herr  Prof.  Dr.  Chr.  Scherer  und  Dr.  L.  Schnorr  v.  Carolsfeld  waren  so 
liebenswürdig,  uns  Pausen  der  Teller  in  Braunschweig  und  Berlin  zu  senden. 

6)  Hinsichtlich  des  Wortes  „Schmelzen"  besteht  u.  E.  die  Auffassung  v.  Falkes,  daß  damit 
das  Glasieren  (Zinnglasur)  gemeint  sei,  zu  Recht.  A.  Walcher  v.  Molthein  (Kunst-  und  Kunst- 
handwerk VII,  1904,  S.  488)  glaubt  den  Ausdruck  nur  auf  Glasfabrikation  beziehen  zu  dürfen. 
Man  vergleiche  dagegen  den  RatsverlaO  Hampe  Nr.  1847:  Augustin  Hirschfogell,  hafner, 
sein  begem  des  lehens  halb  ablainen  und  nach  einem  platz  umbseehen  zu  einem  schmelzoffen. 


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FAYENCE 


25 


Rechenmeisters  ist  allerdings  so  konfus  wie  möglich,  indem  er  hier  zwei  verschiedene 
Verträge  (vom  27.  Dezember  1531  und  vom  15.  Mai  1532)  zusammenwirft  und 
dann  die  beiden  Hafner  (R.  und  N.)  identifiziert.  C  Friedrich,  der  die  ganze  Stelle 
auf  Hirschvogel  bezog,  kam  dadurch  zu  der  Anschauung,  „daß  die  Unterweisung 
des  Reinhard  nichts  getaugt  habe;  denn  sonst  wäre  Hirsch vogel  nicht  gezwungen 
gewesen  das  Handwerk  und  das  Schmelzen  in  Venedig  von  neuem  zu  lernen." 
Wiewohl  sich  nun  die  Voraussetzung,  die  zu  diesem  Schlüsse  führte,  jene  irrige 
Interpretation,  in  der  keramischen  Literatur  kaum  behauptete,  blieb  doch  der  daraus 
gefolgerte  Verdacht  der  Unwissenheit  an  Reinhard  hängen,  und  so  ist  es  gekommen, 
daß  sein  Name  gegenüber  Hans  Nickel,  auf  den  nunmehr  die  Nachricht  von  dem 
erfolgreichen  venetianischen  Studienaufenthalt  bezogen  wurde,  in  den  Hintergrund 
trat  und  für  eine  andere  Taufe  in  Anspruch  genommen  werden  konnte  (vgl.  S.  23). 

Ein  Schulzusammenhang  zwischen  den  frühen  deutschen  Fayencen  kann, 
auch  wenn  wir  die  Hirschvogelfrage  zunächst  noch  einmal  ausschalten,  als  wahr- 
scheinlich gelten.  So  hat  die  Madonnenschüssel  von  1530  (H.  G.  352*)  den  undulieren- 
den  Grundzug  des  Randomaments  mit  dem  Hamburger  Teller  gemeinsam,  dieser 
wieder  die  Schraffur  der  Einzelwelle  mit  der  Ringflasche  v.  J.  1544  (Taf.  IV— V)^ 
und  den  Gegenstand  (weibliches  Brustbild)  und  die  Verwendung  von  Gelb  mit  dem 
Teller  von  1531  (H.  G.  2044),  während  die  Manganfarbe  auf  dem  Hamburger  Teller 
in  gleicher  Sparsamkeit  wie  auf  der  Simsonschale  auftritt.  Die  Verschiedenheit 
des  Schmelzgrundes  und  des  Blau  läßt  sich,  wie  Direktor  Brinckmann  (im  Jahres- 
bericht 1895  des  Museums  f.  Kunst  u.  Gewerbe  in  Hamburg)  bemerkt  hat.  aus 
der  bei  den  Anfängen  eines  neuen  Verfahrens  häufigen  Unsicherheit  erklären. 
Dazu  kommt,  daß  bei  einer  Beziehung  auf  Nürnberg  von  vornherein  verschiedene 
Werkstätten  anzunehmen  wären.  Denn  eine  Klausel  des  Vertrags  zwischen  Reinhard 
und  Nickel  -  Hirsch  vogel  besagt,  daß  ersterer  die  (Fayence-)  Fabrikation  selb- 
ständig weiterbetreiben  und  auch  auf  seine  Kinder  übertragen  wollte. 

Besonderes  Interesse  gewährt  die  Ringflasche  v.  J.  1544  (Taf.  IV— V).  Man 
wird  versucht,  die  Frage  aufzuwerfen,  ob  nicht  dieser  Typus  mit  der  Nachricht 
Neudörffers,  die  von  eigenartigen  Krügen  vermeldet,  in  einem  positiven  Zusammen- 
hang steht.  In  dem  Ausdruck,  den  Neudörffer  braucht  —  „als  wären  sie  von  Metall 
gössen"®)  —  mag  nachklingen,  was  von  den  Majoliken  „alla  porcellana",  die  wie  G. 
Swarzenski  bemerkt  venezianischen  Metallarbeiten  zu  vergleichen  sind,  gesagt  werden 
konnte.  Vielleicht  war  jedoch  auch,  was  O.  v.  Falke  betont,  die  an  Metallguß,  vor- 
nehmlich an  Zinn  erinnernde  Spiegelglätte  der  Zinnglastir  und  die  Feinheit  in  der 
Ausdrehung  des  Tons  gemeint.  Nun  ist  die  Sonderbarkeit  einer  Ringflasche  von 
Ton  dergestalt,  daß  man  glauben  möchte,  sie  sei  ursprünglich  nicht  in  diesem  Ma- 
terial erfunden.   Sollte  hier  eine  Nachahmung  von  Zinn  vorliegen?')  Ehe  nicht  die 

7)  Wir  sind  für  die  Photographien  der  Sigmaringer  Flasche  dem  Fürstl.  Hohen- 
zollemschen  Museum  zu  Dank  verpflichtet. 

8)  In  den  Mitteil.  a.  d.  Germ.  Nat.-Mus.  1900,  S.  65  hat  M.  Wingenroth  bemerkt,  daß 
es  in  der  Neudörffer-Hs.  Nr.  4355  des  German.  Mus.  statt  „von  Metall  gössen"  heißt:  „in 
Model  gegossen".  Demgegenüber  möchte  ich  auf  eine  dritte  Lesart  hinweisen,  die  sich  in  der 
Hs.  Nr.  236  des  German.  Mus.  findet:  „von  Model  gössen":  also  die  Übergangsvariante. 

9)  Vgl.  etwa  die  Zinngurde  v.  J.  1534  auf  der  Frankfurter  Stadtbibliothek  (Abb.  im 
Katalog  der    Frankfurter   Kunstgewerbeausstellung   1875)  —   das  Wappen    in    der    Mitte    ist 

MitteiluDgen  aus  dem  german.  Nationalmiiseiim.    1908.  4 


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26  DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 

etwaigen  Präzedenzfälle  zusammengestellt  sind,  kann  darüber  kaum  geurteilt  werden, 
aber  es  ist  jedenfalls  möglich,  daß  erst  das  Fayencekunststück  die  Form  in  der  Keramik 
eingebürgert  hat:  die  bunt  glasierten  Hafner  arbeiten  der  Art  sind  später,^®)  ebenso 
die  vielen  Ringflaschen  und  Wurstkrüge  in  rheinischem  Steinzeug.  ^')  Der  Um- 
stand, daß  das  fragliche  Stück  heute  in  Sigmaringen  steht,  hat  nebst  der  alten  An- 
nahme, daß  die  Fayenceeulen  der  nahen  Schweiz  entstammen,  offenbar  mit  dazu 
beigetragen,  die  Wahrscheinlichkeit  eines  Nürnberger  Ursprungs  auch  der  früheren 
Fayencen  zu  verdunkeln.  Nun  ist  aber  neuerdings  festgestellt  worden,  daß  von  einer 
Schweizer  Heimat  der  Eulen  nicht  die  Rede  sein  kann,  und  die  Sigmaringer  Ringflasche 
wurde  östlicher,  in  Augsburg  erworben.  —  Unbekannt  ist  die  Provenienz  des  ganz  ähn- 
lichen Exemplars  im  Münchener  Nationalmuseum**).  Diese  Flasche*')  bietet  für  die 
Hirsch  vogelfrage  ein  neues  Moment.  An  der  Vorderseite  (Taf.  11,  links)  ist  eine  Eule 
in  ein  Medaillon  in  der  Mitte  der  unteren  Hälfte  des  Röhrenringes  hineingemalt,  also 
sehr  viel  auffälliger  als  etwa  die  Vögel  (Falken,  Eulen  u.s.w.)  in  den  natürlichen  Ranken 
der  gleichzeitigen  Steinzeugkrüge  aus  der  Werkstatt  der  Maximinenstraße  in  Köln. 
Eine  Eule  an  auffälliger  Stelle  findet  sich  nun  ähnlich  auf  einer  bezeichneten  Radie- 
rung von  Hirschvogel  selbst:  B.  95  (Abb.  2).  Das  Blatt  stellt  eine  Kanne  dar,  und  die 
Eule  sitzt  mitten  an  dem  Bauch  in  einer  bogenförmigen  Draperie,  also  auch  isoliert. 
Durch  das  kreisrunde  Profil  des  Gefäßbauches  und  durch  die  zu  beiden  Seiten  ange- 
brachten Maskarons  wird  der  Gedanke  an  die  Ringflasche  mit  ihren  hundskopfähn- 
lichen  Schulterstücken  verstärkt.  Zudem  trägt  die  Radierung  die  Jahreszahl  1 543,  d.  h. 
es  bliebe  ein  Jahr  Spielraum  für  die  notwendige  Annahme  eines  verloren  gegangenen, 
von  Hirschvogel  eigenhändig  gemalten  Originals  —  falls  wir  die  Hypothese 
zuspitzen  und  dies  Datum  (154})  als  terminus  post  quem  nehmen  wollen. 
Doch  dazu  ist  eigentlich  kein  Grund.  Denn  daß  die  Gefäßphantasien  Hirsch- 
vogels mehr  Paraphrasen  sind  als  Vorbilder,  jedenfalls  aber  nicht  so  ausgeführt 
werden  konnten  und  sollten,  wie  sie  auf  dem  Papier  stehen,  kann  als  selbstverständ- 
lich gelten.    In  der  Praxis  muß  die  lustigste  Erfindungsgabe  sich  bescheiden,  und 


scharf  umringt  wie  bei  den  gleichzeitigen  emaillierten  Glasgurden  (Beispiel  im  German.  Museum: 
H.  G.  1015  mit  süddeutschem  Wappen). 

10)  Die  Darmstädter  Blasiusgurde  v.  J.  1563  hat  noch  ähnliche  Proportionen  wie  die 
Fayenceflasche  (breiter  Ring,  klemes  Loch). 

11)  An  Qualität  und  Alter  vielleicht  die  erste  rheinische  Arbeit  in  diesem  Genre  ist  die 
prächtige  Siegburger  Ringflasche  der  Sammlung  Figdor,  mit  (Drachenhenkeln  und)  einem 
Menschen-Maskaron  oben  und  unten  am  Ring.  Die  eigentümliche  Glasur  läßt  hier  unter  Um- 
ständen an  ein  Fayencevorbild  denken.  Solon  (The  art  stoneware  I  p.  93)  äußert  unabhängig 
von  einem  solchen  Gedanken  die  Vermutung:  „Probably  thin  touches  of  white  tin  enamel  had 
been  partially  applied,  of  which  only  faint  trac^  remained  after  the  firing". 

12)  Wir  sind  für  die  Photographien  Herrn  Direktor  Dr.  Hager  zu  Dank  verpflichtet. 

13)  Alter  Besitz..  An  der  Echtheit  zu  zweifeln  sehe  ich  (nach  Autopsie)  keinen  Grund. 
Eine  Konfrontation  beider  Exemplare  wäre  allerdings  erwünscht.  Die  Münchener  Flasche  erscheint 
dank  der  Abwechslung  in  den  Schlußstücken  der  vorderen  Ranke  und  durch  die  Verwendung 
von  Grün  in  dem  Ornament  der  äußeren  Laibung  eher  bedeutender  als  die  nur  in  Blau  gemalte 
Flasche  in  Sigmaringen.  Letztere  ist  auch  in  den  Maßen  etwas  geringer.  (Die  genauen  An- 
gaben über  die  Sigmaringer  Flasche  verdanken  wir  der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Hofrats 
J.  W.  Gröbbels). 


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(Hirschvogel,  B.  95)  Abb.  2. 

es  will  uns  dünken,  als  sei  die  Gestalt  der  Ringflasche  in  Fayence  so  ein  Kompromiß 
zwischen  Phantasie  und  Erde.  —  Nun  gibt  es  in  blaugemalter  deutscher  Fayence 
des  16.  Jahrhunderts  noch  eine  andere  Type,  die  nicht  minder  grotesk  aussieht:  die 
bereits  erwähnten  Eulengefäße  mit  abnehmbarem  Kopf.  Im  ganzen  sind  sieben 
Exemplare  bekannt.  Ihre  Zusammengehörigkeit  ist  durch  eine  sorgfältig  vergleichende 
Untersuchung  von  K.  Masner  erwiesen.**)  Auch  diese  Spezialität  wurde  also  von 
einer  botega  in  mehreren  gleichartigen  Exemplaren  ausgegeben.  Das  gemeinsame 
Eulenmotiv  ist  der  Meinung  günstig,  hier  möchten  Erzeugnisse  derselben  Luxus- 
industrie vorliegen.  —  Für  eine  Beziehung  der  Eulengefäße  auf  Hirschvogel  spricht, 
daß  in  seinen  Ornamentstichen  häufig  unstilisierte  tierische  Formen  Verwendung  ge- 
funden haben.  Man  vergleiche  etwa  das  Gefäß  B.  84,  auf  dessen  Bauch  ein  vogel- 
ähnlicher Igelkopf  aufsitzt,  oder  den  hockenden  Geißbock,  der  einen  Schild  hält  (B.  83) 
und  besonders  noch  auf  dem  Blatt  B.  95  (Abb.  2)  gerade  unter  der  Eulenskizze  die 
Krallen  als  Fuß.  Auch  muß  es  auffallen,  daß  die  „griselige"  Strichführung  in  der  Blau- 
malerei der  Eulen  für  Hirsch vogel  den  Radierer  so  charakteristisch  ist.'*)  —  Die 
Priorität  der  rheinischen  Steinzeugeulen  hat  Masner  in  Frage  gestellt.  Falls  nun 
wirklich  der  Fayencering  unter  den  rheinischen  Krugbäckem  Schule  gemacht  haben 
sollte  (vgl.  Anm.  11),  so  würde  auch  hier  die  Annahme  eines  Abhängigkeitsverhält- 
nisses erleichtert  sein.  Eine  andere  Frage  wäre,  ob  nicht  ein  gemeinsamer  Archetyp 
zu  vermuten  ist.    Schon  gegen  Ende  des  15-  Jahrhunderts  fabrizierte  die  für  Hirsch- 


14)  Jahrbuch  d.  Schles.  Museums  f.  Kunstgewerbe  und  Altertümer  (Breslau  1902)  S.  100  ff. 

15)  Die  Eule  Sr.  Exzellenz  des  Grafen  H.  Wilczek  (Burg  Kreuzenstein)  zeigt  auf  dem 
Deckel  den  gemalten  Profilkopf  eines  Türken  mit  Turban.  Hirschvogel  hat  das  Profil  eines 
Türken  mit  Turban  i.  J.  1547  radiert  (B.  17). 


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28 


DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MOSBUM 


vogels  Schaffen  allerdings  in  Betracht  zu  ziehende  Glasindustrie  von  Murano, 
wie  Marcantonio  Sabellico  (De  situ  Venetae  urbis,  1495)  berichtet,  omnis  generis 
animalia,  und  die  Häufigkeit  tierischer  Gefäßformen  (Eulen,  Hirsche,  Bären)  in  der 
Goldschmiedekunst  der  zweiten  Hälfte  des  16.  und  im  17.  Jahrhundert  läßt  auf 
eine  ältere  Tradition  auch  innerhalb  dieses  Handwerks  schließen.  Die  nämliche 
Werkstatt  der  Maximinenstraße  in  Köln,  der  die  ältesten  Steinzeugeulen  ent- 
stammen, hat  bei  einer  Reihe  von  Gefäßen  Metallbuckelung  angewandt,  und 
für  ein  silbervergoldetes  Vorbild  der  Fayenceeulen  mag  die  Goldminierung  des 
ältesten  Exemplars  sprechen,  vielleicht  auch  der  Umstand,  daß  hier  wie  bei  der 
nächstjüngeren  Eule  die  Federn  plastisch  und  grätig  sind.  Diese  Annahme  ließe 
sich  wieder  mit  dem  Satz  Neudörffers,  der  ausdrücklich  den  Metallcharakter  der 
Hirschvogel-Nickelschen  Keramik  konstatiert,  wohl  vereinigen,  um  so  eher,  als 
wir  durch  die  RatsverHsse  von  der  gleichzeitigen  Existenz  eines  Goldschmieds 
(Balthasar)  Nickel  in  Nürnberg  wissen.  Auch  zeigt  das  Omamentstichwerk  Hirsch- 
vogels, daß  zwischen  ihm  und  der  Goldschmiedekunst  Beziehungen  bestanden  haben. 

Die  Breslauer  Eule  trägt  den  Bindenschild  von  Österreich,  das  bekanntlich 
Augustin  Hirschvogels  zweite  Heimat  war.  Er  starb  dort  im  Jahre  1553-  Man  ist 
gewohnt,  ihm  nachzusagen,  daß  er  wankelmütig  und  unstet  gewesen  sei.  Allein  ein 
Vagant  war  Hirschvogel  nicht.  Er  hat  die  Brücken  hinter  sich  nicht  leichtfertig 
abgebrochen.  Sein  Gesuch  um  Aufrechterhaltung  des  Nürnberger  Bürgerrechts  be- 
weist das.  Ebenso  läßt  der  Verlag  seines  Buches  über  Geometrie  und  Perspektive 
vermuten,  daß  er  mindestens  bis  1543  mit  einem  Fuß  in  Nürnberg  blieb,  wo  die 
Sippe  lebte.  Irrig  ist  es  auch,  wenn  Neudörffer  Hirschvogels  Lebenslauf  so  dar- 
stellt, als  hätten  die  verschiedenen  Phasen  seiner  Künstlerschaft  sich  dergestalt  ab- 
gelöst, daß  die  neuen  Interessen  immer  die  alten  verdrängten.  Wir  wissen,  daß 
Hirschvogel  noch  1543  und  1548  Glasmalereien  lieferte.  Ebenso  wird  seine  kera- 
mische Tätigkeit,  die  nur  für  die  Zeit  von  1530— 1535  beglaubigt  ist,  mehr  als  ein 
vorübergehendes  Zwischenspiel  gewesen  sein.  Blieb  aber  der  Künstler  an  dem  kunst- 
gewerblichen Betrieb,  den  er  in  Nürnberg  in  Szene  setzte,  zeitlebens  interessiert, 
so  hatte  möglicherweise  die  Nickeische  Werkstatt  seinen  österreichischen  Bezieh- 
ungen noch  die  Kundschaft  zu  verdanken,  welche  die  im  Jahre  1560  gebrannte 
Eule  bestellte. 

Der  ursprüngliche  Sinn  der  Eulengefäße  ^®)  mit  Wappen  ist  uns  nicht  be- 
kannt. Wenn  die  Geschichte  des  Breslauer  Exemplars  glauben  macht,  daß  „dieser 
lücubrierende  Vogel**  vielleicht  von  jeher  ein  Bibliothekszierrat  war,  so  möchte  wohl 
an  das  klassische  Symbol  erinnert  werden,  um  so  eher  als  wir  Grund  haben,  das 


16)  Mein  Kollege,  Herr  Archivar  Dr.  H.  Heerwagen  macht  mich  noch  freundlichst  auf 
folgende  Mitteilungen  aus  einem  1583  aufgenommenen  Inventar  der  Burg  Neidek  (jetzt  im 
Rentamt  in  Arnstadt)  aufmerksam:  „So  fand  der  Notar,  als  er  das  Kellnerstüblein  in  Augen- 
schein nahm,  viel  Gläser  aus  Boheim  zu  verzeichnen,  dazu  64  Venedische  Gläser,  klein  und 
groß,  doch  deren  etzlich  mit  Deckeln.  Ein  Venedischer  Willkumb  mit  sieben  Jungen,  eine 
große  Eule  aus  Thon  gebrannt,  standen  bereit,  ankommenden  Gästen  den  Labetnink  zu 
kredenzen.  Im  übrigen  scheint  auch  das  Schießhaus  im  nahen  Garten  den  Ansprüchen  der 
Gäste  an  den  fröhlichen  Becher  vollauf  Rechnung  getragen  zu  haben.  Denn*  auch  hier 
fehlte  es  nicht  an  Willkumbs  mannigfachster  Gestalt  und  anderem  Trinkgeschirr." 
(Alt-Arnstadt,  Beiträge  zur  Heimatkunde  von  Amst.  und  Umgegend,  Arnst.   1901,  S.  29-) 


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FAYENCE 


29 


Wort  Neudörffers  von  Bildern  „antiquitetischer  Art"  wörtlich  zu  nehmen  (vgl. 
S.  32).  Eine  andere  Deutung  dürfte  jedoch  näher  liegen.  Die  rheinischen  Stein- 
zeugeulen hat  0.  V.  Falke  als  ein  im  Dialekt  verständliches  Wahrzeichen  der 
„Ulner"  (d.  h.  Töpfer)  erklärt.  Sollte  demgemäß  die  erste  Fayence- Eule  ein  ver- 
körpertes Wappenbild  gewesen  sein,  das  dann,  den  Anlaß  gab,  die  originelle 
Form  auch  für  andere  Wappen  als  Schildhalter  zu  verwenden.^  Die  Hypothese 
hat  etwas  Verlockendes,  wenn  man  bedenkt,  daß  Hirschvogel  in  der  betreffenden 
Zeit  (vor  1540,  dem  Datum  der  ältesten  der  erhaltenen  Eulen)  als  Stempel- 
schneider wesentlich  heraldischen  Interessen  lebte.  Dazu  kommt,  daß  der  Gönner, 
der  ihn  nach  Österreich  zog  und  ihm  selbst  (u.  a.  zu  Glasgemälden)  Aufträge  gab, 
wie  auch  solche  des  Kaisers  vermittelte  —  der  Hofkammerrat  Christoph  Kheven- 
hüller^')  —  einem  Geschlecht  angehörte,  das  die  Eule  im  Schilde  und  als  Helm- 
zier führt. 

Während  das  Breslauer  Gefäß  sich  auf  Österreich  (Kaiser)  bezieht,  weisen  Wappen 
anderer  Exemplare  nach  Südwestdeutschland.  Nürnberg,  das  zwischen  den  beiden 
Absatzgebieten  mitten  inne  liegt,  kommt  daher  (wenn  die  im  übrigen  schwächeren 
Ansprüche  Augsburgs  und  Ulms  sich  nicht  erhärten  lassen)  ohnehin  als  mutmaß- 
licher Herstellungsort  in  Betracht.  Damit  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  Hirschvogel 
in  Österreich  eine  Filiale  der  Nürnberger  Firma  ins  Leben  rief.  Für  diesen  Fall  — 
Gustav  E.  Pazaurek  stellte  in  Erinnerung  an  Neudörffers  Charakteristik  der  Hirsch- 
vogel-Keramik die  interessante  Hypothese  auf  ^®)  —  wäre  an  jene  teils  glatten, 
teils  gebuckelten  Schüsseln  und  reliefierten  Kannen  und  durchbrochenen  Teller 
von  weißer  Fayence  zu  denken,  die,  häufig  mit  Wappen  süddeutscher  Familien  be- 
malt, in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  und  im  17.  Jahrhundert  nach 
italienischer  Art  wie  es  scheint  auch  in  Österreich  gearbeitet  wurden.  Ich 
bemerke  noch,  daß  in  Gräflich  Giech'schem  Besitz  (Fideikommiß)  eine  Reihe 
von  solchen  Fayencen  erhalten  ist,  die  aus  Kärnthen,  von  den  Familien 
V.  Khevenhüller  und  Dietrichstein  herstammen,  deren  (Einzel-) Wappen  sie  tragen. 
Ein  Khevenhüller  ehelichte  1624  eine  Dietrichstein.  Erinnern  wir  uns  der  be- 
rührten Beziehungen  zwischen  Hirschvogel  und  einem  älteren  Angehörigen 
dieses  Hauses,  so  gewinnt  jene  Vermutung  noch  an  Wahrscheinlichkeit. 
Allerdings  kann  man  Weißgeschirr  der  geschilderten  Art  vor  der  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts kaum  nachweisen.  Erst  nach  1560  tritt  es  zahlreich  auf.  Und  bei 
diesen  älteren  Fayencen  handelt  es  sich  wohl  wesentlich  um  italienisches  Fabrikat. 
Jacquemart  zitiert  die  Nachricht:  „En  1567  le  navire  la  Pens6e  amenait  ä 
Rouen  trois  coffres  bahuts  pleins  de  vaisselle  blanche  et  peinte  de  Faenze."  Noch 
deutlicher  gibt  sich  ein  Eintrag  vom  Jahre  1565  in  dem  Unkostbuch  des  Wilibald 
Imhof  (Nürnberg,  Kgl.  Kreisarchiv):  „40  weiße  Maiolika  mit  Wapen,  und  andere 
Maiolikas."  Im  Germanischen  Museum  ist  solches  Geschirr  reichlich  vorhanden.  Ein 
Teller  (H.  G.406*)  mit  Wappen  derScheurl  und  Imhof  trägt  die  Jahreszahl  1560  (oder 
1 569  ?)   und  die  Marke  Jännicke  M.  V.  247.    Ebenso  bezeichnet  ist  der  zweifellos 


17)  Vgl.  über  Hirschvogels  Beziehungen  zu  ihm:  A.  Walcher  v.  Molthein,   Bunte  Hafner- 
keramik der  Renaissance  in  den  österreichischen  Ländern  (Wien  19O6)  S.  32. 

18)  Vgl.  Mitteilungen  des  Nordböhm.  Gewerbe-Museums  XX  (1902)  S.  98  f.  und  „Nord- 
böhm. Gewerbe-Museum:  Keramik"  (Reichenberg  1 905)  S.  13  ff. 


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30 


DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 


italienische  große  Teller  (H.  G.  350)  mit  einer  Darstellung  der  Lebensalter.  Auch  sonst 
kommt  diese  Marke,  deren  Deutung  Jacquemart  gefunden  zu  haben  glaubt,  auf  Stücken 
der  Gruppe  nicht  selten  vor.  So  auf  einer  in  Palmetten  und  Maskarons  reich  ge- 
buckelten Schüssel  des  Gewerbemuseums  in  Nürnberg  (VIII  318).  Eine  in  der 
Form  ähnliche  Schale  (H.  G.  357)  hat  Essenwein  bereits  publiziert.  Das  Wort 
„weys"  auf  der  Rückseite,  blau  unter  Glasur,  bekundet,  wenn  es  auch  keine  Signatur 
bedeutet,  doch  unwiderleglich  den  deutschen  Ursprung,  und  es  ist  interessant, 
einmal  das  Gewicht  mit  einem  in  Maßen  und  Buckelungen  genau  übereinstimmen- 
den Exemplar  (H.  G.  2139)  der  Ware,  die  jedenfalls  nicht  deutsch  ist,  zu  vergleichen. 
Die  deutsche  Schale  wiegt  ganz  bedeutend  schwerer:  933  gr-  gegenüber  815  gr. 

Hier  schließen  sich  zeitlich  die  Fayencen  des  Monogrammisten  SL  an,  die  durch 
Anzeichen  fränkischer  Herkunft  den  Nürnberger  Ursprung  der  früheren  deutschen 
Fayencen,  denen  sie  augenscheinlich  nahe  verwandt  sind,  beglaubigen.  So  zeigt  eine 
kleine  Schale^*)  vom  Jahre  1621  das  Wappen  des  oberfränkischen  Geschlechts  v.  Giech. 
Eine  Büchse  (H.  G.  2405)  mit  dem  sächsischen  Wappen,  datiert  16I8  (Abb.  3) 
stammt  wie  die  gleichartigen  Stücke  des  Kunstgewerbemuseums  in  Dresden 
wahrscheinlich  aus  der  Dresdener  Hofapotheke,  wo  noch  ähnliche  Gefäße  stehen.*®) 
Wenn  dies  nun  dieselbe  Apotheke  ist,  für  die  eine  Creußener  Büchse  der  Samm- 
lung V.  Lanna,  Prag,  mit  der  Inschrift  „H.  Jodicus  Muller  Apotheker  zu 
Dresden  1626"  gearbeitet  wurde,  so  dürfen  wir  vermuten,  daß  man  dort 
auch  acht  Jahre  früher  schon  die  Schaustücke  der  Offizin  aus  Franken  bezog. 
Überdies  kann  die  Form  als  autochthon  fränkisch  betrachtet  werden,  insofern  sie  zu  den 
von  Creußen  beständig  wiederholten  Typen  gehört  und  anderwärts  kaum  vorkommt. 
Da  die  älteste  uns  bekannte  eckige  Apothekenbüchse  aus  Creußen  erst  1622  datiert  ist 
(H.  G.  829*),  müssen  wir  die  Frage,  ob  Fayence  oder  Steinzeug  die  Priorität  des  Typus 
hat,  oder  ob  wieder  ein  Archetyp  von  Zinn  anzunehmen  wäre,  wie  in  den  vor- 
erörterten Fällen  offen  lassen.  Das  Metallmotiv  des  Kettenbelags  haben  die  Creußener 
Hafner  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  auch  anderweitig  gern  verwandt 
im  Einklang  mit  dem  damals  strengen  Charakter  der  Bossierung  und  die  Caryatide 
in  ganzer  Figur  (mit  einem  Gesicht  auf  der  Draperie  und  mit  dem  Brustkleinod) 
findet  sich  ähnlich  auf  einem  frühen  Creußener  Krug  der  Sammlung  Frohne, 
Kopenhagen  (vgl.  Anm.  48)  und  in  ganz  auffälliger  Übereinstimmung  der  Details 
(vgl.  etwa  die  Haartracht),  wenn  auch  weniger  zierlich,  auf  einem  Creußener  Krug 
des  Gewerbemuseums  in  Nürnberg  (Einzelabbildung:  Bayer.  Gewerbezeit.  VIII, 
S.  221).  Diesen  hat  C.  Friedrich  bereits  in  seinem  Werke  über  Hirsch vogel  ab- 
gebildet, ohne  von  der  Fayence  zu  wissen,  die  ihn  gewiß  zu  einem  Vergleich 
zwischen  seiner  und  der  heute  herrschenden  Stellung  der  Hirschvogelfrage  ver- 
anlaßt hätte. 

In  Betreff  etwaiger  Beziehungen  der  SL-Gruppe  zu  den  Incunabeln  ist  zu- 
nächst zu  bemerken,  daß  in  technischer  Hinsicht  die  Blaumalerei  der  Büchse  mit  ihrem 
frischen,  teilweise  pastosen  Farbenschmelz  u.  a.  der  Schüssel  von  1530  (H.  G.  352*) 
außerordentlich  ähnelt.    Die  Schale  von  1621  hat  das  Wappen  mit  der  Jahreszahl  in^- 


19)  Im  Besitz  des  Herrn  G.   H.  Lockner,  Würzburg. 

20)  Vgl.  Mitteil.  d.  Nordböhm.   Gewerbemus.  XXII,  S.  107. 


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31 


(H.  G.  2405)  Abb.  3. 

mitten  von  plastischen  Schuppen,  die  als  fünffacher  Kranz  die  ganze  Umgebung  des 
kleinen  Spiegels  füllen :  man  wird  an  die  datierten  Eulen  mit  ihren  Wappen  auf  dem 
Schuppengefieder  erinnert.  Schuppen  bilden  auch  einen  wesentlichen  Bestand- 
teil des  Ornaments  der  Büchse  (s.  in  der  Abb.  besonders  links  oben).  Dort  ist  die 
Innenzeichnung  der  einzelnen  Bogenlinien  durch  ein  Häkchen  in  Verbindung  mit 
Längsstrichelung  gegeben  und  wir  hätten  damit  den  Übergang  von  dem  Gefieder 
zu  dem  Schmuck  der  Schuppen  in  der  späteren  Schale,  der  nur  aus  mehreren  kon- 
zentrischen Häkchen  besteht.  Es  sei  hier  daran  erinnert,  daß  schon  der  Hamburger 
Teller  einen  Schuppenkranz  aufzuweisen  hat.  An  sich  sind  Schuppenverzierungen 
ja  ein  nicht  eben  selten  benutztes  Zubehör  des  allgemeinen  Omamentenschatzes 
der  Renaissance.  Immerhin  kann  festgestellt  werden,  daß  gerade  in  Hirschvogels 
Gefäßphantasien  Schuppenbildungen  verhältnismäßig  reichlich  auftreten,  und  es 
mag  wohl  sein,  daß  eben  die  fragliche  Beschäftigung  mit  Majoliken  (wenn  nicht  die 
Gläser- Schmelzmalerei)  den  Radierer  daran  gewöhnt  hatte.  —  Die  Büchse  von  1618 
(die  durch  das  Vorhandensein  von  Reliefdekor  an  die  von  Jacquemart  beschriebene 
Fayence- Eule  der  Sammlung  de  la  Herche  erinnert)  ist  auf  der  Schulter  mit  mehreren 
Ringlinien  umrandet,  an  welche  sich  ein  Kranz  von  kleinen  Halbkreisen  anschließt: 
ein  simples  Motiv,  das  in  der  Hirschvogelfrage  doch  eine  gewisse  Beachtung  ver- 
dient, insofern  es  der  Glasmalerei  des  16.  Jahrhunderts  (Wappenscheiben)  besonders 
eigentümlich  ist  und  seine  Beliebtheit  auf  diesem  Gebiete  durch  die  Technik  des 
Auskratzens  der  Farbe  natürlich  gewonnen  hat,  also  ein  eigentliches  Glasmalerei- 
ornament darstellt.  Solche  Rahmung  findet  sich  schon  in  gleicher  Weise  in  dem 
Hamburger  Teller  und  noch  auffälliger  in  der  Madonnenschüssel  von  1530.  Die 
Bogen  stoßen  immer  scharf  aneinander.  Auf  zwei  dem  mutmaßlichen  Schulzu- 
sammenhang der  genannten  Fayencen  femer  stehenden  Schalen  von  1584  (H.  G.  390) 
und  1596  (H.  G.  391)  —  beide  haben,    so    verschieden    sie    im  übrigen  sind. 


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32 


DEUTSCHE  KEKAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 


auch  eine  eigentümliche  Oliv-Mischung  von  Blau  und  Gelb  gemeinsam  —  ist  aus  dem 
Spitzenrand  eine  Wellenlinie  geworden. 

Ein  sicher  mit  Franken  verknüpftes  Bindeglied  der  SL-Gruppe  und  der  älteren 
Fayencen  bietet  die  unbezeichnete  kleine  Schale  H.  G.  2015*  mit  einem  ungerahmten 
hellblau  gemalten  Bischofswappen.  Es  ist  das  des  sehr  freisinnigen  Johann  Philipp 
V.  Gebsattel,  der  1 599  zum  Bischof  von  Bamberg  erwählt  und  im  gleichen  Jahre 
vom  Papst  bestätigt,  1600  vom  Kaiser  mit  den  Regalien  belehnt  wurde  und  bereits 
1609,  an  der  Pest,  starb.  ^^)  Auch  diese  Schale  zeigt  sich  in  der  Mache  der  Madon- 
nenschüssel von  1530  verwandt.  Hier  wie  dort  ist  die  Glasur,  besonders  auf  der  Rück- 
seite, z.  T.  in  dicken  Tropfen  rein  weiß  geflossen  und  stellenweise  scheint  der  Scherben 
leicht  rötlich  durch,  ferner  sind  die  Drehungsriefen  (bei  der  Schüssel  auf  der  Rück- 
seite, bei  der  Schale  vorn)  erkennbar.  Ähnlich  in  technischer  Hinsicht,  wiewohl 
schärfer  gedreht,  ist  auch  die  große  Schüssel  mit  dem  blauen  Brustbild  eines  Herrn 
vom  Jahre  1593  (H.  G.  369).  Der  Spiegel  hat  hier  wieder  die  vorerwähnte  Rahmung. 
Die  daran  angesetzten  Strahlenzipfel  können  an  die  Schulterschraffierung  der 
Sigmaringer  Ringflasche  erinnern,  wo  diese  Verzierung  wie  ein  abgeleitetes  Ornament 
aussieht  und  vielleicht  eine  Schüssel  mit  Strahlenbildung  ähnlich  der\on  1593  vor- 
aussetzt, wie  überhaupt  der  Ausfall  entscheidender  Zwischenglieder  der  Reihe  nicht 
stark  genug  in  Rechnung  gezogen  werden  kann. 

Durch  die  Liebenswürdigkeit  von  Charles  Hercules  Read  sind  wir  in  den 
Stand  gesetzt,  zur  Vervollständigung  noch  einen  Teller  des  Britischen  Museums 
abzubilden:  Abb.  4.*^)  Diese  wesentlich  in  Blau  (außerdem  in  Gelb  und  etwas 
Orange)  gemalte  Fayence  ist  datiert  1583,  10/Januarij.  Mit  der  Bezeichnung  CL 
(verschränkt)  scheint  sie  sich  als  ein  älteres  Produkt  der  späteren  SL- Firma  aus- 
zuweisen. Irren  wir  nicht  in  der  Konstruktion  eines  Zusammenhangs  zwischen 
der  letzteren  und  den  Werkstätten  von  Reinhard-Hirschvogel-Nickel,  so  kann  ein 
SL-Teller  des  Beriiner  Kunstgewerbemuseums  in  der  Hirschvogelfrage  Bedeutung 
gewinnen.  Dargestellt  ist  eine  allegorische  Figur  mit  der  Beischrift  rhetorica. 
Das  Bild  gehört  also  zu  einer  Folge  der  sieben  freien  Künste.  Wir  erinnern  uns 
hier  an  Neudörffers  Wort  von  Bildern  „antiquitetischer  Art".  Sollten  schon  die 
Nürnberger  Fayencen  der  30  er  und  40  er  Jahre  des  16.  Jahrhunderts  u.  a.  auch 
Themata  der  klassischen  Bildung  behandelt  haben?  Der  im  eigentlichen  Sinne 
„antiquitetisch"ste  unter  den  Nürnberger  Malern  jener  Zeit  war  Georg  Penz.  Wir 
dürfen  vermuten,  daß  dieser  Erzklassicist  einen  Einfluß  auf  die  Nickeische  Werk- 
statt ausübte.*')  In  den  Ratsveriässen  (Hampe  Nr.  2120  und  2209)  tritt  Georg 
Penz  1535  für  Augustin  Hirschvogel  und  Hans  Nickel  (die  Firma),  dann  1536 
für  Hans  Nickel  (den  damals  alleinigen   Inhaber)   als  Bürge  auf,  das  zweitemal 


21)  Diese  Angaben  verdanken  wir  Herrn  v.  Kohlhagen,  Bamberg,  Herausgeber  der 
„  Heraldisch. Genealogischen  Blätter**. 

22)  Man  wird  zur  Not  einige  Elemente  des  Randornaments  der  Madonnenschüssel  von 
1530  hier  wiederfinden:  den  undulierenden  Grundzug,  die  gegenständigen  Blätter  (s.  r.  oben) 
und  die  runde  Granat- Frucht  (?)  mit  einem  Büschel  von  drei  Blättern. 

23)  Penz  hat  auch  eine  Folge  der  sieben  freien  Künste  gezeichnet  (B.  HO— tl6):  sitzende 
Gestalten.    Die  schon  etwas  mißverstandene  Berliner  Rhetorica  (mit  einem  Mercurstab!)  steht. 


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33 


(London)  Abb,  4. 

unter  Garantie  auf  ein  Jahr.    So  möchte  ich  fast  annehmen,  daß  er  nach  Hirsch- 
vogels Weggang  vorübergehend  der  künstlerische  Beirat  des  Betriebs  gewesen  ist. 

Sind  die  SL- Fayencen  die  direkten  Abkömmlinge  einer  Nürnbergischen 
Industrie  des  16.  Jahrhunderts,  so  müssen  wir  eine  Gruppe  von  Schalen  mit 
gekräuseltem  Rand,  die,  jenen  gleichzeitig,  doch  wesentlich  von  ihnen  verschieden 
ist,  auf  eine  Nebenlinie  rücken.-*).  Die  Exemplare  des  Germanischen  Museums 
(H.  G.  370— 372  a)  tragen  die  Jahreszahlen  1613,  1618  und  I623.  Zugehörige 
Schalen  im  Münchener  National  -  Museum  sind  datiert  1610,  1617  und  1630, 
im  Berliner  Kunstgewerbe-Museum:  1623.  Bei  dem  ältesten  Stück  ist  die  Glasur  der 
Rückseite  fett  und  deckend,  bei  den  späteren  mager.  Die  Schale  v.  J.  1610  (mit  einer 
Darstellung  von  Adam  und  Eva)  ist  noch  in  guter  Majolikatechnik  spiegelnd  glatt  in 
Blau,  Grün,  Gelb  u.  Mangan  ausgeführt,  die  v.  J.  1630  (mit  einem  Vogel  zwischen  Blatt- 
stauden) ist  roh  und  rauh,  die  Farben  sind  schon  ganz  schlecht  eingebrannt.  Vielleicht 
stammt  diese  Serie  unmittelbar  von  italienischen  Majoliken  ab.  Man  vergleiche 
für  den  gekräuselten  Rand  etwa  die  Schale  Nr.  153  der  Sammlung  Spitzer,  mit  großem 
weiblichem  Brustbild  und  (italienischer)  Inschrift.  Die  allerdings  nicht  ganz  ein- 
heitliche Reihe«»)  ist  interessant,  insofern  sie  einmal  im  Zusammenhang  den  Übergang 
von  Majolika  zu  jener  Stufe  der  Bauemtöpferei  veranschaulicht,  die  wir  aus  Joh. 
Böhlaus  Veröffentlichung  gleichzeitiger   Erzeugnisse  einer  niederhessischen  Werk- 


24)  Der  Londoner  CL-Teller  könnte  zwischen  den  beiden  Gruppen  vermitteln. 

25)  Der  auf  einigen  Stücken  vorhandene  dünne  Kranz  mit  gegenständigen  Blättern  findet 
sich  schon  auf  der  1609  datierten  schweren  Schale  (ohne  gekräuselten  Rand)  mit  einer  weib- 
lichen Gestalt:  H.  G.  1552 


Mitteilungen  ans  dem  german.  Nationalrnnseum.    1906. 


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34  DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERBfANISCHBN  MUSEUM 


Stätte  kennen  gelernt  haben.  Von  den  dieser  Stufe  nicht  ferne,  aber  höher  stehenden 
Schweizer  Fayencen  des  17.  Jahrhunderts  besitzt  das  Museum  u.  a.  einen  schweren 
Winterthurer  Teller  mit  der  Autumnusallegorie,  H.  G.  5362,  (aus  der  Kollektion 
Gubler)  der  um  1625  zu  datieren  ist.  Auch  die  sächsischen  Teller  mit  malachit- 
grünen Blättern  auf  grauem  Grunde  seien  hier  genannt.  Vorhanden  sind  (in  der 
Sammlung  von  Bauern- Altertümern)  solche  von  I663,  1673,  1688,  I698  und  spätere. 
Auf  den  älteren  Tellern  ist  außer  Grün  noch  Gelb  angewandt.  —  Unter  den  öster- 
reichischen Halbfayencen  bemerkt  man  eine  Schüssel  (H.  G.  1553*)  mit  Hasen- 
geschichten aus  der  Tierfabel  zwischen  dunkelblauen  welligen  Bändern  die  sich 
überschneiden.  Dieselbe  entstammt  einer  Salzburger  Werkstätte  um  1680,  von  der 
A.  Walcher  v.  Molthein  kürzlich  einen  Teller  im  Museum  Carolino  Augusteum  in 
Salzburg  und  mehrere  Krüge  nachgewiesen  hat.  Ein  Krug  (in  Privatbesitz  in  Linz) 
ist  durch  die  Darstellung  der  Werkstatt  des  Hafners  Thomas  Obermillner  bezeichnet 
(vgl.  Kunst  u.  Kunsthandwerk  X,  S.  89  ff.)- 

Fayencen  mit  Schwarzlotmalerei  sind  im  Germanischen  Museum  noch  nicht 
so  reichlich  vorhanden,  wie  es  von  einer  Nürnberger  Spezialität  zu  erwarten  wäre. 
Ein  schönes  Stück  ist  die  gelappte  Schale  H.  G.  5156,*  mit  Brustbildern  des  Johann 
Harsdörffer  und  seiner  Ehefrau  sowie  einer  Reihe  von  Allegorien,  die  sich  auf  den 
Pegnesischen  Blumenorden  beziehen  und  somit  den  Nürnberger  Ursprung  der  feinen 
Malerei  verraten.  Das  Monogramm  des  Johann  Schaper,  der  seit  1640  etwa  in  Nürn- 
berg tätig  war  (man  vergleiche  die  Scheibensammlung  des  G.  M.)  und  im  Jahre 
1670  starb,  trägt  ein  birnförmiger  Krug,  H.  G.  4652,*  ebenfalls  mit  allegorischen 
Bildern.  Schaper  hat  hier  auf  eine  Narbe  der  Glasur  eine  Fliege  aufgemalt,  wie  das 
später  Meißen  den  Japanern  nachmachte. 

Der  Nürnberger  Schmelzdekorateur,  der  in  gewisser  Beziehung  als  ein 
Vorläufer  der  Porzellanmaler  gelten  kann,  Abraham  Helmhack,  ist  mit  zwei 
großen  Enghalskrügen  (H.  G.  6084,  6085)  und  —  eine  Seltenheit  -—  mit  einem 
Teller  (H.  G.  1603*)  vertreten,  der  verwandte  Monogrammist  W  R  nur  mit 
einem  kleinen  Enghalskrug  (H.  G.  5047).  Die  Darstellung  des  letzteren  ist  eine 
von  grünen  Palmzweigen  gerahmte  bunte  Türkenschlacht  unter  lichtblauem  Himmel, 
spiegelnd  glatt  gebrannt.  Für  die  Frage  nach  den  Vorbildern  dieses  Malers  ist  das 
„livre  nouveau  de  fleurs  trös-util  pour  l'art  d'orfevrerie  et  autres"  von  Nikolaus 
Cochin  (Paris,  1645)  in  Betracht  zu  ziehen.  Mit  der  Türkenschlacht  des  Kruges  läßt 
sich  die  sehr  ähnliche  Mittelgruppe  (s.  das  aufbäumende  Pferd  nach  r.  und  den 
Flüchtling,  der  mit  vorgestreckten  Armen  nach  rechts  eilt)  auf  Blatt  2  der  Folge 
vergleichen.  —  Der  Monogrammist  W  R  scheint  in  den  80er  Jahren  des  17.  Jahr- 
hunderts geblüht  zu  haben.  Helmhacks  Tätigkeit  reicht  von  dieser  Zeit  bis  in 
das  dritte  Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts  hinein.  Ausweislich  des  Totenbuchs 
der  Nürnberger  Glasermeister,  das  im  Germanischen  Museum  bei  den  Zunftalter- 
tümern aufbewahrt  wird,  ist  er  geboren  zu  Regensburg  1654,  kam  aufs  Handwerk 
1668,  ward  freigesprochon  I672,  erlangte  das  Meisterrecht  1678  (erwarb  das 
Bürgerrecht  in  Nürnberg  1680),**^)  wurde  zum  Geschwornen  erwählt  1688,  1695 
und    1707    und    starb    1724,    seines    Alters    70    Jahr.      Dem  Andenken    des 


26)  Vgl.   das  Bürgerbuch  im  Kgl.  Kreisarchiv.     Herr  Dr.  Th.  Hampc   war  so  liebens- 
würdig, mir  die  Einsicht  seiner  daraus  genommenen  Excerpte  zu  gestatten. 


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FAYENCE 


35 


Glasermeisters  Ferdinand  Waldt,  bei  dem  er  in  Nürnberg  (nach  Doppelmayr) 
1673  Arbeit  nahm,  hat  er  1675  ein  Blatt  radiert.  Der  Blumenzweig,  der  das 
Porträt  umgibt,  zeigt  noch  nicht  die  auf  den  späteren  Krügen  (H.  G.  6084,  6085) 
erreichte  Freiheit,  die  den  großen,  in  ungemein  zartem  Relief  gehaltenen  Schnitt- 
blumen eines  gleichzeitigen  Nürnberger  Zinngießers  S.  L.  oder  S.  J.  (schönes  Bei- 
spiel der  breitrandigen  Teller:  H.  G.  461,  vgl.  auch  Collection  Ritleng  Nr.  86  und 
Zinncimelien  der  Sammlung  Kahlbau  PI.  XIII)  nichts  nachgibt.  Die  Blumen- 
malerei ist  überhaupt  Helmhacks  Vorzug.  Seine  Leistungen  in  dieser  Spezialität 
lassen  es  wohl  begreiflich  erscheinen,  wenn,  wie  Doppelmayr  sagt,  curieuxe  Lieb- 
haber von  ihm  gemalte  Gefäße  begehrten.  Das  Figürliche  ist  weniger  seine  Sache. 
Der  Teller  (H.  G.  1603*)  zeigt  in  der  Mitte  eine  braunschwarz  gemalte  Schäferszene 
(spiegelnd  gebrannt)  und  am  Rande  Ranken  in  derselben  Farbenstimmung  wie 
einige  der  kolorierten  Ornamentstiche, *^)  die  Helmhack  bei  Weigel  in  Nürnberg  ver- 
legt hat,  nämlich  Hellgelb,  Lichtgrün,  violettes  Carmin  und  Hellblau,  die  beiden 
letzteren  Farben  außerdem  gemischt.  —  Unbezeichnet  ist  ein  mit  dem  Wappen 
dar  Nürnberger  Patrizierfamilie  Haller  versehener  großer  Enghalskrug  (H.  G.  171) 
mit  Purpurmalerei,  dessen  Ornamentik  an  das  „Laubwerk"  Helmhacks  (Weigelscher 
Verlag  Nr.  173)  erinnert.  Die  Montierung  hat  die  Marke  eines  Nürnberger  Gold- 
schmieds H.  H.  (Rosenberg  1387),  von  dem  die  hiesige  Johanneskirche  datierte  Ar- 
beiten von  1698  und  1709  bewahrt.  —Daß  „feine"  Krüge  mit  Purpurmalerei  auch 
in  Frankfurt  hergestellt  wurden,  hat  H.  v.  Trenkwald  aus  einem  Inventar  der 
Fehr'schen  Manufaktur  (I693)  nachgewiesen.  Der  Meister  des  kleinen  Enghals- 
kruges (H.  G.  5537)  mit  gut  gezeichneter  Szene  in  Purpur  (Loth  und  seine  Töchter) 
muß  noch  bestimmt  werden. 

Im  übrigen  bedarf  die  Gruppe  der  Nürnberger  Schmelzmalereien  der  Er- 
gänzung. So  fehlen  die  Monogrammisten  J.  L.  F.  und  M.  S.  Ersterer,  den 
Direktor  Brinckmann  mit  dem  Glasmaler  Johann  Ludwig  Faber  identifiziert 
hat,  scheint  allerdings  nicht  in  Nürnberg  selbst  gearbeitet  zu  haben.  Doppel- 
mayr erwähnt  Faber  als  Schüler  des  im  Jahre  1670  verstorbenen  Nürnberger  Glas- 
malers Georg  Guttenberger  und  bemerkt,  daß  er  sich  außerwärts  als  guter 
Künstler  in  der  Glasmalerei  erwiesen.  Von  ihm  je  ein  Krug  mit  Schwarzlot- 
malerei im  Hamburger  Museum  (bez.  L.  F.  1682)  und  im  National-Museum  in 
München  (bez.  J.  L.  F.  1688).  Von  dem  Monogrammisten  M.  S.  besaß  Pickert  in 
Nürnberg  (Katalog  1881  Nr.  25  m.  kleiner  Abb.)  einen  großen  Enghalskrug  mit  einer 
bunten  Darstellung.  Bezeichnete  Arbeiten  desselben  Malers  waren  auch  in  der 
Historischen  Ausstellung  in  Nürnberg  (I9O6)  und  in  der  Keramischen  Ausstellung 
des  Nordböhmischen  Gewerbe-Museums  in  Reichenberg  (1902).  Er  dürfte  identisch 
sein  mit  einem  gewissen  M.  Schmid,  der  sich  (nach  Bucher)  1722  auf  einem  in 
Purpur  dekorierten  Kruge  nennt. 

Das  Material,  das  diese  Hausmaler  als  Grund  verwendet  haben,  ist  von 
verschiedener  Art.  Man  vergleiche  etwa  mit  dem  Schaperkrug  den  jüngeren  Helm- 
hackteller: dieser  sehr  dünn  gedreht,  aber  in  der  Glasur  bläsig  und  von  etwas 
grünlicher  Färbung,  jener  solid,  technisch  vorzüglich,  mit  tadellos  milchiger  Glasur, 

27)  Herr  Prof.  Jessen  war  so  gütig,  uns  zum  Vergleich  das  kolorierte  Berliner  Exemplar 
herzuleihen. 


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3Ö  DBUISCHK  KERAIUK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 

die  einen  leichten  Stich  ins  Rötliche  hat.  Von  gleicher  Fayence  wie  der  Krug  ist 
der  im  Spiegel  mit  einer  Allegorie,  am  Rande  mit  steifem  Kranz  von  langstieligen 
Blumen  in  Schwarzlot  etwas  gröblich  bemalte  Teller  H.  G.  1604*  (ohne  Bezeichnung). 
Der  Gewichtsunterschied  der  beiden  Teller,  bei  gleichem  Durchmesser,  ist  beträcht- 
lich. Der  Helmhacks  wiegt  346  gr.,  der  andere  512  gr.  Offenbar  kommen  für  dies 
Weißgeschirr  verschiedene  Bezugsquellen  in  Betracht  (vgl.  Jahresbericht  19O6  des 
Museums  f.  Kunst  u.  Gewerbe  in  Hamburg,  S.  37). 

Seit  1661  hat  in  Hanau,  seit  1666  auch  in  Frankfurt  eine  Fayencefabrik  be- 
standen. R.  Jung  und  H.  v.  Trenkwald  haben  deren  Geschichte  dargestellt. 
Wesentlich  jünger  sind  die  nächstältesten  Fabriken  von  Ansbach  und  Nürn- 
berg. Das  Gründungsjahr  der  ersteren  ist  unbekannt.  Eine  Verfügung  des 
Markgrafen  Wilhelm  Friedrich,  datiert  vom  4.  April  1712,  konstatiert,  es  befinde 
sich  das  in  dem  Ansbachischen  Porcellain  Hauß  fabricierte  Porcellain  nunmehro  in 
einer  solchen  Qualität  und  Güte,  daß  es  jedermann  vor  tüchtiger  und  besser  denn 
Frankfurter  und  Hanauer  Gut  erkennen  könne.*®)  Demnach  war  das  Unternehmen 
damals  bereits  über  den  ersten  Anfang  hinaus.  Daß  die  Fabrik  schon  im  Jahre  1710 
im  Gange  war,  zeigt  ein  Eintrag  des  Onoltzbachischen  Totenregisters  vom  Jahre  1710 
—  in  den  Matrikeln  des  Pfarramts  in  Ansbach,  denen  ich  auch  die  weiteren  neuen  An- 
gaben entnehme  —  wo  d.  20.  May  ein  Kind  des  Bortslin  Mahlers  Joh.  Kaspar  Rüpp 
verzeichnet  steht.  Wenn  wir  diesen  Fayencemaler  zusammenbringen  dürfen  mit 
dem  Hanauer  Porcellainfabrikanten  Joh.  Kaspar  Ripp,  der  sich  1712  mit  den 
drei  berechtigten  Venediger  Glas-  und  Krughändlern  in  Nürnberg  zum  Behufe  der 
Gründung  einer  Fayencefabrik  associierte  und  wahrscheinlich  mit  dem  Frankfurter 
Fayencemaler  Kaspar  Ripp  aus  Hanau*')  identisch  ist,  so  stellt  sich  uns  in  dem 
Itenerar  einer  Person  der  Stammbaum  der  vier  Fabriken  dar. 

Auch  der  Begründer  des  Betriebs  in  Ansbach  ist  in  dem  dortigen  Totenbuch 
genannt:  1725,  7.  Aug.:  Mathäus  Bauer,  Porcelain- Verwalter,  welcher  die  Kunst 
Porcelain  zu  machen  allhier  erfunden,  und  die  hiesige  Fabrique  aufgerichtet  hat, 
54  J.  a.^^)  Ein  Schwiegersohn  Bauers  war,  ausweislich  des  Onoltzbachischen  Hoch- 
zeitsregisters vom  Jahre  1729  (22.  Febr.)  der  Porcelain-Mahler  Valentin  Bontems,  des 
Gerhard  Bontems,  auch  Porcelain-Mahlers,  Sohn,  jedenfalls  derselbe,  der  am 
3.  März  des  nämlichen  Jahres  in  Nürnberg  erscheint.  Signiert  „d.  12  8br.  Ao 
1739  Valentin  Bontemps"  ist  ein  „Humpen  in  mattem  Email  mit  einem  Handwerks- 
wappen in  harten  Tönen",  den  Jännicke  beschreibt,  ohne  den  Aufbewahrungsort 


28)  Vgl.  W.  Stieda,  Die  keram.  Industrie  in  Bayern  während  des  18.  Jahrhunderts 
(Leipzig  1906),  S.  9. 

29)  R.  Jung  (im  Archiv  für  Frankfurter  Geschichte  und  Kunst,  1901,  S.  241  hat  über  ihn 
folgende  Daten  ermittelt:  geboren  1681,  heiratet  1702,  läßt  (in  Frankfurt)  1703— 1708  mehr- 
mals taufen,  stirbt  (in  Frankfurt)  1726.  Diese  Daten  lassen  sich  mit  der  Annahme  eines  Ans- 
bacher und  Nürnberger  Aufenthalts  wohl  vereinen.  Jung  macht  darauf  aufmerksam,  daß  Abraham 
Ripp.  1742  Porzellain-Macher  in  Fulda,  wohl  ein  Verwandter  von  Kaspar  Ripp  sei.  —  Auch  in 
der  Fayencefabrik  zu  St.  Georgen  bei  Bayreuth  war  ein  Maler  namens  Ripp  beschäftigt  (vgl.  Bayer. 
Gewerbezeit.  1893,  S.  327). 

30)  Es  sei  dahingestellt,  ob  etwa  die  Marke  MB  (verbunden)  des  Kühlbeckens  mit  Blau- 
malerei H.  G.  2518  auf  Mathäus  Bauer  zu  beziehen  ist.  Vgl.  über  ihn  noch  „Kunst  u.  Ge- 
werbe" XXI,  258. 


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FAYENCE 


37 


anzugeben.  Die  genaue  Datierung  entspricht  Nürnbergischem  Brauch.®^)  Zu  Beginn 
der  40er  Jahre  finden  wir  (Johann)  Valentin  Bontems  dann  als  Braun-Porcelain- 
Fabricanten  in  Ansbach  wieder. 

Einen  zweiten  Schwiegersohn  von  Mathäus  Bauer  lernen  wir  in  Georg 
Christian  Oswald  kennen,  der  im  Jahre  1720  (25.  Apriiy  als  Porcelain- 
Fabrique-Adjunctus  heiratete  und  sieben  Jahre  später  (25.  April  1727  Tod  eines 
Kindes)  bereits  Verwalter  der  Fabrik  war,  als  solcher  1728  (Mitte  März)  die 
erste  Frau  verlor  und  1729  (5.  September)  zum  zweitenmal  heiratete.  1734  war 
er  bereits  verstorben.  Oswalds  Witwe  ging  damals  eine  Ehe  ein  mit  seinem  Nach- 
folger, dem  Porcellainverwalter  Johann  Georg  Köhnlein,  der  in  gleicher  Eigen- 
schaft noch  in  dem  Hochfürstlich  Brandenburg.  -  Onoltzbachischen  Adress-  und 
Schreib-Calender  auf  das  Jahr  1737  aufgeführt  ist. 

Das  Germanische  Museum  bewahrt  einen  „G.  Oswa  1713"  bezeichneten  tiefen 
Teller:    H.  G.  3824  (Abb.  6),   der   übereinstimmend   noch   dreimal   in   Gräflich 


31)  Der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Direktors  H.  v.  Trenkwald  verdanken  wir  eine 
Photographie  des  Tellers  im  Frankfurter  Kunstgewerbe-Museums,  der  mit  „J.  J.  (unklar  ver- 
schlungen) Bontemps  A®  1716"  bezeichnet  ist  (Abb.  5).  Das  Ornament  (Spiegelrahmung  und 
äußerer  Rand)  wiederholt  sich  genau  in  dem  Teller  H.  G.  387  (mit  einer  Darstellung  des  Besuchs 
Christi  bei  Maria  und  Martha,  vom  eine  Küche),  der  die  Signatur  G.  K.  trägt  und  jedenfalls  der 
Nürnberger  Schule  zugehört.  Doch  ist  er  nicht  auf  Georg  Kordenbusch  zu  beziehen,  da  hier  (wo- 
rauf mich  Herr  Direktor  Brinckmann  gütigst  aufmerksam  machte)  die  obligaten  drei  Punkte  der 
Kordenbusch-Signatur  fehlen. 


(Frankfurt)  Abb.  5. 


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38 


(H.  O.  3824)  Abb.  6. 

Giech'schem  Besitz  vorkommt.  Die  Blaumalerei  ist  schwarz  konturiert,  mit  Aus- 
nahme des  Rankengewirrs.  Gleichartige  Fayencen  sind  in  der  städtischen  Altertums- 
sammlung in  Würzburg.  Das  gekräuselte  Ornament  hat  auch  der,  speckig  und 
bläulich  glasierte,  einzelne  Deckel  H.  G.  1628,  auf  dem  der  Hohenlohesche  Löwe 
hockt  als  Träger  der  Wappenschilde  von  Hohenlohe  und  Öttingen.  Der  zugehörige 
Becher  ist  nicht  vorhanden.  Vollständige  Exemplare  auf  Schloß  Langenburg  (in 
Württembergisch- Franken)  und  im  Staatsmuseum  in  Stuttgart.*')  Das  erstere  ist  nicht 
bezeichnet,  das  letztere  hat  unten  die  Buchstaben  0  S  und  im  Deckel  O  S  W  1714. 
Die  Bestellung  dieser  Ausstattungsstücke  war  wohl  von  der  Familie  der  Braut, 
also  von  Öttingischer  Seite  ausgegangen,  und  da  wir  von  keramischen  Beziehungen 
zwischen  Öttingen  und  Ansbach  wissen  -—  für  die  Fürstlich  Öttingische  Fayence- 
fabrik wurden  im  Jahre  1735  Angestellte  des  Onoltzbacher  Betriebs  engagiert 
(vgl.  Keram.  Monatshefte  1905,  S.  997)  —  so  wäre  hier  ohnehin  zunächst  an 
Ansbach  zu  denken.  Die  Signaturen  0  S,  OS  W  und  G.  Oswa  können  daher  unbe- 
denklich auf  den  genannten  Georg  Christian  Oswald  bezogen  werden. 

Noch  unter  Oswalds  Direktion,  wenn  nicht  schon  zu  Mathäus  Bauers  Zeit, 
scheint  die  Ansbacher  Manufaktur  nach  Mustern  vonRouen  gearbeitet  zu  haben.'") 


32)  Auf  die  Becher  in  Langenburg  und  Stuttgart  haben  mich  die  Herren  G.  H.  Lockner 
und  A.  Stöhr  in  Würzburg  freundlichst  aufmerksam  gemacht.  Die  näheren  Angaben  verdanken 
wir  der  Schloßverwaltung  in  L.  und  der  Museumsdirektion  in  St. 

33)  Versuchsweise  möchten  die  beiden  Platten  mit  Rouendekor  H.  G.  427*,  die  den  Eindruck 
von  Versuchsstücken  machen,  für  Ansbach  in  Anspruch  zu  nehmen  sein.  Ihre  Marke  (B  mit  einem 
Anstrich)  ließe  sich  in  diesem  Sinne  deuten.  Wenn  nämlich  die  Nürnberger  Fayencemarke  aus 
den  aneinandergelehnten  Buchstaben  NB  besteht,  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß  vorher 
schon  eine  analog  aus  den  Anfangsbuchstaben  der  beiden  Silben  des  Stadtnamens  gebildete 
Ansbacher  Fayencemarke  (Ligatur  AB)  existierte.  Es  wäre  nicht  das  einzige  Beispiel,  daß  eine 
Fabrik  von  der  älteren  Konkurrenz  das  Prinzip  der  Markierung  übernimmt. 


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FAYENCE 


39 


Jacquemart  beschreibt  „un  magnifique  surtout  de  table  appartenant  ä  M. 
Edouard  Pascal;  il  est  omd  de  moulures  dl^gantes  et  dteord  en  camaieu  bleu  de 
bordures  et  lambrequins  dans  le  style  de  Rouen.  En  dessous  entre  les  baguettes 
de  renfort  appliqutes  pour  soutenir  la  tab*lette,  est  rinscription :  Mathias  Rosa  im. 
Anspach."  Von  diesem  Maler  dürfte  auch  der  ä  la  Rouen  dekorierte  Untersatz 
H.  G.  1606*  herrühren :  bezeichnet  M  R  (verbunden,  das  R  links  oben  offen  wie  in  dem 
von  Jacquemart  mitgeteilten  Facsimile).  Ein  anderer  Träger  des  in  Ansbach  häufigen 
Namens:  Johann  Lorenz  Rosa,  „Porcelain"-Mahler,  ehelichte  1728  (1.  Nov.)  eine 
Schwester  des  Bossierers  und  „Porcelain"-Drehers  Johann  Leonhard  Popp.  Kinder 
von  ihm  stehen  1736  (5.  Juni)  im  Totenregister. 

Ein  Fayencemaler  namens  Johann  Georg  Taglieb  läßt  sich  von  1722—1734 
in  Ansbach  nachweisen.  Heirat:  1722  (9-  Juni);  Tod  von  Kindern:  1723  (14.  Nov.), 
1724  (14.  Aug.),  1728  (19-  Aug.),  1734  (11.  Juni);  Tod  der  Frau:  1734  (25.  Juni). 
Es  ist  wahrscheinlich  derselbe  Johann  Georg  Taglieb  —  nach  dem  Tod  von  Frau 
und  Kindern  mochte  ihm  die  alte  Heimat  verleidet  sein  —  der  später  in  Rör- 
Strand  (vgl.  Brinckmann,  Führer  S.  358)  auftaucht.  Als  zweiter  Nachfolger  des  eben- 
falls aus  Deutschland  gekommenen  Johann  Wolff,  der  wohl  mit  dem  gleichnamigen 
„Porcellain"-Mahler  identisch  ist,  welchem  im  Jahre  1717  in  Nürnberg  auf  der 
„Porcellain"-Fabrikanten  Vorbitte  der  Schutz  auf  ein  halbes  Jahr  verstattet  wurde, 
war  Johann  Georg  Taglieb  von  1739—1741  Leiter  der  schwedischen  Manufaktur 
und  hat  daselbst  (nach  einer  freundlichen  Mitteilung  von  Reichsantiquar  Dr.  Hans 
Hildebrand,  Stockholm)  vornehmlich  Blumen  und  Blätterzweige  in  camaleu-blau 
gemalt.  Auch  wurde  gerade  während  dieser  Periode  in  Rörstrand  der  Rouendekor 
gepflegt,  auf  den  sich  T.  in  Ansbach  hatte  einarbeiten  können.  Noch  aus  seiner 
deutschen  Zeit  stammt  ein  mit  dem  vollen  Namen  „Taglieb"  signierter  Enghals- 
krug, mit  gewundenem  Bauch  und  Zopfhenkel,  im  Gewerbemuseum  in  Nürnberg 
(VII L  524).  Die  Malerei  zeigt  auf  kleisterbläulichem  Grund  kleine  hellblaue  Vögel 
und  (z.  T.  dunkle)  Blümchen.  Dieser  bekannte  Typus,  den  auch  Bayreuth  ver- 
wendete, ist  im  Germanischen  Museum  vertreten  durch  mehrere  gleichartige  Exem- 
plare ohne  Bezeichnung.  Denselben  Dekor  hat  auch  die  gewellte  Schüssel  H.  G.  2098 
die  das  Wappen  der  Nürnberger  Familie  Volckamer  enthält,  also  wahrscheinlich 
für  Nürnberg  beansprucht  werden  darf.  In  Frankfurt  gilt  solche  Ware  als  einhei- 
misch und  es  mag  wohl  sein,  daß  die  jüngeren  Konkurrenzfabriken  das  Muster 
dorther  haben. 

Ob  auch  die  Marke  T.  des  Tellers  H.  G.  1573*  ^luf  Taglieb  zu  beziehen  ist,  steht 
dahin.  Die  vorzügliche' Blaumalerei  gibt  ein  ostasiatisches  Vorbild  wieder  und  der 
genarbte  Rand  erinnert  an  die  bunten  Fayence-Nachahmungen  der  chinesischen 
famille  verte:   das  früher  sogenannte  Rehweiler  Fabrikat. 

Als  vor  fünf  Jahren  die  erste  Bestimmung  der  „Fayencen  der  grünen 
Familie",  die  „den  feinsten  und  schönsten  im  18.  Jahrhundert  in  Deutschland 
erzeugten  Fayencen  zuzuzählen  sind",  als  unhaltbar  zurückgezogen  wurde  —  die 
Ware  ist  nicht  weniger  denn  ein  halbes  Jahrhundert  älter  als  die  Castell'sche 
Manufaktur  —  geschah  es  in  der  Voraussicht,   daß   sich  wahrscheinlich  Ansbach 


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40  DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 


als  eigentlicher  Herkunftsort  künftig  noch  herausstellen  werde.  (Vgl.  Jahresbericht 
1903  des  Museums  f.  Kunst  u.  Gewerbe  in  Hamburg.)  Es  ist  dann  weiter  be- 
merkt worden  (vgl.  Gustav  E.  Pazaurek,  Keramik  des  Nordböhm.  Gewerbe- 
museums, Reichenberg  1905,  S.  24  f.)/  daß  der  früher  für  denjenigen  von 
Gasten  gehaltene  quadrierte  Schild,  der  sich  u.  a.  auf  der  Rückseite  des  Tellers 
H.  G.  3836  findet,  auch  das  HohenzoUemwappen  von  Ansbach  bedeuten  kann. 
Denn  da  der  Schild  uni  (nur  in  rot)  gemalt  ist,  spielt  die  Farbe  keine  Rolle.  — 
0er  zu  der  Gruppe  gehörige  Henkeltopf  H.  G.  2256  zeigt  das  große  22-feldrige 
Wappen  von  Brandenburg-Bayreuth.  Man  hat  daher  auch  an  St.  Georgen  ge- 
dacht, wo,  wie  es  scheint,  schon  um  1740  eine  in  manchem  Betracht  ähnliche 
Ware  hergestellt  worden  ist.  Doch  gebührt  Knöller  keinesfalls  die  Priorität. 
Denn  die  älteren  „Fayencen  der  grünen  Familie"  stammen  tatsächlich  aus  Ans- 
bach. Die  dortige  Manufaktur  begann  mit  diesem  Artikel  wie  es  scheint  zur  Zeit 
des  Wechsels  in  der  Verwaltung,  um  1730.  Wesentlich  daran  beteiligt  war  Georg 
Christoph  Popp,  der  schon  1722  in  Ansbach  nachweisbar  ist  (Hochzeitsregister, 
18.  Mai).  Seine  junge  Frau,  23 jährig,  steht  noch  in  dem  gleichen  Jahre  im  Toten- 
buch (15.  Dez.).  Damals  war  Popp  nur  „Porcellain"-Mahler.  1737  führt  ihn  der 
Hochfürstl.  Brandenburg.-Onoltzbachische  Adreß-  und  Schreib-Calender  schon  neben 
dem  „Porcellain"- Verwalter  Johann  Georg  Köhnlein  als  „Porcellain"-Gegenschreiber 
auf.  In  dieser  Eigenschaft  erscheint  er  ebendort  noch  1742.  Von  1747  ab  finden 
wir  ihn  in  dem  Calender  als  „Porcellain"-Verwalter.  1769  erwarb  er  die  Fabrik 
eigentümlich  und  erhielt  den  Titel  eines  Commercien-Commissarius.  Als  solchen  führt 
ihn  der  Calender  dann  seit  1770  neben  Johann  Gottfried  Popp,  gleichfalls  Commer- 
cien-Commissarius. 1791  war  er  anscheinend  nicht  mehr  am  Leben.  (Der  Calender 
des  Jahres  verzeichnet:  Bey  der  Faience-Fabrique:  Hr.  Johann  Julius  Popp,  Com- 
mercien-(i>mmissarius;  Hr.  Georg  Ludwig  Popp,  (i>mmercien-(i>mmissarius).  Georg 
Christoph  Popp  hat  es  also  noch  weiter  gebracht  als  Georg  Christian  Oswald.  —  Sig- 
nierte Arbeiten  von  ihm,  mit  f amille-verte-Dekor,  finden  sich  in  verschiedenen  Samm- 
lungen. Im  Germanischen  Museum  ein  Enghalskrug  (H.  G.  4627)  mit  der  Be- 
zeichnung P  1732.  Deutlicher  ist  die  Signatur  eines  Cylinderkruges  mit  Chinesen, 
im  Münchener  National-Museum:  PO:  1734.  Die  Eigentümlichkeit,  den  Namen 
nicht  auszuschreiben,  aber  groß,  haben  wir  schon  bei  Oswald  festgestellt.  Auch  die 
Vornamen  gibt  eine  Marke,  die  Jännicke  (M.  V.  1342)  auf  einem  jedenfalls  der  grünen 
Familie  angehörigen  „Humpen  mit  mattem  Email  (bunte  Verzierung  in  harten, 
mit  Schwarz  schattierten  Farben)"  gelesen  hat:   G.  C.  P.  1730. 

Aus  der  Sammlung  Paul  (Katalog  Nr.  265)  wurde  der  bimförmige  famille- 
verte-Krug  H.  G.  186  erworben.  Die  Bezeichnung  VZ  —  es  ist  kein  Punkt 
zwischen  den  Buchstaben  —  beziehe  ich  auf  einen  Namensvetter,  Landsmann  und 
Zeitgenossen  des  bekannten  Odendichters,  auf  den  „Porcellain"-Maler  Johann  Leon- 
hard  Uz,  der  am  20.  Mai  1727  in  Ansbach  heiratete  und  dort  gelegentlich  des  Todes 
von  Kindern  auch  1728  (16.  Sept.)  und  1736  (16.  Sept.)  noch  vorkommt.  Wie  bei 
den  technisch  ähnlichen  Arbeiten  der  älteren  Schmelzmaler  steht  die  Signatur 
hier  am  Ansatz  des  Henkels.  Aus  der  Gepflogenheit,  Krüge  auf  dem  schmalen 
Henkel   zu  bezeichnen,  erklärt  sich  auch  die  ungewöhnlich  winzige  Signatur  des 


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FAYENCE 


41 


zur  grünen  Familie  gehörigen  Tellers  H.  G.  28  (auf  der  Unterseite,  am  Bodenrand). 
Es  ist  ein  M.,  wohl  die  Abkürzung  von  Meyerhöfer.^*) 

Wir  mußten  etwas  länger  bei  der  Ansbacher  Manufaktur  verweilen,  weil  sie 
in  der  Geschichte  der  süddeutschen  Fayenceindustrie  eine  wesentliche  Rolle 
gespielt  hat.  Besonders  nachhaltig  scheint  Bayreuth  von  ihr  beeinflußt  worden 
zu  sein.  Auf  die  Verwandtschaft  Knöllerscher  Fabrikate  mit  der  famille-verte  hat 
neuerdings  Pazaurek  hingewiesen.  Es  erübrigt  sich  daher,  hier  darauf  näher 
einzugehen.  Nur  der  in  Muffelfarben  bemalte  Cylinderkrug  H.  G.  184*  sei  besonders 
erwähnt.  Dieses  Cabinetstück  ist  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  den  Buntmaler  J.  Chr. 
Danhof  er  zu  beziehen,  der  im  Jahre  1737  von  Wien  nach  St.  Georgen  (vgl.  Fr.  Hof- 
mann,  Die  Kunst  am  Hofe  der  Markgrafen  von  Brandenburg  fränk.  Landes, 
1901,  S.  234)  übersiedelte.  Die  Ornamentik  (vergl.  besonders  die  Halbrosette  mit 
strahlender  Mitte)  und  der  Charakter  der  Chinesenszene  erinnern  sehr  an  Porzellane  der 
Periode  du  Paquiers.  Weitere  Fayencen  wurden  Danhofer  kürzlich  von  E.  W.  Braun 
zugeschrieben. 

Der  Nürnberger  Manufaktur  werden  die  wesentlichsten  Anregungen  anfangs 
durch  den  genannten  Kaspar  Ripp  von  Hanau-Frankfurt  gebracht  worden  sein. 
Da  die  Erzeugnisse  dieser  Manufakturen  jedoch  schwer  bestimmbar  sind,  tappen 
wir  in  Hinsicht  auf  die  Frühzeit  Nürnbergs  im  Dunkeln  (vgl.  Anm.  31). 
Der  von  Jännicke  (S.  953)  abgebildete,  unbezeichnete,  aber  wohl  sicher  hierher  ge- 
hörige Teller  vom  Jahre  1720  mit  dem  Selbstbildnis  eines  sonst  in  Nürnberg  nicht 
nachgewiesenen  Fayencemalers  namens  Christoph  Andreas  Leitzel  (H.  G.  2007)  im 
Charakter  der  gleichzeitigen  Fabrikherrenbilder  von  Tauber  (Beriin,  Hamburg)  zeigt, 
daß  damals  in  Nürnberg  die  in  manchen  Sammlungen  als  Hanau  geltenden  Schüsseln 
mit  geteiltem  Rand  hergestellt  wurden:  Leitzel  hat  gerade  eine  solche  Schüssel  in 
Arbeit.    Der  Frühzeit  Nürnbergs  zuzurechnen  ist  wohl  auch  das  große  gebuckelte 


34)  Johann  Mathias  Meyerhöfer,  „Porcelain- Staffierer  und  Verzierer'*  (so  im  Hochzeits- 
register, wo  begreiflicherweise  mit  Titeln  und  Würden  nicht  gekargt  wird)  heiratet  1719,  11-  April; 
Kinder  von  ihm  stehen  im  Totenbuch  1728,  9-  Sept.  und  17-  Sept.  —  Johann  Wolfgang  Meyer- 
höfer, „Porcelain-Mahler  und  Vergülder"  heiratet  1724,  12.  Sept.  Ein  Kind  von  ihm  im  Toten- 
buch 1726,  12.  Aug.  —  Ein  Kind  eines  „Porcellan"-Malers  Meyerhöfer  (Vorname  fehlt)  steht  1734 
im  Totenregister  (18.  Juni).  —  Ich  notiere  noch  folgende  Namen  von  Ansbacher  Fayencemalern: 
Georg  Balthasar  Bürckenkopf:  Kinder  im  Totenregister  1726,  20.  Sept  und  22.  Dezbr.; 
im  Totenregister  1730,  7-  Juni  noch  der  Eintrag:  Georg  Balthas.  Bürkenkopf  gewesener 
Bortslin  Mahler  alhier:  ein  Söhnlein,  7  Monat.  —  Jeremias(?)  Bütsch:  Kind  im  Totenreg. 
1727,  10.  Nov.  —  Jo.  Paul  Förster:  heiratet  1733,  27.  April.  —  Georg  Hahn:  seine  Witwe 
heiratet  den  „Porzellan"mahler  Johann  Herrmann  Mayer  (vgl.  S.  38,  und  Keram.  Monats- 
hefte 1905,  S.  99  f.)  1733,  2.  Juni.  —  Johann  Jakob  Hahn,  Sohn  des  „Porcelain"- Brenners 
Johann  Georg  Hahn,  heiratet  1726,  22.  Okt.;  ein  Kind  im  Totenregister  1727,  2.  Nov.  —  Christian 
Imanuel  Kruckenberger:  heiratet  1719,  7-  Febr.  u.  stirbt  im  Alter  von  32  Jahren  1730, 
10.  März.  —  Johann  Albrecht  Nestel:  heiratet  1721,  18.  März;  ein  Kind  im  Totenregister 
1723,  5.  Dez.  —  Johann  Jacob  Schmidt:  heiratet  1724, 4.  Sept.  —  Johann  Michael  Schnell 
(vgl.  Keram.  Monatshefte  1905,  S.  99f.)  heiratet  1726,  14.  Okt.;  ein  Kind  im  Totenregister  1728, 
7.  May.  —  Johann  Bernhard  Westennacher:  ein  Kind  im  Totenregister  1710,  18.  März.  — 
Im  Totenregister  1717,  6.  Mai,  ein  Kind  von  Johann  Heinrich  Wochenfeld  „Porcelin*'-Mahler 
(demselben,  der  1721  ohne  Erfolg  versuchte,  in  Straßburg  eine  „ Porzellan* *fabrik  anzulegen:  vgl. 
Bucher,  Gesch.  d.  techn.  K.  III  471  und  Stieda,  Die  keram.  Industrie  in  B.,  S.  11). 


Mitteilungen  aus  dem  gemuui.  Nationalmuseum.    1908. 


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42 


(H.  O.  1812,  1813) 


Abb.  7. 


Kühlbecken  H.  G.  1148  mit  derb  modellierten  Masken  als  Handhaben:  die  vorzüg- 
liche Blaumalerei  ist  von  dem  Meister  mit  dem  Pfundzeichen  gemarkt.  Ein  erst- 
klassiges Stück  der  gleichen  Signatur,  einen  prachtvollen  Teller  mit  Delftischem  Reich- 
tum der  Scharffeuerpalette  —  sattes  Grün,  Rot  (und  Rosa)  in  der  blauen  Zeich- 
nung-—  bewahrt  das  National-Museum  in  München  (No.  935).  Im  Grün  und  im  Gelb 
excellierte  gegen  Ende  der  20er  Jahre  Grebner.  Eine  anonyme  wellige  Schüssel  von 
ihm,  mit  schlecht  gezeichneter  Landschaft:  H.  G.  2309.  —  Der  Blaumaler  B.  liebt 
Chinesenszenen  und  verrät  auch  durch  die  Spiegelrahmung  (Schuppenmuster)  des 
Tellers  H.  G.  1572*,  die  genau  so  in  der  grünen  Familie  vorkommt,  seine  Ver- 
wandtschaft mit  Ansbach.  Die  Marke  B  findet  sich  noch  unter  dem  Tee- 
kännchen  H.  G.  865,  das  ein  Böttgermodell  (vgl.  H  G.  4713)  copiert.  Als  ein 
Prachtstück  kräftiger  Blaumalerei,  J.  A.  Marx  nahestehend,  wäre  die  große  oblonge 
Platte  H.  G.  6992  hervorzuheben.  Von  Johann  Andreas  Marx  selbst,  im  drei- 
knöpf igen  Deckel  kalligraphisch  signiert  und  datiert  1733  ist  die  Wöchnerinnenschale 
H.  G.  3806,  mit  zierlichen  blauen  Ranken.  Aus  der  späteren  Periode  sei  ein  wesentlich 
in  Grün  und  Gelb  nach  J.  E.  Nilson  gemalter  Cylinderkrug  notiert  (H.  G.  2704*). 
Eine  gleichartige,  noch  vorzüglichere  Schnabelkanne  mit  der  Marke  des  Georg  Korden- 
busch und  dem  Datum  1761,  nach  Nilsons  „Charmes  du  portrait'*,  befindet  sich 
im  Gewerbemuseum  in  Nürnberg. 

Von  den  übrigen  süddeutschen  Manufakturen  wird  Göggingen  durch  eine  Selten- 
heit—ein Paar  weißer  Figuren  (H.  G.  1812,  I813,  Abb.  7)  interessant  vertreten.  Als 
ein  besseres  Stück  kann  ein  Crailsheimer  Cylinderkrug,  mit  einem  Eichzweig  als 
Henkel,  erwähnt  werden  (H.  G.  1931*).  Von  Schretzheim  sind  nur  ganz  schlechte 
späte  Sachen  vorhanden.  Diese  Manufaktur  hat  jedoch,  wenn  die  Pfeilmarke 
zu  Recht  auf  sie  gedeutet  wird,  ganz  wundervolle  Fayencen  geschaffen,  in  entzückend 


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FAYENCE 


43 


frischen  und  pikanten  Farben,  u.  a.  Tafelaufsätze  in  Gestalt  von  Delphinen,  in  Gräflich 
Giech'schem  Besitz  (Fideicommiß).  An  Mosbacher  Fayence  ist  außer  einer  Saucidre 
(H.  G.  2474*),  die  zu  einem  in  mehreren  Teilen  in  der  Würzburger  Sammlung  befind- 
lichen Service  gehört,  eine  große  Platte  (H.  G.  1663)  mit  bunten  Blumen  und 
Astrand  (Bossierermarke  W)  zu  erwähnen.  Verzeichnen  wir  noch  einen  weißen,  zart 
rosa  getönten  Krautskopf  (H.  G.  5344*)  mit  ungemem  lebendig  gekräuselten  Blättern, 
ein  nicht  nur  technisch  außerordentliches  Kunstwerk  unbestimmter  Herkunft,  femer 
einen  Höchster  Tafelaufsatz  von  Johann  Zeschinger  (H.  G.  6155*)  und  aus  Nord- 
deutschland eine  Vegesacker  Terrine  (H.  G.  1448*),  sowie  einen  Braunschweiger  Rex- 
krug  mit  der  Marke  v.  Hantelmanns  (H.  G.  2578*),  so  sind  die  interessanteren 
Stücke  der  leider  noch  etwas  lückenhaften  Reihe  schon  genannt. 


(Fortsetzung  und  Schluß  folgt.) 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Magifter  F.  Ch.  Laukhards  Leben  und  Schicksale.  Von  ihm  selbst  beschrieben. 
Deutsche  und  französische  Kultur-  und  Sittenbilder  aus  dem  18.  Jahrhundert.  Bearbeitet  von 
Dr.  Viktor  Petersen.  2  Bände.  Stuttgart,  Verlag  von  Robert  Lutz.  1908.  Bro- 
schiert 11  Mk.,  geb.  13  Mk. 

Die  Wege  zur  Unsterblichkeit  sind  verschieden,  daß  sie  aber  ein  verkommener  Lump  durch 
die  cynische  Beschreibung  seines  verfehlten  Lebens  erreicht,  ist  gewiß  eine  seltene  Ausnahme. 
Laukhard  hat  Aufnahme  in  der  deutschen  Biographie  gefunden.  Und  weil  die  literarische  Pro- 
duktion unserer  Tage  nicht  reichlich  genug  fließt,  um  dem  Unternehmungsgeist  unserer  Verleger 
und  dem  Bildungshunger  unseres  Volkes  Genüge  zu  tun,  ist  von  den  vier  ersten  Bänden  seiner  fünf- 
bändigen Lebensbeschreibung  ein  gekürzter  Neudruck  in  zwei  Bänden  veranstaltet  worden,  dessen 
Berechtigung  durch  den  Hinweis  auf  die  kulturgeschichtliche  Bedeutung  dieser  Memoiren  ge- 
rechtfertigt wird. 

Laukhard  ist  1758  in  Wendelsheim  in  der  Unterpfalz  im  heutigen  Rheinhessen  als  Sohn 
eines  Pfarrers  geboren.  Sein  Vater  war  ein  Aufgeklärter  und  daneben  Alchymist,  über  dem  Suchen 
nach  dem  großen  Magisterium  konnte  er  sich  der  Erziehung  des  Sohnes  nur  wenig  widmen,  auch 
die  Mutter,  offenbar  eine  schwache  Frau,  bekümmerte  sich  wenig  um  den  Sohn.  So  blieb  dieser 
einer  Tante  überlassen,  die  ihn  abgöttisch  liebte,  seine  Streiche  bewunderte  und  ihn  schon  mit 
sechs  Jahren  dem  Trunk  zuführte,  dem  sie  selbst  ergeben  war.  Über  geschlechtliche  Dinge  wurde 
der  Knabe  durch  das  Gesinde  vorzeitig  aufgeklärt.  Hat  sich  der  Vater  um  die  Erziehung  des 
Sohnes  "»cht  genügend  angenommen,  so  hat  er  ihn  doch  unterrichtet  und  sein  Unterricht  war 
nicht  schlecht.  Laukhard  lernte  leicht  und  gem.  Mit  Unterbrechung  durch  den  kurzwährenden 
Besuch  von  Schulen  in  Dolgesheim  und  Grünstadt  blieb  er  im  elterlichen  Hause,  bis  er  die  Uni- 
versität bezog.  In  diese  Zeit  fällt  auch  seine  Verlobung  mit  der  Tochter  eines  Amtmanns.  Der 
Verbindung  stand  der  Unterschied  der  Konfession  im  Wege.  Laukhard  war  sofort  zum  Über- 
tritt zum  Katholizismus  bereit  und  hatte  schon  Einleitungen  dazu  getroffen,  als  sein  Vater,  der 
die  Verlobung  gebilligt  hatte,  davon  erfuhr  und  den  Schritt  verhinderte.  Um  die  Beziehungen 
zu  unterbrechen,  brachte  er  ihn  auf  die  Universität  nach  Gießen.  Das  Mädchen  ist  dem  Geliebten, 
auch  als  alle  Hoffnung  auf  Vereinigung  geschwunden  und  er  sich  durch  seinen  Lebenswandel  als 
unwürdig  gezeigt  hatte,  treu  geblieben  und  unvermählt  gestorben.  Laukhard  hatte  doch  auch 
gute  Eigenschaften.  Er  charakterisiert  sich  selbst  in  der  Vorrede  zu  seiner  Lebensbeschreibung 
richtig:  Ich  war  ein  Mensch  von  guten  Fähigkeiten  und  von  gutem  Herzen.  Falschheit  war  nie 
mein  Laster;  und  Verstellung  habe  ich  erst  späterhin  gelernt  und  geübt,  nachdem  ich  vieles  schon 
getan  und  getrieben  hatte,  dessen  ich  mich  schämen  mußte.  Mein  Vater  hatte  mir  guten  Unter- 
richt verschafft,  und  ich  erlangte  verschiedene  recht  gute  Kenntnisse,  welche  ich  meiner  immer 
fortwährenden  Neigung  zu  den  Wissenschaften  verdanke.  Meine  Figur  war  auch  nicht  häßlich. 
Da  war  es  denn  doch  schade,  daß  ich  verdorben  und  unglücklich  ward.  Aber  ich  wurde  es  und 
fiel  aus  einem  dummen  Streich  in  den  anderen,  trieb  Dinge,  worunter  auch  wirkliche  gröbere  Ver- 
gehungen sind,  bis  ich  endlich  aus  Not  und  Verzweiflung  an  allem  Erdenglück  die  blaue  Uniform 
anzog. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


45 


War  Laukhards  Erziehung  falsch  gewesen,  so  wurde  er  nunmehr  einem  falschen  Berufe 
entgegengeführt  Der  Vater,  der  glaubenslos  war  und  im  Sohn  den  Glauben  und  die  Achtung  vor 
seinem  eigenen  Stande  leichtfertig,  ja  frivol  vernichtet  hatte,  bestimmte  ihn,  Theologie  zu  stu- 
dieren. Laukhard  hat  gewiß  nicht  eifrig  studiert,  aber  er  hat  die  Studien  auch  nicht  direkt  ver- 
nachlässigt, wohl  auch  zuweilen  einen  Anlauf  zu  ernstem  Arbeiten  genommen.  Mit  Behagen  hat 
er  an  dem  wüsten  Treiben  der  Gießener  Studenten  teilgenommen.  Auf  ihm  verweilen  seine  Schil- 
derungen, welchen  hier  kulturgeschichtliche  Bedeutung  nicht  abzusprechen  ist.  Laukhard  war 
drei  Jahre  in  Gießen,  zwei  Jahre  in  Göttingen,  1779  kam  er  nach  Hause. 

Er  bemüht  sich  nun,  eine  Pfarrstelle  zu  erhalten,  aber  vergebens.  Seine  Berichte  gewähren 
Einblick  in  die  tiefe  Kläglichkeit  der  kleinstaatlichen  Verhältnisse  jener  Zeit  Ihn  haben  seine 
Mißerfolge  wenig  angefochten,  er  lebt  ebenso  fröhlich  und  liederlich  weiter,  wie  auf  der  Universität 
Da  und  dort  tritt  er  auch  als  Prediger  auf  und  findet  bei  den  Bauern  Anklang.  Endlich  wird  er 
Vikar  in  Obersaulheim,  hat  auch  einige  Aussicht,  der  Nachfolger  des  Pfarrers  zu  werden,  aber 
diese  Hoffnung  wird  zu  nichte  und  unvorsichtige  Reden  haben  sogar  die  Enthebung  vom  Vikariat 
zur  Folge.  Nun  weist  ihn  auch  der  Vater  von  sich.  Freunde  nehmen  sich  seiner  an  und  er  wird 
Jäger,  Kellermeister  und  Sprachlehrer  bei  einem  Major  von  Goldenberg,  aber  er  hält  nicht  lange 
aus,  sondern  reist  mit  einem  Freund  und  Gönner  nach  Straßburg.  Nun  wendet  sich  ihm  der  Vater 
wieder  zu  und  schlägt  ihm  vor,  noch  ein  Jahr  in  Halle  zu  studieren.  In  Halle  nimmt  sich  Semler, 
der  Begründer  der  kritischen  protestantischen  Theologie,  seiner  an,  er  gibt  am  Waisenhause  latei- 
nischen, griechischen  und  hebräischen  Unterricht  hört  mehrere  Vorlesungen  und  empfindet  bald 
die  seligen  Folgen  eines  ordentlichen  Lebens.  Auf  Semlers  Rat  hält  er  auch  privatim  Vorlesungen 
über  deutsche  Reichsgeschichte.  Dann  erwirbt  er  den  Grad  eines  Magisters  und  die  venia  legendi 
an  der  Universität  Seine  Vorlesungen  fanden  Beifall.  Aber  sein  Leichtsinn  verleitet  ihn  immer 
wieder  zu  Ausschreitungen,  die  ihn  gesellschaftlich  schädigen  und  in  Schulden  stürzen.  Aber- 
mals entzieht  ihm  der  Vater  seine  Hilfe,  da  läßt  er  sich  an  Weihnachten  1 783  als  Soldat  anwerben. 

Der  Soldatenstand,  so  gering  sein  Ansehen  war,  behagte  Laukhard.  Der  Dienst  war  leicht, 
er  war  bei  seinen  Vorgesetzten  beliebt  fand  Gesellschaft  die  ihm  zusagte  und  konnte  nach  seinen 
Neigungen  leben.  Auch  die  Versöhnung  mit  dem  Vater  kam  zustande.  Im  Mai  1784  machte 
er  die  Revue  bei  Magdeburg  mit  und  sah  den  großen  König  zum  erstenmal.  Er  schreibt:  Sein 
Anblick  erschütterte  mich  durch  und  durch;  ich  hatte  nur  Auge  und  Sinn  bloß  für  Ihn!  Auf 
Ihn  war  ich  und  alles  konzentriert!  Viele  tausend  Persönlichkeiten  in  eine  einzige  umgeschmolzen! 
Ein  Heer,  eine  Handlung  1 

Der  Vater  wollte  den  Sohn,  den  er  vom  Soldatenstand  nicht  befreien  konnte,  wenigstens 
noch  einmal  sehen  und  im  Winter  1786  erhielt  Laukhard  gegen  eine  Kaution  von  150  Reichstalern 
Uriaub.  Wohl  wünschte  der  Vater,  er  solle  in  der  Pfalz  bleiben,  aber  Laukhard  traute  pich  nicht 
die  Kraft  zu.  ein  geregeltes  Leben  zu  beginnen  und  festzuhalten,  er  kehrte  in  die  Garnison  zurück. 
Im  Frühling  1789  starb  der  Vater.  1790  machte  Preußen  gegen  Österreich  mobil.  Laukhards 
Regiment  zog  nach  Beriin  und  dann  nach  Schlesien.  Er  teilt  einiges  über  die  Lebensverhältnisse 
der  schlesischen  Bauern  mit  Nach  Abschluß  des  Reichenbacher  Vertrags  kam  er  wieder  in  seine 
Garnison  Halle  zurück,  gab  wieder  Stunden  und  schrieb  seine  Lebensbeschreibung.  Damit  endet 
der  erste  Band,  er  bewegt  sich  zu  sehr  auf  den  unteren  Stufen  menschlichen  Daseins,  um  wirkliche 
Teilnahme  erregen  zu  können. 

Interessanter  ist  der  zweite.  Laukhard  macht  den  unglücklichen  Feldzug  gegen  Frank- 
reich 1792  mit,  gerät  durch  ein  seltsames  Unternehmen,  zu  dem  er  sich  leichtsinnig  bestimmen 
läßt,  in  Beziehung  zu  den  Führern  der  Revolution  im  östlichen  Frankreich  und  kommt  nach  merk- 
würdigen, wechselvollen  Schicksalen  wieder  nach  Halle. 

Das  Regiment  zog  am  14.  Juni  1792  von  Halle  aus,  kam  am  9-  Juli  nach  Coblenz  und  nach 
12  Tagen  in  ein  Lager  bei  Trier.  Mitte  August  wurde  der  Vormarsch  nach  der  Grenze  aufge- 
nommen, die  am  19.  überschritten  wurde.  Und  nun  begann  alles  Elend,  das  der  schlecht  organi- 
sierte, unklar  geführte  Feldzug,  das  ungenügende  Verpflegung  und  unendliches  Regenwetter  mit 
sich  brachte.  Ein  großer  Teil  der  Truppen  erkrankte  und  die  Lazarete  waren  schlecht  Longwy 
und  Verdun  kapitulierten,  am  19.  September  folgte  die  Kanonade  bei  Valmy  und  nach  ihr  der 
klägliche  Rückzug.  Laukhard  schildert  alles  das  anschaulich  und  ohne  starke  Erregung.  —  In- 
zwischen war  Custine  in  Deutschland  eingefallen  und  hatte  Mainz  und  Frankfurt  genommen. 


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46  LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN 


Die  Verbündeten  wandten  sich  gegen  ihn,  Frankfurt  und  Mainz  wurden  wieder  geräumt  und  die 
Preußen  belagerten  Landau.  Hier  wurde  Laukhard  plötzlich  auf  die  abenteuerlichste  Weise  unter 
die  Franzosen  geworfen.  Es  war  bekannt  geworden,  daß  er  den  Volksrepräsentanten  von  Landau 
Dentzel  kannte  und  er  wurde  aufgefordert,  diesen  durch  die  Aussicht  auf  eine  reiche  Belohnung 
zu  bestimmen,  die  Übergabe  der  Festung  herbeizuführen.  Die  Unterhandlungen  wurden  durch 
den  Prinzen  von  Hohenlohe  eingeleitet  und  der  leichtsinnige  Mann  ging  nach  einigem  Bedenken 
auf  den  gewagten  Antrag  ein,  seine  genaue  Instruktion  erhielt  er  direkt  vom  Kronprinzen  von 
Preußen.  So  ging  er  in  der  Nacht  des  27.  September  1 793  mit  Genehmigung  seiner  Vorgesetzten 
als  Überläufer  in  die  Festung.  Dort  wurde  er  wohl  aufgenommen  und  von  Dentzel  als  alter  Be- 
kannter empfangen.  Schon  nach  wenigen  Tagen  führte  er  übereilt  und  unbedacht  seinen  Auftrag 
aus,  aber  Dentzel  wies  ihn  bestimmt  ab,  wohl  versprach  er  ihm  Schonung  und  Geheimhaltung 
seines  Versuchs,  aber  er  bedrohte  ihn  für  den  Fall  der  Wiederholung  mit  dem  Tode  und  ließ  ihn 
überwachen.  Es  scheint  aber,  daß  die  Sache  doch  nicht  ganz  geheim  blieb.  Bald  darauf  geriet 
Dentzel  in  den  Verdacht  des  Verrats,  es  entstand  ein  Aufruhr  gegen  ihn,  er  wurde  abgesetzt  und 
verhaftet.  Auch  Laukhard  schien  verdächtig  und  wurde  vor  einem  Sicherheitsrat  und  danach 
noch  von  General  LaubadÄre  verhört,  er  wußte  aber  den  Verdacht  von  sich  abzuwenden,  sprach 
auch  für  Dentzel,  doch  blieb  dieser  zunächst  noch  gefangen.  Erst  ein  mißglückter  Ausfall  Lau- 
baddres  gab  Veranlassung,  ihn  wieder  in  sein  Amt  einzusetzen.  Es  folgte  die  Beschießung  und 
am  28.  Dezember  wurde  Landau  von  den  Franzosen  unter  Feuvre  entsetzt,  die  Preußen  waren 
abgezogen. 

Die  Überläufer  wurden  nach  dem  Innern  des  Landes  abgeführt.  Laukhard  bekam  Lust, 
in  französischen  Dienst  zu  treten.  Er  meldete  sich  in  Macon  zu  den  Sansculotten,  wurde  von 
da  nach  Lyon  gewiesen  und  fand  dort  Aufnahme.  Von  Lyon  wurde  er  mit  einem  Trupp  von 
1 50  Mann  nach  Grenoble  gesandt,  als  sie  dort  ihren  General  nicht  antrafen,  zogen  sie  weiter  nach 
Valence  und  Avignon.  Dort  verließ  er  die  Armee  revolutionnaire  wieder  und  ließ  sich  einen  Paß 
nach  Lyon  geben.  In  Lyon  geriet  Laukhard  mit  einem  Offizier  der  Sansculotten  in  Streit,  es  kam 
zum  Zweikampf  und  er  erhielt  einen  Degenstich  in  die  Brust.  Ohne  die  Heilung  vollständig  abzu- 
warten, ging  er  weiter  und  kam  krank  nach  Dijon.  Er  fand  im  Hospital  Chailler  Aufnahme  und 
wurde  nach  einiger  Zeit  Krankenpfleger.  Aber  diese  stüle  Lebensart  behagte  ihm  nicht  lange, 
er  nahm  seine  Entlassung.  Nun  brachte  er  sich  als  Sprachlehrer  fort  und  lebte  behaglich  in  Dijon. 
So  hätte  er  wohl  abwarten  können,  daß  den  Deserteuren  die  Rückkehr  gestattet  wurde,  aber  un- 
bedacht stürzte  er  sich  nochmals  in  große  Gefahr.  Er  schrieb  an  den  Repräsentanten  Dentzel 
nach  Paris  und  bat  ihn,  ihm  einen  Paß  nach  der  Hauptstadt  anszuwirken.  Aber  Dentzel  war 
wegen  der  Landauer  Affäre  in  Untersuchung  und  Laukhards  Brief  kam  an  den  Wohlfahrtsaus- 
schuß. Acht  Tage  später  wurde  er  gefangen  gesetzt  und  in  Macon  vor  Gericht  gestellt.  Die  Unter- 
suchung wurde  gelinde  geführt  und  er  trotz  widersprechender  Aussagen  freigelassen.  Er  kehrte  nach 
Dijon  zurück.  Seine  Wunde  brach  wieder  auf  und  im  Dezember  1794  ging  er  wieder  ins  Spital. 
Aber  es  war  ihm  nicht  mehr  behaglich  in  Frankreich,  denn  Dentzels  Lage  war  immer  noch  unklar 
und  Laukhard  mußte  immer  noch  fürchten,  wegen  seines  Unternehmens  in  Landau  geköpft  zu 
werden.  Er  wandte  sich  deshalb  an  seinen  Freund  Bispink  in  Halle  und  bat  ihm,  in  einem  Briefe 
an  den  Kommandanten  Belin  von  Dijon  zu  bezeugen,  daß  er  in  Altona  geboren  sei.  Bispink  stellte 
nun  zwar  kein  falsches  Zeugnis  aus,  brachte  aber  die  nötigen  Angaben  in  einem  Briefe  an,  teilte 
ihm  mit,  daß  er  in  Preußen  vom  Soldatenstande  befreit  sei  und  schickte  ihm  einen  Paß  nach  Halle. 
Die  Sache  wurde  wohlwollend  behandelt  und  Laukhard  war  frei.  Er  eilte,  nach  Basel  zu  kommen, 
von  wo  er  nach  Zürich  wollte,  doch  das  wurde  ihm  nicht  gestattet,  er  wandte  sich  deshalb  nach 
Baden.  Das  Fortkommen  war  schwierig,  es  wurden  nur  Pässe  auf  kurze  Strecken  ausgestellt 
und  die  nicht  immer.  So  kam  es,  daß  Laukhard  in  Freiburg  einem  Werber  der  Emigranten  in 
die  Hände  fiel.  Der  Dienst  behagte  ihm  nicht  und  er  entlief,  doch  nur  um  sofort  bei  den  schwä- 
bischen Kreistruppen  einzutreten,  denn  von  diesen  hoffte  er  durch  die  Fürsprache  des  Kronprinzen 
von  Preußen  frei  zu  werden.  Das  geschah  auch.  Sein  Oberst  ließ  ihn  ungern  ziehen  und  ließ  sich 
nicht  überzeugen,  daß  es  ihm  im  Preußischen  wohl  gehen  würde.  Schon  zwanzig  Monate  später, 
als  Laukhard  den  zweiten  Teil  seiner  Biographie  abschloß,  hatte  er  eingesehen,  daß  der  Oberst 
recht  hatte.  Der  Soldatenstand  mit  seiner  regelmäßigen  Zucht  war  der  einzige,  in  dem  Laukhard 
gedeihen  konnte. 


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LITERABISCHE  BESPRECHUNGEN. 


47 


Der  Neudruck  bricht  mit  der  Entlassung  aus  dem  schwäbischen  Heere  ab.  Ein  Schluß- 
kapitel berichtet  noch  über  vergebliche  Versuche  eine  feste  Lebensstellung  zu  erlangen.  Am 
29.  April  1822  ist  Laukhard  als  Privatlehrer  in  Kreuznach  gestorben. 

Wird  die  Frage  gestellt,  welche  kulturgeschichtliche  Bedeutung  der  Biographie  Laukhards 
zukommt,  so  ist  zunächst  auszusprechen,  daß  sie  für  die  Kulturgeschichte  im  engeren  Sinne  über- 
haupt nicht  in  Betracht  kommt.  An  der  hohen  geistigen  Bildung  seiner  Zeit  hat  er  trotz  seiner 
Magisterwürde  keinen  Teil.  Sittengeschichtlich  sind  seine  Schilderungen  aber  höchst  interessant, 
allerdings  auch  nur  nach  der  negativen  Seite.  Wenn  er  uns  die  Korruption  in  den  kleinen  Staaten 
des  Reichs,  den  tiefen  Stand  des  Familienlebens  im  Eltemhause,  das  wüste  Treiben  in  den  Stu- 
dentenverbindungen, die  kümmerliche  Lage  des  Heeres  in  den  späten  Lebensjahren  Friedrich  des 
Großen  und  unter  Friedrich  Wilhelm  IL,  das  verheerende  Treiben  der  Emigranten  in  Coblenz 
u.  a.  schildert,  so  dürfen'wir^nicht  übersehen,  daß  trotz  dieser  Erscheinungen  das  sittliche  und 
geistige  Leben  des  deutschen  Volkes  wie  seine  wirtschaftlichen  Verhältnisse  aufsteigende  waren. 
Wir  haben  genug  Schilderungen  aus  Laukhards  Zeit,  um  ermessen  zu  können,  daß  im  großen  und 
ganzen  im  deutschen  Hause  Zucht  und  Ehrbarkeit  herrschten,  daß  sittliche  Festigkeit  und  ernste 
Arbeit  ihre  Früchte  trugen.  Wir  wissen,  daß  die  Geisteswissenschaften,  wie  die  Literatur  und  die 
Musik  auf  einer  unerreichten  Höhe  standen,  daß  sich  eine  strenge  und  ernste  deutsche  Kunst  vor- 
bereitete. Laukhard  schildert  uns  Symptome  der  Auflösung,  welche  im  Beginne  des  19.  Jahr- 
hunderts in  fürchterlicher  Weise  eintrat  Das  Unwetter,  das  von  Frankreich  her  über  Deutschland 
hereinbrach,  hat  verwüstend,  aber  es  hat  auch  reinigend  gewirkt  Dem  politischen  Zusammen- 
bruch folgte  unmittelbar  die  Erhebung,  sie  wäre  nicht  möglich  gewesen,  wenn  nicht  die  Männer, 
die  sie  durchführten,  schon  bereit  gewesen  wären,  wenn  ihnen  nicht  ein  starkes  und  mutiges  Volk 
zur  Seite  gestanden  wäre.  Äußerlich  arm,  innerlich  reich  ist  Deutschland  aus  den  langen  Kriegen 
hervorgegangen. 

Laukhard  besaß  eine  gute  Beobachtungsgabe  und  gesunden  Menschenverstand,  aber  seine 
Reflexionen  gehen  nie  in  die  Tiefe,  sie  enthalten  manches  Richtige,  vieles  Oberflächliche.  Die 
politischen  Betrachtungen  im  zweiten  Teil  sind  Kannegießereien,  wie  man  sie  zu  seiner  Zeit  an 
vielen  Biertischen  hören  mochte.  So  tut  man  ihm  zu  viel  Ehre  an,  wenn  man  ihn  einen  Philo- 
sophen nennt  Der  Wert  seiner  Schilderungen  liegt  in  der  frischen  Wiedergabe  der  Beobachtungen. 
Als  kulturgeschichtliche  Quellen  sind  sie  nur  im  Zusammenhalt  mit  anderen  und  auch  da  nur  mit 
Kritik  zu  verwerten.  B  e  z  o  1  d. 

Friedrich  Oelenhainz.  Ein  Bildnismaler  des  18.  Jahrhunderts.  Sein  Leben  und  seine  Werke 
dargestellt  von  Professor  L.  Oelenheinz,  Coburg.  Mit  36  Lichtdrucktafeln  und  42  Ab- 
bildungen im  Text    Leipzig.    Verlag  von  E.  A.  Seemann.    1907.    91  Seiten.    2. 

Den  „Beiträgen  zur  Biographie  des  Porträtmalers  Aug.  Friedrich  Oelenhainz"  in  den  „Würt- 
tembergischen Vierteljahrsheften  für  Landesgeschichte"  N.  F.  IV  (1895)  S.  104  ff.  hat  L.  Oelen- 
heinz im  vorigen  Jahre  eine  umfangreiche  und  vortrefflich  ausgestattete  Monographie  über  den 
Künstler  folgen  lassen.  Wer  Einblick  in  die  Forschungsart  des  Verfassers  hat  gewinnen,  seinen 
keine  Mühe  scheuenden  Fleiß  und  seine  zähe  Ausdauer  hat  kennen  lernen  und  das  vorliegende 
Werk  in  seinem  Entstehen  und  Fortschreiten  hat  beobachten  können,  der  wird  von  vornherein 
wissen,  daß  wir  es  in  der  nunmehr  abgeschlossenen  Arbeit  mit  einem  Buche  zu  tun  haben,  deren 
Gründlichkeit  und  Zuverlässigkeit  kaum  zu  übertreffen  ist,  mit  einer  wissenschaftlichen  Leistung 
ersten  Ranges.  Und  die  Lektüre  und  Prüfung  des  Buches  bestätigt  dieses  Urteil  im  vollsten  Maße. 
Was  nur  Literatur,  Denkmäler  und  archivalische  Quellen  herzugeben  vermochten,  wurde  heran 
gezogen  und  zu  einem  klaren  und  eindrucksvollen  Bilde  von  dem  Leben  und  Schaffen  des  seiner- 
zeit hochgeschätzten  und  viel  beschäftigten,  dann  aber  jahrzehntelang  nahezu  vergessenen  Por- 
trätmalers Oelenhainz  (1745—1804)  vereinigt,  der  so  vor  uns  gewissermaßen  aus  dem  Nichts  neu 
erstand.  Die  größten  Schwierigkeiten  machte  das  Zusammenfinden  und  Zusammenbringen  seines 
weitverstreuten,  zumeist  in  Privatbesitz  befindlichen  „Werkes";  und  hier  werden  auch  ein  stets 
fortgesetztes  Forschen  und  der  Zufall  vielleicht  im  Laufe  der  Zeit  noch  einzelne  Lücken  ausfüllen. 
Verschollenes  wieder  zutage  fördern  helfen. 

Daß  der  Verfasser  in  einzelnen  Punkten  über  das  seiner  Arbeit  gesteckte  natürliche  Ziel 
erheblich  hinausgeschossen  ist  wie  in  der  Aufzählung  auch  der  aus  zweiter  oder  dritter  Hand  her- 


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48 


LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


geleiteten  modernen  Reproduktionen  Oelenhainzscher  Bildnisse  oder  in  der  genauen  Erforschung 
und  Feststellung  der  Nachkommen  der  Schwestern  des  Vaters  oder  der  Geschwister  der  Mutter 
Oelenhainz':  dieser  Überschuß  und  Überfluß  wird  den  genealogischen  Neigungen  des  Verfassers, 
des  Mitherausgebers  der  „Heraldisch-genealogischen  Blätter,"  und  verwandtschaftlichen  Regungen 
gern  zugute  gehalten  werden.  Nicht  ganz  so  leicht  vermag  man  sich  über  den  Telegrammstil, 
in  dem  fast  das  ganze  Buch  geschrieben  ist  und  der  manchem  Leser  den  Genuß  beeinträchtigen 
wird,  hinwegzusetzen,  wie  auch  hie  und  da  die  Anordnung  des  Stoffes  zu  wünschen  übrig  läßt. 
So  ist  in  dem  ersten,  das  Leben  und  den  Entwicklungsgang  des  Künstlers  schildernden 
Teil  des  Buches  (S.  1—36)  nicht  recht  einzusehen,  weswegen  ein  Kapitel  über  den  Nachlaß  des 
Meisters  und  die  Versteigerung  dieses  Nachlasses  (Kap.  9)>  sowie  ein  „Rückblick"  überschriebenes 
Kapitel  (10)  der  Schüderung  seiner  letzten  Lebenstage  (Kap.  ii)  vorangehen.  Der  zweite  Teil 
zählt  nach  Art  der  räsonnierenden  Verzeichnisse  die  bisher  bekannt  gewordenen  Oelenhainzschen 
Werke  auf  und  beschreibt  sie  genau.  Ein  erster  Abschnitt  umfaßt  hier  die  Ölbilder  und  Pastelle 
(S.  37—59),  ein  zweiter  die  Handzeichnungen  (S.  59—60),  ein  dritter  die  „Kupferstiche  u.  s.  w., 
welche  nach  Oelenhainzschen  Bildern  bis  zum  Jahre  1904  erschienen  sind"  (S.  60 — 64).  Es  folgen 
sodann  als  Beilage  l  „Bemerkenswertes  aus  dem  Nachlaßverzeichnis"  (S.  65  und  66)  und  femer 
als  Beilage  2  und  3  die  genealogischen  Untersuchungen  des  Verfassers  (S.  67—79),  worauf  ein 
spezialisierter  Quellennachweis  nebst  sonstigen  Anmerkungen,  ein  gut  gearbeitetes  Namen-  und 
Sachregister  und  ein  Verzeichnis  der  Subskribenten  den  textlichen  Teil  des  Buches  beschließen, 
dem  wir  gerade  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Kunstgeschichte  des  18.  Jahrhunderts  eine  zahl- 
reiche Nachfolge  von  gleicher  Gewissenhaftigkeit  und  Gediegenheit  wünschen  möchten. 

Th.  H  ampe. 

Friedrich  FrieB,  Leben  der  Ehrwürdigen  Mutter  Maria  Theresia 
von  Jesu  Gerhardinge r,  Gründerin  und  erste  Generaloberin  des  Ordens  der  armen 
Schulschwestern   de   Notre   Dame.    München,    J.  J.  Lentnersche    Hofbuchhandlung   1907. 

Der  Verfasser  war  27  Jahre  hindurch  der  Spiritual  des  Ordens,  hatte  die  Oberin  Maria 
Theresia  von  Jesu  noch  persönlich  gekannt,  und  war  daher  der  berufene  Mann,  ihre  Biographie 
zu  schreiben.  Ihm  zuerst  erschlossen  sich  auch  die  reichen  Schätze  des  Münchner  Ordensarchives 
zu  systematischer  Durchforschung  und  so  war  er  in  der  Lage,  die  erste  quellenmäßige  und  exakte 
Schilderung  des  Lebens  der  Karoline  Gerhardinger,  wie  sie  mit  ihrem  weltlichen  Namen  heißt, 
zu  geben.  Das  Buch  hat  dadurch  seinen  festen  Platz  in  der  Ordensgeschichte  des  19.  Jahr- 
hunderts. 

Karoline  Gerhardinger  (1797—1879)  war  eine  Frau  von  seltener,  bewunderungswürdiger 
Energie,  und  wenn  heute  von  8000  Schwestern  184  000  meist  armer  Kinder  in  Deutschland, 
Österreich  und  Amerika  unterrichtet  werden,  so  ist  das  i  h  r  Werk,  mag  auch  die  Anregung  dazu 
von  anderer  Seite  ausgegangen  sein.  Ihr  Leben  ist  schweren  Schicksalen  unterworfen  gewesen, 
aber  es  berührt  ungemein  sympathisch,  sie  in  der  heftigen  Fehde  mit  dem  Münchner  Erzbischof 
oder  im  Kulturkampf,  in  dem  sie  über  30  ihrer  Filialen  auf  preußischem  Boden  verlor,  immer 
mit  der  gleichen  sichern  Kraft  ihres  Amtes  walten  zu  sehen. 

Der  Orden  der  armen  Schulschwestern  hat  seinen  Ursprung  im  Zeitalter  der  Säkularisation, 
genauer  im  Jahre  1809,  als  die  in  gleicher  Richtung  wirkenden  Chorirauen  de  Notre- Dame  aus 
Stadtamhof  ausgewiesen  wurden.  Damals  faßte  der  Dompfarrer  Wittmann  den  Plan,  diesen 
Schulorden  zu  erneuern,  und  das  Werkzeug  in  seiner  Hand  wurde  alsbald  Karoline  Gerhardinger. 
Um  sie  sammelten  sich  andere;  sie  begannen  ein  gemeinsames,  zurückgezogenes  Leben  und 
pflegten  den  Unterricht  armer  Mädchen.  Die  ersten  Versuche,  ein  Kloster  ins  Leben  zu  rufen, 
mißglückten;  erst  1833  wurde  dieses  Ziel  in  Neunburg  vorm  Wald  in  der  Diözese  Regensburg 
erreicht.  Die  Statuten,  nach  denen  die  junge  Genossenschaft  sich  einrichtete,  waren  in  der 
Hauptsache  die  Regeln  der  Chorschwestem  von  Notre- Dame,  deren  Nachfolgerinnen  sie  ja  ge- 
worden waren.  Es  begann  eine  Entwicklung,  die  beredtes  Zeugnis  ablegt  von  der  kolonisatori- 
schen Triebkraft,  die  noch  heute  in  der  katholischen  Kirche  steckt:  in  den  ersten  drei  Jahr- 
zehnten konnten  68  Filialen  eröffnet  werden.  Schon  1847  griff  die  Bewegung  nach  Amerika 
über,  wo  sie  heute  in  noch  vollerer  Blüte  steht  als  im  Mutterland.  H.  S  t  i  e  r  1  i  n  g. 


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ERHARD  SCHON  ALS  MALER. 

Von  Dr.  HANS  STEGMANN. 

(Mit  1  Tafel.) 

Die  Geschichte  der  Nürnberger  Kunst  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  hat  viel 
früher  und  viel  eingehender  den  Gegenstand  kunstwissenschaftlicher  Betrach- 
tungen gebildet,  als  die  mancher  anderer  deutscher  Gaue.  Der  Grund  liegt  einmal 
in  der  historischen  Bedeutung  Nürnbergs  als  eines  der  Kulturmittelpunkte  des  alten 
deutschen  Reichs,  dann  im  Besitze  Nürnbergs  an  Künstlern  ersten  Ranges  um  die 
Wende  des  15.  und  16.  Jahrhunderts.  Aber,  um  von  dem  beliebtesten  Studien- 
objekt, der  Malerei,  zu  sprechen,  die  Forschung  hat  sich  nicht  begnügt,  in  einer 
schon  kaum  mehr  zu  übersehenden  Einzelliteratur  Albrecht  Dürer,  seine  Vorläufer 
und  seine  direkten  Nachfolger  unter  die  Lupe  zu  nehmen,  die  Anläufe  in  das  in 
Nürnberg  besonders  reich  fließende  Material  der  Geschichte  der  Malerei,  der  sich 
die  der  graphischen  Künste  sachlich  berechtigt  anschließt,  einige  Ordnung  zu 
bringen,  sind  immer  noch  im  Zunehmen  begriffen.  Dem  Eifer  nach  Aufhellung 
der  Malergeschichte  Nürnbergs  verdankt  die  Kunstgeschichte  in  speziellen  wie  zu- 
sammenfassenden Darstellungen  in  den  letzten  Jahren  recht  bemerkenswertes  neues 
Material;  es  sei  nur  beispielsweise  auf  die  ergebnisreiche  Herausarbeitung  Wolf 
Trauts  verwiesen.  Im  allgemeinen  ist  die  Sichtung  des  Materiales,  soweit  es  der 
graphischen  Kunst  angehört,  weiter  gediehen,  als  die  des  gemalten.  Zu  den  Meistern, 
welches  Wort  hier  aber  durchaus  keinen  lobenden  Sinn  haben  soll,  die  in  der  fast 
überreichen  Buchverlagstätigkeit  Nürnbergs  in  den  ersten  drei  Jahrzehnten  des 
16.  Jahrhunderts  einen  gewissen  Namen  und  eine  gewisse  Beachtung  gefunden,  ge- 
funden, gehört  auch  Erhard  Schön.  Nach  Doppelmeyer,  der  ihn  zuerst  erwähnt, 
ein  Kupferstecher  (?)  und  Maler,  der  sich  Dürer  enge  anschloß. 

Über  die  Lebensverhältnisse  und  den  Entwicklungsgang  des  Erhard  Schön 
hat  die  bisherige  Forschung  (die  Literatur  ist  in  der  Hauptsache  im  Katalog  von 
Campbell  Dodgson  zusammengestellt)  sehr  wenig  eruieren  können.  Wir  wissen  aus 
seinen  bezeichneten  Holzschnitten  nur  so  viel,  daß  er  von  1515  bis  1538  tätig  war.  Die 
Doppelmeyerische  Angabe,  daß  Erhard  Schön  auch  Maler  war,  vermutlich  hat 
Doppelmeyer  auch  keine  Gemälde  von  ihm  gekannt,  sondern  nur  den  Beruf  des 
Malers  und  Kupferstechers  anstatt  Holzschneider  gedankenlos  niedergeschrieben, 
war  in  der  Fachliteratur  zu  keiner  authentischen  Bestätigung  gekommen. 

Bezüglich  der  Lebensdaten  des  Künstlers  will  ich  nicht  unterlassen,  einige 
mir  durch  die  Güte  von  Dr.  H.  Heerwagen  zugekommene  Notizen  aus  einem  Rech- 
nungsbuch des  Dr.  Christof  Scheurl  hier  kurz  zu  erwähnen.  Einmal  wird  er  als  Her- 
steller (Restaurator)  von  Familienbildern  genannt,  das  andere  Mal  scheint  es  sich  um 
immerhin  etwas  künstlerische  Tätigkeit  zu  handeln.  Der  Kardinal  und  Fürstbischof 
von  Trient,  Bernhard  von  Cles,  befand  sich  in  den  Jahren  1531—33  wegen  eines 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmusenm.    1908.  7 


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50  ERHARD  SCHÖN  ALS  MALER. 


offenbar  für  das  Castello  di  Buonconsiglio  bestimmten  Kunstbrunnens  mit  Dr.  Christof 
Scheurl  in  Unterhandlung.  Es  scheint  sich  um  eine  Art  Konkurrenz  unter  den 
Nürnberger  Künstlern  gehandelt  zu  haben,  zu  der  der  Vischersche  Apollobrunnen 
im  neuen  Schießgraben  den  Anlaß  gegeben  haben  dürfte.  Scheurl  schreibt  auf, 
daß  ihm  der  Kardinal  für  eine  übersandte  „prunnen  visirung"  von  „erhart  schon" 
1  fl.  4  h.  6  /^  schulde.  Vielleicht  handelt  es  sich  übrigens  gar  nicht  um  einen 
selbständigen  Entwurf,  sondern  eine  Abbildung  des  gedachten  Apollobrunnens. 
Jedenfalls  geht  aber  so  viel  daraus  hervor,  daß  Schön  in  jenen  Jahren  nicht,  wie 
Dodgson  aus  Anlaß  von  Schöns  Tätigkeit  für  böhmische  Buchdrucker  annehmen 
möchte,  in  Prag  geweilt  haben  dürfte.  Die  Angaben  Rettbergs,  Naglers  u.  a.  über 
Geburt  und  Tod  sind  unbeglaubigt,  besonders  die,  daß  Schön  14S2  geboren 
sei,  ist  btoße  Mutmaßung.  Doppelmeyer  hat  bei  seiner  Angabe,  daß  Schön  um 
1550  gestorben  sei,  wohl  auch  keinen  sicheren  Anhalt  gehabt;  1561  erschien  noch 
eine  letzte  Ausgabe  des  „Büchleins"  über  die  Perspektive,  die  natürlich  ebensogut 
wie  die  1542  erst  nach  dem  Tode  herausgegeben  sein  kann. 

Zuschreibungen  ohne  nähere  Angaben,  wie  die  Rieffels  (Zeitschr.  f.  b.  K.  N. 
F.  XIII,  S.  211),  woraus  nicht  einmal  hervorgeht,  welches  Bild  in  Heilsbronn  er 
Schön  zuschreiben  will,  haben  sich  entweder  nicht  bestätigt,  oder  beruhen,  wie  die 
angebliche  Professor  Hausers  über  das  Bamberger  Bild  in  der  St.  Gangolphskirche 
mit  den  7  Seligkeiten  Maria,  nur  auf  äußeren  Anhaltspunkten  zwischen  Bild  und 
beglaubigtem  Holzschnitt   (großer  Rosenkranz,  Passavant  35). 

Den  Anlaß,  mich  mit  Erhard  Schön  als  Maler  zu  beschäftigen,  bot  die  Auf- 
findung einer  signierten  Holztafel  mit  der  Darstellung  der  Geschichte  von  Cimon 
und  Pero.  Diese  Holztafel,  arg  vernachlässigt  und  heruntergekommen,  fand  ich 
im  Germanischen  Museum  unter  alten,  meist  sehr  minderwertigen  „Denkmälern" 
der  Kunst-  und  Kulturgeschichte  auf  einem  Dachboden,  wohin  sie  vermutlich  wegen 
ihrer  schlechten  Erhaltung,  dann  wegen  des  allzuprüden  Augen  vielleicht  anstößigen 
Inhalts,  vielleicht  aber  auch  wegen  ihrer  tatsächlich  recht  geringen  Qualität  vor 
Jahrzehnten  verbannt  worden  sein  mag.  Wann  und  von  wem  sie  dem  Museum 
übergeben  wurde,  ließ  sich  bis  jetzt  nicht  feststellen,  da  das  Bild  in  keinem  Katalog 
aufgeführt  ist. 

Der  vor  zwei  Jahren  gemachte  Fund  ließ  es  kaum  wahrscheinlich  erscheinen, 
daß  sich  die  Kunstliteratur  schon  mit  dem  Bild  beschäftigt  habe.  Während 
der  Niederschrift  dieser  Zeilen  wurde  ich  durch  eine  mir  liebenswürdiger  Weise 
von  Dr.  Th.  Hampe  zur  Verfügung  gestellte  Zettelnotiz  auf  einen  kurzen  Auf- 
satz in  den  Nrn.  511  und  512  des  Korrespondenten  von  und  für  Deutschland, 
Jahrgang  1843,  aufmerksam,  der  sich  mit  dem  Cimon-  und  Perobild  beschäftigt.  Er 
stammt  aus  der  Feder  von  Chr.  Mehlis  und  spricht  von  der  vor  einigen  Jahren 
(vor  1873)  gemachten  Entdeckung  des  Bildes.  Danach  hat  der  damalige  Vorstand 
der  kunst-  und  kulturgeschichtlichen  Sammlungen  des  Germanischen  Museums  A.  Eye 
zuerst  den  Maler  aus  dem  Monogramm  festgestellt.  Es  wird  auf  Verhandlungen 
hingewiesen,  die  behufs  Erwerbung  des  Gemäldes  mit  dem  Germanischen  Museum, 
König  Ludwig  I.  von  Bayern  (der  1868  starb)  und  dem  Berliner  Museum  statt- 
gefunden haben  sollen,  ebenso  auf  eine  beabsichtigte  Ausstellung  im  Nürnberger 
Albrecht  Dürer- Verein.     Das  Bild  soll  nach    derselben  Quelle  nach    seiner  Auf- 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  51 


findung  restauriert  worden  sein,  aber  1873  sich  schon  wieder  in  einem  herstellungs- 
bedürftigen Zustand  befunden  haben.  Die  angegebene  Restauration  erscheint  nach 
dem  heutigen  Befund  als  sehr  wenig  wahrscheinlich.  Als  damaliger  Besitzer  wird 
ein  Verwalter  Rüll  in  Nürnberg  genannt.  Wann  und  wie  es  schließlich  doch  ins 
Germanische  Museum  gekommen,  ließ  sich  nicht  feststellen;  jedenfalls  hat  es,  wie 
schon  erwähnt,  bis  vor  zwei  Jahren  keine  Beachtung  und  auch  keine  Aufstellung 
erfahren. 

Das  Cimon-  und  Perobild  (Abb.  auf  Taf.  VI,  links)  ist  86  cm.  hoch  und  65  cm. 
breit  und  auf  Tannenholz  gemalt.  Pero  ist  in  reichlich  halber  Figur  halb  nach 
links  gewandt  dargestellt.  Links  vor  ihr  kniet  Cimon,  von  dem  Kopf  und  Schulter 
sichtbar  sind,  sowie  ein  Teil  des  rechten  Armes.  Die  Arme  sind  als  auf  dem  Rücken 
gebunden  gedacht.  Pero  legt  die  Rechte  auf  die  linke  Schulter  des  Vaters,  mit  der 
Linken  reicht  sie  dem  Vater  die  rechte  Brust.  Die  rechte  obere  Ecke  nimmt  ein 
vergittertes  Rundfenster  ein,  durch  das  ein  Ausblick  in  die  magere  Landschaft  er- 
möglicht wird.  Das  durch  einen  dunkelgrünen  Gürtel  zusammengehaltene  in 
Orangerot  und  Orangegelb  gehaltene  Gewand  und  ebenfalls  orangerot  gehaltenen 
Flechten  Peros  geben  auf  dem  dunkelolivgrünen  Grund  die  koloristische  Haupt- 
note. Es  wäre  eine  undankbare  Bemühung,  alle  die  Zeichnungsfehler,  die  der  Lehrer 
der  Perspektive  auf  diesem  Bild  verbrochen  hat,  aufzuführen.  Am  meisten  stört 
das  Mißverhältnis  in  der  Größe  der  beiden  Köpfe.  Charakteristisch  sind  bei  Pero 
die  fast  mongolisch  geschlitzten  Augen  mit  den  verschwollenen  Augendeckeln.  Der 
Kopf  Cimons  in  seiner  unregelmäßigen  Häßlichkeit  wirkt  fast  kretinenhaft.  Die 
Oberfläche  ist  besonders  in  den  Fleischteilen  sehr  stark  abgerieben,  so  daß  die  in 
dicken,  schwarzen,  ziemlich  sorglosen  Strichen  hingeworfene  Vorzeichnung  vielfach 
zum  Vorschein  gekommen  ist.  Die  von  Mehlis  unvollständig  wiedergegebene  und 
teilweise  falsch  gelesene  Inschrift  in  der  rechten  oberen  Ecke  lautet: 

Cimonis  .  Tochter  .  Hat .  Iren  . 
Vater .  Ausz .  Vrsach  .  Der  . 
Pein  .  Im  .  Ker .  Beschlossen  . 
Vnd  .  Jetzund  .  Des .  Letzten  . 
Alters  .  Zugleich  .  Ein  .  Kind 
Irem  .  Hertzen  .  Zugenaigt 
Mit .  Iren  .  Aigen  .  Prusten  . 

Ernert. 
Valerius  .  Maximus  .  Im  Fun 
Ft .  Buch  .  Virden  .  Capitel . 
Von  .  Der .  Gutigkait . 
Gegen  .  Den  .  Eltern  .  etc. 
Lieben  .  Die  Eltern  .  Der . 
Natur .  Erst  Gebot 
15  E.S  (ineinandergezogen)  38. 

Nach  der  Feststellung  des  Cimon-  und  Perobildes  war  es  nicht  schwer,  ein 
weiteres,  wenn  auch  nicht  bezeichnetes  Werk  von  Schön  festzustellen,  nämlich  ein 
bei  der  in  der  Museumsbibliothek  aufgestellten  Scheurlbibliothek  befindliches  Halb- 


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52  ERHARD  SCHÖN  ALS  MALER. 


figurenbild  der  hl.  Magdalena  (abgebildet  Taf.  VI  rechts).  Die  Erhaltung  ist  bei 
diesem  Bild,  trotzdem  es  auch  eine  ganze  Anzahl  Schrammen  zeigt,  eine  wesentlich 
bessere ,  die  Ausführung  eine  ziemlich  sorgfältige  und  dieselbe  zeugt  vor  allem  von 
einer  größeren  Sicherheit  der  Hand.  Daraus  möchte  ich  vermuten,  daß  es  ohne  allzu- 
weit, vom  Cimon-  und  Perobild  entfernt  zu  sein,  doch  um  einige  Jahre  früher  fällt. 

Die  Dargestellte  steht  oder  sitzt  vor  einem  Tisch  mit  weißer  Steinplatte,  auf 
dem  ein  in  grünes  Leder  eingebundenes  Buch  mit  orangefarbenem  Schnitt  liegt. 
Der  Körper  ist  leicht  nach  rechts,  der  Kopf  nach  links  gewandt.  Die  Unterarme 
sind  auf  der  Tischplatte  aufgestützt,  im  rechten  Arm  hält  die  als  solche  übrigens 
nicht  bezeichnete  Heilige  einen  langschaftigen  Crucifixus.  Die  sichtbare  rechte 
Hand,  die  ziemlich  unmotiviert  entblößte  rechte  Brust,  Hals  und  Schultern  weisen 
wieder  recht  beträchtliche  Verzeichnungen  auf,  die  den  Verfasser  der  „unterweysung** 
in  keinem  viel  glänzenderen  Licht  erscheinen  lassen  als  das  direkt  stümperhafte 
Cimon-  und  Perobild.  Die  Gewandanordnung  ist  nicht  ganz  klar,  M^dalena  trägt 
ein  feines  mit  Picots  und  Goldfäden  besetztes  Hemd,  das  schleierartig  an  dem  gold- 
farbigen Haardiadem  hinten  befestigt  zu  sein  scheint,  die  Jacke  ist  orangegelb,  der 
Mantel  orangerot.  Die  Vorliebe  für  Orangetöne  ist  offenbar  für  den  späteren  Schön 
charakteristisch.  Die  Haarbehandlung,  die  dicke,  durch  die  dünn  emailartig  auf- 
getragenen Farben  durchscheinende  Vorzeichnung,  die  unsichere  Schattenmodel- 
lierung, die  auffällige  an  Ophtalmie  erinnernde  Gestaltung  der  Augen  zeigt  genau 
dieselbe  Hand  wie  auf  dem  Cimon-  und  Perobild.  Doch  wirkt  die  Magdalena  (h.  64, 
br.  45  cm)  koloristisch  viel  angenehmer,  schon  durch  den  früher  dunkelolivgrünen, 
jetzt  fast  schwarzen  einfarbigen  Grund. 

Diesen  beiden  unbedingt  sicheren  Bildern  Schöns  mag  hier  ein  drittes  gleich- 
artiges in  der  Stadtpfarrkirche  zu  Schwabach  angereiht  sein.  Es  stellt  die  heilige 
Ursula  dar.  Es  dürfte  nach  dem  Zeitkostüm,  das  besonders  sorgfältig  ausgeführt  ist, 
wieder  um  eine  Reihe  von  Jahren  früher  anzusetzen  sein  als  die  Magdalena  im  Germ. 
Museum.  Die  Heilige  steht  in  etwas  mehr  als  halber  Figur  auf  schwarzem  Grund  dem 
Beschauer  voll  zugewandt.  Der  Kopf  ist  etwas  zurückgeneigt  und  nach  links  gewandt. 
Die  rechte  Hand  hält  sie  vor  dem  Schoß,  in  der  Linken  hält  sie  zwei  gekreuzte  Pfeile. 
Das  sehr  modisch  geschnittene  Gewand  ist  rotbraun,  die  Ärmel  weiß,  das  schwarze 
Mieder  ist  ausgeschnitten  und  hat  einen  Besatz  von  goldenen  Spitzen.  Außer  mit 
einer  dicken,  gedrehten,  goldenen  Halskette  ist  sie  mit  einem  doppelreihigen  Korallen- 
halsband geschmückt,  an  dem  ein  großer  Anhänger  angebracht  ist.  Das  goldblonde 
Haar  wird  von  einer  Goldhaube  eigenartigen  Schnittes  bekrönt.  Die  gezierte  Stel- 
lung, der  fast  überreiche  Schmuck,  die  elegante  Kleidung  lassen  eher  auf  eine  sehr 
lebenslustige  Dame,  denn  auf  eine  Heilige  schließen.  Die  Ausführung  und  die  Zeich- 
nung des  zwar  nicht  bedeutenden,  aber  hübschen  Bildes  sind  sorgsamer  als  bei  den 
vorausgegangenen.  Die  durchscheinende  Vorzeichnung  in  den  Fleischteilen,  Mal- 
weise und  Farbenwahl,  der  Frauentyp  lassen  aber  dieselben  charakteristischen  Merk- 
male erkennen,  wie  die  beiden  vorerwähnten  Halbfigurenbilder.  Immerhin  zeigt 
das  Bild  sich  von  dem  oberitalienisch-lombardischen  Einfluß,  den  die  ersten  aufweisen 
und  auf  den  ich  noch  später  zurückzukommen  haben  werde,  befreit,  so  daß  es  wohl 
erheblich  früher,  etwa  um  1425,  angesetzt  werden  könnte.    Wenn,  wie  ich  glaube. 


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VON  DR.  HANS  STBGBfANN. 


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die  Zuschreibung  an  Schön  richtig  ist,  haben  wir  es  mit  seiner  besten  Leistung 
zu  tun.  Das  Bild  stammt  anscheinend  von  einem  Altarflügel.  Auf  der  Rückseite 
lassen  sich  Spuren  von  der  Befestigung  eines  Reliefbildes  ersehen.  Das  letztere 
dürfte,  ebenso  wie  das  Gemälde,  ursprünglich  in  ganzer  Figur  ausgeführt  und  in 
späterer  Zeit  abgeschnitten  worden  sein.    (Abb.  1). 


Abb.  1.    Erhard  Schön:  Hl.  Ursula.    Stadtkirche  in  Schwabach. 

Den  drei  Bildern  ist  eines  gemeinsam,  daß  sie  in  stilistischer  Beziehung  mit 
seinem  Holzschnittwerke  so  gut  wie  gar  nichts  gemein  haben,  man  müßte  denn  eine 
gewisse  Vorliebe  für  auffallend  modische  Frauenkleidung,  wie  wir  sie  auf  einer  Reihe 


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54  ERHARD  SCHÖN  ALS  MALER. 


weiblicher  Heiligenfiguren  sehen  und  wie  sie  sich  auf  dem  Schwabacher  Bild  wieder- 
findet, hier  in  Anschlag  bringen.  Ich  möchte  sogar  behaupten,  daß  ohne  das  Mono- 
gramm auf  dem  Cimon-  und  Perobild  schwerlich  auch  gewiegteste  Kenner  des  Holz- 
schnittwerkes von  Schön  auf  den  Gedanken  hätten  kommen  können,  dieses  Bild  dem 
Erhard  Schön  zuzuschreiben.  Von  dieser  Gruppe  aus  läßt  sich  Schön  zunächst 
noch  ein  weiteres  Bild  des  Germanischen  Museums  zuteilen. 

Der  Entstehungszeit  nach  ist  es  das  späteste,  nämlich  ein  Porträt  in 
ganzer  Figur,  stehend  und  in  Lebensgröße,  des  Nürnberger  Patriziers  Sigmund 
Fürer  von  1540  (Katalog,  3.  Auflage,  Nr.  562  des  Germanischen  Museums). 
H.  1,96,  Br.  0,93  m.  Das  in  Abb.  2  wiedergegebene  Bildnis  ist  auf  Leinwand 
in  Leimfarben  gemalt.  Die  Erhaltung  ist,  abgesehen  von  zahlreichen  Feuchtig- 
keitsflecken, eine  ziemlich  gute.  Die  Zuschreibung  des  unbezeichneten  Bildes  beruht 
ausscliließlich  auf  stilkritischen  Gründen.  Die  Eigenart  der  rasch  in  derben  Strichen 
hingeworfenen  Konturen,  das  allerdings  hier  durch  das  Material  mit  bedingte  blasse 
Kolorit,  die  Schattierung  in  ganz  leichten  grauen  Tönen,  die  ungeschickte  Behand- 
lung der  Füße  und  Hände,  vor  allem  aber  die  hellen  Augen  lassen  das  Bild 
in  seiner  Art  den  beiden  Stücken:  büßende  Magdalena  und  der  Cimondarstellung 
so  ähnlich  erscheinen,  daß  die  Attribution  an  Schön  gerechtfertigt  sein  dürfte.  Für 
die  Nürnberger  Schule  dürfte  das  Bild  schon  insofern  von  Interesse  sein,  als  es  wohl 
das  früheste  lebensgroße  Bildnis  in  ganzer  Figur  ist.  Als  Kunstwerk  im 
ganzen  recht  schwach,  hat  es  doch  einige  gute  malerische  Qualitäten,  vor  allem 
koloristische.  Die  etwas  leblos  stehende,  ganz  in  Schwarz  gekleidete  Figur  hebt 
sich  von  dem  hellen,  gelbgrünen  Hintergrund  trefflich  ab,  der  breite  Pelzbesatz  der 
Schaube,  ganz  breit  heruntergestrichen,  wirkt  doch  außerordentlich  naturwahr,  so 
daß  auf  einige  Entfernung  der  Pelzcharakter  geradezu  täuschend  getroffen  ist.  Am 
besten  ist  der  Kopf  gelungen.  Die  nichts  weniger  als  regelmäßigen  Züge  mit  der 
kurzen,  eingedrückten  Nase,  dem  breiten  Raum  zwischen  ihr  und  dem  breiten,  in 
den  Winkeln  herabgezogenen  Mund,  die  etwas  glotzenden  Augen,  der  kurze,  dicke 
Hals  geben  dem  Bild  etwas  froschartiges.  Offenbar  aber  ist  es  dem  Maler  gelungen, 
mit  sehr  wenig  Aufwand  von  Mitteln  und  recht  sicherer  Hand  ein  lebenswahres  Bild 
zu  geben,  das  sogar  die  geistige  Komplexion,  Klugheit  und  eine  gewisse  Gutmütig- 
keit deutlich  zum  Ausdrucke  bringt.  Der  Dargestellte  (nach  Biedeimanns  Ge- 
schlechtsregister), Sigmund  III.  Fürer  zu  Kirmreuth  und  Röthenbach,  war  am 
21.  März  1470  geboren  und  starb  kinderlos  am  19.  Januar  1547.  Er  war  Rat  des 
Kaisers  Maximilian  I.,  Pfleger  zu  Engelthal  und  begabte  die  Kirche  zu  Gnadenberg 
bei  Altdorf  mit  sehr  reichen  Schenkungen.  Die  Inschrift  oberhalb  und  zu  Seiten 
des  Kopfes  ist  ein  dichterisch  sehr  schwacher  Vierzeiler  und  lautet: 

Als  Man  Nach  Der  Geburt  Cristi  1540  Jar  24  Marcio  Zalt 

War  Ich  Sigmunt  Eurer  70  Jar  2  Tag  Alt 

Lies  Ab  Cunterfetten  Mein  Gestalt 

Vnd  Stel  Alle  Mein  Thun  In  Gottes  Gewalt. 

Das  Bild  war  also  eine  Gelegenheitsschöpfung  und  ist  als  solche  an  der  flüch- 
tigen und  raschen,  aber  doch  sorgsamen  Durchführung  zu  erkennen. 

Im  vorausgehenden  wurde  auf  das  gesicherte  Holzschnittwerk  so  gut  wie  keine 
Rücksicht  genommen,  vielmehr  das  schon  sehr  späte  Cimon-  und  Perobild  als  Aus- 


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VON  DK.  HANS  STEGMANN. 


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Abb.  2.    Erhard  Schön:  Bildnis  Sigmund  Furers.    Germanisches  Museum. 


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56  ERHARD  SCHÖN  ALS  MALER. 


gangspunkt  der  Untersuchung  angenommen.  Zum  mindesten  für  die  frühere  Periode 
des  Künstlers  müssen  aber  doch  dessen  graphische  Werke  für  die  Forschung  nach 
weiteren  Bildern  in  Anspruch  genommen  werden. 

Auf  den  Katalog  der  Schönschen  Holzschnitte  bei  dieser  Gelegenheit  einzugehen, 
liegt  nicht  in  meiner  Absicht,  da  eine  Prüfung,  Mehrung  oder  Minderung  desselben, 
wie  er  heute  nach  Dodgsons  Studien  uns  vorliegt,  für  die  reine  Erkenntnis  Schöns 
als  Maler  kaum  von  ausschlaggebendem  Einfluß  sein  könnte. 

Die  Forschung  nach  weiteren  Gemälden  Schöns  hat  wohl  von  dem  großen 
Rosenkranz,  Pass.  35,  bezüglich  dessen  gemalter  Replik  oder  Vorlage  als  einem, 
dem  Bild  mit  Cimon  und  Pero  als  anderem  Angelpunkt  auszugehen.  In  gewissem 
Sinne  können  diese  beiden  Werke  auch  zeitlich  vielleicht  als  Ausgangs-  bezw.  End- 
punkt der  malerischen  Tätigkeit  Schöns  gelten.  Das  Rosenkranzbild  als  Holzschnitt 
ist  ebensowenig  als  die  gemalten  Rosenkranzdarstellungen  datiert.  Die  Bezug- 
nahme auf  eine  Ablaßerteilung  Leo  X.,  die  schwerlich  vor  1513  erfolgen  konnte  und 
die  ablaßfeindliche  Stimmung  in  Nürnberg  nach  1520  gebietet  förmlich,  die  Ent- 
stehung von  Holzschnitt  und  Bild  in  den  Zeitraum  von  1513—20  zu  setzen. 

Als  weiterer  Ablaßerteiler  ist  „Primus  Albertus"  genannt.  Albrecht  wurde 
1514  Erzbischof  von  Mainz  und  1418  Kardinal.  Da  er  im  Gegensatz  zu  andern 
an  derselben  Stelle  erwähnten  Kaidinälen  nicht  als  solcher  bezeichnet  wird,  dürfte 
ziemlich  sicher  der  Rosenkranzholzschnitt  eben  in  die  Jahre  1514—18  fallen.  Ge- 
malte Rosenkranzdarstellungen,  die  sich  inhaltlich  und  formell  an  den  Schönschen 
Holzschnitt  eng  anschließen,  sind  nur  zwei  bekannt.  Der  eine  (Abb.  4)  in  der  Galerie 
des  Germanischen  Museums  (Kat.  des  Germ.  Mus.  Nr.  233,  3.  Aufl.),  der  andere  in  der 
Rosenkapelle  der  Stadtpfarrkirche  zu  Schwabach  (Abgeb.  Kat.  der  historischen  Aus- 
stellung, Nürnberg  1906).  Beide  setzen  trotz  mancher  Veränderung  und  Verein- 
fachung in  den  Einzelheiten  den  Holzschnitt  voraus.  Daß  dieser  nicht  etwa  die 
Nachbildung  nach  einem  der  Gemälde  sein  kann,  dürfte  schon  daraus  erhellen,  daß 
jedes  der  beiden  Bilder  mancherlei  Details  enthält,  die  wohl  auf  dem  Holzschnitt, 
nicht  aber  auf  dem  anderen  Gemälde  sich  vorfinden.  Die  Provenienz  des  zum 
Königlichen  Hausgut  gehörigen  Rosenkranzes  in  der  Galerie  des  Germanischen 
Museums  ist  nicht  zu  bestimmen. 

Die  ersten  datierten  Holzschnittarbeiten  Schöns  in  dem  von  Clein  in  Lyon 
für  Koberger  1516  gedruckten  „Hortulus  animae"  tragen  die  Jahreszahl  1515.  Die 
Vermutung,  daß  der  Beginn  künstlerischer  Tätigkeit  Schöns  in  die  ersten  Jahre 
des  zweiten  Jahrzehnts  des  16.  Jahrhunderts  falle,  wird  durch  beide  Umstände 
wahrscheinlich  gemacht.  Für  den  neben  dem  Holzschnitt  des  Rosenkranzbildes 
(Abb.  3)  hier  wiedergegebenen  gemalten  Rosenkranz  möchte  ich  Erhard  Schön  als 
Maler  nicht  annehmen.  Er  dürfte  vielmehr  von  einem  Meister  gemalt  sein,  der 
in  seiner  ganzen  Entwicklung  noch  ganz  und  gar  im  15.  Jahrhundert  steckt.  Die 
harte  und  eckige,  dabei  kleinliche  Art,  entspricht  der  malerischen  Behandlung 
Schöns  in  seinen  späteren  Bildern  ganz  und  gar  nicht. 

Weiter  eher  schon  könnte  man  daran  denken,  das  Rosenkranzbild  in  der 
Stadtpfarrkirche  in  Schwabach  (abgebildet  im  Katalog  der  historischen  Ausstel- 
lung der  Stadt  Nürnberg  1906  No.  67,  S.  395)  mit  Schön  in  Verbindung  zu 
bringen.   Aber  auch  hier  stimmt  die  miniaturenartige  Feinheit  der  Durchführung, 


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VON  DR.  HANS  STE6BIANN. 


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ihr  Reichtum  der  Palette  im  Gegensatz  zum  späteren  Schön  zu  wenig  zusammen, 
um   ehe  weitere  Bindeglieder  zu  seinem  späteren  malerischen  Schaffen  gefunden 


Abb.  3.    Erhard  Schön:  Der  Rosenkranz.    Holzschnitt.  Germanisches  Museum. 

sind,  an  eine  so  proteusartige  Wandlungsfähigkeit  des  handwerklichen  Erhard  Schön 
zu   glauben.    Bei   dem   schon  oben  erwähnten  Bamberger  Bild   mit   den   sieben 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationahnuseum.    1906.  8 


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58  ERHARD  SCUÖN  ALS  MALKR. 


Seligkeiten  Maria  vermag  ich  höchstens  in  der  gedrängten  Figurenanordnung,  die 
aber  bei  so  kleinfigurigen  Darstellungen  dieser  Zeit  typisch  ist,  als  an  den  Schönschen 
Rosenkranz  erinnernd,  anzuknüpfen.  Ich  halte  das  Bild  überhaupt  nicht  für 
nümbergisch. 


Abb.  4.    Gemälde  des  Rosenkranzes.    Nürnberger  Schule,  1510—20.    Germ.  Museum. 

Wenn  von  Nürnberger  kleinfigurigen  Bildern  eines  mit  Ehrhard  Schön  nach 
den  bisherigen  Feststellungen  etwas  mit  Schön  zu  tun  haben  könnte,  so  wäre  es 
eine  aus  der  Nürnberger  Frauenkirche  stammende,  vor  einigen  Jahren  für  das 
Germanische  Museum  erworbene  große  Passionstafel  von  1513  mit  15  Darstellungen. 


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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  59 


Chr.  Rauch  in  seinem  Buch  über  die  Trauts  (S.  111  f.)  hält  die  Tafel  für  eine 
Wolf  Traut  nahestehende,  zum  Teil  über  sein  Können  hinausgehende,  aber  sicher 
von  einem  Schüler  Hans  v.  Kulmbachs  herrührende  Arbeit.  Soweit  eine  direkte 
Nebeneinanderstellung  von  Bildern  und  Holzschnitten  statthaft  ist,  dürfte  eine  Ver- 
wandschaft der  Typtn  der  Passionstafel  mit  denen  auf  Schöns  besten  Holzschnitt 
nicht  zu  verkennen  sein.  Sollte  Schön  die  Tafel  gemalt  oder  doch  stark  an  ihr 
beteiligt  sein,  worauf  die  starke  Vorliebe  für  rote  und  gelbe  Töne,  die  für  Schön 
charakteristisch  ist,  ebenfalls  aufgeführt  werden  könnte,  so  müßte  man  freilich 
das  künstlerische  Vermögen  Schöns  in  der  Jugend  wesentlich  höher  als  dasjenige 
seines  Alters  annehmen.  Berücksichtigt  werden  dürfte  aber  die  wesentlich  geringere 
malerische  und  zeichnerische  Schwierigkeit  bei  kleinfigurigen  Bildern.  Die  Tafel 
ist  176  cm  hoch  und  240  cm  breit. 

Die  Vergleichung  mit  den  weiblichen  Heiligenfiguren  des  Koberger-Cleinschen 
Hortulus  animae  von  1517  einerseits,  mit  den  drei  beschriebenen  Halbfigurenbildern 
andererseits  lassen  für  Schön  noch  ein  weiteres,  ebenfalls  im  Germanischen  Museum 
befindliches  Werk  als  sicher  erscheinen.  Und  zwar  sind  es  hier  zum  weitaus  ge- 
ringeren Teil  die  Holzschnitte,  als  eben  wieder  die  nichts  weniger  als  trefflichen, 
aber  sehr  auffälligen  malerischen  Eigenschaften,  die  den  Urheber  erkennen  lassen. 
Aus  der  Pfarrkirche  in  Wendelstein  von  einem  größeren  Altarwerk  besitzt  das  Ger- 
manische Museum  zwei  gemalte  Flügel,  von  denen  der  eine  schon  1853  ™  Museum 
nachweisbar,  also  vermutlich  der  Aufseßischen  Sammlung  angehörte  (Kat.  der  Ge- 
mälde des  Germ.  Mus.,  3.  Aufl.,  Nr.  479  und  A80).  Der  eine  der  beiden  Flügel  stellt 
in  Lebensgröße  zwei  weibliche  Figuren  dar  (Abb.  5).  Die  links  stehende,  halb  nach 
rechts  gewandt,  ist  als  elegante  Modedame  der  Zeit  von  1520— 3Ö  gekleidet  —  man 
wird  anläßlich  dieses  Toilettenaufwandes  sofort  an  die  hl.  Ursula  in  Schwabach 
erinnert  —  und  zwar  ohne  Heiligennimbus,  die  andere  rechts,  halb  nach  links  ge- 
wendet, ist  eine  heilige  Nonne.  In  der  Mitte  ein  Baum  mit  spitzen,  schlanken 
Blättern  und  roten  Früchten ;  ob  es  ein  Kirschen-  oder  Olivenbaum  sein  soll,  dar- 
über kann  man  zweifeln.  Die  heilige  Nonne  hält  in  der  Rechten  einen  abgeschnit- 
tenen Gänsefuß,  nach  anderen  ein  Füllhorn,  zu  ihren  Füßen  tummeln  sich  3  weitere 
Gänse.  Bei  beiden  Figuren  handelt  es  sich  um  eine  fast  Unbekannte  Lokalheilige 
des  kleinen  Marktfleckens  Wendelstein  bei  Schwabach  in  der  Nähe  von  Nürnberg, 
der  hl.  Ahahildis  oder  Atzin.  Auch  ihre  Legende  ist  ziemlich  in  Dunkel  gehüllt. 
Nur  so  viel  steht  fest,  daß  nach  dem  angeblich  1447  aufgefundenen  Grabstein  die 
hl.  Ahahildis  die  Schwester  der  Kaiserin  Kunigunde  und  die  Stifterin  der  Pfarr- 
kirche Wendelstein  gewesen  sein  soll.  Die  doppelte  Darstellung  bezieht  sich  auf 
die  Sage,  daß  die  Heilige  zuerst  mit  ihrem  Gatten  in  kinderreicher  Ehe  lebend,  für 
den  Rest  des  Lebens  Keuschheit  gelobte  und  sich  dann  durch  besondere  Werke  der 
Barmherzigkeit  auszeichnete.  Das  Bild  links  stellt  jedenfalls  Ahahildis  vor  ihrem 
heiligmäßigen  Leben  als  Weltdame  dar,  das  Nonnengewand  der  rechten  Figur  hat 
als  Symbol  der  Keuschheit  zu  gelten.  Die  Deutung  des  Öl-  oder  Kirschbaums,  so- 
wie die  Beziehung  der  Gänse  ist  unbekannt.  Zeichnung  und  Malweise  an  den  un- 
berührten Stellen  —  auch  diese  Tafel  ist  sehr  schlecht  erhalten  und  teilweise  über- 
malt, vor  allem  aber  die  Farbengebung  stimmen  mit  den  Halbfigurenbildern  im 
Museum  und  in  Schwabach  so  genau  überein,  daß  ein  Zweifel  an  der  Autorschaft 


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60  ERHARD  SCHÖN  ALS  MALER. 


Abb.  5.    Erhard  Schön:  AltarflOgel  mit  der  hl.  Ahahildis.    Germ.  Museum. 

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VON  DR.  HANS  STEGMANN.  61 


Schöns  hier  völlig  ausgeschlossen  erscheint.  Neben  der  eigenartigen,  auch  hier  durch- 
scheinenden groben  Vorzeichnung,  der  mangelhaften  Perspektive  in  den  Figuren, 
besonders  schlecht  sind  die  gekreuzten  Unterarme  der  Nonne  ausgefallen,  ist  auch 
hier  das  Vorherrschen  von  Rot  (Gewand  der  Weltdame)  und  Orangegelb  (Mantel 
der  Nonne)  bemerkenswert.  Die  Landschaft  in  ihrem  stumpfen  Charakter  gleicht 
ganz  der  durch  das  Fenster  sichtbaren  im  Cimon-  und  Perobild.  Immerhin  hat 
Schön  hier  eine  gewisse  Selbständigkeit  zu  verzeichnen;  der  allgemeine  Eindruck 
ist,  wenn  man  über  die  etwas  unbeholfene  Stellung  der  beiden  Frauen  hinwegsieht, 
sogar  ein  ziemlich  bedeutender. 

Von  der  Rückseite  (Außenseite)  sind  bloß  Spuren  von  Gewändern  und  eines 
Teppichhintergrundes  erhalten  geblieben.  Die  Malereien  waren  in  Leimfarbe  aus- 
geführt. Trotzdem  lassen  diese  Reste  die  Art  der  Malerei  Schöns  in  dieser  Technik 
deutlich  erkennen  und  führen  sogar  auf  die  Spur  eines  gleichartigen  Werkes  der- 
selben Hand,  nämlich  der  Rückseite  des  Schwabacher  Altars,  der  in  Wolgemuts  Werk- 
statt oder  vielleicht  richtiger  für  dessen  kirchliche  Kunstanstalt  in  den  Gemälden 
der  Vorderseite  möglicherweise  von  Wolf  Traut  ausgeführt  wurde.  Leicht  möglich, 
daß  an  den  späteren  Werkstattarbeiten  des  Wolgemutconcern  auch  Erhard  Schön, 
wie  so  viele  andere,  beteiligt  war. 

Der  zweite  ebensogroße  Flügel  braucht  uns  hier  nicht  ausführlicher  zu  be- 
schäftigen. Er  stellt  eine  sozusagen  strichgetreue  Kopie  des  hl.  Georg  auf  dem 
Dürerschen  Holzschnitt  (B.  ill)  dar.  Der  Maler  war  nur  wegen  des  Formats  ge- 
nötigt, das  Ganze  zu  komprimieren,  schmaler  zu  machen,  was  für  die  künstle- 
rische Wirkung  selbstverständlich  nicht  von  Vorteil  sein  konnte.  Die  koloristische 
Wirkung,  soweit  man  dieselbe  beurteilen  kann,  war  aber  recht  glücklich.  Die  ganze 
Mittelpartie  des  Bildes  mit  dem  Rumpf  des  hl.  Georg  und  dem  Hals  und  Kopf  des 
Pferdes  ist  Ergänzung.  Von  den  Malereien  der  Rückseite  ist  hier  nur  eine  Bischofs- 
mitra  teilweise  erhalten. 

Es  dürfte  im  Anschluß  an  die  vorstehenden  Untersuchungen,  die  sich  absicht- 
lich im  wesentlichen  auf  das  im  Germanischen  Museum  enthaltene  Material  be- 
schränken, nicht  schwer  sein,  das  gemalte  Werk  Erhard  Schöns  noch  weiter  zu  ver- 
mehren. Die  Grundzyge  seiner  Art  und  Unart  treten  darin  deutlich  genug  hervor, 
um  sichere  Schlüsse  auf  weitere  Arbeiten  zuzulassen.  Ob  es  allerdings  der  Mühe 
verlohnt,  diesen  Maler  höchstens  dritten  Rangs  mit  besonderem  Aufwand  von  Mühe 
und  Zeit  nachzugehen,  muß  dahingestellt  bleiben.  Besondere  Aufschlüsse  über  die 
eigentlich  etwas  verkümmerte  Kunstentwicklung  Nürnbergs  nach  1520,  soweit  die 
Malerei  in  Frage  kommt,  dürfte  auch  ein  wesentlich  erweitertes  Werk  Erhard 
Schöns  kaum  ergeben. 


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DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 


von 
WALTER  STENGEL. 

(Mit  2  Tafeln.) 
(Fortsetzung  und  Schluß.) 


IL  Bunte  Hafnerware. 

Unsere  Kenntnis  der  bunt  glasierten  Hafnerarbeiten  der  Renaissance  ist  neuer- 
dings durch  A.  Walcher  v.  Moltheins  Forschungen  wesentlich  bereichert  worden. 
Walcher  verdanken  wir  die  Zuweisung  einer  Gruppe  der  früher  sogenannten  Hirsch- 
vogelkrüge an  die  Nürnberger  Hafnerfamilie  Preuning,  ihm  auch  grundlegende  Unter- 
suchungen über  den  Anteil  der  österreichischen  Länder.  —  Die  bunten  Krüge  des 
16.  Jahrh.  finden  sich  im  Germanischen  Museum  noch  nicht  so  zahlreich  wie  es  der 
bedeutsamen  Rolle,  welche  die  Nürnberger  Töpferkunst  auf  diesem  Gebiete  gespielt 
hat,  entsprechen  würde.  Immerhin  sind  einige  Prachtstücke  vorhanden.  So  der 
große  Krug  H.  G.  734*  (Abb.  Kunst  und  Kunsthandwerk  Vll  S.  490)  den  Walcher 
einem  Nachfolger  des  Paul  Preuning  zuschreibt.  Gut  ist  auch  die  „Wasserblase" 
H.  G.  4770  (Abb.  Walcher,  Bunte  Hafnerkeramik  der  Renaissance,  Wien  1906,  S.  43) 
mit  Adam  und  Eva,  der  Kreuzigung  und  dem  armen  Lazarus  am  Tische  des  Reichen. 
Ein  ganz  ähnliches  Gefäß,  mit  demselben  Mittelrelief  der  Kreuzigung  auf  citrongelbem 
Grund  und  mit  den  Darstellungen  einer  Ohrenbeichte  und  der  Bekehrung  Pauli  befand 
sich  zuletzt  in  der  Sammlung  Lippmannn-Lissingen.  Erfreulich  wirken  an  dem  Nürn- 
berger Exemplar  die  derb  modellierten  Figuren  von  Adam  und  Eva,  die  einander 
umschlungen  halten.  Nach  Walcher  ist  diese  Wasserblase  im  Salzkammergut  oder 
in  der  Stadt  Wels  gearbeitet,  um  1550. 

Als  charakteristisch  für  Nürnberg  gelten  die  sogenannten  Plutzer.  Es  heißt, 
daß  sie  viel  nach  Österreich  exportiert  wurden,  wie  sie  denn  auch  im  Handwerks- 
wappen österreichischer  Töpferinnungen  erscheinen.  Ein  solcher  Flaschenkrug  mit 
dem  Wappen  von  Nürnberg  befindet  sich  in  der  Sammlung  Figdor.  Als  weiterer 
Beleg  für  die  Nürnberger  Heimat  der  Gefäß-Type  kann  der  glatthenkelige  Plutzer 
H.  G.  1959*  dienen  (un verziert  und  mit  Ausnahme  des  Mundstücks  ohne  Glasur), 
der  beim  Ausheben  von  Baugrund  in  der  Theresienstraße  in  Nürnberg  gefunden 
wurde.  ^^) 

Aus  der  Gruppe  von  Gefäßen  mit  Sandanguß  besitzt  das  Museum  einen  Bart- 
mann, H.  G.  2523.*  Der  sehr  bestimmten  Taufe  dieser  Spezialität  auf  den  Namen 
Oswald  Reinhards,  Hirschvogels  Kompagnon,  die  Walcher  vorgenommen  hat,  können 
wir  nicht  beipflichten.*®)  Walcher  führt  als  Taufzeugen  den  sogen.  Zwinglibecher  des 

35)  Mit  dem  in  den  Mitteil.  d.  Germ.  Mus.  1898  S.  1  ff.  besprochenen  Hellerschen  Epitaph  vom 
Jahre  1554  ist  noch  besonders  zu  vergleichen  eine  bunte  Waschtoilette  (m.  Liebesszene  am  Brunnen) 
im  Münchener  Nationalmuseum,  Nr.  4023  (Raum  79):    auf  den  weißen  Pilastern  blaue  Ranken. 

36)  Vgl.  E.  W.  Braun  in  Kunst  und  Kunsthandwerk  1906.  495  und  H.  Stegmann  in  Mitteil, 
a.  d.  Germ.  Mus.  1907,  S.  47- 


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BUNTE  HAFNERWARE 


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Züricher  Landesmuseums  an  (a.a.O.  S.  iSff.).  Der  Deckel  desselben  enthält  eine 
Inschrift,  die  bisher  (vgl.  H.  Angst  im  Anzeiger  f.  Schweizer.  Altertumskunde  1892) 
„Caroli  M  cui  cui  poculum  hoc  inserviit"  gelesen  wurde,  während  einige  vorstehende 
Worte  nicht  zu  entziffern  waren.  Indem  Walcher  nun,  nach  einer  Photographie, 
ziemlich  deutlich  liest  „Rein  (h)  .  .  .  Zwingly  cui  poculum  hoc  inserviit",  ergänzt 
er  das  erste  Wort  als  „Reinhardus"  und  kombiniert  dann  weiter,  da  der  durch  eine 
Tradition  und  wie  es  scheint  auch  in  der  Inschrift  als  Besitzer  des  Bechers  genannte 
Reformator  Zwingli  einen  gewissen  Oswald  Reinhard,  Gastwirt  in  Zürich,  zum 
Schwiegervater  hatte,  daß  der  zeitgenössische  Hafner  Oswald  Reinhard  in  Nürnberg 
jedenfalls  mit  dem  in  der  Inschrift,  wohl  als  Schenker  und  Verfertiger  in  einer  Person, 
angegebenen  Reinhardus  identisch  sei.  Die  Hypothese  wird  noch  dadurch  gestützt, 
daß  dieser  Hafner  der  einzige  Reinhard  seines  Handwerks  in  Nürnberg  gewesen 
zu  sein  scheint.  Er  war  mithin  wohl  kein  geborener  Nürnberger,  sondern 
Schweizer.  Kommen  doch  Hafner  des  Namens  im  17.  und  noch  im  18.  Jahrhundert 
in  Winterthur  vor.  —  Ebensowenig  wie  mit  dieser  schwierigen  Beweisführung  kann 
ich  mich  damit  einverstanden  erklären,  wenn  hier  auf  Neudörffer  Bezug  genommen 
wird.  „Der  Becher  ist  für  Neudörffer  welsch,  weil  er  bunt  ist  und  ihn  daher 
an  italienische  Majoliken  erinnert"  (a.a.O.  S.20).  Das  heißt  doch  auf  den  Stand 
der  Hirschvogelfrage  vor  Friedrich  zurückgehen.  Walcher  schaltet  denn  auch  folge- 
richtig das  Fayenceproblem  ganz  aus.  „In  welchem  Sinne  hätte  auch  Hirsch vogel 
sich  als  Kunsthafner  äußern  sollen  ?  Die  Renaissancekeramik  Nürnbergs  kennt  nur 
zwei  Gefäßgruppen,  die  künstlerisch  ausgeführt  wurden  (die  Gefäße  mit  Sandanwurf 
und  die  Preuningkrüge).  Es  bleiben  uns  somit  keine  Gefäße  übrig,  die  wir  ihm  zu- 
legen könnten,  denn  alles  andere  war  minderwertig."  Schon  C.  Friedrich  —  er  war 
Bibliothekar  am  Gewerbemuseum  in  Nürnberg  —  hatte  die  erhaltenen  Fayencen 
nicht  in  die  Betrachtung  einbezogen  und,  trotz  Essenweins  Veröffentlichung,  die  zehn 
Jahre  früher  erschien,  in  einem  besonderen  Kapitel  nachgewiesen,  daß  man  um  1530 
weder  in  Deutschland  noch  in  Venedig  das  Zinnemail  gekannt  hat.  Der  Hinweis  auf 
die  bei  Goldschmiedearbeiten  der  beginnenden  Renaissance  für  becherartige  Gefäße 
übliche  Gestalt,  die  der  Zwinglibecher  wiedergibt,  ist  gewiß  einwandsfrei.  Ob  aber 
der  Sandanwurf  das  Aussehen  gegossenen,  rauhen,  noch  nicht  nachgearbeiteten, 
somit  unpolierten  Metalls  geben  sollte,  muß  auf  sich  beruhen.  Mit  gleichem  Rechte 
möchte  an  die  gesprenkelte  Glasur  rheinischen  Steinzeugs  erinnert  werden.  In 
der  Form  sind  einige  der  körnigen  Gefäße  jedenfalls  von  diesem  beeinflußt,  so  der 
Bartmann  H.  G.  2523*  und  eine  Schnelle  im  National-Museum  in  München,  mit  der 
Solon  Fig.  66  und  67  zu  vergleichen  wäre.  Die  Drachenhenkel  der  Louvreflasche  wieder- 
holen sich,  worauf  0.  v.  Falke®^)  hingewiesen  hat,  in  Siegburg.  Bezüglich  der  Vase 
bei  Figdor  —  ein  zweites  weniger  gutes  Exemplar  in  der  Sammlung  v.  Lanna  — 
ist  zu  bemerken,  daß  die  Form  außer  zwei  kleinen  Bechern  mit  Bleiglasuren  im  Kölner 
Kunstgewerbemuseum  und  einer  Anzahl  von  braunen  Steinzeugkrügen  aus  der  Maxi- 
minenstraße, noch  anderwärts  vorkommt.  Eine  solche  Steinzeugvase  im  National- 
Museum  in  München  (Nr.  703,  im  romanischen  Saal  aufgestellt)  ist  ähnlich  wie  das 
Figdorsche  Gefäß  an  der  Mündung  mit  einem  gravierten  Silberband  gefaßt,  dessen 


37)  Vgl.  Jahrb.  d.   Königl.  Preuß.  Kunstsamml.  XIX,  197- 


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64  DBUTSCHB  KERIMIK  IM  QERMANISCHEN  MUSEUM 

deutsche  Inschrift  nach  den  Kapital-  und  Unzialcharakteren  zu  urteilen,  auch  dem 
16.  Jahrh.  angehören  kann.  Goldmontiert  und,  wie  ein  Toilettengerät  zum  Tropfen 
mit  einem  Schraubdeckel  versehen,  der  sich  zu  einer  offenen  Spitze  erhebt,  ist  ein 
zweites  größeres  Stück  der  Art  in  demselben  Museum  (Nr.  I6i0,  Saal  25,  Vitrine  II). 
Hier  entspricht  dem  bei  dem  Figdor-Becher  in  Ton  modellierten  gedrehten  Stab  an 
der  Einschnürung  eine  Goldtorques.  Dieses  Gefäß  ist  in  Ölfarbe  bemalt  mit  der 
Jahreszahl  1580,  einer  Kreuzigungsgruppe  und  dem  Wappen  der  Abtei  von  Hersfeld. 
Ein  drittes  Stück,  das  in  Augsburg  bei  einem  Erweiterungsbau  der  Fronveste  aus- 
gegraben worden  ist  (jetzt  im  Museum  Maximilianeum,  Nr.  86  bietet  keinerlei 
Anhalt  für  die  Datierung,  ebensowenig  ein  gleichartiges  (jefäß^®)  in  der  Sammlung  des 
Historischen  Vereins  für  Mittelfranken  in  Ansbach  (Bodenfund,  Steinzeug  von  stumpfer 
eisenviolettgrauer  Färbung  mit  einem  braunschimmemden  Fleck).  Wir  wissen 
zu  wenig  von  mittelalterlicher  Keramik,  um  die  Frage  nach  dem  Alter  des  T)rpus 
entscheiden  zu  können.  Ein  Gefäß  von  der  gleichen  Grundform,  das  in  der  Burg 
Tannenberg  (13.-14.  Jahrhundert)  ausgegraben  wurde  (Hefner  und  Wolf,  Die  Burg 
Tannenberg,  Tafel  Vn)  läßt  die  charakteristische  Glockenschwellung  des  Halsteils 
vermissen.  Es  scheint,  daß  diese  Form  nicht  wesentlich  älter  ist  als  das  16.  Jahr- 
hundert. Und  wenn  bei  B.  Beham  (Bartsch  168)  ein  solcher  Becher  auf  einem  länd- 
lichen Tische  steht, •*)  so  könnte  die  Form  wohl  auch  als  autochthon  fränkisch  gelten. 
Tatsächlich  taucht  sie  noch  im  17.  Jahrhundert  in  der  Creussener  Krugbäckerei 
vereinzelt  auf  (Madonnenbecher  v.  J.  1671  im  Berliner  Kunstgewerbemuseum). 
Es  stünde  also  von  dieser  Seite  nichts  im  Wege,  die  Figdor-Vase  und  damit  die  ganze 
Fseudo-Reinhart-Gruppe  für  Bayern  und  Franken,  wenn  nicht  mit  Walcher  für 
Nürnberg  zu  reklamieren.  —  Einen  einigermaßen  verwandten  Dekor  (dicht  gedrängte 
Beeren  -  Noppen)  zeigt  der  Krug  (mit  dem  sächsischen  Wappen)  H.  G.  4069*, 
dessen  Profil  man  mit  dem  Annaberger  Koller  -  Krug  verglichen  hat.  Ganz 
ähnlich  ist  ein  Krug  im  Österreichischen  Museum  in  Wien,  mit  der  gleichen  Dar- 
stellung der  Taufe  Christi.  Letzterem  Exemplar,  das  im  Profil  etwas  abweicht  und 
wenig  älter  sein  dürfte,  fehlen  die  blauweißen  Glasurstreifen  am  Hals  und  die 
seitlichen  Medaillons. 

Beerennoppen  schmücken  auch  die  dünnwandigen,  schwarzen  Stangen- 
Becher  H.  G.  710,  731*.  Der  Scherben  ist  weißlich  und  ziemlich  hart  gebrannt. 
Als  weitere  Verzierung  dient  hier  eine  feine  wellige  Riefelung.  Diese  Becher*®)  ent- 
stammen derselben  Werkstatt,  aus  der  die  schwarzen  Tonbären  (vergl.  H.  G.  6474) 
herrühren,  die  0.  v.  Falke  als  Kölnische  Arbeit  um  1615  bestimmt  hat.  Die  Zu- 
sammengehörigkeit zeigt  noch  deutlicher  ein  gleichartiger  Stangenbecher  in  Maihingen, 
an  dem  sich  u.  a.  Reliefs  musizierender  Tiere  finden.  Ein  ähnlicher  Becher,  gleichfalls 
mit  Reliefdekor,  steht  im  National-Museum  in  München.  Das  Maihinger  Exemplar 
hat  das  Wappen  von  Augsburg. 

38)  Nach  einer  freundlichen  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Preger,  Ansbach,  irrtümlich  ab- 
gebildet im  Limeswerk  Castell  Dambach  Tafel  IV  7  (zu  p.  15). 

39)  Auf  einem  Blatt  von  H.  Burgkmair  (Pass.  106)  erscheint  es  zweifelhaft,  ob  nicht  statt 
eines  Bechers  ein  Geldbeutel  gemeint  ist.  Begründet  wäre  dieser  Zweifel  bei  dem  1501  datierten 
Frankfurter  Altar  des  älteren  Holbein  (Abendmahl),  wo  das  Objekt  in  der  Nähe  von  Judas  steht 

40)  Ein  montiertes  Exemplar,  aus  Schloß  Schwarzburg,  ist  in  der  Zeitschrift  des  Mün- 
chener Altertumsvereins  N.  F.  XI  32  abgebildet. 


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65 


(H.  G.  4797)  Abb.  8. 


III.  Steinzeug. 

In  der  alten  Karthause  beim  Ausheben  von  Museumsbaugrund  gefunden  ist 
das  Fragment  H.  G.  716*  eines  Siegburger  Gefäßes  aus  dem  15.  Jahrhundert. 
Die  Form  ergänzt  sich  nach  Maßgabe  vollständig  erhaltener  Exemplare  (Museum 
in  Trier,  Sammlung  A.  v.  Oppenheim)  zu  einer  rübenartigen  Gestalt,  die  von 
vier  genarbten  Reifen  in  fünf  Zonen  zerlegt  wird.  Als  Verzierung  dienen  angesetzte 
Ösen,  die  zur  Aufnahme  von  hängenden  Ringen  bestimmt  waren  und  aufgelegte 
Figuren.  Diese  stellen  dar  einen  der  heiligen  drei  Könige,  den  Mohren,  der  eine  Vase 
trägt  (dasselbe  Modell  ist  an  der  gehenkelten  Kruke  der  Sammlung  v.  Oppenheim 
zur  Verwendung  gekommen)  ferner  einen  stehenden  heiligen  Georg,  der  den 
Drachen  tötet  und  einen  knieenden  Armbrustschützen.  Besonders  die  letzteren  beiden 
Figürchen  sind  sehr  zierlich  modelliert.  Man  darf  hier  wohl  niederrheinische  Gold- 
schmiedearbeiten als  Vorbilder  voraussetzen.  Es  sei  nur  auf  die,  freilich  etwas 
jüngere,  kleine  Georgsfigur  der  schönen  gotischen  Schützenkette  mit  dem  Wappen 
der  Grafen  von  Limburg  (Katalog  der  Frankfurter  Kunstgewerbeausstellung  1875, 
Taf.  21)  hingewiesen;  das  Vorhandensein  eines  Armbrustschützen  an  dem  Stein- 
zeuggefäß legt  einen  solchen  Vergleich  ja  nahe. 

Noch  ein  Nürnberger  Bodenfund  verdient  besonders  hervorgehoben  zu  werden: 
das  Fragment  H.  G.  4797*,  das  bei  einem  Neubau  außerhalb  der  Stadtmauer,  jetzt 
Spittlertorgraben   Nr.  3    zu  Tage   kam    zusammen   mit    anderen,    leider   nicht 

MitteiloDgen  aus  dem  germao.  Nationalmuseum.    1908.  9 


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66  DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 


eingelieferten  Scherben,  die  wohl  als  Schutt  dorthin  verschleppt  waren.  Die  in  der 
Abbildung  (8)  nicht  sichtbare  Seite  ist  ausgebrochen,  es  fehlt  auch  der  Oberteil, 
dessen  Rekonstruktion  zweifelhaft  bleiben  muß.  Der  runde,  jedoch  nicht  regelmäßig 
gedrehte  Fuß  ist  hohl  und  etwas  aufgetrieben.  Die  Tracht  der  beiden  Brustbilder  — 
der  bärtige  Mann  erscheint  gegenüber  zum  zweiten  Male  —  ergibt  als  Zeit  die  erste 
Hälfte  (genauer  etwa  die  30er  Jahre)  des  16.  Jahrhunderts.  Es  ist  möglich,  wiewohl 
die  Form  selbst  für  eine  solche  Annahme  keinerlei  Anhaltspunkt  bietet,  daß  dies 
Fragment  der  interessanten  Gruppe  gotischer  Krausen  mit  aufgelegtem  bärtigem 
Kopfe,  die  0.  v.  F  a  1  k  e  unlängst  zusammengestellt  und  als  Dreihäuser  Ware  be- 
stimmt hat,  angegliedert  werden  darf.  Die  wesentliche  Eigentümlichkeit  des  Stein- 
zeugs von  Dreihausen  bei  Marburg  ist  die  eben  hier  vorhandene  chokoladebraunrote 
Färbung,  die  sich  ebenso  noch  bei  späten  Erzeugnissen  (wie  der  in  Gießen  gekauften 
Kruke,  Nr.  11075  der  Sammlung  von  Bauerngeschirr)  findet.  Eine  verwandte  Farbe 
läßt  sich  hie  und  da  beobachten,  aber  nicht  als  einheitliche  Glasur,  in  einer 
Gruppe  von  wahrscheinlich  sächsischem  Steinzeug:  H.  G.  756*,  2922*— 2924. 
Vornehmlich  der  Krug  H.  G.  2922  (Taf.  VH)  ist,  besonders  am  Rücken  und  unter 
dem  Fuße  violettrot  angelaufen.  Im  übrigen  erscheint  die  eher  chokolade-  als  kaffee- 
bohnenbraune Glasur  hier  so  schön  fein  gesprenkelt  wie  bei  manchen  rheinischen 
Arbeiten  des  16.  Jahrhunderts.  Bei  H.  G.  756  (Taf.  VI!)  sieht  die  Oberfläche 
gleißender  aus,  der  rötliche  Einschlag  fehlt  in  dem  Braun,  statt  dessen  findet  sich 
mehr  Grau.  H.  G.  2924  ist  fast  gelblich  wie  die  Altenburger  Cylinderkrüge.  Das 
deutet  auf  eine  Verwandtschaft,  für  die  sich  noch  weitere  Anhaltspunkte  ergeben 
werden.  Charakteristisch  für  dieses  Steinzeug  ist  die  Abschrägung  des  Fußes 
und  der  obere  Randwulst,  insbesondere  aber  die  Verzierung  mit  Reihen  von 
winzigen  Zäpfchen  bezw.  Dreiecksvertiefungen,  die  wohl  auch  zu  Zickzack-  oder 
Wellenlinien  entarten.  H.  G.  2922  ähnelt  im  Profil  einem  Creussener  Krugmodell 
(vergleiche  besonders  Sammlung  Lippmann  Lissingen  Nr.  17).  Betreffs  des  Fuß- 
frieses von  durchlochten  Löwenköpfen  genügt  es,  an  die  prächtige  große  Kanne  der 
Sammlung  Spitzer  mit  verschieden  (1579  und  1583)  datierten  Reliefs  von  Bal- 
dem  Mennicken  zu  erinnern,  die  durch  den  gedrehten  Henkel  auffällt.  Statt 
der  Cherubim  (vergl.  auch  die  Kreuzigungsschnelle  der  Sammlung  v.  Lanna, 
Solon  Taf.  XXI)  sieht  man  bei  der  späteren  Apostelschnelle  der  Sammlung  A.  v. 
Oppenheim  zwischen  den  Löwenköpfen  Rosetten.  Schließlich  verschwindet 
der  Fries  ganz.  Dieser  Entwicklungsstufe  gehört  ein  Exemplar  mit  dem 
Scheurlschen  Wappen  (im  Besitz  der  Familie  in  Nürnberg).  Das  eine  der  daran 
angebrachten  Reliefbilder  (Isaaks  Opferung)  findet  sich  ebenso  auf  einer  Schnelle  in 
Prag  (Solon  Fig.  171)  die  im  übrigen  durch  das  Fehlen  der  gestochenen  Verzierung 
von  dem  Glier- Steinzeug  —  so  nennen  wir  die  Gruppe  nach  dem  auf  einem  anderen 
Stück  der  Sammlung  v.  Lanna  dargestellten  Töpfer  Hans  Glier  —  abweicht  und 
durch  die  mehrfachen  Wülste  an  Fuß  und  Rand,  sowie  durch  den  geschlossenen  Fries 
runder  Porträt-Medaillons  rheinischen  Arbeiten  näher  steht.  Die  Scheurlsche  Schnelle 
nun,  die  mit  der  des  Barons  v.  Oppenheim  die  umständliche  Art  der  Montierung 
(Querstege  über  dem  Randwulst)  gemeinsam  hat,  ähnelt  in  der  Glasur  noch  mehr 
als  H.  G.  2924,  der  bekannten  Altenburger  Ware.  Vergleicht  man  die  ältere, 
reliefierte  Ausführung  der  gelblichen   Cylinderkrüge  (Beispiel:  H.  G.   3082)  so  ist 


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STEINZEUG 


67 


ihre  Verwandtschaft  mit  dem  durch  die  Scheurlsche  Schnelle  repräsentierten  Typus 
unverkennbar.**) 

Von  der  früheren  Phase  des  Glierstils  leitet  sich  eine  Reihe  blau  glasierter  Stein- 
zeuggefäße her:  mehrere  Kannen  (H.  G.  3492,  3494  (Taf.  VII),  2/65*),  die  Fäßchen 
H.  G.  2943  (Solon  Fig.  166),  2769,*  2770*  und  ein  bauchiger  Topf  (H.  G.  2766*). 
Die  blaue  Glasur,  die  bei  mehreren  der  Stücke  eine  bräunliche  Färbung  aes  grauen 
Scherbens  teilweise  deckt,  ist  ganz  vortrefflich.  Von  rheinischem  Fabrikat  aus  dem 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  in  der  Sammlung  läßt  sich  in  dieser  Hinsicht  den 
ungefähr  hundert  Jahre  späteren  sächsischen  Arbeiten  nur  die  schöne  Gurde 
H.  G.  176  (Solon  Fig.  124)  mit  dem  Wappen  Hermanns  v.  Eynatten,  eines  Abtes 
von  Cornelimünster  in  der  Nähe  von  Raeren  (1628)  an  die  Seite  stellen.  Aber  hier 
ist  doch  nicht  die  reizvolle  Unregelmäßigkeit  in  dem  Fluß  der  tiefblauen  Glasur, 
welche  besonders  die  kleine  Kanne  H.  G.  2765*  so  sehr  auszeichnet  und,  wie  es  den 
Anschein  hat,  auch  beabsichtigt  war.  Die  stumpfen  Löwenköpfe  der  Kännchen 
sind  nicht  durchlocht.  Bei  einer  braunen  Kanne  von  dem  gleichen  Typus  im 
National-Museum  in  München  (Nr.  1035)  ist  das  aber  der  Fall  und  dieses  Exemplar 
hat  auch  noch  die  großen  Wappenmedaillons  (u.  a.  das  sächsische  Wappen)  in  Kranz- 
rahmen, wie  sie  für  die  Glierkrüge  charakteristisch  sind.  Eine  zweite  ähnliche 
Kanne  ebenda  (Nr.  1036)  mit  Rosetten,  zeigt  den  nackten  grauen  Scherben.  So 
auch  ein  kleiner  Krug  von  dem  Typus  H.  G.  2922,  in  der  Sammlung  des  histo- 
rischen Vereins  für  Mittelfranken,  in  Ansbach.  Der  Relief dekor,  der  bei  diesem 
Steinzeug  im  17.  Jahrhundert  üblich  war,  tritt  unter  der  blauen  Glasur  im  Anfang 
des  18.  Jährhunderts  zurück  und  wird  durch  eingetieftes  Ornament  (unter  Glasur) 
ersetzt.^''*)  Im  Übergangsstadium  ist  das  1733  datierte  kleine  Faß  H.  G.  2759-* 
Das  Fäßchen  H.  G.  2770*  vom  Jahre  1744  zeigt  kein  Relief  mehr,  während  der 
bauchige  Topf  H.  G.  2766  (Taf.  VH)  noch  plastische  Rippen  hat.  In  letzteres 
Gefäß  sind  von  dem  Töpfer  an  der  Unterseite  die  Anfangsbuchstaben  seines 
Namens  —  WC—  mit  dem  Spachtel  eingeschrieben.  Das  blauglasierte  Steinzeug 
ist  von  den  gelblichen  Cylinderkrügen  grundverschieden.  Wenn  also  diese  mit 
Recht  für  Erzeugnisse  der  Altenburger  Industrie  gelten,  so  wird  man  den  Meister 
W.  C.  in  einem  anderen  Centrum  suchen  müssen.  Es  liegt  nahe,  an  die  altberühmte 
Steinzeug-Töpferstadt  Waidenburg  zu  denken.  Dort  wurden  in  der  Tat  zu  An- 
fang des  18.  Jahrhunderts  blau  glasierte  Gefäße  und  besonders  auch  Kannen  her- 

41)  In  den  Akten  des  Altenburger  Töpferhandwerks  im  Stadtarchiv  in  A.  (16.— 18.  Jahrh.) 
die  wir  einer  Durchsicht  unterziehen  konnten,  ist  uns  Hans  Glier  nicht  begegnet,  und  wie  die 
Direktion  des  Herzoglichen  Archivs  in  A.  mitteilt,  kommt  auch  in  den  dortiijen  Töpferakten  des 
17.  Jahrh.  ein  solcher  Name  nicht  vor. 

42)  Von  ganz  anderer  Art  sind  die  sächsischen  Nachahmungen  der  Westerwälder  Ware 
mit  geritztem  Ornament  (Bandgeschlinge  u.  s.  w.).  —  „Blaukrüge'*  von  „Steinwerk'*  waren  zu 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  ein  Exportartikel  von  Arnstadt.  Vgl.  Zeitschr.  d.  Ver.  f.  Thüring. 
Geschichte  und  Altertumskunde  N.  F.  IV,  Jena  1885,  S.  398.  (Diesen  Nachweis  verdanke  ich 
meinem  Kollegen  Herrn  Archivar  Dr.  H.  Heerwagen.)  —  Laut  einem  Aktenstück  vom  3.  Sept. 
1705,  im  Stadtarchiv  in  Altenburg,  haben  die  Meister  der  Töpfer  in  A.  sich  bey  ihrem  Rath 
beklagt,  und  vorbracht,  sie  dürften  nach  Zeitz  keine  blaue  Waare  bringen.  Umgekehrt  be- 
schwerte sich  am  29-  Aug.  178O  (Aktenstück  ebenda)  der  Zeitzer  Töpfer  Johann  Friedrich 
Wundrack  über  das  Töpferhandwerk  in  Altenburg,  das  ihn  verhindert  hatte,  seine  in  Zeitz 
verfertigten  Töpferwaaren,  besonders  aber  braune  und  blaue  Gefäße,  in  A.  zu  verkaufen. 


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68  DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 

gestellt.*^)  Das  im  Jahre  1653  angelegte  Meisterbuch  des  Waldenburger  Töpfer- 
handwerks enthält  jedoch  keinen  Namen,  auf  den  die  Buchstaben  W  C  paßten. 
Will  man  also  den  vorzüglich  gearbeiteten  Topf  nicht  für  ein  Gesellenstück 
halten  —  der  tüchtige  Geselle  wäre  dann  in  Waidenburg  nicht  Meister  geworden  — 
so  muß  die  ganze  Gruppe  anderwärts  lokalisiert  werden. 

Eine  weitere  Gattung  sächsischen  Steinzeugs,  von  der  u.  a.  das  kleine  Roch- 
litzer  Museum  (4.  Heft  d.  Vereins  für  Rochlitzer  Gesch.,  1905,  Taf.  V)  und  A.  v.  Op- 
penheim je  ein  Exemplar  besitzen,  ist  im  Germanischen  Museum  vertreten  durch 
zwei  Kuffen  (H.  G.  3049*— 3050*),  eine  Büchse  mit  Schraubdeckel  (H.  G.  3084)  und 
eine  Flasche  mit  Gurthenkeln  (H.  G.  2124).  Der  auffällige  Schmuck  dieser  Gefäße 
besteht  in  Noppen  von  schwarz  emaillierten  Beeren.  Dazu  kommen  noch  bei  der  einen 
Kuffe  wenig  sorgfältig  modellierte  Löwenköpfe  oder  Satyrmasken,  bei  der  Büchse 
reliefierte  Medaillons  mit  stilisiertem  Wappen  bezw.  einem  Liebespaar  in  Kränzen. 
Der  graue  Scherben  ist  hell  gelbbraun  gefärbt.  Die  Nachricht  der  Meißnischen  Bergk- 
Chronica  des  Petrus  Albinus  vom  Jahre  1590,  daß  die  aus  ascherfärbigtem  Ton  ge- 
fertigten steinernen  Geschirre  von  Waidenburg  aussahen,  als  seien  Perlen  darauf  ge- 
wachsen ,  ließe  sich  vielleicht  auf  diese  Type  beziehen.  Ein  hierher  gehöriges,  wohl 
aus  dem  17.  Jahrhundert  stammendes  „Fäßlein,  das  auf  vier  Beinlein  steht"  im 
National-Museum  in  München  wäre  dann  noch  von  der  Sorte,  welche  die  Kurfürstin 
Anna  von  Bayern  schon  in  den  80er  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  von  Waiden- 
burg bestellte.**)  Wie  A.  Kurzwelly**^)  hervorhebt,  muß  man  aus  allen  Berichten 
den  Eindruck  gewinnen,  daß  Waidenburg  von  jeher  vornehmlich  schlichte  Gebrauchs- 
ware fabriziert  hat.  Diesem  Eindruck  würde  das  in  Rede  stehende  Steinzeug 
wohl  entsprechen.  Da  die  Waldenburger  Industrie  zu  Böhmen  in  naher  Beziehung 
stand  (die  Zinngießer  in  Eger  verhandeln  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  wieder- 
holt mit  dem  Töpferhandwerk  in  Waidenburg),  so  ließe  sich  mit  unserer  Annahme 
auch  der  Umstand  vereinigen,  daß  die  Glaskuffen,  mit  Perlen  in  ähnlicher  Anord- 
nung wie  die  Brombeeren  auf  der  Steinzeugkuffe  H.  G.  3049,*  eine  böhmische 
Spezialität  zu  sein  scheinen,  die  nach  Sachsen  hinübergewirkt  hat.  Ein  derartiges 
Glas  im  Schlesischen  Museum  in  Breslau,  das  1617  datiert  ist,  stammt  laut  Inschrift 
aus  Friedrichswald  bei  Reichenberg.  Pazaurek  *')  hält  daher  eine  böhmische 
Heimat  der  gläsernen  Kuffen  für  wahrscheinlich  und  läßt  andererseits  die  Frage,  ob 
nicht  auch  Sachsen  dafür  in  Betracht  kommen  kann,  offen. 

Für  die  Bestimmung  der  Verwandtschaft  des  Glierstils  mit  dem  Brom- 
beergeschirr sind  einige  Scherben  im  Leipziger  Kunstgewerbe-Museum  wichtig.  Die- 
selben haben,  wie  Kurzwelly  bemerkt,  „denselben  hellgelben  Ton  wie  die  Altenburger 
Krüge  und  zeigen  als  Dekor  emaillierte  Perlen  und  Rosetten  in  Verbindung  mit  edel 


43)  Ein  losgesprochener  Lehrjunge  verehrt  dem  Handwerk  (der  Töpfer  in  Waidenburg) 
1717:  t,2  beschlagene  Krüge,  als  eine  Kann- Pumphose  und  ein  b  1  a  u  gemaltes  Gesellenstück 
von  einer  knappen  Kanne".  Vgl.  Reinhold  Hofmann,  Zur  Gesch.  d.  Töpferei  in  Altstadtwalden- 
burg  (Schönburg.  Geschichtsblätter,  1894),  S.  156. 

44)  Vgl.  K.  V.  Weber,  Anna,  Churfürstin  zu  Sachsen,  S.  118.  Vgl.  zu  den  Münchener 
Fäßchen  auch  Dr.  Fr.  Hofmann  im  Führer  durch  das  Bayer.  National-Museum  (1908),  S.  290. 

45)  Vgl.  Wuttkes  Sachs.  Volkskunde  (Leipzig  1903),  S.  426  ff. 

46)  Vgl.  „Gläsersammlung  des  Nordböhm.  Gewerbe-Museums  in  Reichenberg"  S.  6. 


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69 


(H.  O.  827)  Abb.  9. 

gezeichnetem  figürlichem  Relief  im  Stile  des  16.  Jahrhunderts.  Der  eine  Scherben 
weist  eine  Löwenmaske  auf,  der  andere  eine  Satyrmaske  nach  Art  der  Masken  auf 
rheinischem  Steinzeug,  ein  dritter  einen  Cherubskopf  der  Art,  wie  sie  an  Creussener 
Krügen  und  deren  alten  Nachahmungen  vorkommen". 

Die  überhöhte  Gestalt  der  Brombeer- Kuffe  H.  G.  3049*  entspricht  gewissen 
Creussener  Krügen  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  (vgl.  S.  70,  zu 
H.  G.  760)  und  die  haufenförmige  Büchse  H.  G.  3084  scheint  den  noch  zu  be- 
sprechenden Adam  Scharf-Typus  vorauszusetzen. 

Während  über  Waldenburger  Steinzeug  seit  1530  eine  ganze  Reihe  von  Mit- 
teilungen vorliegt,  hören  wir  in  der  Literatur  von  der  Krugfabrikation  in  Creussen 
zuerst  durch  Merian  (1648)  und  diese  wie  die  späteren  Erwähnungen  sind,  ver- 
glichen mit  den  Lobeserhebungen  über  Waidenburg  ziemlich  dürftig.  Das  alte  Hafner- 
Handwerksbuch  von  Creussen  ist  bei  einem  Brande  im  Jahre  1705  zerstört  worden. 
Ein  im  Jahre  .1709  begonnenes  neues  Buch,  das  sich  am  Orte  bei  dem  Hafnermeister 
Hof  mann  erhalten  hat,  ist  Stockbauer*')  unbekannt  geblieben.  Es  beginnt 
mit  einer  aus  dem  Gedächtnis  unklar  wiedergegebenen  Rekapitulation  der  früheren 
Geschichte  des  Handwerks:  „Erstlichen  is  zu  wiessen  daß  vor  alten  Zeiten  alss 
Anno  1512  Häffner  hier  gewesen  sintt  mitt  Nahmen  die  Vesten,  die  Bilt- Schnitzer 
und  Bossierer  zu  gleich  gewessen  sintt  und  haben  in  der  Statt  Win  und  Lintz  vor- 
nehme Arbeit  von  aller-hantt  Fieguren  in  die  Kirchen  gemacht  und  sie  dess  von 
Keiser  Ferdinandi  miett  einen  Atliegen  Waben  worin  zwei  Eichhörner  ( ?)  sambt 
einen  offen  Helm  auch  haben  Sie  bekommen  eine  schöne  Fahnen  zu  ewigen  an- 
denken .  ."    Von  einer  Steinzeug- Industrie  erfahren  wir  auch  hier  nichts. 

Es  entspricht  nur  dem  Verhalt  der  Schriftquellen,  wenn  die  wenigen  Stein- 
zeugkrüge, die  wir  vor  l600  in  Nürnberg  nachweisen  können,  noch  rheinisch  sind. 

47)  Vgl.  Kunst  und  Gewerbe  XI  (Nürnberg  1877)  S.  321  ff. 


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70 


DEUTSCHE  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 


Außer  den  beschriebenen  Fragmenten  wäre  dies  der  bauchige  Siegburger  Krug 
vom  Jahre  1592  mit  den  Wappen  der  Derrer  und  Löffelholz  (H.  G.  769)*,  sowie  die 
Raerener  Büchse  H.  G.  2244  v.  J.  1590,  die  aus  der  Apotheke  zum  heil. 
Geist  in  Nürnberg  stammt.  Weiter  muß  hier  daran  erinnert  werden,  daß  Raeren 
im  16.  Jahrhundert  auch  für  Sachsen  gearbeit  hat  (Flachkrüge  v.  J.  1588  bei 
A.  V.  Oppenheim  und  im  South- Kensington-Museum)  und  daß  Waidenburg 
gleichzeitig  an  den  Münchener  Hof  lieferte.  Erst  im  17.  Jahrhundert  scheint 
Creussen  eine  gewisse  Suprematie  dem  sächsischen  Markt  und  der  sächsischen 
Produktion  gegenüber  eingenommen  zu  haben. 

Stockbauer  führt  als  älteste  Creussener  Arbeit  einen  Apostelkrug  im  Ger- 
manischen Museum  (H.  G.  760)  an,  der  das  Datum  1585  hat.  Die  gemalte  Zahl  ist 
jedoch  nicht  original.  Es  ist  ein  geringer,  später  Krug,  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  17-  Jahrhunderts,  in  der  ungeschickten  Form  etwa  dem  im  Katalog  der  ehemaligen 
Sammlung  Schloß  Mainberg  als  Nr.  418  abgebildeten  Stück  ähnelnd.  Hinsichtlich 
des  kleinlich  wirren  Ornaments  läßt  sich  ein  1665  datierter  Apostelkrug  der 
ehemaligen  Sammlung  Heinr.  Wencke  (Nr.  25)  vergleichen.*®)  —  Vier  Jahre 
älter  als  die  früheste  Creussener  Arbeit,  die  Solon  namhaft  macht,  ist  der 
vortrefflich  scharf  gepreßte,  unbemalte  Krug  H.  G.  827  (Abb.  9)  mit  der  Inschrift: 
lOHANN  FROBENivs  F.  B.  SECRET.  I6l4,  die  sich  wahrscheinlich  auf  den 
1620-  nobilitierten  Markgräflich  Anspach- Brandenburgischen  Geheimen  Hofrat 
und  Lehnprobst  Johannes  Frobenius  bezieht  (Mitteilung  Sr.  Exzellenz  General  v. 
Froben,  Karlsruhe);  auf  dem  Henkel  eine  Karyatide,  ein  Motiv,  das  bald  durch 
ein  Löwenmaskaron  mit  Akanthusblatt  ersetzt  wird.  Als  gutes  Beispiel  der  vornehmen 
frühen  Emaillierung  kann  der  I634  datierte  Krug  H.  G.  2974  genannt  werden,  der 
dem  Prachtstück  des  Muste  Cluny  (Solon  PI.  XX)  nicht  nachsteht.  Später  nimmt 
die  Farbe  überhand  und  contrastiert  in  grellen  Tönen  mit  einer  mehr  und 
mehr  flauen  Bossierung. 

Es  würde  zu  weit  führen,  hier  die  in  schnell  absteigender  Linie  ins 
Bäuerliche  geratende  Entwicklung  der  Creussener  Krugbäckerei  im  einzelnen 
aufzuzeigen.  Nur  einige  Abarten  seien  noch  namhaft  gemacht.  Zunächst  die 
niedrigen  achtkantigen  Büchsen  mit  viereckigen  Seiten,  die  von  Ketten  um- 
rahmt und  mit  Kerbschnitt  teilweise  verziert  sind  (vgl.  H.  G.  2967*).  Auf  einer 
derartigen  Büchse  im  National-Museum  in  München  ist  ein  Töpfer  namens  Adam 
Scharf  abgebildet.  Da  ein  solcher  sich  in  Creussen  nicht  nachweisen  läßt,*®)  steht 
man  vor  der  Alternative,  diese  den  40er  Jahren  des  17.  Jahrhunderts  angehörende 


48)  Eine  Creussener  Büchse  des  Fürstl.  Museums  in  Sigmaringen  mit  der  Inschrift  „M. 
Johannes  Kobius  Aldorphi  P.  P."  in  dem  alten  vortrefflichen  Katalog  „um  1600"  datiert,  dürfte 
nicht  vor  1621  entstanden  sein,  da  der  Philosoph  Johannes  Kobius  laut  G.  A.  WilPs  Nürn- 
berg. Gelehrtenlexicon  erst  in  diesem  Jahre  die  Magisterwürde  annahm.  In  Beziehung  zu  Altdorf 
steht  auch  der  oben  erwähnte  Creussener  Krug  der  Sammlung  Frohne  Kopenhagen  (Nr.  98), 
dessen  Inschrift  nach  einer  liebenswürdigen  Mitteilung  des  Besitzers  vollständig  lautet:  LEONH. 
FVRSTENHAVER.  ACAD.  ALTORPH.  OECONOMVS.  Man  ist  hier  wieder  versucht,  auf  ein 
sehr  frühes  Datum  zu  raten.  Herr  Notar  H.  Adam,  Altdorf,  unterzog  sich  der  Mühe,  nach  dem 
Namen  in  den  Kirchenbüchern  zu  suchen,  leider  ohne  Ergebnis. 

49)  Nach  den  von   Herrn  Apotheker   K.   Böhner,  Creussen,  angestellten  Untersuchungen. 


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71 


(H.  O.  3005)  Abb.  10. 

Gefäßtype  Creussen  abzusprechen  oder  das  Münchener  Exemplar  als  Dedikation  an 
einen  fremden  Töpfer  aufzufassen.  Vielleicht  wurde  auch  nur  die  Emaillierung  aus- 
wärts besorgt.  Ein  anderes  Exemplar  mit  dem  Porträt  des  Herzogs  Joh.  Georg  111. 
von  Sachsen,  in  demselben  Flachemail,  war  in  der  Frankfurter  Kunstgewerbeaus- 
stellung 1875,  eine  Büchse  mit  dem  ähnlich  gemalten  sächsischen  Wappen  und  den 
Initialen  des  Herzogs  Johann  Heinrich  von  Sachsen  in  der  Sammlung  v.  Lanna. 
Die  den  genannten  Stücken  eigentümliche  Verzierung  mit  Reihen  feiner  Punkte  erinnert 
mehr  als  andere  Details  des  Creussener  Emails  an  Gläser.  —  Eine  solche  Verwandtschaft 
läßt  sich  noch  bei  dem  1671  datierten  Zopfkrug  mit  dem  sächsischen  Wappen 
(H.  G.  3005,  Abb.  10)  feststellen.  Die  Pflanzen  mit  ihren  aus  bunten  Häkchen 
gebildeten  Blüten  kehren  ganz  ähnlich  wieder  auf  einem  Hallorenglas  v.  J.  l68l  im 
Mus6e  Cinquantenaire  in  Brüssel  (No.  2726).  Sächsische  Bestimmung  verrät  auch 
die  Kuffe  H.  G.  3004*  mit  Jagddarstellungen  zu  Seiten  eines  Medaillons  mit  Brust- 
bild, dessen  Relief  sich  von  dem  nämlichen  bunten  Häkchenwerk  abhebt:  eine 
gleichartige  Kuffe  mit  derselben  krischeligen  Grundierung  im  Gewerbe-Museum  in 
Nürnberg  (VIII  1087)  hat  das  sächsische  Wappen. 

Den  irrtümlich  sogenannten  Trauerkrügen  unbekannter  Herkunft  an  die  Seite 
zu  stellen  sind  die  Büchse  H.  G.  3031*  und  die  Kuffe  H.  G.  3002*  (wellige  Auf- 
rauhung des  Grundes,  eingepresste  Lilien  u.  s.  w.).  Beide  schwarz.  Die  Büchse 
mit  Schraubdeckel,  die  gewiß  nicht  zu  vorübergehendem  Gebrauch  bestimmt  war, 
zeigt,  daß  es  sich  bei  den  zugehörigen  „Trauer"- Krügen  in  der  Tat  nicht,  wie 
man  angenommen  hat,  um  eine  von  Creussen  für  den  Totenschmausbedart  herge- 
stellte Spezialität,  sondern  um  den  Stil  einer  anderen  Töpferindustrie  handelt. 


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72 


(H.  O.  3010)  Abb.  11. 

Als  Beispiele  der  schwarzglasierten  Lausitzer  Ware  mit  aufgelegten  Ranken 
notieren  wir  die  Nummern  H.  G.  2937  und  2938  wegen  des  an  der  Bauchung  an- 
gebrachten Datums  1774. 

Unter  den  Palmettenkrügen  fällt  H.  G.  3010  (Abb.  11)  mit  einem  Fries  von  Damen 
und  Herren,  besonders  auf.  Es  ist  offenbar  ein  frühes  Exemplar  der  Gattung  und 
unterscheidet  sich  von  den  sehr  häufigen  späteren  Stücken  auch  durch  die  ver- 
nünftigere Anordnung  und  ruhigere  Färbung  der  Palmetten  —  die  obere  Reihe  ist 
nach  unten,  die  untere  nach  oben  gerichtet  und  jede  Halbpalmette  ist  einheitlich 
weiß  oder  rot  bezw.  blau  in  regelmäßigem  Wechsel. 


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73 


(H.  O.  4852)  Abb.  12. 


IV.  Porzellan. 

Die  Porzellansammlung  des  Germanischen  Museums  ist  im  wesentlichen  neueren 
Datums  und  daher  noch  mehr  als  die  übrigen  keramischen  Gruppen  entwicklungs- 
fähig. Insbesondere  kann  hier  das  Fehlen  so  mancher  für  den  vornehmen  Haus- 
halt des  18.  Jahrhunderts  charakteristischer  Gerätformen  nicht  unbemerkt  bleiben, 
um  so  weniger,  als  die  Keramik  im  Germanischen  Museum  von  alters  her  eine 
Unterabteilung  und  den  Grundstock  der  Sammlung  von  Hausgeräten  bildet.  Saal 
28  führte  einst,  als  diese  Sammlung  noch  nicht  in  technische  Gruppen  aufgeteilt 
war,  den  denkwürdigen  Titel  der  Frauenhalle.  Es  sollte  dort,  wie  es  ausdrücklich 
hieß,  der  Wirkungskreis  der  deutschen  Frau  vergangener  Zeiten  dargestellt  werden:^®) 
—  ein  echt  romantischer  Gedanke,  der  uns  heute  fast  wie  eine  Utopie  anmutet  und 
jedenfalls  schwer  realisierbar  ist.  So  dürfte  „der  gedeckte  Tisch"  des  18.  Jahr- 
hunderts^^) in  dempreziösen  Programm  nicht  fehlen,  und  es  wäre  doch  museologisch 
nicht  gut  möglich,  kostbares  Porzellan  frei  hinzustellen  und  feines  Tischzeug  ein- 
stauben zu  lassen.  Allein  auf  die  Illusion  kommt  es  nicht  an.  Eine  Spezialsamm- 
lung  von  verschiedenem  Tischgerät  aus  Porzellan,  welche  die  Formen  und  den  Ge- 
brauchszweck besonders  berücksichtigt,  ließe  sich  wohl  denken,  und  die  allmähliche 


50)  Vgl.  Th.  Hampe's  Jubiläumsfestschrift  des  Germ.  Mus.  (S.  56).  S.  ebenda  das  museums- 
geschichtlich merkwürdige  Bild  der  Frauenhalle  nach  einer  Lithographie  der  Illustrierten  Zeitung, 
Jahrgang  1858. 

5i)  Vgl.  Museumskunde  II  63  (Biologische  Museen)  und  Kunst  und  Kunsthandwerk  VII 
130  ff.  (Brüning:  Schauessen  und  Porzellanplastik). 


Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum..    1908  10 

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74 


DEOTSGHB  KERAMIK  IM  QEHMANISCHEN  MUSEUM 


Komplettierung  in  Einzelheiten  bereits  vorhandener  Service  ist  auch  in  manchen 
Fällen  eine  nicht  hoffnungslose  Aufgabe. 

Das  Germ.  Museum  besitzt  von  historischen  (für  bekannte  Urbesitzer  gear- 
beiteten) Servicen  zunächst  drei  große  Sulkowsky-Teller  (H.  G.  4961—4963).  Die 
zugehörigen  Prachtstücke  hat  Jul.  Lessing  beschrieben  (Kunstgewerbeblatt  1888).  Sie 
sind  in  festen  Händen.  Aus  dem  Service,  das  König  August  der  Starke  1741  an  Clemens 
von  Bayern,  Kurfürsten  von  Köln,  schenkte,  ist  eine  Terrine  vorhanden  (H.  G.  6246). 
Der  Untersatz  fehlt  (wie  leider  auch  bei  den  anderen  Terrinen  und  Bowlen  der  Samm- 
lung). Ein  vollständiges  Exemplar  war  bei  v.  Pannwitz,  auch  in  der  Auktion  Fischer- 
Dresden.  Fischer  besaß  ferner  eine  zugehörige  große  Schüssel,  v.  Pannwitz  noch 
zwei  Kännchen  und  bei  Lepke  wurde  1904  ein  Teller  versteigert  (Katalog  1376  Nr.  250). 
Die  „deutschen"  Blumen  und  Insekten,  die  nebst  vergoldeten  Muscheln  den  Dekor 
dieses  Services  bilden,  sind  nicht  nach  der  Natur,  sondern  nach  naturgeschichtlichen 
Abbildungswerken  gemalt.  Doch  ist  die  Verwendung  der  Vorbilder  naturgemäß. 
Man  sehe  nur,  wie  auf  dem  genannten  Teller  eine  Raupe  den  Spiegelrand  entlang 
kriecht. 

Sehr  beachtlich  innerhalb  des  historischen  Rahmens  erscheinen  die  fürstlichen 
Repräsentanten  der  Manufakturen  von  Meißen  und  Frankenthal:  d^  kostbare 
Figürchen  August  des  Starken  (H.  G.  4050)  und  die  von  Linck  bezeichnete  allegorische 
Gruppe  mit  den  Porträtmedaillons  Karl  Theodors  und  der  Kurfürstin  Maria  Elisabeth 
Auguste  (H.  G.  6129).  Vielleicht  fügt  ein  glücklicher  Zufall  künftig  die  Ludwigsburger 
Allegorie  auf  Herzog  Karls  Kunstpflege  (Architektur  und  Keramik)  hinzu  oder  ein 
entsprechendes  Stück  von  Fürstenberg  etwa  oder  Berlin. 

Ausgezeichnet  als  Zeitbilder  wie  in  künstlerischer  Hinsicht  sind  die  Frankenthaler 
und  Nymphenburger  Cavaliere:  H.  G.  5280*  und  H.  G.  5253-*  Letzterer  ein  lang- 
beiniger Herr  in  steifem  weißem  Rock  (Aufschläge  karminrot  wie  die  Weste)  hält 
unter  dem  Arm  den  schwarzen  Dreimaster  und  reicht,  sich  zierend,  der  zu  vermissenden 
Dame  eine  Rose.  Der  Frankenthaler  Galant  (H.  G.  5280,  Taf.  VIII)  bietet  eine  Traube 
an,  auch  er  in  weißem  Rock,  Knopflöcher  und  Knöpfe  golden,  dazu  lila  Aufschläge  und 
eine  licht  citrongelbe  Weste.  Dieses  feine  und  bedeutende,  leider  im  Gesicht  etwas 
verschundene  Figürchen,  stammt  noch  aus  der  Hannongschen  Periode,  ebenso 
wie  der  unbemalte  Flötenspieler  am  Pult  (H.  G.  4832).  Das  schöne  Frankenthaler 
Brüle- Parfüm  H.  G.  6245  kommt  in  derselben  Gestalt  und  mit  ähnlichen  Archi- 
tekturbildern auch  als  Nymphenburg  vor.  Ob  die  bisher  unbestimmte  Tänzerin 
H.  G.  5609  (Abb.  13)  mit  einem  Füllhorn,  aus  dem  ein  Kurhut  herausrollt,  als  ein 
Geschöpf  der  Manufaktur  Karl  Theodors  gelten  kann,  steht  dahin.  Das  Bravour- 
stück des  frei  wehenden  Schleiers  ist  sehr  beachtlich,  wie  überhaupt  die  kleine 
häßliche  Person  Charakter  hat.  Vergl.  die  bemalte  Tänzerin,  mit  frei  zurück 
wehendem  Schleier,  der  Sammlung  v.  Pannwitz  (Löwenmarke,  Berliner  Porzellan 
Ausstellung  1904,  Nr.  880). 

Aus  der  unlängst  festgestellten  Pf  alz  -  Zweibrücker  Fabrik  der  70  er  Jahre 
stammt  der  Einsatz  mit  Essig-  und  Ölkännchen  H.  G.  5032,  sowie  der  Milchgießer 
H.  G.  5408.  Beide  verziert  mit  bunten  Buketts  und  grünen  Reliefblatt- Spitzen; 
am  Rande  lila.  Von  Kelsterbach,  auf  dessen  Bedeutung  zuerst  C.  A.  v.  Drach  hin- 
wies, ist  eine  unbemalte  Lautenspielerin  da  (H.  G.  6506),  die  nach  0.  v.   Falke 


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PORZELLAN 


75 


(Jahresber.  d.  Kölner  Kunstgewerbe- Vereins  1906)  ein  Nymphenburger  Original  von 
Bastelli  wiederholt,  früher  in  der  Sammlung  Habich.  Als  Arbeit  Bastellis  wäre  noch 
zu  nennen  das  gelassen  tanzende  Paar  H.  G.  6135,  6136,  unbemalt,  aus  der 
Kollektion  Hirth. 

Ansbach  -  Bruckberg,  die  eigentliche  Domäne  der  Porzellansammlung  des 
German.  Museums,  ist  bislang  noch  verhältnismäßig  schwach  vertreten.  Frühe 
Sachen  wie  die  beiden  weißen  Kännchen  des  Gewerbemuseums  (Vlll  1490,  1491) 
sind  hier  nicht  vorhanden.  Die  große  Salat-Terrine  H.  G.  5035,  deren  eisenrote 
Malerei  (Buketts  und  verstreute*  Blumen)  gut  zu  dem  schönen  crSmefarbigen 
Grundton  steht,  verdient  hervorgehoben  zu  werden.  Auf  dem  Deckel  Hahn 
mit  Henne.  Der  bunte  Teller  H.  G.  6494,  der  ein  ostasiatisches  Original  kopiert, 
erinnert  daran,  daß  auch  die  ältere  Fayencefabrik  bedeutende  Anleihen  von 
China  aufgenommen  hatte.  Die  engen  Beziehungen  Ansbachs  zu  Berlin  deutet  der 
Teller  mit  „Relief zierrat"  H.  G.  5409  an,  der  ein  Berliner  Muster  nachahmt,  und  die 
Götter  H.  G.  61 32,  6133  (Merkur  und  Venus)  kranken  auch  an  dieser  etwas  unglück- 
lichen Verwandtschaft.  Wenig  ansprechende  Beispiele  der  Königlich  Berlinischen 
Figurenplastik,  die  bisweilen  etwas  stark  an  Seife  erinnern,  sind  vorhanden,  u.  a.  der 
Paris  (H.  G.  6507)  aus  der  Zeit  um  1775.  Die  zugehörige  Venus  fehlt.  Wegely'sches 
Fabrikat  ist  der  bunte,  schwarz  aufgezäumte  Hahn  (H.  G.  5025*),  auf  dem  Amor 
reitet  mit  blauem  Frack  und  schwarzem  Dreimaster.  Das  feine  Gefieder  ist  außer- 
ordentlich scharfpinselig  bemalt. 

Eine  hervorragend  gute  Vertretung  hat  Fulda  gefunden  durch  die  im 
Preiskurant  1786  mit  dem  Preis  von  18  Gulden  aufgeführte  große  Madonna 
Immaculata  (H.  G.  5314),  die,  in  etwas  anderen  Farben,  auch  eine  Zierde 
des  Hamburger  Museums  darstellt  (vgl.  Jahresbericht  1905  des  Museums  für 
Kunst  u.  Gewerbe  in  Hamburg).  Daneben  —  ein  reizvoller  Kontrast  —  ein  kleines 
hochfrisiertes  Dämchen  mit  grünem  Pompadour  und  lila  Rose  (H.  G.  5026).  Die 
sehr  pikant  modellierte  dritte  Figur  (H.  G.  5773,  Taf.  VHI),  wie  die  vor- 
genannten mit  dem  Kreuz  gezeichnet,  trägt  erdbeerfarbenen  Rock  und  lila 
gestreifte  Kniehosen.  Der  Mantel  und  die  Schuhe  sind  schwarz.  Das  gleiche 
Modell  in  Lachs,  Türkis  und  Gelb  als  Harlekin,  der  vor  einem  Partner  die 
Mütze  zieht,  war  in  der  v.  Pannwitzschen  Sammlung.  —  Kassel  schließt  sich  an  mit 
einem  unbemalten  Rossebändiger,  nach  einer  Sandsteingruppe  der  Au  (H.  G.  6509) 
Der  hübsche  Geigenspieler  H.  G.  461 6  und  das  etwas  spießbürgerlich  unge- 
lenke Paar  H.  G.  6497,  6498,  aus  einer  Folge  der  Jahreszeiten,  geben  einen  Begriff 
von  der  Produktion  Limbachs.  Aus  Kloster  Veilsdorf  stammt  ein  Service  (H.  G. 
5113 — 5130)  mit  Landschaften,  die  der  Züricher  Art  zu  vergleichen  sind,  ferner 
der  sehr  reizvolle  Leuchter  H.  G.  6962,  dessen  Vorbild  Direktor  Brinckmann  in 
einem  französischen  Ornamentstich  (Entwurf  für  Silber)  nachgewiesen  hat.  Ein 
Beispiel  der  kräftig  schönen  Blumenmalerei  —  der  Stolz  dieser  vornehmsten  der 
Thüringischen  Manufakturen  —  steht  noch  aus. 

Die  bekannten  Chinesen  und  die  hausbackenen,  aber  gesunden  Kinder  von 
Höchst  möchten  hier  weniger  interessieren,  es  sei  denn  das  zierliche  Sommer- 
mädchen  (H.  G.  4071)  und  die  liebliche  kleine  Prima vera  (H.  G.  4070).  Nur 
scliwach  wirken  die  kränklichen  Gestalten  Ludwigsburgs,  das  mit  dem  Schuppen - 


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76  '   DBUTSCHB  KERAMIK  IM  GERMANISCHEN  MUSEUM 


Service  (H.  G.  5131—5152)  sonst  nicht  ungünstig  abschneidet.  Vielleicht  ist  es  auch 
ungerecht,  die  sehr  temperamentvollen  Wiener  Herkulesgruppen  (H.  G.  6578)  mit 
den  ähnlichen  Modellen  von  Ludwigsburg  zu  vergleichen,  die  gegenüber  dieser 
Verve  doch  ganz  matt  aussehen  müßten.  Noch  fällt  in  dem  Wiener  Schrank  ein 
Bottengruber  (H.  G.  5022)  durch  seine  feine  Malerei  auf  (Abb.  im  Jahrbuch 
des  Schlesischen  Museums  f.  Kunstgewerbe  und  Altertümer  II,  Breslau  1902, 
S.  149).  Ein  CrSmeschälchen  mit  goldgehöhtem  Schwarzlot  und  Eisenrot  (H.  G.3671, 
vgl.  5653)  hat  G.  Pazaurek  als  Arbeit  Preußlers  bestimmt.  Unter  H.  G.  4679.  3629 
besitzt  das  Museum  in  der  Form  und  im  Relief  übereinstimmende  Blattschälchen 
von  rotem  Böttgersteinzeug. 

Wir  müssen  die  kurze  Übersicht  schließen,  ohne  auf  die  Muttermanufaktur 
Meißen,  die  hier  nichts  wesentlich  Neues  bietet,  näher  eingegangen  zu  sein.*^) 
Nur  noch  eine  Bemerkung  zu  dem  rotbraunen  Böttgersteinzeug  mit  braunschwarzer 
Glasur,  das  im  Germanischen  Museum  reichlich  vorhanden  ist,  sowohl  mit  grober, 
schlecht  haftender  Bemalung,  wie  mit  gutem  Silber  und  sehr  feinem  Golddekor. 
Meißen,  Flaue  und  Bayreuth  werden  als  Fabrikationsorte  genannt. *•)  Daß  diese  Ware 
auch  in  Ansbach  hergestellt  wurde,  und  zwar  außerhalb  der  Manufaktur,  beweist  die 
folgende,  vom  25.  Februar  1743  datierte,  Bittschrift  des  bereits  oben  erwähnten 
(Johann)  Va]entinBontems,dieauf  dem  Rathaus  in  Ansbach  unter  der  Signatur  Class.I, 
Tit.  XXXII,  Tom.  ix*^)  aufbewahrt  wird:  „Durchlauchtigster  Marggraf,  gnädigster 
Fürst  und  Herr!  —Von  der  Zeit,  da  ich  den  Anfang  gemachet,  das  Braune  Porcellain 
Geschirr  mit  Silber  einzuschmelzen  und  solches  hie  und  dar  Beliebt  zu  machen,  haupt- 
sächlich aber  nachdeme  von  Euer  Hochfürstl.  Durchlaucht  auf  Vielfältig  mein  unter- 
thänigstes  Suppliciren  die  hohe  Gnade  erlanget,  solch  Geschirr  selbst  Fabriciren  zu 
dörffen,  worzu  unter  göttlichem  Bejrstand  und  mit  meinen  schweren  Kosten  die  nöthige 
Einrichtung  gemachet,  haben  sich  nicht  nur  verschiedene  Persohnen  auffgeworfen,  die 
das  von  denen  Preissen"^*)  erhandelte  Geschirr  in  ziemlicher  Menge  durch  einige  hier 
und  dar  sitzende  Porcellain-Mahler  Lacquiren  lassen  und  hernach,  sowohl  hier  als 
anderwärts  zu  verschliessen  gesuchet  und  anbey  sich  nicht  geschemet  haben,  solches 
entweder  vor  meine*  Arbeit,  oder  wenigstens  doch  vor  eingeschmelzt  auszugeben, 
vorgefunden,  sondern  es  hat  sich  sogar  der  ehemahlen  Bey  hiessig  Herrschaftl.  Fabrique 
und  vor  kurzer  Zeit  als  Mahler  Bey  mir  gestandene  Meyer  unterstanden  nachdeme 
er  währender  Bey  mir  gehabter  Condition  mir  eines  und  das  andere  abzusehen  Ge- 
legenheit gefunden,  ohnangefragt  und  lediglich  nach  eigenem  Gefallen  ein  Brenn 
Öfelein  in  seinem  nechst  mir  Bewohnenden  Quartier  zuzulegen,  und  darinnen  Braun 
Geschirr  mit  Silber  einzuschmelzen,  in  welcher  Arbeit  er  dato  mit  gutem  Success 
Continuiret,  und  ob  selbiges  gleich  nicht  von  gehöriger  Güte  und  nach  meiner  Art 
Beschaffen,  so  weiss  er  jedoch  sich  aller  Orten  damit  seinen  Verschluss  zu  machen 


52)  Die  goldmontierte  Kanne  H.  a  4852,  Abb.  13  (das  Weiß  hat  einen  leichten  Stich 
ins  Grünliche)  ist  nach  dem  Urteil  von  Dr.  E.  Zimmermann  nicht  Meißener  Fabrikat. 

53)  Ein  Service  (mit  feinem  Golddekor  und  mit  einem  Wappen:  im  rechten  Feld  ein  Hirsch, 
im  linken  ein  Pokal)  im  Gewerbe-Museum  in  Nürnberg  hat  die  Goldmarke  W. 

54)  Die  Ermittelung  dieses  Aktenstücks  verdanke  ich  dem  Entgegenkommen  des  Herrn 
Bürgermeisters  Roh  med  er. 

55)  Flaue  a.  d.  H. 


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PORZELLAN 


77 


und  mittelst  ohnerlaubter  Entziehpraeoccuperirung  meiner  ihme  Bekandt  gewordenen 
Kundschaft  einen  grossen  Nahrungs  Abbruch  Beyzufügen habe  dieses  hier- 
durch unterthänigst  ohnangezeigt  nicht  lassen  und  gehorsamst  Bitten  sollen.  Euer 
Hochfürstl.  Durchlaucht  geruhen  ermeldten  Meyer  sowohl  die  Inhibition  dessen  zu 
thun  und  ihn  anweissen  zu  lassen,  dass  er  sich  gehörig  in  Condition  und  auf  eine 
Fabrique  Begeben  solle,  denen  übrigen  Porcellain  Mahlern  aber,  die  ausser  und  nach 
Verrichter  ihrer  ordentlichen  arbeit  sich  unterfangen,  dergleichen  Braun  Geschirr 
vor  sich  privatim  zu  lacquiren  oder  um  den  Lohn  andern  zu  verarbeiten,  welches 
hernach  mit  Übersetzung  der  Käufer  vor  eingeschmelzt  herumgeführt  und  dadurch 
das  ächte  in  Verachtung  und  Miß-Credit  gesezet  wird,  aufladen  zu  lassen,  dass  sie 
sich  dessen  gleichfalls  enthalten,  Bey  ihrem  weißen  Geschirr  und  dessen  Tractament 
Verbleiben,  dagegen  mich  bey  Genuss  des  hierüber  aus  Hochfürstl.  Höchster  Milde 
erlangten  Decreti  ohngekränket  lassen  mögen.  Hierüber  und  dessen  gnädigster 
Manutenenz  Bin  in  Unterthänigkeit  gewärttig  und  Verharre  mit  profondestem  Respect 
Euer  Hochfürstl.  Durchlaucht  unterthänigster  Johann  Valentin  Bontems.  Onolzbach, 
den  25.  Febr.  1743."  Dem  Gesuch  wurde  stattgegeben  und  die  Verordnung  dem 
Hermann  Mayer  publiziert.  —  Ein  Krug  vom  Jahre.  1742,  mit  Silberdekor,  im 
Hamburgischen   Museum,     dürfte   für   Ansbach   zunächst   in   Betracht   kommen. 


(H.  0.  5609)  Abb.  13. 


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ANMERKUNGEN  ZUR  HIRSCHVOOELFRAOE* 

von 
WALTER  STENGEL 

I.  Das  Wappen  der  Fayence- Eule  v.  J.  1540  ist  versuchsweise  auf  das  Über- 
linger  Geschlecht  der  Kessenring  bezogen  worden.  Das  entsprechende  Wappenbild 
in  dem  oberbadischen  Geschlechterbuch  von  J.  Kindler  v.  Knobloch  (1899)  unter- 
scheidet sich  jedoch  von  dem  der  Eule,  insofern  der  Kesselring  hier  nach  innen,  dort 
nach  außen  offen  steht.  Ich  habe  nun  den  für  Bürgermeister  Jacob  Kessenring  (zur 
Belohnung  von  im  Bauernkrieg  geleisteten  Diensten)  durch  Kaiser  Karl  V.  i.  J.  1528 
ausgestellten  Wappenbrief  auf  dem  Rathaus  in  Überlingen  verglichen.  Dort 
stimmt  das  Detail  mit  dem  der  Eule  überein.  —  Der  Sohn  des  Bürgermeisters,  Jacob 
Kessenring  der  jüngere,  Doktor  beider  Rechte  (er  heiratete  15)9),  war  der  Rom. 
Majestät  Ferdinand  I.  und  nach  deren  Ableben  Erzherzogs  Ferdinandi  zu  Oester- 
reich  Rat  und  Diener  (nachträgliche  Notiz  auf  demselben  Wappenbrief).  Im  Jahre 
1547  erhielt  er  als  ein  Zeichen  besonderer  kaiserlicher  Gunst  eine  Wappenverbesse- 
rung (goldene  Krone). 

II.  Das  Wappen  der  Eule  in  Kaufbeuren  (1543)  ist  nicht  das  der  Stadt,  sondern 
der  kaiserliche  Adler.  Bezüglich  der  Bedeutung  erklärte  mir  der  Konservator  der 
städtischen  Sammlung  in  K.,  Herr  Juwelier  Haggenmiller,  er  habe  immer  geglaubt, 
daß  die  Eule  ein  kaiserliches  Ehrengeschenk  gewesen  sei.  Dieser  Annahme,  die  auf 
einer  Tradition  beruhen  dürfte,  widerspricht  die  Herkunft  des  Stückes  nicht.  Die 
Eule  stammt  aus  dem  Besitz  der  Hörmann  v.  Guttenberg.  Als  Urbesitzer  kommt 
Georg  Hörmann  in  Betracht.  Er  war  durch  Reichtum  und  Bildung  ausgezeichnet 
und  hatte  als  Attache  des  Kaufhauses  der  Fugger  eine  hervorragende  Stellung. 
Im  Jahre  1530  war  ihm  das  Adelsdiplom  verliehen  worden.  Seine  Güter  lagen  in 
Tirol.  Aus  einer  1539  datierten  Urkunde  des  Statthaltereiarchivs  in  Innsbruck 
(II.  Jahrbuch  d.  Kunsthistor.  S.  des  allerh.  Kaiserhauses,  No.  2141)  ersehen  wir,  daß 
er  damals  zu  der  dortigen  Regierung  in  Beziehung  stand.  —  Über  königlich-kaiser- 
liche Ehrengeschenke  des  16.  Jahrh.^)  in  Gestalt  von  Trinkgeschirren  sind  uns  in  den 

♦)  Vgl.  Mitteil.  a.  d.  German.  M.  1908,  S.  22—33-  Auf  die  hier  angedeuteten  Punkte 
werde  ich  in  ausführlicherem  Zusammenhang  zurückkommen. 

1)  Unter  den  von  Kaiser  Ferdinand  Beschenkten  erscheint  (1564)  auch  ein  Otto  von 
Neydegg,  Jahrbuch  VII  4971:  »»maister  Mathesen  Jämniczer  Goldschmied  zu  giessung  eindliff 
phening  kaiser  Ferdinanden  conterfehung,  so  dem  Herrn  von  Gera,  Otto  von  Neydegg  etc.  di 
kais.  maj.  hochloblichister  gedächtnus  jedem  zu  geben  verwilligt  hat.**  Auf  einer  Burg  Neidek 
fand  sich  wie  erwähnt  1583  auch  eine  große  Eule,  aus  Thon  gebrannt. 


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ANMERKUNGEN  ZUR  HISCHVOGELFRAQB.    VON  WALTER  STENGEL. 


79 


Rechnungsbüchern  des  Hofzahlamts  viele  Belege  erhalten.  Es  sei  hier  nur  daran 
erinnert,  daß  Ferdinand  I.  den  (Nürnberger)  Maler  Albrecht  Glockenthon^)  1553 
„beschäftigte,  um  zwei  Trinkgläser  mit  vier  Wappen  herstellen  zu  lassen,  die  dann 
eine  Silberfassung  erhielten  und  zu  einem  Geschenke  an  zwei  große  Augsburger 
Kaufherren  bestimmt  waren".  (Vgl.  Lx)bme)rr,  Die  Glasindustrie,  1874,  S.  110). 
Nach  der  Hofzahlamts- Rechnung  1553  Fol.  189'  (=  VH.  Jahrbuch  d.  K.-S.  d.  allerh. 
K.  No.  4875)  waren  es  „irer  Römisch  Khgl.  maj.  wappen". 

HI.  Die  Fayence- Eule  Sr.  Exzellenz  des  Grafen  Wilczek  hatte,  wie  aus  dem 
Katalog  der  Spezialausstellung  von  Krügen  und  krugartigen  Gefäßen  im  öster- 
reichischen Museum  in  Wien  (1881),  S.  72,  hervorgeht,  auf  dem  heute  leeren  Schild 
ebenfalls  den  kaiserlichen  Adler.  Das  Türkenmedaillon  oben  könnte  darauf  deuten, 
daß  dieses  Gefäß  zu  einem  Gnadengeschenk  für  ritterliches  Verhalten  im  Felde  gegen 
die  Türken  bestimmt  war.  Vgl.  Hofzahlamts- Rechnung  1556,  Fol.  367*  (=Vn.  Jahr- 
buch No.  4941):  1557  Jänner  15,  Wien.  In  die  Kammer  König  Maximilians  H. 
wurden  vierzehn  silberne  vergoldete  Trinkgeschirre  von  „Khnorter  und  Sübenbürgi- 
scher  arbait"  eingeliefert,  welche  insgesamt  als  Gnadengeschenke  für  ritterliches 
Verhalten  im  Felde  gegen  die  Türken  bestimmt  waren.  Mehrere  darunter  werden 
in  nachstehender  Weise  beschrieben:  ein  großer  Kopf  mit  einem  Deckel,  geziert 
durch  einen  Kranz,  darauf  das  Bild  eines  Ritters;  ein  Kopf  mit  einem  Deckel,  da- 
rauf ein  Kaiserbildnis,  u.  s.  w. 

IV.  Hofzahlamts- Rechnung  1568  Fol.  92*  (=  VH.  Jahrb.  No.  5112):  1568 
Jänner  4.  Für  einen  von  Erhart  Hipflkhofer,  Bürger  und  (3oldschmied  zu  Wien, 
gefertigten  „silberen  Käuzen"  (Nachteule)  von  2  Mark  6  Loth  y/2  Quintel  Wiener 
Gewicht,  welcher  als  Bestgabe  zu  dem  beabsichtigten  kaiserlichen  Freischießen  be- 
stimmt war,  erscheinen  48  Gulden  35  Kreuzer  2  Pfennige  in  Ausgabe. 

V.  Die  vorübergehend  in  Zürich  gewesene  und  als  nicht  schweizerisches 
Erzeugnis  von  dort  wieder  abgestoßene,  seitdem  verschollene  Fayence- Eule  (Masner 
a.  a.  O.)  zeigte  ebenso  wie  das  Breslauer  Exemplar  den  Reichsadler  nebst  den 
Schilden  der  sieben  Kurfürsten.  —  Die  Stuttgarter  Eule  v.  J.  1561,  mit  württem- 
bergischem Landeswappen  auf  der  Brust,  hat  an  den  geöffneten  Flügeln  Wappen- 
schilde wie  das  bei  den  Reichsadlergläsern  der  Fall  ist. 

VI.  Der  älteste  bekannte  Reichsadlerhumpen  (Lobmeyr  a.  a.  0.  S.  106)  trägt 
die  Jahreszahl  1547.  Er  befindet  sich  in  dem  k.  k.  Schlosse  Laxenburg  und  ist  gewiß 
alter  kaiserlicher  Besitz.  Es  ist  m.  W.  noch  nicht  der  Versuch  gemacht  worden, 
dieses  Glas  (d.  h.  die  Malerei)  für  eine  Arbeit  Hirschvogels  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Und  doch  kommt  H.  hier  sehr  stark  in  Betracht.  Gerade  1547  hat  er  mit  Kaiser 
Karl  V.  persönlich  konferiert.  „H.  mußte  1547  seinen  Plan  (der  Stadt  Wien)  zuerst 
nach  Prag  zu  König  Ferdinand"*),  dann  nach  Augsburg  zu  Kaiser  Karl  V.  bringen, 
zur  Einsicht  vorlegen  und  erläutern".  (Bergau  in  Allgem.  Deutsche  Biogr.  XH, 
474).  Aus  dem  folgenden  Jahre  hat  sich  im  Oberkammeramt  der  Stadt  Wien  eine 
Rechnung  erhalten,  woraus  unzweideutig  hervorgeht,  daß  H.  damals  Hohlglas  email- 


2)  Albrecht  Glockenthon  war  Mündel  von  Veit   Hirschvogel,  dem  Vater  Augustins.     Vgl. 
Zahn's  Jahrb.  f.   Kunstw.  II,  S.  76. 

3)  Vgl.  die   Urkunde  bei  Joseph  Bergmann,  Medaillen  auf  berühmte  und  ausgezeichnete 
Männer  des  Österreich.  Kaiserstaates,  Wien  1844.  I,  S.  294. 


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80 


ANMERKUNGEN  ZUR  HIRSCH  VOGELFRAGE. 


lierte:  „1548.  Mer  am  16.  Sept.  Dem  Augustin  Hirsch vogel  von  wegen  ettlich  ge- 
mainer  Stadtwappen  die  er  gemacht,  Nemlich  in  glöser  geschmeltzt  fünff,  Inn  die 
zwei  Khöph  so  dem  jungen  Erzhertzogen  Carolo  vereret;  auch  in  den  Koph  so  Hern 
Salamanckha  prautt  auf  Ir  Hochzeitliche  freid  geschenckht  worden  — "*).  Daß  H. 
endlich  die  den  Reichsadlerhumpen  eigentümliche  Darstellung  (vgl.  über  die  Bild- 
quellen: Jahresber.  1906  des  Hamburg.  Mus.  f.  Kunst  u.  Gewerbe  S.  90)  wenigstens 
gekannt  hat,  verrät  eine  (wie  ich  aus  stilistischen  Gründen  mit  Bestimmtheit  an- 
nehmen zu  müssen  glaube)  von  H.  radierte  Karte:  Rhetiae  Alpestris  In  Qua  Tirolis 
Com.  Descriptio  (ein  Exemplar  im  Kupferstichkabinet  des  G.  M.:  La  3780).  Das 
einem  Kreis  einbeschriebene  eigentliche  Kartenbild  liegt  hier  auf  der  Brust  des 
Reichsadlers,  dessen  Flügelfedern  mit  einigen  kleinen  Wappenschilden  bedeckt  sind. 

VII.  Der  in  den  Nürnberger  Urkunden  gebrauchte  Ausdruck  „(die  venetianische 
arbeit  mit  dem  schmelzen  und)  glaswerk"  scheint  zunächst  gleichbedeutend  mit 
Hohlglas  zu  sein:  in  einer  Urkunde  v.  J.  1553  (=  V.  Jahrb.  d.  K.-S.  d.  a.  K.,  No.  4215) 
werden  sogar  Scheiben,  Glasmalereien  für  eine  Kirche  in  Linz,  „geschmeltzt  glas- 
werch"  genannt.  „Glaswerk"  ist  aber  auch  in  der  Bedeutung  =  glasierte  Töpfer- 
ware nachweisbar.  Ich  finde  es  so  in  einer  1538  datierten  Hafnerordnung  von 
Memmingen  im  Stadtarchiv  in  Memmingen  (Schublade  457,  I):  „Vonn  mayster 
stucken.  Item  welcher  haffner  hinfüro  alhie  Mayst  werden  will  der  soll  dise  nach- 
benannte Mayststück  machen.  Nämlich  ein  achtegketten  Ofen  mit  dreyen  sembssen 
und  ein  sinwellin  (runden)  ofen  mit  ainem  gefiertten  kastenn  und  was  er  für  modeil 
dartzu  braucht  die  soll  er  selbs  all  machen.  Dessgleichen  soll  er  auch  in  sonnderheyt 
ainen  hafen  machen  der  zehen  mass  fassen  mug  unnd  denn  markt  mit  guttem  ge- 
schier alss  mit  glasswerck  und  mit  allenn  anndern  dingen  so  ain  Mayster 
haben  sol  besetzenn.    Unnd  umb  dise  stück  alle  soll  ain  yeder  Mayster  annloben 

das  er  dieselben  selbs  mit  seinen  hennden  unnd  kein  annderer  gemacht  hab 

Auch  soll  fürohin  kainer  kein  hafen  weyssen  noch  hauben  die  uff  die  Frickenhausser 
artt  gemacht  werden  sonnder  denn  hafen  brennen  wie  die  erdenn  ir  selbs  ist  unnd 
sunst  sol  man  auch  kainerley  gschirr  hauben  mann  weiss  den  verglessen". 

VIII.  Warum  Hirschvogel  1536  (Anfang  August)  Nürnberg  verläßt  und  das 
entlegene  Laibach  ^)  als  künftigen  Wohnort  (oder  doch  als  Standquartier)  wählt, 
wird  durch  seine  spätere  kartographische  Tätigkeit  nicht  zureichend  erklärt.  Eine 
in  der  Sammlung  von  Auszügen  aus  dem  k.  und  k:  Reichs  -  Finanzarchiv  im 
V.  Jahrbuch  d.  K.-S.  d.  allerh.  Kaiserhauses  (1887)  versteckte  Urkunde  (No.  4473), 
die  sich  wie  ein  Kommentar  zu  der  vielerörterten  Neudörfferstelle  liest,  scheint 
das  Rätsel  zu  lösen: 

1534  October  20,  Wien.  König  Ferdinand  I.  ertheilt  dem  Peter  Reicher, 
Bürger  zu  Laibach,  auf  dessen  Bitte  die  Bewilligung,  „das  plei  zu  pulfer  zu  prennen 
und  daraus  die  schönnen  säubern  und  wollgezierten  gemalten  scutelln,  Khrueg  und 
ander  dergleichn  geshier,  wie  man  dieselben  zu  Venedig  zu  machen  phligt,  in  unsem 
landen  und  gebieten,  nämblichen  zu  Triest  oder  ander  orten  nahend  bei  dem  meer 
machen  zu  lassen,  dieselben  auch  allenthalben  in  und  aus  unsern  landen  verfüern, 


4)  Bergmann,  a.  a.  O. 

5)  Vgl.  Th.  Hampe,  Nürnberger  Ratsverlässe  I,  S.  309  Anm. 


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VON  WALTER  STENGEL. 


81 


verkaufen  und  vertreiben"  zu  dürfen,  „doch  gegen  bezallung  der  meut,  zoll  und 
anders,  so  gewöndlich  darvon  zu  thain  geburt".  In  Anbetracht  seiner  gemachten 
Ausgaben,  „so  ime  in  anfang  auf  die  Verlegung  solchs  pulfermachen  mit  b  e- 
stellung  der  maister  und  in  ander  weg  auflaufen  wierdet",  ertheilt  er 
ihm  die  besondere  Gnade,  „das  innerhalb  zehen  jaren  in  zwainzig  meilen  wegs  weit 
und  preit,  der  enden  er  solch  arbait  machen  lässt,  sonst  niemands  allain  ime  an- 
gezaigt  pulfer  zu  prennen  oder  dergleichen  gattung  machen  ze  lassen"  zugelassen 
werden  solle. 

Also  ist  Hirschvogel  als  „Meister'*  d.  h.  als  Majolikamaler  von  Peter  Reicher 
nach  L.  engagiert  worden.^  —  Man  könnte  einwenden,  daß  der  Laibacher  Betrieb 
sich  vielleicht  gar  nicht  mit  der  Fabrikation  von  Majoliken  beschäftigte**),  sondern 
emaillierte  Kupferwaren  in  der  Art  der  sogenannten  venetianischen  herstellte.  Das 
einzige  Datum,  das  wir  in  dieser  Gattung  kennen,  auf  einem  Stück  aus  der  Samm- 
lung Gustav  V.  Rothschild  (vgl.  Labarte,  Histoire  des  arts  industriels  1875  11 1, 
p.  231)  ist  aber  sehr  viel  früher:  1502.  Solches  Emailgeschirr  dürfte  1534  kaum 
mehr  ein  modemer  Artikel  gewesen  sein.  Es  ist  doch  wohl  bei  den  säubern  scutelln 
an  breitrandige  Wappenteller  u.  s.  w.  aus  der  von  uns  nach  Pazaureks  Vorgang 
schon  indirekt  zu  Hirschvogel  in  Beziehung  gesetzten  österreichischen  Gruppe  zu 
denken.  Das  in  der  erwähnten  späteren  Marke  ( Jännicke  M.  V.  247)  enthaltene  R 
würde  der  Annahme  nicht  entgegenstehen.  Sonderbar  bleibt  allerdings,  daß  von  den 
Bestandteilen  des  Glasurpulvers  das  Blei  und  nicht  der  Zinnzusatz  genannt  ist. 
Aber  diese  Verallgemeinerung  kann  auf  einem  Irrtum  der  in  technischen  Fragen 
schwerlich  bewanderten  Kanzlei  beruhen,  wenn  nicht  gar  der  Fabrikant  selbst  in 
seiner  Zuschrift,  um  sein  Geheimnis  zu  verschleiern,  sich  so  ausgedrückt  hatte.  — 
Peter  Reicher  mochte  Hirschvogel  zunächst  auf  die  Dauer  seines  Privilegs  verpflichtet 
haben.  Jedenfalls  fällt  mit  dieser  die  Zeit  von  H.'s  Aufenthalt  in  L.  ungefähr 
zusammen. 

IX.  1543  ist  H.  wieder  in  Nürnberg  und  veröffentlicht  seine  Zirkel  künde. 
Das,  wie  es  im  Vorwort  heißt,  zum  Dienste  der  freien  Kunst  wie  des  Kunstgewerbes 
(„vielen  Künstlern,  fürnemblich  den  Mahlem,  Bildhauern,  Cioidtschmieden,  Seyden- 
stickern,  Steinmezen,  Schreinern  und  auch  allen  andern")  bestimmte  Werkchen'), 
dessen  Illustrationen  zum  großen  Teile  Kreiskonstruktionen  darstellen, 
ist  „Nürnberg  den  ersten  April  Anno  1543"  datiert.  Das  Titelblatt  zeigt  einen 
Polyeder,  der  von  dem  Spruch  „Spero  Fortune  Regressum"  (Ich  hoffe  des  Glückes 
Wiederkehr)  kreisförmig  umschrieben  ist.  Auf  dem  Polyeder  sitzt 
eine  Eule:  Wie  ein  Resultat  von  Hirschvogels  Besuch  in  Nürnberg  1543  er- 
scheinen im  folgenden  Jahre  —  gleichsam  eine  keramische  Nutzanwendung  der 
„Geometrie"  —  die  von  uns  der  Nickel'schen®)  Werkstatt  zugewiesenen  Ri  ngflaschen. 


6)  Daß  es  sich  etwa  gar  um  Glasfabrikation  handeln  könnte,  ist  ausgeschlossen.  Man 
vergleiche  den  Wortlaut  der  gleichzeitigen  Urkunden  (II.  Jahrb.  d.  K.  S.  d.  allerh.  K.)  be- 
treffs Wolfgang  Vitls  Fabrikation  von  venetianischem  Glas  in  Hall.  Eine  Glashütte  bestand 
damals  auch  in  Laibach.  Als  Besitzer  derselben  erscheinen  im  August  1534  Veit  Kissl  und 
Hans  Weilheimer.    (a.  a.  O.  Nr.  1969). 

7)  Vgl.  Bibliothek  des  German,  Mus.  Nr.  38,  796. 

8)  Der  erwähnte  Nürnberger  Goldschmied  Balthasar  Nickel  war  (1546)  Hoflieferant 
Ferdinands  I.    Vgl.  VII.  Jahrbuch  Nr.  4805,  4806. 


Mitteilungen  aas  dem  i^erman.  Nationalmoseam.  1908  11 

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ANMKRKUNQEN  ZUR  HIRSCH  VOGELFRAGE.     VON  WALTER  STENGEL. 


X.  Das  Datum  1544  steht  auch  auf  einem  Albarelk)  im  städtischem  Museun 
in  Ulm,  auf  den  mich  Max  Sauerlandt  aufmerksam  machte  mit  Rücksicht  auf  die 
Möglichkeit  eines  schwäbischen  Ursprungs  der  ganzen  Gruppe.  Über  die  Provenienz 
dieses  kleinen  Topfes,  der  mir  nach  Technik®)  und  Dekor  durchaus  mit  den  Eulen, 
Ringflaschen  u.  s.  w.  zusammenzugehören  scheint,  konnte  ich  nur  noch  folgendes 
ermitteln.  Das  Stück  kam  1850  an  den  Verein  für  Kunst  und  Altertum  in  Ulm 
und  Oberschwaben  als  Geschenk  eines  Vereinsmitgliedes,  des  Münstermeßners  Käst 
(vgl.  Verhandlungen  des  Vereins  u.  s.  w.,  VII.  Bericht,  Ulm  1850,  S.  15).  Die  Witwe 
des  Geschenkgebers,  die  noch,  in  Reutlingen,  lebt,  gab  mir  die  Auskunft:  „Mein 
sei.  Mann  hat  mir  über  die  Existenz  dieses  Glases  (gemeint  ist  der  Albarello)  ge- 
sprochen. Es  wurde  sehr  wahrscheinlich  auf  dem  alten  Markte  (in  Ulm)  er- 
worben. Von  den  Verkäuflem,  bei  denen  man  es  vielleicht  hätte  erfahren  können, 
lebt  aus  selbiger  Zeit  niemand  mehr". 

XI.  Es  wäre  trotz  gewisser  Bedenken  dringend  zu  wünschen,  daß  einmal 
eine  Leihausstellung  „Cisalpine  Fayencen  des  16.— 1417.  Jahrh."  zustande  käme, 
wenn  auch  nur  für  wenige  Tage.  Denn  nur  durch  den  unmittelbaren  Vergleich 
können  die  schwebenden  Fragen  ernstlich  beantwortet  werden. 


9)  Der  Hamburger  Teller  (m.  weibl.  Brustbild  wie  der  Albarello)  ist,  wie  ich  jetzt  sehe, 
der  in  Nürnberg  „gefundenen"  Schüssel  von  1593  (vgl.  Essenwein  a.  a.  O.,  wo  zwischen  „ge- 
funden" und  „von  [hiesigen]  Händlern  erworben"  unterschieden  wird)  technisch  (Rückseite) 
sehr  ähnlich 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

W.  M.  Schmid,  Altertümer  des  bürgerlichen  und  Strafrechts,  ins- 
besondere Folter-  und  Straf  wer  kzeug  e  des  Bayerischen  National- 
museums.    1908.    (Kataloge  des  Bayerischen  Nationalmuseums.    VII.  Band.) 

Dem  Bestreben,  die  Schätze  des  Bayerischen  Nationalmuseums  der  Wissenschaft  und  der 
Allgemeinheit  nutzbar  zu  machen,  verdanken  wir  diesen  Katalog.  Schmids  Arbeit  löst  den  alten 
Führer  von  K.  A.  Bierdimpfl  (1882)  ab,  ist  aber  in  jeder  Beziehung  eine  neue  und  selbständige 
Durchforschung  des  Gebietes,  die  auch  äußerlich  in  einem  viel  stattlicheren,  reich  mit  Bildern 
geschmückten  Gewände  erscheint. 

Der  Verfasser  beginnt  mit  einer  kurzen,  vielleicht  etwas  gar  zu  knappen  Skizze  des  germa- 
nischen Rechtswesens.  Größere  Ausführlichkeit  hätte  ihm  hier  die  Scheidung  gemeingermanischer 
und  frühmittelalterlicher  Institutionen  erleichtert,  ja  geradezu  an  die  Hand  gegeben,  z.  B.  hin- 
sichtlich des  Gottesurteils,  dessen  Wesen  in  der  germanischen  Zeit  ein  anderes  war  als  in  der  fränki- 
schen und  nachfränkischen,  oder  in  der  Frage  der  Verstümmelung,  die  die  Urzeit  nicht  kennt  und 
die  erst  unter  dem  mildernden  Einfluß  der  Kirche  als  gelegentliche  Ablösung  des  Todesurteils 
aufkommt.  —  Weiterhin  verfolgt  Schmid  die  Aufzeichnung  der  einzelnen  Stammesrechte  im 
13.  Jahrh.  bis  zur  Bamberger  Halsgerichtsordnung  von  1507  und  der  auf  ihr  fußenden  Constitutio 
Criminalis  Carolina  von  1 533,  und  mit  Recht  betont  er,  daß  bereits  in  den  ältesten  Sammlungen 
sich  Spuren  des  römischen  Rechts  finden,  das  auf  dem  Wege  des  kanonischen  Prozesses  sich  lang- 
sam Boden  eroberte.  Die  Aufzeichnung  der  Stammesrechte  bedeutete  nochmals  ein  energisches 
Zusammenraffen  der  germanischen  Rechtsbegriffe,  aber  im  Grunde  bezeugen  systematische  Samm- 
lungen doch  immer,  daß  etwas  verloren  geht.  So  war  es  im  9.  Jahrhundert,  als  Karl  der  Große  die 
absterbenden  Heldenlieder  aufschreiben  ließ,  so  im  14.,  als  die  großen  Sammelhandschriften  des 
Minnesangs  entstanden,  und  so  war  es  auch  im  13.,  als  Eike  von  Repgow  den  Sachsenspiegel  schrieb. 
Die  eigentliche  Zeit  des  sieghaften  Eindringens  des  römischen  Rechtes  ist  aber  erst  das  15.  Jahr- 
hundert: der  Boden  ist  ihm  bereitet  durch  das  kanonische  Recht;  dem  Volk  ist  es  willkommen, 
da  es  die  Standesunterschiede  aufhebt  und  durch  einen  geschulten  Richterstand  eine  gleichmäßige 
Ausübung  gewährleistet;  dem  Richter  selber  geht  es  mehr  an  die  Hand,  da  es  detailliert  fertig  ist 
und  nicht  erst  „gefunden"  zu  werden  braucht;  und  zu  dem  allem  gesellte  sich  bald  die  Autorität, 
mit  der  die  wiederaufsteigende  Antike  die  Gemüter  umfing. 

Mit  dem  römischen  Recht  aber  drang  ein  unheimlicher  Gast  in  das  deutsche  Gericht  ein, 
und  das  führt  Schmid  auf  sein  eigentliches  Thema:  die  Folter.  In  sehr  beschränktem  Maß  scheint 
sie  bereits  den  Germanen  geläufig  gewesen  zu  sein,  als  Prügelstrafe,  gegenüber  dem  Unfreien. 
Ihre  furchtbare  Entwicklung  beginnt  aber  erst  mit  dem  14.  und  15-  Jahrhundert  und  sie  erreicht 
ihren  Höhepunkt  in  dem  in  jeder  Beziehung  maßlosen  17.  Jahrhundert.  Die  beiden  aus  dem 
Kriegstumult  geborenen  Romane,  der  Simplicius  Simplicissimus  und  der  Phüander  von  Sittewalt, 
bewahren  das  grausame  Abbüd  jener  Zeit.  Milderung  brachte  hier  erst  das  kluge  18.  Jahr- 
hundert, allen  voran  Preußen,  dessen  König  1740  die  Folter  abschaffte;  Bayern  folgte  erst  18O6. 

Schmid  berichtet  in  kurzer,  aber  sehr  instruktiver  Weise  über  die  verschiedenen  Arten 
der  Tortur,  und  geht  dann  auf  die  „Lebensstrafen"  über,  die  bei  schweren  Verbrechen  stets  mit 
Foltern  verbunden  wurden.  Leichtere  Vergehen  wurden  mit  „Leibesstrafen"  geahndet  und  in 
ihnen  suchte  die  mittelalterliche  Rechtspflege,  von  einem  starken  Wirklichkeitssinn  geleitet,  überall 
das  Glied  zu  treffen,  mit  dem  gesündigt  war:  der  Gotteslästerer  verlor  die  Zunge,  der  Dieb  die 


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84  LITERAKISGHE  BESPRECHUNGEN. 

Hand,  der  Meineidige  die  Schwurfinger.  Dieser  Zug  nach  dem  Symbolischen  hat  in  das  Kapitel 
der  „Ehrenstrafen"  denn  auch  einiges  gebracht,  was  uns  die  mittelalterliche  Rechtspflege  in  hellcrem, 
oft  genug  humoristischen  Lichte  erscheinen  läßt;  so  die  Schandlarven,  die  dem  Delinquenten, 
während  er  am  Pranger  stand  oder  durch  die  Straßen  geführt  wurde,  vors  Gesicht  gebunden  wurden. 
In  ihrer  fabelhaft  grotesken  Bemalung  und  Ausstattung  mit  Teufelshömem,  Hängezungen  und 
Schweinsrüsseln  waren  sie  „gewissermaßen  eine  Projektion  der  Gesinnung  des  Verbrechers,  ein 
Bild  seines  Vergehens,  das  manchmal  eigens  beigeschrieben  wurde."  —  Mit  einem  kurzen  Blick 
auf  den  ehrlosen,  aber  einträglichen  Stand  des  Henkers,  dem  erst  das  Zeitalter  der  französischen 
Revolution  seine  Bürgerrechte  zurückgab,  und  auf  die  Hexenprozesse,  die  in  Bayern  eine  ver- 
hältnismäßig geringe  Rolle  gespielt  haben,  schließt  der  Verfasser  seine  inhaltreiche  Einleitung. 
Der  Hauptteil  des  Katalogs  dient  der  Beschreibung  der  Objekte  selber.  Folterinstrumente, 
Straf  Werkzeuge,  Gesetzbücher  u.  s.  w.  in  Druck  und  Handschrift,  Tatbestandszeichen,  Rechts- 
symbole, klösterliche  Bußgeräte  und  Keuschheitsgürtel  werden  kurz  beschrieben  und,  was  bei  den 
Münchner  Katalogen  jetzt  in  so  dankenswerter  Weise  in  den  Vordergrund  tritt,  durch  zahlreiche 
Abbildungen  vor  Augen  geführt.  Den  Beschluß  des  instruktiven  Büchleins  bildet  ein  Verzeichnis 
der  Waffenschmiedsmarken,  die  auf  den  Richtschwertem  der  Sammlung  vorkommen. 

H.  Stierling. 

Dr.  Max  Kemmerich,  Die  frühmlttelalterHche  Portratmalerei  in  Deutschland  bU  zur  Mitte 
des  XIII.  Jahrhunderts.  Mit  38  Abbildungen.  München  1907.  Verlag  von  Georg  D.  W. 
C  a  1 1  w  e  y. 

Ein  wenig  bearbeitetes  Gebiet  der  Kunstgeschichte  wird  hier  mit  Energie  und  gutem  Er- 
folg in  Angriff  genommen.  Der  Verfasser  konstruiert  sich  zunächst  die  Methode  der  Untersuchung 
und  wendet  sie  konsequent  an.  Er  geht  dabei  vom  Wesen  des  Porträts  aus.  „Das  Wesen  des 
Porträts  ist  die  Ähnlichkeit,  die  Übereinstimmung  zwischen  Original  und  Abbild  in  Merkmalen." 
Leider  ist  dieser  Satz,  so  allgemein  aufgestellt,  nicht  richtig.  Ähnlichkeit  ist  eine  Grundforderung, 
welche  an  jedes  gute  Porträt  gestellt  werden  muß,  aber  sie  erschöpft  nicht  dessen  Wesen.  Gerade 
die  höchsten  Leistungen  der  Porträtkunst  gehen  über  die  objektiv  richtige  Wiedergabe  der  Formen 
hinaus,  sie  suchen  die  Individualität  durch  Konzentration  und  Modifikation  der  Formen  be- 
stimmter und  lebendiger  darzustellen  als  dies  in  noch  so  genauer  Wiedergabe  der  äußeren  Formen 
möglich  wäre.  Paradox  ausgedrückt  kann  man  sagen,  ein  Porträt  kann  einem  Menschen  ähnlicher 
sein,  als  sein  eigenes  Gesicht.  Andererseits  können  stüistische  Bedingungen  oder  stilistische  Moden 
den  Ähnlichkeitsgehalt  des  Porträts  nach  der  negativen  Seite  beeinflussen,  so  daß  das  Individuelle 
gegenüber  dem  Typischen  oder  Konventionellen  zurücktritt.  In  beiden  Fällen  können  Werke 
entstehen,  welche  nicht  nur  als  Kunstwerke,  sondern  als  Porträts  sehr  hoch,  ja  höher  stehen,  als 
solche,  welche  die  äußeren  Formen  ganz  exakt  wiedergeben.  Tizian  und  Rigaud  sind  größere 
Porträtisten  als  Denner.  Auch  die  weitere  Definition  von  Ähnlichkeit  als  Übereinstimmung  von 
Original  und  Abbild  in  Merkmalen  ist  unzureichend.  Kemmerich  wird  auf  sie  durch  die  Beob- 
achtung geführt,  daß  in  den  Anfängen  des  Porträts  erst  ein  oder  wenige  Merkmale  gegeben  werden. 
Aber  ein  Porträt  kann  alle  einzelnen  Gesichtsteile  richtig  wiedergeben  und  doch  der  Forderung  der 
Ähnlichkeit  nur  wenig  entsprechen,  wenn  die  Teile  nicht  in  richtigem  Verhältnis  und  in  richtiger 
gegenseitiger  Lage  stehen.  Das  Porträt  ist  nicht  eine  Summe  von  Merkmalen,  sondern,  wenn  das 
mathematische  Bild  beibehalten  werden  soll,  ein  Integral.  Eine  Untersuchung,  welche  das  Wesen 
des  Porträts  in  die  Ähnlichkeit  verlegt  und  Merkmale  addiert,  läuft  Gefahr,  im  Ikonographischen 
stecken  zu  bleiben. 

Kemmerich  ist  dieser  Gefahr  nicht  ganz  entgangen.  Seine  Methode  leistet  Gutes  für  die 
Untersuchung  der  Anfänge  der  Bildniskunst,  sie  wird  auf  deren  Höhe  versagen.  Denn  wenn 
er  meint,  in  den  Zeiten  der  Reife  komme  es  im  Gegensatz  zu  den  Frühzeiten  darauf  an,  die  kon- 
ventionellen, nicht  individuell  beobachteten  oder  nach  einem  Schönheitsideal  verbesserten  Mo- 
mente hervorzuheben,  so  wird  sich  zeigen,  daß  damit  nicht  sehr  weit  zu  kommen  ist.  Kemmerichs 
Bestreben  geht  dahin,  das  Porträt  aus  der  Sphäre  der  ästhetischen  Schönrednerei  zu  befreien  und 
annähernd  exakter  Messung  zu  unterziehen.  Ich  fürchte,  die  künstlerische  Seite  der  Aufgabe 
kommt  dabei  zu  kurz. 


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LITERARISCHE  BBSPRECHUNOBN.  85 

Dies  zur  Begründung  meiner  abweichenden  Grundauffassung.  Lassen  wir  sie  in  der  Folge 
bei  Seite  und  sehen  was  der  Autor  mit  seiner  Untersuchung  erreicht. 

Wichtig  ist  zunächst  der  Nachweis,  daß  die  Anfänge  individueller  Menschendarstellung  bis 
in  die  primitivsten  Kunststufen  zurückgehen.  Diese  primitiven  Zeichner  begnügen  sich  aller- 
dings mit  der  formal  mangelhaften  Andeutung  eines  oder  weniger  äußerlicher  Merkmale,  während 
die  Gesamterscheinung  dem  Urbild  in  keiner  Weise  entspricht,  und  man  mag  mit  Recht  Bedenken 
tragen,  solche  Darstellungen  als  Porträts  zu  betrachten,  aber  den  Keim,  aus  welchem  das  Porträt 
erwächst,  enthalten  sie  gewiß. 

Für  die  Anfänge  der  Bildniskunst  bei  den  germanischen  Völkern  wäre  mehr  als  geschehen 
ist  zu  beachten  gewesen,  daß  sie  nicht  autochton,  sondern  in  hohem  Grade  von  der  byzantinischen 
Kunst  abhängig  ist,  und  daß  gerade  die  Herrscherbilder  diese  Abhängigkeit  in  formaler  und  tech- 
nischer Hinsicht  am  deutlichsten  zur  Schau  tragen.  Die  eingehendere  Berücksichtigung  dieses 
Verhältnisses  hätte  die  Erklärung  für  die  auffallende  Tatsache  ergeben,  daß  die  Porträtfähigkeit 
von  den  Zeiten  der  Karolinger  zu  denen  der  Salier  nicht  zu-,  sondern  abnimmt. 

In  sehr  gründlichen  Einzeluntersuchungen  führt  Kemmerich  den  Nachweis,  daß  die  Fähig- 
keit, eine  Person  charakteristisch  darzustellen,  schon  in  der  karolingischen  Zeit  vorhanden  war. 
Die  Charakteristik  ist  nicht  eindringend,  genügt  aber,  um  die  Person  objektiv  kenntlich  zu  machen, 
nicht  allein  durch  die  Wiedergabe  einzelner  Merkmale,  sondern  auch  durch  deren  annähernd  rich- 
tige Kombination.  Unter  den  Ottonen  und  noch  unter  Heinrich  II.  bleibt  die  Bildniskunst  ziemlich 
auf  gleicher  Höhe.  Es  ist  die  Zeit  engen  Zusammenhangs  der  abendländischen  Kunst  mit  der  byzan- 
tinischen. Diese  Abhängigkeit  gewährt  eine  gewisse  Höhe  des  technischen  Könnens,  zu  dem  schul- 
mäßig erlernten  treten  eigene  Beobachtungen.  Mit  dem  Nachlassen  der  byzantinischen  Tradition 
um  die  Mitte  des  ll.  Jahrhunderts  tritt  ein  Rückgang  auch  der  Porträtfähigkeit  ein,  der  wohl 
weniger  eine  Folge  oberflächlicherer  Beobachtung  als  geringeren  technischen  Könnens  ist.  Im 
12.  Jahrhundert  folgt  ein  erneuter  Aufschwung  der  Malerei.  Die  Tradition  ist  nicht  abgerissen, 
aber  sie  tritt  gegenüber  dem  eigenen  Können  zurück,  eine  selbständige  deutsche  Kunst  ist  er- 
wacht. In  der  Buchmalerei  setzt  ein  neuer  zeichnerischer  Stil  ein.  Die  dieser  Stilepoche  ange- 
hörigen  Porträts  zeigen  schon  eine  achtenswerte  Kraft  der  Individualisierung,  aber  eine  volle 
Porträtmäßigkeit  wird  noch  nicht  erreicht. 

Mit  dem  Beginne  des  13.  Jahrhunderts  schließen  Kemmerichs  Untersuchungen.  Ihr  wich- 
tigstes Ergebnis  ist,  daß  das  Bestreben  und  die  Fähigkeit,  das  Bild  eines  Menschen  individuell 
zu  gestalten,  wenn  auch  in  beschränktem  Maße,  schon  in  den  frühesten  Zeiten  der  deutschen  Kunst 
vorhanden  ist.  Eine  Fülle  von  Beobachtungen  über  die  Ansprüche,  welche  zu  verschiedenen 
Zeiten  an  ein  Porträt  gestellt  werden,  über  die  Reihenfolge,  in  welcher  die  Merkmale  beobachtet 
und  wiedergegeben  werden  u.  a.  ist  da  und  dort  eingestreut.  Es  ist  eine  sichere  Grundlage  ge- 
schaffen, auf  der  weiter  gebaut  werden  kann.  Möge  die  verdienstvolle  Arbeit  bald  eine  Fort- 
setzung finden.  B  e  z  0 1  d. 

Geschichte  der  Familie  Vogtherr  Im  Lichte  des  Kulturlebens.  Herausgegeben  von  Dr. 
Friedrich  Vogtherr,  Kgl.  Bezirksamtsassessor.  Zweite  vermehrte  und  illustrierte  Auflage.  Ans- 
bach,   Kommissionsverlag  von  Fr.    Seybold's    Buchhandlung.     1908.   1 75  S.    8. 

Schon  als  Student  war  Dr.  Vogtherr,  angeregt  durch  eine  bekannte  Äußerung  W.  H.  Riehls, 
der  Geschichte  seiner  Familie  nachgegangen  und  ein  Büchlein,  das  er  1892  als  „Chronik  der  Familie 
Vogtherr"  im  Selbstverlag  erscheinen  ließ,  hatte  bereits  eine  erstaunliche  Menge  gesicherten  Ma- 
terials unter  Dach  bringen  können.  Diese  Chronik  wurde  zur  Grundlage  für  weitere  Forschungen, 
die  im  Laufe  der  Jahre  aus  dem  bescheidenen  Buche  von  damals  ein  fast  völlig  neues  werden  ließen. 
Verfasser  wie  Verleger  haben  ein  Übriges  getan,  so  daß  bereits  beim  Durchblättern  dieser  2.  Auflage 
das  Interesse  und  ein  gewisses  Behagen  auch  bei  dem  erwacht,  dem  die  „Genealogia  Vogtherorum'* 
das  nicht  bedeuten  kann,  was  sie  ihrem  pietätvollen  Erneuerer  geworden  ist.  Dieser  wird  es 
keinem  verübeln,  wenn  er  die  mannigfachen  Verzweigungen  und  Verästelungen  des  Stammes  nicht 
mit  solcher  gespannter  Aufmerksamkeit  zu  verfolgen  vermag  wie  der  getreue  Chronist  des  eigenen 
Geschlechts  es  tut.  Erwarten  aber  darf  er,  daß  wir  gerade  an  dieser  Familiengeschichte  nicht 
zu  rasch  vorübergehen.  Finden  sich  doch  unter  den  Ahnen  dieses  Geschlechts,  inmitten  der 
natürlicherweise  vorhandenen  Menge  von  Gestalten  mehr  alltäglichen  Gepräges  eine  auffallend 


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UTBRARISCHB  BESPRBCHUNGBN. 


große  Zahl  überragender  Persönlichkeiten,  deren  Schaffen  und  Wirken  auch  unserer  Zeit  unver- 
loren ist.  Der  Fleiß  des  Familienforschers  hat  nicht  geruht,  bis  die  nachgedunkelten  Bilder  wieder 
durchaus  in  alter  Frische  vor  Augen  standen.  Ein  paar  wirkliche  Charakterköpfe  sind  darunter: 
Da  ist  der  Stammvater  der  Vogtherm,  der  geb.  Häller  und  spätere  kampfgemute  „Reformator 
von  Feuchtwangen**  Georg  V.  (1487—1539).  dann  der  1536  verstorbene  Hofaugenarzt  des 
Augsburger  Bischofs  Christoph  v.  Stadion.  Bartholomäus  V.,  vor  allem  aber  der  bekannte  StraO- 
burger  Maler,  Formenschneider,  Buchdrucker.  Augenarzt  und  Dichter  Heinrich  Vogtherr 
der  Altere  (1490—1556,  des  gen.  Georgs  jüngerer  Bruder).  Ihm  ist  die  ausführliche  Biographie 
auf  S.  60 — 82  gewidmet.  Beigegebene  Kunstbeilagen  (S.  62/63  ff)  geben  Proben  von  dem  künst- 
lerischen Schaffen  dieses  Meisters.  In  des  Vaters  Fußstapfen  folgte  sein  gleichnamiger  Sohn  (1513 
bis  1568).  Auch  ein  Enkel,  Hans  Jakob  und  ein  Urenkel  Johannes  sind  Maler  (in  Ingolstadt)  ge- 
worden. Ein  anderer  bemerkenswerter  Künstler  aus  der  Vogtherrschen  Familie  ist  der  Augs- 
burger Goldschmied  und  Kupferstecher  Clemens  Vogtherr  (1608— 1687),  über  den  S.  57  ff-  das 
über  ihn  bekannt  Gewordene  zusammengestellt  wird. 

Das  Buch,  das  —  ein  Hauptvorzug  —  bestrebt  ist,  die  Beziehungen  des  Einzelnen  zu  der 
Gedankenwelt  und  den  Geschehnissen  seiner  Zeit  nirgends  außer  Acht  zu  lassen,  weiß  noch  von 
vielen  interessanten  Trägem  des  Namens  zu  berichten.  Wir  müssen  aber  auf  ein  weiteres  Heraus- 
heben verzichten  und  im  übrigen  auf  das  Werkchen  selbst  verweisen. 

Auf  schwankendem  Boden  bewegte  sich  der  Verfasser  mit  seinen  Aufstellungen  über  die 
adelige  Abkunft  der  bürgerlichen  Familie  Vogtherr  als  vorgeblicher  Nachkommen  der  Herren- 
V.  Vogtsberg  (Schloß  Vogtsberg  bei  Plauen  i.  V.).  Dr.  Vogtherr  scheint  tatsächlich  überzeugt  von 
der  Echtheit  einer  Jahrhunderte  lang  weitergegebenen  Überlieferung,  die  er,  was  menschlich  wohl 
begreiflich,  nicht  gerne  über  Bord  werfen  wollte.  Allein  der  Versuch,  den  Vogtherrschen  Stamm- 
baum an  jenes  plötzlich  vom  Schauplatz  der  urkundlichen  Geschichte  abtretende  Geschlecht  zu 
knüpfen,  gewinnt  kaum  an  Wahrscheinlichkeit  durch  den  Nachweis,  daß  schon  im  17.  Jahrhundert 
(das  in  solchen  Dingen  ebenso  erfinderisch  wie  leichtgläubig  war)  Glieder  der  Familie  mit  diesen 
Vorstellungen  sich  getragen  haben.  Ernsthafte  Betrachtung  muß  sich  vielmehr  sagen,  daß  nicht 
ein  Fädlein  wirklichen  genealogischen  Zusammenhangs  das  Diesseits  geschichtlich  begründeter 
Aufstellungen  und  ein  Jenseits  familiengeschichtlicher  Spekulationen  verbindet. 

Im  übrigen  verdient  das  fleißige  Buch,  das  viel  mehr  bietet,  als  der  Titel  einer  Familien- 
chronik erwarten  läßt,  alles  Lob.  H.  H. 

WalKahrts-,  Bruderschafts-  und  Weihe- Medaillen  der  gefttrsteten  Grafschaft  Tirol  und  Vor- 
arlberg. Von  A.  MPachinger.  Wien,  1908.  Verlag  Dr.  Rud.  Ludwig.  XII  und  69  Seiten, 
gr.  8.    Mit  4  Lichtdrucktafeln  und  4  Abbildungen  im  Texte. 

Wallfahrts-,  Bruderschafts-  und  Gnaden- Medaillen  des  Herxogtums  Saixburgs.    Von  A.  M. 

Pachinger.  Wien,  1908.  Vertag  Dr.  Rud.  Ludwig.  XIII  und  61  Seiten,  gr.  8.  Mit  6  Licht- 
drucktafeln. 

Die  beiden  Arbeiten  des  bekannten  Linzer  Sammlers  A.  M.  Pachinger  wenden  sich  einem 
Spezialgebiet  zu,  das  bisher  von  den  Medaillensammlem  und  -kennem  wenig  gepflegt  wurde,  und 
sie  zeigen,  daß  in  der  Tat  die  Weihmedaille,  dies  „jüngste  Stiefkind  der  Numismatik",  eine  liebe- 
vollere und  eingehendere  Behandlung  verdient,  als  ihr  bisher  zuteil  geworden  ist 

Kaum  50  Jahre  sind  vergangen,  seit  J.  P.  Beierlein  mit  seinen  „Münzen  der  bayerischen 
Klöster,  Kirchen,  Wallfahrtsorte"  die  wissenschaftliche  Beschäftigung  mit  den  religiösen  Medaillen 
als  einen  eigenen  Zweig  der  Numismatik  ins  Leben  rief  und  damit  gleichzeitig  eine  reiche  und  nach- 
haltige Anregung  für  die  Sammlertätigkeit  gab.  In  der  Folge  entwickelte  sich  eine,  wenn  auch 
nicht  umfassende,  so  doch  immerhin  wertvolle  Spezialliteratur,  aus  der  vornehmlich  des  Augs- 
burgers J.  M.  Friesen  egger  treffliches  Werk  über  die  Ulrichskreuze  hervorgehoben  sei.  A.  M. 
Pachinger,  derzeit  wohl  der  beste  Kenner  dieser  Medaillengattung,  ist,  wohl  indirekt,  ein  Schüler 
Beierleins;  er  hat  seine  ihm  aus  einer  bewunderungswürdigen  Sammlertätigkeit  erwachsenen 
Kenntnisse  durch  eine  interessante,  später  durch  einen  Nachtrag  vervollständigte  Abhandlung 
über  die  Arbeiten  von  Peter  und  Paul  Seel  der  Allgemeinheit  zugänglich  gemacht,^der  rasch  ein 
umfassender  Nachtrag  zu  den  Werken  Beierleins  und  seines  Nachfolgers  Friedrich  Och  über  die 
kirchlichen  Medaillen  Bayerns  folgte.     Aus  seiner  eigentlichen  Domäne,  der  Weihmedaille  der 


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UTEKARISCflE  BEiSPRECflUNGEN. 


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Österreichischen  Kronländer,  gab  er  zuerst  ein  Bändchen  ,»Wallfahrts-  und  Weihe-Münzen  des 
Erzherzogtums  Österreich  ob  der  Ems**,  das  1904  erschien. 

Wie  aus  den  älteren  Arbeiten  Pachingers,  so  strömt  auch  aus  den  beiden  vorliegenden  Ab- 
handlungen eine  reiche  Fülle  neuen  Materials;  sie  bieten  trotz  ihrer  topographischen  Begrenzung 
einen  überaus  klaren  und  interessanten  Überblick  über  eine  Kulturerscheinung,  deren  Eigenart 
Pachinger  in  den  die  Kataloge  einleitenden  und  schließenden  Worten  trefflich  gekennzeichnet 
hat;  es  ist  das  kulturelle  Moment,  nicht  das  künstleris  he -denn  künstlerisch  sind  dies  Erzeug- 
nisse von  wenigen  Ausnahmen  abgesehen,  meist  unbedeutend  und  unbefriedigend  — ,  das  den 
Wert  der  Weihmungen  ausmacht.  Ebenso  verdienen  Pachingers  äußerst  prägnant  und  genaue 
katalogisierende  Beschr  ibungen  der  einzelnen  Stücke,  nicht  minder  aber  auch  seine  historisch- 
topographischten  Angaben  alle  Anerkennung.  Auch  die  guten  Reproduktionen  in  Originalgröße, 
die  den  Wert  der  Bücher  für  vergleichende  Studien  erhöhen,  seien  rühmend  erwähnt.  Hoffent- 
lich verwirklicht  sich  bald  Pachingers  Absicht,  eine  vollständige  Zusammenstellung  aller  der- 
artiger Medaillen  von  Österreich- Ungarn  zu  bringen.  Dr.  W.  Josephi. 


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NEUENTDECKTE  ARBEITEN  VON  VEIT  STOSS. 

Von  Dr.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 

(Mit  2  Tafeln.) 

1.  Das  Verkündigungsrelief  in  Langenzenn. 

In  der  entwicklungsmäßigen  Darstellung  der  künstlerischen  Tätigkeit  des  Nürn- 
berger Bildschnitzers  Veit  Stoß,  wie  sie  Berthold  Daun  in  seinen  beiden  Ar- 
beiten über  den  Meister^)  unternommen,  klafft  eine  bislang  noch  nicht  geschlossene 
Lücke,  welche  den  Zeitraum  zwischen  den  Jahren  1507—08  und  1517—18,  mithin 
ein  volles  Dezennium  umfaßt.  Es  war  Daun  nicht  gelungen,  für  diese  doch  immerhin 
beträchtliche  Spanne  Zeit  geschichtlich  beglaubigte,  bezeichnete  oder  datierte  Werke 
des  Künstlers  nachzuweisen.  Und  doch  spielen  zehn  Jahre  in  dem  psychologischen 
Fortschreiten  eines  bedeutenden  Meisters  eine  Rolle,  in  Sonderheit  aber  bei  Veit 
Stoß,  der  namentlich  in  seiner  späteren  Schaffensperiode  deutlich  fühlbare  starke 
Wandlungen  durchmachte.  Sie  beginnen  beim  Schwabacher  Hochaltar  und  finden 
ihren  konkretesten  Ausdruck  in  dem  ehemaligen  Hochaltar  der  oberen  Pfarrkirche 
zu  Bamberg,  der  gleichzeitig  ihren  Abschluß  bezeichnet.  Diese  Lücke  mit  einer 
bezeichneten  und  datierten  Arbeit  ausfüllen,  ist  darum  nicht  gleichbedeutend  mit 
einer  bloßen  Erweiterung  des  bislang  bekannten  Denkmälerbestandes,  sondern  schließt 
zugleich  einen  willkommenen  Beitrag  zur  Klärung  des  Wesens  der  späteren 
Kunst  des  Veit  Stoß  in  sich.  Wenn  mir  heute  eine  Vermehrung  seines  Werkes  in 
diesem  Sinne  möglich  ist,  so  verdanke  ich  dies  einer  Entdeckung,  die  ich  unlängst 
bei  einem  Besuche  der  Stadtpfarrkirche  zu  Langenzenn  in  Mittelfranken  machte. 
Ich  fand  dort  in  der  südöstlichen  Ecke  des  nördlichen  Seitenschiffes,  eingefügt  in 
das  größere  Mittelstück  eines  der  Wand  vorgebauten,  in  der  2.  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts von  J.  Schiemer  aus  Nürnberg  renovierten  Sakramentshäuschens,  ein  in 
Sandstein  gearbeitetes  Verkündigungsrelief,  das  mich  auf  den  ersten  Blick  als  der 
Art  des  Veit  Stoß  auf  das  engste  verwandt  anmutete.  Eine  nähere  Prüfung  förderte 
die  Jahrzahl  1513  und  schließlich  auch  das  Zeichen  des  Meisters  zutage. 

Der  heutige  Standort  des  Reliefs  ist  nicht  der  ursprüngliche.  Früher  soll  es 
an  einem  der  Rundpfeiler  der  Kirche  seinen  Platz  gehabt  haben.  Seine  Form  fände 
dadurch  eine  ungezwungene  Erklärung,  sitzt  es  doch  nicht  mit  gerader  Stirnfläche  in 

1)  Berthold  Daun,  Beiträge  zur  Stoß- Forschung.  Veit  Stoß  und  seine  Schule  in  Deutsch- 
land, Polen  und  Ungarn,  Leipzig,  Verlag  von  Karl  W.  Hiersemann,  1903;  Künstler-Mono- 
graphien von  H.  Knackfuß,  Bd.  LXXXI:  Veit  Stoß  von  Berthold  Daun,  1906.  Ich  bezeichne 
der  Kürze  halber  das  erstgenannte  Werk:  Daun,  Beiträge,  das  letztgenannte:  Daun,  Künstler- 
Monographie. 


MittAiluDgen  aus  dem  german.  Nationalrnnseum.    1908.  12 


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NEÜENTDECKTE  ARBEITEN  VON  VEIT  STOSS. 


der  Mauer,  sondern  tritt  es  vielmehr  als  Abschnitt  eines  Kreissegments  um  8,5  cm  aus 
der  Wandflucht  heraus,  in  Dreiviertelplastik  aus  einem  0,81  m  hohen  und  0,61  m 
breiten  Block  grauen  Sandsteins  gearbeitet.  Schon  ein  flüchtiger  Blick  lehrt,  daß 
es  zu  seiner  Umrahmung  nicht  in  organischer  Beziehung  steht.  Diese  hat  die  Form 
eines  spätgotischen  Architekturaufbaues,  der  von  Strebepfeilern  begleitet  und  von 
einem  hohen  Wimperg  mit  freiragenden  Fialen  beiderseits  bekrönt  wird.  Der  Scheitel 
der  Nische  enthält  unmittelbar  oberhalb  unseres  Reliefs  in  plastischer  Arbeit  über 
einem  Kreuznimbus  das  Haupt  Christi. 

Die  Reliefplatte  wird  durch  ein  in  seinem  oberen  Teil  freistehendes  Säulchen 
in  zwei  Hälften  geteilt,  die  beide  im  flachen  Rundbogen  geschlossen  sind.  Die  linke 
ist  durch  das  herabhängende  Gewölbe  als  Innenraum  charakterisiert,  während  die 
rechte  den  Abschnitt  unmittelbar  vor  dem  Hause  in  sich  begreift.  Durch  die  zwie- 
fache Anwendung  des  Rundbogens,  der  ja  im  rechten  Teil  ebenso  gut  hätte  fehlen 
können,  dessen  der  Meister  aber  aus  rein  künstlerischen  Gesichtspunkten  bedurfte, 
wurde  eine  äußerst  harmonische  Abrundung  des  Ganzen  erzielt.  Die  Hälften  sind 
nicht  gleich.    Die  linke  übertrifft  die  rechte  an  Breite. 

In  der  linken  Hälfte  nun,  in  dem  als  Zimmer  gedachten  Raum,  kniet  dicht 
neben  der  abschließenden  Laibung  die  Jungfrau  Maria  (Taf.  IX).  Sie  ist  dem  Be- 
schauer fast  en  face  zugewandt.  Ein  um  den  Oberkörper  enganschließendes,  um  die 
Hüften  energisch  gegürtetes  Gewand  umhüllt  den  Körper.  Über  ihm  lagert  der 
weite  Mantel,  der  auf  den  Schultern  glatt  aufruht,  um  sich  nach  unten  zu  kühn  ge- 
drehten, jedoch  großzügig  angelegten  Windungen  zu  entwickeln.  Nach  rechts  hin 
flutet  er  in  der  für  Veit  Stoß  so  bezeichnenden  Art  zunächst  als  stark  plastisch  heraus- 
stehendes Gewandstück  ohne  weitere  Gliederung  herab,  dann  aber  schwingt  er  sich 
in  lebhafter  gebauschter  S-Linie  über  den  Boden  hinweg  nach  dem  Sockel  des  Mittel- 
säulchens  herüber.  Ober  dem  Schoß  tritt  das  Untergewand  mit  röhrenartigen  Pa- 
rallelfalten kräftig  hervor,  gezwungen  durch  die  Einschnürung  um  die  Hüfte.  Das 
oval  geformte,  etwas  pausbäckige  Antlitz  ist  über  einem  ausnehmend  hohen  Hals 
geradeaus  gerichtet.  Leider  ist  es  nicht  ganz  intakt  auf  uns  gekommen.  Vielleicht 
hat  es  bei  der  letzten  Renovation,  bei  der  das  Relief  von  dem  über  ihm  lastenden 
Farbanstrich  befreit  wuide,  gelitten.  Doch  ist  noch  deutlich  erkennbar,  daß  die 
Augen  in  verhaltener  Ergebung  geschlossen,  daß  die  auf  einander  gepreßten  Lippen 
durch  leichtes  Heraustreten  betont  sind,  und  daß  das  Kinn  in  feiner  plastischer  Run- 
dung hervorgearbeitet  ist.  Das  Haar  ist  in  der  Mitte  gescheitelt  und  wallt  in  kork- 
zieherartig gewundenen  Strähnen  zu  beiden  Seiten  über  die  Schultern  herab.  Über 
der  rechten  teilt  es  sich  in  zwei  Strähnen,  von  denen  die  eine  über  der  Brust,  die 
andere  über  der  äußeren  Körperlinie  bis  weit  über  die  Hüften  herabläuft. 

Die  vorgestreckte  Linke  hält  mit  stark  abgespreiztem,  zierlich  geformtem 
Daumen  ein  aufgeschlagenes  Buch,  auf  dessen  linker  Hälfte  die  zum  Arm  im  rechten 
Winkel  gestellte  rechte  Hand  aufruht.  Rechts  von  Maria  liegt  auf  dem  Betpult 
neben  der  Fensterbrüstung  ein  dickleibiges,  geschlossenes  Buch. 

Wie  bereits  bemerkt,  steht  das  Trennungssäulchen  in  seinem  oberen  Teil  frei. 
Es  dient  hier  zugleich  als  Begrenzungspfosten  für  das  Fenster,  durch  das  von  rechts 
her  der  Engel  mit  der  frohen  Botschaft  hereinschwebt.  Ich  gebrauche  das  Wort 
„hereinschwebt"    mit  Absicht;    denn    tatsächlich    ist   es  dem  Künstler  gelungen. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ. 


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den  Eindruck  des  freien  Schwebens  im  Luftraum  hervorzurufen.  Alles  ist  an  dem 
Figürchen  in  nicht  rastender,  jedoch]  nicht  unruhiger  Bewegung.  Der  Engel 
hat  sich  gerade  vom  Himmel  herabgelassen,  um  nun  bei  dem  Gruß  eben  ein  wenig 
still  zu  verharren.  Noch  flattern,  von  der  nach  oben  strebenden  Luft  bewegt,  die 
Enden  des  langen  Gewandes  empor.  Wenn  man  so  sagen  will,  tritt  der  Verkündigungs- 
engel  als  Brustbild  durch  das  Fenster  in  den  Innenraum  hinein,  während  sich  der 
übrige  größere  Teil  seines  Körpers  noch  draußen  befindet.  Das  Trennungssäulchen 
schließt  mit  der  linken  Schulter  und  dem  linken  Ellenbogen  gerade  ab.  In  dem 
leider  lädierten  Antlitz  —  die  Nase  ist  fast  ganz  abgeschlagen  —  liegt  die  Gebärde 
des  Sprechens,  verstärkt  durch  die  beteuernd  erhobene  Rechte.  Der  Mund  ist  leicht 
geöffnet.  Die  oberen  Augendeckel  sind  tief  über  die  kugelig  markierten  Pupillen 
herabgezogen.  Das  volle  Lockenhaar,  das  über  der  Stirn  von  einem  Kranz  zusammen- 
gehalten wird,  weht,  beiderseits  reichlich  abstehend,  über  den  Rücken  nach  hinten 
herab.  Die  Linke  hält  den  schriftbandumwundenen  Stab.  Der  Körper  des  Engels 
ist  von  einem  weiten,  um  die  Hüften  gegürteten  Gewand  umschlossen,  das  aber  noch 
um  ein  gut  Teil  über  denselben  hinausreicht.  Um  die  Oberschenkel  schmiegt  es 
sich,  diese  deutlich  durchschimmern  lassend,  knapp  an,  dann  folgt  es  der  Biegung 
des  Kniees  im  rechten  Winkel  nach  oben,  um  hier,  wie  vom  Sturmwind  getrieben, 
durch  nichts  behindert  emporzuwirbeln.  ,In  grandiosem  Schwung  weht  es  nach 
links  herauf,  um  dann  zu  der  für  Veit  Stoß  so  bezeichnenden  S-Linie  umzubiegen. 
Ich  wiederhole:  trotz  des  Stillstandes  im  Fluge  atmet  alles  an  diesem  kleinen  Figürchen 
Leben  und  Bewegung.  Von  mächtigen  Schwingen  getragen,  naht  es  durch  das  Fenster 
der  in  Ergebung  staunenden  Jungfrau,  die  sich  noch  nicht  zu  fassen  weiß.  Selten 
ist  es  Veit  Stoß  gelungen,  das  Wunder  der  Verkündigung  so  intim  darzustellen,  als  es 
hier  geschehen  ist;  selten  hat  er  tiefe  Bewegung  und  seelische  Erregtheit  trotz  aller 
Freiheit  im  einzelnen  in  solch  edler  Mäßigung  zum  Ausdruck  zu  bringen  gewußt 
wie  hier.  Es  ist  offenbar,  daß  diese  Arbeit  für  das  Verständnis  seines  inneren 
Wesens  und  damit  seiner  Kunst  von  Bedeutung  ist. 

Ein  stummer  Zeuge  wohnt  dem  Vorgang  bei,  in  frommer  Scheu  dem  Wunder 
zuschauend.  Es  ist  die  Stifterin,  die  als  kleines  Figürchen  rechts  unten  kniet.  Ihr 
Antlitz  ist  nach  dem  Fenster  emporgerichtet.  Ein  Kranz  hält  über  der  Stirn  das 
Haar  zusammen,  das  in  reichem  Gelock  weit  über  den  Rücken  herabflutet.  Die  Unter- 
arme fehlen  heute,  doch  deutet  die  ganze  Haltung  darauf  hin,  daß  sie  ursprünglich 
mit  betend  zusammengelegten  Händen  erhoben  waren,  wie  dies  übrigens  bei  Stifter- 
darstellungen traditionell  ist.  Der  Körper  ist  von  einem  weiten  Gewand  umschlossen, 
das  mit  den  Unterarmen  beiderseits  emporgerafft  ist.  Zu  den  Füßen  der  Stifterin 
lehnen  zwei  Wappenschilde,  von  denen  das  eine  einen  schreitenden  Löwen  mit  er- 
hobener rechter  Vordertatze,  das  andere  eine  fünfteilige  Rose  in  leichtem  Relief  zeigt. 
Wir  haben  es  also  mit  einer  Angehörigen  des  Geschlechtes  derer  von  Wildenfels  zu 
tun,  über  deren  Wappen  sich  bei  Wiguleus  Hund,  Bayrisch  Stammenbuch  I  (1585), 
S.  371  folgender  Vermerk  findet:  „Führen  jetzt  ein  quartiert  Wappen,  Nemlich  zu 
der  Rosen  ihrem  alten  Wappen  ein  weissen  Löwen  mit  rother  Zungen  vnnd  Klowen, 
in  schwartzem  Feldt.  Oben  auff  dem  Helm  auch  denselben,  Löwen  in  einer  Krön 
auffstehend".  Und  er  fährt  dann  (S.  372)  fort:  „In  eim  alten  Wappen  Buch  find 
ich  vnder  den  Fränckischen  Herren:  Wildenfelsz  führen  ein  schwartzen  Löwen  mit 


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NEÜENTDECKTE  ARBEITEN  VON  VEIT  STOSa 


blawer  Zungen  vnd  Kloen  in  gelbem  Feldt,  oben  ein  Stam  von  eim  Paum,  daran 
zu  Oberst  ein  schwartze  Rosen  mit  eim  gelben  Putzn,  vnd  vier  grünen  Plätlen.  Ich 
vermeyn  sey  alles  eins".  Das  alte  Wappen  war  also  eine  Rose;  und  so  finden  wir 
es  bei  Sibmacher  11,  25,  woselbst  sie  sich  schwarz  gefärbt  von  weißem  Untergrund 
abhebt.  Später  wurde  das  Wappen  vermehrt,  und  in  diesem  Zustand  gibt  es  Sib- 
macher I,  31  wieder.  Es  hat  zwei  Helmziere,  links  den  „Paum,  daran  zu  oberst  ein 
schwartze  Rosen",  rechts  den  halben  weißen  Löwen,  der  aus  einer  Krone  aufsteht. 
Die  Stifterin  unseres  Reliefs  führte  bereits  das  vermehrte  Wappen,  das  hier  aber 
nicht  in  seiner  sonst  gebräuchlichen  Form  im  ganzen  gegeben  ist  sondern  auf  zwei 
Einzelschilden  in  seine  Bestandteile  zerlegt  wurde.  Es  scheinen  rein  künstlerische 
Gründe  gewesen  zu  sein,  die  Veit  Stoß  bestimmt  haben,  sich  dieser  sonst  wohl  wenig 
üblichen  Darstellung  eines  Doppelwappens  zu  bedienen. 

Wenn  je  eine  Arbeit  für  Veit  Stoß  charakteristisch  ist,  so  ist  es  diese.  In  allem, 
in  sämtlichen  Details  trägt  sie  die  Merkmale  seiner  Kunst.  Das  Persönliche  seines 
Stiles  tritt  so  greifbar  zutage,  daß  sie  auch  ohne  sein  Zeichen  als  ein  Werk  seiner 
Hand  erklärt  werden  müßte.  Man  möchte  sich  füglich  darüber  wundern  können, 
daß  sie  bislang  als  ein  solches  nicht  erkannt  worden  ist.  Aber  in  der  Kirche  eines 
von  Kunstforschem  nur  selten  besuchten  Ortes  und  noch  dazu  hier  an  versteckter 
Stelle  befindlich,  konnte  sie  leicht  übersehen  werden.  Um  so  sicherer  aber  steht  sie 
heute  als  eine  eigenhändige  Schöpfung  des  Meisters  fest,  trägt  sie  doch  unten  am 
Sockel  des  Trennungssäulchens  sein  Zeichen  (Abb.  1).  Aber  sie  ist  —  und  das 
ist  eben  besonders  wichtig  —  auch  datiert. 


Abb.  1  u.  2.    Meisterzeichen  des  Veit  Stoß  aoi  Langenzenner  Verkfindigungsrelief 
und  am  Altar  der  oberen  Pfarrkirche  in  Bamberg.    Facsimile. 

Wir  haben  es  nicht  mit  einer  Schöpfung  monumentaler  Art  zu  tun.  Die  Maße 
sind  bescheiden,  die  Figuren  klein  und  zierlich.  Es  ist  ein  Werk  mehr  intimen  Cha- 
rakters. Alles  ist  ins  Kleine  gearbeitet,  aber  dabei  beherrscht  von  der  hohen  Aus- 
drucksfähigkeit eines  tiefempfindenden  Künstlers.  Er  operiert  nicht  mit  frappieren- 
den Überraschungen.  Seine  Komposition  ist  schlicht,  aber  dabei  doch  großzügig. 
Mit  flotter  Hand  sind  die  Details  bearbeitet,  jedoch  zugleich  mit  einer  Sorgfalt,  die 
sich  eine  peinliche  Durchführung  hat  angelegen  sein  lassen.  Nicht  zu  vergessen 
ist  bei  alledem,  daß  es  sich  um  eine  Arbeit  in  rauhkörnigem  Sandstein  handelt,  der 
sich  bekanntlich  bei  geringen  Maßen  nicht  leicht  so  minutiös  behandeln  läßt  als  z.  B. 
Holz  oder  ein  anderes  glattes  Steinmaterial.  Daher  ist  es  auch  gekommen,  daß  diese 
zierliche  Arbeit  nicht  ganz  unversehrt  auf  uns  gekommen  ist,  und  daß  sie  bei  der 
ihr  jüngst  zuteil  gewordenen  Reinigung  in  besonders  feinen  Partien  hat  leiden  müssen. 


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VON  DB.  FRITZ  TRAUGOTT  SCHULZ.  93 

Wenn  Berthold  Daun  (Künstler-Monographie  S.  49)  bei  einem  Vergleich  zwischen 
Adam  Kraft  und  Veit  Stoß  sagt:  „Stoß  kannte  nicht  den  Seelenfrieden;  nur  den 
Sturm  der  Leidenschaft,  der  ihm  so  viel  Unbequemlichkeit  verursachte,  wußte  er 
auf  seine  Gestalten  zu  übertragen",  so  lehrt  das  Langenzenner  Verkündigungsrelief, 
daß  wir  uns  vor  einer  vollkommenen  Verallgemeinerung  dieser  Aufstellung  hüten  müssen. 
Etwas  dramatische  Bewegung  und  Leidenschaftlichkeit  ist  ja  auch  hier  vorhanden. 
Sie  haftet  dem  Wesen  des  Meisters  nun  einmal  an.  Aber  sie  drängt  sich  gerade  hier 
nicht  herausfordernd  vor;  vielmehr  ist  sie  durch  eine  weise  Mäßigung  in  Schranken 
gehalten.  Wohl  lodert  sie  noch  verhalten  in  Einzelheiten,  aber  sie  bricht  sich  nicht 
ungestüm  Bahn.  Man  kann  hier  kaum  von  drastischen  Gebärden,  von  bewegtem 
Händespiel  und  übermäßiger  Gefühlsäußerung  reden.  Bei  aller  Großartigkeit  der 
Konzeption  ist  doch  die  idyllische  Ruhe  des  Vorgangs  das  am  meisten  hervorstechende 
Element.  Von  der  berauschenden  Wirkung  etwa  des  Krakauer  Marienaltares  finden 
wir  keine  Spur.  Abgeklärte  Ruhe,  edle  Schlichtheit  in  Komposition  und  Einzel- 
ausführung sind  vielmehr  für  unser  Relief  bezeichnend.  Die  unruhige  Gewandfülle 
des  Krakauer  Altares  ist  einer  großzügigen  Klarheit  gewichen.  Die  Linienführung 
ist  eine  monumentale,  die  Szenerie  fest  in  sich  abgeschlossen.  Eins  aber  ist  auch 
hier  auffällig,  das  ist  das  Bestreben,  durch  gedrehte  Falten  die  leeren  Zwickelflächen 
zu  füllen.  Allerdings  geschieht  auch  dies  in  maßvoller  Art,  wobei,  mittelst  der  scharf- 
geschnittenen Randgliederung  ein  lebhafter  Wechsel  von  Licht  und  Schatten  her- 
vorgerufen wird.  Ein  Meister  von  solch  gewaltiger  Persönlichkeit  wird  seine  Eigen- 
art nie  ganz  verleugnen.  Durchgehende  Züge  bleiben  trotz  innerer  Wandlungen 
stets  bestehen.  So  hat  Veit  Stoß,  obwohl  der  Stein  als  Material  dem  Künstler  in 
seinem  Ideenausdruck  etwas  Reserve  auferlegt,  auch  hier  die  Technik  des  Holzbild- 
ners in  virtuos  freier  Art  auf  den  Stein  übertragen,  mit  mächtigen  Erhöhungen  und 
Vertiefungen  operierend.  Die  Stellung  der  rechten  Hand  der  Maria,  die  nicht  hält, 
sondern  zu  drücken  scheint,  findet  sich  schon  beim  Grabmal  des  Erzbischofs  Zbigniew 
Olesnicki  im  Dom  zu  Gnesen,  dessen  Entstehungszeit  von  Daun  um  1493  angenommen 
wird.  (Siehe  die  Abbildung  auf  S.  18  in  der  Künstler-Monographie.)  Man  könnte 
weiter  sprechen  von  dem  Mund  mit  der  kräftig  markierten  Unterlippe,  dem  voll- 
gerundeten schlanken  Hals  und  den  tütenartigen  Falten,  welche  Faktoren  durch 
Dauns  verdienstvolle  Forschungen  ja  alle  als  für  Veit  Stoß  charakteristisch  bekannt 
sind.  In  einer  Urkunde  vom  1.  Februar  1503  wird  Veit  Stoß  „stainhauer  oderpild- 
schnitzer"  genannt  (Daun,  Beiträge  S.  12).  Wo  sich  seine  meisterhafte  Technik  so 
sehr  offenbart  und  seine  ihm  besonderen  Eigenheiten  so  deutlich  zutage  treten  wie 
hier,  müssen  wir  ihm  unbedingt  auch  die  eigenhändige  Ausführung  vindizieren. 
Schwerlich  würde  er  sonst  sein  Zeichen  angebracht  haben. 

Als  datierte  Arbeit  geht  unserem  Relief  vorauf  derSchwabacherHoch- 
a  1 1  a  r ,  der  auf  dem  großen  Bilde  des  seinen  Mantel  teilenden  Martin  auf  dem  rechten 
feststehenden  Flügel  die  Jahrzahl  1506  trägt.  Nach  wiederholter  eingehender  Prüfung 
des  Originals  an  Ort  und  Stelle  muß  ich  den  Ausführungen  Dauns  im  großen  und 
ganzen  beipflichten.  Auch  stimme  ich  mit  ihm  darin  überein,  daß  das  obere  rechte  Relief 
der  Auferstehung  zu[|plump,  zu  schematisch^und  in  den  Gewandfalten  zu  unmotiviert 
ist,  um  vom  Meister  selbst  herrühren  zu  können.  Doch  finde  ich,]daß  das  linke' untere 
Relief  der  Ausgießung  des  heiligen  Geistes  zu  weitgehende  Verwandtschaften  mit 


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94  NEUENTDECKTK  ARBEITEN  VON  VEIT  STOSS. 

des  Meisters  persönlicher  Art  hat,  um  die  Annahme  der  Beihilfe  eines  Gesellen  oder 
Schülers  ganz  rechtfertigen  zu  können.  Die  individualistische  Behandlung  der  Köpfe 
ist  mir  hier  auch  zu  weit  gediehen.  Ich  neige  darum  der  Ansicht  zu,  daß  auch  dieses 
Relief  als  eine  eigenhändige  Arbeit  des  Meisters  anzusprechen  sei.  Überhaupt  beruht 
die  künstlerische  Bedeutung  des  Altares  —  ich  rede  hier  nur  von  den  Schnitzereien  — 
in  den  seitlichen  Reliefdarstellungen.  Das  allerdings  in  der  Auffassung  der  Zeit 
wurzelnde,  übermäßig  Repräsentative,  das  übertrieben  Steife  und  Gespreizte,  die 
im  Vergleich  zu  der  kalten,  empfindungslosen  Ruhe  der  Figuren  viel  zu  weit  ent- 
wickelte Behandlung  der  Falten  und  Gewanddrapierung  im  Mittelschrein  ist  hier 
einer  verinnerlichten,  zum  Teil  sogar  idyllischen  Ruhe  in  Bewegung  und  Ausdruck 
e:ewichen.  Man  betrachte  nur  die  stille  häusliche  Zufriedenheit  des  Eltempaares, 
die  mütterliche  Glückseligkeit,  die  sich  in  den  Mienen  der  Maria  ausspricht,  weiter 
die  mannigfach  variierte,  herzliche  Teilnahme,  die  sich  in  den  Antlitzen  der  um  die 
sterbende  Gottesmutter  versammelten  Jünger  kundgibt,  weiter  die  freudig  und 
zugleich  staunend  erregten  Gesichter  auf  dem  Relief  der  Ausgießung  des  heiligen 
Geistes  und  dann  auch  die  weise  Mäßigung  in  der  Gewandbehandlung!  Stoß  ist 
hier  ein  anderer  als  in  den  Figuren  des  Mittelschreins.  Stürmisch  wogten  in  ihm 
auf-  und  niedergehende  Gefühle.  Er  war  im  Kampf  mit  sich  selbst.  Er  steht  im 
Begriff,  das  übermäßig  Dramatische  in  seiner  Kunst  abzustreifen  und  sich  von  jetzt 
ab  mehr  der  Verinnerlichung  in  seelischer  Beziehung  zu  befleißigen.  Und  gerade 
hierin  liegen  die  Keime  seiner  späteren  Kunst,  deren  erste  Frucht  das  Langenzenner 
Verkündigungsrelief  ist,  und  die  schließlich  ihren  erhabensten  Ausdruck  in  dem 
imposanten  Altar  der  oberen  Pfarrkirche  in  Bamberg  finden.  Allerdings  haben 
die  Schwabacher  Reliefs  letzterem  das  eine  oder  andere  voraus.  Man  kann  hier 
nicht  von  einer  unglaublich  steifen  Haltung  der  Hände  und  einer  Bewegungslosig- 
keit in  der  Körperhaltung  (bei  Maria  und  dem  Engel)  reden.  Doch  kann  man  das 
in  erhöhtem  Maße  von  den  Repräsentativfiguren  des  Schwabacher  Mittelschreins. 
Welch  ein  Abstand  besteht  z.  B.  zwischen  der  Maria  dort  und  der  Maria  des  Langen- 
zenner Verkündigungsreliefs!  Die  Haltung  und  auch  die  innere  Empfindung  ist, 
abgesehen  von  der  gegenseitigen  Körperstellung,  nahezu  die  gleiche.  Aber  wie  kon- 
trastieren dennoch  beide  Figuren!  Dort  gleichgültiger,  nichtssagender  Gesichts- 
ausdruck, die  Mienen  wenig  ausgeprägt,  der  Hals  unorganisch  steif,  der  teilweise 
zwar  auch  glatt  herabfallende  Mantel  an  den  Enden  unnatüriich  gebauscht  und  be- 
wegt. Hier  dagegen  eine  edle  Gelassenheit  in  allem,  der  Hals  mit  plastischer  Run- 
dung bei  guter  Verbindung  mit  dem  Kinn,  der  Mantel  leicht  aufliegend,  natürlich 
herabflutend  und  an  den  Enden  nur  wenig  bewegt.  Einer  gezwungenen  Gespreizt- 
heit dort  steht  hier  eine  fast  klassisch  zu  nennende  Ruhe  und  Natüriichkeit  gegen- 
über. Stoß  hat  den  Gipfel  seiner  Kunst  erreicht;  es  ist  ihm  die  Verköiperung  ureigen- 
ster abgeklärter  Empfindung  gelungen.  Man  kann  nicht  sagen,  daß  der  englische  Gruß 
in  rein  künstlerischer  Hinsicht  eine  besonders  wesentliche  Weiterentwicklung  in  der 
angedeuteten  Richtung  bezeichnet.  Sehr  übereinstimmend  ist  bei  der  Schwabacher 
und  Langenzenner  Maria  die  prinzipielle  Behandlung  des  Gewandes.  Der  Mantel 
gleitet  glatt  über  die  rechte  Schulter  herab,  schlängelt  sich  um  den  Arm  herum,  geht 
dann  in  leichter  Ausschwingung  nach  unten  herab,  um  dann  in  einem  bauschigen 
Schwung  nach  oben  zurückzukehren.    Über  der  linken  Körperhälfte  fließt  er  in 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ. 


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Form  einer  plastisch  herausstehenden  Decke  herab,  die  sich  unten  in  S-förmiges 
Faltenwerk  auflöst,  das  in  beiden  Fällen  dem  Zweck  der  Raumausfüllung  dient. 

Es  sei  mir  gestattet,  an  dieser  Stelle  in  Kürze  auch  auf  den  bekrönenden  Auf- 
satz des  Schwabacher  Hochaltares  einzugehen.  Daun  hat  sich  nicht  weiter  mit  ihm 
beschäftigt.  Wie  mir  scheint,  rühren  die  Figuren  im  Aufsatz  zum  größeren  Teil 
von  dem  Gesellen  oder  Gehilfen  des  Meisters  her,  der  das  Auf erstehungsrelief  geschaffen. 
Auf  einem  zwiefachen  Regenbogen  thront  Christus  als  Weltenrichter.  Zu  seinen 
Seiten  knieen  Johannes  und  Maria.  Zu  äußerst  rechts  und  links  stehen  zwei  Engel 
mit  Posaunen  und  ausgebreiteten  Schwingen.  Vom  bemerkt  man  vier  nackte  Figür- 
chen  von  Auferstehenden  und  Verdammten.  Oben  im  Aufsatz  hat  eine  heilige  Anna 
selbdritt  ihre  Stelle.  Ganz  aber  scheint  der  ausführende  Künstler  der  Beihilfe  des 
.Meisters  nicht  entraten  zu  haben.  Deutlich  spricht  sich  dies  in  der  Figur  der  Gottes- 
mutter aus.  Die  starke  Bewegtheit  in  den  erwähnten  Figürchen  der  Auferstehenden 
und  Verdammten  läßt  sogar  an  eigenhändige  Ausführung  durch  Veit  Stoß  denken. 

Übrigens  irrt  Daun,  wenn  er  die  Figur  links  unten  in  der  Ecke  des  Reliefs  des 
Todes  der  Maria  als  schlafend  auffaßt.  In  allem,  namentlich  in  den  krampfhaft 
gefalteten  Händen,  spricht  sich  vielmehr  der  höchste  Grad  resignierter  Trauer  aus. 
Die  Augen  sind  auch  nicht  geschlossen,  sondern  geöffnet. 

Ein  Zeitraum  von  fast  fünf  Jahren  verstreicht,  ehe  wir  nächst  dem  Langen- 
zenner  Verkündigungsrelief  wieder  eine  datierbare  Arbeit  des  Meisters  nachweisen 
können.  Es  ist  der  englische  Gruß  in  der  Lorenzkirche  zu  Nürnberg,  ein 
Werk,  dessen  Entstehung  in  den  Jahren  1517— 1518  durch  eine  Notiz  in  Anton  Tuchers 
Haushaltungsbuch  bezeugt  wird.*)  Stoß  arbeitete  daran  vom  März  1517  bis  zum 
Juli  1518  und  erhielt  426  fl.  dafür.  Am  15.  Juli  1518  wurde  es  im  Chor  von  St.  Lorenz 
aufgehängt.')  Leider  ist  das  Werk,  das  durch  den  monumentalen  Aufbau  seiner 
Komposition  und  eine  vorzügliche  Technik  ausgezeichnet  ist,  nicht  unversehrt  auf 
uns  gekommen.*)  Nach  mancheriei  Wanderung  im  Jahre  1817  an  seinen  ursprüng- 
lichen Platz  zurückgekehrt,  hatte  es  das  Mißgeschick,  wegen  ungenügender  Stärke 
des  Strickes,  an  dem  es  emporgezogen  werden  sollte  und  der  infolge  der  Schwere 
der  Last  zerriß,  herabzufallen  und  auf  dem  Boden  aufschlagend  zu  zerschellen.  Zwar 
wurde  es  wieder  zusammengesetzt,  doch  erst  nach  8  Jahren,  nämlich  im  Jahre  1825. 
Alles  das  mahnt  hinsichtlich  einer  abschließenden  Beurteilung  und  Benutzung  dieser 
Arbeit  zu  Detailforschungen  etwas  zur  Vorsicht.  Allein  schon  die  künstlerisch  durch- 
aus unzulängliche  Kupferstichwiedergabe  in  Doppelmayrs  historischer  Nachricht 
von  den  Nümbergischen  Mathematicis  und  Künstlern  läßt  erkennen,  daß  die  Zer- 
triimmerung  eine  sehr  weitgehende  gewesen  sein  muß,  da  nicht  alle  Figuren  wieder 
eingefügt  worden  sind.  Doch  soviel  läßt  sich  feststellen :  Veit  Stoß  ist  seit  dem  Langen- 
zenner  Relief  kein  wesentlich  anderer  geworden.  Die  erhabene  Ruhe  dort,  die  nicht 
durch  übermäßige  Gefühlsäußerungen  gestört  wird,  findet  sich  auch  hier.  Alles  ist 
ins  Große  gekehrt.  Die  innerliche  Erregung  der  Maria  ist  zwar  herauszufühlen, 
aber  sie  brii:ht  sich  nicht  gewaltsam  Bahn,  da  sie  nur  durch  wenig  Mittel  äußerlich 


2)  vgl.  Daun,  Beiträge  S.  8l. 

3)  Siehe  ebendort. 

4)  vgl.  hierzu   meine  Ausführungen   in  den  Mitt.  d.  Vereins  f.  Gesch.  d.   St.  Nümbeig. 
1902,   S.  186 — 189. 


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96  NEÜENTDECKTE  ARBEHEN  VON  VEIT  STOSS. 

zum  Ausdruck  gebracht  ist:  durch  eine  leichte  Neigung  des  Kopfes  und  das  Empor- 
heben der  rechten  Hand,  die  sie  der  Brust  nähert.  Gerade  in  der  Meisterung  der 
seelischen  Bewegtheit,  in  der  schlichten  Verinnerlichung  liegt  die  Stärke  des  eng- 
lischen Grußes,  und  darin  reiht  er  sich  in  psychologischer  Beziehung  folgerichtig  an 
das  Langenzenner  Relief  an.  Er  ist  ein  weiteres  Glied  in  der  Kette  der  späteren 
Kunst  des  Meisters.  Wenn  darum  Daun  eine  wirklich  tiefere  Empfindung  und  seelische 
Bewegtheit  bei  den  Figuren  des  Engelsgrußes  vermissen  will,  so  glaube  ich,  daß  er  an 
diesem  Urteil  im  Hinblick  auf  das  Langenzenner  Relief  und  die  mit  diesem  ange- 
bahnte, von  Daun  übrigens  bereits  erkannte,  anders  geartete  Entwickelung  im  Wesen 
des  Veit  Stoß,  sowie  die  Bedeutung,  welche  dem  englischen  Gruß  innerhalb  derselben 
zukommt,  jetzt  nicht  mehr  ganz  festhalten  wird.  Das  Gewand  zeichnet  sich  in  beiden 
Fällen  durch  die  gleiche  klare  Anordnung  aus,  ohne  im  einzelnen  von  den  üblichen 
Übertreibungen  des  Meisters  ganz  frei  zu  sein.  Sehr  verwandt  ist  die  Behandlung 
des  oval  geformten  Antlitzes  und  des  Halses.  Auch  beim  englischen  Gruß  ist  das 
Haar  korkzieherartig  gewellt  und  über  der  einen  Schulter  beiderseits  geteilt.  Die 
schmale  dürre  Hand  mit  den  langen  Fingern  kehrt  ebenfalls  wieder. 

Der  Zeit  nach  folgt  auf  den  englischen  Gruß  die  Kreuzigungsgruppe 
über  dem  Hochaltar  in  der  Sebalduskirche  zu  Nürnberg  v.  J.  1 520. 
Es  steht  neuerdings  fest,  daß  sie  am  27.  Juli  dieses  Jahres  durch  Nicklas  Wickel, 
d.  h.  unter  der  Aufsicht  oder  auf  Betreiben  und  die  Kosten  des  Nicklas  Wickel,  eines 
Genannten  des  größeren  Rats,  aufgerichtet  und  von  Veit  Stoß  gefertigt  worden  ist.*) 
Wir  können  die  Beobachtung  machen,  daß  die  vor  und  mit  dem  Langenzenner  Ver- 
kündigungsrelief angebahnte  mehr  großzügige  Darstellungsart  seelischer  Vorgänge 
sich  auch  hiei  findet.  Wenn  Daun  von  einer  herb  übertriebenen  Schmerzensäußerung 
und  wenig  anziehenden  Geziertheit  der  unter  dem  Kreuz  trauernden  Gestalten  der 
Maria  und  des  Johannes  spricht,  wenn  er  ferner  meint,  daß  sich  das  unruhige  Gefält 
des  Mantels,  den  Maria  trägt,  mit  der  Gewandbildung  im  Bamberger  Altar  nicht 
vergleichen  läßt,  so  werden  wir  hieran  wohl  kaum  mehr  festhalten  können.  Im  Prinzip 
ähnelt  sich  die  Auffassung  und  Einzelbehandlung  der  Sebalder  Maria  mit  der  des 
Langenzenner  Reliefs  durchaus.  Maria  ist  als  monumentale  Standfigur  gegeben, 
in  gewaltigen  Umrissen  ist  sie  gezeichnet  und  das  Wesen  ihrer  Beziehung  zur  Haupt- 
figur ist  in  konkreter  Art  zum  Ausdruck  gebracht.  Allerdings  geht  Veit  Stoß  hier 
weiter  wie  in  Langenzenn.  Doch  sind  auch  hier  die  ganzen  Verhältnisse  anders  ge- 
lagert. Er  mußte  in  St.  Sebald  nach  stärkerer  Markierung  streben.  Und  doch  ist 
nach  meinem  Dafürhalten  eine  allzu  übermäßige  Übertreibung  nicht  .eingetreten. 
Das  Gewand  ist  analog  klar  angeordnet.  In  fast  geraden  Linien  fällt  es  herab,  um 
sich  am  Boden  zu  einer  bescheidenen  Spirale  umzubiegen.  Nur  der  Herabfall  vom 
linken  Unterarm  ist  in  mehr  Bewegung  aufgelöst.  Doch  finde  ich  hierin  nichts  ab- 
normes. Auch  beim  Langenzenner  Relief  hat  der  Meister  nicht  ganz  von  seiner 
sonstigen  krausen  Art  lassen  können,  indem  er  die  eine  Mantelseite  über  den  Boden 
hinweg  in  kühnerem  Schwung  weiter  entwickelte.  Die  Behandlung  des  Unterge- 
wandes über  dem  Schoß  ist  die  gleiche.    Es  tritt  in  vertikalen  Röhrenfalten  heraus; 


5)  vgl.  Denkmalpflege  1904,  S.  96  (J.  Schmitz)  u.  131  (Desgleichen),  und  darnach  Daun, 
Künstler-Monographie  S.  76. 


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VON  DR.  FRITZ  TRAÜGOTT  SCHULZ.  97 

der  gebeugte  Obei  schenke!  ist  ebenfalls  entsprechend  betont.  Das  scheinbare  Über- 
maß in  der  Schmerzensäußerung  der  Maria  ist  auf  der  korrespondierenden  Seite 
durch  eine  größere  Ruhe  in  der  Haltung  des  Johannes  ausgeglichen.  Auch  bei  der 
Maria  des  Bamberger  Altares  findet  sich  in  dem  Gewand  teilweise  eine  größere  Be- 
wegung im  Gegensatz  zu  der  sonst  herrschenden  Ruhe.  Und  gerade  das  ist,  meine 
ich,  in  dieser  späteren  Zeit  für  Veit  Stoß  charakteristisch.  Der  Langenzenner  Marien- 
t3T3us  leuchtet  auch  bei  der  Gottesmutter  der  Sebalder  Gruppe  noch  durch.  Er 
scheint  in  nichts  wesentlich  verändert.  Nur  hat  Veit  Stoß  seinem  inneren  Drang 
etwas  mehr  die  Zügel  schießen  lassen;  ganz  vermochte  er  nie  das  stürmisch-jugend- 
liche in  seinem  Wesen  zu  unterdrücken.  Die  Sebalder  Maria  wirkt  nur  aus  der  Feme 
geziert.  Aus  der  Nähe  betrachtet,  gewährt  sie  ein  anderes  Bild.  Säße  die  S-Linie 
am  Mantel  der  Langenzenner  Maria  an  anderer  Stelle,  so  würde  gewiß  ein  ähnlicher 
Eindruck  hervorgerufen  werden  wie  bei  der  Sebalder  Madonna. 

Was  nun  den  großen  Altar  in  deroberen  Pfarrkirchezu  Bam- 
berg betrifft,  der  das  in  Abb.  2  wiedergegebene  Monogramm  und  die  Jahrzahl 
1523  trägt*),  so  ist  seit  der  Fertigstellung  des  Langenzenner  Verkündigungsreliefs 
bereits  ein  volles  Dezennium  verstrichen,  ein  Zeitraum,  der  sich  naturgemäß  in  einer 
gewissen  Verschiedenartigkeit  beider  Arbeiten  kundgibt.  Der  Bamberger  Altar  er- 
scheint als  die  ebenmäßige  Weiterbildung  des  englischen  Grußes  in  St.  Lorenz,  in 
sich  die  ganzen  Charakteristika  der  späten  Kunstsprache  des  Meisters  vereinend 
Man  beachte  nur  die  grandios  hingesetzten,  gut  durchmodellierten  Gestalten,  die 
großzügige  Gewandführung,  die  naturalistisch  fein  durchgebildeten  vollen  Antlitze, 
die  peinlich  anatomische  Behandlung  der  Hände,  dann  aber  auch  den  vornehmen 
Fluß  in  der  Haltung  der  Figuren  sowie  das  Starre  in  der  Bewegung.  Auch  hier  ist 
der  Meister  nicht  ganz  frei  geblieben  von  der  ihm  einmal  eigenen  Übertreibung  im 
Gefält,  die  sich  hier  und  da  bemerkbar  macht,  ohne  indessen  unangenehm  störend 
zu  wirken.  Was  im  Langenzenner  Relief  angebahnt  wurde,  schimmert  deutlich 
durch.  Vor  allem  habe  ich  auf  mancherlei  Verwandtschaften  hinzuweisen,  welche 
die  Langenzenner  Maria  mit  der  Madonna  im  Bamberger  Mittelschrein  zeigt.  Die 
Körperhaltung  ist  ähnlich.  Auch  hier  der  ovale  Kopftypus  mit  der  hohen  Stirn, 
der  Ergebenheit  bekundende  Augenniederschlag,  der  steile  Nasenrücken,  die  plastisch 
ausgeprägten  Lippen  und  das  wohlgerundete  Kinn,  dann  die  Teilung  des  geringelten 
Haares  beiderseits  der  Schulter,  die  langen  dürren  Hände,  die  infolge  der  Hüftein- 
schnürung gebildeten  röhrenartigen  Falten  über  dem  Schoß,  und  schließlich  der 
mächtig  angelegte,  nach  rechts  sich  über  den  Boden  entwickelnde  Gewandbausch. 
Diese  Ähnlichkeiten  lassen  sich  nicht  verkennen,  und  so  kann  man  recht  wohl  von 
einer  Weiterbildung  des  Langenzenner  Madonnentypus  am  Bamberger  Altar  reden. 
Die  über  den  Unterarrh  lang  herabfallenden  offenen  Ovalfalten  an  der  Figur  der 
Stifterin  auf  dem  Langenzenner  Relief  finden  sich  auch  am  Baraberger  Altar  wieder, 
nämlich  an  dem  vom  rechts  stehenden  Mohrenkönig  auf  der  Darstellung  der  An- 
betung der  Weisen.  Auch  kehrt  hier  im  Hintergrund  links  das  Motiv  der  Säulen- 
teilung mit  einem  Gewölbe  zur  Linken  wieder.    Berührungspunkte  zwischen  dem 


6)  vgl.  auch   den    Katalog   der    historischen   Ausstellung   der   Stadt    Nürnberg   auf   der 
Jubiläums- Landes- Ausstellung  Nürnberg  1906,  Nr.  8  mit  Abbildung. 


Mitteilongen  aus  dem  german.  NatioDalmoseum.    1906. 

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98  NBUENTDBCKTE  ARBEITEN  VON  VEIT  STOSS. 

Langenzenner  Relief  und  dem  Bamberger  Altar  sind  also  reichlich  vorhanden. 
Letzterer  bildet  eben  den  Höhepunkt  und  gleichzeitig  den  Abschluß  in  der  Entwick- 
lung, innerhalb  deren  jenes  eine  nicht  unwichtige  Rolle  spielt.  Es  wird  in  einer  künf- 
tigen neuen  Monographie  des  Veit  Stoß  nicht  mit  Stillschweigen  übergangen  werden 
können.    Hierauf  vorzubereiten  ist  der  Zweck  seiner  Veröffentlichung. 

2.  Die  Reliefs  der  Verkündigung,  Anbetung  des  Elternpaares  und 
Anbetung  der  Könige  in  Dormitz. 

Der  späteren  Schaffensperiode  des  Veit  Stoß,  d.  h.  der  Zeit,  in  welcher  sich 
sein  unruhiges  Temperament  zu  einer  mehr  verhaltenen  Ruhe  abgeklärt  hat,  gehören 
auch  drei  in  der  Kirche  zu  Dormitz,  Filial  zu  Neunkirchen  am  Brand,  befindliche 
Relieftafeln  an,  die  in  allem  so  sehr  den  Stil  und  die  Art  des  Meisters  an  sich  tragen, 
daß  ich  dazu  neige,  auch  sie  als  Werke  seiner  Hand  anzusprechen.  Zum  allermindesten 
sind  sie  unmittelbar  unter  seinen  Augen,  unter  seiner  steten  Überwachung  entstanden 
und  nach  seinen  Angaben  ausgeführt.  Leider  sind  sie  nicht  unbeschädigt  auf  uns 
gekommen.  Scheinbar  Reste  des  ehemaligen  Hochaltares,  der  in  der  1.  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  (1724)  dem  noch  jetzt  vorhandenen  weichen  mußte,  wurden  sie  seit- 
lich beschnitten,  um  in  ornamentierte  Wulstrahmen  jener  Zeit  eingepaßt  zu  werden. 
Dabei  wurden  sie  zugleich  über  neueren  Untergrundbrettern  aufgemacht.  Die  Ver- 
kündigung mißt  heute  93  cm  in  der  Höhe  und  73  cm  in  der  Breite,  die  Anbetung 
des  Elternpaares  94  cm  in  der  Höhe  und  74  cm  in  der  Breite,  die  Anbetung  der  Könige 
95  cm  in  der  Höhe  und  74  cm  in  der  Breite. 

Ich  beginne  mit  dem  Relief  der  Verkündigung  (Taf.  X  links).  Zur  Linken  kniet 
vor  dem  Betpult  die  Jungfrau,  dem  Beschauer  fast  zu  Dreiviertel  zugewandt.  Das  volle 
pvale  Antlitz  ruht,  wie  bei  Veit  Stoß  üblich,  über  einem  kräftig  gerundeten  hohen 
Hals.  Das  in  der  Mitte  gescheitelte,  korkzieherartig  gewellte  Haar  teilt  sich  beider- 
seits über  der  Schulter  zu  gerade  herabgleitenden  Strähnen.  Es  ist  die  Art,  die  wir 
vom  Schwabacher  Hochaltar,  dem  Langenzenner  Relief,  vom  Bamberger  Altar, 
von  der  hl.  Anna  selbdritt  in  St.  Jakob  zu  Nürnberg  und  vom  Verkündigungsrelief 
im  Kestnermuseum  zu  Hannover  her  kennen.  Die  Stirn  ist  hoch,  die  Augen  sind 
leicht  geöffnet,  die  Brauen  scharflinig  markiert,  die  Nase  gerade  geschnitten,  der 
Mund  plastisch  herausgearbeitet,  das  Kinn  zierlich  gerundet.  Die  Linke  ist  wie  zur 
Abwehr  erhoben,  während  die  Rechte  mit  abgespreiztem  Daumen  auf  dem  aufge- 
schlagenen Buch  ruht.  Die  innere  Fläche  der  Linken  ist  nach  vorn  gekehrt,  die  Finger 
sind  leicht  gekrümmt,  ähnlich  wie  wir  es  bei  der  Maria,  die  Botschaft  empfangend, 
in  der  Wolfgangskapelle  zu  St.  Egidien  in  Nürnberg  finden.  (Siehe  Daun,  Künstler- 
Monographie,  Abb.  61).  Während  das  eigentliche  Untergewand  den  Körper  knapp 
umschließt,  wirft  sich  der  weitere  Mantel  in  reicherem  Gefält.  Über  der  rechten 
Schulter  liegt  er,  wie  auch  sonst  zumeist,  glatt  auf,  alsdann  schwingt  er  sich  in  charak- 
teristisch geknittertem  Bogen  zum  Betpult  empor,  das  er  überdeckt.  Der  übrige 
Teil  flutet  zum  Boden  herab,  woselbst  er  kleinere  Bäusche  bildet  und  am  Ende  in 
kurzer  S-Linie  umgebogen  ist.  Das  Motiv  ist  im  Prinzip  das  gleiche  wie  bei  der 
Maria  in  der  Wolfgangskapelle  zu  St.  Egidien.  Das  gebeugte  Knie  tritt,  wie  meist, 
sichtbar  aus  dem  Gewand  heraus.   Die  Art  der  Fältelung,  die  weichgebrochene  Bogen- 


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linie,  das  Heraustreten  der  Falten  in  Form  von  Speerspitzen  sind  Dinge,  die  an  den 
unteren  Seitenreliefs  des  Bamberger  Altares  zur  Genüge  vorkommen.  Es  wäre  da- 
rauf hinzuweisen,  daß  auch  hier,  wie  beim  Langenzenner  Relief,  die  Ärmelenden 
Manschetten  vergleichbar  glatt  umsäumt  sind.  Von  rechts  her  naht  mit  gebeugtem 
Knie  der  Engel.  Sein  Antlitz,  das  freudiges  Frohlocken  verrät,  ist  der  Jungfrau 
zugewandt,  der  Mund  mit  dem  Grübchen  dem  der  Madonna  vom  Stoßhause  oder 
der  Maria  im  Bamberger  Anbetungsrelief  ähnlich  geformt.  Die  Rechte  ist  mit  dem 
Gestus  der  beteuernden  Rede  erhoben,  während  die  Linke,  die  letzt  des  Szepters 
entbehrt,  mit  der  Neigung  nach  unten  herabhängt.  Unwillkürlich  wird  man,  was 
die  Haltung  der  Hände  und  ihre  Einzelausbildung  betrifft,  an  die  ganz  ähnliche,  fast 
konforme  Handhaltung  Christi  auf  dem  Relief  der  Krönung  Mariae  im  Germanischen 
Museum  erinnert.  (Siehe  Daun,  Künstler-Monographie,  Abb.  56.)  Die  mit  Fleiß 
detaillierten  Flügel  stehen,  ohne  organisch  mit  dem  Körper  verwachsen  zu  sein,  an 
der  Rückwand  korrespondierend  einander  gegenüber.  Ähnlich  ist  die  Stellung  der- 
selben auf  dem  Verkündigungsrelief  im  Kestnermuseum  zu  Hannover  (Daun,  Künstler- 
Monographie,  Abb.  83)  oder  auf  dem  Relief  der  Verkündigung  in  der  Egidenkirche 
zu  Nürnberg  (Daun,  Beiträge,  Fig.  36).  Auch  auf  dem  Hannoverschen  Verkündigungs- 
relief schwebt  über  dem  Haupte  der  Jungfrau  die  den  heiligen  Geist  symbolisierende 
Taube.  Die  Vorliebe  des  Veit  Stoß  für  ornamentierte  Mantelsäume  spricht  sich  in 
der  von  Kordeln  begleiteten  Rautengitterung  aus,  die  rings  am  Mantelrande  um- 
läuft. Der  Mantel  wird  über  der  Brust  von  einer  Borte  zusammengehalten.  Über 
dem  Boden  entwickelt  er  sich  zu  lebhafteren  Falten  und  Bäuschen. 

Antlitze  und  Hände  sind  mit  Sorgfalt  detailliert.  Auch  sonst  weist  die  Technik 
auf  die  geübte,  sichere  Hand  eines  tüchtigen  Meisters  hin.  Das  etwas  Verhaltene 
im  Gefühlsausdruck,  das  mehr  Intime  in  der  Darstellung,  die  große  Geschlossenheit 
in  der  Komposition  lassen  die  Nähe  des  Bamberger  Altares  verspüren.  Noch  nicht 
in  allem  zeigt  das  Relief  den  Meister  auf  der  Höhe,  die  er  mit  jenem  erreicht.  So 
wird  es  zeitlich  vor  ihm  anzusetzen  sein.  Etwa  das  Jahr  1520  mag  das  seiner 
Entstehung  sein,  was  dann  auch  für  die  übrigen  gilt. 

Die  Fassung  ist  noch  die  alte.  Die  Antlitze  zeigen  noch  jene  zarte  naturalistische 
Abtönung,  die  der  Meister  selbst  ihnen  gegeben.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  hier- 
durch der  Eindruck  viel  an  Zauber  gewinnt.  Kleinere  Partieen  der  Fassung  sind, 
was  nicht  zu  verwundern  ist,  abgesprungen. 

Das  Gleiche  gilt  von  dem  Relief  der  Anbetung  des  Elternpaares,  das  von 
besonderem  Liebreiz  ist  (Taf.  X  rechts).  Die  Besucher  der  historischen  Ausstellung 
der  Stadt  Nürnberg  auf  der  3.  bayerischen  Jubiläums-Landes- Ausstellung  Nürnberg 
1906  werden  sich  erinnern,  daß  ich  es  damals  neben  dem  Relief  der  Anbetung  der 
heiligen  drei  Könige  zur  Darbietung  gebracht  hatte.  (Siehe  den  Ausstellungs- Katalog 
Nr.  37  mit  Abbildung  und  Nr.  38).  Ich  datierte  beide  damals  zu  früh  (um  1500).  Wohl 
war  mir  die  Verwandtschaft  mit  der  Art  des  Veit  Stoß  nicht  entgangen,  doch  wagte  ich 
es  damals  noch  nicht,  die  Reliefs  ihm  auch  zuzuschreiben.  Unwillkürlich  wird 
man  bei  dem  Relief  der  Anbetung  des  Eltempaares  an  die  gleiche  Darstellung  am 
Schwabacher  Hochaltar  erinnert.  Schon  dort  offenbarte  sich  des  Meisters  Freude 
an  der  Schilderung  und  Ausmalung  des  häuslichen  Glückes  von  Maria  und  Joseph. 
Hier  kommt  sie  in  nicht  minder  gefühlvoller  Art  zum  Ausdruck.    Welch  hohe  Zu- 


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NBÜENTDECKTB  ARBEITBN  TON  VBIT  ST08S. 


friedenheit  liegt  in  den  Mienen  der  sich  im  Gebet  über  das  am  Boden  liegende  Kind 
herabbeugenden  Ctottesmutter!  Wie  freudig  erregt  erscheint  Joseph  in  Gesichts- 
ausdruck und  Gebärden!  Und  betrachtet  man  die  Darstellung  genauer,  so  wird 
man  kaum  noch  einen  Zweifel  hegen,  daß  sie  vom  Meister  selbst  herrührt.  Man 
vergleiche  nur  die  Maria  mit  der  des  Bamberger  Mittelschreins !  Die  dürren,  in  etwas 
gezwungener  Art  herabgefalteten  Hände  begegnen  auch  hier.  Motiv  und  Ausbildung 
sind  fast  identisch.  Wir  fanden  es  übrigens  ganz  ähnlich  schon  an  der  gleichen  Szene 
des  Schwabacher  Hochaltares  (Daun,  Beiträge,  Fig.  40)  und  haben  es  weiter  zu  kon- 
statieren an  der  Maria  der  hl.  Anna- Selbdritt- Gruppe  in  St.  Jakob  zu  Nürnberg 
(Katalog  der  histor.  Ausstellung  Nürnberg  1906,  Abbildung  zu  Nr.  41).  Dann  kommt 
der  Schnitt  des  wiederum  ovalen  Antlitzes,  das  auch  in  Dormitz  naturalistisch  fein 
durchgebildet  ist.  Der  gleiche  Augenniederschlag  unter  den  scharf  markierten 
Brauen,  die  gleiche  steilrückige,  gerade  Nase,  die  in  derselben  Art  etwas  hochgezogene 
Oberlippe,  das  in  verwandter  Weise  gerundete  Kinn.  Der  hohe  Hals  entbehrt  nicht 
der  Falten,  die  durch  die  Kopfneigung  gebildet  werden.  Und  vor  allem  kommt  hin- 
zu das  Motiv  des  sich  über  den  Boden  hinrollenden  Mantels,  auf  dem  der  Jesusknabe 
liegt,  und  das  schon  am  Schwabacher  Hochaltar  begegnete.  Echt  stoßisch  sind 
die  Hände  Josephs  (vgl.  das  Verkündigungsrelief  in  Hannover,  Daun,  Künstler-Mono- 
graphie, Abb.  83),  und  für  die  laschigen,  im  Dreieck  einspringenden,  leicht  aufgebla- 
senen Falten  dürften  sich  hinreichend  Belege  am  Bamberger  Altar  beibringen  lassen. 
Nur  ein  Veit  Stoß  vermag  den  Mantel  so  schwungvoll  zu  drapieren,  wie  es  bei  dem 
der  Maria  geschehen  ist.  Schon  an  der  Hüfte  biegt  er  sich  zur  S-Linie  um,  und  weiter 
flutet  er  in  gebogenem  Bausch  auf  den  Boden  herab,  wo  er  dem  sich  natürlich  ge- 
bärdenden Kinde  als  Ruhelager  dient.  Hinzu  kommen  die  weichen  Knitterungen, 
die  sich  zwischen  Mantelsaum  und  dem  aus  dem  Gewand  heraustretenden  Knie 
bilden.  Im  Prinzip  ähnlich  drapiert  ist  der  Mantel  Christi  auf  dem  Krönungsrelief 
im  Germanischen  Museum  (Daun,  Künstler-Monographie,  Abb.  56).  Wie  auch  sonst 
bei  Veit  Stoß  sind  die  Haare  wiederum  beiderseits  über  der  Schulter  geteilt.  Außer- 
ordentlich sprechend  ist  das  Antlitz  Josephs.  In  seinen  Mienen,  namentlich  in  dem 
leicht  geöffneten  Munde,  liegt  der  Ausdruck  freudigen  Staunens.  Innerlich  erregt 
führt  er  die  Hände  zusammen,  ähnlich  wie  die  Jungfrau  auf  dem  Verkündigungs- 
relief im  Kestnermuseum  zu  Hannover  (Daun,  Künstler-Monographie,  Abb.  83). 
Zwischen  dem  Eltempaar  schauen  genau  wie  auf  der  entsprechenden  Darstellung 
des  Schwabacher  Hochaltares  die  Köpfe  von  Ochse  und  Esel  hervor  Auch  die  Haus- 
tiere nehmen  an  dem  Elternglück  stillen  Anteil.  Entschieden  gehört  dieses  Relief 
zu  den  tiefempfundensten  Schilderungen  des  Meisters;  ganz  und  gar  ist  es  ein  Bei- 
spiel seiner  zur  Ruhe  gemilderten  späteren  Art. 

Hieran  reiht  sich  in  natürlicher  Folge  das  Relief  der  Anbetung  der 
Könige  (Abb.  1).  Linker  Hand  sitzt,  zu  Dreiviertel  nach  rechts  gewendet,  Maria  und 
hält  auf  dem  Schoß  den  nackten  Jesusknaben,  der  zu  dem  zu  seinen  Füßen  knieenden 
Magier  hinstrebt.  Dieser  faßt  mit  der  Rechten  sein  linkes  Ärmchen  und  küßt  sein 
Händchen,  während  er  ihm  mit  der  Linken  ein  Kästchen  darbietet.  Das  Antlitz 
der  Maria  gemahnt  an  das  der  Madonna  vom  Stoßhause  (Daun,  Künstler-Monographie, 
Abb.  57).  In  beiden  Fällen  die  volle  ovale  Form,  die  niedergeschlagenen  Augen, 
die  gerade  Nase,  das  kleine  Kinn  mit  dem  Grübchen  und  die  beiderseits  in  gewellten 


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VON  DR.  FRrrZ  TRAUGOTT  SCHULZ. 


101 


Flechten  über  den  Schultern  geteilten  Haare.  Ganz  von  der  Feinheit  des  Antlitzes 
der  eben  als  Einzelfigur  peinlicher  durchgeführten  Madonna  vom  Stoßhause  ist  ja 
das  Antlitz  der  Dormitzer  Maria  nicht.  Aber  eine  große  Verwandtschaft  in  den 
Konturen  und  der  plastischen  Behandlungsart  besteht.  Antlitze,  die  sich  vollkommen 
mit  einander  decken,  wird  man  bei  einem  genialen  Künstler  vergeblich  suchen.  Man 
wird  stets  nur  von  Ähnlichkeiten  oder  Verwandtschaften  bald  im  ganzen  bald  in 
Details  sprechen  können ;  denn  für  den  gleichen  Gegenstand  ist  er  stets  bestrebt  eine 


Abb.  1.    Veit  Stoß:  Relief  der  Anbetung  der  Könige  in  Donnitz. 

andere  Form  zu  finden.  Der  Mantel  ist  wie  bei  der  Madonna  des  Bamberger  Mittel- 
schreins von  der  Schulter  herabgeglitten,  biegt  sich  an  der  Hüfte  ein  und  sendet  von 
dort  strahlenförmig  arrangierte,  in  der  für  den  Meister  charakteristischen  Art  ein- 
geknickte Falten  nach  dem  Schoß,  dem  Knie  und  nach  unten  hin  aus.  Diese  Art 
der  Faltenanordnung  finden  wir  auch  sonst  bei  Veit  Stoß.  Ich  erinnere  z.  B.  an 
die  Madonna  des  Anbetungsreliefs  am  Bamberger  Altar  (Daun,  Künstler-Monographie, 
Abb.  76)  oder  an  die  Maria  des  Verkündigungsr 


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102  NEÜENTDBCKTE  ABBEITBN  VON  VEIT  STOSa 

(Daun,  Künstler-Monographie,  Abb.  83).  Am  Boden  bildet  der  Saum  die  für  Veit 
Stoß  so  bezeichnende  S-Linie,  die  hier,  wie  auch  sonst  zumeist,  zugleich  einen  deko- 
rativen Zweck  hat.  Beim  Antlitz  des  vor  dem  Kinde  knieenden  Königs  wird  man 
an  das  Antlitz  Gott- Vaters  auf  dem  Krönungsrelief  im  Gei  manischen  Museum  (Daun, 
Künstler-Monographie,  Abb.  56)  gemahnt.  Hier  wie  dort  der  gleiche  scharfe  Schnitt 
der  Nase,  der  Backenknochen  kräftig  ausgeprägt,  die  Wange  eingeschwungen.  Auch 
der  lange  Bart  ist  in  gleicher  Weise  behandelt;  oben  schließen  die  Haare  feiner  und 
enger  zusammen,  dann  wellen  sie  sich  in  stärkeren  Strähnen.  Auf  die  naturalistisch 
minutiöse  Behandlung  dieses  prächtigen  Greisenkopfes  ist  besonders  hinzuweisen. 
Auch  mit  dem  Kopf  des  Hohepriesters  auf  dem  Darstellungsrelief  des  Bamberger 
Altares  (Daun,  Künstler-Monographie,  Abb.  75)  besteht  einige  Verwandtschaft. 
Ganz  ähnlich,  fast  übereinstimmend  ist  im  Vergleich  mit  dem  Bamberger  Anbetungs- 
relief die  Behandlung  des  beim  Knieen  auf  die  Erde  aufgestemmten  linken  Fußes. 
Die  Spitze  ist  energisch  gekrümmt.  Auch  hier  besteht  die  Fußbekleidung  aus  zwei 
Teilen;  der  Sohle  ist  ein  weicheres  Stück  aufgenäht,  das  sich  oberhalb  des  Fußes 
fortsetzt  und  sich  dort  infolge  der  Beinstellung  in  Falten  wirft;  die  andere  Stiefel- 
hälfte ist  glatt.  Auch  darf  wohl  auf  die  Verwandtschaft  in  der  Ausprägung  des  Unter- 
schenkels hingewiesen  werden.  Der  Mantel  ist  aus  reich  damaszierterti  Goldbrokat 
gearbeitet  und  mit  Hermelin  besetzt,  wie  auch  gefüttert.  Um  die  Hüften  wird 
er  von  einem  Ledergurt  zusammengehalten.  Es  ist  kein  Zufall,  daß  auch  sonst 
noch  Verwandtschaften  mit  dem  Anbetungsrelief  des  Bamberger  Altares  bestehen. 
Der  zweite  der  Magier  hält  auch  in  Dormitz  in  der  einen  Hand  ein  pokalartiges  Ge- 
fäß, während  die  andere  eben  die  Mütze  vom  Kopf  genommen  hat.  Dabei  ist  die 
Handhaltung  die  gleiche.  Der  Daumen  faßt  in  den  inneren  Rand  hinein.  Die  Kopf- 
bedeckung wendet  bei  schräger  Neigung  dem  Beschauer  das  Innere  zu.  Es  ist  die 
Mütze,  die  auch  sonst  bei  Veit  Stoß  vorkommt.  Ich  erinnere  z.  B.  an  das  Darstellungs- 
relief des  Krakauer  Altares  (Daun,  Künstler-Monographie,  Abb.  9),  wo  Joseph  sie 
trägt.  Der  Kopf  dieses  Königs  begegnet  in  ähnlicher  Art  auch  bei  anderen  Arbeiten 
des  Meisters;  man  vergleiche  z.  B.  den  Kopf  Josephs  am  Lusiner  Triptychon  (Daun, 
Künstler-Monographie,  Abb.  11),  den  Kopf  des  von  links  dritten  Apostels  in  der 
oberen  Reihe  des  Reliefs  des  Todes  der  Maria  in  der  Sammlung  Streit  (Daun,  Bei- 
träge, Fig.  19),  den  Kopf  Josephs  am  Flügelrelief  der  Geburt  vom  Schwabacher 
Altar  (ebendort,  Fig.  40)  und  den  Kopf  des  Apostels  links  unten  am  Flügelrelief  des 
Todes  der  Maria  am  gleichen  Ort  (ebendort,  Fig.  41).  Der  glattvergoldete  Mantel 
ist  quer  über  die  linke  Schulter  gelegt,  so  daß  er  in  schräger  Richtung  über  den  Körper 
herabflutet.  Durch  das  Heraustreten  des  linken  Unterarmes  wird  er  emporgerafft, 
so  daß  sich  hier  Gelegenheit  zur  Entwicklung  von  Falten  und  Bäuschen  bietet. 
Mitten  im  Hintergrund  schaut  mit  dem  Hompokal  in  der  Hand  der  Mohrenkönig 
heraus,  der  infolge  seiner  rückwärtigen  Stellung  nur  in  Viertelrelief  gegeben 
werden  konnte.  Mit  den  wulstigen  Lippen,  dem  stark  vortretenden  Kinn,  der  ge- 
drungenen Nase,  den  glotzigen  Augen,  der  breiten  Stirn  und  dem  dichten  Haar  hat 
er  eine  nicht  geringe  Verwandtschaft  mit  dem  Mohrenkönig  des  Bamberger  Anbetungs- 
reliefs (Daun,  Künstler-Monographie,  Abb.  76).  Nicht  fehlt  auch  beim  Dormitzer 
Relief  das  quadratische  Mauerwerk  und  der  Blick  auf  die  allerdings  nur  ganz  apho- 
ristisch angedeutete  Gebirgslandschaft.    Daß  der  Jesusknabe  in  beiden  Fällen  leb- 


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VON  DB.  FRITZ  TBAÜGOTT  SCHULZ. 


103 


haft  bewegt  ist,  soll  auch  nicht  unerwähnt  bleiben.  Die  Hände  sämtlicher  Figuren 
zeichnen  sich  trotz  des  kleinen  Maßstabes  des  Reliefs  durch  die  Veit  Stoß  geläufige 
sorgfältige  Behandlung  aus.  Die  Knöchel  und  die  Adern  sind  wie  immer  der  Natur 
entsprechend  ausgebildet.  Das  Antlitz  des  ältesten  der  Könige  läßt  an  Peinlichkeit 
der  Detaillierung  gewiß  nichts  zu  wünschen  übrig.  Und  alles  das  legt  den  Gedanken 
der  Annahme  von  einer  eigenhändigen  Schöpfung  des  Meisters  sehr  nahe.  Die  Fassung 
ist  die  alte  und  im  großen  und  ganzen  gut  erhalten.  Leider  ist  durch  das  Beschneiden 
der  Mantel  des  knieenden  Königs  sowohl,  wie  der  des  Königs  mit  der  Mütze  stark 
verkürzt  worden,  so  daß  der  Endverlauf  nicht  mehr  ersichtlich  ist. 

3.  Das  Relief  der  Geburt  in  Dormitz. 

Noch  ein  viertes  Relief  befindet  sich  in  der  Kirche  zu  Dormitz,  das  nach  Art 
und  äußerer  Größe  im  Zusammenhang  mit  den  drei  vorigen  betrachtet  sein  will.  Es 
ist  eine  Darstellung  der  Geburt  (Abb.  2),  welche  95  cm  in  der  Höhe  und  74  cm 
in  der  Breite  mißt.  Auch  dieses  Relief  ist  seitlich  durch  Beschneiden  verkürzt 
worden.  Wir  haben  uns  das  Verhältnis  so  zu  denken,  daß  alle  vier  Tafeln  als 
Seitenflügel  zusammengehörten  und  ehedem  Bestandteile  des  vormaligen  Hoch- 
altares waren,  der  in  der  1.  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  (1724)  durch  den  noch 
jetzt  vorhandenen  ersetzt  wurde.  Ersterer  muß  von  annehmbaren  Dimensionen 
gewesen  sein.  Es  bildeten  die  Schnitzereien  seinen  gewichtigsten  Teil.  Während 
die  Flügel  reliefiert  waren,  werden  sich  im  Mittelschrein  lebensgroße  Vollfiguren  be- 
funden haben.  Über  den  einzelnen  Relieftafeln  waren  höchst  wahrscheinlich  ge- 
schnitzte Rankenbaldachine  angebracht. 

Die  Darstellungsart  dieses  Reliefs  ist  eine  mehr  realistische,  d.  h.  wir  haben 
es  mit  einer  Szene  zu  tun,  die  dem  alltäglichen  Leben  entnommen  ist.  Zur  Linken 
sitzt,  durch  ein  Kissen  im  Rücken  gestützt,  in  dem  über  Eck  in  die  Szene  hinein- 
gestellten Himmelbett  Maria,  mit  beiden  Händen  das  ganz  umwickelte  Kind  ent- 
gegennehmend, das  ihr  die  Hebamme  reicht.  Wir  werden  hierbei  an  die  entsprechende 
Darstellung  am  rechten  Seitenflügel  des  Bamberger  Altares  erinnert  (Daun,  Künstler- 
Monographie,  Abb.  74).  Auch  dort  der  vom  gezaddelte  Himmel  und  der  von  diesem 
an  der  einen  Seite  in  glatten  Falten  herabhängende  Vorhang.  Auch  dort  nimmt 
Maria,  das  Haupt  von  einem  Kopftuch  umhüllt,  sitzend  im  Bett  das  Kind  entgegen. 
Auch  dort  ist  die  hier  damaszierte  Ctoldbrokatdecke  über  ihrem  Schoß  nach  vorn 
umgeschlagen.  Links  neben  dem  Bett  steht  eine  Fußbank  und  ein  mit  einer  Läufer- 
decke belegter  Tisch,  auf  dem  eine  Schüssel,  zwei  Gläser  und  ein  angeschnittener 
Laib  Brot  bemerkt  werden.  Die  Hebamme,  eine  schlanke  Figur,  hat  die  Ärmel 
hoch  aufgekrempelt,  auch  das  Überkleid  ist  emporgeschürzt.  Auf  dem  Haupt  trägt 
sie  eine  hohe  gekrümmte  Haube  mit  gerauteter  (joldborte.  Für  alles  das  haben 
wir  Analogien  auf  dem  erwähnten  Bamberger  Relief,  wie  auch  die  Gestalt  als  solche 
mit  jener,  die  der  Maria  dort  das  Kind  reicht,  Ähnlichkeit  hat;  ich  meine  den  knapp 
umschlossenen  schlanken  Oberkörper  und  das  sich  über  dem  Unterkörper  breiter 
dehnende  und  reich  gefältelte  massige  Gewand,  das  dem  Geschmack  der  Renaissance 
angepaßt  ist.  Um  die  Hüfte  trägt  sie  einen  Riemen,  an  dem  ein  hübsches  Täschchen 
hängt.    Man  könnte  hier  erinnert  werden  an  die  Maria  Magdalena  auf  dem  Grab- 


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104  NEÜENTDECKTK  ARBEITEN  VON  VEIT  STOS& 

legungsrelief  im  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin  (Daun,  Künstler-Monographie, 
Abb.  49),  die  auch  am  Hüftriemen  ein  Täschchen  und  ebenfalls  die  haubenförmige 
Kopfbedeckung  trägt,  deren  Gewand  auch  am  Oberkörper  eng  anschließt,  dagegen 
nach  unten  zu  weiter  wird  und  sich  in  Falten  legt.  Vergleichsweise  käme  auch  die 
glattgewandete  Frauenfigur  auf  der  Darstellung  des  9.  und  10.  Gebotes  im  Bayer. 
Nationalmuseum  zu  München  (Daun,  Künstler-Monographie,  Abb.  82)  in  Betracht. 
Das  Antlitz  entbehrt  nicht  einer  indiviaualisierenden  Durchbildung.    Vor  der  Heb- 


Abb.  2.    Veit  Stoß:  Relief  der  Geburt  in  Dormitz. 

amme  steht  das  Faß,  in  dem  sie  soeben  das  Kind  gebadet.  Eine  Magd  trägt  als  dritte 
Person  einen  großen  Krug  mit  heißem  Wasser  herbei,  den  sie  aus  Vorsicht  mit  unter 
einem  Tuche  verborgenen  Händen  angefaßt  hat.  Ihre  Haare  sind  unter  einem  gol- 
denen Häubchen,  das  beiderseits  die  Ohren  überdeckt,  verborgen. 

Ich  konnte  mich   anfangs    nicht  dazu  entschließen,  dieses    Relief  ebenfalls 
Veit  Stoß  zuzuschreiben.    Wenn  ich  dies  nun  doch  tue,  so  geschieht  es  auf  Grund 


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s't*V 


VON  DR.  KRITZ  TRAÜGOIT  SCHULZ. 


105 


einer  Correspondenz  mit  Berthold  Daun,  dem  ich  die  Correktur  dieser  Abhand- 
lung nebst  dem  Abbildungsmaterial  zur  Durchsicht  übersandte.  Ich  dachte  an- 
fangs an  eine  Gesellenarbeit.  Daun  wies  mich  auf  die  gute  Qualität  des  Reliefs 
hin,  und  ich  muß  gestehen,  daß  diese  die  Annahme  einer  eigenhändigen  Arbeit  des 
Meisters  sehr  wohl  rechtfertigen  kann.  Hinzu  kommen  als  weitere  Beweggründe 
die  von  mir  aufgeführten  Analogien  mit  anderen,  durch  Daun  als  stossisch  nach- 
gewiesenen Werken.  Daun  machte  mich  außerdem  noch  auf  die  gute  Bewegung 
der  Hände  und  die  Frau  rechts  im  Hintergrunde  aufmerksam,  die  für  Veit  Stoß 
spricht.  So  dürfte  es  gerechtfertigt  sein,  wenn  ich,  Dauns  Argumentationen  bei- 
pflichtend, auch  dieses  Relief  als  eine  eigenhändige  Arbeit  des  Veit  Stoß  erkläre, 
die  mit  den  im  vorigen  Abschnitt  behandelten  gleichzeitig  ist. 


Höchst  wahrscheinlich  gehörten  als  Rückseiten  zu  diesen  Reliefs  die  beiden, 
jetzt  an  der  Emporenbrüstung  angebrachten  Tafelbilder,  von  denen  das  eine  die  Ver- 
kündigung der  frohen  Botschaft  durch  den  Engel  an  Joachim,  das  andere  die  Begeg- 
nung Joachims  und  Anna  unter  der  goldenen  Pforte  darstellt.  Es  sind  Kopien  nach 
den  entsprechenden  Darstellungen  in  Dürers  Marienleben.  Sie  bewegen  sich  im 
Stil  etwa  des  Wolf  Traut  und  messen  rund  74  cm  in  der  Breite  und  rund  1,05  m  in  der 
Höhe. 


Q 


Mitteilimgen  aus  dem  german.  Nationalmnseiim.    1908. 


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BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE  DER  KUNST  UND  DES 

KUNSTHANDWERKS  IN  NÜRNBERG  1532—42. 

Aus  dem  sogenannten  Schuld-  und  Rechnungsbuche  Dr.  Christoph  Scheuris. 

Gesammelt  und  veröffentUcht  von  HCINKICH  HEERWAGEN. 

A  Is  zweite  Folge  meiner  Auszüge  aus  dem  bunten  Inhalt  des  Dr.  Scheurlschen 
J^\,  Schuld-  und  Rechnungsbuche  gebe  ich  nunmehr  die  schon  früher^)  in  Aus- 
sicht gestellte  vollständige  Sammlung  aller  der  Einträge,  die  auf  Kunst  und 
Künstler  in  jener  Zeit  Bezug  nehmen. 

Im  Interesse  der  kunstgeschichtlichen  Einzelforschung  schien  es  wohl  ange- 
zeigt, diese  in  der  Scheurl-Handschrift  allenthalben  zerstreuten  und  so  und  so  oft 
hinter  Notizen  gänzlich  anderer  Natur  geradezu  versteckten  Belege  zur  Geschichte 
der  Kunst  und  des  Kunsthandwerks  der  dreißiger  und  vierziger  Jahre  des  großen 
Jahrhunderts  einmal  sorgfältig  zusammenzubringen  und  die  möglichst  übersichtliche 
Gruppierung  herzustellen,  nach  der  das  Durcheinander  der  Eintragungen  verlangt. 

Die  nachfolgende  Textwiedergabe,  der  eine  von  mir  schon  vor  Jahren  angelegte 
Inhaltsübersicht  zugrunde  liegt,  will  nichts  weiter  sein  als  die  Bereitstellung 
eines  Materials,  dessen  Mitteilung  zwar  keine  besonderen  Überraschungen  bieten  kann, 
immerhin  aber  als  Vereinigung  quellenmäßiger  Nachweise  eine  gewisse  Beachtung 
verdienen  wird.  Die  Anmerkungen  sollten  auch  nur  die  allernotwendigsten  Erklärungen 
und  die  nächstliegenden  literarischen  Hinweise  aufnehmen.  Die  Heranziehung  der 
„Nürnberger  Ratsverlässe"  in  der  kommentierten  Ausgabe  von  Th.  Hampe*)  ge- 
bietet sich  von  selbst. 

Eine  nicht  unwesentliche  Ergänzung  des  noch  etwas  schattenhaften  Bildes, 
das  wir  aus  den  Niederschriften  und  Andeutungen  des  Scheurlbuches  gewinnen, 
wird,  soweit  diese  die  Arbeiten  Labenwolfs  und  Melchior  Baiers  berühren,  sich  er- 
geben, wenn  erst  einmal  die  von  mir  seit  längerem  vorbereitete  Herausgabe  des  an- 
sehnlichen Briefwechsels  des  Kardinals  Bernhard  von  Cles,  des  in  jeder  Beziehung 
größten  in  der  Reihe  der  Tridentiner  Bischöfe'),  mit  Dr.  Christoph  Scheurl  sich  hat 
ermöglichen  lassen. 

Meister  Albrecht  Bildschnitzer  und  Maler. 
Mai  oder  Juni  1536. 

[f.  131a  f.]  Item  als  weilant  meiner  mutter  bruder  Steffan  Tucher  meinem 
vattern  als  er  gen  hauß  zogen  ist  1482.  einfreulein  sambt  einemhirsch- 
khurn  mit  Scheurl  und  Tucher  wappen,  dofhur  er  2 V2  fl.  bezalt, 

1)  Vgl.  Mitt  1906.  s.  93  ff. 

2)  Nürnberger  Ratsverlässe  über  Kunst  und  Künstler  im  Zeitalter  der  Spätgotik  und 
Renaissance  von  Dr.  Th.  Hampe.    3  Bde.    Wien,  Graeser,  und  Leipzig,  Teubner.    1904.    8. 

3)  1514-39. 


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BEITRÄGE  Z.  GESCHICHTE  D.  KUNST  UND  D.  KONSTH  AND  WERKS  IN  NÜRNBERG  1532-42.       107 

.ns  haus  geschenkt  hat,  welchs  mir  in  der  taylung  worden  ist,  hat  mir  auch  herr 
Christof  Kreß  obrister  haubtman,  aller  seliglich  zu  gedencken,  ein  starcks  hirsch- 
gwey  geschenckt,  welchs  ich  m aister  Albrechtn  pildschnitzern  und 
malern  unsern  nachbaurn  vhassen  und  ein  hubschs  meisinchs*)  weiblein 
Übergulden  lasn,  mit  Scheurl  und  Futterer*)  wappen.  dofur  zalt  ich  im  4  fl.  und 
mayster  Pangratzn  Lawbnwolf,  fhur  6  messen*)  schenckiketn  etc.  — ®). 
di  beyde  freulein  sollen  meine  shün  Jörg  und  Christof  zu  gedechtnüs  irs  anherrn 
und  vattern  behalten. 

Anmerkung  Christian  Scheurls  [f.  131a,  am  unteren  Rande]:  „Dißen  leichter  hat 
Christian  Scheurl')  von  fr.  Urs.  Christ.  Derrerin®)  bekommen  und  I638  beydem 
Scheurlhauß  unter  der  vesten  zu  verbleiben  gestiftet,  neben  S.  conterfeyen." 

Melchior  Baier,  Goldschmied»). 
Arbeiten  für  Dr.  Scheurl  selbst  und  Übernahme  der  Lieferung  eines  silbernen  Tafel- 
geschirrs für  den  Kardinal  Bernhard  v.  Cles  zu  Trient. 

1532. 

[f.  26b.]  Item  Melchior  Bayr  goltschmit  in  der  pinntergassn  sol  mir 
machen  2  lustige  dople  t^°)  vhon  8  m  dorauf  zalt  ich  im.  25  fl.  und  mher 
20  Joachimtaler  und  4  Junii  33  fl.  4  |  28  ^  thut 80  fl. 

Item  dise  zway  dopplet,  gleichs  gewich ts,  hochgeverbt  und  aus  der  masn  wol 
vergult,  wegen  sampt  den  woppenschiltn  12  m  2  lot  1  q.  Sunabnt  S.  Lorenzn  den 
10  Augusti.  zalt  ich  den  14  Augusti  den  rest.  di  m  zu  13  fl.  muntz,  thut  auser- 
halb  dcs  q  —  157  fl.  12  ß  6  h.  Trankgelt  fünf  zweifer.  der  herr  verleich  mir  gluck 
dorzu. 

di  4  wappen  gamalirt  wi  di  wappenstain  lies  mir  Augustin  Hirsch- 

vogl  zu  freuntschaft  umb  2V2  fl.,  kosten  futer  und  seck 15|24^. 

Thut  in  alles I6lfl.  2|2^. 

und  stet  unten  auf  den  fuesen  herumb: 

pone  thesaurum  tuum  in  preceptis  altissimi  &  proderit  tibi  magis  quam  aurum, 

eccl.^^)  29.  und  auf  dem  oben  tail:  Divitie  salutis  sapientia  &  scrientia  &  timor 
domini,  ipse  est  thesaurus  eius   Esa.^^)  33.  und  auf  dem  andern  toplet:  Beatus 


4)  messingene(s). 

5)  Dr.  Christoph  Scheurls  Frau  Katharina  war  eine  Fütterer. 

6)  hier  freier  Raum  gelassen. 

7)  Christian  Scheurl  (1601  -77).  Enkel  Christophs  111.  und  Urenkel  von  Dr.  Christoph  (11.). 
Biederm.  Tab.  CCCCXLVl. 

8)  Ursula  Dörrer,  geb.  Scheurl,  1597—1670,  seit  1635  Gemahlin  des  I670  f  Christoph 
Dörrer  von  der  Unterbürg.  Ihr  Vater  Georg  Scheurl,  Pfleger  zu  Lichtenau  (f  161 4)  und  der 
Christians,  Hans  Christoph  Scheurl  (f  1632)  waren  Brüder.  Vgl.  Biederm.  Tab.  CCCCXLV,A 
und  DCX  mit  CCCCXLIV  und  CCCCXLVl. 

9)  t  ^577.  Über  sein  Leben  und  seine  Arbeiten  vgl.  jetzt  Th.  Hampe,  „Melchior  Baier", 
im  II.  Bde.  des  Allg.  Lexikons  der  bildenden  Künstler,  hrsgg.  v.  U.  Thieme  und  F.  Becker,  und 
Nümb.  Ratsverlässe  1,  426  Anm.  2. 

10)  Doppelbecher. 

11)  Ecclesiasticus  (Jesus  Sirach). 

12)  Esaias. 


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108      BEITRÄGE  Z.  GESCHICHTE  D.  KUNST  UND  D.  KUNSTHAND  WERKS  IN  NÜRNBERG  1582-42. 

vir  qui  timet  dominum  in  mandatis,  ^loria  &  divitie  in  domo  eius  psal.  3."^ 
und  auf  dem  obem  tail:  Vade  ergo  &  commede  in  leticia  panem  tuum  &  bibe 
cum  gaudio  vinum  tuum,  quia  deo  placent  opera  tua.  Eccles.**)  9. 

Nov.  1533. 

[f.  72b.]  Noch  bin  ich  schuldig  gewesn  Mathesn  Jorian  300  fl.,  so  er 
mir  aus  freuntschaft  gelihen  hat  3  monat.  di  hat  im  V  e  n  1 0  zalt  und  do  mit  mein 
hantschrift  erlost  und  die  noch  behendig  sol  er  mir  widergeben  etc. 

Ich  bin  schuldig  gewesn  wechsigelt  seinen  schwehern,  Conradtn  New- 
n  e  r  n  243  fl-  g-  zu  16  patzn.  do  fhur  hat  er  im  zalt 259  fl.  4  ß  — 

Er  hat  Hannsen  von  Fridingen  gelihen  von  meinem  gelt  und  mir 
verert 107  fl.  9V2  kr. 

Darzu  ist  mir  mein  g.  hr.  Cardinal  als  schuldig  30  fl.  3  |  6  ^ 

thut  alles 137fl.  4|16^ 

[Am  Rand  beigeschrieben:]  Card,  zu  Trient 107  fl.  4  |  16  ^ 

mher  zalt  ich  den  6  Januarii  AI.  P i r b 0 u m") 5fl. 

März  1534 
[f.  76b.]  Item  mir  tt.  [tradidit.^J  m.  gnedigster  herr  Cardinal  zu  Trient  etc. 

hinterstelligs  rest 142  fl.  4  |  16  ^ 

hab  ich  seinen  g.  marschalk  abgerechnt  1  Martii. 

März  oder  April  1534. 
[f.  81b.]    Item  ich  bin  schuldig  meinem  gnedigstn  herm  Cardinaln  zu 
Trient  2c. 819  fl.  12V«  kr. 

April  1534. 

[f.  83b.]  Item  noch  ist  mir  Hans  von  Fridingen  marschalk  an  stat 
meins  gnedigsten  herrn,  selb  drit  dises  monat  schuldig  wom,  fhur  mal,  Schlaftrunk, 
rauh  futter,  stal,  mit  und  alle  zerung,  laut  seiner  hantschrift  an  datum  29  Aprilis 
in  2  monatn  zubezaln      41  fl. 

Item  auf  gnedigst  ansuchen  meins  gnedigstn  herm  Cardinaln  etc.  zu 
Trient  etc.  hab  ich  den  erstn  Aprilis  mein  verschreybungen  vhon  Christofen 
Fhurem  und  Kylian  Reytwisem  umb  5000  fl.  r.  Mathesn  Jorian  versetzt  umb 
4000  fl.  und  mich  gegen  im  verschriben  fhur  meinen  gnedigsten  herm  Cardinahi 
von  Trient  k.  der  solich  gelt  zu  bezalung  seiner  g.  silbergeschirs  entphangen 
und  braucht  hat,  im  das  sampt  dem  interesse  als  7.  p.  c.  auf  primo  octobris  on 
schaden  zubezaln,  laut  meiner  verschreybung  der  Copien  vhorhanden  ist,  dogegn 
sol  mir  auch  widerumb  mein  gnedigster  herr  einen  schadlosprief  geben  zc.  Also  das 
ich  seinen  gnaden  auf  dise  stundt  vertraut  hab  sampt  der  kinder 
gelt 6094  fl. 


13)  tatsächlich  aber  aus  Psalt  111  (112).  Vielleicht  war  die  Zahl  111  für  eine  römische  HI 
gelesen  worden. 

14)  Ecclesiastes  („der  Prediger"). 

15)  als  Alexius  Pimpaum  oder  Meister  Alexius  1532  und  33  in  den  Briefen  des  Kardinals 
erscheinend.  Vgl.  über  ihn  Neudörfer,  Nachrichten  von  Künstlern  und  Werkleuten,  Edition- 
Lochner  (Quellenschriften  X.  Bd.)  S.  183  ff.     Doppelmayr,  Historische  Nachricht  S.  193. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN.  lOQ 


April  1534. 
[f.  84b.]    Item  den  30  Aprilis  hab  ich  entphangen  vhon  Hansen  Pettem  buch- 
truckern,  Steffan  Zeylern  ringmachern,  und  Clara  Mathes  Alfockin  Schellnmacherin 
wittib,  vormundern  Alfocken  erben,  zu  m.  g.  h.  C  a  r  d  i  n  a  1  n  zu  Trient  zc.  nutz 
und  bezalung  seiner  g.  silbergeschirs  600  fl.  müntz. 

Mai  1534. 

[f.  85a.]  Item  adi  2  und  adi  5  lih  mir  doctor  Gregori  Kreutzer  dem  g  o  1 1- 
schmidt  fhurm.  g.  herm  Cardinalnzu  Trient  ic  53  fl.  müntz  und  39  fl. 

golt.  vergab  ich  zu  68  kr.  thun  dise  bede  summa 97  fl.  12  kr. 

und  solich  97  fl.  12  kr.  zalt  ich  doctor  Krewtzem  widerumb  zu  danck  21  Maij  p. 
Steffan  Kemla  in  der  schau. 

1534. 

[f.  88a.  f.]    und  hat  Niklas  Lintzer  den  8.  Julii  zu  Prag  entphangn 

vhon  m.  g.  herrn  Cardinaln  zu  Trient  ic.  553  fl-»  so  ich  seiner  f.  g.  hofmarschalckn 
den  letztn  Aprilis  aufbracht  hab.  5  fl.  fhur  Interesse.  41  fl.  des  marschalcks  zerung. 
5  fl.  fhur  packeisn  und  sunenur.  thut  604  fl.  doran  innen  behaltn  fhur  Conradtn 
Newners  woppenprif:  16  fl.  restat  588  fl.  di  sol  er  auch  in  ^  verwechseln  und 
Neusessem  uberschickn,  und  bleibt  mir  mein  gnedigster  herr  Cardinal  zc.  noch 
p.  resto  schuldig  fhur  di  12  eßsilber 138  fl. 

Ist  alles  zalt  zu  präg  Niklasn  Lintzem  an  meiner  stat. 

Item  als  ich  meinem  gnedigsten  herm  Cardinaln  zu  Trient  2c.  auf  meinen 
glouben  aufbracht  hab  bei  Mathesn  Jorian  4000  fl.  primo  octobris  zubezaln  sampt 
140  fl.  abnutzung  hab  ich  seinen  f.  g.  geschribn.  Sunabnt  S.  Christofs,  den  25  Julii. 
diselben  zu  bezaln  primo  octob.  oder  primo  Novemb.  gar  oder  halb,  und  von  dannen 
in  3.  4.  5.  oder  6.  monatn.  auch  zu  halben  tailn,  di  gantzn  suma.  zu  seiner  g. 
besten  gelegnhait  und  wolgefallen,  sampt  der  nutzung,  nach  marckzal  allein  das 
mich  sein  f.  g.  irs  gemuts  zeitlich  verstendig.   domach  habn  zu  richten. 

August  1534. 

[f.  89a.]  Item  als  Niclas  Linntzer  vhon  meinen  g.  herm  Cardinaln  zu 
Trient  zc.  eingnomen  hat  vhon  meint  wegen  fl.  726  hab  ich  im  geschriben  Amoltn 
Hubnern  zun.  5.  krönen  zubezaln,  und  solich  gelt  Sebastian  Wolfen  übergeben 
und  dorauf  bezalt  fl.  274.  dise  1000  fl.  sol  er  meinen  pflegkindern  verzinsen  ein 
jar  lang  mit  5  p.  c.  Actum  6  Augusti. 

[f.  89a.]  Item  als  ich  fhur  m.  g.  herrn  Cardinaln  zu  Trient  k.  Mel- 
chiorn  Bayrn  schuldig  worden  bin  fl.  137  kr.  49,  zalt  ich  im  bar  7  Augusti 

fl.  100.  rest fl.  37  kr.  49, 

di  zalt  ich  im  auf  20  Augusti. 

Oktober  1534. 

[f.  92b  f.]  Item  als  ich  hiobn  a.  eh.  83.  eingeschribn,  das  ich  m.  g.  herrn 
Cardinaln  zu  Trient  ic.  bei  Mathesn  Jorian  4000  fl.  mit  7  zu  verzinsn  von 
1.  aprilis  bis  auf  primo  octob.  aufbracht,  und  im  2  verschreibung  umb  5000  fl 
verpfendt  und  mich  dofhur  verschribn,  und  ich  aber  auf  seiner  g.  ersuchen  solich 
summa,  bis  auf  1.  aprilis  ansthin  zulasn  bewilligt  hab,  wi  mir  dann  s.  f.  g.  den 
18  sept.  statlich  zugeschribn  hat  auf  di  selben  zeit  gewislich  bezalung  zuthun,  wo 
es  änderst  nit  ehr  beschicht,  und  aber  Jorian  des  halben  tails  bezalt  wollen  sein, 


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1 10      BEITRÄGE  Z.  GESCHICHTE  D.  KUNST  UND  D.  KÜNSTHANDWERKS  IN  NÜRNBERG  1582-4«. 


hab  ich  in  disen  monat  octob.  verwisen  und  vergnügt  hin  und  wider  4000  fl.  haupt- 
suma  und  140  fl.  interesse,  und  dodurch  mein  Schuldverschreibung  erledigt  und  mein 

2  verschreibung  umb  5000  fl.  widerumb  zu  meinen  handen  bracht  und  entphangn. 

Item  mir  hat  den  6.  Novemb.  Gastl  Fugker  von  wegen  hochgedachts  m.  g. 
herrn  Cardinaln  k.  zalt  140  fl.  obgemelt  interesse,  dorumb  ich  quittirt  hab. 

Also  bleibt  mir  mein  gnedigster  herr  schuldig  den  ersten  octob.  4000  fl.  mit 
7  zuverzinsen  bis  auf  primo  Aprilis,  dorumb  ich  keinen  schadlos  noch  schuldprif, 
sonder  hab  seinen  f.  g.  unterthenig  getreuer  wolmainung  bioslich  dorumb  vertraut, 
das  eben  gnung,  ist  es  nit  zu  vhil. 

März  1535. 
[f.  99b.]    Item  doran  hab  ich  entphangn  vhon  Hansn  von  Fridingen 
auf  Hohen  kreen,  Trentischen  marschalk,  am  monat  selb  drit  costgelt 41  fl 

1535,  5.  Juli, 
[f.  105a.]  Item  ab  ich  den  erstn  Aprilis  1534.  meinem  gnedigsten  herrn 
Cardinaln  zu  Trient  zc.  auserhalb  seiner  f.  g.  Obligation,  auf  mein  verschreibung 
und  verpfendung.  4000  fl.  zu  erledigung  seiner  g.  silbergschirrs  mit  7  zu- 
verzinsn  aufbracht  bei  Mathesn  Jorian,  auf  6.  monat,  und  als  er.  2000 .  fl.  primo 
octob.  zalt  wolln  sein,  im  die  gantzn  suma  bezalt  und  hochgedachtm.  m.  g.  herrn 

6  monat,  und  volgent  3  monat  vertraut  und  ansthin  lasn  hab,  sein  mir  solich  4000  fl. 
sambt  dem  interesse  9  monat  und  75  fl.  meiner  kinder  zinsgelt  den  erstn  Martii 
vertagt,  bezalt  durch  die  Fugker  den.  5.  Julii.  anno  gots  geburt  1535.  — 

Thut  —  fl.  4285. 

1536. 
[f.  126b.]  Item  als  ich  Benedictn  Prabant  vhor  einem  jar  12  h o f- 
b  e  c  h  e  r  vhon  10  m  15  lot  3  q  wercksilber  machen  lasn  und  für  di  m  9  fl.  10  thut 
104  fl.  7  ß  zalt,  hab  ich  diselben  Melchiorn  Bayrn  zugestelt  und  16  ander 
pecher  machen  lasn,  halten  13  lot  3  q  2  ^.  Sein  pesser  dan  di  vorigen  1  q  2  ^ 
wegen  all  16 .  12  m  10  lot  2  q  0  ^  wigt  ainer  12  lot  3  q  1  'Si-   di  m  umb  9  fl. 

3  ort  muntz.  Thut  123  fl.  7  ß   11h  ^/s  doran  entphangn  obgemelten  wert  104  fl. 

7  ß  rest  ich  19  fl.  0  ß  11  h,  mher  2  zweifer  tranckgelts  von  2  pechem  zuverkoufn. 
für  2  seck  und  tranckgelt. 

Febr.  1536. 
[f.  127a.] 


M.  Payr 
C  ardinals 
trinkgeschirr , 


Item  ichsolMelchiorBayrn  goltschmidt  für  ain  zw  i- 
fach  sc  he  ur  lein"),  schickt  ich  m.  g.  h.  von  Trient  etc.  und 
habs  p.  Niclasn  Goswein  meinen  schwogern  aus  Wien  entphangn  — 
thut 42fl.  I8fi2h. 

August  1536. 

[f.  133b.]    Item  Adi  9  Augusti  verkouft  ich  M  e  1  c  h  i  0  r  n  B  a  y  r  n  di  andern 

liberung  nemlich  50  m  1  lot  2  q  Thut  fein  49  m  8  lot  0  q  1  ^  p  14  ß  get  ab  zu  pro- 

birn  und  wegn  7  ß  rest  473  fl.  6  ß.    dovhon  gebum  meinem  shun  Christofn  V*  thut 

118  fl.  6  ß  6  h  So  geburn  gf  Jheronimus  etc.  und  Jorgn  Neusessem  354  fl.  19  ß  6  h. 

16)  Dimin.  von  „die  Scheur**,  „Scheuren'*,  etc.    -    Pokal,   Becher.     Schmeller,    Bayer 
Wörterb.  II,  456  f. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


111 


Solche  suma  hab  ich  Neusessem  sambt  der  zupuß  und  Holtschuher  615  fl  als- 
bald vergnügt. 

Oktober  u.  Nov.  1536. 

[f.  139a.]  Melchiorn  Bayrn  goltschmidtn  in  der  pinter- 
g  a  s  s  e  n  hab  ich  berurt  33  fl.  6  1 11  ^  vhon  meintwegen  einnemen  lasn  zu  behaltn, 
auf  rechnung,  mir  mit  der  zeit  ein  trinckgeschirr  doraus  zu  machen. 

Item  ich  kouft  vhon  im  den  11.  Nove.  ein  p  e  c  h  e  r,  den  ich  Gorgn  schenckt, 
wigt  11  lot  1  q  1  ^.  di  m  p.  9  fl.  zu  freuntschaft  —  Thut 6fl.  7ß2^ 

[Nachtrag:]  hab  ims  zalt  den  9  Januarii  1538  p.  Jorgn  Neusessem. 

September  1537. 

[f.  I60b.] 

Solich  28  fl.  hat  Melchior  Bayr  vhon  meint  wegen  entpfangen  15  octob 
35  fl.  6  I  11  ^,  vnd  mir  doran  geben  ein  p  e  c  h  e  r  p.  6  fl.  7  ß  2  h.  rest  er  mir  wi 
hioben  eingeschriben  ist  a  eh.  139  Thut 35fl.  3/  H^ 

[Nachtrag:]  den  pecher  zalt  ich  im. 9.  Januarij  1538. 

Januar  1538. 
[f.  173a.]  Item  als  der  frum  fürst,  m.  g.  herr  herzog  Jörg  etc.,  alter  ge- 
wonheit  nach,  mir  heur  Martini  abermaln  2  gute  grose  vhaß  Kotschpergers^^),  ge- 
schickt, mit  bevelh,  das  ain  herm  Anthoni  Fugkem  zu  verordnen,  [und]  das  ich» 
ungeachtet  das  der  furman  dem  ainen  beim  Potnstain  den  poden  ausgefarn  hat, 
gethon,  und  seinen  g.  geschriben  hab,  quod  sufficiat  mihi  gratia  sua,  das  ich  gar 
keiner  vergleichung  beger  und  mich  dits  iar  mit  den  27  aimern  Mainzischs  weins  mich 
behelfen  wol,  hat  sein  f.  d.  aus  fürstlicher  milde  mir  dogegen  verert  und  geschanckt 
am  tag  Epiphanis^®)  50.  neu  Joachimstaler  Thun  zu  67  +  57  fl.  7  |,  hab  ich  alspald 
Melchiorn  Payrn  zugestelt,  mir  ein  lustig,  kunstlich  tringk- 
geschirr,  mit  meinsg.  herrn  pildnus,  wappen  und  schritten 
zu  seiner  f.  g.  gedechtnus  doraus  zu  machen,  deo  gratias.  Benedictus  deus  in  donis  suis. 

1538,  9.  Januar. 

[f.  173b.]  Item  ich  hab  Melchiorn  Bayrn  goltschmidt,  sein 
rechnung  lauter  geschickt,  den  9  Jan.  und  er  b  1  e  i  b  t  m  i  r  auf  beschehene  zalung. 
aller  ding  netto  s  c  h  u  1  d  i  g  117  fl.  5  |  minus  1  ^.^^) 

mher  schickt  ich  im  für  Hans  Johenin  pecher  entphangen  10  fl.  ich  hab 
mit  im  abgerechnt  7  Maij  ic.  mir  100  fl.  7  |  3  ^.  er  zalet  für  mich  T  r  u  n  c  k*®)  für 

17)  Eine  Weinsorte,  die  Christoph  Scheurl  wiederholt  von  den  sächsischen  Herzogen  zum 
Praesent  erhält  und  die  in  der  Korrespondenz  der  letzteren  mit  Dr.  Scheurl  (zw.  1531  und  1540; 
vgl.  Akten  des  Scheurl- Archivs  Vc)  demgemäß  häufig  genannt  wird:  ketschber  most,  ketzberger 
wein;  1538.  X.  15:  kotzschberger  mosts  als  gut  er  uns  das  jar  gewachsen;  1540  X  31:  ein  fuder 
kotzsberger  neuen  weins  Reckwitzer  gepirges.  Offenbar  handelt  es  sich  um  einhei- 
misches Gewächs  (ein  Reckwitz  liegt  bei  Wermsdorf  und  Grimma,  im  heutigen  Kgr.  Sachsen) 
und  nicht  um  den  Weinbergsort  Kotschberg,  Kotschkiverch,  in  Steiermark,  Kr.  Marburg,  bei 
Radkersburg. 

18)  6.  Januar. 

19)  Vgl.  „Meiner  Pflegkinder  Rechnung  v.  1.  Sept.  1537  bis  auf  1  Martii  1538'*  von  Dr. 
Scheurls  Hand  (Akten  des  Scheurl-Archivs  11 1,  10,  auf  S.  11):  „Item  ich  hab  beym  Thucher  40  fl. 
und  beim  Melchiorn  Bayrn  117  fl.  4  f  29  ^  für  silbergschir  verordnt'*. 

20)  Lorenz  Trunck,  Goldschmied.     S.  weiterhin  unter  diesem  Namen. 


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1 12      BEITRÄGE  Z,  GESCHICHTE  D.  KUNST  UND  D.  KÜNSTHAND  WERKS  IN  NÜRNBERG  1582-40. 


1  gurtl  17  Maii      i6  fl. 

ist  alles  zalt  5  Junii. 

1538,  13.  August. 

[f.  183a.] fl.  28.  die  hab  ich  einnemen  lassen  MelchiorPayrin 

goltschmidin. 

1540,  1.  September, 
[f.  226a  ff.] 

Zwo  gülden  scheu  rn. 

Item  ich  hab  im  namen  gots,  mir  und  meinen  lieben  shunen  Jörgen  und  Christofen, 
mein  wil  got  auch  dobey  zugedenken  zwo  vast  wol  übergult,  kunstlich  und  lustig, 
zwifach  scheurn  meinen  goltschmidt  Melchiorn  Payrn  machen 
1  a  s  e  n.  di  ain  wigt.  6  m  1 1  lot  0  q  2 .5) .  In  dem  ainen  tail  inwendig  stet  unsers  heim 
kaysers  pildnus  und  dorumb  geschriben:  Caesar  imperat.  Carol.  5.  Imperat.  Augustus 
ann.  etat.  XXXVI.  Auswendig  stet  geschriben:  Tu  nwdicum  habuisti,  antequam 
venirem  ad  te,  et  nunc  dives.  Gen.  XXX. 

In  dem  andern  tail,  ist  der  romischen  kayserin  pildnus  loblich  zugedencken, 
mit  diser  umbschrift:  Isabella  Caroli  Imperatoris  uxor.  und  auswendig  geschriben: 
operib.  manuum  eius  bene  dixisti,  et  possessio  eius  crevit  in  terra  Job.  1. 

Die  ander  scheurn*^)  wigt  6m12lotOqO^.  In  dem  ainen  tail,  stet  meins 
frumen  christenlichen  fursten  herzog  Gorgen  von  Sachsen  etc.  gotseligen,  fursichtige 
pildnus,  mit  ainer  herrlichen  stirn  und  gwaltigen  part,  mit  diser  umbschrift :  Semper 
laus  eius  in  ore  meo.  Etat.  ann.  LXVI.  Auswendig  aber  verlaut  die  schritt:  Dominus 
autem  benedixit  novissimis  Job,  magis  quam  principio  eins.  Job  XX XXII. 

Im  andern  tail  inwendig  stet  auch  hochgedacbts  christenlichen  fursten  pildnus, 
aber  seitlich,  mit  einem  langen  spitzigen  part  und  diser  umbschrift:  Semper  laus 
eius  in  ore  meo.  Aber  auswendig  herumb  verlautet  die  schritt:  Substantie  iniustorum 
quasi  fluvius  siccabuntur.  Eccl.  40.  und  auswendig  in  den  4  fuesen,  hab  ich  machen 
lasen,  unser  neu  adenlich  zwischiltig  wappen,  mit  dem  gekrönten  turnershelm  und 
pfaenfedem,  und  einem  anhangenden  klaynen  Futterer  schiltlein  und  der  jarzal 
1 540.  doruber.  Dofhur  zalt  ich  V  i  g  i  1  i  u  s*^)  i  1 1  u  m  i  n  i  s  t  e  n  fl.  g.  4.  di  wegen 
alle  viere  2  q  3  ^.  Also  das  auser  ( })  berurten  abzug  dise  zwo  scheurn  von  gutem 
wercksilber  vhon  14.  lotten,  und  auf  das  reichlichst  übergult,  wegen  13  m  6  lot  1  q 
3  ^.  zalt  ich  Melchiorn  Payrn  zu  freuntschaft  für  di  m  fl.  13  ß  10  thut  grobe 
muntz  fl.  180  ß  18.  h  6.  Mer  zalt  ich  für  die  2  leine  seck.  ß  4  vnd  für  di  zwey  futter 
mit  grünem  tuch  ausgefuttert,  und  auswendigen  gerissen  woppen,  Scheurl  und  Futrer, 
und  der  jarzal  1540  fl.  2.  und  den  goltschmidtgesellen  zu  tranckgelt  ß  6. 

Suma  das  mich  dise  bede  wol  übergulte  kunstliche  scheurn  geschm.  aller  ding 
thut  fl.  187.  ß  17  h  2  Thut  aine  fl.  93  ß  18  h  7. 

Actum  Nurmberg  prima  Sept.  1540.  Manu  propria.  Benedictus  deus  in  donis 
suis,  der  verleih  sein  gnad,  das  mein  Hb  shun  zu  ehrn,  frolich  doraus  trincken.  & 
dicat  omnis  populus  Amen. 


21)  am  Rande  von  späterer  Hand  beigeschrieben:  „Carl  Scheurl  hat  dise  überkomen". 
Carl  Scheurl  (1 566— 1625)  war  der  dritte  Sohn  Christophs  1 1 1.,  somit  ein  Urenkel  des  D r. Christoph  (I I^ 

22)  Virgil  Solis  d.  Ä. 


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VON  HEINRICH  HEEBWAGEN.  113 


1540,  1.  Nov. 
[f.  227b.]    Item  ich  hab  emphangen  vhon  meinem  oheym  Jacoben  Tüchern 
losungschreiber,  meinen  herrnsolt  fl.  50  golt  und  geben  Melchiorn  Payrn 
goltschmitp.  71  ^  thut  fl.  59  i^  3  h  4.  an  bezalung  der  zweyer  scheuern. 

Nov.  1540. 
[f.  228b.] 

Silbergschirr 

Melchior  Payr. 

Item  als  hi  oben  a.  eh.  226.  geschriben  stet,  das  ich  2  schon  ubergult  scheum 
machen  lasen,  hab  ich  mit  Melchiorn  Payrn  goltschmidt  an  der 
p  i  n  d  e  r  g  a  s  s  e  n  am  tag  S.  Andree^)  gutlich  abgerechnt.  und  im  zalt  für  b  e  - 
melt2scheurn  wegen  auf  abzug  2  q  3  ^  der  wappen  13  m  6  lot  1  q  3  ^,  di 
m  p.  13  fl.  10  p  thut  fl.  180  ?  18  h  6.  für  2  sack  ß  4.  für  3  kelchpecherlein 
2  m  1  lot  1  q  1  ^,  di  m  p- 10  fl.  10  ß  fl.  21  ß  17  h  1.  für  ainen  hofpecher, 
den  ich  meinem  gevattern  Jörgen  Götzen  schencket,  wigt  13  lot  0  q  2  ^  di  mp.9  fl. 
5  ß.  thut  7 fl.  10  ß  3  h.  fhur  ein  tutzet  puchsboumer  löffel  zubeschlagen 
mit  ubergulten  Stilen,  jvegen  4  lot  1  q  2  ^,  1  lot  p.  1  fl.,  thut  4  fl.  7  ß  6  h. 
für  einen  abgössen  Cardinal  vonTrient,  wigt  1  lot  2  q  1  .5),  thut  15  ß,  und 
für  4  e  s  1 0  f  1 ,  kouft  er  mir  ins  haus  5  ß  3  h.    Thut  alles  fl.  215  ß  17  h  7. 

Dez.  1540. 

[f.  229b.] * 

.  .   .  Solich  40  fl  sambt  7  ^  aufwechsls,  1  fl.  g.  minus  8  ^  schickt  ich  M  e  1  c  h  i  0  r  n 
Payrn  goltschmidt,  und  hab  in  domit  aller  dingk  gar  bezalt. 

Jan.  1542. 
[f.  252a.]  Item  Nicklas  Goswein  hat  mir  21  Januärii  vhon  wegen  Gabrieln 
Tuchers  zalt  sein  halb  iar  kostgelt  vhon  prima  Julii  bis  prima  Januärii  fl.  grob  gelt  20. 
di  hab  ich  alsbald  Melchiorn  Payrn  einnemen  lasen,  und  im  domit  bezalt 
den  hintersteiligen  rest,  für  das  bedeckt  trinckgschirlein,soermirzu  dem 
Maintzischen  gemacht  hath. 

Benedikt  Brabant. 

1535. 

[f.  98a.]  Item  als  ich  lange  zeit  zu  hof  bechern  begerd  und  naigung  ge- 
tragn,  hab  ich  mir  dero  mit  rot  Christofen  Ploden,  Benedict  Prabannt  zwelf 
machen  lasn  zu  14  lot  2  q  2V3  ^  wegen  all.  10  m  15  lot  3  q.  di  m  umb  9  fl.  10  ß 
grober  muntz  zalt  ich  suntag  Letare  Jherusalem.  den  7  Martij  1535.  thut  — 
104fl.  7ß. 

der  guttig  herr  got  verleih  mir  und  dem  lieben  shun  Jörgen  und  unsem  nach- 
komen,  mit  seinem  gotlichen  segen  und  gnaden  frolich  doraus  zu  trinken.  Bene- 
dictio  domini  divites  facit,  nee  sociabitur  afflictio.  prover.  10. 

[f.  99b.]  Item  fhur  12  silbren  hofbecher,  sambt  zweyen  sacken 
und  futeraln 105  fl.  7  ß  ") 

23)  30.  November. 

24)  Zur  gleichen  Sache  nochmals  Januar  1536  [f.  126b].    Siehe  oben  unter  Melchior  Baier. 

Mitteilungen  aus  dem  grerm&D.  Nationalmuseum.    1906.  lo 


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114      BEITRÄGB  Z.  GESCHICHTE  D.KUNST  UND  D.  KUNSTHAND  WERKS  IN  NÜRNBERG  1589-42. 

Brachvogel,  Hamischmacher. 
1532. 
[f.  23b.]  Ich  hab  mit  hulf  mains  schwogem  Hannsn  Johanns  herm  Jacoben 
pischoffen  zu  Preslau  ic.den  Prachvogel  auf  300  man  hämisch 
machen  lasen  und  seinen  f.  g.  zu  S.  Jorgentag")  geschickt,  und  fhur  den  hinter- 
stelligen  rest  242  fl.  1  1 14  .5)  benantem  Johan  verbürgt,  den  selben  rest  hat  s.  f.  g. 
durch  Sebastian  Wolf  gar  bezalt  3  Julii  1532.**) 

Jörg  Puchner»  kandlgieser. 

Febr.  1536. 
[f.  127b.]  genannt. 

Jörg  Dietherr  d.  J.»  Münzmeister. 

1532. 
s.  unten  unter  Lorenz  Kellner. 

Michel  Felser,  Kandelgießer. 
August  1532. 
[f.  6a.]   Item  ich  zalt  Micheln  Felser  kandlgiesem  hinterdenparfusern 
fhur  12glat  schusseln,  wegen  71  |.,  vhon  saifenzin,  den  c  umb  9V4  fl.  und 

vhom  /  ain  zweifer,  zu  machen,  den  17  Augusti  thut 9fl.  3|20^. 

Darunter  steht,  von  Dr.  Chr.  Scheurls  Hand  später  hinzugefügt,  dieser  Nachruf: 
„Er  starb  im  sterben  1533-   Helf  im  got.    Ein  schon  gerad  man". 

1532,  7.  Nov.  J 

[f.  36a.]  7  Nov.  zalt  Micheln  Feisem,  kandlgiesern  hinter  S.  Katherina,  fhur  j 

6  welsch  zine  schussel  und  4 zilich  ^)  schusseln  von  gutem  saifen  zin  den  c  roch*®)  umb 
10^/8  fl.,  wegen  54  /  '/4  zu  39  '3\  und  ein  welsch  salzvhas  dorein,  thut  8  fl.  3  |  27  ^, 
12  ^  trinckgelt,  und  schannckt  die  Anthonien  Vento  zu  vergleichung  etlicher  ge- 
schenck,  sunderlich  der  inditien. 

1532,  14.  Nov. 
[f.  38b.]    Item  den  14.  Novemb.  zalt  Felsern  kandlngiesem  für  4  teglich  eß- 
schusseln  und  4salzschusselein,  wegen  14^/4 1,  das  |  umb  39  ^,  thut 19  |  4  ^. 

Mathes  Gebel,  Bildschnitzer  und  Medailleur.*^) 
Juli  1533. 
[f.  64b.]    Item  ich  hab  maister  Mathesn  Gebein  mich  und  mein  weib 
auf   silbergroschn    abconterfetten    lassen  und  im  dofhur  zalt 

25)  23.  April.  ^ 

26)  Von  Briefen  des  Bischofs  Jakob  von  Salza  zu  Breslau  (1520 — 39)  an  Scheurl  -  sie  waren  1 
zu  Bologna  „beieinander  in  studiis  gewesen**  (vgl.Knod,  Deutsche  Studenten  in  Bologna  1899,  S.  476, 

Nr.  3237)  -  sind  erst  solche  ab  1532  im  Scheurl- Archiv  erhalten.    [Akten  Vd.]    Der  erste  Brief, 

d.  d.  1532,  22.  Aug.,  erinnert  an  einen  einzelnen  vom  Bischof  in  Nürnberg  bestellten  Harnisch. 

Das  zweite  Schreiben  v.  19.  Nov.  1532  kommt  noch  einmal  auf  die  längst  erfolgte  „bezalung  des  | 

letzten  restes  des  hamuschgeldes"  zurück. 

27)  zierlich? 

28)  roh.  / 

29)  Diese  Einträge  hat  inzwischen  Th.  Hampe  zum  Ausgang  einer  Studie  gemacht:  Bei-  , 
trag  „Zu  Mathes  Gebel"  in  der  Festschrift,  hrsgg.  vom  „Verein  für  Münzkunde  in  Nürnberg**.  ...  \ 
Nürnberg  1907,  S.  37  ff.  Vgl.  auch  Nürnberger  Ratsverlässe,  hrsgg.  von  Hampe,  I,  Nr.  2212  mit  1 
Anm.  1. 


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VON  HEINRICH  HEKRWAGEN. 


115 


4fl.,   der  hat  er   5   und  meins  brudern  seligen  2grossen   vhon 
7  Joachim-thalern  gemacht;  dofhur  zalt  ich  im  4  /  6  ^.  den  11.  Julii. 

August  1533. 
[f.  68a.]    Ursula  Seufrid  Pfinzingin  schenkt  ich  ainen  meiner  pildnusgroschn 
7  augusti  und  Christina  Jörg  Neusesserin®®)  ainen  sampt  20  zuckerte  leckkuchlein, 
kostn  1  fl.  8  augusti.    Ir  bruder  Caspar  Mardroffer  aß  mit  mir  früe,  6.  Augusti  und 
mein  geschwey  schanckt  mir  1  silbren  pisapfl  im  wert  1  fl.  7  Augusti. 

Meister  Heinrich»  Bildhauer. 
1532. 
[f.  26a.]    Item  ich  zalt  maister  Hainrichn  pildhauem  6  decemb.  6  fl. 

1533. 
[f.  45a.]  mher  M.  Hainrichn  4  fl. 

Vgl.  den  vollständigen  Auszug  über  die  Visierungsarbeiten  zu  einem  von  Bern- 
hard V.  Cles,  Kardinal  und  Bischof  von  Trient,  geplanten  Kunstbrunnen  im  folgenden 
unter  Pankraz  Labenwolf. 

Augustin  Hirsvogel. 
[f.  26b.]    S.  oben  unter  Melchior  Baier. 

Jakob  Hofmann»')  und  Martin  Kraft.»') 

Juli  1540. 
[f.  224a.] 

Mersolt  er  [Gothart  Konigk]  mir  antworten,  fhur  d  i  r  i  n  g,  so  ich  vhon  Martin 
Kraft,  und  Jacoben  Hofman  erkouft  hab,  fl.  100,  auf  rechnung,  di  Über- 
maß werd  ich  ihn  wol  widerumb  gut  machen. 

dovhon  zalt  ich  alspald  Martin  Kraft  durch  sein  Schwester  Anna  an  zwelfem 
fhur  den  gutten  saphir  fl.  37,  und  im  zu  trankgelt  ß  10  26  Julii.  Mer  zalt  ich  J  a  c  0  b  e  n 
Hofman  für  1  2  r  i  n  g  1  e  i  n  fl.  54. 

März  1542. 

[f.  245b.]  Item  die  k  e  1 1  e  n  so  ich  Christof  Furerin  ins  kindtpet  irs  jungen 
shuns  Christofen  geschenkt  hab,  hat  gewogen  11  fl.  golt  ein  halb  ort  zu  X  71 V«  und 
fl.  2  macherlon.  zalt  ich  Jacoben  Hofman  zu  15  patzn  fl.  15  ß  2  h  2. 

Jörg  Hutter,  kandlgieser. 
1536,  8.  Aug. 
[f.  133  b.]  genannt. 

1536,  5.  Okt. 
[f.  139a.] 

Jörgen  Huttern  kandlgieserin  hinterm  tuchhaus. 

1541,  22.  Nov. 
[f.  249a.]  genannt. 


30)  Die  Frau  von  Dr.  Christofs  Geschäftsfreunde  Jörg  Neusesser  in  Joachimsthal. 

31)  1553.  22.  Nov.,  verkauft  Jacob  Hofmann,  Goldarbeiter,  Bürger  und  des  großem  Rats 
zu  Nürnberg,  an  Endres  örtel  den  Alt.  sein  Haus  in  der  Breiten  Gasse.  Orig.  Perg.  Urk.  des  Frhrl. 
V.  Scheurrschen  Familienarchivs.  Das  anhangende  wenig  beschädigte  schöne  Siegel  des  Aus- 
stellers und  Verkäufers  zeigt  im  Schilde  ein  nach  rechts  springendes  Roß,  als  Helmzier  des  Wappens 
einen  flugbereiten  Vogel  (Adler?)  auf  einem  Dreiberg,     Im  übrigen  s.  Ratsverl.  I,  363,  Anm.  3. 

32)  Martin  Kraft  d.  J.     Vgl.  Ratsverlässe  I,  Nr.  479  Anm.  und  Nr.  3515. 


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116       BEITRÄGE  Z.  GESCHICHTE  D.KUNST  UND  D.  KUNSTHANDWERKS  IN  NÜRNBERG  1532-42. 

Lorenz  Kellner,  Goldschmied.'') 

1532. 
[f.  22b.] 

Katherina  doctor  Chri- 
stof Schewrlin. 
[am  Rande:]  Was  ich  meinem  weib  schuldig  bin  und  ir  unser  shun  Jörg  zalen  soll. 

Es  ist  zugedenken,  das  ich  meinem  weib  di  prautketen  so  ich  ir  geben,  und 
ein  ketlein,  vhon  trot,  so  si  zu  mir  pracht,  durch  Hansen  Lochingern  umb  28  gülden, 
mher  iren  silbren  pater  noster,  so  ich  doch  zu  irer  gürtl  verpraucht,  umb  7  gülden 
und  ir  schlayr  umb  18  ein  halben  gülden  verkouft  und  dorzu  vhon  ir  bei  12  gülden 
so  ir  herzog  Heinrich  von  Braunschweig  zuletz  gelasn,  entlehnt,  thut  alles  bis  in  66  fl. 
dogegen  hab  ich  ir  kouf t  vhon  Jorgn  Ditherrn  ungrisch  golt,  25 \ 2  gülden, 
schwer  6  lot,  umb  35  fl.  1  ß,  und  reinisch  golt,  auch  6  lot,  di  m  umb  72  fl.  minus  V*> 
umb  26  fl.  18  ß  2  h,  thut  an  müntz  67  fl.  5 1  4  ^,  dovhon  hab  ich  ir  machen  losen, 
den  Lorentzn  Keiner  untherm  Ditherrn  ain  schone  lustige  zaum- 
oder  zuglketten,  thut  zwen  dinst,  dann  man  mag  si  kurtzer  und  praiter  machen  zu 
ainem  kelpentlein,  wi  ein  glegte  ketten,  wigt  51  ung.  gwicht,  ich  gab  im  zu  machen 

aus  freuntschaft 2fl.  3  zweifer, 

di  hab  ich  meinem  weib  geschenkt,  als  si  aus  shuns  Jörgen  kindtpet  gangen  ist,  doch 
zu  bezalung  obgemelter  und  aller  andrer  schulden,  den  28  Maii  1532. 

Item  ich  hab  naigung  tragen,  di  ketten  lasen  lenger  zu  machen,  und  darzu 
gelegt  10  gut  ung.  gülden,  so  ich  den  Tucherischen  abverdint  hab,  10  gut  r[heinische] 
gülden  und  6  chronen,  mher  5  fl.  V*  halb  ungrisch  halb  reinisch,  zalt  ich  zu  11  /,  also 
wigt  di  ketten  81 V*  ungrisch  gülden  gwicht;  so  gab  ich  im  vemer  zu  machen  andert- 
halben  gülden.  Also  gestet  mich  di  ketten  im  namen  des  herrn  hundertzwelf  fl.  3  | 
2  ^  27  Julii  1532.    Benedictus  deus. 

Martin  Kraft. 

s.  oben  unter  Jakobf  Hof  mann. 

Pankraz  Labenwolf'^) 

und  die  Arbeiten  zu  einem  Kunstbrunnen  für  den  Kardinal 

Bernhard  v.  Cles. 

Aug.  1532. 
[f.  6a.]  Als  mir  h  i  v  h  o  r  6  messen  leuchterrorn  an  die  wendt 
vhon  Peter  Fischers  testament  geschankt  sein,  hab  ich  noch 
6und12hanthaben  und  61euchterdieim  fhus  hol  sein  machn  lasn  und 
Pangratzn  Lawbnwolf  dorfhur  bezalt  19  Augusti  5  fl 
[f.  25b  f.] 

1532. 
Cardinal  vhon  Trient. 
Meinem    gnedigstn    herrn    herrn     Bernhardtn     Cardinaln     und 
pischofen  zu  Trient  k.  überschickt  ich  di  rechnung  den  12  februarii  und 
stin  g.  sol  mir  p.  resto  thut 22  fl.  6  |  28  ^. 


33)  Vgl.  a.  Hampe,  Nümb.  Ratsverlässe,  I.  Bd.,  S.  305  Anm. 

34)  Vgl.  die  Literaturangabe  bei  Hampe,  Ratsverlässe,  I,  540  Anm. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


117 


Item  ich  zalt  maister  Pangrotzn  Lawbenwolf  rotgiesern 
bei  der  schmelzhutten  auf  der  arbalt  der  5  par  prantrutten,  den  4  februarii  100  fl. 
doran  sol  er  mir  auf  beschehene  rechnung thut  42  fl.  2  |  22  ^. 

Hochgedachten  m  g  herm  Cardinaln,  hab  ich  etliche  andre  dingk  machen  lasn 
und  verrichtet,  thut  in  suma  alles  }20  fl.  8  patzn  minus  1  ^  und  hat  mich  sein  f.  g. 
des  rests  nemlich  120  fl.  8  patzn  minus  1  ^,  zu  Regnspurg  den  4  Maij  1532,  an  Joachim- 
thaler  zu  16  patzn,  zu  dank  entrichtet. 

Meinem  gnedigstn  herrn  CardinalnzuTrientic.  hab  ich  gelihen,  seiner 
g.  zeltmachern  maister  Jacoben  Rennern,  auf  di  3  zeit  50  fl.  und  fhur 

den  stull,  prunnenvisirung,  milaun,  und  anders  26  Julii  —  thut 69  fl. 

und  fhur  den  andern  lidren  stul  4  fl. 73  fl. 

doran  entphangen  den  16  Augusti  50  fl.  restat 23  fl. 

di  hat  mir  auch  zalt  Hans  vhon  Fridingen,  seiner  g.  hofmarschalck,  den 
27  Augusti,  do  ich  seinen  f.  g.  auf  derselben  Silbergeschirr,  vhon  M  a  t  h  e  s  n 
J  0  r  i  a n  aufbracht  hab,  auf  7  p.  3000  fl.,  und  di  s  i  1  b  e  r  s  c  h  1  ü  s  1  [sie']  zu  mir 
gnomen  und  in  mein  eisnes  truhelein  gelegt,  do  man  sie  findet. 

Ich  hab  seinen  g.  gelihen  Erharten  Schon  fhur  ein  p  r  u  n  n  e  n  v  i  s  i- 

r u n g den 27 Sept. ' Ifl.  4|6^ 

und  24  ^  trankgelt.  — 

Ich  zalt  Marg.  Pirpowmin  24  Novemb. 8fl. 

von  der  visirung  tranckgelt 24.5) 

Item  ich  zalt  maister  Hainrichn  pildhauern6  dezemb. 6  fl. 

Ich  zalt  im  durch  Mathesn 27.  Janua.  6  fl 

1533»  7.  Januar, 
[f.  45  a.]    Item  mein  gnedigster  herr  CardinalzuTrientistmir  schuldig 

ut  sup.  eh.  26 15fl.  5|24A 

Maistei  Erhartn  Schonfhur  visirung  1  fl.  4|6^,  für roln 40 \ 
mher  M.  Hainrichn  4  fl.,  Seinern  trinkgelt  2  patzen  visirung. 

Juni  1533. 
[f.  62a.]    Item  mir   hat   m.  g.  hr.  C a  r  d  i n a  1   zu   T r  i e n t  etc.  auf  di 
prunnenarbeit  verordnt  und  haben  mir  di  Fucker  zalt  den  26.  Junii   thut  in 
suma  —  auf  mein  Quittung 200  fl. 

Sommer  1533. 
[f.  62b  f.]    Item  sunabent  28  Junii  hat  Pangraz  Lawbnwolf,  rot- 
gisse r,  m. g.  h.  von  T r i e nt  etc.  prunnenin  di  wag  gefhurt,  hat  gewegn 

8  c  72 1  den  c  zu  18  fl.  thut 150  fl.  19  ß  2  h. 

dorauf  zalt  ich  im  des  selben  abents  100  fl.  und  in  di  wag  zu  fhuren  und  wegen 
2|7^. 

[f.  64a.]  Item  den  10  Julii  schickt  ich  den  prunnen  wegk  und 
meinem  g.  herrn  von  T  r  i  e  n  t  und  sein  rechnung,   bleibt  mir  sein  f.  g.  schuldig 

30  fl.  3  I  6  ^. 

1533.  9.  August, 
[f.  68a.]    Sunabent  vigilia  Laurentii,  waren  alle  dingk  lauter  abzalt  /  in  der 
gantzn  stat  /  dann  so  vhil  den  handl  antrift,  und  ich  het  in  vorrat  4  |  0  ^,  und 


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1 18      BEITRiGB    Z.  GBSCHICHTE  D.  KUNST  UND  D.  KONSTHANDWERKS  IN  NÜRNBERG  1582-42. 

mein  wcib  zur  haußirung  in  2  fl.  Allein  was  ich  schuldig  Pangratzn 
Lawbnwolf  rotgiesern.  59  fl.  1  I  7  J5\,  dogegn  warn  mir  schuldig  m.  gi 
herr  von  T  r  i  e  n  t  2C.  30  fl.  3  |  6  ^  und  di  von  Paßaw  50  fl 

1533,  16.  August, 
[f.  69a.]  Item  ich  hab  den  16  augusti  durch  banden  Wilhelmen  Schmidma)rrs 
von  einem  erbern  rot  zu  Paßaw  entphangen  meinen  jarsolt  50  fl.  und  alsbaldt  ant- 
wortn  lasn  Hansn  Menseln  seine  gelihene  25  fl.  und  Pangr.  Lawbnwolff 
auch  25  fl  restat  ich  im  noch  34  fl.  1  /  7  .5).  [am  Rande  ist  das  Wort  „zalt"  bei- 
gefügt.] 

1536. 
[f.  131b.]    s.  0.  u.  Meister  Albrecht. 

Berthold  Peih,  Goldschmied. 
1538,  10.  Januar, 
[f.  173b.]  Item  ich  hab  entphangen»)  2  st.  No.  94.  106.  Thut  30  m  lott  N. 
gwicht.  habe  auch  hi  in  der  schau  gewegn  30  m  4  lot  0  q.  halten  15  lot  3  q  1  ^. 
fein  29  m  14  lot,  q1.5)verkouft  Pertolt  Pelh  goltschmidt  8  fl.  16  ß  thut  p.  66 
+  263  fl.  1  ?.  Thut  zu  66  +  289  fl.  7  ?  geburt  Junckern  Christoffen  für  sein  M^ji  m 
120  fl.  2  h  und  der  rest  Newsessem  thut  169  fl.  5  ß  10  h.  Thut  der  unkost  6  fJ. 

Hans  Platner.'^). 

Okt.  1537. 

[f.  I62a.]  Item  Hanns  Platner  hat  mich  abconterfeth,  und  mein 
mutter  selig  verneuet,  hab  ich  zusamen  in  2  teffelein  verfassen  und  be- 
schlagn  lassen,  dofhur  zalt  ich  Platnem  für  meins  2  fl.  4  |  6  ^  und  für  mein 
mutter  seligen  und  zu  tranckgelt  seinemshun4|6^. 

[Hierzu  Randbemerkung  Christian')  Scheurls:  „NB.  Diße  beedte  täffelein  hab 
ich  D.  J.  S.  { ?)  Christian  Scheurl  1638  im  hauß  der  Scheurl  zu  verbleiben  gestifftet."]»') 

Erhart  Schön. 

[f.  26a,  45  a:  s.  0.  b.  Pankraz  Labenwolf.] 


35)  Als  Anteil  an  der  Bergwerksausbeute. 

36)  Vgl.  Hampe,  Nümb.  Ratsverlässe  I,  S.  202  Anm.  1,  Nr.  1323,  1872  und  2979,  die  Nach- 
weise  Mummenhoffs  in  den  Mitt.  d.  V.  f.  Gesch.  d.  St.  Nbg.  H.  10,  S.  63  Anm. 

37)  Von  den  erwähnten  beiden  Bildnissen  wird  das  der  Mutter,  der  Helena  Christoph  Scheurl, 
geb.  Tucher  (1462-1516),  ein  44,5  cm  hohes  und  30,5  cm  breites  Holztafelbild,  dat.  1491»  noch 
heute  im  v.  ScheurKschen  Hause  hier,  Burgstraße  10,  aufbewahrt.  Die  Dargestellte  erscheint 
mit  gelöst  herabwallenden  Haaren,  welche  durch  einen  Perlenkranz  zusammengehalten  werden 
und  in  graugrünem  gemustertem  Gewände  (Dr.  Fr.  Tr.  Schulz  im  Katalog  der  histor.  Ausstell, 
der  Stadt  Nürnberg  auf  der  Jubiläums-Landes-Ausstellung  Nürnberg  1906  unter  Nr.  198,  S.  77). 
Auf  der  Rückseite  der  Tafel  unten  ist  ein  Pergamentstreifen  aufgeklebt  mit  dieser  Aufschrift: 

„Helena  Tucherin  nascitur  posthuma  24  Julii  1462  uxor  Christ  Scheurls. 2  Aug.  1480  Istum 
parit  11  Novemb.  I48l.  amatque  ardentiß.  moritur  7  Junii  1516.  vixit  ann.  53-  Mens.  X.  dies: 
4  An.  1491.  Actati  29. 

1537  Ließ  Christ:  Scheurl  Dtr.  dißer  alß  seiner  1.  Mutter  sei.  Ck)nterfei  Durch  Hans  Plattner 
mahler  vemeuem  vnd  Christian  Scheurl  bedte  1638  ingleichen  durch  Leonh.  . .  .  erle.  (?)'* 

Den  letzten  Namen  vermag  ich  mit  Sicherheit  nicht  zu  entziffern.  Vielleicht  Leonh. 
Heberle  (1584—1656)  ?  Über  den  Verbleib  des  entsprechenden  Bildnisses  von  Dr.  Christoph 
Scheurl  hat  sich  bis  jetzt  nichts  in  Erfahrung  bringen  lassea 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


119 


Virgil  Solls  d.  L 

[f.  226b:  s.  0.  b.  Melchior  Baier,  Sept.  1540.] 

Niklas  Stör»''),  Maler 
1532,  18.  Sept. 
[f.  35a.]    Mir  schanckt  mein  maier  Nicklas  Stör  ein  schwarz  ein- 
gepunden  wappenpuch  den  18  Sept.  im  wert  1  fl. 

(Lorenz)  Trunck^),  Goldschmied 
1538. 
[f.  173b.]    s.  o.  b.  Melchior  Baier  [1538,  9.  Jan.]. 

[f.  177a.]  Freitag  17  Maii  kouft  ich  von  Trunck  goltschmidt,  meinem 
w e i b  ein  schmale  sammate  beschlagne  gurtl,  wigt  das  ubergult 
beschlech  l4Va  lot.  Thut  alles  grob  gelt 16  fl. 

Wolf  Ulpeck,  Münzmeister  zu  Schwabach  (1528— 63)  *<>). 
März  1538. 
[f.  175b.]     Item  der  kinder  86  m  12  lot.    Sein  verkouft  19  Apl.  Wolfen 
Vlpeckn  muntzmaistem  zu.Schwobach  p.  17  ß.  Thut  820  fl.  2  ß  0  h.  Thut  Newsessers 
Vio  82  fl.O  /  2  h.  der  kinder  unkost  S^ji  ß  rest  inen  dise  liberung  Reminiscene 

737  fl.  13  ß  4  h. 

Peter  Vischer. 
[Aug.  1532.] 
[f.  6a.]    Als  mir  hivhor  6  messen  leuchterrorn  an  di  wendt  vhon  Peter 
Fischers  testament  geschankt  sein (s.  0.  b.  Pankraz  Labenwolf.) 

Michel  Wolgemuts  Frau. 
[1532,  21.  April] 
In  der  Reihe  der  Nachbarsleute,  denen  Dr.  Scheurl  an  dem  Sonntag  Jubilate, 
da  der  kleine  Jörg  Scheurl  „aus  der  wester"*^)  gebadet  wird,  Met,  Wein  u.  Brot 
ins  Haus  schickt,  ist  auch  der  Name  der  „Malerin  W  0 1  g  m  u  1 1  i  n"  mitauf- 
geführt. 

1532. 

[f.  39a.]    Ich  bin  schuldig  worden  me)mem  schwoger  Asmus  Futtrer**) 

fhur56abconterphet    houptleut3fl.  I8ß.  — 


38)  Vgl.  Hampe,  Ratsverlässe  I,  S.  454,  Anm.  2. 

39)  Vgl.  Nürnberger  Ratsverlässe  1,  S.  245,  Anm.  2. 

40)  Über  Ulpeck  vgl.  Gebert  in  der  Festschrift  hrsgg.  vom  „Verein  f.  Münzkunde  in  Nürn- 
berg".    Nbg.  1907,  S.  18,  31  und  32. 

41)  Bad,  das  den  Allerkleinsten  herkömmlicherweise  am  dritten  Tage  nach  der  Geburt 
mit  einer  gewissen  Feierlichkeit  bereitet  wurde.  Eine  befriedigende  Erklärung  des  Wortes  und 
Begriffs  sucht  man  auch  bei  Schmeller  (11,  1043  i)  vergeblich.  In  Ergänzung  der  Anmerkung  23, 
Mitteilungen  des  German.  Nationalmus.  1906,  S.  98  (zu  „Westerhaube")  mögen  noch  diese  Nach- 
weise Platz  finden:  Vilmar,  Idiotikon  von  Kurhessen  (1868),  Neue  Ausg.,  Marburg  und  Leipzig 
1883,  S.  450  f.;  Herm.  v.  Pfister,  Mundartl.  und  stammheitl.  Nachträge  zu  Vilmars  Idiotikon  von 
Hessen.  Marburg  1886,  S.  334  und  Herwig,  Idiotismen  aus  Thüringen  [aus  der  „Vogtei**  bei  Mühl- 
hausen i.Thür.],  Jahresbericht  desstädt.  Realgymnas.  zu  Eisleben  1893  (Programm  Nr.  263),  S.  31. 

42)  Erasmus  Fütterer  (f  1551),  Bruder  von  Dr.  Scheurls  Frau  Katharina. 


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120 


BEITRÄGE  Z.  GESCHICHTE  D.  KUNST  UND  D.  KUNSTHANDWERKS  IN  NÜRNBERG  r.32-42 


1533. 
[f.  48b.]    Ich  schanckt  m.  g.  herm  herzog  Jorgn  zu  Sachsn  2C.  eingepunden 
etwovyl  contrafetter  pildnus  groser  herrn  und  houptleut  zu 
Maylandt*»).  

1532. 
[f.  14a.]  Sunabent  den  20.  Julii  schanckt  Johann  Puchner,  burger  aufm 
Annaperg,  meinem  shun  Jörgen,  einen  silbren  lustgroschen,  dorauf 
der  khuß  Jude  und  der  grus  Joab  künstlich  geprecht  sthin,  wigt  im  wert,  18 
Sil.  g.  mit  wünschung  das  ine  der  herr  got  dovhor  behüten  solt,  den  wil  ich  im  auf- 
behalten und  verwarn,  domit  er  im  bleib  und  er  den  fhindet. 

1533.  (1529.) 
[f.  55b.]    Hanns  Schnot  schankt  im  [dem  einjährigen  Söhnlein  Doctor  Christofs, 
Jörg  Scheurl] ainen  peutpfennig,  mit  der  Überschrift,  des  türken 
belagerung  der  stat  Wien,  den  24  Septembris.  1529. 

Juli  1533. 
[f.  63b.]   Sunabent.  5  Julii.  schanckt  mir  mein  g.  herr  pischof  Jacob  zu  Bres- 
lau 2C.  ainen  tripelducaten  seiner  gnaden  pildnus thut 

3  ungrisch  fl.**) 

Juli  1533. 
[f.  64b  u.  68a  siehe  oben  unter  Mathes  Gebel. 

November  1533. 
[f.  73b.]    Item  mein  bruderlicher  freundt  Jörg  Neusesser  hat  den  7  Novemb. 
meinem  shun  Jörgen  zu  seiner   gedechtnus  geschanckt,    ein  schone  erzstufn  und 


43)  An  sich  liegt  es  außerordentlich  nahe  an  die  Porträtgalerie  des  bekannten  Italien.  Huma- 
nisten Paolo  Giovio  (Jovius,  1483-1552)  zu  denken.  Vgl.  Eugene  Müntz,  „Le  mus6e  de  portraits 
de  Paul  Jove",  in  deutscher  Übersetzung  u.  d.  T.  „Die  Porträtsammlung  des  Paulus  Jovius"  in 
der  Zeitschr.  f.  Bücherfreunde,  Vlll.  Jahrg.  1904/05,  S.  120-127;  Alfred  Hagelstange,  „Eine 
Folge  von  Holzschnitt- Porträts  der  Visconti  von  Mailand";  Mitteil,  des  German.  Nationalmus., 
Jahrg.  1904,  S.  85-100;  Franz  Servaes,  „Versunkene  Kunstschätze";  Neue  Freie  Presse,  Wien, 
1905,  Nr.  14508  V.  13.  Januar. 

Die  allgemeine  Anschauung  aber  erblickt  die  erste  und  älteste  Reproduktion  der  Porträt- 
galerie in  den  (immerhin  nur  eine  Abteilung  des  gesamten  Bildervorrats,  nämlich  die  „Kriegs- 
männer", wiedergebenden)  Holzschnittillustrationen  zu  den  von  Robert  Estienne  in  Paris  ver- 
egten  „Vitae  duodecim  vicecomitum  Mediolani  principum"  des  Jovius.  Diese  „vitae"  sind  tatsächlich 
erst  1549  erschienen  und  eine  Briefstelle  Giovios  v.  14.  Sept.  1548  (Müntz  a.  a.  O.  S.  123  und  Hagel- 
stange S.  87):  „E  volesse  Dio,  che  di  questa  maniera  si  potessero  intagliare  tutte  le  immagini,  che 
io  tengo  al  Museo,  almanco  quelle  d'egli  nomini  famosi  in  guerra"  scheint  allerdings  die  Annahme 
einer  früheren  Ausgabe  von  Reproduktionen  nicht  zu  gestatten. 

44)  Bischof  Jakob  von  Salza  zu  Breslau  [1520—39]  an  Dr.  Christof  Scheurl,  Akten  des 
Scheurl- Archivs  Vd,  1533,  23.  Junii:  „Eur  hausfraun  schicken  wir  hiebei  zu  unserer  gedechtnus 
ein  gülden  nomisma  oder  conterfei  unseres  antlitz,  dorin  ir  wol  spuren  werdt,  ob 
sichs  deme,  jene  zeit  zu  Bononien  vergleicht,  und  was  vor  ein  differenz  zwuschen  der  Jugend  und 
alter  ist".    (S.  a.  Knod,  Deutsche  Studenten  in  Bologna,  1899,  S.  476  und  Nr.  3237.) 

Eine  Porträtmedaille  des  Bischofs  Jakob  v.  Breslau  aus  demselben  Jahre  1533  ist  nicht 
bekannt.  Dagegen  wird  bei  Saurma,  Schles.  Münzen  und  Medaillen  unter  Nr.  17  eine  goldne  Por- 
trätmedaille Jakobs  V.  Salza  v.  J.  1531  angeführt,  von  der  Chr.  Scheurl  allenfalls  1533  ein  Exemplar 
erhalten  haben  konnte. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


121 


etlich  rot^ulden  stuf  lein,  gedigen  Silber,  aus  der  ainikeit,  und  2silbren  g.  konig 
Ludwigs  und  kongin  Maria  pildnus  und  dann  graffen  Steffan 
und  grafen  Lorentzn  Schlicken  pildnus  im  wert 10  fl. 

Dezember  1533- 
[f.  73b.]    Item  mir  hat  herr  Christof  Kreß  den  7.  decemb.  geschenckt 
sein  silbrene  pildnu s**). 

Oktober  1535. 
[f.  108a.]    Item  domaln  hat  auch  Jörg  Neusesser  meinem  weib  und  shun 
Christofn,  seiner  gevattern  und  poten  über  den  gülden  groschen  Sa  mari- 
taner g.  histori  im  wert  12V»  fl-  geschenckt  ein  lustig  kunstlich  verdeckt 
silbergschirr,  dorauf   Herodiadis   histori   gestempft   und 

geschriben  ist,  wigt  2  m  12  lot  1  q,  acht  ich  di  m.  per  15  fl.  thut 

40  fl.  10  ß  11  h 

1535. 

[f.  109b.]    so  hat  Neusesser  seiner  gevattern  geschenckt  ainen  M  0  y  s  e  s 

undSamaritaner  gülden  schaug.  im  wert  12V«  fl  und  seinem  poten 
Christofen  ein  trinckgeschirr  im  wert  40  fl.  10  ß  11  h. 

Oktober  1537. 
[f.  I6lb  unten.]    mer  schenkt  ich   dem  keiner  zu   Aschaffnburg,   Lenhartn 
Pertzn,  einen  schaugroschen  könig  von  Ungern  und  seinen  ge- 
m  a  h  e  1  im  wert  bei  13  ß. 

Mai  1538. 

[176b.]  Item  auf  montag  nach  Jubilate  13  Maii  hab  ich  entphangen  ein  gut 
stuck  weins  von  Aschafnburg,  do  mit  und  der  gülden  conterfetten  pild- 
nus mein  gnedigsten  herr  Cardinal  zu  Mainz  jc.  mich  dises  jar 
gnediglich  verert  hat**),  gehalten  13  V»  eimer  . Schencket  dem  keiner  zu  Aschafn- 
burg [Lücke  zum  künftigen  Eintragen  des  Namens  Leonhard  Pertz,  s.  0.]  einen 
schaupfenning. 

September  1538.*') 

[f.  I85b.]  Item  als  meine  herm  umb  gemainer  stat  nutz  willen,  die  kayser- 
lichen  purgk,  das  vhesten  und  Thirgaitner  thor  zu  bevhestnen  furgnomen,  und  den 
31.  Julii  zu  fronen  angefangen,  haben  si  den  ersten  stain  legen  lassen,  den  3.  Sep- 
tembris,  zwischen  2.  und  3.  gen  tag  als  zu  3  uhrn  des  halben  segers.  1538.  des 
selb  stain  was  rund,  und  ausgehauen,  wi  etwan  ein  reibstain  und  bedeckt,  worein 
haben  sie  legen  lasen 


45)  Medaille  aus  dem  gleichen  Jahr  1533:  German.  Museum  Nr.  2535.  in  Bronze.  Die- 
selbe in  Silber  ausgeführt  bei  Imhof,  Nümb.  Münzcabinet  1.  T.,  2.  Abt.  (1782):  Sammlung  v.  Kreß 
2202.  Vgl.  nun  auch  Th.  Hampe  in  der  0.  g.  Festschr.,  hrsgg.  v.  „Ver.  f.  Münzk.  in  Nbg."  1907,  S.  44. 

46)  Vgl.  auch  Julius  Cahn,  „Die  Medaillenporträts  des  Kardinals  Albrecht  v.  Mainz,  Markgr. 
V.  Brandenburg**  in:  Studien  aus  Kunst  und  Gesch.,  Friedrich  Schneider  zum  siebzigsten  Geburts- 
tage gewidmet.  Freiburg  i.  Br.,  Herder  1906,  S.  161  - 167,  wo  sich  indes  kaum  eine  Medaille  genannt 
finden  dürfte,  die  der  Scheurl'schen  Notiz  entspräche. 

47)  am  Rande:  „Vesten  pastey**.  Der  Bau  der  Bastei  an  der  Veste  zu  Nürnberg  geschah 
durch  Antonio  di  Vazuni  (Vasani)  in  den  Jahren  1538-1545- 

Hitteilangeii  ans  dem  gemum.  Nationalmuseum.   1906.  16 


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122      BEITRÄGE  Z.GESCflICHrE-D.  KUNST  UND  D.  KÜNSTHANDWERKS  IN  NÜRNBERG  1538-42. 


Medaille  auf  die  Erbauung  der  Bastei  an  der  Burg  zu  Nürnberg  1538  von  Peter  Fldtner. 

Silbrengroschen*'*),  mit  ainem  zwikopfigen  gekrönten  adler,  in  der 
prust  Castilien  und  Osterreich,  dorunter  die  2  Nur[n]berger  wappen,  und  dozwischen 
zu  Unterst  ein  schritt:  fundamentum  salutis  nostre  Christus,  auf  der  andern  saiten: 

Deo  opt.  max. 

S.  p.  q.  N.*^)  muros  arcis,  non  satis  firmos,  ad  sustinendos  hostiles  impe- 
tus,  et  iusta  spatiorum  adiectione,  et  multis  subinde  egestis  ruderib.  a  fundamentis, 
magna  cum  laude,  erexit,  ac  novos  fecit,  Imp.  Carol.  V.  ces.  p.  f.  semp.  Aug.  rege 
Hispan.  Catholico,  Archiduceque^")  Aust.  etc.  et  Ferdinan.  fr.  eius.  rege  item  Rom. 
Hung.  et  Bohem.  Romanique  Imp.  successore  etc.  patrib.  vero  p.  Christof  Tetzelio. 
Leonh.  Tuchero  et  Sebald  Pfinzingo.  ann.  M.  D.  XXX.  VIII.  men.  Aug. 

Item  dinstag  10.  Sept.  haben  meine  herm,  ain  losung  angesezt,  in  gwon* 
licher  form  zu  geben,  zwischen  dannen  und  Walburgis.  1539.  die  schwur  ich  dinstag 
22  octobris  und  zalt  sie. 


Juli  1533. 
[f.  64b.]    Ich  hab  mir  machen  lasen  24  Julii  8  zine  eßschussln,  habn 
gewegen  54 1,  67*  |  p.  1  fl.  thut  8  fl.  5  |  und  kostn  di  woppen  zustechn 
8  zweifer. 


48)  folgt  nun  die  Beschreibung  der  bek.  Medaille  Peter  Flötners  (P.  F.  gez.)  auf  die  Erbauung 
der  Burgmauer  in  Nürnberg  1538.  Vgl.  Domanig,  Peter  Flötner  als  Plastiker  und  Medailleur. 
1895.  S.  A.  a.  d.  16.  Bd.  des  Jahrb.  der  kunsthist.  Samml.  des  allerh.  Kaiserh.,  S.  27,  Nr.  1 ;  Domanig, 
Die  deutsche  Medaille  in  kunst-  und  kulturhist.  Hinsicht.  Wien  1907,  Nr.  78;  G.  v.  Bezold,  Die 
Medaillen  Peter  Flötners  in  der  Festschr.,  hrsgg.  v.  V.  f.  Münzkunde  in  Nürnberg.  Nürnberg 
1907.  S.  3  ff.  und  7. 

49)  -  senatus  populusque  Norimbergensis.  -  Am  Rande  steht:  „Silbren  muntz  in  die 
pastey  vergraben". 

50)  Medaille  selbst:  ARCHIDUCIQ. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN.  123 


März  1534/35. 
[f.  99b.]    Item  fhur  12  silbren  hofbecher  sambt  zweyen  secken  und 
futralen  105  fl.  7  ß. 

[f.  99b.]    Fhur  2  maylendische  irdene  hantpeck,  2  giskandl, 
4  schaln,  2  salzvhaß,  11  teler  mit  Scheurl  und  Futerer  woppen  — 

Q  fl.  0  I  13  ^. 

Oktober  1535. 
[f.  108a.]  Item  domaln  hat  auch  Jörg  Neusesser  meinem  weib  und  shun 
Christofn  seiner  gevattem  und  poten")  über  den  gülden  groschen,  Samaritaner  g. 
histori  im  wert  12 V2  fl.  geschenkt  ein  lustig  kunstlich  verdeckt  silbergschirr 
dorauf  Herodiadis  histori  gestempft  und  geschriben  ist,  wigt  2  m  11  lot  1  q  ach 
ch  di  m  p.  15  fl.  thut 40fl.  lOßll  h. 

1541,  4.  August., 
[f.  236b.]  Item  herr  Albrecht  cardinal  ertzpischot  und  kur- 
für s  t  z  u  M  a  i  n  z  2C.  hat  mir  Hansen  Eberhawsen  secretarien  zuschreiben  lasen, 
sein  churf.  g.  hab  mein  erpiten  zu  gnedigen  gefallen  angnomen,  wol  mein  frummer 
gast  sein,  ist  also  vhon  Regnspurg  dinstag  2  zu  uns  ein  und  donerstag  4  augusti 
wider  wegkzogen,  hat  vereret  und  zur  letz  gelasen .  mir  für  mein  person  ein  art- 
lich bedeckt  ubergult  trinckgschirlein.  wigt  im  10  lot  2  q 
2  ^  im  wert. 


1533. 
Martins. 

[f.  52a.]  7  Item  mein  liebste  mhum  Appolonia  Tucherin  het  mit  sundern  be- 
girden,  meinen  corallen  rosnkrantz  in  irem  sterben,  am  arm  und  verordnet  mir 
iren  schwarzn  pater  noster,  doran  sie  überaus  gros  petten  erzeugt,  m  i  t 
ainem  helfenpainen  kreutzlein,  so  ir  der  alt  Hanns  Tucher,  v h 0 m 
heyligen  lanndt  pracht  heth,  mher ein  helfenpainen  crucifixtef- 
felein,  das  ir  mutter  meiner  anfrauen  Elizabet  H.  Kreßin  gewesn  was  und  ein 
fazoleth  vhon  irem  weyler,^^)  j^rzu  gab  mir  frau  Katherina  Pyrchamerin  di  neu  eptesin 
vhon  wegen  irer  verstorben  mumen  und  prelatin  frauen  Clara  Pirchamerin  ein 
helfenpainen  todtn  köpf  in  silber  gefast. 

April  1536. 

[f.  129a.]  Ich  hab  meinen  Turckes  ringk  meinem  schwogern  Chri- 
stofn Ploden  zu  Lübeck  zu  verkoufen  zugestelt,  hat  mir  den  verrechnt  umb  12  fl 
und  mit  lennbet^^)  gut  gemacht. 

1541,  4.  August. 

[f.  236b.]  [Von  Kurfürst  Albrecht  von  Mainz  geschenkt:]  der  doctorin 
ein  lustige  scheinliche  ketten  auf  den  neuen  form,  wigt  12 fl.  golt  minus 
[fehlt  eine  Zahl]  fl.  kost  zu  machen- [Lücke]  und  beiden  hausgesinden,  die  ge- 
speist sein,  6  fl.  g.  und  1  fl.  patzn.  benedictus  deus. 

51)  Paten.  Taufpaten. 

52)  Nonnenschleier  vgl.   Schmeller,  Bayer.  Wörterbuch  II,  887. 

53)  Leinwand. 


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124      BEITRÄGE  Z.  GESCHICHTE  D.  KUNST  UND  Ü.  KONSl'HAND WERKS  IN  NÜRNBERG  1682^42. 

1532. 

[f.  6b.]  Ich  hab  zalt  meinem  nachbom  dem  schreyner  vhon  meiner  lieben 
m  u  1 1  e  r  seligen  g  w  a  n  t  k  a  1 1  e  r  n**)  so  mir  in  der  tailung  worden  ist,  klayner 
und  auf  di  welschen  art  lustig,  mit  ainem  f us,  capitell,  zweyen  thurlein, 
verporgen  und  andern  Schubladen  zu  machen,  zusampt  dem  alten  schloß  unnd 
pannten,  erstlich  4  j?  6  ^,  fhur  ainen  Span  oder  scheit  fledren  holz,  mher  2  fl.  4  | 
6  ^,  und  der  maisterin  i  |  6  ^  und  dem  geselln  trankgelt  24  ^,  den  17.  Sep- 
temb.  15)2. 

Mher  zalt  ich  dovhon  zubeschlahtn,  fhur  zway  Schlosser,  panndt  und  ringken 

ifl.  6|9^. 

i533. 
[f.  54a.]  Item  ich  hab  meinen  fladren**)  grosn  kalther  und  14  fl.  geben  fhur 
den  neuen  grosen  kalther  auf  di  welschen  manir,  mit  seuln 
und  oben  mit  dem  umbgangk,  kost  zu  beschlahen  den  8  Julii  —  4V«  fl. 

April  1533. 
[f.  55a.]  Item  meinen  ererbten  grosen  fledren  kalther,  den  mir  der  ver- 
logn  Anthoni  Schlaginhaufn  schreyner  welsch  bekleiden 
solt,  und  er  herrn  Christofn  Tezeln  obristen  tosung  herrn  umb  8  fl.  verkouft,  hab 
ich  widerumb  vhon  im  gelost  und  im  mit  sampt  dem  schabn  und  virnusn  zalt 
29  Martij  thut  in  alles 10  fl. 

März  15  34/35. 
[f.  99b.]    für   sechs    debich    zu    Antorf    mit  Scheurl     und 

Futterer  woppen  und  diselben  mit  schetter  und  ringen  zu  umbneen 

40  tl.  3  I  19  ^. 


Zu  Melchior  Baier. 

Von  Theodor  Hampe. 
In  dem  im  Erscheinen  begriffenen  zweiten  Bande  des  von  Ulrich  Thieme  und 
Felix  Becker  herausgegebenen  „Allgemeinen  Lexikons  der  bildenden  Künstler" 
habe  ich  eingehender  als  es  sonst  bisher  geschehen  ist  über  Leben  und  Werke  des 
von  Neudörfer  gepriesenen  Goldschmieds  Melchior  Baier  gehandelt  und  daselbst 
auch  bereits  sowohl  auf  die  archivalischen  Nachrichten,  die  Heinrich  Heerwagen 
in  den  diesen  Zeilen  vorangehenden  Auszügen  aus  Dr.  Christoph  Scheurls  sogen. 
Schuld-  und  Rechnungsbuche  veröffentlicht  hat,  als  auch  auf  einige  weitere  Notizen 
über  den  Künstler  in  des  Nürnberger  Patriziers  Lienhard  Tucher  (1487—1568)  Aus- 
gabenbuch aus  den  Jahren  1545  bis  1551  kurz  Bezug  genommen.  Ich  gebe  diese 
letzteren  Nachrichten  im  folgenden  in  extenso  wieder,  da  sie,  wenn  sie  auch  nicht 
von  der  Bedeutung  sind  wie  die  genauen  Beschreibungen  Melchior  Baierscher  Arbeiten 
im  Scheurlschen  Buche,  doch  nicht  unwesentlich  zur  Vervollständigung  des  Bildes, 
das  wir  uns  bisher  von  seiner  Tätigkeit  machen  können,  beitragen.  Das  betreffende 
Ausgabenbuch  befindet  sich  im  Freiherrl.  von  Tucherschen  Familienarchive,  aus 

54)  kalter  (ge-halter)  =  Schränk! 

55)  von  Masernholz;  vgl.  Schmeller,  I,  787. 


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VON  HEINRICH  HEERWAGEN. 


125 


dessen  reichen  Beständen  ich  im  Laufe  der  Zeit  noch  mancherlei  Material  zur 
Kunst-  und  Kulturgeschichte  namentlich  des  16.  Jahrqhnderts  zu  veröffentlichen 
hoffe.  Schon  hier  aber  möchte  ich  Herrn  Regierungsrat  Christoph  Freiherrn  von 
Tucher  für  die  außerordentliche  Liberalität,  mit  der  er  mir  in  den  letzten  Jahren 
die  Durchsicht  der  wichtigsten  älteren  Bestände  des  Tucherschen  Archives  gestattete, 
meinen  wärmsten  Dank  zum  Ausdruck  zubringen  nicht  verfehlen. 

Die  Melchior  Baier  betreffenden  Aufzeichnungen  beginnen  im  Jahre  1549 
und  laufen  bis  gegen  den  Schluß  des  Ausgabenbuches  (1551),  das  keinerlei  Pagi- 
nierung aufweist,  fort.  Sehr  zu  bedauern  bleibt,  daß  sich  weder  frühere  noch 
spätere  Ausgabenbücher  Lienhard  Tuchers  erhalten  haben,  die  in  der  Ausführlich- 
keit und  Genauigkeit,  mit  der  sie  geführt  sind,  gewiß  noch  vielfach  willkommenes 
Licht  auf  das  Leben  und  Schaffen  einzelner  Künstler  geworfen  und  vermutlich  auch 
über  die  Tätigkeit  Melchior  Baiers  in  den  letzten  26  Jahren  seines  Lebens,  die 
vorläufig  noch  in  undurchdringliches  Dunkel  gehüllt  sind,  einigen  Aufschluß 
gewährt  haben  würden.  Wie  die  Sachen  liegen,  bleibt  der  Eintrag  Lienhard  Tuchers 
vom  24.  März  1551  der  späteste  quellenmäßige  Beleg  für  die  Ausübung  seiner  Kunst 
durch  unseren  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  erst  im  August  1577  verstorbenen 
Meister. 

Ich  lasse  nunmehr  die  auf  ihn  bezüglichen  Auszüge  folgen: 

„Adi  24  Augusto  [1549]  hab  in  No.  80  [wohl  die  Bezeichnung  des  Fasses], 
in  einem  drotfas,  von  hin  auf  Genff  gesant  1  kistlen,  dorin  ein  schön  clainott,  silb^r 
vergult  mit  einem  deckell,  so  mir  der  Melcher  Pair  hat  gemacht;  das  wigt  2  m 
15  lott  2  q  und  kost,  zu  14  fl  V*  grobe  montz  1  m,  und  24  ^  drinckgelz,  thut 
als 42  fl.  8  ß. 

Mer  für  das  futter  [Futteral]  darzu  bezalt 1  fl.  10  ß. 

Solchs  clainott  soll  von  Lion  gein  Seragossa  gesant  wem  und  von  wegen  meins 
suns  Sixt  dem  Johan  Zypero  zu  Seragossa  geschenckt  wem  für  72  jar  kostgellt, 
das  er  im  48.  jar  [d.  h.  1548]  ist  pei  im  gewest,  und  (itzt)  pey  dem  Luys  Petter 
Vallegir  zu  Valludellit  ist  icz." 


„Adi  2  Hottober  [2.  Oktober  1549]  hab  ich  pey  des  Melcher  Pair,  golt- 
schmydt,  vor  ezlichen  wochen  ein  drinckgeschir  bestellt  von  wegen  meins  suns  Sixt 
in  Speingne  zu  verschencken  von  wegen  eins  kostgeltz;  do  ich  mich  aber  ytzt  ver- 
mudt,  es  werd  mit  gelt  bezalt  werden,  solchs  will  ich  auf  ein  fürpaß  not  behalten. 
Ist  Silber  und  vergült,  wigt  3  m  0  lot  1  q  1  ^  kost,  zu  14  fl.  5  ß  1  m,  und  24  ^ 
drinckgeltz,  mer  für  1  futter  darzu  bezalt  1  '/^  fl  thut  als  .  .  .  fl.  44  'S  5  .5)  6. 
Hat  dem  Petter  Vallegir  gen  Valludullit  soln  geschenckt  werden",  [also  wohl  anstatt 
eines  Kostgelds  für  ein  weiteres  halbes  Jahr.] 


„Adi  18  detto  [18.  November  154  9]  hab  ich  vom  Melcher  Pair,  goldt- 
schmydt,  ein  nyderdrechtig**®)  Silber  vergult  cleinet  mit  einer  deck  kauft,  das  wigt 


56)  Das  Wort  bedeutet  hier  offenbar  soviel  wie  „niedrig**,  „nicht  hoch";  also  war  vielleicht 
eine  flache  Schale  mit  Fuß  im  Gegensatz  zu  Pokalen,  Bechern  und  dergl.  gemeint. 


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126      BEITRÄGE  Z.GE8CHICH1E  D.  KUNST  UND  D.  KUNbTHAND WERKS  IN  NÜRNBERG  15i2-42. 

2  m  13  lot  0  q  3  ^,  i  m  ZU  14  fl.  5  ß,  i  m  mit  grober  montz  zalt,  thut  sambt 

24^  drinckgellt 40  fl.    7  ß 

Mer  za)+  ich  für  ein  futter  [Futteral]  darzu,  kost i  fl.  10  ß 

Suma  42  fl  17  ß." 

„Adi  3  detto  [3.  Dezember  1549]  zalt  ich  Melcher  Pair  von  wopen  in 
Tuch[er]  und  Scheurln  schilt  in  ein  scheum  zu  machen  2  seh.  Davon  im  zalt  fürs 
Silber  15  s.  und  vom  machlon  1V2  fl.  thut  peds 2  fl.  V*'* 

Adi  19  Jullet  [19.  Juli  1550]  hab  ich  in  No.  [Lücke]  ein  kistlen  per  Lion 
auff  Strospurg  zu  eingeschlagen,  darin  1  Silber  vergult  cleinett,  wigt  2  m  13  lot 
0  q  3  ^,  (kost)  zu  14  fl.  7*  ^  ni>  von  Melcher  Pair  kauft.  Das  soll  von  Lion  aus 
weitter  in  Speingne  dem  Luys  Falger  in  ValladoUit  zugesant  und  von  wegen  meins 
suns  Sixt,  den  er  \'«  jar  in  der  kost  gehalten  hat,  dafür  geschenckt  werden;  das 
kost         fl.  40  s.  4 

„Adi  24  marzo  [24.  M  ä  r  z  1  5  5 1]  zalt  ich  dem  Melcher  Pair,  goltschmidt,  für 
9  silbere  vergulte,  aus  und  innen,  auch  an  füessen,  mygollen,  schön  und  sauber 
gemacht:  die  wegen  suma  7  marck  6  s.  1  q.   Die  hab  ich  für  7  m  61ott,  zu  14  fl. 

5  ß  1  m,  par  zalt  mit  patzen  troffener  [?]  in  suma 105  fl.  1  ß  1  ^ 

Mer  zu  trinckgellt  zalt  3  patzen     4  ß. 

Hab  solche  aus  guttem  willen  meiner  lieben  eewiittin*^)  seiligen  geschwisterett 
zu  einer  gedechtnus  ir  jedem  eins  zugeschickt,  von  irn  wegen  zu  gedechtnus  zu 

haben,  nachdem  sie  mit  in  allen  in  gutter  ainigkait  ist  gestanden ;   und  ist 

auff  jeden  mygollen  gestochen,  wems  gehört:  erstlich  eins  herm  Casper  Nützell 
dem  eitern,  mer  eins  der  Schwester  Angnes  Hans  Hegnerin,  eins  der  Urssell  Partolt 
Heldin,  ein  der  Cordulla  Jörg  Heldin,  eins  der  junckfrau  Karittas  Nützlin,  mer 
dergleichen  eins  meinem  lieben  vetter  Anthoni  Tucher  und  eins  der  Ursella  Paullus 
Tucherin  und  2  mygollen  meins  lieben  aiden  Jörgen  Geuder  zweyen  tochtem  mit 
nomen  jf.  Luckrezia  und  Leonnora.  Solche  hat  sie  mir  etzlich  wochen  vor  irem 
abgang  bevolhen  und  gepetten,  ir  jeder  etwas  zu  gedechtnus  von  im  wegen  zu 
geben.  Ausserhalb  der  peden  töchter  hat  sie  mir  gegen  nymandt  ainichen  bevelch 
nit  geben,  noch  waß  derhalb  an  mich  gemudt '* 

Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  sich  nach  den  Beschreibungen|bei  Scheurl 
oder  den  Angaben  Tuchers  noch  die  eine  oder  andere  Goldschmiedearbeit  Melchior 
Balers  —  die  im  Auftrage  Lienhard  Tuchers  gefertigten  Stücke  müßten  außer  dem 
Nürnberger  Beschauzeichen  und  Controllstich  auch  das  aus  M  und  B  bestehende 
Meisterzeichen  Baiers,  wie  es  die  Ordnung  von  1541  verlangte,  tragen  —  etwa  in 
Saragossa,  Valladolid  etc.  nachweisen  lassen  möchte.  In  der  einschlägigen  Literatur 
sind  meine  Nachforschungen  danach  freilich  bisher  noch  vergeblich  gewesen. 

57)  Lienhard  Tuchers  zweite  Frau  Katharina  geb.  Nützel,  mit  der  er  sich  1522  vermählt 
hatte,  war  am  13.  Dezember  1550  gestorben. 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Lorenz  Reinhold  Spitzenpfeil,  Zum  Bauprojekt  des  Petriturmes  In  Kulmbach.  Eine  kultur- 
historische Skizze.  Mit  einem  Vorwort  von  Dr.  Pauljohannes  R6e  und  einem  literarischen 
Anhang.     Kulmbach  1908.     Druck  und  Verlag  von    Rieh.    R  e  h  m. 

Das  Interesse  für  Denkmalpflege  und  Heimatschutz,  durch  Wort  und  Schrift  gefördert, 
beginnt  in  weitere  Kreise  des  Volkes  zu  dringen.  Das  ist  gut  und  löblich,  aber  es  hat  auch  seine 
Kehrseite,  es  kann  sich  ein  Übereifer  im  Konservieren  einstellen,  der  die  Bestrebungen  der  Denk- 
malpfleger diskreditiert  und  der  Denkmalpflege  mehr  schadet  als  nützt. 

Ein  Produkt  solchen  Übereifers,  sicher  in  bestem  Wollen,  aber  mit  ungenügendem  kritischem 
Verständnis  geschrieben,  ist  die  Schrift  von  Spitzenpfeil,  die  sich  mit  dem  Bauprojekt  des 
Petriturmes  in  Kulmbach  beschäftigt.  Es  wäre  kaum  angezeigt,  sie  zu  besprechen,  wenn  sie  nicht 
von  P.  J.  R  6  e  eingeführt  und  von  Konrad  Lange  im  Kunstwart  gelobt  und  in  ihrer  Ten- 
denz unterstützt  worden  wäre.  Wir  sind  leider  schon  dahin  gekommen,  daß  jeder,  der  gegen  eine 
bauliche  Änderung  an  einem  alten  Gebäude  Einspruch  erhebt,  der  Unterstützung  sicher  sein  kann, 
ohne  daß  nach  der  Berechtigung  des  Einspruchs  gefragt  wird. 

Es  ist  nötig,  hier  einmal  einige  prinzipielle  Erörterungen  zu  geben,  es  ist  auch  nötig,  ein- 
mal die  fortwährenden  Verunglimpfungen  der  Kunst  des  19-  Jahrhunderts  abzuweisen 

Was  die  Schrift  Spitzenpfeils  charakterisiert,  ist,  daß  er  durchgehend  mit  Halb- 
wahrheiten operiert  und  aus  ihnen  falsche  Schlüsse  zieht.  Er  beginnt  mit  einigen  allgemeinen 
Bemerkungen  über  die  übertriebene  Sucht,  alte  Bauwerke  zu  restaurieren  und  führt  als  Beleg 
dafür,  daß  sie  noch  nicht  überwunden  ist,  den  Plan,  den  Petriturm  in  Kulmbach  auszubauen  an. 
Er  spricht  seine  Verwunderung  darüber  aus,  daß  dem  angeklagten  Turm  noch  kein  Verteidiger 
erstanden  ist  und  übernimmt  nun  selbst  die  Verteidigung.  Die  Kirche  in  Kulmbach  ist  eine  Hallen- 
kirche mit  hohem  Dach.  Ihr  ist  westlich  ein  Turm  vorgelegt,  dessen  viereckiger  Teil,  in  fünf  Ge- 
schosse gegliedert  noch  unter  der  Höhe  des  Kirchendaches  bleibt.  Auf  diesem  Unterbau  erhebt 
sich  zurückspringend  eine  achteckige  Glockenstube,  die  bis  zum  Dachfirst  reicht  und  darüber 
der  Helm.  Es  ist  nun  die  Absicht,  an  Stelle  dieser  Glockenstube  einen  höheren  Aufbau  des  Turmes 
zu  stezen.  Spitzenpfeil  bekämpft  diesen  Plan  und  tritt  für  die  Erhaltung  des  bestehenden 
Zustandes  ein.  Er  argumentiert  so:  Frühere  Jahrhunderte,  in  welchen  manches  für  die  Kirche 
geschehen  ist  und  in  welchen  manche  würdige  Bauwerke  in  Kulmbach  entstanden  sind,  haben  an 
der  Glockenstube  keinen  Anstoß  genommen.  Die  Kirche  steht  hoch,  sie  braucht  aber  keinen 
hohen  Turm.  Der  Turm  fügt  sich,  so  wie  er  ist,  dem  Stadtbild  gut  ein.  Das  Mißverhältnis 
zwischen  Kirchendach  und  Helm  kommt  nicht  von  allen  Seiten  zur  Geltung.  Die  hohen  Türme 
entstammen  meist  dem  13.  und  14.  Jahrhundert,  im  15. kam  die  Sitte,  hohe  Kirchtürme  zu  errichten, 
mehr  und  mehr  ab.  „Die  beginnende  Renaissance  und  die  Morgenluft  der  Reformation  mögen  die 
innere  Ursache  gewesen  sein,  daß  man  nicht  mehr  in  den  Himmel  hinein  baute,  ja  sogar  manche  Türme 
unvollendet  ließ.  Dann  wäre  die  geringe  Höhe  des  Petriturmes,  diesich  ja  auch  aus  der  örtlichen 
Lage  erklären  läßt,  ein  Zeichen  protestantischen  Geistes,  und  eine  protestantische  Gemeinde  des 
20.  Jahrhunderts— ich  wiederhole  das  —  sollte  erst  recht  keine  Veranlassung  haben,  einen  Zeugen 
jener  Tage  zu  beseitigen.  Für  mich  gibt  es  keine  protestantiche  oder  katholische  Turmform, 
allein  die  auf  Weltflucht  hindeutende  übermäßige  Höhe  eines  Turmes  hat  mit  wahrhaftem  Prote- 
stantismus nichts  zu  tun." 

„Das  zu  Unrecht  ergangene  Urteil  muß  rückgängig  gemacht  werden;  denn  die  dem 
Turme  angedichteten  Mängel  sind  zum  Teil  überhaupt  nicht,  zum  Teil  nur  in  geringem  Maße  vor- 
handen, zum  Teil  entpuppen  sie  sich  bei  gerechter  Würdigung  der  Verhältnisse  als  Vorzüge." 


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128  UTERARISGHB  BESPRECHUNGEN. 

Sehen  wir  nun  den  Turm  an,  so  ist  für  jeden,  der  einigermaßen  mit  den  Proportionen  gotische! 
Bauten  vertraut  ist,  klar,  daß  die  Glockenstube  zu  dem  viereckigen  Unterbau  ebenso  wie  zu  dem 
Kirchenschiff  in  einem  schreienden  Mißverhältnis  steht.  Es  ist  gar  nicht  zu  bezweifehi,  daß  der 
Turm  anders  projektiert  war  und  daß  die  Ausführung  aus  irgend  einem  Grunde,  den  wir  nicht 
kennen,  unterbrochen  und  zu  einem  notdürftigen  Abschluß  gebracht  worden  ist.  Hierin  protestan- 
tischen Geist  erkennen  zu  wollen,  ist  Täuschung.  Man  meide  doch  solche  an  den  Haaren  herbei- 
gezogene kulturhistorische  Beziehungen.  Daß  im  15.  Jahrhundert  die  Sitte,  hohe  Türme  zu  bauen, 
abkam,  ist  eine  neue  Entdeckung.  Ich  war  bisher  der  Meinung,  gerade  in  der  Spätgotik  seien 
Hunderte  von  hohen,  ja  einige  der  allerhöchsten  Türme  wie  die  von  Straßburg,  Antwerpen  und 
Landshut  entstanden,  doch  ich  bin  nicht  rechthaberisch  und  kann  mich  irren.  Darin  irre  ich  mich 
aber  nicht,  daß  ich  behaupte,  die  unschöne  Glockenstube  steht  zu  dem  sonst  stattlichen  Gebäude 
außer  Verhältnis  und  stört  dessen  Harmonie.  Einem  solchen  Einwand  baut  Spitzenpfeil 
mit  der  Behauptung  vor,  der  Turm  fügt  sich  dem  Stadtbild  gut  ein.  Auch  das  ist  eine  grundlose 
Behauptung,  man  fragt,  wenn  man  das  große  Dach  der  hochgelegenen  Kirche  sieht,  unwillkürlich: 
wo  ist  denn  der  Turm.  Man  hat  das  Gefühl,  daß  hier  etwas  fehlt.  Daß  aber  durch  eine  richtig 
proportionierte  Erhöhung  des  Turmes  das  Stadtbild  gefährdet  werde,  ist  nicht  zu  befürchten, 
denn  es  wird  stets  durch  die  Höhe  mit  der  Plassenburg  beherrscht,  und  so  groß,  daß  er  dagegen 
ns  Gewicht  fallen  könnte,  wird  der  Turm  ja  nicht  werden. 

Die  Angelegenheit  ist  eine  Kirchturmfrage  nicht  allein  im  wörtlichen,  sondern  auch  im 
übertragenen  Sinn.  Die  Kulmbacher  mögen  sie  unter  sich  ausmachen,  sollen  aber  weitere  Kreise 
damit  nicht  behelligen.  Es  ist  für  die  Allgemeinheit  sehr  gleichgültig,  ob  der  Turm  erhöht  wird 
oder  nicht,  denn  die  Kirche  ist  schon  seit  lange  so  umgestaltet,  daß  sie  als  historisches  Denkmjvl 
kaum  mehr  in  Betracht  kommt. 

Es  heißt  aber  die  Ziele  der  Denkmalpflege  überspannen,  wenn  man  ausnahmslos  jeden  alten 
Bau  als  historisches  Denkmal  erklären  und  für  alle  Zeiten  in  seinem  Bestand  vom  Jahre  1908  er- 
halten will;  das  liefe  darauf  hinaus,  daß  vom  Beginn  des  20.  Jahrhunderts  an  die  Städte  und 
Dörfer  Deutschlands  mumifiziert  würden.  Ein  solches  Verfahren  würde  in  kurzer  Zeit  eine  Reaktion 
hervorrufen,  welche  die  sorgsam  eingeleiteten  Maßnahmen  zum  Schutze  unserer  Denkmäler  auis 
schwerste  schädigen  würde. 

Die  Denkmalpflege  ist  durchaus  keine  so  einfache  Sache,  sie  hat  nur  zu  oft  zu  entscheiden 
über  zivilisatorische  Interessen,  welche  einander  entgegenstehen  und  welchen  man  nach  beiden 
Seiten  eüie  Berechtigung  icht  absprechen  kann,  und  die  Sachlage  ist,  selbst  wo  der  Denkmal- 
schutz gesetzlich  geregelt  ist,  nicht  immer  so  klar,  daß  eine  unzweifelhafte  Richtschnur  für  die 
Entscheidung  gegeben  ist.  Eine  generelle  Behandlung  nach  einem  bestimmten  Schema  ist  un- 
zulässig. Jeder  Fall  muß  für  sich  geprüft  werden.  Für  Denkmäler  von  historischer  und  künst- 
lerischer Bedeutung  muß  der  sorgsamste  Schutz  und  die  konservativste  Behandlung  verlangt 
werden.     Sie  dürfen  nicht  zum  Spielball  künstlerischer  Launen  werden. 

Diese  Erkenntnis  darf  als  das  feststehende,  als  das  bleibende  Resultat  der  Erwägungen  und 
Erörterungen  über  den  Denkmalschutz  betrachtet  werden.  Noch  ist  sie,  wie  wir  alle  wissen,  nicht 
allgemein  durchgedrungen,  aber  die  Pietät  gegen  die  Denkmäler  unserer  Vorzeit  ist  doch  im  Zu- 
nehmen. Soll  diese  Bewegung,  deren  Erstarken  wir  alle  wünschen,  nicht  gehemmt  und  gelähmt 
werden,  so  darf  die  überspannte  Forderung  unbedingten  Schutzes  auch  für  Bauten  von  geringer 
Bedeutung  nicht  erhoben  werden.  Die  Forderungen  des  Tages  können  modifiziert  und  einge- 
schränkt, nicht  aber  aufgehoben  werden.  Versucht  man  dies,  so  werden  sie  sich  Bahn  brechen 
an  Stellen,  wo  man  es  nicht  erwartet  und  nicht  wünschen  darf. 

Sehen  wir  von  den  praktischen  Forderungen  ab,  so  hat  die  Denkmalpflege  wissenschaft- 
liche und  künstlerische  Interessen  zu  wahren  und  in  Einklang  zu  bringen.  Heute  überwiegen  die 
wissenschaftlichen.  Wir  hoffen  und  wünschen,  daß  ihnen  auch  in  Zukunft  ihr  Recht  gewahrt 
bleibe,  aber  wir  haben  keine  Garantie  dafür.  Der  beste  Schutz  ist,  daß  die  Bestätigung  künst- 
lerischer Bestrebungen  nicht  völlig  unterbunden  wird.  An  Bauten,  welche  im  Gebrauch  stehen, 
ist  zu  allen  Zeiten  geändert  worden.  Nicht  nur  aus  praktischen  Gründen,  sondern  auch  aus  ästhe- 
tischen. Früher  nahm  man  daran  gar  keinen  Anstoß;  wir  fragen  mit  Recht,  ob  solche  Eingriffe 
berechtigt  sind  oder  nicht.  Wir  werden  sie  hier  abweisen,  da  beschränken,  dort  zulassen,  aber 
wir  dürfen  sie  nicht  a  priori  in  allen  Fällen  als  unzulässig  erklären.    Es  ist  verkehrt,  zu  glauben, 


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UTERARISCHB  B8SPRECHUN6EN.  129 

das  Alte  sei  schon  als  Altes  zu  schützen  und  der  Erhaltung  wert,  oder  es  sei  in  allen  Fällen  so  schön« 
daß  es  keiner  Verbesserung  mehr  fähig  sei.  In  Kulmbach  ist  eine  solche  sehr  wohl  zu  erreichen 
und  man  kann  dem  Künstler  freie  Hand  lassen,  ohne  daß  historische  oder  ästhetische  Interessen 
verletzt  werden. 

Nun  wird  gesagt,  wenn  gebaut  werden  soll,  so  sei  es  denn,  aber  man  baue  wenigstens  nicht 
in  gotischem,  sondern  in  modernem  Stil 

Zur  Begründung  dieser  Forderung  wird  behauptet,  zu  keiner  (früheren)  Zeit  wußte  man 
etwas  vom  Ausbauen  im  Geist  früherer  Stilepochen.  Auch  diese  Behauptung  ist  in  ihrer  Allge- 
meinheit nicht  richtig.  Man  hat  allerdings  in  früheren  Jahrhunderten  nicht  wie  im  19.  grund- 
sätzlich und  allgemein  Anbauten  und  Ergänzungen  an  alten  Gebäuden  in  deren  Stilformen  aus- 
geführt aber  es  ist  doch  vorgekommen,  und  es  ist  viel  häufiger  vorgekommen,  als  wir  glauben. 
Die  Gotik  war  noch  lange  Kcirhenstil,  als  die  Renaissance  schon  längst  herrschend  war,  des  sind 
viele  Jesuitenkirchen  Zeugnis  und  noch  im  18.  Jahrhundert  wurde  die  Katharinenkirche  in  Frank- 
furt gotisch  gebaut  Ein  fast  vollständiger  Neubau  aus  dem  17.  Jahrhundert  ist  die  Kathedrale  zu 
Orleans.  Die  alte  Kathedrale  aus  dem  späten  13-  und  dem  14.  Jahrhundert  war  1567  von  den  Huge- 
notten großenteils  zerstört  worden,  der  Neubau  wurde  1601  begonnen  und  langsam  weiter  geführt 
Das  oberste  Geschoß  der  Türme  wurde  erst  1790  gebaut.  Der  gotische  Stil  ist  bis  zuletzt  fest- 
gehalten und  die  Formen  in  der  Art  des  15.  Jahrhunderts  sehr  rein.  Der  Bau  selbst  aber  nimmt 
nach  Dimensionen  und  Proportionen  eine  sehr  hohe  Stelle  in  der  gotischen  Kunst  ein. 

Mit  der  Kathedrale  von  Orleans  sind  andere  Ergänzungen  und  Wiederherstellungen  nicht 
zu  vergleichen,  aber  sie  sind  zahlreich,  namentlich  in  Frankreich.  Schon  im  14.  Jahrhundert, 
als  die  höchste  Blütezeit  der  Gotik  schon  vorüber  war,  wurde  in  Lassay  die  teilweise  von  den  Eng- 
ländern zerstörte  Kirche  in  genauem  Anschluß  an  die  erhaltenen  Teile  in  romanischen  Formen 
ergänzt.  Aus  dem  17.  Jahrhundert  haben  wir  eine  ganze  Reihe  von  stilgemäßen  Restau- 
rationen.    Ich  führe  nur  einige  Beispiele  an. 

Im  Beginne  des  17-  Jahrhunderts  wurde  die  Kirche  Saint  fetienne  in  Caen  von  dem  Prior 
Jean  de  Baillehache  in  Stand  gesetzt.  Der  Bau  war  so  verwahrlost  daß  man  erst  daran  dachte» 
di^n  Chor  ganz  abzubrechen.  Die  Arbeiten  wurden  in  dem  Langhaus  begonnen  und  nachdem 
dieses  glücklich  vollendet  war,  faßte  man  Mut  auch  den  Chor  wieder  herzustellen.  Das  Langhaus 
ist  aus  dem  11.  und  12.  Jahrhundert,  eines  der  Hauptbeispiele  der  romanischen  Baukunst  in  de«* 
Normandie,  der  Chor  aus  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  eines  der  wichtigsten  Denkmäler 
der  normannischen  Frühgotik.  Die  Wiederherstellungsarbeiten  sind  mit  der  größten  Genauigkeit 
den  Stilphasen  der  Erbauungszeiten  angepaßt  so  daß  nur  eine  sehr  eindringende,  auf  schriftliche 
Dokumente  begründete  Untersuchung  ihren  Umfang  feststellen  konnte. 

Der  Chor  von  Saint  Nicolas  zu  Contances  ist  um  1620  ganz  im  Stil  der  normannischen  Bauten 
des  13.  Jahrhunderts  erbaut  worden.  Der  Turm  der  Kirche  zu  Lasson  ist  im  Ende  des  16.  Jahr* 
hunderts  erbaut.  Man  hat  ihn  für  sein  Werk  des  13.  gehalten,  bis  man  die  Grabinschrift  des  Pfarrers 
fand,  der  ihn  gebaut  hat.  Im  nördlichen  Flügel  des  Atruims  von  San  Ambrogio  zu  MaUand  sind 
im  17.  Jahrhundert  Restaurationsarbeiten  vorgenommen  worden.  Ich  habe  dieses  Teile  von 
den  alten  erst  unterschieden,  als  ich  zum  dritten  oder  vierten  Male  in  San  Ambrogio  war.  Die 
Turm  von  S.  Matthias  in  Trier  weist  Restaurationen  in  romanischen  Formen  aus  dem  17.  Jahr- 
hundert auf.  Große  Teile  der  Kirche  zu  Andlau  im  Elsaß,  die  im  [dreißigjährigen  Kriege  zerstört 
worden  waren,  sind  in  der  Frühzeit  des  18.  Jahrhunderts  in  rheinisch  romanischen  Formen  auf- 
gebaut worden. 

Die  Beispiele  ließen  sich  leicht  vermehren.  Es  stehen  ihnen  viel  mehr  gegenüber,  welche  im 
Stil  ihrer  eigenen  Zeit  gehalten  sind,  gleichwohl  beweisen  sie  unwiderleglich,  daß  das  Gefühl  für 
die  stilistische  Einheit  eines  Bauwerkes  schon  in  früheren  Zeiten  vorhanden  war.  Und  warum 
sollte  es  auch  nicht  vorhanden  gewesen  sein,  es  ist  doch  natürlich,  ein  Kunstwerk  als  eine  homogene 
Einheit  zu  betrachten.  An  Werken  der  Plastik  und  Malerei,  an  welchen  Ergänzungen  vorgenommen 
werden  dürfen  —  und  sie  müssen  da  vorgenommen  werden,  wo  ein  Werk  nicht  wissenschaftliches 
Studienobjekt  geworden  ist  sondern  künstierischen  Zwecken  zu  dienen  hat  — ,  hält  man  es  für 
selbstverständlich,  daß  sie  sich  dem  Stil  des  Werkes  genau  anzupassen  haben,  man  sollte  ein  gleiches 
Verfahren  bei  Bauwerken  wenigstens  nicht  prinzipiell  abweisen.  Das  Verhältnis  ist  in  der  Archi- 
tektur allerdings  etwas  anders;  wenige  Bauten  sind  so  streng  organisiert  daß  sie  nicht  Anbauten 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1908.  17 


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130 


UTBRARISCHB  BBSPRBCHUN6EN. 


vertrügen,  und  es  ist  gar  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  daß  solche,  trotz  stilistischer  Differenzen,  oft 
mit  großem^Glück  ausgeführt  worden  sind.  Aber  das  ist  niemals  Architektur  im  höchsten  Sinne 
sondern  die  Wirkung  beruht  auf  dem  malerischen  Prinzip  des  Kontrastes. 

Und  damit  kommen  wir  auf  eine  der  Ursachen,  welche  in  unseren  Tagen  zu  der  Forderung 
geführt  haben,  Anbauten  und  Ausbauten  sollen  im  Stil  der  Zeit  ausgeführt  werden.  Eine  malerisch 
fühlende  Zeit,  wie  unsere,  freut  sich  des  Reizes  der  Gegensätze,  eine  streng  architektonisch  fühlende 
wird  an  ihm  nur  mäßige  Befriedigung  finden  und  die  stilistische  Einheit  höher  stellen. 

Was  nun  die  Stilfrage  für  An-  und  Ausbauten  betrifft,  so  muß  ich  leider  bekennen,  daß  ich 
sie  für  eine  untergeordnete  halte.  Mir  kommt  es  nicht  darauf  an,  in  welchem  Stil  gebaut  wird, 
andern  darauf,  daß  schön  gebaut  wird.  Schön  bauen  kann  man  aber  in  jedem  Stil  Man  k.^nn 
auch  in  jedem  Stil  schlecht  bauen,  und  die  A^inung,  ein  Bau  sei  schon  schön,  wenn  er  modern  ist, 
ist  ebenso  verkehrt  als  die,  jede  alte  Hütte  müsse  erhalten  und  jeder  alte  Hosenträger  müsse  in 
ein  Museum  gesteckt  werden. 

Es  wird  mir  nun  entgegengehalten  werden:  schön  bauen  kann  man  in  jedem  Stil, 
doch  nur  in  der  Zeit,  in  welcher  er  entsteht,  nicht  aber  in  späterer  Repristination.  Auch  dieser 
Behauptung  kann  ich  nur  bedingte  Geltung  zuerkennen.  Kein  Einsichtiger  wird  die  Architektur 
des  19.  Jahrhunderts  der  des  12.  oder  13.  gleichstellen,  aber  sie  hat  doch  Bedeutendes  geleistet 
und  die  Wurzeln  der  modernen  Architektur  reichen  viel  weiter  in  das  19.  Jahrhundert  hinein 
als  man  glaubt  Die  Künstler,  welche  den  modernen  Stil  geschaffen  haben,  haben  mit  Ernst  und 
großer  künstlerischer  Kraft  gearbeitet.  Man  wird  ihrem  Wirken  seine  Hochachtung  nicht  ver- 
sagen, man  wird  ihnen  sogar  zu  Gute  halten,  wenn  sie  auf  ihre  Vorgänger  mit  Geringschätzung 
herabblicken.  Aber  das  Recht,  das  ich  dem  schaffenden  Künstler,  der  einseitig  ist  und  einseitig 
sein  muß,  einräume,  bestreite  ich  dem  Kritiker,  dessen  Aufgabe  es  ist,  ohne  Voreingenommenheit 
jeder  künstlerischen  Leistung  gerecht  zu  werden.  Die  Herren  haben  ein  kurzes  Gedächtnis.  Sie 
haben  bereits  vergessen,  daß  sie  mit  derselben  Oberzeugung,  mit  der  sie  heute  die  Moderne  preisen 
vor  zwanzig  und  dreißig  Jahren  die  deutsche  Renaissance  als  die  wahre  nationale  Kunst  begrüßt 
haben.  Was  wir  damals  hörten,  waren  Phrasen  und  was  wir  heute  hören,  sind  Phrasen.  Und  eine 
ganz  verlogene  Phrase  ist  die  von  der  künstlerischen  Impotenz  des  19-  Jahrhunderts  und  die,  die 
Künstler  des  19.  Jahrhunderts  hätten  nicht  aus  ihrem  eigenen,  sondern  aus  dem  Gefühl  früherer 
Zeiten  herausgeschaffen,  oder  nicht  geschaffen,  sondern  kombiniert.  Wer  das  Wesen  der  Baukunst 
nur  in  den  Detailformen  sucht,  der  versteht  nichts  von  Architektur,  wer  sie  aber  auf  ihre  kompo- 
sitorischen Leistungen  ansieht,  wird  auch  im  19.  Jahrhundert  eine  große  Zahl  hochbedeutender 
Werke  finden.  Und  wer  sich  die  Mühe  nimmt,  die  enorme  künstlerische  Arbeit  zu  studieren,  welche 
auf  die  großen  Konkurrenzen  der  letzten  fünfzig  Jahre  verwandt  worden  ist,  der  wird  inne,  daß 
über  alle  Verschiedenheit  des  Details  hinweg  eine  konsequente  Entwicklung  stattgefunden  hat 
Die  Kunst  des  19.  Jahrhunderts  hat  da  und  dort,  namentlich  im  Kirchenbau  archaisiert,  im  ganzen 
war  ihr  Verhältnis  zur  Kunst  früherer  Epochen  wenig  anders  als  das  der  Renaissance'^zur  Antike. 
In  meiner  Jugend  gab  es  noch  sehr  gebildete  Leute,  welche  behaupteten,  die  Renaissance  sei  kein 
Stil,  und  die  Kunst  des  Rococo  wurde  ganz  allgemein  als  Verirrung  und  Unsinn  bezeichnet  ganz 
wie  heute  die  des  19.  Jahrhunderts.  Die  Zeiten  der  Verkennun?  jener  sind  endgültig  vorbei, 
auch  für  die  Kunst  des  19.  Jahrhunderts  wird  der  Tag  kommen,  da  der  Nebelndes  Vorurteils  weicht 
und  man  klar  sehen  wird,  daß  und  was  sie  bleibendes  geschaffen  hat 

Kommen  wir  auf  die  Restaurationen  zurück.  Die  abstrakte  Forderung,  ein  Gebäude  müsse 
in  seinen  ursprünglichen  Zustand  versetzt  werden,  ist  eine  mißverstandene  Folgerung  aus  der 
romantischen  Begeisterung  für  das  Mittelalter.  Was  hier  verwüstet  worden  ist  ist  mir  besser  be- 
kannt als  Vielen,  denn  ich  habe  mehr  Kirchen  analytisch  untersucht  als  die  meisten  Menschen. 
Es  darf  aber  nicht  verkannt  werden,  daß  sehr  viele  Kirchen  in  trostlosem  Zustande  in  das  19.  Jahr, 
hundert  gekommen  sind,  daß  Restaurationen  nicht  zu  vermeiden  waren,  und  neben  vielen  aus- 
sichtslosen und  verfehlten  stehen  auch  nicht  wenige,  welche  in  künstler  seh  und  archäologisch 
tadelloser  Weise  durchgeführt  sind.  Nur  Vorurteil  wird  das  verkennen.  Die  historisch  künst- 
lerische Arbeit  war  nicht  vergebens.  Ob  nun  der  Turm  in  Kulmbach  ausgebaut  wird  oder  nicht 
ob  er  in  modernen  oder  in  gotischen  Formen  gebaut  wird,  ist,  ich  wiederhole  es,  eine  Frage,  über 
welche  sich  weitere  Kreise  nicht  zu  beunruhigen  brauchen.  Das  aber  darf  ausgesprochen  werden : 
Ein  besseres  Verhältnis  zwischen  Turm  und  Kirche  ist  für  einen  Architekten,  der  Gefühl  für  Pro- 


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LTTERARISCHE  BESPRECHUNGEN.  131 

Portionen  hat,  nicht  schwer  zu  erreichen,  und  femer:  Es  gibt  Künstler,  welche  die  historischen 
Formen  so  weit  beherrschen,  daß  sie  mit  ihnen  sicher  künstlerisch  schalten  können.  Fällt  einem 
solchen  die  bescheidene  Aufgabe  zu,  den  Kulmbacher  Turm  auszubauen,  so  dirf  man  getrost  er- 
warten, daß  er  sie  künstlerisch  lösen  wird. 

Meine  Ausführungen  richten  sich  gegen  Extravaganzen  der  Denkmalpflege.  Im  Interesse 
ihrer  gedeihlichen  Entwicklung  möchte  ich  wünschen,  daß  unbedeutende  Fragen,  wie  die  des  Turm- 
baues in  Kulmbach  nicht  zu  häufig  in  so  agitatorischer  Weise  aufgebauscht  werden.  Ich  will  ja 
die  gute  Absicht  des  Herrn  Spitzenpfeil  nicht  bezweifeln,  sollte  er  mir  aber,  was  ich  nicht 
glaube,  sein  Stammbuch  vorlegen,  so  würde  ich  ihm  vielleicht  hineinschreiben:  Ne  sutor  supra 
crepidam.  B  e  z  o  1  d- 


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EIN  SPÄTGOTISCHES  CIBORIUM. 

Von  EDWIN  REDSLOB. 

(Neuerwerbung  des  Jahres  1908.) 
(Mit  1  Tafel.) 

Die  Abteilung  der  kirchlichen  Geräte  des  Germanischen  Nationalmuseums 
wurde  im  laufenden  Jahre  durch  zwei  hervorragende  Werke  vermehrt,  welche 
der  zu  München  versteigerten  Sammlung  Franz  Greb^)  entstammen. 

Die  Herkunft  des  ersten  Stückes,  eines  gotischen  Ciboriums  (K.  G. 
841),  kann  bis  auf  seinen  ursprünglichen  Bestimmungsort,  die  Pfarrkirche  der  am 
Main  gelegenen  unterfränkischen  Stadt  Ochsenfurt,  zarückverfolgt  werden. 
Über  seinen  Meister  läßt  sich  nichts  mehr  ermitteln,  da  beide  am  Rande  des  Fußes 
angebrachte  Merkzeichen  sich  nur  auf  eine  während  des  Spätrenaissance  vorgenom- 
mene Reparatur  beziehen.  Doch  läßt  sich  als  Entstehungszeit  auf  Grund  stilistischer 
Merkmale  die  Periode  der  Spätgotik,  also  der  Zeitraum  um  1500,  mit  voller 
Bestimmtheit  festlegen. 

Das  für  den  Altardienst  zur  Aufnahme  der  Hostie  bestimmte  Gefäß  ist  in  52  cm 
Höhe  als  turmartig  abschließender  Deckelkelch  aus  vergoldetem  Silber  (Gewicht 
1685  g)  gebildet.  Aus  achtpaßförmigem,  mit  gepunzter  Bordüre  umrahmtem  Fuß 
entwickelt  sich  der  achteckige,  verjüngt  aufsteigende  Schaft.  Ehe  er  sich  nach  oben 
zur  Aufnahme  des  Mittelstückes  verbreitert,  wird  er  von  einem  ringförmigen  Wulst 
umfaßt,  dessen  weit  vorspringende  sechs  Knäufe  als  spitzgestellte  Quadrate  ge- 
bildet sind,  um  in  Minuskelschrift  die  Initialen  des  Namens  Jhesus  zu  tragen.  Der 
untere  und  obere  Ansatz  des  Ringes  paßt  sich  achteckig  der  Grundform  des 
Schaftes  an:  die  entstehenden  Rechtecke  sind  unten  abwechselnd  mit  der  Rose  und 
dem  Initial  i,  oben  mit  demselben,  viermal  zwischen  dreipaßförmig  aoschließenden 
Fenstern  wiederkehrenden  Initial  gefüllt.  Die  Verbindung  von  Schaft  und  Ring 
wird  unten  durch  ein  Geflecht  aus  hängenden  Kreuzesblumen,  oben  durch  einen 
zackenbekrönten  Reif  gewonnen. 

Das  eigentliche,  zur  Aufnahme  der  Hostienbüchse  bestimmte  Gefäß  ist  als 
achteckiges  Prisma  gebildet.  Am  Steh-  und  Mündungsrand  zeigt  es  das  auch  am 
Schaftfuß  verwandte  Ornament:  eine  gepunzte  Bordüre  aus  Kreisen,  in  welche 
fünfzackige  Sternchen  eingeschlagen  sind.  Die  einzelnen  Schaftflächen  sind  durch 
Säulen  und  gedrückte  Kielbogen  mit  Krabben  und  Kreuzesblume  nischenförmig 
umrahmt  und  tragen  auf  kleinen  Konsolen,  die  als  Voluten  über  den  Stehrand 
greifen,  acht  gegossene  Relieffiguren.  Als  Hauptdarstellung  steht  in  der^Mitte 
(ohne  Konsole)  Christus  am  Kreuz,  dem  sich,  von  links  nach  rechts  aufgezählt 
folgende  Gestalten  anschließen:  die  klagende  Maria,  Barbara,  Katharina,  Maria 
mit  Kind  2),  Andreas,  Christophorus,  der  klagende  Johannes. 


1)  über  die  Sammlung  Greb  vgl.  Zeitschrift  des  Münchener  Altertumsvereins.  N.  F.  XIII. 
Das  Ciborium  ist  im  Auktionskatalog  der  Kunsthandlung  Helbing,  19O8,  als  Nr.  165  be- 
schrieben und  auf  Tafel  VI  abgebildet. 

2)  Im  Katalog  „die  hg.  Mutter  Anna  mit  der  kleinen  Maria". 


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134  eiN  SPÄTGOTISCHES  CIBORIUM. 


Der  über  dem  Gefäß  in  Form  eines  achteckigen  Spitzhelms  aufsteigende  Deckel 
trägt  als  Bekrönung  auf  profiliertem  Knaufe  das  Kreuz  mit  zwei  weiteren  Figuren: 
auf  der  Vorderseite  den  Gekreuzigten,  auf  der  Rückseite  den  Heiligen  Andreas. 
Die  Vorderseite  des  Kreuzes  ist  durch  Verzierung  der  Balkenenden  mit  Rosetten 
ausgezeichnet,  die  mugelige  Türkise  enthalten. 

Im  Innern  des  mit  einem  Scharnier  versehenen  Aufsatzes  steht  die  runde, 
außen  und  innen  vergoldete  Hostienbüchse.  Diese  zeigt  am  Steh-  und  Mündungs- 
rand eine  mit  dem  Punzen  geschlagene  Bordüre  aus  gleicharmigen  Kreuzen,  zwischen 


Hostienbfichse  des  Ciboriams.    (K.  G.  841.) 

deren  Balken  kleine  dreizackige  Blätter  eingefügt  sind.  Die  Bordüre  des  Deckel- 
randes ist  als  Gitterwerk  aus  quergestellten  Kreuzen  gebildet.  Die  Öse  für  den 
durch  Einkerbungen  verzierten  Tragring  entwickelt  sich  aus  einer  relief artig  auf- 
gesetzten, sechsblätterigen  Rose. 

«  *  « 

Formensprache  und  Arbeitsart  zeigen  den  freien  Stii  der  ausgehenden  Gotik, 
der  ein  klares  Betonen  des  konstruktiven  Aufbaues  und  ein  energisches  Aufstreben 
der  Umrißlinie  verlangt.  Während  die  Ciborien  des  frühen  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts*) noch  keine  selbständige  Form  haben,  indem  «ie  entweder  me  nachträg- 
lich bekrönte  Kelche  oder  wie  überreich  mit  architektonischem  Zierrat  besetzte 
Turmmodelle  aussehen,  hat  unser  Stück  eine  zweckentsprechende,  einfache  und 
eigenartige  Form.  Darin  ist  es  einem  Speisekelch  des  Schweizer  Landesmuseums 
in  Zürich  vom  Ausgang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  verwandt,  der  allerdings 
wesentlich  primitiver  gestaltet  ist.  Das  Ochsenfurter  Ciborium  ist  reicher  verziert 
und  schlanker  durchgebildet. 


3)  Vgl.    Otte,    Handbuch  der  Kirchl.   Kunst- Archäologie.  5-  Aufl.  1883.  S,  238—240. 


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VON  EDWIN  REDSLOB. 


135 


Auf  breitem  Fuß  wächst  der  Schaft  in  elastischer  Verjüngung  zur  Höhe,  der 
Knauf  springt  kräftig  heraus,  die  Silhouette  bekommt  durch  den  straff  zur  Höhe 
schießenden  Spitzhelm  einen  leichten  Abschluß. 

Die  konstruktiv  wichtigsten  Teile  sind  durch  technisch  verschieden  behandelte 
Einzelomamentik  hervorgehoben.  Allerdings  ist  dieser  Zierrat  etwas  primitiv  aus- 
geführt. Die  mit  dem  Punzen  geschlagenen,  umrandenden  Ornamentstreifen  haben, 
zumal  bei  der  Hostienbüchse,  eine  wenig  ausgesprochene,  fast  kleinliche  Form.  Die 
Ziselierung  am  Knauf  verrät  eine  unsicher  zeichnende  Hand.  Am  freiesten  wirken 
die  gegossenen  Kielbogen  und  Figuren  am  Gefäß,  die  offenbar  unter  Benutzung 
vorrätiger  Bleimodelle  gearbeitet  sind.  Daß  zum  mindesten  die  zierlichen  kleinen 
Heiligenfigürchen  für  das  Ciborium  nicht  neu  erfunden  wurden,  läßt  sich  auf  Grund 
bestimmter  Anhaltspunkte  behaupten.  Die  Hände  des  Gekreuzigten  nämlich  mußten 
bis  zur  Hälfte  abgeschnitten  werden,  damit  die  Kreuzesarme  in  die  Umrahmung 
paßten.  Auch  wurde  für  die  Herstellung  der  beiden  weiblichen  Heiligen  dieselbe 
Matrize  benutzt  und  erst  durch  Beifügung  der  Attribute  —  Rad  und  Schwert  für 
Katharina,  Turm  für  Barbara  —  wurden  beide  voneinander  unterschieden. 

Die  Figuren  des  im  Dachknauf  aufgeschraubten  Kreuzes  haben  keine  stili- 
stische Ähnlichkeit  mit  den  schmalen,  engfaltig  gewandeten  Gestalten  des  Mittel- 
stückes. Sie  sind  in  höherem  und  besser  durchgebildetem  Relief  gearbeitet  und 
zeigen  volle,  untersetzte  Formen.  Christus  ist  ohne  Dornenkrone  dargestellt,  er 
neigt  das  Haupt  stark  auf  die  rechte  Schulter,  so  daß  die  Haarlocken  auf  dieser 
Seite  weit  hemiederfallen.  Am  wenigsten  befriedigt  die  Andreasfigur  der  Rück- 
seite Allem  Anschein  nach  war  das  benutzte  Gußmodell  als  Vorbild  zu  einem 
Johannes  der  Kreuzigungsgruppe  gedacht,  denn  der  Heilige  ist  bartlos,  hat  den 
Kopf  schmerzvoll  nach  oben  gewandt  und  beide  Hände  zur  Klage  geöffnet.  Einzig 
durch  Beigabe  der  crux  decussata  ist  er  dann  zum  Andreas  umgebildet  worden. 

Außer  den  beiden  Figuren  zeigt  auch  die  Verzierungsart  der  Kreuzesenden 
die  Merkmale  der  nachgotischen  Entstehung:  die  stark  überfassenden,  außen  rosetten- 
förmig  abschließenden  Kasten  mit  den  mugelig  geschliffenen  Türkisen  entstammen 
dem  siebzehnten  Jahrhundert. 

Aber  wir  haben  neben  stilistischen  Gründen  auch  andere  Anhaltspunkte  für 
die  Annahme  einer  späteren  Überarbeitung  des  Ciboriums.  An  seinem  Fußende 
steht  nämlich  das  Beschauzeichen  der  Stadt  Ochsenfurt  und  die  M  e  i  s  t  er- 


Marken am  Ciborinm.  (K.  G.  841.) 

marke  G  L.  Diese  Marken  können  sich  nicht  auf  die  gotische  Entstehungszeit 
beziehen,  müssen  vielmehr  als  Zeichen  der  Reparatur  angebracht  sein,  da  sie  in 
völlig  übereinstimmender  Form  auf  zwei  im  Besitze  der  Stadt  Ochsenfurt  befind- 
lichen, 1625  datierten  Renaissancepokalen  vorkommen. 


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136  EIN  SPÄTGOTISCHES  CIBORIUM.    VON  EDWIN  REDSLOB. 

Beide  Becher  sind  einander  völlig  je:leich:  aus  Silber  getrieben  und  außen  wie 
innen  feuervergoldet,  zeigen  sie  auf  hohem  Kuppelfuß,  getragen  von  dem  in  Form 
einer  dreihenkeligen  Vase  gebildeten  Schafte,  die  als  Becher  gestaltete,  reich  mit 
Maskarons  in  Rollwerk  verzierte  Cuppa  und  darauf  einen  profilierten  Deckel,  den 
eine  Landsknechtsfigur  mit  dem  Wappen  der  Ochsenfurter  Familie  Röslein  bekrönt. 

Der  auf  Grund  der  Pokale  um  i62S  in  Ochsenfurt  nachweisbare  Goldschmied 
G.  L.  muß  also  im  Auftrag  der  dortigen  Pfarrkirche  das  Ciborium  innerhalb  der 
ersten  Hälfte  des  siebzehnten  Jahrhunderts  repariert  haben.  Seine  Reparatur  hat 
in  Neuvergoldung  des  ganzen  Stückes  und  in  Neuherstellung  der  Deckelbekrönung 
bestanden;  vielleicht  hat  er  auch  die  Rosette  der  Hostienbüchse  angefertigt.  Da 
die  Stadt  Ochsenfurt  in  den  Jahren  1631—1634  unter  den  Kämpfen  des  dreißig- 
jährigen Krieges  stark  zu  leiden  hatte*),  ist  die  Reparatur  möglicherweise  in  den 
dreißiger  Jahren  erfolgt. 

Ob  auch  die  Herstellung  des  Ciboriums  in  Ochsenfurt  erfolgt  war,  läßt 
sich  nicht  mehr  feststellen.  Immerhin  macht  sein  Stilcharakter  wahrscheinlich, 
daß  es  von  einem  in  der  Zeit  um  1500  handwerklich  in  einer  kleineren  Stadt  arbeiten- 
den Goldschmied  herrührt,  dessen  Werk  allerdings  durch  sein  sicheres  Verständnis 
für  eine  architektonische  Gesamtwirkung  erhöhten  Kunstwert  erhält. 

Für  die  Sammlungen  des  Germanischen  Museums  bedeutet  die  Erwerbung 
des  Stückes  auch  aus  gegenständlichem  Interesse  eine  wichtige  Ergänzung:  zu  den 
vorhandenen  fünf  Ciborien  aus  dem  vierzehnten  und  frühen  fünfzehnten  Jahr- 
hundert ^)  gesellt  sich  mit  ihm  ein  Werk,  welches  die  anderen  Stücke  an  Größe  wie 
an  Kostbarkeit  des  Materiales  bedeutend  übertrifft  und  die  freiere  und  leichtere 
Ausgestaltung  des  turmförmigen  Ciboriums  zur  Zeit  der  Spätgotik  veranschaulicht. 


4)  Forster-Götz,   Geographisch- Historisches  Handbuch  von  Bayern,  S.  707. 

5)  Die  drei  wichtigsten  Stücke  sind  bereits  publiziert  Vgl.  Anzeiger  für  Kunde  der  deut- 
schen Vorzeit  XVI,  1869,  S.  130— 135:  A.  Essenwein.  Einige  Ciborien  in  der  Sammlung 
Kirchlicher  Geräte,  und  den  Katalog  der  Kirchlichen  Gerätschaften,  187t,  K.  G.  143,  144  und  147» 
sowie  Tafel  V— VII. 


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J.  C  STEINBACHER. 

Ein  Münchener  Qoldschmied  des  achtzehnten  Jahrhunderts. 

Von  EDWIJ1  REDSLOB. 

(Mit  1  Tafel.) 

A  ußer  dem  Ochsenfurter  Ciborium  erwarb  das  Germanische  Museum  auf  der 
J^  Auktion  Greb  zu  München  ein  zweites  kirchliches  Gerät,  das  sich  diesmal  einem 
bestimmten  Meister  zuweisen  läßt.  Es  handelt  sich  um  eine  Reliquienmonstranz, 
die  zwar  im  Katalog  (Helbing)  als  „Augsburger  Arbeit  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
siebzehnten  Jahrhunderts"  aufgeführt  war,  deren  Marken  aber  bezeugen,  daß  sie 
ein  Werk  des  Münchener  Goldschmiedes  Johann  Christoph  Stein- 
bacher ist. 

Über  diesen  Meister  läßt  sich  ein  reichliches  Nachrichtenmaterial  zusammen- 
stellen, dessen  archivalischen  Teil  wir  einem  in  der  Bibliothek  des  Germanischen 
Nationalmuseums  verwahrten  Manuskript  des  ungedruckten,  in  den  siebziger  Jahren 
des  neunzehnten  Jahrhunderts  angelegten  „Münchener  Goldschmiede- 
buches" des  verstorbenen  Dr.  J  A.  Kuhn  entnehmen. 

Danach  stammt  Stainpacher  aus  Salzburg,  wo  er  bei  Rupert  Höller  Lehrling 
war.  Er  wanderte  nach  München  und  wurde  1719  Meister  der  dortigen  Goldschmiede- 
zunft. Sein  Leben  läßt  sich  von  da  an  auf  Grund  zahlreicher  Einträge  im  Meisterbuch 
bis  zu  seinem  Todestag,  den  19.  Februar  1746,  verfolgen.  Als  seine  Lehrlinge 
werden  genannt:  1730  Joseph  Brichler  aus  Schwäbisch-Gmünd,  1731  Niclas  Stadler, 
1737  Franz  Dilles,  1742  Simon  Desiderius  Hölzl  aus  Freising.  Seine  bedeutendsten 
Schüler  waren  seine  beiden  Stiefsöhne  Joseph  Friedrich  und  Johann 
Benno  Canzler.  (Der  erste  1 743  zünftig.  Von  ihm  sind  u.  a.  die  im  Bayerischen 
Kunstinventar  S.  1040  unter  seinem  und  unter  J.  Benno  Canzlers  Namen  ange- 
führten Arbeiten  der  St.  Michaels-Hofkirche  zu  München  aus  den  Jahren  1769  und 
1771,  sowie  das  Tabernakel  der  St.  Peters- Pfarrkirche  vom  Jahre  1756;  der  zweite 
1745  zünftig,  gest.  1773,  bei  Marc  Rosenberg  unter  Nr.  II61  u.  1162.) 

Auf  Grund  dieser  Angaben  Kuhns,  deren  Richtigkeit  uns  von  dem  Spezial- 
forscher über  die  Geschichte  der  Münchener  Goldschmiedekunst,  Herrn  Max  Franken - 
burger,  München,  bestätigt  wurde,  erscheint  es  gesichert,  daß  nur  ein  Meister 
des  Namens  J.  C.  Steinbacher  anzunehmen  ist,  während  Marc  Rosenberg  einen 
älteren  und  einen  jüngeren  unterscheidet:  Auch  zeigen  die  neun  auf  Grund  der 
Merkzeichen  zusammenstellbaren  Werke  deutlich  das  Stilgepräge  derselben  Zeit  und 
derselben  Meisterhand. 

Marc  Rosenberg  kannte  zwei  Stücke:  die  silbernen  Beschläge  des  Münchener 
Goldschmiedezunft-Buches  und  ein  1746  datiertes,  weißsilbernes  Schildchen  an  dem 
zinnernen  Zunftpokale  der  Kürschner,  beide  im  Nationalmuseum  zuMün- 

Mitteilung^t^n  aus  dem  german.  Nationalniuseuin.    1908.  18 


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138 


J.  C.  STEINBACHER. 


chen.  Die  Urkunde  der  Goldschmiedzunft,  die  außer  den  auf  blauem  Sammt 
angebrachten  Beschlägen  auch  eine  mit  Steinbachers  Marke  gezeichnete  Siegelkapsel 
aufweist,  ist  laut  Mitteilung  der  Direktion  des  Münchener  Nationalmuseums  im 
Jahre  1738  ausgestellt  und  damals  wohl  auch  gebunden  worden.  Zu  den  sehr  ein- 
fach im  strengeren  Stil  des  frühen  Rokoko  gehaltenen  Münchener  Stücken  gesellen 
sich  drei  weitere,  in  den  Kunstdenkmälern  des  Königreichs  Bayern  aufgeführte 
Arbeiten:  in  der  Pfarrkirche  zu  Einsbach  eine  17)2  von  Pfarrer  Franz 
Sales  Schwaiger  gestiftete  Kreuzpartikel  mit  Band  und  Rankenwerk,  Marke  ^^ 
(Reg.  Bez.  Oberbayern,  Unteramt  Dachau,  S.  288),  dazu  in  der  St.  Michaels 
Hofkirche  zu  München  zwei  silberne  Meßkannen  mit  dem  Zeichen  "'s^ 
(Reg.  Bez.  Oberbayern,  Stadt  München,  S.  1040),  und  in  der  Johann  Nepo- 
mukkirche  zu  München*)  eine  silbervergoldete,  mit  Edelsteinen  und 
.Perlen  verzierte  Sonnenmonstranz,  deren  Fuß  die  auf  der  Weltkugel  stehende  Figur 
der  Maria  bildet. 

Außerdem  nennen  wir  auf  Grund  der  Nachrichten  des  Herrn  Max  Franken- 
burger noch  folgende  zwei  Werke :St.  Peterskirche  zu  München:  Kelch, 
silbervergoldet ,  Marke  wie  oben  ^);  München,  Liebfrauenkirche. 
Kelch,  silbervergoldet,  Marke  wie  oben. 

Dieses  Register  können  wir  durch  zwei  weitere  Stücke  vervollständigen.  Das 
erste  ist  die  als  Nr.  173  iiri  Katalog  der  Sammlung  Franz  Greb  abge- 
bildete und  beschriebene  Peliquienmonstranz,  die  dort  unter  dem  Namen  Stein- 
wächter aufgeführt  war  ^).  Das  Stück  zeigt  die  Münchener  Marke  mit  der  Jahres- 
zahl 1741  und  den  Stempel  Steinbachers.  Es  ist  kupfervergoldet  und  mit  silbernen 
Beschlägen  belegt.  Auf  breitem  Sockel,  der  eine  Pergamentmalerei  des  Schmerzens- 
mannes aufnimmt,  erhebt  sich  eine  Kartusche,  die  als  Umrahmung  einer  Reliquie 
des  Heiligen  Longinus  dient. 

Als  letztes  Werk  führen  wir  die  Neuerwerbung  des  Germanischen 
Nationalmuseums  (K.  G.  842)  an,  deren  Bestimmung  auf  und  der  ab- 
gebildeten Marken  erfolgte. 


© 


Marken  der  Reliquienmonstranz     (K.  O.  842.) 

Der  Aufbau  des  Reliquiares  setzt  sich  aus  dem  Sockelpostament  und  zwei 
übereinander  angebrachten  Reliquienbehältern  zusammen.  Der  aus  vergoldetem 
Kupfer  gebildete,  dreiseitige  Sockel  ruht  vorn  auf  zwei  silbervergoldeten  Voluten- 


1)  Kunstdenkmale  S.  1020  ohne  Angabe  der  Marke. 

2)  Ernst  Geiß,    Geschichte  der  Stadtpfarrei   St.  Peter:  an  Joh.  Kristoff  Steinbacher 
wurden  für  zwei  neue  silberne  Kelche  Hl  fl.  bezahlt. 

3)  Das    Reliquiar  befindet  sich  im    Besitze  der  Kunsthandlung    Helbing-München, 
der  wir  für  seine  Einsendung  zu  Vergleichszwecken  verpflichtet  sind. 


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VON  EDWIN  REDSLüß. 


130 


fußen,  hinten  auf  einer  Kugel.  Seine  Frontseite  ist  mit  reichen  Silberbeschlägen 
montiert.  Die  seitlichen  Beschläge  bekleiden  die  abgeflachten,  als  tragende  Voluten 
gebildeten  Kanten  des  Postamentes,  die  dazwischen  ausgespannten  Zierbänder  dienen 
als  Umrahmung  eines  getriebenen  und  ziselierten  Reliefs,  das  vor  reicher  Renais- 
sance-Architektur die  Gefangennahme  Christi  zur  Darstellung  bringt. 

Auf  diesem  Postament  erhebt  sich  ein  kleiner,  in  Form  einer  Dreieckspyra- 
mide gebildeter  Sockel,  der  den  oberen  Aufbau  trägt.  Der  Sockel  wird  verdeckt 
von  der  figürlichen  Hauptdarstellung  des  Reliquiars:  drei  frei  gearbeiteten,  silbernen 
Putten  mit  vergoldeten  Attributen,  Flügeln  und  Gewandteilen.  In  der  Mitte  sitzt, 
beide  Arme  zu  dem  hinter  ihm  befindlichen  herzförmigen  Reliquienschrein  empor- 
hebend, der  Engel  der  Hoffnung  mit  dem  Anker,  zu  seiner  Rechten  schwebt  der 
Engel  des  Glaubens'  mit  erhobenem  Kelche,  zu  seiner  Linken,  das  flammende  Herz 
zur  Höhe  haltend,  der  Engel  der  Liebe. 

Über  den  Putten  steht  das  vergoldete  Herz  Christi,  darüber  ragt,  aus  Flammen 
zwischen  Palmzweigen  und  abflattemden  Bändern  sich  erhebend,  das  silberne,  gold- 
ornamentierte Kreuz  empor.  Das  Herz  trägt  in  der  Mitte  in  silberner  Umrahmung 
eine  kreuzförmige,  mit  Krystall  geschlossene  Öffnung,  die  als  Behälter  der  Reliquie 
bestimmt  ist.  Die  Reliquie  des  zweiten  Behälters  wurde  durch  eine  ähnliche,  dies- 
mal goldgefaßte  Öffnung  sichtbar  gemacht. 

Die  Komposition  entspricht  der  Geschmacksrichtung  des  Rokoko.  Es  ist 
nicht  beabsichtigt,  die  Funktionen  der  Einzelteile  durch  eine  strenge  Gliederung 
des  Aufbaues  zu  veranschaulichen;  vielmehr  soll  durch  eine  elegante  Verbindung 
der  Einzelheiten  die  Konstruktion  möglichst  verhüllt  werden,  damit  das  Gebilde 
um  so  einheitlicher  und  zierlicher  erscheint.  Daher  bleibt  der  Ansatz  des  oberen 
Aufbaues  hinter  den  Engelfiguren  völlig  versteckt;  das  Herz  und  in  gleicher  Weise 
das  über  seinen  Flammen  aufsteigende  Kreuz  sollen  wie  schwebend  erscheinen  zwischen 
beweglichen  Putten,  flatternden  Bändern  und  züngelnden  Flammen. 

Somit  stellt  sich  die  Arbeit  Steinbachers  in  ihrer  temperamentvollen  Leichtig- 
keit als  ein  echtes  Werk  des  frühen  Rokoko  dar,  das  sich  im  München  Max  Emanuels 
und  Karl  Alberts  zu  schneller  Blüte  entfaltet  hatte.  Nach  den  Goldschmieden 
Keßler  und  Oxner,  die  beide  schon  1717  gestorben  waren,  blieb  Steinbacher 
der  bedeutendste  Vertreter  der  Münchener  Zunft.  Als  solcher  ist  er  seinen  Auf- 
trägen nach  auch  gewürdigt  worden.  Außer  für  die  Zünfte  und  für  die  alte  Frauen- 
kirche hat  er  Geräte  für  zwei  besonders  typische  Rokokoaltäre  gearbeitet:  für  den 
Altar  der  1733  von  den  Gebrüdem  Asam*)  erbauten  Johann  Nepomukkirche  und  für 
den  1734  errichteten  Altar  im  neuerweiterten  Chor  der  St.  Peters-Pfarrkirche. 

Seine  Kunstrichtung  wurde  fortgesetzt  von  seinen  beiden  Stiefsöhnen  J.  B. 
und  J.  F.  Ganz  1er,  mit  denen  die  im  17.  Jahrhundert  vorbereitete  Blüte  des 
Münchener  Goldschmiedehandwerks  ihren  Abschluß  fand. 

4)  Vgl.  Ph.  M.   Halm,   Die  Asam. 


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ÜBER  ZWECK  UND  ENTSTEH  UNOSZEIT  DER.  SOGEN. 

PÜSTERICHE 

Von  r.  M.  FCLDHAUS.  Ingenieur  in  PHICDCNAU. 

Bald  nach  Eröffnung  des  Germanischen  Nationalmuseums  stiftete  Kommis- 
sionsrat Gustav  Bertram  aus  Sondershausen  den  Abguß  eines  sogenannten 
Püsterichs,  der  sich  noch  gegenwärtig  in  der  Sammlung  befindet.  Da  das  Original 
dieser  Figur  neuerdings  in  Sondershausen  dem  großen  Publikum  nicht  mehr  zugäng- 
lich ist  und  da  alle  möglichen  Meinungen  über  den  Zweck  derartiger  Figuren  auf- 
getaucht  sind,  so  gebe  ich  hier  auf  Grund  einer  bisher  unbeachtet  gebliebenen  Stelle 
des  Albertus  Magnus  und  einer  andern  bei  Kysser  von  Eichstadt  (1405)  meine 
Ansicht  über  den  Zweck  und  die  Entstehung  dieser  Figuren  wieder. 


Es  hat,  wie  wir  später  noch  sehen  werden,  wahrscheinlich  mehrere  Püsterich- 
figuren  gegeben.  Die  Sondershauser  Figur  wurde  zwischen  1540— 50  in  Schutt 
der  Ruinen  der  Rotenburg  in  einer  verfallenen  Kapelle  aufgefunden.  Sie  stellt  eine 
knieende,  nackte  männliche  Figur  dar,  deren  aufgeblasene  Backen  besonders  auf- 
fallen. Die  Lippen  sind  aufgeworfen,  die  Nase  platt,  die  Haare  zeigen  die  Tracht  des 
13.  Jahrhunderts.    Der  Leib  ist  sehr  stark,  die  Arme  und  Unterschenkel  sehr  schwach. 


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Ober  zweck  ümd  entstehu!iqszeit  der  soo.  püsteriche.  von  m.  feldhaus.     141 

Die  Figur  kniet  auf  dem  linken  Bein,  streckt  das  rechte  Bein  ein  wenig  vor,  hält  die 
rechte  Hand  auf  den  Kopf  und  stützt  die  linke  Hand  auf  das  linke  Knie.  Drei  Finger 
der  rechten  Hand,  ein  Teil  des  linken  Unterarms  und  beide  Füße  fehlen  der  Figur. 
Den  linken  Unterarm  ließ  Kurfürst  Moritz  von  Hessen-Kassel  abschlagen,  um  die 
Metalllegierung,  an  die  sich  die  Sage  geknüpft  hatte,  zu  untersuchen.  Woher  die 
übrigen  Verstümmelungen  rühren,  weiß  man  nicht.  Der  Guß  ist  roh  und  die  ganze 
Figur  infolge  der  vielen  mit  ihr  angestellten  Feuerexperimente  fast  schwarz.  Nach 
der  Untersuchung  von  Klaproth  (Schweiggers  Neues  Journal  der  Chemie, 
1810,  I,  4)  besteht  das  Metall  aus  916  Kupfer,  75  Zinn  und  9  Blei.  Die  Höhe 
mißt  57  cm.  Gewicht  35,35  kg.  Über  den  Ursprung  der  Sondershauser  Figur  ist 
nichts  weiteres  bekannt.  Die  erste  Nachricht  über  sie  gibt  der  Metallurg  Georg 
F  a  b  r  i  c  i  u  s  1561.  Er  sagt,  in  Thüringen  bewahre  man  in  der  Familie  Dutgerode 
(Tütcherode)  ein  gewisses  Idol  aus  Erz,  das  man  in  den  Fundamenten  der  Roten- 
burg in  einem  unterirdischen  Heiligtum  gefunden  habe.  Man  nenne  es  „Pustericius", 
es  habe  die  Statur  eines  Knaben,  der  die  rechte  Hand  ans  rechte  Ohrläppchen, 
die  linke  aufs  linke  Knie  halte.  Innen  sei  sie  hohl  und  wenn  man  sie  mit  Wasser 
fülle  und  mit  Feuer  umgebe,  speie  sie  das  Wasser  unter  großem  Getöse  wie  Flam- 
men über  die  Umstehenden  (et  aqua  repletum  atque  igne  circumdatum,  cum  ingenti 
sonitu,  aquam  illam  in  astantes  instar  flammarum  evomit).  Diese  kurze  Beschreibung 
des  Fabricius  trifft,  wie  wir  noch  sehen  werden,  das  Richtige. 

Nach  Fabricius  haben  bis  heute  über  60  Schriftsteller  sich  mit  dem  Püsterich 
befaßt.  Die  älteren  findet  man  sämtlich  zusammengestellt  in  dem  Buch  von  Martin 
Friedrich  Rabe,  „Der  Püstrich  zu  Sondershausen,  kein  Götzenbild"  (Berlin 
1852).  Rabe  war  pensionierter  Kgl.  Schloßbaumeister  und  Mitglied  der  Akademie 
der  Künste.  Nachdem  er  sich  in  seiner  Schrift  in  204  Seiten  eingehend  über  das 
Aussehen,  die  Auffindung,  den  Namen,  die  Erlebnisse  der  Figur  im  Lauf  der  Jahr- 
hunderte und  über  die  Vermutungen  des  Zwecks  verbreitet  hat,  spricht  er  seiner- 
seits die  Vermutung  aus,  der  Püsterich  sei  ein  Taufbeckenträger  gewesen  und  erst 
später  habe  ihn  jemand  zum  Zwecke  eines  Dampfversuches  angebohrt.  Es  ist  auf- 
fallend, daß  man  sich  in  Sondershausen  heute  an  diese  Vermutung  so  fest  anklammert, 
trotzdem  die  Annahme  kunstgeschichtlich  gar  keine  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat 
(Der  Deutsche,  Sondershausen,  Nr.  209,  233,  1908). 

Die  früheren  Anschauungen,  was  es  mit  dieser  Figur  für  eine  Bewandtnis  habe, 
sind  von  Rabe  genau  zusammengestellt  worden: 

1.  ein  von  christlichen  Geistlichen  gebrauchtes  Schreckbild  zur  Erlangung  reich- 
licher Gaben; 

2.  eine  Gottheit  der  alten  Deutschen; 

3.  ein  Dampfgeschütz  Kaisers  Friedrich  I.  oder  einiger  Raubritter; 

4.  eine  slavische  Gottheit; 

5.  das  Gefäß  eines  Branntweinbrenners  oder  eine  Gießkanne. 

Neuerdings  hat  H.  v.  F  r  e  y  d  0  r  f  in  der  Zeitschrift  für  Kulturgeschichte  den 
Püsterich  zu  einem  Feuersignal  der  Rotenburg  gemacht. 

Am  Ende  dieser  langen  Liste  von  Verwendungsmöglichkeiten  entbehrt  es  gewiß 
nicht  des  Humors,  wenn  ich  sage:  Der  Püsterich  ist  Deutschlands  älteste  Dampf- 
maschine. 


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142  t)BEH  ZWECK  UND  ENTäTEHUNQSZFIT   DER  SOQ.  PÜSTERICHE. 


Der  Beweis  für  meine  Behauptung  liegt  in  einer  Stelle  des  Albertus  Magnus, 
in  seiner  Schrift  „De  meteoris".  Albertus  spricht  von  dem  Erdbeben  und  versucht 
ihre  Wirkung  durch  einen  Apparat  anschaulich  zu  machen.  Diesen  beschreibt  er 
folgendermaßen  (Alberti  Magni  Opera,  Paris,  Band  4,  1890  S.  634  Spalte  2):  Man 
nimmt  ein  starkes  Gefäß  aus  Erz,  das  innen  möglichst  gewölbt  sei  und  obai  eine 
kleine  Öffnung,  und  eine  andere  wenig  größere  im  Bauch  hat,  und  das  Gefäß  habe 
seine  Füße  so,  daß  sein  Bauch  die  Erde  nicht  berührt.  Es  werde  mit  Wasser  gefüllt 
und  nachher  durch  Holz  kräftig  verschlossen  an  jeder  der  beiden  Öffnungen.  Man 
setzt  es  auf  ein  sehr  starkes  Feuer,  dann  entsteht  Dampf  im  Gefäß,  dessen  Kraft 
durch  eine  der  beiden  verschlossenen  Öffnungen  wieder  hervorbricht.  Bricht  sie 
oben  hervor,  so  wirft  sie  das  Wasser  weit  zerstreut  über  die  umliegenden  Stellen  des 
Feuers.  Bricht  sie  unten  hervor,  dann  spritzt  sie  das  Wasser  in  das  Feuer  und 
schleudert  durch  den  Ungestüm  des  Dampfes  Brände  und  Kohlen  und  heiße  Asche 
weit  vom  Feuer  über  die  Umgebung.  Man  nennt  deshalb  auch  ein  solches  Gefäß 
gewöhnlich  „sufflator"  und  pflegt  es  nach  der  Gestalt  eines  blasenden  Mannes  »zu 
formen." 

Die  Kraft  des  gespannten  Dampfes  kannte  Albertus  Magnus  aus  den  klassischen 
Schriften  des  Philon  von  Byzanz,  des  Heron  von  Alexandrien  und  des  Vitruv.  Irgend 
welchen  Anhalt  für  die  Form  eines  Dampfapparates  in  Gestalt  eines  blasenden  Mannes 
haben  wir  jedoch  vor  Albertus  Magnus  nicht.  Soviel  beweist  sich  unzweifelhaft  aus 
der  Stelle  des  Albertus,  daß  man  ähnliche  Figuren  wie  die  Sondershauser  im  13.  Jahr- 
hundert zur  Vornahme  physikalischer  Experimente  kannte. 

Es  lassen  sich  hieraus  aber  auch  die  verschiedenen  älteren  Auffassungen  über 
den  Zweck  des  Püsterichs  erklären,  denn  dem  großen  Haufen  mußte  die  Beschäftigung 
mit  der  Untersuchung  der  Erdbeben  antichristlich  erscheinen.  Fabricius,  der  die 
Stelle  des  Albertus  Magnus  höchstwahrscheinlich  gekannt  hat,  denn  die  Bücher  des 
Albertus  waren  viel  gelesen  und  besonders  für  Mineralogen  und  Metallurgen  von  Wert, 
spielt  mit  dem  Wort  „Idol**  auf  die  gespensterhafte  Verwendung  des  Dampf apparates 
im  Sinne  der  Volkssage  an.  Die  gänzliche  Unkenntnis  der  Naturwissenschaften  bei 
der  großen  Masse  ließ  den  kleinen  Dampfapparat  später  leicht  zu  einem  großen 
Dampfgeschütz  werden.  Daß  man  solche  um  jene  Zeit  kannte,  geht  aus  einer  Stelle 
des  Leonardo  da  Vinci  (Manuskr.  B,  Blatt  33a)  hervor,  wo  aufgezeichnet  wird,  daß 
ein  Ingenieur  mit  dem  Beinamen  Archimedes  ein  solches  Dampf geschütz  baute,  mit 
dem  man  eine  Kugel  von  52  Pfund  auf  etwa  500  m  Entfernung  schießen  könne.  Die 
Annahmen,  daß  es  sich  bei  der  Püsterichfigur  um  einen  Destillierapparat  eines  Brannt- 
weinbrenners oder  um  eine  Gießkanne  handele,  sind  so  albern  und  so  unbegründet, 
daß  wir  hier  nicht  näher  darauf  einzugehen  brauchen.  Ebensowenig  ist  die  An- 
nahme von  V.  Freydorf,  der  Püsterich  sei  ein  Feuersignal  gewesen,  ernst  zu  nehmen, 
denn  aus  einer  daumengroßen  Öffnung  des  Mundes  der  Figur  kann  man  ein  weit- 
sichtbares Signal  überhaupt  nicht  hervorleuchten  lassen. 

Zum  geheimen  Rüstzeug  mittelalteriicher  Ingenieure  gehört  allerdings  ein 
Feuer- Püster,  der,  meines  Wissens  zum  ersten  mal  von  Konrad  Kyeser  von  Eich- 
stätt  in  Cod.  phil.  63  der  Universitäts-Bibliothek  in  Göttingen  im  Jahre  1405  ab- 
gebildet wurde.  Die  Handschriften  mittelalterlicher  Ingenieure  sind  noch  zu  wenig 
erforscht,  um  hier  ein  Urteil  wagen  zu  können,  was  dieser  Feuerbläser  bezweckte. 


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VON  M.  FELDBAUS. 


143 


Tatsache  ist,  daß  die  vielen  von  Kyeser  abhängigen  Handschriften  den  Feuerpüster 
bringen.    Zum  letzten  Mal  kenne  ich  ihn  aus  Cod.  germ.  fol.  94  der  Königlichen 
Bibliothek  in  Berlin  aus  dem  Jahre  1540.    Kyeser  beschreibt  seinen  Püsterich  also: 
Ego  sum  Philoneus  cupreus  argenteus  ipse 
Aereus  seu  terreus,  aureus  vel  fortis  minerae 
Vacuus  non  uro,  sed  repletus  terebintho 
Baccho  vel  ardenti,  corpus  meum  applica  foco 
Nam  calefactus  ego  igneas  emitto  scintillas 
Per  quas  tu  possis  accendere  quamcumque  candelam. 
Die  Vorrichtung  glich  also  im  Prinzip  unseren  heutigen  Lötlampen,  sie  ist 
zum  Anzünden  von  Kerzen  höchst  unbequem. 

Rabe  hat  in  seiner  angeführten  Schrift  den  alten  Vermutungen  —  die  immer 
dadurch  entstanden,  daß  man  eine  genügend  alte  Erklärung  für  den  Zweck  der  Figur 
nicht  hatte  —  eine  neue  hinzugefügt:  der  Püsterich  sei  erst  in  späterer  Zeit  zu  einem 
Dampfbläser  angebohrt  worden,  ehemals  wäre  er  ein  T  a  u  f  b  e  c  k  e  n  t  r  ä  g  e  r  ge- 
wesen.   Hierzu  gibt  Rabe  die  nachstehende  Skizze. 


Dieser  Annahme,  die  neuerdings  wieder  in  dem  Werke  von  G.  L  u  t  z  e  „Aus 
Sondershausens  Vergangenheit"  (1907,  Bd.  2,  S.  90)  vertreten  wird,  widerspricht 
aber  fast  alles.  Zunächst  widerspricht  ihr  die  in  Sondershausen  bisher  nicht  bekannt 
gewesene  Stelle  des  Albertus  Magnus.  Dann  aber  auch  die  künstlerische  Auffassung 
der  Figur  und  endlich  das  vorhandene  Vergleichsmaterial.  Die  Haltung  des  Püsterichs 
ist  entschieden  die  eines  blasenden  Mannes.  Der  dicke  Bauch,  der  kurze  Hals,  die 
aufgeblähten  Backen,  die  glotzenden  Augen  haben  etwas  herausforderndes  und  grotesk- 
komisches. Beine  und  Arme,  abgesehen  von  den  oberen  Teilen  der  Schenkel,  sind 
ganz  nebensächlich  behandelt.  Das  ist  bei  tragenden  Figuren  nicht  der  Fall.  Man 
sieht,  daß  es  dem  Verfertiger  lediglich  auf  die  Schaffung  eines  Hohlraumes  ankam, 
Beine  und  Arme  konnte  er  deshalb  nebensächlich  behandeln.  Taufbeckenträger, 
z.  B.  am  Hildesheimer  Taufbecken,  sind  fein  gegliedert,  neigen  den  Kopf,  um  die 
Last  auf  den  Schultern  aufzunehmen  und  haben  ruhige,  andächtige  Mienen. 

Neuerdings  hat  Dr.  H.  Toepf  er  in  Sondershausen  in  den  Mitteilungen  des 
Vereins  für  Erdkunde  zu  Halle  (1903,  S.  62)  die  Ansicht  ausgesprochen,  die  Püsterich- 
figur  sei  nicht,  wie  Rabe  meint,  einer  von  4  Taufbeckenträgem,  sondern  sie  habe 
ein  einzelnes  Becken  getragen.  Dieser  Auffassung  widerspricht  nun  noch  mehr  als 
der  Auffassung  von  Rabe,  denn  wenn  man  sich  ein  Becken  auf  der  Figur  vorstellt, 


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144  ÜBER  ZWECf  UND  BNTSTEHUN6SZE1T  DER  SOG.  PÜSTERICHE. 

SO  hat  man  unwillkürlich  die  Empfindung,  als  werfe  die  Figur  ihre  Last  mit  einem 
energischen  Ruck  des  Kopfes  hinten  herunter.  Nicht  einmal  wenn  eine  tragende 
Figur  ihren  ganzen  Körper  nach  vorne  übemeigt,  wirft  sie  den  Kopf  dabei  zurück, 
viel  weniger,  wenn  sie,  wie  die  Sondershauser  Figur,  aufrecht  kniet. 

Es  wird  also  gegen  die  Stelle  des  Albertus  Magnus  im  Zusammenhang  mit  der 
Püsterichfigur  nichts  einzuwenden  sein.  Daß  Albertus  von  einer  Figur  spricht,  die 
eine  Öffnung  oben  und  eine  zweite  im  Bauche  hat,  während  der  Sondershauser  Püste- 
rich  eine  Öffnung  oben  und  die  eine  im  Munde  hat,  tut  nichts  zur  Sache.  Es  ist 
gleichgültig,  wo  man  die  Löcher  anbringt.  Vom  technischen  Standpunkte  aus,  ist 
die  Sondershauser  Anordnung  entschieden  die  bessere,  denn  hier  liegen  beide  Öff- 
nungen, aus  denen  die  Pflöcke  herausfahren  können,  im  Dampfraum.  Bei  Albertus 
hingegen  würde  sich  das  zur  Dampfbildung  notwendige  Wasser  —  wie  er  es  ja  auch 
beschreibt  —  zum  größten  Teil  entleeren,  wenn  der  untere  Pflock  herausfahren  würde, 
und  dadurch  würde  sich  das  Experiment  schnell  abkürzen. 

Der  einzige,  einigermaßen  stichhaltige  Grund  zur  Annahme,  der  Püsterich  sei 
kein  Dampfapparat  gewesen,  ist  der,  daß  die  verschiedenen  Versuche,  den  Apparat 
zur  Dampfentwickelung  zu  bringen,  mißlangen.  Der  Apparat  faßt  etwa  8  Liter 
Wasser.  Seine  Heizfläche  ist  infolge  der  Form  äußerst  klein.  Die  Erwärmung  ge- 
staltet sich  noch  ungünstiger  durch  die  verhältnismäßig  große  Abkühlungsfläche, 
zu  der  ja  auch  Beine  und  Arme  hinzuzurechnen  sind.  Der  letzte  Dampfversuch 
mit  der  Figur  wurde  ums  Jahr  1801  angestellt.  Man  füllte  sie  damals  anstatt  mit 
Wasser  mit  Branntwein,  Phosphor,  Schwefel  und  Eisenspänen.  Was  diese  Mischung 
bezwecken  sollte,  ist  nicht  einzusehen.  Auf  jeden  Fall  mußte  bei  ihr,  infolge  der 
geringeren  Dichtigkeit  der  Füllung,  die  Dampfentwickelung  eine  geringere  sein.  Aus 
einer  Schrift  des  Prinzenerziehers,  späteren  Professors  der  Universität  Gießen,  I  m- 
manuel  Weber  „Schediasma  historicum  de  Pustero"  (1723)  geht  hervor,  daß 
die  Dampfentwickelung,  wenn  man  das  Feuer  tüchtig  geschürt  habe,  so  schnell  er- 
folge, daß  die  Pflöcke  sehr  bald  herausgeflogen  seien.  Es  ist  also  auch  heute  ohne 
ein  neues  Experiment  ohne  weiteres  selbstverständlich,  daß  die  8  Liter  Wasser  in 
der  Figur  zur  heftigen  Dampfentwickelung  kommen,  soferti  man  den  unteren  Teil 
mit  einem  genügend  starken  Feuer  umgibt. 

Nachbildungen  des  Sondershauser  Püsterichs  sind  mehreremale  hergestellt 
worden.  Schon  im  Jahre  1591  wünschte  Herzog  Wilhelm  zu  Hessen  vom  Grafen 
Anton  Heinrich  von  Schwarzburg,  „das  Vns  mehrgedachter  F'eusterich  von  E.  L. 
Bevehlhabem  zu  Sondershausen  gefolgtt  Vnd  Vberschicktt  werJen  möge".  In  der 
Regierungszeit  des  Fürsten  Christian  Wilhelm  von  Schwarzburg-Sondershausen 
(1666—1720)  sind  zwei  Nachbildungen  aus  Holz  in  natürlicher  Größe  an  die  Uni- 
versitäten Leipzig  und  Gießen  geschenkt  worden.  Keine  der  beiden  Figuren  ist  dort 
noch  vorhanden.  Dagegen  besitzt  die  Deutsche  Gesellschaft  zur  Erforschung  vater- 
ländischer Geschichte  in  Leipzig  eine  20  cm  hohe  aus  Gips  geformte  und  schwarz 
gestrichene  Püsterichfigur,  wie  solche  im  Jahre  1812  von  Sondershausen  aus  in  den 
Handel  kamen.  1826  wurden  3  Original-Abgüsse  der  Figur  in  Gips  gefertigt.  Einer 
davon  befindet  sich  gegenwärtig  im  Museum  für  heimatliche  Geschichte  und  Alter- 
tumskunde der  Provinz  Sachsen  in  Halle,  der  andere  im  Schlesischen  Museum  zu 
Breslau,  der  dritte  im  Germ.  Museum  in  Nürnberg.    Ein  10  cm  hoher  Bleiabguß  des 


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VON  M.  FELDHAÜS.  145 


Püsterichs  wurde  in  der  in  Sondershausen  erscheinenden  Zeitung  „Der  Deutsche" 
vom  5.  Februar  1906  besprochen.  Aus  dem  15.  Jahrh.  stammen  Püstriche,  die 
im  Louvre  und  im  Museum  Correr  aufbewahrt  werden. 

Eine  Püsterichfigur  in  ganz  anderer  Ausführung  als  die  Sondershauser  besitzt 
das  Wiener  Hof -Museum.  Ihre  Entstehungszeit  bedarf  noch  eingehender  Unter- 
suchungen. Die  bronzene  Figur  stellt  ein  hockendes  Männchen  dar,  das  seine  kleinen 
Beinchen  in  gebogener  Stellung  nach  vorne  hält.  Wiederum  liegt  die  eine  Hand  auf 
dem  Kopf  auf.  Das  Gesicht  ist  nicht  so  häßlich,  wie  bei  der  Sondershausener  Figur, 
der  Ausdruck  ist  vielmehr  ein  lustiger.  Der  Kopf  ist  nach  vorne  ausgestreckt  ge- 
halten und  mit  einem  eigentümlichen,  spitzen  Hut  bekleidet.  (Gewicht  3,3  kg. 
Höhe  23,7  cm.)    Abgebildet  bei:  Schlosser,  Die  Kunst-  und  Wunderkammern. 

Daß  sich  in  der  Kirche  zu  Doberan  in  Mecklenburg  ehemals  ein  Püsterich  be- 
funden habe,  liest  man  bei  Hermes  „Sophiens  Reise  von  Memel  nach  Sachsen"  U 
S.  461,  Leipzig  1770:  „Er  bließ  wie  der  Rüster  in  der  Kirche  zu  Doberan."  Doch 
ergaben  meine  Nachforschungen,  daß  es  sich  in  jener  Stelle  um  eine  jetzt  nicht  mehr 
vorhandene  Grabschrift  handelt,  die  in  der  Kirche  dem  Bälgetreter  Knust  gesetzt 
worden  war: 

Hier  ruhet  Reter  Knust, 
Gott  zu  Ehren  hat  er  gepust 
Bis  er  selbst  den  Rust  bekam 
Und  ihm  Gott  den  Rust  benahm. 

Durch  Grimm's  Wörterbuch  ist  diese  Verwechslung  wohl  in  die  Welt  gekommen, 
denn  dort  stehen  der  Sondershauser  Rüster  und  der  Rüster  Knust  zusammen.  Durch 
Grimm  wurde  ich  aber  auf  ein  Gedicht  aufmerksam,  das  den  echten  Rüsterich  in  die 
klassische  Literatur  brachte.  Als  Goethe  nämlich  von  dem  Geistlichen  Rustkuchen 
heftig  angegriffen  wurde,  schrieb  er  folgende  Verse: 


Rüster,  grobes  deutsches  Wort! 
Niemand  —  wohl  erzogen  — 
Wird  am  reinanständigen  Ort 
Solchem  Wort  gewogen. 

Rusterich,  ein  Götzenbild, 
Gräßlich  anzuschauen. 
Rüstet  über  klar  Gefild 
Wust,  Gestank  und  Grauen. 

Will  der  Rüstrich  nun  gar 
Rfaffenkuchen  pusten. 
Teufelsjungen  —  Küchenschar 
Wird  den  Teich  behusten. 


-oQo- 


MitteiluDgen  aus  dem  Kliman.  Nationalmuseuin.    1906.  19 


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ÜBER  EINE  FORTSETZUNO  VON  NEUDÖRFERS  „NACH- 
RICHTEN« UND  IHREN  MUTMASSLICHEN  VERFASSER,  DEN 
MALER  LEONHARD  HEBERLEIN  (1584—1656). 

Von  Dr.  TH.  HAHPe. 
I 

Schon  verschiedentlich  habe  ich  in  der  letzten  Zeit  auf  eine  Handschrift  hin- 
gewiesen, die  sich  in  dem  im  Germanischen  Museum  deponierten  Freiherr!, 
von  Scheurl'schen  Familienarchive  befindet  und  sich  zum  guten  Teil  als  eine  Art 
Fortsetzung  von  des  alten  Schreib-  und  Rechenmeisters  Johann  Neudörfers  „Nach- 
richten von  nürnbergischen  Künstlern  und  Werkleuten"  darstellt.  Die  betreffende 
Handschrift  ist  ein  Teil  eines  größeren  Konvoluts  und  liegt  uns  hier  leider  nicht  in 
der  ursprünglichen  Niederschrift,  sondern  nur  in  einer  offenbar  höchst  mangelhaften 
Abschrift  vor,  die  namentlich  eine  Reihe  deutlich  erkennbarer  Auslassungen  auf- 
weist. Da  auch  einige  der  übrigen  in  jenem  Konvolut  vereinigten  Stücke  in  Beziehung 
zu  unserer  Handschrift  stehen  und  alle  sich  auf  Kunst  und  Künstler  beziehen,  wie  sie 
denn  wohl  von  einem  Kunstliebhaber  oder  Sammler  der  2.  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts 
zusammengebracht  und  teilweise  vielleicht  sogar  selbst  geschrieben  sind,  so  beginne 
ich  mit  einer  Aufzählung  und  kurzen  Charakterisierung  der  einzelnen  Bestandteile 
des  Konvoluts: 

1.  „Nahmen  berühmter  künstler,  so  von  150  und  mehr  jähren  hero  inn  Nürn- 
berg florirt  haben",  1  Folioblatt  von  einer  Hand  des  beginnenden  17.  Jahrhunderts, 
Aufzählung  von  Künstlern  und  Kunsthandwerkern  zumeist  des  16.  Jahrhunderts, 
beginnend  mit  „Martin  Schön,  mahler",  schließend  mit  „Niclaus  Nutschiteil,  sonst 
Niclaus  auf  der  Seg  genannt,  der  berühmte  conterfey  gemahlt".  Da  dies  Verzeichnis 
teilweise  wörtlich  mit  unserer  späteren  Neudörfer- Fortsetzung  übereinstimmt  — 
wir  kommen  im  einzelnen  darauf  zurück  — ,  so  ist  anzunehmen,  daß  es  dem  Verfasser 
der  Fortsetzung  als  Vorlage  gedient  hat.  Auf  die  fast  gleichlautende  Fassung  der 
Notizen,  die  hier  den  Medailleuren  Bolsterer  und  Deschler,  wie  auch  dem  „alten 
Peter  oder  Adam  Flettner"  gewidmet  sind,  habe  ich  bereits  in  einer  Besprechung 
des  Domanig'schen  Werkes  über  die  deutsche  Medaille^)  hingewiesen.  Ich  glaubte 
aus  dieser  Übereinstimmung  schließen  zu  dürfen,  daß  den  Kunstfreunden  um  1600 
Peter  Flötner  noch  wesentlich  als  Medailleur  und  Kleinplastiker  gegolten  habe. 

2.  „Specification  deß  gantzen  Dürerischen  drucks",  3  Folioblätter  von  der 
in  Nürnberger  Archivalien  des  17.  Jahrhunderts  ungeheuer  häufig  begegnenden 
Hand  des  Paulus  Grundherr  (1611—1664),  der,  seit  16)7  „Registrator  in  der  oberen 

1)  Vgl.   Kunstchronik   N.    F.    XIX   (I907/8)  Sg.   479- 


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ÜBER  EINE  FORTS.  V.  NEÜDÖRFERS  NACHRICHTEN  etc.    VON  DR.  Tfl.  HAMPE.  147 

Registratur"  (des  Rats),  von  1651  ab  „Amtmann  im  Leihhause",  nach  Biedermann*) 
„ein  gelehrter  Herr,  sonderheitlich  aber  in  der  Genealogie  und  Historie  sehr  wohl 
erfahren  gewesen,  wie  er  denn  der  meisten  Nürnbergisch  Adelichen  Geschlechter 
Genealogien  ausgearbeitet  hat",  vgl.  Abb.  1  **).  Das  Verzeichnis  ist  sehr  reich- 
haltig und  bietet  manche  interessante  Benennungen  einzelner  Blätter  in  Dürers 
graphischem  Werk.  Ich  behalte  mir  vor,  demnächst  ausführlicher  darauf  zurückzu- 


Abb.  1.    Probe  der  Schrift  Paulas  Qnindherrs  in  der  Größe  des  Originals 

(vgl.  Nr.  2  des  Scheurlschen  Konvoluts). 

kommen ;  vielleicht  daß  sich  aus  einem  Vergleich  mit  anderen  alten  Manuskriptkata- 
logen auch  ergibt,  ob  Paulus  Grundherr  selbst  dies  Verzeichnis  aufgestellt  oder  ob  er 
lediglich  als  Abschreiber  fungiert  hat.  Das  letztere  ist  zunächst  das  wahrscheinlichere. 


2)  Geschlechtsregister  des  hochadlichen  Patriciats  zu  Nürnberg  Tab.  LXVII. 

2a)  Von  der  gleichen  Hand  befinden  sich  im  Scheurlschen  Familienarchive  (Signatur 
XIV.  F.  26)  genealogisch-biographische  Aufzeichnungen  über  das  nürnbergische  Patriziat  von 
1592—1647-  Der  Schreiber  derselben,  der  hier  zugleich  als  Verfasser  gelten  darf,  gibt  sich 
auf  der  letzten  Seite  des   Faszikels  durch  den  letzten   Eintrag  zu  erkennen,  welcher  lautet: 


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148   ÜBER  EINE  FOBTS.  V.NEÜDÖRFEBS  NACHRICHTEN  ü.  IHREN  VERFASa  HEBERLEIN  1694-166«. 


).  „Verzaichnuß  der  berühmten  arbeiter  und  künstler,  so  Johann  Neudörffer, 
schulmaister,  ao.  1547  soll  zusamen  getragen  haben"  samt  der  „Praefatio  Neudörfferi", 
15  Folioblätter,  gleichfalls  von  Paulus  Grundherr  geschrieben.  Diese  Abschrift  der 
Nachrichten  Neudörfers  ist  etwa  von  der  mittleren  Qualität  jener  Handschriften, 
die  von  Lochner  für  seine  Neudörfer-Ausgabe*)  benuzt  wurden.  Genauer  läßt  sich 
ihr  Wert  und  ihre  Einfügung  in  den  Stammbaum  der  zahlreich  vorhandenen  Neu- 
dörfer-Handschriften nicht  bestimmen,  solange  eine  eigentlich  kritische  Ausgabe 
von  Neudörfers  Nachrichten  noch  nicht  vorliegt,  wie  sie  bei  der  Unsicherheit,  die 
man  dem  Lochnerschen  Wortlaut  gegenüber  empfindet,  zu  einem  immer  dringenderen 
Bedürfnis  wird.  Hat  doch  Lochner  nicht  einmal  zwischen  dem  Text  der  von  ihm 
benutzten  Handschriften  und  Campeschen  Zusätzen  überall  klar  geschieden. 

4.  „Matthis  Quad  von  Kinckelbach  Von  Teutscher  Nation  Herrligkeit.  Cap.: 
Von  den  berühmbtten  künstnem  sonderlich  aber  mahlem  und  kupfferschneidem 
Teutscher  Nation".  Dem  Auszug  aus  dem  genannten  Werke  Matthis  Quads  von 
Kinckelbach  (Cöln,  Wilhelm  Lutzenkirchen,  1609,  S.  425  ff.)  ist  zunächst  eine  „Kurtze 
erzehlung  deß  hochberühmten  Albrecht  Dürers  herkommen  und  ruhmwürdigen 
wercken"  angefügt,  die  in  ihrem  ersten  Teil  auf  Dürers  Familienchronik  zurückgeht 
aber  in  der  dritten  Person  gehalten  ist  und  gelegentlich  auch  ein  paar  Zeilen  aus 
Neudörfers  Nachrichten  einflicht.  Der  mittlere  Teil  scheint  aus  guter  Kenntnis 
der  Werke  Dürers  heraus  einiges  Selbständige  zu  bieten,  während  der  Schluß  wohl 
zum  guten  Teil  aus  einer  Version  der  Compilation  des  Hans  Wilhelm  Kreß  geflossen 
ist,  die  gleichfalls  den  bekannten  ominösen  Brief  an  Tscherte  —  „Extract  eines  Schrei- 
bens de  statu  domestico  Alberti  Düreri  et  morte"  heißt  es  in  unserer  Handschrift  — 
inseriert.  Schließlich  folgt  noch  eine  wertlose  Notiz  über  die  „löbliche  meistersing- 
kunst",  sowie  über  Hans  Sachs  und  seine  Dichtungen.  Dieser  ganze  Teil  unseres 
Konvoluts  umfaßt  vier  Folioblätter  und  ist  gleichfalls  durchweg  von  Paulus  Grund- 
herr geschrieben.  Auf  einzelne  der  Albrecht  Dürer  betreffenden  Nachrichten  wird 
gelegentlich  in  anderem  Zusammenhange  zurückzukommen  sein. 

5.  Quartblatt  mit  einer  Notiz  über  Albrecht  Dürers  Tod  und  der  schon  aus 
Aufzeichnungen  Dr.  Christoph  Scheurls  aus  dessen  Sterbejahre  1542*)  bekannten 
Nachricht,  daß  Dürers  auf  dem  Johannis-Gottesacker  zur  Ruhe  bestatteter  Leich- 
nam „von  den  künstlern  wiederum  außgegraben"  worden  sei,  „sein  angesicht  abzu- 
gießen". Geschrieben  von  einer  Hand  des  17.  Jahrhunderts,  doch  nicht  derjenigen 
des  Paulus  Grundherr. 

6.  „Kunststück  von  Nürnberger  maistern  und  zu  Nürmberg  verfertigt: 

In  arce  regia  Pragae  e  sublimi  pendent  quatuor  candelabra  ex  aurichalco  [Gold- 
bronze] fabricata,  magnitudine  et  opere  illustria,  Senatus  Norimbergensis  ad  Caesa- 
rem  Ferdinandum  honorarium  munus.    P[aulus]  Henznerus,  Itinerarfium  Germa- 


»,1647  4.  Julii  uxor  mea  optima  duicissima  clarißima  Barbara,  filia  Dni  Pauli  Behem,  in 
Christo  piÄ  obiit,  aet.  27**.  Nach  Biedermanns  Geschlechtsregister  Tab.  LXVII  war  die  betr. 
Barbara  die  Gattin  des  oben  genannten  Paulus  Grundherr.  Dieser  Nachweis  ist  Herrn 
Dr.   Heinrich   Heerwagen  zu  verdanken. 

3)  Ouellenschriften  für  Kunstgeschichte  Bd.  X.    Wien,  1875. 

4)  Vgl.  Naumanns  Archiv  für  die  zeichnenden  Künste  IV  (1858)  S.  26. 


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VON  DB.  TH.  HAMPE. 


149 


nia«,  Galliae,  Angliae,  Italiae]  p.  412'^)".    Notiz  auf  einem  Folioblatt  von  der  Hand 
Paul  Grundherrs. 

7.  „Künstler  dießer  Zeit",  jene  Handschrift  oder  jener  Teil  des  Konvoluts, 
der  im  Mittelpunkt  unserer  Betrachtung  steht  und  im  folgenden  Abschnitt  ausführlich 
behandelt  wird.  Verfaßt  nach  einer  bei  „Wolf  Aigen"  (s.  u.)  hinzugefügten  Jahres- 
zahl 1655,  auf  4  Folioblättem  geschrieben  von  Paulus  Grundherr. 

8.  Ein  kurzer  Lebensabriß  des  Malers  Leonhard  Heberlein,  nicht  unmittelbar 
zum  vorhergehenden  Produkt  gehörend;  Folioblatt,  geschrieben  von  P.  Grundherr. 
Vgl.  den  ni.  Abschnitt  dieses  Aufsatzes. 

9.  Abhandlung  über  Nürnberg,  seine  vortreffliche  Verwaltung,  über  die  Blüte 
von  Kunst  und  Kunstgewerbe  daselbst  u.  s.  f.,  eine  Kompilation  aus  den  Werken 
des  Hieronymus  Megiser  (Theatrum  machinarum),  des  Heberus  („in  libro  servit. 
Aegypt."),  Jakob  Bomitius,  Walter  Rivius,  Eobanus  Hesse,  M.  Paul  Rentz  („in 
Güldenen  Handwercksboden"  fol.  149  ff.  und  190),  Konrad  Celtis  und  Bodinus  („lib.  6 
c.  2  de  Republ."),  die  in  dieser  Reihenfolge  exzerpiert  und  zitiert  werden.  2  Folio- 
blätter, von  der  Hand  Paul  Grundherrs  beschrieben. 

10.  „Catalogus  civium  aliorumque  Norimbergae  degentium  aere  lignoque  sculp- 
tarum  imaginum.  Item:  Andere  nürenbergische  Sachen,  die  stat  und  landtschafft 
betreffente.  Nürnbergischer  geschlechter  und  bürger  wappen,  wie  selbige  ietziger 
zeit  von  unterschidlichen  meistern  theils  in  holz  geschniten,  theils  in  kupffer  gestochen 
zur  band  zu  bekommen  sint".  10  Folioblätter.  Von  einer  Hand  des  17.  Jahrhunderts, 
nicht  derjenigen  Paulus  Grundherrs,  geschrieben. 

n. 

Ich  gebe  hier  zunächst  den  Text  unserer  kleinen  Schriftquelle,  d.  h.  der  Nr.  7 
des  vorstehenden  Verzeichnisses  wieder  und  füge  die  nötigsten  Anmerkungen  hinzu: 

„Künstler  dießerZeit: 

1.  «)  Der  alte  Heiden,  so  das  geigenwerck  erfunden''). 

2.  Hannß  Praun  hatt  das  kupffer  auff  die  gülden  arth  wohl  verarbeiten  können 
also  daß  man  unter  dem  guten  und  seiner  arbeit  wenig  unterschied  hatt  finden  können. 
Ist  auch  ein  sonderiicher  künstler  in  den  gegoßenen  spiegeln.®) 

).  Hannß  Weser  ist  ein  guter  glaßschneider  und  hier  der  erste  in  dieser  kunst 
gewest*). 


5)  Nach  Jöcher- Adelungs  Gelehrten- Lexikon  II.  Supplementband  (1787)  Spalte  1929  f. 
hatte  Paul  Hentzner  seine  Reise  von  1596  bis  1600  gemacht.  Die  Reisebeschrclbung,  der  obige 
Notiz  entnommen  is  ,  erschien  zuerst  in  Nürnberg  1612,  eine  2.  Auflage  in  Breslau  1617,  mit 
einigen  Zusätzen  von  anderen  1629. 

6)  Diese  Numerierung  ist  von  mir  hinzugefügt. 

7)  Gulden  Nr.  38  (Edition  Lochner  S.  215)  ähnlich. 

8)  Gulden  Nr.  46  (ed.  Lochner  S.  219)  fast  gleichlautend. 

9)  Ahnlich  Gulden  Nr.  23  (ed.  Lochner  S.  204),  wo  er  richtig  „Weßler"  heisst,  aber  in  der 
Oberschrift  fälschlich  als  Goldschmied  bezeichnet  wird.  Er  gehört  zu  den  zahlreichen  Opfern, 
die  das  große  Sterbejahr  1632  in  Nürnberg  forderte.  Das  33-  Totenbuch  im  Kgl.  Kreisarchiv 
Nürnberg  verzeichnet  auf  Bl.  58  seinen  Tod  zum  9.  Oktober  1632  und  gibt  damit  wohl  den  Tag 
des  Begräbnisses  an.  „Der  ersam  und  kunstreich  Hannß  Weßler,  glaßschneider,  inn  St.  Egidi- 
gaßcn"  wird  er  hier  genannt. 


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150   ÜBER  EINE  FORTS.  V.  NEÜDÖRFERS  NACHRICHTEN  U.  IHREN  VERFASS.  HEBERLEIN  1584-1656. 


4.  Dem  hatt  gefolgt  Georg  Schwanhart  und  sein  söhn  Heinrich,  welche  ihn 
in  der  kunst  weith  übertroffen  haben,  wie  dann  der  vatter  deßwegen 
bey  kayßer  (der  Schluß  dieses  Absatzes  fehlt)*®). 

5.  Peter Zick  und  seine  zween  söhn  seind  künstliche  beintrechßler  gewest,  wie  dann 
der  eine  alß  (Lücke)  die  Rom.  Kayß.  Mt.  Ferdinanden  Tertium  in  dieser  kunst  institu- 
iret  hatt  und  zwey  jähr  lang  sich  deßwegen  am  kayßerlichen  hoff  auffgehalten  hatt  ^')- 

6.  Jacob  Heptner  hatt  dz  geflammte  hobeln  in  holtzarbaiten  erfunden  und 
schöne  arbeit  davon  gemacht'*). 

7.  (Lücke)  Hoffler»  ist  ein  künstlicher  Wappensteinschneider  gewest,  hatt  deß 
königs  Philippi  IH.  in  Spanien  völliges  wappen  in  einen  diamant  geschnidten  ^•). 

8.  (Lücke)  Vogel,  ein  berühmter  instrumentmacher^*). 

9.  Paulus  Juvenell  ist  ein  guter  perspectivmahler  gewest,  hatt  die  großen  stück 
im  schönen  saal  auff  dem  rathhauß  gemacht**). 

(Blatt  1b)  iO.  Georg  Weyer,  auch  ein  guter  mahler,  hatt  die  andern  sachen 
auff  gedachtem  saal  gemahlet*«). 

11.  Michael  Hehr,  ein  guter  mahler  und  conterfähter  *'). 

12.  Dergleichen  (Lücke)  Creutzf eider,  ist  im  conterfaiten  be- 
rühmt gewest*®). 

10)  Bei  Gulden  Nr.  28  (ed.  Lochner  S.  209  f.)  ausführlicher,  doch  das  Gesperrtgedruckte 
hier  wie  im  folgenden  nicht  bei  Gulden.  Das  Fehlende  ist  nach  Doppelmayr  S.  232  etwa  dahin 
zu  ergänzen,  daß  der  Vater  Georg  Schwanhardt  d.  ä.  wegen  seiner  Kunst  bei  Kaiser  Ferdinand  III. 
in  großer  Gunst  stehe.  1652  ging  der  ältere  Georg  Schw.  nach  Prag,  1653  ist  er  in  Regensburg, 
„allwo  erstgedachter  Kayser  sich  in  Diamant-relsen  von  ihm  informieren  lies".  Von  dem  jüngeren 
Georg  Schw.,  den  Gulden  gleichfalls  erwähnt,  ist  in  obiger  Notiz  noch  nicht  die  Rede. 

11)  Ahnlich  Gulden  Nr.  31  (ed.  Lochner  S.  213).  der  indessen  des  Stammvaters  der  be- 
rühmten Drechslerfamilie,  Peter  Zicks,  keine  Erwähnung  tut,  nur  einen  der  drei  Söhne  Peters 
des  alt,  Lorenz  Z.,  hervorhebt.  Mit  dem  Namen  dieses  letzteren  ist  auch  die  obige  Lücke  auszu- 
füllen („alß" = nämlich).  Peter  Z.  hinterließ  übrigens,  als  er  1632  starb,  nicht  2  sondern  3  Söhne: 
Peter,  Lorenz  und  Christoph.    Vgl.  Doppelmayr,  Historische  Nachricht  etc.  S.  297- 

12)  Etwas  mehr  bietet  Gulden  Nr.  32  (ed.  Lochner  S.  213),  der  ihn  richtig  „Hepner"  nennt 
Im  40.  Totenbuch  im  Kgl.  Kreisarchiv  Nürnberg  (1649—1653)  Bl.  73  wird  er  als  „ebenküstler" 
also  etwa  Ebenholzkunstschreiner  bezeichnet:  „Der  ersam  und  kunstreich  Jacob  Hepner. 
ebenküstler,  auff  dem  Neuen  bau  [jetzt  Maximiliansplatz]  f  5-   Nov.   1649". 

13)  Gulden  Nr.  27  bietet  eine  etwas  erweiterte  Fassung  und  nennt  ihn  Georg  mit  Vor- 
namen. Bei  Abfassung  der  obigen  Notiz  war  H.  offenbar  bereits  tot  Ein  „Hieronymus  Höffler, 
Wappensteinschneider  in  der  Oberen  schmidtgaßen",  starb  1626.  Die  Totenbücher  im  Kgl.  Kreis- 
archiv Nürnberg  verzeichnen  ihn  zum  8.  August  dieses  Jahres  und  legen  ihm  das  bei  Künstlern 
übliche  Prädikat  „ersam  und  kunstreich"  bei. 

14)  Ebenso  Gulden  Nr.  41,  der  ihn  Wolf  mit  Vornamen  nennt 

15)  Bei  Gulden  Nr.  12  erweiterte  Fassung. 

16)  Bei  Gulden  Nr.  13  kürzere  Fassung  ähnlichen  Inhalts.  Es  kommt  zwar  -—  in  den  70er 
Jahren  des  16.  Jahrhunderts  —  auch  ein  Maler  Georg  W.,  wie  obigen  Künstler  auch  Gulden 
nennt,  vor;  indessen  ist  hier,  wie  aus  dem  Hinweis  auf  die  dekorativen  Malereien  im  kleinen 
Rathaussaal  hervorgeht  vorzugsweise  an  den  bekannteren  Gabriel  W.  gedacht  Dieser  starb 
nicht,  wie  Doppelmayr  schreibt,  „nach  1640",  sondern  1632.  Das  33-  Totenbuch  im  Kreisarchiv 
Nürnberg  (Blatt  10)  verzeichnet  seinen  Tod  zum  17.  September  dieses  Jahres:  „der  ersam  und 
kunstreich  Gabriel  Weyer,  flachmahler,  in  der  Peundtgaßen**  heißt  es  daselbst 

17)  Ahnlich  Gulden  Nr.  16. 

18)  Johann  —  so  ist  die  Lücke  zu  ergänzen  —  Creuzf eider  fehlt  bei  Gulden.  Totenbuch  32 
Bl.  97:  „Der  ersam  Johannes  Creutzfelder,  flachmahler,  bey  der  Sonnen  am  Mülchmarckht  1 2.  Juli 
1632"  (Tag  der  Bestattung).    Doppelmayr  S.  222  gibt  irrtümlich  „1636**  als  Todesjahr  an. 


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VON  DR.  TH.  HAMPE. 


151 


1).  Friedrich  von  Falckenburg,  ist  ein  berühmter  landschafftmahler  gewest*»). 

14.  Hannß  Hoffmann,  so  ein  fleißiger  mahler  in  mignatur  und  gummifarben 
gewest,  hatt  dem  Albrecht  Dürer  [es  steht  nur  Dürers  Monogramm  da]  so  fleißig 
nachcopirt  also  dz  viel  von  seiner  arbeit  für  dürerisch  verhandelt  worden  ist;  ist 
endlich  zu  kayßer  Rudolpho  gekommen  2<*). 

15.  Die  Troschel»  sonderlich  Hannß  Troschel  seind  berühmte  com- 
pastenmacher  gewest,  also  dz  zu  ihrer  zeit  sonderlich  deß  (Lücke)  gleichen  nicht 
ist  gefunden  worden  ^i). 

16.  Christoff  Gammetzer  ein  künstlich  und  berühmter  gold- 
schmid  gewest^^). 

17.  Dergleichen  auch  Hannß  Betzold,  der  hatt  dem  kayßer  Rudolff  sein  künst- 
lich brunnenwerck  renovirt,  darzu  auch  dz  hauß,  darinnen  anjetzo 
Conrad  Bayr  wohnet  von  neuem  erbaue t^»). 

18.  Abraham  Graß,  ein  guter  bildhauer,  hatt  die  4  monarchien  am  rathhauß, 
wie  auch  die  (Lücke)  darauff  zugerichtet 2*). 

19.  Nicht  weniger  ist  der  Georg  Schweigger  in  dießer  kunst  auch  sehr  berühmt, 
wie  auch  in  meßing  verschneiden  und  gießen,  wie  solches  sein  gemachtes  crucifix, 
wie  auch  kayß.  Ferdinandi  III.  in  meßing  gegoßnes  und 
künstlich  verschnidtenes  brustbild  zur gnüege  bezeugen**^). 

[Bl.  2a]  20.  Hannß  Graff,  mahler,  so  dz  rathhauß  und  schloß 
ao.  I520sollgemahlethabe n^*). 

21.  Matthes  Zasinger»  mahler;  credo  vixisse  ISO 0^'). 

19)  Ähnlich  Gulden  Nr.  10.  Totenbuch  28  Bl.  69:  „Der  erbar  unnd  kunstreich  Friederich 
von  Falckenburg  am  Bonersberg  [dem  heutigen  Paniersplatz]  1 29-  August  I623**  (Tag  des  Begräb- 
nisses). Auffallend  ist,  daß,  als  im  31.  Totenbuch  Bl.  25  zum  29.  September  1629  der  Tod  der 
„tugentsamen  frau  Leonora,  deß  ersamen  Fridrich  von  Falckhenburckh,  mahlers,  ehewürthin, 
in  der  alten  Ledergaßen"  vermerkt  wird,  die  Verstorbene  nicht  als  Wittwe  oder  ihr  Mann  als  „selig" 
bezeichnet  wird. 

20)  Fast  genau  der  gleiche  Wortlaut  bei  Gulden  Nr.  7  (ed.  Lochner  S.  198). 

21)  Gulden  Nr.  47  spricht  nur  von  Hans  T.,  der  nach  dem  23.  Totenbuch  im  Kreisarchiv 
Nürnberg  Bl.  49  am  1.  Juni  1612  begraben  wurde  („Hanns  Dröschel,  campastenmacher,  gegen 
den  Freypäncken  über'*). 

22)  Christoph  Jamnitzer  fehlt  bei  Gulden. 

23)  Bei  Gulden  Nr.  20  wesentlich  andere  Fassung. 

24)  Ähnlich  Gulden  Nr.  19.  Die  Lücke  ist  danach  durch  „camine"  zu  ergänzen, 
welches  Wort  der  Abschreiber,  d.  h.  Paulus  Grundherr,  vermutlich  nicht  hat  entziffern  können. 

25)  Gulden  Nr.  24,  außerordentlich  viel  ausführlicher,  erwähnt  doch  dessen  „in  Messing 
gegossenes  etc.  Brustbild  Kaiser  Ferdinands"  nicht.  Vgl.  aber  Edition  Lochner  S.  321,  wonach 
Georg  Schweigger  1656  offenbar  für  dieses  Bildnis  600  Gulden  erhielt.  Gefertigt  wird  es  schon 
1655  worden  sein,  da  sich  unsere  Handschrift,  soweit  es  sich  nicht  um  Zusätze  —  vgl.  weiter  unten 
zu  Nr.  33  —  handelt,  auf  dieses  Jahr  bezieht.     Vgl.  Nr.  36  bei  Wolf  Aigen. 

26)  Fehlt  aus  naheliegenden  Gründen  bei  Gulden,  der  ja  lediglich  Künstler  seiner  Zeit, 
d.  h.  des  17.  Jahrhunderts  behandelt.  Das  Gleiche  gilt  von  Nr.  21—30.  Die  Notizen  sind 
wohl  aus  Nr.  1  des  Konvoluts,  dem  unsere  Handschrift  angehört  (s.  o.),  übernommen,  die 
überall  den  gleichen  Wortlaut  bietet.  Mit  Georg  Böheim  ist  ohne  Zweifel  der  bekannte  Augs- 
burger Maler  und  Radierer  (Georg  Pecham,  Peham  1 1604)  gemeint.  Wertvoll  ist  die  Nachricht 
über  Hans  Bolsterer,  den  bedeutenden  Medailleur,  der  hier  zum  ersten  Male  in  einem  Künstler- 
verzeichnis erscheint. 

27)  Vgl.  die  vorige  Anmerkung. 


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152  ÜBER  EINS  FORTS.  V.  NEUDÖR7BRS  NACHRICHTEN  U.  IHREN  VERFAS&  HEBBRLEIN  1664-1666. 

22.  Erhard  Schön,  ein  mahler.  *^) 

2).  Albrecht  (am  Rande  „alii  Adam")  Altdorffer,  mahlerundkupffer- 
stecher»'). 

24.  Hannß  Scheuffelein,  m  a  h  1  e  r>'). 

25.  Paulas  Lautensack,  m  a  h  I  e  r^^). 

26.  Danfei  Hopffer,  soschön  in  kupffergradir  t«'). 

27.  Hannß  Brosamer,  guter  maier  und  kupffersteche r*'). 

28.  Georg  Bdheim,  mahler  und  kupffersteche r"). 

29.  N,  (Lücke)  Bolsterer,  derkleinefiguren  künstlichinholtz 
und  stein  geschnitten^'). 

30.  Nicias  Nutschiedel,  sonst  Niclaus  auff  der  Seg  genannt, 
der  berühmte  conterfaict  gemahlet  etc.*®). 

)i.  Johannes  NeudSrffer  und  deßen  söhn«*). 
)2.  (Lücke)  Brechtel,  berühmte  Schreiber  und  rechenmaister*®). 
(33.  Bfiriau  (.^),  ein  berühmter  Steinmetz,  feldmeßer  etc.**).) 
([Bl.  2b]  34.  Ad.  Olearius  im  3.  buch  c.  1  der  persischen  raißbeschreibung: 
Ao.  1636  hatt  in  der  statt  Mascau  gearbeitet  ein  künstlicher  wohlerf ahmer 
maister  in  metallenen  stück-  und  glockengießen,  namen  Hannß  Faick,  von  Nürnberg 
bürtig.    Dieser  hatt  einen  sonderlichen  handgrieff,  die  stücke  also  zuzurichten,  dz 
man  26  ft  eisen  mitt  25  tt  pulver  sicher  schießen  kan,  dardurch  er  in  Holland  so 
berühmt  worden,  dz  auch  seiner  in  dem  Meterano'«)  holländischen  druckes  gedacht 
würd").) 

[Die  2  mittleren  Viertel  der  Seite  sind  leer,  auf  dem  unteren  Viertel  folgt  dann:] 
35.  Leo  Pninner,  ein  österreichischer  (es  war  erst  eine  Lücke  da, 
in  die  dann  dieses  Wort  hineingeschrieben  wurde)  von  adel,  wegen  des 
Worts  gottes  aus  seinem  vatterland  vertrieben  und  alhier 
indzzeughauß  auffgenommenzu  (Lücke).  Hatt  sehr  künstlich  in  holz 
und  bein  allerhand  kleine  figuren  geschnidten,  auch  mitt  kleinen  schreiben  in 
seinem  hohen  altersich  sonderlich  bekant  gemacht,  dz  seine  werck 
noch  hin  und  wieder  für  sonderbahre  rariteten  auffgehebt  und  gezaiget  werden«*). 

27)  Vgl.   Anm.   26. 

28)  Desgleichen.  Der  Name  des  Nikolaus  de  Neufchatel  genannt  Lucidel  wird  auch  sonst 
gelegentlich  in  obiger  Weise  verballhornt. 

29)  Gulden  behandelt  den  älteren  Johann  Neudörfer  und  seine  beiden  Söhne  zu  Eingang 
seiner  Fortsetzung  ausführlich. 

30)  Gulden  Nr.  3,  über  Stephan  und  Christoph  Fabius  Brechtel  ungleich  ausführlicher. 

31)  Diese  Notiz  ist  durch  andere  Tinte  als  etwas  späterer  Einschub  kenntlich,  gleichfalls 
von  der  Hand  Grundherrs  geschrieben  und  vermutlich  auch  von  ihm  hinzugefügt.  Ich  habe  der- 
gleichen spätere  Zusätze  zu  dem  eigentlichen  Manuskript  unserer  Fortsetzung  Neudörfers  hier 
wie  im  folgenden  in  runde  Klammern  gesetzt,  auch  in  diesen  Fällen,  was  sie  etwa  mehr  als  Gulden 
bieten  und  was  zumeist  aus  nicht  allzu  weit  abliegender  Literatur  geflossen  ist,  nicht  durch  ge- 
sperrten Druck  hervorgehoben.  Mit  dem  in  Nr.  33  genannten  Meister  selbst,  dessen  Name  nicht 
sicher  zu  entziffern  ist,  vermag  ich  vorderhand  keinerlei  Begriff  zu  verbinden. 

32)  Latinisierung  von  „van  Meteren**  (t  1612). 

33)  Auch  diese  Notiz  ist  offenbar  von  Paulus  Grundherr  selbst  eingeschoben,  dagegen 
leitet  die  folgende  wohl  wieder  zu  der  vorauszusetzenden  älteren  Handschrift  als  Vorlage  zurück. 

34)  Über  Leo  Pronner  handelt  Gulden  Nr.  30  sehr  ausführlich;  der  Abschnitt  hat  bei  ihm 
aber  einen  wesentlich  anderen  Wortlaut.     Vgl.  die  gleichfalls  sehr  ausführlichen  Ausführungen 


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VON  DR.  Tfl.  HAUPE. 


153 


[Bl.  3a]  36.  Wolff  Algen  istmlttconzirndergeflecktenseiden- 
wahren  berühmt  und  seines  gleichen  weder  in  Italia  noch 
Teutschland  dieser  Zeit  [Anmerkung  dazu:  „1655"]  z u  f i n d e n»*^). 

37.  Augostin  Kottert,  genannt  Spaar,  der  in  die  schießrohr  stem  und  rosen- 
zueg  mitt  Verwunderung  zu  machen  erfunden  und  stattlich  zugericht  hatt'*). 

38.  Christof  Ritter,  ein  sehr  künstlicher  goldschmid  und  eisenschneider, 
hat  neben  dem  (Lücke)  Schweicker,  bildhauer,  ein  crucifixvonmeßing 
gegoßen,  wigt  (Lücke).  Dergleichenkunststückwirdschwer- 
lich  jemahls  gesehenworden  sein,  sol P^)  deß  Veit  Stoß  cru- 
cifix,  sobeyS.  Sebaldimchorstehetundfüreinsonderbar 
kunststückgerühmtwürd,  weith  übertreffe  n^% 

39.  Hannß  Kautsch,  ein  künstlicher  zirckelschmidt,  so  wegen  seines  wagens, 
waßerkunst,  auch  kleinen  wercks,  darinnen  er  fast  alle  handwercker  in  ihrer  für- 
nembsten  Verrichtung  sich  bewegend  fürgestellet,  fast  berühmt  und  angesehen  ist- 
Wohnet  in  der  Alten  ledergaßen"*). 

40.  Ulrich  Hoffmann,  ein  künstlicher  Schreiber  und  reche n- 
maister,  so  neben  Andreas  Gulden  fast  allein  in  Teutschland 
auß  der  kunst  zu  schreiben  bericht  hatt,  welcher  Gulden 
in  mathematicis,  sonderlich  inventionibus  optici s,  auch 
ätzen  in  meßing,  stahl,  kupffer,  auch  verkehrten  schreiben  mitt  beeden  bänden  für- 
trefflich, benebens  sehr  diensthafft  ist.  Wohnet  in  der  Neuen 
gaßen  am  waßer*®). 

([Bl.  3b]  41.  Peter  Carl,  ein  künstlicher  Zimmermann  und  baumaister,  Hannß 
Carl,  zeugmaisters,  vatter,  hatt  dergleichen  gebeu  vollbracht,  daran  alle  andere  ge- 
zweiffeit, alß  die  flaischbrücken  und  deren  künstlichs  gewölb  alhie,  den  saal  zu 
Haidelberg.  Vide  die  ihme  von  Abraham  Sculteto,  hoffprediger  zu  Haidelberg, 
gehaltene  leichpredig**).) 

42.  Hannß  Carl,  zeugmaister  alhier,  so  in  der  architectura  und  aller- 
hand mathematicis  artibus  excelliret,  et  in  erfindung  aller- 


Doppelmayrs  (S.  218  f.)  über  ihn,  die  vielleicht  auf  eine  Leichenrede  als  Quelle  zurückgehen.    Die 
Lücke  in  obigem  Text  ist  wohl  durch  (zu)  „einem  zeugleutnant"  oder  ähnlich  zu  ergänzen. 

35)  Nicht  bei  Gulden.  Vgl.  Thieme  und  Becker,  Allgemeines  Lexikon  der  bildenden 
Künstler  I,  146.  Was  unter  dem  „conzim"  —  auch  im  Bürgerbuch  wird  er  als  „concirer"  be- 
zeichnet —  zu  verstehen  ist,  war  bisher  nicht  sicher  festzustellen.  Im  41.  Totenbuch  im 
Kgl.  Kreisarchiv  (1653—56)  Bl.  169  fehlt  leider  jede  Berufsbezeichnung:  „Der  erbar  Wolffgang 
Aigen  der  älter,  am  alten  Milchmarkt  [jetzt  Albrecht  Dürer- Platz]  neben  der  Sonnen 
t  31.  Okt.  I655.  Seind  vormundere  gesetzt  4.  Dez.  i655f  Ist  ein  testament  verlesen  worden 
19.  April  1656.     Ist  ein  inventarii  angezaigt  worden  4.  Martii  1659". 

36)  Ähnlich  Gulden  Nr.  42,  der  den  Namen  richtig  „Kotter"  schreibt. 

37)  D.  h.  wohl:  nach  Ansicht  maßgebender  Kunstkenner. 

38)  Gulden  Nr.  21  weicht  ganz  ab.  Nach  Guldens  Notiz  zu  Georg  Schweigger  (Nr.  24) 
fällt  der  Guß  des  oben  genannten  Kruzifixes  in  das  Jahr  1652. 

39)  Bei  Gulden  Nr.  43  anderer  Wortlaut  und  ausführlichere  Behandlung. 

40)  Gulden  Nr.  4  und  5  ausführlicher,  doch  ganz  abweichend. 

41)  Gulden  Nr.  35  weicht  völlig  ab.  Die  ganze  obige  Notiz  kennzeichnet  sich  übrigens 
wiederum  als  späterer  Einschub,  der,  vielleicht  von  dem  Schreiber  Paulus  Grundherr  selbst 
verfaßt,  offenbar  aus  der  darin  zitierten  Leichenpredigt  des  Abraham  Scultetus  geflossen  ist 


Mitteilongen  aus  dem  german  Natiooalmuseum.    1906  20 


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154   ÜBER  EINE  FORTS.  V.  NEÜDÖRFERS  NACHRICHTEN  U.  IHREN  VERFASS.  HEBERLEIN  1684-1056. 

band  Instrumenten,  zu  dem  bauweßen  dienlich,  sehr  glück- 
seelig.  Sein  kleines  zeughauß  gibt  dießes  manns  fleiß, 
verstand  und  wißenschafft  gnuegsam  zu  erkennen*^). 

43.  Die  Herold,  büchsengießer,  in  dz  vierte  glied,  wie  auch 
(Lücke)  Low,  so  deßwegen  nach  Prag  und  Wien  beruften 
w  0  r  d  e  n  **). 

44.  (Lücke)  Wurtzelbauer,  ein  künstlicher  rothgießer**). 
[Auch  hier  ist  fast  eine  viertel  Seite  leer  gelassen,  offenbar  um  etwa  weiter- 
hin sich  ergebende  Lebensdaten  Wurzelbauers  einzutragen.] 

(De  musicis  inquaerendum : 

45.  Hannß  Staden,   organist  zu  St.  Sebald. 

46.  Teophilus  Staden,  organist  zu  St.  Lorentzen. 

47.  Eraßmus  Kindermann,  organist  zu  St.  Egidien,  ein  berühmter  componist**)). 
([Bl.  4a]  48.  Geoi^  Christian  Korcken,  hatt  ihme  in  Schweden,  Holland  und 

Portugall  eine  große  wißenschafft  in  mathematischen  künsten,  alß  feldmeßen,  forti- 
fication,  perspectiv,  opticis  und  andern  dergleichen  künsten  zu  wegen  gebracht  und 
deßwegen  bey  vielen  außländischen  einen  sonderbahren  rühm  erworben,  auch  graffen 
und  freyherren  zu  discipeln  gehabt**)). 

[Die  übrigen  »/*  der  Seite  sind  leer.] 

([Bl.  4b]  49.  Georg*')  Koberger  ist  umb  dz  jähr  1470  der  erste  buchdrucker 
zu  Nürnberg  gewest,  welcher  viel  stattliche  volumina  gedruckt,  deren  noch  viel  zu 
finden,  hatt  auch  ein  groß  vermögen  damitt  erworben*®)). 

(50.  Conrad  Roritzer,  baumeister  deß  baues  an  St.  Lorentzen  kirchen 
ao.  1456  *»)). 

(51.  Maister  Georg  von  DunckelspfihI,  Zimmermann,  hatt  hier  gelebt  1532. 
De  quo  inquaerendum,  quod  cognomen  ipsi  fuerit.  Vide  et  in  Annal.*^)  sub  hoc 
anno  ").) 

[i/i  Seite  leer.] 

42)  Gulden  Nr.  36  weicht  ganz  ab.  Die  Notiz  über  „sein  kleines  zeughauß"  bezieht  sich 
auf  Hans  Carls  Sammlung  von  Modellen  von  Kriegswerkzeugen,  Kanonen,  Lafetten,  doch  auch 
Zelten  u.  s.  w.,  die  sich  jetzt  im  Germanischen  Museum  befindet.  Diese  Modelle  sind  wohl  sämt- 
lich von  Hans  Carl  selbst  verfertigt. 

43)  Fehlt  bei  Gulden.  Vgl.  Doppelmayr  S.  301,  303-  Leonhard  —  so  ist  die  Lücke  zu 
ergänzen  —  Low  war  der  Stiefvater  des  Balthasar  und  des  Wolf  Hieronymus  Herold. 

44)  Benedikt  Wurzelbauer  fehlt  bei  Gulden. 

45)  Die  Musiker  (Nr.  45—47)  fehlen  bei  Gulden.  Die  Notiz  könnte  gleichfalls  späterer 
Einschub  sein,  ebenso  wie  der  ganze  Rest  des  Manuskripts  diesen  Eindruck  macht. 

46)  Nicht  bei  Gulden.  Vgl.  die  vorige  Anmerkung.  Ich  habe  den  berühmten  Mann, 
von  dem  übrigens  nicht  gesagt  ist,  daß  er  ein  Nürnberger  war  oder  in  Nürnberg  gewirkt  hat, 
bisher  nicht  nachzuweisen  vermocht. 

47)  Lies:  Anton. 

48)  Fehlt  bei  Gulden,  da  ihn  schon  Neudörfer  (Edition  Lochner  S.  173)  behandelt  hatte. 
Offenbar  Zusatz  zu  der  eigentlichen  Handschrift  der  Fortsetzung  von  Neudörfers  Nachrichten. 

49)  Fehlt  bei  Neudörfer  und  Gulden.     Zusatz  wie  das  Vorhergehende  und  Folgende. 

50)  Damit  sind  des  Ratsschreibers  Johann  Müllners  Annalen  gemeint. 

51)  Georg  Weber  war  schon  von  Neudörfer  (Edition  Lochner  S.  79 f.)  behandelt  worden, 
fehlt  daher  bei  Gulden.    Obige  Notiz  ist  offenbar  ein  Zusatz  wie  Nr.  45—50  und  Nr.  52. 


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VON  DR.  TH.  HAMPß.  155 


(52.    Vide  Henrici  Salmuth  comment.  in  pancill.  de  rebus  noviter  repertls 

c.  10,  ubi  de  aquila  lignea  a  Regiomontano  confecta"  **).) 

*  * 

♦ 

Was  unsere  Quelle  an  neuen  Nachrichten  bietet,  ist  nicht  von  besonders  großer 
Bedeutung,  wenn  auch  die  Notizen  über  Georg  Schweigger,  Bolsterer,  Leo  Pronner, 
Wolf  Aigen,  Christoph  Ritter,  Ulrich  Hoffmann  und  Andreas  Gulden,  Hans  Carl 
und  die  Herold  nicht  des  kunstgeschichtlichen  Interesses  entbehren.  Aber  der 
eigentliche  Wert  der  den  obigen  Aufzeichnungen  zugrunde  liegenden  Handschrift, 
die  wir  allerdings  nur  wie  durch  einen  Schleier  erkennen  können,  liegt  doch,  wie 
wohl  bereits  aus  unseren  Anmerkungen  hervorgeht,  wesentlich  nach  einer  anderen, 
nämlich  der  quellenkritischen  und  quellengeschichtlichen  Seite.  Das  Verhältnis  zu 
Andreas  Gulden  und  seiner  Fortsetzung  von  Neudörfers  Nachrichten,  dann  auch 
zu  dem  Schreiber  Paulus  Grundherr  ist  hier  vor  allem  näher  ins  Auge  zu  fassen. 
Eine  ganze  Reihe  mehr  oder  minder  wörtlicher  Übereinstimmungen  mit  Gulden 
legt  zunächst  die  Frage  nahe,  ob  wir  es  nicht  einfach  mit  einer  interpolierten 
Handschrift  der  von  letzterem  verfaßten  Fortsetzung  zu  tun  haben.  Wie  mir 
scheint,  darf  indessen  diese  Frage  auf  das  bestimmteste  verneint  werden.  Denn 
diejenigen  Teile  des  Manuskripts,  die  sich  durch  ihre  gleichmäßige  Schrift  deutlich 
als  Abschrift  einer  teilweise  schwer  leserlichen,  teilweise  wohl  auch  selbst  bereits 
—  z.  B.  bei  manchen  Vornamen  —  Lücken  aufweisenden  Vorlage  kennzeichnen,  sind 
nach  der  oben  angegebenen  Datierung  im  Jahre  1655,  keinenfalls  später  als  1655,  ver- 
faßt, über  welchen  Zeitpunkt  auch  keine  der  in  diesen  Teilen  erwähnten  Nachrichten 
hinausweist.  Gulden  aber  trug  seine  Notizen  nicht  vor  1663  zusammen,  da  er  in  der 
Biographie  seines  Vorgängers  Johann  Neudörfer  (f  12.  November  15 63)  sagt,  daß  dieser 
„nunmehro  über  100  Jahr  todt"  sei.  Außerdem  läßt  auch  die  abweichende  Fassung 
des  Passus  über  Andreas  Gulden  selbst  in  Guldens  Fortsetzung  und  in  unserer  Hand- 
schrift und  die  Diktion  der  Stelle  auf  einen  anderen  Verfasser  als  Gulden  schließen, 
wenn  auch  die  Lobeserhebungen  hinsichtlich  der  Schreibkunst  Guldens  und  seiner 
mathematischen  und  optischen  Kenntnisse  in  jenem  Zeitalter  —  man  denke  an  die 
Selbstbiographie  Joachim  Sandrarts  —  nicht  gerade  gegen  den  bekannten  Fort- 
setzer Neudörfers  als  Verfasser  sprechen  würden.  Und  so  weisen  noch  verschiedene 
weitere  Einzelheiten,  wie  das  Fehlen  des  alten  Peter  Zick  bei  Gulden,  mit  dem 
dieser  wohl  keinen  rechten  Begriff  verband,  u.  a.  m.,  deutlich  darauf  hin,  daß  die 
Hauptvorlage  unserer  Handschrift  eine  nicht  von  Gulden  herrührende,  seiner 
Fortsetzung  der  Nachrichten  Neudörfers  etwa  um  ein  Jahrzehnt  vorausgehende 
Aufzeichnung  über  nürnbergische  Künstler  des  17.  Jahrhunderts  war.  Anderer- 
seits aber  lassen  doch  die  zahlreichen  Übereinstimmungen  mit  Guldens  Fortsetzung 
über  das  nahe  Verhältnis  der  beiden  Fassungen  zu  einander  keinen  Zweifel  und 
dieses  Verhältnis  kann  demnach  wohl  nur  so  verstanden  werden,  daß  unsere  Hand- 
schrift in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  eine  der  Haupt  vorlagen,  auch  für  Andreas 

52)  Auch  dieses  Zitat  ist  jedenfalls  spätere  Hinzufügung,  wie  die  voraufgehenden  Notizen. 
Nach  Jöchers  Allgemeinem  Gelehrten- Lexikon  IV  (1751)  S.  70  bezog  sich  Heinrich  Salmuths 
des  jüngeren  Kommentar  auf  den  „PanciroUum  de  rebus  deperditis  et  recens  inventis".  Über 
den  von  Regiomontanus  angeblich  konstruierten  Adler  ist  schon  mancherlei  geschrieben  worden. 


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156  ÜBER  EINS  FORTS.  V.  NEUDÖRFERS  NACHRICHTEN  U.  IHREN  TERFASS.  HEBERLBIN  1584-1666. 

Gulden  gebildet  hat,  wir  das  Archetypon  also  als  eine  wichtige  Quelle  für  die  Nürn- 
berger Kunstgeschichte  des  i7.  Jahrhunderts  ansehen  dürfen. 

Wer  mag  nun  der  Verfasser  dieses  Archetypon  gewesen  sein  und  was  ist  in 
der  uns  vorliegenden  Handschrift  der  „Xünstler  dieser  Zeit"  alles  als  nachträgliche 
Zutat  zu  dem  eigentlichen  Text  jener  Quelle  anzusehen  und  demgemäß  auszu- 
scheiden ?  Was  sich  als  solch  späterer  Zusatz  teilweise  schon  durch  die  einen  Ein- 
schub  anzeigende  Schrift  charakterisiert,  ist  in  den  Anmerkungen  deutlich  hervor- 
gehoben und  auch  bei  unserem  Abdruck  des  gesamten  Textes  bereits  in  Klammem 
gesetzt  worden.  Es  sind  zumeist  Exzerpte  aus  der  zeitgenössischen  Literatur,  wie 
Olearius,  Heinrich  Salmuth,  van  Meteren  u.  a.,  die,  wie  wir  wohl  annehmen  dürfen, 
den  Schreiber  der  Handschrift,  den  gelehrten  und  fleißigen  Paulus  Grundherr,  zum 
Urheber  haben,  den  wir  ja  schon  in  einigen  vorhergehenden  Nummern  des  Konvoluts 
als  um  die  Zusammentragung  von  Notizen  zur  Nürnberger  Kunstgeschichte  eifrig 
bemüht  kennen  lernen  konnten.  Aus  dem  ersten  Produkt  des  Konvoluts  sind  auch 
zweifellos  die  in  der  Fassung  damit  wörtlich  übereinstimmenden  Nummern  20  bis  30 
der  Handschrift  geflossen,  deren  Einfügung  wohl  gleichfalls  auf  Paulus  Grundherr 
zurückzuführen  ist.  Er  bekundet  damit  das  deutliche  Bestreben,  die  Nachrichten 
Neudörfers  (Produkt  3  des  Konvoluts)  zu  ergänzen,  denn  gerade  diese  Meister  des 
16.  Jahrhunderts,  übrigens  nur  zum  Teil  Nürnberger,  aber  von  dem  Verfasser  oder 
Kompilator  offenbar  sämtlich  für  Nürnberger  Künstler  gehalten,  fehlen  bei  Neudörfer. 

Es  bleiben  die  Nummern  i— 19,  31,  32,  35—40  und  42—44  übrig,  die  sich, 
wie  bereits  hervorgehoben,  durch  die  gleichmäßige  Schreibweise  und  die  ähnliche 
Art  der  sie  durchsetzenden  Auslassungen  als  eine  zusammenhängende  Einheit  dar- 
stellen und  eben  jene  ursprüngliche  Fortsetzung  der  Nachrichten  Neudörfers  aus 
dem  Jahre  1655  bilden,  d.  h.  auf  eine  solche  Fortsetzung  als  ihre  Quelle  zurück- 
gehen. Denn  daß  sie  etwa  von  Paulus  Grundherr  verfaßt  sein  sollten,  ist  wegen 
einer  bestimmten  Gruppe  von  Auslassungen  nicht  nur  unwahrscheinlich,  sondern 
darf  sogar  —  zumal  bei  dem  rein  kompilatorischen  Charakter  der  übrigen  Tätigkeit 
Grundherrs  —  geradezu  als  ausgeschlossen  gelten.  Das  Fehlen  insbesondere  mancher 
Vornamen  wird  freilich  wohl  bereits  der  Vorlage  zur  Last  zu  legen  sein;  aber  Aus- 
lassungen, wie  wir  sie  bei  Nr.  18  und  35  (vgl.  die  Anmerkungen  24  und  34)  finden, 
weisen  deutlich  nicht  auf  den  Autor  der  Notizen,  sondern  lediglich  auf  einen  Ab- 
schreiber, der  sich  über  einzelne  offenbar  schlecht  leserliche  Wörter  und  Stellen 
seiner  Vorlage  nicht  überall  klar  wurde  und  sie  daher  zunächst  bis  auf  künftige 
bessere  Erleuchtung  ausließ. 

Wenn  nun  aber  weder  Andreas  Gulden  noch  Paulus  Grundherr  als  Verfasser 
der  unseren  Nummern  1—19,  31,  32,  35—40  und  42—44  zugrunde  liegenden  Hand- 
schrift einer  Fortsetzung  von  Neudörfers  Nachrichten  angesehen  werden  dürfen, 
wen  können  wir  dann  als  diesen  eigentlichen  Quellenschriftsteller  namhaft  machen  ? 
Mit  Sicherheit  niemanden;  und  wir  begeben  uns  daher  in  der  Tat  auf  das  Gebiet 
der  reinen  Hypothese,  ja  verlegen  uns  beinahe  aufs  Raten,  wenn  wir  den  Namen  des 
Malers  Leonhard  Heberlein  als  den  des  mutmaßlichen  Verfassers  der  Fortsetzung 
nennen.  Immerhin  spricht  wenigstens  einiges  für  ihn.  Zunächst  die  verhältnismäßig 
eingehende  Biographie  des  Mannes,  die  Paul  Grundherr,  der  möglicherweise  mit 
ihm  befreundet  gewesen  war  und  vielleicht  Einsicht  in  seinen  handschriftlichen  Nach- 


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VON  DB.  TH.  HAMPK. 


157 


laß  hatte  nehmen  dürfen,  dem  Manuskript  der  „Künstler  dieser  Zeit"  beigefügt  hat, 
ähnlich  wie  nachmals  Andreas  Gulden  sein  Opusculum  mit  einer  Biographie  Johann 
Neudörfers  eröffnete.  Der  Grund  zu  ausführlicherer  Behandlung  ist  in  diesem  Zu- 
sammenhange sonst  nicht  leicht  einzusehen.  Außerdem  ergibt  sich  aus  der  Lebens- 
beschreibung Heberieins,  daß  der  Künstler  Anno  1654  „mit  einem  fluß  überfallen 
wurde"  und  am  26.  Januar  1656  starb.  Man  könnte  sich  wohl  denken,  daß  Leon- 
hard  Heberiein  die  unfreiwillige  Muße,  zu  der  ihn  die  Krankheit  verdammte,  ge- 
legentlich zu  Aufzeichnungen  oder  auch  einem  Diktat  über  die  Künstler  seiner  Zeit, 
eben  dem  Archetypon  von  1655,  benutzt  habe.  Irgendwelche  Sicherheit  ergibt  sich 
allerdings,  wie  gesagt,  aus  diesen  Möglichkeiten  und  Anhaltspunkten  nicht,  und 
gegen  Heberiein  als  den  Verfasser  der  ursprünglichen  Fortsetzung  von  Neudörfers 
Nachrichten  scheint  fast  zu  sprechen,  daß  Gulden,  der  doch  jene  früheren  Aufzeich- 
nungen seiner  eigenen  Arbeit  zugrunde  legte,  in  den  wenigen  Zeilen,  die  er  Leon- 
hard  Heberiein  widmete"),  dessen  Autorschaft  oder  literarischer  Tätigkeit  in  keiner 
Weise  gedenkt.  Allein  diese  Unteriassung  könnte  sich  natüriich  auch  anders 
z.  B.  aus  der  Unkenntnis  Guldens  und  der  Anonymität  jener  ihm  als  Quelle  dienen- 
den Handschrift  erklären  lassen. 

in. 

Zum  Schluß  gebe  ich  hier  noch  einige  Nachrichten  über  Leben  und  Wirken 
des  Malers  Leonhard  Heberlein,  dessen  nähere  Beziehung  zu  der  aus  Nr.  7  des 
Scheurlschen  Konvoluts  herausgeschälten  älteren  Quellenschrift  ich  wahrscheinlich 
gemacht  zu  haben  glaube,  und  beginne  mit  dem  Abdruck  der  oben  zitierten  Bio- 
graphie des  Künstlers,  deren  Verfasser  nicht  genannt  ist.  Möglich,  daß  der  Schreiber, 
Paulus  Grundherr,  selbst  diese  Daten  etwa  nach  einer  Leichenpredigt  zusammen- 
gestellt hat.    Die  Biographie  hat  folgenden  Wortlaut : 

„Leonhard  Heberlein,  Jobst  Heberleins,  bürgers  und  goldschmids  zu  Nürn- 
berg**), söhn,  war  geboren  ao.  1584  den  26.  Novembr.  und  von  seinen  eitern  zur 
schul  gehalten  und  in  allen  christlichen  tugenden  auff erzogen.  Ao.  1600  ist  er  bey 
Wolff  Ritter,  mahler  und  bürger  zu  Nürnberg,  zur  mahlerey  auffgedingt  worden 
und  nach  erstandenen  4  lehr  jähren  noch  6  jähr  darbey  zugebracht.  Anno  1610 
hatt  er  sein  meisterstück  gemacht  und  darauff  l6ll  sich  zu  j[ungfrau]  Margaretha, 
Hannß  Becken  von  Rotenburg  tochter,  verheurathet.  Ao.  I637  ist  er  von  einem 
E.  Rath  zu  Nürnberg  zum  statt-  und  landschaff  tmahler  und  ao.  1640  wegen  seines 
erbam  wandeis  zum  Genannten    deß  Großem  Raths  erwehlet  worden**).     Hatt 

53)  Gulden  Nr.  IS  (Edition  Lochner  S.  201). 

54)  Jobst  Heberlein  war  1575  unter  erschwerenden  Umständen  Meister  geworden.  Das 
Meisterbuch  (in  der  Bibliothelc  des  Kunstgewerbemuseums  in  Berlin)  berichtet  darüber  auf  BL  41  a: 

„adi  14.  Martius  a.  1575  hat  Jobst  Heberlen  seine  meisterstück  angefangen  zu  machen 
beim  Caspar  Widman. 

Adi  23.  Maius  anno  1575  hadt  der  Jobst  Heberlen  [am  Rande:  „beim  Holtwick*']  seinne 
meisterstueck  foer  den  feir  geschuoraen  gewissen  [vor  den  vier  Geschworenen  gewiesen],  ist  midt 
dem  geschirlle  und  siegell  nicht  bestanden,  mid  den  ring  ist  er  aber  bestanden. 

[Bl.  41b]  Adii  1575  jar  den  16.  Juni  ist  Jobst  Heberlein  zum  andern  mal  pey  den  4  ge- 
schwom  erschinen  und  das  geschirla  mit  dem  sigel  gewisen  und  ist  pestanden  und  hatt  sein 
mastergeltt  in  die  losungstuben  zaltt  und  pflichtt  gethon". 

55)  Vgl.  auch  Joh.  Ferd.  Roths  Verzeichnis  aller  Genannten  des  großem  Rats  (Nürnberg, 
1802)  S   125. 


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158   ÜBER  EINE  FORTS.  V.  NBÜDÖRFERS  NACHRICHTEN  U.  IHREN  VERFASS.  HEBERLEIN  1684-1656. 


Gottes  wortt  gern  gehört  und  christlich  gelebt,  ist  darbey  eines  guten  humors  und 
gesellschafft  gewest,  sich  mitt  jedermann  friedlich  begangen.  In  seiner  kunst  hatt 
er  sonderlich  den  preiß  gehabt,  dz  es  ihme  in  grotescen  mahlen  oder  dergleichen 
wunderlichen  einfallen,  welche  an  die  gartenheußer  und  sommerlauben  pflegen  ge- 
mahlet werden,  keiner  leicht  bevor  oder  gleich  gethan  haben  würd.  An  discipeln 
von  fümehmer  leuth  kindem  hatt  er  allezeit  eine  zimbliche  anzahl  gehabt  und  bey 
ihnen  an  seinem  orth  in  unterrichten  nicht  ermangeln  laßen,  auch  darunter  unter- 
schiedliche gehabt,  welche,  wo  sie  heften  nachsetzen  wollen,  wohl  etwas  rühmliches 


Abb.  2.    Bildnis  des  Malers  Leonliard  Heberlein  nacli  einer  anonymen  Radierong. 

(V»  der  Originalgröße). 

würden  verrichtet  haben.  Ao.  1654  ist  er  mitt  einem  fluß  überfallen  worden  und 
mitt  solchen  sich  biß  ao.  1656  den  26.  jener  betragen  müßen,  da  er  es  seeliglich 
geendet,  nachdem  er  gelebt  71  jähr  2  monath  2  tage." 

Die  Angaben  dieser  kleinen  Biographie  werden  teilweise  bestätigt,  teilweise 
auch  ergänzt  vor  allem  durch  die  Aufzeichnungen  Johann  Hauers,  die  Hans  Boesch 
im  Jahrgang  1899  dieser  Zeitschrift  S.  116  ff.  veröffentlicht  hat.  Danach  stellte 
Heberleins  Probestück,  mit  dem  er  am  2.  August  1610  Meister  wurde,  eine  Szene 
aus  der  Passion  dar,  „wie  der  Herr  Christus  gebunden  auf  der  Erden  liegt",  war  er 
von  1623—1627,  1633—37,  1642—47  und  1650—54  Vorgeher  seines  Handwerks»«) 

56)  Von  seiner  Tätigkeit  als  Vorgeher  bieten  die  Nürnberger  Ratsprotokolle  ('m  Kgl.  Kreis- 
archiv Nürnberg)  ein  Beispiel.  Im  Jahrg.  1624  25  Heft  I  Bl.  77a  heißt  es  daselbst  zum  20.  April  1624: 


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VON  DR.  TH.  HAMPE. 


159 


und  bildete  im  Laufe  der  Zeit  eine  größere  Anzahl  von  Lehrlingen  aus*'),  was  auf 
eine  ausgedehnte  Tätigkeit,  auf  reichliche  Beschäftigung  schließen  läßt.  Als  Todes- 
datum wird  hier  der  27.  Januar  1656  angegeben,  während  die  Totenbücher  im  Kgl. 
Kreisarchiv  Nürnberg  seinen  Tod  zum  30.  Januar  verzeichnen  und  damit  wohl  den 
Tag  des  Begräbnisses  nennen*®).  Hier  wird  er  auch  offiziell  als  eines  Rates  „Stadt- 
und  Landschaftmaler"  bezeichnet,  während  die  Ratsprotokolle  auffälligerweise  von 
seiner  Ernennung  zum  Stadtmaler,  die  nach  unserer  Lebensbeschreibung  im  Jahre 
1637  erfolgte,  nichts  erwähnen.  Dagegen  wird  in  den  Verhandlungen  des  Rats  vom 
21.  November  I639  der  Erwählung  Leonhard  Heberleins  zum  Gassenhauptmann 
im  Viertel  bei  St.  Egidien  gedacht  und  in  den  Jahren  1640  und  1648  ist  dann  weiter- 
hin gelegentlich  von  seiner  Tätigkeit  als  Gassenhauptmann  die  Rede*®).  Im  übrigen 
hat  sich,  soweit  ich  sehe,  das  Andenken  unseres  Mannes  in  Urkunden  oder  offiziellen 
Akten  kaum  erhalten,  und  auch  von  Quellenschriftsteilem  erwähnt  seiner  abgesehen 
von  Johann  Hauer  nur.  wie  schon  bemerkt,  Andreas  Gulden,  der  erzählt,  daß  er  als 
Stadtmaler  im  Jahre  1652  „das  gemäl  aussen  an  der  Schau"  renoviert  habe,  das 
1514  von  „Hanns  Grossen"  (lies:  Hans  Gräften)  gemalt  und  bereits  1579  einmal 
von  Thomas  Oelgast  renoviert  worden  sei.  Aus  der  späteren  Literatur  wäre  etwa 
noch  das  von  Murr*®)  glaubwürdig  überlieferte  Faktum  anzuführen,  daß  der  Stadt- 

„  Jörg  Rößlein,  malersgesellen,  welcher  wider  die  vorgeher  sich  beschwert,  das  sie  ihn  nitt 
für  redlich  halten  wollen,  aus  ursach  das  er  aus  herrn  graff  Egon  von  Fürstenberg  regiment  da- 
hinden  gebliben,  soll  [77b]  man  gedachter  vorgeher  Jörg  Gertners,  Hannß  Jörg  Caesars,  Hannsen 
Hauers  und  Lienhard  Heberleins  gegenbericht  verlesen  und  ime  sagen,  man  könne  ihn  nit  paßiren 
lassen  oder  für  redlich  halten,  er  bringe  dann  von  seinem  haubtman  ein  ehrliche  paßport. 

H.  C.  Harßdörfer." 

57)  Nämlich  Johann  Rößner,  Paulus  Drechsel,  Rudolf  Geng,  Hans  Schmidt,  Hans  Leon- 
hard Brechtel,  Johann  Kaltenprunner,  Hans  Jakob  Luber  und  Hieronymus  Franz  Fuchs.  — 
Als  Schüler  Heberleins  werden  von  Doppelmayr  (Historische  Nachricht  S.  255  und  264)  noch 
die  bekannten  Maler  Johann  Andreas  Graf  (1637—1701),  der  Gatte  der  Sibylla  Merian,  und 
Johann  Murrer  (1644—1713)  genannt;  ihrem  Lebensalter  nach  kann  es  sich  indessen  bei  beiden 
höchstens  um  einen  Elementarunterricht  gehandelt  haben. 

58)  41.  Totenbuch  (1653/56)  Blatt  187: 

.,Der  erbar  und  kunstreich  Leonhard  Heberlein,  mahler  und  conter- 
f  e  y  e  r,  auch  eines  E.  E.  Raths  alhier  gewesener  statt-  und  landschafftmahler 
unter  der  vesten  gegen  Rosenbad  über  t  30.  Jan.  16S6.  Ist  ein  testament  veriesen,  darff  nicht 
inventirt  werden.    9.  Februarii  ao.  1656." 

59)  [1639/40  VIII,  80a]  21.  November  1639: 

„An  herrn  Dr.  Johann  Neudörffers  statt  ist  im  virthl  bey  St.  Egidien  Leonhardt  Heber- 
lein, mahler,  zum  gassenhaubtmann  erwehlt.  J.  Welser." 

[1640/41  VI,  83a]  19.  September  1640: 

„Die  sogenannte  Sailer  Anna  von  Elterßdorff,  welche  in  Cari  Grundherrn  hauß  sizet,  soll 
man  in  die  canzley  fordern,  sie  über  Leonhard  Heberieinß,  gassenhaubtmanß,  ansag  zu  red  halten 
und  von  ir  vernemen,  wer  die  zauberin  sey,  die  sie  wegen  eines  diebstalß  zu  raht  gefragt,  und 
wo  selbe  anzutreffen;  im  fall  sie  mit  der  sprach  nicht  gerad  herauß  wil,  sie  behauren  lassen, 
dann  gedachter  [83bl  zauberin  nachtrachten  und  sie  inß  loch  gehen  laßen.  Schöpffen."  ^ 

[1648/49,  IV,  40a]  8.  J  u  1  i  1  648  : 

„Den  weber  (oder:  Weber?)  gegen  M.  Wondersieben  über  und  die  bauersleuth,  so  er  bey 
sich  hat,  soll  man  erfordern  und  über  Leonhardt  Heberleins,  gaßenhauptman,  ansag,  das  sie 
die  nachbarschafft  in  grose  (40  b)  gefahr  setzen,  umbstendig  zu  red  halten,  ihre  sagen  wider- 
bringen, femer  rathig  zu  werden.  Feuerherren." 

60)  Beschreibung  der  vornehmsten  Merkwürdigkeiten  in  Nürnberg  (1778)  S.  40. 


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lÖO  ÜBER  EINE  FORTS.  V.  NEUDORFBRS  NACHRICHTEN  0.  IHREN  YERPASS.  HSBBRIiEIN  1584-1656. 

maier  Leonhard  Heberlein  das  Kruzifix  des  Veit  Stoß,  nachdem  es  Georg  Schweigger, 
„unser  Lysippus",  1652  ausgebessert,  übermalt  habe.  Im  übrigen  sind  die  spär- 
lichen späteren  Nachrichten  (von  Hüsgen,  Meusel,  Weyermann  u.  a.)  über  unseren 
Meister  so  vage  oder  so  schwer  kontrollierbar,  daß  wir  hier  kaum  darauf  einzugehen 
brauchen.  Es  gehört  dazu  u.  a.  die  Mitteilung,  daß  Heberlein  eine  Zeitlang  in  Ulm 
gelebt  und  gewirkt  habe,  was  namentlich  innerhalb  des  Zeitraums  von  1610  bis  1623, 
für  den  uns  des  Künstlers  Anwesenheit  in  Nürnberg  durch  nichts  sicher  bezeugt 
ist,  ja  nicht  unmöglich  wäre,  aber  auch  bisher  nicht  nachgewiesen  ist*^).  Und  Weyer- 
mann, der  uns  diese  Nachricht  überliefert,  führt  auch  ein  paar  Zeichnungen  Heber- 
leins an**),  anstatt  deren  wir  —  vgl.  Abb.  3  —  als  eine  Probe  seiner  Kunst  eine 
Federzeichnung  wiedergeben,  die  uns  von  der  Verwaltung  der  fürstl.  öttingenschen 
Bibliothek  in  Maihingen  zu  diesem  Zweck  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt 
wurde.  Sie  ist  von  1616  datiert  und  mit  vollem  Namen  bezeichnet  und  stellt, 
skizzenhaft  mit  bräunlicher  Tinte  auf  jetzt  vergilbtes  Papier  gezeichnet,  eine  Art 
Flußgott  oder  Wassergeist  in  halb  sitzender,  halb  liegender  Stellung  dar,  der  in 
der  Linken  eine  Art  Schaufel  oder  Ruder  hält  und  sich  mit  dem  rechten 
Arm  auf  einen  Delphin  stützt.  Das  eine  gewisse  Routine  verratende,  aber  im 
übrigen  ziemlich  reizlose  Blatt,  das  16,5  cm  breit  und  14,8  cm  hoch  ist,  kann 
möglicherweise  als  Anhaltspunkt  dafür  dienen,  wie  wir  uns  die  Grotesken,  mit 
denen  Heberlein  die  „Gartenhäuser  und  Sommerlauben"  geschmückt  haben  soll, 
zu  denken  haben  mögen.  Einen  eigentlichen  Begriff  von  seiner  Kunst  vermittelt 
es  freilich  keineswegs,  und  wir  werden  auch  wohl  darauf  verzichten  müssen,  je  zu 
einer  richtigen  Vorstellung  davon  zu  gelangen,  denn,  wie  uns  die  kleine  Bio- 
graphie des  Scheurlschen  Konvoluts  berichtet,  war  das  Hauptfeld  seiner  künstle- 
rischen Betätigung  offenbar  die  Dekorationsmalerei,  wohl  zugleich  Freskenmalerei, 
die  er  an  den  ehemals  zahlreich  vorhandenen,  jetzt  aber  so  gut  wie  völlig  ver- 
schwundenen Gartenhäusern  der  reichen  Nürnberger  ausübte.  Als  „Stadt-  und  Land- 
schaftsmaler" war  er  wohl  hauptsächlich,  wofür  ja  gleichfalls  zuverlässige  Zeug- 
nisse beigebracht  werden  konnten,  mit  allerlei  Renovierungsarbeiten,  wie  mit  der 
Erneuerung  der  Wandmalereien  am  Äußeren  der  Schau«'),  betraut.  Seines  Probe- 
stücks, eines  Tafelgemäldes  aus  dem  Gebiete  der  kirchlichen  Malerei,  ist  gleich- 
falls bereits  gedacht  worden,  und  nach  der  aus  dem  Totenbuch  mitgeteilten  Notiz 


61)  Albrecht  Weyermann,  Neue  . . .  Nachrichten  von  Gelehrten  und  Künstlern  . . .  aus  . . . 
Ulm  (Ulm,  1829)  S.  150. 

62)  Ebenda:  „3-  Eine  Handzeichnung  in  der  Wagnerischen  Sammlung  von  275  Stamm- 
büchern in  Ulm,  die  aber  1805  an  die  großherzogliche  Bibliothek  in  Weimar  verkauft  worden. 
4.  Eine  Tuschzeichnung:  Der  Tod  besucht  einen  Alten,  der  am  gedeclcten  Tische  sitzt  In 
Prälat  von  Schmids  Sammlung.*'  Bezüglich  der  Nr.  3  findet  sich  zwar  nach  freundlicher 
Mitteilung  des  Vorstandes  der  Großherzoglichen  Bibliothelc  in  Weimar  „in  Nr.  112  der 
Wagnerschen  Stammbüchersammlung  eine  handschriftliche  Eintragung  des  Malers  Leonh. 
Heberlein  auf  Seite  19b,  aber  leider  keine  Zeichnung.  Merkwürdigerweise  ist  im  Register 
des  Buches  der  Name  Heberlein  ausgestrichen,  was  wohl  darauf  hindeuten  könnte,  daß 
eine  Zeichnung  da  war,  obwohl  eme  solche  in  dem  Verzeichnis  der  Zeichnungen,  das  dem 
Buche  vorsteht,  nicht  aufgeführt  wird.  Auch  in  den  anderen  Büchern  der  Sammlung 
findet  sich  nichts  auf  Heberlein  Bezügliches". 

63)  Vgl.  darüber  auch  F.  T.  Schulz  in  diesen  „Mitteilungen"  Jahrg.  1908  S.  14  f. 


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VON  Da  TH.  HAUPB. 


161 


und  der  darin  enthaltenen  Bezeichnung  „conterfeyer**  muß  er  sich  auch  im 
Pörträtfach  betätigt  haben.  So  könnten  wohl  auch  die  beiden  Radierungen,  die 
L.  Heberlein  im  71.  Jahre  seines  Alters  darstellen,  auf  ein  Selbstbildnis  des  Künstlers 
zurückgehen.  Beide  sind  in  den  Porträtsammlungen  des  Germanischen  Museums 
in  mehreren  Exemplaren  vorhanden,  die  eine  flotter  und  frischer  hingesetzt,  mehr 
zeichnerisch  gegeben,  die  andere  in  ängstlicherer  Ausführung  mehr  bildmäßige  Wir- 
kung anstrebend,  beide  anon)rm  und  nicht  leicht  einem  bestimmten  Stecher  zuzu- 
teilen. Wir  geben  eine  Reproduktion  des  ersteren  der  beiden  Blätter  diesem 
Aufsatze  bei  (Abb.  2)  zur  Ergänzung  des  leider  noch  so  lückenhaften  Bildes,  das 
wir  von  dem  Maler  und  möglicherweise  auch  Schriftsteller  Leonhard  Heberlein  zu 
entwerfen  versucht  haben.  Bei  der  Schätzung,  die  er  genoß,  di'irfen  wir  ihn  wohl 
als  einen  der  besten  Maler  des  damaligen  Nürnberg  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
auch  als  typisch  für  seine  Zeit  betrachten.  Eben  aus  diesem  Grunde  wäre  es  zu 
wünschen,  wenn  das  Schaffen  des  Künstlers  durch  glückliche  Funde  weitere  Auf- 
hellung erfahren  würde. 


Abb.  3.    Federzeichnung  Leonhard  Heberleins  aus  dem  Jahre  1626  in  der  ffirstl. 
öttingenschen  Bibliothek  zu  Maihingen.    (V»  der  Originalgröße). 


MitteUuD^D  aus  dem  germao.  NatiooalinuBeain.    1906.  21 

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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 

Nürnbergs  Ursprung  und  Alter  In  den  Darstellungen  der  Oeschlchtschreiber  und  im  Licht 
der  Geschichte  von  Dr.  E  rn s t  M um  m  e  n h o f  f.  Archivrat.  8.  VI  und  141  SS.  mit  zwei  Plänen. 
Nürnberg,  Verlag  von  J.  L.  Schräg.  1908. 

Es  gibt  wohl  wenig  Städte,  deren  älteste  Geschichte  so  sehr  durch  sagenhafte  Erdich- 
tungen und  Erzählungen,  durch  historisch  unmögliche  Hypothesen  und  widersinnige  Er- 
klärungen von  Gelehrten  und  Ungelehrten  in  dem  Maße  getrübt  und  entstellt  worden  ist  als 
die  der  Stadt  Nürnberg,  und  man  darf  billig  staunen,  daß  es  nicht  schon  längst  jemand  unternahm, 
mit  dem  vielen  Schutt  und  Unrat,  der  sich  auf  diesem  Gebiet  die  Jahrhunderte  hindurch  auf- 
getürmt, aufzuräumen  und  endgültig  glatte  Bahn  zu  schaffen.  Das  ist  nun  geschehen,  und  zwar 
durch  einen  Forscher,  der  wie  kein  zweiter  zur  Durchführung  dieser  Aufgabe  berufen  war,  der 
auf  eine  langjährige  Beschäftigung  gerade  mit  diesem  schwierigen  Gebiet  zurückblickt,  und  der 
weiterhin,  durch  nichts  beirrt,  nur  auf  das  eine  Ziel  losging,  an  der  Hand  sicherer  Gewährsstücke 
die  Wahrheit  zu  ergründen.  Die  vorliegende  Arbeit  bezeichnet  einen  Abschluß  umfassender 
Studien,  und,  was  besonders  wichtig  ist,  einen  endgültigen  Abschluß  der  ganzen  Frage  überhaupt. 
Dies  ist  der  Grund,  weshalb  auch  wir  es  angesichts  des  regen  Interesses,  das  sich  an  den  Namen 
Nürnbergs  knüpft,  nicht  unterlassen  wollen,  auf  dieses  neueste  Werk  zur  ältesten  Geschichte 
der  ehemaligen  freien  Reichsstadt  hinzuweisen. 

Der  erste  Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  der  Schilderung  des  Ursprungs  und  der  frühesten 
Geschichte  Nürnbergs  in  den  Darstellungen  der  älteren  und  neueren  Geschichtschreiber.  Es 
war  wahrlich  kein  Vergnügen,  sich  durch  die  überreiche,  im  Zusammenhang  kritisch  noch  nicht 
gesichtete  Stoffülle  hindurchzuarbeiten,  zumal  das  Material  selbst  oft  recht  spröde  ist.  Aber 
die  frische,  aus  natürlicher  Anschauung  hervorgewachsene  Darstellungsart  des  Verfassers  fesselt 
uns  so  sehr,  daß  wir  nichts  von  alledem  empfinden.  Wir  erfahren  zunächst,  wer  das  Grundübel 
des  ganzen  Wirrwarrs  in  der  älteren  Geschichte  Nürnbergs  gewesen.  Es  war  Sigmund  Meisterlin, 
der  als  der  Erste  Nürnbergs  Geschichte  im  Zusammenhang  behandelte,  und  dessen  haltlose  Auf- 
stellungen, die  darin  gipfeln,  der  Ursprung  Nürnbergs  sei  auf  Tiberius  Claudius  Nero  zurückzu- 
führen, von  der  Mehrzahl  der  späteren  Chronisten  als  bare  Münze  kritiklos  übernommen  wurden. 
Noch  heute  ist  die  Sage  von  einem  Tempel  der  Diana  auf  der  Burg,  von  dem  andere  zu  berichten 
wissen,  noch  nicht  ganz  ausgerottet.  Wiederum  andere  lassen  Nürnberg  durch  Noricus,  den  Sohn 
des  Herkules,  gegründet  sein.  Merkwürdig  genug  ist  es,  daß  selbst  noch  ein  so  ernster  und  ver- 
dienter Lokalforscher  wie  Lochner  sich  der  Möglichkeit  einer  Gründung  Nürnbergs  durch  vor 
Attila  geflohene  Noriker  nicht  ganz  zu  verschließen  vermochte.  Weiter  hat  man  Nürnberg  in  dem 
Segodunum  oder  Bergium  des  Ptolemäus  oder  aber  in  dem  Bremberga  des  Kapitulars  Karls  des 
Großen  wiederfinden  wollen.  Auch  Karl  der  Große  und  Bonifazius  sind  zu  Nürnberg  in  Beziehung 
gesetzt  worden.  Lustig  spinnen  einheimische  und  auswärtige  Geschichtschreiber  an  diesen  Legen- 
den weiter.  Derjenige,  der  am  ehesten  hätte  berufen  sein  können,  hier  Wandel  zu  schaffen,  wäre 
der  bekannte  Annalist  Johannes  Müllner  (1565—1634)  gewesen.  Aber  er,  der  sonst  für  die  histo- 
rische Forschung  der  Nürnberger  Geschichte  einen  solch  außerordentlichen  Fortschritt  bezeichnet, 
war  noch  zu  befangen,  um  das  wirre  Lügengewebe  zu  zerreißen.  So  mußte  der  Anstoß  dazu  von 
außerhalb  kommen.  Aber  es  mußte  eine  geraume  Spanne  Zeit  vergehen,  bis  er  endlich  kam. 
Der  kgl.  preußische  Geheimrat  Johann  Peter  Ludewig  war  der  Erste,  welcher  den  Mut  besaß, 
mit  den  alten  Fabeleien  zu  brechen  und  der  Annahme  eines  hohen  Alters  der  Stadt  entgegenzu- 
treten. Von  den  Nürnbergischen  Historikern  wagte  zuerst  der  Altdorfer  Professor  Johann  Christian 
Siebenkees,  sich  von  der  Tradition  zu  emanzipieren,  indem  er  darauf  hinwies,  daß  Nürnberg  ur- 


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LITERARISCHE  BESPRECHUNGEN. 


163 


kundlich  erst  im  ll.  Jahrhundert  vorkomme.  Es  ist  außerordentlich  lehrreich,  der  Schilderung 
zu  folgen,  die  uns  der  Verfasser  von  der  Entwicklung  der  Darstellung  der  ältesten  Geschichte 
Nürnbergs  von  der  bloßen  Sage  bis  zum  Einsetzen  objektiv  historischer  Forschung  gibt. 

War  das  erste  Kapitel  gewissermaßen  eine  reflektierende  Zusammenfassung  der  Anschau- 
ungen anderer  über  Nürnbergs  Ursprung  und  Alter,  so  bringen  uns  die  beiden  folgenden  Ab- 
schnitte des  Verfassers  eigene  Ansichten,  die  er  sich  durch  eine  gewissenhafte  kritische  Prüfung 
all  der  einzelnen  Fragen  auf  Grund  einer  methodischen  Forschung  an  der  Hand  der  Urkunden 
und  der  ältesten  Baudenkmäler  gebildet.  Nürnberg  begegnet  urkundlich  zuerst  im  Jahre  1050. 
Aber  andere  Orte  der  Gegend  kommen  weit  früher  vor.  Aus  einer  Urkunde  vom  Jahre  1021  geht 
hervor,  daß  es  sich  um  bayrische  Kolonien  handelt,  die  in  der  Waldgegend  nördlich  von  Nürn- 
berg begründet  worden  waren.  Diese  Pertinenzien  des  großen  Könighofes  Uraha  (Herzogen- 
aurach) werden  im  Zusammenhang  mit  dem  im  Jahre  1007  neugegründeten  Bistum  Bamberg 
genannt,  mit  dem  eine  erneute  rege  deutsche  Pionierarbeit  in  den  von  Slaven  bewohnten  Gegenden 
des  Frankenlandes  einsetzte.  Nicht  besiedelt  aber  von  den  Slaven  blieb  das  damals  weit  umfang- 
reichere Gebiet  des  späteren  Reichswaldes,  das  sie  auf  der  Westseite  umgangen  haben.  Als  Be- 
weis hierfür  bringt  der  Verfasser  eine  Urkunde  des  Bischofs  Eberhard  von  Bamberg  (1007—40) 
bei,  in  der  gesagt  wird,  daß  die  Pertinenzien  des  Hofes  Herzogenaurach,  welcher  den  Kanonikern 
des  Bistums  Bamberg  geschenkt  wird,  auf  der  anderen  Seite  der  Pegnitz  im  Land  und  Gebiet 
der  Franken  gelegen  seien.  Diese  Bezeichnung  hat  nach  Mummenhoff  nur  dann  einen  Sinn,  wenn 
man  auf  der  schon  früher  besiedelten  linken  Seite  des  Flusses  slavisches  Land  und  slavische  Be- 
völkerung annimmt.  Jahrzehnte  waren  unterdessen  vergangen.  Ein  starker  fränkischer  Zuzug 
hatte  stattgefunden,  und  so  war  naturgemäß  von  einer  ausschließlichen  Geltung  des  bayrischen 
Rechtes  wie  zu  Anfang  nicht  mehr  die  Rede.  Und  was  nun  Nürnberg  betrifft,  so  kann  es,  als  dort 
im  Jahre  1050  Heinrich  II.  auf  seinem  Eigensitz  die  Fürsten  von  ganz  Bayern  versammelte,  um 
wegen  der  gegen  die  in  die  Ostmark  eingefallenen  Ungarn  zu  ergreifenden  Maßregeln  zu  beschließen, 
nicht  plötzlich  aus  einem  Nichts  aus  dem  Erdboden  gestampft  worden  sein.  Es  muß  —  und  hierin 
können  wir  dem  Verfasser  nur  beipflichten  —  schon  eine  ansehnliche  Größe  gehabt  haben.  So 
läßt  sich  gegen  den  Schluß,  den  Mummenhoff  zieht,  daß  der  Ausbau  des  Ortes  zu  einer  Burg  in 
die  Zeit  von  1030—50  falle,  nichts  einwenden.  Das  zur  Verfügung  stehende  historische  Material 
läßt  eine  andere  Argumentation  als  diese  nicht  zu. 

Der  zweite  Abschnitt  war  eine  Untersuchung  rein  geschichtlicher  Art.  Das  letzte  Kapitel 
wendet  sich  dem  in  dieser  ganzen  Frage  gewichtigsten  Baudenkmal,  dem  Ausgangspunkt  Nürn- 
bergs, der  Burg  zu,  die  sich  auf  einem  markant  aus  der  näheren  und  weiteren  Umgebung  heraus- 
schneidenden Felsplateau  erhebt.  Gerade  hier  hat  sich  der  Verfasser  mit  vielen  irrigen  Ansichten, 
auch  angesehener  neuerer  Geschichtschreiber,  auseinander  zu  setzen.  Er  vermag  sie  sämtlich 
als  unbegründete  Hypothesen  zurückzuweisen.  Anfangs  stand  auf  dem  Burgberg  nur  eine  einzige 
Burg,  die  auf  dem  ursprünglichen  Köi^igshof  erbaute  Königsburg.  Aber  w  0  sie  stand,  darüber 
sind  die  Ansichten  sehr  geteilt.  Aus  einer  Urkunde  vom  Jahre  1270  geht  mit  Bestimmtheit  her- 
vor, daß  die  Burggrafen  damals  auf  der  Burg  beim  fünfeckigen  Turm,  der  Burggrafenburg,  und 
nicht  auf  der  Kaiserburg  saßen.  Essenwein  nahm  an,  daß  die  in  den  Urkunden  erwähnte  Otmars- 
kapelle  sich  auf  der  Kaiserburg  befunden  habe  und  mit  der  oberen  der  Doppelkapellen  im  Heiden- 
turm identisch  sei.  Schlagend  weist  Mummenhoff  die  geschichtliche  Unmöglichkeit  dieser  Hypo- 
these nach,  feststellend,  daß  die  Otmarskapelle  eins  ist  mit  der  Walburgiskapelle.  Sie  gehörte 
den  Burggrafen,  als  in  deren  Bereich  gelegen  sie  im  Jahre  1267  bezeichnet  wird,  und  ging  im  Jahre 
1427  mit  dem  Kauf  der  Burggrafenburg  an  den  Rat  der  Stadt  über.  Später  wußte  man  mit  der 
Bezeichnung  Otmarskapelle  nichts  mehr  anzufangen  und  übertrug  diese  ohne  Bedenken  auf  die 
obere  Kapelle  der  Kaiserburg,  deren  Patron  in  Vergessenheit  geraten  war.  In  Ablaßbriefen  aus 
den  Jahren  1471  und  79  wird  ausdrücklich  gesprochen  von  der  Kapelle  des  hl.  Otmar  auf  der  vor- 
deren Burg  zu  Nürnberg.     Die  vordere  Burg  war  die  der  Burggrafen. 

Essenwein  sah  dann  weiter  in  der  Doppelkapelle  auf  der  Kaiserburg  ein  Mausoleum  der 
Burggrafen,  das  diese  sich  etwa  von  1170—90  errichtet  hätten.  Mummenhoff  macht  dagegen 
geltend,  es  sei  urkundlich  nicht  nachzuweisen,  daß  die  Burggrafen  je  auf  der  Kaiserburg  gewohnt 
hätten.  Diese  gehörte  vielmehr  den  deutschen  Königen,  dem  Reich.  Er  stellt  es  als  ganz  ausge- 
schlossen hin,  daß  der  eine  Burggraf  gleich  zwei  unmittelbar  nebeneinander  gelegene  Burgen  vom 


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164 


UTBRARISCHE  BBSPREGHUN6EN. 


Kaiser  als  Lehen  empfangen  und  die  größere  verhältnismäßig  spät  habe  aufgeben  müssen.  Urkund- 
lich wird  der  Beweis  erbracht  daß  die  größere  Burg  im  Westen  stets  Eigentum  und  Besitz  der 
Könige  und  Kaiser  gewesen  ist,  während  auf  der  Burggrafenburg  von  jeher  der  Sitz  der  Burg- 
grafen war.  Die  Burggrafenburg  war  die  erste  und  älteste  Königsburg,  die  unter  der  Hut  der 
Burggrafen  stand,  welche  bis  um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  die  Bezeichnung  „castellani'' 
führten.  Als  dann  späterhin  die  Burggrafen  Ihre  Macht  in  bedenklicher  Weise  erweiterten,  er- 
baute sich  der  Kaiser  als  Stützpunkt  für  seine  Bestrebungen  zur  Erhaltung  des  Reichsguts  eine 
eigene  Burg,  die  er  der  Verwaltung  eines  besonderen  Vogtes  anvertraute,  dessen  Amt  aber  nicht 
erblich  war.  Die  Erbauung  der  Kaiserburg  versetzt  Mummenhoff  in  die  zweite  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts, und  zwar  in  die  Zeit  Kaiser  Friedrichs  I. 

In  dem  fünfeckigen  Turm  sieht  Mummenhoff  nach  Lage  und  Gestalt  einen  Wartturm. 
Er  steht  an  der  gewichtigsten  Stelle  des  ganzen  Burgbergs,  bildete  den  einzigen  Zugang,  von  ihm 
und  von  seiner  Festigkeit  hing  das  Schicksal  jenes  ab.  Der  fünfeckige  Turm  ist  der  Ausgangspunkt 
der  Nürnberger  Burg.  Im  Anschluß  an  ihn  entstand,  wie  aus  Urkunden  des  11.  Jahrhunderts 
zu  schließen  ist,  zunächst  die  Burggrafenburg,  die  aber,  wie  im  Gegensatz  zu  Essenwein  festge- 
stellt wird,  nur  von  sehr  beschränktem  Umfang  war.  überhaupt  läßt  sich  die  Essenwein'schc 
Rekonstruktion  mit  den  tatsächlichen,  den  historisch-topographischen  Verhältnissen  nicht  in 
Einklang  bringen. 

Um  den  Gang  seiner  Darstellung  nicht  durch  wichtige  Einzeluntersuchungen  in  eigenem 
Zusammenhang  unübersichtlich  zu  machen,  hatte  der  Verfasser  davon  abgesehen,  über  Johann 
Müllners  Annalen,  über  Lochners  Meinungen  über  Alter  und  Ursprung  Nürnbergs,  über  den  fünf- 
eckigen Turm  und  Graf  Konrad  von  Dornberg  Ausführlicheres  zu  bringen.  Er  tut  dies  nun  in 
Form  von  Exkursen,  denen  er  einige  für  seine  Untersuchungen  besonders  wichtige  Urkunden  im 
Abdruck,  zwei  Ortsbeschreibungen  vom  Jahre  1492  und  in  einem  eigenen  Abschnitt  die  An- 
merkungen und  Erläuterungen  anfügt.  Daß  er  letztere  für  sich  brachte  und  nicht  in  der  zusammen- 
hängenden Darstellung,  gereicht  der  ganzen  Arbeit  entschieden  zum  Vorzug. 

Das  Werk  ist  der  Stadt  Nürnberg  gewidmet,  deren  Geschichte  dem  Verfasser  schon  so 
manch  wertvollen  Beitrag  klärender  Art  zu  verdanken  hat.  ~z. 

Joseph  Braun  J.  J.  Die  Kirchenbauten  der  deutschen  Jesuiten.  Ein  Beitrag  zur  Kultur- 
und  Kunstgeschichte  des  17.  und  18.  Jahrhunderts.  Erster  Teil:  Die  Kirchen  der  ungeteilten 
rheinischen  und  der  niederrheinischen  Ordensprovinz.  Freiburg  i.  B.  Herde  r'sche  Verlags- 
handlung.    19O8.     XII  u.  276  S. 

Seinem  Buch  über  die  belgischen  Jesuitenkirchen,  das  ich  im  Jahrgang  1907  unserer  Mit- 
teilungen angezeigt  habe,  konnte  der  Verfasser  schon  nach  einem  Jahr  den  ersten  Band  eines  Werkes 
über  die  Kirchenbauten  der  deutschen  Jesuiten  folgen  lassen.  Die  Vorzüge,  welche  die  Arbeit 
über  die  belgischen  Jesuitenkirchen  auszeichnen,  finden  sich  auch  in  dem  neuen  Werke,  es  beruht 
auf  gründlicher  Kenntnis  der  Denkmäler  und  der  historischen  Nachrichten  über  dieselben.  Die 
Baugeschichte  der  einzelnen  Kirchen  wird  bis  in  die  ersten  Anfänge  verfolgt  und  bei  vielen  wird 
die  allmählige  Entwicklung  der  Entwürfe  an  der  Hand  der  in  der  Nationalbibliothek  zu  Paris  be- 
findlichen Sammlung  von  Plänen  zu  Jesuitenbauten  verfolgt.  Wichtige  Nachrichten  zur  Künstler- 
geschichte des  ausgehenden  16.  und  des  17-  und  18.  Jahrhunderts  werden  gegeben.  Die  Bau- 
beschreibungen und  die  stilistischen  Analysen  sind  klar  und  sachlich,  stets  hat  man  das  angenehme 
Gefühl,  auf  festem  Boden  zu  stehen.  Das  wichtige  allgemeine  Ergebnis  ist,  daß  im  nordwestlichen 
Deutschland  bis  ins  18.  Jahrhundert  die  Gotik  der  herrschende  Kirchenstil  war,  nicht  nur  für  die 
Jesuitenkirchen,  sondern  ganz  allgemein.  „Die  nichtjesuitischen  Kirchen  sind  ebenso  selbständige 
Schöpfungen,  wie  die  gotischen  Jesuitenkirchen.  Wie  diese  so  verdanken  auch  sie  ihren  gotischen 
Charakter  lediglich  dem  Umstand,  daß  im  Nordwesten  Deutschlands  für  den  Kirchenbau  noch 
immer  der  altheimische  traditionelle  Stil,  die  Gotik,  maßgebend  war,  wenn  auch  mehr  oder  weniger 
entartet  und  entstellt  durch  ungotische  Zutaten." 

Das  steht  fest,  und  so  bedarf  denn  auch  die  Frage,  ob  die  frühe  Verbreitung  des  Barocks 
in  Süddeutschland,  namentlich  in  Bayern  und  Österreich  in  den  konfessionellen  Verhältnissen 
begründet  ist,  einer  erneuten  Prüfung.  Wir  hoffen,  daß  uns  der  gelehrte  Verfasser  in  der  Fort- 
setzung seines  Werkes  die  Lösung  dieser  Frage  geben  oder  doch  ihr  näher  bringen  wird. 


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UTEBARISCHE  BESPRECHUNGEN.  165 

Schon  jetzt  hat  er  uns  im  ersten  Bande  von  B.  D  u  h  r ,  Geschichte  der  Jesuiten,  in  dem 
von  ihm  bearbeiteten  Kapitel  über  die  Bauten  (Bd.  I  S.  636  ff.)  einiges  Material  für  das  16.  Jahr- 
hundert gegeben.  B  e  z  0 1  d. 

Der  schwäbische  Schnltzaltar  von  Marie  S  c  h  u  e  1 1  e.  Mit  82  Lichtdrucktafeln  in 
Mappe.  Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte.  91-  Heft.  StraOburg,  J.  H.  Ed.  Heitz 
(Heitz   &  Mündel)  1907. 

Die  vorliegende  Arbeit  hat  sich  die  Aufgabe  zum  Ziel  gesetzt,  an  der  Hand  der  in  Schwaben 
erhaltenen  Werke  die  Entwicklung  des  schwäbischen  Altars  darzustellen.  Der  Nachdruck  ist 
dabei  auf  die  Plastik  und  auf  den  spezifisch  schwäbischen  Charakter  gelegt.  Berücksichtigt  wird 
nur  das  alte  Stammland  Schwaben:  das  heutige  Württemberg  in  erster  Linie,  Hohenzollern  und 
die  angrenzenden  Striche  von  Baden  und  Bayern,  soweit  sich  dort  vollständig  erhaltene  Schnitz- 
altäre finden  lassen  (S.  3)-  Die  Arbeit  gliedert  sich  in  zwei  Teile.  Der  erste  bringt  eine  das  ver- 
streute Material  in  Gruppen  zusammenfassende,  systematische  Betrachtung,  der  zweite  ergänzt 
ihn,  indem  er  die  Unterlagen  für  jene  für  sich  darbietet,  wobei  die  Einzelbeschreibungen  durch 
zahlreiche  Abbildungen  verdeutlicht  werden.  Es  kann  nicht  geleugnet  werden,  daß  ein  solches 
Unternehmen  ein  Bedürfnis  war,  werden  doch  dadurch  festere  Anschauungen  gewonnen  und  neue 
grundlegende  Züge  für  eine  einzelne  bedeutende  Lokalschule  eruiert.  Es  bedurfte  eines  müh- 
samen Fleißes  und  weitgehender  SpezialStudien,  um  das  angestrebte  Ziel  zu  erreichen.  Die 
Verfasserin  hat  es  an  alledem  nicht  fehlen  lassen,  und  die  Kunstwissenschaft  wird  ihr  hierfür  dank- 
bar sein  müssen.  Jeder,  der  sich  mit  Einzelforschungen  zur  schwäbischen  Plastik  beschäftigt, 
wird  sich  ihrer  Arbeit  als  eines  bequem  und  rasch  orientierenden  Führers  gerne  bedienen,  und 
so  wird  das  Werk  von  bleibendem  Wert  sein.  Es  ist  reich  an  guten  Beobachtungen  und  bringt 
manches  schöne  Stück  an  die  Öffentlichkeit,  das  bislang  nicht  bekannt  war.  Nicht  unwichtig 
ist  die  Konstatierung,  daß  bei  der  Fertigstellung  des  schwäbischen  Altares  im  allgemeinen  eine 
Arbeitsteilung  zwischen  Bildhauer  und  Maler  stattgefunden  hat,  und  daß  auch  die  Fassung  der 
figü Hieben  Teile  meist  durch  Malerhand  bewerkstelligt  worden  ist.  In  der  Regel  verhandelt  die 
Kirchpflege  unmittelbar  mit  den  verschiedenen   Künstlern. 

Dr.  Fritz  Traugott  Schulz. 


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Inhaltsverzeichnis  zum  Jahrgang  1908 

der 

Mitteilangen  ans  dem  germanischen  Nationalmnsenm. 


Seite 
Hans  Traut  und  der  Pen ngsdörff er- Altar.    Von  Dr.  Edwin  Red sl ob.    Mit  1  Tafel .  3 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Außenmalerei  in  Nürnberg.    Von  Dr.  Fritz  Traugott 

Schulz.    Mit  2  Tafeln.    (Fortsetzung) 10 

Deutsche  Keramik  im  Germanischen  Museum.    Von  Walter  Stengel.    Mit  4  Tafeln  22,62 

Erhard  Schön  als  Maler,    Von  Dr.  Hans  Stegmann.    Mit  1  Tafel 49 

Anmerkungen  zur  Hirschvogelfrage.    Von  Walter  Stengel 78 

Neuentdeckte  Arbeiten  von  Veit  Stoss.     Von   Dr.  Fritz  Traugott   Schulz.     Mit 

2  Tafeln 89 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Kunst  und  des  Kunsthandwerks  in  Nürnberg  1532 — 42. 

Von  Heinrich  H.eerwagen 106 

Ein  spätgotisches  Ciborium.    Von  Edwin  Redslob.    Mit  1  Tafel 133 

J.  C.  Steinbacher.    Von  Edwin  Redslob.    Mit  1  Tafel 137 

Ober  Zweck  und  Entstehungszeit  der  sogen.  Püsteriche.   Von  F.  M.  Feld  haus,  Ingenieur 

in  Friedenau 140 

Über  eine  Fortsetzung  von  Neudörfers  »Nachrichten«  und  ihren  mutmaßlichen  Ver- 
fasser, den  Maler  Leonhard  Heberiein  (1584—1656).    Von  Dr.  Th.  Hampe      146 
Literarische  Besprechungen 44,  83,  127,  162 


U.  E.  Sobald,  K.  B.  Hofbuchdrucfcerei,  fiGrnberg. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1908.  Taf.  I. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1908.  Taf.  11. 


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Die  Schau  in  Nürnberg.    Nach  einer  Zeichnung  vom  Ende  des  16.  Jahrh. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1908. 


Taf.  III. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1908.  Taf.  IV. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1908.  Taf.  V. 


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Mitteilungen  aus  dem  gernian.  Nationalmuseum.     1908.  Taf.  VI. 


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Mitteilungen  aus  dem  gennan.  Nationalmuseum.     1908.  Taf.  VII. 


H.  G.  3491.  H.  O.  2766. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1908.  Taf.  VIII. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1908.  Taf.  IX. 


Veit  Stoß:  Verkundigungsrelief  in  Langenzenn  v.  J.  1513. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1908. 


Taf.  X. 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1908.  Taf.  XI. 


Spitgotisches  Ciborinm.    (K.  G.  841). 


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Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.    1908.  Taf.  XII. 


Reliqaienmonstranz  von  J.  C  Steinbacher.    (K.  O.  842.) 


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