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Mitteilungen aus dem
Germanischen Nationalmuseum
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
1
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Mitteilungen
AUS DEM
Germanischen Nationalmuseum
HERAUSGEGEBEN
VOM DiRECTORIUM.
JAHRGANG 1904.
MIT ABBILDUNOEN.
NÜRNBERG
Vi:RLAGSE1GENTUM des germanischen MUSEUMS
1904.
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DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR, O'ITO LAUFFER-FRANKFÜRT A. M. *
m.
Die Hindelooper »Kamer«.
Mit einer Tafel.
Von Diepholz begeben wir uns nach Hindeloopen. Wir verlassen damit
die im Museum sich findende Reihenfolge der Stuben, weil dieselbe
lediglich durch die äufseren Verhältnisse des verfügbaren Raumes bedingt
worden ist. Def Weg führt uns von Diepholz durch das Münsterland über
die Ems hinüber in die Niederlande nach Westfriesland, wo südwestlich von
Leeuwarden an der Zuider See das Städtchen Hindeloopen gelegen ist, von
welchem die Hindelooper Kamer, eine der merkwürdigsten, einheitlichsten
und in der Ausstattung sicher die prunkvollste unserer Stuben, Herkunft und
Namen hat.
Es ist in Nürnberg nicht das einzige Mal, dafs ein deutsches Museum
eine Hindelooper Kamer zur Aufstellung gebracht hat. Auch im Kunst-
gewerbe-Museum zu Düsseldorf befindet sich eine solche, von der ein im
Dezember 1896 ausgegebener Führer S. 6 sagt: »Ein holländisches Zimmer
— sogen. »Hindelooper Kamer« — ist in allen se.inen Teilen aus Vorhandenem
nach den Raum Verhältnissen zusammengebaut.« Weiterhin besitzt das Ber-
liner »Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes«
eine Hindelooper Kamer. Da ich nun nach näheren Angaben über Hinde-
loopen suchte, wandte ich mich an den Vorstand dieses Museums, und Herr
Sökeland hatte die grofse Freundlichkeit, mir den Inhalt eines von ihm
beabsichtigten Vortrages in der uneigennützigen Weise mitzuteilen, durch
welche das von ihm geleitete Unternehmen sich so ehrenvoll auszeichnet.
Seine Mitteilungen, für die ich ihm auch öffentlich verbindlichst danke, bilden
die erste Unterlage für den folgenden Bericht. Dieselbe wurde dann noch
wesentlich vermehrt durch das gütige Entgegenkommen des Herrn Konser-
vator Dr. P. C. J. A. Boeles, des Vorstandes des »Museum van het friesch
genootschap van geschied-, oudheid- en taalkunde te Leeuwarden,« wo eben-
falls zwei Hindelooper Kamern aufgestellt sind. Nicht nur verdanke ich jenem
Herrn den eingehenden Katalog des Museums (Leeuwarden. H. Kuipers 1881),
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DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
sondern vor allem hat er mir auch das vergriffene und schwer erreichbare
Werk zugänglich gemacht: S. O. Roosjen en N. D. Kroese te Hindeloopen,
en W. Eekhoff, >Merkwaardigheden van Hindeloopen; bevattende historische
bijzonderheden omtrent de woningen, kleeding, gebruiken en taal der Hinde-
loopers, benevens taalproeven in rijm en onrijm.« Te Leeuwarden, bij W.
Eekhoff 1855.
Zur Geschichte von Hindeloopen ist demnach folgendes zu berichten.
Das Städtchen liegt, von mehreren Kanälen durchzogen, auf einer etwas vor-
springenden Landzunge des östlichen Ufers der Zuydersee. Sein Kirchturm,
der früher auch als Leuchtturm gedient haben soll, ist weithin, selbst von
der Nordsee aus sichtbar. Über Ursprung und Alter der Stadt, die zwei
springende Hirsche im Wappen führt, ist nichts bekannt, nur die Sage, die
an den Namen der Stadt anknüpft, berichtet, dafs ehemals grofse Waldungen
an jener Stelle gewesen seien, wovon die Stadt den Namen Hindeloopen =
Hirschkuhlaufen erhalten habe. In anderem, geistlichem Sinne dagegen suchte
die Priesterschaft den Namen auszudeuten, indem sie über den Eingang der
alten schmucklosen Kirche die Worte schrieb:
»Des Herren woord
Met aandacht hoort!
Komt daartoe met hopen [= in Haufen],
Als hinden loopen!«
Schon im Jahre 779 ist der Ort einmal durch die Normannen geplündert
worden, 1225 wurde er zur Stadt erhoben und erfuhr — seit 1368 zum
Hansabunde gehörig — im Jahre 1378 eine gröfsere Erweiterung des Stadt-
gebietes. Die Stadt hat dann im Laufe der Zeiten mehrere schwere Schick-
salsschläge zu erleiden gehabt: sie ist im Jahre 1491 und abermals zwölf
Jahre später, im Jahre 1503 abgebrannt, sie ist dann 1515 von einem See-
räuber geplündert und gebrandschatzt, und nicht besser erging es ihr 1574
durch die Spanier. Endlich ist sie 1701 zum dritten Male abgebrannt, aber
in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat sich die Stadt schnell von
jenem Umglück erholt, und 1744 zählte man fast 2000 Einwohner. Es folgt
dann eine kurze Zeit der Blüte, die durch eine ausgedehnte Handelsschiffahrt,
vornehmlich nach Rufsland, sodann aber auch nach Dänemark, Norwegen und
Schweden herbeigeführt wurde, und für die das Bestehen grofser Gesellschaften
mit weiten Handelsbeziehungen und mit eigenen Kontoren in Amsterdam,
Enkhuizen und anderen Hafenplätzen Zeugnis ablegt. Allein die Glanzzeit
dauerte nicht lange, denn seit etwa 1780 ist die Stadt wohl infolge der poli-
tischen Veränderungen mehr und mehr zurückgegangen, und während sich
die Bevölkerung von Friesland seit jener Zeit etwa versechsfacht hat, ist die-
jenige von Hindeloopen auf die Hälfte herabgesunken, im Jahre 1855 hatte
es nur ca. 1200 — 1300 Einwohner^^), welche nach wie vor hauptsächlich von
der Schiffahrt, zum Teil auch vom Fischfange lebten. Heute ist es eine tote
Stadt.
51) Vgl. Roosjen-Kroese-Eekhoff a. a. O. S. 4.
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VON DR. OTTO LAÜFFER-FRANKFÜRT A. M.
Man mufs die Geschichte, von Hindeloopen kennen, wenn man das
häusliche Leben seiner Einwohner in den äufseren Erscheinungsformen, die
in der »Hindelooper Kamer« uns entgegentreten, verstehen will. Der weit-
ausgedehnten Handelsschiffahrt und dem dadurch bedingten vielfachen Ver-
kehr mit fremden Völkern, der Jahrhunderte lang angedauert hat, dem Reich-
tum, welcher Üppigkeit und Prachtliebe begünstigte, dem besonderen Ge-
schmack für stark gefärbte und handfeste Stoffe, dazu der scharfen Trennung
zwischen den seefahrenden Familien Hindeloopens und der Ackerbau treiben-
den Bevölkerung der Umgegend u. s. w. ist es wahrscheinlich zuzuschreiben,
dafs die Sprache, die Sitten, die Kleidung und die Lebensweise der Ein-
wohner dieser Stadt soviel Merkwürdiges haben , was von den friesischen
Sitten der umliegenden Orte bedeutend abweicht. Die Verfasser der »Merk-
waardigheden« betonen das ausdrücklich **).
Die Hindelooper haben dann ihre besonderen Sitten mit jener Beharr-
lichkeit, die allen Friesen in hervorragendem Mafse zu eigen ist, bis in die
Mitte des 19. Jahrhunderts zähe bewahrt, wobei ihnen freilich ihre abgeschie-
dene Lage auch wieder beträchtlich zu statten gekommen ist. Erst in den
letzten 50 Jahren sind wie die alten und sehr eigentümlichen Trachten so
auch die Hauseinrichtungen völlig verschwunden, und man kann sie jetzt nur
noch in den Museen kennen lernen. Das Germanische Museum darf sich
daher glücklich schätzen, dafs es ihm noch möglich gewesen ist, eine ganze
originale Hindelooper Kamer aufbauen zu können.
Schon aus der mehrfach betonten Tatsache, dafs die Hindelooper seit
alters Seefahrer sind, hat der Leser entnommen, dafs wir es bei der > Hinde-
looper Kamer« — einem Räume, der dem Namen nach nicht eine Kammer
in unserem Sinne, sondern schlechthin ein Wohngemach darstellt — nicht
mit einer eigentlichen Bauernstube zu tun haben können. Die Einwohner
dieses Hauses sind keine Bauern; der Ackerbau mit seinen einzelnen Han-
tierungen hat auf die Entwicklung und Ausgestaltung dieses Raumes keinen
Einflufs gehabt, sondern es sind ganz andere wirtschaftliche Verhältnisse, die
sein Wesen bestimmt haben. Die Hindelooper Kamer ist eine Bürgerstube,
und man würde sie gründlich falsch beurteilen, wenn man nicht die aus-
gedehnten Handelsbeziehungen ihrer Erbauer in reifliche Erwägung ziehen
wollte. Es ist eine Bürgerstube, die infolge der gleichen Lebensverhältnisse
und infolge der gleichen Anschauungsweise aller Ortseinwohner typisch ge-
worden ist für die Wohnungsausstattung des ganzen Städtchens.
Man darf nun aber nicht etwa glauben, die Erscheinung, dafs sich hier
auch in den bürgerlichen Verhältnissen — im Gegensatz zum Bauernleben,
52) S. 3/4. » Aan deze omstandigheden, welke eeuwen lang bestendig voortduurden ;
aan den rijkdom, die weelde en prachtliefde begunstigde; aan den bijzonderen smaak
voor sterk gekleurde en deugdzame Stoffen; aan de scherpe afscheiding tusschen de
zeevarende familien dezer stad en de meer landbouwende bewoners der omstreken, en
ZOO veel meer, is het waarschijnlijk toe te schrijven, dat de taal, zeden, kleeding en
levenswijze der bewoners dezer stad zoo veel merkwaardigs hebben, dat van de Frieschc
zeden der omliggende plaatsen grootelijks afwijkt.<
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DIE BAÜERNbTUBEK DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
von dem wir in der Einleitung sprachen -7- ein Typus der Wohnungsaus-
stattung zeigt, sei eine kulturhistorische Spezialität von Hindeloopen. Das
ist durchaus nicht der Fall. Die Geschichte von Möbeln und Hausrat auch
der bürgerlichen Verhältnisse kennt seit den Zeiten der Renaissance eine
grofse Reihe von typischen Erscheinungsformen, die den verschiedenen Land-
schaften als eigenster Besitz zukommen. Man kann bis in die erste Hälfte
des 18. Jahrhunderts hinein nicht nur die süddeutschen Möbeln deutlich von
den norddeutschen unterscheiden, sondern auch für die einzelnen Hauptstädte
und ihren Kulturbereich zeigen die Möbeln in Bau und Dekoration — oder
nur in einem von beiden — gewisse Eigentümlichkeiten, die ihnen einen
durchaus lokalen Charakter verleihen. Auch die bürgerlichen Möbeln waren
früher an landschaftlich übliche Formen gebunden, und erst mit dem Rokoko
setzt hier der Weltstil ein. Die in Hindeloopen zu Tage tretende Erscheinung
des bürgerlichen lokalen Wohntypus hat also an und für sich für den Kultur-
historiker nichts Auffallendes. Was sie aber aus anderen Parallelverhältnissen
heraushebt, das ist die erstaunliche Dauerhaftigkeit, die trotz der reichlichen
Verkehrsbeziehungen nach auswärts diesen Typus bis in die Mitte des
19. Jahrhunderts hat fortleben lassen. Wenn die Museen sich also berechtigt
fühlen, neben den deutschen Bauernstuben auch eine Hindelooper Kamer
aufzubauen, so liegt der Grund dafür nicht etwa in der Gemeinsamkeit der
Entstehungsbedingungen, sondern eigentlich nur in der gleich langen Lebens-
dauer.
Man mufs diese Verhältnisse sich vor Augen halten, wenn man beim
Durchgange durch die Reihe der Bauernstuben plötzlich die Hindelooper
Kamer als ein nicht ganz gleiches Glied aus der Kette hervorragen sieht.
Die Verschiedenheit wird nun freilich durch ein zweites Moment noch etwas
erhöht. Wir sahen ja schon, dafs Hindeloopen direkt am Meere gelegen ist,
und dafs es aufserdem noch von mehreren Kanälen durchzogen wird. Diese
äufseren Verhältnisse, die die Einwohner zwangen, bei dem Wohnbau und
seiner Einrichtung nicht nur auf gelegentliche Überschwemmungen, sondern
auch auf eine fortwährende starke Bodenfeuchtigkeit Rücksicht zu nehmen,
haben in der »Kamer« und ihrer Einrichtung manche Erscheinungsformen
entstehen lassen, die das an und für sich schon Auffallige dieses Wohnraumes
noch erhöhen. Wir werden bei der Schilderung der Einzelheiten noch darauf
zu sprechen kommen. —
Die meisten Häuser Hindeloopens waren aufsen, nach der Darstellung
der »Merkwaardigheden« S. 8, noch im Jahre 1855 nur ein Stockwerk hoch,
mit spitzen Giebeln gebaut und mit Ziegeln gedeckt. Früher wurde ein voll-
ständiges Hindelooper Haus eingeteilt in: das >Binnenhaus« (binnenhuis), das
Mittelhaus (middelhuis), das Aufsenhaus (buitenhuis) und das Kleinhaus (lyts-
oder kleinhuis). Dieses letztere war durchgehends ein kleines Gebäude, eine
Sommerwohnung am Meeresufer, die meistens im Frühjahr bezogen wurde,
um das grofse- oder Wohnhaus im Sommer so viel als möglich rein zu halten.
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VON DR. OTTO LACFFER-FRANKFÜRT A. M.
Im Wohnhause wurde das vordere Zimmer an der Strafse die »Binnenkamer«
genannt und das hintere Zimmer die »Buitenkamert **).
Dieses hintere Zimmer, die »Buitenkamer« ist es, die im Museum auf-
gebaut ist, und wenn wir durch den nur 0,70 m breiten Eingang, der bei
Fig. 21. Grundrifs der Hindelooper Kamer.
53) »Merkwaardigheden«, S. 8. >Uitwendig zijn de meeste huizen thans nog van
^^ne verdieping hoogte net spitse gevels gebouwd en met pannen gedeckt. Eertijds
werd een volledig Hindelooper huis verdeeld in: het binnenhuis, het middelhuis, het
buitenhuis en het lyts- of kleinhuis. Dit laatste was doorgaans een klein gebouw of
vertrek aan den waterkant, dat veelal in het voorjaar werd betrokken, om het groot- of
woonhuis in den zomer zoo veel mogelijk zendelijk te houden. — De voorkamer aan de
straat wordt de binnenkamer geheeten en de achterkamer de buitenkamer.«
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DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
einer Höhe von 2 m eine Länge 1,35 hat, in den Raum hineintreten, so
müssen wir uns vorstellen, dafs wir die nach der Strafse zugelegene Vorder-
stube bereits durchschritten haben und jetzt auf die hintere Hauswand zu-
schreiten, durch dessen Fenster der Blick in den Hof fallt.
Wir befinden uns in einem sehr geräumigen Gemache, Fig. 21 (5,25 m lang
und 5, 13 m breit), welches die stattliche Höhe von 3,25 m hat, eine Höhe, die meines
Wissens von keiner einzigen Bauernstube Deutschlands — das Flet ist, wie wir
sahen, etwas völlig anderes — auch nur annähernd erreicht wird. Freilich ist uns
ein solcher Raum nicht völlig unbekannt, denn es sind dieselben hohen und
lichten Gemächer, die uns auf den Bildern der holländischen Maler des 17. Jahr-
hunderts entgegentreten. Ich erinnere in dieser Hinsicht nur an J. Koedycks
im Kgl. Belgischen Museum zu Brüssel befindliche »Holländische Stube«, ein
Bild, welches durch seine Reproduktion im »Klassischen Bilderschatz« (Nr. 749)
leicht zugänglich ist, und auf dem wir einen ähnlichen hohen von gleich-
mäfsigem Lichte durchfluteten Raum dargestellt finden wie die Hindelooper
»Kamer.«
Blicken wir uns nun in dieser Stube etwas näher um, so fällt uns so-
gleich auf, dafs die vier Wände zweierlei grundverschiedene Gesichter zeigen,
da zwei von ihnen eine kräftig gebräunte Vertäfelung von Eichenholz tragen,
während die beiden anderen bis an die Decke hinauf mit blaudekorierten
Wandplättchen belegt sind. Dieser Fliesenbelag, so schmuckvoll er uns auch
anmutet, ist doch nicht etwa nur als Dekoration aufzufassen, er hat vielmehr
eine sehr wichtige Funktion im Hause zu verrichten, denn die beiden Wände,
die er bedeckt, sind die gegen die Wetterseite gerichteten Aufsenwände des
Hauses, und die Wandplättchen haben den ganz bestimmten Zweck, dem
Eindringen der Feuchtigkeit zu wehren. Daneben aber bestimmen diese
Plättchen durch ihre Dekoration ganz wesentlich den Eindruck des gesamten
Gemaches. Sie sind nicht alle gleich ausgestattet. Bis etwa in Reichhöhe
zeigen sie in blauer Bemalung zahllose verschiedene biblische Darstellungen,
die freilich auf einen hohen künstlerischen Wert keinen Anspruch machen
können, vielfach sind es sogar die reinen KarrikatureÄ, auf denen die Personen
mit schiefen Köpfen und dick vorquellenden Stirnen einen mehr lächerlichen
als heiligen Eindruck machen. Diese Platten können bei ihre!* grofsen Anzahl
eben alle nur sehr flüchtig dekoriert werden, die Bemalung ist nur Handwerks-
arbeit, aber vielleicht gerade deshalb sieht man ihr an, dafs sie dem Maler
sicher und flott von der Hand gegangen ist, und sie gibt, auf dem in pein-
licher Sauberkeit erglänzenden weifsen Grunde, der Wand etwas Warmes und
Schmuckvolles.
Über dieser unteren Plattenwand nun zieht sich eine Borte von schmalen
Kantenfliesen hin, welche, wie Fig. 22 zeigt, der Wand eine leichte und feine
Gliederung geben und auch die Ecken des Kamins und die Rahmen der
Fenster mit einer fortlaufenden kobaltblauen Blumenranke umziehen. Ober
dieser Kante nun wird die Wand bis zur Decke hinauf mit einer anderen
Art von Plättchen bedeckt, welche nur an den vier Ecken naturalistische
Verzierung zeigen, während der ganze übrige Teil jedes Plättchens, durch
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VON DR. orro laüffer-frankfurt a.m.
einen dreifachen Kreis umgrenzt, einen Fond bildet, in dessen Mitte ein
laufendes oder springendes Tier steht, als Hund, Hase, Reh, Antilope,
Kameel etc., hier und da auch ein Mensch, aber auch dieser wie es scheint
immer in laufender Bewegung. Diese Platten werden nach den darauf be-
findlichen Darstellungen als »Springer« bezeichnet. Sie geben der Wand nach
oben hin einen etwas helleren Abschlufs.
Im ganzen entspricht diese Ausstattung der Wände dem, was die Merk-
waardigheden darüber sagen: »AI de muren zijn met blaauw geschilderde
Vierkante tegeltjes, meest bijbelsche voorstellingen bevattende, opgezet.« (S. 8.)
Wenn man die Museums-Stube, wie ich bereits andeutete, vom Haus-
innern aus betritt, so sind es die rechtsliegende ungegliederte Wand und die
gegenüberliegende Fensterwand, die mit Fliesen belegt sind. Jene ist, wie man
sich vorstellen mufs, die Aufsenwand gegen die Strafse, diese führt nach dem
Hofe. Sie ist, wie man aus Fig. 22 Tafel I ersieht, lebhaft gegliedert. Die
Mitte nimmt der Kamin ein, den wir später noch näher besprechen werden.
Daneben liegen beiderseits zwei grofse Fenster — 2,23 m hoch und 1,05 m
breit — aus fünf mal fünf eingekitteten Scheiben bestehend, deren Rahmen
und Fensterstege in ihrer farbigen Ausstattung einen leichten Kontrast zu
dem blau-weifs der Fliesen bilden. Sie sind schwarzblau und weifs marmoriert
und zeigen rote Abfassungen.
Über diesen beiden grofsen Fenstern nun aber liegen, was die Wand
besonders eigenartig erscheinen läfst, noch je zwei kleinere Rundbogenfenster
mit zweimal vier Scheiben in gleichfalls bunt bemalten Rahmen. Sie reichen
fast unmittelbar bis zur Decke hinauf, und sie zeigen deutlich das Bestreben,
dem graulichen und etwas gedämpften Tageslicht der westfriesischen Küste
so viel als irgend möglich den Zutritt in das hohe Zimmer zu ermöglichen.
Alles in allem entsprechen auch diese Fenster denjenigen, die uns auf hol-
ländischen Bildern zu begegnen pflegen, und wenn sie auch nicht mehr wie
im 17. Jahrhundert verbleit sind, so machen sie mit ihren kleinen Scheiben
und ihren weiten Lichtöflfnungen doch denselben oder wenigstens einen sehr
ähnlichen Eindruck wie »z. B. die Fenster auf dem genannten Gemälde von
Koedyck oder auf dem im Buckingham Palace zu London befindlichen Bilde
der »Spitzenklöpplerin« des Pieter van Slingeland. (Klassischer Bilderschatz
Nr. 1212.)
Neben der linken Fenstergruppe ist aus dem sonst durchaus viereckigen
Gemach ein Verschlag ausgespaart. Derselbe bildet einen kleinen Flur, der
den Ausgang zum Hofe vermittelt und für das Zimmer als eine Art Wind-
fang dient. Er ist auf der Zeichnung von Fig. 23 nicht mehr zu sehen.
Fassen wir nun die beiden anderen Wände in's Auge, so bietet sich
uns ein völlig anderer Eindruck. Figur 23 läfst den Kontrast der verschie-
denen Wände deutlich erkennen. Wir sehen dort die gegen das Vorderhaus
zu gelegene Wand, die der Fensterwand gegenüber liegt. Durch den kleinen
Gang auf der rechten Seite mit der hinteren Abschlufstür haben wir das
Zimmer betreten. Die ganze Wand ist, wie auch Fig. 23 deutlich zeigt, nach
den Worten der »Merkwaardigheden« von geglättetem Eichenholz gefertigt,
Mitteilungen aus dem german. Nationalm useam. 19(H. 2
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DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
3
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VON DR. OTl'O LAÜFFER-FftANKFURT A. M. 1 1
mit Pfeilern, Schnitz- und Rahmenwerk gegliedert und zeigt nur oberhalb eines
quer überlaufenden Teilerbortes eine ebenmäfsig glatte Fläche ^^). Aufser
dem genannten Gange wird fast die ganze Breite der Wand eingenommen
durch zwei neben einander liegende Butzcn, jene in die Wand eingebauten
Bettstätten, die uns schon in der niederdeutschen Dönse begegnet sind, und
die in Hindeloopen und wohl in ganz Westfriesland als »bedschutting« be-
zeichnet werden ^'^). Diese Betten liegen etwa 80 cm über dem Fufsboden
in der Wand. Der unter ihnen befindliche Sockel ist gewöhnlich mit den
bereits geschilderten blaudekorierten Wandplättchen belegt**). In unserem
Falle zeigt er eine Bretterverschalung, die mit gutem Geschmack dekoriert
ist, indem auf ihren weifsgestrichenen Grund mit erstaunlicher Sicherheit ein
grofszügiges naturalistisches Rankenwerk in blau aufgesetzt ist, welches sich in
der Wirkung den blau und weifsen Wandfliefsen völlig anschmiegt. Zwischen
diesen Ranken finden sich Chinoiserien eingestreut, welche darauf hinweifsen,
dafs diese ganze Art der Dekoration der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
ihren Ursprung verdankt, seit welcher Zeit sie sich, also mindestens 100 Jahre
lang, den Einflüssen der neueren modischen Kunst zum Trotz, im Gebrauch
erhalten hat.
Die Doppeltüren der darüber liegenden Butzen zeigen unten Rahmen-
werk in Eichenholz, sind aber in dem oberen Felde* durch ein zierlich
gedrehtes Säulengitterwerk durchbrochen. Dieses Gitter dient dazu, den
dringend erforderlichen Luftwechsel zwischen den Bettkästen und dem übrigen
Stubenraum zu ermöglichen, und es bildet hygienisch betrachtet einen grofsen
Vorzug, den diese westfriesischen Betten, soviel mir bekannt ist, vor sämt-
lichen schlecht gelüfteten niederdeutschen Butzen voraus haben. Die Mafs-
verhältnisse des Gitters, wie die Einteilung und Gliederung der ganzen Paneel-
wand zeigen einen so feinen und sicheren Geschmack, wie er uns in den
kleinbürgerlichen Kreisen, mit denen wir es hier zu tun haben, geradezu mit
Bewunderung erfüllen mufs. Schliefslich ist noch zu erwähnen, dafs die
linke Seite des Durchganges, gegen die Betten zu, zwei Türen über einander
trägt, die obere für die Bettstätten, die untere für einen kleinen Keller.
Die auf unserer Abbildung Fig. 23 sichtbare Tür in der rechten Seitenwange
des Ganges erschliefst den Zugang zu einer nach dem Boden hinführenden
steilen Treppe. Auch diese Tür ist oben mit Gitterwerk durchbrochen. Alle
die verschiedenen Türen dieses Durchganges werden von den Bewohnern mit
bestimmten Namen benannt, die wir teilweise kennen lernen, wenn die Merk-
waardigheden darüber berichten: »In dem Durchgange befindet sich die
»Meldoar« oder Mitteltür und dahinter die Treppentür nach dem Boden und
den Schlafstätten (die sogenannte »Optredsdoar«), unter letzterer diejenige
54) »Vervaardigd van glad eikenhout met pilaren, snij en paneelwerk en is boven
de lijst effen glad.«
55) Vergl. Catalogus van het Museum van het friesch genootschap van geschied-
oudheid en taalkunde te Leeuwarden. Leeuwarden. H. Kuipers. 1881. S. 291.
56) Merkwaardigheden S. 8: >AI de muren zijn met tegeltjes opgezet, even als het
muurtje beneden de bedschutting.«
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12 DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
nach dem Keller*'). Auf die Ausstattung der Wände mit Möbeln und Zierrat
werden wir später zu sprechen kommen.
Die letzte Wand der > Kamer« verbindet die linke Seite der auf Fig. 22
abgebildeten Fensterwand mit der rechten Ecke der soeben besprochenen
Panneelwand (Fig. 23). Sie zerfällt deutlich in drei Teile. Zunächst legt
sich vor das an die Fensterwand anstofsende Drittel der bereits erwähnte,
in das Stubenviereck eingeschobene Flur, an dessen Schmalseite die Tür
liegt. Er wird, wenn die äufsere — im Museum nicht sichtbare — Eingangs-
türe verschlossen ist, von der Kamer aus erhellt, denn von hier aus führt
ein Fenster nach ihm hin, welches ihm ein meist wohl nur spärliches Licht
gewährt und zugleich den Bewohnern einen Überblick über den Flur gestattet.
Die Tür ist schiefgestellt, und sie entspricht darin völlig den Angaben,
die die Merkwaardigheden darüber machen mit den Worten: > Nächst der
Seitenbettstatt liegt eine schief gestellte Tür zu einem Eingang, durch den
man auf den Hof, den sogenannten Wall kommt.
In diesem Zusammenhange möchte ich, um nach Möglickeit einen Be-
griff von dem ganzen Hauswesen zu geben, auch gleich anfügen, dafs nach
Angabe der Merkwaardigheden am Ende des Hofes das »Lytshuis« , die
Sommerwohnung, gelegen ist, bei welcher sich eine eigene Feuerstätte, der
»Smoeger«, d. i. eine Art kleine Küche, und die Bleiche befinden. Gärten
und ähnliche Anpflanzungen kannte man in Hindeloopen nicht, ebenso wie
auch Bäume lange Zeit an jenen Küstenplätzen zu den Seltenheiten ge-
hörten ^^).
Das zweite Drittel der ganzen Wand wird ähnlich wie bei der Rück-
wand (Fig. 23) durch eine Butze eingenommen, welche das in die Stube ein-
gebaute Flur-Viereck in gewissem Sinne fortsetzt und dadurch das Störende
dieses Einschiebsels^ wesentlich mindert. Die Butze selbst zeigt ebenso wie
die bereits geschilderten eine dunkelbraune Holz vertä feiung sowie in den
Türen das erwähnte Holzgitter.
Das letzte Drittel endlich in der hinteren Stubenecke bildet zwischen
der Schmalseite der Butze und dem rechts vom Gange (Fig. 23) gelegenen
Teile der Hinterwand eine Nische , welche fast ganz von einem grofsen,
schweren Eichenschranke eingenommen wird, den wir später noch etwas näher
besprechen wollen.
Haben wir nunmehr die vier Wände kennen gelernt, so erübrigt es
noch, auf Fufsboden und Decke einen Blick zu werfen. Der erstere ist durch-
weg mit grofsen quadratischen Bodenplatten belegt, und wir sahen bereits,
dafs diese sehr dauerhafte Art durch die örtlichen Verhältnisse bedingt wird,
57) Merkwaardigheden ^ 10/11: »In den doorgang . . bevindt zieh de meldoar of
middeldeur, en daarachter de trapsdeur naar den zolder en de slaapplaats i de optredsdoar),
benevens die naar den kelder».
58) Merkwaardigheden S. 11: »Naast de zijdbedstede leidt eene schuins geplaatste
deur naar een portaal, waar door men komt op de binnenplaats, de wal gcnaamd, aan
wier einde het lytshuis of de zomerwoning is, waarbij eene stookplaats (de smoeger) en
de bleek. Tuinen of beplantingen kende men hier niet, gelijk boomen in dcze zeeplaats
langen tijd zeldzaamheden waren.«
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VON DR. OTTO LAUPFER-FRANKFÜRT A. M.
13
da ein hölzerner Fufsboden infolge der anhaltend greisen Bodenfeuchtigkeit
sich nicht empfiehlt. Auch hier sehen wir nun sogleich wieder einen ge-
wissen Farbensinn obwalten, denn der Boden besteht nicht durchgehend aus
einfarbigen Platten, vielmehr sind dieselben abwechselnd rotbraun und schwarz
zusammengesetzt, sodafs der ganze Boden mit einem Schachbrettmuster über-
deckt ist, welches mit seinen warmen gedämpften Tönen das Behagliche des
Raumes nicht unwesentlich erhöht*').
Diefer gemusterte Boden ist nicht nur für Hindeloopen typisch, er be-
gegnet auch sonst häufig auf holländischen Bildern. Ich brauche in dieser
Hinsicht nur auf das als »Häusliche Scene« bezeichnete Bild von Pieter de
Hooch zu verweisen, welches sich im Rijksmuseum zu Amsterdam befindet,
und welches den schachbrettgemusterten Boden in zwei Gemächern neben-
einander sehen läfst (Klassischer Bilderschatz Nr. 815). Dieselbe Art bemerken
wir auf Jan Steens Wirtshausbilde in der Gallerie des Haag und auf dem
»Dreikönigsfest« desselben Meisters im Buckinghampalast zu London"^). Auf
die allgemeine Geschichte der gemusterten Fliesenböden im einzelnen einzu-
gehen, kann hier nicht unsere Aufgabe sein®^).
Die Decke mit ihren zahlreich durchlaufenden Balkenträgem ist auf
Fig. 23 noch zum Teil sichtbar. Sie besteht — wie auch äie Merkwaardig-
heden S. 9 ausdrücklich angeben — aus bestem Fichtenholz. Sie wird nicht
gestrichen, sondern sie zeigt das naturfarbene Holz, welches jährlich einmal
durch Scheuern gereinigt wird. —
Damit haben wir die bauliche Ausstattung der Stube kennen gelernt,
und wir würden uns jetzt der Einrichtung derselben mit Möbeln und Schmuck-
stücken zuwenden, wenn nicht vorher noch ein wichtiger Teil des Hauses unsere
Aufmerksamkeit fesselte. Das ist die Heiz- und Kocheinrichtung. Beide sind
in einem vereinigt, aber es ist nicht, wie es uns im niederdeutschen Flett
begegnete, das freilodernde Feuer eines Herdes, welches zugleich die Wärme
zu spenden hat, sondern es ist die nichtgermanische, von den Romanen ent-
wickelte Art des Kamins, die uns hier begegnet. Der Kamin liegt, wie
Fig. 21 zeigt, zwischen den beiden früher geschilderten Fenstergruppen, d. h.
also an der Aufsenwand. Auch diese Situation der Feuerstelle ist, wie ich
hier gelegentlich bemerke, nicht deutsch, denn im niederdeutschen Hause
liegt der Herd bei allereinfachster Hausform — nur Flett ohne Stuben —
in einiger Entfernung vor der Hinterwand und gestattet also den Bewohnern
die Kreislagerung um das Feuer. Er rückt erst an die Wand heran, wenn
ihm in der komplizierteren Hausform durch die neu angefügten Stuben die
Funktion der Erwärmung zum Teil abgenommen ist, und selbst da geschieht
es, wie wir z. B. bei Diepholz sahen, längst . nicht immer. Im zwei-
59) Merkwaardigheden S. 9: »De vloer der kamer bestaat uit roode en z warte
verglaasde vloersteenen of estrikken.«
60) Vgl. H. Knackfufs, »Künstlermonographien XIX«. Jan Steen. Abb. 12 u. 17.
61) Ich verweise in dieser Hinsicht auf: K. G. Stephani, >Der älteste deutsche
Wohnbau und seine Einrichtung. II.« S. 259 ff. (Leipzig 1903) und auf: Ed. Becking,
»Fliesenböden nach Gemälden des 15. und 16. Jahrh.« Stuttgart 1903.
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14 DIE BAÜERNSTÜBEK DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
feuerigen oberdeutschen Hause liegen die Verhältnisse ganz anders, aber
auch dort finden wir die beiden neben einander auftretenden Feuerstellcn,
nämlich Ofen und Herd, immer an die beiden Seiten der Trennungswand
zwischen Stube und Küche angelehnt. Sie rücken dann wohl an die Längs-
wand des Hauses heran, niemals aber finden wir eines von ihnen an die
Giebelwand angelehnt, wie solches bei unserem Kamin der Fall ist.
Im einzelnen brauchen wir hier diesen Unterschieden, die für die Ge-
schichte der volkstümlichen Bauweise von grofser Wichtigkeit sind, nicht
näher nachzugehen. Ich habe nur deshalb darauf hingewiesen, damit der
Besucher der Hindelooper Stube sich darüber klar wird, dafs er sich nicht
mehr auf dem Boden des deutschen Wohnbaues befindet, dafs vielmehr der
seiner Herkunft nach urdeutsche Westfriese, bei dem wir in Hindeloopen zu
Gaste sind, ein Haus bewohnt, welches in Anlage und Einrichtung eine
Mischung von deutschen und romanischen Elementen darstellt. Eine nähere
Untersuchung ist, soviel ich sehe, über dieses Verhältnis bislang nicht ange-
stellt worden, sie würde aber für die westfriesische Lokalforschung eine dank-
bare Aufgabe sein.
Für den Kamin ist zwischen den Fenstern eine mit einem flachen Bogen
überwölbte Nische ausgespart, die sich über einer auf dem Boden aufliegen-
den Sandsteinplatte erhebt. Darüber hängt der wenig vorspringende Rauch-
fang, der wie ein grofses viereckiges Rohr vor die Wand gelegt ist und —
hier ohne jegliche Verjüngung — bis zur Decke hinaufsteigt. Sein unterer
Abschlufs besteht in einem profilierten Holzrand mit Tellerbord , von dem
ein kurzer, buntfarbig geblümter Kattunstreifen zu leichten Vertikalfalten ge-
kräuselt vorhangartig herabfällt*^). Der Rauchfang sowohl wie die Nische
sind mit ihrer Ausstattung insofern völlig in die Wand einbezogen, als auch
sie durchaus mit Wandplättchen belegt und an ihren Rändern von den be-
reits geschilderten schmalen Kantenfliesen umsäumt sind. Nur in der Mitte
der Nische, da wo die Wand am meisten der Einwirkung der Glut ausgesetzt
ist, wird der Fliesenbelag durchbrochen durch eine in die Wand eingesetzte
gufseiserne Kaminplatte. Dieselbe trägt unten die Bezeichnung »H. H. S. 1665«
und zeigt eine Verzierung mit Flankensäulen und Kartuschenwerk, von wel-
chem zur Mitte ein Reif mit darinsitzendem Papagei herabhängt. Diese Kamin-
platten sind vielfach in beträchtlicher Gröfse und in reicher Dekoration ge-
gossen worden. Ich verweise in Rücksicht auf sie auf die Arbeit von Jos.
Fischer, > Plaques de cheminee et de foumeau« Luxembourg, Beifort 1900,
die mir hier leider nicht zugänglich war. Wie weit sie mit den sogen. Taken-
platten verwandt sind, kann ich nicht entscheiden ®^).
In gleicher oder sehr ähnlicher Anlage, wie die bislang beschriebene
bauliche Ausführung des Hindeloopener Kamins' zeigt, begegnet uns die Feuer-
stätte bereits auf den holländischen Bildern des 17. Jahrhunderts. Ich kann
62) Vergl. Merkwaardigheden S. 9 : » Aan den grooten en wijden schoorsteenmantel
hangt een schoorsteenkleed van Oostindisch bont, met eeri dito van wit linnen er önder.«
63) Vergl. Franz v. Pelser-Berensberg, >Mitteilungen über alte Trachten und
Hausrat, Wohn- und Lebensweise der Saar- und Moselbevölkerung«. 2. Aufl. Trier 1901. S. 25.
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VON DR. OTTO LAUFFEB-FRANKFURT A. M.
15
in dieser Hinsicht wiederum auf die schon genannten Bilder von S. Koedyck
und P. van Slingeland verweisen, die freilich beide ein wenig anders seitlich
eingefafst sind: das erste zeigt die einzig sichtbare Kaminwange hermenartig
ausgestaltet, auf dem zweiten ist der Kamin durch zwei Säulen, dip den
Schornstein tragen, flankiert. Aufserdem scheint auf dem Koedyck'schen
Bilde auch der Schornstein nach oben schräg in der Wand zu verlaufen.
Vor allen Dingen möchte ich aber zum Vergleich ein Bild heranziehen, wel-
ches ich in Fig. 24 reproduziere. Es stammt aus dem für die Geschichte
des westfriesischen Wohnungswesens überaus wichtigen Werke von J. Luiken:
»Het leerzam huisraad verstoom in vyftig konstige figuuren met godlyke sprenken
en stichtelyke verzen«, einem Buche, welches im Jahre 1711 in Amsterdam
Fig. 24. Jan Luikens Bild: „De Haardstee.**
erschienen ist und in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts eine neue Auf-
lage erlebt hat. In demselben schildert der Verfasser auf fünfzig selbst-
gefertigten Kupferstichen die holländische Wohnung mit ihren Möbeln und
Geräten und begleitet diese Bilder mit einem Text, der die einzelnen Stücke
in religiös-symbolischen Sinne ausdeutet®'*). Leider gibt dieser Text selbst
64) Des grofsen Interesses halber führe ich die einzelnen Stücke in alphabetischer
Reihe nach Luikens Register hier auf: S. 138. Asschop = Aschenschüppe. S. 142. As-
veeger = Aschenfeger. S. 8. Bed = Bett. S. 146, Bezem = Besen. S. 92. Blaasbalk =
Blasebalg. S. 72. Boekekas — Bücherschrank. S. 18. Doofpot = Kohlendämpfer. S. 88.
Emmer = Eimer. S. 12. Hardstee = Herdstätte. S. 168. Heugel = Kesselhaken. S. 64.
Horlogie = Uhr. S. 176. Juweel-Koffer = Schmuckkasten. S. 50. KaarsnuiJter =r Licht-
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16 DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
für die Geschichte des lokalen Wohnungswesens eigentlich gar nichts, dafür
aber sind die zahlreichen Abbildungen um so wertvoller. Dort ist denn auch
(S. 12) der Kamin unter der Bezeichnung »De haardstee« in der Weise ab-
gebildet, wie es unsere Fig. 24 in Originalgröfse wiedergibt. Man sieht dort
die niedrige Herdplatte, auf der das Feuer brennt, darüber den weiten Rauch-
fang mit dem Schornsteinkleide. Die Rückwand ist mit Fliesen bedeckt, ab-
gesehen von der dem Feuer direkt ausgesetzten unteren Hälfte der Kamin-
nische, über die eine breite Eisenplatte gelegt ist, die wir durch den Rauch
hindurchschimmern sehen.
Diese holländischen Kamine, von denen Joh. Karl Gottfried Jacob s-
sons technologisches Wörterbuch (Berlin, Fr. Nicolai 1782) II, S. 276 sagt, sie
haben einen mit dem Fufsboden gleichen Herd als besonderes Merkmal,
müssen nach desselben Schriftstellers Berichten auch in denjenigen Gegenden
Deutschlands, wo man überhaupt Kamine benutzte, nicht eben selten gewesen
sein. Dazu scheint die Art, in der die Holländer ihre Kamine zu dekorieren
pflegten, in Deutschland Anklang gefunden zu haben. Deshalb und besonders
auch weil wir in den »Bauernstuben« des Museums nur dieses eine Mal einem
Kamine begegnen, möchte ich das, was Jacobsson II, S. 342 darüber sagt,
hier mitteilen. Es heifst dort: »Man verstehet jetzt gewöhnlich unter Kamin
einen in Stuben, grofsen Zimmern und Sälen in der Wand angebrachten und
zierlich gebauten Ort oder Öffnung, worinn man Feuer machen und die Zim-
mer damit einigermafsen (!) erwärmen kann. Nach den verschiedenen Manieren
seiner Einrichtung heifst ein Kamin entweder ein italienischer oder holländi-
scher oder französischer. Die erste Art wird bei den Deutschen nicht son-
derlich nachgemacht; die holländischen aber und vornehmlich die französischen
findet man fast allenthalben in deutschen Gebäuden .... Die Einfassung
ist von Steinen oder von echtem oder gemachtem Marmor. Die Simse
über der Einfassung, die nicht von allen Baumeistern geduldet werden, be-
setzt man mit allerhand Porzellangeschirren, Galanterien, Vasen und anderen
Marmorbildern. Man hängt auch wohl Spiegel oder Gemälde über die Kamine.
Der Rücken oder die inwendige Seite des Kamins, woran das Feuer liegt,
kann mit einer zierlich gegossenen eisernen Rückenplatte bekleidet werden.«
putzscherc. S. 194. Kabinet. S. 30. Kachel = Ofen. S. 162. Kan = Kanne. S. 46.
Kandelaar = Leuchter. S. 60. Kapstock = Haubenstock. S. 22. Kas = Schrank. S. 26.
Kist = Truhe. S. 114. Kleerben = Kleiderkorb. S. 90. Lamp = Lampe. S. 156. Lantaaren
= Laterne. S. 74. Luiwagen = Schrubber. S. 130. Mcs = Messer. S. 104. Mortier =
Mörser. S. 126. Pan = Pfanne. S. 118. Porselyn = Porzellan. S. 34. Pot = Topf. S. 78.
Raagbol = Spinnebesen. S. 134. Rooster = Rost. S. 108. Rustbank = Ruhebank. S. 68.
Schilderij = Gemälde. S. 38. Schotel = Schüssel. S. 172. Schrijf-lij = Schreibzeug.
S. 68. Schuijer r= Bürste. S. 148. Schuurtuig = Scheuerzeug. S. 150. Servet = Serviette.
S. 54. Spiegel. S. 80. Spinnewiel = Spinnrad. S. 6. Stoel = Stuhl. S. 100. Suikerbos
= Zuckerbüchse. S. 96. Sulferbak = Schwefelkasten. S. 2. Tafel = Tisch. S. 16. Tang
= Zange. S. 160. Thee-en Koffy - Gerecdschap = Thee- und Kaffeegeschirr. S. 122.
Vleeskuip = Fleischkübel. S. 42. Vuurslag = Feuerzeug. S. 84. Wastobben = Waschtrog.
S. 110. Wieg = Wiege. Wenn diese Zusammenstellung nur einen mehr lexikalen Eindruck
macht, so liegt das daran, dafs mir das von der Königl. Bibliothek in Amsterdam gütigst
geliehene Werk bei der Niederschrift nicht mehr zur Verfügung stand.
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VON na OTTO lauffer-frankfürt a. m.
17
Im übrigen setzt sich Jacobsson zum Teil mit dem, was wir am Hinde-
loopener Kamine bemerken, in Widerspruch. Während wir den Kamin an
die Fensterwand gesetzt fanden und zwar mitten zwischen die Fenster, so
warnt Jacobsson gerade vor dieser Anlage ausdrücklich, indem er sagt: »Die
beste und schönste Lage der Kamine ist an den schmälsten Wänden der
Zimmer, nur ja nicht gegen die Fenster, und noch weniger zwischen diese.«
Ferner hatten wir selbst früher schon einen Unterschied des Hindeloopener
Schornsteins von demjenigen, den J. Koedyck auf seinem Bilde der »Hollän-
dischen Stube« darstellt, insofern gefunden, als unserer sich nicht verjüngt,
während der dort abgebildete sich in der Wand verläuft. Die gleiche Ten-
denz ist auf J. Luikens Kupferstich deutlich zu bemerken (vgl. Fig. 24). So
äufsert sich denn auch Jacobsson: »Man vergesse nicht, die Schornsteine
der Kamine mitten zum Dach hinaus gehen und sie unten weiter als oben
machen zu lassen, weil sie sonst rauchen.« Wie es kommt, dafs der Hinde-
loopener Schornstein dieser, wie es scheint, recht eindringlichen und für das
Wohnungswesen sehr wichtigen Heizerfahrung nicht entspricht, weifs ich
nicht zu erklären, es müfste denn sein, dafs die Verjüngung erst oberhalb
der Stubendecke beginnt.
Das Brennmaterial besteht auf dem Luiken'schen Bilde aus Holzscheiten.
Wie hoch das Gebrauchsverhältnis derselben neben dem sonst in Holland
üblichen Torf sich belief, kann ich nicht angeben. Jedenfalls sagt Jacobsson
(II, S. 276) von den holländischen Kaminen im allgemeinen, dafs ihre ÖfTnung
höher und breiter sei, »weil in diesem Kamin Torf aufgeth&rmet wird.« In
Hindeloopen selbst wurde, wie die Merkwaardigheden S. 9 ausdrücklich an-
geben, Torf gebrannt, und so geschieht es auch wohl heute noch. Sicher
ist auch, dafs der Torf in den friesischen Gegenden ein altbeliebtes Heiz-
material bildete, als solches ist er speziell im Gebiete von Utrecht schon um
die Wende des ersten Jahrtausends nach Christi Geburt bezeugt®'^).
Schliefslich möchte ich noch anführen, was die »Merkwaardigheden«
S. 9 über den Kamin und seine Ausstattung berichten. Es heifst dortf »Die
Herdplatte des Kamins ist glatt gescheuert ebenso wie das dazugehörende
Feuerherdchen mit Dreh-Dreifufs: die beiden letzteren sind auch von neuerer
Erfindung, während man früher die Öffnung in der Platte der Herdgrube ein-
fach mit einem Rost bedeckte, über dem man die Torfstücke aufstapelte^**).
Ich gestehe, dafs mir diese Bemerkungen nicht in allen Einzelheiten verständ-
lich sind. Sie bedürfen einer genaueren Erklärung durch die westfriesische
Lokalforschung.
Damit könnten wir nun die Behandlung des Hindeloopener Kamins be-
schliefsen, wenn er uns nicht in der Stube des Museums — so wie er auch
auf Fig. 21 abgebildet ist — in einer Ausstattung entgegenträte, die viel-
65) Vergl. Stephani, a. a. O. II. S. 567. Anm. 4.
66) »De haardplaat van den schoorsteen is glad geschuurd, even als het daarbij
behoorende vuurhaardtje met draaitreeft: beide laatste zijn ook van latere uitvinding,
daar men vroeger de opening in de plaat of haardkolk enkel bedekte met een rooster,
waarop men de turven stapelde.«
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 19(M. 3
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1^ DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
leicht den merkwürdigsten Feuerherd darstellt, den man sich überhaupt
denken kann.
Wir erinnern uns, dafs der Kamin in der kalten Winterszeit zugleich
zwei Funktionen zu erfüllen hatte, indem er die Kochstelle bildete und da-
neben die einzige Wärmequelle für das Zimmer darbot. Diese beiden ver-
schiedenen Aufgaben erfordern sehr verschiedene Massen an Brennmaterial,
was sofort in die Erscheinung tritt, wenn eine der beiden Aufgaben des
Kamins fortfällt, wie es im Sommer geschieht, wenn der Kamin lediglich als
Kochstelle zu dienen hat. Die Menge des nötigen Materials — in Hinde-
loopen also des Torfes — wird dann sofort beträchtlich verringert, immerhin
wird aber auch dann noch bei der offenen Feuerungsart ziemlich viel mehr
verbraucht, als für den Zweck nötig wäre. Die Absicht nun, die Menge des
Brennmaterials auf das mindestmögliche Mals zu beschränken, und daneben
ein ausgesprochener Reinlichkeitssinn, wie er den Friesen nachgerühmt wird,
scheinen mir die beiden Gründe zu sein, aus dem die merkwürdige sommer-
liche Umwandlung des Kamins, die wir auf Figur 21 erblicken, hervorge-
gangen ist.
Die Merkwaardigheden sagen S. 9 darüber nur: »Des Sommers wird
die Herdplatte (= eazen) mit einem gemalten kleinen Boden überdeckt,
welcher »eazenboord« genannt wird« *'). Weshalb sich die Verfasser nur
mit dieser Bemerkung begnügten, ist mir nicht recht verständlich, denn aufser
dem niedrigen lackbemalten Holzdeckel, den Fig. 21 deutlich erkennen läfst,
finden wir in der Hindeloopener Stube des Museums, auf jenen Holzboden
gestellt noch einen geschnitzten und bemalten hölzernen Schemel. Auf diesem
Untersatze erst steht mit drei kurzen Beinen — und zu Transportzwecken mit
einem eisernen Kesselring versehen — das runde Becken zur Aufnahme des
Torfes. Dadurch kommt dann, im ganzen betrachtet, eine überaus merk-
würdige Feuerstätte zu stände, deren grofse Sauberkeit nicht genug gerühmt
werden kann.
Über dem Feuer schwebt ein Wasserkessel, der an einem aus dem
Schornstein herabhängenden Kesselhaken (= heugel oder haal) aufgehängt
ist. Ein besonders merkwürdiges Herdgerät bemerken wir aufserdem über
dem Kohlenbecken angebracht. Es ist eine Art Schwebebaum im kleinen:
an der rechten Seite des Kamins läuft der Fensterwange entlang eine Eisen-
stange herab, und über dieser Stange spielt mit einem Kniestück ein aus
Ring und Eisenstiel bestehender Topfhalter, der auf der Seitenstange beliebig
verschoben werden kann und nur durch seine Hebelkraft sich in der gewählten
Höhe festhält. Den volkstümlichen holländischen Namen und die Geschichte
dieses Gerätes habe ich bislang nicht feststellen können.
Zur weiteren Ausstattung des Kamins gehört noch ein lackbemalter
hölzerner Ofenschirm, eine kupferne, mit messingenen Ringen und Deckel
versehene Wasserkanne, dazu — wie man aus Fig. 21 ersieht — ein lack-
67) »Des zomers wordt de haardplaat (eazen) overdekt met een beschilderd zoldertje,
het eazenboord geheeten.«
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VON bR. O'ITO LAÜFFER-FRANKFURT A. M. 19
bemalter Blasebalg, ferner eine aus Messing hergestellte Garnitur von Feuer-
schaufel mit Zange und Handbesen, von denen der letztere eine auch in Nord-
friesland begegnende mehr pinselartige Gestalt hat, deren Borsten durch eine
annähernd halbkugelförmige Messingkappe zusammengehalten werden. —
Wenn wir nunmehr von der Betrachtung des Kamins Abstand nehmen
und uns den Möbeln zuwenden, so können wir dabei, was die allgemeine
Ausstattung angeht, schon auf einige früher genannte Einzelstücke uns be-
ziehen. Denn schon mehrfach haben wir Gelegenheit gehabt, auf die in
Lackfarben ausgeführte bunte Behandlung von Möbeln und Geräten hinzu-
weisen. Wir befinden uns in einem Wohnraum, der von einem ausgesprochenen
intensiven Colorismus beherrscht wird. Wohin wir nur blicken, überall er-
kennen wir eine unendlich lebhafte Freude an der Farbe, die in allen Einzel-
heiten zu Tage tritt. So schliefsen sich, wie wir bereits sahen, an die bunten
Bodenplatten die blaugemalten Fliesen der Wand an, und ebenso werden wir
weiterhin in der Ausstattung des Raumes eine erstaunliche Menge von blau-
gemalten Porzellanen zum Schmuck verwandt finden. Dazu kamen die bunten,
farbigen geblümten Kattune der Vorhänge, mit denen auch die in farbigen
Reizen schwelgenden Kleider der Frauen übereinstimmten, von deren Schil-
derung wir hier absehen müssen. Kein Wunder, wenn zu alledem auch
bunte Möbel sich gesellten, die mit ihrer vielseitigen und überaus zierlichen
farbigen Behandlung uns geradezu in Erstaunen versetzen.
Die mit Lackfarben hergestellte Bemalung gibt den gröfseren Flächen
am Möbel meist einen einfarbigen Grund in einem leuchtenden rot, weifs oder
blau, indem bei dem Rahmenwerk häufig ein roter Rahmen zu einer weifsen
Füllung vervÄindt wird. Dieser ganze Grund aber ist dicht übersät mit den
allerzierlichsten Blumenranken mit den kleinsten Knöspchen, Blüten und
Blättchen, die aus winzig feinen Stengelchen herauswachsen. Es macht das
alles eigentlich viel mehr den Eindruck von Miniaturmalerei als den einer uns
sonst gewohnten farbigen Ausstattung am Möbel, denn die Einzelheiten sind
auf eine auch nur mäfsige Entfernung schon nicht mehr zu erkennen. Das
einzige, was auch in etwas weiterem Abstand noch erkennbar bleibt, sind die
in den Herzfeldern der Füllungen angebrachten allegorischen und biblischen
Darstellungen. Alles aber ist mit einer unendlichen Liebe und Sorgfalt aus-
geführt, und trotzdem alle Farben, die die Palette nur darbietet, an diesen
Möbeln sich finden, machen sie doch in der Ausstattung niemals einen un-
ruhigen Eindruck.
Die geschilderten feinen Blumenmalereien finden wir nun fast überall,
wo es nur irgend möglich war, an den Möbeln angebracht, an dem Schreib-
pult, den Kasten und Kästchen, den dreibeinigen Klapptischen, die eben
deshalb zum Teil zusammengeklappt, nur als Dekorationsstücke an der Wand
stehen, an den Betttreppen, der Wiege, dem Kleiderkorb, dem geschnitzten
Schlitten auf dem Schranke, sowie an der Tür zu dem Flur. Kurz, die Malerei
der Möbel macht wesentlich den Eindruck des ganzen Zimmers mit aus.
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20 DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Ober das Alter dieser Art der Möbelbemalung kann man im ganzen
wohl eine ziemlich sichere Angabe machen: viel vor der Wende des 17. und
18. Jahrhunderts kann sie nicht aufgekommen sein, denn auf den holländischen
Gemälden des 17. Jahrhunderts wird sie meines Wissens noch nicht ange-
troffen. Vermutlich ist sie durch die überseeischen Handelsbeziehungen an-
geregt, besonders ist hier an den Verkehr mit Ostindien zu denken, dem ja
auch die Kattune ihre Einführung und Verbreitung in Holland und dann im
Abendlande verdanken.
Fig. 25. Lackgomalte Wiege aus Hindeloopen.
Ganz ohne Wechsel ist im Laufe der Zeit auch diese farbige Aus-
stattung der Möbel nicht geblieben. So gibt es Stücke, die auf den er-
wähnten farbigen Wechsel zwischen Rahmen und Füllung verzichten, und das
ganze Möbel gleichmäfsig mit einem weifsen Grunde überziehen, auf dem
dann die zierlichen Blümchen ausgebreitet sind. Durch diese einfarbig weifse
Behandlung machen die betreffenden Möbel dann einen etwas schlichteren
Eindruck, immer aber wirken auch sie ungemein gefällig, sauber und freund-
lich, ja zumeist machen sie mit ihren zarten Blumenkränzchen einen so
heiteren Eindruck, wie kaum irgend ein anderes Möbel. Diese weifse Art
ist in den Sammlungen des Museums nicht vertreten.
Einen ferneren Wandel in der Dekoration bemerken wir sodann an der
Wiege, die auf Fig. 23 im Vordergrunde steht, und von der ich eine bereits
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VON DR. OTTO LAÜFFEK-FRANKFÜRT A. M.
21
durch Dr. H. Stegmann gegebene Abbildung in Fig. 25 wiederhole*"). Deut-
lich erkennt man dort den geschmackvoll angeordneten, im Vergleich zu den
anderen Stücken aber immer noch grofs gehaltenen und nicht einmal besonders
reichen Blumenschmuck, der über das Möbel ausgestreut ist. Weniger gut
sieht man die an den Wiegenpfosten und an den Rändern des Untersatzes
angebrachte Marmorierung in schwarz und weifs. Ich halte dieselbe, da nach
den Medaillons zu urteilen, die Wiege nicht vor der Wende des 18. zum
19. Jahrhundert entstanden sein kann, für ein neueres Moment in der lokalen
farbigen Möbelausstattung, und ich möchte mit ihr die an den Fenstersprossen
bereits erwähnte Marmorierung in schwarzblau, rot und weifs zusammenstellen.
Das Merkwürdigste an dieser Bemalung, in der die Möbel mit so vielem
Geschmack verziert sind, bleibt die Tatsache, dafs sie wirklich nur der lokalen
Kunstübung entsprossen ist. Wenn die Besitzer auch eines beträchtlichen
Wohlstandes sich erfreuten, so ist das, was wir an dieser farbigen Aus-
stattung der Möbel geradezu bewundern müssen, doch nicht etwa ein Er-
zeugnis des grofsen internationalen Kunstgewerbes, das für den Weltmarkt
arbeitet, sondern es ist eine aus rein örtlichen Überlieferungen erwachsene,
bodenständige Dekoration, die zwar fremde Einflüsse zur Genüge erkennen
läfst, die aber doch dem westfriesischen Möbel eigentümlich geblieben ist.
Darin liegt schliefslich auch der Grund, weshalb diese durchweg viel feiner
gemalten Stücke sich doch nicht gerade wesentlich von den farbig behandelten
Möbeln der übrigen Bauernstuben des Museums unterscheiden. Hier wie
dort ist es eine »Kunst des Volkes«, mit der wir es zu tun haben, und auch
auf sie passen die schönen — leider etwas unbeholfen übersetzten — Worte,
die William Morris im Jahre 1893 zu den Mitgliedern des Kunstgewerbe-
vereins in Birmingham gesprochen hat: »Diese Dinge sind die gewöhnlichen
Hausgeräte aus jenen vergangenen Tagen. Es waren zu ihrer Zeit gewöhn-
liche Dinge, die man im Gebrauch hatte, ohne zu fürchten, sie zu verderben
oder zu zerbrechen — keine Seltenheit damals — und doch haben wir sie
»wundervoll« genannt. Und wie sind sie entstanden? Entwarf ein grofser
Künstler die Zeichnungen dazu — ein hochgebildeter, glänzend bezahlter, mit
ausgewählten Speisen genährter, behaglich wohnender Mann, kurzum ein Mann,
der in Watte gewickelt war, wenn er nicht bei der Arbeit war? Wundervoll
wie diese Werke sind, wurden sie von »gewöhnlichen Leuten« gemacht, wie
die Redensart lautet, während sie bei ihrer gewöhnlichen täglichen Arbeit
waren. Solcher Art waren die Männer, die wir ehren, indem wir solche Werke
ehren. Und ihre Arbeit — glauben Sie, dafs sie ihnen eine Last war? Die-
jenigen unter Ihnen, die Künstler sind, wissen wohl, dafs es nicht der Fall
war, nicht der Fall sein konnte. Manches vergnügte Lächeln, behaupte ich
— und Sie werden mir nicht widersprechen — begleitete das Zustandekommen
jener verflochtenen, verschlungenen Muster voll geheimnisvoller Schönheit, die
Erfindung jener seltsamen Tiere und Vögel und Blumen« ®*).
68) Vergl. »Anzeiger des Museums«. Jahrg. 1902. S. 153. Abb. 12.
69) William Morris, > Kunsthoffnungen und Kunstsorgen. II. Die Kunst des
Volkes.« Leipzig 1901. S. 23--24.
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22
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS,
Eine besondere Eigentümlichkeit der Möbel möchte ich noch erwähnen,
bevor wir uns der Betrachtung der Einzelstücke zuwenden. Dieselbe haftet
allerdings nicht den Möbeln selbst an, sondern sie betrifft nur mehr die Art
ihrer Aufstellung, ist darum aber nicht minder auffallend. Es sind nämlich
alle Kastenmöbeln nicht wie gewöhnlich direkt auf den Boden aufgesetzt,
sondern sie sind ein gutes Stück über denselben erhoben, indem sie auf
bock- oder schemelartige Untersätze gestellt wurden, wie dieselben z. B. auf
Fig. 22 als Träger der seitlich aufgestellten Kasten deutlich erkennbar sind.
Selbst der schwere Eichenschrank ruht, wie wir sehen werden, auf solchen
Schemeln. Dieselben sind durchgängig sehr zierlich gearbeitet, im Vergleich
zu dem Gewicht des Schrankes mufs man sie sogar geradezu als gebrechlich
bezeichnen. Sie ruhen, wie Fig. 22 zeigt, nicht auf gedrehten etc. Beinen,
sondern auf je zwei Fufsbrettem. die in geschweiften Konturen ausgesägt,
mit Kerbschnittmustern überdeckt und dann farbig ausgestattet sind. Um
das Ausweichen der Schemel zu verhüten, sind die Fufsbretter mit dem
oberen Tragbrette durch schräggestellte Versteifungen fest verbunden. Trotzdem
aber machen diese Stelzen nicht völlig den Eindruck, dafs sie zum Tragen der
darauf gestellten Last durchaus hinreichen. Der Sinn für das Zierliche, den
wir bei der Hindelooper Bevölkerung schon mehrfach beobachtet haben, ist
an diesen Stücken, wie es scheint, bis zu der äufserst zulässigen Grenze
gegangen.
Fragen wir uns nun nach dem Ursprung dieser merkwürdigen Untersätze,
so müssen wir uns wohl erinnern, dafs die Hindelooper wie alle Bewohner
der umliegenden Küstenplätze mit grofser Bodenfeuchtigkeit und selbst mit
gelegentlichen Überschwemmungen zu rechnen hatten, und es ist begreiflich,
wenn man unter solchen Umständen die Kasten samt ihrem Inhalt nicht direkt
auf den Boden aufstellen wollte. Die verhältnismäfsig hohe Anbringung der
Schlafstätten ist wohl auf dieselbe Ursache zurückzuführen und ebenso die
auf Fig. 25 ersichtliche Gewohnheit, die Wiege auf einen eigens dazu gebauten
hölzernen Untersatz zu stellen. Selbst an den Stühlen scheinen die zur Ver-
steifung durchaus nicht mehr nötigen Zargen, die etwa spannenhoch über
dem Fufsboden zwischen den Stuhlbeinen angebracht sind, den Zweck zu
haben, dafs der auf dem Stuhle Sitzende die Füfse nicht auf den nafskalten
Boden zu setzen brauchte, sie vielmehr etwas heraufziehen und auf den
Zargen aufstellen könnte (vergl. Fig. 24). Aber selbst für die Stühle scheinen
hölzerne Untersätze ähnlich demjenigen, auf dem die Wiege steht, seit Jahr-
hunderten in Gebrauch gewesen zu sein, wenn wir einen Beleg verallgemeinern
dürfen, den ein Bild von Gabriel Metsu (1630 — 1667) darbietet. Dasselbe
befindet sich unter dem Namen »Der Liebesantrag an die Friesin« in der
Galerie zu Karlsruhe (Klass. Bilderschatz Nr. 83) und zeigt am linken Rande
einen allerdings nur zur Hälfte sichtbaren Stuhl, der auf einen etwa fufshohen
Thron gesetzt ist. —
Wenn wir uns nunmehr der Betrachtung der Einzelstücke an Möbeln
und Hausrat zuwenden, so fassen wir dabei zunächst die Rückwand, wie sie
Fig. 22 zeigt, ins Auge. Von den beiden Bettstätten ist die eine geschlossen,
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VON DB. OITO LAÜFFER-FRANKFURT A. M.
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die Türen der anderen sind geöffnet, aber auch hier reicht der Blick noch
nicht bis zum eigentlichen Lager, vielmehr sind hinter den Türen noch ein
paar Vorhänge angebracht, über die sich als oberer Abschlufs noch ein
schmaler Behangstreifen hinzieht. Diese Vorhänge bestehen ebenso wie das
Schornsteinkleid, wie die Vorhänge vor den Fenstern und wie derjenige, der
das kleine Guckfenster nach dem Flur hin bedeckt, aus einem bunt geblümten
Kattun, und auch sie bezeugen wiederum die Vorliebe der Friesen sowohl
für diese Stoflfart als auch für die farbige Ausstattung des Wohnraumes. Ob
in Hindeloopen die Kattunvorhänge auch gelegentlich allein den vorderen Ab-
schlufs der Bettstatt gebildet haben, so wie es auf dem mehrfach genannten
Bilde von J. Koedyck »Holländische Stube« der Fall ist, kann ich nicht
entscheiden.
Das Einsteigen in die Betten wird durch vorgestellte mobile Holztrepp-
chen von drei oder vier Stufen vermittelt. Dieselben haben zwei gefällig
geschwungene Seitenwangen, die in der üblichen Weise mit Lackmalereien
versehen sind. Diese Treppen sind nach Angabe der »Merkwaardigheden«
erst eine neuere Einrichtung. Früher gebrauchte man ein schemelartiges
Bänkchen dazu, welches Tags über für gewöhnlich seinen Platz unter dem
Schranke hatte, wo es zwischen die Schemelstützen, auf denen der Schrank
ruhte, geschoben wurde ^®). Auch ein solches Bänkchen befindet sich im
Besitze des Museums. Es ist vor der Bettstatt der Seitenwand aufgestellt
und es ist mit Lackmalereien versehen, in denen die klugen und törichten
Jungfrauen dargestellt sind.
Zur Ausstattung der Betten gehört der Bettwärmer, der an der Holz-
vertäfelung zwischen den Türen der Bettstätten seinen Platz gefunden hat.
Dieses in Niederdeutschland früher weitverbreitete Gerät ist ein verdecktes
Becken, welches mit glühenden Kohlen gefüllt wurde, und mit dem man
zwischen Bettlaken und Oberbett hin- und herstrich, um auf diese Weise
das Lager anzuwärmen. Jacobsson in seinem technologischen Wörter-
buch I. S. 194 erklärt den »Bettwärmer« oder »Bettpfanne« als »eine geraume
kupferne oder messingene getriebene flache Pfanne mit einem langen Stiel,
die oben mit einem beweglichen und vest einschliefsenden Deckel versehen
ist, welcher hin und wieder durchbrochene Löcher hat, damit die hinein ge-
schütteten glühenden Kolen Luft haben und nicht ersticken, auch die Wärme
verbreiten«, und er fügt über die Benützung des Geräts hinzu: »man füllet
sie mit etwas glühenden Kolen an, und fähret mit dieser Pfanne kurz vor
dem Schlafengehen in dem Bette hin und wieder herum, bis das Bette
erwärmet ist«. Alledem entspricht der aus Messing gefertigte Bettwärmer
der Hindelooper Stube genau, wie man aus Fig. 22 ersieht, wo auch die
Dekoration des Deckels noch ein wenig zu erkennen ist.
Wie lange diese Bettwärmer schon im Gebrauch sind, scheint nicht
genau bekannt zu sein. In Frankreich, wo sie mit dem Namen »bassinoire«
70) Merkwaard. S. 9: »Vroeger had men daar een bankje onder staan, dat men
gebruikte om er mede in de hooge bedstede te klimmen, waar voor later de fraai
beschilderde trapjes in de plaats zijn gekomen.«
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24 DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
oder »chauflfe-Iit« bezeichnet werden, sind sie schon im 15. Jahrhundert be-
zeugt, zu welcher Zeit sie nach Havard's Angaben bereits in jedem besseren
Haushalt sich vorfanden. Für die folgenden Jahrhunderte führt Havard dann
eine grofse Reihe von Erwähnungen unseres Gerätes an, indem er ein im
»Mus^e de Cluny« befindliches Stück des 17. Jahrhunderts abbildet, welches
— abgesehen von der Dekoration des Deckels — ganz demjenigen der Hinde-
looper Stube gleicht ^^). Auch für die niederländischen Gegenden gibt er
einen bildlichen Beleg des Bettwärmers im Ende des 16. Jahrhunderts, da er
die auf einem flämischen Bilde sich findende Darstellung eines Kamins repro-
duziert, neben welchem der Bettwärmer an der Wand hängt ^*). Ich möchte
dazu noch zwei weitere Darstellungen, die dem 17. Jahrhundert angehören,
hinzufügen und verweise auf das öfter genannte Bild von Koedyck und auf
Jan Steen's Darstellung einer »Bauernhochzeit« in der kaiserlichen Galerie zu
Wien, wo ein Knabe sich mit einem Bettwärmer zu schaffen macht ^*).
An der einen Seite der Bettwand — gegen den Eingang zu — steht ein
kleiner Tisch, der auf Fig. 22 zweimal zu sehen ist, da der links hängende
Spiegel ihn noch einmal von der Seite zeigt. Dort erkennen wir auch, dafs
die beiden Fufsbretter, zwischen denen unten noch eine Holzplatte liegt,
beiderseits mit kräftigen Konturen ausgeschweift sind. Die obere Tischplatte
ist ganz mit Fliesen belegt, eine Art, die auch ausserhalb Hollands Nachahmung
gefunden hat, wie denn Meiborg von der allerdings unter direktem holländi-
schen Einflufs stehenden Ausstattung der nordfriesischen Pesel erzählt, dafs
in den meisten derselben »ein holländisches Teetischchen mit fliesenbelegter
Platte« zu finden sei '*).
An der andern Seite der Bettwand, in der Ecke gegen die seitliche
Fliesenwand, pflegt die Wiege zu stehen. Hier ist das Kind am meisten
vor Zug geschützt, und hier ist es auch der im Bette liegenden Mutter am
nächsten. Die Wiege steht, wie wir uns erinnern (vergl. Fig. 25), auf einem
gemalten Untersatz. Sie ist ganz aus Holz verfertigt und mit Blumenranken
und biblischen Bildern bemalt; letzteres vielleicht, um das darin liegende
Kind gegen die Einwirkungen des Bösen zu schützen '^^), Will die Mutter
das Kind wiegen, ohne sich selbst vom Lager zu erheben, so benützt sie
eine sehr einfache Vorrichtung, die man in der Hindelooper Stube des Berliner
71) H. Havard, »Dictionnaire de rameublement et de la d^coration depuis le
XIII« siöcle jusqu'ä nos jours. I, 271 und I, 785. Vergl. auch ein ähnliches Gerät zum
Bettwärmen ebenda III, 939: Artikel »moine«.
72) Ebenda II, S. 951. Fig. 688: Artikel »foyer«.
73) Knackfufs, »Künstlermonographien XIX«. S. 87. Abb. 25.
74) R. Meiborg, »Das Bauernhaus im Herzogtum Schleswig«. (Deutsch von
R. Haupt.) S. 85.
75) Merkwaard. S. 10: »Zoo er evenwel kinderen in huis zijn, Staat hier, op een
beschilderd zoldertje, de wieg, die van hout gemaakt en almede met bijbelsche voorstel-
lingen beschilderd is.« Eine ähnliche Art holländischer Wiegen ist abgebildet in: »Zur
Geschichte der Kostüme« (München, Braun & Schneider), Münchner Bilderbogen
Nr. 499. Dort besteht der Untersatz aber nicht aus einem Kasten, sondern aus einem
bock-ähnlichen Gestell von zwei Paar Kreuzbeinen, die durch drei Zargen miteinander
verbunden sind.
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VON DR. O'ITO LAUFFER-FRANKFURT A. M.
25
Volkstrachtenmuseums besichtigen kann. Dort ist nämHch an der Decke
oberhalb der Wiege ein etwa fufslanger einfacher Holzstab im Gleichgewicht
aufgehängt, an dessen beiden Enden je ein Bindfaden befestigt ist. Der eine
derselben ist straff gespannt an einem Seitenknopf der Wiege gefestigt, der
andere dagegen ist in das Bett der Wöchnerin geleitet, und diese braucht
nur wenig an ihm zu ziehen, um vermittels der Hebelwirkung des Holz-
schwengels die Wiege alsbald in Schaukeln zu versetzen. Ebenso ist sie
dann natürlich auch in der Lage, durch Festhalten ihres Bindfadens das
Schaukeln der Wiege wieder aufhören zu lassen.
Zur Wartung der Kinder gehört auch noch ein anderes Möbel, welches,
wie Fig. 23 zeigt, an der Bettwand zwischen den beiden Bettstätten einen
Platz gefunden hat. Dasselbe besteht aus einem leichten Gestell aus Stäben,
Fig. 26. Hiiidelooper Sitzkastcn für Kinder.
Lackgrenialtes Modoll im Gemian. Nationalmuseum.
die in ihrer halben Höhe eine runde Holzplatte tragen. Auf dieser Platte
steht das eigentliche Hauptstück der ganzen Einrichtung, ein zweihenkeliger,
grünglasierter irdener Kohlentopf mit vier Löchern. Das ganze Gestell, das
oben noch eine Art Tischplatte trägt, ist ringsum mit einem grofsen Tuch-
mantel umhängt, der dazu bestimmt ist, die von dem Gluthafen aufsteigende
Wärme aufzufangen, und mit dem die Mütter ihre jungen Kinder, die sie auf
dem Schofse halten, bedecken, um sie auf diese Weise warm zu halten. Das
Ganze ist im Grunde nur eine etwas komplizierte Verwendung des Glut-
hafens, auf den wir später noch zu sprechen kommen werden, und die Vor-
richtung, die mir nur in diesem einzigen Exemplare bekannt geworden ist,
für die ich auch weder aus Schriftquellen noch aus Abbildungen weitere Be-
lege beibringen konnte, scheint im allgemeinen in den Kreis der Kaminländer
zu gehören, wo es an einer so nachhaltig wirkenden Wärmequelle fehlt, wie
sie unser Ofen darbietet.
Mitteilnngren aus dem gemum. Nationalmuseum. 1904. 4
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26
DIE BAOERNäTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
In diesem Zusammenhange möchte ich auch endlich ein kleines Möbel
erwähnen, welches im Museum nur in einer kleinen Nachbildung vertreten
ist, nämlich das Kleinkinderstühlchen, das ich in Fig. 26 abbilde. Wie man
sieht, ist es mehr ein Sitzkasten als ein Stuhl in unserem Sinne, und die in
dieses Möbel hineingesetzten Kinder sind so eingezwängt, dafs an viel Be-
wegung, vor allem der Beine, nicht zu denken ist. Dafür aber haben diese
Kasten, die ungefähr einem unserer Küchen-Salzfasser ähnlich sind, den grolsen
Vorzug, dafs sie die Kinder vor jeglichem Hinfallen sicher bewahren. Auch
sie sind wie alle anderen Kastenmöbel in der geschilderten Lackmalerei
verziert.
Damit könnten wir nun die Betrachtung der Hinterwand beschliefsen,
wenn uns hier nicht zum ersten Male eine Dekoration begegnete, die sich
über alle Wände des Gemaches gleichmäfsig ausdehnt, eine Dekoration, die
die ganz besondere Vorliebe, den Stolz und zum guten Teil auch den Reich-
tum der Hindelooper ausmacht. Die ganz erstaunlich reiche Ausstattung des
Gemaches mit Porzellan muls jedem, der diese Stube betritt, sofort in die
Augen fallen. Die Anordnung ist, wie Fig. 23 zeigt, eine sehr einfache: an
der Leiste zwischen den Betttüren und dem darüber befindlichen Borte hängen
Porzellanschälchen, meist in blauer Dekoration, die sogenannten »Klapmutsen«,
die, ich weifs nicht aus welchem Grunde, ihren Namen von einer Klapp-
oder Reisemütze empfangen haben. Sie sind an einem Bindfaden aufgehängt,
der durch ein in den Unterrand gebohrtes Loch gezogen ist. Oberhalb des
Börtes hängt eine stattliche Reihe ganz besonders prunkhafter grolser
Schüsseln, die sich von dem dunkelbraunen Grunde des Eichenholzes leuch-
tend abheben. Unter den Lücken zwischen ihnen stehen endlich noch
kleinere Porzellankumpen, die als »Kraaikkoppen« bezeichnet werden, des-
halb, weil in dem Grunde dieser Obertassen häufig das Bild einer Krähe
sich findet^®).
Die überreiche Ausstattung mit den feinsten Porzellantellern setzt sich
in der gleichen Weise auch an den übrigen drei Wänden fort, genau gleich
an der anderen Bettwand, sehr ähnlich an den beiden Fliesenwänden (vergl.
Fig. 23). Auf allen Borten, auf dem Schornsteinmantel (Fig. 22) sowie auf
dem Aufsatze des Teeschrankes, den wir noch kennen lernen werden, überall
stehen blau dekorierte Porzellankumpen, -Schüsseln usw., und an der seitlichen
Fliesenwand begegnet uns ein besonderes Bord, welches mit Klapmutzen be-
setzt ist, die sich in zwei Reihen an der Wand fortsetzen^').
Alle diese Porzellanplatten sind blau gemalt, und sie passen in dieser
Dekoration vortreflflich zu der blauen Bemalung der Wandfliesen, die sie im
76) Merkwaard. S. 8/9: >Tuschen de lijst en de deuren hangen meest blaauw por-
seleinen kommetjes, klapmutsen genaamd, en wel aan een touwtje door een gat, dat in
den onderrand is geboord. De bovenlijst pronkt met groote porseleinen schoteis en
gelijke kommen, kraaikkoppen genaamd, er tusschen.c
77) Merkwaard. S. 10: »Boven op de kroonlijst van dit kastje, gelijk verder op den
schoorsteenmantel, de keeft en alle lijsten staan blaauw porseleinen kommen, schoteis
enz. Zelfs zijn alle tusschenruimten aan den zijmuur aangevuld met hangende porseleinen
kommetjes (klapmutsen).«
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VON DR. OTTO LAUFFER-FRANKFÜRT A. M.
27
übrigen aber an leuchtender Schönheit weit übertreffen. Die Vorliebe für
das Porzellan bestätigt wiederum den Sinn für das Feine und Zierliche, den
wir auch sonst schon beobachtet haben. Sie ist unzweifelhaft, ebenso wie
die bunten Malereien an den Möbeln und wie der häufige Gebrauch der farbig
geblümten Kattune als eine Folge 'der lebhaften Handelsbeziehungen anzu-
sehen, welche die Holländer mit Ostindien unterhielten. So finden wir schon
auf dem mehrfach genannten Bilde J. Koedyk's aus der Mitte des 17. Jahr-
hunderts eine Reihe von Tellern — freilich wohl aus Fayence — als De-
koration des Kaminbörtes, und an derselben Stelle finden wir wenige Jahr-
zehnte später auf dem ebenfalls schon genannten Bilde P. v. Slingeland's
Fig. 27. Jan Luikons Bild : „flet porselijn".
eine Anzahl von fünf Schüsseln aufgestellt, die in der Form völlig den Klap-
mutzen gleichen, und die — nach dem Glanz zu urteilen — wohl aus Por-
zellan bestehen und demnach unbedingt für asiatische Importwaare gelten
müssen. Den grofsen Reichtum an Porzellan bezeugen auch zwei Bilder,
die J. Luiken a. a. O. auf Seite 118, Fig. XXXIV unter dem Namen >Het
porselyn« und auf Seite 160, Fig. XLVI mit der Bezeichnung »Het thee =i
en koffy = gereedschapc darbietet, und die ich in Fig. 27 und 28 wieder-
gebe. Dort begegnen uns schon alle die Formen an Vasen, Schüsseln und
Kumpen, die wir in der Hindelooper Kamer wiederfinden. Schon dort dienen
sie wohl lediglich als Dekoration, und sie haben sich mit der gleichen Be-
stimmung über ein Jahrhundert lang in Hindeloopen erhalten. Die Merk-
waardigheden geben darüber hinreichende Auskunft, wo wir mit wahrem Er-
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28
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Staunen lesen, dafs noch im Jahre 1847 in Hindeloopen ein Nachlafs ver-
kauft wurde, unter dem sich folgende ansehnliche Menge Porzellan befand:
zwei Dutzend ostindisches blaues Teegerät von der grofsen Sorte, über dreifsig
halbe Dutzend ebensolches Gerät, ein vollständiges blaues Teeservice, eine
rote, japanische, porzellanene Fischschüssel mit Durchschlag, vier Leuchter,
ungefähr 300 Stück Tischteller und Schüsseln, unter denen viele komplette
Garnituren, zwei Salatnäpfe, 28 grofse Kumpen usw., zu viel, um sie ein-
zeln aufzuführen'®). —
Fast genau dieselbe Erscheinung wie die Hinterwand bietet nun auch
die linke Seitenwand insofern, als wie wir sahen die Mitte derselben gleich-
Fig. 28. Jan Luikens Bild : „Het thee-en kofij-gerudschap".
falls von einer Bettstatt eingenommen wird, an deren oberer Vertäfelung
ebenfalls die reiche Porzellandekoration sich findet. Es ist die sogenannte
»Zijdbedstede«. Vor ihr steht der Schemel zum Einsteigen, den wir schon
früher kennen lernten. Aber es ist hier doch ein Unterschied gegen die
anderen Lagerstätten hervorzuheben, denn dieser Verschlag dient, wie die
Merkwaardigheden berichten, gewöhnlich überhaupt nicht zum Schlafen, viel-
78) Merkwaard. S. 21: »Eene aanzienlijke partij Porcelein, bestaande hoofdzakelijk
in: 2 dozijnen Oostindisch blaauw theegoed, groote soort, ruim 30 halve dozijnen dito,
1 volledig blaauw theeservies, 1 rood Japansch porceleinen vischschotel met doorslag,
4 kandelaren, ongeveer 300 stuks porceleinen tafelborden en schoteis, waaronder vele
stellen kompleet, 2 saladebakken, 28 groote kommen enz. te veel om op te noemen.t
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29
mehr wird er meist als eine Art Prunkschrank benutzt, in welchem gemalte
Feuerkieken, Bänkchen, Kannen, grofse Schachteln etc. untergebracht werden '^*).
An der einen Seite dieser Seitenbettstatt, gegen die Fensterwand zu,
befindet sich der bereits geschilderte kleine Vorplatz. Das Fensterchen dort-
hin ist mit einem geblümten Kattun verhängt. Unter demselben steht, in
der beschriebenen Weise von Schemeln getragen und mit Lackmalereien
verziert, ein Lese- oder Schreibpult, welches zum Teil ebenfalls mit Tellern
und Kumpen von Porzellan besetzt ist®®).
Pfeifengestell und Mangelbrett vervollständigen die Ausstattung der Flur-
wand neben diesem Schreibpulte. Das Mangelbrett ist geschnitzt und be-
malt und trägt die Jahreszahl 1764. Es ist das Gerät, welches zum Rollen
der Wäsche gebraucht wird und, seit mehr als drei Jahrhunderten in den
nördlichen Küstengegenden im Gebrauch, stets mit besonderer Sorgfalt be-
handelt und mit Schnitzwörk und farbiger Zierde ausgestattet ist®^).
Schliefslich haben wir auf dieser Stubenseite noch den bereits erwähnten
Schrank ins Auge zu fassen, der in der hinteren Ecke neben dem Durch-
gange über den beschriebenen Untersatzschemeln aufgestellt ist, und den wir
in Fig. 29 zur Darstellung bringen. Wir sehen einen schweren Eichenschrank
vor uns, mit dicken Kugelfüfsen, reich verziert in kräftiger Schnitzerei und
mit schönen Säulenstelllungen, die in Verbindung mit einem durchlaufenden
Quergesims den Schrank in zwei obere kleinere und zwei untere gröfsere
Fächer teilen. In dem Unterbau sitzt eine durchlaufende Schublade, die mit
drei kräftigen Löwenköpfen geziert ist. Der Aufsatz des Schrankes ist vor
allem charakterisiert durch eine geschnitzte Kopfleiste mit einer Vase in der
Mitte, von der nach den Seiten Rankenwerk mit darin sitzenden Vögeln aus-
laufen. Dieses Motiv kehrt an den niederländischen Schränken, für deren
Geschichte ich im übrigen wieder auf Brinkmann a. a. O. S. 651 ff. ver-
weise, sehr häufig wieder.
Auflfallig mag es immerhin erscheinen, dafs der geschilderte Schrank
mit Schnitzwerk verziert und nicht wie die übrigen Kastenmöbel mit Lack-
malerei ausgestattet ist. Der Grund liegt in der grofsen Dauerhaftigkeit dieser
riesigen Eichenmöbel, die sämtlich bereits in einer Zeit entstanden sind, wo
der Geschmack ihrer Erbauer noch nicht an der koloristischen Ausstattung,
sondern in plastischer Behandlung des Möbels sein Gefallen fand. Jedenfalls
sind lackgemalte Schränke, die doch der übrigen Ausstattung entsprechen
würden, in Hindeloopen, wie es scheint, nicht vorgekommen, denn auch die
79) Merkwaard. S. 9: >Eene dergelijke hooge slaapplaats, de zijdbedstede geheeten,
met fraai beschilderd trapje er voor, bevindt zieh aan de achterzijde van het vertrek, is
met dergelijk beschotwerk en porselein versierd, en dient meest tot eene pronkkast voor
geschilderde stoven, bankjes, butten of groote doozen enz.<
80) Merkwaard. S. 9/10: >Onder het venster, dat in het portaal uitziet, en waar
voor eene net geplooide Oostindische doek aan een koperen roedtje hangt, Staat een
beschildcrde lessenaar, met porceleinen borden en kommen er op.<
81) Vgl. Brinckmann, a. a. O. S. 680 ff, wo die Mangelbretter eingehend behandelt
und wo mehrere reich verzierte Stücke abgebildet sind.
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30
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS
Merkwaardigheden sagen ausdrücklich: neben der Seitenbettstätte > steht ein
Schrank von schwerem Eichenholz, mit Schnitz werk verziert« **).
l
r
f
Fig. 29. Hindelooper geschnitzter Eichenscbrank im Gorman. Nationalnmseuin.
Unter dem Schranke hatte früher der Einsteigschemel für die Bettstätte
seinen Platz, jetzt steht ein blanker kupferner Topf darunter. Oben auf dem
82) Merkwaard. S. 9: >Daar nevens Staat eene käst of keeft van zwaar eikenhout,
met snijwerk versierd. Zoo deze onder open is en op schammels Staat, voegt er een
glad geschuurde koperen doofpot onder.«
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VON DR ail'O LAÜFFER-FRANKFÜRT A. M.
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Aufsatz dagegen liegt während des Sommers der Schlitten, dessen Abbildung
wir in Fig. 30 darbieten. Auch dieses kleine Gerät setzt uns in Erstaunen
wegen der reichen Dekoration, die es erfahren hat, und die aus einer Mischung
von plastischer und koloristischer Ausstattung erwachsen ist.
Die dritte Wand, die Fensterwand, wird in ihrer Ausstattung fast völlig
durch den Kamin nebst allem Zubehör bestimmt, die wir bereits kennen ge-
lernt haben. Es erübrigt uns also nur noch, die Möbel, Geräte und Deko-
rationsstücke ins Auge zu fassen, die sich im Mittelraum der Stube finden,
und die sich ferner an die letzte Wand, die ungegliederte breite Fliesenwand
anlehnen, von der die Fig. 23 ungefähr noch die ganze hintere Hälfte er-
kennen läist.
¥{g. 30. Geschnitzter und bemalter Hindelooper Schlitten im German. Nationalmusenm.
Bleiben wir zunächst bei dieser Wand, so wird die Mitte derselben
deutlich markiert durch die auf Schemeln ruhende lackbemalte Truhe, die
auf dem linken Rande von Fig. 23 gerade noch sichtbar ist. Über ihm hängt
in der Mitte der Wand, schräg gegen diese gestellt, der Spiegel, von ein-
facher viereckiger Form aber dadurch bemerkenswert, dafs er den aus Schild-
pat gefertigten Rahmen besitzt, den auch die Merkwaardigheden ausdrücklich
als zu seiner Ausstattung gehörig hervorheben®^). Das über diesem Spiegel
angebrachte mit zwei Reihen von Klapmutsen besetzte Tellerbörd haben wir
schon kennen gelernt. Erwähnenswert daran sind nur die beiden wenig aus-
geschweiften Seitenwangen. Es hängt vor dem oberen Teile der Wand, der
nicht mehr mit den reicher dekorierten Fliesen, sondern mit den einfacheren
sogen. Springern belegt ist.
83) Merkwaard. S. 10: »De kleine Spiegel, als mede de groote Spiegel tegen den
zijmuur, hebben lijsten van bewerkt glas of schildpat.<
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32
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Bezüglich der Ausstattung der erwähnten Möbel mufs ich noch be-
merken, dafs über der Truhe ein kleineres, auf vier kurzen gedrehten Bein-
chen ruhendes Kästchen aufgestellt ist mit silberbeschlagenen Gebetbüchern
und mit einer Porzellanvase, in der ein Bündel Pfauenfedern steckt, die sich
zum Teil schon in dem darüber befindlichen Spiegel wiederspiegeln. Die
Merkwaardigheden erwähnen, soviel ich sehe, diesen Fedemstraufs nicht, aber
man sagt mir, dafs er in jeder Hindeloopener Stube an dieser Stelle ange-
troffen würde. In der Tat pafst das bunte Farbenspiel der schillernden Federn
gut zu dem ganzen koloristischen Wesen des Zimmers , und ich möchte
wenigstens darauf hinweisen, dafs schon auf dem unter dem Namen >Der
Liebeszauber« bekannten, im Städtischen Museum zu Leipzig befindlichen
Bildchen eines unbekannten niederländischen Malers, der zu den Schülern des
Jan van Eyck gezählt wird, ein fächerartig zusammengebundener Straufs von
Pfauenfedern sich findet, der an der Fensterwand auf einem Stollenschranke
unterhalb des Hohlspiegelis aufgestellt ist®*). Es ist daher möglich, dafs die
Holländer, die wie bekannt zuerst im Abendlande neben den Venetianem
eine volle Empfänglichkeit für die farbigen Reize der persischen Teppiche
gehabt haben, die sich in ihrer Innendekoration so wesentlich durch orien-
talische Farbenpracht haben beeinflussen lassen, seit Jahrhunderten eine solche
Freude am farbigen Schimmer gehabt haben, dafs sie auch die bunte Pfauen-
feder ständig in den Kreis ihrer Zimmerausstattung gezogen haben.
Zu beiden Seiten des Spiegels hängen je ein Paar lackgemalte Schüsseln
und Holzteller, die genau in derselben zierlichen Blumendekoration sich dar-
stellen, wie wir sie an den Möbeln gefunden haben. Eine Kleiderbürste mit
silbernem Rückenbeschlag ist hier auch noch zu erwähnen®^).
Neben dieser Mittelgruppe der Wand bemerken wir nun auf der linken
Wandhälfte, nach den Fenstern zu, einen Glasschrank, der viel zierliches
Porzellan und ganz kleines in Silber gefertigtes Hausgerät wie Kinderspiel-
zeug enthält. Es ist der sogenannte Teeschrank, von dem die Merkwaardig-
heden in einer, den Verhältnissen des Museums genau entsprechenden Weise
berichten: »Auch der Teeschrank enthält blaues Porzellan von der feinsten
Sorte und allerhand silbernes Hausgerät in grofs und dazwischen in Miniatur-
nachbildung. Unter diesen letzteren mannigfaltigen Gegenständen, als Wagen,
Tischen und Stühlen, sind auch Pferde, Kühe u.s. w. vertreten, sodafs es bei-
nahe keinen Gegenstand des häuslichen Lebens gibt, der hier nicht im Kleinen
in Silber nachgemacht wäre, sogar bis auf den Sarg, der noch vor kurzer
Zeit [also um 1850] in einem Nachlafs verkauft wurde« ®®).
84) Vgl.Knackfufs, >KünstlermonographienXXXV<, Hubert u. Jan van Eyck. Abb. 88.
86) Merkwaardigheden S. 10: »Onder de kleine Spiegel hangt een kleerborstel met
zilver overtrokken.<
86) Merkwaard. S. 10; >Ook de theekast bevat dergelijk porcelein van de fijnste
soort, met allerhande zilveren huisgeraden in het groot en in miniatuur er tusschen. Bij
deze laatste menigvuldige voorwerpen, als wagens, tafeis en stoelen zijn ook paarden,
koeijen enz. gevoegd, zoodat er bijna geen voorwerp van huishoudelijk gebruik bestaat,
dat hier niet in het klein in zilver nagemaakt is, tot zelfs eene doodkist toe, die nog
voor eenigen tijd in een boedel is verkocht.«
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Die Ausstattung der gegen die Bettwand zu gelegenen hinteren Wand-
seite, die man auf Fig. 22 noch voll überblicken kann, ist bald aufgezählt.
Wir bemerken dort zunächst einen gegen die Wand geklappten ovalen Tisch,
dessen Besprechung wir aber ausstehen lassen, da wir später noch kurz darauf
zurückkommen werden. Es folgt dann unter einem schildpat-umränderten
kleinen Spiegel und einem lackgemalten Servierbrett, die an der Fliesenwand
hängen, noch eine zweite Truhe, die wie die erste ihresgleichen auf kerb-
schnittverzierten und gemalten Schemeln steht. Auch diese Truhe ist mit
Lackmalerei verziert, und das scheint der einzige Punkt zu sein, worin sich
die Hindelooper Kamer des Museums von den Angaben der Merkwaardigheden
unterscheidet, wenn anders dieselben tatsächlich diese Truhen als die »kastjes«
im Auge haben, von denen sie berichten, dafs sie innen genau wie die Wände
der Stube mit Fliesen ausgelegt seien, dafs ihr Aufseres aber durchweg aus
schierem Eichenholz mit Rahmen und Leisten werk bestünde*'). Diese Art
der Truhen würde sich dann also näher zu dem besprochenen eichenen Schranke
als zu den übrigen, im ganzen auf einer jüngeren Entwicklungsstufe stehenden
lackgemalten Möbeln stellen.
In der hintersten Ecke, dicht neben dem Paneelwerk der Bettwand
hängt die friesische Uhr, deren Zifferblatt mit einem ausgesägten, bemalten
und vergoldeten Rahmen umgeben wird. Zwischen dem Stimbrett und dem
Rückenbrett der Uhr ist das ganze Werk frei sichtbar, sie hat also kein
eigentliches Gehäuse, und sie wird deshalb mit einem nach beiden Seiten
herabhängenden Tuche bedeckt, um das Werk von Staub rein zu halten.
Die Merkwaardigheden, die doch wohl nur diese Art von Wanduhren im
Auge haben, bezeichnen dieselbe als altfriesische »stoeltjeklok« (S. 10), d. i.
soviel wie Stühlchen-Uhr, ein Name, den ich nicht näher zu deuten vermag.
Die von dem Uhrwerk herabhängenden Ketten und Gewichte laufen, wie auch
Fig. 22 erkennen läfst, in einer deckelartigen Führung aus Eichenholz, deren
Vorderseite einen kräftig geschnitzten Fruchtkranz mit Amoretten von be-
merkenswerter Schönheit trägt, eine Schnitzerei, die etwa mit den gleichen
schönen Arbeiten an den Mangelbrettern zusammengestellt werden mufs®®).
So also haben wir die Wände des Gemaches in ihrer Ausstattung rings-
um gemustert, und es bleibt uns nur noch übrig, die in der Mitte des Raumes
aufgestellten Möbel zu betrachten. Die dahin gehörende Wiege haben wir
schon kennen gelernt, anders aber ist es mit Tisch und Stühlen, die ungefähr
in der Ecke zwischen Fenster und Fliesenwand stehen, wo sie bei Mahlzeiten
und ähnlichen Versammlungen des Familienkreises zu dienen haben. Über
die verschiedenen Arten der in Hindeloopen üblichen Tische geben uns die
Merkwaardigheden deutlichen Aufschlufs, denn sie bemerken darüber: »Es
87) Merkwaard. S. 11: >De overige ruimte is met kastjes bezet, waarvan het
buitenwerk alsmede uit glad eikenhout met paneclwerk eu lijsten bestaat, en van binnen
met steentjes opgezet, even als aan de muren.«
88) Besonders möchte ich hier zum Vergleiche auf ein von Brinckmann, a.a.O.
S.680 abgebildetes, sehr schön geschnitztes Mangelbrett verweisen, welches mit der Jahres-
zahl 1589 bezeichnet ist, und das auch Brinckmann der > holländischen Art« zuweist.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1904.
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DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
waren dreierlei verschiedene Tische in Gebrauch, schmale, die an zwei Seiten
auf- und niedergeklappt werden konnten und »Holländische Tische« hiefsen,
ferner runde oder Mangeltische und endlich ovale »Vlap aan de wand« ge-
nannt, die alle bunt bemalt sind, und von denen die letztgenannten auf drei
Beinen stehen, um aufgeschlagen platt gegen die Wand gestellt zu werden ^•).
Von diesen drei Tischsorten haben wir die ovale bereits kennen gelernt, denn
wir erinnern uns, dafs wir einen solchen Tisch genau so, wie die Merkwaar-
digheden es beschreiben, an der seitlichen Fliesenwand (vgl. Fig. 22) angelehnt
fanden. Ich möchte aber noch darauf aufmerksam machen, dafs die Platten
dieser Tische beiderseitig mit Lackmalereien versehen sind, da beim Auf-
klappen derselben je nach dem Geschmack der Bewohner auch die Unterseite
der Platte als Schauseite benützt werden kann. Das eine der drei Beine
wird dabei zur Seite geklappt, sodafs es mit den beiden anderen ungefähr in
einer Ebene liegt.
Dreibeinig wie die ovalen scheinen auch die runden oder »Mangeltische«
meist gewesen zu sein, denn nach Angabe der Merkwaardigheden fand man
unter der Uhr, wo im Museum eine Truhe steht, häufig einen »zierlich ge-
malten runden Tisch auf drei Füfsen, den sogen. Mangeltisch« *^).
Die Stühle, die um den mit Teegeschirr aus Porzellan besetzten Tisch
herumstehen, zeigen alle die gleiche Bauart. Es sind leicht und schlank ge-
baute Möbel mit gedrehten Beinen und hohen Lehnen, die übereinander je
drei ausgeschnittene Rückenbretter tragen, während zwischen den Beinen
zweimal vier runde Zargen sich befinden, von denen die unteren — wie ich
bereits erwähnte — etwa eine Spanne über dem Fufsboden, die oberen aber
kurz unter dem Sitze angebracht sind, sodafs die Stühle bei aller Leichtigkeit
doch infolge der doppelten Versteifung der Beine einen sehr festen Eindruck
machen. Das ganze Gestell ist mit einem gleichmäfsigen Anstrich in satt-
grüner Lackfarbe überzogen, der die Stühle im Gegensatz zu den bunt gemalten
Kästen als eine besondere Möbelgattung für sich charakterisiert und ihnen in
dieser Umgebung fast möchte man sagen einen würdevollen Schein gibt ®^).
Der Sitz ist aus Schilf geflochten.
Auch für diese Art der Stühle ist in Anlehnung an die Werke der
holländischen Malerei ein Alter festzustellen, welches mindestens bis in die
Mitte des 17. Jahrhunderts zurück reicht, denn die gleiche Form der Stühle
findet sich schon auf den von mir öfter angeführten Bildern von J. Koedyck,
P. V. Slingeland, P. de Hooch und Gabr. Metsu. Dazu könnte man noch auf
des letztgenannten Meisters Bild »Beim Frühstück« in der Dresdener Galerie
89) Merkwaard. S. 10: »Er waren drieerlei tafeis in gebruik: smalle, die aan twee
zljden konden op- en neergeslagen worden en Hollandsche tafeis heetten, ronde of mangel-
tafels en ovale, vlap aan de wand genaamd, die alle bont beschilderd zijn, terwijl de laatste
en op drie beenen staan, om, opgeslagen, plat tegen den muur geplaatst te worden.«
90) Merkwaard. S. 10: »Daar onder Staat eene fraai beschilderde ronde tafel op
drie pooten, de mangeltafel genaamd.«
91) Merkwaard. S. 10 : »De stoelen met hooge ruggen of bekkelingen waren alle
groen geverwd.«
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VON DR. OTTO LAÜFFER-FRANKFXJRT A. M. 35
oder auf eine Reihe von Bildern Jan Steen's verweisen, die in der erwähnten
Monographie Adolf Rosenberg's (Hrsg. H. Knackfufs) in Abb. 16, 20 u. 21
wiedergegeben sind.
Das auf dem Tische aufgestellte Teegeschirr entspricht ungefähr dem,
was auch J. Luiken*s Kupferstich als »het thee- en koffy-gereedschap« (vergl.
Fig. 28) zur Darstellung bringt. Besonders im Anschluls an dieses Bild ist
es vielleicht nicht unnötig, daran zu erinnern, dass der Tee in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts aus Ostasien nach Europa gebracht war. Der
Import wurde von den Holländern besorgt, und diesem Umstände ist es wohl
in erster Linie, zuzuschreiben, dais bis auf den heutigen Tag der Tee als
Hausgetränk von den Friesen beträchtlich mehr geschätzt und getrunken wird
als im übrigen Deutschland, wo der gleichfalls im 17. Jahrhundert eingeführte
Kaffe während des 18. Jahrhunderts im Bürgertum und seit etwa den zwanziger
Jahren des 19. Jahrhunderts auch in den bäuerlichen Kreisen zu allgemeiner
Geltung gelangt ist ®*).
Schliefslich fassen wir noch ein kleines Möbel ins Auge, welches wir
unter den Stühlen der Hindelooper Kamer in mehreren Exemplaren aufgestellt
finden. Es sind die sogenannten Feuerkieken, die im Holländischen als »stoof«
bezeichnet werden®^, und deren eine auf Luiken's Kupferstich »de haardstee«
im Vordergrunde links abgebildet ist (vergl. Fig. 24). Wir sehen dort ein im
Grunde sehr einfaches Gerät, einen viereckigen hohlen Holzkasten mit durch-
löcherten Wänden und seitlich angebrachter Tür, in welchen ein irdener Topf
mit glühenden Kohlen hineingesetzt wird, und der zum Wärmen der Füfse
dient. Auch die Feuerkieken der Hindelooper sind genau von der gleichen
Form, ihre Wände sind mit Lackmalereien verziert, was — wie wir nicht
übersehen dürfen — bei der beständig einwirkenden Wärme als ein gutes
Zeugnis für die Haltbarkeit dieser Dekorationsweise betrachtet werden mufs.
Gehen wir der Geschichte dieser Feuerkieken etwas näher nach, so
werden wir zu dem Schlufs kommen, dals dieselben recht eigentlich als ein
Gerät der Kaminländer gelten müfsen. So sind sie denn auch z. B. in Frank-
reich weit verbreitet gewesen, wo sie mit den Ausdrücken »chaufferette« und
»chauffe-pied« bezeichnet wurden®*). Schon in französischen Inventaren des
14. und 15. Jahrhunderts kommen derartige Gluttöpfe in Schlössern und auch
in bürgerlichen Küchen häufig vor. Aber das waren nur offene Kohlentöpfe
ohne irgend welchen deckenden Schutz, die den Frauen, die sie benutzten,
häufig die Unterkleider in Brand setzten. Daher hat man sie denn schon
im Laufe des 16. Jahrhunderts in einen Kasten mit durchbrochenen Wänden
eingeschlossen, wofür aus eben dieser Zeit von Havard I., 787 Fig. 532 ein
bildlicher Beleg beigebracht wird, während ihm die früheste schriftliche Er-
wähnung erst aus dem Jahre 1615 bekannt ist.
92) Vergl. A. Schultz, »Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker vom
Mittelalter bis zur zweiten Hälfte des XVIII. Jahrh.« München 1903. S. 329.
93) Vergl. auch Brinckmann, a. a. O. S. 693.
94) Vergl. Havard, a. a. O., unter den|oben angegebenen Stichworten, sowie auch
den Artikel »chauffette«.
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36 DIB BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Die Feuerkieke hat sich dann in den folgenden Jahrhunderten sehr weit
ausgebreitet. Im 17. Jahrhundert findet sie sich im holländischen Hause in
Stetem Gebrauch, eine Tatsache, zu deren Beleg ich wieder auf die Bilder
von Koedyck und Slingeland, sowie auf die in Rosenberg's Monographie in
Abbildung 16 und 20 reproduzierten Bilder Jan Steen's verweise. Auch in
den übrigen niederdeutschen Gegenden war und ist bis heute die Kieke in
Gebrauch, so erwähnt sie z. B. Andree in seiner »Braunschweiger Volks-
kunde« S. 261 unter den Namen »füerkike« oder »huchtelpott«. Der einzige
Unterschied gegen unsere Hindelooper Exemplare besteht dort darin, dafs
der Umschliefsungskasten nicht aus Holz, sondern aus Messing besteht. In
der gleichen Ausstattung sind sie in rheinischen Gegenden zu finden, und
auch Jacobsson's Technologisches Wörterbuch gibt ihnen im letzten Viertel
des 18. Jahrhunderts die gleiche Beschreibung. In Deutschland ist dieses
Wärmegerät, Feuertopf saitit Schutzkasten, sogar schon beträchtlich früher
belegt als in Frankreich, denn Andree a. a. O. macht mit Recht darauf auf-
merksam, dafs schon Saxo Grammaticus in seiner Historia danica um 1200
das Fufswärmen durch ein »calidum laterculum cistula crebris foraminibus
distincta inclusum« erwähnt. In diesem Punkte bedürfen also Havard's Angaben
der Ergänzung, und aufserdem dürfen wir hier wohl auch darauf hinweisen,
dafs der einfache irdene Gluthafen schon beinahe 3000 Jahre vor Saxo Gram-
maticus in den nördlichen Ländern im Gebrauch war, denn in England haben
sich Beispiele davon schon aus der früheren Bronzezeit gefunden, die jetzt
im British Museum aufbewahrt werden und in dem Fachkatalog desselben
— British Museum. A guide to the antiquities of the bronze age. 1904 —
in Fig. 21. und 22. abgebildet sind.
Mehr nebenbei möchte ich zum Schlufs noch erwähnen, dafs in ein-
facher Ausstattung die Feuerkicken auch heute noch bei Händlern und Markt-
frauen selbst in Deutschland im Gebrauche stehen. S« kann man auf dem
Marktplatze in Nürnberg ihre stete Verwendung beobachten, und das gleiche
berichtet Havard von den französischen Städten, wo sie in dieser einfachen
Art unter dem Namen »gueux« bekannt sind*^). —
Wenn wir damit die Hindelooper Kamer verlassen, so tun wir das nicht,
ohne noch einmal den Blick über das ganze Gemach streifen zu lassen, dessen
Einzelheiten wir kennen und, wie ich hoffe, auch in mancher Hinsicht ver-
stehen gelernt haben. Die Freude am Reinlichen und Zierlichen, die Sorg-
falt in der Behandlung der Einzelheiten und die Lust an der Farbe, das ist
es, was neben der lichten Geräumigkeit dem Gemache seinen Charakter gibt.
Derselbe wird freilich wesentlich noch getragen und verstärkt durch die be-
deutende Wohlhabenheit, über welche die Bewohner zu verfügen hatten.
Die Menge kostbaren Porzellans haben wir ausdrücklich hervorgehoben. Aufser-
dem aber ist noch ein bedeutender Reichtum an silbernem Geräte zu betonen,
mehr wohl noch als er in der Stube des Museums dargestellt ist, und es
scheint, dafs die Vorliebe für silberne Ausstattung der Geräte den Friesen
95) Havard, a. a. O. II. S. 1234.
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VON DR. orro lauffer-frankfürt a. m.
37
gewissermafsen im Blute liegt, denn wir finden sie nicht nur in Holland, son-
dern auch aus Nordfriesland berichtet uns Meiborg a. a. O. S. 187, dafs
in dem Nachlafs eines 1666, also kurz nach dem 30-jährigen Kriege ver-
storbenen Hufners sich Sachen befanden wie eine Kleiderbürste mit silbernem
Kopfe, ein mit Silber beschlagener Kamm und eine Branntweinschale aus
Silber, und dafs auch silberne Becher und Löffel, und Messer mit silber-
beschlagenem Stile in den Erbteilungspapieren im nördlichen und nordwest-
lichen Schleswig sich aus jener Zeit häufig finden. Nehmen wir zu diesem
Reichtum an Porzellan und Silbersachen noch die sorgfältig gearbeiteten
Möbel und Hausgeräte, die Menge an Tisch-, Bett- und anderem Linnen und
endlich eine grofse Zahl von Kleidungsstücken , besonders der überaus in-
teressanten und reichhaltigen Frauentracht, so bekommen wir erst einen vollen
Begriff von dem Wohlstande, der die Grundlage des Hindelooper Hauswesens
bildete, und wir verstehen, wie noch im Jahre 1843 die Versteigerung einer
einzigen nachgelassenen Ausstattung es nach Angabe der Merkwaardigheden
S. 21 auf ungefähr 6000 Gulden bringen konnte. Es ist unzweifelhaft das
prunkvollste und auch dadurch aus der Reihe der Bauernstuben des Museums
sich heraushebende Gemach, welches wir in der Hindelooper Kamer kennen
gelernt haben.
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LITERARISCHE NOTIZEN.
Zur Wiederherstellung des Aachener Mflnsters. Von Joseph Buchkremer.
Mit 12 Abbildungen. Aachen, Verlag der Crcmer'schen Buchhandlung. Febr. 1904. 52 SS.
Zur Wiederherstellung des Aachener Mflnsters. Von C. Vi eh off, Stiftsarchivar. Ver-
besserter Sonderabdruck aus dem Volksfreund.
Die im vorigen Heft S. 190, 191 angezeigte Schrift Strygowskis hat in der Abhand-
lung von Buchkremer eine Erwiderung gefunden. Gegen diese wendet sich Viehoff:
persönliches und sachliches sind in seiner Polemik nicht streng auseinander gehalten,
liefsen sich wohl auch nicht immer trennen , was ihr allgemeines Interesse verleiht , ist
der Einblick in die Art und Weise, wie die unselige Restauration des Münsters eingeleitet
und durchgeführt worden ist.
Mein Urteil über die Restauration des Innen raumes der Kirche habe ich Seite 191
des vorigen Jahrgangs kurz ausgesprochen. Wenn ich daran die Befürchtung geknüpft
habe, man werde trotz Strzygowskis Einspruch die Arbeit unentwegt fortsetzen, so hat
sich diese Befürchtung glücklicher Weise nicht bewahrheitet. Die Arbeiten sind, wie ich
höre, eingestellt worden.
Nachdem Buchkremer über die Veranlassung der Restauration einiges mitgeteilt
hat, bespricht er im zweiten Teil seiaer Abhandlung Theorie und Praxis der Denkmal-
pflege. Die sehr anerkennenswerten Ausführungen kommen zu folgendem Schlufs: »Ich
wcifs . . . namentlich in den karolingischen Teilen des Aachener Münsters sehr genau
Bescheid. Habe aber auch erfahren und empfinden gelernt, was es eigentlich heifst:
»restaurieren«. Ich bin dabei zu der vollen Erkenntnis gekommen, dafs die Kunstwissen-
schaft mit ihren strengen Grundsätzen über die Behandlung der Denkmale durchaus recht
hat. Und doch wird es in der Praxis oft sehr schwer sein, sie ganz durchzuführen oder
überhaupt einen gangbaren Weg zu finden.
Dies zeigt so recht ein erheblicher Teil der ausgeführten Arbeiten am Aachener
Münster, die Strzygowski in seinem Protest allgemein als übereilt und als unberechtigt
bezeichnet.
Diese Wiederherstellungsarbeiten beziehen sich zum gröfseren Teile auf die innere
musivische Ausschmückung, zum kleineren Teile auf eigentliche Instandsetzungen und
bauliche Ergänzungen. Im Hinblick auf die ersteren — die musivische Ausschmückung
— stimme ich Strzygowski jetzt vollkommen bei, während ich die Vornahme der letzteren
— der baulichen Wiederherstellungen — noch heute zum gröfsten Teile nach wie vor
verteidige.«
Dies wird nun im Einzelnen begründet. Strzygowskis Forderung, man entferne
mit den reichen vorhandenen Mitteln vor allem den Turm, wird abgewiesen. Wohl mit
Recht. Der Turm ist 1884 nach den Entwürfen von Schneider in Kassel erbaut. Er
trat an die Stelle der Ruinen eines älteren gotischen Turmes, der 1656 abgebrannt war.
Man kann bedauern, dafs er erbaut wurde, seiner Entfernung könnte aber doch nur das
Wort geredet werden , wenn ein positiver , archaeologisch unanfechtbarer Vorschlag
darüber vorläge, wie der obere Abschlufs des Westbaues nach Abbruch des Turmes zu
gestalten wäre. Ich glaube nicht, dafs man jemals im Stande sein wird, einen solchen
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UTERARISCHE NOTIZEN.
39
Vorschlag zu machen. Auch Buchkremers Bedenken gegen Strzygowskis Vorschlag , die
karolingische Bronzetür wieder an ihre alte Stelle zu bringen, sind beachtenswert.-
Schwieriger ist die Frage der Freilegung des Atriums. Die Diskrepanz von Theorie
und Praxis wird immer zu Tag treten, sobald man an die Lösung dieser Frage herantritt.
Schon früher, namentlich aber 1897 sind Reste eines Atriums aufgedeckt worden, dessen
freie Fläche noch durch die Umfassungen des Domhofs kenntlich ist. Die Forderung
der Wissenschaft ist einfach. Man lege die Reste frei und erhalte sie, so dafs sie der
Forschung zugänglich sind. Strzygowski hat die Forderung ungeßlhr so formuliert. Dafs
sie, wenigstens in ihrem zweiten Teil, nicht durchführbar ist, hat Buchkremer überzeugend
dargetan. Was in Pompeji und Rom ja in Trier möglich ist, ist es deshalb nicht unmittel-
bar auch in Aachen. Strzygowski bezweifelt im Hinblick auf orientalische Bauten, ob
das karolingische Münster überhaupt ein Atrium hatte. Demnach gehörten die Reste
des Atriums einer späteren Zeit an. Diese Frage mufs sich aus technischen Merkmalen
mit voller Sicherheit lösen lassen. Die formale Gestaltung des Atriums lassen die Reste
in den wesentlichen Punkten noch erkennen. Allerdings bleibt einiges fraglich. Damit
aber ist die Frage, was denn überhaupt geschehen soll nicht gelöst. Ihre Lösung ist
auch vorerst nicht dringend, und ich halte die Frage überhaupt nicht für die wichtigste.
Das karolingische Münster wird durch sie in seinem Bestand nicht berührt. Aber man
prüfe sie in dem von Strzygowski verlangten Umfang, um gerüstet zu sein, wenn eine
Lösung notwendig werden sollte.
Das dritte Kapitel von Buchkremers Schrift behandelt die baulichen Wiederher-
stellungsarbeiten. Buchkremer erklärt die Art, in welcher die Nordostecke des Atriums
erneuert worden ist für mifslungen. Wäre nur an der Wand des Atriums gearbeitet
worden, so könnte es hingehen, aber man hat in willkürlicher Weise an den Bestand
des karolingischen Treppenturmes gerührt, eine Tür eingebrochen und Fenster ver-
ändert. Der Königsstuhl ist nur technisch in Stand gesetzt worden, ohne dafs formale
Veränderungen an ihm vorgenommen wurden. Der Wiederaufbau der Säulenstellung vor
der Kaiserloge und die Herstellung der ursprünglichen Form der Fenster, welche an zwei
Fenstern noch erhalten ist, werden gerechtfertigt, ebenso die richtige Aufstellung der
Brüstungsgitter. Man wird auch vom Standpunkt der Theorie aus hiegegen nichts ein-
wenden. Was den Sturm erregt hat sind nicht diese Arbeiten an Einzelheiten, sondern
die Gesamtausstattung des Inneren.
Buchkremer beharrt zwar darauf, dafs eine Marmorverkleidung einzelner Teile be-
standen hat, falst aber sein Urteil dahin zusammen, >dafs eine Marmor- und Mosaik-
bekleidung der noch nicht damit versehenen Teile besser ganz unterbleibt.«
Es ist bekannt, dafs nachdem die Stuckverkleidung des Münsters abgeschlagen
war, zunächst die Kuppel eine reiche figürliche Ausstattung in Mosaik erhielt, dafs dann
ein Wettbewerb um Entwürfe zur gesamten inneren Ausstattung erlassen wurde, aus dem
Professor Schaper in Hannover als Sieger hervorging. Schapers Entwurf war sehr reich,
er nahm eine sehr ausgedehnte Verwendung von Mosaik und Marmorinkrustation an.
Hiegegen erhoben schon die Preisrichter Einwenduugen und empfahlen die mafsvollste
Zurückhaltung. Als der Karlsverein zum Schutz und zur historisch-treuen Wieder-
herstellung des Münsters gleichwohl Schapers Ideen aufgenommen und ihn mit der Aus-
fQhrung eines genaueren Planes und Kostenvoranschlages beauftragt hatte, fand dieser
nicht die Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde, welche der Ansicht war, dafs
die Konstruktion des Münsteroktogons, seine Gesimse und Profile darauf hinweisen, dafs
eine Verkürzung durch Mosaik- und Marmorauftragung von vornherein ausgeschlossen
sei und der ursprünglichen Absicht des Erbauers nicht entspreche. Schapers Ideen hatten
indes im Karlsverein so grofsen Anklang gefunden, dafs dieser trotzdem ihre Ausführung
anstrebte. Nach langen Verhandlungen kam 1898 ein Vertrag zu Stande, nach welchem
Schaper eine Gesamtskizze für die Ausstattung des Tambours liefern sollte. Als Gegen-
stand der Darstellungen war die grofse Deesis, der Pantokrator, Maria und der Prodromos
(Johannns der Täufer) uipgeben von Engels-Chören und den Aposteln bestimmt worden.
Schaper legte aber im März 1900 nicht nur diese Skizze vor, sondern zugleich Kartons
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40
UTERARISCHE NOTIZEN.
und ein Modell för die Ausschmückung des ganzen Münsters mit Mosaik und Marmor.
Er hatte seine Entwürfe zuvor dem Kaiser gezeigt, und dieser gab seiner Anerkennung
in einem Telegramm an den Präsidenten des Karlsvereins Ausdruck. Damit hatten die
Wünsche des Vereins gewissermafsen die allerhöchste Sanktion erhalten. Aber noch
stand das archaeologische Bedenken, ob denn das karolingische Münster überhaupt eine
Marmorverkleidung hatte in Kraft. Um über diese Frage Klarheit zu erlangen, unter-
suchte eine Kommission, welche aus dem Regierungs- und Baurat Kosbab, dem Archi-
tekten und Privatdozenten Buchkremer und dem Mitglied des Karlsvereins Schmitz be-
stand, das Münster.
Das Ergebnis .ihrer Untersuchung war, dafs wirklich eine Marmorverkleidung vor-
handen gewesen sei.
Hier setzt Viehoff nach Darlegung der Vorgeschichte der Restauration mit scharfer
Kritik ein. Ich habe auch nach Buchkremers Ausfuhrungen an der Marmorverkleidung
gezweifelt, durch Viehoffs Gegengründe scheint mir ihre Annahme endgiltig widerlegt
zu sein.
Die Kommission war, wie Viehoff S. 20 nach dem Jahresbericht des Karlsvereins
mitteilt mit der Aufgabe in Funktion getreten, diejenigen Merkmale festzustellen, wonach
das Münster in der Tat ursprünglich mit dem reichsten Marmor- und Mosaikschmuck an
Wänden, Pfeilern und Decken ausgestattet gewesen ist. War die Aufgabe wirklich so
gestellt, so mufste jeder, der eine wissenschaftliche Fragestellung beurteilen kann, im
Voraus seine Mitwirkung versagen. Ob der Vorwurf einer weitgehenden Konnivenz dei
Kommissionsmitglieder gegenüber den Wünschen der Auftraggeber gerechtfertigt ist, ob
sie , was doch anzunehmen ist , einem sehr verhängnisvollen Irrtum anheimgefallen sind,
mögen die Herrn in Aachen ausmachen. Tatsache ist, dafs die Verantwortung fiir die
Entstellung des ehrwürdigen Gebäudes zum grofsen Teil auf die Kommission f^llt ; daran
ändert die späte Erkenntnis, dafs die Marmorverkleidung besser nicht ausgeführt worden
wäre nichts mehr.
Die Schrift von Viehoff beschränkt sich aber nicht auf die Frage der Marmor-
verkleidung, sondern gibt eine eingehende Darstellung der Geschichte der Wiederherstellung
des Aachener Münsters. Sie ist ein lehrreicher Beitrag zur Geschichte des Restaurierens
überhaupt.
Die Anfänge der Restauration des Münsters liegen etwa 60 Jahre zurück. Die
Anregung ging vom Stiftskapitel, dem Eigentümer des Münsters aus. Es war die Zeit
der Freskomalerei grofsen Stils und der Geringschätzung der Kunst des 18. Jahrhunderts.
Die Stuckdekoration des Münsters sollte entfernt und das Innere in Fresko ausgemalt
werden. Die Absicht ist noch eine rein künstlerische; eine Ausstattung, welche dem
Zeitgeschmack nicht entsprach, sollte durch eine zeitgemäfsere ersetzt werden. Schon
aber regte sich der historische Sinn und bald wurde die Forderung gestellt, dafs die
Wiederherstellung des Münsters historisch treu sein müfsc. Praktisch nahm man es freilich
leicht mit dieser Forderung. Ciampini hatte in den vetera monumenta eine sehr ober-
flächliche Zeichnung der Mosaiken der Kuppel publiziert. Nach dieser Vorlage sollten
wieder Mosaiken angebracht werden, Wände und Pfeiler sollten erst Malereien, dann
eine Verkleidung in Stucco lustro erhalten. Um die Gelder für dieses grofse Unternehmen
zu beschaffen, wurde der Karlsverein gegründet der bald über bedeutende Mittel ver-
fugte. Damit trat allmählig nicht formell aber faktisch eine Verschiebung der Kompe-
tenzen ein, der Karlsverein wird die treibende Macht. Er schrieb, nachdem die Mosaiken
der Kuppel 1881 vollendet waren die Konkurrenz aus, er war es, der trotz der Warnungen
der Preisrichter, trotz der Verwahrung von Hermann und Adler, die Ausführung des
reichen Entwurfes Schapers durchsetzte. Was Viehoff über diese Vorgänge mitteilt,
lautet nicht erfreuHch.
Man hat für Schapers Entwurf nachträglich eine archaeologische Begründung ver-
sucht, tatsächlich hat man ihn durchgesetzt, weil er reich und glänzend war. Man war
nach sechzig Jahren auch nicht weiter als beim Beginn der Restauration und man konnte
nicht weiter sein. Für eine historisch treue Wiederherstellung fehlen die wissenschaft-
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LITBBARISCHE NOTIZEN.
41
liehen Grundlagen. Eiteles Hoffen ist es, sie von gründlichen Studien, sei es in Rom und
Ravenna, sei es in Syrien oder Ägypten zu erhoffen ; wir wissen nicht, wie Karls Münster
ausgeschmückt war und wir werden es niemals wissen. Eines aber wissen wir gewifs:
So wie es Herr Schaper ausgestattet hat hat es nicht ausgesehen. Es ist immer wieder der
gleiche Fehler. Man will verschönern, wo man erhalten sollte. Welche Zahl von Denk-
mälern ist diesem Irrtum zum Opfer gefallen. Die Wahlstatt reicht von der Charente
bis an die Ostsee und an die Theifs. Wann endlich wird die Oberzeugung durchdringen,
dafs wir uns mit unseren Restaurationen bescheiden müssen, dafs die Denkmäler der
Baukunst des gleichen Schutzes wert sind, wie die der Skulptur und der Malerei.
Kaum an einem Denkmal ist seit mehr als hundert Jahren mehr gesündigt worden
als am Aachener Münster. Das nach seiner Wirkung verhängnisvollste war vielleicht die
vorzeitige Gründung des Karlsvereins. Es ist gut und löblich, wenn die Mittel zur Durch-
führung einer unumgänglichen Restauration durch Vereine aufgebracht werden. Aber man
gründe solche Vereine nicht, bevor nicht über Art und Umfang der auszuführenden Ar-
beiten volle Klarheit und Obereinstimmung herrscht. Hier hat die Wissenschaft das erste
Wort zu sprechen. Dann mag der Künstler seine entsagungsvolle Tätigkeit beginnen, dann
mögen Vereine gegründet werden um die Mittel aufzubringen. Ist der Verein zuerst da,
so wird die ganze Angelegenheit im Voraus in falsche Bahnen geleitet, man will für sein
Geld etwas sehen, man will Grofses, Schönes. Dann werden Künstler berufen, welche
schaffen wollen, welche glänzende Entwürfe liefern, die faszinieren; dann vergifst man^
■4afs man erhalten wollte und berauscht sich an den Herrlichkeiten des Neuen. Ruft man
4n diesem Stadium die Wissenschaft als Eideshelferin an, so geschieht es nur noch um
0as Dekorum zu wahren, und man hört nur noch was man hören will.
So energischem Drängen gegenüber versagt selbst die staatliche Denkmalspflege,
das hat Meifsen, das hat Aachen, das haben auch andere Fälle gezeigt. Qtwusqtie tandem .
^ Gustav von Bezold.
Vasel, A. Sammlunic graphischer Kunstblätter nebst Anhang: Aquarelle und
Handzeichnungen. Mit 10 Abbildungen. Wolfenbüttel 1903. Julius Zwissler. (XI, 388 S. 8®).
Es gibt nicht allzuviel Kataloge, die wie der hier vorliegende einmal ausnahms-
weise nicht zum Zwecke des Verkaufs der beschriebenen Sammlung abgefafst sind. Von
(älteren Handbüchern dieser Art sind nur nennenswert: Paignon-Dijonval (1810), Malaspina
1824), Wilson (1828), v. Quandt (1853), Morrison (1868) und als beste Arbeit von allen:
V. Lanna (1895). Diesem letzten, in jeder Beziehung ganz ausgezeichneten Kataloge, den
wir Hans Wolfgang Singer verdanken, dürfte auch der hier zu besprechende in keiner
Weise nahekommnn, viel weniger ihn übertreffen. Gleichwohl ist das Erscheinen des-
selben trotzdem mit Freuden zu begrüfsen, weil wir darin gewissermafsen die Äufserung
einer echten, uneigennützigen Freude an der Kunst selbst und den Beweis eines persön-
lichen Verhältnisses zu den von ihr geschaffenen Werken zu sehen haben. Wie sym-
pathisch berühren gleich die Worte der Einleitung: »Den Verkauf zu vermitteln, soll
der Zweck dieses Verzeichnisses nicht sein. Mufs es doch ein wehmütiges Gefühl er-
wecken, das, was mit aller.JLiebe und Sorgfalt im Laufe eines Menschenalters zusammen-
getragen worden ist, ni^n wieder in alle Winde zerstreut und allerlei Fährlichkeiten aus-
gesetzt zu sehen, und sollte da nicht der Wunsch erklärlich und berechtigt sein, es
zusammen zu erhalten, oder wenigstens in seinen Hauptteilen vor Zerstreuung zu bewahren
und doch der Allgemeinheit oder einem grösserem Kreise nutzbar zu machen! Dies zu
erreichen ist mein Wunsch, und hierauf wird auch in Zukunft mein Bestreben gerichtet
sein. Diesem Zwecke soll auch das vorliegende Buch dienen; möge es zur Benutzung
der Sammlung anregen und diese erleichtern !<
Die Hauptstärke der 6312 Nummern umfassenden Sammlung liegt nicht wie bei
dem V. Lanna'schen Kabinet in Blättern des 15. und 16. Jahrhunderts. Von diesen weist
der Katalog nicht übermäfsig viele Exemplare auf Nur von Dürer und Marcanton findet
sich etwas mehr vor. (Die 278 Illustrationen im »Spiegel der menschen behaltnysse«, die
Vasel dem Meister des Hausbuches zuschreibt, haben mit diesem nichts zu tun.). Von
Blitteilangen aob dem germao. NatioDalmiueum. 1904. 6
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LITERARISCHE NOTIZEN.
späteren Meistern sind reichhaltiger vertreten: Rerobrandt, Adr. v. Ostade, van Dyck
(Iconographie fast vollständig), J, D. Ridinger, C. W. E. Dietrich, G. F. Schmidt, Chodo-
wiecki und Raphael Morghen; letzterer mit einer ganzen Anzahl unvollendeter Probe-
drucke. Unter den Künstlern des 19. Jahrhunderts scheint Vasel besonders Menzel und
Richter seine Vorliebe zugewandt zu haben. Die Aufnahme weniger bekannter und be-
deutender Meister erklärt sich daraus, dafs sie aus Braunschweig, der Heimat des Ver-
fassers, stammen.
Als systematische Anordnung hat der Verfasser die alphabetische Reihenfolge ge-
wählt, die wenigstens den einen Vorteil bietet, dafs sie ein rasches Auffinden der einzelnen
Meister ermöglicht. Ein Personenregister ist dadurch überflüssig geworden; und dafür
hätte vielleicht einmal dem Katalog ein gut gearbeitetes Sachregister hinzugefügt werden
können. Eine solche bisher nur in den Ornamtstichkatalogen übliche Verarbeitung des
reichaltigen Materials ist allerdings mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, dafür aber
dankenswerter als man gemeiniglich annimmt. Dafs Vasel die Abdrucksgüte der einzelnen
Blätter nicht erwähnt, kann man nur billigen, denn jedes Urteil hierüber ist so durchaus
subjektiv, dafs der Wert desselben vollständig illusorisch wird. Wenn man bedenkt,
welchen Blättern in dem zum Zwecke des Verkaufes einer Sammlung fertiggestellten
Katalogen häufig die schmückenden Beiworte wie »reizend, kostbar, prachtvoll, brillant»
suberb, tadellos, hervorragend, unvergleichlich, erstklassig, wunderbar« zu teil werden,
dann ist es mit dem Respekt vor dererlei Zensuren ein für allemal vorbei.
Dafs dem gut ausgestatteten Katalog zehn Abbildungen von selteneren Blättern
beigegeben sind, soll zum Schlufs noch besonders hervorgehoben werden. Sie in Netz-
ätzungen herstellen zu lassen, war allerdings verfehlt, da eine solche den Charakter eines
Stiches oder einer Radierung auch nicht im entfernten wiederzugeben imstande ist. Wer
das Geld hat, einen solchen Katalog drucken zu lassen, der kann in diesem Falle auch
zur Reproduktionstechnik der Heliogravüre greifen. A. Hg.
Schegimann, A. M., Geschichte der Sikuiarlsation im rechtsrheinischen Bayern.
I. Band: Vorgeschichte der Säkularisation. Regensburg 1903. J. Habbel (X, 297 S. 8®).
Obwohl nunmehr schon ein volles Jahrhundert vergangen ist, seitdem die in der
Kirchengeschichte mit einem schwarzen Kreuz bezeichnete Säkularisation ihre tief ein-
schneidenden Wirkungen fühlbar zu machen begann, besafsen wir bis auf den heutigen
Tag noch keine umfassende Geschichte derselben. Schegimann will sie uns in dem hier
angezeigten Werke für das rechtsrheinische Bayern geben. Der unter Benutzung zahl-
reicher Originalkorrespondenzen sowie mit Verwertung einer ganzen Fülle von mündlichen
persönlichen Oberlieferungen bis jetzt fertig gestellte erste Band enthält als Frucht einer
dreizehnjährigen mühevollen, fleifsigen Sammlerarbeit die nicht wenig interessante Vor-
geschichte der ganzen Bewegung. In den folgenden Bänden soll dann die Aufhebung
der ständischen und nichtsändischen Klöster und Hospitien, der Abteien, Kollegien,
Kommenturen, Damenstifte, Fürstbistümer, Hochstifte und Domkapitel eingehend be-
handelt werden. Im Anschlufs daran will uns Schegimann endlich noch das Leben der
hervorragendsten unter den säkularisierten Personen schildern und, was nicht weniger
dankenswert ist, das fernere Schicksal der säkularisierten Sachen, namentlich der Klöster,
Paläste, Kirchen, Bibliotheken, Kunstgegenstände, naturwissenschaftlichen Apparate und
Sammlungen. Wenn schon der Stoff an und für sich das dem ersten Bande entgegen-
gebrachte hohe Interesse in vollem Mafse zu rechtfertigen und verständlich zu machen
imstande ist, so verdient doch die klare und leichtfassliche Schreibweise noch als be-
sonders ausschlaggebend hervorgehoben zu werden. Ihr ist es zu verdanken, dafs das
in seiner Anlage doch mehr wissenschaftliche Werk gleich nach Erscheinen des ersten
Bandes eine nachhaltige Wirkung auf die Laienkreise auszuüben imstande war. Über
den Standpunkt, den der Verfasser der Frage gegenüber einnimmt, orientiert uns gleich
der erste Satz des ganzen Werkes: >Die natürliche Entwicklung der bayerischen Säku-
larisation reicht, wie so viel anderes Unglück, auf Luther zurück«. Das heifst man aber
doch mit der Tür ins Haus fallen. Neben der konfessionellen Seite hat der ganze eigen-
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LITERARISCHE NOTIZEN.
43
tümliche Vorgang ja schliefslich auch noch eine wirtschaftliche, nationalökonomische.
Dafs diese nicht unter Erwägung des Für und Wider eingehender behandelt ist, dürfte
entschieden ein Fehler der fleifsigen Arbeit sein.
Die Siesrel des Adels dör Wettiner Lande bis zum Jahre 1500. Im Auftrage
der königl. Sachs. Staatsregierung herausgegeben von Otto Posse, Dresden. Verlag
des Apollo (Franz Hoffmann) 1903. gr. 4.
Seitdem die Sphragistik aufgehört hat, allein ein Betätigungsfeld des Dilettantismus
zu sein, und wieder ihre alte Stelle als wichtige historische Hülfswissenschaft eingenommen
hat, sind eine Reihe wertvoller Abhandlungen zur Siegelkunde erschienen. Inhaltlich
dürfte sich Posses jüngstes Werk den besten Arbeiten aus diesem Gebiet an die Seite
stellen, an Reichtum und Güte der Ausstattung aber alle hinter sich lassen. Bisher ist
von dem grofs angelegten Werke über die mittelalterlichen Adelssiegel der Wettiner
Lande der erste Band erschienen, der die Grafen von Käfernburg - Schwarzburg , die
Vögte von Weida, Plauen und Gera, sowie vom Adel den Buchstaben A umfafst.
Mit kritischem Blick ist das weit zerstreute Material gesichtet, genaue genealogische
Übersichten und Tabellen für die zeitliche Dauer der einzelnen Siegelstempel sind als
wertvolle Hülfsmittel beigegeben und ein sehr sorgfältig gearbeitetes Register erleichtert
den Gebrauch. Die im Text beschriebenen Siegel sind auf 50 Lichtdrucktafeln aus der
graphischen Kunstanstalt von Meissenbach Riffarth & Co. in vortrefflicher Weise wieder-
gegeben. W. J.
Neujahrsblätter aus Anhalt. Herausgegeben von Professor Dr. Hermann Wäschke,
Herzog]. Anhalt. Archivrat: 1. Anhalt vor hundert Jahren von H. Wäschke. Dessau.
1904. Verlagsbuchhandlung von Paul Baumann, Herzogl. Anhalt, u. Sachsen- Altenb.
Hofbuchhändler. 32 SS. 8«.
Zu einem Unternehmen, wie es gleicher Art seit Jahren schon die historischen
Kommissionen der Provinz Sachsen und des Grofsherzogtums Baden für diese Gebiete
betätigen, der alljährlichen Herausgabe von »Neu Jahrsblättern« für einen weiteren Kreis
von Freunden der Landesgeschichte, ist nun auch für das Herzogtum Anhalt von be-
rufenster Seite der Grund gelegt worden. Mit dem ersten Heft, einem geschichtlichen
Rückblick auf »Anhalt vor hundert Jahren«, erscheint der Herausgeber selbst auf dem
Plan. Nun ist das Jahr 1803 freilich eines der allerunerquicklichsten in der deutschen
Rcichsgeschichte, indes, wie des Verfassers Geleitwort mit Recht betont, bleibt es eine
nicht zu unterschätzende Quelle politischer Einsicht, selbst so unerfreulichen Dingen, wie
sie das beginnende 19. Jahrhundert gebracht hat, voll ins Antlitz zu schauen. Nicht wenige
gleichzeitige Dokumente manigfachster Art, Akten, Noten, Relationen, Briefe sind sorg-
fältig verwertet und verwoben zu einer lebendigen Charakteristik der inner- und aufser-
politischen wie nicht weniger der wirtschaftlichen Verhältnisse der drei anhaltischen
Fürstentümer in jenen Tagen. HH.
Obrist, Hermann, Neue Möglichkeiten in der bildenden Kunst. Essays. Leip-
zig. 1903. Eugen Diederichs. (168 S. 8^.)
Eine Sammlung von sieben zu verschiedenen Zeiten niedergeschriebenen Aufsätzen
und Vorträgen, die in manchen Punkten offene Türen einstofsen, in vieler Beziehung
aber durch die stark anregende Art, in der die aktuellen Probleme der Kunst und des
Kunstgewerbes besprochen werden, von mehr als ephemerer Bedeutung sind. Von den
durch den Charakter der Entstehung des Buches bedingten Mängeln verschiedener AVieder-
holungen abgesehen, geben uns die temperamentvollen Äufserungen des Münchener
Künstlers wertvolle Beiträge zur Beantwortung der Frage eines zeitgemäfsen Kunst-
unterrichts, denen sich nicht weniger interessante Erörterungen über die Zukunft unserer
Plastik und Architektur angliedern. Wenn wir auf einen Aufsatz noch speziell hinweisen,
so verdient er es vor allem deshalb, weil er in treffender Kürze die Schattenseiten einer
heutzutage immer mehr an Boden gewinnenden Bewegung charakterisiert, an die man
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44 LITEÄARI8CHB NOTIZEN.
gewöhnlich bei Nennung des Schlagwworts »Volkskunst« denkt. Was wir jetzt Volks-
kunst nennen, sagt Obrist sehr richtig, ist nicht das, was unser Volk mag. sondern das,
von dem wir wünschen und verlangen, dafs es unser Volk haben soll. Wir glauben
Volkskunst zu liefern, wenn wir eine konstruktiv exakte Zimmereinrichtung ohne Dekor
fertigstellen; der Arbeiter aber, för den sie bestimmt sein soll, denkt anders über die
Kästen und Gestelle, die wir ihm gaben. Er sehnt sich nach etwas Höherem, das, wenn
es auch nicht echt ist, so doch wenigstens vorgibt, echt zu sein. Er will Möbeln mit
Schnörkeln und Kugeln mit Troddeln und Fransen, ebenso wie seine Frau lieber sechs
Mark för eine Diaphanie als drei Mark für eine moderne Künstlerlithographie ausgeben
wird. Alles mufs nach etwas aussehen, was es in Wirklichkeit nicht ist und der Natur
der Sache nach auch nicht sein kann.
Was wir an der Bauernkunst so sehr schätzen, ist aber vielfach weiter nichts, als
eine auf dem Wege ungeschickter Nachahmung entstandene Afterkunst, die sich zur
wirklichen Kunst verhält wie der Löschpapierabdruck zur Originalschrift. Von solchen
Arbeiten erhoffe man doch keine Anregung zu einer Neubelebung der sogenannten Volks-
kunst. Das gibt stets nur Talmi und nie und nimmer echtes Gold. Es verlohnt sich
deshalb nicht einmal, solche Stücke systematisch zu sammeln. Das überlasse man dem
Liebhaber und den kleineren Museen, die in erster Linie Heimatkunde treiben. Für gröfsere
Centralen genügen ein paar bemerkenkwerte Proben, wie unser Museum deren auch
einige besitzt, vollauf. Jedes Mehr ist da von Übel; es sei denn, dafs man sich auf den
von Lauffer im Archiv für Kulturgeschichte (ü, 106) vertretenen Standpunkt stellt, wonach
die »historischen« Museen — als wenn nicht jedes Museum mehr oder weniger historisch
war — nicht in erster Linie nach künstlerischen, sondern vor allen Dingen nach geschicht-
lichen und germanistischen Gesichtspunkten geordnet und zusammengestellt werden
müfsten. Wenn dies das Ideal einer deutschen Archaeologie ist, dann kann uns eine
solche Altertumswissenschaft mehr schaden wie nützen, weil sie geeignet ist, unsere
Museen zu Raritätenkabinetten herabzuwürdigen, die in erster Linie dazu berufen wären,
die Naturgeschichte des bric ä brac zu lehren. Wenn es wirklich nötig sein soll, neben
dem Entwicklungsgang der Erzeugnisse der Kunstindustrie auch den der ganz gewöhn-
lichen Handwerksprodukte vor Augen zu führen, dann werden wir dahin kommen, auch
noch typische Exemplare der »historischen« Formengestaltung eines Stiefelknechtes oder
einer Ofengabel als wichtige kulturgeschichtliche Dokumente zusammenzustellen. Dann
— aber auch nur dann — kann man auch den Denkmälern der sogenannten Bauemkunst
das weitgehendste Interesse entgegenbringen. Nur soll man in dem Falle dann nicht
mehr von kunsterzieherischen Aufgaben der Museen reden. t)ie Kunst selbst wird von
solchen Erzeugnissen keine Anregung empfangen können; das Publikum aber zu einer
solchen »Kunst« erziehen zu wollen, das wäre sündhaft. Wirkliche Volkskunst hat etwas
einfaches, solides, wahres, echtes; alles Eigenschaften, die der Bauemkunst in der Regel
abgehen. In dieser also den regenerierenden Odem zu sehen, der der Volkskunst Gesund-
heit und Jugend wiederzugeben imstande ist, dürfte vollständig verfehlt sein.
Alfred Hagelstange.
u. C.Svtaid, Nümbvft-
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DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR. HANS STKGMANN.
VI.
Die Kastenmöbel, denen wir uns nunmehr zuzuwenden haben, begreifen
die Truhen, Koffer, die kleineren Kästen, die Schränke, endlich die
Kommoden und die mannigfachen Kombinationen von Schrank und Tisch in
sich, soweit sie nicht etwa als Abart des eigentlichen Tisches dem nächsten
Abschnitt vorbehalten bleiben. Sämtliche Kastenmöbel lassen sich in den zwei
Hauptgruppen, Truhen oder eigentliche Kasten und Schränke im weiterem
Sinne unterbringen. Das hauptsächlichste Charakteristikum der ersten Ab-
teilung ist die Kistenform, d. h. ein oblonger rechteckiger Kasten (Parallel-
epipedon) dessen Öffnung durch Aufklappen, bezw. manchmal durch Ab-
heben der Oberseite des Deckels vor sich geht. Charakteristikum der zweiten
ist ebenfalls (bis zu den Phantasieerzeugnissen des 17. und 18. Jahrhunderts)
das Parallelepipedon , das aber nicht auf einer seiner längeren , sondern
auf einer seiner kurzen Seiten steht und von der Vorderseite aus mittelst
eines oder mehrer Türflügel, später auch mittelst Schubladen seine Öffnung
erhält.
Beide Hauptarten haben als Hausgerät Jahrtausende lang eine Rolle
nebeneinander gespielt. Bis zur Spätrenaissance, d. h. etwa bis zur Zeit von
1580 — 1600 hat in Deutschland die Truhe das Übergewicht als eigentliches,
wichtiges Aufbewahrungsmöbel , vom 16. Jahrhundert an aber trägt der
Schrank den Sieg davon; im neunzehnten Jahrhundert wird die Truhe nur
noch in bäuerlichen Kreisen, und da nur selten, neu gefertigt. Es wäre
müßig über die Priorität von Truhe und Schrank zu streiten. Als eigent-
liches Möbel, d. h. als beweglicher Hausrat, wird der Kasten wohl als die
frühere Form anzusprechen sein. Nicht nur als Aufbewahrungsort, sondern
auch recht eigentlich als Transportmittel haben wir uns den Kasten und die
aus diesem hervorgegangene Truhe zu denken. So h^ben sich denn auch, so-
lange wir die Truhe zurückverfolgen können und soweit sie heraufrückt zu
unseren Tagen, als unentbehrliche Zutat an den Schmalseiten die Handhaben
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46
DIE HOLZMÖBEL DES GERMAKISCHEN MUSEUMS.
für die Fortbewegung erhalten. Schon der etymologische Zusammenhang des
Wortes »Truhe« und »tragen« gibt ja die Zweckbestimmung klar wieder. Der
Schrank dagegen ist, wie später des Weiteren noch auszuführen sein wird,
kein Möbel im eigentlichen Sinne. Wie wir ihm bis zum heutigen Tage noch
begegnen als Wandschrank d. h. als eingebautem Möbel, so haben wir ihn
auch als solches entstanden zu denken ; in primitivster Form als eine mit einer
Tür verschließbare Wandnische.
Die ältesten erhaltenen Holzkasten und Truhen finden wir wieder in
dem Lande, das die reichsten Schätze aus seiner uralten Kultur bewahrt hat,
Aegypten, und zwar in seinen Holzsärgen, die freilich nicht als regelmäßige
Parallelepipeda gebildet sind, sondern in den Seitenflächen, bisweilen auch
im Deckel den Umrissen der menschlichen Gestalt folgen. Truhen des
klassischen Altertums in Holz besitzen wir nicht, aber in den griechischen
und römischen Steinsarkophagen dürfen wir mit demselben Recht eine Nach-
bildung des Steinhauses, als des Holzkastens in Hausform erblicken. Der
allen Völkern auf früher Stufe innewohnende Zug in ihrem Gerät eine Nach-
ahmung ihrer Wohnbauten zu geben — hier ist auf die mannigfachen Formen
der vorgeschichtlichen Hausumen zu verweisen — hat hier im Kasten und
auch im Sarg genau dieselbe Rolle gespielt wie in der Keramik und in der
Metallbildnerei (z. B. des mykenischen Zeitalters). Es ist daher gewiß kein
Zufall, daß die im Wesentlichen stets beibehaltene Form der Truhe der
einfachsten Form des Sarges, der Behausung der Toten, entspricht. Die
Hausform der Truhe mit giebelförmig gestaltetem, abgeschrägtem Deckel ist
eine verbreitete Art, die besonders bei kleineren Truhen und vor Allem beim
mittelalterlichen Kästchen sehr beliebt war. Vielleicht spielt hier der Re-
liquienschrein, das Haus und der Sarg der Heiligen und Märtyrer oder eines ^
Teiles ihrer irdischen Überreste, in der mittalalterlichen angewandten Kunst
die Hauptrolle.
Die Kastenmöbel, so selten sie in wirklich guten und gut erhaltenen
Exemplaren auch sind, haben doch, da sie der Gebrauch weit weniger zer-
störte als die Ruhemöbel oder die Tische, sich in größerer Zahl erhalten
und bilden in ihrer Gesamtheit nicht nur der Zahl, sondern auch dem künst-
lerischen Wert nach weitaus den wichtigsten Bestandteil der Möbelsammlung
des Germanischen Museums. Im Nachfolgenden sollen aus praktischen Gründen
zunächst die größeren, dann die kleineren Truhen, die Koffer, die Holzkäst-
chen, die Schränke, die Schrankkombinationen und die Kommoden behandelt
werden.
Die mittelalterlichen Truhen sind in unseren Sammlungen nur durch
wenige Beispiele vertreten, wozu noch kommt, daß einige kaum deutscher,
sondern wohl oberitalienischer Herkunft sind.
Die formale Entwicklung der Truhe ist ihrem Wesen nach als die eines im
Innern nicht gegliederten Kastens — von den Versuchen darüber hinaus zu
kommen wird noch zu teden sein — eine sehr einfache. Und insbesondere
Deutschland ist über die Grundform des rechteckigen Kastens eigentlich nie
recht hinausgekommen, wie das beispielsweise mit der italienischen geschnitzten
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VON DR HANS STIEGMANN.
47
Truhe der Spätrenaissance und des Barock der Fall gewesen ist. Vielleicht
auch deshalb, weil die Truhe im vornehmen und im Bürgerhaus zu der Zeit,
wo sie in Italien ihre höchste künstlerische Vollendung als Prunkmöbel erhielt,
gegenüber dem Schrank in Deutschland schon etwas in den Hintergrund
zurückgetreten war. War doch, wohl auch unter Einwirkung der italienischen
Renaissance, welche diesen Typus zur größten Höhe entwickelte, auch in
Deutschland — wie die vielen Wappentruhen es klar dartun — vom 16. Jahr-
hundert an die Brauttruhe der Hauptvertreter der Gattung. Als solche, als
Brauttruhe, hat sie besonders im bäuerlichen Leben bis ins 19. Jahrhundert,
gewöhnlich in der modernen Kofferform, ein etwas kümmerliches Dasein im
Norden und Süden unseres Vaterlandes fortgefristet.
Da der Deckel, mochte er giebelförmig, gewölbt oder horizontal sein, in der
Regel keine wesentliche Verzierung erhielt, so blieben für diesen zu allen Zeiten
nur die Seitenflächen übrig. Im Mittelalter, aber auch in der Renaissance,
beschränkte zudem die ganz naturgemäße Sitte, die Truhen mit einer Lang-
seite an der Wand aufzustellen, die Dekoration auf die beiden Schmalseiten
und die vordere Seite, die eigentliche Schauseite. Daß zunächst, der primitiven
Kastenform folgend, die Ausschmückung sich in reiner Flächendekoration be-
wegte, ehe man daranging — im wesentlichen erst in der Zeit der spätesten
Gotik und der Renaissance — die Außenwände mit architektonischen Gliede-
rungen zu versehen, ist einleuchtend. Die früheste Verzierung, die wir aus
dem Mittelalter bei Holztruhen kennen, ist nicht in Holz ausgeführt, sondern
wird durch die in regelmäßiger Musterung verteilten eisernen Beschläge erzielt.
Solange und soweit die Truhe als Transportmittel im engeren Sinne
gebraucht wurde, war ja die einfachste Form mit rechtwinkligen aufeinander
stoßenden Flächen die gegebene. Die üblichen Holzverbindungen gewährten
aber weder gegenüber den Erschütterungen beim Verladen und beim Trans-
port, noch auch den Öffnungsversuchen von fremder Hand genügend Wider-
stand, sodaß das Beschlagen mit eisernen Bändern sehr in Aufnahme kam
und stets gebräuchlich blieb. Das Beschläge dieser Art verdichtete sich
schließlich ähnlich wie bei den Türen derart, daß der ganze Kasten resp.
die Truhe mit Eisen bezogen wurde, ebenso wie um den Holzkern zu schonen
vom späten Mittelalter der eigentliche Reisekoffer (franz.: coffre ----- Truhe) mit
Leder- oder Stoffbezug wenigstens für den vornehmen Gebrauch Sitte wurde.
Die feststehende Eigenschaft der Truhe, daß die obere Seite den zu
öffnenden Verschluß bildete, bringt es natürlich mit sich, daß die auf-
zubewahrenden Gegenstände, wie heute noch im modernen Reisekoffer oder
-Korb, soweit er nicht neuerdings mit herausnehmbaren Einsätzen versehen
ist, übereinander aufgeschichtet werden mußten. Um zu einem im unteren
Teil befindlichen Gegenstand zu gelangen, müssen infolgedessen die darüber
liegenden Gegenstände herausgeräumt werden, ein Mißstand, der im seitlich
vom zu öffnenden Schrank, der noch dazu zur Anordnung von einzelnen senk-
und wagrechten Abteilungen wie geschaffen ist, vermieden ist. Um wenigstens
kleinere Gegenstände ohne viel Umstände verwahren bezw. .herausnehmen
zu können, wurden an einer oder njehreren Innenseiten der Truhe rinnen-
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4S DIE HOLZMÖBKL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
oder fachartige Behälter angebracht, manchmal schon früh mit kleinen wirk-
lichen Schubfächern, auch Geheimfächern, die einen wenn auch minder-
wertigen Ersatz von Schrankfächern und Schubladen bieten konnten.
Als die Truhe im Verlaufe des Mittelalters nicht mehr so ausschließlich
für weitere Transportmöglichkeiten ausgerüstet werden mußte, bekam sie als
Auflager einen Untersatz. Während derselbe im Süden Deutschlands bis ins
16. Jahrhundert getrennt hergestellt wurde, sodaß die Truhe von ihm weg-
gehoben und fortbewegt werden konnte, entwickelte sich im Norden die
Stollentruhe. Entweder wurden die Seitenteile nach unten verlängert, sodaß
seitliche Stollen entstanden, während vorne ein gerades oder ausgesägtes Brett
angefügt wurde, oder Vorder- und Rückseite wurden dreiteilig gebildet und
die schmäleren Seitenteile nach unten verlängert, sodaß die Stollen in der
Axe der Längsseiten lagen. Der Grund zu der Maßnahme, die Truhen in
der Regel nicht mit dem Behälter auf dem Boden aufstehen zu lassen, darf
wohl in dem Bestreben gesucht werden, den Inhalt vor der Bodenfeuchtigkeit
und vor animaUschen Schädlingen zu sichern.
Das älteste Stück unserer mittelalterlichen Truhen ist eine in dunkel ge-
beiztem Eichenholz geschnitzte Truhenvorderwand (Fig. 59) welche von einer
Truhe aus dem Rathause zu Dortmund stammen soll. Die beiden schmalen Seiten-
Fig. 59. Gotische Truhenvorderwand aus Dortmund.
teile, welche unten die schmucklosen Stollen bilden und deren Holz im Gegen-
satz zum Mittelteil senkrecht läuft, sind mittelst Nut und Feder und runden
Zapfen an das Mittelteil gefügt. Einschnitte an der Innenseite zeigen, daß im
Innern oben schmale Kästen, wie wir sie später noch des Näheren kennen
lernen werden, angebracht waren. Das Mittelbrett ist in fünf rautenförmige
Felder eingeteilt, die je eine stilisierte drachenartige Tiergestalt tragen. In
den unteren Zwickeln ist zweimal die gleiche Tiergestalt, zweimal je drei
Nadelholzbäume, deren Belaubung schachbrettartig geschnitten ist, und an den
Seiten ein flammenartiges Ornament angebracht. Zwischen den Rauten erheben
sich Fialen, aus den Rauten wächst stilisiertes Laub und den Grund bildet
wieder das geflammte Ornament. Auf den Seitenteilen sitzt das Tier in einer
Maßwerkarchitektur mit Fialen, resp. Türmchen. Die verhältnismäßig strenge
und herbe Behandlung läßt erkennen, daß die Truhe dem Anfang des 15.
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VON DR. HANS STEGMANN.
49
oder dem Ende des 14. Jahrhunderts angehört. Die Breite des Vorderteiles
beträgt 168 cm, die Höhe inklusive der Stollen 75 cm.
Ebenfalls wohl noch dem 14. Jahrhundert angehörig ist das nächste
Stück. Ganz einfach in Kistenform stellt sich diese Truhe dar, welche kirch-
lichen Zwecken gedient hat und daher auch der Sammlung kirchlicher Geräte
einverleibt ist. Sie hat, wie manch anderes gleichartige Stück bis in die
neuere Zeit zur Aufbewahrung eines Kirchenschatzes gedient. Ihre Bestim-
mung weniger als Möbel im engeren Sinne, denn als diebessicherer Auf-
bewahrungsort wertvoller Paramente zu dienen spricht sich in ihrer Schmuck-
losigkeit aus. Die Schmalseiten der rechteckigen Kiste bilden zugleich an
den Ecken die Füße. An der Vorderseite und an den Seitenteilen ist sie
mit eisernen Bändern beschlagen, die an den Seiten wagrecht, an der Vorder-
seite senkrecht laufen und jeweilig um die Ecken umgeschlagen sind. Die
Fig. 60. Gotische. Truhe des 1&. Jahrhunderts; tirolisch oder oberitalienisch.
Zahl der seitlichen wagrechten Bänder beträgt je fünf, die der vorderen aus
der Unterseite hervorkommenden Bänder acht. Alle haben lilienförmigen
Abschluß. Vorn ein einfaches gotisches Schloßblech. Das Material ist Eichen-
holz. Da der Deckel gar kein Beschlag zeigt, ist die Annahme einer Er-
neuerung desselben wohl gerechtfertigt. Höhe und Tiefe je 62 cm, Länge
182 cm. Da die Truhe aus dem Nürnberger Antiquitätenhandel erworben
wurde (1891) dürfte sie wohl auch süddeutschen Ursprungs sein.
Einen besonderen Typus bilden ähnlich der vorstehend beschriebenen
eine Art von hauptsächlich in Westfalen vorkommender mittelalterlicher
Truhen. An ihnen sind die Holzteile ganz einfach kistenartig behandelt.
Die verhältnismäßig hohen — ca. 40 cm — Füße werden durch schmale,
nach unten verlängerte Seitenbretter der Vorder-, bezw. der Rückwand ge-
bildet. Vorder- und Seitenwände und der Deckel sind ganz dicht mit schweren
Hitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1904. 7
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^0 DIB HOLZMÖBBL OBS GEBMANISCHEN MUSEUMS.
eisernen Bändern beschlagen, die zwischen sich nur einen durchschnittlich
etwa 3 cm breiten Raum freilassen. An den Vorderecken laufen die Bänder,
je neun an der Zahl, wagrecht, an den Seiten je vier, und der Vorderseite 21,
senkrecht, auf dem Deckel in der Richtung der Letzteren (30). Die Endigungen
der mit großen rundköpfigen Nägeln befestigten Bänder bilden distelartige,
stilisierte Blätter, in abwechselnd schmaler und breiter Form. Der Rand der
Truhe sowie des Deckels sind ebenfalls mit schweren eisernen Bändern ver-
kleidet, so daß sie den Eindruck großer Festigkeit und Sicherheit macht.
Das schwere Schloß mit dem langen eisernen Bügel, das Schloßblech mit
reichen ebenfalls in Blattformen durchbrochenen Scheiben an den Ecken und
Seiten verstärken noch diesen Eindruck. Obgleich eine Stiftung aus Adels-
kreisen des Landes und dem Stil nach wohl dem 15. Jahrhundert angehörig,
läßt die ganz außergewöhnlich gute Erhaltung in allen Teilen, die nicht die
mindeste Spur einer Benutzung bemerken lassen, doch die Möglichkeit einer
Nachbildung zu. An den vorderen Fußstollen des aus Eichenholz bestehen-
den Kastens befinden sich in zwei halbrunden Nischen mit Rundstabum-
rahmungen von einem Löwen, beziehungsweise Greifen gehaltene Wappen-
schilder in Schnitzarbeit. Die Maße sind 1,13 m Höhe, 0,73 Tiefe und 2,07 m
Länge.
Von den gotischen Truhen ist die reichste und schönste die als
Figur 60 abgebildete. Sie ist ganz in weichem Holz hergestellt. Die Vor-
derseite des Truhenkastens ist in vier Felder eingeteilt, deren Umrahmung
Einlagearbeit in hellen und dunklen Hölzern in streng geometrischen,
aber verhältnismäßig reichen Formen zeigt. Die Zeichnung der Maßwerk-
füllung ist von großer Schönheit, die zwei mittleren Füllungen zeigen eine
stilisierte Lilie, die seitlichen fensterartiges Maßwerk. Die seitlichen größeren
Füllungen haben einen mit fischblasenartigem Maßwerk gefüllten Kreis als
Hauptmotiv. Der dicke graubraune Ölfarbenanstrich, der jetzt die Füllung
der Lade wie des Untersatzes bedeckt, ist kaum ursprünglich. Die
Inneneinrichtung ist einfach: linker Seitenkasten und fünf kleine Schubladen
unter einer seichten Rinne an der Rückseite. Über den Schubladen eingelegter
Streifen, zwischen demselben sternartige Rosetten. Der Untersatz ist in der-
selben reichen Dekorationsweise behandelt. Die Stollen haben vom und seit-
lich Fensterarchitektur. Die geschnitzten Füllungsfelder bilden hier drei
Schubladen. Interessant ist beim Truhenkasten das technische Verfahren.
Der Kasten ist auf Gehrung gearbeitet, die einzelnen Bretter sind stumpf
aufeinander gestoßen. Die Füllungen sind direkt in die Truhenwände ge-
schnitten. Das in Gehrung geschnittene Rahmenwerk — der glatte und der
profilierte Teil ist aus einem Stück — ist dann aufgeleimt. Breite 189 cm.
Tiefe 98 cm, Höhe 104 cm. Die Truhe ist in Tirol erworben und möglicher
Weise südtirolisch. Dieselbe Truhenarbeit ist indessen auch in ganz Nord-
italien heimisch gewesen, so daß für die deutsche Provenienz kein schlagen-
der Beweis vorzubringen ist.
Norditalienisch — in unserem Besitz, ebenfalls in Südtirol erworben —
dürfte auch eine kleinere Truhe sein, von deren Art in allen bedeutenderen
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VON DR. HANS STEGMANN. 51
Sammlungen und im Kunsthandel Exemplare sich finden. Bode in seiner
Monographie über das italienische Möbel der Renaissance schreibt dieselben
vorzüglich den Marken zu, allein auch bis nach Toscana sind sie vielfach
verbreitet gewesen. Sie gehören wohl immer dem 15. und 16. Jahrhundert
an. Von der großen länglichen italienischen Truhe (cassone) unterscheiden
sich diese bis zur kleineren Kästchenform herunter vorkommenden Truhen-
kasten (cassa) durch ihre Verhältnisse. Bei verhältnismäßiger Tiefe sind sie
weniger hoch und weniger lang als ihre vornehmeren Vettern. Der glatte
rechtwinklige Holzkasten ruht in der Regel wie auch bei unserem ziemlich
großen Exemplar auf einem profilierten Sockel, und der ganze Kasten auf
Querleisten an den Enden, die gewöhnlich in einer Tierbildung mit Löwen-
köpfen oder Löwenfüßen endigen. Bei uns sind diese Leisten verschwunden
und durch schlichte Holzriegel ersetzt. Der vorn kämpferartig profilierte.
Figr. 61. Tiroler Truhe; 15. Jahrhundert
über den Kasten vorspringende Deckel zeigt die Besonderheit, daß seitlich
an der Unterseite zwei starke balkenartige Querriegel angebracht sind, die sich
an der Seitenwand bei geschlossenem Zustand vorlegen, ursprünglich jedenfalls
dazu bestimmt eine gewaltsame Öffnung von der Seite, wo sich keine Schloßteile
oder Bänder befunden zu erschweren. Vorn endigen dieselben in geschnitzten
Löwenköpfen. Die Holzverbindung der kräftigen Kastenwände ist durch zahl-
reiche ganz eng auf einander folgende Schwalbenschwänze gebildet. Die Außen-
flächen tragen im Holz keine Verzierung als eine Anzahl dünner eingeriefter
Linien in der Nähe des Randes, die sich an den Ecken der Flächen dem-
gemäß überschneiden. Innen am Deckel und an dem Kastenwerk sind schmale
eingelegte Linien in zweifarbigem Holz zu sehen, an den Ecken und an den
Langseiten durch eine Quadratverschlingung unterbrochen. Auf der Hirn-
seite der Wände sternförmige eingeschlagene Verzierungen und eingelegte
kleine Füllungen. An den inneren Seiten- und der Rückwand ein kompli-
ziertes Kastenwerk mit Schub- und Geheimfächern, das nur ^teilweise erhalten
ist. Den bemerkenswertesten Zierrat dieses einfach vornehmen Möbels bildet
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^2 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
das Beschläge, das, wie bei den Italienern allgemein üblich im Gegensatz zur
deutschen Sitte überall in das Holz versenkt ist. Die Charnierbänder des
Deckels, sowie ein konstruktiv nicht nötiges mittleres Band, das in der Axe
des Verschlußbügels liegt, haben runde gitterförmig durchbrochene Scheiben
mit roter Sammtunterlage. Ebenso die beiden seitlichen und die fünf wohl
mehr als Zier angebrachten vorderen Handhaben, sowie das Schloßblech des
kunstvollen Schlosses mit Vexiervorrichtung. Die Truhe ist aus massivem
Nußbaumholz hergestellt;» der Deckel augenscheinlich stark abgehobelt. Die
Truhe mißt
Die nächste, nicht sehr große Truhe (Fig. 61), deren Länge 132 cm.
Tiefe 64 und Höhe 72 cm hat, zeigt schon durch ihr Material (Lärchen oder
Zirbenholz) den oberdeutschen Ursprung an. Dieselbe ist auch in Tirol er-
worben und steht stilistisch der in Fig. 60 abgebildeten am nächsten. Ihre
innere Einrichtung besteht in einem doppelten Fachwerk an der linken Seite.
Vorder- und Seitenteile bilden in ihrer unteren Verlängerung den Untersatz,
Fig. 62. Sitztnihe : oberdeutsch ; 15. Jahrhundert
der hinten und seitlich gerade, vorn geschweift ausgeschnitten ist. Die Vor-
derseite enthält vier Füllungen mit Nachbildungen spätgotischer Maßwerk-
fenster. Die Zeichnung ist etwas geringer als bei der in Fig. 60 abgebildeten,
aber immerhin von beachtenswerter Schönheit.
Sicher noch dem 15. Jahrhundert dürfte eine ebenfalls in weichem Holz
angefertigte kleine Sitztruhe gehören, die als Auftritt zum Besteigen des Bettes
gedient hat. Von Interesse sind hier die beiden Langseiten (Fig. 62), die in
eigentümlich launiger Zeichnung flotte stilisierte Drachen auf der einen Seite,
auf der anderen üppiges Rankenwerk zeigen. Auch hier dürfte Tirol das
Ursprungsland sein. Die Arbeit ist sehr geschickt der Art der Technik,
ausgehobener Grund mit dunkler Farbenfüllung, angepaßt, sodaß es zu den
wirkungsvollsten Stücken dieser Art gehört. Die Höhe ist 47, die Tiefe 43,5,
die Länge 131 cm.
Trotz der gotischen Formen doch schon sicher in das 16. Jahrhundert ge-
hörend, ist eine weitere Tiroler Truhe aus Tannenholz nebst zugehörigem Unter-
satz (Fig. 63). Nur die durch aufgelegtes einfaches Rahmenwerk in drei Felder
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VON DR HANS STEGMANN.
53
geteilte Vorderseite ist verziert und zwar in der einfacheren Weise, dafs die
Konturen der Verzierungen eingeschnitten, der Grund aber nur an wenigen
Stellen ausgehoben ist. Das äußerste linke Feld stellt eine von Blumen um-
rankte Rosette, das mittlere einen auf einer Bank stehenden Blumentopf dar,
dessen Zweige das Schlüsselblech umranken. Rechts das Wappen des Besitzers
mit sehr reicher Helmdecke und dem Namen Hans Wieland. Leider sind
von der früheren reichen Bemalung nur ganz schwache Spuren übrig geblieben.
Im Innern links großer schmuckloser Kasten, an der Hinterseite Kastenrinne
und darunter durch vier Schiebegitter verschließbarer Kasten. Das sparsame
Blumenornament und die Füllungen und Gitter haben hier noch die ursprüng-
liche Bemalung in Rot, Grün und Weiß. An dem in üblicher Weise gestal-
teten Untersatz sind die Ornamentfüllungen mit ausgestochenem Grund her-
Fig. 63. Tiroler Truhe : 16. Jahrhundert.
gestellt, dieser selbst ist grünblau gefärbt. Die Ornamentzeichnung ist in-
teressant, weil sie die Einwirkung der Renaissance auf das gotische Ranken-
werk deutlich erkennbar zeigt. Die Maße sind 2,06 cm Länge, 0,79 m Tiefe
und 1,05 m Höhe.
Von unbekannter Provenienz, aber doch vermutlich süddeutsch und zwar
vom Ende des 15. oder dem früheren 16. Jahrhundert stammt eine große
eichene Truhe mit Fußgestell. (Fig. 64. Höhe 1,11 m. Breite 1,87 m, Tiefe
0,78 m.) Die Truhe ist vorzüglich erhalten, auch in ihrer besonder? reichen
Innenausstattung. Der Truhenkasten selbst zeigt außer dem schönen großen
Schloßblech und einem hübschen Maßwerkfries oben an der Vorderseite
keine andere Verzierung als geometrische Einlegearbeit an dem die seitliche
Umrahmung des Vorderblatts bildenden Pfosten. Auch der Deckel ist ganz ein-
fach. Das Fußgestell hat am oberen schrägen Sims wieder Einlegearbeit in
dem üblichen Zickzackfries, in den Füllungen der geschweiften Vorderseiten
Digitizi
e^GoOg
le
54 DIB HOLZMÖBEL DBS GBRBfANISCHEN BfUSBUMS.
leider sehr defektes frei aufliegendes geschnitztes Band- und Rankenwerk.
Das innere Fachwerk zieht sich um die Seiten und die Hinterwand herum,
seitlich untere Geheimbehälter, der rechts befindliche mit durchbrochenem
Stabgitter. Seitlich je eine größere Lade, auf der hinteren Seite unter der
oberen seichten Rinne noch fünf Schiebekästchen. Die Außenseite des Kasten-
werks ist wiederum völlig mit Einlagewerk in derselben Musterung wie außen
bedeckt. Die Truhe ist auf Gehrung gearbeitet, ebenso Rahmen und Füllung
der Schubladenvorderseiten.
Eine ähnliche Truhe mit Fußgestell, aber aus weichem Holz, vermutlich
süddeutsch oder tirolisch, bietet ein frühes Beispiel der Fumierung. Der
Kasten samt Deckel ist aus Fichtenholz, die Fumierung des Vorderblattes —
circa 4 mm dick — schön und regelmäßig gemasertes Nußbaumholz. Die
das Vorderblatt umrahmenden Leisten mit den Rankenwcrkfriesen auf aus-
riß. 61. Gotische Truhe, süddeutsch: 15.— 16. Jahrhundert.
gestochenem Holz sind aus Linden- (Pappel-.^) Holz. Das Fußgestell, reich
durchbrochen und vorzugsweise in architektonischen Formen gehalten aus dem
gleichen Material. Das innere Gefach ist an der linken Schmal- und an der
Rückseite. Links doppelgeschoßig , hinten Rinne und fünf Schubfächer; die
zugehörigen Kästchen fehlen. Die Dekoration besteht in einfachem Ranken-
ornament auf ausgestochenem Grunde, der ebenso wie an der Außenseite mit
dunkelblau-grüner Farbe ausgefüllt ist. Die Truhe ist 1,73 m lang, 97,4 cm
breit und 69 cm hoch. Das Schloß ist von bemerkenswert reicher Arbeit.
Den Schluß der tirolischen Truhen mag ein ganz einfaches Stück bilden.
Der Truhenkasten mit Ausnahme des modernen Deckels ist aus Apfel- oder
Birnbaumholz und ganz glatt gehalten. Die Wände zeigen Schwalbenschwanz-
verbindung. An den vertikalen Kanten sind je zwei horizontale Eisenbänder
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VON DR HINS STEGMANN. 55
Über Eck aufgeschlagen, mit Dreiblattendigung. Zwei längere ähnliche Bänder
laufen vertikal von der Vorderseite, die außerdem ein großes gotisches Schloß-
blech ziert, zum Boden. Eine unten herumlaufende profilierte Leiste aus
weichem Holz ist ebenfalls moderne Ergänzung. Interessanter als das Äußere
ist das innere komplizierte Fachwerk, das außerdem auch die landesübliche
diskrete Schnitzerei auf ausgehobenem Grund, mit teilweiser Bemalung in
Rot, Grün und Blau zeigt. An der Rückseite in zwei Stockwerken eine
Reihe von Schubfächern mit seitlich beweglichen Schiebern. Einmal der
linke und einmal der rechte letzte Verschluß sind so angeordnet, daß durch
einen Druck sich die Verschlüsse um einen Zapfen drehen und so die Ver-
Fig. 65. Inneneinrichtung einer gotischen Truhe.
Schiebung der übrigen Deckel ermöglichen. Die seitlichen Behälter — auch
ein vollständiger doppelter, mittelst eines keilförmigen Brettes verchließbarer
Boden ist vorhanden — sind oben durch in Vorder- und Rückwand eingezapfte
Leisten versteckt, so daß erst diese beweglichen Leisten herausgenommen
werden müssen, um zum oberen Verschluß zu gelangen. Der Boden der
Kästen läßt sich allerdings auch öffnen, da er um in der Mitte der Axe
befindliche Zapfen drehbar ist. Diese Geheimfachleidenschaft hat etwas
kindliches an sich, denn irgendwelche Sicherheit werden diese versteckten
Verschlüsse kaum geboten haben; die Mitlebenden kannten sie und bei einigem
Nachdenken wird jeder einigermaßen kluge Mensch die Mechanik bald erraten*.
Obgleich die Formgebung noch gotisch ist, dürfte die Truhe doch erst dem
späteren 16. Jahrhundert angehören. Ihre Dimensionen sind: Höhe 75,
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56 DIB HOLZMÖBEL DES QBRMANISCHBN MUSEUMS.
Tiefe 65, I^nge 167 cm. Der ursprüngliche Untersatz fehlt. Sie ist auf
einem passendem, ebenfalls tirolischem, mit reicher ausgestochener Ranken-
schnitzerei aufgestellt.
Zwei Truhen ohne Fußgestell zeigen in ihrer ganzen Gestaltung große
Ähnlichkeit. Daß sie gotisch wirken, das ist eigentlich nur die Folge ihrer
sehr großen und schönen, auch konstruktiv beachtenswerten Schlösser. Es
sind einfache, rechteckige Kasten, massiv aus Eichenholz hergestellt, die
einzige Gliederung der Flächen bilden die zwei seitlichen Pfosten der Vorder-
wand, die mit geometrischem Einlegewerk geschmückt sind. Sockel und
Deckelrand sind moderne Ergänzung. Bei der einen der beiden Truhen fehlt
von dem Fachwerk innen der Teil an der Rückwand, die linke Seite zeigt,
außen mit reicher und geschmackvoller Einlegearbeit geziert, zwei Kästen über
einander, von denen der eine ein Schiebegitter als Verschluß zeigt. Im anderen
findet sich die in Abbildung 64 wiedergegebene Einrichtung, die durch die
Zinnenverzierung an dem rinnenförmigen Kasten besonders reich wirkt. Die
schöne Einlegearbeit an den Schiebekästen, die wieder Kästchen in perspek-
tivischer Ansicht darstellt, weist schon auf spätere Zeiten des 16. Jahrhunderts
hin. Die erstere Truhe ist 78 cm hoch, 76 cm tief und 180 cm lang, die
zweite je 73 cm hoch und tief, 192 cm lang.
Die bisher behandelten Truhen tragen in ihrer Formgebung, ihrer Ver-
zierung und auch in der konservativ bis in späte Zeit beibehaltenen Art der
Schlösser und des Beschlages das Stilgepräge der Gotik. Es wurde schon
darauf hingewiesen, daß ein größerer Teil der aufgeführten Truhen des
Museums sicher dem 16. Jahrhundert, manche darunter wohl auch schon
dem späteren Dezennien desselben angehören.
Wir kommen nun zu denjenigen, in denen die Renaissanceformen sich
klar und deutlich aussprechen. Im wesentlichen der Truhe hat auch die
Renaissance keine Änderungen hervorgebracht; sie hat sogar die Art des
Aufbaus in den beiden Hauptrichtungen, der ober- und niederdeutschen,
genau beibehalten. Ganz wenig hat, was doch nach Analogie der Zierformen
nahe gelegen hätte, die italienische Truhe eingewirkt. Während diese in der
Renaissance den mit der Truhe zusammenhängenden Fuß, gewöhnlich in der
Zahl vier und in Gestalt von Tierbildungen oder deren Teilen bevorzugt, ist
dieser Gebrauch in Deutschland gar nicht oder doch nur spät und selten
(meist Kugelfüße) eingedrungen. In Süddeutschland hat der selbständige
Untersatz, gewöhnlich mit mehreren Schubladen versehen, bis ins späte
17. Jahrhundert das Feld beherrscht, in Niederdeutschland ist die Verlänge-
rung der ganzen oder von Teilen der Truhenwände, besonders in bäuerlichen
Kreisen zur Erzielung von Stollen bestehen geblieben, daneben hat sich als
Auflager die Sitte zweier am jeweiligen Ende der Truhe angebrachter, senk-
recht zur Truhenaxe laufender, balkenartigcr Hölzer mit Verzierung an der
Hirnseite mehr und mehr eingebürgert, ebenso wie die Verwendung eines
zwischen diesen Auflagern als Verbindung und Deckung des leeren Zwischen-
raums zwischen Fußboden und Truhe dienenden gezierten Brettes.
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VON DR. HANS STEQMANN.
57
Im Gegensatz zur italienischen Hochrenaissance die durch bewegtere Linien-
führung, marichfache Gliederung an Kasten und Deckel über die Kistenform weit
hinausging, ist man in Deutschland nie von derselben weggekommen. Trotz-
dem hat auch in Deutschland die Truhe dem Zug nach reicherer Dekoration
sich angeschlossen, in Süddeutschland durch reiche architektonische Gliede-
rung und Einlegearbeit in verschiedenen Hölzern; in Norddeutschland wo
man stets dem altbewährten Material, dem massiven Eichenholz treu blieb,
in reicher Schnitzarbeit. In Süddeutschland, wo ja in gewissem Sinne und
nicht zum Vorteile der Baukunst der Schreiner, der Meister und Lehrer der
Architektur wurde, herrscht die architektonische Bildung von Südtirol bis
über den Main.
Nur schade, daß in diesen architektonischen Versuchen, die Kenntnis
der deutschen Handwerker zu sehr auf der Oberfläche blieb; das was die
süddeutschen Meister nicht als modischen Aufputz sich beilegten die Orna-
mentfüllung, die oft die reichste Phantasie und das feinste künstlerische Ver-
ständnis offenbaren, muß für manche andere Mängel entschädigen. Was die
Süddeutschen einlegten, das schnitzten die Niederdeutschen; wären sie da
bei rein dekorativen Schnitzereien stehen geblieben, so würde das besser
gewesen sein. Aber das reiche, in den graphischen Künsten niedergelegte
Vorbildermaterial des 16. Jahrhunderts reizte sie, wie ihre süddeutschen
Brüder in die Architektur, in die figürliche Bildung und zwar in der anspruchs-
vollsten Art hineinzupfuschen. So wirken ober- und niederdeutsche Werke
zwar beim ersten Anblick äußerst malerisch und reich, halten aber nicht ganz,
was sie versprechen.
Von niederdeutschen Truhen der Renaissance besitzt das Museum ver-
hältnismäßig wenig Exemplare in der Sammlung der Hausgeräte, die hier
zunächst behandelt wird. Die große Zahl der unter den bäuerlichen Alter-
tümern befindlichen Stücke, die weiter unten znr Sprache kommen, bilden
daher eine willkommene Ergänzung. Aber die niederdeutschen Lande sind
aus der Zeit der Hoch- und Spätrenaissance mit einigen sehr charakteristischen
Stücken vertreten.
Das älteste derselben ist eine vermutlich aus Dortmund stammende
große Truhe, die wohl noch der ersten Hälfte oder der Mitte des 16. Jahr-
hunderts angehören dürfte. Sie wurde in Westfalen erworben nachdem sie
zuletzt in einem Archiv Verwendung gefunden hatte. Fig. 66 gibt ihr Bild.
Das mächtige Möbel — seine Höhe beträgt 1,17, seine Tiefe 0,82 und seine
Länge 2,06 m — hat einen, seiner Größe entsprechend reichen Aufbau, der fast
schrankartig gemahnt. Auf einen getrennten Untersatz ist, wie bei allen nieder-
deutschen Truhen verzichtet. Zwei balkenförmige, kräftige Querhölzer an den
Enden der Langseiten, vorn mit einfacher Rundstab- und Hohlkehlenprofilierung
versehen und mit der Truhe fest verbunden, fungieren als Träger. Durch
ziemlich weit ausladende, energisch profilierte Simse ist die Truhe nach ihrer
Höhe in drei Stockwerke gegliedert, einen niedrigeren Sockel, dessen Binnen-
raum aber zum Truhenkasten genommen ist, und zwei gleichgroße obere
Abteilungen. Die gesamte Einteilung besteht aus Rahmen und Füllwerk,
MitteUangen aus dem german. Nation&lmusemn. 19(M. H
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58 DIE HOLZMOBEL des germanischen MUSEUMS.
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VON DR HANS STEQMANN.
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60 DIE HOLZBIÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
das reich und gut profiliert ist. An den Seiten ein unteres schmales, darüber
je vier hochrechteckige Felder, vom im Sockel drei schmale liegende Recht-
ecke, darüber zehn annähernd quadratische Felder. Der Deckel hat in ähn-
licher Weise sechs Felder. Während der letztere und die Schmalseiten nur
schlichte Schreinerarbeit zeigen, sind die Füllungen der Vorderseite mit reicher
Reliefschnitzerei bedeckt. Die drei unteren Felder zeigen eine Blattornament-
füllung mit einem Löwenkopf in der Mitte. Von den oberen zehn Feldern
haben die beiden mittleren nur Blattomament, während die acht seitlichen
inmitten des Blattwerks je ein Wappen zeigen. Die untergeschriebenen Namen
nennen in der oberen Reihe als Wappenführer: Hane (Hahn), Svarte, Prume,
Svarte, in der unteren Reihe. Lemgaw (Lemgo?), Schedinge (Scheidingen),
Bersvort, Unna. Die drei Familien Svarte (Schwarze), Scheidingen und
Bersvort gehören dem Dortmunder Patriziat an, die anderen ließen sich zu-
nächst nicht bestimmen. Die Vermutung nach analogen Fällen dürfte wohl
richtig sein, daß wir es hier mit einer Ahnenprobe auf einer Brauttruhe und
zwar eines Paares aus den Familien Scheidingen und Bersvort zu tun haben.
Die Ausführung der Ornamentreliefs ist in Zeichnung und Schnitzarbeit eine
gleich vorzügliche, das Material Eichenholz. Die Gesamtgestaltung, die Ein-
teilung der Vorderwand in mehrere Geschosse und in sehr viele Felder zeigt
bei dieser Truhe eine gewisse Abhängigkeit von dem niederdeutschen Schrank-
typus, den wir später kennen lernen werden.
Die beiden nächst zu besprechenden niederdeutschen Truhen stammen
aus Bremen ; ob sie auch dort geschaffen, ist damit natürlich noch nicht ge-
sagt, denn mit Ausnahme der ihren künstlerischen Wert bedingenden Vorder-
seiten dürften sie — und zwar nicht erst in jüngster Zeit — mancherlei
Veränderung unterworfen worden sein. Ziemlich sicher nicht ursprünglich
aber auch nicht modern sind die dachartig abgewalmten Deckel. Die eine
der beiden Truhen gibt Fig. 67 wieder. Der Aufbau ist der echt nieder-
sächsische. Zwei kufenartige Bretter springen als Untersatz vorn etwas vor,
an der Vorderseite durch ein geziertes Vorderbrett verbunden. Hier ist aus-
nahmsweise bis auf die mit karyatidenartigen Hermen geschmückten seitlichen
Pilaster die ganze Vorderfläche als ein Ganzes behandelt, während das untere
Brett in drei Abteilungen mit Rollwerk, Löwenköpfen und Fruchtbündeln zer-
fällt. Die Seitenteile sind einfach durch Leisten in ein oberes schmal oblonges
und zwei hochgestellte rechteckige Felder geteilt. Das Vorderblatt hat außer
dem dasselbe umgebende Schriftband noch eine Umrahmung; seitlich von
je einem reichgezierten, kandelaberartigen Aufbau, oben von Rollwerk mit
Engels- und Löwenköpfen und Fruchtgebinden gebildet.
Die abgebildete Truhe gibt die Geschichte von Esther und Haman in
der aus dem Bilde ersichtlichen figurenreichen Komposition wieder. Die seit-
lich und oben laufende Umschrift in niederdeutschem Dialekt lautet: ESTR
ERES HERTEN QUAL LADDE DEN KEONINCK THOM AVENTMALE
HAMAN WOLLDE VTHATE ERDENCKEN DAT MARDOCHE WORDE
G(EHENKT). Links thront der König Ahasverus und neigt das Szepter zum
Zeichen der Gnade gegen die Königin Esther. In der Mitte, etwas in den
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VON DR. HANS STEGMANN. 61
Hintergrund gerückt, das Mahl Esthers mit dem König und Haman, weiter
rechts wird Mardochai zu Pferde durch die Stadt geführt, zuletzt rechts der
König thronend mit Mardochai (?) neben sich. Reiche Architektur in per-
spektivischer Anordnung bildet den Hintergrund. Im Vordergrund sind zahl-
reiche Figuren in der Zeittracht (1580 — 1600) unter das Gefolge und die
Zuschauer gemischt. Das Ganze zeigt immerhin einen bemerkenswerten Grad
von Sicherheit in der Komposition und der Beherrschung der Technik. Ganz
rechts neben dem Thron steht ein junger Mann in Zeittracht, der mit dem
Finger auf sich weist. Sollte der Künstler nach großen Mustern hier sein
Selbstporträt gegeben haben? Die beiden Karyatiden halten je ein Wappen
vor sich. Das Wappen links vom Beschauer zeigt drei Bienenkörbe auf einer
Bank, das riechts drei gezackte Blätter. Es handelt sich der ganzen unheral-
dischen Aufmachung nach um kleinbürgerliche Wappen, die sich nicht fest-
stellen lassen.
Die zweite Truhe entspricht in Form und Größe völlig der vorbeschriebenen,
nur ist die Vorderseite nach Inhalt und Einteilung verschieden, und auch
durch den Wert der figürlichen Schnitzereien. Diese sind erstens etwas später,
dann in Zeichnung und Ausführung weitaus geringer. Das Vorderbrett hat
wieder drei längliche Felder mit Rollwerk, Blumen und geflügelten Engels-
köpfen. Diesen drei Feldern entsprechen drei gleiche am oberen Rand der
Truhe, hier durch eine Art Karyatidenkonsolen getrennt. Über und unter
diesem obern Band eine Inschrift folgenden Inhalts: »ALS HEFDT GODT
DE WELDT GELEVET DAT HE SINEN EINGEBAREN SONE GAF
VPDAT ALE DE AN EN GELOVEN NICHT VERLAREN WERDEN
SONDER DAT EW(IGE LEBEN GEWINNEN)«. Den seitlichen Abschluß
bilden auch hier Pilaster mit männlichen Kostümfiguren, die Schilde mit Haus-
marken vor sich halten. Die untere größere Abteilung füllen fünf durch
plumpe Karyatiden getrennte Szenen, die sich unter mit Rosetten und ge-
zierten, facettierten Quadern gebildeten Arkaden abspielen. Sie stellen vor
von links nach rechts: Adam und Eva im Paradies, Isaaks Opferung, Ver-
kündigung Maria, Geburt und Himmelfahrt Christi. Zeichnung und Ausführung
ist roh handwerklich, so daß man die Truhe ebenso gut der bäuerlichen
Kunst, in deren Abteilung wir ganz ähnliche Werke zu betrachten haben
werden, zuweisen könnte. Die Schnitzereien gehören der Mitte des 17. Jahr-
hunderts an. Die auffällige Verschiedenheit der künstlerischen Qualität der
Schnitzereien bei völliger Gleichheit der Truhen im Übrigen läßt den Schluß
zu, daß dieselben im 18. oder im frühen 19. Jahrhundert in diese Form ge-
bracht worden sind. Die Höhe beträgt je ungefähr 1,04, die Tiefe 0,85, die
Länge 1,9 m.
Vom Rhein, wo die Truhe am Schrank wohl am frühesten einen über-
mächtigen Konkurrenten erhielt, besitzt das Museum nur ein kleineres Exemplar,
das noch dazu durch seine Maße äußerlich einigermaßen einem niedrigem
Schranke gleicht — es ist 0,65 m hoch, 0,47 m tief und 0,86 m breit —
und nur durch den Klappdeckel sich als Truhe erweist. Deckel und Seiten-
flächen sind ganz glatt, und der Kasten steht auf zwei kufenartigen Quer-
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62 DIE HOLZMÖBBL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
balken. Die Vorderseite ist durch drei kannelierte senkrechte Bretter zwei-
teilig gestaltet. In den zwei dadurch gebildeten Füllungen Rankenfüllwerk,
das oben sich volutenartig nach beiden Seiten legt. In der Mitte zwei fast
frei geschnitzte Köpfe in Medaillons, wie wir sie später bei den Stollen-
schränken noch mehrfach finden und besprechen werden. Unter den Medail-
lons, auf einer Seite von zwei Sirenen gehalten, leere Wappenschildchen. Die
nicht sehr feine Arbeit läßt auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts schließen.
Die oberdeutschen Truhen sind wesentlich stärker vertreten, als die
norddeutschen und hier wieder ist es die Südmark, die dominiert. Es mögen
zunächst diejenigen Stücke folgen, die am unmittelbarsten den italienischen
Einfluß aufweisen.
Eine eigenartige und vielleicht die früheste Renaissancetruhe des Museums
ist eine nach dem Vorbild Florentiner Cassoni des 16. Jahrhunderts geschaffenes
Stück. Bekanntlich war seit dem vierzehnten Jahrhundert in Florenz die
Ausschmückung der Brauttruhen durch Malereien Sitte und wir verdanken
dieser eine ganze Reihe kostbarer und anziehender Werke. Im 16. Jahr-
hundert war freilich die Blüte der italienischen und der an ihrer Spitze
stehenden Florentiner Truhenmalerei vorbei. Der Schöpfer unserer Truhe muß
aber unbedingt gute welsche Vorbilder gesehen haben. Wenn nicht gewisse
malerische Eigentümlichkeiten auf einen deutschen Maler als Verfertiger hin-
wiesen, würde wohl jeder Kenner bei nur flüchtiger Prüfung die Truhe als
eine mittelmäßige italienische Arbeit ansprechen. Die Form der Truhe
bietet kaum etwas Erwähnenswertes. Auf schlichtem, von vier Leisten
gebildeten Sockel — das Material ist Fichten- oder Tannenholz — sitzt der
eigentliche Truhenkasten. Ein einfaches Sockelprofil umfaßt ihn unten, wie
am Deckel. Die Vorderseite zeigt eine weitere ähnlich profilierte Umrahmung,
während Seiten und Deckel gänzlich schmucklos sind. Den mittleren gemalten
Fries der Vorderseite umgibt ein gemalter Rahmen mit vier plastischen Zier-
scheiben in den Ecken und goldenen Arabesken auf grünblauem Grund.
Grünblau ist auch die ganze Truhe gestrichen, während alle Profile vergoldet
sind. Die zwei von dem genannten Arabeskenfries umrahmten Bilder erhalten
durch ein Rundmedaillon mit den Köpfen Alexander des Großen und des
Kaisers Nerva, offenbar nach Medaillen oder Cameen als Vorbildern gemalt,
eine weitere Teilung. Das Bild links stellt in waldiger Landschaft das Urteil
des Paris dar. Auf der linken Seite sitzt Paris mit dem Apfel links, rechts
von ihm Venus, zwischen den beiden en face Merkur. Auf der rechten Seite,
wie Venus völlig unbekleidet, Juno und Athene in einer Seelandschaft. Auf
dem rechten Bild links findet eine bekleidete Frauengestalt die Leiche eines
Kriegers, neben dem ein Schild liegt (Cephalus und Procris? Venus und
Adonis?), rechts eine Frau, den Kopf desselben vor ihr liegenden Kriegers
im Schöße haltend. Die Malereien sind von recht tüchtiger Qualität; um
1530 — 50 entstanden zeigen sie, wenn auch deutsch, eine genaue Kenntnis
der italienischen Schule und sind, obgleich flüchtig hingestrichen, durch die
Weichheit der Formen und Farbengebung den üblichen Vorlagen der deutschen
Kleinmeister überlegen. Wo die Truhe, die zu den frühesten Beständen des
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VON DR. HANS STEGMANN.
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Miisenms gehört, herstammt, ist nicht zu eruieren. Aber ihr süddeutscher
Ursprung kann wohl kaum in Zweifel gezogen werden. Sie ist 0,57 m hoch,
0,53 tief und 1,79 m lang.
Ebenso wie die vorher beschriebene bemalte Truhe zeigt eine weitere
geschnitzte aus Südtirol den Einfluß des benachbarten Italiens. Schon das
Material, massives Nußbaumholz, bezeugt ihren südlichen Ursprung, ebenso
die seitlichen Leisten am Deckel. Ohne Fuß oder Untersatz steht sie glatt
auf dem Boden auf; der völlig glatte Deckel bei verhältnismäßig geringer
Höhe (Höhe 50, Tiefe 55, Breite 156 cm) weist sie außerdem als Banktruhe
aus. Unten und oben zeigt Kasten und Deckel einfache Profilierung, die
Vorderseite zeigt Flachschnitzerei: zwei einander zugekehrte Sirenen, deren
Hinterleib je in zwei große Blattwerkvoluten ausläuft. Zwischen den Sirenen
ein barock gezeichnetes Wappenschild, das sich bisher der Bestimmung ent-
zog. Die Zeit der Entstehung des hübschen, wenn auch nicht übermäßig
fein durchgeführten Stückes dürfte um 1600 zu setzen sein.
Fig. 68. SQdüroIer oder oberitalienische Truhe|; 17. Jahrb.
Südtirolisch und jedenfalls stark unter venezianischem Einfluß stehend
ist eine massiv aus Nußbaum gefertigte Truhe, wie sie im Trentino nicht gerade
selten zu finden sind. Fig. 68 mag von ihr einen Begriff" geben. Die als um-
gestürzte Kompoßitkapitäle gebildeten Füße dürften schwerlich mehr die ur-
sprünglichen sein und sind auch nicht mit der Truhe fest verbunden. Der
Mittelfries der Vorderseite, neben anderen Profilierungen von einem Pfeifen-
ornament umrahmt, zeigt eine geschnitzte, ziemlich trocken ausgefallene Blumen-
ranke, seitlich zwei steil aufsteigende Blattwerkkonsolen. Den unteren Ab-
schluß bildet ein vorspringender Wulst, den man, wenn der Ausdruck gestattet
ist, mit einem negativen Eierstab bezeichnen könnte. Die Schnitzarbeit des
jedenfalls dem 17. Jahrhundert angehörenden Werkes ist eine verhältnismäßig
flotte und gute. Die Höhe beträgt 0,66 m, die Tiefe 0,67, die Länge 1,86 m.
Von den oberdeutschen Landen ist Tirol am stärksten vertreten. Der
Truhentypus, den wir hier finden ist aber kein besonderer, sondern der in
der Schweiz und in ganz Oberdeutschland gleichmäßig verbreitete. Die ober-
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64 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
deutsche Möbelschreinerei nimmt in der Renaissanceperiode einen schon in
der vorhergehenden auftretenden Dekorationszweig, die Foumierung und Ein-
legearbeit nun mit verdoppeltem Eifer auf. Wir werden das auch bei der
Betrachtung der Schränke konstatieren können. Daß Tirol an erster Stelle
steht, gibt einen Fingerzeig dafür, daß die Technik transalpin ist und die
Denkmäler bestätigen dies. Aus der ursprünglich nur über bescheidene Flächen
als Friese und Einrahmungen u. dergl. sich erstreckende Einlegewerk im engeren
Sinne, das zunächst keine Foumierung, d. h. keine Verdeckung der ganzen
Fläche durch dünn geschnittene Blätter edleren Materials kennt, entwickelt sich
in Deutschland die letztere immer kräftiger. Der Grund ist wohl der, daß die
Gebirgsländer wenig erstklassiges und astfreies Holz zu Möbelzwecken lieferte
und daß man mit dem besseren und kostspieligerem Material möglichst spar-
Fig. 69. Tiroler Truhe; Endo des 16. Juhrh.
sam umgehen wollte. Die Freude am Kontrast, dann die gegenüber der
Schnitzerei leichtere Technik taten ein Übriges. Zum Kunstwerk im engeren
Sinne, wie in Oberitalien, wo die Intarsia die vornehmsten Künstler beschäftigt
— es sei hier nur an Sa. Maria in Organo in Verona, oder an Sa. Maria maggiore
in Bergamo erinnert, hat sich in deutschen Landen aber die Einlegearbeit nicht
erhoben. Dafür zeigt sie im Ornament, das sich ganz selbständig deutsch im
16. und 17. Jahrhundert entwickelt, besondere Vorzüge. Die Tiroler Truhen
haben, wie ja dies auch die schon früher beschriebenen gotischen Stücke
teilweise zeigten, sämtlich getrennten Untersatz. Bei einigen fehlt er, offenbar
durch die Länge der Zeit verdorben und in Abgang gekommen.
Die Tiroler Truhen haben meist eine zweiteilig angelegte Vorderseite,
wie sie auch das vollständige, in Fig. 69 abgebildete Stück zeigt. Hier bilden
drei schwach vorgekröpfte Pilaster die Gliederung, die sich durch eine herum-
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VON DR. HANS bTEGMANN. 65
gekröpfte profilierte Basis mit den gleichartigen Sockeln des Untersatzes
verbinden. Die beiden Felder zwischen den Pilastern enthalten zunächst eine
einfache Bogenstellung und in dieser, in mehrfarbigen Hölzern eingelegt,
perspektivische Architekturansichten, wie sie allerdings in viel feinerer Durch-
führung viele oberitalienische Chorstühle und dergl. aufweisen. Zwei gleiche
Architekturen, hier in rechteckigem Felde schmücken auch die Schmalseiten.
Die Pilaster mit Sockeln und die Bogenstellungen sind mit ornamentalen
Füllungen, an denen das spitze, langgezogene Blattwerk charakteristisch ist,
versehen. Der Deckel ist in zwei Felder mit einfachen Füllungen geteilt und
im einfach gegliederten Untersatz sind zwei Schubladen angebracht. Die
Höhe nebst Untersatz beträgt 1,09 m, die Tiefe 0,66 und die Länge 1,76 m.
Die nächstfolgenden beiden Truhen, von denen die erstere in Bozen,
die zweite in Salzburg erworben wurde, sind im Aufbau sehr ähnlich. Die
erstere, Fig. 70, hat keine eigentliche Intarsien ist aber mit verschiedenen
Hölzern schön fourniert. Die Front wird durch drei jonische ßilaster gegliedert.
Dazwischen zwei breite Bogenstellungen, die hier durch ein besonders schön
gemasertes Fournier von ungarischer Esche — ähnlich auch an den Scitcn-
Fig. 70. Tiroler Truhe; um 1600.
teilen — gefüllt sind. Die Füllungen der Hauptpilaster, derjenigen der Bogen-
pilaster und die Bogenzwickel haben auf dem gemaserten Fournier aufgeleimte,
in hartem Holz (Birnbaum?) geschnitzte Blattwerkfüllungen mit Delphinen.
Zeichnung und Ausführung sind äußerst sauber und fein, so daß die Truhe,
deren ursprünglicher Untersatz durch flachkugelige Füße ersetzt ist, als muster-
gültig bezeichnet werden kann. Die Höhe beträgt 0,75, die Tiefe 0,77 und
die Länge 1,75 m. Der Deckel folgt mit drei Kröpfungen der Gliederung
der Vorderwand und ist oben glatt und mit geometrischer Fourniereinteilung
versehen.
Das zweite Stück ist ebenfalls durch drei jonische vorgekröpfte Pilaster,
die aber schlanker gebildet sind und sich stark verjüngen, gegliedert. Zwischen
ihnen doppelt gerahmte rechteckige Intarsiafüllungen mit Blumenvasen und
Vögeln in bunt gefärbten Hölzern in ziemlich naturalistischer Zeichnung, die
llitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1901. 9
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66 DIE HOLZMÖBEL DES (iKRMANiSCHEN MUSEUMS.
auf schachbrettartigem, perspektivisch behandeltem Fußboden stehen. Die
Pilaster und die beiden Füllungen des Deckels haben ebenfalls eingelegte
Ornamentfüllungen. Diejenigen der Vorderseite sind von Schnitzwerk, Blatt-
und Rollwerk, umrahmt. Die Truhe, deren Untersatz fehlt, ist 0,64 m hoch,
0,66 tief und 1,70 m breit. Während die ersteren beiden Stücke noch den
letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts angehören könnten, ist die letzte
schon ins 17. zu setzen.
Eine der jüngeren im Museumsbesitz befindlichen Truhen i.st die nächste.
Auch hier ist der Untersatz und die Truhe in der Vorderwand ganz archi-
tektonisch gegliedert, und zwar dreiteilig. Im Untersatz vier vorspringende
Sockel, in den dazwischenliegenden Feldern mit reich profilierten Rahmen
umgebene Füllungen. An der eigentlichen Truhe springen über den Sockeln
Pilaster vor, die mehrfach gegliedert sich von unten nach oben verstärken.
Fig. 7L Schweizer Truhe; 1. H&Ifte des 17. Jahrh.
Über den Pilastern ein richtiges ganz durchlaufendes Gebälk, dessen Hauptgesims
durch den profilierten Deckelrand gebildet wird. In dem mittleren der drei
Zwischenfelder eine Bogenstellung, in den seitlichen je eine umrahmte, in den
oberen Ecken verkröpfte Füllungen. An den Seiten finden sich je zwei reichere,
auf dem Deckel zwei einfache umrahmte Füllungen. Den Hauptschmuck des
in seinen Verhältnissen sehr glücklichen, in der Hauptsache aus Fichten- oder
Tannenholz hergestellten, aber fast durchaus mit verschiedenartigen und -farbigen
Hölzern fournierten Möbels bilden seine Intarsien. Einfach geometrisch in den
Deckelfüllungen, reicher schon in den seitlichen, überziehen sie die Vorderseite
in fast überreicher Fülle. Alle umrahmten Flächen sind mit reichsten Ornament-
füllungen überzogen, in jener barocken, dünnstrichigen Zeichnungsweise, wie sie
im Süden dem gleichzeitigen nordischen Knorpelstil entsprach. Abgesehen von
der, der ganzen Stilart innewohnenden Verfalltendenz, muß man dem Ver-
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VON DR. HANS STEüMANN. 67
fertiger eine ausserordentlich sichere und gewandte Formensprache nachsagen.
Auf den beiden seitlichen Feldern der eigentlichen Truhenvorderwand läßt
er sein Rankenwerk aus Vasen entsprießen, in den übrigen Füllungen ist es
frei entwickelt, stets untermischt mit Fratzenwerk, für das der fromme Tiroler
die landläufige Teufelsvorstellung zum Vorbild genommen zu haben scheint.
Im Fries des abschließenden Gebälks sind die Namen der Besteller zu lesen:
Georg Herl, Maria Herlin, Cordula Mosburgerin. Unter der mittleren Bogen-
stellung: Anno. 1631. Neben den Füllungen ist noch im gleichen Stile be-
handeltes, ausgesägtes und aufgeleimtes Ornament verwendet. Das vor-
züglich erhaltene, weil vorzüglich gearbeitete Stück darf als Meisterwerk der
Schreinerkunst der Spätrenaissance angesprochen werden. Die Höhe (nebst
Untersatz) beträgt 0,96, die Tiefe 0,65 und die Länge 1,75 m.
Kein wesentlicher stilistischer Unterschied besteht zwischen den oben
beschriebenen und der in Fig. 71 wiedergegebenen Truhe aus der Schweiz.
Nur daß in diesem Falle die Wirkung eine noch unruhigere geworden ist.
Die Färbung des Holzes verfügt über mehr Nuancen, insbesondere ist Grün,
an einzelnen Stellen — im Kostüm der Mittelfigur auch Blau und Rot —
verwandt. Um recht realistisch zu sein, ist das Quaderwerk durch Anbrennen
der einzelnen Holztäfelchen schattiert. Die Einteilung der auf dem üblichen
Untersatz stehenden Truhe ist wie gewöhnlich an der Vorderseite zweiteilig.
Links und rechts je eine durch zwei Arkaden durchbrochene, gequaderte
Mauerfläche, an den Seiten durch schmale Füllungen mit auf Sockeln stehen-
den Obelisken begrenzt, in der Mitte eine Art Portalbau, in der der glück-
liche Besitzer des Möbels, nach der Inschrift Johann Scherer 1651 , ganz in
der Art der Schweizerscheiben im Sonntagsstaate abkonterfeit ist. Die Ar-
kaden im Mauerwerk sind mit gotischen Ornamentfüllungen in abwechselnder
Farbengebung ausgefüllt. Die Zeichnung des Ornaitients ist schon eine
wilde. Die Profilierungen sind recht mäßig. Der Deckel zeigt oben einfache
Rahmenfüllung. Der Untersatz in der Mitte mehrfach geschweift ausgesägt,
hat links und rechts zwei kleinere Schubladen und einfachere meist geometrische
Einlegearbeit, die sich durch ziemlich ungeschickte , zur eigentlichen Truhe
nicht passende Anordnung auszeichnet. An den Seitenteilen sowohl der Truhe
als des Aufsatzes sind Renaissancefüllungen, die stilistisch dem 16. Jahrhundert
näher stehen , aufschabloniert. Die Maße sind 0,99 Höhe , 0,64 Tiefe und
1,94 m Länge.
Eine zweite, kleinere Schweizer Truhe, ungefähr aus derselben Zeit
zeigt außer der ebenfalls sehr reichen Einlegearbeit fast gar keinen Schmuck.
Auf einem ganz schlichten Postament mit mittlerer Schublade erhebt sich
die eigentliche Truhe, deren Vorderseite in zwei Felder mit ovalen Ornament-
füllungen zerfällt. Die die Felder umrahmenden senkrechten und ziemlich
breiten Felder sind ganz mit Ornament bedeckt, das einfach aber recht ordent-
lich gezeichnet ist. Sie ist 0,6 m hoch, 0,53 tief und 0,94 lang.
Von den oberdeutschen Truhen, die nicht aus Tirol stammen, hat die
wichtigste aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammende, Franken
zur Heimat. Sie zeigt deutlich die Neigung zum Prunkmöbel und in der
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68 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
reichen Architektur, welche die vordere Schauseite bekleidet, kann man füglich
behaupten, daß sie zu der konstruktiven Einrichtung der Truhenkiste in ziem-
lichem Gegensatze steht. Der gesonderte Untersatz hat drei Sockel vorsprünge,
auf denen dann auf nochmaligem niedrigem Postamente sich drei weitgestellte
toskanische Säulenpaare aufbauen. Zwischen den Säulenpaaren in besonderer
Umrahmung eine Ädicula mit von karyatidenartigen Figuren getragenen
Giebeln. Zwischen den einzelnen Säulen der drei Paare ein aus Bogennische
und Fenster darüber bestehender Aufbau. Über den Säulen ein Fries mit
Wappen. Alle Flächen, alle Architekturteile, selbst die Säulenschäfte sind
mit Einlegearbeit bedeckt. In den beiden Hauptnischen je eine figürliche
Darstellung, Justitia und Fides, in den Bogennischen Vasen mit Blumen-
sträußen, darüber in den viereckigen Öffnungen Masken. Ähnlich die ganz
originell in eine große Zahl von Feldern eingeteilten Schmalseiten. Der Reich-
Fi^. 72. Prachttruhe aus Franken : Endo dos 16. Jahrh.
tum der Zierrate steht aber mit Erfindung und Ausführung nicht ganz in
richtigem Verhältnis. Der Untersatz ist modern, offenbar nach dem alten
Original getreu gefertigt, wobei die sicher im Original vorhandenen drei
Schubladen weggelassen wurden, der Deckel, der in drei Felder ebenfalls mit
eingelegten Füllungen zerfällt, stark restauriert. Die Truhe ist vermutlich
von einem provinzialen Meister in Bamberg oder Forchheim angefertigt worden.
Die an dem oberen Fries angebrachten, ebenfalls in Einlegearbeit her-
gestellten sechzehn kleinen Wappen geben über den Besitzer und die Zeit
der Herstellung keinen absolut sicheren Aufschluß. Man kann annehmen,
daß die in der Mitte getrennte Reihe hier beginnt und nach links und rechts
(vom Beschauer) die Ahnenprobe des Besitzerpäares darstellen soll. Die zwei
mittleren Wappen sind diejenigen der Wiesenthau (links vom Beschauer) und
Aufseß (rechts vom Beschauer). Von den mannigfachen Familienverbindungen
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VON DR. HANS STEGMANN. 69
beider Familien im 16. Jahrhundert könnte, wenn die obige Annahme richtig
ist, am ehesten Christoph von Wiesenthau und Cordula von Aufseß, deren
Ehe von 1583 — 1599 währte, inbetracht kommen. Auf der Aufseß'schen
Ahnenseite*) (rechts vom Beschauer) folgen die Wappen der Giech, Rüssen-
bach (Riesenbach), Streitberg, Littwag (Littbeck), Lichtenstein (Lichenstein),
Aufseß und Deuchern, was als Ahnenreihe für Cordula von Aufseß höchstens
bis zu Littwag stimmen würde, wobei das zwischenstehende Streitberg noch
dazu ausfallen müßte. Die links stehenden und also vermutlich die Wiesen-
thau'schen Ahnen angebenden Wappen sind von rechts nach links Schafstall,
Aufseß, Schaumberg, Kemnath (Kemmet), Sheberg (Schbegem), Egloflfstein,
Hauger (Haiicher). Sie stimmen für Christoph von Wiesenthau auch bis zur
vierten Stelle. Nach einer Katalognotiz stammt die Truhe aus Freiherrlich
von Schaumburg'schen Besitz und da sie schon zur Zeit des Freiherrn Hans
von Aufseß in den Sammlungen sich befand, ist sie wohl durch dessen Familien-
beziehungen ins Museum gekommen.
Fig. 73. Hessische, bemalte Truhe von 1595.
Die Maße des stattlichen in Fig. 72 wiedergegebenen Möbels sind : Höhe
1,04 m. Tiefe 0,9 m und Länge 2 m.
Von einer den oben beschriebenen tirolischen ähnlichen und gleichzeitigen
Truhe, die den ältesten Beständen des Museums angehört, steht die Provenienz
nicht fest. Jedenfalls ist sie süddeutsch. Die teilweise Verwendung von Eichen-
holz läßt an fränkischen Ursprung denken. Die Truhe ist hier dreiteilig an-
gelegt. An den Seiten legen sich zwei Risalite mit je zwei jonischen Pilastem
vor. Der hier erhaltene Untersatz mit drei Schubladen folgt dem oberen Auf-
bau. Die Seitenfelder zeigen Bogenstellungen mit in Einlegearbeit hergestellten
Mauerwerk, die innere Füllung ist mit stilisiertem Blattwerk eingelegt. Im
Mittelfeld von einem eingelegten Fries umgeben eine queroblonge, innen ovale
Füllung ebenfalls mit Intarsien. Der Deckel ist wieder in zwei schlicht ge-
lassene Felder geteilt. Das recht gute Stück ist 1 m hoch, 0,73 tief und
1,76 m breit.
♦) S. Otto von Aufseß, Geschichte des uradeligen Aufseß 'sehen Geschlechtes in
Franken, Berlin 1888.
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70 DIE HOLZMÖBEL DBS GERMAN. M* S. VON DK. HANS STEGMANN.
Einen einfacheren ebenfalls oberdeutschen Truhentypus stellen die in
weichem Holz und in Bemalung hergestellten Truhen dar, von denen das
Museum zwei Exemplare besitzt. Das ältere aus dem Jahre 1595 stammende
und in Fig. 73 wiedergegebene Stück, ist wie alle seines gleichen mit einfacher
Architektureinteilung versehen. Sechs schlanke toskanische Säulen umschließen
vier ganz einfache Bogenstellungen und in der Mitte ein schmäleres Feld ohne
eine solche. An den Seiten je ein gleichartiges Säulenpaar mit einer breiteren
Bogenstellung. Die Art der Behandlung und Bemalung läßt den Schluß zu,
daß die letztere als Surrogat für die kostbare Einlegearbeit in verschiedenen
Hölzern eintreten sollte. Abgesehen von den figürlichen und Wappenmalereien
ist die Truhe in zwei Tönen, Dunkelolivgrün und Rotbraun gehalten. Die vier
in den vorderen Bogenstellungen gemalten Wappen sind von links nach rechts
(vom Beschauer) die der Dieden, Dragsdorf, Dalberg und Lyne, genannt
Moren. Die beiden mittleren geben wohl das erste Besitzerpaar, die seit-
lichen die beiderseitigen nächsten Ahnen an. Da die drei erstgenannten
Familien hessische sind, so ist damit das Ursprungsland der Truhe gekenn-
zeichnet. Der in der Mitte stehende Schütze in charakteristischer Zeittracht,
die Engelsköpfe in den Zwickeln vor Allem aber die an den Schmalseiten
angebrachten Profilköpfe Pax und Fides zeigen die Hand eines recht tüchtigen
Malers. Die Maße sind: Höhe 0,7, Tiefe 0,73 und I^nge 1,87 m.
Einer einfacheren kleineren Truhe des 17. Jahrhunderts brauchen wir
nur kurz Erwähnung zu tun. Sie ist aus weichem Holz schwarzbraun ge-
strichen. Ihr einziger Schmuck besteht aus einer sehr einfachen zweiteiligen
architektonischen Gliederung der Vorderseite durch drei Pilaster. Zwischen
diesen zwei gekröpfte Füllungen in denen in kleinem Maßstab zwei Wappen
aufgemalt sind. Die Wappen sind diejenigen der Familie Tal und Adelshofen,
von denen die letztere in bayrisch Schwaben im Gerichte Landsberg am Lech
ansäßig war. Sie mißt 0,54 in der Höhe, 0,57 in der Tiefe und 1,68 m in
der Länge.
Das jüngste Stück der Truhen, soweit sie der Sammlung der Hausgeräte
angehörig, entstammt dem bayerischen Schwaben und zwar dem Allgäu. Es
kann sich mit den vorbeschriebenen Tiroler Truhen, wie auch den Schweizer
Truhen, in keiner Beziehung messen. Im Aufbau ist es diesen insofern gleich,
als es einen gesonderten Untersatz hat, der vorn in fünf Felder geteilt und
in der Mitte geschweift ausgesägt ist, aber keine Schubfächer enthält. Die
Vorderfront ist zweiteilig angelegt, so daß neben einem schmalen Mittelfeld
je zwei knopfartig gedrehte Säulenpaare ein breiteres umrahmtes Feld umgeben.
Die Zwischenräume zwischen den Säulen, die umrahmten Felder und der
Mittelstreifen, sowie die Füllungen des Untergestells sind mit ziemlich schwach
gezeichnetem Rankenornament, das ausgesägt und aufgeleimt ist, geziert. Der
äußerlich reiche und günstige Eindruck der Truhe vermag bei näherer Prüfung
nicht standzuhalten. An den Schmalseiten in Einlegearbeit zwei aus durch-
gesteckten Quadraten gebildete Sterne. Als Entstehungszeit kann das Ende
des 17. Jahrhunderts gelten. Die Maße sind 0,89 Höhe, 0,70 Tiefe und
1,67 m Länge.
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DAS ANGEBLICHE HIRSCH VOGEL -PORTRÄT VON G. PENCZ
IN KARLSRUHE.
VON FRIEDRICH H. HOFMANN.
Mit einer Tafel und fOnf Abbildanfiren im Text.
Nach Dürers und Holbeins Tod hat wohl kaum einer der deutschen Maler
der Renaissance wieder ein Bildnis geschaffen, das dem berühmten
Porträt eines älteren Mannes von der Hand des Georg Pencz in der Kunsthalle
zu Karlsruhe an die Seite gestellt werden dürfte. Trotz der hervorragenden
künstlerischen Bedeutung des Bildes, trotzdem Wappen (Abb. 1) und Alter
des Dargestellten und das Jahr der Anfertigung auf dem Bilde selbst ange-
bracht sind, ist es jedoch bis jetzt nicht gelungen, über die porträtierte Per-
sönlichkeit authentische Aufschlüsse zu erhalten. Meist geht das Gemälde
in der älteren Litteratur als das Porträt eines »Goldschmiedes« oder aber
eines »Münzmeisters«, eine naheliegende Deutung, da der Mann ein Zäng-
chen — nicht Zirkel, wie man häufig lesen kann — in der Hand hält, und
im Hintergrunde eine große Goldwage aufgestellt ist. Erst ganz neuerdings
ist ein Versuch gemacht worden, die Persönlichkeit festzustellen, indem man
das Bild als Porträt des Nürnberger Glasmalers Veit IL Hirschvogel in An-
spruch genommen hat ^). Gegen diese Taufe sprechen jedoch gewichtige
Gründe, die im Folgenden klar gelegt werden sollen.
Im Hintergrunde des Karlsruher Bildes ist an der Wand des Zimmers
über der Goldwage ein Zettelchen angebracht mit der Inschrift: »Da man
1545 jar zeit, was ich 53jar alt«; dieser Cartellino enthält auch das
aus G. und P. bestehende Monogramm des Malers. Aus dieser Inschrift er-
gibt sich somit als Geburtsdatum des Dargestellten 1492. Nun steht aber das
Geburtsjahr des jüngeren Veit Hirschvogel ganz einwandfrei fest. Aus der
eigenen Grabschrift des Meisters, einem wohl kaum anzuzweifelnden authen-
tischen Dokument, geht hervor, daß er 1487 geboren wurde*). Die Grab-
schrift dieses Epitaphs im Johannisfriedhof in Nürnberg hat folgenden Wort-
1) Koelitz, Katalog der Gemäldegallerie der großherzogl. Kunsthalle in Karls-
ruhe, Karlsruhe o. J., S. 55, Nr. 130. Der Direktion der großherzogl. Kunsthalle bin ich
für gütige Unterstützung sehr zu Dank verpflichtet.
2) Vgl. dazu Rettberg, Nürnberger Briefe zur Geschichte der Kunst, Hannover
1846, S. 136. Lochner, Des Johann Neudörfer Nachrichten von Künstlern und Werk-
leuten in Nürnberg; Quellenschriften für Kunstgeschichte etc., X., Wien 1875, S. 150.
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72 DAS ANGEBLICHE HIRSCH VOGEL-PORTRÄT VON 0. PENCZ IN KARLSRUHE
laut: »Veit Hirschvogel der ander, welcher ein Glasmaler, und
27 Jar Stat-Glaser gewesen verschid an Sanct Görgen Abent
In 1553. Jar seines Alters 66. Jarc«). Das Datum 1487 wird auch
durch Friedrichs Untersuchungen über die Genealogie der Hirschvogel als
Geburtsjahr Veits II. vollauf bestätigt*).
Somit ist die Angabe des Karlsruher Katalogs über die Lebensdauer
des jüngeren Veit Hirschvogel (1492 — 1553) eine ziemlich willkürliche zu
Gunsten der Bildtaufe und mit den historisch feststehenden Tatsachen nicht
in Einklang zu bringen. Schon aus diesem Argument geht bis zur Gewiß-
heit hervor, daß in dem Karlsruher Porträt nicht Veit IL Hirschvogcl darge-
stellt sein kann.
Aber auch das auf dem Karlsruher Bild angebrachte Wappen ist von
dem der Hirschvogel vollständig verschieden. Allerdings kommt das Hirsch-
vogel-Wappen in 3 Varianten vor. Das älteste, das Wappen des Patrizier-
geschlechts, ist ein redendes Wappen, ein Hirsevogel oder Grünfink*), ein
1. 2. 3.
Abb. 1. Wappen auf dem Porträt in der Kunsthalle zu Karlsruhe. Abb. 2. Wappen des Nürnberger
Patririergeschlecht» Hirschvogel. Abb. 8. Gebessertes Wappen des Augustin Hirschvogcl.
naturalistisch gebildeter goldener Vogel im schwarzen Felde, auf der Zinne
einer silbernen Mauer stehend •). (Vgl. Abbildung 2.) In dieser Blasonierung
findet sich das Wappen z. B. in allen Geschlechterbüchern der Stadt Nürn-
berg^). Auch über dem berühmten Kamin im Hirschvogel-Saal in Nürnberg
ist es in dieser Form angebracht®). Wesentlich von diesem Wappen ab-
3) Trechsel, gen. Großkopff, Verneuertcs Gedächtnis des Nümbergischen Jo-
hannis-Kirch-Hofs, Frankfurt und Leipzig 1736, S. 318. Ob die Inschrift heute noch
vorhanden ist, vermag ich augenblicklich nicht festzustellen.
4) Friedrich, Augustin Hirschvogel als Töpfer, Nürnberg 1885, S. 5.
5) Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1877, Sp. 1572.
6) Siebmachcr-Fürst, Das erneuerte Teutsche Wappenbuch, Nürnberg 1657,
II, 158.
7) Die Abbildung des Hirschvogel-Wappens (Abbildung 2) ist gezeichnet nach einem
Nürnberger Geschlechterbuch von ca. 1625 in der Bibliothek des bayr. Nationalmuseums,
IVa 538, fol.
8) Abbildung bei Bicde, Der Hirschvogelsaal, Nürnberg 1903.
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VON FRIEDRICH fl. HOFBIÄ^NN.
73
weichend ist das Wappen der Glasmalerfamilie Hirschvogel, lediglich der
Rumpf eines Vogels (Adlers?), von zwei Sternen begleitet •). Tinkturen weiß
ich nicht anzugeben. Man hat auf Grund der Verschiedenartigkeit der Wappen
die Zugehörigkeit der Glasmaler zu dem Patriziergeschlecht angezweifelt, eine
Frage, auf die hier nicht eingegangen werden kann.
Die dritte Variante ist das Wappen des Augustin Hirschvogel, das dem
Meister von dem damaligen römischen König Ferdinand »gebessert« wurde ^®).
Es zeigt nach dieser > Besserung« einen heraldisch stilisierten goldenen Adler
im blauen Felde über einer silbernen Mauer, die mit den drei roten Schild-
chen des sog. Künstlerwappens belegt ist. (Vgl. Abb. 3.)
Eine weitere Variante des Hirschvogel- Wappens , die Friedrich irrtüm-
licher Weise anerkennt*^), dankt wohl nur einem Versehen O. T. von Hefners
ihr Dasein. Wahrscheinlich urteilt Hefner nach einer schlechten Abbildung
des Patrizierwappens sehr flüchtig, wenn er angibt, das Wappen der Familie
sei ein goldener Adler auf silbernem Dreiberg im schwarzen Feld*^). Die
Zuweisung dieses Wappens an den Glasmaler Veit I. Hirschvogel vollends ist
ein direkter Irrtum, denn dieser führte , wie erwähnt , nur das Wappen mit
dem Vogelrumpf.
Man sieht, keines dieser drei Hirschvogel- Wappen stimmt mit dem
Karlsruher Wappen überein. Am meisten Ähnlichkeit hat noch das gebesserte
Wappen des Augustin Hirschvogel mit dem heraldischen Adler und den drei
Künstlerschilden. Dieses Wappen wird wohl auch für die Taufe des Karls-
ruher Bildes bestimmend gewesen sein. Wie jedoch einerseits aus der Tat-
sache, daß dieses Wappen erst Augustin Hirschvogel in Wien von König
Ferdinand verliehen wurde, andererseits aus dem oben erwähnten Grabstein
der Familie Hirschvogel auf dem Johannisfriedhof in Nürnberg hervorgeht,
hat der Nürnberger Zweig der Glasmalerfamilie dieses Wappen nie geführt,
nie führen können; also kann es auch nicht als Wappen Veits II. in Anspruch
genommen werden. Damit fällt wohl die Theorie der Übereinstimmung bei-
der Wappen ohne Weiteres! Zudem ist auch die Annahme kaum zulässig,
daß bei einem Porträt und besonders bei einem derartigen Meisterstück eine
solch tiefgreifende Entstellung des Wappens vorgekommen sein kann. Und
9) Trechsel a. a. O. S. 318. — Abb. bei Bosch & Gerlach, Die Bronze-
Epitaphien der Friedhöfe zu Nürnberg, 1890 flf., Tafel 67, 2. Aus dieser Abbildung ist zu
ersehen, daß Trechsel irrt, wenn er hier von einem »Schild mit einem Schildeshaupt«
spricht; was er nämlich für das Schitdeshaupt hält, ist lediglich ein Inschrifttäfelchen mit
der Inschrift : »FeytHirschfogcll- Glasser: 1520.«, hat also mit dem Wappenschild
selbst nicht das Geringste zu tun.
10) Bergmann, Medaillen auf berühmte und ausgezeichnete Männer des öster-
reichischen Kaiserstaates vom 16.— 19. Jhdt., L, Wien 1844, S. 288. Abbildung auch auf
dem Porträt des Augustin Hirschvogel bei Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch, I,
Nr. 937. — Dazu vgl. Friedrich a. a. O., Tafel II und VII und Camesina, Augustin
Hirschvogels Plan der Stadt Wien vom Jahre 1547, Wien 1863.
11) a. a. O. S. 3.
12) V. Hefner, Siebmachers großes und allgemeines Wappenbuch, V, Nürnberg
1857, 1, Tafel 6.
Mitteilungen aus dem ^rman. Nationalmuseum. 1901. 10
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'^^ DAS ANGEBLICHE HIRSCH VOGEL-PORTRÄT VON G. PENCZ IN KARLSRÜHE
selbst wenn wir an einen Irrtum oder eine Nachlässigkeit bezüglich der figür-
lichen Darstellungen glauben würden, hinsichtlich der Tinkturen des Wappens
kann der Maler ganz unmöglich so unbekümmert gewirtschaftet haben , daß
er Schwarz für Blau (beim Feld), Weiß-Schwarz statt Gold (beim Adler) setzen
durfte. Es wird also wohl kaum noch ein Beweis nötig sein für die Be-
hauptung, das Wappen auf dem Karlsruher Bild ist weder das Veits II., noch
das sonst eines Mitgliedes der Familie Hirschvogel.
Wem gehört nun aber das Karlsruher Wappen an ? Umfängliche Recher-
chen, die s. Z. H. Eyth, Zeicheninspektor in Karlsruhe, in dem Kgl. Kreis-
archiv in Nürnberg und dem Kgl. Allgem. Reichsarchiv in München anstellte,
führten zu keinem definitiven Resultat. Das Kgl. Allgem. Reichsarchiv mußte
Abb. 4. Epitaph des Georg Herz im Germanischen Museum.
damals mitteilen, daß »das auf dem fraglichen Gemälde angebrachte Wappen
sich hier weder auf Siegeln Nürnberger Urkunden aus der betr. Zeit findet,
noch in einigen aus der ehemaligen Habel'schen Sammlung stammenden
Wappenbüchern, die zum Teil speziell Nürnberger Familien behandeln. Die
meiste Ähnlichkeit weist immerhin noch das Hirschvogel'sche Wappen auf,
doch fehlen ihm nach allen hier vorliegenden Überlieferungen die charak-
teristischen roten Herzen« ^^).
Und doch ist das Wappen das einer Nürnberger Familie, deren Ange-
hörige sogar angesehene Amter im Dienste der Stadt bekleideten. Im Ger-
manischen Nationalmuseum in Nürnberg wird ein Bronze-Epitaph aufbewahrt**),
13) Manualakt des Kgl. Allgem. Reichsarchivs in München, Nr. 5264 rot.
14) Katalog der im germanischen Museum befindlichen Bronzeepitaphien des 15. — 18.
Jahrhdts., Nürnberg 1891, Nr. 23. Vgl. dazu Mitteilungen aus dem germanischen National-
museum l, 1886, S. 218.
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VON FRIEDRICH H. HOFMANN.
75
das in einem Dreipaß drei Wappen enthält ; von diesen ist das oberste — wie
ohne weiteres aus einem Vergleich der Abbildungen 1, Seite 72 und 4, Seite 74
erhellt — mit dem Karlsruher vollkommen identisch.
Aus der bekannten Publikation des Pfarrers Trechsel über den Johannis-
Friedhof in Nürnberg läßt sich nun nachweisen ^'^), daß zu diesem Wappen
eine rechteckige Tafel mit folgender Inschrift gehörte: ANNO DNI MrDXXXVl
: DEN XVÜ : lANVARü STARB DIE ERBAR FRAV SIBILLA jORG
HERTZiN DER GOT GENAD. ANNO DNI M : D : XLVÜ : DEN XllI :
AVGVSTI STARB DIE ERBAR FRAV BARBARA lORG HERTZIN DER
GOT GENEDIG SEP®). Au* der heraldischen Anordnung der Wappen geht
weiterhin hervor, daß das obere Wappen das des Jörg Herz darstellt, des
Gatten der beiden Frauen Sibylla (f 1536) und Barbara (f 1547). Das Wappen
ist also teilweise wenigstens ein redendes.
Nachforschungen nach diesem Jörg Herz im Stadtarchiv Nürnberg blieben
leider resultatlos*'). Dagegen fand sich im Kgl. Kreisarchiv manches auf-
klärende Material. Jörg Herz war Bürger von Nürnberg; er wohnte »an der
alten Ledergasse«. Bereits Ende Oktober 1524 wurde er vom Rate der Stadt
als Vertreter des erkrankten Münzmeisters und Wardeins zum Münzordnungs-
tag nach Eßlingen gesandt. 1537 erscheint er als städtischer Münzkürner. Als
solcher wurde er anfangs der fünfziger Jahre nach Joachimstal geschickt. Jörg
Herz starb im Oktober 1554; er war dreimal verheiratet gewesen. Sein ältester
Sohn und Amtsnachfolger war Sebald Herz, der in einen langwierigen Erbschafts-
prozeß um Haus und Werkstatt mit seinen Geschwistern verwickelt wurde *®).
Sebald Herz (Hertz) wird ferner als »Nurmbergischer sonderbarer Wardein«
1560 (6. März) genannt in dem »Abschied und Handlung des Fränckischen
Reichs-Kreiß-Tags zu Nürnberg das Münz-Weesen betreffend«^®). Am 3. Mai
1562 bei dem Münz-Probations-Tag zu Nürnberg ist er jedoch nicht mehr
im Dienste der Stadt, »nachdem ein erbar rath hie zu Nurmberg iren sonder-
baren probirer geendert, und an Seboldten Hertzen statt einen andern ange-
nommen und presentirt, nemblich Lucaßen Walther« 2®). Einen Paul Herzer,
Goldschmied, finde ich 1547 in Nürnberg^*); er ist wohl auch ein Mitglied
15) a. a. O. S. 647.
16) Der Text der Inschrift nach dem Katalog der im germanischen Museum be-
findlichen Bronzeepitaphien, Nr. 24.
17) Gütige Mitteilung des Herrn Archivrats Dr. E. Mummenhoff in Nürnberg.
18) Ratsverlässe und Ämterbücher der Stadt Nürnberg; die Notiz über das Sterbe-
jahr aus der Abschrift eines Totenbuches. Gütige Mitteilung des Königl. Kreisarchivs
Nürnberg.
19) Hirsch, Des Teutschen Reichs Münz- Archiv, Nürnberg 1756, I, 416.
20) Ebenda II, 5. — Gebert (Geschichte der Münzstätte Nürnberg, 1890) kennt
weder Sebald Herz, noch Lucas Walther ; über die dienstliche Stellung des Münzkürners
zu Münzmeister und Wardein ist hier ebenfalls nichts zu finden.
21) Hampe, Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler; Quellenschriften
zur Kunstgeschichte XI, 1904, Nr. 3031, 3033. Ob der ebenda Nr. 3404 erwähnte Gold-
schmied Sebastian Hetzer (1552) gleichfalls hieher gehört, wage ich nur andeutungsweise
zu streifen. Später (im 17. Jhdrt.) finden sich ebenfalls Goldschmiede mit dem Namen
Herz (Herzer) öfters in Nürnberg.
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76 DAS ANGEBUCHE HIRSCH VOGEL-PORTRÄT VON 0. PENCZ IN KARLSRÜHE
unserer Familie, vielleicht der Bruder des Jörg. Leider ließen sich die Namen
der Frauen dieses Jörg Herz nicht ausfindig machen. Es wird jedoch auch
ohne diese Feststellung kein Zweifel möglich sein an der Annahme, daß der
Nürnberger Münzkürner Jörg Herz mit dem auf dem Bronze-Epitaph genannten
Jörg Herz identisch ist, daß also auch diesem das dort angebrachte Wappen
zugehört. Daß auf dem Epitaph nur zwei Frauen genannt sind, während
Fig. 5. Porträt des Georg Herz von Georg Fenitzer.
feststeht, daß der Münzkürner Jörg Herz dreimal verheiratet war, ist sicher
nicht auffallend, denn von 1547, dem Todesdatum der zweiten Frau, bis 1554,
seinem eigenen Todesjahr, hatte Jörg Herz gewiß noch genug Zeit, sich ein
drittesmal zu verheiraten.
Was liegt nun näher als der Schluß, in dem Karlsruher Bild, das nach-
gewiesenermaßen das gleiche Wappen, wie das Bronze-Epitaph des Germani-
schen Museums zeigt, das Porträt des Nürnberger Münzkürners Jörg Herz
zu sehen.? Daß in dem Karlsruher Bild ein Münzmeister oder Goldschmied
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VONsFRIEDRICH H. HüFMANN.
77
dargestellt ist, wurde — wie bereits erwähnt — schon seit langem erkannt.
Die Goldwage im Hintergrund und die sogen. Kornzange (molette) in der
Hand des Porträtierten sind die deutlichsten Anhaltspunkte für diese Erklärung.
Mit diesen Emblemen stimmt auch die amtliche Eigenschaft des Jörg Herz
als Münzkürner der Stadt Nürnberg aufs befriedigendste überein.
Nun findet sich aber in der reichhaltigen Sammlung »von Nürnbergischen
Porträten«, die G. W. Panzer veröffentlicht hat^^), ein Schwarzkunst - Blatt
in 4® verzeichnet mit der Unterschrift: Georg HERTZ, Gemmar. Norib.
Obiit Anno 1554. G. F. fec. Um zuerst den Verfertiger des Blattes
festzustellen, der sich mit seinen Initialen G. F. nennt : es ist Georg Fenitzer,
der gegen Schluß des 17. Jahrhunderts eine lange Reihe mehr oder weniger
guter Bildnisse von Nürnbergem herausgab; als Künstler ist er nicht eben
von Bedeutung. Ein Exemplar dieses Stiches bewahrt die Porträtabteilung
der Kgl. Kupferstich- und Handzeichnungen-Sammlung in München ; auch im
Germanischen Nationalmuseum befindet sich das Porträt. Es zeigt in ovalem
Rahmen das Brustbild eines Mannes in mittleren Jahren mit starkem Vollbart,
nach rechts gewendet; bekleidet mit Pelzschaube und Barett; die linke Hand
liegt auf der Brust. Die Unterschrift, die Panzer ziemlich genau kopiert hat,
lautet: GEORG HERTZ GEMMAR : Norib: Obyt Anno 1554.
Rechts unten: G. F. fec. (Vgl. Abb. 5, S. 76.) Die Bezeichnung »Gemmar.«
ist selbstverständlich Abkürzung von gemmarius und bedeutet einen »Juwelier«.
Wenn auch der amtliche Titel eines Münzkürners auf dem Stich fehlt, so
ist es doch zweifellos, daß wir es hier mit einem Porträt unseres Jörg Herz
zu tun haben; das Todesdatum 1554 beseitigt vollends etwaige Bedenken.
Und in der Tat, vergleichen wir den Stich Fenitzers nun schließlich mit
dem Karlsruher Porträt, so fällt sofort viel Gemeinsames in die Augen, be-
sonders der starke hängende Schnurrbart, die große gebogene Nase. Schlagend
allerdings ist die Übereinstimmung beider Bilder nicht, vielleicht nicht einmal
genügend, ohne weitere Belege eine Identität der beiden dargestellten Per-
sönlichkeiten zu konstruieren. Dabei müßten allerdings immer noch die so
verschiedenen künstlerischen Qualitäten beider Porträts ein gewichtiges Wort
mitreden ! Nachdem aber doch einmal alle übrigen Tatsachen so überraschend
zusammenstimmen, schließt nun gerade Fenitzers Stich die Kette der Beweise,
indem er wenigstens der Möglichkeit einer Identität nicht widerspricht. Wir
dürfen also mit Sicherheit in dem Karlsruher Bild ein Porträt des 1,554 ge-
storbenen Nürnberger Münzkürners Georg Herz erkennen.
22) Beytrag zur Geschichte der Kunst oder Verzeichnis der Bildnisse der Nürn-
bergischen Künstler, Nürnberg 1784, S. 25^ Vgl. dazu Panzer, Verzeichnis von nürn-
bergischen Porträten, Nürnberg 1790, S. 101.
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zu DÜRERS STICH B. 98.
VON ALFRED HAGELSTANGE.
Die Dürer-Forschung der letzten Jahre hat den Nachweis geliefert, daß
unser Künstler nicht der tiefsinnige Denker und grübelnde Philosoph
war, als den man ihn früher, namentlich unter Hinweis auf einige schwer zu
deutende Stiche, hinzustellen beliebte. Nachdem es Conrad Lange gelungen
war, den vielumstrittenen Stich B. 71 (das Meerwunder) als Illustration einer
der vielen damals allenthalben grassierenden Sagen und Wundermären nach-
zuweisen, fand Giehlow in einer Dichtung des Poliziano das wortgetreue
Textvorbild der sogenannten großen Nemesis (B. 77). Einen Schritt weiter
brachte uns Paul Weber, der in seinen »Beiträgen zu Dürers Weltanschauung«
die Frage nach der Deutung der Idee in Ritter, Tod und Teufel, Melancholie
und Hieronymus im Gehäus eingehend behandelt hat. Volle Zustimmung
fanden jedoch seine Ausführungen nur, insoweit sie sich auf das erste dieser
drei Blätter erstrecken.
Weber geht da insofern über Hermann Grimm hinaus, als er dessen
Auffassung, der Stich sei durch das Enchiridion militis christiani des Erasmus
veranlaßt worden, nur als halbe Wahrheit gelten läßt; denn das Ideal des
christlichen Ritters reicht, wie er in engster Fühlung mit den litterarischen
Erzeugnissen der religiösen Geistesrichtung der Zeit nachweist , bis auf die
deutsche Mystik des 14. Jahrhunderts zurück. Das Thema lag sozusagen in
der Luft, und Dürer schöpfte aus der gleichen Quelle wie Erasmus, der für
den Titel seiner Schrift sicherlich kein neues geflügeltes Wort prägte.
Was die nun wieder zu Ehren gekommene Bezeichnung Grimms, die
unter dem Banne des Trilogie - Gedankens wieder mehr in den Hintergrund
getreten war, noch annehmbarer macht, ist der Umstand, daß diese Benennung
auch den Vorzug alter Überlieferung genießt. Die Belegstelle, die man für
diesen Zweck herangezogen hat, findet sich im zweiten Teile von Sandrarts
Teutscher Akademie (S. 233) und lautet: »So ist . . . auch der Christliche
Ritter . . . mit so vielen Seltsamkeiten erfüllet, und die darinnen befindliche
Bilder ... in klein dermassen natural, daß wann sie gleich Lebens groß,
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Zö DÜRERS STICH B. 98. VON ALFRED HAGELSTANGE. 79
selbige nicht natürlicher seyn könten.« Einen weiteren und noch etwas älteren
Beleg fand ich im Register eines im Besitz der Freiherrl. von Scheurl'schen
Familie befindlichen Stammbuches von 1664. Es ist dies ein prachtvoll ge-
schriebener, aufs feinste ausgestatteter Foliant, der mit verschiedenen ein-
geklebten Kupferstichen und Holzschnitten Dürers, Cranachs und anderer
Meister geschmückt ist. Das orientierende Register des umfangreichen Ban-
des (Germ. Mus. Bibliothek: Seh. 276^) verzeichnet den auf S. 80 eingeklebten
Stich B. 98 folgendermaßen : »Geistliche Ritter mit dem Tod und Teuffei oder
gespenst Reutter Philipp Rinck Nürnbergischer Einspenninger 1513«. Durch
das hier gewählte Wort »geistlich«, das als Gegensatz zu »weltlich« gedacht
ist, kommt die der Darstellung zugrunde liegende Idee noch präziser zum
Ausdruck, als es in der Bemerkung Sandrarts geschieht.
Charakteristisch ist übrigens , daß auch hier wieder der Einspenniger
(d. h. Geleitsreiter) Rinck erwähnt wird; und es dürfte wohl außer Zweifel
sein, daß der Volksmund unser Blatt schon gleich bei seinem Erscheinen zu
einer Illustration der über diesen Reitersmann kursierenden Fabeln und
Wundermären gestempelt hat ; eine Deutung, die von Dürer, wenn auch nicht
vorausgesehen, so doch vielleicht gar nicht unliebsam empfunden wurde, da
sie ja seiner Schöpfung eine weitgehende Verbreitung auch in jenen Kreisen
garantierte, die weder für den hier zugrunde liegenden mystischen Gedanken
noch für dessen künstlerische Formulierung eine Empfindung hatten, sondern
in dem Blatte lediglich die sensationelle Illustrierung einer von Mund zu
Munde gehenden Schauergeschichte sahen.
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LITERARISCHE NOTIZEN.
Karl Ludwig, Kurfflrst von der Pfalz (1617—1680). Von Dr. Karl Hauck.
Leipzig. Verlag von Breitkopf & Härtel. 1903. 334 SS. 8.
Dem zweiten Gründer der Rhein-Neckar-Stadt hat der rührige Mannheimer Alter-
tumsverein in diesem vierten Bande seiner >Forschungen zur Geschichte Mannheims und
der Pfalz« ein würdiges Denkmal gesetzt. Der neue Biograph Karl Ludwigs, Dr. Karl
Hauck in München, dem wir bereits eine Geschichte der Stadt Mannheim zur Zeit ihres
Übergangs an Baden (1899 in der gleichen Sammlung erschienen) verdanken, hat nament-
lich auch die mannigfachen Schätze des Münchener Haus- und Staatsarchivs heranziehen
können. Das an Enttäuschungen reiche Leben eines deutschen Fürsten während des
großen Krieges und nach demselben zieht in den vier gehaltvollen Kapiteln des Buchs
— Karl Ludwigs Jugendjahre — K. L. als Reichsfürst — K. L. und seine Verwaltung —
K. L. als Persönlichkeit — an dem Leser vorüber. Der Verfasser bemühte sich mit
Erfolg, aufgrund seiner umfassenden Quellenstudien, das Charakterbild seines Helden,
das mehr von der Parteien Haß als von deren Gunst verwirrt in der Geschichte schwankte,
in rechte Beleuchtung zu setzen, des Kurfürsten Thun und Lassen und jene widrigen
Zeit- und Lebensverhältnisse, deren Zwang und Ungunst er jeweils unterliegen mußte,
in gerechter Weise gegen einander abzuwägen. Zu einer solchen billigeren Beurteilung
Karl Ludwigs beizutragen wird die vorliegende Darstellung an erster Stelle berufen sein.
Zudem aber kann das auch durchaus angenehm lesbare Buch jedem etwas bringen, den
die »Kulturgeschichte« des 17. Jahrhunderts auch nur einigermaßen zu fesseln weiß. Der
stattliche Band ist mit zwei Autotypie-Porträts des jugendlichen und des alternden Kur-
fürsten geschmückt.
Papsturkunden des 12.« 13. und 14. Jahrhunderts aus dem Germanischen Na-
tionalmuseum In Nürnberg mit einer historischen Skizze des venetianischen Klosters
Brondolo. Von Jos. Knöpfler. S.-A. aus dem Historischen Jahrbuch der Görres-
Gesellschaft XXIV (307—18, 763—85).
26 unedierte Papsturkunden, von denen 19 dem venetianischen Kloster Brondolo
bei Chioggia, 2 anderen italienischen Gotteshäusern und 5 deutschen Empfängern ange-
hören, hat Dr. Joseph Knöpfler am kgl. allgemeinen Reichsarchiv in München aus den
archivalischen Beständen des Germanischen Museums zusammengestellt und sie in muster-
giltiger Weise ediert und kommentiert. Der Wiedergabe der Texte hat er einen be-
achtenswerten Abriß der Klostergeschichte von Brondolo vorangestellt. Mit seiner sorg-
sam vorbereiteten Herausgabe unserer noch ungedruckten Papsturkunden hat Knöpfler
ein willkommenes Gegenstück geliefert zu den in diesen Blättern früher schon erschienenen
Publikationen der Kaiserurkunden des germanischen Museums (vgl. Mitteilungen des G.
N.-M. 1890 S. 3, 30, 73, 97 und 1898, 21—36). — Wenigstens kurz hingewiesen sei an
dieser Stelle auf einige ergänzende Noten Kehrs zum gleichen Thema : Hist. Jahrb. XXV,
43$. HH.
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LITERARISCHE NOTIZEN.
81
Meisterwerke der Kunst und des Kunst8:ewerbes vom Mittelalter bis zur Zeit
des Rokoko. 100 Tafeln in Lichtdruck, direkt nach den Originalen aufj^enommen , mit
Erläuterungen herausgegeben von Dr. Hans Stegmann, Konservator am Germanischen
Nationalmuseum zu Nürnberg. Lübeck 1904. Verlag von Bernhard Nöhring.
Die vorliegenden drei ersten Hefte lassen erkennen, daß es sich um eine Publikation
vornehmsten Stils handelt. In vortrefflichen Lichtdrucken großen Formats werden aus-
erlesene Werke deutsche Plastik und deutschen Kunstgewerbes, Gebiete, die in den
übrigen Kunstpublikationen recht stiefmütterlich behandelt werden, einem größeren Kreise
erschlossen. Ein kurzer Text begleitet die Bilder, in dem das Wesentliche des Werks
angegeben und knapp und prägnant auf seine künstlerische und kunstgeschichtliche Be-
deutung hingewiesen wird.
Ernst Fischer, Die Münzen des Hauses Schwarzburg:. Bin Beitrag: zur Landes-
8:eschichte der Fflrstentilnier Schwarzbur8:-Sondershausen und Schwarzburg-Rudol-
stadt« Mit 16 Lichtdrucktafeln. Heidelberg 1904. Carl Winter 's Universitätsbuch-
handlung.
Der vorzüglich durchgearbeitete, 666 Nummern zählende Katalog der Münzen und
Medaillen, mit Einschluß der Kippermünzen, bringt außer den ausführlich und knapp
gefaßten Lebensdaten der Münzherren, sehr sorgföltige Münzbeschreibungen und bei
selteneren Stücken zuverläßige Angaben über Fundort, Herkunft und gegenwärtige Be-
sitzer. Wie dieser Ernst Fischer'sche Katalog der erste ausfuhrliche über dieses ganze
Gebiet ist, so dürfte er schwerlich so bald übertroffen werden können. — Der Katalog,
der übrigens auch typographisch und durch die vielen Abbildungen in Lichtdruck eine
sehr erfreuliche Erscheinung bildet, wird durch einige sehr willkommene historische Auf-
sätze zur Geschichte der Schwarzburger Grafen und Fürsten, des Wappens u. A. zu
einem Handbuch, das der Historiker der sächsisch-thüringischen Staaten und Häuser
immer mit sicherem Erfolg wird benutzen müssen. W. B.
Urkunden zur Entstehungsgeschichte der ersten Leipziger Qrosshandelsver-
tretung. Der erste Leipziger Handlungsgehilfenverein. Herausgegeben von der
Handelskammer zu Leipzig. Verfaßt von deren Bibliothekar Siegfried Moltke. Mit
mehreren Abbildungen. Leipzig. In Kommission bei der Buchhandlung von A. Twiet-
meyer. 1904.
Nachdem Siegfried Moltke vor einigen Jahren in seiner Geschichte der Leipziger
Kramer-Innung einen sehr inhaltreichen Beitrag zur Leipziger Handelsgeschichte des 15.
und 16. Jahrhunderts gebracht, bietet er in den beiden hier angezeigten Arbeiten, die
sich auf eine große Reihe urkundlicher Materialien stützen, einen wissenschaftlichen Bei-
trag zur Handelsgeschichte Leipzigs im 17. und 18. Jahrhundert. Die Arbeiten Moltkes
stellen eine sehr erfreuliche wert- und grundbietende Bereicherung der handelsgeschicht-
lichen Forschungen dar und der Leipziger Handelskammer, als der Herausgeberin des
sogar mit farbigen Tafeln geschmückten Werkes werden die Freunde und die Vertreter
handelsgeschichtlicher Darstellungen zahlenden Dank wissen. Dr. E. W. B.
John Ruskin. Ausgewählte Werke in vollständiger Übersetzung. Bd. XI -XV:
Moderne Maler. Leipzig. Eugen Diederichs. 1902M. 8®.
Die mit gerechtfertigtem Beifall aufgenommene Ruskin-Publikation des verdienst-
vollen Diederichs'schen Verlags schreitet rüstig voran. Der vor kurzem erschienene
5. Band der »Modern Painters« beschließt die erste deutsche Ausgabe dieses epoche-
machenden Erstlingswerkes, das Ruskin bekanntlich zur Rechtfertigung Turners schrieb,
und in dem er uns eine Ästhetik des Impressionismus gegeben hat, wie sie eingehender
und lebendiger kaum gedacht werden kann. Man glaubt einen brausenden Lobgesang
auf die ewige Schönheit und Vollkommenheit aller Werke Gottes zu hören , wenn man
dieses Buch liest, das mit einer grenzenlosen Ehrfurcht vor allen, selbst den geringfügigsten
Schöpfungen der Natur geschrieben ist, und das gerade durch die, ich möchte sagen, an-
Mitteilongeo ans dem germaiL Nationalmuseain. 1904. U
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82
LITERARISCHE NOTIZEN.
dächtige Liebe, die fast aus jedem "Worte spricht, uns zu einem ästhetischen Genuß an
der Landschaft und ihren einzelnen Teilen einladet, wie er bloß stillen, heiteren Menschen
mit offenem Auge und warmen Herzen in den seltenen Stunden glücklicher Ruhe und
andachtsvollen Genießens zu teil wird.
Und neben dieser Ehrfurcht vor dem Kleinsten ist es noch etwas anderes, was
unsere Sympathie und unser lebhaftes Interesse wachzuhalten imstande ist: ich meine
die überzeugende Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, die wie aus allen Worten Ruskins so
ganz besonders aus dessen Ausführungen über die modernen Maler herausklingt. Man
merkt, daß das Werk aus einem inneren Zwang heraus geschrieben ist, daß es im festen,
unerschütterlichen Glauben an die künstlerischen Offenbarungen eines Mannes abgefaßt
ist, dem von vielen Seiten bitter Unrecht geschah. »Ich hörte«, sagtRuskin im Vorwort
»wie Falsches als Wahrheit verkündet wurde und war gezwungen, es zu verneinen.
Nichts anderes wäre mir möglich gewesen. Ich wußte nicht, was die Folge meines Be-
ginnens sein werde oder ob ich überhaupt dazu berufen war; aber ich sah die Lüge
prahlerisch inmitten meines Weges stehn, und es gab keinen Pfad um sie herum, nur
über sie hinweg.«
Zwischen dem ersten und letzten Worte des fönfbändigen Werkes liegt eine Zeit-
spanne von siebzehn Jahren, innerhalb deren das seltsame Buch gewachsen ist wie ein
Baum, dessen frischgrüne Zweige vom alternden Stamme gar wesentlich verschieden sind.
Was Wunder, wenn sich ein steter "Wechsel in Anschauung und Urteil ergibt, der viel-
leicht diesen oder jenen Leser abschrecken wird , andererseits jedoch auch wieder als
Beweis dafür gelten kann, daß die Überzeugung jedesmal wahr und echt gewesen ist,
weil sie stets mit einer solchen Schärfe und Prägnanz zum Ausdrucke kommt, daß sie
eine spätere Einschränkung oder Modulierung unmöglich macht und lediglich einen
strikten "Widerruf als Kennzeichen des fortgeschrittenen Urteils verträgt. »Jede wahre
Überzeugung ist lebendig und zeigt ihr Leben dadurch, daß sie der Nahrung und des
Wachstums fähig ist, und somit auch des "Wechsels.«
Es würde zu weit führen, wenn man beginnen wollte, das Monumentalwerk in
seinen einzelnen Teilen richtig zu charakterisieren und entsprechend zu würdigen. Nur
auf eine Stelle im letzten Bande soll noch besonders verwiesen werden, wo der "Versuch
gemacht wird, das Wesen großer Künstler aus dem Charakter der Landschaft, der sie
entstammen, zu erklären. Ruskin kommt da (S. 313) auch auf Dürer und dessen Heimat
zu sprechen, die er künstlerisch folgendermaßen bewertet: »Der Baustil Nürnbergs ist
stark überschätzt worden. Der Reisende, der ein paar Tage in Nürnberg weilt, wird von
dem altertümlichen Aussehen der Straßen entzückt sein. Diese "Wirkung wird aber haupt-
sächlich durch die "Vorrats- oder Speicherfenster hervorgerufen, die an den Dächern an-
gebracht sind. Fast jedes Haus hat mindestens ein kühn vorspringendes Giebelfensten
an dessen Dach eine Winde zum heraufziehen von Waren befestigt ist; der untere Teil
dieses stark überhängenden Daches ist immer reich geschnitzt; das Muster dieser Arbeit
ist weniger fein, als von bedeutender "Wirkung. (Um Raum für die Waren zu gewinnen,
fallen die Dächer steil ab ; die anderen Giebelfenster sind reich geschnitzt, jedoch durch-
weg von Holz. Die meisten sind vermutlich erst einige hundert Jahre nach Dürer ent-
standen. Auch viele der Erker und Bogenfenster an den Fassaden sind von Holz und
stammen aus neuerer Zeit.) Zwischen diesen Bauwerken, die gewissermaßen noch modern
zu nennen sind, finden wir nicht selten solche, die an den Ecken Türmchen zeigen und
den echten gotischen Stil des 15., einige auch des 14. Jahrhunderts aufweisen. Die be-
deutendsten Kirchen Nürnbergs sind fast dieselben geblieben wie zu Dürers Zeit. Der
gotische Stil, in dem sie gehalten sind, ist weder edel noch reich (obwohl die Ver-
zierungen an den Fassaden so gearbeitet sind , daß sie in der Entfernung wie sorgfaltig
gearbeitet wirken). Die Größe der Kirchen ist gering, ihr Innenraum ist armselig, mit
roher Arbeit und schlechtem "Verhältnis im Flächenmaß. Von Interesse sind nur die fein
ausgedachten Steinhauarbeiten in den Ecken, und das zart verschlungene Eisenwerk;
die Maurerarbeiten sind aber von denkbar schlechtestem Geschmack und überdies nicht
einmal fein in der Ausführung. Die Muster in Eisenarbeit und anderem Metall verdienen
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LITERARISCHE NOl'IZEN.
83
zum größten Teil hervorgehoben zu werden; so ist der Altar von Fischer*) in der St.
Sebalduskirche bedeutend und braucht den Vergleich mit italienischer Arbeit keinesfalls
zu scheuen.
Obwohl sich Nürnberg gewiß nicht mit irgend einer großen Stadt Italiens oder
Frankreichs vergleichen läßt, so hat es dennoch etwas, das ihm ganz allein zu eigen ist,
nämlich den Zug freiwillig eingeschränkter, zufriedener, altmodischer Häuslichkeit. Es
wäre eitle Hoffnung gewesen, irgendwelche erstklassige Malerei, Bildhauerei oder Dicht-
kunst von dieser wohlgeordneten Gemeinschaft kleiner Gewerbetreibender zu erwarten.
Aber sie waren gemütvoll und vertrauenswürdig, sie hatten eine spielende Einbildungs-
kraft und ehrlichen Stolz. Es gibt in ihrer Stadt keine übertriebene Pracht und keine
tiefe Schönheit; dagegen finden wir dort eine phantasiereiche Traulichkeit, vermischt
mit einigen Elementen von Schwermut, von Kraft und auch von Anmut.«
Sicherlich eine in den meisten Punkten durchaus zutreffende Charakteristik , die
sich in gleicher Weise frei hält von ersterbender Bewunderung wie kleinlich nörgelnder
Tadelsucht und ein interessanter Beleg dafür ist, wie Ruskin selbst dort, wo er nur vor-
übergehend auf Tage verweilte , den Organismus der Landschaft sowie den Charakter
ihrer Menschen und deren Kunst mit scharfem Künstlerauge in sich aufzunehmen ver-
stand. Alfred Hagelstange.
*) Gemeint ist natürlich das Sebaldusgrab. Ob dies Versehen sowie die falsche Schreibweise des
Namens Vischer auf das Conto Ruskins odor seines Übersetzers geht, kann Referent nicht beurteilen, da ihm
der englische Text nicht Torliegrt
Die Burgen in Niederliessen und dem Werragebiet. Mit 67 Zeichnungen. Von
Ernst Happel, Ingenieur. Marburg 1903. N. G. El wert 'sehe Verlagsbuchhand-
lung. VIII und 159 S. 8.
Das Büchlein, welches das Interesse zu befriedigen sucht, welches heute den Burgen
in höherem Grade wie früher entgegengebracht wird, hat mehr die Bedeutung eines
Führers. Als ernstes wissenschaftliches Werk kommt es weniger in Betracht. Es begnügt
sich mit auf eigener Anschauung beruhenden Beschreibungen der Burgen , wie sie sich
aus den Überbleibseln erklären, und fügt ihnen einen kurzen, meist dem vierbändigen
"Werk von G. Landau über die hessischen Ritterburgen und ihre Besitzer (Cassel 1832.
1833. 1836. 1839) entnommenen geschichtlichen Abriß an. Als Erläuterung des Gesagten
dienen einfache Skizzen, die allerdings das Charakteristische der betreffenden Objekte in
hervorragend geschickter Weise zum Ausdruck bringen, bescheidene Grundpläne und
Ansichten nach Merian. Das Werkchen erfüllt seinen Zweck durchaus und erscheint in
seiner Anlage wohl geeignet, als eine Burgenkunde für die betreffenden Gebiete gelten
zu können. Sein Hauptwert liegt in der autentischen Schilderung der Befunde, wobei
stets mit wenigen Worten viel gesagt wird. Um seiner Aufgabe gerecht zu werden, unter-
nimmt der Verfasser drei Wanderungen durch das in Betracht kommende Gebiet, eine
von Fritzlar nach Norden, zwei weitere von Cassel und Münden ausgehend. Er zieht,
soweit tunlich, auch die benachbarten nichthessischen Burgen und Befestigungen in den
Bereich seiner Betrachtungen, so daß der Titel, da ja nicht nur Burgen, sondern auch
Stadtbefestigungen behandelt werden, ungenau erscheint. Auch wäre die Beigabe einer
orientierenden Karte erwünscht gewesen. Die Beschreibungen beschränken sich auf die
Heraushebung des Wichtigsten. Besonders eingehende Betrachtung ist der Weide 1 bürg
gewidmet, welche sich als die größte Ruine Niederhessens darstellt und einer besseren
Erhaltung wohl würdig wäre. Happel schlägt vor allen Dingen eine gründliche Ab-
deckung aller Mauern sowie die Beseitigung der kalkzersetzenden Buschwerke auf den-
selben vor. Die Gefahr, daß die Zerstörung der Burgbauten mit großen Schritten weiter-
schreiten wird, ist groß, da alle Mauern, abgesehen von dem seiner Aussichtsbauten wegen
oben abgedeckten Südbau, Wind und Nässe ausgesetzt sind, so daß ein Stein nach dem
anderen sich lockert und herabfällt. Es wird dies, wie der Verfasser betont, um so eher
geschehen, als bei der angewendeten Mauertechnik ein sehr kalkarmer Mörtel verwendet
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84
LITERARISCHE NOTIZEN.
wurde, der nicht bindet, sondern nur die volle Auflage der zyklopenartig vermauerten
Basaltsäulen bewirkt. Auch ist eine gründliche Ausräumung von Schutt und Geröll
wünschenswert, damit auch der Laie sich ein Bild von den mittelalterlichen Wehrbauten
machen kann. Bei der Krukenburg bei Heimarshausen verdient der viereckige Wohn-
turm im nördlichen Teil der Ringmauer, das sogenannte Paderborncr Haus, nähere Be-
achtung. Eis gehört dem Jahre 1338 an und ist einer der interessantesten Bauten aller
hessischen Burgen, an dem zu sehen ist, wie ein Ganerbe mit Familie in seinem geson-
derten kleinen Bau vom Keller bis zum Dach eine abgeschiedene Wirtschaft führte.
Leider befindet sich das Haus hinsichtlich seiner Erhaltung in einem höchst bedenklichen
Zustande. Im Mittelbau sind noch die Reste einer romanischen Kreuzkirche erhalten,
welche unabhängig von der Burg bereits 1126 vollendet wurde, während diese erst 100
Jahre später entstanden ist. Wie schonungslos schon in früheren Zeiten mit Burgen um-
gegangen wurde, zeigt die auf S. 64 gebrachte Mitteilung, wonach schon 1590 die Steine
der Burg Schöneberg zum Baue einer Tiergarten-Mauer nach der Sababurg wan-
derten. Nur mit Befriedigung kann wahrgenommen werden , daß die Bürgerschaft von
Grebenstein, dem hessischen Rotenburg (o. T.), der noch vollständigen Ringmauer
und ihren Türmen ein großes Interesse entgegenbringt und auf deren pietätvolle Erhaltung
eifrigst Bedacht nimmt. Es wäre dringend zu wünschen, daß der Anregung des Verfassers,
die begonnene Erneuerung des in beständigem Verfall begriffenen, aus dem vergänglichen
Material des Muschelkalkes erbauten Bergfriedes der Burg Schartenberg fortzusetzen,
statt gegeben würde. Der Befestigung von Cassel wird eine weitgehende Betrachtung
gewidmet. Die Ortschaft Zw ehren bei Cassel besitzt einen zu Verteidigungszwecken
eingerichteten Kirchturm, der auf S. 87 abgebildet und mit Eckerkern und Pech-
nasen bewehrt ist. Bei der Altenburg wird eine bessere Konservierung der Zinnen
des alten Bergfrieds und der Burgmauern überhaupt sehr empfohlen. Die größte der
erhaltenen hessischen Burgen ist die Burg Spangenberg. Sie ist jedoch keine ein-
heitliche Anlage, sondern scheidet sich in zwei zeitlich weit von einander getrennte Bau-
perioden. Bemerkenswert ist die Inneneinrichtung, speziell die Treppenanlage des Berg-
frieds des Ludwigsteins, welche von denen anderer Bergfriede etwas abweicht. Der
untere Teil birgt ein Verließ, welches gewölbt und durch ein viereckiges Loch zu er-
reichen ist. Über der Wölbung befindet sich die Türe des Turmes, die vom Boden des
anstoßenden Hauses erreichbar ist. Von diesem Raum geht, ein Stück an der Wand
herumgeführt, eine gewundene Steintreppe nach oben, die auf einmal frei endend im
Innern der Mauer weiter geleitet ist. Sie führt zu einem Raum über eine zweite Wölbung,
die in der Mitte auch eine viereckige Öffnung hat, die mit einem abhebbaren Stein ver-
schlossen ist. Nach Einnahme des unteren Raumes konnten die Belagerten die sehr
schmale Treppe in der Mauer leicht verrammeln und waren einstweilen über dem zweiten
Gewölbe in Sicherheit. Diese Anordnung hat gegenüber den älteren Türmen den Vorteil,
daß den Belagerten während der Blockierung ein größerer Raum zur Verfügung stand,
bezw. daß mehr Personen Platz finden konnten. Die Geisterburg beim Dorfe Weissen-
bach, die nach des Verfassers Vermutung vielleicht zu den vorgeschichtlichen Wallburgen
gehört, bedarf wohl noch einer näheren Untersuchung. Nicht uninteressant ist es zu
erfahren, daß die Boyneburg sich ursprünglich als eine Volksbefestigung zu erkennen
gibt, groß und sicher genug, um die Bevölkerung der Umgegend mit den Viehherden u. s.w.
in Kriegszeiten aufzunehmen. Am Schluß des Buches werden einige Burgen aufgezählt,
welche sehr bedürftig sind, in nächster Zeit durch Erhaltungsarbeiten vor dem weiteren
starken Verfall geschützt zu werden.
Es wäre lebhaft zu begrüßen, wenn der Verfasser bei dem , was er in seinem in-
teressant geschriebenen Buche gibt, nicht stehen bliebe, sondern seine Studien vertiefen,
weiter ausdehnen und zu einer eigentlichen Burgen- und Befestigungskunde des in Be-
tracht gezogenen Gebietes ausarbeiten würde. Dr. Fritz Traugott Schulz.
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EINE FOLGE VON HOLZSCHNITT-PORTRÄTS DER VISCONTI
VON MAILAND.
VON ALFRED HAGEI.STANGE.
ovius (Paolo Giovio), einer der bekanntesten
italienischen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts,
verdankt seinen Ruhm weniger der wissen-
schaftlichen Qualität seiner Werke, als dem
nicht geringen Umfang derselben. Ein fein
gebildeter Mann, gelehrter Kopf, Theolog
und Mediziner in einer Person, hatte er doch
so wenig Gefühl für die Pflichten eines ernsten
Historikers, daß er sich nicht scheute, seine
subjektive Empfindung derart in den Vorder-
grund zu stellen, daß von einer Geschichts-
schreibung in unserem Sinne bei ihm nicht
die Rede sein kann. Es mutet uns heutzu-
tage geradezu komisch an, wenn wir in einem seiner Briefe (Lettere volgari,
S. 12) die seltsamen Worte zu lesen bekommen: *Ich müßte doch ein Narr
sein, wenn ich meine Freunde und Gönner dadurch, daß ich sie ein Dritt-
Teil mehr gelten lasse als die weniger gut gegen mich gesinnten, nicht zu
meinen Schuldnern machen wollte. Ihr wißt wohl, daß ich nach diesem hei-
ligen Vorrechte einige in reichen Brokat, andere aber in schlechtes Zeug ge-
kleidet habe, je nachdem sie es um mich verdienten. Wer spielt, der wagt.
Neckt man mich mit Pfeilen, so lasse ich grobes Geschütz auffahren. Wer
dann den Kürzeren zieht, mag zusehen, wie ers treibt. Ich weiß, daß sie
sterben müssen; und nach dem Tode, dem Ziele alles Streites, sind wir frei.«
So sah der Historiker aus; der Künstler lovius scheint auf einer
nicht viel höheren Stufe gestanden zu haben. Denn so bewundernswürdig
uns auch die Idee seiner mit einem Riesenaufwand an Zeit, Eifer und Geld
zusammengebrachten Porträt-Galerie erscheinen mag, so muß man doch be-
rücksichtigen , daß es weniger ein rein künstlerisches Interesse, als vielmehr
die Vorliebe für biographische Skizzen war, die ihn eine solche Sammlung
anlegen ließ. Es war ihm ein Bedürfnis, die Heldengestalten, deren Lebens-
verhältnisse und Taten er erforschte, auch im Bilde zu besitzen, und so ließ
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86 EINE FOLGE VON BOLZSCHNITT-PORTRÄTS DER VISCONTI VON MAILAND.
er sich denn keine Müh verdrießen, bis er eine der größten Porträtsammlungen
aller Zeiten in seiner Villa am Comersee zusammengebracht hatte.
Der Gedanke, Bildnisse von historisch bemerkenswerten Persönlichkeiten
zu sammeln, war nicht einmal neu. I^nge vor lovius kannte man in Italien,
WO der Kultus des Ruhmes stets in hohen Ehren gestanden, derartige Serien
von »viri illustres«; nur waren sie nicht von annähernd ähnlichem Umfang
und auch kaum von gleicher Bedeutung gewesen. Daß es lovius möglich
war, in einem Zeitraum von etwa dreißig Jahren diese merkwürdige Porträt-
Galerie zusammenzustellen, das läßt sich nur aus der Art und Weise erklären,
wie er seine Erwerbungen machte. Eugene Müntz hat uns hierüber Auf-
schluß gegeben in seiner Abhandlung »Le mus6e de portraits de Paul love,«
die kürzlich auch in autorisierter Übersetzung von F. J. Kleemeier in der
Zeitschrift für Bücherfreunde (VIII, 120) zu lesen war. Hiernach war der
Sammelmodus des lovius vollauf identisch mit einer direkten Brandschatzung
seiner Freunde, seiner Gönner und aller derjenigen, die mehr oder weniger
auf ihren Ruf bedacht waren oder mit seiner jetzt schmeichelnden, dann wie-
der anzüglichen Feder zu rechnen hatten. Ungezählte Bekanntschaften gaben
ihm Mittel und Wege genug an die Hand, Originalporträts von Fürsten, Ge-
lehrten und Künstlern zu bekommen, die sich schon aus Gründen der Selbst-
sucht eine Ehre daraus machten, ihr liebes Ich der geplanten Ruhmesgalerie
einzuverleiben. In allen Fällen aber, wo keine Originale aufzutreiben waren,
half er sich mit Zusammenstellungen aus ikonographisch mehr oder weniger
beglaubigten Dokumenten. Er benutzte, wie Müntz angibt, die Siegesstand-
bilder und Grabdenkmäler von ganz Italien, die Fresken der Kirchen, Paläste
und Villen, die Miniaturen der Manuskripte, die Medaillen, mit einem Worte
alle Materialien, die ihm der Ruf bezeichnete oder die ihn sein Spürsinn ent-
decken ließ. Was aber dabei herauskam, wenn dann ein vielleicht auch
noch mittelmäßiger Maler mit Hilfe von zwei oder drei verschiedenen Unter-
lagen — meinetwegen einer Medaille, Skulptur und Miniatur — ein Porträt zu-
sammenmalte, das kann man sich unschwer vorstellen. Ikonographische Zu-
verlässigkeit war bei solch augenfälligen Mängeln der Entstehungsweise natür-
lich nicht zu erreichen; denn wenn die zugrundegelegten Dokumente schon
an und für sich nicht autoritativ waren, wie konnten es dann erst die aus
ihnen zusammengestellten Bilder sein. Die Frage, inwieweit man in den
Gemälden des Musaeum lovianum wahrheitsgetreue Porträts zu sehen hat,
ist übrigens so schwer zu lösen, daß es uns viel zu weit vom Wege abführen
würde, wenn wir in dieser kurzen, unter einem anderen Gesichtswinkel zu
betrachtenden Abhandlung darauf einzugehen den Versuch machten.
Es sei deshalb nur noch in Kürze erwähnt, daß die interessante Samm-
lung des lovius nach folgenden systematischen Gesichtspunkten geordnet war:
Die erste Abteilung bildeten die Porträts der Gelehrten und Dichter; die
zweite die der lebenden Gelehrten und Literaten. In der dritten sah man
die Bildnisse der Künstler, während die vierte die der Päpste, Könige, Feld-
herrn etc. barg. Bei der im 17. Jahrhundert stattgehabten Trennung der
Bilderbestände teilten die beiden Zweige der Familie lovius die Sammlung
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VON ALFRED HAGELSTANGE.
87
derart untereinander, daß der eine die Porträts der Staats- und Kriegsmänner
und der andere die der Künstler und Literaten erhielt. Noch im Jahre 1880
befanden sich nach Eugene Müntz Überreste des Museums teils im Besitz
der älteren durch den Marchese Giorgio Raimondi Orchi und Pietro Novelli
vertretenen Linie, teils in dem des jüngeren Zweiges, dessen Repräsentanten
die Giovio sind.
Eine Reproduktion des gesamten Bilderbestandes, wie er zu Lebzeiten
des lovius in der Galerie vertreten war, existiert nicht. Doch scheint eine
solche vom Schöpfer des Museums beabsichtigt gewesen zu sein; wenigstens
läßt sich das aus einem Briefe schließen, den der eifrige Sammler am 14.
September 1548 an den ihm in gewissem Grade geistesverwandten Viel-
schreiber Anton Francesco Doni richtete. Es heißt darin nämlich u. a.:
»E volesse Dio, che di questa maniera si potessero intagliare tutte le imma-
gini, che io tengo al Museo, almanco quelle degli nomini famosi in guerra.«
(Und wolle Gott, daß ich auf diese Weise alle die Bilder in Holz schneiden
lassen könnte, die ich im Museum habe, wenigstens jene der berühmten Kriegs-
männer.) Ein Teil dieses Wunsches ging in der Tat noch zu lovius' Leb-
zeiten in Erfüllung, und es waren wirklich Porträts von »Kriegsmännern«, die
an erster Stelle einer bildlichen Wiedergabe gewürdigt wurden. Sie erschienen
als Holzschnittillustrationen zu den im Jahre 1549 von Robert Estienne in
Paris verlegten »Vitae duodecim vicecomitum Mediolani principum« des lovius,
und sind zweifellos als die künstlerisch bedeutendsten Reproduktionen anzu-
sehen, die jemals nach Bildern dieser Porträtgalerie angefertigt worden sind.
Schon dieser Umstand allein rechtfertigt eine Gesamt - Wiedergabe dieser
interessanten Blätter, von denen bisher nur zwei in Originalgröße publiziert
worden sind. (Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch II, Nr. 983 und Bernard,
Geoffroy Tory S. 176.)
Die Persönlichkeiten, die uns hier im Bilde vorgeführt werden, gehören der
bereits im 11. Jahrhundert genannten lombardischen Adelsfamilie der Visconti
an, deren Name (Vicecomites) darauf hinzuweisen scheint, daß sie früher mit
kaiserlichen Befugnissen ausgestattete Grafen waren. Seit 1395 Herzöge von
Mailand, gelten sie als Hauptvertreter der Gesetz gewordenen Tyrannis, zu-
gleich aber auch als bahnbrechende Kulturpioniere, wie es diese wafifenklirren-
den Condottieri fast alle waren. Ottone Visconti (Abb. 1), der die Reihe
der Dargestellten eröffnet, war schon seit 1263 Erzbischof von Mailand, ge-
langte jedoch erst im Jahre 1277 in Besitz der Herrschaft, nachdem er mit
Hilfe der Ghibellinen die della Torre, die sich seit Auflösung des lombardi-
schen Städtebundes als Herren der Stadt aufspielten, überwunden hatte. Er
war ein Mann, der die Segnungen des Schwertes ebenso zu schätzen wußte,
wie die des Kreuzes; weshalb ihn der Künstler auch in sehr charakteristischer
Weise als kriegerischen Kleriker darstellte. Sein Neffe Matteo Visconti
(Abb. 2) der nach dem 1295 erfolgten Tode seines Onkels die Herrschaft
von Mailand antrat, konnte sich gegen die della Torre, die geschworenen
Feinde der Familie, nicht sehr lange halten. 1302 jagten sie ihn von dannen,
und er wäre wohl nie wieder auf den Herrschersessel zurückgekehrt, wenn
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88 EINE FOLGE VON HOLZSCHNnT-PORTRÄTS DER VISCONTI VON MAILAND.
er ihn, ganz auf sich selbst gestellt, mit dem Schwert in der Hand hätte zu-
rückerobern sollen. So aber mußte ihm seine Schlauheit geben, was die
Kraft ihm versagte: Er benutzte den günstigen Augenblick, wo Kaiser Hein-
rich VII. auf seinem Krönungszuge nach Rom in Mailand weilte, rief einen
Aufstand wach und nahm, von der Hand des Kaisers geleitet, wieder auf
Abb. L
dem Throne Platz, den Guido della Torre ihm entrissen hatte. Sein Sohn
Galeazzo (Abb. 3), der auf unserem Holzschnitt in sieghafter Triumphatorpose
erscheint, hatte alles andere, nur kein Glück im Kriege. Er hatte kaum ein
paar Jahre die Regierung innegehabt, als er 1327 durch Ludwig den Bayern
gefangen gesetzt wurde. Zwar erhielt er schon im folgenden Jahre auf Für-
bitte der Ghibellinenhäupter seine Freiheit wieder; doch er mag derselben
nicht einmal froh geworden sein, denn kurz darauf nahm ihn der Tod ge-
fangen, aus dessen Armen ihn keines Mächtigen Fürsprache mehr befreite.
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VON ALFRED HAGELSTANGE.
89
Azzo Visconti (Abb. 4), dem Sohne und Nachfolger des vorhergehenden,
war zwar auch keine sehr lange' Regierungszeit beschieden , doch war er
glücklicher in seinen Unternehmungen, und als er im frühen Alter von 37
Jahren verschied, da hatte sich Mailands Herrschaft derart ausgedehnt, daß
fast die ganze Lombardei in den Visconti ihre Herren sah. Doch mehr als
Abb. 2.
das: die Herren wurden hie und da direkt zu Peinigern, wie Azzos Nach-
folger Lucchino. Als Tyrann in des Wortes übelster Bedeutung steht er
vor unserm geistigen Auge; und auch auf dem Bilde unserer Porträtfolge
(Abb. 5) verraten die unter dem reichgeschmückten Prunkhelm sichtbar wer-
denden Züge mit den grausamen Lippen und dem listig lauernden Auge den
Charakter eines Ich-Menschen in der höchst potenzierten Form. Er wäre als
Sohn des Matteo Visconti wohl nie auf den Thron gekommen, wenn Azzo nicht
kinderlos gestorben wäre. So aber hatte ihm der Zufall die Zügel der Regie-
llittoUiiiig<en am dem gronnan. Natioluümuseiiin. 1904. 12
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90 EINB FOLGE VON HOLZSCHNITTPORTRÄTS DER VISCONTI VON MAILAND.
rung in die Hand gespielt, und er verstand es, sie aufs straffste anzuziehn.
Daß er bei seinen Charaktereigenschaften 'große äußere Erfolge erzielte, ist
begreiflich; ebenso verständlich aber auch, daß er von der Hand des Mörders
getroffen sein Leben aushauchte. Es war am 24. Januar 1349.
Sein Bruder, der Erzbischof Giovanni (Abb. 6), der nunmehr die Regie-
Abb. 3.
rung antrat, war ein Geistesaristokrat im edelsten Sinne. Ein eifriger För-
derer der Wissenschaften, ein begeisterter Bewunderer Dantes, konnte er
sich rühmen, einen Petrarka an sich gefesselt zu haben, der Königen und
Fürsten abschlägigen Bescheid zu erteilen gewohnt war, wenn sie mit der
Bitte in ihn drangen, seinen Aufenthalt an ihren Höfen zu nehmen. Die
Hochschätzung, die umgekehrt Petrarka dem Erzbischof entgegenbrachte, war
nicht weniger ehrlich und aufrichtig, da der Dichter die staatsmännischen
Fähigkeiten Giovannis so hoch in Anschlag brachte, daß er keinen Anstand
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VON ALFRED HAGELSTANGE. 91
nahm, diesen als den »größten der Italiener« hinzustellen. Als der hochbegabte
Herrscher im Jahre 1354 starb, teilten sich seine drei Neffen Galeazzo II. (Abb. 7),
Barnabo (Abb. 8) und Matteo II. in die Regentschaft; doch partizipierte der letzte
infolge seines frühzeitig erfolgten Todes nur noch ein Jahr an der Herrschaft,
die dann von den beiden erstgenannten Brüdern unter recht schwierigen Ver-
Abb. 4.
hältnissen weiter geführt wurde. Zu den inneren Feinden, die infolge des
Steuerdrucks und der drakonischen Strenge der Regierung stetig Aufstände er-
regten, kamen nämlich auch noch äußere hinzu, indem sich die Nachbarn zu einer
auf Furcht, Neid und Mißgunst gegründeten großen Liga zusammentaten, gegen
die das Brüderpaar seinen Besitz — allerdings mit großen Mühen — wenigstens
insoweit behaupten konnte, als nur Bologna und Genua verloren gingen.
Gleichwohl wurde Barnabo, der seinen Bruder überlebte, schließlich doch
vom Geschick ereilt. Er hatte sich durch sinnlose Verschwendung und außer-
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92
EINE FOLGE VON HOLZSCflNITT.PORTRiTS DER VISCONTI VON MAILAND.
ordentliche Grausamkeit derart verhaßt gemacht, daß die Mailänder seinen
Neffen, den Sohn Galeazzo's aufs dringendste zur Übernahme der Regierung
aufforderten. Dieser war mit dem Gang der Ereignisse zweifellos zufrieden,
zumal er sich dadurch in die angenehme Lage versetzt sah, die Erfüllung
seiner geheimsten Herzenswünsche als eine Gewährung fremder Bitten hin-
Abb. 5.
zustellen. Kurz entschlossen ließ er seinen Onkel sowie dessen Söhne in
den Kerker werfen und bestieg den Thron. Gian Galeazzo ist zweifellos die
bedeutendste Erscheinung unter Mailands Herrschern aus dem Hause Visconti.
Man braucht nur sein Porträt (Abb. 9) zu betrachten, um zu wissen, wieviel
zähe Energie, kurze Entschlossenheit und trotzige Unbeugsamkeit in dem
Manne steckte, dessen hochfliegende politische Pläne bis zur Königskrone
schweiften. Und er wäre einer solchen wohl würdig gewesen, denn könig-
liche Größe spricht aus all seinen Unternehmungen, mögen sie nun politischer
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TON ALFRED HAGELSTANGE.
93
oder mehr kultureller Natur sein. Da sind es in erster Reihe drei der ge-
waltigsten Schöpfungen des Trecento, mit denen sein Name aufs engste ver-
knüpft ist: die drei Zentralstätten lombardischer Kunst, der Mailänder Dom,
die Certosa und das Castell zu Pavia; in der Tat königliche Schöpfungen,
an deren Ausgestaltung er nicht nur mit seinem Geldbeutel, sondern vor
Abb. 6.
allem mit seinem Geist und seinem Herzen beteiligt war. Allerdings darf ja
wohl nicht übersehen werden, daß wenigstens bei der Förderung der beiden
letztgenannten Bauten politische Erwägungen stark in die Wagschale gefallen
sind, denn die Gefahr eines Wettstreites zwischen Mailand und Pavia, den
beiden Hauptstützen der Visconti'schen Dynastie, war zu naheliegend, als daß
der kluge Herrscher nicht darauf bedacht gewesen wäre, sich das erst kürz-
lich gewonnene und zur Residenz erhobene Pavia durch Aufmerksamkeiten
größten Stiles zu verpflichten. Es war für ihn überhaupt eine schwere Auf-
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94 EINE FOLGE VON HOLZSCHNITT PORTRÄTS DER VICONTI VON MAILAND.
gäbe, all die unterworfenen Städte wie Pisa, Siena, Perugia, Padua und Bo-
logna im Schach zu halten. Gleichwohl gelang es seiner eisernen, jeden Wider-
stand abweisenden Natur in vollem Maße. Daß sein durch nichts zu stillen-
der Ehrgeiz ihn den Herzogtitel erwerben ließ, ist nicht zu verwundern; und
es dürfte wohl auch zweifellos sein, daß er sich zum Könige von Italien auf-
Abb. 7.
geworfen hätte, wenn er nicht am 3. September 1402 gänzlich unerwartet
gestorben wäre. Es war zu Malegnano, wo ihn die Pest dahinraffte, während
er im Zenith seines Ruhmes stand.
Mit seinem Leben zerflatterte auch die Machtstellung der Dynastie in
Dunst und Nebel, und schon wenige Jahre nachdem er die Augen geschlossen
hatte, existierte der Ruhm seines Hauses nur noch als Traumgebilde einer
glänzenden Vergangenheit. Die Söhne des Verstorbenen, Gian Maria, Gabriele
Maria und Filippo Maria hatten nur des Vaters schlechte Eigenschaften ge-
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VON ALFRED HAGKLSTANGE.
95
erbt. Der erste , ein furchtbarer Wüterich , fiel dem Dolch der Ver-
schworenen zum Opfer, während der zweite seine Grausamkeit auf dem
Schaffbt büßen mußte. In Filippo Maria (Abb. 10) endete das stolze Ge-
schlecht der Visconti in tatenloser Ohnmacht und kleinlicher Selbstsucht.
Männliche Erben hatte er nicht, und so fiel infolge der Vermählung seiner
Abb. 8.
Tochter Bianca Maria mit Francesco Sforza, seinem ehemaligen Feldhaupt-
mann, die gegen früher allerdings sehr dezimierte Herrschaft von Mailand an
die Familie Sforza.
Diese notwendigsten Daten über die in unseren Holzschnitten darge-
stellten Persönlichkeiten müssen uns genügen, da eine weitere Verfolgung
der an diese Porträts sich anschließenden historischen Erörterungen über den
Rahmen dieser Abhandlung hinausgehen würde. Fragen wir nun nach dem
Urheber unserer Bildnisse , so nennt uns das auf jedem der Blätter befind-
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96 EINE FOLGE VON HOLZSCHNITT-PORTRÄTS DBB VISCONTI VON MAILAND.
liehe Künstlermonogramm den Reformator der französischen Druckerkunst
Geoffroy Tory, in dem sich Maler, Zeichner, Graveur, Drucker und Verleger
in einer Person vereinigten. (Nagler, Monogr. II, Nr. 2617; III, Nr. 341.) Wir
sind über die Lebensverhältnisse und Arbeiten dieses vielseitigen Mannes
ziemlich genau unterrichtet durch die schon oben erwähnte, 1857 zu Paris
Abb. 9.
erschienene Monographie von Auguste Bernard, in der auf S. 175 auch unsere
Holzschnitte — allerdings nur in aller Kürze — Erwähnung finden. Es geht
daraus hervor, daß sie nach Illustrationen der auf der Pariser Nationalbiblio-
thek unter Signatur ms. lat. Nr. 5887 aufbewahrten Originalhandschrift ge-
fertigt sind. Dieses handschriftliche Exemplar der »Vitae duodecim vice-
comitum Mediolani principum« hatte lovius dem Dauphin Heinrich von
Frankreich gewidmet, der seinerseits wiederum die Handschrift jedenfalls
dem Robert Estienne zur Herausgabe überlassen hat. Die Illustrationen des
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VON ALFRED HAGELSTANGE.
97
Manuskriptes wird der Verfasser zweifellos nach den Porträts des Musaeum
lovianum von einem italienischen Künstler haben anfertigen lassen, sodaß wir
in unseren Holzschnitten nur Reproduktionen von Kopien nach Bildern dieser
Galerie zu sehen haben. Was demnach über die den Porträts zugrunde liegen-
den Dokumente zu sagen wäre, gilt in gleicher Weise für die Holzschnitte
Abb. 10.
und Illustrationen des Manuskriptes, wie für die zum Bestände der lovius-
schen Galerie gehörigen Vorbilder dieser Reproduktionen. Die Urbilder,
— wenn man so sagen will, — die sich in unserem Falle sogar einer relativen
Glaubwürdigkeit zu erfreuen haben, sind folgende:
1) Ottone Visconti, Gemälde im Schlosse von Anghiari.
2) Matteo Visconti, Skulptur in der Basilika von Monza.
3) Galeazzo I, Visconti, Skulptur am Grabmal Azzo Visconti's.
4) Azzo Visconti, Gemälde in San Gottardo, vor Mailand.
MitteiluDgen aas dem greniuui. Nationalmoseum. 1904. 13
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98 EINE FOLGE VON HOLZSCHNITT-POBTRÄTS DER VISCONTI VON MAILAND.
5) Lucchino Visconti, Skulptur am Grabmal Azzo Visconti's.
6) Giovanni Visconti, Gemälde im Mailänder erzbischöfl. Palais.
7) Galeazzo II. Visconti, Gemälde im Kastell von Pavia.
8J Bamabo Visconti, Gemälde in St. Giuliano in Como.
9) Gian Galeazzo Visconti, Borgognone's Fresko in der Certosa von
Pavia.
10) Filippo Maria Visconti, Pisanello's Medaille.
Diese dokumentarischen Grundlagen unserer Bildnisse sind natürlich
bezüglich der Porträt-Wahrheit umso skeptischer zu betrachten, je älter sie
sind. Im früheren Mittelalter hat man, da die größte Anzahl der Denkmäler
erst lange dem Tode der darzustellenden Persönlichkeiten gefertigt ist, wohl
fast nie mehr eine Ahnung vom wirklichen Aussehen derselben gehabt, als
man die Wiedergabe ihres Porträts in Angriff nahm. Das gilt beispielsweise
von den Stifterbildnissen in Naumburg ebenso wie von denjenigen Königs-
gräben in St. Denis, die Ludwig der Heilige seinen Vorgängern setzen ließ.
Als eines der ersten nach dem Leben gemalten Porträts nimmt man nach
dem Vorgange Vasaris in der Regel das Bildnis des hl. Franz von Assisi an,
das sich auf einer heute in S. Croce aufbewahrten Altartafel des Cimabue
vorfindet. Wenn man hiernach für das Aufkommen des naturwahren per-
sönlichen Abbildens etwa die Zeit kurz vor 1300 als terminus a quo ansetzen
würde, so hätte man schon einen annähernd richtigen Maßstab dafür, welche
von unseren Bildnissen bezüglich der Porträt- Wahrheit vor den andern den
Vorzug verdienen.
So verschieden an Wert nach dieser Seite hin unsere Holzschnitte aber
auch sein mögen, so gleichbedeutend sind sie hinsichtlich ihrer rein künst-
lerischen und technischen Vorzüge, die sich vielleicht am besten würdigen
lassen, wenn man eine andere Holzschnittfolge zum Vergleich heranzieht.
Es sind dies ebenfalls nach den Bildern des Musaeum Jovianum gezeichnete
Visconti-Porträts, Illustrationen der von Peter Pema in Basel besorgten Aus-
gabe der »Elogia* virorum bellica virtute illustrium« des Jovius (1575), sowie
der drei Jahre später vom gleichen Verleger herausgegebenen »Vitae illustrium
virorum« desselben. Nagler schreibt in seinem Künstlerlexikon (XVII, 368)
diese Holzschnitte dem Tobias Stimmer zu. Wir möchten nicht so grausam
sein, denn so wenig uns an einer Überschätzung dieses Künstlers gelegen
sein kann, ebensowenig dürfen wir ihm aber auch Arbeiten in die Schuhe
schieben, die weit unter dem Durchschnittsmaße seines zeichnerischen Könnens
stehen. Wenn der Name Stimmers überhaupt mit diesen minderwertigen
Arbeiten in Verbindung gebracht werden darf, so wäre nur die eine Möglich-
keit anzunehmen, daß der Holzschneider die Vorlagen bis zur Unkenntlich-
keit »ver«arbeitet hat. Daß diese Holzschnitte den Gemälden der Jovius'schen
Galerie näher stehen sollen, ist nicht anzunehmen, denn dann müßten ja die
Tory'schen Arbeiten, die diese sogenannten Stimmer'schen an künstlerischem
Gehalt um ein bedeutendes überragen, auch besser wie die gemalten Originale
sein. Und' das ist doch schon mit Rücksicht auf ihren immerhin reprodu-
zierenden .Charakter von der Hand zu weisen.
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VON ALFRED HAGKLSl'ANGE.
99
»Traduttore-traditore« kann man im Hinblick auf die Illustrationen des
Baseler Werkes sagen, denn sie sind wirklich recht unbedeutend. Alles vor-
nehme, distinguierte, das, wie sich aus den französischen Holzschnitten schließen
läßt, eines der Hauptcharakteristika der italienischen Originale gewesen sein
muß, ist auf dem Wege über die Alpen verloren gegangen. Unaufdringliche
Noblesse und selbstverständliche Würde sucht man hier vergebens. Es sind
nicht mehr Porträts von Kulturmenschen erster Gattung, sondern nur Bild-
nisse von unbedeutenden, nüchternen Spießbürgern, deren Biederkeit keinen
Ersatz für ihre Fadheit bietet. Das pompöse Gewand aber, das sie umhüllt,
ist nur dazu angetan, diese Menschen noch minimaler erscheinen zu lassen:
kleinstädtische Krämer, die sich zu Fastnacht mit buntschillerndem Königs-
flitter behängt haben.
Eine Stufe höher stehen die Illustrationen der von Lodovico Domenichi
besorgten italienischen Übersetzung von Jovius' Leben der Visconti. Die
Kupferstiche der uns vorliegenden in Mailand gedruckten Ausgabe von 1645
sind, wie sich aus dem Titelbild schließen läßt, von dem lothringischen Stecher
Christoph Blanc nach Zeichnungen des Porträtisten Giorgio Cerani gefertigt.
Die Bildnisse wirken hier in einer schwulstigen Umrahmung, die sich aus
einem Dekor von Drachen, Kronen, Szeptern und Schwertern zusammensetzt,
lange nicht so fein wie die unserer Holzschnittfolge. Sie haben etwas ge-
drücktes, eingeengtes, sind schlecht in den Raum gestellt und zeugen unge-
achtet ihrer technischen Vorzüge von einer gewissen Unfreiheit in der Auf-
fassung, die beim Vergleich mit unseren Blättern besonders augenfällig zu
Tage tritt. Diese haben vor jenen namentlich eine vornehme Schlichtheit
voraus, die hier nicht so sehr als ein Produkt der geschickten Herausarbeitung
der einzelnen Porträtköpfe, sondern vielmehr als Begleiterscheinung einer
äußerst glücklichen Komposition innerhalb der gegebenen Umrahmung erscheint.
Man betrachte unter diesem Gesichtswinkel z. B. die in Abb. 1 und 3
wiedergegebenen Bildnisse des Ottone und Galeazzo I., auf denen die Richtungs-
linien der Armstellung gleichverlaufend mit der Bildeinfassung erscheinen;
auf Abb. 1 dann noch den ausgesprochenen Parallelismus zwischen dem erz-
bischöflichen Hirtenstabe, dem Schwerte und den Umfassungslinien des Por-
träts. Ferner ist zu beachten, wie geschickt der Künstlers die Körpergröße
seiner Figuren dadurch zu heben weiß, daß er den Kopf in den meisten
Fällen bis hart an den oberen Bildrand heranreichen läßt, und daß er selbst
da, wo er mit Rücksicht auf den hohen Kopfputz seiner Helden — wie in
Abb. 5 und 7 — davon Abstand nehmen muß, niemals die Figur soweit nach
unten rückt, daß das Kinn nicht immer noch oberhalb der Bildmitte zu
stehen käme. Die vertikale Mittellinie der zumeist seitlich gestellten Körper
liegt, wenn man von dem Bildrande ausgeht, nach dem die Dargestellten hin-
schauen, in der Regel hinter der Mittellinie des ganzen Bildes; eine Kom-
positionsfeinheit, die insofern von größter Wichtigkeit ist, als sie den Figuren
einen freien Ausblick gibt, der ihre Lebendigkeit und sichere, selbstbewußte
Größe nur erhöht. Infolge der geradezu selbstverständlichen Hoheit, wie sie
aus den Figuren spricht, wirkt auch das reichgeschmückte Festgewand, in
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100 EINE FOLGE VON HOLZSCHNnTPORTRÄTS. VON ALFRED HAQELSTANGE.
dem einige von ihnen auftreten, nicht wie ein erborgter Maskenanzug, sondern
als organisches Beiwerk, das zur Hebung des Gesamteindruckes nicht wenig
beiträgt. Die monumentale Geschlossenheit endlich hat der Künstler dadurch
zu erreichen gewußt, daß er eine möglichst einfache Silhouette wählt und
den Hintergrund weiß läßt. Auf diese Weise lösen sich die auf die Fläche
projezierten Körper leicht von jenem los und beginnen, sich für das Auge
zu runden; ein Vorzug, der bei der graphischen Kunst um so höher in An-
schlag zu bringen ist, weil diese mit weit unzureichenderen Mitteln arbeiten
muß, als sie ihrer farbenprangenden Schwester, der Malerei, zur Verfügung
stehen. Rechnet man zu den vielerlei Qualitäten dann auch noch das feine,
über die Körper hinrieselnde Licht hinzu, so treten einige geringfügige
Schwächen, wie die kleinen Härten in der Modellierung der Gesichter in den
Abb. 2, 6 und 10 als nicht ausschlaggebend in den Hintergrund.
Bei einem Vergleich unserer Holzschnitt-Porträts mit gleichzeitigen
deutschen Arbeiten dieser Art, ziehen die letzteren durchweg den kürzeren,
sodaß selbst die relativ besten für den Holzschnitt gezeichneten Bildnisse
jener Zeit, wie Brosamers Hans Sachs- Porträt von 1545 und sein Landgraf
Philipp von Hessen, sowie einige Cranach'sche Arbeiten der letzten Zeit
nicht annähernd den gleichen Grad künstlerischer Auffassung und Durch-
führung bekunden. Weitaus die Masse dieser deutschen Porträtschnitte um
die Mitte des 16. Jahrh. ist Handwerkerarbeit ohne jeglichen künstlerischen
Wert; im besten Falle leidlich geschickt. Daß das Niveau des französischen
Holzschnitts um jene Zeit ein höheres gewesen sei, soll jedoch nicht behauptet
werden; denn sonst müßte man einen stetig aufsteigenden Entwicklungsgang
der einzelnen Kunstgattungen annehmen. In der Kunst ist aber, wie Licht-
warck einmal treffend bemerkt, die Entwicklung nicht Flut, sondern Spring-
quell, der einsam oder als Gruppe in scharfem Strahl emporsteigt.
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DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR. HANS STEGMANN.
VlI.
Die Truhen der Abteilung für bäuerliche Altertümer sind zahlreicher
noch als diejenigen der eigentlichen Möbelsammlung. Die Trennung ist
hier keine ganz systematische, denn wie immer wieder bei den bäuerlichen
Altertümern muß auch bei den Truhen ein wichtiger Umstand berücksichtigt
werden. An den Truhen hielt die bäuerliche Bevölkerung aller deutschen
Stämme mit großer Zähigkeit bis ins 19. Jahrhundert fest, im Gegensatz zu
Fig. 74. Ostfriesißche (oldenburgische) Truhe; 1". Jahrh.
den bürgerlichen Kreisen, wenigstens der größeren Städte, die von der Mitte
des 17. Jahrhunderts der Truhe zu Gunsten des Schrankes gänzlich ihre Gunst
entzogen. Zwar sind die bäuerlichen Kreise bis ins 18. Jahrhundert mit
wenigen Ausnahmen nicht so sehr neuschöpferisch in der Möbelkunst auf-
getreten, denn als treue Bewahrer der von der großstädtischen Bevölkerung
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102 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
und den herrschaftlichen Kreisen als unmodern aufgegebenen Möbel, die
sie entweder im Original oder vergröberten Nachbildungen uns überliefert
haben. Und hier muß noch eine weitere Einschränkung eintreten. Was wir
heute als bäuerliche Kunst anzusehen pflegen, ist wohl in bäuerlichem Ge-
brauch gewesen, zum großen Teil aber nicht von bäuerlicher Hand entstanden.
Wo wir wirklich originelle Bauernkunst und auch einen technischen Hochstand
¥ig. 75. Ostfriesische Bauerntruhe aus Neuenbürg:.
vorfinden, wie in der Nachbarschaft Hamburgs, da waren entweder die Bauern
schon halbe Städter oder die ausführenden Handwerker. Noch häufiger aber
möchte man aus dem Bewohner der kleinen Landstädtchen, welche die eigent-
liche Wiege der bäuerlichen Kunst sind, wie in Holstein oder in Oberbayern,
heute Bauern machen. Ein großer Teil der Bauernmöbel des Germanischen
Museums ist sehr wahrscheinlich kleinstädtisch.
Werfen wir nun einen Blick über die bäuerlichen Truhen des Museums,
so ist zunächst zu bemerken, daß hier eine weit gleichmäßigere Vertretung
Oberdeutschlands und Niederdeutschlands festzustellen ist, als bei den bürger-
lichen. War bei diesen Niederdeutschland verhältnismäßig recht schwach
vertreten, so ist hier das Verhältnis ein gerechteres. Niederdeutschland über-
wiegt an Zahl und Qualität. Eine Anzahl niederdeutscher Truhentypen lernen
wir im Museum erst bei den Bauernaltertümern kennen. Trotzdem muß bei
einem Überblick über das gesamte Material bemerkt werden, daß eine wesent-
liche Weiterentwicklung, wie wir sie zum Teil wenigstens bei den Stühlen
fanden, hier nicht eintrat, denn der unverrückbare Kern der rechteckigen
Kiste läßt eine solche nicht zu und diese dem fortschreitenden Komfort nicht
entgegenkommende Grundform war es auch, welche die Truhe langsam und
sicher aus der Beliebtheit der Benutzer ausschloß. Haben so die Grund- und
Konstruktionsformen weder in Ober- noch Niederdeutschland etwas Wesent-
liches hinzugefügt, so kann bezüglich der Dekoration vielfach ein solches be-
obachtet werden. Freilich machen wir auch hier wie bei aller Bauernkunst
die Erfahrung, daß sie auf den bürgerlichen Formen sich aufbaut. Aber doch
macht sich dann eine vielfältigere Ausgestaltung nach den einzelnen Gegenden
geltend, die soweit geht, daß sogar verschiedene Ortschaften derselben Gegend
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Von DR. HANS STEGMANN. 103
verschiedene Dekorationsvariationen besitzen. Das im Einzelnen zu verfolgen,
erlaubt die für den ungeheuer verwickelten Apparat bäuerlicher Kunst zu
beschränkte Sammlung des Museums nicht; es spiegelt sich die angeführte
Wahrnehmung nur in einzelnen Gruppen deutlich wieder.
Eine Wahrnehmung, die hier gleich vorausgenommen werden mag, ist
auch die, daß gerade in der Truhe das den einzelnen Volksstämmen inne-
wohnende künstlerische Vermögen recht klar zu Tage tritt. Nicht nur nach
der Verschiedenheit des Geschmacks, auch nach der Seite von Aufschwung
und Verfall. Die Renaissancetruhe Oberdeutschlands darf wohl billig den
Vorrang vor der niederdeutschen beanspruchen ; in der Bauernkunst, die in
der Hauptsache mit ihrer spezifischen Gestaltung nach dem 18. Jahrhundert
angehört , tritt das umgekehrte Verhältnis ein. Die niederdeutsche Möbel-
kunst z. B. der Hamburger Marschlande hat in Oberdeutschland mit seinen
gemalten Kistlermöbeln, die doch nur ein Surrogat, wenn auch ein teils an-
mutiges, teils derb malerisches waren, kein gleichwertiges Gegenstück. Auch
die Anfänge der Bauerntruhe ruhen im Norden; die freie Bauernschaft Nieder-
sachsens, stand wirtschaftlich viel unabhängiger da, als ihre oberdeutschen
Brüder und das hat sich natürlich auch in der Lebenshaltung erwiesen. Ober-
deutsche Bauerntruhen des 16. Jahrhunderts gibt es nicht, während Friesland
sie in ansehnlicher Menge besitzt.
Es ist in den nachfolgenden Beschreibungen das Schwergewicht auf die
formale Seite der Truhen gelegt, nach der volkskundlichen Seite dieselben
Fi?. 76. Ostfriesische Truhe; 17.— 18. Jahrh.
ZU behandeln, lag bei dieser Gelegenheit kein Anlaß vor, da dieselbe in der
gleichzeitigen Publikation des Museums über die Bauernstuben des German.
Museums von Dr. O. Lauffer-Frankfurt eingehender behandelt wird.
Die norddeutsche Tiefebene, und speziell die westelbischen Lande haben
die ältesten Stücke in die Abteilung bäuerlicher Altertümer geliefert und es
sei daher mit ihnen der Anfang gemacht.
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104 DIK HULZMÖBKL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Den älteren friesisch - oldenburgischen Typus geben mehrere Truhen
wieder, die im Aufbau die mittelalterliche Form der niederdeutschen Truhe
beibehalten. Die vier Stollen der Truhen werden von ziemlich breiten verti-
kalen Brettern gebildet, an die die querlaufenden Vorder- und Rückwände
mittelst einer einfachen Nut oder Feder eingelassen sind, während die Seiten-
wände senkrecht zu den Stollen in diese eingelassen wurden. Die Deckel sind
Fip. TT. Holsteinische Truhe: 1. Hälfte des 17. Jahrh.
meist glatt, manchmal ganz .schwach gewölbt. Die Verzierung, die sich auf
die Vorderseite beschränkt, hat an zwei Exemplaren im Sinne des Brettes an
den Vorderstollen Füllungen von gerolltem Pergament. Der Mittelteil hat bei
der einen drei untere senkrechte und zwei quere Füllungen mit dem gleichen
Motiv (bezeichnet Anno 1582), bei der anderen etwas jüngeren, drei ausge-
stochene Rosetten, die das Schloßblech umgeben, mit dem Doppel-, dem ein-
fachen Adler und einem Stern.
Das dritte Exemplar dieser Gruppe, mit der Bezeichnung Ano 1583,
unterscheidet sich nur durch die etwas veränderte Verzierung der mittleren
Vorderplatte von dem zuletzt beschriebenen. Unter dem Schloßblech ist auch
hier ein Stern ausgeschnitten. Seitlich aber je zwei rechteckige Füllungen
mit einer Raute und einem Löwen, welch letzterer allerdings von geradezu
grotesker Unbeholfenheit zeugt.
Der zweite Typus der Truhen Niederdeutschlands unterscheidet sich
von den Stollentruhen , wie man die vorgenannten bezeichnen kann , durch
die Art des Untersatzes. Derselbe wird hier durch unter die Seitenwand be-
festigte horizontal laufende Bretter gebildet, welche an der Vorderseite in ver-
schiedener Gestalt ausgesägt sind (Kufen). Zwischen diesen Kufen liegt in
der Regel das schräg gestellte Vorderbrett.
Ein ebenfalls aus Oldenburg stammendes Stück (Fig. 74) zeigt als gleich-
mäßige Dekoration der Vorderseite — alle übrigen Teile sind glatt — in den
Füllungen gefaltetes Pergament. Freilich nicht mehr in der ursprünglichen
strengen Form, sondern schon mit einer Neigung, dasselbe rollwerkmäßig zu
gestalten. Am Vorderblatt des Truhenkastens sind es sechs senkrecht ge-
stellte rechteckige Füllungen, am unteren Vorderbrett drei wagrechte.
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VON DB. HAN8 STEGMANN.
105
Zu dieser Gruppe gehört weiter eine Truhe wo die Füllung mit gerolltem
Pergament, der schon barocken Formgebung folgend, sich zu einer Art, frei-
lich nicht sehr feiner Cartouche, umgebildet hat. Die Vorder- und Seiten-
teile sind in zwei Geschosse eingeteilt, von denen das obere die Füllungen
quer, das untere dieselben senkrecht zeigt. An der vorderen Zierseite sind
es vier quergestellte, zwischen denen in der Mitte das Schloßblech sitzt, und
fünf vertikale. Die Kufen sind hier nicht eigentlich durchgebildet, an ihre
Stelle treten seitlich, zwei fest mit dem Körper der Truhe verbundene bock-
artige Untersätze von ca. 20 cm Höhe. Auch das Vorderbrett ist verkümmert,
es tritt bloß als schmale profilierte, mit einem gebogten Rand versehene Leiste
in die Erscheinung.
Aus dieser zweiten Gruppe der Kufentruhe ist ein altertümlich aussehen-
des aber nach der Inschrift: »An Gottes Segen Ist Alles Gelegen. Taicke
Vlcken. 1729« ziemlich spät entstandenes Stück weiter hervorzuheben. Es
hat dreiseitigen Deckel wie die oben beschriebenen Bremenser und die Hol-
steiner Truhe, Kufen und Vorderbrett. Die allein gezierte Vorderseite ist
in den Füllungen mit Flachschnitzerei versehen. Und zwar ist die Vorder-
Fig. 78. Schleswig-holsteinische Truhe; 18. Jahrh.
wand durch den Inschriftstreifen in zwei Geschosse geteilt und die ganze Vor-
derwand mit Ausnahme der Unterseite nochmals in einen Rahmen gefaßt.
Im oberen Geschoß sechs liegende Rechtecke mit hübschen Rosetten und
Rauten; im unteren vier annähernd quadratische Füllungen, die äußeren mit
Bogenstellungen mit vegetabilischem Ornament, in den beiden mittleren Roset-
tenwerk. Das Vorderbrett hat durchlaufendes geschnitztes Stabwerk.
In gewissem Sinne könnte man diesen Typus als den Übergang von
der späteren ostfriesischen Truhe zu den schleswig-holsteinischen Prunktruhen
ansehen, nicht bezüglich der bei letzteren ja vorwiegend figürlichen Aus-
schmückung, aber bezüglich des Aufbaues.
Den gewöhnlichen Typus der ostfriesischen Truhe, wie sie durch das
18. und vielleicht auch schon im 17. Jahrhundert üblich war, stellt das auf
Fig. 75 abgebildete Stück aus Neuenburg dar. Die für die meisten nieder-
deutschen Truhen charakteristischen »Kufen«, das unten ausgebogte mehrfach
profilierte Vorderbrett sind ihnen stets eigen. Aber auch die Vorderseite —
MitteilongeD aus dem german. NatioDalmuseom. 1904. 14
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^ ^6 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSBUMS.
die allein gezierte — hat eine stets wiederkehrende Einteilung in vier Felder.
Die Füllungen sind in die eigentliche Truhenwand eingeschnitten, die trennen-
den Rahmenstäbe und die obere umrahmende Leiste mit Zapfen auf derselben
befestigt. Bei !dem abgebildeten Beispiel sind es vier Bogenstellungen , die
Fig. 70. Truhe von der Insel Rrtni, Nordfriesland IT. Jahrh.
in flacher, sehr sorgfältiger Schnitzerei die annähernd quadratischen Füllungs-
felder bedecken. Unter den Bogen muschelförmige Bildungen, in den äußeren
Feldern dann noch geometrisches Ornament; in den inneren die Inschrift:
Grette Levers Anno 1706, wodurch die übliche Bestimmung als Brauttruhe
bestätigt wird.
Von drei anderen dieser in ihrer ganzen Art sehr verwandten Art sind
nur die Vorderwände nebst den Kufenenden und den Vorderbrettem vor-
handen. Überall begegnen wir der Vierteilung der Vorderwand. Eine davon
trägt die Bezeichnung Anno 1711. Bei ihr sind die Felder gleichmäßig mit
einem stilisiertem Bäumchen, dessen Zweige die ganze Fläche füllt, versehen,
in flacher Schnitzerei auf ausgehobenem, nicht geglättetem Grund. Der Grund
ist hier, wie bei den nächsten noch durch eingeschlagene Sternmusterung
belebt. Auf der anderen sind an den beiden äußeren Feldern wieder Bogen-
stellungen, ähnlich wie bei der Neuenburger angebracht, während die inneren
beiden Felder einmal mit verschiedenartigen Rosettenmuster, einmal abwech-
selnd mit Rosetten und Ranken besetzt ist. Die dritte Vorderwand endlich
hat vier gleiche Felder, mit durch ein Flechtband gebildeten Bogenstellungen,
in denen je eine stilisierte Pflanze steht.
Nicht demselben Muster folgt eine andere aus Ostfriesland stammende
Truhe (Fig. 76), die wohl in der Vierteilung der Vorderplatte nicht aber der
Verzierung bäuerlich erscheint, vielmehr die Art der holländischen Schränke
zum Vorbild gehabt zu haben scheint. Das Fußgestell besteht aus vier Paaren
sich senkrecht durchschneidender Bretter mit geschweift ausgesägten Endi-
gungen. Diese Füße sind mit der Truhe fest verbunden. Die Füllungen
haben einen zum Teil aus der Vorderwand ausgeschnittenen, teils aufgesetzten
Rahmen mit einer Fischbeineinlage. Die fünf Rahmenhölzer haben, ebenso
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VON DR. HANS STfEGMANN. 107
wie der Fries unter dem Deckel, flaches Rankenornament über ausgehobenem
Grund als Füllung. Im Fries noch zwei Quadrate mit Einlagen aus hellem
Holz und Fischbein. Auch die Seitenwände sind in je zwei Felder gegliedert.
Von den schleswig-holsteinischen Stücken ist die in der Blink aufge-
stellte große Truhe die bedeutendste. Sie hätte, da sie im Aufbau und der
Behandlung den beiden großen, oben beschriebenen, aus Bremen stammenden
Truhen (s. die Fig. 67) gleicht, mit demselben Recht auch bei den bürgerlichen
Truhen behandelt werden können und verdankt auch sicher einem der bedeu-
tenderen Holsteinischen Schnitzer vom Beginn des 17. Jahrhunderts ihre Ent-
stehung. Bezüglich des Aufbaus der Seitenteile und des Deckels kann auf die
Beschreibung der erwähnten beiden Truhen verwiesen werden. Auch hier
begrenzen das Vorderbrett zwei Hermen mit nicht ausgefüllten (vielleicht ein-
mal bemalten) Wappenschilden. Der obere Fries mit drei Füllungen in lie-
genden Rechtecken entspricht in seiner Ausstattung genau dem unteren Vor-
derbrett bis auf die unten fehlenden Karyatidenhermen zwischen den einzelnen
Feldern. In den einzelnen Füllungen, Köpfe mit schon recht barockem Ranken-
werk, in hohem Relief. Der Hauptfries enthält durch vier Karyatiden ge-
schieden, die für diese Truhenart üblichen fünf Reliefs : Sündenfall, Opferung
Isaaks, Verkündigung, Geburt Christi und Himmelfahrt. Die Arbeit ist derb,
aber recht tüchtig und wirkungsvoll.
Mehr dem späteren ostfriesischen Typus nähert sich eine zweite hol-
steinische Truhe. Denn auch sie hat die Vierteilung der Vorderwand. Aber
ihr fehlen nicht nur die Kufen und das vordere Zwischenbrett ,-^ an ^ deren
Stelle ein niedriger profilierter Sockel ohne Füße tritt, sie zeigt auch in ihrer
Fi^. 80. Niederrheiniscbe Truhe: 16. Jahrh.
ganzen Formgebung ein genaueres Kennen der Architekturformen der Renais-
sance, so stumpf und andeutungsweise dieselben auch nur herauskommen.
Die Bögen der vier an allen Seiten folgerichtig umrahmten Felder stehen auf
kannelierten Pilastern, in den Bogenzwickeln ganz korrekte Blattrosetten.
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108
DIK HOLZMOBKL DES GERMANISCHEN MUSKÜM.s.
Auch der Sockel der Bögen ist folgerichtig gebildet. Unter den Bögen
stehen mit den lateinischen Unterschriften vier allegorische Engelsfiguren der
Tugenden: Fides, Justitia, Fortitudo, dementia. Trotz der durch den Ge-
brauch bedingten, vielleicht aber auch schon ursprünglichen Stumpfheit der
Schnitzerei NTerraten sie gute Vorlagen und eine immerhin geschickte Hand.
Die lateinischen Unterschriften passen allerdings wohl kaum in einen Bauern-
hof; die Truhe ist daher wohl ebensowenig von einem bäuerlichen Schnitzer,
als ursprünglich für bäuerliche Kreise bestimmt (Fig. 77).
Von den Truhen der Halligen haben wir dreierlei Arten zu unterscheiden.
Die ersten beiden mit Schnitzerei. Von diesen haben zwei die Eigenart,
daß die Flachschnitzerei ohne architektonische Teilung die ganze Vorder-
fläche bedeckt. Bei der einen allerdings sind zwei schuppenartig behandelte
Y\g. 81. Niederrheinische Truhe: 17. Jahrh.
Seitenpfosten, Kufen und Vorderbrett, ebenfalls mit Schuppenverzierung, aber
in anderer Art, angedeutet. Das eigentliche Vorderblatt aber hat in der Mitte
ein Kreuz, darin das vielfach verschlungene Monogramm der Besitzer, darunter
die Jahreszahl 1751. Zur Seite je ein Gefäß mit Pflanze. Die Schnitzerei
ist in der eigenartigen saftigen Art durchgeführt, die bei aller Stilisierung
des Pflanzlichen eine genaue Naturbeobachtung verrät und in ihrer Art mit
den langgezogenen breiten Ranken nur auf jenen Nordseeeilanden sich findet.
Auch die charakteristische Bemalung in Gelb, Blau, Grün und Rot ist an
diesem Stücke erhalten.
Wenigstens wahrscheinlich der Westküste von Schleswig-Holstein gehört
auch die andere wegen ihrer geschmackvollen Ausführung im Bilde, Fig. 78
wiedergegebene Truhe an. Als Besonderheit wäre zunächst ihre schwach
pyramidale Form zu nennen. Die ganze Vorderwand ist mit einem aus einer
mittleren kleinen Vase aufsteigenden Rankenwerk in ganz vortrefflicher Zeich-
nung versehen. Unterhalb der Schlüsselöffnung das verschlungene Doppel-
monogramm P. I. H. L. P. Hier haben wir es mit einem von dem herrschen-
den Zeitgeschmack, der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ganz unab-
hängigen, frischen und natürlichen Kunsttrieb zu tun.
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VON DR. HANS STEGMANN.
109
Die interessanteste Truhe des Halligenzimmers die von der Insel Rom in
Nordfriesland stammende (Fig. 79). Die Einteilung der Vorderwand in vier Felder
entspricht derjenigen der ostfriesischen Stücke. Allerdings fehlen die Kufen
und das Vorderbrett, allein der jetzige Zustand bietet keine Gewähr, daß er
¥ig. 82. Westf&Iische Truhe vom^Jahre 1790. Bezeichnet: ^Johann Peter Viertel.**
der einstige ist. Die Art der Schnitzerei, die eigentlich bandartige Behandlung
des Rahmenwerks der Pflanzen in den vier Füllungen und ihren Umrahmungen
hat unstreitig etwas an altnordische Art Erinnerndes. Diese eigentümliche
Stilisierung tat einer gewissen treuen Naturbeobachtung keinen Eintrag, wie
man denn auf der zweiten Füllung von links deutlich eine Fenchelstaude er-
kennen kann. Die Entstehungszeit des eigenartigen Werkes dürfte in das
17. Jahrhundert fallen.
Daß übrigens auf den Halligen die geschnitzte Truhe nicht allein die
herrschende war, beweist ein anderes Exemplar von einfacher Kistenform
mit vorspringendem Deckel. Dieselbe, grün gestrichen, hat an den Ecken und
an der unteren Vorderkante je drei reich geschmiedete senkrechte Eisenbänder.
Ehe wir uns nun den späteren Truhen der Eibmarschen zuwenden,
sei der Weg nochmals nach Westen an den Niederrhein zurückgelenkt.
Wohl ebenso früh, wie die ältesten friesischen Truhen, dürfte ein ab-
weichendes Stück sein, das sich nach seinen Verzierungsmotiven als nieder-
rheinisch ansprechen läßt. Wenn auch nicht datiert, läßt. die stilistische Be-
handlung der gotischen Formen sicher auf eine Anfertigung im 16. Jahr-
hundert schließen (Fig. 80).
Die kräftigen Eckriegel bilden das Gerüst der Truhe, zwischen denen die
Vorder-, Rück- und Seitenwände (Rahmen und Füllung ohne Gehrung) ein-
gespannt sind. Auch der Deckel ist ähnlich behandelt. Die etwas über den
Truhenboden herabreichenden Pfosten bilden zugleich die Füße. Die vier
gleichen Füllungen tragen die eigenartigen achtförmigen Bandverschlingungen
der niederrheinischen Kunst mit Arabesken im mittleren Kreis. Das Blattvvork
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n 0 DIE HOLZMOBBL DBS GERMANISCHEN HUSEUMS.
in den oberen und unteren Halbkreisen ist sauber ausgebohrt. Die bäuer-
liche Provenienz dürfte auch hier etwas zweifelhaft sein.
Jünger, aber nicht ganz leicht zu datieren ist eine weitere Truhe, von
der Fig. 81 eine Vorstellung geben soll. Wahrscheinlich gehört sie der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts an. Im Aufbau, der vierteiligen Vorder-
wand, den vierkantigen, etwas verlängerten Eckstollen schließt sie sich ihrer
Vorgängerin an. Die Dekoration aber ist hier nicht in Schnitzerei, sondern
in reichster Intarsia ausgeführt: Diese Verzierungsweise war in Köln im
16. Jahrhundert heimisch und im weiteren Verlauf werden wir einen freilich
künstlerisch viel höher stehenden Stollenschrank derselben Art zu betrachten
haben. Die Ziermotive der umrahmenden Glieder sind sehr einfach, aber durch
die scharfe Trennung der Holzfarbe doch sehr wirksam. Bei den Arabesken-
füllungen, die übrigens recht flotte Komposition zeigen, hat der Verfertiger sich
die übliche Erleichterung des Wechsels der beiden zum Aussägen bestimmten
Fournierblätter zu Nutze gemacht.
Zwei westfälische Truhen des 18. Jahrhunderts sind schöne und gut ge-
arbeitete Stücke. Den westfälischen späteren Bauerntruhen ist mit einer noch
weiter unten zu erwähnenden oberhessischen die Art des Fußgestells gemein-
sam. Durch eine profilierte Leiste vom Truhenkasten getrennt, verlängert
sich die in der Holzfaser senkrecht laufende Seitenwand zu einem Querbrett,
das einen mittleren geschweiften Einschnitt erhält. Analog ist bei den Vorder-
wänden verfahren (wagrechter Lauf der Holzfaser), nur daß der geschweifte
Ausschnitt hier nur zwei Zwickel an den Ecken bestehen läßt. Die ältere
der beiden Truhen zeigt an der Zierseite, eine durch Zapfen auf dem Grund
befestigtes reiches Kassettenwerk, wie es ebenfalls in Oberhessen gebräuch-
lich war. Dazwischen der Spruch: Ora et Labohra, trotz der bedenklichen
Fig. 88. Niedersftchsische Truhe aus der Altmark; 1769.
Rechtschreibung^ ein für einen Bauern nicht recht wahrscheinlicher Sinn-
spruch. Am Untersatz die weitere Inschrift: Anna Elisabeth Schepers Anno
1730. Die andere einem Johan Peter Viertel zugehörige und Anno 1791
gearbeitete Truhe (S. O. Lauffer, die Bauernstuben des Germ. Museums, Mitt.
1903 S. 39, Fig. 8) hat eine sehr hübsch geschnitzte Vorderwand. Insbesondere
ist das aus einem Doppeladler ausgehende Rankenwerk des durchlaufenden
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VON DR. HANS STEGMANN. 1 1 1
Mittelfrieses und die Ranken am Untersatz so flott und verständnisvoll
behandelt, daß es auch dem Schreiner einer größeren Stadt alle Ehre
machen würde (Fig. 82).
Etwas weiter östlich in das niedersächsische Gebiet führt uns die im
Herrschaftszimmer des Fletts der im niedersächsischen Hause befindlichen
Truhe aus der Diepholzer Gegend. In der Dönse des niedersächsischen Fletts
steht zwar nicht die für die dortige Innendekoration so charakteristische Truhe,
wie sie Baurat Prejawa in seiner Abhandlung über das niedersächsische Bauern-
haus abbildet und beschreibt (Mitt. des Germ. Mus. 1903, S. 148) aber ein
Yig. 84. Truhe aus der Wilstormarsch 1809.
ebenfalls echt bäuerliches Stück (Fig. 83, abgebildet auch bei O. Laufter, Die
Bauernstuben des Germ. Museums, Mitt. des Germ. Mus. 1903, S. 39). Die
unter dem Schlüsselloch mit J. M. L. 1769 bezeichnete Truhe gehört zum
Typus der ostfriesischen Kufentruhe mit vierteiliger Vorderwand und schrägem
Vorderbrett. In den Füllungen hoch herausprofilierte Achtecke. Am Vorder-
brett und den Umrahmungen der Füllungen derbes, aber kräftig wirkendes
stilisiertes Blattwerk und Rosetten. Aus der Truhe spricht wirklich die ur-
wüchsig derbe Art des niedersächsischen Volkstums zu uns.
Den Beschluß der niederdeutschen Bauerntruhen mögen diejenigen aus
den Eibmarschen bilden.
Eine besonders schöne Truhe kann das Museum aus der Wilstermarsch
sein eigen nennen. Fig. 84 gibt dieselbe wieder. Sie weicht von dem
sonstigen niedersächsischem Schema ebenso weit ab, als die Vierländer Braut-
truhe. Der Kasten ist in seiner Vorderseite ganz frei behandelt. Zwei Hoch-
füllungen mit reich gekröpfter Umrahmung, enthalten in ihrer Mitte den jenen
Marschgegenden eigentümlichen, in Bein eingelegten Stern, der auch in den
Zimmervertäfelungen immer wiederkehrt. Außerdem wird die Vorderseite
durch drei pfeilerartige Vorsprünge gegliedert, die zwischen Rocailleornament
und Fruchtzieraten je einen nackten Knaben in hoher Reliefschnitzerei zeigen.
In den Zwickeln der gekröpften Füllungen Blumen werk und Vögel. Im
Fries unter dem schwach gewölbten Deckel der Name des Besitzers Claus
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n2 DIE HOLZMÖBBL DES QERMANISCHEN MUSEUMS.
Abets, unten die Jahreszahl: Anno 1809. Die Schmalseiten sind ähnlich,
wenn auch einfacher behandelt. Auch wenn wir in den gleich folgenden, ähn-
lichen Stücken nicht ein sicher aus Westfriesland stammendes aufzuweisen
hätten, würden wir leicht den holländischen Einfluß erkennen, denselben, der
die überreiche Dekoration der Hamburger (»Schappschränke«) und Danziger
Möbel des 18. Jahrhunderts hervorrief. An einen Hamburger »Schapp«
werden wir sofort erinnert. Es ist, als ob ein Hamburger Schreiner in seinen
alten Tagen aufs Land gezogen und die Kunst einer lang verflossenen Zeit
noch einmal habe aufleben lassen. Nur das naturalistische Beiwerk in den
Zwickeln erzählt von der in den Eibmarschen heraufziehenden Zeit eines
ganz eigenartigen Realismus, der auch in den benachbarten Vierlanden sein
Wesen treibt. Außer den abgebildeten besitzt das Museum noch zwei Truhen,
wenn auch etwas einfacher von demselben Typus. Die eine in einem oberen
Fries der Vorderseite bezeichnet: Gehsche Deahrens zu Zehtel Anno 1786,
stammt also aus Zehtel in Westfriesland, hat zwei reichverkröpfte Füllungen
in rechteckigem Rahmen, schwach entwickelte Seitenkufen und profiliertes
und ausgesägtes Vorderbrett. Die andere steht der abgebildeten noch näher.
Sie steht ohne Füße auf dem Truhenboden auf. Auch hier bilden zwei viel-
fach verkröpfte Kartouchen die Hauptzier der Vorderseite. Dazwischen und
an der Seite zierlich geschnittenes Laubwerk mit Vögeln.
Fi^. 85, MAnnertruhe aus den Vierlandon; 1746.
Mit die interessanteste Gruppe bieten die Vierlande. Hier finden wir
zunächst zwei völlig von einander abweichende, dabei aber immer neben
einander hergehende Formen, nämlich die für die Männer und die Frauen
bestimmten, die jeweils dem Brautpaar mitgegeben wurden. Die Männer-
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VON DR, HANS STKGMANN. ^ 1 3
truhen, von denen das Museum zwei besitzt, gehören dem Typus der Stollen-
truhe an. Ihre Besonderheit besteht in dem rund gewölbten Deckel und der
Schrägrichtung der Wände und Stollen, wodurch der Truhenkasten oben
enger als unten wird. Auch steht der Kasten beträchtlich hoch über dem
Fig. 8Ö. Frauen- (Braut-) Truhe aus den Vierlanden: 1775.
Boden, etwa zwei Fünftel der Gesamthöhe der Truhe, und die tragenden
Stollen sind erheblich breit. Das einfachere und wahrscheinlich ältere Exem-
plar dieser Gattung, dessen Herkunft ausnahmsweise durch keine Bezeichnung
festgestellt wird, hat außer dem großen Schloßblech, das noch Nachklänge
an gotische Bildung zeigt, keinen Schmuck als einen eingeschnittenen, an den
Innenseiten der Vorderstollen und der Unterseite der Vorderwand herumlaufen-
den, schmalen Fries von aneinander gereihten Ringen. Das zweite, reichere
Exemplar (Fig. 85) ist eigentümlich reizvoll durch die Mischung der eigentlich
mittelalterHchen Grundform mit der eigenartigen Vierländer Zierweise des
18. Jahrhunderts, für die das Stück ein früher Beleg ist. Es ist in einem
eingeschnittenen Fries bezeichnet: Peter Timman 1746. In den schmalen,
ausgestochenen Friesen, die senkrecht und wagrecht an den Vorderstollen und
der mittleren Vorderwand sich finden, findet sich ein- oder beiderseitig eine
blattwerkartige Endigung. Im Übrigen beschränkt sich die Einlegearbeit in
dem roh gelassenen Eichenholz auf einfache geometrische, meist sternförmige
Bildungen.
Ganz anders die Frauentruhe (Fig. 86), die der eigentlichen Blütezeit der
Vierländer Schreinerkunst angehört. Nach der Inschrift ist sie für Elisabeth
Schween 1775 gefertigt. Abgesehen von den Kugelfüßen hat sie ganz die
Form des großen Holzkoffers, als welcher sich die Truhe ja auch in primi-
tiver Form in das 19. Jahrhundert hinübergerettet hat. Unser Exemplar ist
von sauberster und sorgfältigster Arbeit und durchweg foumiert. Der ge-
wölbte Deckel, heller Grund mit dunkler Umrahmung, hat in der Mitte ein
Feld, auf dem eine Jardiniere eingelegt ist, in den vier Ecken Rosetten. Die
Verzierungen der Zierseiten, eingelegte Blumenvasen, darunter zwei auf acht-
MitteUunfMi aua dem frermao. Natioiuümuaeum. IWM. 15
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1 1"^ DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
eckigen, mittelst reicher Profilierung über den Grund erhobene Medaillons,
ergeben sich aus der beistehenden Abbildung.
Von Mitteldeutschland sind nur zwei Gaue vertreten, Hessen und Nord-
böhmen, welch' letzteres aber in seinen Möbeln ganz rein süddeut.sches Ge-
präge zeigt.
Recht gut vertreten ist, wie in allen BauernaltÄrtümem, auch in den
Truhen Hessen. Die schönste und wohl auch älteste, der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts angehörige Truhe sehen wir in Fig. 87. Vier Säulen
mit skulptierten Sockeln bilden die dreiteilige Front. Zwischen den Säulen
Bogenstellungen mit barockem Ornament, besonders Mascarons. Die Truhe,
deren Seitenteile eine einfache Bogenstellung auf kannelierten Pfeilern zeigen,
stammt aus Salmshausen in der Schwalm.
Mehr bäuerlichen Charakter zeigt schon eine weitere oberhessische Truhe
(Fig. 88), die vielleicht sogar etwas früher als die vorige ist, aber trotz des
mindest ebenso großen Reichtums der Dekoration nicht so fein in den Ver-
hältnissen wirkt, als die vorige. Die zweiteilige Front ist mit den beliebten
Bogennischen ausgestattet, die etwas schwer wirken. Den größten Raum
nimmt in der Verzierung das Schuppenmotiv ein, am gelungensten erscheinen
die geschnitzten Füllungen mit den Delphinpaaren. Beide Truhen sind aus
Eichenholz.
Einen abweichenden Typus, der immerhin eine Weiterentwicklung der
Zierformen nach dem Zeitgeschmack bedeutet, zeigen zwei oberhessische
Truhen (aus Pohlgöns). Bemerkenswert sind sie auch dadurch, daß der Kern
Fig. 87. Oberhessische Truhe; 17. Jalirh.
aus weichem Holz besteht und die Außenseite in verschiedenen Hölzern
fourniert ist. Die eine, in dem Bauernhaus aus Pohlgöns, trägt die Bezeich-
nung A. K. G. (oder L?) 1818 in Marquetteriearbeit. Die Flächen der Fül-
lungen zeigen ebenfalls Einlegearbeit in verschiedenfarbigen Hölzern, allerdings
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VON DR. HANS STEQMANN. 1 1 5
in sehr mangelhafter Zeichnung und Ausführung. Vorn vier Füllungen, zwei-
mal der St. Georg zu Pferd und eine stehende männliche, wahrscheinlich
Apostelfigur. Von den zwölf kleinen Füllungen auf dem Deckel haben sechs
Blumen und Rankenwerk mit Vögeln. Das Rahmenwerk, das bei den größeren
Füllungen der Vorderseite und des Deckels vielfach verkröpft ist, ist aus
Eichenholz und die Truhe steht ohne Füße auf dem Boden auf.
Fig. 88. Oberhessische Truhe; 17. Jahrh.
Die zweite nach der Bezeichnung A. B. E. H. 1750 etwas ältere Truhe
ist einfacher. Auch hier ist verschiedenfarbiges Holz zu Füll- und Rahmen-
werk verwendet^und das Rahmenwerk durchweg verkröpft (mit sogenannten
Ohren). Aber es fehlt die eingelegte Arbeit und an Stelle der größeren
Füllung tritt eine nochmals hineingesetzte kleinere Füllung mit Rahmen. Die
Einteilung und Zeichnung der verschieden großen Füllungen, vorn sechs, auf
dem Deckel zehn, ist eine recht geschmackvolle und läßt das Möbel als eines
der besten der Bauemkunst des 18. Jahrhunderts erscheinen.
Der in Fig. 87 abgebildeten Truhe steht eine etwas spätere aus Nieder-
hessen nahe. Auch hier eine durch drei Bogenstellungen gebildete Front,
zwischen denen ausgestochen stilisierte Laubwerkfüllungen angebracht sind.
Eigentümlich, daß die Pfeilerprofilierungen als Rahmenwerk unten unter den
Füllungen durchgeführt sind. In den Bogenzwickeln je ein Herz, an den
Seitenteilen einfaches Rahmen- und Füllwerk. Die vier Füße bestehen aus
zwei rechteckig gestellten Brettern mit viertelkreisförmigem Ausschnitt. Unter
dem Dechel der ganz in Eichenholz ausgeführten Truhe ein einfaches
Konsolenfries.
Einen anderen niederhessischen Typus, der fast an denjenigen der
Halligen erinnert, gibt eine Eichenholztruhe wieder. Die Vorderseite ist mit
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1 16 DIE HOI^MÖBEL HKS »KRMANISCHBN MUSEUMS.
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VON DR. HANS Sl'EGMANN.
117
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00
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1 IS DIE HOLZMÖBRL DES QBRMANISCHBN MUsEUMn.
flach geschnittenem Rankenwerk bedeckt, in dem die Anlehnung an den
Rocaillegeschmack und naive und gesunde Naturbeobachtung einen unver-
söhnlichen Kampf führen, obgleich der Schnitzer weder das Eine noch das
Andere ganz verstanden hat. Die Truhe hat einen Untersatz in Gestalt von
Querbrettern und geschweift ausgesägten Ansätzen an der Vorderseite. Auch
darin läßt sich die Verwandtschaft mit den westfälischen Truhen, die ja als
Nachbarn gelten können, ersehen.
Den Beginn der rein süddeutschen Truhen mag diejenige aus dem Thurgau-
zimmer machen (Fig. 89). Man kann sie, wie das ganze Zimmer, das künst-
lerisch wertvollste der ganzen Bauemzimmerreihe des Museums, mit Fug und
Recht als schweizerisch bezeichnen. Wie die Abbildung zeigt, verzichtet sie
auf alle nicht rein schreinerische Dekoration, aber in den durchaus glück-
lichen Verhältnissen ist sie in ihrer Art mustergültig. Bemerkt sei, daß sie,
Fig. 91. Oberbayerische Bauerotruhe aus dem Jahre 1667.
obgleich sicher nicht für die Aufstellung im Zimmer selbst berechnet, in der
Behandlung der Vertäfelung desselben völlig folgt. Die Truhe, wie alle süd-
deutschen Möbel in weichem Holz ausgeführt, ist in der Vorderseite mit Nuß-
baumholz verschalt, ebenso wie alle profilierten Teile aus diesem edleren
Material hergestellt sind. Der Aufbau ergibt sich aus der Abbildung. Bemerkt
sei, daß, wie das ganze Zimmer, auch die aus demselben Hause stammenden
Möbel im Jahre 1666 gearbeitet sein dürften.
Sehr beachtenswert durch die vorzügliche Schnitztechnik ist dann eine
Schweizer Truhe aus dem Wiesbachtal im Kanton Wallis (Fig. 90). Dieselbe
ist ganz in Nußbaumholz gearbeitet, und nicht nur im Material macht sich
die Nähe Italiens bemerkbar. Ob sie noch dem 17. Jahrh. oder schon dem
folgenden angehört, mag unentschieden bleiben. Eine Ausnahme bildet es,
daß die Seitenwände mit demselben Reichtum behandelt, sind wie die Vor-
derseite.
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VON DR. HANS STEGMANN. 119
Von den bemalten Möbeln, über deren Behandlung auf die bezüglich
dieser Art gemachten Bemerkungen bei den Bettstellen verwiesen sei, nimmt
den ersten Rang dem Alter nach die des oberbayerischen Zimmers von 1667
ein (Fig. 91). Dieselbe ist farbig auf Tafel 2 des Werkes von Franz Zell
»Bauernmöbel aus dem bayerischen Hochland« wiedergegeben. Die Schreiner-
arbeit ist wie an allen diesen Möbeln die denkbar einfachste. Die gemalte
Dekoration und der Aufbau folgt dem Typus der tirolischen und ober-
deutschen eingelegten Truhe. Die Ornamentik wirkt bei aller Naivität in den
älteren, besseren Stücken, zu welchen auch unsere Truhe zu zählen ist, sehr
frisch. Die Hauptsache aber ist die kräftige und doch gut abgestimmte
farbige Behandlung. Die Grundtöne sind Blau und Weiß, die abwechselnd
auch als Grund erscheinen. Die umrahmenden Glieder sind rotbraun ge-
strichen, dazwischen kommt sparsam verwendet ein mattes Braun und
Grün vor.
Der oberbayerischen Kistlerarbeit steht die der deutschen österreichischen
Lande am nächsten. Während wir keine bayerische Truhe des 18. Jahr-
hunderts besitzen, ist eine solche aus Dalaas in Tirol vorhanden, die freilich
keine hervorragenden Eigenschaften besitzt. Der Grund ist in grünblauer
Steinfarbe, die Profilierungen und die drei achteckigen Füllungen der Vorder-
seite sind weiß-rot marmoriert. Nebst mehreren Buchstaben findet sich die
Jahreszahl 1786.
Fig. 92. Truhe aus dem Egerland, Nordböhmen ; 19. Jahrh.
Etwas stattlicher schon präsentiert sich eine oberösterreichische Truhe
mit beweglichem, übrigens ganz einfachem Untersatz. Auch sie hat marmo-
rierte Bemalung. In den drei Füllungen des Deckels ist hübsches, spät-
barockes Ornament eingemalt, an den Schmalseiten und an der Vorderseite
sind kolorierte Kupferstiche, fünf an der Zahl, teils aufgerieben, teils ein-
geklebt. Die Verwendung verschiedenartigsten Materials, Veduten, Jagdszenen,
kleinen menschlichen und Tierfiguren, nebst Pflanzen durch und nebenein-
ander, kehrt auch an besseren Stücken des öfteren wieder.
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120 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS. VON DR. HANS STEGMANN.
Die jüngsten der bemalten Truhen sind diejenigen des Egerlandes, die
wohl ziemlich hoch in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hereinreichen.
Bei beiden Truhen ist, wie bei der Mehrzahl der süddeutschen Truhen, der
alten Tradition folgend, der Truhenkasten vom Aufsatz abnehmbar. Freilich
in den dürftigen, wenn auch heutzutage wieder besonders beliebten Formen
der Biedermeierzeit. Der einfache Rahmen steht auf vier schlanken, vierseitigen
Pyramiden. Die Malerei bei diesem Stücke, bei der helles Blau und Rot vor-
wiegt, ist wie bei der Mehrzahl der Egerländer Möbel, von großer, wenn
auch stark handwerklicher Geschicklichkeit. In den Rahmen der Füllungen
an den Schmalseiten und auf dem Deckel sind ganz flüchtig, aber wirksam
Blumengewinde hingemalt. Die beiden Füllungen der Vorderwand haben
außerdem weniger gelungene staffierte Landschaften.
Nordböhmisch ist auch die in Fig. 92 abgebildete Truhe. Der Unter-
satz folgt nach dem alten Renaissanceschema. Die flotte, lustige Blumen-
malerei, die in lebhaften Farben sich von einem blaugrünen Grunde abhebt,
ist auf dem Bild in ihrer Wirkung natürlich nur zu ahnen.
Es ist ein weiter Weg, den wir mit den bäuerlichen Truhen durch eine
Zahl von deutschen Gauen — sämtlich sind sie leider nicht vertreten — zu-
rückgelegt haben. Wie und wie verschieden das Volk fern von Kultur-
zentren die Formen eines Möbels und seine Verzierung auffaßte, ist interessant.
Aber auch wie von Nord nach Süd und umgekehrt kleine Übergänge von
einem Stamm vom andern sich finden lassen, während Fühlen und Geschmack
des Südens und Nordens andererseits von einer unüberbrückbaren Kluft ge-
trennt wird.
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zu H. S. BEHAM. (PAULI 832.)
VON DR. E. W. BREDT.
Der bei Lippmann, Kupferstiche und Holzschnitte III. 41. ganz und bei
Fischer & Franke, das Kupferstichkabinett I. zur Hälfte reproducierte
Beham'sche Holzschnitt muß sich im 16. Jahrhundert ganz besonderer Beliebt-
heit erfreut haben In dem Glocken don'chen Missale (B. 28 gr. 4.) der
Nürnberger Stadtbibliothek finden sich auf Fo. 87 und Fo. 124 größere Teile
daraus kopiert und einzelne Gruppen des figurenreichen und kulturgeschicht-
lich sehr amüsanten Holzschnittes mögen sich da und dort auf Zinnkrügen,
keramischen Gegenständen und Möbeln jener Zeit gewiß nachweisen lassen.
Es sei nun hier darauf hingewiesen, daß das jetzt in der Sakristei der
Ordenskirche zu St. Georgen in Bayreuth befindliche Ölgemälde, das Fr. Hof-
mann in seinem Werke »Bayreuth« (München 1902) publiziert hat ohne auf
den Holzschnitt hinzuweisen, dem Beham'schen Holzschnitte ziemlich genau
folgt. Der rechte Teil des Holzschnittes aber ist in dem Gemälde Nr. 528
des Germanischen Museums immerhin so treu kopiert, daß sich das Vorbild
nicht verkennen läßt. Das Ganze der Landschaft ist deutlich, trotz den
durch die Übersetzung ins Malerische geratenen Abänderungen, wiederzuer-
kennen, auffällig wird aber das Bild für Freunde der »Kleinmeister« durch
die fast ganz getreue Wiedergabe der fidelen Gesellschaft im Kahn, das Paar
auf einem Pferde reitend, das Liebespaar hinterm Busch. Auf andere Ent-
lehnungen braucht hier nicht hingewiesen zu werden. Vorbild und Nachbild
ist sicher. Daß das im Germanischen Museum befindliche Bild, das bisher
der Cranach'schen Schule zugeschrieben wurde, nur die eine Hälfte eines
Bildes darstellt, wäre möglich, und durch diesen Hinweis möchte die Suche
nach der anderen Hälfte des Bildes angeregt werden. Die Komposition, die
hier links mit dem großen Baum, der den Beham'schen Schnitt schon in zwei
Hälften teilt, abschließt, ist allerdings so geändert, daß der kopierende Maler
sehr wohl die Hälfte als ein selbständiges Ganzes betrachtet wissen durfte.
Oder sollte das in Bayreuth befindliche Gemälde Original, der Holzschnitt
und unser Teilbild nur Kopie von Beham und einem unbekannten Maler sein ?
Vielleicht kommt für unser Gemälde J. Glockendon in Betracht, der den
Beham'schen Holzschnitt spätestens 1542 in dem genannten Nürnberger Missale
kopiert hat.
Mitteilunf^Q aus dem german. NaUonalmuseum. 1904. IC
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
kembrandt von Carl Neumann, außerordentl. Professor an der Universität Heidel-
berg. Berlin und Stuttgart. Verlag von W. Spemann. 1902.
Ein Werk wie das Neumann'sche über Rembrandt läßt sich nicht mit wenigen
Zeilen kennzeichnen und würdigen, denn dazu ist es zu subjektiv geschrieben, und der
Inhalt widerspricht sich zu oft. Auch ein Vergleich mit ähnlichen Werken kann nur
negativ zur Kennzeichnung dienen. Mit Justi's Velasquez, oder einem Werke Burckhardt's
läßt es sich nicht vergleichen, und neben Muthers Geschichte der Malerei des 19. Jahr-
hunderts dürfte man es nur stellen , wenn es mehr aus leidenschaftlicher Freude über
eine große malerische Bewegung der Gegenwart — wenn es weniger gewissen Tendenzen
dienen wollte, weniger zur Verherrlichung gewisser malerischer Schwächen unserer Gegen-
wart oder allerjüngsten Vergangenheit geschrieben wäre. Einer kulturellen Tendenz
dient das vorliegende Werk Neumanns ganz offenkundig; daß es aber auch einer male-
rischen Tendenz, die nun allerdings schon etwas hinter uns lie^t, stark huldigt, wird
Jeder, der mit den verschiedenen künstlerischen Richtungen der allerjüngsten Vergangen-
heit und der Gegenwart vertraut ist, häufiger bemerken, als er in einer Darstellung Rem-
brandts erwarten durfte. Durch jene Tendenz wurde das Werk zu einem Kulturdokument
unserer Zeit, durchaus nicht von bleibendem Wert, aber doch von bleibendem Interesse ;
durch die kleinere zu einer mehr journaliören .Xußerung voller Widersprüche und Tages-
meinungen aus Malerateliers so etwa vom letzten Lustrum des alten Jahrhunderts — einem
Lustrum für die Malerei in des Wortes reinigender Bedeutung.
Die große Tendenz, der Neumann mit seinem Buche dient, wird im Vorwort deut-
lich bezeichnet: — »Und es ist nun allerdings unsere Meinung, daß Rembrandt wie
kaum ein anderer ein Lebendiger ist. Nicht als wäre seine Mal- und Ausdrucksweise nach-
zuahmen; sie ist das Zeitliche an seiner Kunst. Was lebendig ist, ist sein Empfinden
und Fühlen. Es ist so lebendig und prägt so sehr Wesen und Sinnesart der nordischen
und deutschen Natur aus, daß man zu sagen wagen darf: Rembrandt ist hierin moderner
als die Modernen. Sein Zusammenhang mit den Wurzeln der Nation ist der tiefere und
echtere. €
»In allen diesen Untersuchungen wird sich eines immer deutlicher herausstellen.
Rembrandt ist nicht nur ein großer Name der Kunst , nicht nur ein Lebendiger in der
Gegenwart, sondern eine werbende Kraft und Macht unserer ganzen zukünftigen Kultur.«
»Man wird in diesem Sinn Rembrandt und Holland im Folgenden der Welt der
»Renaissancekultur« wie eine andere Hemisphäre gegenüber gestellt finden. Um jedem
Mißverständnis vorzubeugen, sei gleich hier bemerkt , daß unter Renaissancekultur jene
Bildungs- und Gedankenwelt zusammengefaßt und verstanden wird , die aus der italie-
nischen hervorwachsend sich in eine kosmopolitische verwandelt hat. Ihre bezeichnen-
den Züge sind Paganismus und Machiavellismus, Aristokratismus und individualistischer
Anarchismus; die Lockmittel ihrer Verführung sind die sogenannte liberale Weltanschauung,
die dem Virtuosentum aller Gebiete, der Kunst und der Politik, des Genußes und der
Ausbeutung , freie Bahn geöffnet hat , die Auszeichnung der sogenannten Vornehmheit
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 123
der Kult und die Oberschätzung der Form, der Sinnenschönheit u. s. w. Die Keime
und Möglichkeiten, zum Teil schon die freie Ausbildung dieser Anschauungen und Ideale
liegen in der italienischen Renaissance.«
Auf welchen Voraussetzungen beruhen nun diese Sätze des Renaissancestürmers ?
Indem Rembrandt modemer als die Modernen hingestellt wird, begeht Neumann den
Fehler so vieler tagesgefälliger Schreiber: mit dem >Geist unserer Zeit« zu operieren als
einem schon ganz fest gefQgten und beschriebenen Begriff. — Was soll aber nach diesem
Schluß, der auf, zum mindesten, unklaren Prämissen beruht, die Binsenwahrheit: »Sein
(Rembrandt's) Zusammenhang mit den Wurzeln der Nation ist der tiefere und echtere«?
Dem nordischen Volke steht natürlich der nordische Künstler immer näher als der Fremde
— das braucht man nicht erst aus dicken Büchern herauszulesen — aber Rembrandts
künstlerischer Größe, die von Neumann meist mit feinem malerischem Verständnis
gezeigt wird, wird das deutsche Volk so wenig nahekommen wie das italienische oder
spanische oder japanische Volk. Der große Künstler ist immer Aristokrat im höchsten
Sinne des Wortes, er, seinerseits mag immer sein Volk recht gut kennen, nahe stehen
können ihm aber immer nur ganz Wenige, die Wenigen können sehr wohl Fremde wie
Volksgleiche sein, wie der Verkehr der hohen Aristokraten immer ein internationaler
war und ist. Durch Werbungen im Volke läßt sich der Großen Ansehen niemals auf die
Dauer erweitern, ihre Größe allein ist die dauernd-werbende Kraft — und diese besitzt
u. E. Rembrandt so gut wie Tizian oder Rubens oder Velasqucz, um neuere Künstler
nicht noch zu nennen.
Deshalb hat Neumann, der filr die Feinheiten eines ganz eminenten Aristokraten,
wie es Rembrandt war, volkstümlich werben zu können glaubt, nicht nur den großen
Fehler so vieler Biographen gemacht, seinen Helden als den Einzigen, den Einzigen fQr
eine künftige Kultur Heilbringenden hinzustellen, sondern Rembrandt und seine Kunst
als eine der Kunst eines anderen der größten Maler geradezu entgegengesetzte darzu-
stellen.
Es mag ja in gleicher Weise bezeichnend sein far die Schwäche der Sterblichen
wie für die Größe der Welt unserer Vorstellung, daß wir so gern Alles, mit dem wir
uns länger beschäftigen, größer und wichtiger ansehen als alles andere, aber es kann
immer nur mehr auf Flüchtigkeit als auf Gründlichkeit der Anschauungen und Studien
beruhen, wenn Einige, dem Geschmackswandel oder dem Geschichtskalender jeweils
entsprechend, mit heller Begeisterung die heterogensten und verschiedenst werten Geister
preisen.
Wie kann nun aber Neumann, der so vorzüglich und tatsächlich besser als die
meisten Kunsthistoriker vor. ihm, das ungemein Wählerische, man darf sagen herzogliche,
in der malerischen Kunst Rembrandts zeigt, wie kann ein Künstlerinterpret wie
Neumann, jene »Renaissancekultur« als eine" der Kunst Rembrandts, als eine der Kultur
nordischer Künstler entgegengesetzte und feindliche hinstellen? —
In jeder Hinsicht war es verfehlt von Neumann, mit Rembrandt gegen jene Renais-
sance anzukämpfen. Denn wie Rembrandt gerade so sehr Repräsentant des künstlerischen
Aristokratismus ist wie irgend einer jener Großen, so sehr ist er »des individualistischen
Anarchismus« »anzuklagen«. Oder hat nicht gerade nach Neumann's Darstellungsver-
suchen Rembrandt die Gesetze anderer Künstler umgestoßen und mit dem vollendeten
Werke neue, nur für ihn selbst gültige Gesetze der Kunstgeschichte diktiert, wie dies
jede wirkliche künstlerische Größe tun wird ? — Der Kampf, der jetzt von anderer Seite
gegen die Form der Renaissance geführt wird, ist berechtigt ; er richtet sich nicht gegen
die Großen, sondern gegen die kleinen geistlosen deutschen Nachahmer in Architektur
und Kunstgewerbe, die ganz und gar nicht den Feingehalt des Großen und der Größen
zu respektieren wußten. Neumanns Kampf gegen die Renaissance hat mit den Imitationen
dieser deutschen Kleingeister des 16. und 19. Jahrhunderts Kritiklosigkeit gemein.
Welcher Künstler welcher Nation hätte nicht dem Kult der Sinnenschönheit ge-
opfert ? Ist Rembrandt, der ein Kunstwerk viel teurer bezahlen wollte als von ihm über-
haupt verlangt, in diesem Sinne einem Künstler des Südens entgegengesetzt? Ist nicht
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124 LITEKAKISCHK BESPRECHUXüEN.
auch Rembrandts Weltanschauung gerade nach Neumanns Forschungen eine liberale zu
nennen — und ist er als Mensch immerhin schon seine eigenen, oft wenigstens im ent-
fernteren Sinne »übermenschlichen« Wege gewandelt — als Künstler ist er ein Reprä-
sentant des Aristokratismus wie irgend ein Maler der zu zerstörenden Renaissance. —
Gerade Rembrandt ist als Mensch der Verführung des Schönen, das ihn gerade reizte,
materiell unterlegen, wie manche Größe der italienischen Renaissance. Neumann hat ja
die Geschichte von Rembrandts gefährlicher Antiquitätenliebhaberei vorzüglich beleuchtet.
Was soll dann nach jener schiefen Charakteristik der »Renaissance«, nach der Versiche-
rung : Hollands alte Kunst habe ihre Weltwirkung noch nicht getan, »da die Flut der Welt-
kultur noch am Ende ihres Jahrhunderts über ihr zusammenschlug«; was soll dann die
pathetische Mahnung: »Talent und Genius sind Gunst und Gnade. Wir müssen darum
beten. Was wir uns selbst geben, und was wir von den alten Holländern lernen können,
ist die Charakterstärke, die der Verführung widersteht und sich bewußt bleibt: »Dies ist
unser, so laßt uns sagen, und so es behauptend
Derartige stark pastoral-rhetorisch klingende Worte sind bei so wenigem Gehalt
besser in Volksversammlungen angebracht als bei der künstlerischen Würdigung und
— Huldigung eines Großen. Wenn und weil Talent und Genius Gunst und Gnade
bedeuten , so war die »Renaissance« zweifellos eine weit begnadetere als Holland. So
muß es nur immer verfehlter erscheinen, und die Worte Neumanns, die einer so »schönen«
Tendenz dienen, wirken immer leerer, je mehr wir ernstlich holländische und italienische
Kultur vergleichen. Wir können, denk ich wenigstens, von den Großen aller Nationen,
von allen großen Künstlern »Charakterstärke, die der Verfuhrung widersteht« lernen,
nicht nur von Holland und Rembrandt. Denn das Sich-selbst-treu-bleiben, seine Art und
Fähigkeiten bis auf die letzten Möglichkeiten auszubilden, »auszuleben« ist ja das, was
den Großen heraushebt aus dem Kreise der Kleineren aller Völker.
In diesem Punkte allerdings wird niemand leugnen können, daß rein malerisch zwar
auch größte italienische Meister Rembrandt unterlegen sein mögen, daß aber doch ein
Vergleich mit dem universalen Genius eines Michel Angelo oder Lionardo, ja selbst Dürers,
in engerem Sinne, mit Rembrandt zu Ungunsten des letzteren ausfallt, insbesondere in Bezug
auf die Modernität und das große Reich der Kunst. Schließlich ist doch auch ein Philosoph
wie Nietzsche wenigstens ein Faktor, den Geist unserer Zeit, also das Moderne, zu
bestimmen. Diese gewaltigen Erfinder und Konstrukteure auf technischem und künst-
lerischen Gebiete, diese gewaltigen Naturen und Charaktere, diese Schiffsbauer, Ingenieure,
Architekten, Bildhauer und Maler in einem künstlerischen Genius vereint, lassen bei aller
Bewunderung fQr Rembrandt's >Lichterfindung« Neumann's tendenziösen Kampf, den er
mit Rembrandt anführt, in vielen einzelnen Punkten und dem ganzen Ziele geradezu
donquichotisch erscheinen.
Als ganze Kultur hat uns die große ifalienische Renaissance doch mehr zu sagen
als Holland und Rembrandt, wir müßten uns denn sehr auf einen gewissen Pfahlbürger-
standpunkt zurückziehen und weit von Goethe entfernen wollen. Neumann widmet ein
großes Kapitel »Rembrandt's malerischer Ansicht und Weltansicht*, und mit Fug und
Recht wird Rembrandt als der Lichtmaler ohnegleichen, als der Lichtftnder gewürdigt.
Aber wie sehr ist Neumann auch hierin seiner Tendenz zu Liebe, mit Rembrandt eine
andere Kultur, andere aber gleichhochstehende — an sich freilich incommensurable
künstlerische Größen — zu verkleinern, auf Abwege geraten. Wenn man die folgenden,
wieder hochpriesterlichen und orientalisch-blumenreichen Sätze liest, fühlt man, daß Neu-
mann zu sehr in ein' Licht geschaut hat und nun alle anderen Lichter nicht mehr zu
sehen vermag. Sehen lernen kann man dies allerdings nicht nennen.
»Die sogenannte klassische Kunst der Italiener ruht, was das Sehen anlanj»t, auf der
Konvention der fixierten Einzelerscheinung. Mehrere Einzelwesen sieht sie nicht zu-
sammen, sondern stellt sie zusammen, indem sie sie durch Linie und Gesamtumriß der
Komposition verbindet, jeder aber ihre selbständige Bedeutung lassend und die Tiefen-
vorstellung des Raumes durch mannigfache Kunstmittel suggerierend. Gegenüber diesem
Aggregatzustand der Einzelwesen, die nicht zusammen gesehen, sondern nur zusammen
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UTERARIJSCHE BESPRECHUNGEN. 125
vorgestellt sind, gegen diese plastisch-zeichnerische Gewöhnung erhob sich Leonardo da
Vinci und überhaupt das malerische Sehen der lombardisch -venezianischen Schule.
Rembrandt aber ging in dieser Richtung nicht etwa einen Schritt weiter ; er gab vielmehr
etwas anderes. Er brachte nicht nur eine antiplastische, d. h. malerische Kunst, sondern
auch eine antiindividuelle, eine Kunst des Flüssigmachens des Gestalteten, eine Kunst
des innerlich Durchleuchteten, vor dessen Macht die Form wie Hüllen und Schemen,
wie vorübergehende Bindung und Lösung ihre Irrealität einzugestehen gezwungen wird.<
»Hier ist der Punkt, wo das optische Problem mit einem mal einen ganz anderen
Horizont gewinnt, wo der Renaissance und ihrer an das heidnische erinnernden Ver-
götterung des Menschen eine Auffassung sich entgegenstellt, die von der Endlichkeit und
Bedingtheit des Menschlichen durchdrungen, die Individuation wie einen Schein empfindet,
wie ein Licht, das aufblitzt und im Dunkel erlischt. Plötzlich scheidet sich Kunst der
Vergangenheit und Kunst der Zukunft.«
»Rembrandt's Kunst wendet sich von dem Surrogat einer Wirklichkeit ab, die nur
Individuen kennt; sie löst die Bande dieser Zellenhaft; sie glaubt nicht mehr an die
Unbedingtheit körperlicher Leistung und an die Selbstverständlichkeit des Lichts, das
dieser Körperwelt angehört. Den Trugschluß durchschaut er, den Mephistopheles in die
Worte gekleidet hat, daß das Licht verhaftet an den Körpern klebe.«
»Diesem physikalischen und materiellen Licht der Erscheinungswelt setzt er sein
Licht — daß man so sage: als metaphysisches Prinzip entgegen. Sein Licht ist eine
irrationell göttliche Macht, welches mit dem Dunkel ringt, das alle Wesen bedeckt. Sein
Licht ist etwas zauberisch-übernatürliches, das die gemeine, dunkle Wirklichkeit durch-
bricht. Sein Licht ist Magie und sein Strahl in Rembrandt's Hand der Zauberstab, mit
dem er die Dinge wandelt und zum Dasein beruft. Das Fiat Lux ist der Schlüssel und
das Zentral-Machtwort der Schöpfung ; es ist für ihn der Logos, von dem es im Johannes-
evangelium heißt, er sei am Anfang gewesen und alle Dinge seien durch ihn gemacht
und ohne ihn sei nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben und das
Leben war das Licht.«
»Vom Standpunkt der italienischen Kunst aus kann Rembrandt nicht verstanden
werden. Auf ihrem Boden ist der Akademismus mit seiner Aesthetik erwachsen, seiner
Fata Morgana der Schönheit, seiner Lehre von der Koordination der Ausdrucksmittel,
die in gewissen Dosen gemischt werden, um das korrekte Kunstwerk zu erzielen. Von
hier aus wäre Rembrandt nicht anders als die Venezianer zu beurteilen, eine Kunst-
richtung, die einseitig ein einzelnes Ausdrucksmittel, Farbe oder Helldunkel, gepflegt und
ausgebildet hat, im übrigen aber auf demselben Boden der Wiedergabe der Körperwelt,
der Gestalt, steht. Wenn wir Rembrandt's Licht als ein metaphysisches Prinzip bezeichnet
haben, so ist sein Helldunkel der mystische Prozeß der Fleischwerdung und Materialisierung
dieses Lichts. Diesen großen Prozeß wird er nicht müde, zu studieren, er ist das große
Problem, der Sinn und Geist seiner ganzen Malerei. Nicht die Individuation, die Körper
und Figuren, die äußere Scheinwelt, die das Thema der italienischen Kunst ist, sucht er
wiederzugeben, sondern was er yon dem Nichtsinnlichen, dem wirklich Wirklichen ahnt,
welches nicht in tausend und abertausend Egoismen parzelliert, sondern ein Allverpflichteter
und Allabhängiger ist. Indem Rembrandt's Kunst die Seele sucht und die verhüllende
körperliche Form durchbricht und zerbricht, bezeichnet sie kein Grenzgebiet der bildenden
Kunst, bereit etwa, Gebietsteile zu besetzen, die der Musik gehörten und nach der seltsamen
Lehre von der Hegemonie der Musik ausschließlich mit den Mitteln dieser Kunst beherrscht
werden könnten. Vielmehr ist Rembrandt an sich selbst Beweis und hat dargetan, daß
in der allgemeinen Bewegung der Künste ein gemeinsames Ziel zum Weltlichen und Nicht-
sinnlichen hinweist, wofQr das Sichtbare und Hörbare nur ein Zeichen ist. Seine Kunst
hat auf legitime Weise den Machtbereich der bildenden Kunst überhaupt erweitert
und hat aus eigenen Mitteln in der Darstellung des Seelischen und Empfundenen
ihr Tiefstes und Mächtigstes gegeben.«
»Die .Kunstauffassung Rembrandt's ist zugleich eine Weltauffassung. Aus dem
Gesagten wird indessen niemand entnehmen wollen, daß wir ihn für einen Philosophen
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126
LITERARISCHE BBSPREGHUNQEN.
halten. Wir sind von seiner* Art des Sehens ausgegangen und haben an der Hand seiner
Kunst den Ansatz eines Versuches zur Kritik des »reinen« Sehens gegeben ; . . . «
Ich habe hier mehrere Absätze aus Neumann 's Rembrandt wiedergegeben, die den
Kern der Auffassung und die Darstellungsweise Neumann 's recht eigentlich kennzeichnen.
Ob diese Sätze das reine »Sehen« wohl einem beibringen können > Wer sie schnell über-
liest, muß sich doch an den sprichwörtlichen Lärm einer Judenschule erinnern müssen —
und wer Satz für Satz das Ganze prüft, wird nicht umhin können, Neumann in soviel
Punkten zu korrigieren, wie in dem Rahmen dieser Besprechung gar nicht möglich ist.
Hier mögen in genauer Reihenfolge nur einzelne Kragen zur Korrektur der von Neumann
aufgetischten Dicta anregen. Beruht etwa Tizian 's Kunst, was das Sehen anlangt, auf der
Konvention der fixierten Einzelerscheinung? Hat Tizian oder Giorgione wirklich die
Einzelwesen nur zusammengestellt, nicht zusammen gesehen ? Ist denn wirklich nicht ein
sehr enger Zusammenhang zwischen venetianischer und niederländischer Kunst vorhanden }
Es ist doch wohl nur eine von vielen Spitzfindigkeiten Neumanns — um ein mildes Wort
solchen Dokumenten selbstgefälliger Darstellung gegenüber zu gebrauchen — zu sagen,
> Rembrandt ging nicht in der Richtung des malerischen Sehens weiter, sondern er gab
ein neues, eine antiplastische Kunst.« Eine bildende Kunst, die das Antiplastische will,
die antiplastisch schafft, wird uns wohl kaum die vom Verfasser angekündigte »Kritik
des reinen Sehens« zu erklären vermögen. Überdies von dieser Zukunftskunst, zu deren
Begründer der sehr materiell denkende und so durchaus plastisch sehende Rembrandt
am allerwenigsten sich hätte machen lassen, und die Neumann wohl noch einmal gründlicher
mit Worten des neuen Testamentes erklären wird, von dieser Zukunftskunst zu sagen,
sie stelle sich der Renaissance und ihrer an das heidnische erinnernden Vergötte-
rung des Menschen entgegen, denn diese Kunst empfinde die Individuation nur wie
einen Schein, dieser ganze Versuch, einen eminenten Maler, der eben Maler und sonst
nichts sein wollte, in ein religions-philosophisches System zu zwängen, das sich etwa mit
dem neuen Testament deckt, hat sehr viel Ähnlichkeit mit einem Taschenspielerkunst-
stück, das allerdings nur sehr geübte nachmachen können. Neumanns Worte wirken
zweifellos blendend — sie verderben die Augen und nichts kann die Augen besser
hievon kurieren als eine Betrachtung der Rembrandt 's in Berlin, in Cassel oder Amsterdam.
Der Maler, der so gern sein feistes Ich, seine Saskia gemalt, dieser grandiose
Mark- und Blutmaler hat an allen Dingen und Menschen, die ihm malerisch erschienen,
eine solche Freude gehabt, die entschieden nirgends der Oberzeugung Ausdruck gibt
von der Endlichkeit und Bedingtheit des Menschlichen. Er beleuchtet so wählerisch und
so eigen das, was er malen oder radieren will, wie irgend ein anderer großer Maler jen-
seits oder diesseits der Alpen oder der Pyrenäen. Nachzumachen vermags ihm Keiner;
aber trotz allem: sein Licht ist nicht ein metaphysisches Prinzip und auch symbolisch
ist sein Licht nicht aufzufassen, etwa im Sinne der allerchristlichsten Demut. — Neumann
hat uns mit großem Geschick in seinem Buche Rembrandt gerade als einen ganz besonders
malerischfreudigen Mann geschildert. Es ist doch seltsam, in den hier zitierten Sätzen
(S. 168 — 171) Rembrandts Kunst fast so dargestellt zu finden, als ob es sich um ein
neues Evangelium, jedenfalls um einen neuen Apostel handelte — dann (S. 174) zu lesen:
>Was hatte doch Saskia für einen Mann, der auf dem Felde weiblicher Putzsucht fast
noch mehr Frau war als sie selbst! Der in Toilettesachen der wählerischste und schwerst
zu befriedigende war, der besser als jede Modistin Hüte zu erfinden und zu garnieren
und mit Federn zu putzen wußte — ... der denn auch für sich selbst die Mittel der
Gefallsucht nicht sparte, Barette in allen Formen, runde und mützenartige und geschlitzte
erfand . . . und der, nach dem Zeugnis eines Schülers, sich ein bis zwei Tage damit
aufhalten und beschäftigen konnte, einen Turban nach seinem Geschmack aufzusetzen.«
Rembrandt war immer eine ganze und große Malerseele und es heißt nur sich an seinem
einzigartigen malerischen Können nicht begnügen können, wenn man gerade ihm alle
möglichen religiösen Tendenzen zugeheimnisssen will, wie Neumann dies überall tut.
Moralische Tendenzen werden doch sonst nur von kleinen, aber wichtig sich geberdenden
Schulmeistern den großen schöpferischen Geistern, den Künstlern, untergeschoben. Was
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
127
aber bei Neumann noch viel unangenehmer wirkt, ist die nur durch den Wortschwall
leicht übersehbare Unconsequenz in der tendenziösen Verwertung eines Künstlers: Man
stelle doch neben den hier zitierten Satz : »Nicht die Individuation, die äußere Scheinwelt,
die das Thema der italienischen Kunst ist, sucht er wiederzugeben, sondern was er von
dem Nichtsinnlichen ahnt, welches nicht in tausend und abertausend Egoismen par-
zelliert . . . c -— Sätze aus anderen Kapiteln, die Rembrandt und seine Kunst vortreff-
lich kennzeichnen >Der stoffliche Zauber schönen Frauenhaars hat Rembrandt oft be-
schäftigt«. »Selbst in Kompositionen, bei denen man Rembrandt ganz im dramatischen
Affekt gefangen glauben sollte, einer Opferung Isaaks, einer Kreuzabnahme, vergißt er
sein Interesse für Stoffe und Kleider nicht.« »Rembrandt hatte alle Zeit eine kindlich-
barbarische Freude am Glänzenden und Glühenden.« »Amsterdam war der Ort, das Auge
an diesen Dingen zu weiden; in der reichen Handelsstadt war derselbe »Juweliergeist«
den Burkhardt an Venedig mit unnützem Tadel erkennt.« (!)
Neumanns Tadel der italienischen Maler, die nur konsequent und — um im Sinne
des Moralisten Neumann zu sagen — charaktervoll zu der Art von Malerei kamen, die
eine trockenere Atmosphäre als die Venedigs oder der Niederlande den Künstlern wies,
ist gewiß unnütz wie alles, was unwichtig ist. — Es fehlt in Neumanns dickem Buche
jedenfalls ein sehr wichtiges und großes Kapitel, das über die große Verschiedenheit der
gegebenen Faktoren, der italienischen und der niederländischen Malerei handelt. Hier
wäre — vorausgesetzt, daß ein Renegat in künstlerischen Dingen, wie Neumann, zu
solcher Einsicht f^ig — an der Hand unzähliger Beispiele darzutun gewesen, wie die
Malerei immer in den Landschaften einer trockeneren, wasserarmen Lult auch kompo-
sitioneil strenger, ruhiger wurde — wie gesetzmäßig und »charaktervoll« es von der
Kunst war bei wasserreichem Luftgehalt — wie in Venedig und den Niederlanden, nicht
nur weicher in der Farbe, überhaupt mehr farbig und flächig statt zeichnerisch zu
werden — wie hier die strenge, einzelfigurige Komposition gelöst wurde — während in
der Malerei bei meist trockener Luft die Kunst der Zeichnung das Glänzendste leistete
und die Komposition strenger wurde und das Auge mehr am Einzelnen als am Ganzen
Interesse finden konnte und mußte. Die weichere Luft weckt immer das malerische, die
härtere das zeichnerische Empfinden und Können. Dürer, und sein Aufenthalt in Venedig
ist für die deutsche Kunst ein Beispiel für beide Erscheinungen — wie denn Barbizon
und Dachau und Worpswede nicht willkürlich gewählt, nicht zufällig eine mehr malerische
als zeichnerische Malerei, eine freiere Komposition von den Künstlern dieser Niederungen
erstrebt und erreicht wurde.
Aber wie nun die kurzsichtige Tageskritik häufig genug, in der Zeit, da Neumann
etwa sein Rembrandtbuch schrieb, den Fehler beging eben nur Koloristcn ä la Schott-
land oder Barbizon für große Maler auszuschreien, so sieht nun Neumann in Rembrandts
Land und Kunst, die freilich der italienischen Renaissance entgegengesetzt sein muß,
allein Wahrheit und Naturalismus und Charakter. Das ist ein Fehler des Tendenz-
schreibers und Inkonsequenz eines moralistischen Kunsthistorikers.
Sinnenfreude und Freude an der Schönheit der irdischen Erscheinungen sind den
Künstlern aller Länder eigen — coelum non animam mutant qui trans mare currunt —
das gilt von den Künstlern. Konsequenz der Entwicklung und Charakter — aber dies
auch nur im künstlerischen Sinne — gibt Künstlergröße. Als die Niederländer die Dinge
so sehen und malen wollten, wie die Italiener, wurden sie zu Akademikern, weil in
Holland die Luftvoraussetzungen für jene kältere, ruhigere Malerei fehlten. Gerade so
ist anderwärts die Niederländerei »Konventionalismus, Akademismus« mit Recht genannt
worden. Die »Schönheit« allein hat keinen verführt, aber ihrem Zauber sind alle Großen
gefolgt, Rembrandt's Vorliebe für äußerst wählerische Inszenierung und Dekoration be-
zeichnet ein Wesentliches seiner Kunst. Dieser Hinweis ist in der Kritik des Neumann-
schen Buches nicht überflüssig. Die größere Tendenz wendet sich gegen die »Schön-
heit« der »Renaissance« — die kleinere und sehr ephemere Tendenz des Buches will
aber nachdrücklich die Malerei des Häßlichen als charaktervoller hinstellen als die Malerei
des Schönen.« Ober diese Streitfrage selbst sei hier nichts gesagt, aber wie kann ein
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UTERAKISCHE BESPRKCHUNGEN.
Maler wie Rembrandt, der nach Neumanns eigenem Urteil — und wie viele Stellen aus
seinem Buche wären hier zu zitieren — eine solche Freude an köstlichem Kunst- und
Flitterkram, an Sonne und Licht gehabt, als Künstler geflißentlich hinzustellen versucht
werden, der das Häßliche mehr als das Schöne gesucht und gemalt habe. — Gewiß hat
dieser derbe, von gesunder Sinnlichkeit leuchtende Kerl nicht in allen Dingen einen
solchen Geschmack besessen, daß er etwa ein Maler einer eleganten und vornehmen
Welt, einer Welt deren Augen entwöhnt von Schmutz und allem Häßlichen und Nied-
rigen, hätte werden können. Grazie, Anmut und Eleganz war nicht seine Aufgabe.
Aber immer war er schönheitswählerisch in seinem Sinne und ich sehe, mit wenigen Aus-
nahmen im Werke Rembrandts, keinen Grund, kein Material, Rembrandt der Häßlichkeits-
sucherei wegen anzuklagen, zu verteidigen oder zu rühmen. Sieht Neumann etwa in
Rembrandt deshalb einen Häßlichkeitssucher, weil er gern Alte gemalt hat? Dann könnte
man seine Anschauung gelten lassen — aber S. 437 stellt er es für verkehrt hin : Alter und
Häßlichkeit filr gleichbedeutend zu halten. Wenn Neumann die Renaissance anklagt, daß
sie das »Schöne« zu sehr gemalt, daß sie zu sehr zusammengestellt und gewählt habe —
so muß man ihn an die große Zahl von Fällen erinnern, wo er teils mit anderen Kunst-
kritikern, teils als erster Rembrandt nachweist, wie gern er nur aus Freude am schönen
Stofflichen etwa einen beturbanten farbenprächtigen Türken neben den Leichnam Christi
stellt, wie gern er die Menschen, wie reich, wie prächtig er sie, d. h. doch wohl auch
schön, maskiert, ja wie sehr er — ganz im Gegensatz zu gewissen sehr verspäteten
deutschen Nachahmern Manets, die Natur korrigiert, wie er des Tages und der Nacht
Licht gleichzeitig auf Bildern zu kombinieren weiß, um eben mit allen Mitteln die bild-
liche Schönheit zu erreichen, die ihm vorgeschwebt. — Rembrandt war im besten
malerischen, nicht im historisch-akademischen Sinne ein Eklektiker, er insceniert und
komponiert mit einer Schärfe der malerischen Überlegung so wählerisch wie nur irgend
ein Großer.
Wie völlig befangen Neumann durch seine moralästhetischen Tendenzen geworden
(sein Buch strotzt insgeheim von der üblichen Nutzanwendung »il faut donc« !) mögen nur
wenige Zitate, die sich gleichzeitig auffallend widersprechen, beweisen.
Gelegentlich bekommen die Italiener einen Hieb ab, weil sie, um ein recht schönes
Haar malerisch bedeutend zu behandeln, so gern büßende Magdalenen gemalt. Rem-
brandt wird durch Neumann von solchen Malern, die eben ihr Verlangen nach Farbe
durch die Wahl eines solchen Themas nur dokumentieren, weit abgerückt; geschickt
geschieht dies freilich nicht. Oder sind die beiden wirklich noch sehr getrennt, wenn
es S. 179 heißt: »Für Rembrandt 's Experimente waren die »toten« Dinge die geeignet-
sten Körper. Wie wahr dies ist, kann man den zahlreichen Fällen dieser Jahre ent-
nehmen, wo das Figürliche fast nur Vorwand und Konzession an das Publikum ist; was
den Maler interessierte, waren Nebendinge, Kostüme, Wappen und Geräte mit ihrer
eigentümlichen Ton- und Lichtbildung. So daß es lohnend wäre, die ganze Schöpfung
dieser Periode auf ihren Stillebencharakter hin durchzugehen, wobei man unter Stilleben
alle die Kompositionen verstehen würde, bei denen die Bedeutung des Gegenständlichen
und der in Worten ausdrückbare Inhalt, der Stoff der Darstellung vor den formalen
Problemen und Interessen des Künstlers zurücktritt oder verschwindet.« Also ganz wie
so viele böse Italiener! Neumann kommt seiner Tendenzen wegen immer wieder in
Sackgassen. Hier — besonders för die Epoche seines Lebens, in der er, wie Neumann
etwa sagt, seine Sprache fand, — hat also das formale Problem, ein Kennzeichen der
durch Neumann nun antiquierten »Renaissance«, alles andere zurückgedrängt.
Noch humoristischer wirken die Widersprüche Neumann's über Rembrandt's Natu-
ralismus und seinen Kult des Häßlichen. Da Neumann selbst die Widersprüche empfindet,
schlägt er sich mit Begriffen, mit Klassifikationen die einem alten Schematiker alle Ehre
machen würden (S. 185). »Der Naturalismus hat als Begleiterscheinung die Häßlichkeit.«
Da nun N. uns beweisen will, daß Rembrandt den Kult des Häßlichen verehrt habe, darf
sein moralischer Held doch auch nichts »unnatürlich« gemalt haben. Die oben zitierten
Stellen widersprechen ja zwar schon genügend dieser Fiktion N.'s, aber auf einige be-
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 129
sondere Tendenzstückchen des kunsthistorischen Don Quijote muß doch hingewiesen
werden. — >Rembrandt hat Gestalten im Gefängnis, in dunkelen Höhlen, in gewölbten
dunkelen Räumen gemalt, aber so wie er war, mußten ihm Beschränkungen dieser Art
lästig sein. Er verdunkelte die Gründe und machte Nacht, einerlei ob die Szene im
Binnenraum oder im Freien, bei Tag oder im Dunkel spielte.« Hiezu gehört dann der
rechtfertigende Satz: >Die Stimmungen und Beleuchtungsarten der Alten mögen nicht
der häufigsten und gewöhnlichen Lichtverteilung und Farbeneigenschaft der umgebenden
Wirklichkeit entsprechen ; unnaturlich kann man sie darum nicht schelten.« — Wäre
eine solche Verteidigung überhaupt nötig, wenn N. nicht immer mit Klassifikationen
operierte, in die große Künstler überhaupt niemals sich hineinzwängen lassen, und durch
die das Verständnis für den Künstler ganz gewiß nicht erleichtert oder erweitert wird.
Rembrandt's Größe schadet es nichts, ob er > unnatürlich« oder > natürlich t malte — aber
sehr schadet ein Biograph sich und seiner Darstellung, wenn er den großen Gesichts-
kreis verlassend, sich in tendenziösen Nebenzwecken verliert.
Neumann treibt das Ausschlachten Rembrandt's für seine Tendenz so weit, daß
man oft meint, er hätte eine zweite Ausgabe von »Rembrandt als Erzieher — von einem
Moraltheologen« schreiben wollen. Was soll da sein Losschlagen gegen ein kunstgeschicht-
liches >Latein« — wo doch, wenn sein Werk Nachahmer finden sollte von >Kunstlatein«
gerade so gedacht würde wie von >Küchen-« oder »Jägerlatein«. Es ist sehr bedenk-
lich, einem Künstler — zu dessen Verehrung aJs Künstler man beitragen will — allerlei
moralische oder religiöse Motive nicht etwa nur zu unterschieben, sondern ihn eben wegen
der gedachten religiösen Motive über die anderen Großen zu stellen. Neumann hat
ein Buch über den »evangelischen« Rembrandt geschrieben, »der Dingen und Menschen
ins Herz sieht und nichts schön findet als ihre Seele, ja der in sich die evangelische
Vorliebe für die Letzten, die die Ersten sein werden, für die Armen und Bresthaften und
Häßlichen entdeckt und ihnen sein mitleidiges Fühlen öffnet.« (S. 367.) — Da scheint
mir denn doch ein Blick auf die vielen glänzenden Maskeraden , die Rembrandt ganz
gleich auf biblischen und profanen Bildern mit aller Verherrlichung des Flitterglanzes
malt, am Platze zu sein und ich möchte hier auf Mut her s*), wirklich klare und knappe
Porträtzeichnung die er uns von Rembrandt kürzlich gegeben, hinweisen : Muther ist ganz
Kunstseher und, er erfüllt die Aufgabe, die ihm geworden reiner als Neumann, weil er ein
freieres Urteil hat und den Künstler nicht als Popanz für die bösen unfrommen Künstler
und Laien anderer Richtung verwendet. Grade gelegentlich des > Hundertguldenblattes«,
bei dessen Besprechung Neumann zum Missionsprediger wird, sagt Muther das, was uns
bei Betrachtung von Rembrandt's Leben und Werken so nahe liegt: >Einen Geist wie
den Rembrandt's denkt man sich so frei und so groß, daß man es gern sähe, wenn er
statt von Wunderheiligen und hilfloser Impotenz, statt von einem schwachen, bresthaften
Menschengeschlecht, das im Glauben Trost findet, von einem stolzen, starken, das sich
selber zu helfen sucht, berichtet hätte. Denn schließlich war die Renaissance doch vor-
ausgegangen. Der Losbewegung vom Christentum gehörte trotz aller kirchlichen Re-
aktionen die Zukunft. Und da wäre es sehr pikant, wenn der freieste Künstler, den das
17. Jahrhundert gebar, auch auf diesem Gebiete schon der modernste, ein Antichrist, ein
Vorläufer Nietzsche's gewesen wäre. Doch das sind Dinge die nicht hierher
gehören.«
Neumann hätte übrigens nur seine eigene Ermahnung an das Publikum berück-
sichtigen sollen: (S. 529) »Die Beurteilung von Rembrandt's religiöser Kunst nicht irgend-
wie mit der des Menschen Rembrandt bewußt oder unbewußt zu verquicken.« Ob nun
Rembrandt der allerchristlich-demütigste oder der aller-übermenschlich freieste gewesen
wäre, an seinem Lebenswerk, seiner Kunst ändert das nichts. Deßhalb sollte ein Kunst-
historiker niemals mit bald alt-, bald neutestamentlichen, hochklingenden Worten einen
Künstler wie Rembrandt »traktieren,« ihn zu einem »apokalyptischen Künder des großen
*) Rembrandt. Ein KOnstlorleben ron Rieh. Mnther. Mit 90 Abbildungen. Egon Fleische! & Co.
nerlln 1904.
MittdluDflren aus dem german. NationalmuBeom. 1901.
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130
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Tages machen und von ihm sagen: »Aus dunkelen Träumen sich erhebend, hat seine
Kunst in mystischem Sturm den Vorhang gelüftet und geschaut »von Angesicht zu
Angesicht.«« — Wenn Neumann sich einer schlichteren Redeweise bedienen und vor
allen Dingen sich des allzuhäufigen und immer pathetischen Gebrauchs biblischer Worte
— die hier zu rechten Unkrautfloskeln werden — enthalten könnte, so würde seine Dar-
stellung sympathischer wirken. Es macht mindestens den Eindruck des Hinarbeitens auf
sehr äußerlichen Effekt, wenn z. B. Rembrandt gegenüber d^ Wort gebraucht wird : »Im
Anfang war das Licht« während in dem 1896 erschienenen Werkchen Neumann 's: »Der
Kampf um die neue Kunst« ein Kapitel in dem Aufsatze über Anselm Feuerbach — einen
Antipoden Rembrandt's x^^* ^^^XV^ so anfingt: »Feuerbachs Evangelium beginnt: im An-
fang war die Form; sie ist das konstituierende Prinzip seiner Kunst. Vollkommene Form
ist Geist. Geistiger Ausdruck ist an die Form und ihre Bewegung gebunden.« Und wie
sehr kommt Neumann gerade durch diese Sprache in die Sackgasse und Widersprüche!
(Vgl. hierzu S. 367.) Mich erinnert überdies dies Paradieren mit neutestamentlichen
Phrasen an gewisse Leute der Gesellschaft, die fortwährend von feiner und standes-
gemäßer Sitte in ihrer Familie reden, während es gerade Parvenüs oder doch Söhne von
Parvenüs sind.
Es würde zu weit führen, Neumanns »Rembrandt« vorzugsweise mit Citaten er-
schöpfend zu kennzeichnen, aber der Geist des Historikers, der uns dieses Werk gebracht,
kommt doch genug aus den Citaten zu Wort. Und der Geist, aus dem heraus ein solches
Werk geschrieben, ist doch wohl das entscheidende, denn daß ein Werk, das den, das
Ganze der Persönlichkeit umfassenden, Titel »Rembrandt« trägt, auf einer grolSen Fülle
von historischen Studien zur Kirnst und Kultur der ganzen Zeitepoche beruht, ist umso
selbstverständlicher, je größer der Umfang des Werkes. Und dieses Buch Neumanns hat
glücklicherweise , dem Volumen nach , in der kunsthistorischen Literatur kaum seines-
gleichen.
So wird es schwer, das wirklich Gute, das was vorzüglich in diesem Werke ist, aus
allem Tendenzwerk in den historischen Exkursen, aus dem Ballast an Wortschwall, heraus-
zuschälen. Die wichtigsten Thesen, die Neumann seinem Buche voranstellt, daß Rembrandt
für imsere ganze künftige Kultur eine werbende Kraft *und Macht sei, daß die ganze Kultur
der italienischen Renaissance eine für uns wert- und heillose und Rembrandt recht
eigentlich unser Erzieher sei, bleiben offen, jedenfalls ist die Verteidigung unklar geführt.
Oder stellt sich wirklich Neumann »unsere ganze künftige Kultur« so d e m Bilde vergleichbar
vor, das er uns in hochpriesterlicher — aber unkünstlerischer Stimmung von Rembrandt
entwirft? Sollten wir wirklich nach Goethe, Schopenhauer, Nietzsche, einer Kultur
entgegengehen, die das Ich, die Persönlichkeit aufzugeben gedenkt, die nicht das Äußere,
nur mehr das Herz ansehen, sollte sie sich wirklich gegen jede Auszeichnung der Vor-
nehmheit, gegen Sinnenschönheit und eine freiere Weltanschauung erklären r — Wir können
alle den »Geist unserer Zeit« nicht fassen, aber die Erscheinungen unserer Zeit scheinen
auf eine stark jugendliche Regeneration, auf eine freudige Verehrung des kraftvoll
persönlichen, ja des rücksichtslosen aber großen Wirkens und auf eine tiefere Erfassung
der sinnfälligen Schönheit in Gestaltung und Lebensführung hinzudeuten. Wenn unsere
Zeit immer humaner zu handeln sich bemüht, so hat es ganz gew^iß nicht den Anschein,
als ob der Mensch der künftigen Kultur nur aus allerchristlicher Demut heraus schaffen
und wirken wolle, wie Neumann uns von dem kraftvollen, oft rohen, ganz in seiner
eigenen Umgebung und seinen Wünschen aufgehenden Rembrandt vermuten machen
möchte. Doch daß derartige Themata überhaupt in einem Buche, das einem Künstler
gilt, eine so große Rolle spielen, ist entschieden bedauerlich. Besonders schädlich sind
die religiös pathetischen Ergüsse dem Neumann'schen Buche, weil durch sie etwas, was
ganz vorzüglich zu nennen ist, fast erstickt wird, wie überhaupt Neumanns Charakter-
zeichnung Rembrandt's durch ein Zuviel an jeder Klarheit verloren hat.
Weil es so sehr wahrscheinlich, daß das Buch von Vielen wegen des zu Vielen,
was zur künstlerischen Würdigung nicht gehört, enttäuscht weggelegt werden wird, ehe
CS ganz gelesen, sei nun auf den Vorzug des Neumannschen Werkes mit aller herzlichen
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LITBRAfilSCHE BESPRECHUNGEN. 131
Freude hingewiesen. Neumanns Bildkritiken werden den malerischen Qualitäten vor
allen Dingen gerecht. Hierin gibt uns Neumann mehr als seine wissenschaftlichen Vor-
gänger und ich möchte seine Kunst, Bilder nach der malerischen Seite zu betrachten,
machte Schule, denn so beschämend das auch klingen mag, in diesem Punkte geht er
doch den meisten seiner Kollegen um ein gut Stück voran.
Wenn gerade gegenüber der Nachtwache Neumann wieder als der Historiker alten
Stiles auftritt, der da glaubt, seinen Helden bis zuletzt verteidigen zu müssen, so sei das
als eine Annahme bezeichnet. Was Fromentin über die Nachtwache sagt, gefüllt mir
weit besser, und da Neumann sich sonst wohl vertraut mit den Freuden und Leiden der
Bildmaler zeigt, überrascht es mich, daß er die Qual, die unserem Rembrandt diese
»bestellte Arbeit« verursachte, und der er nicht ganz Herr geworden ist, nicht genug
bemerkt. Neumann weist mit Recht auf den Fehler so vieler Werke über Malerei hin :
daß sie die Farbe oft fast ganz und gar zu betrachten versäumen. Daß Neumann
gerade diesen groben Fehler nicht begeht, daß er in das rein Malerische sich besser und
unbefangener als in alles andere vertieft hat, sei ihm besonders und rückhaltslos gedankt.
Er aber dankt dies den vortrefflichen Malern, denn er hat in den Ateliers viel und
gut sehen gelernt und wenn mir manche malerische Äußerung auf den einen oder anderen
unserer namhaften Maler zurückzuführen zu sein scheint, so bedaure ich fast, daß nicht
die Künstler namhaft gemacht worden sind. Dadurch wäre das Werk zu einem Beitrag
zur Geschichte des Geschmackes unserer Zeit geworden und wir wären nicht nur den
beiden Künstlernamen, denen das Werk gewidmet, im Text begegnet. Übrigens über-
rascht der Name Klinger auf dem Widmungsblatt. Was hat mit dem N e u m a n n 'sehen
Rembrandt Klinger geistig gemein?
Leider ist in allem das Buch zu umfangreich geworden. Das vortreffliche, was
der Kunsthistoriker in den Gemäldewürdigungen findet, ist in einer dicken Hülle von
Dingen, die er entweder hier durchaus nicht braucht, oder die er anderwärts selbst zu
finden meist in der Lage ist. Wollte aber Neumann wirklich ein Tendenzbuch in dem
hier mehrfach angedeutetem Sinne schreiben, so ist eben alles Eingehen in das Malerische
und rein Künstlerische überflüssig gewesen — jedenfalls wäre dieser Zweck mit einer
viel weniger umfangreichen Schrift besser erreicht worden.
Auf die Nachwelt sind derartig dicke Bücher nur selten gekommen und es ist zu
fürchten, daß auch aus Neumanns Rembrandt das Vorzügliche , das es auf malerischem
Gebiete bringt, durch allzu großen Ballast in das Meer der Vergessenheit gerissen wird,
che die Kunsthistoriker das Gute, was er uns gebracht, angenommen, geschweige denn
verarbeitet haben werden.
Es bleibt unverständlich, weßhalb dem ohnehin dick angeschwollenem Werke ein
möglichst umfangreiches Äußere zu geben versucht wurde. Liegt es doch nun zu nahe
das Werk mit Klopstocks dickleibigem Messias zu vergleichen. Auch Neumann's Werk
ist schon vielfach gerühmt worden, viele Leser dürfte es trotzdem nicht gefunden haben
— das Durchlesen des ganzen Buches erfordert schon recht viel Zeit und Lust und die
Lust zur Lektüre wird durch solch umfangreiches Buch nicht nur nicht geweckt, sondern
verscheucht.
Es war nicht klug, dem Bande durch ein möglichst starkes Papier, breiteste Ränder
ein möglichst volumniöses Äußere zu geben. Die Mehrzahl der Bilder ist in diesem Werke,
»das gelesen werden will<, völlig überfiüßig , denn abgesehen davon, daß Bode's herr-
liches Rembrandt -Werk immer vorher und nachher zu betrachten sein wird, die Mehr-
zahl der Bilder und Stiche in recht wohlfeilen und handlicheren Ausgaben zu haben ist,
sind die Reproduktionen zum guten Teil recht schlecht und es wäre geschmackvoller
gewesen, wenigstens die Tafeln mit den Autotypien nicht einzuschalten, sondern als
Anhang zu bringen. Denn der buchkünstlerische Eindruck der hier angestrebt wurde
durch Satz und Papier wird gerade hierdurch stark beeinträchtigt, wie andererseits eine
entwickeltere Buchkunst, die unsere wieder mehr auf Sinnenschönheit ausgehende Zeit
anstrebt, wohl auch das Volumen des Werkes zu verringen gewußt hätte.
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132
UTEKAKISCHE HE8PKECUUN<>EN.
So hätte von Autor und Verleger durch wählerische Beschränkung in der Masse
des zu Bietenden Ansehen und Volumen des Werkes verringert werden sollen — dann
hätte das Ansehen des Verfassers vermehrt w*erden können.
Aber wenn es nicht Jedermanns Sache ist, so oder so zu schreiben, so bleibe doch
wie bisher in kunstgeschichtlichen Darstellungen die Phrase verpönt und nie diene die
Charakteristik eines der führenden Geister der Kunst zur Verfechtung von Tendenzen,
die religiösen oder politischen Sekten und Parteiungen überlassen bleiben mögen.
Aber es scheint nun einmal nicht Neumanns Bestreben zu sein, durch Ruhe, Klar-
heit und Prägnanz des Ausdrucks tief zu wirken, er kennt die klassische Einfachheit nicht,
die er nicht nur von den Vertretern der bösen italienischen Renaissance, sondern ebenso
gut von Rembrandt hätte lernen können. Das Dekorative, das Ornamentale spielt bei
ihm die herrschende Rolle, und fremd ist ihm die Kunst des Kinrahmens. Um die ein-
fachsten Vergleiche auszusprechen, braucht er ganze Reihen von termini technici aus der
Physik oder Chemie oder irgend einer anderen Wissenschaft und sobald es irgendwie
angängig, wählt er das auffallende Kleid und die Widerspruch abwehrende Pose eines
mächtigen Vertreters der Kirche. Seiner kunstliterarischen Erscheinung nach ist er nicht
Maecen, sondern ein reicher Sammler. Kr besticht durch blendenden Aufbau nicht
durch vornehme, sparsame Mittel. Sein Haus, das er so gern der Menge zeigt, ist voll
ganz ungleichwertiger Schätze, so daß der Kenner bedauern muß, auch das Beste erst
aus der Masse des Gebotenen heraussuchen zu müssen. Neumann zeigt seine Kunst-
schätze wie ein Parteiführer, der die ganze Gallerie jeweils dem Parteizwecke dienstbar
macht und die Kunst zur dienenden Magd einer Kirche erniedrigt. Ks fehlt durchaus
an der Harmonie, die einen großen Geist kennzeichnet, der freilich nicht um der Menge
Beifall sich kümmern wird. — Wie einsam und wählerisch sind dagegen Burckhardt und
Justi, wie viel und wie vornehm wissen sie alles zu geben. Wie vorteilhaft unterscheidet
sich aber auch Muthers ganz andere Art von der Neumann's. Wir müssen in der deutschen
wissenschaftlichen Literatur einen durchaus künstlerischen Darsteller wie Muther freudig
begrüßen , zumal er seinen subjektiven Standpunkt betont , ohne sich in Widersprüche
und unkünstlerische Tendenzen zu verlieren. So ist Muther's Rembrandt dem Neumann 's
weit überlegen. Bisher wurde die Art, wie Neumann Kunstgeschichte gibt, den Journalisten
vorgeworfen, die doch bei anderer Aufgabe sich anderer Mittel bedienen dürfen als
Fernhinwirkende. Möchte diese Art Kunstgeschichte zu schreiben nicht Nachahmung und
Freunde finden, denn wer bei jeder Gelegenheit ein auffallend buntes Mäntelchen sich
umhängt, der muß sich wohl zu oft nach dem Winde richten. E. W. Bredt.
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LITERARISCHE NOTIZEN.
Meyer's grosses Konversations-Lexikon. Sechste gänzlich neubearbeitete und
vermehrte Auflage. Bd. I -VI. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut 1902.
Dem Bedürfnis nach rascher und möglichst gründlicher Orientierung in allen Wissens-
gebieten kommt das Meyer'sche Konversationslexikon mit jeder Auflage besser entgegen.
Allen möglichen Berufskreisen die verschiedensten Gebiete des Wissens wenigstens über-
sichtlich zu machen, diesem sehr schwer erreichbaren Ziel, das sehr klare d. h. sehr rare
Köpfe als Mitarbeiter voraussetzt und für Abbildungsmaterial, graphische und tabellarische
Darstellungen viel Mittel verschlingt, ist Meyers großes Konversationslexikon denkbar
nahe. Ja ich halte den Titel Konversationslexikon bald für ein solches Werk für zu ge-
ring und tatsächlich für ominös. Oder ist wirklich ein solches Werk da, um uns daraus
zur »Konversation« allerlei schöne Worte und bunte Federn zu holen? So etwa ein ins
ernsthafte übersetzte Werk wie »Detmolds Anleitung zur Kunstkennerschaft« ? — Kürz-
lich ist, m. W.. in Paris ein recht amüsantes Konversationslexikon erschienen, das so
etwa alle Begriffe der eleganteren Welt der modernen Gesellschaft, erklärt, also mit
ganzem Recht den Namen Konversationslexikon verdient. Leider zeigt aber die Erfahrung,
daß unsere vortrefflichen Konversationslexika nicht oft genug benutzt werden.
Mehr gewiß noch als andere Museen empfängt das Direktorium des Germanischen
Museums tagtäglich aus den verschiedensten Kreisen des Volkes Anfragen, Fragen um
Rat und Auskunft in allen möglichen Sachen der Altertumskunde, der Kunstgeschichte,
der Technik der verschiedenen Künste. Drei Viertel dieser Anfragen wären überflüssig,
wenn zuvor Meyers Konversationslexikon gebraucht worden wäre. Und der Museums-
mann selbst, von dem eine Kenntnis der Geschichte und der Denkmäler von der grauesten
Vorzeit bis zu unserer Zeit erwartet wird, findet häufig genug wenigstens eine erste Aus-
kunft auf einem ihm ferner liegenden Gebiete in Meyers Lexikon.
Aus allen Berufskreisen kommen Leute, die irgend ein »Altertum« anbieten oder
über dessen Zeit und Zweck etwas wissen wollen und worüber sie selbst die unglaub-
lichsten Vermutungen aussprechen. In wie vielen Fällen, in denen es sich z. B. um
ein ornamentiertes Stück handelt, könnte der meist etwas eingebildete Besitzer sich un-
gefähr über die Zeit orientieren, wenn er den Artikel und die dazu gehörige Tafel
»Ornamente« sich anschauen würde. Es hat Einer eine etwas verbrauchte Silbermünze
auf der er aber den Herrschernamen und das Wappen ganz deutlich, die Jahrzahl nicht
mehr lesen kann, gefunden. Anstatt nun im Lexikon unter dem betreffenden Namen
und Wappen nachzusehen , wodurch der Besitzer finden würde , daß es sich um eine
Münze des frühen 19. Jahrhunderts handeln kann, ist ihm die als 3 gelesene 8 der Jahres-
zahl vorläufiger Beweis, eine Münze des 14. Jahrhunderts in der Hand zu haben. Auch
bei Bronzefunden würden selbst ganz unkundige Besitzer durch einen Vergleich mit den
entsprechenden vorzüglichen Abbildungen im »Großen Meyer< sich immerhin vorläufig
orientieren. Freilich diese beiden Beispiele, denen aus der Museumspraxis, die übrigens uns
in allen Kreisen eine merkwürdige Überschätzung alles Alten kennen lernen macht, viele
andere hinzugefügt werden müßten, um die oft nicht geahnte Nutzbarkeit des Meyer-
schen Lexikons zu illustrieren, sollen auch auf einen kleinen Mangel des neuesten Meyer-
schen Lexikon aufmerksam machen.
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134 •LITERARISCHK NOTIZEN.
Es wäre sehr ratsam, wenn in der künftigen Auflage von Meyers Lexikon die vielen
Textillustrationen, die die Arten und Abarten einer bestimmten Gattung von Gegenständen,
z. B. Gläser, Gewebe, Pokale, Stoß- und Schuß- Waffen, Kopfbedeckungen, Fußbekleidungen
etc. etc. zeigen noch einmal auf je einer Tafel — sie braucht kein Tafel- sondern nur
Textpapier — vereint gezeigt würden. Das widerspricht zwar der geistigen Höhe der
Encyclopädie , die Leute eines gewissen Fonds auch von historischen Kenntnissen vor-
aussetzt, aber sehr wohl könnte auch in solchem Werke diesem Bedürfnis nach Kenntnis
gedient werden. Der Museumsmann bekommt oft genug erklärlicher Weise aus den ge-
bildetsten wie aus den der Volksschule ];iervorgegangenen Kreisen die Frage vorgelegt, wie
heißt diese Art von Pokal, diese Art von Dolch, diese Hutform. Viel öfter kommen diese
Fragen an uns als solche nach der Erklärung eines Begriffs wie »Doppelbecher«, »Aida«.
»Eierstab«, »Espingole«, »Münzbecher« etc. etc. Diese Artikel selbst im Lexikon sind
gewnß sehr am Platze und sie zeichnen sich in Meyer's Lexikon durch Klarheit und
erschöpfende historische Erklärung aus, aber sehr vielen Fragen käme das Lexikon am
besten entgegen durch eine nochmalige bildliche Zusammenstellung aller Arten einer be-
stimmten Gattung von Gegenständen zur Kultur- und Kunstgeschichte. Die Zusammen-
stellung derartiger Abbildungen in größter Reichhaltigkeit ist freilich Sache eines zu er-
wartenden Handbuchs der Sammler und der Museologie. Diesen Wunsch Vieler aber
vorläufig und für weite Kreise genügend zu erfüllen, wäre ein Konversations-Lexikon am
besten in der Lage. — Es darf ja diese sehr erwünschte Bereicherung erhofft werden,
da schon auf anderem Gebiete, vergl. z. B. den Artikel »Festung«, Meyers Lexikon durch
illustrative Zusammenstellungen der verschiedenen Formen der Natur oder der Technik
den Weg zu diesem Ziele — der die Benutzung des Lexikons sehr erleichtert — schon
mit größter Umsicht beschritten hat. Sollte die Erfüllung dieses Wunsches illustrativ
schwierig sein, so wäre häufiger von Verweisungen auf allgemeine oder speziellere Artikel
Gebrauch zu machen. Der illustrierte Artikel »Dolch« bezeichnet etwa die Richtung
unseres Wunsches. Doch würde eine Verweisung auf eine Tafel aller »Stoßwaffen« die
Illustration des Artikels überflüßig machen.
Dem Referenten erscheint es nun allerdings — beim Rückblick auf die von Meyers
Konversations-Lexikon immer wieder so geschickt erzielten Verbesserungsphasen als ob
in vorläufig noch nicht absehbarer Zeit die Notwendigkeit einer völligen Änderung der
Erscheinungsweise aller lexikalischen Werke an die Verleger heranträte. Es fragt sich,
ob nicht doch die Kostspieligkeit der fortwährend notwendig werdenden Auflagen dazu
zwingt, derartige umfangreiche, immer wechselnde Werke nicht mehr in Buchform, son-
dern in der Form großer Zettelkästen erscheinen zu lassen , damit die etwa veralteten
Artikel jeweils ausgeschieden und durch neue ersetzt werden können. Die Lösung dieser
Frage ist allerdings vom Standpunkte der Buchtechnik aus eine sehr schwierige. Der
Ersatz der Zettel würde der Zahl nach kein so großer sein, da ja so und so viel Artikel
kaum eine Änderung erfahren, andere Artikel dafür einer fortwährenden neuen Redaktion
bedürfen. — Wünschen möchte ich nur noch , daß die einzelnen vorzüglichen Pläne
größerer Städte mit den dazugehörigen Straßenverzeichnissen ihrer fast einzigartigen Deut-
lichkeit und Handlichkeit wegen auch einzeln im Buchhandel zu haben wären.
E. W. B.
Die Qei8:en- und Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Qesrenwart. Von
Willibald Leo Freiherr von Lützendorff, Frankfurt a.M. Verlag von Heinrich
Keller. 1904. XX, 812 SS. 28 Mk.
An zusammenfassenden Werken über die Geschichte der Streichinstrumente wie
an Einzeluntersuchungen ist kein Mangel, höheren Anforderungen genügen aber nur
wenige von diesen Arbeiten, es fehlt noch zu sehr an sicheren Grundlagen für eine
wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes. Die Entwicklung geht der der Instru-
mentalmusik parallel; die Entstehungszeit der heute noch üblichen Streichinstrumente
fallt mit den Anfängen der reinen Instrumentalcomposition nahezu zusammen. Aus einer
größeren Anzahl verschiedenartiger Formen bleiben die vier Typen des Contrabasses,
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LITERARISCHE NOTIZEN.
135
des Violoncells, der Bratsche und der Geige und werden nun in etwa hundertjähriger
Entwickelung zur höchsten Vollendung gebracht. Die Geige, die bisher als eine Differen-
zierung der Viola, da braccio, gegolten hat, ist neuerdings auf die italienische Lira da
braccio zurückgeführt worden. Ich glaube mit Unrecht. Doch bleibt gerade für die erste
Periode, das spätere 16. und die frühere Zeit des 17. Jahrhunderts noch vieles aufzuklären.
Ein so subtiles Instrument, das die Eigenart seines Meisters in Ton und Form so
entschieden zur Schau trägt, wie die Geige, ging fast von Anfang an mit der Signatur
des Meisters in die Welt. Das Interesse für den Meister ist bei den Geigen fast eben-
sogroß als bei den Werken der bildenden Kunst, und hier wie dort werden selbst vor-
treffliche Instrumente, wenn sie nicht mit Sicherheit bekannten Meistern zugeschrieben
werden können, nicht selten unterschätzt. Die Künstlergeschichte, wenn die Bezeichnung
gestattet ist, hat daher bei den Streichinstrumenten ihre eigene Bedeutung. Lütgen
dorffs Arbeit bewegt sich auf diesem Gebiet, ist aber nicht eine Geschichte der Geigen-
macher, sondern wie er selbst sagt, ein Baustein hiezu. Damit ist sie indes zu niedrig
eingeschätzt, sie ist nicht cm Baustein, sondern das gesamte Material zur Geschichte der
Geigenmacher, soweit es bis jetzt gesammelt und gesichtet werden kann, ein Künstler-
lexikon von großer Vollständigkeit, das alles in dieser Richtung bisher Geleistete weit
hinter sich läßt. Das biographische Material ist mit großem Fleiß, oft aus den letzten
Quellen, den Archiven und Kirchenbüchern, sowie den Geigenzetteln, die über die Zeit,
in welcher die Meister gearbeitet haben, Aufschluß geben, zusammengebracht. Dadurch
erhält unser Wissen über die Geigenmacher nicht nur eine wesentliche Bereicherung,
sondern es werden auch viele Irrtümer richtig gestellt. Erstaunlich ist, was Lütgendorff
an Lebensdaten auch unbedeutender Leute beibringt. Sie alle auf ihre Richtigkeit zu
prüfen, werden nur wenige, vielleicht überhaupt niemand, im Stande sein, aber man hat
allenthalben den Eindruck gewissenhafter Arbeit. Das gleiche gilt von der Charakteristik
der Arbeiten der einzelnen Meister, der Autor hat viele, sehr viele Instrumente sorgfaltig
beobachtet, daß die Charakteristik gleichwohl vielfach unzureichend bleibt ist nicht seine
Schuld, sie läßt sich überhaupt in Worten nicht vollständig geben. Mit Recht ist des-
halb das Bild herangezogen worden, leider nicht in dem Umfang, der wünschenswert
gewesen wäre; und namentlich die besseren deutschen Meister sind spärlich bedacht.
An Geigenzetteln werden viele Facsimiles gebracht, andere sind in Abdruck des
Textes gegeben. Ich habe schon bei der Besprechung von Paul de Wits Geigenzetteln
alter Meister darauf hingewiesen, daß eine facsimilierte Wiedergabe der Zettel zur Be-
stimmung der Ächtheit der in den Geigen befindlichen Zettel gute Dienste leisten wird.
Geigenzettel werden in Menge gefälscht, meist so, daß sie sofort als neu erkannt werden,
zuweilen so, daß die Täuschung schwer zu erkennen ist. Für den Besitzer ist es stets
unangenehm einen falschen Zettel in seinem Instrument zu haben und bei Reparaturen
sollten alle augenscheinlich falschen Zettel entfernt werden, sie verunzieren die Instrumente.
Eine Hauptursache der Fälschung ist, daß nur relativ wenige Geigenmacher, unter welchen
die Cremoneser an erster Stelle stehen, wirklich berühmt und allgemein bekannt und an-
erkannt sind. Demgegenüber betont Lütgendorff mit Recht, daß die Zahl der guten
Meister, wie die Zahl der Schulen, welche sich an sie anschlössen, weit größer ist, als
bisher angenommen wurde. Er hoffe, daß auch seine Arbeit dazu beitrage, dies klar zu
stellen. Diese Klarstellung wird durch die lexikalische Anordnung des Werkes erschwert;
ein Ortsregister, innerhalb dessen die Meister alphabetisch angeordnet sind, kann darüber
nicht ganz hinweghelfen. Wir hoffen, daß es dem Verfasser gefallen möge, die Geschichte
der Geigenmacher, die er anfangs schreiben wollte, auch zu bearbeiten, erst dann werden
seine großen Arbeiten wahrhaft fruchtbar sein. Inzwischen sind wir ihm für die reiche
Gabe, mit der er die Litteratur über die Geigenmacher beschenkt hat, zu lebhaftestem
Danke verpflichtet. Bezold.
Westfranzösische Kuppelkirchen von Felix Wittin g. Mit neun Abbildungen.
Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1904. 40 S. 4.
Die vorliegende, von historischen und stilkritischen Erwägungen ausgehende Studie
beschäftigt sich mit dem Ursprung und der Entstehung der westfranzösischen Kuppel-
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136
LITBRARISOHK NOIIZBN.
kirchen, welche sich unter den eigenartigen Sakralbauten Südfrankreichs zu einem fest-
umgrenzten Ganzen zusammenschließen. Den geographischen Mittelpunkt bildet die ehe-
malige Landschaft P^rigord. Ihr Gepräge erhalten sie durch die Pendentifkuppel. Die
ornamentale Ausgestaltung besteht aus einigen Gesimslinien schlichtesten Profils und
Blendarkaturen. Mit diesen Grundelementen sind die verschiedensten Kompositionen er-
zielt. De Verneilh (l'architecturc byzantine en France, Saint-Front de Pdrigueux et
les ^glises k coupoles de l'Aquitaine, Paris 1851) umschreibt die historische Stellung dieser
Gruppe so, daß er als Mutter aller Saint-Front in P^rigucux annimmt, welche er in den
Jahren 984 — 1047 als Kopie nach S. Marco in Venedig erbaut sein läßt. Dem gegenüber
stellt Witting fest, daß zu scheiden ist zwischen einer älteren, um das Jahr 1000 entstan-
denen Anlage und dem eigentlichen Kuppelbau; er kommt zu dem Ergebnis, daß letz-
terer mit Rücksicht auf die Nachricht vom Brande im Jahr 1120, namentlich in Anbe-
tracht der darin vorkommenden Stelle »Erat tunc temporis monasterium ligneis tabulis
coopertum«, in seinem Beginn noch über das Jahr 1120 zurückreicht. Auch die ornamen-
tale Ausgestaltung, besonders aber der ausschlaggebende Vergleich mit den Monumenten
der Provence, denen gegenüber der ornamentale Stil von Saint-Front bereits eine ab-
geklärte Haltung zeigt, weisen auf diese Zeit. Dazu kommt noch die unter den Kuppel-
kirchen selbst exzeptionell dastehende Gesamtanlage, welche von einer gewissen Reife
zeugt, die auf vorangegangene Versuche schließen läßt. Witting unternimmt alsdann, um
die Frage des Ursprungs der Kuppelkirchen erörtern zu können , eine Betrachtung des
Gesamtorganismusses der Kirchenanlagen , in denen die Pendentifkuppel erscheint. Er
schildert die eklatante Verschiedenheit der Anlagen der Apostelkirche in Konstantinopel
und Saint-Front, welche eine Anlehnung an die byzantinische Architektur (de Verneilh)
ausschließt. Er zeigt, daß im Gegensatz zu den cyprischen Anlagen bei den westfran-
zösischen Bauten das Primäre der Zusammenhang des Ganzen jst, das beim Turm ein-
setzt und bei der Apsis schließt, während die Aufteilung in die Unterteile von Kuppel-
räumen erst sekundär sei. Die Kuppel selbst ist eine solche nur in mathematisch-ab-
straktem Sinne, nicht als Emanation von einem ruhenden Zentralpunkt. Alles das föhrt
den Verfasser zur Annahme einer Indigenität der Kuppelkirchen, für welche er Beweis-
gründe beizubringen sich bemüht. Abgesehen davon, daß nach seiner Ansicht die aqui-
tanischen Kuppelbauten eine normale Etappe auf dem Wege der Vergeistigung mittel-
alterlichen Kunstschaffens bezeichnen, will er ihre bauliche Anlage in engen Zusammen-
hang mit der religiösen Bewegung der Albigenser gesetzt wissen, durch die bekanntlich
der enge Connex von Mysterium und Gläubigen gelockert wurde. Er argumentiert so —
wollte die Kunst ein Ausdruck der Zeitströmung sein, so mußte sie das architektonische
Schema verlassen , das jenen engen Bezug symbolisierte. Die aquitanischen Baumeister
versuchen die Lösung mittels der Kuppel mit ihrem summarischen Ausdruck. Allerdings
hat die Freiheit noch etwas Schwercrungenes an sich. Saint-Front nimmt in dekorativer
Hinsicht eine Ausnahmestellung unter den aquitanischen Bauten ein. Nirgends tritt der
antikisierende Zug, die Anlehnung an griechisch-römische Vorbilder so stark auf und weist
auf Beziehungen zur Provence. Dennoch aber erweist sich der Baumeister von Saint-
Front als selbständigen Künstler, der allenthalben Anregungen aufnimmt, sie aber um-
und neugestaltet. Der volle kräftige Stil der eigentlich provenqalischen Bauten liegt ihm
fern, ebenso wie der malerische Reiz der Fagaden von Arles und Saint-Gilles. Auch
die Betrachtung der Formensprache im Einzelnen führt nach Witting zu der Annahme,
daß wir es bei den westfranzösischen Kuppelkirchen mit indigenen Schöpfungen zu tun
haben.
Es fragt sich noch sehr, ob wir mit den Ausführungen Wittings hinsichtlich des
Ursprungs der Kuppelkirchen weiter gekommen sind als bisher. Jedenfalls stehen seine
Darlegungen auf einem viel zu schwankenden Boden, um ein positives Ergebnis erzielen
zu können. Immerhin aber sind sie der Beachtung wert.
Dr. Fritz Trau^ott Schulz.
U. £. 8«t>aid. Nürnberg.
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DER MONATSREITER, FECHTER UND FAHNENSCHWINGER
SEBASTIAN HEUSSLER ZU NÜRNBERG.
VON HANS BOESCH.
Im zweiten Supplementband zu Georg Andreas Will's Nürnbergischen Ge-
lehrten-Lexikon von Christian Conrad Nopitsch (Altdorf 1805) S. 88 ist
ein Kriegsmann und Freifechter, Sebastian Heußler (er wird bald Heusler,
bald Heußler geschrieben) aufgeführt. Über seine Lebensumstände wird be-
richtet, daß er zu Anfang des 17. Jahrhunderts lebte, Italien, Frankreich, Eng-
land und die Niederlande bereist hat und berühmten und kunsterfahrenen
Fechtmeistern nachgezogen ist, besonders dem Salvator Fabri de Padua, »der
das Fechten in Form der Kunst gebracht hat«. Heußler verdankt seine Auf-
führung im Nümbergischen Gelehrten-Lexikon dem Umstände, daß er ein
mit vielen Darstellungen geschmücktes Buch, als deren Inventor sich der
Maler G. Weyer auf dem gestochenen Titelblatt nennt, herausgegeben hat.
Das im germanischen Museum befindliche Exemplar ist betitelt: »Neu Kunst-
lich Fecht- I Buch | darinnen 500 stuck im einfachen Rapier, wie auch ett- | liehe
im Rapier vnd Dolch, deß wetberümbten (!) Fecht- | vnd lehrmeisters | Sig?
Salvator Fabri | da Padoa, so wol auch anderer Italienisch® vnd Fran- | zösischen
Fechter beste Kunststuck, nach rechter Uni | vnd fundamentalischer Ordnung,
auffs vleißigste colli | giert vnd zusammengetragen, auch mit schonen Kupflfer- j
stucken gezieret, dergleichen vor nie gesehen worden | vnd derowegen Teut-
scher nation vnd der | Küst liebhabern in Truck gegeben | durch Sebastian
Heusler Kriegsman | vnd Freyfechter von Nürnberg. | 1615.« Am Schlüsse
des 8 BU. und 232 Seiten zählenden Bandes in qu. 4® steht »Ende < Deß
Einfachen Rappierfechtens« (Bibliothek des germ. Mus. Gs. 1656).
Dieser Titel stimmt nicht mit dem bei Will-Nopitsch VI (II) S. 88 an-
geführten Titel. Es scheint sich aber doch beinahe, da man es früher mit
der bibliographisch genauen Angabe der Titel nicht sehr streng nahm, um
dasselbe Buch zu handeln. Beigebunden ist dem Museumsexemplar noch: »New
Künstlich Fechtbuch | Darinnen etliche vomeme Kunststück, deß weitberümb-
ten I Fecht- vnd Lehrmeisters | Sig.: Salvator Fabri da Padua, | Wie auch
anderer Italianischen vnnd Frantzösischen | Fechter beste Kunststücklein im
Dolchen vnd Rappier, auflf's fleissigste | zusammen getragen, vnnd mit schönen
Mitteilungeo aas dem genxuin. Natiuualmoseum. 1904. 18
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138 üER MONATSKEITER, FKCHTKR UND FAHNENSCHWINGER SEBASTIAN HEÜSSLER
KupfTerstücklein gezieret, dergleichen vor | nie im Truck außgangen, allen
Liebhabern der löblichen Fechtkunst zu- | gefallen in Truck gegeben, Durch
Sebastian Heußler, Kriegsmann und Freyfechter | von Nürnberg. | Gedruckt zu
Nürnberg, durch Ludwig Lochner, | In Verlegung des Authoris.c Es ist dieses
Werk wohl als zweiter Band des ganzen Buches anzusehen. E^ zählt Titel-
blatt und 45 (! soll heißen 54) Seiten im gleichen Formate. Am Ende steht:
»Ende«. | Getruckt zu Nürnberg, bey Ludwig Lochner, | In Verlegung Sebastian
Heußler, | Anno M. DC. XV.« (Biblioth. d. germ. Mus. Gs. 1657.) Es ist also
wohl das Ende des Werkes überhaupt, während der als erste anzusehende
Teil nur als Ende des einfachen Rapierfechtens bezeichnet ist. Es ist auf
diesem auch ein Drucker und Verleger nicht genannt, während er bei dem
wohl als zweiten Teil anzusehenden Buche auf dem Titelblatte und am Schlüsse
angebracht ist. Es spricht auch dafür, daß dem ersten Teile eine fünf Seiten
zählende Vorrede, dem zweiten eine solche aber nicht beigegeben ist.
Will-Nopitsch schreibt, daß eine zweite Ausgabe im Jahre 1616, eine
dritte 1617 in Nürnberg erschienen sei. Er schreibt auch: »Noch mit einem
besonderen Titel und ohne Text ist dabei : New künstlich Figuren Büchlein —
vom Rappier- und Mantelfechten« etc. Nun finden sich in dem Museumsexem-
plare noch zwanzig Blätter Radierungen beigebunden, die wohl mit dem vor-
stehend angeführten Werke identisch sind, da die Bilder das Rappier- und
Mantelfechten darstellen; ein Titelblatt findet sich aber nicht dabei. Die
ersten 12 Bll. sind unnumeriert, die darauffolgenden mit No. 1 — 8.
Das germanische Museum besitzt noch ein weiteres Exemplar des
ersten Teiles des Heußler'schen Fechtbuches (Gs. 1658), dem aber Titelblatt,
Vorrede und S. 1 — 21 fehlen und das nur bis zum Ende des ersten Bandes
reicht. Am Ende des Buches war seiner Zeit noch etwas angebunden, was
aber ist nicht festzustellen, vielleicht war es das als zweiter Teil anzusehende
Fechtbuch. Es hat wohl dieselben Abbildungen wie das beschriebene Fecht-
buch von 1615; die Radierungen sind aber teilweise auf anderen Blättern ab-
gedruckt. Jedenfalls liegt in diesem Exemplare die zweite, oder dritte oder
sonst eine Ausgabe vor; wir können aber nicht feststellen welche, da wir kein
Vergleichsmaterial haben, die hiesige Stadtbibliothek z. B. überhaupt gar nichts
von Heußler besitzt.
Das erst beschriebene Buch von 1615 ist »An die Edle, Ehmveste, Für-
sichtige Erbar vnd Hochweise Herrn | Burgermeister vnd Rath deß heiligen
Römischen Reichs Statt Nürnberg, Meinen großgünstigen gebietenden Herrn«
gewidmet. Alles was Nopitsch über Heußler mitteilt, ist der Vorrede, die
an diese Widmung anknüpft, entnommen; sie fängt mit den Römern und
Griechen an und geht dann zu den Deutschen über. Besonders dankbar wird
des Künstlers gedacht: »Dieweiln, schreibt Heußler, ich dann auch einen
Kunstreichen Mahler mit Namen Gabriel Weyer zu solchen Stellungen be-
kommen, der mir solches in Kupffer aufif mein angebe gemacht hat, wie
Augenscheinlich zusehen. Also daß ich verhoffe, solche Stellungen werde auch
denjenigen so lust zum reissen, Mahlen, Bildhauen, vnd dergleichen Künsten
mehr, sehr nützlich vnd dienstlich sein.« Als ein gehorsamer »Burger vn be-
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zu NÜRNBERG. VON HANS BOESCH.
139
Steher Monatreyter« habe er es dankbaren Gemüthes dem Bürgermeister und
Rath der Stadt Nürnberg gewidmet. Er hat dabei natürlich auf eine nam-
hafte Spende des Nürnberger Rathes gerechnet. Bei Hampe^) findet sich
auch unter No. 2704 der Ratsverlaß vom 28. Februar 1615: »Sebastian Heußlers
monatreutters, fechtpuch, so er Meinen Herren zugeschriben , soll man über-
schlagen lassen, was es werth, und wiederbringen.« Was er etwa bekommen,
ließ sich nicht feststellen.
Der erste Teil des Fechtbuchs enthält das gestochene Titelblatt und
128 Radierungen, der zweite Teil 33 Radierungen und eine dreimal abge-
druckte radierte Vignette. Da drei Auflagen erschienen sein sollen, so dürfte der
Verfasser und Selbstverleger wohl auf seine Kosten gekommen sein.
Es scheint, daß Nopitsch die ganze Notiz über Heusler aus dem zehn
Jahre vorher erschienenen vierten Bande von Siebenkees' Materialien zur
1) Nürnberger Rathsverlässe über Kunst und Künstler (Quellenschriften für Kunst-
geschichte etc.) II, 477.
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140 DER MüNATSREITKR, PECHTBK UND EAaNENSCHWINQER SEBASTIAN HBÜSSLER
Nürnberger Geschichte*) entnommen hat, den er auch citiert. Der Veröffent-
licher in den Materialien bekennt, daß ihm das Wort Monatreiter vollständig
neu sei: »Ich vermute, schreibt er, daß er unter dem hiesigen Kriegsamte ge-
standen habe, daß er vielleicht ein sogenannter Einspänniger (Söldner zu
Pferde) gewesen sey, weil er sich auf dem Titelblatt einen Kriegsman nennt.«
Dieser Ansicht schließt sich auch Nopitsch an. Ich konnte das Wort in keinem
Wörterbuch, auch nicht in Grimm's deutschem Wörterbuch und in Schmeller's
bayerischem Wörterbuche finden.
Zu diesen Fechtbüchem Heußlers im germanischen Museum gehört auch
noch ein »New Künstlich Fechtbuch, | Zum anderenmal auffgelegt, vnd mit
vielen schönen | Stücken verbessert. Als deß: | Sig. Salvator Fabri da Padua,
vnd Sig: Rudol: I Capo di Ferr, Wie auch anderer Italianischen vnd | Fran-
tzösischen Fechter beste Kunststücklein im Dolchen vnd Rappier, j auffs
fleissigste zusammen getragen, vnd mit schönen Kupflferstücklein gezieret,
der- I gleichen vor nie im Truck außgangen, allen Liebhabern der löblichen
Fechtkunst | zugefallen in Truck gegeben, durch | Sebastian Heußler, Kriegs-
mann vnd Freyfechter | von Nürnberg. | Gedruckt zu Nürnberg, durch Ludwig
Lochner, | In Verlegung des Authoris. | M. D. C. XVI.« | (Bibl. d. germ. Mus.
Gs. 1658*».) Es liegt also hier die zweite Auflage, die von 1616, des von* uns als
zweiten Teiles angenommenen Buches, vor. Dieselbe umfasst 39 Radierungen,
also 6 Radierungen mehr als die erste Ausgabe des Buches, auch sind sie
teilweise an anderen .Stellen abgedruckt, und die Vignette nur einmal und
zwar auf dem Titelblatt vorhanden. Der Text zählt hier 61 statt 54 Blätter.
Es rührt dies daher, daß in der zweiten Auflage noch ein Kapitel: »Nun folgen
deß weitberühmten Sig: Rudolpho Capo di Ferr da Cagli etliche gute Stück-
lein im Dolchen vnd Rappi erfechten« angehängt ist. Dieser Fechtmeister ist
auch erstmals auf dem Titelblatt der zweiten Auflage des zweiten Bandes
dieses Fechtbuches genannt.
Nun hat im Jahre 1903 das germanische Museum aus der Jungk*schen
Sammlung in Bremen, die bei Lepke in Berlin versteigert wurde, ein weiteres
Schriftchen Sebastian Heußlers erworben, das sich auf demselben Gebiete be-
wegt. Es ist betitelt: »New Künstlich Fahnenbüchlein, | Das ist: | Wie der
Fahnen mit sonderli- | chen vortheil, leicht vnd gering, auch Zierlich ge-
tragen I vnd geschwungen werden soll, auff Teutsche, Italianische, vnd Fran- !
tzösische Manier, allen der Kunst liebhabenden Kriegsleuten, vnd denen so
zu solchem lob- | liehen exercitio, an Fürstlichen Höfen, vnd aufif Vniversiteten
lust vnd lieb tragen | zu gefallen, mit schönen Kupfiferstücken in Truck ver-
fertigt, I dergleichen vor nie außgegangen | durch | Johann Renner, vnd Se»
bastian Heußler, | Kriegsmann. | Getruckt zu Nürnberg, durch Ludwig Loch-
ner, Anno MDCXV.« In der Randeinfassung von Typenmetall hat sich der
Künstler genannt: »Gabr. Weyer Jnvent.« Es ist in qu. 4® gedruckt und
zählt mit dem Titelblatt acht Blätter, darunter merkwürdiger Weise als fünftes
und sechstes Blatt die Dedikation und 31, mit 1 — 30 und A — Z und Aa — Gg
2) IV, 748.
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zu NÜRNBERG. VON HANS BOESCH. 141
bezeichnete Blätter und ein unbezeichnetes Blatt Radierungen. Dieses Büchlein
scheint außerordentlich selten zu sein, denn trotz allen Suchens fand ich es
nur in Naglers Künstler-Lexikon unter Gabriel Weyer^) aufgeführt und zwar
eine Ausgabe von 1616, während die des Museums von 1615 stammt.
Das Fahnenbüchlein ist im selben Jahre wie erstmals das Fechtbuch er-
schienen, wurde in derselben Buchdruckerei hergestellt und von demselben
Künstler illustriert. Gewidmet ist das Büchlein »Herrn Heinrich Wilhelm
Freyherm von Stahrenberg«. In der Widmung wird von der Bedeutung der
Fahnen gehandelt und dabei mit dem trojanischen Krieg angefangen. Weiter
wird geschrieben : »Was zu vnsem zeiten von einem Hertzhaflften vnd dapflfem
(F)endrich gehalten wird, wissen E.Gnaden ohn vnser erinnern sich gnädigst zu
berichten. Demnach wir aber ein Zeitlang hero nicht allein im Kriegswesen
vns geübt, vnd also selbsten ohn vns vnschuldig erfahren, was Hertz ein
Soldat im Feld empfindet, wann dem Obristen sonderlich aber dem Fendrich
sein Ampt frisch vnd vnverzagt verrichten sihet. Sondern auch bey frembden
nationen Fahnen vnd Picken zierlich vnd nützlich schwingen lernen. Also
haben wir dißfalls, dasjenig, so wir mit vnkosten gelemet, dann auch im Feld
geübt vnd erfahren, vflF das Papier bringen, vnd in Druck verfertigen wollen«.
Über Heinrich Wilhelm Freiherm von Starhemberg, dem das Büchlein
gewidmet, ist Wurzbach*) zu entnehmen, daß er 1593 geboren wurde und
1675 zu Wien gestorben ist. Er hat in früher Jugend ganz Europa bereist,
hat auf denselben an einem Fußtumier in Florenz teilgenommen und den
Preis davon getragen. Später trat er als Hauptmann in kaiserliche Dienste,
machte viele Feldzüge des dreißigjährigen Krieges mit und wurde von Kaiser
Ferdinand II. in den Reichsgrafenstand für sein ganzes Geschlecht erhoben.
Vielleicht hat ihn Heußler in Florenz oder sonst wo auf seinen Zügen kennen
gelernt.
Was nun den Johann Renner betrifft, der auf dem Titelblatt und in der
Unterschrift der Widmung an erster Stelle als Verfasser genannt ist, so
wissen wir nicht, wer dieser Mann war. Ein Kriegsmann scheint er nicht
gewesen zu sein, da dieser Titel auf dem Titelblatt nur in der Einheit nach
dem Namen Heußler angeführt ist. Vielleicht war er einer der professions-
mäßigen Fahnenschwinger, die sich öffentlich produzierten^). Möglicherweise
ist er aber auch identisch mit dem Hanns Renner, Wirth aufm Schießhaus,
von dem Panzer*^) ein Portrait aufführt, das mit aetat 46 A. 1628 bezeichnet
ist. Es wäre nicht unmöglich, daß er 13 Jahre vorher mit Sebast. Heußler
das Buch herausgegeben hat. Vielleicht hat er dem Heußler, der als Kriegs-
mann wohl öfter im Schießhaus verkehrt hat und der mit ihm näher bekannt
geworden sein mag, das Geld zur Anfertigung der Stiche gegeben und ist
dafür aus Anerkennung als Mitverfasser genannt worden.
3) XXI, 367.
4) Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Wien 1878. XXXVII, 181.
5) S. Hampe, die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit. (Leipzig,
Eugen Diedcrichs, 1902.) S. 95.
6) Verzeichnis von Nürnbergischen Portraiten aus allen Ständen (Nürnberg 1790), S. 196.
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142 DER MüNATSRElTKR ETC., SEB. HEUSSLER ZU NÜRNBERG. VON HANS BOESCH.
Von Sebastian Heußler ist ebenfalls noch ein gestochenes Portrait') vor-
handen, auf welchem er als Freifechter, d. i. als obrigkeitlich privilegierter
Fechtmeister bezeichnet ist. Das Portrait ist obenstehend wiedergegeben.
Was den Künstler der Zeichnungen, Gabriel Weyer, betrifft, so ist er um
1580 in Nürnberg geboren und um 1640 in Koburg gestorben. Er nennt
sich zwar blos als Inventor derselben, dürfte sie aber, wie die oben ange-
führte Stelle in der Vorrede zum Fechtbuch bezeugt, auch radiert haben.
Er hat wohl auch das Bildnis Heußlers radiert. Er scheint einer der tüch-
tigsten Nürnberger Künstler seiner Zeit gewesen zu sein. Sein Hauptwerk
war die Mitarbeit in den allegorischen Bildern zwischen den südlichen Fenstern
und die Restauration des alten Rathaussaales zu Nürnberg®). Dann hat er
noch an der Ausschmückung des neuen Rathauses mitgearbeitet und sehr viele
Zeichnungen gefertigt, die in Kupferstich ausgeführt worden sind.
Jedenfalls ist Sebastian Heußler der einzige gemeine Kriegsmann der
im Nümbergischen Gelehrten-Lexikon, unter einer sonst nicht recht zu ihm
passenden Gesellschaft aufgeführt ist. Vielleicht wird durch einen glücklichen
Zufall noch mehr über die Lebensschicksale desselben aufgefunden, über
die wir nicht mehr wissen, als was er uns selbst mitgeteilt hat.
Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, da Näheres über das Fahnenschwingen
nicht zu existieren scheint, daß in dem soeben herausgegebenen Katalog 36
der Firma Jacques Rosenthal in München, der eine Menge Kostbarkeiten ent-
hält, unter Nr. 403 ein Sammelband von J. G. P(aschen) angeführt ist, der
sieben Schriften dieses Verfassers umfaßt, nämlich ein Fechtbuch, ein Tur-
nierbuch, eine Beschreibung des Pique-Spielens , eine kurze Anleitung wie
der Jägerstock oder die halbe Pique zu gebrauchen, eine Beschreibung des
Voltesierens und ein Ringbuch, und endlich auch ein Fahnenbüchlein. Nach
dem Katalog ist es betitelt: »Vierundachtzig Fahnen-Lections, | wie selbige
zierlich geschwungen | nebst denen Tritten | wie viel derselben zu iedweder
Lection gemacht werden. Frankfurt, Ch. Gerlach und S. Beckenstein 166L
Frontisp., Titel, 27 SS. und 21 Kupfertafeln mit 37 Figuren. Kl. qu. 4 o.«
Es liegt hier also ein um 45 Jahre jüngeres Fahnenbüchlein, ebenfalls von
einem Kriegsmann, der in allen möglichen »Künsten« erfahren war, vor. In
Jöchers Allgemeinen Gelehrten-Lexikon (Leipzig 1751) Sp. 1276 wird der
Verfasser Joh. Georg Pasch genannt und gesagt, daß er ein Historicus und
gelehrter Soldat war. In einem Buche der Bibliothek des germanischen Mu-
seums (Kr. 425) betitelt : Florilegium fortificatorum tripartitum (Halla 1662)
nennt er sich in der Unterschrift der Vorrede selbst »Pascha«. Leider ist
der Preis des Sammelbandes so hoch, daß er für das germanische Museum
unerreichbar erscheint.
7) Panzer a. a. O., S. 103.
8) Vgl. Mummenhoff, das Rathhaus zu Nürnberg. Nürnberg 1891, S. 120 fr.
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DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR. OTTO LAÜFFER-FRANKFÜRT A. M.
IV.
Die Stube des Hallig-Hauses.
An das niederdeutsche Flett lehnt sich im lokalen Zusammenhange der
Museums-Stuben ein Jcleiner Raum, 3,85 m. lang und 3,35 m. breit:
die Halligstube. Dieselbe erweckt in uns und unzweifelhaft auch bei allen
Forschem schleswig-holsteinischer Landes- und Volkskunde die Erinnerung
an unseren früh dahingeschiedenen Freund und Kollegen Eugen Traeger.
Niemand hat sich um die wissenschaftliche Erforschung der Halligen solche
Verdienste erworben wie er, niemand ist mit gleicher Energie wie er mit
Wort und Schrift dafür eingetreten, diese an der Westküste Schleswig-Hol-
steins gelegenen Inselchen, die Reste alten Festlandes, gegen die täglich mehr
sie zerbröckelnden Fluten des Meeres durch Damm und Buhne zu schützen.
Die Fürsorge für die Halligen war ihm zur wissenschaftlichen Lebensaufgabe
geworden, der er eine ganze Reihe von Schriften, vor allem sein Buch: »Die
Halligen der Nordsee,« gewidmet hat®^). Seinem Eifer ist es auch in erster
Linie zu danken, daß für das germanische Museum eine hinreichende Menge
von Hausteilen, Möbeln und Ausstattungsstücken erworben werden konnten,
96) In »Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde«. Herausg. von
A. Kirchhoff. Bd. VI. H. 3. Mit 3 Karten und 19 Textillustrationen. Stuttgart, J. Engel-
horn 1892. fleh citiere: »Traeger, Halligen«.] Von den Schriften, durch die Traeger
zum Uferschutz der Halligen aufgerufen hat, nenne ich die Gedichtsammlung: »Im Banne
der Nordsee«. Kiel, H. Eckardt (59. S) 1895 — »Die Rettung der Halligen und 'die Zu-
kunft der schleswig-holsteinischen Nordsee watten. Mit 10 Abb. u. Skizzen. Stuttgart,
Hobbing u. Büchle. (48. S.) 1900. — »Fortschritt der Arbeiten bei den Halligen und auf
den Watten Schleswig-Holsteins« im »Globus« Bd. LXXVIII. (1900) H. 15, S. 244—246.
— Schließlich: »Halligbilder« in »Himmel und Erde«. Naturwiss. Monatsschrift. Berlin,
Jahrg. 1895. Maiheft.
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144
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
die die Errichtung einer eigenen Halligstube ermöglicht haben. Auch über
diese Stücke hat Traeger bereits eingehend berichtet in den beiden Aufsätzen:
»Friesische Häuser auf den Halligen« "^ und »Geschnitzte friesische Türen
im germanischen Museum« •**), und ich hebe ausdrücklich hervor, daß heute
niemand vor ihm berufen wäre, die aus jenen Stücken zusammengesetzte
Stube zu besprechen, wenn er noch am Leben wäre. Umso eher werden
wir des öfteren Veranlassung haben, uns auf seine Mitteilungen zu beziehen. —
Indem wir nun an unsere Aufgabe herantreten, müssen wir uns, bevor
wir die Halligstube selbst kennen lernen, zunächst ein wenig mit dem großen
Ganzen des Hallighauses bekannt machen, denn es kann nicht oft genug
betont werden, daß alle diese Stuben nicht allein, und oft nicht einmal in erster
Linie als Dokumente der Bauernkunst aufbewahrt werden. Sie sind vor allem
als die äußeren Formen der Wohn- und Lebensverhältnisse ihrer Erbauer zu
betrachten. Sie sind eines der interessantesten Teile der Wirtschaftsformen
und des bei den landschaftlich verschiedenen Wohnbauten ebenso verschie-
denen Hausgedankens, der von Landschaft und Klima, der stammesmäßigen
Veranlagung der Bewohner und manchen anderen Einwirkungen abhängig ist,
auf die ich in dem einleitenden Abschnitt dieser Besprechungen hingewiesen
habe. Wer aber in diesen Bauernstuben nichts anderes sehen will als die
Erzeugnisse einer im Vergleich zur Kunstindustrie oft nur mäßigen Hand-
werksarbeit, der tritt mit sehr unzureichenden wissenschaftlichen Voraus-
setzungen an die Kritik der Stuben heran, und jedenfalls lernt er nur den
weitaus geringsten Teil von dem, was sie wirklich zu lehren haben. Zwar
ist die Stube — wenigstens in Deutschland — heute meist das wichtigste
Glied des gesammten Hauswesens, da sie für den Schöpfer und Träger des
Hausgedankens, für den Menschen selbst als Wohnraum dient, aber sie bleibt
doch immer nur ein Teil vom Ganzen, und darum begnügt sich heute die
wissenschaftliche Volkskunde, wie ich ebenfalls in der Einleitung bemerkte,
je länger je weniger mit der bloßen museologischen Behandlung von Bauern-
stuben, sondern verlangt die Aufstellung von ganzen Bauernhäusern in den
sogenannten Freiluftmuseen. Wenn das germanische Museum dieser For-
derung aus ersichtlichen äußeren Gründen nicht genügen konnte, so haben
wir hier umso mehr Veranlassung, die Häuser, denen die einzelnen Stuben
angehören, wenigstens nach ihren typischen Eigenschaften kurz zu be-
sprechen **).
97) Mitteilungen d. germ. Museums 1896. S. 112—119. Mit 3 Grundrissen. [Ich
citicrc: »Traeger, Fries. Häuser«.]
98) Ebenda. 1896. S. 130—134. Mit 1 Lichtdrucktafel.
99) Bezüglich einer entsprechenden Behandlung des Hindelooper Hauses fehlte es
mir seiner Zeit leider an den nötigen Grundlagen. Nachträglich will ich jetzt wenigstens
auf das Werk von C. H. Peters, Reichsbaumeister im Haag: »Overzicht over de boeren-
plaatsen-bouw in Nederland«. (Verl. van Druten en Bieeker Sneek 1872) hinweisen, sowie
auf die Arbeiten des Prof. J. H. Gall^e in Utrecht, der eine kurze Übersicht über die
verschiedenen niederländischen Hausformen gegeben hat in: »Het boerenhuis in Neder-
land« (Tentoonstelling van hulpmiddelen bij het aardrijkskundig onderwijs. Amster-
dam 1902.)
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VON DR OITO LAÜFFER-FRANKFÜRT A. BL 145
Das Hallighaus beherbergt ein festes derbes Geschlecht, ruhig und ernst,
freundlich und gutmütig, kaltblütig und entschlossen. Von Jugend auf an
das rings sie umgebende Meer gewöhnt, sind diese Friesen die geborenen
Seeleute, und wir werden sehen, wie diese ihre, man kann sagen einzige
volkstümliche Beschäftigung auch den Wohnungen den Stempel aufgedrückt
hat. Von Geschlecht zu Geschlecht haben sie es angesehen, wie das Meer
oft nur in stiller täglicher Arbeit mehr und mehr von den Ufern ihrer kleinen
Halligen abgeschwemmt hat, oft auch an Tagen des unbeschreiblichen Elendes
in furchtbaren Sturmfluten über sie hereingebrochen ist, große Strecken festen
Landes auf einmal fortgerissen und an den nur halb verwüsteten Stellen die
Häuser unterspült und umgeworfen und vielen Menschen und unzähligen
Stücken ihrer Viehbestände den Tod und ein feuchtes Grab bereitet hat.
Trotz alledem haben die Bewohner den Kampf mit dem Meere, der fast den
ganzen Inhalt, der die Ehre und die Tragik ihrer Geschichte ausmacht, nicht
aufgegeben, und mit der Zähigkeit, mit der sie an ihrer alten volkstümlichen
Sprache bis tief in das 19. Jahrhundert hinein festgehalten haben, sind sie
auch der viel gefährdeten Heimat trotz Not und Tod von Geschlecht zu
Geschlecht treu geblieben ^^^).
Die Vorstellung von dem täglichen Kampfe, den der Halligfriese mit
dem Meere zu kämpfen hat, müssen wir im Gedächtnis behalten. Er gibt
dem energischen, in mancher Beziehung trotzigen Charakter der Menschen
das Gepräge, ebensosehr wie den äußeren Formen der Lebenshaltung. Er
hat auch das Wesen wie des Friesenhauses überhaupt, so besonders des
Hauses der Halligen in den mannigfachsten Beziehungen auf das Nachhaltigste
bedingt.
Wer heute auf dem Gipfel des Leuchtturms der nordfriesischen Insel
Amrum stehend, seine Blicke gegen das schleswig-holsteinische Festland
100) Ober den Volkscharakter vergl. Traeger, Halligen S. 270 ff. — Ebendort
S. 236 fr. ist die ganze Reihe der großen Sturmfluten zusammengestellt. Von der letzten
derselben, die in der Nacht vom 3. zum 4. Februar 1825 stattfand, hat J. C. Biernatzki,
damals Pfarrer auf der Hallig Nordstrandischmoor, in seiner Novelle: »Die Hallig oder
die Schiffsbrüchigen auf dem Eiland in der Nordsee« [ich benutze H. Düntzers Ausgabe
in der Collection Spemann] eine ergreifende Schilderung gegeben. — Über die Friesen-
sprache auf den Halligen vergl. Theod. Siebs, »Geschichte der friesischen Sprache« in
H. Paurs »Grundriß der germanischen Philologie.« Straßburg. Trübner. 2. Aufl. 1901 ff. I,
S. 1171, wo die weitere Literatur angegeben ist. — Folgende Zeitschriften, die far Nord-
friesland und die Halligen manches einschlägige Material enthalten, waren mir hier leider
nicht erreichbar: »Veröffentlichungen d. nordfries. Vereins f. Heimatkunde und Heimat-
liebe«, »Jahrbuch für die Landeskunde der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauen-
burg« und »Heimat. Eine natur- und landeskundige Monatsschrift für Schleswig-Holstein«.
Die Literatur zur schleswig-holsteinischen Volkskunde vergl. bei Eug^ Mogk, Die Be-
handlung der volkstümlichen Sitte der Gegenwart in Pauls Grundriß. III. S. 521/2. — Die
Werke von Karl Müllenhof f, »Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig,
Holstein und Lauenburg«. Kiel 1845 und von C. P. Hansen, »Friesische Sagen und
Erzählungen« Altona 1858 und »Sagen und Erzählungen der Sylter Friesen« Garding
1875 geben, soviel ich sehe, für die Behandlung der volkstümlichen äußeren Denkmäler
keinen wesentlichen Beitrag.
MitteUuDgeD aai dem ^erman. Natioiuümiueum. 1904. TJ
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146
DIE BAUERNSTUBEN DBS GERBiAN ISCHEN MUSEUMS.
richtet und rechts an Föhr vorbei gegen Osten und Südosten schaut , dem
erscheinen die kleinen und ganz kleinen Halligen über das Meer verstreut
ähnlich, wie wenn man von Bergeshöhe auf das die Thäler und Ebene um-
hüllende Nebelmeer herabsieht, aus dem nur die obersten Spitzen der Berge
scheinbar zusammenhanglos ein wenig hervorragen. Nur '/j? bis 1 */j» m steigen
die niedrigen, von Alters her unbedeichten Halliginseln — im Ganzen sind
es 11 an der Zahl — aus dem sie umgebenden Wattenplateau empor, welches
zur Flutzeit ganz von den Meereswogen überdeckt Tst^"*). Kein Wunder,
daß die Menschen sich bestrebt haben, bei solch gefährlicher Nähe des nicht
immer freundlichen Meeres sich mit ihren Wohnungen möglichst hoch über
den Erdboden zu erheben, und so haben sie ihre Häuser auf natürlichen
oder künstlichen Hügeln, den sogenannten Werften erbaut, die etwa 4 m.
hoch aus der Halligmarsch hervorragen. Die ganze, oft allerdings nur sehr
kleine Hallig-Gemeinde muß sich auf dieser Werft einrichten. Sehr viel Raum
darf also mit den Ansiedelungen nicht verschwendet werden, immerhin bleibt
meist noch so viel Platz übrig, daß sich kleine Gärtchen an die Wohnhäuser
anlehnen können. Traeger hat von den Besiedelungen einer mittelgroßen
Werft, sowie von denjenigen auf der ziemlich großen Hauswarf der Hallig
Hooge, die im ganzen 17 Wohnhäuser umfaßt, genaue Grundrisse gegeben,
auf die ich hier verweisen kann ^®^).
Schon aus jenen Grundrissen ist ersichtlich, daß, wie auch sonst mehr-
fach betont wird, die Firstrichtung aller Häuser ein und dieselbe ist, da sie
sämtlich ihre Giebel nach Osten und Westen kehren ^"^). Das ist nicht nur
eine Folge des Bestrebens, die ganze Breitseite des Hauses der Sonne zuzu-
wenden, sondern vor allen Dingen wird dadurch erreicht, daß die Häuser den
stark wehenden Westwinden eine möglichst geringe Angriffsfläche entgegen-
setzen, ein Bestreben, dem auch wohl das, wie es scheint, fast durchgängige
Vorhandensein von Walm- beziehungsw. Halbwalmdächern zuzuschreiben ist.
Nicht nur für die Hallighäuser ist diese Westostrichtung bezeugt, sie scheint
auch sonst in Schleswig-Holstein verbreitet zu sein, wenigstens schreibt sie
Wilh. Hamm auch dem alten Angler Hause zu, indem er dabei ausdrück-
lich die Rücksicht auf die häufigen westlichen Stürme hervorhebt*^*).
Äußerlich sind die Häuser von Ziegelsteinen erbaut , einstöckig , mit
kappenartig darübergedeckten mächtigen Strohdächern. Sie sind durchaus
101) Vergl. Traeger, Halligen S. 242 ff. und Christianjensen, Die nordfriesischen
Inseln Sylt, Föhr, Amnim und die Halligen vormals und jetzt«. Hamburg 1891. S. 73 und
Aug. Sach, »Die deutsche Heimat, Landschaft und Volkstum«. Halle. Waisenhaus. 1902.
102) Traeger, Halligen S. 249 u. 251. Auf die ebendort S. 281 ff. geschilderten
sehr interessanten, [der Art des Landes merkwürdig angepaßten Besitzverhältnisse an
Grund und Boden sei hiermit ebenfalls hingewiesen. — Über die Hallig-Gärten vergl.
Kohl, »Die Marschen ^und Inseln Schleswig-Holsteins«. 1846. 1, 352 353.
103) Traeger, Halligen S. 262. Ebenso vergl. Heinr. Sauermann, »Führer durch
das Kunstgewerbe-Museum der Stadt Flensburg« 1903. S. 30 gelegentlich einer Besprechung
der dort aufgestellten Wohnstube von der Hallig Hooge.
104) Wilh. Hamm, »Die Bauernhäuser in Schleswig-Holstein« in »Westermanns
Monatsheften«. XVIII. (1865.) S. 613.
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VON DR. OTTO LAÜFFER-FRANKFURT A. M.
147
einfach, aber immer sauber, und mit ihren meist gruppenförmig zusammen-
gestellten Fenstern machen sie trotz der Schwere des Daches einen freund-
lichen Eindruck ***'*). Fach werk kommt an den Außenwänden, soviel ich
sehe, niemals vor, wenigstens wird das für die konstruktiv durchaus gleich-
artigen Häuser auf den Nachbarinseln Föhr und Sylt ausdrücklich hervor-
gehoben*^*). Wenn man also im Germanischen Museum die Halligstube
gegen den Museumsgang hin mit einer getünchten Fachwerkswand von rot
gestrichenen Balken und mit einem darübergesetzten Ziegeldach abgeschlossen
findet, so muß man nicht annehmen, daß damit das Äußere des Hallighauses
imitiert werden soll, auch würde, im Verhältnis zu der Fensterwand der Stube,
der First um einen rechten Winkel herumschwenken müssen, damit die Traufe
der Wirklichkeit entsprechend über die Fensterwand zu liegen käme.
Nur in einer Beziehung scheint — wenn wir von den Größenverhält-
nissen einmal absehen — dem Hallighause ein sonst gewöhnliches Charak-
teristikum des typischen Friesenhauses zu mangeln: Uhle berichtet, daß
dem Hallighause der Vordergiebel vielleicht durchaus fehle ^®'), während im
übrigen das friesische Haus an der Front über der Haustür so allgemein einen
steinernen Giebel hat, daß das Haus ohne einen solchen nach Clement 's
Meinung (S..134) überhaupt kein friesisches Haus mehr ist. Durchgängig
fehlt der Giebel aber auch an den Hallighäusern nicht. Auf den von Traeger
(»Halligen,« Fig. 5 und 7) gegebenen Abbildungen ist sein Vorhandensein je
einmal zu konstatieren.
Auch weise ich ausdrücklich darauf hin, daß in direktem Gegensatze
zu Uhle eine Äußerung Johansen's steht, welche klar besagt: »Über der
Haustür hat jedes altfriesische Hallighaus einen steinernen Giebel (Frontispice),
dessen hohe Spitze weit hinausblickt auf die wogende See« ^^^). Für Amrum
und Sylt werden die Türgiebel bezeugt durch zwei Abbildungen (Nr. 14 und
15) auf Blatt »Schleswig -Holstein Nr. 10« des deutschen Bauernhauswerkes.
Es scheint demnach , daß U h 1 e ' s Bemerkung einer teilweisen Berichtigung
bedarf, und damit stimmt denn auch Traegers Mitteilung überein: »Nicht
mehr regelmäßig wie früher ragt auf den Halligen ein Giebel aus dem Dache
über der Haustür hervor, wie er sonst charakteristisch ist für das friesische
Haus auch auf den Utlanden« ^^^).
Übrigens ist das Vorhandensein des Frontgiebels nur ein äußeres Merk-
mal, welches für die Zuschreibung eines Wohnbaues zu der großen Gattung
des Friesenhauses nur einen von mehreren Anhaltspunkten gewährt. Wichtig
106) Vergl. Sach, Deutsche Heimat S. 237. — K. J. Clement, »Die Lebens- und
Leidensgeschichte der Frisen<. Kiel, 1845. S. 134.
106) Vergl. M. Uhle, >Das Föhringer Haus< in den »Verhandlungen der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte«. Bd. XXII. 1890. S. (63).
— Jensen, Nordfr. Inseln S. 100.
107) Uhle a. a. O. S. (68).
108) Chr. Johansen, »Halligenbuch. Eine untergehende Inselwelt«. Schleswig.
1866. S. 27.
109) Traeger, Fries. Häuser, S. 119.
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148 DIK BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
und ausschlaggebend sind in dieser Hinsicht vor allem der Grundriß und die
Konstruktion, denen wir uns im folgenden zuwenden.
Das friesische Haus in seiner einfachsten Form ist, nach den wirtschaft-
lichen Verhältnissen betrachtet, ein Einheitshaus, d. h. es vereinigt alle Wirt-
schaftsräume unter einem Dache"®). Rücksichtlich seiner Hauskultur ist es
ursprünglich ein Einfeuerhaus, d. h. es besitzt nur eine Feuerstelle, nämlich
den Herd, aber keinen Ofen. Es geht demnach, wie schon Henning, »Das
deutsche Haus« S. 40 erkannt hat, auf dieselben Anfange zurück wie das
sächsische Haus, mit dem es zusammen den niederdeutschen Haustjrpus bildet.
Nachdem dann der Ofen eingeführt war und damit das ursprünglich typische
Einfeuerhaus sich zum Zweifeuerhause entwickelte, ein Ausdruck, den man
streng genommen nicht einmal auf diese neuen Formen anwenden darf, hat
es dann insofern eine andere Entwicklung als das sächsische Haus genommen,
daß bei ihm die Wohnräume in einer anderen Weise angegliedert und viel-
fach mit einem eigenen Dache versehen wurden, dessen First senkrecht zu
demjenigen des alten Hauptbaues steht, wodurch die bekannte T-Form des
friesischen Hauses entstanden ist. Wie es von dieser immerhin noch ziem-
lich einfachen Gestalt später unter Einwirkung reicher entwickelter wirtschaft-
licher Verhältnisse sich zu den verschiedensten und oft sehr komplizierten
Formen entwickelt hat, muß hier außer Betracht bleiben"*).
Jedenfalls sieht man, daß die lokalen oder zeitlichen Änderungen des
Wirtschaftsbetriebes auch auf die Ausgestaltung des Hauses von entscheiden-
der Bedeutung sind, und bei so völlig eigenartigen Bodenverhältnissen, wie
sie auf den Halligen bestehen, werden wir von vornherein annehmen müssen,
daß das volkstümliche Haus dieser nordfriesischen Inseln innerhalb des großen
Gebietes des niederdeutschen Haustypus sowohl, wie auch in dem enger
umschriebenen Kreise der Verbreitung des Friesenhauses eine Art Sonder-
gattung für sich bildet. Daß z. B. das durchgehends aus beschränkten Ver-
hältnissen erwachsene Haus der Halligleute nicht gewisse gleichmäßig wieder-
kehrende Unterschiede von dem ausgedehnten Anwesen des wohlhabenden
Marschbauem zeigen sollte, müssen wir an und für sich schon für unwahr-
scheinlich halten. So bietet uns denn auch in der Tat das Hallig-
haus im Durchschnitt eine Form des Grundrisses dar, die eine
allmähliche Verkümmerung des Wirtschaftsteiles des Hauses
zu gunsten des Wohnteiles erkennen läßt.
Es leuchtet ein, daß in denjenigen Gegenden, wo der Ackerbau nur
sehr wenig oder garnicht betrieben wird, auch die Deele, die große Dresch-
tenne, in ihrer Wichtigkeit sehr stark eingeschränkt und verkümmern wird,
oder endlich sogar ganz verschwinden kann. Nun aber ist der Ackerbau auf
den Halligen infolge der Natur des Landes ganz unmöglich. Die Bevölkerung
110) In diesem Punkte ist eine Bemerkung des Herrn Baurat Prejawa in seinen
sonst sehr willkommenen Ergänzungen zu meinem Bericht über das Diepholzer Flett und
Dönse (Mitteilungen aus dem germ. Museum 1903 S. 131 ff.) zu berichtigen (vergl. a. a. O.
S. 134).
111) Vergl. die im Deutschen Bauernhaus-Werk mitgeteilten Grundrisse.
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VON DB. orro laüffer-frankfurt a. m. 149
ist, abgesehen von dem erwähnten stark entwickelten Schifferleben, in land-
wirtschaftlicher Beziehung lediglich auf Viehhaltung und Heuernte angewiesen^ **).
Die wirtschaftliche Notwendigkeit der Dreschtenne ist dadurch gänzlich auf-
gehoben, und auch die dtirch sie bedingten Weiten Bodenräume erschienen
dem Bauern allem Anschein nach nicht so wichtig und unentbehrlich, daß
sie die, zumal bei dem Mangel an Bauholz sehr beträchtlichen Baukosten
notwendig erscheinen Heften. Man konnte sich in dieser Hinsicht behelfen,
und man behalf sich tatsächlich in der Weise, wie Biernatzki es schildert:
>Das geborgene Heu wird in Diemen zusammengehäuft, über die ein Flecht-
werk von Stroh, an beiden Enden mit Steinen belastet herabhängt, wodurch
sie eine solche Festigkeit gewinnen, daß nur mit einem eisernen Spaten das
zum jedesmaligen Gebrauche Nötige abgestochen werden kann, und diese
Heuberge an der Seite des Hauses oft noch eine Zuflucht geben, wenn die
Mauern vor der Gewalt der Wellen niederbrechen« ^^*). Damit war auch der
letzte Grund geschwunden, der innerhalb des gegebenen Hausgedankens eine
Beibehaltung der Tenne hätte stützen können.
Dieser Entwicklung gemäß treten uns auf den nordfriesischen Inseln
Grundrißformen entgegen, in denen die Diele entweder zu einem beinahe qua-
dratischen Gemach verkürzt ist, wofür Jensen a. a. O. S. 201, Fig. I ein
Beispiel bietet, oder zu einem zwischen Stallungen und Wirtschaftsräumen
durchlaufenden Gange zusammengeschrumpft ist, wobei die T-förmige Lage
dieses Ganges zum Hausflur noch an die alte Gruppierung erinnert. Für
dieses letztere Entwicklungsstadium hat U h 1 e auf der Insel Föhr einen Beleg
gefunden und a. a. O. S. (65) Fig. 7 abgebildet. Auch der von Traeger,
Halligen S. 255 Fig. 9 dargebotene »Grundriß des Hauses einer der größten
Halligstellen« erinnert noch daran. Bei kleineren Haushaltungen aber schwindet
schließlich auch der letzte Rest, ja man kann sagen jede sichtbare Erinnerung
an den alten Dreschraum. Seine einzige Nachwirkung ist nur noch in der
Tatsache zu verspüren, daß das Haus durch den von der Haustür zur Hinter-
tür quer durchlaufenden Flur nicht nur räumlich, sondern auch wirtschaftlich
in zwei von einander geschiedene Teile zerlegt wird, indem auf der einen
Seite des Flures sämtliche Wohnräume, auf der anderen sänjtliche Stallungen
untergebracht sind. Dieses Stadium wird durch den von Jensen a. a. O.
S. 201 abgebildeten Grundriß eines Föhrer Hauses vertreten, welches sich
auch durch den Abbruch einer ehemaligen Scheune und eines Gefaches des
Wohnteiles als in der Verkümmerung befindlich darstellt.
Derselbe Zustand, der durch den — gleichfalls als »Diele« bezeichneten
— Flur vollzogenen Trennung von Wohn- und Wirtschaftsräumen wird auch
112) Traeger, »Friesische Häuser« S. 114. Jensen a. a. O. S. 138.
113) Biernatzki, »Die Hallig< S. 10/11. Trotz der von Traeger, »Halligen«
S. 240 an B. geübten Kritik, daß seine Halligschilderungen nicht ganz zuverlässig seien,
darf obige Schilderung wohl als der Wahrheit entsprechend angenommen werden, zumal
wenn wir die von Meiborg Abb. 89 u. 90 dargebotenen Bilder zweier Pellwormischer
Bauernhöfe damit vergleichen, die von einer erstaunlich großen Reihe hoch aufgetürmter
Diemen dicht umdrängt sind.
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150
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
noch durch den Grundriß des »Hauses Prott in Westerland« auf Sylt doku-
mentiert, der in dem deutschen Bauernhauswerke auf Tafel > Schleswig- Hol-
stein Nr. 10« dargeboten ist. Aber auch hier hat* sich bereits der Wohnteil
zu Ungunsten des Wirtschaftsteiles ausgedehnt, denn von diesem letzteren
ist ein neben dem nach der Hintertür gerichteten Flurteile, der sogen. Hinter-
diele gelegener Raum als Leutestube benutzt, mithin zum Wohnraum ge-
worden. Erst damit ist der entscheidende Schritt getan, der uns endlich zu
der Einteilung des kleineren Durchschnittshauses der Halligen führt. Traeger
hat von denselben in seinem Aufsatz »Friesische Häuser« Fig. 1—3 einige
Grundrisse dargeboten, und diese gebe ich hier in Fig. 31—33 wieder ***J.
Von diesen 3 Häusern kann man, wenn man will, das zuerst im Grund-
riß wiedergegebene (Fig. 31) noch ähnlich wie das eben besprochene Haus
Prott in Westerland beurteilen. Auch hier kann man zur Not noch in der
Gruppierung der beiden Dielen zu einander die Reste der alten T-förmigen
Zu Fi«:. 31:
1) Diele. 2) Wohnräume.
3) Wandbetten. 4) Wandschrank.
5) Küche. 6) Kellertreppe.
7) Speisekammer. 8) Bodentreppe.
9 u. 11) Stallräume.
10) Brunnenraum. 12) Düngerrinne.
13) Herd. 14) Schornstein.
15) Einlegeröfen. 16) Dittenschacht.
Fig. 31. Qrundriss eines Hallischauses nach Traeger, Friesische Häuser S. 114.
Disposition erkennen. Aber mehr noch als in jenem Hause sieht man hier,
wie der Bedarf an Stall- und Wirtschaftsräumen zurückgegangen ist. Sie
sind fast auf ein Sechstel der gesamten Bodenfläche des Hauses beschränkt,
und dafür sind die beiden links von der Hauptdiele gelegenen Räume , die
eigentlich mit zum Wirtschaftsteile des Hauses gehören, zu Wohnzwecken
verwandt worden. Nicht wesentlich anders erscheint die Beschränkung der
114) Johansen gibt für das Hallighaus noch eine reinliche Trennung von Wohn-
teil und Wirtschaftsteil als allgemein üblich an, denn er sagt in seinem »Halligenbuch<
S. 28 >Nur an der einen Seite der Haustür sind einige größere Fenster; denn dies ist
die Seite, wo sich die Wohnzimmer und die Küche befinden, während die andere Hälfte
des Hauses als Stallgebäude, Feucrungs- und Heuraum benutzt wird und daher nur mit
kleineren Fenstern verschen ist«. Daß diese Mitteilung zum mindesten nicht durchgehend
richtig ist, wird durch Träger 's Grundrisse klar erwiesen. Johannsen kann darum
für manche Fälle, wo es sich um größere Betriebe handelt, trotzdem Recht behalten mit
seiner auf S. 32 gemachten Angabe, daß »vielerwärts mehr als die Hälfte des Hauses für
landwirtschaftliche Zwecke eingerichtet sei«. Dann sind eben dem einfachen Hausrecht-
eck noch besondere Wirtschaftsräume durch Anbauten hinzugefugt. Aber darum handelt
es sich hier nicht. Für uns ist hier vielmehr die Frage, ob der Flur das Haus immer
in der Weise durchschneidet, daß er Wohnteil und Wirtschaftsteil völlig von einander
trennt. Unsere Grundrisse zeigen, daß er das nicht tut.
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VON DR. OTTO LAÜFFER-FRANKFURT A. M.
151
Wirtschaftsräume bei dem Grundriß in Fig. 32. Von diesem Hause ist wohl
zu vermuten, daß es einmal um einige Fach nach rechts erweitert, sein Raum
also um die Eckdiele nebst Speisekammer und dahinterliegenden Wohnraum
vermehrt worden ist. Nur so erscheint mir die sonst ganz unorganische Eck-
diele erklärlich. Ich habe diesen Grundriß genau nach Traegers Vorbilde
wiedergegeben, nehme aber an, daß er eigentlich umgekehrt werden muß,
um richtig und wie Fig. 31 und 33 orientiert zu sein. Man sieht auf diesen
beiden letztgenannten Grundrissen deutlich, daß — wie auch sonst hervor-
gehoben wird — für die Wohnräume die Lage an der Südseite des westöst-
lich gerichteten Hauses bei dem erklärlichen Wunsche nach Licht und Wärme
die übliche ist, und auch wo von dem Wirtschaftsteile Wohnräume abge-
sondert worden sind, scheint es in erster Linie auf der Südseite des Hauses
geschehen zu sein, während Wirtschaftsräume und Küche nach der Nordseite
liegen. Bei Fig. 32 würde nach Traegers Orientierung in allem das Gegen-
teil der Fall sein. Ich glaube daher für eine Umdrehung des Grundrisses mich
entscheiden zu sollen.
Zu Fi«:. 32: -1)01616.
2) Wohnräume.
3) Wandbetten.
4) Brunnen. 5) Küche.
6) Kellertreppe.
7) Herd.
8) Einlegeröfen.
9) Speisekammer.
10) Bodentreppe.
11 u. 12) Viehverschläge.
13) Schafstall.
14) Düngerrinne.
15) Futterkrippen.
16) Deckenstützen.
Fig. 32. Qrundriss eines Halligrhauses nach Traeger, Friesische Häuser S. 115.
Die Anordnung: Wohnräume nach Süden und Osten, Küche und Stall-
räume nach Norden und Westen begegnet uns auch bei dem dritten Hause
(Fig. 33), das sich von den beiden ersteren im Wesentlichen eigentlich nur
durch den hinteren Stallanbau unterscheidet , das aber gerade durch diesen
Anbau noch bei den beschränkten Verhältnissen des Hallighauses die Leich-
tigkeit derartiger Erweiterungen zeigt, die auch sonst bei dem Friesenhause
in so überraschender Weise uns entgegentritt. Dieselbe hat zu den erwähnten
komplizierten Grundrissen, die man in manchen Gegenden des Friesenhaus-
Gebietes antrifft, überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, und sie scheint
sich vor allem durch die weiterhin zu besprechenden konstruktiven Eigen-
tümlichkeiten des friesischen Hauses zu erklären. —
Vergleicht man das, was ich bislang über die Entwicklungsgeschichte
des Hallighauses vorgetragen habe, mit den Äußerungen, die Traeger,
»Friesische Häuser« S. 114 — 115 darüber gemacht hat, so wird man bemerken,
daß ich von seinen Ansichten in vielen wesentlichen Punkten abweiche. So
scheint er auch sich der Auffassung Meiborgs anzuschließen, der den Hallig-
häusern holländischen Charakter zuschreibt. Ich kann für diese Meinung
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152
DIE BAUERNSTUBEN DES GEBMANISCHEN MUSEUMS.
nicht den geringsten Anhaltspunkt finden, trotzdem der Verkehr mit Holland,
wie wir fernerhin sehen werden, sonst reichlich bezeugt ist. Ich darf aber
natürlich die endgültige Entscheidung dieser Frage der weiteren Lokalforschung
überlassen. Ganz entschieden ablehnen muß ich es dagegen, wenn Traeger
»das fränkische Haus« — er meint wohl allgemein den oberdeutschen Haus-
typus — zum Vergleiche heranziehen will. Eine solche Zusammenstellung
scheint mir nur geeignet, den Leser gründlich in die Irre zu führen. Soviel
ist ja freilich sicher, daß die Stube als Wohnraum — auch hier wird sie
nach Traeger, Fries. Häuser S. 115 als >Dönse« bezeichnet — vom ober-
deutschen Hause her in das niederdeutsche eingedrungen ist, und daß da-
durch, aber auch erst dadurch gewisse Ähnlichkeiten in Bezug auf den Wohn-
teil des Hauses zustande gekommen sind. Aber man darf doch nie vergessen,
Zu Plz. 33:
1) Diele.
2) Wohnräume.
3) Wandbetten.
4) Durchgänge.
5) Küche.
6) Herd mit Backofen.
7) Speisekammer.
8) Kellertreppe.
9) Dittenschacht.
10) Bodentreppe.
11) Stallräume.
12) Schornstein.
13) Gerätkammer.
14) Einlegeröfen.
15) Wandschrank.
Fig. 33. Qrundriss eines Halll8:hau8e8 nach Traeger, Frie.sische Häuser S. 113.
daß diese Ähnlichkeiten nur sekundärer Natur sind, sodaß das unnötige Be-
zugnehmen auf Erscheinungsformen des oberdeutschen Hauses eher geeignet
ist, die Frage nach der Entwickelungsgeschichte des friesischen Hauses zu
verwirren als sie zu klären.
Die neben den Grundrissen stehenden Erklärungen habe ich von Traeger
gleichlautend übernommen. Dieselben zeigen leider insofern eine Lücke, als
in allen drei Fällen die mit 2 bezeichneten Hausteile schlechthin »Wohn-
räume« genannt sind. Nun aber begegnet in Bezug auf sie gerade am nord-
friesischen Hause eine Unterscheidung, wie sie die deutschen Hausformen sonst
heute nicht mehr kennen, und die in den beiden verschiedenen Benennungen
»Dönse« und »Pesel« zum Ausdruck kommt. Es scheint daher angebracht,
an dieser Stelle ein paar kurze Bemerkungen über jene beiden Namen und
Begriffe einzuschalten, und es muß gleich von vornherein gesagt werden, daß
über ihre sprachgeschichtliche Erklärung wohl unter den Germanisten ziem-
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VON DR. OTTO liAUFFKR-FRANKPÜRT A. M.
153
liehe Übereinstimmung herrscht, während über die mit ihnen verbundenen,
ursprünglich doch wohl sicher verschiedenen Begriflfe vom Standpunkt der
Hausforschung noch völliges Dunkel zu liegen scheint. Ziehen wir aber die
Betrachtungsweise der Hausforschung zu Rate, so werden wir erkennen, daß
durch die sprachliche Erklärung der Namen von Dönse nnd Pesel noch nicht
alle Schwierigkeiten gehoben sind. Erst durch eingehende Vergleichung von
Name und BegriflF werden wir der Wahrheit näher kommen.
Der Name »Dönse« ist uns bereits in Diepholtz begegnet. Im Lüne-
burgischen ist er heute noch allgemein gebräuchlich, und er war auch im
Braunschweigischen, wo er heute überall verschwunden scheint, früher weit
verbreitet**'^). Für die Halligen und auch sonst für Schleswig-Holstein ist
er vielfach bezeugt***). Schon im Mittelalter findet sich die Bezeichnung
nicht nur in Niederdeutschland als >dornitze, dornze«, sondern auch im Hoch-
deutschen, wo er heute meines Wissens nirgend mehr vorkommt, als >dür-
nitz, tumitz« bezeugt. Sie taucht schon im frühen Mittelalter in der Form
»tumiza« als Ausdruck für das Heißbad und dann allgemeiner für das heiz-
bare Zimmer auf, und M. Heyne, dem ich diese Angaben entnehme,
berichtet, sie solle ein slavisches Lehnwort sein. Er findet für diese Er-
klärung darin eine Bestätigung, daß der Ausdruck nur bei den nieder- und
hochdeutschen Stämmen, die an Slaven stoßen, vorkomme**^). Wenn diese
Deutung zutrifft, so bleiben darum aber immer noch eine Reihe von Fragen
unbeantwortet, die für die Hausforschung von großer Wichtigkeit sind. Wie
kommt es, daß allein die Friesen, die doch nicht an Slaven anstoßen,
den angeblich slavischen Namen bis heute durchgehends bewahrt haben?
Wie kommt es, daß er sich in den altslavischen Gebieten, soviel ich sehe,
überhaupt nicht findet?**®) ein Umstand, der die slavische Ableitung des
Namens »Dönse« doch erheblich in Frage stellt? Wie soll es endlich zu er-
klären sein, daß man überhaupt darauf kommen konnte, den Raum, für den
man doch in Oberdeutschland den Ausdruck Stube besaß, plötzlich mit einem
slavischen Lehnworte zu bezeichnen? Daß es sich dabei nur um eine Mode-
laune gehandelt habe, erscheint bei dem Verhältnis des deutschen Mittelalters
zum Slaventum ausgeschlossen. Es muß sich doch wohl um eine neue oder
eigengeartete Erscheinung innerhalb der Hauskultur gehandelt haben, die von
den Slaven übernommen und deshalb mit dem slavischen Namen bezeichnet
wurde, vorausgesetzt immer, daß jene sprachliche Erklärung richtig ist. End-
115) Vcrgl. Andree, Braunschweiger Volkskunde 2. Aufl. S. 189.
116) Traeger, Fries. Häuser S. 115. Johansen, a. a. O. S. 29. Als »dörns«
»dömsk«, »dörnisch< bei Meiborg S. 20flf. 108. 191. Als >dönze«, >dörrinsch« bei J. G.
Kohl, >Die Marschen und Inseln der Herzogtümer Schleswig und Holstein.«. Dresden
und Leipzig. 1846. 1. Bd. S. 114.
117) Vergl. Moriz Heyne, Deutsche Hausaltertümer I. S. 123, 166 und 292.
Zahlreiche Nach Weisungen aus Baiern und Mitteldeutschland siehe bei Schm eller, Bair.
Wb. 1, 542 flf. unter »Dümitz«.
118) Franz Tetzner, »Die Slaven in Deutschland«. Braunschweig 1902 kennt
den Ausdruck »Dönz« nur bei den Elbslaven, den Polaben. (S. 356.)
Mitteiluncron aus dem genn&n. Nationalmuseum. 1904. 2i)
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154
DIE BAUKRNSTÜBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
lieh aber wie kommt es, daß der niederdeutsche Bauer, der die Errungen-
schaft der Stube doch dem oberdeutschen Hause und nicht dem slavischen
zu verdanken hatte, für diesen neuen Raum nicht auch den oberdeutschen
Namen, sondern vielmehr das slavische Fremdwort übernommen haben sollte.
Das sind lauter Fragen, auf die meines Wissens bislang jede Antwort fehlt?
Man sieht daraus, wie sehr es noch an der genaueren Erforschung der Ge-
schichte des niederdeutschen Hauses mangelt *^*).
Viel energischer können wir uns vom Standpunkte der Hausforschung
mit der sprachgeschichtlichen Erklärung des Namens > Pesel« auseinander
setzen. Derselbe ist bezeugt als niederd. »pisel, peseU, altfries. »piseU, mhd.
»phieseU ^'"). Er stammt vom mlat. pisalis, dessen Herkunft Du Gange V,
266^ erklärt: »vox autem formata est ex latino pensile, i. locus, in quo pensa
trahunt mulieres.« Diesem hat sich Wackernagel in seinem Aufsatz:
»Die Umdeutschung fremder Worte« (Kleine Schriften III, S. 275 Anm. 1)
angeschlossen, und er sagt, der Pesel sei »eigentlich Arbeitsraum der Weiber
und deshalb ein heizbarer Raum«. Ihm sind dann alle weiteren lexikalischen
und archäologischen Behandlungen des Pesels in dieser Erklärung so sehr
gefolgt, daß es heute für die Sprachforschung durchgehends festzustehen
scheint, daß der Name Pesel nichts anderes als einen heizbaren Raum be-
zeichne "*). In der Tat lassen sich in der mhd. Literatur eine ganze Reihe
von Belegen für die Heizbarkeit des Pfiesels anführen, und besonders die von
Schmeller nachgewiesene Bezeichnung »PfieseU für einen stark geheizten
Trockenraum in Salzsudwerken sowie die Tatsache, daß erstens die franzö-
sische Bezeichnung für Ofen, po^le, ebenfalls auf mlat. pisalis zurückgeführt
wird, und daß sich femer schon mittelalterlich die Umdeutung pilase zu pirale
(TTöp) findet, scheint die Anschauung zu stützen, daß der Pesel von Anfang an
ein Wärmeraum sein müsse.
Trotzdem bleibt es für die richtige Beurteilung wichtig, hervorzuheben,
daß der Pesel seinem sprachlichen Ursprung nach nur ein Arbeitsgemach für
Frauen bedeutet, gleichgültig ob mit oder ohne Heizung ^^^). Wenn er später
119) Um der Sache näher zu kommen, hätte man wohl zunächst einmal zu kon-
statieren, wie weit im niederdeutschen Hause die Dönse bei ihrer ersten Verbreitung
wirklich als Wohnraum im Sinne der oberdeutschen Stube benutzt ist. Daß das zunächst
nur sehr spärlich geschehen ist, und daß die Dönse in dieser Beziehung noch bis tief
in 's 19. Jahrhundert hinein hinter dem Flett als Wohn- und Arbeitsraum zurückstehen
mußte, das beweist — wie mir scheint — eine Mitteilung von Allmers (Marschenbuch
S. 184), der im Anschluß an die Besprechung der rückwärtigen Herdwand fortfahrt: »Erst
hinter dieser Wand sind die Zimmer, die aber nur bei feierlichen Gelegenheiten, bei
Hochzeiten und Kindstaufen gebraucht werden«, eine Bemerkung übrigens, die offenbar
die Verhältnisse des sächsischen Hauses im Auge hat.
12§) Vergl. Heyne, a. a. O. I, S. 122 u. 166.
121) Vergl. Heyne a. a. O.; K. Weinhold, »Die deutschen Frauen« 3. Aufl. n, 88.
Grimm, Deutsches Wörterb. VII, 1696. Ferner die Wörterbücher von Schmeller 2.
Aufl. I, 442. Lexer II, 243. Müller-Zarncke U, 1. Abt. S. 493.
122) Dem entspricht durchaus die Art, in der sich Brinckmann, »Das Hamburgische
Museum« S. 662 darüber äußert, wo er zugleich mitteilt, daß der Name »in ähnlicher
Form auch im skandinavischen Norden vorkommt«.
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VON DR. OTTO LAÜFFER-FRANKFURT A. M. 155
in den literarischen Belegen , die dem Gebiete des oberdeutschen Hauses
entnommen sind, mit dem Begriffe des heizbaren Raumes zusammengefallen
ist, so scheint sein Name dort eben einfach als Modewort für die oberdeutsche
Stube verwandt zu sein. Auf dem Gebiete des niederdeutschen
Hauses aber ist der Pesel fast immer ohne Heizvorrichtung ge-
blieben. Darin beruht der fundamentale Unterschied, den man immer im
Auge behalten muß. Zwar finden sich auch hier gelegentliche Bemerkungen,
die sich auf Heizbarkeit des niederdeutschen Pesels deuten lassen, so wenn
ein Vocabularium von Stralsund übersetzt: »pesel, dornse, estuarium«, oder
wenn eine Stelle bei Richthofe n, 47,12 sagt: »vnd [wenn] de kolde wynder
an geidt, so geidt alle mhan ahn syn hoff vnd huss edder ahn synen warmen
pysell«, oder endlich wenn Neocoi-us 1,165 beschreibt: am anderen ende
(der Diele) ein ehrlich gemack , se hetent pisell , dar in se vor olders tho
winters und sommerss tidt, nun averst bi den meisten des sommers ehr
wesent hebben mit ehrem gesinde und kinderen gehatt, ock darin se einen
frombden gast gevoret unde getracteret.« Aber alle diese Beispiele, die ich
bei S. Schiller u. A. Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch III, 332/3
finde , sind lediglich als Ausnahmen zu betrachten , deren nähere Erklärung
ich vorläufig weiterer Lokalforschung überlassen muß.
Das Wichtige bleibt, daß auch Schiller und Lübben erklären, daß der
Pesel heute :>in den Bauernhäusern meist ohne alle Heiz Vorrichtung ist«, wobei
freilich der Begriff der Heizbarkeit nicht, wie sie meinen, »vielfach zurück-
getreten«, sondern überhaupt nie vorhanden gewesen ist. Der Pesel tritt uns
denn auch sonst vielfach als ungeheizter Raum in den literarischen Quellen
entgegen, und um die Richtigkeit meiner Behauptungen zu erweisen, sehe ich
mich genötigt, eine Reihe derselben anzuführen. So ist bei Grimm (W.
B. VII, 1868) eine Stelle aus Schütze zitiert, der den Pesel als »einen
großen, die ganze Breite des Hinterhauses einnehmenden Saal ohne Ofen«
beschreibt, und ebenso berichtet Kohl a. a. O. I, 114 von den friesischen
Inseln, daß der Pesel »gewöhnlich ohne Ofen« sei. Ulr. Jahn, »Das Osten-
felder und friesische Haus« sagt in dem gleichen Sinne: »der Pesel wird
nicht geheizt, hat überhaupt keinen Ofen«^^^), und so lassen sich noch eine
große Reihe von gleichen Zeugnissen anführen ^^^).
Bei alledem könnte es sich nun freilich immer noch um ein im Laufe
der Zeit eingetretenes Verschwinden der früher vorhandenen Heizvorrichtungen
handeln. Daß das nicht der Fall ist, läßt sich jedoch sicher nachweisen,
denn aus der typischen Anordnung der Wohnräume im Friesenhause ist klar
ersichtlich, daß der Pesel dort überhaupt keine Heizanlage gehabt haben kann.
123) Verhandl. d. Berliner Anthrop. Gesellschaft XXII. 1890. S. (532).
124) H. Sauermann, Führer Flensburg. S. 33: >Das Zimmer (Pesel von der Insel
Rom) hat keine Heizstelle. < Sauermann bezeichnet ebenda S. 88 das gleichfalls nicht mit
einer Heizanlage versehene Zimmer von Föhr als »sogenannte Kaltstube«. Ob er mit
diesem, mir sonst nicht begegneten Namen etwas anderes als den Pesel bezeichnen will,
kann ich nicht entscheiden. — Vgl. ferner Meiborg, a. a. O. S. 84: »Der Pesel hat keine
Feuerstelle«, sowie die große Zahl der von ihm gegebenen Grundrisse.
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156
DIE BAUERNSTUBEN DES OERMANlSt^HBN MUSEUMS.
Zu dem Zwecke ist zunächst daran zu erinnern, daß die Heizung durch den
sogen. »Bileggerc geschieht, d. h. durch einen Ofen, der nicht vom Zimmer
selbst angeschürt wird, sondern sich an die Herdwand der Küche anlehnt und
vermittels eines durch diese Wand sich öffnenden Schürloches von der Küche
aus — vielfach unter direkter Übertragung des Herdfeuers — geheizt wird.
Eine andere Art von Öfen gibt es im Bauernhause, man kann fast sagen bis
heute, überhaupt nicht, und es ist klar, daß infolgedessen dort nur derjenige
Wohnraum geheizt werden kann, der sich an die äußere Seite der Herdwand
anlehnt. Nun aber vergleiche man damit die Gruppierung der Wohnräume,
die sich bei der, wie wir früher sahen, durch den quer durchlaufenden Flur
veranlaßten, von Haus aus typischen Trennung von Wirtschaft- und Wohn-
räumen ergab. Ich kann mich dabei auf Clements Worte beziehen: »Von
a) Einfahrtstor.
b) Diele.
c) Siedeln (Stallräume).
d) Bettverschläge fQr das Gesinde.
e) Haustüren.
f) Hausflur.
g) Küche,
h) Herd.
i) Bilegger.
k) Dönse.
1) Pesel,
m) Dönse für die Altenteilsitzer.
n) Kammer (zur Aufbewahrung der
Milch u. s. w.)
Fig. 34. Schematlscher Qrundriss eines Friesen hauses aus Ostenfeld.
Nach Jahn i. d. Verhandl. d. Berl. Ges. f. Anthrop. XXII. 1890. S. (532.)
der Haustür bis zur Gartentür geht ein Gang gerade durch, nun hat man
entweder links vorn die Tenne, hinten den Stall, und rechts vorn die Stube
(mit Pesel) hinten die Küche, oder umgekehrt rechts Tenne und Stall und
links Stube und Küche, oder man hat links vorn die Küche, hintep die Stube
und rechts vorn die Tenne, hinten den Stall oder umgekehrt rechts Küche
und Stube und links Tenne und Stall. Das ist das echte eigentümliche
friesische HausÄ^^*^).
Daraus geht, soweit es für uns wichtig ist, folgendes hervor: An den
Flur, die Diele, lehnen sich auf der Wohnseite zwei Räume, die Küche und
das Wohnzimmer, die Dönse. Die Trennungswand zwischen ihnen ist die
Feuermauer, an welcher einerseits der Herd, andererseits der Bilegger liegt.
In der Verlängerung nach der Giebelseite des Hauses liegt dann hinter der
125) Vergl. Clement, a. a. O. S. 134—135.
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VON DR. OTTO LAÜFFER-FRANKFURT A.M. 157
Dönse der Pesel und neben diesem hinter der Küche eine Kammer. Diese
letztere kann an der Wand gegen die Küche mit einem Bilegger versehen
und dadurch zu einer, für die Auszügler bestimmten, zweiten Dönse umge-
wandelt, eventl. auch durch Zweiteilung in eine Dönse mit dahinterliegender
Kammer zerlegt werden, wie der schematische Grundriß Fig. 34 — Jahn's
Mitteilungen in den Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropo-
logie XXII. 1890. S. (532) nachgebildet — in den Räumen m und n erkennen
läßt. Der Pesel 1 liegt innerhalb des Wohnteiles des Hauses diagonal zur
Küche g. Er stößt bei einfachen typischen Grundrissen niemals an die
Küchenwand an, und es ist daher die Anbringung eines Bilegger im Pesel
von vornherein immer unmöglich gemacht. Man sieht also, im typischen
Friesenhause konnte der Pesel überhaupt nie geheizt werden, wie uns außer
Fig. 34 eine große Zahl von Grundrissen lehren '**).
Auch für das Hallighaus läßt sich die mangelnde Heizfähigkeit des Pesel
zum Teil noch aus unserer Fig. 33 erkennen , die sonst , wie wir sahen,
einen schon nicht mehr typischen Grundriß des Friesenhauses darstellt.
Wesentlich deutlicher wird sie durch die von Traeger, Halligen Fig. 8 und 9
abgebildeten Grundrisse zweier Hallighäuser zur Darstellung gebracht.
Durch alles dieses hoflfe ich mit hinreichender Beweiskraft erwiesen zu
haben, daß der Pesel des Friesenhauses von Anfang an nicht heizbar war,
eine Tatsache, die — soviel ich sehe — im Gegensatz zu den Anschauungen
der Sprachforscher nur Ulr. Jahn bislang erkannt hat, der a. a. O. S. (532)
sich dahin äußert : »Der Pesel wird nicht geheizt, hat überhaupt keinen Ofen
. . . Wenn also wirklich Pesel aus pisalis, heizbares Gemach, vgl. franz.
po^le herkommen soll, so ist es lucus a non lucendo.« Da aber auch Jahn
der dabei sich ergebenden sprachlichen Schwierigkeiten nicht Herr geworden
ist, so fasse ich meine Anschauung noch einmal kurz zusammen: Der Aus-
druck mhd. phiesel, nd. pisel, pesel kommt von mlat. pisalis und
bedeutet »Arbeitsraum«. Derselbe entsprach im oberdeutschen
Hause der Stube und war geheizt, wodurch sich auch erklärt, daß
man in Frankreich den, dem oberdeutschen Hause eigentümlichen
Ofen infolge einer Begriffsübertragung als pisalis: po^le bezeich-
nete. Im niederdeutschen Hause dagegen ist der Pesel bis in die
neueste Zeit ein ungeheizter Raum geblieben.
Die Art der Benutzung, in welcher der friesische Pesel gestanden hat
und vielfach heute noch steht , wird von den vielen Berichterstattern mit
großer Übereinstimmung geschildert. So erzählt W. Hamm, a. a O. S. 614/15:
»Der Pesel ist ein großer Raum, der Saal des Hauses. Da stehen rings um-
126) Vgl. Deutsches Bauernhaus-Werk, Bll Schleswig-Holstein Nr. 4-7 und
10—11, wo freilich zum Teil auch kompliziertere Grundrisse mit ganz abseits liegendem,
aber auch da immer ungeheizten Pesel sich finden. Vor allem aber mehr als ein Dutzend
Grundrisse in Meiborgs vortreflflicheni Werke. Die dortselbst S. 105 mitgeteilte Tat-
sache, daß in den Heidegegenden Mittelschleswigs der Pesel inmitten der Scheidewand
gegen die Küche einen großen Kamin besitzt, ist offenbar eine unter bestimmten Ein-
flüssen entstandene lokale Spezialität.
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158 DIB BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
her an den Wänden die großen eichenen Kisten mit künstlichem Eisenbeschlag
von durchbrochener Arbeit, rot oder grün ausgemalt, mit Blumen, Namens-
zügen und Jahreszahlen, zumal der Jahreszahl der Verheiratung des Ehepaars.
In diesen Kisten befinden sich die Schätze von Bett- und Leinenzeug. Wir
erblicken außerdem regelmäßig noch einen großen, bis zum Boden reichen-
den braunen Schrank, reich verziert mit Schnitzwerk. . . . Der Pesel ist ohne
Ofen, mit steinerner Diele; er wird gebraucht an den Tagen besonderer
Familienereignisse. Hier ist die Hochzeit gehalten ; hier haben sich die Gäste
an den Tauftagen der Kinder versammelt; hier sollen die Leichen der ver-
storbenen Hausbewohner stehen, wie wohl schon deren viele hier gestanden
haben mögen. Da hat der Küster, ehe die Leichen aus dem Hause gebracht
wurden, einen Gesang angestimmt und eine Parentation gehalten, dann haben
die Verwandten und Nachbarn zahlreich ringsumher gesessen beim Trauer-
mahl (Erbbier) nach angehörter Leichenpredigt und nach geschehener Be-
stattung des Toten.« Diese Schilderung gilt für das Angler Haus, aber auch
sonst wird der Pesel, vielfach fast mit den selben Worten, als ein Raum
geschildert, der je nach Bedarf als Prunk- und Staatsstube hergerichtet oder
überhaupt zu allen Veranstaltungen innerhalb des Wohnungswesens benützt
wird, zu denen die Dönse keinen ausreichenden Platz gewährt'*^, und wenn
in einer, speziell auf das uns hier zunächst interessierende Hallighaus bezüg-
lichen Stelle der Pesel nur als »großer Raum, der zur Sommerszeit das Wohn-
und Gartenzimmer bildet«, bezeichnet wird, so ist damit sein Wesen wohl
nicht mit hinreichender Genauigkeit umschrieben^*®).
Nach alledem ist nun zwar der Name und die heutige Benutzung des
Pesels ziemlich klargestellt, allein es bleibt dabei doch immer noch unsicher,
wie es kommen konnte, daß der Pesel sich überhaupt als ständiges und typisches
Glied in den Wohnteil des Friesenhauses eingeschoben hat, eine Frage, die
meines Wissens in dieser Form bislang überhaupt noch nicht gestellt worden
ist, deren sichere Beantwortung aber für die Hausforschung von wesentlicher
Bedeutung sein würde. Ich denke mir die Entwicklung etwa folgendermaßen:
In dem Urtypus des Friesenhauses lag der Herd an der Rückwand der Diele,
der Dreschtenne, und die seitlichen Kübbungen wurden einerseits als Wohn-
raum, andererseits als Spülraum benutzt. Als dann unter dem Einflüsse des
oberdeutschen Hauses hinter der Herdwand noch ein Wohnteil angefügt
wurde, bestand derselbe zunächst nur aus zwei Räumen (k und g in Fig. 34).
Diese übernahmen lediglich die Haushaltsfunktionen der Kübbungen, d. h.
der eine (k) wurde Wohnraum, der andere (g) Spülraum. Der Herd blieb
127) Vgl. Johansen, a. a. O. S. 32 (übrigens fast die einzige Stelle, wo das Fehlen
des Ofens nicht besonders erwähnt ist); Kohl, a. a. O. I. S. 114; Meitzen S. 11;
Sauermann, a. a. O. S. 42; Uhle, a. a. O. S. (66); O. Schwindratzheim, >Deutsche
Bauernkunst«. Wien. Martin Gerlach & Co. 1904. S. 28. Ebenso die Mitteilungen über
die >große Stube« (Storstuen) bei Tröls Lund, Das tägliche Leben in Skandinavien,
während des 16. Jahrh.« Kopenhagen 1882. S. 218^19.
128) Th. Mügge, >Eine Sturmnacht auf den Halligen« in Honeks Buch für Winter-
abende 1849 S. 146 (zitiert nach Grimm Wb. VII, 1868j.
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VON DR. OTTO LAUFFER-FRANKFURT A. M.
159
zunächst an seiner alten Stelle , und ebenso wurden der alten Gewohnheit
gemäß alle außergewöhnlichen Veranstaltungen des häuslichen Lebens, als
Kindtaufs-, Hochzeits- und Leichenschmäuse etc., noch auf der Diele abge-
halten. Dann aber trat das entscheidende Ereignis ein, daß — gleichfalls
unter dem Einflüsse des oberdeutschen Hauses — die Wohnräume ganz ab-
getrennt wurden, indem man die nun entstehende Hausdiele (f) von der
Dreschdiele (b) durch eine Quermauer schied. Der Herd wurde nun in den
Spülraum (g) verlegt, der dadurch erst zur Küche wurde. Vor allem aber
war die nächste Folge die, daß nach jener erwähnten Abtrennung nun auch,
wenn ich so sagen soll, die soziale Wertschätzung der Dreschdiele zu sinken
begann. Ihre alte wirtschaftliche Funktion blieb dieselbe, aber sie auch noch
zu Wohnzwecken und noch dazu bei besonderen Feierlichkeiten zu benutzen,
dazu war sie jetzt nicht mehr fein genug. Aus dem Bestreben, diese Lücke
auszufüllen, ist man dann — wie ich annehme — dazu gekommen, den Wohn-
teil um einige Fach zu verlängern, welche hinter der Küche eine Kammer
und hinter der Stube, der Dönse, den Pesel aufzunehmen hatten. Zwei Ziele
wurden dadurch zugleich erreicht: die Kammer bot die wirtschaftliche Ent-
lastung, welche die zur Küche umgewandelte Spülkammer erforderte, der Pesel
aber übernahm alle die Wohnungsfunktionen, die bislang noch von der Dresch-
diele erfüllt waren, und die allein zu übernehmen die Dönse räumlich nicht
ausreichte.
Ob diese meine Auffassung im Einzelnen richtig ist, das zu kontrollieren
überlasse ich gern der weiteren Lokalforschung. Man sieht, welche Aufgaben
sich der niederdeutschen Hausforschung noch darbieten. Jedenfalls aber darf
ich nach allem, was wir über Dönse und Pesel zu sagen hatten, wohl hoffen,
im Verlaufe der weiteren Darstellung , wo wieder von Dönse oder Pesel die
Rede sein wird, eine lebendige Vorstellung davon voraussetzen zu können,
denn nichts wäre nutzloser, als immer wieder Ausdrücke zu gebrauchen, die
der Leser nur zum Teil oder gar nicht versteht, oder ihm von Begriff*en zu
sprechen, die er nicht kennt. Wem aber sonst unser Bestreben, die Teile
des volkstümlichen deutschen Hauses nach Namen und Bedeutung kennen
zu lernen, auffällig erscheinen sollte, der möge bedenken, daß wir damit für
die deutschen Verhältnisse durchaus keine anderen Studien betreiben, als wie
sie unter allgemeiner Zustimmung die klassische Philologie mit Bezug auf das
antike Haus seit langem pflegt. —
Neben der Behandlung des Grundrisses ist sodann, wie wir sahen , in
gleichem Maße auch die Konstruktionsweise des Hauses für die Zu-
schreibung zur friesischen Art ausschlaggebend. Wenn wir auch von ihr hier
noch mit ein paar Worten reden wollen, so kann es dabei nicht meine Auf-
gabe sein, die konstruktiven Einzelheiten des Hallighauses zu besprechen,
zumal mir in dieser Hinsicht keine eigenen Studien zur Verfügung stehen.
Nur wie weit es der typischen Bauweise des Friesenhauses folgt, können wir
hervorheben.
Die friesische Bauart unterscheidet sich, wie ich bereits in der Ein-
leitung bemerkte, von derjenigen des Sachsenhauses wesentlich dadurch, daß
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160 DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
bei dem letzteren das mächtige Dach auf den Umfassungsmauern ruht, wäh-
rend es beim Friesenhause von Ständern getragen wird, die in gleichen Ab-
ständen — paarweise je ein sogen. Fach bildend — eine ununterbrochene
Reihe von Stützen darstellen. Woher diese Konstruktionsweise ihren Ausgang
genommen hat, ist klar. Nur an den Gestaden des Meeres und soweit die
Überschwemmungsgebiete reichten, kann sie entstanden sein, denn ihr Zweck
beruht eben darin/ den wichtigsten Teil des Hauses, das Dach mit seinem
weiten Vorratsraum, im Falle einer Überschwemmung vor dem Untergange
zu schützen. Dazu aber reichten die Mauern, auf die der von Meereswogen
unbedrohte Niedersachse ruhig sein Dach aufsetzen konnte, nicht aus. Sie
wären von dem Sturm der Wellen eingedrückt oder unterspült und dann
zu Falle gebracht. Ganz anders die schweren Eichenpfeiler. Wenn sie nur
tief genug in den Boden eingerammt waren, und wenn sie nur durch ein
hinreichend festes Gefüge unter sich und mit dem Balkenwerk des Daches
verbunden waren, so konnten die zwischen ihnen aufgeführten Wände und
die das Haus umschließenden Außenmauem ruhig von dem überschwemmen-
den Meere umgeworfen werden, die Stützen selbst aber überstanden für lange
Zeit den Andrang der Wellen, und wenn das Wasser nicht gar zu hoch
stieg, retteten sie das auf ihnen ruhende Dach, das wie ein Pfahlbau aus
den Wogen hervorragte, die unter ihm in Diele und Stall, in Dönse und
Pesel ihr Wesen trieben.
Das Hallighaus hat an dieser friesischen Konstruktionsweise teilgenommen,
und wenn z. B. von der Überschwemmung des Jahres 1717 berichtet wird:
»auf der Hallig Nordmarsch stand das Wasser eine Elle hoch in der Kirche,
19 Häuser wurden völlig vernichtet, nur 11 blieben unbeschädigt, die übrigen
48 sind durchgespült und auf bloßen Säulen stehen geblieben,« so sehen wir,
daß damals mehr als die Hälfte sämtlicher vorhandenen Wohnhäuser lediglich
jener Säulenkonstruktion die Rettung vor gänzlicher Vernichtung zu danken
hatten ^**). So bemerken wir denn auch, daß man auf eine größtmögliche
Standfestigkeit der Säulen von vornherein eifrigst bedacht war. Im Grunde
genommen kann man die ganze, mit unendlicher Mühe aus übereinander gelegten
Rasenstücken erbaute Werft schon mit zu den Substruktionen des Hauses
rechnen *®% und Johansen erzählt, daß in den Fällen, wo die Werft von
Grund aus neu gebaut werden mußte, schon während dieser Arbeit die eichenen
Ständer aufgerichtet und dann in der schichtenweise um sie emporwachsen-
den Werft immer mehr mit Erde und Rasenstücken fest umschlossen wur-
den *^^). Wenn man dann, nach Fertigstellung der Werft, um die Ständer
herum das Mauerwerk aufführte, so suchte man ihre Festigkeit auch jetzt
noch zu erhöhen, indem man sie an den vier Ecken in das Mauerwerk ein-
schloß^«").
129) Vgl. Traeger, Halligen S. 239.
130) Vgl. Kohl, Marschen etc. I, 328.
131) Johansen, Halligenbuch S. 26/27. Vgl. auch Sauermann, a. a. O. S. 86/87.
132) Traeger, Fries. Häuser S. 118. Sach, a. a. O. S. 240.
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VON DR, OTTO LAÜFFKR-FRANKFÜRT A. M.
161
Das ist die oft bewährte friesische Konstruktionsweise, die ebenso wie
für die alten Hallighäuser auch z. B. für diejenigen auf der Nachbarinsel Föhr
bezeugt wird^^**). Auch sie ist trotz ihrer offenbaren Vorzüge seit längerer
Zeit im Verschwinden begriffen, denn Jensen berichtet, daß man auf der
Insel Sylt schon im 18. Jahrhundert angefangen habe, die Querbalken des
Daches nicht mehr auf das Ständergerüst, sondern auf die Mauer zu legen ^^*)i
und in gleicherweise beklagt Traeger für die neueren Häuser der Halligen
nach dieser Hinsicht das Abweichen von der alten Baugewohnheit *^*). Jeden-
falls aber kann man heute von diesem Umbildungsprozeß noch gänzlich ab-
sehen, wenn man die typische Entwicklung des Friesenhauses darstellen will,
und ich glaube, daß auf die konstruktive Art des Ständerbaues auch vor
allen Dingen eine Erscheinung zurückgeführt werden muß, die wir bereits
bei der Besprechung des Grundrisses zu erwähnen hatten. Das ist die am
Friesenhause geradezu typisch auftretende Leichtigkeit der Erweiterung durch
Anbauten, zu denen auch die gelegentliche Verkürzung eines für den Besitzer
zu groß gewordenen Hauses die entsprechende Parallele bildet. Beides hat
für den Beobachter zunächst etwas höchst auffallendes, wenn man bedenkt,
daß bei den anderen volkstümlichen Hausformen ein An- oder Umbau nur
mit den größten Schwierigkeiten verbunden ist, sodaß sich der Bauer zu
ihnen beinahe ebenso schwer wie zu einem völligen Neubau entschließt. Am
Friesenhause allein ist es erklärlich, denn während anderwärts durch einen
Umbau und die damit verbundenen Mauerdurchbrüche zugleich eine Neuver-
teilung der Last- und Stützenverhältnisse erforderlich wurde, der sich die
ländliche Technik nicht gewachsen zeigte, so war es bei der geschilderten
Ständerkonstruktion wie wir sahen sogar möglich, daß sämtliche Mauern fort-
fielen , ohne dadurch die Standfestigkeit des Daches zu gefährden. Unter
solchen Umständen, aber auch allein unter solchen, bedeutete es auch für
die verhältnismäßig primitive Bautätigkeit keine allzu große Schwierigkeit,
dem alten Hause ein paar Gefache an- oder vorzubauen, oder andererseits
auch es um ebenso viel zu verkürzen.
Das Dach, welches vor den von Biernatzki geschilderten Diemen in
erster Linie als Speicherraum für das Heu , daneben auch für Hausrat und
Wintervorräte dient, ist nach Traeger mit Rohrschauben gedeckt ^^**). Wenn
Johansen, Halligenbuch S. 27 von Strohdächern spricht, so kommen die-
selben für die Halligen selbst wohl weniger in Betracht , da dortselbst wie
gesagt keine Halmfrüchte gezogen werden können. Für Amrum und Sylt
dagegen bezeugt sie auch Jensen (S. 143), indem er zugleich berichtet, daß
beim Decken jener Dächer Seile, Reepen oder Roper genannt, verwandt wer-
den. Aus jeder First ragt ein Schornstein hervor. Giebelkrönungen aber
sind unbekannt ^^^).
133) Jensen, a. a. O. S. 200—202. 134) Ibid. S. 195.
135) Traeger, Halligen. S. 256. 136) Traeger, Fries. Häuser S. 119.
137) Johansen, S. 27—28. Auch Clement S. 135 sagt: »alle Häuser haben von
jeher Schornsteine gehabt.«
Mitteilungen aus dem german. NationalmuBeam. 1904. 21
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162
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Damit haben wir, wie ich hoffe, das Haus der Halligen in seiner bau-
lichen Art auch vom entwicklungsgeschichtlichen Standpunkte ein wenig kennen
gelernt, und wohl könnte es uns locken, uns nun auch durch einen Rund-
gang mit der inneren Ausstattung aller seiner Räume bekannt zu machen.
Jedoch hier müssen wir uns bescheiden : die Stube allein konnte im Ger-
'manischen Museum aufgebaut werden, und so können wir auch nur ihr noch
unsere weitere Betrachtung hier zuwenden.
Ehe wir in der Reihe der Museumsbauemstuben die Tür zur Dönse
des Hallighauses öffnen, müssen wir gleich mit einem Geständnis beginnen.
Der Raum, so wie wir ihn sehen werden, ist nicht etwa, wie es wünschenswert
wäre, in allen seinen Teilen von einer der Halligen nach Nürnberg übertragen
worden, um dort genau in derselben Weise wieder aufgebaut zu werden.
Nur für die Möbeln und Ausstattungsstücke trifft das völlig zu. Die Bauteile
dagegen sind leider nicht durchweg alt, sodaß manches ergänzt werden mußte.
Dazu kommt auch noch, daß der umschließende Museumsbau gerade für diese
Stube nur einen so knapp bemessenen Raum übrig ließ, daß eine der vor-
handenen Türen an einer Stelle in die Wand eingesetzt werden mußte, wo
sie in Wirklichkeit niemals stehen kann. Wenn man also in Rücksicht auf
den Hausgedanken, von dem jede Stube einen Teil bildet, an der Halligstube
des Germanischen Museums Kritik üben will, so ist das, wie wir uns selbst
am wenigsten verhehlen, durchaus berechtigt. Hier könnte wiederum nur
ein Freiluftmuseum allen Ansprüchen Genüge tun. Wer aber von jenem
erwähnten Mangel absieht, indem er mehr auf die zur Anschauung gebrachte
Hauskultur und^auf die in die Augen fallende reiche Betätigung der lokalen
»Bauemkunst« den Nachdruck legt, der wird sich alsbald überzeugen, daß
das Museum über eine verhältnismäßig große Zahl durch ihre Ausstattung
bemerkenswerter Einzelstücke verfügen konnte. Und hoffentlich wird man
uns dann auch darin Recht geben, daß es doch wohl am meisten sich empfahl,
alle diese Stücke samt Möbeln und Gerät in wenn auch nur annähernd zu-
treffender Weise zu einem geschlossenen Räume zu vereinen, denn daß sie
hier wesentlich besser und richtiger zur Geltung kommen als in einem großen
Museumssaale, wird niemand bestreiten können.
Der Raum soll, wie bemerkt, eine Halligdönse zur Anschauung bringen.
Er ist 3,85 m lang und 3,35 m breit. Seine Höhe beträgt 2,60 m. Wesent-
lich bleibt das nicht hinter den gewöhnlichen lokalen Verhältnissen zurück,
denn auch mit Bezugnahme auf die im Flensburger Museum aufgebaute
»Wohnstube von der Hallig Hooge« berichtet Sauermann (S. 30) erklärend:
»mit Rücksicht auf die hohe exponierte Lage des Hallighauses auf der Werft
sind die Größen- und Höhenabmessungen beschränkt.« Ebenso wäre auf
Jensens Angabe zu verweisen , daß die Stubendecke nur sechs bis sieben
Fuß^über dem Fußboden lag: »man erzielte dadurch eine leichter zu erwär-
mende Stube, die meist nur klein war«^^^).
138) Jensen, a. a. O. S. 196. — Für das sächsische Haus in Schleswig-Holstein
gibt Hamm a. a. O. S. 606 ^^ eine Stubenhöhe von selten mehr als 10 Fuß an.
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VON DR. OITO LAUFrER.FRANKFURT A. M. ^63
Wohl das Auffälligste in der baulichen Erscheinung des ganzen Raumes
besteht darin, daß er keine gerade Decke hat. Dieselbe wird vielmehr in
etwa ^',4 m großer Entfernung von der Fensterwand plötzlich von einem, mit
dieser parallel laufenden Balkendurchzug unterbrochen, von welchem sie dann
schräg zum oberen Rande der Fenster abfällt. Fig. 35, die wir ebenso wie
Fig. 39 der Freundlichkeit der Direktion des Kunstgewerbe-Museums Flens-
burg zu verdanken haben, gibt eine gute Vorstellung davon, und man sieht,
wie die über dem Fenster sich hinziehende Deckenschräge in eigentümlicher
Weise dazu beiträgt, die reizvolle Raumwirkung des Gemaches zu erhöhen,
daher sie uns denn auch sonst mehrfach in^Abbildungen begegnet^''''). Trotz-
Fig. 35. Zimmer vom Jahre 1631 aus Nieblum auf der Insel Föhr.
Aufgebaut im Kunstgewerbe-Museum zu Flensburg.
dem ist sie nicht in erster Linie als dekoratives Moment zu betrachten, viel-
mehr ist sie eine direkte Folge der früher besprochenen konstruktiven Ver-
hältnisse des Friesenhauses, denn der hier sichtbare schwere Unterzug^eben
ist es, der — auf den in den Seitenwänden versteckten Ständern ruhend —
die Last des Daches aufzunehmen hat. Freilich wäre ja auch so, wenn es
sich nur um den Unterzug allein handelte, eine gerade Durchführung der
Decke immer noch möglich, aber zweierlei kommt dazu : einmal die Tatsache,
daß bei den älteren Friesenhäusern das Ständergerüst nicht in der Hauswand
139) Vgl. Schwindrazhcim, Bauernkunst. Taf. I (farbig). Deutsches Bauern-
hauswerk. Halligblatt, Abb. 1, 3 u. 18. Mielkc, Volkskunst. Abb. 41 (nach Zeitschrift
für Innendekoration). Meiborg, a. a. O. Abb. 128 und 129 (Gegend zwischen Husum
und Tondcrnj.
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164
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
selbst liegt, sondern nach dem Hausinnem zu ein Stück von ihr zurückliegt,
zweitens aber die Eigentümlichkeit, daß die Außenwand selbst, wohl um bei
Überschwemmungen weniger leicht umgeworfen zu werden, nur zu einer mög-
lichst geringen Höhe emporgeführt wird, so daß sie nicht ganz bis an die
Stubendecke heranreicht. Erst indem, meist durch Schalbretter, die Verbin-
dung von der oberen Wandkante zu dem höher gelegenen Unterzug herge-
stellt wird, entsteht die erwähnte Deckenschräge und die durch sie bedingte
erkerartige Fensternische, die als »Ausbauer« bezeichnet wird, die meist den
bevorzugten Arbeitsplatz innerhalb der Dönse darbietet, und die mit ihrem
weiten Ausblick auf das Meer ein so wesentliches Charakteristikum für die
Raumwirkung der Dönse ausmacht^*®).
Wenn man in dem Räume selbst steht, wird man leicht den Eindruck
haben, als ob mit der Deckenschräge das Hausdach selbst ein Stück in die
Dönse hineinragte. Tatsächlich ist es aber nicht der Fall, denn die Schal-
bretter bilden, wie man sich im Bodenraum des Hauses überzeugen kann,
mit der Dachneigung einen Winkel, und so entsteht unter dem Dache eine
Art toten Raumes, der zu nichts anderem gut ist, als daß die Katzen dort
ihr Wesen treiben, woher er denn auch den Namen »Kattschurf« oder »Katt-
schirm« erhalten hat**').
Die also dargestellten konstruktiven Grundbedingungen des »Ausbauers«
legen übrigens den Gedanken nahe, daß mit ihm und seiner Deckenschräge
auch eine andere erwähnte Eigentümlichkeit des Friesenhauses, die scheinbar
gar nichts mit ihm zu tun hat, in einem ursächlichen Zusammenhang stehen
möchte, das sind die Dachgiebel über der Tür. Freilich ist, nach den mir
zur Verfügung stehenden Abbildungen zu urteilen, die Haustür nirgends höher
als die daneben liegenden Dönsenfenster hinaufgeführt , insofern könnte die
Deckenschräge also wie in der Dönse oberhalb der Fenster, so auch in der
Hausdiele oberhalb der Tür durchlaufen. Nun aber ist doch etwas anderes zu
bedenken. Wenn man, wie es überall geschehen ist, oberhalb der Tür noch
ein Dachloch zum Einholen der Heuvorräte etc. anbringen wollte, so
hätten sich bei einer einfachen Dachluke die größten Schwierigkeiten er-
geben, solange der »Kattschirm« auch über der Tür durchlief. Es ist mir
sehr wahrscheinlich , daß man vor allem , um* oberhalb der Tür den Katt-
schirm zu vermeiden, die Hauswand an dieser Stelle höher hinaufführte und
so die besprochenen Türgiebel entstehen ließ. Jedenfalls aber wäre zu
untersuchen, ob der in neuerer Zeit mehrfach begegnende Fortfall der
Giebel sich nur an den Häusern findet, wo auch die Ausbauer fehlen, wo
also die Ständer entweder innerhalb der Hausmauer liegen , oder wo das
friesische Stützensystem überhaupt aufgegeben und das Dach direkt auf die
Mauer aufgelegt ist. Wenn das Verschwinden jener beiden typischen Er-
scheinungen des Friesenhauses überall gleichzeitig auftreten sollte, so wäre
140) Vgl. Jensen, a.a.O. S.204 (Föhr u. Sylt) ; Uhle, a.a.O. S. (65); Schwind-
razheim, a. a. O. S. 120.
141) Uhle, a. a. O. S. (65). Vgl. auch Sau er mann, a. a. O. S. 87, der aber
mit Uhle's Ausführungen nicht ganz überein zu stimmen scheint.
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VON DR. OTTO LAUFFEH-FHANKFUHT A. M.
165
meines Erachtens dadurch sicher bewiesen, daß sie auch da, wo sie gemein-
sam vorhanden sind, sich gegenseitig bedingen.
Von den Fenstern der Museums-Dönse ist eines nur einflüglich. Das
andere hat zwei Flügel mit je 12 Scheiben und ist mehr breit als hoch
(1,27 : 1,10 m). Jensen berichtet, daß die Stube des Föhrer Hauses im
Anfang des 19. Jahrhunderts in der Regel zwei Fenster mit je 16 Scheiben
enthielt 1*2).
Was im übrigen die Zusammenstellung der einzelnen Stubenteile im
Germanischen Museum anlangt, so haben wie gesagt, äußere Einflüsse mehr-
fach darauf eingewirkt. Es scheint deshalb angebracht, zunächst ein paar
Schilderungen anzuführen, die der nordfriesischen Literatur entnommen sind.
So schreibt Johansen, Halligenbuch S. 28 — und Jensen S. 204 stimmt
ihm zu — : »die Wohnzimmer, Dönsen, in den Hallighäusern sind den Schiflfs-
kajüten ähnlich. Die hölzerne Wand — der Stubentür gegenüber — heißt
die Bettwand. In dieser Wand befinden sich die Bettstellen, welche aus
Nischen bestehen, die mit Betttüren versehen sind. Zwischen den beiden
großen Wandbettstellen hängt die holländische Wanduhr, deren Gehäuse mit
Meerweibergestalten verziert ist, ebenfalls in einer Nische. In einem Winkel
des Zimmers, bisweilen auch über dem eisernen Beilegerofen, siehst du den
Glasschrank, ebenfalls eine Nische, und hinter der Glastür glänzt das Silber-
und Porzellangeschirr. In der Ofenwand , zwischen Wohnstube und Küche,
ist der eiserne Ofen eingemauert.« Dieselbe Anlage, wie sie hier geschildert
ist, zeigt auch das Wohnzimmer des Hauses Prott in Westerland auf dem
mehrfach erwähnten Blatte des deutschen Bauernhauswerkes, sie ist also offen-
bar als die typische anzuseheil.
Der Vergleich der nordfriesischen Dönse mit einer Schiffskajüte, den
die angeführte Stelle enthält, findet sich auch sonst. Auch Sauermann
hebt bei der Beschreibung des Pesels von der Insel Rom die gleiche Ähn-
lichkeit heraus (S. 33), und es darf hier wohl darauf hingewiesen werden,
daß Lehmann, indem er die Kajüte eines Blankeneser Fischerewers beschreibt,
die Gleichartigkeit der Blankeneser Stube hervorhebt ^^*). Der Vergleich muß
sich in der Tat aufgedrängt haben bei alle den Zimmern, in denen die Wände
größtenteils vertäfelt waren. Bei der Bettwand war das ja immef der Fall,
vielfach auch bei der Fensterwand, und wo auch die Wand nach dem Haus-
flur die gleiche Ausstattung erhielt, da blieb nur die Ofenwand zur Bedeckung
mit Fliesen übrig, und wenn man dann die Holzdecke der Stube noch mit
in Betracht zieht, so liegt bei der Niedrigkeit des Raumes und der Kleinheit
der Fenster der Vergleich mit der Kajüte sehr nahe, umsomehr als es größten-
teils eine Schifferbevölkerung ist, die diesen Raum bewohnt (vgl. Fig. 35).
In der Dönse des Germanischen Museums hat man den kajütenartigen
Eindruck nicht so sehr, denn hier herrscht die Fliesenwand vor. Nicht nur
142) Das Föhrer Zimmer im Flensburger Museum enthält »zwei dreiteilige Fenster
von mäßiger Höhe, die durch verschiebbare Läden von innen geschlossen werden können.«
(Sauermann, S. 88.)
143) Mitteilungen aus dem Altonaer Museum 1903. S. 40.
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1^6 DfK BAUERNSTUBEN DES (iEKMANlSOriEN MUSEUMS.
die Ofenwand, sondern auch die Fensterwand und diejenige nach der Vor-
diele sind mit Plättchen belegt, die hier nach Weigelt S. 25, in einer der
ursprünglichen Bedeutung des Wortes durchaus nicht mehr entsprechenden
Weise, als »Kacheln« bezeichnet werden ^^^), und es geht aus mehr als einer
Stelle der einschlägigen Literatur hervor, daß auch sonst die Fliesen nicht
nur auf die Ofenwand beschränkt geblieben sind '*'^).
Die in der Museumsdönse verwandten Fliesen zeigen, manganviolett auf
weißem Grunde, verschiedene Musterung, eine Verschiedenartigkeit, die auch
in Wirklichkeit vielfach im Hallighause begegnet, je nachdem im Laufe der
Zeit eine teilweise Erneuerung der Fliesen notwendig geworden ist. So sehen
wir an der Fenster wand eine Art von Plättchen, deren violette Dekoration
in einem Kreise je eine Vase mit Blumen zeigt, während die Eckzwickel
durch Blumen ausgefüllt sind. Mit gleichfarbigen Fliesen ist auch die Wand
^um Hausflur — im Museum also die eigentliche Türwand — bedeckt, nur
ist das Muster hier ein anderes und, wenn man will , komplizierteres , denn
hier bilden vier Fliesen zusammen eine Art Bhimenstern dadurch, daß aus
dem mittleren Berührungspunkte der vier Plättchen jedesmal eine Art Rose
herauswächst, die ihre Blüte über den weißen Grund der »Kachel« ausbreitet.
Endlich zeigen die auf der Ofenwand befindlichen Plättchen Uferlandschaften
mit Schiffen und Häusern, selten mit Figuren, und dazu ist diese ganze Kachel-
fläche umschlossen von einem Rande von Kantenfliesen, die auf mangan-
violettem Grunde eine mit ihrem Muster je sechs Fliesen bedeckende, durch-
laufende Ranke zeigen (vergl. Fig. 36).
Unzweifelhaft den auffallendsten und in der Ausstattung kunstvollsten
Teil der ganzen Fliesenwand bildet aber, wie auf Fig. 36 ersichtlich ist, ein
nur wenig über dem Ofen angebrachtes, aus dreimal vier Fliesen bestehendes
Rechteck, welches, von einem Rahmen von Kantenfliesen umgeben, das Bild
eines Walfischfängerschiffes zur Darstellung bringt. Dieses Schiffsbild über
dem Bilegger-Ofen ist durchaus typisch, und es findet sich demgemäß auch
sonst durch Erwähnungen und Abbildungen bezeugt^**). Und daß diese Dar-
stellungen jedes Mal das Bild eines ganz bestimmten Schiffes wiedergeben
wollen, und also auf Bestellung nach einer bestimmten Vorlage gemalt sind,
darüber belehrt uns deutlich eine von Träger, Fries. Häuser S. 116 mit-
geteilte Inschrift auf einem solchen Kachelbilde: »Ao. 1750. Handelaar ge-
foerd doer Skipper Barend Frederik Hansen voor De Heer John Notemann«.
Man sieht, diese SchifTsdarstellungen bilden ein getreues Erinnerungsbild für
denjenigen, der auf jenem Schiffe selbst dereinst die Meere befahren hat,
und so ist das SchifTsbild schlechthin zu einem Lieblingsmotiv der volks-
144) Vgl. auch Jensen, S. 80.
145) Jensen, S. 101 (Sylt), S. 201 (Föhr); ebenso Meiborg, S. 51 (Eiderstädt) ;
Abbildung einer fliesenbelegten Fensterwand bei Seh wind raz he im, a. a. O. S. 119.
Abb. 66.
146) Für das Hallighaus vergl. Sach a. a. O. S. 240; Meiborg S. 65 und 67.
Sauermann S. 31. Deutsches Bauernhauswerk, Halligblatt Abb. 29. Für
Sylt: Sach S. 234.
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VON DK. OITO LAUFFERFRANKFÜRT A. M.
167
tümlichen Kunst der Friesen geworden. Man findet es, wie Träger sagt,
als Zeichnungen, Gemälde, Reliefschnitzereien und zierlich gearbeitete Modelle
in allen Häusern**'). Als Kronleuchter hängt es in den Kirchen, es schmückt
die Grabsteine der Verstorbenen, und selbst als Form des Weihnachtsgebäcks
ist es gerade auf den Halligen besonders heimisch^*®). So werden wir ihm
auch in der Museumsdönse außer auf dem besprochenen Fliesenbilde noch
mehrfach begegnen und uns dabei jedes Mal erinnern, daß es ^Friesenart ist,
die hier zu uns redet. Jedoch davon später!
Noch einmal kehren wir zu den Fliesen zurück, und wir erinnern uns,
daß alle die besprochenen Arten derselben darin übereinstimmten, daß ihre
Dekoration in manganviolett ausgeführt war. Diese Art hat sich in der Tat
im Laufe des 19. Jahrh mehr und mehr verbreitet**®), selbst im|18. Jahrh.
ist sie schon für das Jahr 1760 bezeugt *^^), aber sie repräsentiert doch nur
eine neuere Mode, die ihr Material meist aus Hamburger Fabriken bezieht.
Die ältere Art dagegen trägt ihre Dekoration in blau auf weißem Grunde,
aber während sie sich im Ornament — es sind Sterne, Blumenmuster, Tiere,
Landschaften, Seestückchen oder auch biblische Darstellungen***) — nicht
wesentlich von der neueren Sorte unterscheidet, soll sie die letztere an Halt-
barkeit und an schillerndem Glänze weit übertreffen.
Diese blaudekorierten Fliesen werden nun von Kennern einstimmig für
holländische Importwaare erklärt ^'^^) und es scheint durchaus begründet, jene
Zuschreibung für richtig zu halten, denn nicht nur in diesem einen Punkte,
sondern noch in mancher anderen Hinsicht ist bei den nordfriesischen
Wohnungsverhältnissen auf holländischen Einfluß hinzuweisen. Man muß sich
nur erinnern, welch bedeutenden Sammelplatz geistiger und materieller Kultur
das Holland des 17. Jahrhunderts bildete. Damals war es die erste See-
macht Europas. Seine Handelsschiffe durchschweiften die Meere. In der
Nord- und Ostsee hatte es schon im 16. Jahrhundert den größten Teil der
hansischen Erbschaft angetreten*^). Der überaus ertragreiche Heringsfang
in diesen Gewässern war ebenso wie der Walfischfang zumeist in holländischen
Händen. Die Ausstrahlung dieser reichen holländischen Kultur war daher
sowohl an Verbreitung wie an befruchtender Kraft eine sehr bedeutende, und
daß sich speziell die Nordfriesen ihrem Einfluß voll hingaben, kann uns nicht
147) Träger, in »Mitteilungen d. germ. Museum« 1896, S. 132.
148) Träger, Halligen S. 262 und 264. Jensen S. 295 Abb. und S. 378.
149) Träger, Fries. Häuser, S. 116; Schwindrazheim S. 65 (Sylt); Sauer-
mann S. 31 (Hallig Hooge).
150) Meiborg, S. 65 (Hallig Hooge).
151) Träger, Halligen S. 252. Fries. Häuser S. 115/6, Sach, S. 240. We igelt,
S. 25. — Fliesenreihen mit einem Säulenbilde abgebildet im Deutschen Bauern-
hauswerk, Halligblatt, Abb. 25.
152) Meiborg, S. 51 (Eiderstädt); Jensen, S. 200 (Sylt); Uhle, S. (66); Schwind-
razheim, S. 119. — Vergl. auch R. KekuU, »Jac. Alberts« in »Graphische Künste«
1895. H. 1. S. 114.
153) Vergl. Steinhausen, Geschichte der Deutschen Kultur. Leipzig und Wien.
1904. S. 536 539.
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168
DIE BAUBRN81'l!REN DES (lEUMANlSOHEN MUSEUMS.
verwundem, zumal wenn man in Betracht zieht, daß es fast durchweg holländische
Schiffe waren, auf denen die seetüchtige Mannschaft der ♦Uthlande« ihr
Leben verbrachte. Dazu kommt, daß man zum Teil geradezu von den An-
sätzen zu einer Art holländischer Kolonisationstätigkeit an den nordfriesischen
Küsten sprechen kann. Besonders ist hier darauf hinzuweisen, daß nach der
großen Sturmflut von 1634, als die wenigen Überlebenden auf Nordstrand
nicht imstande waren, die durchbrochenen Deiche wiederherzustellen, hollän-
dische Kolonisten es waren, die dem Ansuchen der dänischen Regierung
folgend, in die Bresche sprangen, die dafür mit herrenlos gewordenem Gut
ausgestattet wurden, und deren Nachkommen noch heute auf Nordstrand
sitzen"*).
So ist denn nicht nur gelegentlich das eine oder andere Möbel direkt
aus Holland importiert worden, wie etwa Jensen (S. 298) eine aus Holland
bezogene Brautkiste auf einer der Halligen erwähnt, oder wie das Flens-
burger Museum ein aus Friedrichstadt stammendes holländisches Zimmer
besitzt, von dem es zweifelhaft ist, ob die holländischen Kolonisten es im
Lande selbst angefertigt, oder ob sie es in allen seinen Teilen aus der
Heimat mitgebracht haben *'^'^). Viel wichtiger für die volkstümliche nord-
friesische Art ist es, daß sie vielfach von einem Niederschlage der holländi-
schen Kultur durchtränkt wurde, dessen einzelne Erscheinungsformen gelegent-
lich überhaupt nicht genauer zu fixieren sind, der aber doch noch in Stimmung
und Färbung der Gesamtkultur sich als ein Zusatz verrät ^^*). So wurde die
nordfriesische Tracht in ihrer Farbenwahl zum Teil dadurch beeinflußt, daß
man sich gewöhnt hatte, die roten Tuche und den Sammt aus den Nieder-
landen zu beziehen"'). So schreibt Meiborg (S. 193) die am Ende des
17. Jahrhunderts beginnende Umwandlung des schleswigschen Hausrates den
Handelsverbindungen des Westens mit den Niederlanden zu, und Ulr. Jahn
geht in der Bewertung dieses Einflusses speziell auf die nordfriesischen Inseln
noch weiter als die meisten anderen Forscher, indem er schreibt: »Holländi-
schen Ursprungs sind die Fliesen an ihren Wänden, holländisch war vor
Alters ihr bestes Steinzeug, holländisch ihr Filigranschmuck nicht minder,
wie die getriebenen Spangen an ihren Miedern und ihr bestes Silbergeschirr^**®).
Über den tatsächlichen Bestand holländischen Einflusses auf die nord-
friesischen Verhältnisse herrscht unter den Kennern kein Zweifel ^^^). Man
braucht ihn darum ja immer noch nicht bei jeder vorkommenden Ähnlichkeit
154) Träger, Halligen S. 240.
155) Sauermann a. a. O. S. 127/8—132.
156) Ebenda S. 26.
157) Eug. Bracht, > Volkstümliches von den Nordfriesischen Inseln« (Mitt. a. d.
Museum f. deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse d. Hausgewerbes. Berlin 1900. H. 6.
S. 230). Ober nordfries. Tracht vergl. diesen Aufsatz Brachts, ferner Jensen, »Die
altfriesische Tracht« in der Zeitschr. f. Anthrop., Ethnol. u. Urgesch. Jahrg. 1885 und
Jensen, »Die nordfries. Inseln«. Außerdem die Handbücher über deutsche Volkstrachten.
158) Verhandl. d. Beriiner Ges. f. Anthrop. 1890. XXII. S, (533). Daneben betont
er den dänischen Einfluß.
159) Vgl. auch Sach, a. a. O. S. 230. Seh windrazheim , a. a. O. S. 27.
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VON DR. orro LAUFFKR-FRANKFÜRT a.m.
169
zur Begründung heranzuziehen, so daß man etwa die auch bei den Nordfriesen
herrschende große Sauberkeit auf holländische Einwirkung zurückführen
müßte**®). Jedenfalls war auch ich gezwungen, bei Gelegenheit der blauen
Fliesen, von denen wir soeben ausgingen, auf Holland als Ursprungsland hin-
zuweisen und seinen Einfluß auf die äußere Kultur der Halligstube hervor-
zuheben, selbst wenn wir im weiteren Verlauf unserer Betrachtung durch
kein Einzelstück mehr veranlaßt würden, darauf zurückzukommen. Es wird
daher der Leser jetzt auch begreifen, weshalb ich die Besprechung der Hinde-
looper Kamer derjenigen der Halligdönse vorangestellt habe.
Da wir nun Decke und Fliesenwand unserer Stube kennen gelernt haben,
werfen wir hier auch gleich einen flüchtigen Blick auf den Fußboden. Der-
selbe besteht aus gehobelten Dielen und entspricht darin der neueren Art,
die seit dem 18. Jahrhundert auf den ostfriesischen Inseln Eingang gefunden
hat. Vordem war in Dönse und Pesel ein Lehmboden, oder auch in letz-
terem ein solcher aus ausgeschnittenen Rasenstücken üblich gewesen. Nur
in der Küche hatte man Steinböden benutzt***).
Neben dem Holzwerk von Diele und Decke tragen nun aber selbst da,
wo die Fliesenwand vorherrscht, die Unterbrechungen derselben, die Türen,
Bettnischen und Wandschränke mit ihren Umrahmungen, durch ihre teilweise
in Schnitzwerk ausgeführte Dekoration und durch ihre farbige Behandlung
auf das Wesentlichste zum Gesamteindruck des Raumes bei. Ihnen wenden
wir jetzt unsere Aufmerksamkeit zu.
Die Tür, durch welche wir das Zimmer betreten, ist, den geringen Maß-
verhältnissen der Stube entsprechend, nur 1,68 m hoch und 0,72 m breit.
Sie zeigt in ihrem oberen Rahmenwerk eine Säulen- und Bogenstellung mit
ausgestochenem Rankenornament **^). Darunter gibt eine ebenfalls ausge-
stochene Inschrift: »Ann. 1686 / Den 4 Juni« Jahr und Tag der Entstehung
der Tür an, und beweist, daß dieselbe zu den ältesten Hausteilen gehört, die
auf den Halligen überhaupt sich erhalten haben, da die meisten Häuser erst
nach der letzten großen Sturmflut, im Jahre 1826 erbaut sind, von den nach
dem Unglücksjahre 1634 errichteten aber nicht ein einziges mehr vorhanden
ist **^). Die Füllung in der erwähnten Portikus-Umrahmung ist ganz glatt.
Nur in der Mitte trägt sie einen schwarz und weißen sechsstrahligen Stern,
aus Bein eingelegt. Es ist das ein in den Küstengegenden auch sonst —
z. B. in der Wilstermarsch und in den Vierlanden bei Hamburg — sehr häufig
wiederkehrendes Dekorationsmotiv, über dessen Herkunft, soviel ich sehe.
Dislang keine Untersuchung angestellt ist. Sollte es möglich sein , daß es
sich jenen Menschen an der Wasserkante mehr als anderen aufgedrängt hätte,
weil ihre seefahrenden Söhne mehr als andere Menschen gezwungen sind, zu
160) Das tut Fried r. v. Warnstedt, >Die Insel Föhr und das Wilhelminen-
Seebad« (zitiert nach Jensen a. a. O. S. 118.)
161) Jensen, a. a. O. S. 200 und 196/7 (Sylt).
162) Vgl. unsere Abb. 35. Sehr ähnlich sind die Türen im Deutschen Bauern-
hauswerk, Halligblatt Abb. 19 u. 20 und bei Mielke, Volkskunst Abb. 41.
163) Meiborg, a. a. O. S. 64.
HiUeilungeD aus dem german. NatioualmuBeum. 19U4. 22
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170
DIB BAUKRNSTUBBN DBS GBRMANISCHBN MUSBUMS.
den Sternen aufzuschauen, und weil der mehr oder minder intensive Eindruck
des gewohnten Himmelsbildes sowohl auf die innere wie auch auf die äußere
Kultur eines Volkes von ausschlaggebender Bedeutung ist^**)?
Die Tür zeigt außen einen eigentümlich milchig-himbeerroten Anstrich.
Innen ist sie in^einem reinen rotbraunen Ton gehalten, und dieselbe Farbe
trägt der Türrahmen, welcher im übrigen durch ein in Fig. 37 wiederg^ebenes
ausgestochenes Flechtband verziert ist. All dieses Schnitzwerk ist unzweifel-
haft einheimische Arbeit. Das würde sich aus der Natur der Sache von
selbst ergeben. Es ist aber auch ausdrücklich bezeugt, denn im Jahre 1749
schreibt der Prediger Lorenzen einmal: »Unter den Seefahrenden mangelt
es auch nicht an solchen, die künstlich schnitzen und andere Bildhauerarbeit
verfertigen können«*®*). Dabei ist es natürlich, daß diese Schnitzer gewisse
Formen und Motive stets von neuem wiederholen, wie es durch das Eingangs
besprochene Wesen der Bauemkunst bedingt wird, und eben von solchen
t3rpischen Dekorationsmotiven ist bei den Friesen eines der wichtigsten das
Flechtband. Freilich kann dabei nicht behauptet werden, daß es ein rein
stammesmäßiges Motiv sei, denn es findet sich z. B. schon im 13. Jahrhundert
an einem für orientalisch geltenden Schreine zu St. Gereon in Köln***), daß
Fig. 37. Plechtband (Ao. 1686) von der Umrahmung: der Halllgstubentür
im Germanischen Museum.
es aber dem Geschmack der Friesen besonders entsprach, das beweist seine
Volkstümlichkeit'*^). Es muß ja auch leicht begreiflich erscheinen, daß ein
solches, noch direkt an die Technik des Seilers erinnerndes Ornament beson-
ders bei einem Schiflfervolke, wie es die Friesen sind. Gefallen fand. Unser
Beispiel gibt es , wie man sieht , nicht mehr in seiner einfachsten , sondern
schon in einer etwas komplizierteren Form, da der Zopf aus zwei Doppel-
bändem zusammengeflochten ist.
Auch die beiden bedeutendsten Schnitzereien, die man nach Jensens
Urteil am Ende des 19. Jahrhunderts überhaupt auf den Halligen finden
konnte, sind jetzt in der Halligstube des Germanischen Museums zu sehen.
164) Vgl. Troels-Lund, Himmelsbild und Weltanschauung im Wandel der Zeiten.
Leipzig 1900.
165) Zitiert nach Jensen, a. a. O. S. 235.
166) Abgebildet bei Fr. Bock, Das heilige Köln. Taf.I. Fig. 5 und bei Stephani,
Wohnbau II, S. 621. Fig. 393.
167) Vgl. z. B. die [bei Brinckmann a. a. O. S. 656 gebotene Abbildung eines
Hängcschränkchens vom Jahre 1703.
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VON DR. arro laüffer-frankfürt a. m. 171
Es sind die beiden Türen, welche die Rückwand der Stube fast ganz ein-
nehmen, und die Bedeutung, welche man ihnen innerhalb der volkstümlichen
Kunsttätigkeit der Halligen beigemessen hat, mag es entschuldigen, wenn sie
unter dem Einfluß der herrschenden Raumnot hier in einer, den häuslichen
Verhältnissen nicht entsprechenden Weise dicht nebeneinander in die Wand
eingebaut sind. Sie stammen von der Peterswarf, die bis vor etwa einem
Jahrzehnt der westlichste Wohnplatz von Nordmarsch war. Schon ehe sie
für Traegers Sammeleifer eine willkommene Beute geworden waren, hatte
Jensen (S. 205) sie gepriesen und Meiborg (S. 67) eine ausführliche Be-
schreibung von ihnen gegeben. Traeger selbst hat ihnen dann einen be-
sonderen Aufsatz; »Geschnitzte friesische Türen im germanischen Museum«
gewidmet**®). Ich kann mich daher bei ihrer Beschreibung verhältnismäßig
kurz fassen, umsomehr als die in unserer Fig. 38 gegebene Abbildung einer
der Türen eine unmittelbare Vorstellung von denselben vermittelt.
Die mit Schnitzwerk fast ganz bedeckten Türen — 1,88 m hoch 0,90 m
breit — präsentieren sich in ihrer alten Bemalung, die in vorwiegendem
dunkelblau und rot, sowie in etwas braun und gelb gehalten ist. Die Um-
rahmungen des Türfutters sind mit reicher, der heimischen Pflanzenwelt ent-
lehnter Blumenranke ganz bedeckt, und sie tragen zusammen eine Inschrift,
die mit wenigen Worten das ganze bisherige Leben des Erbauers zusammen-
faßt, indem sie — unter den üblichen volkstümlichen Verschreibungen —
besagt :
DURCH GLUCK UND — WALFJSCH FÄNGST
GJBT GOT MJR — HAUS UND LAND.
Die Türen selbst zeigen in den oberen Feldern, ebenfalls von reicher
Blumenranke umrahmt, die Bilder der vier Apostel, links Mathäus und Marcus,
rechts Lucas und Johannes, während die unteren Felder links ein Schiff,
jedenfalls das Fahrzeug des Walfischfängers, rechts einen Blumenkorb mit
Rosen, Tulpen, Nelken und allerhand kleineren Blümchen zeigen. Auf der
schmalen Mittelfüllung der linken Tür steht in einer Kartusche aufgemalt der
Name »Ebeneser«, von dem es fraglich bleiben muß, ob er etwa die Bezeich-
nung des unter ihm dargestellten Schiffes angeben soll. Ihm entspricht auf
der anderen Tür ein frommer Spruch, mit dem sich der Herr des Hauses
vor seinem Gotte beugt :
»Der Ein Und Aus Gang Mein
Laß Dir O herr Befohlen Sein.«
Die Entstehungszeit der Türen ist im Schnitzwerk selbst nicht angegeben.
Wollte man nach dem ersten allgemeinen Eindruck eine zeitliche Bestimmung
vornehmen, so könnte man sich versucht fühlen, die Türen noch in das
17. Jahrhundert zu versetzen. Trotzdem glaube ich, daß sie erst einer späteren
Zeit angehören, denn betrachtet man die Kartusche am Hinterteil des Schiffs-
bildes, und faßt man vor allem die Art ins Auge, wie in den Umrahmungen
der Türfüllungen die Blumenguirlanden sich um den Palmstab schlingen , so
168) »Mitteilungen« des Museums. Jahrg. 1896. Seite 130—134.
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l'^ DIE BAUERNSTUBEN DES GERBiANISCHEN MUSEUMS.
wird man, glaube ich, doch zu der Überzeugung kommen, daß die Arbeit
erst in der 2ten Hälfte des 18. Jahrhunderts angefertigt ist. Nun aber finden
Fig. 38. Geschnitzte Tfir aus einem Hause der Hallig Nordmarschy
jetzt im Germanischen Museum.
sich auf den Messingschilden der Türgriffe ein paar etwas unbeholfene Gra-
vierungen, die außer einer Reihe von Buchstaben, offenbar den Initialen der
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VON DR, OTTO LAÜFFER-FRANKFÜRT A. M.
173
Namen eines Ehepaares, auch eine Jahreszahl enthält: »K F. 1774 TDK.«
und um es kurz zu sagen, so halte ich das Jahr 1774 auch für die Ent-
stehungszeit der Türen. Damit würde die von Meiborg mitgeteilte örtliche
Tradition übereinstimmen, nach der die Schnitzerei vor etwas mehr als hundert
Jahren, während das Haus im Bau war, von einem jungen Seemanne gemacht
sein soll, der dann auch einzog und Hochzeit hielt, bald darauf aber wieder
auf See ging, um nicht wieder heimzukehren. Für sich allein würde diese
Sage allerdings nichts beweisen, denn sie kann ja erst im Anschluß an die
beiden gravierten Jahreszahlen entstanden sein, aber für die von mir ange-
führten, hier allein ausschlaggebenden stilistischen Rücksichten darf sie doch
als Stütze dienen.
Traeger freilich möchte in dem häufig begegnenden unwillkürlichen
Bestreben, die Sammlungsgegenstände für möglichst alt zu halten, auch für
unsere Türen eine frühere Entstehungszeit als 1774 ansetzen, allein ich finde
seine Gründe nicht völlig überzeugend. Er macht darauf aufmerksam, daß
die Schilde mit den betr. Gravierungen erst nachträglich aufgesetzt sein müßten,
da sie zu groß seien, so daß sie bis auf die Kehlstöße der Mittelfüllung über-
ragen. Aber derartige Unregelmäßigkeiten sind in der Bauernkunst etwas
ganz gewöhnliches und beweisen nichts. Auch auf die Unbeholfenheit der
Gravierung, im Gegensatz zu der Sicherheit der Schnitzerei, kann ich kein
großes Gewicht legen.
Aber sei dem, wie ihm wolle. Viel wichtiger für uns ist die Beurteilung
der Türen als Leistung der Bauernkunst. Das muß ja freilich gleich gesagt
werden, daß es sich auch hier nur um Bauernkunst handelt, und als direkte
Vorbilder für das moderne internationale Kunstgewerbe dürften sie wohl
kaum gewählt werden. Aber deshalb sind sie ja auch nicht in das Museum
gewandert, sondern als Zeugen für den Grad der künstlerischen Kultur der
Halligleute wollen sie betrachtet sein, und ich denke, wir müssen vor diesen
Türen mit wahrer Bewunderung für den stehen, der sie gefertigt hat, mag
er nun ein Schiffer oder berufsmäßiger Dorfschreiner gewesen sein. Man
sehe nur, wie bei aller Fülle des Ornaments doch ein sicheres Gefühl für das
Konstruktive zu Tage tritt, wie die rein schreinermäßige Einteilung des
Ganzen trotz allen Schmuckes gewahrt bleibt, und wie die in Flachschnitzerei
ausgeführte Dekoration trotz all ihren sprudelnden Reichtums nirgend aus
ihrer nur dienenden, nur schmückenden Aufgabe herauszustreben scheint.
Das alles verrät einen sicheren künstlerischen Takt, der dem einfachen Schnitz-
künstler zu hoher Ehre gereicht. Und was aus seinem Werke uns noch be-
sonders zu Herzen spricht, das ist die naive Art, mit der er die Pflanzen-
formen seiner Heimatinsel in den Guirlanden verwandt hat, mit denen er
wie mit frischgewundenen Kränzen heimischer Feldblumen die Türen seiner
Dönse schmückte. Ein süßer Hauch deutschen Heimatgefühles liegt über
diesen Arbeiten, wie ihn im städtischen Kunstgewerbe seit den Tagen der
Gotik gar manches, sonst vielleicht vortreffliche Werk nicht aufzuweisen hat.
Es ist wie ein Klang des Volksliedes, was uns aus diesen Schnitzereien ent-
gegentönt. Wer es nicht sieht, und wer es nicht fühlt, dem ist nicht zu helfen.
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174
DIE BAUERNSIUBEN DES OERBUNISCHEN MUSEUMS.
Um noch auf ein paar Einzelheiten der Türen einzugehen, so ist zu-
nächst wegen des Türspruches zu bemerken, daß diese Art frommer In-
schriften der tiefen Religiosität, welche die Friesen ziert, ihren Ursprung zu
danken hat und sich daher in vielen Häusern findet. Ich kann zu den
Sprüchen auf unseren Türen noch eine Reihe ähnlicher Inschriften gleichen
Ursprungs anführen.
1) »Wer ein- und ausgeht zu dieser Thür,
Derselb' gedenke für und für.
Daß unser Heiland Jesus Christ
Die rechte Thür zum Himmel ist.«^**)
2) »Gar herrlich ist das Haus gebauet und gezieret,
Wenn Gott des Herren Segen und Eintracht drin regieret.«
3) »Vanitas Vanitatum et omnia Vanitas, Eccles. I. V. 2.«
4) »Wir haben hier keine bleibende stette, sondern das Zukünftige
suchen wir. Hebr. 13, 14.«
5) »Fürchte Gott, thue Recht und scheue Niemand.«*'")
6) Wer zu dieser Thür eingehe,
Sprech, indem er stille stehe.
Dies Haus bleib im Segen stehen;
bis die Welt wird untergehen.
P. B. Anno 1710. S. B.
7) »Den Ein- und Ausgang mein
laß Dir O Herr befohlen sein!
Wer hier mit Frieden kehret ein,
soll dieser Spruch gewünschet sein.«
8) »Wer Unfried hat im Herzen sein.
Der kehr zu diesem Haus nicht ein.«*'*)
Auffällig möchte in der Überschrift über der Tür auch die Bezugnahme
auf den Walfischfang erscheinen. Allein es ist in dieser Hinsicht darauf zu
verweisen, daß in der Zeit der Blüte des von Holland und von Hamburg aus
stark betriebenen Walfischfanges um die Wende des 17. Jahrhunderts die
Nordfriesen sich in sehr großer Zahl, bis zu jährlich 5000 Mann daran be-
teiligten, und daß sie noch während des ganzen 18. Jahrhunderts viele Grön-
landsfahrten entweder selbst als Kapitäne geleitet oder sonst mitgemacht
haben ^^^). Mit welchem materiellen Erfolge es geschah, kann man aus
unserem Spruche entnehmen, in dem der Halligmann den Walfischfang ge-
radezu als die Quelle seines Wohlstandes bezeichnet. Es ist daher nicht
verwunderlich, wenn wir auch in dem künstlerischen Formenschatze der
169) Jo bansen a. a. O. S. 29.
170) Jensen a. a. O. S. 205.
171) Meiborg a. a. O. S. 64.
172) Jensen a. a. O. S. 78 und 130/131.
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VON DR. OTTO LAÜFFBR-FBANKFURT A. BL 175
Figur des Walfisches begegnen, wie denn Schwindrazheim (S. 78 Abb. 36
Nr. 7) ihn von einem der Hallig Hooge entstammenden geschnitzten Schranke
abbildet.
Wie hoch aber der Einfluß des Walfischfanges auf die gesamte Kultur
der nordfriesischen Inseln in den vergangenen zwei Jahrhunderten zu be-
werten ist, das erkennt man mit Staunen aus ein paar Mitteilungen, die im
Jahre 1846 der Reisende J. G. Kohl darüber macht. Er spricht von der
Verwendung der erratischen Blöcke, der sogen. Rollsteine zu Häusermauem
und Zaunbau und fahrt dann folgendermaßen fort: »Neben ihnen gibt es aber
noch ein' Baumaterial ganz eigentümlicher Art, das einem Tiere unter dem
Eispole aus dem Leibe gebrochen wird, nämlich die Backenknochen und
Rippen vom Walfisch. Ich erinnere mich wohl, daß ich früher oft mit Ver-
wunderung las, wie die Grönländer ihre Zäune und Wälle und oft auch ihre
Wohnungen aus Fischknochen zusammensetzen. Allein hier erfuhr ich, daß
man nicht nach Grönland zu reisen brauche, um dergleichen zu sehen. Ein
Bewohner von Wyk hatte sich einen Entenstall aus Walfischknochen zu-
sammengebaut. Die Pfosten seiner Feld- und Gartentüren bestanden eben-
falls aus Walfischknochen, in welche die eisernen Türangeln eingefügt waren.
Hie und da fand ich einen Obstgarten ganz mit einer Reihe von Walfisch-
knochen verpalissadirt (auch setzen, wie ich mehrere Male bemerkte, diese
Leute die Bienenkörbe auf kleine Walfischknochenstumpfe, die sie absägen
und in die Erde stecken), und es gibt fast keinen Bauer, der nicht auf irgend
eine Weise Walfischknochen in seinem Gehöfte verwendet und angebracht
hätte. Ich sah mehrere solche Walfischknochenpalissaden, die vielleicht schon
50 Jahre dagestanden hatten und in diesem wunderlichen Dienste halb ver-
wittert und, wie alte Bäume, dick mit Moos überzogen waren. Auch fand
ich viele dieser Knochen von den vorübergehenden Kühen angenagt, die
spielerisch, wie alle Tiere, sie gern beknuppem. Man könnte viele Orte in
Norddeutschland nennen, die ihrem Mangel an Holz durch solche Rippen,
die viel dauerhafter sind als dieses, abhelfen. Selbst in den Straßen der
freien Reichsstadt Bremen fand man sonst viele Walfischknochen als Haus-
pfähle in den Straßen stehen. Man sägte diese Knochen oben glatt ab, be-
schlug ihnen den Kopf mit Blech und überstrich das Ganze so, daß Niemand
ahnen konnte, daß um eines solchen Straßenpfahls willen ein Walfisch ge-
blutet habe. — Auf allen Nordseeinseln, bis zum Texel bei Holland hin, sind
die Walfischknochen eben so stark in Gebrauch«^'").
Ich habe geglaubt Kohl's Mitteilungen ganz anführen zu sollen, weil sie
nur in ihrer Ausführlichkeit geeignet erscheinen, dem Binnenländer eine klare
Vorstellung von diesen, ihm sonst so fem liegenden Verhältnissen zu ver-
mitteln und eine rechte Würdigung des Walfischfang-Spruches unserer Hallig-
türen zu ermöglichen.
173) J. G. Kohl, >Die Marschen und Inseln der Herzogtümer Schleswig und
Holstein, c Dresden und Leipzig. 1846. Bd. I. S. 101—102. Ober die Art des Walfisch-
fanges vergl. ebenda S. 123—147.
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176 DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
In den Formen des Messingbeschläges treten, wie unsere Abbildung
zeigt, die Einwirkungen städtischer Kunstrichtung deutlich zu Tage. Von
dort ist auch das glänzende Material derselben offenbar mit Freuden über-
nommen worden, da es der Halligfrau willkommene Gelegenheit bot, durch
tadellose Sauberhaltung eine ihrer schönsten hauswirtschaftlichen Eigen-
schaften zu betätigen. So wird ausdrücklich hervorgehoben, daß solche
glänzend blanke Schlösser den Bewohnern der Eilande ein besonderer Gegen-
stand des Stolzes gewesen seien ^^*). Die gleiche Vorliebe für reiches Messing-
beschläge werden wir in noch viel ausgedehnterem Maße in der Wilster-
marsch wiederfinden.
Endlich erübrigt uns noch eine Bemerkung über die farbige Behandlung
der Türen. Wir sahen, daß dieselbe vorwiegend in blau gehalten ist, und
wenn man in allen friesischen Landesteilen bei der Bemalung sowohl von
Hausteilen als auch von Möbeln und Geräten immer wieder eine ganz be-
stimmte Farbenskala, bestehend aus blau in verschiedenen Tönen, aus rot,
weiß und grün ausschließlich verwendet findet, so könnte man leicht geneigt
sein, aus diesem durchaus einheitlichen und typisch wiederkehrenden Farben-
geschmack der Friesen auf ein hohes Alter in der koloristischen Behandlung
ihrer Wohnräume zu schließen. Trotzdem belehren uns die Tatsachen, daß
die Bemalung der Holzarbeiten der Innendekoration und ebenso wohl auch
diejenige der Einzelstücke erst mit Schluß des ersten Drittels des 18. Jahr-
hunderts eingedrungen ist. Das im Flensburger Museum befindliche Zimmer
aus Nieblum von der Insel Föhr vom Jahre 1631 (vergl. Fig. 35) und der
ebendort wieder aufgebaute Pesel von der Insel Rom aus dem Jahre 1690
sind in ihrem Holzwerk beide aus Föhrenholz errichtet und waren ursprüng-
lich beide unbemalt. Dasselbe gilt von den Holzbekleidungen eines ebenfalls
nach Flensburg übertragenen Halligen-Zimmers vom Jahre 1688 ''^). Sie alle
haben Holzwerk und Schnitzereien ursprünglich in reiner Naturfarbe gezeigt,
wodurch die Wirkung ihrer plastischen Ausstattung unzweifelhaft wesentlich
gefördert worden ist.
Erst etwa in den 30 er Jahren des 18. Jahrhunderts sind sie alle mit
farbigem Anstrich versehen, und mir scheint, daß in der Übergangszeit um
die Mitte des Jahrhunderts, wo die plastische Behandlung noch neben der
koloristischen Ausstattung zu gleichem Rechte bestand, die nordfriesischen
Wohnräume am reizvollsten gewesen sind. Der Verfall beginnt dann schon,
als die Farbe nicht mehr der Begleitstimme des Schnitzwerkes zu benötigen
glaubte, als sie sich selbständig machte, und als etwa in den 80 er Jahren
des 18. Jahrhunderts das Ornament selbst, entweder in den Linienspielen des
Rococo oder auch in naturalistischen Motiven farbig direkt auf die Wand
aufgetragen wurde. Unsere Türen gehören noch der voraufgehenden Zeit
an, und diese ist uns auch sonst deshalb am interessantesten, weil sie den
koloristischen Sinn noch in seiner größten Reinheit und Frische zeigt. Blau
174) Meiborg a. a. O. S. 64. Kohl a. a. O. I. S. 113.
175) Vergl. Sauermann a. a. O. S. 14; 33; 36-37; 89.
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VON DR. OTTO LAUFFER-FRANKFURT A. M.
177
und rot überwogen, zumeist blau, wie es scheint'"'®), und Kohl meint, daß
die Vorliebe dafür von Holland herübergekommen sei*^^). Neben dem Blau
aber stand das Rot, auch dieses wie es scheint in mehreren Nuancen, denn
es wird als purpurrot, als fleischrot und als rotbraun bezeichnet. So spricht
Biernatzki (S. 120/121) von einer >Stube voll •Himmelblau und Purpurrot«,
während Uhle aus seiner Kenntnis des Föhringer Hauses heraus sagt:
»Lieblingsfarbe für die Schränke ist ein eigentümliches Fleischrot, nicht
selten ist Blau«^^®). Unter diesem Fleischrot glaube ich denjenigen Ton
verstehen zu sollen, in welchem wir die Außenseite der Eingangstür gestrichen
fanden, und den ich oben als ein milchiges Himbeerrot bezeichnet habe.
Als dritte Nuance des Rot begegnet uns endlich ein reines rotbraun.
Wir haben es ebenfalls, an der Innenseite der Eingangstür schon kennen ge-
lernt. Es wird auch sonst erwähnt, z. B. findet es sich nach Kekul6 a. a.
O. S. 116 auf einem der Bilder von Jac. Alberts in der Farbe der großen
Standuhr, und ebenso zeigt die von Schwindrazheim auf Taf. I darge-
stellte Stube in Morsum auf Sylt die ganze Holzwand in demselben rotbraun
neben etwas blau und weiß. Da nun auch eine von Herrn Maler Jessen in
Niebüll bei Husum gütigst zur Verfügung gestellte Farbenskizze in diesem
Tone gehalten war, so wurden alle die Holzteile,* deren Ergänzung notwendig
war, vor allem also die ganze Zimmerdecke in Übereinstimmung mit der Ein-
gangstür rotbraun gestrichen. Das Zimmer hat dadurch einen eigentümlich
warmen Charakter bekommen, der aber im Kontrast zu dem ernsten Dunkel-
blau der beiden vorhin besprochenen Türen einer gewissen Fröhlichkeit nicht
entbehrt, wozu vor allem auch die hellen Fliesenwände ein gutes Teil bei-
tragen.
Nach den Mustern zu urteilen, die uns seiner Zeit vorlagen, dürfen wir
hoffen, mit diesem Rotbraun einen der volkstümlich nordfriesischen Palette
völlig entsprechenden Ton getroffen zu haben. Sollte es trotzdem nicht der
Fall sein, so würde sich der Fehler durch einen freundlichen Hinweis, um
die alle landeskundigen Beschauer des Zimmers gebeten werden, leicht wieder
gut machen lassen.
Heute ist die farbige Ausstattung der Zimmer auch auf den Halligen
im Schwinden begriffen. Anstelle der warmen und anheimelnden Farben-
freudigkeit macht in neuerer Zeit ein gleichmäßig ödes Weiß sich breit *^*),
und wenn hier die neueren Bestrebungen für » Volkskunst <ic und »Heimat-
schutz« nicht noch in letzter Stunde Wandel schaffen — in welcher Hinsicht
ich persönlich allerdings nicht gerade sehr hoffnungsfreudig bin — so werden
wir den Farbenreiz eines altfriesischen Zimmers bald nur noch in Museen
genießen können. —
176) Johansen, a. a. O. S. 30. Kohl, a. a. O. I. S. 113.
177) Kohl I. S. 66.
178) Uhle, a. a. O. S. (66).
179) Vgl. Traeger, Halligen S. 250/251 u. 252. Ferner »Mitteilungen des Germ.
Museums«. 1896 S. 116.
Mitteilungen aus dem germao. Natiooalmuseum. 1904. 28
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178
DIE BAUERNSTUBEN DES 6ERHANISCHBN MUSEUMS.
Neben Türen und Fenstern sind nun zunächst noch ein paar andere bau-
liche Unterbrechungen der Wände zu besprechen. Da ist vor allem gleich
links vom Eingang, in die fliesenbedeckte Ofenwand eingebaut, das Bett.
Auch hier ist es also ein Bettschrank, wie wir ihn schon in Diepholz und in
Hindeloopen kennen gelernt haben *®®). Sein Boden liegt etwa in Tischhöhe
über der Stubendiele, und er scheint in der Dönse noch etwas höher gelegen
zu haben als in den übrigen Räumen, daher es hier als »hoog Bed'« bezeichnet
wurde, ein Name, den ich wenigstens für Sylt bezeugt finde'®*). Diese Bett-
schränke springen gelegentlich kastenartig in das Zimmer heraus. Zum Bei-
spiel tritt in dem, mit dem Entstehungsjahr 1671 bezeichneten Zimmer von
Fig. 39. Zimmer von der Hallig: Hooge 1671. Im Kunstgewerbe-Museum zu Flensburg.
der Hallig Hooge, welches sich im Kunstgewerbe - Museum zu Flensburg be-
findet, das mit reicher Schnitzerei versehene Bettgehäuse in einer Ecke des
Zimmers hervor, so wie es unsere Fig. 39, die wir dem freundlichen Ent-
gegenkommen der Direktion jenes Museums zu verdanken haben, vortrefflich
erkennen läßt. In der Dönse des Germanischen Museums dagegen springt
das Bett nicht aus der Ofenwand heraus , wie man in unserer Fig. 36 vorn
links noch eben sehen kann. Der eigentliche Kasten des wohl stets für zwei
Personen eingerichteten Bettes muß also in der benachbarten Küche wie eine
180) Ober die Art, wie sich in den nordischen Ländern der Bettschrank allmählich
zur beweglichen Bettstelle umgewandelt hat, vgl. Troels-Lund, »Tägliches Leben etc.«
S. 155 ff.
181) Jensen S. 197. Die gleiche Bezeichnung »Hochbett« wird für Fehmarn be-
legt durch Meiborg S. 21.
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VON DR, OTTO LAÜFFER-FRANKFÜRT A. M.
179
Art Ausbau neben dem Herde erscheinen. In unserer Dönse selbst wird
das Bettloch gegen die umgebende Fliesenwand durch einen rotbraun ge-
strichenen, grün abgefaßten Holzrahmen abgesetzt, auf dem wir ebenso wie
auf Fig. 39 das bereits besprochene Flechtbandmuster im Schnitzwerk wieder-
finden. Nach oben läuft der Rahmen in ein quer über das Bett hinlaufendes
Bord aus, welches mit großen Porzellanschüsseln, vielleicht Erinnerungsstücken
an eine Orientfahrt des Besitzers, geschmückt ist.
Auch die das Bett abschließende obere Querleiste bietet, ähnlich wie
wir es schon bei den Flächen der Türen kennen gelernt haben, Raum und
Veranlassung, einen frommen Spruch anzubringen, der nicht einmal immer
auf die Schlafstätte Bezug nimmt und sich oft ebenso gut als Tür- und Haus-
spruch eignen würde. Ein paar dieser Bettsprüche gebe ich, soweit sie mir
bekannt geworden sind, als Probe wieder:
1) Wie Gott es füget.
So mir genüget;
Nur wünsche zu erwerben
Ein seliges Sterben« ^®^).
2) >So wie der Abend auf den Tag
So folgt der Tod dem Leben nach.
Ich zieh' das Kleid des Leibes aus.
Und man verschließt den Sarg, mein Haus;
Ich geh' in's Grab, wie jetzt zur Ruh,
Man decket mich mit Erde zu.
Dann schlaf ich eine lange Nacht,
Bis ich am jüngsten Tag' erwacht
Vor Jesu, meinem Richter, steh'
Und mit ihm in die Freude geh'.
Herr, laß mich ja vergessen nicht
Der Auferstehung und Gericht,
Und alle Tage dieser Zeit
Bereit sein zu der Ewigkeit.
Amen.«
3) »In Sturm und Wellenbraus
Behüte, Gott, mein Leben,
Und um mein schwaches Haus
Laß deine Engel schweben.
Daß sich die wilden Wogen scheu'n
Wie Lämmer vor dem starken Leu'n.«
4) »Gar herrlich ist das Haus gebauet und geziert
Wenn Gott des Herren Segen und Eintracht drin regiert«^®').
Das Bettloch selbst kann in zweifacher Weise verschlossen werden.
Entweder hat es ein paar, bis zur hohen Bettkante reichende, meist wohl
182) KekuU, a. a. O. S. 115.
183) Johansen, a. a. O. S. 29/30. — Vergl. Nr. 2 der früher angeführten Türsprüche!
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180
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
geschnitzte Türen, oder es ist minder fest mit einem paar Vorhängen zuge-
zogen^®*). Die letztere Art, die unsere Fig. 39 gut veranschaulicht, finden
wir auch in der Dönse des Germanischen Museums wieder. Alle diese Vor-
hänge bestehen aus >Beiderwand«, jenen doppelschichtig aus Leinen und
Wolle hergestellten , meist großgemusterten , im Hause selbst verfertigten
Webereien, die in Norddeutschland bis nach Hessen hin im Gebrauch sind,
Fi^. 40. Muster eines Beiderwand- Vorhanges im Qerman. Museum. Allegorie der Erdteile.
und die sowohl im Ornament wie auch in der farbigen Ausstattung eine
große Reihe verschiedenartiger Muster zeigen ^**^). Der Verschluß unseres
Bettkastens wird gebildet durch zwei, mitten auseinander zu ziehende Vor-
hangstreifen, über die oben als Abschluß noch ein schmaler, gleichgemusterter
184) Traeger, >Halligen« S. 251. >Fries. Häuser.< S. 117. Jensen, a. a. O.
S. 201. (Föhr) Uhle, a. a. O. S. (66). Meiborg, S. 21 (Fehmarn).
185) Vgl. Sauermann, a. a. O. S. 15 und 18 ff. Schwindrazhei m, a. a. O.
S. 143. K. Hessler, Hessische Landes- und Volkskunde IL Marburg 1904. S. 547.
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VON DR. OITO LAUFPER-FRANKFÜRT A. M.
181
Volant gezogen ist. Sie bestehen aus sogenanntem »schwarzenc Beiderwand
— in Wirklichkeit ist er mehr schwarzbraun — der in der üblichen Weise
dadurch gemustert ist, daß man den Leinenschuß naturfarbig ließ, während
der wollene Grund gefärbt wurde. Die Darstellung zeigt Allegorien der Erd-
teile (vgl. Fig. 40).
Durch die Beiderwandvorhänge werden die Betten beinahe ebenso fest
abgeschlossen wie durch die Holztüren. Beide sind sie auch darin gleich,
daß sie immer — wenigstens für moderne hygienische Ansprüche — nur eine
unzureichende Lüftung zulassen, und ihr einziger Vorteil, daß sie das noch
ungemachte Bett dem Auge verbergen und so das Zimmer stets in guter
Ordnung erscheinen lassen, bleibt doch auch immer anfechtbar. So muß
man denn auch wohl von beiden sagen, daß ihre oft hervorragend dekorative
Wirkung ihre beste Eigenschaft ist.
Das Bett in der Museumsstube ist nicht ausgestattet, ich führe aber
der Vollständigkeit halber an, was M e i b o r g in dieser Hinsicht über die Ver-
hältnisse in Nordschleswig berichtet, wenn er S. 189 sagt: »Zu einem an-
ständigen Bette gehörten eine Decke, eine Daunendecke, vier Laken — zwei
aus Flachsgarn und zwei aus Heedengarn — ein Kopfpfühl, zwei Kissen und
ein Drillich-Bettkissen« ^**^).
Als weitere Wandnischen sind ein paar Wandschränke zu nennen. Der
eine derselben, der zwischen den beiden geschnitzten Türen in die Rückwand
eingelassen ist, dient zur Aufbewahrung von Glas, Porzellan, Eßbestecken und
sonstigem Silbergerät *®^). Er ist, um alle die in ihm verwahrten Schätze recht
zu zeigen, nur mit einer Glastür verschlossen, und aus seiner farbigen Aus-
stattung erkennt man sogleich, daß er zu den jüngsten Teilen des Zimmers
gehört. Seine Umrahmung ist mit Rokoko-Ornament geziert, das oben durch
einen Strauß weißer Rosen bekrönt wird, alles mit schwarzen Konturen in
weiß und rosa auf graublauem Grunde gemalt.
Der andere Schrank liegt in der Wand nach dem Hausflur hin, gleich
rechts von der Eingangstür. Seine Vorderfläche zeigt in einem einfachen
Rahmen mit geschnitztem Rankenwerk bedeckte Füllungen, in denen uns die
Datierung 1586 ein verhältnismäßig sehr beträchtliches Alter bezeugt. Die
Bemalung, die den Rahmen rot, die Ranken füllungen aber meist graubraun
mit etwas blaugrün und wenig rot ausgestattet hat, schmiegt sich im allge-
meinen der plastischen Verzierung so wohl an, daß man auf den Gedanken
kommen könnte, beide für gleichzeitig zu halten. Trotzdem kann es keinem
Zweifel unterliegen, daß der Schrank zunächst die reine Naturfarbe gezeigt
hat und erst wesentlich später, wohl an die anderthalb Jahrhunderte nach
seiner Entstehung bemalt worden ist.
Ebenfalls neben der Eingangstür, zwischen dieser und der Bettnische,
ist die Wand dann noch durch ein kleines Guckfensterchen durchbrochen,
186) Ober die Ausstattung der Betten vgl. Troels- Lund, »Tägliches Leben«
S. 159—170.
187) Vgl. Jensen, a. a. O. S. 80. (Zitat aus Weigelt.) Ebenda S. 201. (Föhr.)
Traeger, »Fries. Häuser.« S. 115.
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182
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
welches es gestattet, vom Zimmer aus den Hausflur zu übersehen. Auch an
diesem Fenster sind Futter und Rahmen im Rotbraun der Decke gestrichen.
Wie weit seine Durchblicksöffnung an dieser Stelle für die Hallig-Dönse typisch
ist, das vermag ich nicht zu beurteilen. Ich mache aber darauf aufmerksam,
daß Jac. Alberts bei dem von Kekul6 auf S. 111 reproduzierten Interieur,
welches die Wohnungsverhältnisse der Hallig Hooge schildert, genau dasselbe
Fenster an der gleichen Stelle zeigt.
Eines der Hauptausstattungsstücke des ganzen Raumes, ohne welches
derselbe, wie wir sahen, überhaupt keinen Anspruch auf den Namen >Dönse«
hat, ist der Ofen. Unsere Fig. 36 zeigt sein Bild. Es ist ein in die Stube
vorspringender eiserner Kasten, in den durch die Wand hindurch von der
Küche aus die Glut und das weitere Feuerungsmaterial hineingeschoben wird,
woher er den Namen »Bilegger« führt ****). Rein heiztechnisch betrachtet,
entspricht er in seiner Anlage völlig dem Ofen des oberdeutschen Hauses,
und nach allem, was wir früher über die Entstehung der Dönse im nieder-
deutschen Hause zu sagen hatten, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß
er von dort als zweite Feuer stelle übernommen worden ist. Wenn er daher
früher in Schleswig-Holstein als »nordischer« Ofen bezeichnet wurde**®), so
bleibt dieser Name, wie es scheint, vorläufig noch unerklärt, jedenfalls aber
kann nicht daraus geschlossen werden, daß er als eine originale Erfindung
der nordischen Kultur von dort nach Süden gedrungen sei. Das einzige,
worauf man zur Erklärung des Namens hinweisen könnte, ist die Tatsache,
daß in Dänemark und Norwegen der Schritt von dem, innen mit einem eisernen
Kasten gepanzerten Kachelofen, dem sogen. >Eisenkachelofen«, zum reinen
Eisenofen wie es scheint selbständig gemacht worden ist, und daß wohl nach
diesem Muster und unter dänischer Kulturbeeinflussung auch in Schleswig-
Holstein und auf den nordfriesischen Inseln der eiserne Bilegger als »nordisch«
bezeichnet wurde, trotzdem man die gegossenen Eisenplatten dazu nicht aus
dem Norden, sondern aus dem Süden, nämlich aus Nord- und selbst Mittel-
deutschland bezog**^). Diese Annahme wird auch dadurch ein wenig gestützt,
daß der Ofen des Angler Hauses demjenigen in Nordfriesland völlig gleich
beschrieben wird*®*).
Damit das Einschieben der Glut von der Küche aus bequem vorge-
nommen werden kann, so muß die Bodenplatte des Ofenkastens in gleicher
Höhe mit der Oberfläche des benachbarten Küchenherdes liegen. Der Ofen
sitzt daher nicht direkt auf dem Stubenboden auf, sondern er springt erst
188) Vgl. Schwindrazheim, a. a. O. S. 143. Deutsches Bauernhaus-
werk Blatt »Schleswig-Holstein Nr. 8.«
189) Sauermann, a. a. O. S. 78.
190) Ober den nordischen Ofen vergl. die inhaltreichen Ausführungen bei Troels-
Lund, Tägl. Leben in Skandinavien S. 145 — 153. Leider ist dort aber für die verschie-
denen Erscheinungsformen des Ofens nicht angegeben, von welchem Ausstrahlungspunkte
ihre Kultur wellen in Schwingung gesetzt sind. — Worauf sich Jensens Angabe stützt,
daß man auf Sylt erst seit 1740 Öfen habe (S. 284. Anm. 1), kann ich nicht entscheiden.
Vgl. ebenda S. 198, wo er 1725 als äußerste Grenze nennt.
191) Hamm, a. a. O. S. 613b. Vergl. damit Meiborg S. 81.
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VON DR. OTTO LAÜFFERrFRANlCFURT A. M. 183
in einer Höhe von etwa 30 bis 40 cm in den Stubenraum vor und wird in
dieser Lage von ein paar schmiedeeisernen Trägern gehalten, die unter sich
durch eine Querstange verbunden, seinen beiden vorderen Ecken als Stützen
dienen und mit schleifenförmig geschmiedeten Füßen fest auf dem Boden
stehen , so wie es unsere Figuren 36 und 39 zeigen. Um den Rauch , der
nach der Küche seinen Abzug findet, an einem Entweichen nach dem Stuben-
innern zu verhindern , sind die vorderen Fugen der Ofenplatten durch ein
paar darüber gelegte halbzylindrische Eisenschalen gedichtet und mit Lehm
verstrichen. Die Befestigung derselben ist durch aufgeschraubte Messingknöpfe
bewerkstelligt, denen an den oberen Ecken ebensolche Bekrönungsknöpfe ent-
sprechen, und die in tadellosem Glänze erstrahlend zugleich als Schmuck-
stücke des ganzen, an sich nicht sehr umfangreichen Ofens dienen.
Mit diesen Knöpfen allein hat sich nun aber der Ziersinn nicht begnügt,
vielmehr boten auch die breiten Flächen der Eisenplatten selbst reichlichen
Raum zu seiner Entfaltung. Über dieselben ist denn auch ein reicher Schatz
von Dekorationsmotiven ausgebreitet, die in ihrer formellen Gestaltung dem
jeweiligen Geschmack ihrer Entstehungszeit folgen. Die ältesten erhaltenen
Platten gehören dem 16. Jahrhundert an, und man neigt aus diesem und aus
manchem anderen Grunde zu der Meinung, daß der eiserne Ofen überhaupt
erst in jener Zeit in den in Rede stehenden Gegenden eingedrungen ist. Die
Kunstformen selbst weisen auf eine Einfuhr der Platten aus Deutschland hin,
und diese stilkritische Zuschreibung findet durch Inschriften, welche den Ent-
stehungsort der Stücke oder doch den fürstlichen Besitzer der betreffenden
Eisenhütte mitteilen, ihre sichere Bestätigung. Die bildmäßigen Darstellungen
entnehmen außer Städtebildern und ornamentalen Umrahmungen meist den
biblischen Geschichten ihren Stoff^®*').
Alle diese Einzelheiten finden sich nun an dem eisernen Bilegger der
Halligdönse des Germanischen Museums als an einem guten Beispiel vereinigt.
Die schmale Vorderplatte desselben trägt das Bild der Kreuzigung Christi.
Hinter dem Kruzifix flattert ein Band, auf dem, wie es scheint (denn der Rost
hat im Laufe der Zeit manche Narbe gefressen), gestanden hat: »Vater, ver-
gieb ihnen!« Rechts und links von der Kreuzesinschrift J. N. R. J. steht der
Name des Gießers : CONRAT — JVCKHJN oder LUCKELN, gerade der
Familienname ist, abgesehen von den Buchstaben VCK leider nicht mehr
deutlich. Die ganze Darstellung ist durch eine Unterschrift bezeichnet als
»Chrevtzvng Christi. Lvc. 18«, wobei auch wieder die angeführte Bibelstelle
nicht mehr sicher lesbar ist. Darunter endlich steht dann in einer Kartusche
die im ganzen gut lesbare Inschrift: »Josias [oder Jonas?]. Grave. | vnd. Her.
Zv. I Waldeck. 158. .«
Die beiden Seitenplatten sind einander völlig gleich. Ihre Dekoration,
die auf unserer Fig. 36 annähernd klar herauskommt, besteht aus zwei neben
einander gestellten Schmalbildern. Das linke derselben stellt die Geschichte
192) Vgl. Sauermann, S. 28 und 78—79. Traeger, »Halligen« S. 254. »Fries.
Häuser« S. 118.
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184
DIE BAUERNSTUBEN DES GEHMANISCHEN MUSEUMS.
des Jonas dar mit der Inschrift »Jonas« und dem auf dem Rande des Schiffs-
bildes angebrachten Jahresdatum 1 589. Die rechte Hälfte dagegen wird durch
die neutestamentHche Parallele zu der Jonas-Erzählung, nämlich durch die
Darstellung der Auferstehung Christi eingenommen. Daß diese beiden Bilder
mit Bewußtsein als korrespondierende Stücke des alten und neuen Testa-
mentes auch hier dargeboten werden, das beweist mit völliger Sicherheit die
Inschrift, die in einer Kartusche das ganze untere Viertel der Platte einnimmt :
»Matth. XII. I Wie Jonas War 3 Tage Vnd 3 Nacht | In des Wahlfisches
Bavch Also Wird | Des Menschen Son 3 Tage Vnnd 3 | Nacht Mitten In Der
Erden | Sein.«
Diese Ofenplatten sind in mehrfacher Beziehung interessant, sie legen
sowohl für die Geschichte des eisernen Bileggers wie für den Geschmack
der Friesen Zeugnis ab. Es ist klar, daß die biblischen Darstellungen dem
frommen Sinne der Bewohner sehr willkommen waren, besonders scheint das
Kreuzigungsbild auf der Vorderplatte des Ofens mehrfach üblich, wenn nicht
geradezu typisch gewesen zu sein, auch an einem anderen Halligofen, dem
auf Fig. 39 dargestellten tritt es uns entgegen. Das Jonasbild dagegen war
ich zuerst geneigt, mit dem Namen des Grafen von Waldeck, den ich infolge
der Rostnarben als »Jonas« gelesen hatte, in Beziehung zu setzen. Allein
es ist kein Zweifel, daß es sich um Josias von Waldeck handelt, und so kann
auf ihn keine Rücksicht bei der Beurteilung des Bildes genommen werden.
Nun aber zählt auch Sau ermann unter den verschiedenen Ofendarstellungen
die Geschichte des Jonas mit an erster Stelle als eines der am häufigsten ge-
wählten biblischen Motive auf, und wir können nicht in Zweifel darüber sein,
weshalb es gerade die Vorliebe der Friesen erfahren hat. Bot es doch eine
willkommene Gelegenheit, nicht nur ein Schiff, das volkstümliche Lieblings-
bild , darzustellen , sondern sogar einen Walfischfänger , wie er jedem See-
manne von seinen Grönlandsfahrten her vertraut war. In überraschender Weise
tritt uns hi^r die Tatsache entgegen , daß das Volk auch aus der heiligen
Schrift sich gewisse Lieblingsgestalten heraushebt , und daß von ihren Ge-
schichten diejenigen am meisten Volkstümlichkeit finden, die in irgend einer
Weise sich mit dem Empfinden des Volkes oder mit seinen äußeren Lebens-
bedingungen besonders nahe berühren. Wie die soeben zum Christentum
bekehrten Sachsen ihre hellste Freude daran hatten , wenn im Heliand Petrus
bei der Gefangennahme Christi voll Kampfesmut mit gezücktem Schwerte auf
den Gegner einhaut, so fand bei den seefahrenden Friesen offenbar die Ge-
schichte von Jonas und dem Walfisch ein besonders lebhaftes Verständnis,
und zumal dieselbe von der Kirche als vorbedeutend für die Erlösungs-
geschichte betrachtet wurde, so ist ihre häufige Darstellung durchaus be-
greiflich.
Über die Entstehung unserer Eisenplatten gibt die Inschrift »Josias
Grave ( vnd Her. Zv. | Waldeck 158..« ziemlich genaue Auskunft. Nach der
Stammtafel des Waldeck'schen Hauses kann es sich dabei nur um Josias
handeln, der am 18. März 1554 geboren war und von 1578 bis zu seinem
am 6. August 1588 erfolgten Tode die Regierung führte. Daß die auf dem
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VON DR. OnO LAUFFER-FRANKFÜRT A. M.
185
Jonasbilde befindliche Jahreszahl 1589 mit den Regierungsdaten nicht überein-
stimmt, kann uns in der Zuschreibung nicht wesentlich beirren. Wir erkennen
daraus aber, daß die Entstehung der betreffenden Gußformen um einige Jahre
auseinanderfällt. Die Anfertigung der Platten selbst ist unzweifelhaft gleich-
zeitig, man kann also etwa sagen im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts
erfolgt. Ob für den Eritstehungsort die Wahl zwischen mehreren Waldeck'-
schen Eisenhütten der Zeit frei bleibt, kann ich nicht entscheiden. Jedenfalls
aber wird auch durch unseren Ofen die Annahme , daß die Platten zu den
nordfriesischen Öfen aus Deutschland bezogen seien, in ihrer Richtigkeit
bezeugt.
Auf dem Ofen steht, gegen die Fliesen wand sich lehnend der Feuer-
stülp, ein aus Messingblech gefertigter, mit einem Handgriffe versehener
Schirm, unter dem man den Teetopf oder ähnliches warm zu stellen pflegte.
Auch er hat mannigfache Verzierung erfahren: ein reich getriebenes Band-
omament legt sich über seine Kanten/®*). Dieser Schmuck sowohl wie der
leuchtende Glanz des Materials haben den Stülp offenbar bald vor allem zu
einem beliebten Dekorationsstück der Stube gestempelt , so daß hinter diesem
Schmuckzweck seine eigentliche Funktion als Wärmehalter mehr und mehr
zurücktrat, ja man ist auf diesem Wege schließlich so weit gegangen, daß
man an Stelle des Stülps eine Messingschüssel treten ließ, die ihn doch nur als
Schmuckstück ersetzen konnte. So schreibt wenigstens für die Heidegegenden
Mittelschleswigs Meiborg S. 108: »Auf dem Ofen steht, sich an die Wand
lehnend, die blank geputzte Messingschüssel.«
Wie der Stülp so strahlte auf den Halligen selbst auch der Ofen in
besonderem Glänze. Der stumpfe Schimmer der sonst üblichen Graphitierung
reichte offenbar, ganz abgesehen davon, daß er auch mit der Unannehmlich-
keit der leichten Abfärbung verbunden war, für den Nordfriesen nicht aus,
und so fand der mehrfach genannte Reisende Kohl die Halligöfen mit einem
blanken, dauerhaften, schwarzen Firniß überzogen, der den Ofen in Bezug
auf Reinlichkeit ganz unschädlich macht*®*). Wenn also der Ofen in der
Museumsstube nur graphitiert ist, so entspricht das vielleicht den modernen
lokalen Verhältnissen, nicht aber den älteren, die auch hier den friesischen
Sinn für Sauberkeit deutlich erkennen ließen.
Ehe wir nun den Ofen verlassen, ist endlich noch einiges über das
Feuerungsmaterial zu sagen, dessen .die Halligleute sich zu bedienen pflegten.
Auch in dieser Beziehung stoßen wir im Vergleich zu den sonstigen deutschen
Gewohnheiten auf abweichende Verhältnisse. Wenn freilich für die friesischen
Inseln im allgemeinen und besonders für Amrum und Sylt das Heidekraut
als Feuerungsmaterial genannt wird*®*^), so hat das an sich nichts auffallendes,
da es dem bekannten landschaftlichen Charakter entspricht. Ähnlich ist es
mit dem Torf, den die Inseln nach Kohls Angabe aus Husum bezogen,
194) Siehe unsere Fig. 36 und vergl. dazu bei Meiborg S 39 Abb. 45 ein aus
dem Flensburger Museum stammendes ähnliches Stück.
194) Kohl a. a. O., I S. 66—67.
195) Vgl. Hamm, a. a. O. S. 612 a | b. Jensen, a. a. O. S. 369.
lütteiluDgeo aas dem germaD. Nationalmuseum. 1904. 24
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186
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
wohin er von der Geest gebracht wurde^***). Allerdings gab es auch auf Föhr
etwas Torf, doch war derselbe wegen seines großen Salzgehalts zu Koch-
und auch wohl zu Heizzwecken unbrauchbar. Nur Nordstrand scheint, we-
nigstens früher, einen brauchbaren Torf geliefert zu haben, denn von ihm
besagt eine lateinische Quelle für das Jahr 1656: »Est etiam ibi ericetum
quoddam palustre, fungosum solum et terra viscosa, ex qua glebae effo-
diuntur, quae ad solem desiccatae usum lignorum ad ignis fomentum incolis
suppeditant«'**^). Jedenfalls aber war im Allgemeinen das Heidekraut nicht
ausreichend und der Torf durch den Bezug von auswärts verteuert, und
da Kohlen und Holz ebenfalls zu hoch im Preise standen, so bediente man
sich eines Brennmaterials, welches in Mittel- und Oberdeutschland wohl nir-
gends angetroffen wird, indem man den Mist von Schafen und Kühen mit
Heu und Stroh vermischte und trocknete und so eine Art von Torf bereitete.
Es sind das die je nach ihrer Form sogenannten »Skolen« oder >Ditten«,
die als bemerkenswertes Brennmaterial fast von allen Forschern, die über
die äußere Kultur Frieslands schreiben, hervorgehoben werden. Auch hier
kann ich auf eine nähere Angabe Kohls Bezug nehmen, der sich folgender-
mai^n darüber äußert: »Ich sah die Düngerfladen, welche in den friesischen
Dörfern überall auf den Zäunen, Pfählen und Wallsteinen zum Trocknen auf-
geklebt sind, mit besonderem Interesse an, da ich sie ganz ebenso schon in
Südrußland gesehen hatte. Die Leute sammeln hier nicht nur den Dünger,
so wie ihn das Vieh auf der Wiese ablegt, sondern sie bringen ihn auch mit
den Händen in eigene Formen, wie in den südrussischen Steppen. Sie haben
auch wie die Bewohner der Steppen verschiedene Namen für die verschiedenen
Arten von Kuchen, die sie aus dem Mist bereiten. Die runden nennen sie
»Skolen«, die viereckigen aber »Ditten«^®®^. Diese Feuerungsart, die den
Bauern seines besten Düngers beraubt; wird nur verständlich, wenn man be-
denkt , daß es sich um Gegenden handelt , wo der Ackerbau nur wenig
oder zum Teil garnicht, die Viehzucht dagegen in reichstem Maße getrieben
wird**^), und so erklärt sich auch die von Kohl angezogene Parallele mit der
Gewohnheit der russischen Steppenbewohner , die sonst vielleicht etwas Auf-
fallendes haben würde. —
Der Ofen der Halligstube bildet das letzte Stück, welches wir im Zu-
sammenhange ihrer baulichen Einrichtung zu besprechen hatten. Wir ver-
lassen ihn jetzt, um zum Schlüsse noch die Ausstattung mit Möbeln
und Kleingerät kennen zu lernen. Auch hier begegnen wir dem gleichen
Geschmack, der uns schon an den Holzteilen der Wand in plastischer Aus-
stattung und in koloristischer Behandlung entgegen trat. Ich kann mich also
196) Kohl, a. a. O. I S. 100 und 103. Jensen S. 76—78. Weigelt S. 19.
197) Vgl. Petr. Sax, De praecipuis rebus gestis frisionum septentrionalium. Hrsg.
de Westphalen, Monumenta inedita. S. 1370. Ao 1656.
198) Kohl, a. a. O. I S. 103/4. Vgl. auch Sach, a. a. O. S. 238. Weigelt, a. a. O.
S. 19. Jensen, a. a. O. S. 76—78.
199) Auch auf Sylt wird nach Jensen S. 139 nur mit Seegras gedüngt, während
der Mist verfeuert wird.
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VON DK. orro lauffer-frankfurt a. m.
187
in dieser Hinsicht auf manches früher Gesagte beziehen, und über die tech-
nischen Fragen, die ja für diese Darstellungen an und für sich nicht im
Vordergrunde stehen, darf ich um so eher kurz hinweg gehen, als alle
wichtigeren Einzelstücke auch der Halligstube von Dr. Hans Stegmann im
Zusammenhange mit den übrigen Holzmöbeln des Germanischen Museums
behandelt sind.
Wenn wir uns erinnern, daß wir das Bett der Halligdönse noch als
einen fest eingebauten Kasten antrafen, so ist im Gegensatze dazu um so
auffallender, daß die Sitzgelegenheiten, gerade die Stücke, die im deutschen
Bauernhause sonst am längsten ihre von Haus aus typische Gebundenheit
bewahrt haben, hier völlig mobil geworden sind. Die sonst, in alten Bauern-
stuben fast immer anzutreffende Eckbank fehlt hier. Wir sehen, djiß die
Stube nur Stühle neben den teilweise zu gleichem Zwecke verwendeten
Truhen als Sitzmöbel enthält^^^). Es muß aber hervorgehoben werden, daß
diese Erscheinung erst eine verhältnismäßig junge Errungenschaft der nord-
friesischen Hauskultur bedeutet. Schon aus der Geschichte des deutschen
Hausrates, die der Bank als allgemeinem Sitzgerät überall ein höheres Alter
als dem Stuhle zuspricht, könnte man das schließen^®*), es ist aber auch durch
die äußeren Denkmäler selbst bezeugt, und es scheint, daß im Hallighause
die Bank erst während des 19. Jahrhunderts dem Stuhle völlig hat weichen
müssen. In den 60er Jahren war sie offenbar noch ein typisches Glied der
Stubeneinrichtung, denn Johansen (S. 31) berichtet als allgemein gültig, daß
an der Fensterwand eine lange hölzerne Bank gestanden habe, die an der
Wand befestigt, also nicht mobil war, und deren Sitzbrett aufgeklappt werden
konnte, damit die Bank zugleich als Lade benutzbar war. Selbst aus jüngerer
Zeit wird das Vorhandensein der Bank verschiedentlich festgestellt, Traeger
fand sie mehrfach noch in den nordfriesischen Häusern des Festlandes,
Jensen auf Sylt, das im Flensburger Museum aufgebaute Zimmer aus Nieblum
von der Insel Föhr (vergl. Abb. 35) enthält unterhalb der Fensterreihe und
auch an einer Seiten wand »aufgestellte Banksitze«, und selbst in dem alten
Pfarrhause der Hallig Hooge fand Meiborg in der Wohnstube noch feste
Bänfce«^«).
Nach alledem darf man also nicht etwa annehmen, daß die Bank dem
Friesenhause völlig fremd gewesen sei. Sie ist hier nur früher als in den
übrigen deutschen Landschaften verschwunden, und die oben angeführten
Mitteilungen Johansens scheinen einen Hinweis zu geben, wie die Entwicklung
vor sich gegangen ist. Dadurch, daß man das Sitzbrett zum Aufklappen
einrichtete, wurde die Bank zu einem Doppelgerät, und sie näherte sich so
200) Dem entspricht es auch, wenn im Jahre 1890 Uhle, a. a. O. S. (66) von dem
Föhringer Hause kurz und bündig sagt: > Bänke fehlen«.
201) Vergl. Heyne, Wohnungswesen S. 55. 108 ff. Meringer, Die Stellung des
bosnischen Hauses und Etymologien zum Hausrat (Wiener Sitzungsber. Phil.-hist. Cl.
Bd. CXLIV. 1901. H. 6). S. 97 ff
202) Vergl. Träger, Fries. Häuser S. 116/117. Jensen S. 198. Sauermann
S. 30, 88 u. 89. Meiborg S. 67, Anm. 1.
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188
DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
sehr dem Kastenmöbel, daß von der fest eingebauten Bank bis zu der frei
beweglichen Sitztruhe kein großer Schritt mehr war. Indem nun diese
letzteren, die ja längst vordem schon vorhanden waren, sich an die Stelle der
Bank setzten, erhielt zugleich auch der Stuhl als Sitzmöbel eine erhöhte Be-
deutung. Wenn er aber schließlich allein das Feld behauptet hat, und zwar
schon zu einer Zeit, wo die Bank in den übrigen deutschen Bauernhäusern
noch zum festen Bestände des Hausrates zählte, so muß doch innerhalb der
friesischen Hauskultur eine bestimmte Tendenz vorhanden gewesen sein, die
jenes Ergebnis mit vorbereiten half. Es ist nicht unmöglich, daß der oft
genannte friesische Reinlichkeitssinn zu der Entwicklung beigetragen hat,
indem er die leicht als Schmutzfänger wirkenden Winkel unter der Bank zu
vermeiden suchte und deshalb den beweglichen Stühlen den Vorzug gab.
Andererseits könnte man vielleicht auch geneigt sein, zur Erklärung auf das
holländische Vorbild hinzuweisen: wir erinnern uns, daß auch in der Hindelooper
Kamer keine eigentliche Sitzbank vorhanden war. Indessen durch diesen
Hinweis wäre die Lösung der Frage nicht erreicht, fondern nur umgangen.
Die Form der Halligstühle wird aus unseren Abb. 35, 36 und 39 hin-
reichend klar. Sie ähneln in Bezug auf die vielfache Verwendung von Rund-
stäben den Stühlen, die wir in Hindeloopen kennen gelernt haben, weichen
aber in ihrer ganzen mehr gedrungenen Form wesentlich von jenen ab.
Besonders fallen an ihnen die beiden Sitzwangen und die Lehnen auf durch
eine starke Verwendung von mannigfach profilierten Säulchen und Stäbchen,
sowie an den breiteren Holzflächen durch ein in Flachrelief gehaltenes Schnitz-
werk, in welchem bärtige starke Männer, Ungeheuer des Meeres, Walroße
und Walfische ihr Spiel treiben^^^). H. Sauermann hat in einem Artikel:
»Schleswig-Holsteinische Möbel« im Kunstgewerbeblatt 1889, Bd. V. S. 59 flf.
eine genauere Beschreibung speziell der Stühle gegeben, bei welcher Gelegen-
heit er neben zwei anderen Beispielen auch einen von der Hallig Langeneß
stammenden Stuhl aus der Mitte des 17. Jahrhunderts abbildet. Das Material
desselben ist ein dunkles ausländisches Holz, welches Reste von Politur zeigt
und ursprünglich also sicher unbemalt war. Johansen gibt als gewöhnliches
Material Eichenholz an. Daß aber auch dieses früher meistens unbemalt war,
ließe sich einmal aus der Geschichte des, wie wir sahen, erst im Laufe des
18. Jahrhunderts eindringenden Kolorismus schließen, und weiterhin wird es
auch direkt bezeugt, wenn Biernatzki S. 17 erzählt: »Die mit losen Kissen
belegten Stühle und der Tisch, der durch seine Größe den Raum der Stube
sehr beengte, waren nur von ungefärbtem Holze und verdankten ihre Politur
allein dem beständigen Gebrauch und der fleißig reinigenden und glättenden
Hand«.
Man sieht also auch hier, daß die farbige Ausstattung des Möbels wie
des ganzen Zimmers erst verhältnismäßig jung ist. Als typische Farben
nennt Sauermann rot, gelblich weiß, blau und olivgrün, genau wie wir sie
auch an den Holzteilen der Wände gefunden haben, und wie sie an den
Stühlen der Halligdönse selbst zum Teil uns entgegentreten.
203) Vergl. johansen S. 31.
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VON DR. orro lauffer-frankfurt a. m.
189
Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß Sauermann in Profilen
und Ornament holländischen Einfluß an den Stühlen erkennt. Die Möglichkeit
dafür ist, wie ich bereits hervorhob, durchaus vorhanden. Es aber im
Einzelnen nachzuprüfen, dazu würde es eines umfangreichen Materials be-
dürfen, über dessen Kenntnis ich leider nicht verfüge^®*).
Die Sitzfläche der Stühle besteht meistens aus Brettholz. Feste Polsterung
fehlt hier wie in allen anderen Bauernhäusern Deutschlands noch gänzlich,
allein der erste Schritt dazu ist schon seit langer Zeit geschehen, denn auf
Stühlen und Truhen liegen Kissen, die dem hölzernen Möbel, wenigstens in
den Augen des in dieser Beziehung verwöhnten Städters erst ihre volle Be-
quemlichkeit verleihen. Die Bezüge dieser Kissen, die durchweg als Hausfleiß-
arbeiten entstanden sind, präsentieren sich dem Forscher als eine interessante
lokale Spezialität, die in einzelnen Gegenden Schleswig-Holsteins noch bis in
den Ausgang des 19. Jahrhunderts in lebendiger Übung sich erhalten hat.
Fig. 41. Nordfriesisches Stulillcissen in Noppenteclinilc im Qermanisclien Museum.
Sie wurden in der Weise hergestellt, daß man auf einem weitmaschigen
einfachen Grundgewebe aus Wolle und Leinen mittelst eingeknoteter Woll-
büschel oder »Noppen« eine derbe geometrische Musterung hervorbrachte,
oder aber indem man auf einem ganz leinenen Grundgewebe dicht gesetzte
Büschel zu einem Muster anordnete und dann aufschnitt, sodaß sie auf dem
Fond eine sammetweiche Fläche bildeten 2^^-^). Fig. 41 gibt eines der im
Germanischen Museum befindlichen derartigen Kissen wieder. Aus ihr kann
man wenigstens die einfache derbe, meist an geometrische und lineare
Formen gebundene Musterung gut erkennen, während der an denselben
204) Zum Vergleich verweise ich auf den von H. Stegmann in den »Mitteilungen
d. Germ. Mus.« 1903. S. 116 Fig. 48 abgebildeten und ebenda S. 119 besprochenen Stuhl
aus dem benachbarten Ostenfeld, mit Stäbchen und Schnitzwerk, rot bemalt und mit
strohgeflochtenem Sitz.
205) Sauermann, a. a. O. S. 15/6 u. 20,1. — Kissen mit gewirkten Überzügen
bezeugt für das Angler Haus. Hamm, a. a. Ö. S. 613b. Über Bankpolster vergl. Troels-
Lund >Tägl. Leben« S. 187.
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190 DIE BAUERNSTUBEN DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Stücken zu Tage tretende, in seiner Feinheit und Treffsicherheit geradezu
erstaunliche Farbensinn nur durch die farbige Wiedergabe einer größeren
Anzahl solcher Kissen zur Anschauung gebracht werden könnte.
Wie lange die Kissen bereits in Gebrauch sind, vermag ich leider nicht
einmal annähernd zu bestimmen. Daß aber für ihre Verwendung ein beträcht-
liches Alter angesetzt werden muß, dafür scheint mir der nur durch eine
lange Übung gefestigte Geschmack in ihrer Ausstattung einen sicheren Beweis
zu liefern. Die Zahl, nach der sie in einem wohlausgestatteten Hause ange-
troffen wurden, war für bäuerliche Verhältnisse eine sehr bedeutende. Wenn
sogar eine von Schiller und Lübben II, 467 zitierte einschränkende Be-
stimmung immer noch zwölf Kissen für eine Brautaussteuer zuläßt mit den
Worten: »ok en schal men nyner brud mede geven beneyedes Werkes meer
dan eyn vynsterlaken unde twelff kistenkussene edder stöllkussene«, so kann
man mit Sicherheit daraus schließen, daß sie in Wirklichkeit in noch viel
größerer Anzahl anzutreffen waren. —
Wo nun wie im nordfriesischen Hause die fest eingebaute oder doch
wenigstens an ihrem von Alters her gewöhnten Platze verharrende Bank ver-
schwunden und durch Stühle ersetzt, das Sitzgerät also mobil geworden ist,
da kann man im allgemeinen auch annehmen, daß damit zugleich der alte
landschaftlich charakteristische Typus in der Anordnung der Möbel etc. im
Schwinden begriffeti ist. Im nordfriesischen Hause haben aber die Stühle
wenigstens insofern noch ihren typischen Platz bewahrt, als einer von ihnen
meist neben dem Ofen (vgl. Fig. 36 und 39), zwei aber zur Benutzung für
den Hausherrn und die Hausfrau vor der Fensterwand im Ausbauer stehen.
Zwischen diesen beiden letzteren befindet sich der Tisch, der sich an den,
die beiden Fenster trennenden Wandpfeiler anlehnt. In dem Föhringer Zimmer
des Flensburger Museums ist er, wie unsere Fig. 35 zeigt, ein schweres Möbel
mit dicker Holzplatte über dem Tischkasten und mit Kugelfüßen, die an
holländischen Einfluß denken lassen. Viel häufiger aber wird der sogen, hol-
ländische Tisch angetroffen, den wir schon im Hindelooper Zimmer kennen
lernten, ein Klapptisch mit beiderseits herabhängenden Platten, die je nach
Bedarf aufgeklappt und dadurch hochgehalten werden, daß man die im
Scharnier laufende Hälfte eines der Tischbeine unterschiebt, welches zu dem
Zwecke in seiner ganzen Länge von oben nach unten durchgespalten ist.
Da diese Vorrichtung sich auf beiden Seiten findet, so kann man also sagen,
daß der Tisch auf zwei ganzen und zweimal zwei halben Beinen ruhe, eine
Einrichtung, die auf den Beschauer, der ihr zum erstenmale begegnet, einen
merkwürdigen Eindruck macht. Traeger hat ihr deshalb auch eine ein-
gehende Beschreibung gewidmet 2^®)
Zu dieser beschriebenen Art gehört auch der in der Halligstube unseres
Museums befindliche Klapptisch. Derselbe ist farbig ausgestattet: er zeigt
auf blauem Grunde ein graublau gehaltenes Rokoko-Kartuschenwerk mitBlumen-
206) Traeger, »Fries. Häuser« S. 117. — Über den Tisch der Halligdönse vgl.
auch Sauermann, a. a. O. S. 32 und Jensen S. 205,6.
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VOD DR. OTTO LAÜFFER-FRANKFURT A. M.
191
ranken von roten und weißen Rosen. Darin befindet sich auf jeder der
Klappen die Darstellung eines Liebespaares, die nicht ohne Laune die Bilder
eines bescheidenen und eines zudringlichen Liebhabers einander gegenüber
stellen.
Neben diesem Klapptisch sehen wir in der Dönse noch einen zweiten,
sehr leicht gebauten Tisch mit Schublade und gedrehten Beinen, dessen Be-
malung in grün und schwarz durchgeführt ist. —
Als letzte Möbelgattung, die ein typisches Glied in der Ausstattung der
Hallig-Dönse bildet, und die wir demgemäß auch schon mehrfach gelegentlich
zu erwähnen hatten, müssen wir endlich noch die Truhe nennen. Dieselbe
ist in zwei Exemplaren in unserer Stube vertreten. Die eine derselben sieht,
ebenso, wie es auf dem mehrfach erwähnten Bilde von Alberts der Fall ist,
unmittelbar vor dem Bettloche, sodaß die Beiderwandvorhänge noch ein wenig
auf das über sie gebreitete Truhenkissen herabfallen (vgl. Fig. 36). Die Truhe
selbst zeigt in ihrem Bau die auffallende Erscheinung, daß sie sich nach unten
Fig. 42. Truhe in der Hallisr-Dönse des Qer manischen Museums.
Erworben auf der Insel Rom. 15. Jahrh.
leicht verjüngt. Sie stammt von der nordfriesischen Insel Rom, und sie ähnelt
in ihrem naturalistisch gehaltenen Ornament ein wenig der plastischen Aus-
stattung des früher erwähnten Wandschrankes mit der Jahreszahl 1586. Dr.
Hans Stegmann, der ihre Entstehungszeit, wie mir scheint mit Recht in
das 17. Jahrhundert setzt, hat sie in den »Mitteilungen« 1904 S. 108 näher
besprochen. Auf ihn sei hiermit verwiesen, und indem ich die von ihm auf
S. 106 gegebene Abbildung in Fig. 42 wiederhole, darf ich mich der Aufgabe,
eine genauere Beschreibung ihres Schnitzwerkes zu geben, überhoben halten.
Nur das eine möchte ich auch hier hervorheben, daß dasselbe seine Motive
deutlich der heimischen Pflanzenwelt entlehnt hat. Daß das Stück am Orte
selbst entstanden ist, muß daher wohl als wahrscheinlich angenommen werden.
Freilich wage ich nicht zu entscheiden, ob es sich dabei um ein Erzeugnis
des Hausfleißes oder um eine handwerksmäßige Arbeit handelt. Der letzteren
Annahme neigt Sauermann im allgemeinen zu, denn er äußert sich dahin,
daß man trotz der an den Hausgeräten sich offenbarenden Geschicklichkeit
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192
DIE BAUERNSTUBEN DES GBRMANISCBEN MUSEUMS.
der Landbevölkerung im Schnitzen doch nicht annehmen dürfe, daß auch die
reich geschnitzten Truhen und Kasten als Hausfleißarbeiten anzusehen wären*"^.
Die Truhe zeigt in 'ihrem heutigen Zustande die reine J^aturfarbe, und
es ist auch keine Spur von ehemaliger Bemalung daran zu entdecken. Es
ist daher höchst wahrscheinlich, daß sie von der ganzen, im übrigen doch so
reich sich betätigenden coloristischen Geschmacksperiode unberührt geblieben
ist, und auch daraus schon könnte man, selbst wenn nicht andere Anhalts-
punkte dazu kämen , vermuten , daß mit ihr eine der selteneren Arbeiten auf
uns gekommen sei, die vor die große Überschwemmung vom Jahre 1717 oder
selbst vor diejenige von 1634 zurückreichen.
Unzweifelhaft jüngeren Alters als dieses erstgenannte Stück ist die zweite
Truhe*®®), die unter dem Wandschrank zwischen Eingangstür und Ausbauer
ihre Aufstellung gefunden hat. Auch bei ihr ist die Vorderseite mit reichem
Schnitzwerk versehen, welches neben dem erwähnten Flechtband-Ornament
zwischen zwei Blumenvasen einen Kranz enthält, in dem von einer Krone
überragt das Doppelmönogramm F R zu lesen ist. Die Bezeichnung »Anno
1751« läßt über die Entstehungszeit keinen Zweifel. Im Gegensatz zu der
älteren ist diese jüngere Truhe bemalt, und zwar in vorherrschend blau, grün
und rot.
Der Zweck der Truhen ist bekannt: sie enthalten den Hausschatz von
Leinenzeug , Feierkleidern und seidenen Tüchern , und sie bergen zugleich
in einem Schiebfach einzelne Kleinodien an goldenen Ringen und Ketten , die
der Halligbewohner so sehr liebt^^*).
Eine Wiege enthält unsere Dönse nicht. Das Bild einer solchen ist
aber auch auf Fig. 35 im Vordergrunde rechts zu sehen, und zwar handelt
es sich dabei, wie mir scheint, um dasselbe Exemplar, welches auch M ei borg
S. 90 in Fig. 136 abbildet. Er versetzt seine Entstehungszeit in die zweite
Hälfte des 18. Jahrhunderts und giebt Nordstrand als Herkunftsort an. Über
Bau und Dekoration solcher Wiegen äußert sich Jensen auf S. 234/5 folgender-
maßen: »Es ist interessant, daß die Wiegen auf den Inseln in ihrer Form
kaum von einer Bettstelle in verjüngtem Maßstabe verschieden , namentlich
ältere, häufig mit biblischen Bildern bemalt oder mit erhabenem Schnitzwerk
versehen waren und sind. Dieselben sind meistens aus Eichenholz gefertigt
und die Seitenwände aus mehreren Täfelchen zusammengestellt. Auf diesen
ist beispielsweise die Entwicklung des Kindes oder die Geschichte des Jesus-
kindes in verschiedenen Bildern zur Darstellung gekommen. Leider sind in
der Fluth von 1825 viele derartige kunstvoll ausgestattete Wiegen verloren
gegangen.«
Damit ist die Reihe der Möbeln in der Hallig-Dönse erschöpft, und wir
haben nur noch einen kurzen Blick auf das kleine Gerät zu werfen, welches
207) Sauermann, Führer S. 12 Anm.
208) Vgl. Stegmann a. a. O. S. 108.
209j Biernatzki a. a. O. S. 17.
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VON DR. OTTO LAÜPFER-FRANKFÜBT A. M 193
an den Wänden des Zimmers verteilt, den verschiedensten Aufgaben des
Haushaltes zu dienen hat, und welches dabei doch fast durchweg in so zier-
lichen Formen gehalten ist, daß es zugleich zum Schmuck des Raumes bei-
zutragen vermag. So hängt an dem Pfeiler zwischen den beiden Fenstern ein
dreieckiges Gestell, der sogenannte »Tresor«, grün gestrichen mit roten Kanten,
auf dessen Querbrettern Teetassen und ähnliches Porzellangeschirr Aufstellung
gefunden haben. Die Anfangsbuchstaben der Besitzerin und das Jahr der
Entstehung sind in der Inschrift: »17 S. P. 80« angegeben*^®). An der ent-
gegengesetzten Wand neben dem Ofen sehen wir die Uhr, den zierlich ge-
schnitzten Pfeifenhalter und den messingenen Bettwärmer (vgl. Fig. 36), lauter
Gegenstände, die wir fast genau in gleicher Form schon in der Hindelooper
Kamer kennen gelernt haben, und die somit wiederum die Ähnlichkeit mit
der holländischen Hauskultur hervortreten lassen. Hier wie dort hat der Bett-
wärmer den in durchbrochener Arbeit gefertigten Deckel, dessen Ornament
an unserem Stücke eine Vase mit schweren stilisierten Blumenranken und
die Bezeichnung: »Ancke Broders — Broder Melfsen 1738« trägt. Die Uhr
als solche scheint in Schleswig zuerst an der Westküste und also auch wohl
auf den Halligen sich eingebürgert zu haben. Sie war hier schon in der Mitte
des 17. Jahrhunderts bei Großbauern anzutreffen, und 100 Jahre später hatten
selbst kleine Leute dort schon ein Gehwerk, Zeigerwerk oder Stubenwerk
im Gehäuse, während sich zu derselben Zeit in anderen Gegenden z.B. süd-
lich von Kolding, selbst ansehnliche Höfe noch mit einer Sonnenuhr oder
mit einem Stundenglase für drei oder vier Stunden begnügten*^^). Zieht man
diese allgemeine Geschichte , der Verbreitung der Uhr in Nordfriesland in Be-
tracht, und nimmt man dazu, daß auch Clement S. 135 angiebt, daß die
Stubenuhr »gemeiniglich eine friesische von Holland her« gewesen sei, so
kann man die Vermutung nicht abweisen , daß auch ihre Einführung in Nord-
friesland dem holländischen Einfluß zu verdanken sei. Wie in Hindeloopen
ist auch hier das Uhrwerk zum Schutz gegen den Staub mit einem weißen
Leintuch überhängt.
Als letztes Stück kleinen Gerätes finden wir über dem Guckfensterchen
neben der Eingangstür eine Art Präsentierteller aufgehängt, der mit reichem
Schnitzwerk ausgestattet ist, und von dem man mir sagt, daß er zum Tragen
der Täuflinge benützt worden sei. — Daß in der Stube des Museums das
Mangelbrett fehlt, welches auch auf den Halligen in schöngeschnitzten Exem-
plaren als Minnegabe verschenkt wurde und in jedem Hause anzutreffen war,
und daß wir ebenso uns vergebens nach der üblichen Feuerkieke (dänisch
»Kike« oder »Stof«) umsehen, ist lediglich als Zufall zu betrachten, der eine
noch auszufüllende Lücke in der Stubenausstattung erkennen läßt.
210) Abbildungen solcher >Tresors< finden sich beiSchwindrazheim S. 137 und
auf dem Halligblatt des Deutschen Bauernhaus- Werkes Abb. 27. Für die Heidegegenden
Mittelschleswigs erwähnt sie Meiborg S. 108.
211) Meiborg S. 192. — Über die Geschichte der Uhr in Skandinavien vgl.
Troels-Lund, >Tägl. Leben< S. 214—218. — Für Sylt gibt auch Jensen S. 198 noch
Stundengläser an, indem er, wie es scheint, die Zeit um 1725 dabei im Auge hat.
Mitteilungen aus dem german. Natioualmuseum. 1904. 26
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^94 Dis BAUERNSTUBEN DBS GERIUNISCHBN MUSEUBC8.
Ein über der Eingangstür angebrachtes Schiffsbild, sowie das von der
Decke herabhängende Schiffsmodell sind vor allem als Erinnerungsstücke auf-
zufassen, während die auf den Gesimsbörten aufgestellten Porzellanteller so-
wohl als Reiseandenken wie als Dekorationsstücke auf den Bewohner der
Stube herabblicken. In diesem Zusammenhange ist auch noch einmal auf
die Nippsachen hinzuweisen, die wir in dem Glasschränkchen der Rückwand
zu bemerken, schon früher Gelegenheit hatten, und deren Wertschätzung den
Nordfriesen in gleicher Weise mit den Holländern wie mit den Skandinaviern
gemeinsam war***).
Ein paar merkwürdige Dekorationsstücke muß ich noch erwähnen, die
zwar in der Dönse des Museums fehlen, die aber sich offenbar allgemeiner
Beliebtheit erfreuten. Kohl schreibt darüber (I, 113 — 114): »In der Mitte
des Zimmers hingen an bunten Schnüren zwei Glaskugeln, die inwendig wie
Spiegel mit Staniol überzogen waren und alle Gegenstände in einem Miniatur-
bilde zurückspiegelten. Solche Glaskugeln, so groß wie Straußeneier, findet
man hier fast in jedem wohleingerichteten Zimmer. Ich weiß nicht, woher
die Leute sie beziehen«. —
So nehmen wir von der Halligstube Abschied, indem wir mit einem
letzten Überblick noch einmal den harmonischen Eindruck des kleinen, aber
in allen Einzelheiten für Land und Leute so charakteristischen Raumes mit
voller Frische auf uns wirken lassen, und noch einmal überzeugen wir uns
wie zur Kontrolle, daß auch für unsere Dönse die Worte zutreffen, mit
denen We igelt die ihm so wohlvertraute Halligstube gepriesen hat: »Daß
nur Keiner sich auf den Eintritt in eine ärmliche Wohnung gefaßt mache!
Alles ist hier eigentümlich, behaglich und im höchsten Grade sauber. Durch
die klaren Fensterscheiben dringt das Sonnenlicht ungetrübt und beleuchtet
ein zum Empfange vorbereitetes Zimmer. Die Wände sind mit sogenannten
Kacheln ausgesetzt, das sind gebrannte und mit Glasur überzogene Steine,
entweder mit Arabesken oder mit Szenen aus der biblischen Geschichte be-
malt, wie man das häufig auf alten Öfen findet; an den Wänden hängen
Bilder, zum Teil solche, die dem Geschmack keine Schande machen; eine
kleine Büchersammlung, in welcher die Bibel nicht fehlen darf, ein Glas-
schrank mit Porzellan und Silbergeschirr, kurz Alles zeigt uns statt der er-
warteten Armut vielmehr einen gewissen Grad von Wohlhabenheit, besonders
auf den größern der Halligen. Der Tisch ist mit sauberm Leinen gedeckt,
das Wasser brodelt in dem blanken messingenen Kessel; allerlei Backwerk,
gutes Brot, Butter und Käse ist für den Gast zurecht gestellt. Das Beste
aber sind die über den Besuch frohen Menschen« ^^®).
Die Bekanntschaft dieser Menschen selbst muß dem Museumsbesucher
versagt bleiben, aber da wir ihr Haus und ihre Stube musterten, ist auch
von ihrem eigenen Wesen vor unserem geistigen Auge ein Bild erstanden;
212) Vgl. Tröls-Lund, >Tägl. Leben«. S. 214.
213) Weigelt, a. a. O. S. 25. — Ober die große Sauberkeit der Friesen vergl.
Jensen S. 80; Johansen S. 33. Kohl I. S. 66/67. 113 und 173. .
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VON DR, OTTO LAUFFER-FRANKFÜRT A. M.
195
denn die Wände, in denen sie leben, erzählen von ihrer Arbeit und ihren
Gefahren, von ihrem Glauben und von ihrer Empfänglichkeit für freundliches
und zierliches Wesen der äußeren Erscheinung, und über dem ganzen Haus-
rat liegt ein Glanz und ein Schimmer, daß es uns ist, als sei die Hausfrau
soeben durch die Dönse gegangen, um mit säubernder Hand noch einmal
alles für unseren Anblick herzurichten.
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LITERARISCHE NOTIZEN.
Das St. Jakobsportal In Regensburg und Honorlus Augustodemensis. Ein Bei-
trag zur Ikonographie und Literaturgeschichte des 12. Jahrhunderts. Von Dr. Jos. Ant.
Endres, o. Professor am k. Lyceum in Regensburg. Kempten. Verlag der Jos. Kösel-
schcn Buchhandlung. 1903. VIII. 78 SS. und 5 Tafeln.
Der reiche Skulpturenschmuck des nördlichen Portals von St. Jakob in Regensburg
hat lange den Scharfsinn der Exegeten beschäftigt. Man hat den Erklärungsgrund in
der germanischen Mythologie gesucht und angesehene Gelehrte sind dieser Ansicht bei-
getreten. Man hat anderseits auf jede eingehende Deutung verzichtend in den Figuren
und Tieren phantastische Erfindungen gesehen. Auch der nächstliegende Gedanke, daß
ein christlich-kirchliches Kunstwerk seine Erklärung in christlichen Ideen suchen muß
ist nicht unbeachtet geblieben, aber auch der neueste Versuch von Goldschmidt, der die
Grundgedanken im Psalter zu finden glaubte, hat nicht vollkommen befriedigt. Endres
legt seiner Erklärung den Kommentar des Honorius Augustodemensis zum Hohen Lied
zu Grunde und wenn in seiner Beweisführung einige Einzelheiten unbestimmt bleiben, so
ist sie doch im Ganzen unzweifelhaft richtig. Die weit ausholende Arbeit ist methodisch
vortrefflich angelegt und durchgeführt und wohl geeignet, weiteren Studien in dem ent-
legenen Gebiete der Symbolik mittelalterlicher Kunst als Grundlage zu dienen. ß.
Führer durch die Fränkische und Hersbrucker Schweiz mit den Anhängen:
Rad-Touren und Geologie der Fränkischen Schweiz (von Dr. W. von Knebel). Heraus-
gegeben von Karl Brückner, Lehrer in Gößweinstein. Mit einer Spezialkarte, 8 Kunst-
druck-Illustrationen, 6 Plänen und einem Routenkärtchen. Wunsiedel, Verlag von G.
Kohler. 1904. 103 SS. 8.
Ohne das unbillige Urteil des Verfassers und des Verlegers über die bisher vor-
liegende Reiselitteratur der Fränkischen und Hersbrucker Schweiz unterschreiben zu
wollen, können wir allen Freunden des Wanderns diesen neuen Führer nach alten
Reisezielen aufs beste empfehlen, der in bündiger Form all das vorbringt, was einem
leichtbepackten Touristen jeweils an Ort und Stelle zu wissen nottut, neben dem eigent-
lichen >Führen« aber noch Zeit und Gelegenheit findet für die mancherlei Wunder der
Natur (Geologie, Flora, Fauna) den Blick zu öffnen und hier und dort geschichtliche
Erinnerungen wach zu rufen. Das mit Karten, Plänen und einzelnen hübschen Ansichten
trefflich ausgestattete Büchlein ist zugleich ein beredtes Zeugnis der schönen Erfolge des
rührigen Fränkischen Schweiz-Vereins. HH.
Wasgaubllder von August Becker. Mit dem Bildnis und einem Facsimile des
Verfassers. Kaiserslautern. Verlag der Thieme'schen Druckereien, G. m. b. H. 1903.
III u. 203 SS. 8.
Unter dem Titel >Wasgaubilder« werden uns sechs farbenfrohe Schilderungen
heimatlicher Wanderfahrten aus der Feder des bekannten pfalzischen Dichters geboten.
Eine pietätvolle Hand hat diese Blätter aus Aug. Beckers Nachlaß, wie sie vorlagen, zu
einem liebenswürdigen Buche vereinigt. Wiederholte Ausflüge und kleine Reisen durch
die südl. Pfalz und ins nördliche Elsaß, denen eifriges Durchforschen einschlägiger Quellen-
werke und Darstellungen folgte oder voranging, neue Eindrücke im Verein mit sonnigem
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UTERARISCHE NOTIZEN.
197
Gedenken einer im Banne der Hardtberge verlebten glücklichen Jugend haben diese an-
sprechenden Studien gezeitigt, reich an bemerkenswerten Gedenken und prächtigen Be-
obachtungen über Land und Leute. In ansprechender Form schenkt diese seine besten
Erinnerungen ein begeisterter Freund und feiner Kenner der Naturschönheiten des
Mittelgebirgs, der bald dem Schauplatz der Waltharisage nachspürt, bald verblassende
Bilder aus geschichtlicher Vergangenheit aufrollt, bald auf Goethe's Wanderpfaden
dahinschreitet und in Sesenheim sinnig die »Wallfahrt« beschließt. Die Datierung der
einzelnen Aufsätze weist freilich wiederholt eine ganze Spanne Zeit zurück und macht
es begreiflich, daß aus dem bunten Strauß hie und da auch wohl ein welkendes oder
vergilbtes Blatt herauslugen mag, die Frische und Unmittelbarkeit des Ganzen aber wird
die nicht wenigen alten Freunde der Becker 'sehen Muse »hüben« und »drüben« nicht
enttäuschen und neue gewinnen. H. H.
Beiträge zur Stoss-Porschung. Veit Stoss und seine Schule In Deutschland,
Polen und Ungarn. Von Berthold Daun. Mit 89 Abbildungen in Autotypie. Verlag
von Karl W. Hiersem ann. Leipzig 1903. VIII und 187 S. 8.
Daun stellt Veit Stoß nicht nach der üblichen Art als.den Nürnberger Künstler hin, von
dem sich zufällig einzelne Werke auch in Krakau befinden, sondern er läßt seine polnische
Tätigkeit ais gleichberechtigt neben die Nürnberger treten und aus beider Vermischung
seine Eigenart erwachsen. Vielleicht geht Daun hierin etwas zu weit, vielleicht drängt
er die Polonismen in Stoß' Kunstcharakter allzu sehr in den Vordergrund, jedenfalls ist
aber diese Beurteilung des originellen Künstlers von einer höheren Warte aus recht er-
freulich und geeignet, mehr in sein Wesen einzudringen zu lassen, als es bisher geschah.
Allerdings wurde dadurch die Arbeit wesentlich schwieriger und man wird dem
Verfasser seine Anerkennung nicht versagen können für die Sorgfalt, mit der er auf
seinen, in jenen Gegenden bekanntlich nicht sehr erfreulichen Studienreisen vorgegangen
ist; denn er hat alle polnischen und ungarischen Werke, die in den Kreis seiner Arbeit
fielen, persönlich untersucht und wieder in die deutsche Kunstgeschichte eingeführt.
Hand in Hand damit geht die Verarbeitung der ziemlich reichen polnischen Stoßliteratur,
die den meisten deutschen Kunstgelehrten ebenfalls unbekannt gewesen sein wird.
Mit der Behandlungsweise der authentischen Werke Stoß' wird man durchaus ein-
verstanden sein können. Die Charakterisierung der einzelnen Stücke ist knapp, viel-
leicht hie und da etwas trocken; doch enthält sich Daun durchaus des in der heutigen
Kunstschriftstellerei leider nimmer mehr aufkommenden einseitigen Lobredens und
Schönfärbens und damit aller leeren Phrasen. Der Autor steht auf dem Boden einer
rein historischen Behandlungsweise und vermeidet deshalb auch durchgehends die bei
der deutsch-mittelalterlichen Plastik nur sehr bedingt nützlichen ästhetischen Raisonne-
ments.
In den Zuschreibungen kann ich Daun nicht voll beipflichten. Soweit die bei-
gegebenen Abbildungen ein Urteil zulassen, komme ich gelegentlich zu abweichenden
Ansichten, auch die Worte Dauns vermögen mich dort nicht zu überzeugen ; so beispiels-
weise bei der Grabplatte des Bischofs Johannes V. Gruszcynski im Dom zu Gnesen.
Dem, was er von den Werken im Germanischen Museum, die natürlich einen großen
Raum in der Arbeit einnehmen, mitteilt, kann ich durchweg zustimmen. Daun will nur
nach authentischen Werken zuschreiben, allein tatsächlich wird er doch hie und da diesem
einzig richtigen Prinzip untreu und läßt die Kette länger werden. Daß die Resultate
damit anfechtbar und für das Gesamtbild störend werden, ist selbstverständlich.
Die Stoß-Schule, die in der üblichen Beurteilung der fränkischen Plastik eine große
Rolle spielt, wird auch bei Daun sehr breit behandelt, allerdings tritt hier im Unterschied
zu früheren Arbeiten über Stoß sehr wesentlich Polen und Oberungam auf. Meiner An-
sicht nach sollte man die Werkstatt- und Schularbeiten, mit denen die Kunstgeschichte
ja stets zu rechnen hat, auf ein Minimum beschränken. Meist sind es doch nur Werke,
die in dieser oder jener Hinsicht den authentischen Arbeiten eines Meisters ähneln, in
anderem ihnen aber direkt widersprechen. Je nach den Richtlinien, die man sich bei
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198
LITERARISCHE NOTIZEN.
der Betrachtungsweise gezogen hat, je nach den Voraussetzungen, mit denen man vor
das Bildwerk tritt, wird man bald bei diesem, bald bei jenem Meister Analogien finden,
und so wandern denn auch derartige Arbeiten in den Kunstgeschichten und den Kunst-
monographien heimatlos vom einen Meister zum andern und schaden der richtigen Er-
kenntnis mehr als sie nützen. In streng wissenschaftlichen Arbeiten sollte deshalb die
Kritik engere Grenzen ziehen und sich bei zweifelhalten Werken mit allgemeinen Be-
zeichnungen begnügen.
Das Kapitel >Stanislaus Stoß« würde ich gerne vermißt haben, denn alle hier ge-
nannten Arbeiten wären mit Recht der Stoß-Schule einzureihen gewesen. Die Zuweisung
dieser einen individuellen Zug tragenden Gruppe an jenen erstgeborenen Sohn Meister
Veits ist gänzlich hypothetisch. >Von allen besprochenen Schulwerken, die mit Veit
Stoß eng zusammenhängen, von ihm aber nicht gefertigt sind, stehen diese Schnitzreliefs
der Qualität nach am höchsten und rühren von dem bedeutendsten Schüler des Veit
Stoß her. Dieser war sein Sohn Stanislaus.« Das ist meines Erachtens kein genügender
Grund, um jene Werke mit Stanislaus in Beziehung zu bringen, und kein Mittel, jenen
urkundlich mehrfach genannten Meister künstlerisch faßbar zu machen.
Die beiden Schlußkapitel wollen auf negative Weise klärend wirken, indem in
ihnen zu den anderweitig dem Stoß zugeschriebenen, von Daun aber ihm abgesprochenen
Arbeiten Stellung genommen wird Daun muß hierbei die Wolgemutfrage aufrollen und
kommt in seinen Untersuchungen auf eine große Zahl Nürnberger und in der Umgebung
Nürnbergs befindlicher Altäre und Einzelstatuen zu sprechen. Naturgemäß ist dabei
alles hypothetisch. Mit besonderer Freude ist es zu begrüßen, daß Daun mit den fast
traditionell gewordenen Beziehungen der Nürnberger Madonna zu der Pieta in der Nürn-
berger Jakobskirche bricht. Beide Werke haben doch nur recht wenig mit einander
gemein und erwachsen auf dem Boden verschiedener Kunstanschauung, so daß es ver-
wundem muß, daß diese Zusammenstellung immer wiederkehrte. In der Nürnberger
Madonna sieht auch Daun der herrschenden Ansicht gemäß ein Werk des Vischerkreises ;
ob man seiner Zuweisung der Pieta an Wohlgemut, die mit Analogien am Crailsheimer
Altarschrein begründet wird, zustimmen darf, ist mir noch zweifelhaft.
Das Daunsche Buch besitzt den großen Vorzug, daß das weit zerstreute, dem
Leser im allgemeinen nicht zugängliche Material fast durchweg in Abbildungen wieder-
gegeben ist; und wenn auch die Autotypien vielleicht etwas zu klein für Detailunter-
suchungen sind, so ist doch die Möglichkeit gegeben, die Ansichten des Verfassers
nachzuprüfen und wirklich mit dem Lebenswerk Stoß' bekannt zu werden. Auf jeden
Fall ist die Arbeit ein trefflicher Beitrag zur Geschichte der deutschen Plastik und wird
nach mancher Richtung hin belehrend wirken. Im allgemeinen geht aber aus ihr doch
hervor, daß Stoß nicht die künstlerischen Qualitäten besaß, die seinen hohen Ruhm in
der Gegenwart rechtfertigten. Er war ein tüchtiger und geschickter Mann, kein hoch-
fliegender Geist; als >Donatello der deutschen Kunst«, wie Daun ihn nennt, möchte ich
ihn nicht bezeichnen. Dr. W. Josephi.
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Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1904
der
Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum.
Seite
Die Bauernstuben des Germanischen Museums. Von Dr. Otto La uffer- Frank-
furt a. M. (Mit 2 Tafeln.) 3, 143
Die Holzmöbel des Germanischen Museums. Von Dr. Hans Stegmann. . . .45, 101
Das angebliche Hirschvogel-Porträt von G. Pencz in Karlsruhe. Von Friedrich
H. Hofmann. (Mit 1 Tafel.) 71
Zu Dürers Stich B. 98. Von Alfred Hagelstange 78
Eine Folge von Holzschnitt - Porträts der Visconti von Mailand. Von Alfred
Hagelstange 85
Zu H. S. Beham. (Pauli 832.) Von Dr. E. W. Bredt 121
Der Monatsreiter, Fechter und Fahnenschwinger Sebastian Heußler zu Nürnberg.
Von Hans Boesch 137
Literarische Besprechungen :
Rembrandt von Carl Neumann. Von Dr. E. W. Bredt 122
Literarische Notizen 38, 80, 133, 196
U C.MtMid. NürnMrg.
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Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum. 1904.
I I I I I I I I I I I
Fig. 22 Fensterwand d
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Taf. I.
>r Hindelooper Kamer.
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Mitteilungen aus dem Germanis
Nationalmuseum.
Tafel II.
Bildnis von Q. Pencz in der Qrossherzosrlichen Kunsthalle
zu Karlsruhe.
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Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum. 1904.
Taf. III.
Fig. 36. Ofenwand 4er Hallig-Dönse Im Oermaniachen Museum.
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Mitteilungen
AUS DEM
Germanischen Nationalmuseum
HERAUSGEGEBEN
VOM DiRECTORIUM.
JAHRGANG 1905.
MIX ABBILDUNGEN.
NÜRNBERG
VERLAGSEIGENTUM DES GERHANISCHEN MUSEUMS
1905.
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JÖRG BREU'S HOLZSCHNITTE IM KONSTANZER BREVIER
VON 1516.
VON
ALFRED HAGELSTANGE
ie folgenden Zeilen treten nicht mit dem
Ansprüche auf, als Wegweiser durch unent-
decktes Neuland zu dienen, sondern be-
gnügen sich mit der ungleich bescheideneren
Aufgabe, die schon früher angelegten Wege
zu ebnen, weiter auszubauen und hie und
da einen Seitendurchblick zu schaffen, der
auf die Nebenpfade etwas Licht wirft, sodaß
auch deren Richtungslinien klarer und be-
stimmter hervortreten, als das bislang der
Fall war. Das Verdienst, Jörg Breu zuerst
als den Zeichner der Illustrationen unseres
Breviers ^) erkannt zu haben, gebührt Robert
Stiassny, der seine interessanten Forschungen im VII. Jahrgang der Zeit-
schrift für christliche Kunst (1894) niedergelegt hat. Fr. Dörnhöffer akzep-
tierte diese Zuschreibung im Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des
allerhöchsten Kaiserhauses (XVIII. 1897), während Campbell Dodgson's Aus-
führungen im Jahrbuch der kgl. preußischen Kunstsammlungen (XXI. 1900)
noch insofern über eine Zustimmung hinausgehen, als sie die Forschungen
Stiassny's in nicht unwesentlichen Punkten ergänzen. Die unbedingt richtige
Zuschreibung, die die Annahme Muthers, daß die Illustrationen mit Burgk-
mair in Verbindung zu bringen seien, hinfällig machte, begegnet heute kaum
noch irgendwelchen Zweifeln, sodaß wir dieses Forschungsergebnis ruhig als
die Basis weiterer Untersuchungen betrachten dürfen.
Die Abbildungen, die wir diesen Zeilen beigeben, sind samt und sonders
erstmalige Reproduktionen in der Originalgröße von 132X82 resp. 37X30 mm.
1) Panzer, Ann. VI. 145. 88. Muther, Bücherillustr. 964.
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4 JÖBO BRBU*S HOLZSCHNITTB IM KONSTANZBR BBEYIER TON 1516.
(Initialen). Es fehlt von den Dlustrationen des Breviers nur der Titelholz-
schnitt (Maria mit Kind zwischen den Heiligen Konrad und Pelagius), den
wir wiederzugeben nicht für nötig hielten, da sich eine sehr gute Faksimile-
Reproduktion nach einem fein kolorierten Exemplare im 5. Jahrgang der
Zeitschrift für Bücherzeichen (1895. Tafel, nach S. 98) vorfindet, während
eine zweite Nachbildung den oben erwähnten Dodgson'schen Aufsatz ziert,
wozu dann noph eine dritte, wenn auch wesentlich verkleinerte Wiedergabe
in Wamecke's heraldischen Kunstblättern kommt. Dieser Holzschnitt, der
in den Größenverhältnissen etwas von den übrigen ganzseitigen Illustrationen
des Breviers abweicht — er mißt 127X82 mm. — , wird von L. Gerster
in dem eben erwähnten Jahrgange der Zeitschrift für Bücherzeichen als ein
Exlibris des Konstanzer Bischofs Hugo von Landenberg erklärt. Dem ist
jedoch nicht so, denn die gewählte Zeichnung kündet uns hier nicht den
Besitzer, sondern vielmehr den Herausgeber des Buches. Dies findet sich in
deutlicher Weise auf der dem Holzschnitt gegenüberstehenden Textseite aus-
gesprochen, wo wir lesen:
„ nos Hugo dei et apostolice sedis gratia episcopus Constantiensis
Libellos: quos breuiaria vocant de nouo diligenter ac laboriose
bene correctos et in erratis emendatos Per circumspectum virum Erhardutn
Ratdolt: Ciuem Augustensem : Calcographum accuratissimum Denuo
imprimi voluimus es iussimus, Atque in huius rei: et nostre autoritatis
testitnonium. In fronte cuiuslibet libelli karunt literarum seriem vna cum
armis nostris depingi mandauimus " *).
Das heißt also: Hugo von Landenberg will sich durch die Aufnahme
seines Wappens in den Titelholzschnitt ausdrücklich als geistiger Urheber
der Neuausgabe des Breviers betrachtet wissen. Daß auch die übrige bild-
liche Ausschmückung des Buches auf seine Initiative zurückzuführen ist,
dürfte mehr als wahrscheinlich sein, denn der Konstanzer Bischof^) war ein
fein gebildeter Mann mit stark ausgeprägtem ästhetischem Empfinden. Ge-
schmackvolle Eleganz und herrscherverkündende Pracht entsprachen seiner
aristokratischen Natur so sehr, daß seine künstlerischen Unternehmungen direkt
als Auslösungen eines persönlichsten geistigen Bedürfnisses zu betrachten
sind. Dieses enge Verhältnis zur Kunst, das eine wirkliche Herzensneigung
zur Grundlage hatte, spricht sich namentlich in den verschiedenen Bauten
aus, die der tätige Kirchenfürst ausführte. So ließ er das Schloß Hegi bei
Winterthur ganz neu ausstatten, schmückte Burg Arbon mit den herrlichsten
Gemächern*), baute Meersburg weiter aus und machte Schloß Markdorf zu
einem herrlichen Fürstensitze. In demselben Maße, wie er zu seinem per-
sönlichen Vergnügen gute Bilder und kostbare Miniaturen erwarb, ließ er
auch Gemälde in Auftrag geben, um sie zum Präsent machen zu können,
2) Die Abbreviaturen sind aufgelöst.
3) Näheres über ihn bei Studer, Die Edeln von Landenberg, S. 55 ff.
4) Einen Saal dieses Schlosses birgt jetzt das Schweizerische Landesmuseum in
Zürich.
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VON ALFRED HAGELSl^ANQE.
wie das z. B. bei dem sogen. Landenbergischen Altar der Fall sein wird, den
jetzt die Karlsruher Galerie birgt.
Unter solchen Voraussetzungen kann es uns nicht Wunder nehmen,
daß der kunstliebende Kirchenfürst auch die Neuausgabe des von ihm ver-
besserten Breviers mit einem entsprechenden künstlerischen Buchschmuck
ausgestattet zu sehen wünschte. Zweifellos hat er Erh. Ratdolt gleich bei
Erteilung des Druckauftrages eine dementsprechende Weisung gegeben; und
dieser hat sich dann an den ihm geeignetst erscheinenden Künstler gewandt.
Als solcher kam aber Jörg Breu aus dem Grunde in erster Linie inbetracht,
weil er schon Jahre lang für die Ratdolt'sche Offizin als Illustrator liturgischer
Bücher tätig gewesen war. Noch im Jahre vorher (1515) hatte er eine zwei-
bändige Oktavausgabe des Regensburger Breviers und eine Quartausgabe des
Missale der gleichen Diözese mit Holzschnitten geschmückt. Beide Werke
tragen allerdings die Adresse Georg Ratdolts; doch will das nichts besagen,
denn dieser Georg Ratdolt war lediglich Teilnehmer am Geschäfte seines
Vaters Erhard. Für Erhard Ratdolt aber arbeitete Breu bereits seit 1504,
in welchem Jahre er das von jenem gedruckte Konstanzer Missale '^) mit zwei
größeren Holzschnitten zierte. Von diesen war der eine ein sogen. Kanon-
bild (der gekreuzigte Christus zwischen Maria und Johannes)*), während der
andere eine dem Titelholzschnitt unseres Breviers durchaus entsprechende
Darstellung aufweist: Maria mit den Konstanzer Schutzheiligen Konrad und
Pelagius ^). Vielleicht hat gerade diese Zeichnung dem bischöflichen Auftrag-
geber ganz besonders gefallen, sodaß er auch bei seiner neuen Bestellung den
Wunsch ausgesprochen haben mag, das Titelbild des Breviers solle im Sujet
dem Holzschnitt im Missale entsprechen und womöglich auch ebenso wie die
übrigen Illustrationen von dem gleichen Zeichner entworfen werden, der jenes
ausführte.
Wenn man die beiden Darstellungen mit einander vergleicht, dann kommt
es einem so recht zum Bewußtsein, wie groß der künstlerische Fortschritt
war, den Breu's Entwicklung gerade innerhalb dieses Dezenniums zu ver-
zeichnen hat. Die ganze rein statuarische Auffassung des älteren Holzschnitts,
dessen Kompositionsweise den unmittelbarsten Einfluß gotischer Altarwerke
verrät, ist im Brevier zu Gunsten einer weit beweglicheren Natürlichkeit und
Lebendigkeit aufgegeben. Der auf dem Missale-Holzschnitt sichtbare Fußsockel
der Madonna erscheint hier durch das viel großer gestaltete Wappen des Bischofs
gänzlich verdeckt, und ebenso ist auch die architektonische Umrahmung,
dieser eiserne Bestand des gotischen Altarbildes, in Wegfall gekommen. Nur eine
leichte Reminiscenz daran ist in dem oberen Bildabschluß übrig geblieben.
5) Panzer, Ann. VI. 133. Weale, Catalogus Missalium. S. 58.
6) P. III. 295. 2. Schreiber, 380. Von Dodgson a. a. O. in drei verschiedenen
Etats nachgewiesen. Eine Abb. nach einem Expl. des m. Etat bei Hirth-Muther,
Meisterholzschnitte aus vier Jahrhunderten. Tafel 91.
7) Schreiber, 2022. Abb. in der Zeitschrift für christliche Kunst. VI. (1893) Sp.
293/294lund in der Zeitschrift fQr Bücherzeichen. V. (1895) Tafel, nach S. 96.
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O JÖRG BRBU'S HOLZSCHNITTE IM KONSTANZER BRETIER VON 1516.
der allerdings die alte gotische Kleeblattform im Prinzip beibehält, im übrigen
aber doch durch die Wahl des Füllhorn- und Delphinmotives deutlich verrät,
weß Geistes Kind er ist. Bei den Figuren fällt die Änderung der Tracht des
hl. Pelagius am meisten in die Augen, die vielleicht deshalb vorgenommen
wurde, weil sie dem Zeichner oder dem Besteller zu stutzerhaft dünken mochte.
Abb. 1. Bathseba Im Bade.
Auch die Madonna erscheint etwas verändert, insofern als sie den alten byzan-
tinischen Schleier abgelegt hat, sodaß ihr lockiges, die Schultern bedeckendes
Haar im vollen Maße zur Geltung kommt. Zwar hat sie in der ganzen Auf-
fassung etwas von ihrer hoheitsvollen Würde und stolzen Heiligkeit eingebüßt,
dafür aber viel an echter, schlichter Mütterlichkeit gewonnen, deren äußerer
Ausdruck die innigere Vereinigung mit ihrem Kinde ist. Eine einzige Ver-
böserung weist der neue Holzschnitt auf in dem bischöflichen Wappen, bei
dem Inful und Pedum im Verhältnis zum Schild etwas zu klein geraten sind.
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VON ALFRED HAGELSTANGE.
Doch dürfte dieses heraldische Versehen für die Beurteilung des künstlerischen
Wertes völlig belanglos sein.
Wenn wir diese erste Darstellung in der Reihenfolge der Illustrationen
des Breviers schlechthin als Titelholzschnitt bezeichneten, so soll damit jedoch
nicht gesagt sein, daß sie die erste Seite des Andachtsbuches schmückte.
Abb. 2. Die VerkOndlgruns.
vielmehr findet sie sich in jeder der bis jetzt bekannten Ausgaben von 1516
auf der Rückseite des zweiten unbezeichneten Blattes, während der in Rot-
druck gehaltene Titel des Buches®) auf der Rückseite des ersten zu lesen
ist, sodaß die Vorderseiten dieser beiden Blätter des Breviers jeweils leer ge-
lassen sind. Die übrigen Illustrationen zeigen je nach der Ausgabe, die sie
schmücken, eine verschiedenartige Einordnung innerhalb des Rahmens unseres
8) Breuiariü juxta riium et ordinem atme ecc^lie Constan studiose ac 5 uigili cura
claboraiü.
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S JÖRG BRETTS HOLZSCHNITTE IM KONSTANZER BREYIBR VON 1516.
Andachtsbuches. Es dürfte daher geboten erscheinen, zunächst einmal die
Verschiedenheiten der einzelnen Ausgaben festzulegen, was an der Hand der
folgenden bis jetzt bekannten Exemplare geschieht:
A. St. Gallen. Stiftsbibliothek. Inc. 321.
B. München. Hof- und Staatsbibliothek. Liturg. 112. (I.)
Abb. 3. Die Berufung Petri.
C. München. Hof- und Staatsbibliothek. Liturg. 112. (IL)
D. München. Hof- und Staatsbibliothek. Liturg. 113.
E. Nürnberg. Germanisches Museum. Inc. 8730.
Von diesen fünf Exemplaren kannte Dodgson A. B. und D. Zwar stimmt
seine Beschreibung *) von B. insofern nicht, als er von kolorierten Holzschnitten
spricht, allein es kann gar kein anderes Exemplar in Frage kommen, zumal
9) Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen. XXI. (1900) S. 201.
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VON ALFRED HA6ELSTAN6E.
seine weitere Notiz »das farbige Wappen auf dem Titelblatt ist sehr fehler-
haft gedruckt« durchaus der Wirklichkeit entspricht. Koloriert sind die Holz-
schnitte nur in D., und zwar in sehr übeler Weise.
Die von uns aufgefundenen zwei weiteren Exemplare C. und E. verteilen
sich unter die einzelnen Ausgaben derart, daß C. sich der von Stiassny^®)
Abb. 4. Petrus und Paulus.
und Dodgson bereits zitierten zweiten Auflage anschließt, während E. zur
ersten gehört. Danach ergibt sich folgende Zusammenstellung:
A. = erste Ausgabe.
B. = erste Ausgabe.
C. = zweite Ausgabe.
D. =r zweite Ausgabe.
E. = erste Ausgabe.
10) Zeitschrift für christliche Kunst. VII. (1894) Sp. 108.
Afitteilaofen aus dem ^erman. Nationalmaieiim. 1906. 2
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lö JÖRG BRBÜ'S HOLZSCHNITTE IM KONSTANZER BREVIER VON 1516.
Innerhalb dieser beiden Editionen verteilen sich die Abbildungen folgen-
dermaßen :
1) Maria mit Kind zwischen St. Konrad und St. Pelagius.
I. und II. Ausgabe. (Expl. A. B. C. D. E.): Rückseite des zweiten
unbezeichneten Blattes * *).
Abb. 5. Das Pflns:stfest.
2) Bathseba im Bade. (Abb. 1.)
1. und II. Ausgabe. (Expl. A. B. C. D. E.): Fol. 1. Sig. A I. (Rucks.)
3) Die Verkündigung. (Abb. 2.)
I. Ausgabe. (Expl. A. B. E.): Fol. 70. Sig. a II. (R.)
II. Ausgabe. (Expl. C. D.) hat diesen Holzschnitt nicht.
11) Bei Expl. E. findet sich der Holzschnitt auf der Rückseite des ersten unbe-
zeichneten Blattes ; doch ist diese Abweichung, da durch das Fehlen des Titelblattes erklärt,
nur zußLlliger Art.
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YON ALFRED HAGBLSTAN6E.
11
4) Die Berufung Petri. (Abb. 3.)
I. Ausgabe. (Expl. A. B. E.) Sig. aa I. (R.)
II. Ausgabe. (Expl. C. D.) hat diesen Holzschnitt nicht.
5) St. Petrus und St. Paulus. (Abb. 4.)
I. Ausgabe. (Expl. A. B. E.) Fol. 2. Sig. AA IL (R.)
Abb. 6. Randeinfassung mit dem Stammbaum Jesse.
IL. Ausgabe. (Expl. C. D.) Fol. 1. Sig. 9191 L (R.) und Fol. 2. Sig.
AA IL (R.)
6) Das Pfingstfest. Abb. 5.)
I. Ausgabe. (Expl. A. B. E.) hat diesen Holzschnitt nicht.
IL Ausgabe. (Expl. C. D.) Sig. 91 I. (R.)
7) Randeinfassung mit dem Stammbaum Jesse. (Abb. 6.)
L und IL Ausgabe. (Expl. A. B. C. D. E.) Fol. 2. Sig. A IL (Vorders.)
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12 JÖB6 BREirS HOLZSCHNITTE IH K0N8TANZEB BRBVIBR TON 1616.
8) Randeinfassung mit der Jahreszahl 1515. (Abb. 7.)
I. Ausgabe. (Expl. A. B. E.) Fol. 71. Sig. a III. (V.) und Fol. 3.
Sig. AA m. (V.)
II. Ausgabe. (Expl. C. D.) Fol. 69. Sig. A II. (V.) und Fol. 3. Sig.
AA UI. (V.)
Abb. 7. Randeinfassung mit der Jalireszahl ISIS. T
9) Randeinfassung mit der Jahreszahl 1516. (Abb. 8.)
t. Ausgabe. (Expl. A. B. E.) Fol. 1. Sig. aa II. (V.)
II. Ausgabe. (Expl. C. D.) Fol. 2. Sig. «3t II. (V.)
10; Initial B — David mit der Harfe. (Abb. 6).
I. und II. Ausgabe. (Expl. A. B. C. D. E.) Fol. 2. Sig. A II. (V.)
11) Initial D — Christus als Weltenrichter. Abb. 7.)
I. Ausgabe. (Expl. A. B. E.) Fol. 71. Sig. a III. (V.)
II. Ausgabe. (Expl. C. D.) hat diesen Holzschnitt nicht.
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VON ALFRED HAGELSTANGE. 13
12) Initial J — St. Jakobus (?) und St. Andreas. (Abb. 8.)
I. Ausgabe. (Expl. A. E. E.) Fol. 1. Sig. aa IL (V.)
II. Ausgabe. (Expl. C. D.) hat diesen Holzschnitt nicht.
13) Initial E — Der Evangelist Lukas mit dem Ochsen. (Abb. 9).
I. und II. Ausgabe. (Expl. A. B. C. D. E.) Fol. 3. Sig. AA III. (V.)
Abb. 8. Randeinfassung mit der Jahreszahl 1516.
14) Initial V — Die Ausgießung des hl. Geistes. (Abb. 10.)
I. Ausgabe. (Expl. A. B. E.) hat diesen Holzschnitt nicht.
II. Ausgabe. (Expl. C. D.) Fol. 69. Sig. % II. (V.)
15) Initial D — St. Urban. (Abb. 11.)
I. Ausgabe. (Expl. A. B. E.) hat diesen Holzschnitt nicht.
II. Ausgabe. (Expl. C. D.) Fol. 2. Sig. mi II. (V.)
An der Hand dieser Zusammenstellung ergeben sich für den Bestand
der Illustrationen in den zwei verschiedenen Ausgaben folgende Unterschiede :
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14 JÖRG BREU'S HOLZSCHNITTE IM KONSTANZER BREVIER VON 1516.
Die Verkündigung (Abb. 2) und die Berufung Petri (Abb. 3) fehlen in der
zweiten Ausgabe, die an Stelle dieser beiden Holzschnitte das in Ausgabe I
nicht vorhandene Pfingstfest (Abb. 5) sowie eine Wiederholung der Dar-
stellung der beiden Apostelfürsten (Abb. 4) aufweist. Außerdem sind in Aus-
gabe II die Initialen D (Christus als Weltenrichter; Abb. 7) und J (St. Jakobus?
und St. Andreas; Abb. 8) in Wegfall gekommen, während dafür zwei in der
ersten Ausgabe nicht vertretene neue Initialen V (Die Ausgießung des hl. Geistes ;
Abb. 10)1*) und D (St. Urban; Abb. 11)»») aufgenommen sind.
Was die aus der Zusammenstellung weiterhin ersichtliche Kongruenz
der Exemplare A. B. E. einerseits und C. und D. andererseits betrifft, so
erfährt diese nur insofern eine kleine Einschränkung, als zunächst einmal
Expl. D. im Vergleich zu C. eine wohl ausschließlich auf Rechnung des
Buchbinders zu setzende falsche Zusammenstellung der einzelnen Teile auf-
weist. So wenig dieser Unterschied das Wesen des Buches berührt, so sehr
ist eine bei den Expl. A. und E. zu konstatierende Abweichung von Wichtig-
Abb. 9. St. Lukas. Abb. 10. Pfiiis:8tfest. Abb. 11. St. Urban.
keit, da sie uns den Nachweis liefert, daß das Andachtswerk nicht — wie
die Forschung bisher annahm — aus einem, sondern aus zwei Bänden be-
steht. Ebenso wie bei dem in der gleichen Offizin erschienenen Regensburger
Brevier von 1515 hat man auch in unserem Falle zwischen einem Sommer-
und einem Winterteil zu unterscheiden; sodaß Expl. A. und E., wie sich
aus dem Index am Eingang resp. Schluß der Bände ergiebt, Beispiele des
Winterteils unseres Breviers wären, während alle übrigen (B. C. D.) Beispiele
von Sommerteilen sind, und zwar B. von einem Sommerteil der ersten, C. und
D. dagegen von solchen der zweiten Ausgabe.
Wenn wir nach dieser Übersicht über die Verteilung des Illustrations-
materials einen Blick auf die Kompositionen selbst werfen, so fällt uns bei
den Figuren zunächst das Hauptcharakteristikum des Breu'schen Zeichen-
stiles auf: schemenhafte, marklose Gestalten, denen ein Knochengerüst völlig
abzugehen scheint; eine Eigenart, die sich auch bei der graphischen Dar-
stellung von Tierkörpern wiederholt, so daß z. B. das Hündchen auf Abb. 1
kaum mehr den Eindruck eines Lebewesens macht, sondern eher an ein
12) Diese Initiale hat schon im Sommerteil des Regensburger Breviers Verwendung
gefunden: Fol. 1. Sig. h I. (V.)
13) Dodgson hat diesen Holzschnitt merkwürdigerweise übersehen.
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VON ALFRED HAGELSTANGE. 15
abgezogenes Tierfell erinnert, von dem der Kopf noch nicht abgetrennt ist.
Die Gesichter der Figuren sind zum Teil durch Schlagschatten verhüllt, die
durch schräge Schraffierung gegeben werden und des öfteren recht unmotiviert
auftreten. Diese Art der Schattierung ist für Breu geradezu typisch, wenn-
gleich auch zugegeben werden muß, daß auch andere Meister wie z. B.
Weiditz sich ihrer dann und wann bedienen. Charakteristisch sind ferner-
hin die tiefliegenden Augen sowie die stark ausgebildete, des öfteren seitlich
verschobene Unterlippe. (Vgl. bes. Abb. 1 und 3.) In den Gewandungen
beobachten wir einen leichten ungezwungenen Linienfluß, der nur selten
durch krauses, verästeltes Gefältel unterbrochen wird, das hie und da die
typische Form von länglichen Nadelöhren annimmt. Die Landschaft zeigt
lichte Femen, aus denen die in einfachen Umrissen gezeichneten zackigen
Bergformationen scharf heraustreten, während Vorder- und Mittelgrund in der
Regel durch architektonische Motive belebt sind^*).
Diesen Elementen, aus denen sich die künstlerische Gestaltungsweise
Breus in der Zeit um 1515 zusammensetzt, begegnen wir in dem schon ge-
nannten Regensburger Missale ebenso wie in den Holzschnitten der im
gleichen Jahre bei Hans Miller in Augsburg erschienenen Reisebeschreibung
des Ritters Ludovico Vartoman von Bologna^**); desgleichen auch in den für
Breu inbetracht kommenden Illustrationen des von Hans Schönsperger jun.
gedruckten »Leiden Jesu«^**) des Wolfgang von Man. Diese Arbeiten zeigen
unseren Künstler auf dem Höhepunkte seines Schaffens, wo er in wirklich
modernem Stilgefühl die Befangenheit seiner frühen noch durchaus gotisches
Empfinden verratenden Zeichnungen überwunden hatte, ohne aber schon dem
lässig flüchtigen Manierismus verfallen zu sein, der für die Arbeiten aus dem
letzten Jahrzehnt seines Lebens (etwa von 1525 an) charakteristisch ist, so-
daß dadurch eine klare Scheidung dieser späteren Holzschnitte von denen
des jüngeren Breu, seines Sohnes — der nach den Augsburger Handwerks-
büchem*') am 1. Mai 1534 das Zunftrecht seines Vaters erhalten hat und
elf Jahre nach diesem (1547) gestorben ist — immer noch erschwert, ja
nahezu unmöglich gemacht ist.
Wie leicht und sicher ihm in jener Zeit die Wiedergabe des nackten
menschlichen Körpers von der Hand ging, zeigt der gute Akt der Bathseba
auf unserer ersten Abbildung, die als weiteren Vorzug eine sehr glückliche
Inszenierung aufweist, bei der trotz aller Mannigfaltigkeit der Motive dennoch
jede Überladenheit und Schwulstigkeit des architektonischen Aufputzes ver-
14) Wer mit W. Schmid (Rep. f. Kunstw. XIX. 1896. S. 285) und Fr. Dörn-
höffer für Breu eine italienische Reise konstruieren will, findet in der architektonischen
Ausstattung der Landschaft auf Abb. 3 beachtenswerte Motive.
15) Mut her, 1020. Eine Reproduktion des Titelholzschnittes findet sich im Katalog
der Freiherrl. von Lipper he ide'schen Kostümbibliothek I, S. 575; ferner auch bei Mühl-
b recht, Die Bücherliebhaberei in ihrer Entwicklung bis zum Ende des XIX. Jahrh.
II. Aufl. S. 81.
16) Muther, 941.
17) Publiziert von Rob. Vischer in den >Studien zur Kunstgeschichte«. S. 478 ff.
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^6 JÖRG BRETTS HOLZSCHNITTE IM KONSTANZBR BREYIER VON 1510.
mieden ist, wie sie sich in den meisten derartigen Darstellungen breit macht,
deren uns die Renaissance eine ganz erhebliche Anzahl geschenkt hat. Über-
haupt hat sich Breu in diesen Illustrationen der Renaissancearchitektur nur
in der geschmackvollsten Weise bedient. Das zeigt uns die von Säulen ge-
tragene offene Kuppelhalle auf Abb. 2 ebenso wie das einfache von Pfeilern
flankierte Portal mit dem Muschelmotiv im Rundbogen (Abb. 4). Die vor
diesem Torbogen stehenden Apostelfürsten sind kleine Meisterstücke indivi-
dualisierender Gestaltungsweise; Petrus:*®) schwächUch, bedächtig, sorgenvoll,
vergrämt und von der Last der Riesenschlüssel und Tiara arg bedrückt;
Paulus: energisch, trotzig, zielbewußt, ein Mann der Tat und jederzeit bereit,
das locker in der Hand ruhende Schwert als letztes Mittel zur Durchsetzung
seiner festgefaßten Entschlüsse auszuspielen; zwei Repräsentanten der Kirche,
wie sie von der graphischen Kunst kaum jemals in glücklicherer Weise
einander gegenüber gestellt worden sind, sodaß selbst Burgkmair's großer
Holzschnitt aus der Sammlung Mitchell in London*') hinter diesem kleinen
Blättchen zurückbleibt. Mit dem gleichen Geschick, wie hier bei monu-
mental-statuarischer Auffassung dennoch jede statuenhafte Erstarrung einer
gotischen Zeichenweise vermieden erscheint, sind umgekehrt die Bewegungs-
motive diskret, aber sicher herausgearbeitet. So in dem schwebenden Engel
der Verkündigung (Abb. 2) und vor allem in dem aus seinem Fischerkahne
heraussteigenden Petrus (Abb. 3), während der Christus, der in den wesent-
lichen Zügen nur eine Vergrößerung der gleichen Figur aus einer Initiale
des Regensburger Missales von 1515^^) ist, eine nicht ganz so glückliche
Figur macht.
Alles in allem sind die kleinen Blätter treffliche Beispiele einer ge-
schickten Verarbeitung neuer stilistischer Elemente, und zwar nicht nur figür-
licher, sondern vor allen Dingen auch ornamentaler, wie uns die in Abbildung 7
und 8 wiedergegebenen Randleisten zeigen, für die der Motivenschatz der
italienischen Frührennaissance den Bestand von Balustersäulen, Festons, Füll-
hörnern, Bändern, Perlschnüren, Zierschilden und Schrifttäfelchen abgegeben
hat. Eine ausgesprochen gotische Stilisierung zeigt nur die Randzeichnung
mit dem Stammbaum Jesse (Abb. 6), während das Vollbild mit der Dar-
stellung des Pfingstfestes in dem stilistischen Rahmen der übrigen Illustra-
tionen überhaupt keinen Platz hat.
18) Vergl. den Typus des Heiligen auf den Titelholzschnitten des Regensburger
Missales sowie des Breviers von 1515. Eine sehr nahe Verwandtschaft mit dem letztge-
nannten von Dodgson abgebildeten Holzschnitt zeigt Schäuffeleins St. Petrus auf
Sig. O IV. (V) vom *DrU Thail Christenlicher Predigen . . . Durch Johann von Eck , . .<
(Ingolstadt, Verl. Jörg Krapff und Jakob Vogker. 1531). Der gleiche Holzschnitt findet
sich wieder in >Quintae partis Johan, Eckii in Lutherum et alios. Tomus Tertius
Homiliarum de Sanctis.^ (Augsburg, Alexander Weyssenhorn , 1534.) Sig. M in.
(V.) Vermutlich ist er erstmalig in dem 1513 erschienenen »Heiligenleben« vertreten, das
Hans Othmar in Augsburg für den Verleger Johann Rynmann druckte.
19) Hirth und Mut her, Meisterholzschnitte aus vier Jahrhunderten. Tafel 85/86.
20) Initiale D. (Der reiche Fischfang). Fol. CC. Sig. A I. (V.)
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VON ALFRED HAQELSTANGE.
17
Dieser schlecht geschnittene Holzschnitt wird von Stiassny^^) ebenfalls
Breu zugeschrieben, während Dodgson^^) die Ansicht vertritt, daß er mit
unserem Künstler, ja wahrscheinlich sogar mit der Ratdolt'schen Offizin, nicht
das mindeste zu tun habe. Zur letzteren Auffassung konnte er nur dadurch
gelangen, daß er das Blatt bloß als einen zufälligen Bestandteil eines be-
stimmten Exemplares unseres Breviers erklärte; er glaubte, der Holzschnitt
sei nur versehentlich in das Expl. D. eingeklebt worden. Daß dem nicht
so ist, zeigt das von uns aufgefundene Expl. C, das von dem betreffenden
Blatte eine bei weitem deutlichere Vorstellung zu geben vermag, als dies
bei D. der Fall ist, wo der Holzschnitt durch eine rohe Kolorierung
auch noch die wenigen Qualitäten verloren hat, die ein nicht sehr geschickter
Formschneider von der Originalzeichnung übrig gelassen hat. Daß Dodgson
im Hinblick auf dieses arg geschändete Exemplar den Holzschnitt Breu
«icht zuschreiben zu dürfen glaubte, kann uns nicht Wunder nehmen.
Ebensowenig glauben wir aber auch, daß er nach Kenntnisnahme des
von uns abgebildeten Blattes aus C, bei seinem absprechenden Urteil ver-
harren wird. Denn so sehr die Zeichnung auch unter einer flüchtigen
Arbeitsweise des Holzschneiders gelitten haben mag, so ist doch von der
Originalskizze so viel übrig geblieben, daß in Typenbildung, Faltengebung
und Strichführung eine augenfällige Verwandtschaft mit dem schon eingangs
erwähnten Kanonblatt von 1504 nicht von der Hand zu weisen ist.
In welchem Werke der Holzschnitt allerdings erstmalig Verwendung
gefunden haben mag, wissen wir augenblicklich noch nicht zu sagen.
Stiassny's Vermutung, er könnte vielleicht das von E. Ratdolt 1509 gedruckte
Breviarium Constantiense^') geziert haben, wurde bereits von Dodgson als
unzutreffend nachgewiesen, da diese Ausgabe, wie sich an der Hand des im
Britischen Museum befindlichen Exemplares ergab, außer dem Bischofswappen
auf der Rückseite des ersten Blattes überhaupt keine anderweitigen Illustra-
tionen enthält. An die Editio Princeps von 1499^*) kann man ebensowenig
denken, da sie gar nicht illustriert ist. Ein ähnliches gilt von der Ausgabe
von 1501 25),. die ebenfalls keine Illustrationen im eigentlichen Sinne aufweist,
sondern als einzigen Schmuck das Erhard Ratdolt'sche Druckerzeichen und
eine Reihe ornamentaler Initialen enthält.
Es bleibt uns daher vorläufig nur übrig, uns zu bescheiden und von
einem glücklichen Zufall eine Entdeckung des Werkes zu erhoffen, das uns
gleichzeitig mit der Kenntnis der erstmaligen Verwendung des umstrittenen
Blattes vielleicht auch noch die Bekanntschaft anderer bis jetzt noch unbe-
achteter früher Holzschnitte des Augsburger Meisters vermittelt.
21) Zeitschrift für christl. Kunst. VH. (1894). Sp. 108.
22) Jahrbuch der Kgl. preuß. Kunstsammlungen. XXI. (1900.) S. 201.
23) Panzer. VI. 138. Nr. 49.
24) Hain. 3830. München, Hof- und Staatsbibliothek. Inc. 243.
25) München. Hof- und Staatsbibliothek. Liturg. 111.
.Mitteilungren aus dem german. Nationalmuaeum. 1905.
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DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR. HANS STEGMANN.
VIII.
Die eigentliche Truhe war im Wesentlichen zur Aufnahme von Kleidungs-
stücken gedacht und dadurch wurden ihre Maßverhältnisse hauptsäch-
lich bestimmt. Zur Aufbewahrung kleinerer Gegenstände und insbesondere
zum Transport derselben war sie wegen der beträchtlichen Größe in ihrer
gewöhnlichen Gestalt nicht geeignet. Es kommen daher auch kleinere truhen-
artige Kasten häufig vor, als die Vorläufer der Kabinetschränke , von denen
das Museum ebenfalls einige Exemplare besitzt. In erster Linie sind für ihre
Gestaltung nicht die Rücksichten auf ein Prunkmöbel, als welqhe sich die
Truhe vielfach entwickelt hatte, maßgebend. Ihre formale Gestaltung meist
als flache rechteckige Kiste und ihre künstlerische Dekoration treten hinter
dem Bestreben, Festigkeit und damit Sicherheit für den wohl meist kostbaren
Inhalt zu schaffen, einigermaßen zurück.
Von solchen einfachen Kasten besitzt das Museum aus gotischer Zeit
zwei, deren nähere Entstehungszeit anzugeben aber schwer fallen dürfte. Der
eine durch einen modernen schwarzen Lackanstrich verdorben, hat einfache
Kistenform und stark übergreifenden Deckel. Die Beschläge (außenliegendes
Schloß) bestehen in flachen Bändern, die in distelartigem, stilisiertem Blatt-
werk endigen. Der andere (Fig. 93, Höhe 30, Tiefe 53, Länge 72 cm.) hat
die ursprüngliche rote Bemalung. Der schwach vorspringende Deckel ist hier
nicht übergreifend, der Boden ist leicht profiliert. Die über die Flächen laufen-
den Beschläge sind grätig gestellt. Der ganze Kasten wirkt bei aller Einfach-
heit recht gut.
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DIE HOLZMÖBBL DES GERMAN. MUSEUMS. VON DR HANS STEGMANN. ^^
Neben solchen Formen finden wir auch kleine Truhen als Zwischen-
formen zwischen der großen Truhe und dem später noch zu behandelnden
Kästchen. Das Museum besitzt vorzugsweise Stücke aus Niederdeutschland,
die sämtlich schon der Renaissancezeit angehören. Eine stark ergänzte der-
artige kleine Truhe, wohl niederrheinisch, auf vier Brettern als Stollen stehend
hat Rahmen- und Füllwerk mit zwei Füllungen an der Vorderseite. Auf die
Füllungen sind durchbrochene Schnitzereien, stilisiertes Weinlaub und Trauben,
aufgesetzt.
Die Truhen dieser Art folgen naturgemäß der Bildung ihrer größeren
Schwestern und so ist dies auch bei den am zahlreichsten vertretenen friesischen,
bezw. schleswig-holsteinischen der Fall. Charakteristisch für die Art ist die
Verwendung des dreiseitigen erhöhten Deckels, sowie die ausschließlich an
der Vorderseite angebrachte reiche Schnitzerei. Hier befindet sich meist
zwischen den üblichen hermenartigen Pilastern mit Figuren ein manchmal noch
mit einer plattdeutschen Inschrift versehenes geschnitztes Relief. In den vier
Stücken des Museums, von denen das relativ beste in Fig. 94 reproduziert ist,
Figr. 93. Kleine eisenbeschlagone Truhe: spät gotisch.
ist freilich der gute Wille des Schnitzers größer als sein Vollbringen. Ein-
mal wird die Verkündigung Maria, einmal die Anbetung der hl. 3 Könige,
einmal eine antike Szene und endlich in dem abgebildeten Stück mit Anlehnung
an graphische Vorlagen ein zeitgenössisches Liebespaar an der Tafel vorge-
führt, zu der ein Quartett seine Weisen ertönen läßt. Die letztere Truhe ist
39 cm. hoch, 47 cm. lang und 37 cm. tief.
In der Sammlung bäuerlicher Altertümer befindet sich werkwürdiger
Weise nur ein bemerkenswertes Stück, eine kleinere aus Unterm Berge im
Laastal, Kanton Wallis, stammende Truhe in Nußbaumholz mit reicher Schnitzerei.
Die Ähnlichkeit in der Behandlung mit der früher abgebildeten Truhe aus
dem Wiesbachtale springt sofort in die Augen. Drei Pilaster mit Engelsköpfen
(ergänzt) gliedern die Vorderwand, dazwischen zwei Bögen mit Füllungen.
Diese enthalten je aus einer Vase aufsteigendes Rankenwerk, in dessen Mitte
ein Rundmedaillon mit Buchstaben eingelassen ist. An den Schmalseiten
zwei hübsche geschnitzte Rosetten. Entstehungszeit ist das 18. Jahrhundert.
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20 DIE HOI.ZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Eine kleine Egerländer Holztruhe mit komisch rohen Malereien gehört dem
Anfang des 19. Jahrhunderts an.
Die größte Sammlung kleinerer Truhen aber im Museum enthält nicht die
Sammlung der Hausgeräte, der die Möbel eingereiht sind, sondern diejenige
der gewerblichen Altertümer. Diese große Reihe, mehr als 50 Stück, stammen
Fig. 94. Kleine geschnitzte Truhe aus Schleswig-Holstein ; 17. Jahrb.
mit einer noch speziell zu erwähnenden Ausnahme sämtlich von den Nürn-
berger Handwerkern oder doch von solchen des früheren Nürnberger reichs-
städtischen Gebiets. Ihrer Entstehung nach erstrecken sie sich vom Ende
des 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Die »Lade^, wie der offizielle
Ausdruck lautet, ist eigentlich nichts als eine verkleinerte Truhe. In Anbe-
tracht der Aufbewahrung der größten Kostbarkeiten der alten Handwerks-
verbände ist nur eine stärkere Betonung des Verschlusses zu konstatieren,
die sich dadurch bemerkbar macht, daß oft der Verschluß im Deckel und
zwar in einer profilierten Erhöhung, die als Schublade gestaltet ist, liegt. Die
kunstgewerbliche Bedeutung der Nürnberger Handwerksladen ist eine sehr
verschiedene. Neben hervorragenden Meisterwerken ist viel Mittelmäßiges,
besonders aus späterer Zeit vorhanden. Da außerdem die Handwerkerlade
doch kaum den eigentlichen Möbeln zuzurechnen sein dürfte, so wird an
dieser Stelle darauf verzichtet , die einzelnen Stücke besonders aufzuführen.
Nur die schönsten auch in Abbildungen wiedergegebenen Stücke und für die
typische Formen bezeichnende sollen eine kurze Besprechung finden.
In einem Aufsatz über »Die Zunftlade der Nürnberger Strumpfwirker«,
der die beiden Abb. 95 und 96 entnommen sind, und die ebenso, wie die in
Abb. 97 neu abgedruckte (Anzeiger des German. Museums Bd. I S. 123) der
Schreiner nach Ortweins Renaissancewerk gezeichnet sind, hat A. v. Essen-
wein über die Bestimmung und die wichtige Rolle, die diese Zunft- und
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VON DR. HANS Sl'EGMANN.
21
Handwerkerladen in früheren Jahrhunderten hatten, ausführlicher gehandelt
(Mitteilungen des German. Museums Bd. II S. 82 ff.), so daß über Gebrauch
und Bestimmung auf jene frühere Arbeit verwiesen werden kann.
Die drei reichsten und wohl auch die ältesten sind die beiden der
Schreiner und die der Strumpfwirker, die in der letzten Zeit des 16. oder ganz im
Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden sein dürften. Die beiden Truhen der
Schreiner und diejenige der Strumpfwirker, die hier wiederholt in geometrischer
Zeichnung wiedergeben werden — in der Zeichnung der Strumpfwirkertruhe sind
die jetzt fehlenden Pyramiden vor den Seitenteilen ergänzt — weisen durch
ihre große Verwandtschaft in der Behandlung fast mit Sicherheit darauf hin,
daß sie von einer Hand ausgeführt sind. Die Schreinerarchitektur der Zeit
feiert hier ihre Triumphe. Am reichsten ist in dieser Beziehung natürlich
die eigentliche Prunktruhe der Schreiner ausgetattet, die an der Vorderseite
der Truhe eine völlige Scheinfassade entwickelt. Bei näherem Zusehen ergibt
sich aber gerade bei diesem mit größter Sorgfalt gearbeitetem Stück, daß das
wirkliche architektonische Verständnis doch nur gering war. Man mag noch
darüber hinwegsehen, daß vor die fensterartig gebildeten seitlichen Risalite
auf vorspringenden Konsolen Pyramiden gestellt sind, aber auch die Einteilung
Fig. 95. Handwerkslado der NQrnborger Strumpfwirker; um 1600. Vorderansicht,
'/lo der natürlichen Gröfse.
von Sockel und Hauptgeschoß stimmt durchaus nicht zu einander, weil der
Sockel zwei-, das Obergeschoß aber dreiteilig gestaltet ist. Die Erscheinung
dieser Schreinerlade wirkt dadurch besonders prächtig, weil neben Einlege-
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22
DIE HOLZMOBBL DBS GERMANISCHEN MUSEUMS.
Fig. 96. Handwerkslade der Nürnberger Strumpfwirker. Seitonansicht,
'/lo der natürlichen GrOfse.
Fig. 97. Handwerkslado der Nürnberger Schreiner; um 1600.
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VON DK. HANS STEGMANN.
23
arbeit, die in der Hauptsache die Darstellung der Handwerksembleme bringt,
die Flächen mit Perlmutter ausgelegt sind.
Die entsprechende Lade der Strumpfwirker ist einfacher, weil sie auf
die Häufung der Details wie an der genannten Schreinerlade einigermaßen
Fig. 96. Handwerkslade der Narnberger Schreiner ; 17. Jahrb.
verzichtet, ebenso wie auf die Perlmuttereinlagen, sie ist aber auch besser im
Entwurf. Die Einteilung ist hier an der Schauseite, die eigentlich bei diesen
Stücken, »vor« denen die Handwerkerversammlungen tagten, allein in Betracht
kommt, einheitlicher. Diese Einteilung, zwei risalitartig vorspringende von
Säulen flankierte Seitenteile, ein breiterer Mittelteil mit verschiedenartig ge-
stalteter Füllung, bald mit Schnitzerei, bald mit Architekturwerk ist bis zum
18. Jahrhundert für eine größere Anzahl dieser Zunftladen typisch. Die
schönste der ganzen Reihe, zugleich die größte und möglicher Weise auch
die älteste, da sie von barocken Elementen fast ganz frei hält, ist die zweite
Truhe der Schreiner (Fig. 98). Auf den ersten Blick erscheint sie einfacher,
aber hier kommt in den schönen Verhältnissen fast ein Anklang an die pal-
ladianische Formenvornehmheit zum Durchbruch. Von ganz besonderer Schön-
heit sind die Intarsien auf dem Deckel, Fruchtgewinde und Kartuschen.
In dieselbe Reihe gehört, wenn auch einfacher und kleiner, die Lade
der Tuchbereiter, und zwei Laden der Weber. An die Stelle der vorgelegten,
kannelierten Säulen sind hier Pilaster getreten. Säulen, aber mit regelmäßiger
Dreiteilung der Schauseite hat die wohl in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts hergestellte und hier ebenfalls abgebildete Lade der Kürschner (Fig. 99).
Geschnitztes und aufgeleimtes flaches Ornament tritt hier, wie bei manchen
anderen Exemplaren neben der Architektur in die Erscheinung. Eine beson-
dere Stellung nimmt die der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zuzuteilende
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24 DIE HOLZMÖBEL DBS GERMANISCHEN MUSEUMS.
Lade der Schlosser ein. Sie ist aus schwarz gebeiztem und poliertem Holz
in gefalligen Architekturformen ausgeführt, mit freistehenden Säulen. Die
Füllungen enthalten vier weibliche allegorischen Figuren und zwei ähnliche
männliche in Bein graviert. Trotz der etwas handwerksmäßigen Ausführung
Fig. 99. Handworkslade der NOrnberi^er Kürschner; 18 Jahrb.
wirkt die Lade recht vornehm (Fig. 100). Neben der architektonischen Ein-
teilung, die zuletzt mit ihren gewundenen Säulchen, den gefrästen Einfassungen
und den nicht gerade vorzüglichen Ornamentschnitzereien sehr flau wirkt
(Beispiele: die Laden der Zirkelschmiede und Kammacher), wird im 17. Jahr-
Fig. 100. Handwerkslade der Nürnberger Kürschner; 18. Jahrb.
hundert ein zweiter Typus üblich, an dem an der Schauseite Architektur
schwach oder gar nicht mehr vorkommt und man sich auf eine geschnitzte
oder vielfach gekröpfte Füllung beschränkt. Ein hübsches Beispiel dieser Art
gibt die in Fig. 101 abgebildete Lade der Klempner (Flaschner). Die dritte
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VON DR. HANS STEGMANN.
25
Spielart sind die ganz einfach gebildeten mit Malerei, seltener mit figürlichen
oder ornamentalen Intarsien gezierten Stücke. Ganz ausnahmsweise nur be-
gegnen wir ein Abweichen von diesen drei hergebrachten Formen, wie bei-
spielsweise in einer an die Art italienischer Truhen gemahnenden Lade der
Zirkelschmiede.
Das einzige nicht Nürnberger Stück einer Zunftlade, das nach den nicht
kontrollierbaren Angaben des Vorbesitzers aus Oberösterreich stammen soll,
ist in der Form von den einfacheren Nürnberger Laden nicht sehr verschie-
den. Es hat ebenfalls den dachartigen Deckel mit Schieblade. Recht hübsch
ist die Dekoration des in Nußbaumholz gearbeiteten Möbels mit sehr reichen
gravierten Beineinlagen auf allen zur Verfügung stehenden Flächen. Der Stil
dieser Verzierungen ist spätbarock und so dürfte es in der ersten Hälfte des
Fi^. 101. Handwerkslade der Nürnberger Flaschnei^; 18. Jahrh.
18. Jahrhunderts gefertigt worden sein. Die an den Füllungen der Vorder-
seite sichtlichen Embleme der Bäckerei und Müllerei geben über die Bestim-
mung den erwünschten Aufschluß.
Indessen wäre es irrig, anzunehmen, daß die Form der Zunftlade bloß
im offiziellen Handwerkerleben Verwendnng gefunden habe. So befindet sich
im Museum ein in schwarz gebeiztem Eichenholz gearbeitetes Stück auf Kugel-
füßen mit profiliertem Deckel, an den Vorder- und Schmalseiten architektonisch
gegliedert (die vorgelegten Halbsäulen sind aus grauem Marmor) und mit
gravierten und vergoldeten Bronzeschildchen in den Füllungen. Aber die
kleine Truhe ist eigentlich keine solche, sondern ein Kabinetschrank. Öffnet
man den Deckel, so hat man nur einen flachen, mehrfach geteilten Kasten
vor sich, während auch der Sockel zwei von außen erkennbare Schubladen
enthält. Erst bei näherer Untersuchung ergibt sich , daß bei geöffnetem
Deckel die eine Seitenwand aufgezogen werden kann, wodurch dann drei
innere Schiebladen zugänglich werden.
MitteiloDgen aus dem gennan. NatioDalmoseum. 190&. -<
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26 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Die ihrer Form nach ebenfalls dieser Gruppe angehörige und in Fig. 102
wiedergegebene kleine Truhe ist nicht durch ihre einfache Form bemerkens-
wert, sondern durch die in verschiedenfarbigem Holz zusammengesetzten
Füllungen. Die Vorder- und Schmalseiten enthalten Personifikationen der
vier Weltteile, der Deckel Noahs Dankopfer, die Rückseite eine amerikanische
Jagdszene. Die Landschaft ist ganz malerisch behandelt, die Figuren sind
in ganz flachem Relief geschnitzt und zwar ist offensichtlich das Ganze das
Werk einer sehr geschickten Hand um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts
(Höhe 25, Tiefe 33, Länge 47,5 cm.).
Als Abart der Truhe in späterer Zeit darf der Koffer betrachtet werden.
Das Wort selbst ist ja eigentlich nur eine Übersetzung der französischen
Bezeichnung für Truhe, während das alte französische Wort für denselben
Begriff »bahut«, italienisch »baulac ist. Es ist die eigentliche Reisetruhe, die
deswegen auch von allem Beiwerk, das auf dem Transport gefährdet sein könnte,
befreit erscheint. Die Entstehung und Verbreitung des Geräts, des Vorläufers,
des modernen Reisekoffers war der Umstand, daß im Laufe des Mittelalters,
noch mehr aber der Renaissance die ursprünglich auch für Reisezwecke ge-
eignete Truhe stabiler und mit so viel Zierrat versehen worden war, daß sie
auf Reisen nicht mehr praktisch erscheinen konnte. Der Koffer als solcher
ist insofern kein Holzmöbel im engeren Sinne, als er, wenigstens im bürger-
lichen und herrschaftlichen Gebrauch fast stets mit einem andern Stoff, Leder
oder Textilien bezogen war.
Das Museum besitzt nur einen größeren eigentlichen Koffer (Fig. 103).
Das vorzügliche Merkmal des Koffers ist der gewölbte Deckel. An unserem
Exemplar ist der in seiner Form ganz einfache Koffer mit dünnem, braunem
Leder bezogen. Darüber sind zahlreiche Eisenbänder zur Befestigung des
Fig. 102. Kleine Lade mit geschnitzten Füllungen ; um 1700.
Ganzen gezogen. Vorn befinden sich zwei feste Schlösser. Das Leder selbst
wieder ist bemalt und zwar befindet sich auf den Schmalseiten auf dunklem
grünlichen Grunde Rankenwerk, auf der Vorderseite antikisierende Schlacht-
gemälde, letztere von sehr geringem künstlerischem Wert. Die Entstehung
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VON DR, HANS STEGMANN.
27
des Stückes, von dem Fig. 104 eine Anschauung zu geben sucht, fallt in die
zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die Maße sind: Höhe 65, Tiefe 63 und
Länge 155 cm.
Das zweite kofferartige Stück, das schon ans Gebiet der ja ebenfalls
viel verbreiteten kofferartigen Kassette grenzt, ist ein kleiner hochgewölbter
Fig. 108. Heisekoffer; 17. Jahrh.
Holzkoffer, mit rotem Sammt bespannt, auf den an den Kanten und Rändern
mehr oder minder breite Streifen, in den Flächen spitzgestellte Quadrate
mittelst Messingnägeln aufgesetzt sind. Das Material der Metallverzierungen,
die mit eingepreßten Rosetten und Blattwerk geschmückt sind, ist Eisenblech,
dife wie es scheint einen gold- oder silberfarbenen Anstrich ursprünglich er-
halten hatte. Derartige Kästchen kommen insbesondere in Italien häufig vor,
sie dienten zur Aufnahme von Schmuck und dergleichen. Vielleicht hat auch
unser Exemplar (Fig. 104, Höhe 31, Tiefe 25, Länge 59 cm.) den Weg über
die Alpen zu uns gefunden.
Für die Kofferform bietet daher die Sammlung der bäuerlichen Wohngeräte
in den vier großen Koffern aus Niedersachsen, der Wilstermarsch und Schleswig
eigentlich wenig Bemerkenswertes, denn sie sind nichts als viereckige Kästen mit
hochgewölbtem Deckel. Am besten wird man sie als Koffertruhen bezeichnen.
Als Reisekoffer zu dienen, dazu läßt sie ihre gewaltige Größe wenig geeignet
erscheinen, abgesehen davon, daß die Marschbauern kaum großes Reisebedürfnis
gehabt haben werden. Der Umstand, daß sie sämtlich auf gesonderten Untersätzen
aufgestellt sind, gibt ihnen ebenfalls mehr Truhencharakter. In den Vierländer
Frauentruhen begegnen wir ja einem ähnlichen Typus, dort allerdings mit Kugel-
füßen. Wir werden daher auch mit Recht diese Koffer als Brauttruhe ansehen
können, die in der Regel nur die eine Reise ins Haus des Bräutigams zu machen
hatte.
Sie gehören durch die Art ihrer Dekoration zu den wirkungsvollsten
Erzeugnissen der bäuerlichen Wohngeräte überhaupt. Und zwar wird dies teils
durch die Farbe, teils durch das reiche, sehr effektvolle Beschläge hervorgebracht.
Die beiden Abbildungen geben von der Anordnung dieser schönen Schlosser-
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28 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
arbeiten hinlänglich einen Begriff. Zur Ergänzung des Bildes von Fig. 106, das aus
der Wilstermarsch stammt sei erwähnt, daß die Grundfarbe des Koffers ein leb-
haftes Saftgrün ist, die eisernen Beschläge sind rot, die Stellen unter den Durch-
brüchen des Eisens weiß gehalten. Das Schloßblech weist Gelbbraun und Gold
auf. In der reichen, sehr gut gezeichneten Blumenmalerei herrschen mit Rück-
sichtnahme auf die Grundfarbe rote Töne vor. Bei dem zweiten abgebildeten
Stück (Fig. 107) ist der Grund jetzt schwarz, die äußerst glücklich gezeichneten
Beschläge sind hier aus Messing. Besonders hübsch ist hier das als Doppeladler
(Lübecker Wappen) gezeichnete Schlüsselschild, das sogar ein feines Verständnis
für heraldische Darstellung verrät. Die ursprüngliche, wohl andersfarbige Be-
malung hatte ebenfalls Ornamentenschmuck. Ein drittes ganz ähnliches Stück
mit sehr schön geschmiedetem Beschlag stammt aus Angeln in Schleswig. Der
Grund ist dunkles Braun (ursprünglich ebenfalls grün). Die Beschläge sind
schwarz, und die hier besonders zahlreichen Durchbrechungen rot gehalten. Die
Blumenmalerei, die hier schon etwas stillos ist, dürfte ebenso wie die Jahreszahl
1849 von einer späteren Erneuerung stammen. Etwas kleiner in der Ausmessung
und ohne eigentlichen Untersatz stellt sich der Koffer der Hinterstube des nieder-
sächsischen Hauses dar. Dafür dürfte dieses aus der Diepholzer Gegend stam-
mende Stück das älteste sein, da der Stil seinem Beschläge nach ganz spät-
barocke Formen zeigt. Das Holz ist schwarz angestrichen, das sehr reiche und
hoch getriebene Beschläge ist blank gelassen. Die Truhe ist in dem Aufsatz
von O. Lauffer auf der Abbildung des Innern der Dönse, Mitt. d. G. M. 1903,
Taf. II, zw. S. 48 u. 49 zu sehen. Sämtliche vier Koffertruhen möchten am
Ende des 18. oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sein.
Fig. 104. Kleiner Koffer; italienisch: 17. Jahrh.
Eine besonders reiche Sammlung besitzt das Museum an hölzernen
Kästchen. Man kann dieselben sehr wohl als eine weitere Diminutivform der
Truhe annehmen, allein sie gehören noch weniger als die Koffer oder Zunft-
laden zu den Holzmöbeln im engeren Sinne. Der Beweis dafür ist, daß es
in andern Materialien als Edelmetall, Eisen, Messing, Elfenbein, Leder, min-
destens ebensoviele gibt , als in reiner Holzarbeit. In den meisten Fällen
haben diese Kästchen aus anderen Materialien als Kern ein Holzkästchen.
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VON DR. HANS STEGMANN.
29
Für die Form und Dekoration ist aber bei den verkleideten Kästchen die
Hülle schließlich wichtiger als der Kern.
Auch die Holzkästchen möchten eigentlich weniger den Möbeln, als
dem Hausgeräte im engeren Sinne zuzuzählen sein. Für die Geschichte der
Möbclformen sind sie eigentlich nur dadurch von Interesse, daß sie Rückschlüsse
auf Truhen erlauben, denen sie naturgemäß in ihrer Form folgen, besonders
auch bezüglich der Dekoration. Diese ist bei dem kleinen Objekt leichter
zu beschaffen und billiger, daher oft reicher als an der Truhe, wenngleich den-
selben Prinzipien folgend. Für die spätmittelalterliche Periode bieten die Käst-
chen, die sich in erheblicherer Zahl als große Möbel in unsere Zeit herüber-
gerettet haben, besonders viel.
Fig^. 105. Koffer aus der Wilstermarscb.
Im Folgenden soll aus den eben dargelegten Rücksichten nicht das Gesamt-
material an Kästchen des Museums besprochen werden, sondern nur die beson-
ders charakteristischen und die vorwiegend in Holz ausgeführten, im übrigen
aber nur die einzelnen im Museum vertretenen Arten kurz erwähnt werden.
Eine große Reihe von Kästchen hat die Bestimmung als Reliquiar für
kirchliche Zwecke gehabt. Nun kommt es nicht gerade selten vor, daß Käst-
chen für die Kirche gebraucht wurden, die ihrer Dekoration nach für den
weltlichen Gebrauch geschaffen worden waren. Andererseits hat die kirch-
liche Bestimmung und Formengebung auch auf die Gestalt einer Gruppe von
Kästchen abgefärbt, die mit der Truhenform des Mittelalters im Grunde ge-
nommen wenig gemein haben. Es sind das diejenigen Kästchen, die Sarkophag-
oder Hausform haben. Der Reliquienschrein ist aus dem spätklassischen Sar-
kophag mit Giebeldeckel entstanden, als Haus und Sarg für die Gebeine der
Heiligen. Das kleine Reliquiar, ohne sich im übrigen irgendwie an die Sarko-
phagform zu binden, nimmt den giebeligen Deckel und später den mit einer
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30 DIE HOLZMÖBEL DES QERICANISCHEN MUSEUMS.
weit geschweiften Hohlkehle auf. Bei Renaissancekästchen freilich ist die
sichtliche Beeinflussung der Truhengestalt, wenigstens in Italien, durch die
gleichzeitigen Sarkophage ebenfalls von großer Bedeutung. Die gemeinsame
Stammform für alle diese Bildungen ist eben die Hausform, die bei allen
Kastenmöbeln, auch den Schränken eine gewisse Rolle spielt.
Als Holzkästchen komnit von den kleineren Reliquienschreinen des Mu-
seums nur eines in Betracht, das die dachartige Form des Deckels aufweist.
Es ist ganz in Gold und Blau gehalten, die gute Profilierung der eigentlichen
Schreinerarbeit, die feine Zeichnung des eingepreßten Ornaments geht mit
den in Teig- oder Stuckmasse aufgelegten Reliefverzierungen trefflich zu-
sammen. Die nach innen gewölbten Deckelflächen haben in der charak-
teristischen Vierpaßform des italienischen Trecento, vorn und auf der Rück-
seiteje zwei leider ganz undeutlich ausgeprägte sitzende Figuren (Tugenden?),
dazwischen Löwenköpfe; auf den Schmalseiten Wappenschilde und an den
Ecken sitzende Löwen. Von den senkrechten Flächen ist die Vorderseite,
mit zwei Löwenköpfen, zwei Medaillons und die Schlüsselöffhung von zwei
flankierenden weiblichen Figuren gefüllt, die Rückseite von zwei Medaillons
und drei Löwenköpfen, die Seiten von je einem Löwenkopfe. Die ursprüng-
liche Bestimmung der sicher italienischen Arbeit dürfte eher eine profane
als eine kirchliche gewesen sein, die Entstehung aber in das Ende des 14. Jahr-
hunderts falle«.
Fig. 106. Koffer aus der Wilstermarsch.
Von den mittelalterlichen Kästchen hat eine Art die Verzierung vorzugs-
weise im eisernen Beschlag gesucht. Von den vorhandenen Stücken (drei) ist
wohl keines älter als aus dem Ende des 15. Jahrh. Das eine derselben mit
leicht gewölbtem Deckel und ohne Füße oder Untersatz ist an allen Seiten
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VON DR. HANS STEGMANN.
31
mit grätigen eisernen Bändern beschlagen die je nach ihrer Länge eine oder
zwei scheibenförmige Rosetten tragen. Das zweite folgt im Allgemeinen dem
oberdeutschen Truhenschema, mit hohem abgesetzten Untergestell, welch'
letzteres, einfaches eingeschnittenes Ornament zeigt. Das Beschlag des eigent-
lichen Kastens, übrigens ohne Rücksicht auf das Rahmenwerk des Deckels
aufgenagelt, ist wieder grätig und in der Mitte, bezw. den Enden verstärken
sich die Bänder zu hübschen stilisierten Blättern (auf Figur 107 in der Mitte
abgebildet). Auf dem Deckelrahmen Nägel mit hohen, sechsteiligen Köpfen.
Das dritte Kästchen endlich ist im Holzwerk ganz kistenartig. Das reiche
Beschlag bilden Zweige mit naturalistisch durchgeführten Eicheln.
Bei einem ähnlichen truhenförmigen Kästchen ist auf das eiserne Be-
schläge verzichtet und dafür das geschnitzte Ornament des Untersatzes etwas
reicher behandelt und dazu bunt bemalt.
Eine andere Art der Verzierung ist diejenige mit aufgelegten Verzierungen
in Teigmasse, die zwischen Papiermache und Stuck die Mitte hält. Die Technik
ist bekanntlich in Italien (Siena) besonders verbreitet gewesen und auch die
neben dem schon angeführten Reliquiar hier anzuführenden Stücke dürften
Italien oder Südtirol angehören. Das eine, sehr mangelhaft erhaltene, ist eine
Fig. 107. Mittelalterliche Holzk&stchen.
kleine Truhe mit stollenartigen Füßen und schwach gewölbtem Deckel. Die
Flächen waren durchwegs mit einem dicken kreideartigen Überzug versehen,
der vergoldet, bemalt und mit gepunzten Verzierungen ausgestattet ist. In
schwachem Relief heben sich in Rahmenwerk die Figuren eines Herrn und
einer Dame (Liebespaar) abwechselnd ab. Die ritterliche Tracht weist auf den
Anfang des 15. Jahrhdts. Das andere Kästchen (Fig. 108) hat ganz die Formen
der kirchlichen Truhen, wobei der Untersatz verhältnismäßig groß gebildet ist.
Die Flächen sind in bunten Streifen, weiß, grün und rot, bemalt und darauf
zartes, ausgedrücktes Maßwerkornament aufgeklebt. Die starke Verwenduijg
der sogenannten Fischblase und die Form der Truhe läßt auf die Entstehung
um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts schließen. Bei einem dritten
kleinen Kästchen sind die fünf sichtbaren Seiten ebenfalls mit Fischblasen-
maßwerk in gleicher Technik ausgefüllt. Das Kästchen ist hier rot, der Grund
der Füllungen blau, das Maßwerk in Gold gehalten. Das Alter mag das
gleiche wie beim vorigen sein.
Der gleichen Verzierungsweise, diesmal aber in Holz geschnitzt, begegnen
wir an einem ebenfalls tirolischen Kästchen (Fig. 109 unten links). Die hier
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32 . DIE HOLZMÖBEL DES 6ERBIANISCHEN BOJSEUMS.
besonders reichen und geschickt komponierten Maßwerkverzierungen heben
sich in der Holzfarbe von blauem Grunde ab.
Ehe wir uns den geschnitzten Holzkästchen, — diejenigen deren ganze
Oberfläche in Elfenbein ausgeführt ist, sollen hier ebensowenig berührt wer-
¥ig. 108. Mittelalterliches Holzk&stchen mit aufj^elegten Verr.ierung-en aus Teig^masse.
den, als die mit völligem Leder- oder Metallbezug — zuwenden, sei noch
kurz der intarsierten Kästchen, einige Worte gewidmet. In der sogenannten
»Certosinerarbeit« einem Einlageverfahren, bei dem in stets nur geometrischen
Mustern neben Bein und Perlmutter buntgefärbtes Holz und Metallstreifen
verwendet wurden und die in Italien, aber wohl nicht nur in den Karthäuser-
klöstern, ihre Heimat hat, besitzt das Museum ein Kästchen einfacher Form,
aber geschmackvoller Verzierung (Fig. 109 in der Mitte oben). Zwei andere,
wie dieses in seiner Entstehungszeit kaum genau zu bestimmende Exemplare,
jedenfalls tirolisch, zeigen in kleinen Formen Holzeinlegearbeit. Das eine
Stück, außerdem mit Messingnägeln verziert, findet sich auf Fig. 109 in der
Mitte unten.
Die geschnitzten mittelalterlichen Kästchen, ebenfalls so weit sie aus
weichem oder Obstbaumholz gefertigt sind, stammen wohl aus Oberdeutsch-
land und vornehmlich aus Tyrol, haben die Art der Behandlung gemeinsam.
Die Reliefschnitzerei ist entweder solche mit ausgehobenem Grund, der aller-
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VON DR HANS STEGMANN. 33
dings bei dieser Gelegenheit verhältnismäßig tief ausgestochen wird, oder sie
erheben sich, soweit die Schnitzerei wirklich durchmodelliert ist, wenigstens
nie über die umrahmende Kastenfläche. Die geschnitzten Darstellungen be-
wegen sich außerdem auf einem eng begrenzten Gebiete; Ornamentwerk und
Tierfiguren auf ornamentiertem Grund. Nur eines der in Frage kommenden
Kästchen beschränkt sich auf geometrisches Ornament (Fig. 107 und 110
unten links), Rosetten in einer fast an Kerbschnitzerei gemahnenden Ausfüh-
Fig. 109. Mittelalterliche Holzk&stcben.
rung. Die andern, von denen die Abbildungen 107, 109, 110 die besten Bei-
spiele vor Augen führen, haben meist Tierdarstellungen auf ornamental ge-
mustertem Grund. Auf dem größten und wohl ältesten Stück ist nur die
Vorderseite mit zwei Compartimenten geschmückt, in denen in von Ranken-
werk gebildeten Rundmedaillons sich zwei einander zugekehrte Adler befinden.
Ein anderes, ebenfalls ziemlich großes Exemplar mit sich durch ihre Deut-
lichkeit auszeichnenden Darstellungen hat auf dem Deckel einen Löwen; auf
den senkrechten Flächen vorn zwei greifenartige Ungeheuer, hinten einen
Steinbock und Hündin, seitlich Hirsch und Hund. Jagd- und Fabeltiere
Fig. HO. Mittelalterliche geschnitzte Holzk&stchen.
kommen gern nebeneinander vor, einmal begegnen wir auch einem Affen.
Ein Kästchen ist in gleicher Technik mit Buchstaben geschmückt. Ziemlich
sicher als niederdeutsch darf ein Eichenholzkästchen angesprochen werden,
das mit eisernen Bändern umfangen, ziemlich primitive Wappen, vier gekrönte
Buchstaben, a und g, und zwei unverständliche Worte enthält.
Eine beliebte Dekorationsweise für Holzkästchen war zu allen Zeiten
und in allen Ländern die Kerbschnitzerei. Die Notwendigkeit bei dieser
Technik sich im Wesentlichen auf einfache geometrische Ornamentbildung
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1905. 5
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34 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
zur Füllung der Flächen zu beschränken, gibt allen diesen Produkten eine
gewisse Gleichförmigkeit, wenn auch natürlich bei näherer Betrachtung die
lokalen und zeitlichen Verhältnisse in ihrem Ausdruck erkannt werden können.
Man kann wohl behaupten, daß die Kerbschnitzerei ihrer verhältnismäßig
leichten technischen Ausführbarkeit halber im Allgemeinen wie speziell bei
den Kästchen nicht so sehr das Produkt handwerklicher Übung, als das des
Volkes bildet und so dürften, ganz abgesehen von ihrer verschiedenen Pro-
venienz die kerbgeschnitzten Kästen der bäuerlichen mehr als der städtischen
Kunstübung zuzuteilen sein.
Die große Reihe kerbgeschnitzter Kästchen mag mit sechs solchen,
darunter auch eine größere, truhenförmige Kiste, aus Swanetien eingeleitet
sein. Die Form dieser, wie aller andern Kästchen dieser Art ist die des
regelmäßigen Parallelopipedons, die Schreinerarbeit sehr primitiv aber praktisch.
Aus den Schmalseiten sind die niedrigen Stollen, an einzelnen Stücken zu
einer Art Fuß geschnitzt, entwickelt. Der Kerbschnitt geht gewöhnlich bei
diesen Stücken ziemlich tief, charakteristisch ist die auf dem stehengebliebenen
Grat noch stets eingeschnittene feine Linie. Die Formen sind ganz einfache,
Sterne, Kreise mit gewellten Linien, Rauten und dergl. Beachtenswert ist
FiK- 111. Uolzkä-stchen der Renainsance.
die sich an mehreren Stücken findende Tendenz, das Ornament in schrägen
Streifen über die Fläche laufen zu lassen.
Den Kerbschnitzarbeiten verwandt, aber zwischen dieser Technik und
derjenigen mit ausgehobenem Grund eine Mittelstufe bildend, stellen sich zwei
Holzkästchen aus Island dar. Das größere derselben zeigt die Flachschnitzerei
nur auf den vier vertikalen Seiten und zwar je eine von einer Ornamentum-
rahmung umgebene Füllung. Füllung wie Umrahmung zeigen stilisiertes
Rankenwerk, das in seiner primitiven Art stark an die romanischen Formen
erinnert. Das kleinere Kästchen ist auf den vier vertikalen Seiten und dem
Deckel mit Streifen bedeckt, die abwechselnd ein einfaches Rankenornament
und Runen zeigen.
Von Kästchen aus Kerbschnitzereiverzierung aus deutschen Gauen be-
sitzt das Museum sechs Exemplare, außer einigen hierhergehörigen der Samm-
lung bäuerlicher Altertümer angehörigen Stücken. In Fig. 111 links ist ein
Exemplar unserer Sammlung wiedergegeben. Auf die Elemente des Kerb-
schnittornaments hier einzugehen, kann billig unterbleiben. Nur soviel sei
schließlich noch bemerkt, daß die Unveränderlichkeit der wenigen möglichen,
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VON DR. HANS STEGMANN.
35
allerdings unzählige Kombinationen zulassenden Formen eine nähere Bestim-
mung der Entstehungszeit einigermaßen schwierig macht. Vermutlich geht
keines der Exemplare unserer Sammlung, die im Aufbau ganz einfach sind,
über das 17. Jahrhundert zurück, während vielleicht das eine oder andere erst
im 19. Jahrhundert geschnitten worden ist.
Fig. 112. Kästchen mit Wismutmalerei; 16.— 17 Jahrb.
Bemerkenswerter Weise sind die Holzkästchen der Renaissance viel
schwächer im Museum vertreten, als die mittelalterlichen, wenigstens insofern
sie durch ihre Gestaltung oder Verzierung von Bedeutung sind. Und doch
hat die Renaissance nicht nur den Komfort der Lebenshaltung ganz wesent-
lich gesteigert, sondern auch in der formalen Behandlung der Gebrauchsgegen-
stände auf eine verzierende , künstlerische Behandlung noch mehr als das
Mittelalter Wert gelegt. Abgesehen von der vielleicht mehr zufälligen Lücken-
haftigkeit gerade unseres Bestandes, sind aber auch allgemeine Gründe für
den Rückgang der kunstgewerblichen Bedeutung des Holzkästchens als Schmuck-
behälter u. dergl. leicht zu erweisen. Einmal die Tatsache, daß das metallene
Kästchen, aus Edel- und Unedelmetall, wohl aus Gründen höherer Sicherheit,
übrigens auch aus dekorativ-technischen Gründen (z. B. der schnell an Ver-
breitung gewinnenden Eisenätzung) mehr in den Vordergrund trat, dann daß
die Truhe, welche wieder das Kästchen einschloß, mehr und mehr dem
Schranke weichen mußte. Die Schrankformen entwickelten sich aber alsbald,
auch außerhalb der vielfächerigen sogenannten Kabinetschränke nach der Rich-
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36 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN lOJSEUMS.
tung, daß er möglichst mehrere getrennt abzuschließende Fächer oder Gelasse
erhielt, die wenigstens teilweise das Kästchen überflüssig machten.
Im Übrigen ist die Spätrenaissance, die Zeit des Barocks die 2^it der
Surrogate. An Stelle der Holzschnitzerei treten an den Holzkästchen, die
entweder einfache Kastenform oder die der Truhe mit Untergestell haben,
neben der Bemalung die oft sehr reizvolle Dekoration in Teigmasse oder
Papiermache, wovon das Museum eine Anzahl treflFlicher Beispiele besitzt.
Lederbezug mit Pressung, Stoff, mit Filigranbesatz oder Stickerei, gepreßtes
Papier, Strohmosaik kommt zunächst als Bekleidung des Holzkems zur Ein-
führung, bis auch dieser verschwindet um dem Pappdeckel Platz zu machen.
Fig. 118. Deckel eines Kästchens mit Wismutmalerei; 15. Jahrh.
Von den späteren Holzkästchen verdienen nur drei Einzelerwähnung, eines
mit geschmackvollen Perlmuttereinlagen, ein truhenförmiges ganz vergoldetes,
das mit eingedrücktem leichtem Rankenornament verziert ist und ein solches
in Nußbaumholz, in Kofferform mit hübschem in Bein eingelegtem Ranken-
werk. Die beiden letzteren sind auf Fig. 111 wiedergegeben. Die kleine
Truhe gehört wohl ebenso wie die beiden Kästchen dem 17. Jahrh. an.
Schließlich mag noch bemerkt werden, daß eine Anzahl Kästchen zwar
von außen Deckelkästchen gleicht, aber in Wirklichkeit schrankartig mit Türen
und meist einer größeren Zahl von inneren Schiebfächern ausgestattet ist.
Eine größere Reihe der Holzkästchen des Museums ist mit der soge-
nannten Wismutmalerei verziert. Als Kästchen sind sämtliche derartigen
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VON DR. HANS STEGMANN.
37
Stücke von der einfachsten Form, die keiner besonderen Besprechung bedarf.
Über einige hervorragende und zugleich mit ältesten Stücke hat A. v. Eye
in einem kleinen Aufsatz des Anz. f. Kunde d. d. Vorz. 1876, Sp. IfiF. be-
richtet. Das dort berichtete Vorkommen der Wismutmalerei schon im 14. Jahrh.
steht mit der gewöhnlichen Annahme, daß das Wismut erst im 15. Jahrhundert
auftauche, in Widerspruch. Jedenfalls aber besitzt, wenn die letztere Annahmt
richtig ist, das Museum in einem Kästchen, dessen Deckelzier hier nochmals
in Fig. 113 wiedergegeben wird, ein sehr frühes Beispiel dieser Technik.
Auf dünnem Kreidegrund, dem üblichen Malgrund, wurde eine dünne Schicht
Wismutpulver aufgetragen und diese mit dem Polierstein geglättet, so daß
eine metallisch glänzende Oberfläche entstand. Auf diese wurden dann die
gewöhnlich in lebhaften Farben gehaltenen Malereien aufgetragen und das
Ganze mit einem Firniß überzogen. Die stattliche Reihe von Wismutkäst-
chen des Museums reicht vom Ende des 15. bis zum 18. Jahrhundert (die
Jahreszahl 1423 auf dem frühesten abgebildeten Stück ist, wie aus dem
Kostüm sich ergibt, offensichtliche Fälschung). Vom Anfang bis zu Ende
vermag die Malerei auf eigentlichen Kunstwert keinen Anspruch zu machen;
ihre Verfertiger betrieben offensichtlich die Herstellung mit großer, aber
mechanischer Handsicherheit ganz handwerksmäßig.
Wichtiger sind sie kulturgeschichtlich, weil sie in der guten Zeit bis
zum Ausgang des 16. Jahrhunderts manchen Beitrag zur Kunde des bürger-
lichen Lebens bringen. Gleich der Kunst der Karten- und Briefmaler, hat
der Illustrationsdruck langsam dem Verfahren den Garaus gemacht. An die
Stelle der oft hübschen, naiven figürlichen Darstellungen, Liebes- und Braut-
paare sind besonders beliebt, treten Kopien von Holzschnitten, endlich flau
gemaltes Ornament. In Fig. 112 sollen drei Kästchen einen ungefähren Ein-
druck der Erscheinung geben, das mittlere gehört dem frühen, das andere
dem späten 16., das oberste dem späten 17. oder gar schon 18. Jahrhundert
an. Außerdem sei auf zwei weitere Holzschnittnachbildungen in dem erwähnten
Aufsatz von Eye's verwiesen. Die durch die Länge der Zeit unvermeidliche
Oxydation hat leider den eigentümlichen Metallüster des Wismutgrundes und
damit die Besonderheit dieser Art von Kästchen verschwinden oder wenig-
stens sehr stumpf werden lassen.
Der Schritt von dieser schon verhältnismäßig billigen und einfachen
Technik zu einer noch billigeren lag nahe. Und er wurde auch gemacht,
einmal nach der Seite, daß man den charakteristischen Wismutgrund wegließ
und die Kästchen in meist recht primitiver Weise in Ölfarbe oder sogar in
Leimfarbe bemalte, was sich auf den bäuerlichen Kästchen und insbesondere
den Spanschachteln bis in das späte 19. Jahrhundert erhalten hat. Die ur-
sprünglich städtische Kunst wurde auch hier vom flachen Lande aufgenommen
und von der bäuerlichen Bevölkerung, wenn auch in einfacheren Formen be-
wahrt und weitergeführt. Die Abteilung bäuerlicher Altertümer enthält eine
schöne Anzahl von Beispielen dieser letzten Ausläufer des vornehmen mittel-
alterlichen Kästchens. Die andere Vereinfachung war, daß man statt sie zu
bemalen, die Kästchen mit kolorierten Kupferstichen oder Holzschnitten be-
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38 DIE HOLZMÖBEL DES GERMAN. MUSEUMS. VON DR. HANS STE6MANN.
klebte, die dann eine mehr oder minder geschmackvolle, gemalte Umrahmung
erhielten. Auch davon finden sich eine Reihe von Proben in der Sammlung
der Hausgeräte.
Die bäuerlichen Holzkästchen bieten keine von den bürgerlichen verschie-
denen, nennenswerten Typen dar. Hier wie dort tritt mit der Zeit die näm-
liche Verflachung ein, die Span- oder Pappschachtel mit mehr oder minder
geschmackloser Dekoration, tritt an die Stelle des Holzkästchens. Dieses
selbst bleibt im bäuerlichen Hausrat nur in einer Nutzform länger konstant
erhalten, dem Nähkästchen mit pultförmig abgeschrägtem Deckel, das im
übrigen alle schon erwähnten Verzierungsweisen aufnimmt.
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DIE ORIGINALZEICHNUNG ZUM HOLZSCHNITT
• HANS SEBALD BEHAM B. 149.
VON DR. FRITZ TRÄÜGOIT SCHÜI.Z.
Gustav Pauli führt in seinem kritischen Verzeichnis der Werke Hans
Sebald Beham's unter den Exemplaren der 1552 erschienenen Ausgabe
von dessen Kunst- und Lehrbüchlein auch ein solches als im Germanischen
Museum zu Nürnberg befindlich auf. Zwar trägt unser Exemplar die Jahreszahl
1552, jedoch nicht am Schluß des Textes im Druck, sondern nur auf dem
Einbanddeckel als handschriftliche Notiz. Zudem ist dasselbe nicht einmal
vollständig, es fehlen 13 Seiten, und die beiden letzten Blätter, nummeriert
14 und 15, gehören garnicht zum Kunst- und Lehrbüchlein, sondern stam-
men aus der »Proporcion der Ross« vom Jahre 1528. Die erste Ausgabe
des Kunst- und Lehrbüchleins erschien 1546 und zwar zu Frankfurt bei
Christian Egenolff (Pauli S. 490 — 491). Die zweite ist die vom Jahre 1552.
Eine dritte kam 1557 heraus unter dem Titel: »Das Kunst und Lere | Büch-
lin, Sebalden Behems. | Malen vnd Reissen zulernen, Nach | rechter Pro-
portion I Mass vnd aussteylung des | Circkels. Angehenden Malern vnd |
Kunstbaren Werckleuten dienlich. | Zu Franckfurt, Bei Christian Egenolffs
Erben« (Pauli S. 499). Da dieser Titel mit demjenigen unseres Exemplares
genau übereinstimmt, so muß es, abgesehen von den nicht zugehörigen beiden
Blättern am Schluß, ein und dieselbe Ausgabe sein. Es wäre demnach außer
dem Wolfenbütteler Exemplar noch das unsrige ergänzend anzuführen , es
aber bei den Ausgaben vom Jahre 1552 zu streichen. Weitere Ausgaben
erschienen 1565, 1566, 1582, 1594 und 1605, letztere bei Vincentius Stein-
meyer in Frankfurt.« Dann ist noch zu erwähnen, daß sich in der im Ger-
manischen Museum aufbewahrten Kupferstichsammlung der Stadt Nürnberg
15 Blatt-Ausschnitte einer Ausgabe des Kunst- und Lehrbüchleins befinden,
deren Titel, soweit er vorhanden ist, mit keinem der von Pauli aufgeführten
übereinstimmt. Es muß demnach noch eine weitere Ausgabe erschienen sein,
welche wohl zwischen den Ausgaben von 1566 und 1582 als neunte angesetzt
werden darf. Die Abdrücke der Holzstöcke sind kräftig und schön.
Das Kunst- und Lehrbüchlein fällt in eine Zeit, in welcher Beham's
Kunst im Niedergang begriffen war. Er hatte den Höhepunkt seines Schaffens
als Künstler bereits um das Jahr 1535 überschritten, sich von nun an selten
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DIE ORIGINALZEICHNUNG ZUM HOLZSCHNITT HANS SEBALD BEHAM B. 149.
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VON DR FRITZ TRAUGOTT SCHULZ. 41
mehr zu Leistungen direkt eigenen Schlages aufschwingend. Nicht mit Un-
recht vermutet darum Pauli, daß die vortrefiflicheren Holzschnitte des ge-
nannten Büchleins ältere Arbeiten seien, welche bei dieser Gelegenheit datiert
und eingeschoben worden wären (S. 15). Ganz besonders scheint mir dies
der Fall gewesen zu sein mit dem prächtigen, bärtigen Kopf des zur Seite
blickenden alten Mannes (Abb. 1), welcher sich aus der Reihe der übrigen
Darstellungen stark heraushebt. Es mag hier, ohne es natürlich als bündigen
Beweis hierfür betrachtet wissen zu wollen, auf die Ähnlichkeit hingewiesen
werden, welche zwischen unserem Kopf und dem des Adam auf dem ersten
Blatt aus der in der ersten Ausgabe 1530 edierten Folge der Patriarchen mit
Frauen und Kindern *) (B. 74, Pauli 691), weiter dem des Henoch auf dem
siebenten Blatt dieser Folge (B. 78, Pauli 697) und vielleicht auch dem des Noah
auf dem letzten Blatt derselben (B. 83, Pauli 700) besteht. Auch sei auf die
Verwandtschaft unseres Kopfes mit dem des 1520 datierten Hieronymus
B. 61 (Radierung) wenigstens aufmerksam gemacht. Zwingend sind diese
Argumente natürlich nicht. Doch werden sie gewiß mit dazu beitragen können,
die Vermutung Pauli's berechtigt erscheinen zu lassen.
Betrachten wir uns nun diesen Kopf etwas näher, so gewinnt man den
Eindruck ein Porträt vor sich zu haben. Die Nase ist scharf geschnitten,
die Augenbrauen erscheinen energisch markiert. Das Haar hängt wirr um
den Kopf, die Backenknochen treten ungewöhnlich hervor, der struppige
Schnurrbart fällt teilweise bis über den Mund herab, Kinn und Backen um-
rahmt ein krauser, in zwei Teile gesträhnter Backenbart. Ernst, fast unwirrsch
richtet sich der Blick zur Seite. Der Oberkörper ist in wenig natürlicher
Weise gedrungen, seine Kontur etwas unwahrscheinlich, die linke Schulter
zu stark gehoben. Siehe Abb. 1. Alles in Allem aber ist es ein Kopf, der durch
die kräftige Art seiner individuellen Charakterisierung weit über das gewöhnliche
Mittelmaß künstlerischen Könnens hinausgeht. Dennoch aber gewinnen wir
bei der Betrachtung der Einzelheiten den Eindruck , als sei es dem Holz-
schneider nicht vollkommen gelungen, den Eigenheiten der originalen Vorlage
Beham's, der bekanntlich ein trefflicher Zeichner war, ganz gerecht zu werden.
Deuten bereits hierauf die schon berührten Verzeichnungen des Oberkörpers
hin, so kommen noch die offenbar mißverstandene Wiedergabe des Schnurr-
bartes, der unmöglich so weit über den Mund herabhängen kann, die un-
natürlich erscheinende Darstellung des oberen Backenbartes an der linken
Wange und überhaupt die etwas übertriebene Breite des Dreiviertelprofils
hinzu. Es wäre nicht das erste Mal, daß Beham für seine Zeichnungen einen
seinen Intentionen nicht mit vollem Geschick folgenden Xylographen gefunden
hätte. Es braucht hier nur an die beiden Holzschnitte Simsons mit den
Thoren von Gaza und Simsons im Schöße der Delila für die 1534 in Mainz
1) Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die im Germanischen Museum auf-
bewahrte Kupferstichsammlung der Stadt Nürnberg ein kompletes Exemplar dieser Folge
ohne jeglichen Text besitzt. Auch wäre weiter bei Pauli nachzutragen, daß sich außer
dem neuen Abdruck des Zustandes III des Blattes mit Adam und Eva noch ein zweiter
mit einem A rechts oben im Germanischen Museum befindet.
Bfitteilongen ans dem gennan. Natioiialmuseum. 1906.
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42
DIE ORIGINALZEICHNÜNG Z. HOLZSCHNITT H. S. BEHAM. VON DR. F. TR. SCHULZ,
erschienene Bibelübersetzung Dietenbergers erinnert zu werden, wo Beham
schon das gleiche Mißgeschick erlebt hatte (vgl. Pauli S. 5). Meine Ver-
mutung wird aber zur Gewißheit, wenn wir eine mit unserem Holzschnitt auf
das Engste verwandte Federzeichnung aus unserer Sammlung von Handzeich-
nungen heranziehen. Sie trägt im Katalog die Nummer 91, war bislang unter
den unbekannten Meistern eingereiht, aber schon seiner Zeit von Herrn Direktor
Bosch mit dem Zusatz »H. S. Beham?c versehen worden. Es ist, wenn man
den Holzschnitt und die in Abb. 2 wiedergegebene Zeichnung mit einander
des Näheren vergleicht, ganz offenbar, daß letztere dem ersteren als Vorlage
gedient hat. Und wer sollte, wenn man den Holzschnitt Beham zuschreibt,
bezw. zuschreiben muß, die Zeichnung anders angefertigt haben als eben der
Künstler selbst? Wir haben es also mit einer eigenhändigen Zeichnung Behams
zu thun, welche als solche meines Wissens zum ersten Mal zur Veröffentlichung
gelangt und darum für die Charakteristik des Meisters einen neuen Beitrag liefert.
Sie verrät in allem den begabten Schüler Albrecht Dürer's, welcher mit
scharfem Auge beobachtet, rasch erfaßt und den Gegenstand in seiner ganzen
Kraft samt allen seinen zierlichen Details mit sicherer Hand wiederzugeben
weiß. Wie ungleich höher steht doch die Zeichnung über dem Holzschnitt!
Von der Gedrücktheit dort finden wir hier keine Spur. Alles ist freier und
natürlicher. Die linke Schulter ist nicht in übermäßiger Art hochgezogen.
Die Licht- und Schattenpartien sind klarer durchgeführt. Das Gewand er-
scheint namentlich an den Oberarmen der Wirklichkeit mehr entsprechend
gelegt. Stolz wächst der die selbstbewußte Kraft deutlich ausdrückende
Kopf gänzlich ungezwungen zwischen den Schultern heraus. Trotzig ernst
ist der Blick zur Seite gerichtet, während er auf dem Holzschnitt etwas De-
mütig-Lauemdes an sich hat. Dazu kommt die geradezu meisterhafte Durch-
bildung der hervorstechenden Einzelheiten des Gesichts, die virtuose Behand-
lung von Backenbart und Haupthaar. Und konnten wir schon den Holzschnitt
als eine doch im Ganzen tüchtige Leistung hinstellen, so wird nunmehr die
Achtung vor dem Meister, dessen Original nur von dem Xylographen nicht
in seinen ganzen Feinheiten in den Holzschnitt umgesetzt werden konnte,
noch um ein Beträchtliches steigen.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Helmatkunst. Von Dr. Ing. Ernst Vetterlein, Privatdozent an der Technischen
Hochschule zu Darmstadt. Leipzig, Bernhard Richters Buchhandlung. 1905. 31 SS.
1 M. 20 ^.
Die neueste Zeit hat uns ein neuestes Wort gebracht, nach dem wir uns lange
gesehnt haben. >Heimatkunst.« Wie klingt das Wort so >traut€. Ein Klang aus den
sonnigen Tagen unserer Kindheit, der halbvergessen in unserem inneren Ohr forttönte
ist in ihm zum vollen reinen Akkord angeschwollen und wird Wiederhall finden in aller
Herzen, die den Zusammenhang mit dem Urquell ihrer Kraft, mit dem Volk nicht verloren
haben. Auf das Wort »Heimatkunst« trifft Mephistopheles höhnender Ausspruch nicht
zu: >Da eben, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.« Nein,
dunkel geahnt haben wir den Begriff schon lange, jetzt aber steht er vor unserem geistigen
Auge in voller Bestimmtheit, wie aus Granit gemeißelt: »Heimatkunst. Sie verdient
diesen Ehrennamen nur dann, wenn die von uns errichteten Bauten wie mit dem heimat-
lichen Boden verwachsen erscheinen, wenn sie förmlich mit der Natur eins sind.
Dann bilden sie einen Teil unserer Heimat im Ganzen. Und wie die Natur den
Charakter des Menschen gemodelt hat, so daß die Bergbewohner anders geartet sind
als die in der Ebene wohnenden Volksstämme, so müssen nun die der Natur angepaßten,
von Menschenhand errichteten Bauwerke einen Ausdruck des menschlichen Charakters
bilden. So entsteht unter mannigfachen Wechselwirkungen eine große Einheit: Natur,
Mensch und Kunst, von denen jeder Teil von den gleichen klimatischen und sonstigen
Bedingungen abhängig ist.« Da nun mit dem Wort Heimatkunst ein klarer und bedeuten-
der Begriff in unlösbaren Zusammenhang gebracht ist, fürchte ich nicht, mißverstanden
zu werden, wenn ich weiter zitiere: »An Worte läßt sich trefflich glauben.«
An wie viele Worte haben wir schon geglaubt: Die klassische Kunst, die romantische
Kunst, die italienische Renaissance, die deutsche Renaissance, alle späteren Stils, die
Moderne. Alles war Irrtum. Warum war es Irrtum? »Unsere heutige Kunst ist nicht
der charakteristische Ausdruk unseres Wesens und unserer Heimat.« Das Heil liegt in
der Heimatkunst.
Nein Herr Vetterlein. Es war nicht alles Irrtum. Schinkel, Klenze, Semper,
Friedrich Schmidt, Hase, um nur Verstorbene zu nennen, haben nicht geirrt; was
sie geschaffen haben war ebenso rein der Ausdruck ihres Wesens, als die Werke der
Darmstädter Künstlerkolonie der Ausdruck des Wesens von Olbrich, Patriz Huber,
Peter Behrens u. A. sind, aber das Wesen dieser Männer war eben ein anderes als
das der Modernen. Freilich war ihre Kunst nicht Volkskunst, sondern die vornehme
Kunst hochgebildeter Männer. Wenn etwas ihrer Wirkung auf die Allgemeinheit im
Wege stand, so war es nicht ihre Schwäche, sondern ihre monumentale Höhe. Auch
sie haben aus voller Begeisterung ihrer Seele geschaffen. Es muß endlich Einspruch
erhoben werden gegen das banale Schlagwort, die ganze Baukunst des 19. Jahrhunderts,
soweit sie in historischen Formen gearbeitet hat, war Verirrung. Gewiß, die geistigen
Großtaten des 19. Jahrhunderts liegen nicht auf dem Gebiete der Baukunst, aber die
Geringschätzung, mit der sie heute behandelt wird, beruht doch auf völliger Verkennung
ihres Wertes. Der immer wiederholte Vorwurf ist der, daß sie mit historischen Detail-
formen gearbeitet hat. Als ob das Wesen der Baukunst im Detail beschlossen wäre, als
ob die Architekten nichts besseres zu tun hätten, als »ihr Wesen« immer nur in neuen
Details »zum Ausdruck zu bringen«. Was haben denn Iktinos, Gerhard von Rile
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44 LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
und Antonio da San Gallo an Details erfunden? Es gibt Perioden, in welchen die
Erfindung neuer Details lebhaft quillt, und andere, welche ihrer entbehren können. Ober
die rein architektonische Bedeutung der einen und der anderen ist damit nichts entschieden.
Das 19. und vorerst auch das 20. Jahrhundert unterscheiden sich freilich darin von
andern Epochen, daß die verschiedensten historischen Stile nebeneinander in Verwendung
sind und daß sich bis vor Kurzem die Anhänger des einen oder anderen lebhaft be-
fehdeten. Sehen wir aber vom Detail ab, so nehmen wir wahr, daß für jede Periode
des 19. Jahrhunderts die Gesamtempfindung, wie die Grundzüge der Komposition unab-
hängig von den Einzeiformen die gleichen waren und daß neue Kompositionsaufgaben
stets auch neue und eigenartige Lösungen gefunden haben. Nicht als ob das Detail die
Komposition gar nicht beeinflußt hätte, aber die maßgebende Bedeutung, die ihm im
Allgemeinen beigemessen wird, kommt ihm nicht zu. Die konsequente Entwickelung
der Baukunst im 19. Jahrhundert ist dadurch, daß gelegentlich stark archaisiert wurde
nicht gestört worden; auch in ihr manifestiert sich in voller Klarheit das psychologische
Gesetz der Entwickelung in Gegensätzen, das alle Geschichte beherrscht. Den Ausgang
bildet die strenge und nüchterne Kunst des Empire. Die Grundrisse wurden auf im
Voraus festgelegte Axensysteme komponiert, wobei der Monumentalität oft weitgehende
Konzessionen gemacht wurden. Symmetrie nach einer, wenn möglich nach zwei sich
kreuzenden Axen war eine selbstverständliche Forderung. Im Aufbau wurden die Pro-
portionen mit peinlicher Sorgfalt abgewogen und eine ruhige Umrißlinie wurde als unum-
gänglich für die monumentale Wirkung erachtet. Diese Grundsätze haben auch Romantiker
wie Gärtner befolgt, der freilich ein langweiliger Romantiker war. Im Detail herrscht in
dieser ersten Epoche Sparsamkeit, Zurückhaltung und eine strenge, ja trockene Formgebung.
Dann fahrt die Entwickelung allmählig zu freierer Komposition und reicherer Ausstattung,
aber die Grundsätze der monumentalen Komposition bleiben bis ins dritte Viertel des Jahr-
hunderts die gleichen. An kleineren Aufgaben, namentlich am Familienhaus fand unter
Führung der Gotiker die freie malerische Gruppierung mehr und mehr Aufnahme.
Schließlich ist sie auch in den Monumentalbau eingedrungen und beherrscht ihn jetzt
vollständig. Dabei gewöhnte man sich an einen immer größeren Reichtum der äußeren
und inneren Ausstattung.
E^ wäre nicht schwer, aus allen Epochen des 19. Jahrhunderts eine stattliche Zahl
von Bauwerken zu nennen, welchen bleibende Bedeutung zukommt. Trotz der engen
Anlehnung an die Formen der historischen Stile tragen sie alle einen bestimmt aus-
gesprochenen Zeitcharakter. Das Verhältnis der Baukunst des 19. Jahrhunderts zu den
historischen Stilen ist trotz der tiefgreifenden Verschiedenheit der wissenschaftlichen
Erkenntnis in künstlerischer Hinsicht nicht viel anders, als das der Renaissance zur
Antike. Kein selbständiger Architekt hat sich je durch die historischen Einzelformen in
seinem architektonischen Schaffen beengt gefühlt.
Dieses Verkennen der wahren Situation, diese Überschätzung der Bedeutung des
Details hat früh zu einer Unterschätzung des architektonischen Wertes der Baukunst des
19. Jahrhunderts geführt. Man sah nur das, worin sie unselbständig und hatte kein Auge
für das, was ihr eigen war.
Das Sehnen nach einem neuen, unserer Zeit eigenen Stil, besser gesagt das Sehnen
nach neuen eigenartigen Details, erst von wenigen Träumern im Stillen gehegt, dann
öffentlich ausgesprochen, endlich von den Kunstschreibern als Schlachtruf aufgegriffen,
fand seine Erfüllung in dem Moment, als gegen die übermäßige Vielseherei ein Rückschlag
eintreten mußte. Die Entwicklung war durch Dezennien vom streng architektonischen
zum Malerischen, vom Einfachen zum Reichen und Überladenen gegangen. Als die Pol-
höhe erreicht war trat eine rückläufige BeAvegung ein und zwar soweit die führenden
Kräfte in Betracht kommen mit einem Sprung ins Extrem der äußersten Einfachheit.
Die Bewegung ging von England aus und fand in Deutschland energische Förderung.
Daß dieser Rückschlag eintreten mußte, war wohl keinem zweifelhaft, d^r historische
Prozesse zu beobachten gelernt hat. War das historische Detail der Stein des Anstoßes
gewesen, so wurde nun zunächst das Detail neu gestaltet; die malerische Komposition
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 45
blieb, wurde aber geläutert und von der Zersplitterung auf ruhigere Massenwirkung
zurückgeführt. Das ist >die Moderne«. Der Jubel ist groß. Der Chor der Kunstschreiber
singt einen Päan: Heil uns! Wir haben eine neue Kunst, die > unserem Wesen entspricht«,
in der wir >unsere Empfindungen« ausdrücken können. Ich wundere mich schon lange,
daß die Herrn noch keine neue Sprache erfunden haben, um »ihre Empfindungen« aus-
drücken zu können. Mit einzelnen Worten wie Milieu, impressioniert, intim, traut, welt-
bewegend. Heim, Heimatkunst, Erdgeruch u. s. w. ist es nicht getan. Die alte Sprache
ist doch längst abgenutzt, es käme jetzt darauf an, sie frei von der erdrückenden Last,
historischer Traditionen neu zu gestalten.
Die Moderne leidet unter dem Fluch, das spät geborene Kind einer alternden
Kultur zu sein, es fehlt ihr das urwüchsig Naive, überall sieht man ihr das Reflektierte
und Gewollte an. Aber nur Mißgunst und absichtliches Verkennen kann in Abrede
stellen, daß ihre Führer mit großer Energie und künstlerischer Kraft eine eigenartige,
neue und einheitliche Stilweise in Tektonik und Ornament geschaffen haben. Sie a priori
abzulehnen wäre töricht, kein Stil ist an sich schön oder häßlich, es kommt stets nur
darauf an, wie er gehandhabt wird. In jedem Stil gibt es gute und schlechte Stilisten.
Es war notwendig, einmal ein Wort für die vielgeschmähte Baukunst des 19. Jahr-
hunderts einzulegen. Daß sie keinen der großen Höhepunkte einnimmt, wissen wir
alle, und es liegt mir ferne, ihre Schwächen beschönigen zu wollen. Ungleich sind die
großen Kulturaufgaben auf die Jahrhunderte verteilt; das 19. Jahrhundert hat auf wissen-
schaftlichem, insonderheit auf naturwissenschaftlichem und technischem Gebiet reichlich
gut gemacht, was es auf künstlerischem vermissen ließ.
Selbst wer meinen Ausführungen bis jetzt zustimmend gefolgt sein sollte, wird nun
einwenden, daß einer stattlichen Zahl bedeutender Bauten eine noch weit größere von
unbedeutenden und schlechten gegenübersteht. Wenn ich nun auch die Bewertung einer
Kunstepoche nach einem numerischen Durchschnitt ablehne, so ist mit diesem Einwurf
doch eine schwache Seite der Baukunst des 19. Jahrhunderts berührt. Ein Mißstand der
Anfangs wenig fühlbar nach und nach immer schreiender geworden ist, das fehlen des
Sinnes für das Angemessene.
Deutschland war aus den Befreiungskriegen als ein armes Land hervorgegangen.
Das ist auch aus der deutschen Architektur klar zu ersehen. Die Strenge und Einfach-
heit der Monumentalbauten wird an kleineren öffentlichen und an Privatbauten zur
Nüchternheit und Dürftigkeit. Vielleicht erscheinen uns diese Bauten kümmerlicher als
sie sind. In diesen unpoetischen, geschmacklos eingerichteten Häusern hat man behaglich
und glücklich gewohnt und von einer schwachen Kunst reinere ästhetische Anregungen
empfangen, als wir von einer weit ausdrucksmächtigeren. Man war selbst innerlich
reicher und glücklicher. Die Ärmlichkeit der äußeren Verhältnisse lastete drückend auf
der Baukunst, aber man gab sich wenigstens nicht den Anschein reich zu sein. In diese
Zeit fallen die Anfänge des vielgeschossigen städtischen Miethauses, das noch heute und
wohl noch fQr lange Zeit in quantitativer Hinsicht das Hauptobjekt der gesamten Bau-
tätigkeit ist und sein wird. Auch die Stadterweiterungen mit geraden sich rechtwinkelig
kreuzenden Straßen kamen schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts in Aufnahme.
Dieses Straßensystem ist jetzt in Verruf erklärt als unkünstlerisch und unpraktisch. Ich
will nicht fQr dasselbe eintreten, bemerke aber, daß es seit dem grauen Altertum stets
wiedergekommen ist, wenn größere Städteanlagen einheitlich geplant wurden, wir finden
es in Babylon, in den Städten der Diadochen, in den römischen Kolonien, in den mittel-
alterlichen Bastiden, in den Städten die im 18. Jahrhundert entstanden sind, in den
amerikanischen Großstädten und es wird immer wiederkehren, wo praktisch nüchterne
Erwägungen bei der Aufstellung von Stadtplänen den Ausschlag geben. Es ist auch nur
in seiner schematischen Anwendung auf große Städte ganz verwerffiich , während es bei
kleineren Anlagen Lösungen gestattet, die auch künstlerisch befriedigen. Ebensowenig
ist die gerade Straße an sich unkünstlerisch. Ich will hier nicht das größte Beispiel, die
Axe, welche vom Ostportal des Louvre nach dem Triumphbogen auf der Place de l'^toile
in Paris geht, heranziehen, die Straße, welche in Nancy das Gouvernement mit dem
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46
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Schloß verbindet ist von hoher monumentaler Schönheit und selbst die Maximilianstraße
in München ist ein gutes Beispiel. Die Abmessungen der Breite der Straße und der
Höhe der Gebäude, die Erweiterung im äußeren Teil mit den großen Bauten der Re-
gierung und des Nationalmuseums, die freiere gärtnerische Behandlung des äußersten
Teils am Fluß und der Abschluß durch ein großes Gebäude, das Maximilianeum, sind so
glücklich gegriffen, daß die Wirkung selbst durch die mesquine AusfQhrung aller Gebäude
nicht vernichtet, ja nicht einmal wesentlich beeinträchtigt wird. Das sind aber Aus-
nahmen, im allgemeinen sind die mit Kauf- und Miethäusern besetzten Straßen unserer
Städte weidlich langweilig. Sicher kann durch Krümmung des Straßenzuges ein be-
friedigenderer Eindruck erzielt werden, denn die gerade Straße stellt architektonische
Forderungen, welche der Mietbau nur selten erfüllen kann.
Der städtische Miethausbau hatte sich bis in die sechziger Jahre des 19. Jahr-
hunderts von Extravaganzen fern gehalten, wer die Mittel hatte und nicht auf eine hohe
Verzinsung des Anlagekapitals zu sehen brauchte, baute sein Haus stattlicher, wer be-
schränkt war einfacher, falscher Reichtum wurde wenigstens vermieden. Um so auf-
dringlicher machte er sich seit der Gründerepoche breit. Es wurden monumentale
Wirkungen mit falschen Mitteln angestrebt, wo die wahre Kunst sich in der Zurück-
haltung geäußert hätte. Die Aufgabe wurde von Bauherrn und Baukünstlern verkannt.
Für diese Verkennung müssen die Baukünstler verantwortlich gemacht werden. Aber
wer sind hier Bauherrn und Baukünstler? Die Bauherrn sind zumeist Spekulanten, welche
durch brutalen Glanz blenden und bei einer Ausführung in Surrogaten hohe Erträgnisse
aus ihren Häusern ziehen wollen. Zu der künstlerischen Tätigkeit aber drängen sich bei
der Masse der Aufträge viele, deren künstlerische Ausbildung mangelhaft und falsch ist.
Selbst die Hochschulen haben unter einem unverhältnismäßig hohen Prozentsatz unzu-
reichend vorgebildeter Schüler zu leiden und können die Lücken der Elementarbildung
nicht mehr ausfüllen. Vor allem aber entlassen viele Baugewerkschulen ihre Schüler in
einem übelen Stadium halber Bildung. Die Baukunst ist die einzige Kunst, welche nicht
oder doch nur ganz ausnahmsweise von Liebhabern betrieben wird. Es gibt Dilettanten
in Poesie, in Musik und Malerei, selbst in der Plastik, in der Architektur fehlen sie;
dafür sind aber mindestens vier Fünftel derer, welche sich Architekten nennen, Dilettanten.
Man kann nicht von jedem Künstler verlangen, daß er >weltbewegende€ Werke
schaffe, das bleibt immer ein Vorrecht Weniger — heutzutage sind fast nur Musiker
weltbewegend — aber man verlangt in anderen Künsten wenigstens, daß man die künst-
lerische Technik gelernt habe, bevor man die Kunst ausübt. Die Architektur erfordert
äußerlich eine Summe von wissenschaftlich-technischen Kenntnissen und von zeichner-
ischem Können, welche nur in langer angestrengter Arbeit erworben werden können, sie
erfordert innerlich eine kräftige intuitive Raumvorstellung, welche die Gestalt des künf-
tigen Bauwerks im Inneren und Äußeren dem inneren Auge klar vorführt. Da fehlt es
vor Allem. Die meisten haben nur ein unbestimmtes Raumbild und können das, was sie
dämmernd schauen, nicht einmal zeichnerisch fixieren. Da liegen denn Vorlagewerke
auf, erst Letaronilly und Lienard, dann Fritsch und Ortwein u. A. und aus diesen wurde
zusammengetragen, was sich überhaupt auf die verfügbare Fläche der Fassade zusammen-
tragen ließ.
Es ist jetzt eine Besserung eingetreten, der Zug zum Einfachen macht sich auch
im Mietbau geltend, an eine völlige Gesundung kann ich unter unseren heutigen sozialen
Verhältnissen nicht glauben. Da müßte zunächst das Bauspekulantentum eliminiert werden,
was nicht möglich ist. Es müßten auch alle Architekten künstlerisch so vorgebildet
werden, daß sie sich vom Ekektizismus frei halten könnten. Und das ist nicht zu er-
reichen. So werden denn die Nichtkönner, wie bisher aus historischen Vorlagen, jetzt
aus dem Wiener Architekt und der Darmstädter Innendekoration ihre Fassaden und
Innenräume zusammenspicken, und der Unterschied ist höchstens der, daß die modernen
Details »ihren Wesen entsprechen«, was die alten nicht getan haben. Die Grundlage
des Übels beseitigt weder die Moderne noch die Heimatkunst.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 47
Was ist überhaupt Heimatkunst? Die Definition, welche ich oben wiedergegeben
habe, ist trotz ihrer schönrednerischen Fassung nicht ausreichend. Vetterlein hat das
selbst geföhlt und stellt nun eine Reihe von Forderungen auf.
Er verlangt zunächst die innere Harmonie des Kunstwerkes, er verlangt, daß die
Einzelglieder ihrer Funktion gemäß in den Dienst der Kompositionsidee gestellt werden,
er verlangt, daß die formalen Eigenschaften der Baumaterialien und ihre Farben sorg-
fältig berücksichtigt werden. Er verlangt das Studium der Alten Denkmäler, nicht um
die Einzelformen herauszupflücken, sondern um die Prinzipien der Konstruktion kennen
zu lernen. Zwischen dem Anschluß an die historischen Formen und der Moderne ver-
mittelt er dadurch, daß es an beide die Forderung stellt mit Stil, d. h. so zu arbeiten,
daß jede Einzelform ihre innere Berechtigung in sich trägt und eine Funktion im Dienste
der Idee erfüllt. Man kann sich mit diesen Forderungen, die nicht allzu klar formuliert
werden, einverstanden erklären, aber sie sind weder neu, noch gibt ihre Erfüllung dem
Kunstwerk den spezifischen Charakter der Heimatkunst. Vetterlein behauptet zwar,
daß jede echte Kunst Heimatkunst sei. Wird aber dieser Begriff so weit gefaßt, so wird
er überhaupt überflüssig. Heimatkunst kann nur eine Kunst sein, welche außer durch
ganz allgemeine Gesetze, wie die oben erwähnten, noch durch regionale Besonderheiten
bedingt ist; Heimatkunst mag man den auvergnatischen Kirchenbau, den norddeutschen
Backsteinbau, den süddeutschen Fachwerksbau, den Blockbau der Alpenländer nennen,
Bauweisen die sich in gewissen Gegenden ausgebildet haben und nur in diesen vor-
kommen. Aber einem Baustil im Allgemeinen, selbst wenn er einen scharf ausgesprochenen
Nationalcharakter trägt wie der dorische der Griechen und gotische der Franzosen
kommt die Bezeichnung nicht zu, denn das Heimatliche wird hier durch das allgemein
Künstlerische weit übertönt. Diese Werke haben eine Bedeutung für die gesamte Mensch-
heit, welche über die notwendige Beschränkung einer Heimatkunst weit hinausgeht.
Die regionale Beschränkung ist von dem Begriff der Heimatkunst nicht zu trennen,
sie muß also auch in der neuen Heimatkunst, die unserer Architektur das Heil bringen
soll, in Geltung bleiben.
Ist nun in unserer Zeit zu erwarten, daß die Heimatkunst in der Architektur die
Führung übernehmen könne? Nein und abermals nein. Wohl haben einige feinsinnige
Künstler da und dort in Anlehnung an die regionale Bauweise sehr erfreuliche Werke
geschaffen, aber diese Weise muß individuell bleiben und kann nicht Gemeingut einer
Schule, geschweige denn der Menge der Bauunternehmer werden. Die treibenden Kräfte
in der Entwickelung der Künste liegen heutzutage in den Großstädten und bleiben da,
auch wenn sich die Künstler nach Darmstadt oder Weimar zurückziehen. Die Groß-
stadtkultur aber ist alles andere, nur keine Heimatkultur. Hier könnte auch Heimat-
baukunst nur eine vorübergehende Mode werden, deren Erzeugnisse so innerlich unwahr
wären wie das Rautendelein und der Waldschratt in dem papierenen Wald von Haupt-
manns versunkener Glocke. Nein die Großstadtkunst, auf die wir wohl oder übel an-
gewiesen sind, läßt sich solche Beschränkungen nicht auferlegen und mit Recht. Solange
die Großstädte so dominieren, wie in unserer Zeit wird ihre Kultur und Kunst stets
einen internationalen Zug behalten und es kann sich nur darum handeln in diesem Kreise
mit den gegebenen Faktoren mit künstlerischem Ernst und Wahrhaftigkeit das Mögliche
zu erreichen. Daß eine alternde Kultur keine naive Kunst haben kann, ist klar, eine
reflektierende Kunst aber braucht noch keine schwache Kunst zu sein, so wenig ich auf
das abgelaufene Jahrhundert mit Geringschätzung zurückblicke, so wenig sehe in das
kommende mit Pessimismus.
Der Prospekt der > Heimatkunst c teilt uns mit, daß des Verfassers Konkurrenz-
arbeiten zu wiederholten Malen mit Preisen ausgezeichnet wurden, die künstlerische
Logik, nach der er verlangt, ist ihm also offenbar geläufiger, als die schriftstellerische.
Möge er das beherzigen.
Das Büchlein ist mit acht Illustrationen und einer Titelzeichnung von des Verfassers
Hand geschmückt. Sie sind herzhaft gezeichnet, wie es »deutschem Wesen entspricht«.
— Heimatkunst. Bezold.
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^^ LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Das Eigentum am Strassburser MOnster und die Verwaltung des Frauenstiftes.
RechtswissenschaftUche Untersuchung. Von Dr. jur. F. W. Bredt Straßburg, J. H.
Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1903. 62 SS. 8.
Die mit Zugrundelegung von zahlreichen großenteils bisher ungedruckten Doku-
menten der Straßburger Archive geführte rechtliche und geschichtliche Untersuchung
gelangt zu dem interessanten Ergebnis, daß Eigentümer des Münstergebäudes der Staat
Elsaß-Lothringen ist, die Verwaltung der Stiflsgüter aber der Stadt Straßburg und zwar
ohne Kontrollrecht des Domkapitels zusteht. Was diese kleine und doch inhaltsreiche Schrift
weit über den engen Kreis lokaler Interessen hinausrückt, ist der bedeutsame Umstand,
daß hier zuerst festgelegt ist, wer subsidiär zur Beihilfe herangezogen werden kann, falls,
wie vorauszusehen, die Mittel des Liebfrauen werks (Frauenstifts) zu der durchgreifenden
Gdsamtherstellung des Münsters, die immer wieder von Fachmännern gefordert wird,
versagen sollten. HH.
U i..6*b«i<l. NumOvrg,
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DREI FIGÜRLICHE HOLZSCHNITTE VON PETER FLÖTNER.
VON DR FRirZ TRAÜGCyiT SCHULZ.
In dem Verzeichnis der Holzschnitte Peter Flötners, welches Reimers in
seinem 1890 erschienenen Werke »Peter Flötner nach seinen Hand-
zeichnungen und Holzschnittenc gibt, finden sich auch einige (mit zwei
Kreuzen bezeichnete), welche dem Verfasser nicht durch Autopsie, sondern
lediglich nach den Angaben von Bartsch, Passavant und dem Katalog Reynard
bekannt waren. Zu diesen gehören auch die Blätter Pyramus und Thisbe
Reimers 84, Das Urteil des Paris Reimers 85 und Eine nackte Frau Reimers
87, von denen im Nachfolgenden gehandelt werden soll. Es scheint, als
seien dieselben außerordentlich selten; denn auch dem rührigsten Flötner-
Forscher Conrad Lange sind dieselben, wie aus seinem 1897 edierten
grundlegenden Werke »Peter Flötner, ein Bahnbrecher der deutschen Renais-
sance« (S. 21) hervorgeht, seiner Zeit ebenso wenig wie Reimers zu Gesicht
gekommen. Nachdem nun aber das Germanische Museum unlängst diese
drei Holzschnitte, wenn auch nicht in gleichzeitigen Abdrücken, erworben
hat, dürfte es nicht unangebracht sein, nähere Nachrichten über dieselben
zu geben und sie vor allen Dingen durch Reproducierung zur Veröffentlichung
zu bringen, unbeschadet dessen, daß dieselben möglicherweise auch in anderen
Sammlungen vorhanden sind.
Beschreibung.
1. Pyramus und Thisbe. Reimers 84. Reimers gibt seine Be-
schreibung dieses Holzschnittes, jedoch in unrichtiger Weise, nach Passavant III,
S. 254, 7. Nach Reimers ist Pyramus noch damit beschäftigt, sich das Schwert
in die Brust zu stoßen, während Passavant dies bereits als vollzogene Tat-
sache hinstellt (s'est plong6 son 6p6e dans le sein). Allerdings ist auch bei
Passavant nicht alles in Ordnung; denn er läßt Pyramus zur Rechten befind-
lich sein. Besser wäre es gewesen, wenn Reimers Joseph Heller gefolgt
wäre, der in seinen Zusätzen zu Adam Bartsch's le Peinte Graveur, 1844,
S. 45 folgende, fast zutreffende Beschreibung gibt: »Pyramus in altdeutscher
Ritterkleidung sitzt links, und hat sich den Degen in die Brust gestoßen;
rechts erscheint die klagende Thisbe c. Dies ist im Großen und Ganzen
richtig, aber noch lange nicht zur Identifizierung ausreichend. Aus den Maß-
angaben bei Heller geht hervor, daß ihm das Blatt in unserer Form nicht
Mitteilungen ans dem german. Nationalmuseum. 1905. 7
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50 DREI FIGÜRLICHE HOLZSCHNIITE VON PETKK FLÖTNER
vorgelegen hat. Es mißt nämlich 3 Z. 9 L. in die Breite, was aber nur für
den szenischen Vorgang zutrifft, der jedoch bei uns noch seitlich von orna-
mentierten Pilastern begleitet ist. In dieser Form hat der Holzschnitt eine
Breite von 13,2 cm und eine Höhe von 14,2 cm. Bleiben wir zunächst bei
den Pilastern, so sind dieselben mit vertieft gedachten Füllungen versehen,
welch* letztere auf schwarzem Grunde ein in Weiß ausgespartes, leicht schraf-
Abb. 1. Peter Flötner. Reimers 84.
fiertes aufsteigendes Ornament zeigen. Dasselbe wächst aus einem mit einem
Band umwundenen Grundstamm heraus und besteht aus einigen größeren
Akanthusblättern und anderem kleineren Blattwerk. Etwa in der Mitte be-
merken wir zwei dockenförmige Glieder. Ist auch das Ornament beiderseits
gleich gedacht, so ist die Detailausführung dennoch keine vollkommen über-
einstimmende, wie eine Vergleichung an Hand der Reproduktion (Abb. 1)
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VON DR, FRITZ TRAUGarT SCHULZ. 51
sehr bald dartun dürfte. Beschäftigen wir uns nunmehr mit der Darstellung
selbst! In der linken unteren Ecke liegt, unter sich das Gewand der tot-
geglaubten Thisbe und darüber sein Federhut, an einem leicht ansteigenden
Hügel Pyramus. Er trägt Landsknechts-Kleidung. Auf dem rechten Knie,
das emporgezogen ist, ruht die linke Hand. Die rechte ist über den rechten
Oberschenkel gelegt. Mitten in der Brust steckt ein Schwert. Der Kopf ist
nach rechts geneigt, die Augen sind geschlossen. Von rechts her kommt in
eiligem Lauf Thisbe herbei, um den Kopf einen Lorbeerkranz, die Hände
klagend zusammengefaltet, das Gewand am Saum wie von einem \yindstoß
etwas aufgebauscht. Im Mittelgrunde links ist teilweise der steinerne Trog
eines Brunnens sichtbar. Aus dem Ausguß einer aufstehenden Säule strömt
Wasser in das Becken, um dessen hintere Ecke soeben der Löwe verschwindet.
Im Hintergrunde links wie auch im Mittelgrunde rechts bemerken wir grob
charakterisierte Bäume.
2. Das Urteil des Paris. Reimers 85. Reimers beschreibt diesen
Holzschnitt ebenfalls im Anschluß an Passavant (III, S. 254, 8). Auch hier
hat er sich nicht genau an dessen Darstellung gehalten, was entschieden
besser gewesen wäre. Denn so muß man glauben, daß Paris ebenfalls wie
die drei Göttinnen steht, während doch schon Passavant richtig angibt, daß
er zur Rechten sitzt. Ob Passavant das Blatt vorgelegen hat, möchte fast
fraglich erscheinen, da er sich ziemlich getreu an Heller anlehnt. Sicherlich
aber haben Beide den Holzschnitt nicht in unserer Form gesehen; denn bei
uns zeigt die eigentliche Darstellung ebenfalls eine von Passavant und Heller
nicht mitgemessene Pilastereinfassung. (Abb. 2). Mit derselben ist das Blatt
12,9 cm breit und 14,3 cm hoch. In dem weiß auf schwarz gezeichneten Orna-
ment der Pilasterfüllungen überwiegt das schon auf dem vorigen Holzschnitt
auftretende Dockenmotiv. Dazwischen sind kleinere Blattzweige und größere
Akanthusblätter angebracht. Von den vorn links befindlichen Göttinnen sind
nur zwei voll sichtbar und zwar mit den bekleideten Körpern en face gesehen,
während die dritte links dahinter nur eben mit dem Kopf hervorschaut.
Paris, in die modische Tracht der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts gekleidet,
sitzt im Vordergrunde rechts, mit dem Rücken gegen den rechten Pilaster
gelehnt, auf dem in die Hand des auf das emporgezogene rechte Knie auf-
gestemmten Armes gestützten Haupte einen Hut mit großen Federn, mit der
Linken den am Boden liegenden Apfel von oben fassend. Gleich hinter ihm
schaut ein bärtiger alter Mann hervor, der nach links hin auf die drei Göttinnen
einredet. Im Hintergrunde rechts und links sehr derb gezeichnete Bäume
und in der Mitte ein Brunnen mit beiderseitigem Ausguß.
3. Eine nackte Frau. Reimers 87. Auch hier ist die von Reimers
im Anschluß an Passavant (III, S. 255 f., 27) gegebene Beschreibung unzu-
reichend. Die wesentlichen Momente sind außer Acht gelassen. Das Ganze
hat eine Vereinfachung erfahren, die von dem Original keine genügende Vor-
stellung mehr verschafft. Auch Passavant kennt das Blatt nicht durch Au-
topsie, da er Heller als Quelle angibt. Was letzterer sagt, trifft im Allge-
meinen zu. Nur schmückt das Haupt nicht eine Feder, sondern ein Feder-
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52 DREI FIGÜRLICHE HOLZSCHNIITE VON PETER FLÖTNER.
hut. Auch hat er nicht erwähnt, daß von links her eine Frau mit einem
flachen Gefäß in der Hand heranschreitet, wie auch noch hinzuzufügen wäre,
daß, am rechten Blattrand ein Baum aufsteigt, dessen einer Ast weit nach
links die figürliche Gruppe überragt. Das Blattwerk ist wiederum sehr roh
charakterisiert. Ich glaube, daß der szenische Vorgang kaum anders zu deuten
ist, als wie es von Lange (a. a. O. S. 21) geschehen ist. (Abb. 3). Wir werden
Abb. 2. Peter Flötner. Reimers 85.
darin wohl eine, allerdings recht freie Allegorie der Wahrheit zu sehen haben,
welche der schlichte, wenn auch beschränkte Mann in der unverhülltesten
Weise offenbart. In welcher Beziehung aber hierzu die Frau mit der flachen
Schale steht, vermag ich nicht zu sagen. Die Größenangaben bei Heller tun
dar, daß ihm der Holzschnitt wiederum ohne die an unserem Exemplar vor-
handene Pilastereinfassung vorgelegen hat. Mit derselben mißt es in die
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VON DK. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
53
Breite 13,1 cm, in die Höhe 14,1 cm. Die Ornamentation stimmt beiderseits
nur im Allgemeinen überein. Im Einzelnen sind mancherlei Abweichungen
vorhanden. So zeigt z. B. das mit senkrechten Rillen versehene runde Glied
im oberen Teil des rechten Pilasters an der korrespondierenden Stelle des
linken schräg gelagerte Rillen. Die Durchführung des Ornamentes ist eine
kandelaberartige. Als Bekrönung dient eine Taube.
Abb. 3. Peter Flötner. Reimers 87.
Excurs (Vitruv).
Reimers führt unsere drei Holzschnitte unter der Rubrik »Aus dem
Vitruv des Rivius. Nürnberg 1548« auf, obwohl hierzu doch schon an sich
kein Grund vorlag, da Heller und Passavant, auf die er sich doch ausdrück-
lich beruft, eine derartige Zuweisung nicht vorgenommen haben. Und tat-
sächlich fehlen auch die Blätter in der Vitruv-Ausgabe, ja, ich wüßte kaum,
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54 DREI FIGÜRLICHE HOLZSCHNITTE VON PETER FLÖTNER.
ZU welchem Kapitel sie überhaupt als Illustrationen gedient haben sollten.
Ganz entschieden ist übrigens Reimers in der Zuteilung der Bilder des Vitruv
an Flötner nicht immer richtig verfahren, aber Lange dürfte vielleicht doch
zu weit gegangen sein. Daß Flötner in umfassendem Maße als Illustrator
tätig war, ist nicht zu bezweifeln. Doch dürften z. B. von den Darstellungen
auf den Blättern 13 — 19 (S. 42) höchstens diejenigen auf Bl. 13 a, Bl. 15, auf
Bl. 18a und Bl. 19 (die beiden Satyrn) bestimmt von Flötner herrühren. Aber
warum schreibt Reimers nicht auch das großartige Bl. IIa, mit der Über-
schrift »Circkels/ Richtscheid/ vnd aller gebreuchlichen Geometrischen Instru-
ment/künstliche fürbildung« (siehe Lange S. 31, 1) dem Meister zu, das doch
ganz sicher von Flötner ist, sicherer als manches andere des Vitruv, ja, das
ich geradezu als ein Kapitalblatt hinstellen möchte, finden wir doch hier —
um allein vom Gegenstand zu reden — alle die für den Bildschnitzer charak-
teristischen Gerätschaften wieder, welche Flötner an zweien der Pilaster des
Hirsch vogelsaales (siehe die Abb. 12 in meiner kleinen Arbeit »der Hirsch-
vogelsaal zu Nümbergc, Nürnberg 1905, Verlag von J. L. Schräg) auf be-
schränktem Raum in so reizvoller Art zusammengedrängt hat, hält doch femer
der kleine Knabe inmitten der Darstellung in der erhobenen Rechten das als
für Flötner so bezeichnend gepriesene Flügelpaar! Ich meine, daß hier die
Verwandtschaft mit den übrigen Arbeiten Flötners mehr als auffallend be-
zeichnet werden muß. Das bloße Vorkommen ähnlicher Ornamentmotive,
worauf Reimers manchmal so großen Wert legt, kann schwerlich beweisend
sein, wenn sonst der schneidige Strich, die kernige Sprache der so positiv be-
stimmten Form fehlt. Der Stil muß stets und ständig bei der Zuweisung ent-
scheidend mit in die Wagschale geworfen werden; kleinere Äußerlichkeiten
haben noch lange keine bindende Beweiskraft. Gegen derartige Argumentationen
dürfte wohl prinzipiell Front zu machen sein. Große Wahrscheinlichkeit besteht
auch dafür, daß die »Eygentliche Contrafactur des gewaltigen Schloss Meyland/
mit etlicher desselbigen wehren Verzeichnung« (Bl. 40b) auf Flötner zurück-
geht, ebenso auch — und das in höherem Grade — die leicht hingezeichnete
belagerte Festung auf Bl. 42. Weiter dürften von Flötner herrühren der
achteckige Turm von Marbelstein zu Athen (Bl. 46 b) mit dem flötenblasenden
Triton (in besonderem Rahmen zur Rechten) und die mehr skizzenhaft be-
handelten Wetterfahnen auf Bl. 47 a. Am Amusium auf Bl. 48 a ist ja gewiß
viel von den für Flötner bezeichnenden Motiven angebracht, doch möchte ich
•gerade bei diesem Blatt der Ansicht zuneigen, daß es sich nicht um eine
eigenhändige Arbeit Flötners handelt; dazu ist denn doch die Ausführung zu
lasch und zu flau. Eine Zeichnung Flötners hat ja wohl sicher vorgelegen,
aber der Holzschnitt stammt, was auch bei vielen anderen Blättern ange-
nommen werden muß, von einem berufsmäßigen Techniker her. In den
beiden großen figürlichen Holzschnitten, der Wirkung der Erfindung des
Feuers und der Erfindung des Wohnbaues durch die ersten Menschen, steckt
ebenfalls manches an Flötner Erinnerndes. Möglicherweise haben auch hier,
welcher Ansicht auch mein Kollege Dr. Hagelstange ist, Zeichnungen Flötners
vorgelegen; als für Flötner sehr charakteristisch möchte ich sie denn doch
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
55
nicht zu benennen wagen, wie Lange es tut. Nicht unberechtigt möchte es
ferner sein, die »Augenscheinliche bezeichnung des Griechischen Maurwercks/
nach der meinung Vitruuij« auf Bl. 81a mit Flötner in Zusammenhang zu
bringen. Schreibt man ihm die oben genannten landschaftlichen' Darstellungen
zu, so wird man dies auch bei der »Figur des gantzen gebews / vom Kunig
Mausolo zu Halicarnasso auffgerichtc (Bl. 84b) tun müssen. Weiter möchte
ich noch folgende Blätter zu Flötner in engere Beziehung bringen: Die
»Augenscheinliche anzeigung wie in die grundlegung menschlicher glidmassung
nach recTiter Symmetri / ein andere kleinere vierung in die grösser einzu-
bringen sey / dem mitlern Centro des nabeis proportionirlich vnd gerecht«
auf Bl. 101b, das jonische Basament auf Bl. 124 b, das jonische Kapital auf
Bl. 126a, die »Gerechte Symmetrische abtheilung der Jonischen Columnen«
auf Bl. 127 b, die hübsch erfundenen Wasserspeier auf Bl. 129b, die Kapitale,
Säulen und den Pilaster auf Bl. 134a und b, den Laubkranz auf Bl. 135a,
die Kapitale auf Bl. 136b, 137a, 143b und 144b, die Donnerstrahle auf Bl.
146a, die Basamente auf Bl. 147b, das Portal auf Bl. 154b, das heidnische
Opfer auf Bl. 158a, die Badstube auf Bl. 187b, den Hafen auf Bl. 191a, die
Darstellung »Augenscheinlich exempel, wie auss dem auflFsteigenden dunst
Wasser zu suchen vnd finden / auch zu leiten sey nach der lehr Vitruuij«
auf Bl. 243a, die römische Wasserleitung auf Bl. 258 b, die Wasserräder
auf Bl. 303 b und 304a, das Segelschiff auf Bl. 311b und das Kriegsschiff
auf Bl. 320a.
Wie gesagt. Lange scheint mir in der Zuweisung der Vitruv-Illustrationen
an Flötner zu weit gegangen zu sein, während Reimers viel zu zurückhaltend
gewesen ist. Meine Aufstellung bewegt sich in der Mitte zwischen beiden,
indem sie versucht, das zu eruieren, worüber hinsichtlich der Autorschaft
Flötners Zweifel nicht mehr bestehen können, was also von Flötner wirklich
eigenhändig herrührt, wozu natürlich auch die Aeolipilae und die Gefäße
gehören, wie auch die signierte Darstellung auf Bl. 198 b.
Stilkritische Betraphtung.
Daß unsere drei Holzschnitte mit Flötner in Zusammenhang stehen und
in allem seine Eigenart offenbaren, brauche ich wohl kaum zu beweisen.
Etwas anderes ist es, ob sie auch technisch von ihm hergestellt sind. Und
das möchte ich stark bezweifeln. Es wurde schon oben bemerkt, daß wir
es mit späteren Abdrücken zu tun haben. Aber ganz abgesehen davon, daß
so die Darstellungen schon an sich kräftiger und einseitiger in den Conturen
und Schattenpartien ausgefallen sind, als wir es von originalen Abdrücken
gewohnt sind, so blickt doch aus allem eine Rohheit des Schnittes heraus,
die wir bei dem sonst mit Sorgfalt und peinlichem Fleiß seine Arbeiten
durchführenden Künstler nicht finden. Von vorneherein liegt darum der
Gedanke nahe, daß Flötner nur die zeichnerischen Unterlagen geliefert, die
Ausführung aber einem anderen Künstler überlassen hat. Dies wird zur Ge-
wißheit, wenn wir etwas in die Details eindringen. Beginnen wir mit den
einfassenden Ornament-Leisten ! Wo immer wir bei Flötner auf schwarzem
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56 DREI FIGÜRLICHE HOLZSCHNITTE VON PETER FLÖTNER. VON DR SCHULZ.
Grunde weiß ausgesparten Ornamenten begegnen, können wir nicht genugsam
den feinen Strich, das Präzise der Zeichnung und die Klarheit der Darstellung
bewundem. Von diesen Vorzügen ist bei dem omamentalen Beiwerk unserer
Holzschnitte keiner anzutreffen. Ja, die Freiheit des Holzschneiders scheint
hier sogar eine sehr weitgehende gewesen zu sein, denn wir werden nur im
Allgemeinen an Flötners Stilart erinnert. Betrachten wir dann die Charakte-
risierung des Baumschlags, so vermissen wir die großzügige Behandlung, die
bei aller Flottheit doch das Wesen wiedergibt. Die Art Flötners ist ja deut-
lich herauszufühlen, doch erscheint sie durch Nicht-Eingehen auf die Vor-
nehmheit der Linienfühmng, durch Verzettelung in überflüssige Strichlagen
verflacht. Hinsichtlich des figürlichen Teils kann ich mich kurz fassen. Wohl
hat Flötner mit Vorliebe die Parallelschraffierung angewandt. Aber unter
seiner Hand nimmt der Strich bei der Modelliemng von Körper und Gewand
eine ganz andere Gestalt an, er besitzt schon als Einzelstrich in sich plastische
Kraft und verläuft nicht in dieser gleichmäßig ebenen Art, wie sie auf den
vorliegenden Holzschnitten zu Tage tritt. Wir haben also hier wiedemm
einen Fall vor uns, der zeigt, wie es möglich ist, daß die individuelle Kraft
des schaffenden Künstlers durch die reproduzierende Technik in Vielem ver-
wischt werden kann, so daß das nunmehr fertige Bild nur noch entfemt an
das Original erinnert I
Unsere drei Holzschnitte finden sich auch bei Derschau abgedruckt,
jedoch nicht als Einzelblätter, sondern in der Reihenfolge Reimers 84, 87
und 85 nebeneinander gestellt, eng zusammengerückt mit gemeinsamen
Mittelgraten und oben wie unten von geraden Linien scharf begrenzt, sodaß
sie sich als einheitliches Ganzes darstellen. Stößt man unsere Exemplare
ebenso wie bei Derschau zusammen, so erhalten wir oben und unten keine
geraden Linien, da das Blatt Reimers 87 etwas kleiner ist als die beiden
anderen, die ebenfalls nicht von gleicher Größe sind. Möglicherweise sind
die Holzstöcke späterhin verändert und mit den unten erwähnten zu einem
einzigen Stock durch entsprechendes Zuschneiden zusammengefügt worden.
Schreiben wir aber die beregten Blätter in der Zeichnung Flötner zu,
so müssen wir dies auch noch mit den drei weiteren Holzschnitten tun,
welche Derschau unter jenen abdruckt. Sie sind im Text bezeichnet als:
»eine Liebeserklärung auf dem Spaziergangec, »eine bey Tische und eine im
Reiten«. Sie befinden sich mit jenen ersten, wie bemerkt, auf einer Holzplatte.
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EINE NÜRNBERGER HAUSKAPELLE. 0
VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
(Mit zwei Tafeln und einer Abbildung im Text).
ZU den wesentlichen Bestandteilen des Nürnberger Wohnhauses, wenigstens
des Hauses der Vornehmen und Begüterten, gehörte auch die Hauskapelle.
Vielfach findet man noch heute in den Häusern der Altstadt meist mit Kreuz-
gewölben überdeckte Räume, deren Anlage und architektonische Ausbildung
eine frühere Benützung zu sakralen Zwecken sehr wahrscheinlich machen.
Eine urkundliche Bestätigung dafür dürfte sich jedoch wohl im einzelnen Falle
nur selten beibringen lassen, sodaß wir uns mit dem, was wir vorfinden,
bescheiden müssen und unsere Argumentationen dementsprechend nur mit
Vorsicht zum Ausdruck bringen dürfen. Ganz und garnicht aber waren wir
bislang über die innere Einrichtung einer solchen Hauskapelle, über ihre
Ausstattung mit Altären, Bildwerken, Gemälden und anderem Zubehör unter-
richtet; denn tatsächlich hat sich nirgends eine solche in einem privaten
Wohnhause erhalten. So sind wir denn lediglich auf etwa noch vorhandene
Abbildungen angewiesen, die sich aber wohl nur selten vorfinden dürften.
Auch wird es sich dann noch sehr fragen, ob man immer eine solch wert-
volle und zuverlässige Darstellung in die Hand bekommen wird, wie es die
von Georg Christian Wilder von der Hauskapelle im ehemaligen Haus
»zum goldenen Schild« gezeichnete in der im Germanischen Museum auf-
bewahrten Kupferstichsammlung der Stadt Nürnberg ist. Sie ist aquarelliert
und im Jahre 1854 ausgeführt. Von hingebender Liebe zu den Bauten und
Kunstschätzen seiner Heimatstadt erfüllt, hat sich dieser Künstler deren bild-
liche Darstellung zu einer seiner Hauptaufgaben vor Augen gestellt. Davon
zeugen nicht nur seine zahlreichen geistreichen Radierungen, hierfür sind
auch seine mit unendlicher Sorgfalt und feinem Verständnis meist in Wasser-
farben ausgeführten Zeichnungen beweisend. Ihm ist das hohe Verdienst
1) Diese Abhandlung fußt auf dem Material, welches vom Verfasser bei der vom
Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg unternommenen Inventarisierung des Nürnberger
Wohnhauses zusammengetragen wurde. Auch die Abbildungen gehen auf Aufnahmen,
welche vom Verfasser zu diesem Zweck angefertigt wurden, zurück.
Bfitteilnngen aas dem geraum. NationalmuBeam. 1905. 8
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58 EINE NÜRNBERGER HAUSKAPBLLE.
zuzuerkennen, daß er uns auf diese Weise viele heute nicht mehr vorhandene
Bauten und Kunstschätze im getreuen Bilde überliefert hat.
Das Haus »zum goldenen Schilde führt seinen Namen von einem ehemals
über dem Haupteingang angebracht gewesenen, von zwei Engeln in Relief-
plastik gehaltenen, vergoldeten Schilde, der als Erinnerungszeichen dafür
dienen sollte, daß hier im Jahre 1356 die ersten 23 Kapitel der goldenen
Bulle bekannt gegeben worden sind*) (Text-Abbildung). Murr gibt in seiner
Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in der Reichsstadt Nürnberg,
Nürnberg 1801, S. 231 als das Zimmer, »in welchem im Jahre 1356 die
goldene Bulle ist errichtet und promulgiert wordene, den westwärts an die
Kapelle anschließenden, späterhin einmal untergeteilten, großen Raum an.
Wie er uns weiter berichtet, wurde auf dem Altar der Kapelle jedesmal vor
dem Anfange des Reichstags Messe gelesen. Er hat seinen Ausführungen
eine Kupfertafel mit einem Blick in die Kapelle von Westen und einem
Grundriß des 2. Stockes des Hauses mit eingeschriebenen Maßen beigegeben.
Das Haus befand sich damals im Besitz der Nürnberger Patrizierfamilie von
Grundherr. 1387 aber veräußerten es Hermann Grundherr und seine Gattin
Barbara an Fritz Ammon. 1405 wurde es durch Conrad Haller von Philipp
Groß erkauft, um dann bis zum Jahre 1584 im Besitz der Hallerschen Familie
zu bleiben. Wie das gegen Ende des vorigen Jahrhunderts durch Veränderung
der Fassade und des westlichen Daches sowie auch durch Umbauten im
Inneren umgestaltete große Haus ehemals ausgeschaut hat, lehrt uns der in der
Text-Abbildung reproduzierte Kupferstich von Boener mit dem Umzug der Huf-
schmiede aus der Zeit um 1700. Die verschiedenen Fensterhöhen und der
besondere Eingang in dem auch heute noch niedriger bedachten, zweiachsigen
östlichen Teile machen wahrscheinlich, daß der Bau aus zwei ursprünglich
getrennten Teilen späterhin zu einem einheitlichen Ganzen zusammengeschweißt
worden ist. An einem Fenster des 1. Stockes war, wie der Boenersche Stich
zeigt, früher ein chörleinartiger Ausbau und an der freien Südwestecke eine
Madonna mit dem Kinde in Vollplastik angebracht.
An der Stelle des 2. Stockes nun, wo der Boenersche Kupferstich die
beiden kleinen rundbogigen Fen.sterchen zeigt, befindet sich noch die ehe-
malige, letzthin jedoch in selbständiger Weise vollkommen modernisierte
Hauskapelle, von deren Inneneinrichtung uns das obenerwähnte Aquarell von
Wilder (Tafel 1) zuverlässige Kunde gibt. Hinzu kommt noch eine ebenfalls
von Wilder herrührende Aquarellskizze zu dem großen Tafelbilde der Altar-
seite, welche der jetzige Hausinhaber, Herr Buchdruckereibesitzer und Ver-
leger Hans Sebald, aufbewahrt. Zur Vervollständigung meiner Schilderung
dienen dann noch einige gelegentlich der letzten Restauration angefertigte
Pausen, die Photographie eines auf die Innenfläche der Altarnische gemalten
Engels sowie mündliche Mitteilungen des Besitzers.
Der Kapellenraum hat im Grundriß die Gestalt eines mit den Schmal-
seiten nach Norden und Süden gerichteten Rechtecks. Die Nordseite wurde
2) E. Reicke, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1896, S. 295.
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ. 59
von einer, die Südseite von zwei kleinen rundbogigen^Lichtöffnungen durch-
brochen. Er wird, wie das Wildersche Aquarell erkennen läßt, von einer
Spunddecke, deren Balken den Längsseiten parallel laufen, nach oben
abgeschlossen. Heute ist letztere durch eine darüber gelagerte moderne
Felderdecke dem Blick entzogen. Sie war in spätgotischer Weise bemalt,
indem parallel zum Unterzug zehn weitere Querbalken, jedoch in Malerei,
aufgetragen waren, sodaß kleine quadratische Kassetten entstanden, welche
abwechselnd blau und rot angelegt und mit großen stilisierten Rosen aus-
gefüllt waren. Die Kreuzungspunkte der Längsbalken mit dem Unterzug und
den gemalten Querbalken waren durch Nagelköpfe markiert. So berichtet
uns wenigstens Wilder. Eine aquarellierte Darstellung eines Teiles der Decke
aus dem Jahre 1889 zeigt jedoch sowohl an den Ecken der Felder wie in
den Mitten der Seiten goldene Sterne. Die Rosen sind weiß getont, die
Eckblätter grün gefärbt. Der Fußboden war mit roten und blauen Platten
in schachbrettförmiger Anordnung belegt.
Die Wände waren teils mit Tafelbildern, teils mit plastischen Kunst-
werken, teils auch mit Wandmalereien geschmückt. Es liegt in der Natur
der Sache, daß sich die Ostseite auch in unserer Kapelle besonders eindrucks-
voll präsentiert, nimmt sie doch in allen Räumen kirchlichen Charakters eine
bevorzugte Stellung ein. So ist der Altar in eine eigene, flachbogig über=
wölbte Nische eingebaut. Dieselbe war, wie bei der letzten Restauration
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60 EINE NÜRNBERGER HAÜSKAPEI.LE.
konstatiert wurde, ehedem bemalt; heute ist sie vermauert. Links wurde
ein Engel die Laute, rechts ein solcher die Harfe spielend, aufgedeckt. Das
die Darstellungen umgebende Rankenwerk weist sie etwa der Mitte des
15. Jahrhunderts zu ®). Der Altartisch war scheinbar mit einer Frührenaissance-
Omamentation und zwar in Rotbraun auf hellgelbem Grunde bemalt. Über
den Altartisch hing eine gestickte Decke herab. Das Retabulum stellt sich
als Triptychon dar, in dessen Mittelschrein eine Maria mit dem Kinde sichtbar
ist. In der Mitte des durchbrochen geschnitzten Aufsatzes bemerken wir
eine im Gebet knieende Figur. Auf der Mensa stehen zwei barocke Messing-
leuchter. Lebhaft polychromiert ist der schlichte Baldachin, welcher, an der
Decke befestigt, über dem Altar schwebt. Ganz entschieden muß der Altar
sowohl durch die leuchtende Kraft der Farben wie durch seine Stellung
unwillkürlich den Blick des Eintretenden auf sich gezogen haben, ^ wie er sich
denn schon auf der Darstellung als wichtigstes Ausstattungsstück aus seiner
Umgebung heraushebt. Zur Rechten der Altamische waren zwei kleinere
Tafelbilder angebracht, das eine mit einer Darstellung des Gekreuzigten, das
andere mit dem Kopf des Schmerzensmannes. Scheinbar gehören sie dem
Anfang des 16. Jahrhunderts an. Eine ganz bedeutende Schöpfung aber
muß das große, zur Linken des Altares befindlich gewesene, etwa der Zeit
um 1480 — 1490 angehörende Gemälde gewesen sein. Sowohl der figürliche
Teil wie auch die mit Verständnis komponierte Landschaft lassen auf einen
sich weit über das Mittelmaß erhebenden Künstler schließen. Ob es Wohl-
gemut gewesen ? Es ist eine Darstellung des Auferstandenen, welcher, gemäß
der späteren Auffassung, dem geöffneten Grab entstiegen. Zu seinen Seiten
knieen, in faltenreiche Gewänder gehüllt, Maria und die zwölf Apostel. Darüber
schwebt in einer Wolke Gott Vater mit dem heiligen Geist in Gestalt einer
Taube, umgeben von Engeln. Rechts und links davon halten zwei fliegende
Engel lang flatternde Spruchbänder. Rechts und links oben in den Ecken
finden wir Sonne und Mond dargestellt. Unten kniet die 18 Köpfe zählende
Familie des Stifters und seiner Gattin. In der rechten Ecke lehnt das Pirk-
heimersche Wappen, in der linken das der Familie von Ploben. Als Hinter-
grund dient eine bergige Landschaft mit einer von Mauern umgebenen Stadt.
Ob sich das Bild irgendwo erhalten hat, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht
gelingt es anderen, dasselbe auf Grund meiner Beschreibung (siehe auch
Tafel 1) ausfindig zu machen. Keine Erklärung vermag ich für das Wandbild
links von diesem Gemälde zu geben. Unter einem viergeteilten Wappenschild
mit einem Stern als Helmzier steht an einem plump gezeichneten Tisch eine
fremdartig gekleidete Frau, eine Darstellung, welche nur wenig in den Rahmen
des Ganzen hineinpassen will. Reich dekoriert ist auch die nördliche Schmal-
wand. Links vom Fenster sehen wir drei plastische Figuren, rechts ein
größeres Tafelbild. Auf diesem scheint eine Himmelfahrt Maria dargestellt
zu sein. Bestimmtes läßt sich bei der aphoristischen Skizzierung des Bildes
auf dem Wilderschen Aquarell nicht sagen. Was die plastischen Bildwerke
3) Ich urteile hier lediglich nach einer seiner Zeit angefertigten Photographie des
Engels mit der Laute.
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
61
anbelangt, so dürfte die größere Figur, ein polychromierter heiliger Bischof
mit Krummstab und Schwert, dem Ende des 15. Jahrhunderts angehören.
Der kleinere Crucifixus daneben entstammt vielleicht der gleichen Zeit. Was
das Schnitzwerk darüber vorstellen soll, läßt sich an der Hand der vorliegenden
Zeichnung nicht feststellen. Auf einem hohen Postament steht vor einem
Stamm eine Figur. Ist es ein König (Karl IV.?)? oder bezieht es sich auf
das Martyrium einer Heiligen ? Kommen wir nunmehr zur gegenüberliegenden,
also der südlichen Schmalwand, so fallen hiet zunächst die hohen Kerzen-
halter zu den Seiten der damals noch rundbogig geschlossenen Fenster auf.
Der zylindrische Schaft ist korkzieherartig von einem Band umwundien. Der
obere Teil, welcher den Dorn trägt, ist mit Blattwerk verziert und von einem
Zinnenkranz bekrönt. Zwischen den Fenstern hängt in mittlerer Wandhöhe
ein kleiner Hausaltar mit bemalten Flügeln und mit einem Crucifixus über
einem hohen barocken Postament als Bekrönung.
Daß ein auf Farbenwirkung berechneter, in der Ausdehnung wie in
der Höhe beschränkter Raum an Intimität der Raumstimmung durch Einfügen
von Glasmalereien in die Fenster noch bedeutend gewinnt, haben die Alten
ebenso gut wie wir — vielleicht noch besser ! — gewußt. Schon im 14. Jahr-
hundert sind in der Kapelle Glasmalereien vorhanden gewesen. Unter den
Glasscheiben des Germanischen Museums befindet sich nämlich auch eine
Tafel, die nach zuverlässiger Überlieferung aus der Kapelle stammt. Sie
gehört etwa der Mitte des 14. Jahrhunderts an und bringt eine Darstellung
der Kreuzigung mit Maria und Johannes und zwei unten knieenden, kleiner
gezeichneten Frauen. Sie mißt 20 cm in der Breite und 59,2 cm in der
Höhe (innere Darstellungsfläche) und wurde vom Antiquar Pickert erkauft,
der sie im Jahre 1856 von der Famile von Grundherr erworben hatte. (Vgl.
auch den Katalog der im Germanischen Museum befindlichen Glasgemälde
aus älterer Zeit, 2. Auflage 1898, M. M. 27.) Die Malerei (Tafel 2) ist von
seltener Leuchtkraft und Klarheit der Farben. Maria ist in ein grünes,
Johannes in ein rotes Untergewand gekleidet. Der Mantel der Maria ist rot,
derjenige des Lieblingsjüngers grün gefärbt. Die Falten sind in saftigem
Schwarz angedeutet. Das Kreuz und der Lendenschurz zeigen violette
Tönung. Die drei Hauptfiguren haben blaue Heiligenscheine. Die Neben-
figuren sind in violette und blaue Gewänder gehüllt. Das Inkarnat ist leicht
rosa angehaucht. Der Gesichtsausdruck ist bei allen Personen leidlich geglückt.
Wundervoll nimmt sich das die übrige Fläche der Glasscheibe füllende, in
Weiß auf rauhem bräunlichen Untergrunde ausgesparte Ranken- und Blatt-
werk aus. Mit Recht hat Es^enwein diese Tafel »eines der am meisten
charakteristischen Beispiele c unter den für Hauskapellen hergestellten Glas-
malereien genannt. Sicherlich gehört sie auch zu den künstlerisch und
technisch höher stehenden Stücken dieser Gattung. An welcher Stelle sich
dieselbe in der Kapelle befunden hat, ist aus der Wilderschen Zeichnung
nicht ersichtlich. Ja, man muß auf Grund derselben annehmen, daß sie
damals schon nicht mehr in der Kapelle selbst angebracht war. Sehen wir
nunmehr, soweit ein Erkennen möglich ist, was für Glasbilder zu Wilders
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62 EINE NÜRNBERGES HAUSKAPELLE, VON DR FRITZ TRAÜGÜTT SCHULZ.
Zeiten in die drei Fenster des Kapellenraumes eingefügt waren! In das
nördliche Fenster waren oben eine größere Scheibe mit einer Geburt und
darunter zwei schmalere Scheiben je mit einer einzelnen Gestalt eingesetzt.
Die beiden Fenster der südlichen Schmalseite enthielten unmittelbar unter
dem Rundbogen je eine runde Scheibe, die eine mit dem Hallerschen, die
andere mit dem Grundherrschen Wappen, dann je eine größere rechteckige
Scheibe, die des westlichen Fensters mit einer Anbetung der Könige, und
weiter nach unten schließlich je zwei kleinere Rundscheiben, deren Inhalt
sich nicht mit Sicherheit angeben läßt. Möglicherweise können es Dar-
stellungen der vier Evangelisten mit ihren Attributen gewesen sein.
Wie die Westwand der Kapelle, die Eingangs wand , früher ausgesehen
hat, darüber hat uns Wilder leider nichts mitgeteilt. So müssen wir uns
darauf beschränken, zu berichten, was bei der im Jahre 1889 vorgenommenen
Modernisierung des ganzen Raumes vorgefunden wurde. Am nördlichen Teile
der Wand wurden Spuren eines Christophorus mit dem Jesusknaben gesehen.
Im südlichen Teile stieß man auf zwei schildtragende Engel mit den Wappen
von vier Kurfürstentümern. Von einem derselben ließ der Inhaber des Hauses
seiner Zeit eine Pause anfertigen. Sie läßt vermuten, daß diese Darstellungen
flott gezeichnet waren. Das Gewand des Engels ist mit herzförmigen Blumen
verziert. Die Wappen der drei übrigen Kurfürstentümer wurden in Resten
an der südlichen Schmalwand zu den Seiten und an dem Wandstreifen
zwischen den Fenstern aufgedeckt. Selbstverständlich wird , worauf mich
Herr Archivrat Dr. Mummenhoff hinwies, auch das kaiserliche Wappen
irgendwo angebracht gewesen sein, natürlich an einer bevorzugten Stelle,
vielleicht gleich außen über dem Eingang zur Kapelle. Unterhalb der Decke
fand man ein um einen Stab geschlungenes Rankenband , das über dem
niedrigen rundbogigen Eingang auch nach unten hin fortlief, die Seiten des
Eingangs begleitend. Die Türe ist auf der Innenseite mit den rautenförmigen,
in gestanzter Arbeit abwechselnd den Reichsadler und das Wappen der Stadt
Nürnberg zeigenden Feldern von der früheren Türe dekoriert. Auch hat
der alte Türgriff in Form eines gut gravierten Löwenkopfes wieder Verwen-
dung gefunden.
Damals entdeckte man auch an der Ostwand unterhalb der Stelle, wo
das große Auferstehungsbild gesessen, die schlechterhaltenen Reste eines
Wandgemäldes mit einer Anbetung der Maria. Auch wurde an der gleichen
Wand unterhalb der Decke mit Ausnahme des zurückspringenden Teiles
ein Rankenband vorgefunden.
Man ersieht aus alledem, welche Liebe und Sorgfalt auf die Aus-
schmückung gerade dieser Kapelle, an die sich solch bedeutungsvolle historische
Erinnerungen knüpfen, verwandt worden ist. Bedauerlich ist es nur, daß sie
nicht auch in ihrer früheren Ausstattung unversehrt auf uns gekommen ist,
und wir darum unsere Zuflucht zu bildlichen Darstellungen und mündlichen
Mitteilungen nehmen müssen, um uns ihre ehemalige Gestalt, so gut es
angehen will, zu rekonstruieren! Bedauerlich ganz. besonders deswegen, weil
es den Anschein gewinnt, als seien hier Künstler von Bedeutung tätig gewesen !
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DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR. HANS STEGMANN.
(Mit 2 Tafeln.)
IX.
Die wichtigste Gruppe der Kastenmöbel bilden die Schränke. Als eigent-
liches Möbel müssen sie allerdings die Priorität in der Entwicklung den
Truhen einräumen. Aber während diese ersteren über ihre ursprüngliche
kastenförmige Gestalt nicht hinauszukommen vermochten, hat der Schrank
die manigfaltigsten Gestaltungen und Kombinationen bis in die neueste Zeit
hinein erfahren.
Der Schrank ist jedenfalls eine jüngere Form des Kastenmöbels, denn
sein Gebrauch setzt fortgeschrittenere Formen der Lebenshaltung voraus. In
erster Linie ist er wohl ursprünglich kein bewegliches Hausgerät im Gegensatz zu
der stets beweglich gedachten Truhe. Er hat, das ergibt sich aus der Wort-
bedeutung und ihrer Herleitung in den verschiedenen Sprachen zunächst nur
die Bedeutung eines abgeschlossenen Raumes in der Wohnstätte. Schrank
und Schrein bedeuten weiter nichts als einen abgeschlossenen Raum von
Schränken, Schranke*). Die Wandnische mit irgend einem Verschluß ist sein
eigentlicher Ursprung. Das hat sich bis in die heutige Zeit herüber erhalten,
keine Möbelgattung hat sich so als eingebautes Möbel — der Ausdruck ist
ja an sich ein Widerspruch, hat sich aber so eingebürgert, daß er wohl bei-
behalten werden muß — eingeführt und erhalten. In diesem Fall haben wir
es mit dem eigentlichen Wandschrank zu tun.
Wann der Schrank sich zuerst von der Wand losgelöst, dafür haben
wir keine Belege, im Allgemeinen ist man geneigt als Zeitpunkt für diese
Wandlung etwa das 13. Jahrhundert anzunehmen. Für das nicht sehr hohe
Alter des Schrankes ist auch die Wortbezeichnung in den verschiedenen
Sprachen charakteristisch. Besonders auch, daß die lateinische Sprache keinen
Ausdruck für »Schrank« besitzt. »Armarium« ist erst mittelalterlich und
bedeutet ursprünglich nichts als den Aufbewahrungsort der Waffen des Hauses,
der ebensogut ein Hausraum als ein Möbel sein konnte. Die romanischen
Sprachen (franz. armoire, ital. armadio, span. arpiajo) haben mit dieser abge-
leiteten Bezeichnung vorlieb nehmen müssen. Auf die deutsche Bezeichnung
Schrank wurde oben schon hingewiesen. Schrein von dem lateinischen »scri-
'*') S. Heyne, Das deutsche Wohnungswesen, S. 115.
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64 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
nium« einer zylindrischen -Kapsel für Dokumente entnommen, bedeutet ur-
sprünglich kein schrankartiges Möbel, sondern auch schon im übertragenen
Sinne den Aufbewahrungsort für Kostbarkeiten. Ebenso ist die in den nor-
dischen Sprachen gebräuchliche Bezeichnung »skab« gleichbedeutend mit dem
Gerät als Gefäß, »Schaff, Scheffel.« In Niederdeutschland, Nord- und Ost-
seeländem ist bis auf die heutige Zeit die Benennung »Schapp« gebräuchlich.
Da die Behälter für Speise und Trank in ältester Zeit schon auf Ge-
stellen, Borten, aufbewahrt wurden, so dürfen wir im Schrank eine Kombi-
nation dieser Gefaßgestelle mit der Wandnische erblicken, die zunächst einen
Verschluß durch Vergitterung erhielt, der im Laufe der Zeit sich in einen
solchen durch feste Türen umwandelte. Von den heute noch gebräuch-
lichen Ausdrücken Spind,
norddeutsch , und Kalter,
süddeutsch, bezeichnen der
erstere den Behälter für Eß-
waren (vom lat. »spenda«),
der andere einen Kleider-
schrank, in dem die Gegen-
stände gehängt wurden, wäh-
rend die ebenfalls süddeut-
sche Bezeichnung'Kasten für
Schrank nur die allgemeine
Bezeichnung für einen Be-
hälter ist (z. B. Getreide-
kasten = Haus für Lagerung
von Getreide)*). Das gerade
bei diesem Geräte zu be-
merkende Schwanken in der
Bezeichnung geht von An-
fang an Hand in Hand mit
sehr verschieden gestalteten
Formen, denen eben ihrer
verschiedenen Zweckbestim-
mung gemäß auch verschie-
dene Namen beigelegt wur-
den. Auch das lateinisch-
romanische armarium hat in
»almerey«, einer Bezeichnung
für einen Wirtschaftsschrank,
einen Ableger auf deutschem
Boden erhalten.
Die wesentlichen, ur-
sprünglichen Merkmale des
Schrankes lassen ihn als
Fig. 114. Tyroler Schrank. Ende des 15. Jahrh. *) S. Heyne, I. c. S. 176 u. 260 f.
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VON DR. HANS STEGMANN.
65
einen hochgestellten Kasten erscheinen, der sich nach vorne durch eine
oder mehrere Türen öffnen läßt. Wie für alle Kastenmöbel, wie auch für
Truhe, Kasten, hat die Hausform auf seine Gestaltung bestimmend eingewirkt.
Man könnte sagen, daß auf kein Möbel die architektonische Gestaltung und
noch mehr die architektonische Verzierung so stark sich erstreckt hat, wie auf
den Schrank. Das erleidet nur insofern eine Einschränkung, als die späteste
Gotik in der Dekoration ein Herüberdrängen von den architektonischen Or-
namenten , die wir als Maßwerk im weitesten Sinn bezeichnen wollen , zur
mehr plastischen Dekoration, die sich in vegetabilischen Ornamenten, vielfach
auch in figürlichem Zierrat ausspricht. Plastischer wird die Möbeldekoration
ja auch in dem Sinne, daß die frühere Beschränkung auf gemalte Verzierung
verschwindet und der geschnitzten, oft überreichen Dekoration, die deshalb
keineswegs auf die Farbigkeit verzichtet, weichen muß.
Wenden wir uns zunächst dem mittelalterlichen Schrank und seinen üb-
lichen Typen zu. Die Untersuchung ist hier insoferne eine erschwerte, als
offensichtlich der Schrank im mittelalterlichen Hausrat nicht entfernt die
wichtige Rolle gespielt hat, als die Truhe. Insbesondere dürfte der beweg-
liche Schrank ein verhältnismäßig selten vorkommendes Gerät vor dem 15.
Jahrhundert gewesen sein, das spricht in seinem seltenen Vorkommen in den
literarischen Quellen sich allein zur Genüge aus. Daher darf es nicht Wunder
nehmen, daß Schränke aus der Zeit vor 1400 zu den größten Seltenheiten
zählen. Auch die Sammlungen des Germanischen Museum weisen kein vor
dem Ende des 15. Jahrhunderts entstandenes Exemplar auf.
Die wenigen aus dem hohen Mittelalter herübergeretteten und bekannt
gewordenen Schränke scheinen insgesamt aus kirchlichem Besitz zu stammen.
Sie besitzen zudem alle eine sehr schmucklose Gestaltung. Sie scheinen in
ihrer ungefügen Erscheinung, auch dies ist ein Hinweis auf ihre Zusammen-
gehörigkeit mit dem Haus, mehr die Arbeit des Zimmermanns als die des
Schreiners zu sein. Erst die über Frankreich im späteren Mittelalter sich
ausbreitende feinere Kultur des Wohnwesens hat dem Schrank eine reichere,
künstlerische Gestalt verliehen. Französische Kirchenschränke (Noyon) und
deutsche frühe Exemplare zeigen ein direktes Anlehnen der plump gebauten
Kästen an die Hausform durch den oberen giebelförmigen Abschluß, wie ihn
beispielsweise drei im Besitze des Grafen Wilczeck befindliche Stücke zeigen*).
Die Verzierung beschränkt sich bei den beiden dem 13. oder 14. Jahrhundert
angehörigen Stücken eigentlich wieder auf das massige Eisenbeschläge.
Charakteristisch für diese Schränke und ebenfalls an die Hausformen
gemahnend, wie sie uns etwa die mittelalterlichen Miniaturen vor Augen
führen, ist die Art der im Verhältnis zur Gesamtbreite schmalen Türen.
Beim Wandschrank, resp. der durch hölzerne Türkleidung verschlossenen
Wandnische legten praktische Rücksichten, besonders liturgische in den Kirchen
es frühzeitig nahe, den Behälter in verschiedene Fächer zu teilen und im
weiteren Verfolge diesen Fächern mehrere gesonderte Türen zu verleihen.
♦) Abgebildet bei J. v. Falke, Mittelalterliches Holzmobiliar, Taf 8.
MitteiluDgeo aas dem german. Nationalmuseam. 1905.
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66 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Fig. 115. Schrank aus SterziDg in Sadtirol. Um 1500.
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VON D& HANS STBOICANN.
67
Diese leichte Sonderung des Schrankes in zahlreichere Abteilungen trug
wesentlich dazu bei, dem Schrank das Obergewicht über die nach dieser
Hinsicht unpraktischere Truhe zu verleihen. Ein zweites, schon weiter oben
erwähntes Moment war, daß im Schrank nicht, wie in der Truhe alle ent-
haltenen Gegenstände auf einander gelegt aufbewahrt werden mußten, sondern
nebeneinander oder hängend, was durch die nach vom statt nach oben sich
öflFnenden Türen bedingt war.
Bei den angedeuteten manigfaltigen Beziehungen ist nicht zu verwundern,
daß sich aus dem sehr spärlich erhaltenen Material an Schränken, das vor
den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts entstanden sein kann, eine ge-
naue Klassifizierung und besonders die scharfe Umgrenzung der Provenienz
der einzelnen Typen vollziehen läßt. Dies wird eigentlich erst nach dem
völligen Sieg der Renaissanceformen in Deutschland möglich. Im germanischen
Museum sind zudem nur zwei Landschaftsgruppen aus dem ausklingenden
Mittelalter mit Schränken vertreten. Die tirolische und die nahe verwandte
oberdeutsche, dann die niederrheinische.
Das älteste Stück dürfte ein Schrank aus Tirol sein , der möglicher
Weise den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts angehört. Figur 114
gibt denselben im Bilde wieder. Wie die überwiegende Mehrzahl der Tiroler
Möbel ist er ganz schmucklos. Wenn auch, wie immerhin nicht ganz unmög-
lich ist, der Aufsatz nicht so alt, bezw. dazugehörig ist, so haben wir es
doch sicher mit * einem schon ursprünglich freistehenden Schrank zu tun.
Die einfachen Verzierungen beschränken sich auf die Vorderseite. Der aus-
gesägte niedrige Untersatz wie das aus aufgespundeten Leisten bestehende
Rahmenwerk hat einfaches ausgestochenes Ornament. Im Grund desselben,
wie an den Profilicrungen sind noch schwache Farbspuren zu erkennen. Das
ausgestochene Ornament des Aufsatzes, dessen Zinnenbekrönung modern oder
erneuert ist, zeigt etwas andere und zwar gröbere Behandlung. Sehr bezeich-
nend für die Tiroler Abstammung ist, daß die Vorderseite rahmenartig auf
Gehrung gearbeitet ist. Die Türe ist noch in altertümlicher Weise ziemlich
schmal und mit einer starken profilierten Schlagleiste versehen. Auch die
außenliegenden kräftigen Türbänder mit den originell aufgesetzten durch-
brochenen Rosetten geben dem Stücke einen altertümlichen Charakter. Die
Höhe des Schrankes beträgt 1,79 m, die Breite 0,98 m, die Tiefe 0,52 m.
Die nächsten beiden ebenfalls tirolischen Stücke Tafel III und Fig. 115
sind die schönsten mittelalterlichen Möbelstücke der Sammlung. Nach An-
gabe des Verkäufers sollen sie aus der Sakristei der Stadtpfarrkirche in
Sterzing stammen. Als Entstehungszeit wird man ungefähr das letzte Jahr-
zehnt des 15. Jahrhunderts annehmen können.
Die beiden Schränke stellen die ältesten Beispiele eines oberdeutschen,
bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts für größere, zweiflügelige Schränke be-
liebten Typus dar, der nicht aus dem Wandschrank, sondern offensichtlich
aus zwei übereinander gesetzten Truhen der dort gebräuchlichen Art hervor-
gangen ist. Das ergibt sich nicht nur aus dem Aufbau, der stets die Aus-
einandernähme der beiden Schrankstockwerke, das Abheben des einen vom
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68 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
»
andern erlaubt, sondern auch aus dem Umstand, daß zur leichteren Fort-
bewegung ganz gleich wie bei der Truhe bei vielen Exemplaren an den ein-
zelnen Schrankgeschossen Handhaben angebracht sind.
Die beiden vorliegenden Schränke sind vorzüglich in ihrem ursprüng-
lichen Zustand erhalten. Sie sind offensichtlich gleichzeitig und möglicher
Weise auch von demselben Meister gefertigt. Ob die Anfertigung speziell
für kirchliche Zwecke erfolgte oder ob die Schränke erst später aus profanem
Fig. 116.T Oberdeutscher Schrank von 1540.
Besitz als Vermächtnis oder Stiftung an die Kirche gelangten, mag dahin-
gestellt sein. *Ihre Anordnung läßt die besondere Bestimmung für kirchliche
Zwecke wenigstens nicht erkennen. Die Schränke folgen im Allgemeinen
demselben Schema, im Einzelnen aber weisen sie doch mancherlei Verschie-
denheiten auf.
Der auf der Tafel abgebildete ist der reichere. Auf dem uns von
den Tiroler Truhen her schon bekannten reich geschnitzten, durchbrochenen
Untersatz ruht das zweiteilige Untergeschoß. Die mit Füll- und Rahmen-
werk gearbeiteten Türen sind nach der Mitte zu gerückt und noch verhält-
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VON DK. HANS STEGMANN.
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nismäßig schmal. Die Türen sind durch eine Schlagleiste getrennt. In den
Füllungen, die wie sämtliche glatten Teile der Vorderseite mit Eschenholz
fourniert sind, hübsch gearbeitete Griffe. Über dem Untergeschoß ein nach
allen Seiten etwas hervortretendes Zwischengeschoß mit drei Schubladen.
Dann folgt das in seiner Zusammensetzung dem unteren ganz gleiche Ober-
geschoß und über diesem der wie das Untergestell abnehmbare Aufsatz. Die
Anordnung der Dekoration ergibt sich aus der Abbildung. Den äußeren
Rahmen der Schrankgeschosse bilden vorspringende Leisten mit geschnitzten
Füllungen (Weinranken). Daneben ein vertiefter innerer Fries mit Maßwerk-
ornament, bezw. einem hübschen aus Maßwerk und einer lindenblattähnlichen
Form zusammengesetzten Motiv. Die durchbrochenen, in Lindenholz ausge-
führten Schnitzereien sind auf
blauem, resp. rotem Grund be-
festigt. In der oberen Abtei-
lungtreten an Stelle der Ranken-
füllung Nischen mit Heiligen-
figuren, links der hl. Sebastian,
rechts oben der hl. Georg. Im
Zwischenteil sind an den Schub-
laden und den Zwischenräumen
zwischen diesen in analoger
Weise Maßwerk füllungen ange-
bracht auf grünem und rotem
Grund. Am hohen mit Zinnen-
kranz versehenen Aufsatz ist
wieder durchbrochenes Maß-
werk verwendet. Die Seiten-
teile haben großblätteriges Ran-
kenwerk auf ausgestochenem
Grunde, der grün gefärbt ist.
An dem Rankenwerk sind sämt-
liche kleinen Rundstäbe, dunkel
und hell, in Windungen, einge-
legt. Die Arbeit ist eine unge-
mein sorgfältige und schöne,
das ganze Werk ein Meister-
werk der hoch entwickelten
Tiroler Schreinerkunst. Der
Schrank ist 2,62 m hoch, 1,93 m
breit und 0,72 m tief.
Das zweite Exemplar, Fig.
115 hat denselben Aufbau, nur
sind die ornamentalen Teile
etwas anders behandelt. In
der Dekoration überwiegen die Fi^. in. schrank aus Köln. Anf. des 16. Jahrh.
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70 DIE HOLZMÖBBL DES GERMANISCHEN MUSEDM&
vegetabilischen Elemente, krauses, bisweilen krautartiges Blattwerk die Maß-
werkteile. Der Mittelteil ist bei diesem Schrank mit dem Obergeschoß fest
verbunden und enthält keine Schubladen. Er ist zweiteilig gestaltet und zeigt
vor mäßig tiefen Hohlräumen das in der Tiroler Holztechnik so beliebte
durchbrochene Gitterwerk. Die Türen enthalten in der Füllung geschnitztes
Maßwerkornament. Der Aufsatz ist hier massiv, nicht durchbrochen gear-
beitet. Sämtliche aufgelegte Schnitzereien sind an diesem Schranke vergoldet
und mit Ausnahme der Füllungen, wo sparsam graugrüner Grund verwendet
ist, auf hellblauem Grund, was diesem Schranke ein noch festlicheres Ansehen
gibt als dem vorbeschriebenen. Seitlich sind Mittelstück und Aufsatz mit
großblättrigem Rankenwerk auf ausgestochenem Grund bedeckt (Gelb auf
Blau), während Untersatz und Geschoßseiten in derselben Musterung nur be-
malt sind. Auch hier sind die Rundstäbe der Profilierungen in Windungen
hell und dunkel eingelegt. Bei diesem Schranke ist im Obergeschoß auch
die erhaltene alte Einteilung von einigem Interesse. Das obere Schrankfach
ist zunächst durch zwei horizontale Bretter in drei Abteilungen geteilt. Die
untere höhere Abteilung hat links ein Geheimfach, dessen Außenseite aller-
dings durch ausgestochenes Ornament recht kenntlich gemacht ist, wobei der
Grund geschwärzt ist. Außerdem eine Reihe kleiner Gefache an der Rück-
seite mit dem üblichen verschiebbaren Vorderverschluß, ebenfalls mit ausge-
stochenem Ornament. An diesem Schrank sind seitliche Handhaben ange-
bracht. Er ist 2,98 m hoch, 2,15 m breit, 0,72 m tief.
Von einem gleichartigen, aber nach den Stilformen vielleicht ein oder
zwei Dezennien jüngeren Schrank tirolischer Herkunft besitzt das Museum
ein Bruchstück, nämlich ein Schrankgeschoß. Die innere Umrahmung besteht
hier nur in der äußeren Füllung mit elegant geschnitztem Blattwerk und reicher
Profilierung, die Einlegearbeit in Renaissanceformen zeigt. Unter den beiden
ganz einfach gehaltenen Türen läuft ein ähnlicher durchbrochener Fries. Der
Grund und die Kehlen der Profilierungen sind blau. Das eine Seitenteil
zeigt buAt bemaltes, ausgestochenes Ornament, das zugleich in einem Spruch-
band die Datierung enthält : »ain guet caitigs (zeitiges?) neus jar 1512.c Höhe
1,76 m, Br. 1,70 m, T. 0,73 m.
Ein ziemlich viel späterer und eigentlich seiner Datierung nach schon ganz
der Renaissance angehöriger Schrank ist in Fig. 116 abgebildet. Einer im
Museum lebendigen, aber nicht verbürgten Tradition nach soll der aus der
Sammlung des Freiherm v. Aufseß herkommende Schrank aus Augsburg
stammen. Das Schema des Schrankes ist dasselbe, wie bei den Tiroler
Schränken, das Fußgestell fehlt und ist durch einen modernen Bretterunter-
satz ersetzt. Die Anordnung der Türen ist eine etwas andere, sie sind nicht
unter der Mitte der Geschosse zusammengerückt, sondern durch einen pfeiler-
artigen Mittelfries ist eine symmetrische Zweiteilung dpr ganzen Schrankvor-
derwand erreicht. In den beiden Feldern der Schrankgeschosse sind die auch
hier mit Schlagleisten versehenen Türen in die Mitte gesetzt. Der ebenfalls
aus weichem Holz gebaute Schrank ist wiederum in allen glatten Teilen mit
dunkel gebeiztem Eschenholz fourniert, außer an den angestrichenen Seiten,
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VON DR. HANS STEGMANN.
71
die wieder je zwei Handhaben enthal-
ten. In ebenso starkem Maße als die
Schnitzerei ist an diesem Schrank die
gegen das Ende des 16. Jahrhunderts
immer mehr in Aufnahme gelangende
Intarsia verwendet. Geschnitzt sind die
einrahmenden und die Mittelfüllungen,
und zwar erheben sie sich über blauem
Grunde. Das Ornament verwendet distel-
artiges Blattwerk, ebenso in dem durch-
brochenen, mit zwei kleinen Wappen
geschmückten und mit einem Zinnen-
kranz bekrönten Aufsatz. Die schmalen
Türfüllungen tragen in Intarsia je einen
Turm, die Vorderseiten der drei Schub-
laden des Mittelteils geometrische Ver-
zierungen in derselben Technik. Die
vier Zwischenstücke zwischen den Schub-
, laden enthalten geschnitzt die Ziffern
des Entstehungsjahres 1540. Recht ge-
schickt fügt sich das zierliche Eisen-
beschläge dem reichen und geschmack-
vollen Gesamteindruck ein. Die Höhe
beträgt 2,30 m, die Breite 1,57 m, die
Tiefe 0,54 m.
Mit dem obengenannten Schranke,
der schon der Mitte des 16. Jahrhun-
derts angehört, ist die Reihe der ober-
deutschen gothisierenden Schränke ab- Fig. IIS. Niederdeutscher Schrank.
geschlossen. Die frühesten nieder- i. Hälfte des 16. Jahrh.
deutschen Schränke des Germanischen
Museums dürfen wir ebenfalls nicht gothisch, sondern gothisierend nennen;
über den Anfang des 16. Jahrhunderts geht bei keinem die Entstehung
zurück. Von den charakteristischen, frühen niederdeutschen Schränken der
niedersächsischen Gauen besitzt das Museum leider kein Beispiel. Dem Typus,
wie er in den Berliner und Hamburger Sammlungen und in Lüneburg ver-
treten ist, werden wir allerdings an den Renaissanceschränken und denen
der bäuerlichen Wohngeräte noch begegnen. Aus dem Beginn, bezw. der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, besitzt das Museum nur einige nieder-
rheinische Stücke.
Der vielleicht älteste davon ist der in Figur 117 wiedergegebene. Er
ist außerdem unter den Schränken mit figürlichem Schmuck ohne ornamen-
taler Schnitzerei in Eichenholz derjenige, der am meisten Altes enthält. Der
Schrank stammt aus Köln. Im Aufbau stellt derselbe einen ganz einfachen
rechteckigen Kasten vor; die glatten Seitenwände scheinen alt zu sein. Die
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72 DIB HOLZMÖBBL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Schlagleiste der Tür, der obere abschließende Sims sind modern. Vermut-
lich haben wir es mit Teilen eines ursprünglichen Wanaschrankes zu tun.
Darauf weist auch der Umstand hin, daß die Türen die ganze Höhe und
Breite der Vorderseite einnehmen. Die Türen lassen sich ungefähr auf die
Zeit um 1520 — 1530 datieren. Die schmalen Türflügel zerfallen in je drei
Abteilungen, deren untere beiden Füllungen mit dem in den Rheinlanden so
Fig. 119. Rheinischer Stollenschrank. 1 Hälfte des 16. Jahrh.
beliebten Motiv des »gefalteten Pergament« geziert sind. Die Gestaltung der
Pergamentrollen mit Ohren, zeigt schon einen gewissen barocken Zug. In
den beiden oberen Abteilungen stehen in gothisierenden Nischen die Figuren
von Petrus und Paulus, recht annehmbare Arbeiten des Schnitzmessers. Die
Höhe beträgt 1,38 m, die Breite 0,86 m, die Tiefe 0,49 m.
Noch weniger als der vorige möchte der zweite rheinische Schrank
dieser Gattung (Taf. IV) Anspruch erheben können, als altes Möbel im eigent-
lichen Sinne angesprochen zu werden. Der ganze Schrankaufbau ist neu und
wird augenscheinlich nach dem rheinischen alten Originale hergestellt worden
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VON DR. HANS STEGMANN.
73
sein. So ist das an sich sehr schöne Stück eigentlich mehr als Werk der
Holzplastik, denn als Möbel wichtig. Alt sind nur die geschnitzten Füllungen,
resp. die Türen und Schubladenvorderteile nebst den eisernen Beschlägen,
sowie die Schubladenkästen. Interessant ist aber die Einteilung dieses
Schrankes, die sich ausnahmsweise ähnlich derjenigen der oben geschilderten
oberdeutschen Schränke gestaltet. Zwei Schrankgeschosse mit je zwei ge-
Fig. 120. Rheinischer Stollen seh rank. 1. Hälfte des 16. Jahrh.
trennten Behältern, ein niedriges Mittelteil mit zwei Schubladen. Nieder-
deutsch ist die unregelmäßige Feldereinteilung zu drei, zwei, drei, wenn diese
der ursprünglichen Gestaltung getreu entspricht. Die Schnitzereien stellen
im oberen Geschoß in zwei getrennten Bildern die Verkündigung Maria, da-
zwischen in dem schmalen Mittelfeld den Drachentöter St. Georg dar. Auf
den Schubladen, je durch die Schloßbleche getrennt, ein lagerndes Musikanten-
und ein Liebespaar. Im Untergeschoß, zwei Szenen aus der Geschichte des
Simson seitlich , in der Mitte die ganz michelangelesk aufgefaßte Gestalt
eines Propheten oder Apostels ohne Attribut. Sowohl die architektonische
Mitteilimgen aus dem german. Nationalmuseum. 1905. 10
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7^ DIE HOLZMÖBBL DES GERMANISCHEN BCUSEUMa
Umrahmung der geschnitzten Reliefs, die zwischen Gotik und Renaissance
mit stärkerer Hinneigung zu letzterer schwankt, als die ganz vorzüglichen,
frei und flott hingesetzten Figurendarstellungen beweisen, daß das Stück nicht
viel vor der Mitte des 16. Jahrh. von einem sehr tüchtigen Bildschnitzer her-
gestellt worden sein muß. Der Schrank ist 1,50 m hoch, 1,33 m breit und
0,58 m tief. Die der Vorderseite folgende Einteilung der Schmalseiten hat
mehrere Pergamentrollenfüllungen, ebenso die Rückseite.
Bei dem in Fig. 118 im Bilde vorgeführten Schrank, befinden wir uns
in mehrfacher Beziehung auf unsicherem Boden. Über Provenienz und Ent-
stehungsort ist nichts bekannt. Weiter weist ihn eigentlich die ausgeprägte
Renaissancedekoration des Rankenfrieses, die Profilierung des Hauptsimses
und dessen Zahnschnitt aus der Mitte der wenigstens äußerlich mittelalterlichen
Möbel, die wir bisher betrachtet haben. Andererseits finden sich in dem
dreigeschossigen Aufbau und der geschmackvollen Verwendung des dünn-
gebildeten, gotisierenden Beschläge noch stärkere Anklänge an das verblühende
Mittelalter, als an die neue Zeit. Den Schrank der niederdeutschen Gruppe
zuzuzählen, veranlaßt einzig das Material, dunkelbraun gefärbtes Eichenholz.
Das ganz in seinem ursprünglichen Teilen erhaltene Möbel ist freistehend ge-
bildet und mißt 1,66 m in der Höhe, 0,71 m in der Breite und 0,37 m in
der Tiefe.
Schließlich haben wir unter den in mittelalterlichen Stilformen gehaltenen
Schränken auch noch zwei sogenannte »Stollenschränke« zu verzeichnen.
Dieselbe bilden, ebenfalls in Eichenholz ausgeführt, eine Spezialität des
Niederrheins und der angrenzenden Niederlande. Man geht wohl nicht fehl,
wenn man ihren Ursprung vom französisch-burgundischen Nachbarland an-
nimmt. Dort hatte der wachsende Komfort des fürstlichen und ritterlichen
Lebens das Bedürfnis gefühlt, einen Schauschrank für die Prunkgefäße der
Tafel, der sich stufenförmig aufbaute, zu schaffen, in vielen Fällen wird damit
eine Art Anrichteschrank, das heutige Büfett, damit verbunden gewesen sein.
Der Stollenschrank stellt eine Vereinfachung des französischen »dressoir« dar.
Zwischen vier oder mehr Stollen, die das eigentliche Skelett des Möbels bilden,
befindet sich in geringer Höhe eine horizontale Holzplatte, wohl stets zur Auf-
nahme größerer Hohlgefaße bestimmt. Weiter oben, meist etwa 1 m vom
Boden entfernt, findet sich ein niedriges Schränkchen, manchmal mit einer
Schublade darunter. Darüber eine flache Platte, in schwacher Manneshöhe,
um Platten oder sonstige Tafelgeräte daraufzustellen.
Die beiden gotischen Stollenschränke des Museums, die in Fig. 119 und
120 abgebildet erscheinen, sind insofern keine ganz einwandfreien Exemplare,
als bei ihnen, wie bei der übergroßen Mehrzahl aller in öffentlichen und pri-
vaten Sammlungen befindlichen Möbeln, nur das Schnitzwerk alt ist, alles
übrige aber modern. Wie weit die Restauration hier getreu einem jedenfalls
vorhanden gewesenen, aber stark zerstörten Original gefolgt ist, läßt sich
schwer entscheiden. Der eine dieser Stollenschränke bildet ein halbes Achteck
mit fünf Seiten, von denen die vorderste die breiteste, die seitlichen senk-
rechten die schmälsten sind. Die Rückwand reicht voll bis zum unteren
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VON DR. HANS STKGBIANN. 75
horizontalen Abschluß, die vier vorderen freistehenden Stollen von fünfseitigem
Durchschnitt, haben einfache gotische Profilierung. Die fünf Schauseiten des
eigentlichen Schränkchens zieren fünf stark erneuerte oder nachgeschnittene,
geschnitzte Ranken- und Blattfüllungen, die auf einen rötlichen Grund aufge-
legt sind. Die Maße sind 1,58 m Höhe, 1,06 m Breite und 0,67 m Tiefe.
Bei dem zweiten abgebildeten Exemplar sind wenigstens die Füllungen
in ihrem ursprünglichen, alten Zustand belassen. Der Grundriß des Schrankes
ist rechteckig, an den Seiten sind Rollfüllungen, senkrecht und wagrecht an-
geordnet worden. Die geschnittenen drei Füllungen an der Vorderseite des
eigentlichen Schrankraumes zeigen eine Kombination von Maßwerk und vege-
tabilischem Ornament, die Vorderseite der unteren Schublade eine Weinranke
über sich überschneidenden Halbkreisen. Die Schnitzereien gehören der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts an. Höhe 1,59 m, Br. 1,12 m, T. 0,56 m.
In den sämtlichen Stücken, die bisher betrachtet wurden, haben wir es
in der Dekoration schon mit den Vorboten einer neuen Zeit zu tun. Sie
gehören dem Obergang von der Gotik zur Renaissance an. Die Tendenz,
welche diese letzten Ausläufer des Mittelalters kennzeichnen, ist das bewußte
Fortschreiten vom Einfach-Praktischen zu immer mehr gesteigerter Dekoration,
sogar mitunter auf Kosten der leichten Brauchbarkeit. Die Schranktypen
änderten sich daher im weiteren Verlaufe des 16. Jahrhunderts wenig. Es
handelte sich nur noch darum, an Stelle der schon nicht mehr mit vollem
Stilgefühl behandelten gotischen Dekorationsmotive in bewußter Weise dem
antikisierenden Renaissanceornament an allen Stellen zum siegreichen Durch-
bruch zu verhelfen.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Die vorrOmischen Schwerter aus Kupfer, Bronze und Eisen. Von Dr. Julius
Naue. Mit einem Album mit 45 Tafeln Abbildungen. München 1903. Verlag der k.
priv. Kunstanstalt Piloty u. Loehle. VIII und 126 Seiten. 4.
Mit diesem Werke hat die prähistorische Forschung einen sicheren Schritt vor-
wärts getan. Das ist bei dem derzeitigen Stande dieser Wissenschaft überhaupt nur erst
möglich auf dem Wege der Spezialuntersuchungen, durch weise Beschränkung auf einen
einzelnen Gegenstand , eine bestimmte Frage , die mit allen Mitteln umfassender Denk-
mälerkenntnis zu ergründen gesucht wird. Zur Lösung größerer Probleme , zur Fest-
stellung der ursprünglichen Wohnsitze einzelner Völker, ihrer Wanderungen, der Aus-
breitung ihrer Kultur und Kunst in jener fernen Vorzeit ist der Boden noch nicht hin-
länglich bereitet und Hypothesen auf diesem Gebiete pflegen zwar ganze Ströme von
Tinte und Druckerschwärze zu entfesseln , sind aber häufig mehr geeignet, die ruhige
Entwicklung der prähistorischen Wissenschaft; zu hemmen, als sie zu fördern.
Gleichwohl ist es keineswegs eine geringfügige Sache, eine unwesentliche Ent-
wicklungsreihe im Bereiche der urgeschichtlichen Altertumskunde, deren Klarlegung sich
der um die Erforschung der Prähistorie namentlich Süddeutschlands so hoch verdiente
Verfasser diesmal zum Ziel gesetzt hat. Eine wie hervorragende Rolle das Schwert in
primitiven Kulturen spielt und vor allem gespielt hat, ist bekannt genug. Eine Geschichte
des Schwertes, die leider noch immer fehlt, würde gerade für die früheren und frühsten
Epochen zugleich — im Umriß - eine Geschichte des künstlerischen Geschmacks wie
des menschlichen Intellekts in sich begreifen können. Eben hierzu liefert Naue mit
seinem Buche, der Frucht mehrerer Jahrzehnte — schon 1884 hatte der Verfasser in
der anthropologischen Gesellschaft zu München einen Vortrag über die prähistorischen
Schwerter gehalten, als dessen Erweiterung er selbst die vorliegende Arbeit bezeichnet
— , einen überaus wertvollen Beitrag. Mit gründlichster Kenntnis sowohl der einschlägigen
Litteratur wie auch des Bestandes der europäischen Museen und Sammlungen an prä-
historischen Denkmälern ist er an seine Aufgabe, eine Entwicklungsgeschichte des Schwertes
von seinen ersten Anfängen bis zur Zeit der Begründung des römischen Weltreiches dar-
zubieten, herangetreten. Mit richtiger Einsicht in die Gefahren , die jedes Abirren vom
festen Boden der Tatsachen in sieht birgt, hat er sich in erster Linie von den Denk-
mälern selbst und ihrer Formensprache leiten lassen, für die chronologische Einordnung
der einzelnen Schwerterfunde nur zuverlässig überlieferte Begleitumstände und besser,
daher ihrem relativen Alter nach genauer bekannte Beigaben, w^ie namentlich Ge-
wandnadeln und Tongefaße, zu Rate ziehend. Die absolute Zeitbestimmung, wenn auch
gelegentlich nach den Untersuchungen und Aufstellungen von Montelius, Ohnefalsch-
Richter und anderen vorsichtig angedeutet, tritt dagegen durchaus in den Hintergrund.
Einer Arbeit von solcher Tiefgründigkeit und Gewissenhaft:igkeit gegenüber hat
der Kritiker, der nicht mit denselben reichen Spezialkenntnissen ausgestattet ist, einen
schweren Stand. Er wird dabei wie von selbst lediglich zum Referenten werden. Und
so beschränke denn auch ich mich darauf, zu betonen, daß mir bei sorgfältiger Lektüre
des Buches der Gedankengang überall folgerichtig und zwingend, die Entwicklungsreihen,
die uns hier — und zwar zum erstenmal in solchem Umfange — geboten werden, durch-
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
77
aus klar und im wesentlichen geschlossen erschienen sind. Ich glaube daher der Sache
zu nützen, wenn ich im folgenden den Inhalt des Naue'schen Werkes kurz darlege. Ist
es doch trotz der dem Buche in dankenswerter Fülle beigegebenen Register und tabellen-
artigen Verzeichnisse nicht immer leicht, zum eigentlichen Kerne vorzudringen ; denn im
schweren Panzer ernster, hoher Wissenschaft schreitet der Verfasser einher.
>Das Studium der ältesten Bronzeschwerter«, so beginnt Naue, »läßt ihre Ent-
stehung aus den Dolchen erkennen« und zwar leiten sie sich von den Kupferdolchen
her, wie solche — noch nicht gegossen, sondern gehämmert oder geschmiedet — bisher
aus Ägypten, Cypem, Syrien, Italien, Österreich und Spanien bekannt geworden sind.
Die cyprischen Dolche dieser Art mögen nach Ohnefalsch-Richter etwa der ersten Hälfte
des dritten Jahrtausends vor Christi Geburt angehören. Aus annähernd der gleichen
Zeit stammen auch bereits die frühesten cyprischen Kurz- und Lang - Schwerter , die,
gleichfalls noch aus Kupfer geschmiedet, zusamt einigen in Siebenbürgen und Spanien
gefundenen Kupferschwertern (Typus I: Tafel II, 4 bei Naue*)) und zwei in ihrem nun
weniger rautenförmig als sternartig gebildeten Klingendurchschnitte sich von jenen Dol-
chen mehr entfernenden, daher wohl etwas jüngeren Kupferschwertern aus der Felsnekro-
pole von Hagia-Paraskevi auf Cypem (Typus la: Tafel III, 1) zu den frühesten Bronze-
schwertern, nämlich jenen der Schachtgräber von Mykenae hinüberleiten. Diese in vor-
züglichem Guß ausgeführten Schwerter scheiden sich in zwei Gruppen. Die Schwerter
der einen Gruppe unterscheiden sich von den ihnen zunächst verwandten Paraskevi-
Schwertern wesentlich dadurch, daß an Stelle der bis dahin üblichen Griffangel eine sehr
kurze und schmale, einmal durchlochte Griffzunge getreten ist (Typus Ib: Tafel III, 3),
die sich bei den Schwertern der anderen Gruppe als breit und ziemlich lang, dazu mit
niederen Seitenrändern zur Aufnahme der Griffschalen versehen darstellt (Typus Ic:
Tafel III, 4). Fünf bis sechs kurze starke Griffnägel mit flachen oder fiachrunden Köpfen
dienten hier ehemals zur Befestigung solcher Schalen, von denen, da sie wohl in der
Hauptsache aus Holz hergestellt waren, nur hin und wieder der dünne Goldbelag auf
uns gekommen ist, während sich die notwendig anders geformten, nur durch einen
dicken Nagel mit der in sie eingelassenen Griffangel fest verbundenen Bein- oder Ala-
basterknäufe von Schwertern der ersteren Gruppe besser erhalten haben. Sowohl vom
Typus Ib wie vom Typus Ic gibt es einige Schwerter, deren Klingen mit flach erhabenen,
scharf umrissenen Tierbildern, Figuren von Pferden und Greifen, geschmückt sind. Alle
diese Schwerter aus den Schachtgräbern von Mykenae gehören der Zeit um 1500 v. Chr.
an. Wie sie aller Wahrscheinlichkeit nach in direkter Anlehnung an jene cyprischen
Kupferschwerter entstanden sind, so haben sie andererseits wieder einer Anzahl in Sizilien
gefundener Schwerter etwa des 12. vorchristlichen Jahrhunderts offenbar als Vorbilder
gedient. Zeitlich dazwischen, um 1400 vor Chr., mögen einige Bronzekurz seh werter
anzusetzen sein, die aus dem Typus Ic hervorgegangen sind (Typus Id: Taf. V, 3) und
gelegentlich (Jaly3os, Mykenae) parierstangenartige Griffe aufweisen (Typus Idd: Taf. V, 4).
Eine interessante Variante dieses letzteren Typus bildet das bei Hammer in der Nähe
von Nürnberg gefundene Lang seh wert von Bronze (Taf. V, 5). »Diese schöne seltene Waffe
ist sicher ein Importstück und wahrscheinlich griechischen Ursprungs.« Italien dagegen
ist wohl zugleich auch die Heimat der dort häufig auftretenden Bronzeschwerter mit
meist olivenblattförmigen, sehr spitzen Klingen und denen des Typus Id ähnlichen ge-
ränderten Griffen, dazu Scheiden aus starkem Bronzeblech, die zumeist mit fein eingra-
vierten Zickzacklinien, »Wolfszähnen« u. s. w. verziert sind und unten in einen kunstvoll
angegossenen Zapfen mit zwei oder drei Knöpfen endigen (Typus le: Tafel V, 6; Scheide
mit intere.ssanten Frosch- und Schwertdarstellungen: Taf. VI, 2). Nach Montelius stammen
die frühesten Schwerter dieser Art aus der Zeit von 1100—1000 v. Chr.
*) Für die freundlichst erteilte Erlaubnis zur Wiedergabe eines Teils der seinem Werke beigregebenen
Abbildungen möchten wir nicht verfehlen Herrn Professor Naue, sowie der Verlagsbuchbandiuug auch an dieser
Stelle unseren verbindlichsten Dank zu sagen. Die Abbildungen sind bei uns in '/^ der Gröfse gegeben, in der
sie auf Naues Tafeln erscheinen.
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78
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Gleichfalls nach Italien und zwar nach Mittelitalien verlegt Naue, wesentlich in
Obereinstimmung mit Montelius, die Entstehung eines anderen Schwerttypus, als dessen
Hauptvertreter das von Schliemann in dem cyklopischen Hause auf der Akropolis von
Mykenae gefundene Bronze-Langschwert zu betrachten ist (Typus II: Tafel VI, 3), das
danach also nicht mehr als »jüngeres Mykenaeschwert« bezeichnet und als ein Prototypus,
»der aus Ägypten nach Griechenland gelangte und von hier aus seine Verbreitung nach
Mittel- und Nordeuropa nahm<, angesehen werden darf. Die fast geraden, sich allmählich
zuspitzenden Klingen der Schwerter dieses Typus, sodann die ziemlich starke, gewölbte,
oben anschwellende und gerundete Mittelrippe der Klingen, endlich die mit niederen
Rändern versehene, unten fast halbkreisförmige Griffzunge, die in den sanft geschwungenen
Griffteil übergeht und in zwei hörnerartige Ansätze endet, lassen die Schwerter des Typus II
den Kurzschwertern des Typus Id näher verwandt erscheinen als jenen älteren in den
Schachtgräbern gefundenen Mykenaeschwertern. Und da man sie allgemein in die Zeit
um 1200 vor Chr. zu setzen pflegt. Hegt es nahe, ihnen Einfluß auf die Formentwicklung
des jüngeren Typus le beizumessen, der vielleicht von ihnen den unteren Griffabschluß
entlehnte, während der Knauf von den griechischen Kurzschwertern des Typus Id her-
übergenommen wurde. In Mittel- und Unteritalien allein wurden bisher 18 Bronze-
schwerter vom Typus II gefunden. Außer jenem Akropolisschwert gesellt sich auch
ein allerdings jüngeres Eisenschwert, das in einem gräco-phönikischen Grabe zu Kurion
auf Cypem gefunden wurde und sich jetzt in Naues eigenem Besitz beflndet , ihnen
hinzu; andere Schwerterfunde aus der Balkanhalbinsel, der Schweiz, Nord- und Süd-
deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Österreich und Ungarn, die zum großen
Teil allerdings erheblich später zu datieren sind, da es wohl geraume Zeit gedauert haben
wird, bis Bronzeschwerter dieses Typus nach Mittel- und Nordeuropa gelangten, schließen
sich an.
Die nächste Umformung des Typus 11 scheint in Ungarn am Ende der älteren oder
zu Beginn der jüngeren Bronzezeit vor sich gegangen zu sein. Charakteristisch sind für
diese »ungarischen Schwerter Typus IIa< (Tafel IX, 1, 2) namentlich die sich nach
unten verbreiternden, dann in eine mehr oder weniger lange Spitze ausgehenden, im übrigen
meist dachförmigen und mit feinen Rippen (parallel den Schneiden) verzierten Klingen,
die weit nach außen gehenden GrifOAügel und die Griffzungen, die, zunächst flach nach
aulSen gewölbt und mit zwei niederen Hörnern abschließend (Tafel IX, 1), bei etwas
späteren Schwertern stark ausbauchen und in zwei mehr oder weniger breite Hörner
übergehen (Tafel IX, 2). Der Typus tritt uns in ungarischen Funden besonders häuflg
entgegen, doch kennen wir auch aus Österreich, Nord- und Süddeutschland, Schweiz,
Frankreich und Sizilien Vertreter desselben.
Daneben entwickelt der Norden Europas offenbar direkt aus dem Typus II jene
oft sehr langen Bronzeschwerter, »die sich von den ungarischen wesentlich durch die
schöne Form der Klingen unterscheiden<, die ganz allmählich und sehr fein anschwellend
und in eine lange Spitze endigend, nicht sowohl, wie die ungarischen Schwerter, den
Eindruck des Wuchtigen machen, als vielmehr durch die Schlankheit ihrer Erscheinung
geschmackvoll erscheinen , fast elegant wirken — ein Unterschied, der ohne Zweifel in
dem feineren Schönheitssinne der nordischen Stämme seinen Grund hatte (»nordische
Schwerter Typus IIb«: z. B. Tafel X, 1). »Hieran reihen sich einige Bronzeschwerter
mit breiten, geraden und langen Klingen mit Mittelrippen« (»Typus IIc der nor-
dischen Schwerter«: z.B. Tafel X, 5), sowie die möglicherweise etwas jüngeren Bronze-
schwerter des Nordens, »welche allmählich sich verjüngende (nicht mehr oben ein-
ziehende) spitz zulaufende Klingen haben« (»nordische Schwerter Typus Ild«: z. B.
Tafel XI, 2).
»Aus dem Typus II, besonders aber wohl aus dem ungarischen Schwerter-Typus IIa
haben sich die zahlreichen Bronze- und Eisenschwerter entwickelt, die als Hallstattzeit-
Schwerter bezeichnet werden.« Einige spätere ungarische Schwerter mit mehr oder
weniger stark geränderten Griffen und mit oben ziemlich stark einziehenden und nach
unten mehr oder weniger anschwellenden Klingen (Tafel XI, 3) bilden dazu den Übergang,
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
79
die Vorstufe. Auch finden wir hier gelegentlich schon jene eigentümliche beiderseits
eine hakenartige Spitze schaffende Einziehung der Klinge an deren unterem Ende (z. B.
Taf. XI, 4), die uns dann bei den eigentlichen Hallstattzeit-Schwertern, den aus
Bronze gegossenen wie den aus Eisen geschmiedeten , alsbald wieder begegnet und ver-
mutlich zur Anlegung eines Riemens diente. Diese Schwerter insbesondere kennzeichnen
sich sowohl durch die Form ihrer Klingen als auch durch die Art ihrer Griffe und die
merkwürdige Bildung der Ortbänder, mit denen die Scheiden ausgestattet waren. Die
Klingen sind meistens sehr lang und mit einer sanft gewölbten, breiten und den Schnei-
den parallel gehenden Mittelrippe versehen. Diese wird bei den — übrigens älteren und
selteneren — Bronzeschwertern in der Regel, bei den jüngeren und häufiger vorkommen-
den Eisenschwertern wegen der Schwierigkeit des Schmiedens nur ausnahmsweise außen
von je einer sehr feinen und schön ausgeführten Rippe begleitet. Die Griffzungen enden
in einem viereckigen, flachen, oft mit einem Dorne versehenen Knaufe und haben ebenso
wie die Griffflügel entweder sehr niedrige oder gar keine Ränder. Einige der bei Hall-
statt gefundenen Schwerter haben elfenbeinerne Griffe und Knäufe, die reich mit Bern-
stein eingelegt sind, und das berühmte Eisenschwert von Gomadingen (Württemberg),
wohl eine Prunkwaffe für feierliche Gelegenheiten, ist am ganzen Griffe und am Griff-
knaufe mit Goldblech überkleidet. Die Verzierungen bestehen aus Dreiecken und einer
Art Mäander. Die Ortbänder endlich springen bei den älteren Bronzeschwertern der
Hallstattzeit beiderseits flügelartig vor, bei den jüngeren dagegen biegen sich die Flügel
nach unten und innen, sodaß etwa die Form der heraldischen Lilie entsteht (Tafel XI,
7 und 8—8 d). Von anderen Schwertern (und Dolchen) der jüngeren Hallstattzeit, Bronze-
waffen mit vollgegossenen Griffen, wird weiter unten die Rede sein.
Eine andere Entwicklungsreihe — oder sollen wir lieber sagen : eine andere Gruppe
von Entwicklungsreihen? — umfaßt die zahlreichen Bronzeschwerter ohne Griffzungen,
an die sich Schwerter mit kurzen Griffzungen ohne Ränder und solche mit Griffangeln
anschließen. Die Schwerter der ersteren Art leiten sich aus den fast triangulären Dolchen
und daraus entwickelten Kurzschwertern her, die, in Italien zuerst aufgekommen, von da
nach Frankreich, der Schweiz und Deutschland importiert und hier nun auch vielfach
nachgeahmt wurden. Naue bezeichnet diese Vorstufe alsTerramaretypus und stimmt
Montelins zu, der diese Dolche und Kurzschwerter der ersten Periode der Bronzezeit
zuweist. Die italienischen (z. B. Taf. XIII, 2) mögen der Zeit von 1950 bis 1800 v. Chr.,
die nordischen (z. B. Taf. XIII, 3: Schwert von Daher, Kreis Deutsch-Krone) etwa dem
folgenden halben Jahrhundert (1800—1750 v. Chr.) angehören.
Aus solchen verlängerten Dolchen also entstanden die der Mitte der älteren
Bronzezeit zuzuweisenden Kurz- und Langschwerter mit schilfblattähnlichen, dach-
förmigen Klingen , deren unten gerade abschließender Holz- oder Knochengriff mit zwei
kurzen, dicken, oben etwas gewölbten oder flachen Bronzenägeln an der Klinge befestigt
st (Typus III: Taf. XIII, 4 Kurzschwert aus der Oberpfalz, 41 cm lang; XIII, 5 Lang-
schwert aus Mollkirch im Unter-Elsaß, 52,8 cm lang, XIII, 5 a dessen Klingendurchschnitt
in natürlicher Größe). > Schwerter dieses frühen Typus sind außerordentlich selten. <
Eine Fortentwicklung zeigen diejenigen Bronzeschwerter, bei denen die im übrigen
gleichgeformten Klingen gegen den Griff zu in geschwungener Linie ausladen, dann
scharf absetzen, um nach kürzerer oder längerer Abschrägung horizontal abzuschließen
(Typus III a: Kurzschwert Taf. XIV, 1; Langschwert Taf. XIV, 2). Sie gehören der Zeit
von Mitte bis Ende der älteren Bronzezeit an. »Fast gleichzeitig mit diesen Schwertern
sind diejenigen, bei welchen der obere Klingenteil, der an die nach unten gerundeten
Griffflügel anschloß, mehr oder weniger gerundet gebildet ist.« Verschiedentlich tritt
dabei mehr oder minder reichliche Klingenverzierung auf (Typus Illb: Taf. XTV, 4).
Eher dem Beginne der jüngeren Bronzeperiode sind die folgenden Schwerter mit noch
schilfblattähnlichen Klingen, doch gerundeter oder kantiger Mittelrippe auf denselben
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80
UTBRABISCHB BBSPRECHUNOBN.
n. 4. m. 1. in. 3 ra.4. v, s . v.». v.s. v.e. vi. 2. vi, 3. ix.i. ix.2.
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XI, 3. XI, 4. XI, 7. XI. 8. 8a XI 8d
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xni, 2. xm, 3.
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UTERARISCHE BESPRECHUNGEN. 81
und mit abgeschrägtem oder gerundetem Klingenabschlusse zuzuweisen (Typus IIIc:
Taf. XV, 6).
»Den Typus IV vertreten diejenigen Bronzeschwerter, welche mit einer meistens
kurzen, sich nach oben verjüngenden Griffzunge versehen sind, über welche der Griff
geschoben und mit mehreren kleinen Bronzenägeln befestigt wurde.« (Taf. XVI, 4: Klinge
dachförmig, aus der Schweiz ; XVI, 6 : Klinge mit Mittelrippe, aus Ungarn). Aller Wahr-
scheinlichkeit nach aus den nicht entfernten Gußzapfen entwickeln sich dann weiterhin
an Stelle der Griffzungen mehr oder weniger lange Griffangeln, über welche die Griffe
eingefügt werden (Typus V: Tafel XVII, 3 und 4). An Schwerter dieser Art, die der
jüngeren Bronzezeit angehören, reihen sich unmittelbar jene in Nord-Italien ziemlich
häufig vorkommenden Schwerter aus dem Ende der Bronzezeit oder dem Anfange der
Eisenzeit, für die »der glockenförmige aus dem früheren herzähnlichen entstandene
Klingenäbschluß und die meistens im Durchschnitt viereckige lange Griffangel mit
stärkerem Zapfen« charakteristisch sind (z. B. Taf XVII, 9). Diesen italienischen ähnliche
Schwerter finden sich zahlreich auch diesseits der Alpen.
Gleichfalls an einige Dolche und Kurzschwerter des Terramaretypus und zwar
solche mit vollgegossenen Bronzegriffen (z. B. Taf XIX, 1) knüpft die im folgenden be-
handelte Entwicklungsreihe an. Ihren Klingen nach etwa den ebenfalls von den trian-
gulären Dolchen des Terramaretypus hergeleiteten Schwertern des Typus III b ent-
sprechend weisen einige offenbar mit diesen gleichzeitige Exemplare aus Bronze ge-
gossene Griffe auf, die »meistens reich mit eingeschlagenen Ornamenten, hauptsächlich
mit den für die älteste Bronzezeit charakteristischen langen »Wolfszähnen« verziert sind«,
neben denen auch Bänder, wohl ein Nachklang der die ursprünglicheren Holz- und
Knochengriffe zusammenhaltenden Bronzewickelungen, u. dergl. m. erscheinen (Typus A:
Taf XIX, 3). Die meisten dieser Schwerter stammen aus Norditalien. Nicht rein
cylindrisch, wie bei diesen, dazu ohne Verzierung ist der vollgegossene Griff bei einigen
Schwertern der älteren Bronzezeit, deren Klingen denen des Typus IIIc entsprechen und
die Naue bisher nur aus Süddeutschland und (eines) aus Ungarn kennt (Typus Aa: z. B.
Taf. XX, 3).
Einige dieser Schwerter mit wiederum zylindrischen und zuweilen auch einfach
verzierten Griffen leiten dann zu den Schwertern des folgenden Typus aus dem Ende
der älteren Bronzezeit über, »bei denen die ziemlich langen, zylindrischen und im Durch-
schnitt meist ovalen Griffe mit drei ovalen Bändern und einer großen runden, selten
ovalen (zum Zweck der Befestigung des Schwertes häufig durchlochten) Knaufplatte ver-
sehen sind, aus welcher ein niedriger kegelförmiger, oben schwach gewölbter Knopf
entspringt« (Typus B: Taf XXII, 3). Jene Bänder, wohl wieder eine Reminiszenz an
die frühere Art der Griffe, sind leicht erhaben, die Klingen gerade mit sanfter Verjüngung
zur Spitze, dachförmig und gegen den Griff zu mit einer etwa 4 cm langen gezähnten
Einziehung; der Guß der Klingen wie der Griffe ist tadellos, ihre ZusammenfQgung
äußerst präzis. Hierher sind auch jene im übrigen gleichartigen Schwerter zu rechnen,
an deren Griffen die breiten Felder zwischen den Bändern, die Knäufe und Grififflügel
mit vertieften Ornamenten, einfachen Spiralen oder Doppelzickzackeh, verziert sind (vgl.
Taf. XXII, 4 im Inn bei Kraiburg in Oberbayern gefunden). Dagegen scheinen die ver-
mutlich auch etwas jüngeren allerdings sehr selten vorkommenden Schwerter mit nach
oben verjüngten oder nur ein feines Oval bildenden Griffen, deren außen etwas abge-
schrägte, unten gerade GriffHügel sich nach innen derart zuspitzen, daß sie fast einen
unten offenen Kreis bilden, eine weitere Entwicklungsstufe zu bezeichnen (Typus Ba:
Taf. XXII, 6 gefunden in der Nähe des Chiemsees). Mit »Typus C« bezeichnet sodann
Naue »diejenigen Bronzeschwerter, bei welchen die zylindrischen Griffe anstatt der er-
habenen Bänder vertieft eingeschlagene Linienbänder mit und ohne verzierte Zwischen-
felder haben« (Typus C: Taf XXIII, 2 bei Cannstatt im Neckar gefunden). Der Zeit nach
mitteilanveo ans dem gennan. NationalmuBeom. 1905. 11
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ogi
82
UTERARISGHE BESPRECHUNGEN.
xm. xrv, XIV,
XIV,
4.
XV.
6
XVI. XVI, xvn, XVII. xvn, xix,
4. 6. 3. 4. 9. 1.
xxn, 4.
XXII, 3.
XXIV, 4. XXV. 4
XXIV, 9.
XXIV. 11
XXV. 6».
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
83
mögen die zuletzt besprochenen beiden Typen (Ba und C) der jüngeren Bronzezeit an-
gehören, etwa bis zur Mitte derselben reichen.
Man hat bisher fast allgemein angenommen, daß alle diese zuletzt besprochenen
Schwerter des Typus B, Ba und C aus Ungarn stammten, wo ähnliche, offenbar den
gleichen Zeitepochen angehörende Bronzeschwerter in verhältnismäßig großer Zahl ge-
funden worden sind. Allein die ebenfalls nicht ganz unbeträchtliche Menge der in Süd-
deutschland, Oberösterreich u. s. f. zu Tage geförderten Schwerter dieser Art und vor
allem gewisse charakteristische Abweichungen, welche die ungarischen Schwerter auf-
weisen, lassen diese Ansicht noch nicht als durchaus haltbar erscheinen. Den eigent-
lichen ungarischen Schwertern wird vielmehr vorderhand, d. h. nach dem heutigen Stande
der Forschung, eine der oben skizzierten parallel gehende Sonderentwicklung zuzuerkennen
sein, wobei freilich Beeinflussungen herüber und hinüber keineswegs ausgeschlossen sind,
wie denn auch ein Export ungarischer Schwerter in alter Zeit tatsächlich bestanden zu
haben scheint. Darauf deuten mehrere in außerungarischen Ländern bis nach Schweden
hinauf gefundene Schwerter mit den speziellen Eigentümlichkeiten der ungarischen
Schwerter mit ziemlicher Sicherheit hin.
Zu jenen Eigentümlichkeiten nun gehören nach Naue die abweichende Form der
Klingen, die von oben nach unten allmählich anschwellen und in eine mehr oder weniger
lange Spitze endigen, ferner die allgemeiner auftretenden nicht zylindrischen, 'sondern
sich nach oben verjüngenden oder im Umrisse ovalen Griffe und besonders die keine
eigentliche Spirale zeigenden »ungarischen Spiralmotive«, mit denen ein ansehnlicher
Teil der Ornamentation bestritten wird (Tafel XXIV, 11 zeigt eine>echte«, 12 — 16 mehrere
»ungarische« Spiralen). Danach teilt nun Naue entsprechend der obigen Gruppierung
auch diese Schwerter in »ungarische Schwerter des Typus Aa (Taf. XXIII, 6 mit
noch rein zylindrischem GriflO, B (z. B. Taf. XXIII, 11), Ba (z. B. Taf. XXIV, 4)« und läßt
von diesen letzteren, die noch durch ihre großen scheibenförmigen Knäufe mit niederen
kegelförmigen oder pilzartigen Knöpfen besonders charakterisiert sind, einen weiteren
»Typus Bb der ungarischen Schwerter« abzweigen, dessen Vertreter den Knauf
zur Schalenform entwickelt zeigen (z. B. Taf. XXIV, 9).
Zu dem folgenden Haupttypus leiten sodann diejenigen Schwerter über, »bei
welchen der etwas ovale, mit vertieften Linienbändern, konzentrischen Kreisen, Reihen
kleiner Halbmonde, Wolfszähnen u. s. w verzierte Griff entweder nach unten und innen
abgeschrägte oder gerundete Griflfflügel hat«, der Klingendurchschnitt in der Regel linsen-
förmig ist (Obergangstypus C zu D: z. B. Taf. XXV, 4). Jener Haupttypus selbst kenn-
zeichnet sich durch »die im Durchschnitt achteckigen, im Umriß mehr oder weniger
ovalen, zumeist reich verzierten Griffe, die ovalen oder spitzovalen Griffknäufe und
Knöpfe, die unten nach innen abgeschrägten spitzigen GriffHügel und die meistens mit
Mittelrippe versehenen Klingen« (Typus D: z. B. Taf. XXV, 6 in einer Lehmgrube bei
Englschalking, bei München, gefunden, jetzt im Bayerischen Nationalmuseum; dazu 6a:
der Griffknauf von oben gesehen). Allmählich werden die Griffe länger und schlanker,
die Knaufplatten erhalten eine gedrückt runde Form, die Griffflügel laufen in geschwungener
Linie in scharfe Spitzen aus (Übergangstypus D zu E: z. B. Taf. XXVI, 5, 5a).
Dann nehmen die Griffe, sich nach oben stark verjüngend, eine schön geschwungene
Form an, während sich die unten abgeschrägten Griffflügel mehr nach außen runden und
innen statt des bisherigen Dreiviertelkreises einen Halbkreis bilden (Typus E: z. B.
Taf. XXVII, 1). Gelegentlich mitgefundene Beigaben lassen vermuten, daß die Schwerter
vom Typus C— D und D der Epoche von Mitte bis Ende der jüngeren Bronzezeit, die
Schwerter vom Typus D— E und E dem Ende der jüngeren Bronzezeit zuzuweisen sind.
Erhebliche Abweichungen zeigen namentlich ein paar bei Spandau (Taf. XXVII, 6)
Nieder-Finow, Brandenburg, (XXVII, 7) und Horchheim bei Worms (XXVII, 8), ferner
mehrere in Frankreich und Großbritannien gefundene Schwerter der gleichen
Epoche, sowie endlich die »nordischen Bronzeschwerter mit Griffen«, denen
der folgende Abschnitt in Naues Buch gewidmet ist.
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84 UTERARISOHE BESPRBCHÜNQBN.
Die weitaus große Mehrzahl der im Norden Deutschlands (besonders ip Schleswig-
Holstein), in Dänemark und Schweden gefundenen Bronzeschwerter mit Griffen nämlich
nehmen eine deutlich geschiedene Sonderstellung ein und zerfallen ihrerseits in eine
ältere und eine jüngere Gruppe. Die älteren Schwerter dieser Art unterscheiden sich
von den zuletzt besprochenen (Typen A— E) wesentlich durch die ahweichende Form
ihrer einfach verzierten Griffflügel, die entweder nur schwach gerundet sind und über
der Klinge in konkaver Linie abschließen (Tafel XXVIII, 5) oder auch je in einer Art
Haken endigen, wodurch dann über der Klinge ein unten offener Kreis gebildet wird
(Tafel XXVIII, 9). Die Form der Klingen ist zumeist jene schlanke und elegante der
früher charakterisierten nordischen Schwerter; in der Ornamentation der Griffe spielen
durch Tangenten verbundene konzentrische Kreise und Linienbänder eine grofSe Rolle.
Wegen der Ähnlichkeit, die Griff und Knauf einiger dieser Schwerter mit den süddeutschen
und ungarischen des Typus B haben, ist möglicherweise Beeinflussung des Nordens durch
den Süden anzunehmen. Zeitlich gehört diese ältere Gruppe nordischer Bronzeschwerter
— nach Splieth, Inventar der Bronzealterfunde S. 18 ff. — der ü. Periode der nordischen
Bronzezeit an, die nach Montelius etwa die Jahre 1250—1050 v. Chr. umfaßt.
Bei den jüngerenSchwertern,die wiederum in der Regel die »nordischen Klingen«
aufweisen, werden die (bisher ovalen) Knäufe kleiner und rhombisch und sind, wie schon
bei einigen älteren Schwertern, durchweg mit acht kleinen Kreisen verziert ; »die Bronze-
griffe wechseln mit solchen aus Bronze- und Hörn- oder Knochenscheiben ab und werden
endlich aus anderem Materiale — Holz und Hörn etc. — hergestellt, um durch die ver-
schiedenen Farben eine gröf^re Eleganz zu erzielen« ; die Griffflügel werden nun häuflg
mit zungenartigen Bändern verziert (Beispiele: Tafel XXIX, 6 samt Knaufoberseite,
XXX, 1 und 7). Es ist nach Naue anzunehmen, daß diese Schwerter, die nach Spieth
(a. a. O. S. 56 ff.) der III. Periode der nordischen Bronzezeit (nach Montelius 1050 bis
900 V. Chr.) zugeteilt werden müssen, aus den Bronzeschwertern des Typus D entstanden sind.
Mit den nunmehr folgenden Schwertern verlassen wir die Bronzezeit und treten
in jene neue Epoche ein, in der das Eisen zuerst erscheint, um in der Herstellung der
Waffen die Bronze allmählich ganz zu verdrängen. »Während demnach in der Bronzezeit
und in der Obergangsperiode zu der Hattstattzeit sämtliche Waffen aus Bronze gegossen sind,
werden sie in der Hallstattzeit aus Eisen geschmiedet.c Da sind zunächst die Schwerter
vom sogenannten »Möringer- oder Rhöne-Typus«, deren älteste sich nach Naue
aus dem Typus E entwickelt haben und sich von den Schwertern dieses wie der früheren
Typen vornehmlich durch den abweichenden Griffknauf unterscheiden, »der mit einem
rundlichen Knopfe aus Knochen oder Holz besetzt war« (vgl. Taf. XXXI, 1 aus Este).
Die Weiterbildung erfolgte offenbar in der Weise, daß aus dem ovalen Griffe in der
Regel ein aus zwei mit den breiteren Enden aufeinandergefügten abgestumpften Kegeln
gebildeter, mit drei oft horizontal gereifelten Bändern verzierter Griff wurde und an die
Stelle des früheren Griff knaufes ein ovaler, mehr oder weniger konkaver mit kleinem
Knopf in der Mitte trat (z. B. Taf. XXXI, 4 aus Trdvoux). Eine übrigens sehr seltene
Übergangs form stellen sodann diejenigen Schwerter dar, bei denen der Grififflügelteil
kürzer geworden, in geschwungener Linie nach außen greift und so ein wenig über die
Klinge vorkragt, jener Griff knöpf aber wieder verschwunden ist (Tafel XXXI, 6 von
Tütz, Kreis Deutschkrone, Preußen). Und daraus entwickeln sich nun zwei neue Klassen
von Bronzeschwertern, die das Gemeinsame haben, daß bei ihnen der untere Teil der
Griffflügel völlig zu einer Art kurzer Parierstange geworden ist. Während aber die
I. Klasse dieser neuen Form die doppelt kegelförmigen Griffe mit den drei erhabenen
Bändern zunächst beibehält und sie erst allmählich in andere Bildungen, in denen aber
zumeist jene Grundform noch deutlich anklingt, übergehen läßt, dabei zugleich die ovale
und konkave Knaufplatte durch eine ovale und gerade mit langem Dorn (zur Aufnahme
eines größeren Knochen- oder Holzknopfes) ersetzend (vgl. Tafel XXXI, 7, XXXII, 4),
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
85
XXVI, XXVII,
XXVII, XXVII. xxvin, xxvin. xxix.
V4
XXXl. 6. XXXl, 7. XXXll. 4. XXXUl, 5
XXXIV.l. XXXlV.e. XXXV. l. XXXVl,5
XXXV 11,3.
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86
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
entfernen sich die Griffe der Schwerter der II. Klasse weiter von der doppeltkej^el-
förmigen Grundform und weisen in ihrer Mitte >eine längliche, rechteckige, unten oft
gerundete Vertiefung« auf, die »mit drei hervorspringenden Knöpfen verziert ist und ehe-
mals mit einer harzigen Masse ausgefüllt war«. Aus dem oben konvexen Knaufe ent-
springt weiterhin gern ein kleiner kegelförmiger Knopf mit oder ohne niederen Dorn
oder auch wohl ein konvexer Knopf auf niederem Zylinder oder endlich ein zweiter
Knauf samt Knopf (vgl. Taf. XXXIII, 5).
Die »Antennen-Schwerter« sodann haben sich nach Naue höchst wahrscheinlich
gleichzeitig mit den Schwertern jener Obergangsform des Möringer- oder Rhöne-Typus
entwickelt, die unter den Abbildungen durch Taf. XXXI, Figur 4 (und 5 bei Naue) ver-
treten ist. Ihr in die Augen springendes Charakteristikum sind die etwas flacheren
XXXDC
1.
A
(V)
'^
r 1
Griffknäüfe mit nach innen umgerollten zugespitzten Verlängerungen, die im einzelnen
mancherlei Abweichungen aufweisen, wie denn auch der Griffabschluß sehr verschieden,
in einem Falle (XXXV, 1 aus Dänemark) sogar glockenförmig gebildet ist (vgl. Taf. XXXIV,
1 und 6; XXXV 1; XXXVI, 5). Aus diesen Bronzeschwertern nun, die, wie gelegentlich
zur Befestigung des Griffes verwendete Eisennägel beweisen, dem Beginne der Hallstatt-
kultur angehören , am häufigsten in der Westschweiz , Frankreich und Norddeutschland
gefunden worden sind und wahrscheinlich zu gleicher Zeit in der Schweiz und in Frank-
reich aufkamen, haben sich nach Naue ohne Zweifel die Dolche und Kurzschwerter
der jüngeren Hallstattzeit entwickelt, deren Griffe meist aus Bronze gegossen, deren
Klingen jedoch in der Regel aus Eisen geschmiedet sind. Die Ähnlichkeit der Griffe dieser
Dolche und Kurzschwerter mit ihren hufeisen- oder hörnerartigen , oft auch trompeten-
förmigen Aufsätzen deuten auf eine solche nahe Verwandtschaft hin (vgl. z. B. Taf.
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UTERARISCHE BESPRECHUNGEN.
87
XXXVII, 3). Die mit Köpfen verzierten Dolche und Kurzschwerter dieser Art (vgl.
Taf. XXXVn, 7 : mit Eisengriff! der Kopf ist Bronzebelag) gehören bereits der La Tfene-
Kultur an >und leiten zu den eigentlichen Schwertern über, welche in Früh-, Mittel-
und Spät-LaT6ne-Schwerter (wie die Fibeln dieser Periode) eingeteilt werden.« Sie
unterscheiden sich vor allem durch die Art ihrer bei den Früh- und Mittel-La Tfene-
Schwertern aus dünnen Eisenblechen, bei den Spät-La Tfene-Schwertem häufig aus Bronze-
blech hergestellten Scheiden und deren Beschlägen samt Halter für das Wehrgehänge,
wofür hier nur auf die drei Abbildungen Tafel XXXIX, 1—3 hingewiesen sei. Die Früh-
La T6ne-Schwerter gehören der Zeit von 400 bis 200, die Mittel- und Spät-La T^ne-
Sch werter der Zeit von 200 bis 50 vor Chr. an. Damit sind wir an die Zeiten der
römischen Okkupation und des überwiegenden antiken Einflusses in Kunst und Kultur
herangerückt.
Es konnte der reiche Inhalt des Naue'schen Werkes hier nur in seinen Grund-
zügen wiedergegeben werden. Möchte unser Referat vor allem dem Buche selbst, das
innerhalb der ihm vom Verfasser gezogenen Grenzen wohl als ein Standard work
der prähistorischen Literatur bezeichnet zu werden verdient, viele neue lernbegierige
Leser gewinnen. Theodor Hampe.
Die Geschichte der Räderuhr unter besonderer BerQcksichti8:uns: der Uhren
des Bayerischen Nationalmuseums. Von Dr. E. Bassermann-Jordan. Mit 36
Textillustrationen und 24 Tafeln in Lichtdruck. Verlag von Heinrich Keller-Frank-
furt a. M. 1905. 113 S. gr. 4.
Einem doppelten Zweck ist die vorliegende Arbeit, deren äußere Erscheinung sie
zu einem Prachtwerk vornehmsten Stils stempelt, gewidmet: sie will eine zusammen-
fassende Geschichte der Räderuhr im allgemeinen und eine katalogisierende Beschreibung
der Räderuhren des Bayerischen Nationalmuseums im besondern geben. Beides hängt
eng mit einander zusammen und somit ergänzen sich die durch den Zweck gegebenen
beiden Hauptabschnitte zwanglos zu einem Ganzen ; doch muß als wesentlich für die Be-
urteilung des Buches hervorgehoben werden, daß der Verfasser fiir seine historische
Abhandlung die Bestände des Museums nicht als Fundament, sondern nur als Baustein
benutzt. Andere Sammlungen kommen hier gerade so zu Wort wie diejenige, der das
Werk gewidmet ist.
Als Kunsthistoriker geht Bassermann -Jordan von einem wesentlich anderen Ge-
sichtspunkte aus als die Verfasser der älteren literarischen Arbeiten über Uhren; ihm
steht das künstlerische und das kulturhistorische Moment im Vordergrund des Interesses,
die Technik berücksichtigt er nur dann eingehender, wenn eine Änderung derselben
auch auf die künstlerische äußere Form der Uhr eine umgestaltende Wirkung ausübte.
Da dem Verfasser auf dem Gebiete der Uhrenkonstruktion eingehende Kenntnisse zu Gebote
stehen, so vermag er die Grenze einzuhalten, bis zu welcher er gehen durfte, ohne den
historischen Faden, der sich als Leitmotiv durch die ganze Arbeit zieht, zu verlieren.
Gerade durch diese glückliche Vereinigung von Kunstgeschichte und Technik scheint mir
das vorliegende Werk gegenüber seinen Vorgängern den unbedingten Vorzug zu verdienen.
Dem eigentlichen Thema, das die Uhren des Mittelalters und der Neuzeit bis zum
Beginn des 19. Jahrhunderts behandelt, geht als Einleitung eine kurz zusammenfassende
Beschreibung der Zeitmeßkunst bei den antiken Völkern vorauf. Im allgemeinen war
nach Bassermann die Uhrmacherkunst des frühen Mittelalters nichts Anderes als ein
mühsames Wiederfinden der verloren gegangenen technischen Errungenschaften des Alter-
tums. Er setzt die Erfindung der Räderuhr, wohl der wichtigste Punkt in der Entwick-
lung der Uhr, früher an als die älteren Uhrenforscher und hält mit Recht die vielge-
nannte Stelle in Dantes Paradiso (XXIV. 13) für einen einwandsfreien Beleg für das
Vorhandensein von Räderuhren um die Wende des 13. zum 14. Jahrhundert.
Das Erstarken des bürgerlichen Elements und die dadurch bewirkte kulturelle
Hebung aller Gesellschaftskreise führte im späteren Mittelalter einen gewaltigen Auf-
schwung der Uhrenindustrie und eine künstlerische Durchbildung ihrer Erzeugnisse her-
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88
LrrERARISCH£ BESPRECHUNGEN.
bei; hierin bedeutet vor allem die Erfindung der Taschenuhr zu Beginn des 16. Jahr-
hunderts einen Hauptabschnitt, indem von dieser Zeit an die Arbeitsteilung zwischen dem
Fertiger des Werkes und des Gehäuses datiert, welch letzteres nunmehr ein Arbeitsfeld
des Klein plastikers oder Edelschmieds wurde. Der Verfasser schneidet an diesem Punkte
die vielumstrittene Henleinfrage an und zerreißt energisch das Gewebe von Legenden, das
ein allzu eifriger Lokalpatriotismus im Laufe der Zeit um diese nur sehr unbestimmt be-
glaubigte Persönlichkeit gesponnen hat. Wenn auch Bassermann den Nürnberger Schlosser
als Erfinder der Taschenuhr bestehen läßt, wenn er auch in seiner Werkstätte die An-
fänge der heute so glänzend entwickelten Uhrenindustrie sieht, so beraubt er doch den
Ruhmeskranz Henleins seiner wichtigsten Blätter, indem er ihm bestimmt und durchaus
einwandsfrei die Erfindung der Federzuguhr abspricht. Sein unanfechtbares Beweis-
mittel ist die Leber'sche Uhr in Wien, eine Federzuguhr, die nach den Wappen zwischen
1429 und 1435 für Philipp den Guten von Burgund gefertigt sein muß und die , da ihr
Mechanismus schlecht in das alte Märchen von Henleins umfassender Bedeutung paßte,
von den älteren Uhrenschriflstellern kurzweg als Fälschung oder doch als sehr ver-
dächtig bezeichnet wurde. Da diese Uhr eine reiche kfinstlerische Verzierung aufweist,
so kann nur — und schon Speckhart weist in seinem Uhrenwerke darauf hin — der
Kunsthistoriker bei der Datierung den Ausschlag geben. Bassermann ist meines Wissens
der erste Kunstgelehrte, dem die Uhr zur eingehenden Prüfung vorgelegen hat, und so
ist sein Urteil der Echtheit von maßgebender Bedeutung. Damit ist die für die Geschichte
der Uhr höchst wichtige Tatsache gegeben, daß bereits ca. 70 Jahre vor Henlein völlig
ausgebildete Federzuguhren gefertigt wurden.
Mit der Anwendung des Pendels als Regulator der Uhr, einer Erfindung, die in
erster Linie aus wissenschaftlichen Forderungen hervorging, begann in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts eine neue Epoche in der Geschichte des Zeitmessers. Bassermann
verbreitet sich eingehend über die ersten tastenden Vorversuche Galileis , die aus der
Theorie der Pendelgesetze heraus zuerst um das Jahr 1641 praktische Erfolge zeitigten ;
er schildert, wie Galileis Erfindung dann verloren ging und seine Priorität wieder neu
ans Licht gebracht werden mußte, als der Holländer Huygens 1657 seine zwar selbst-
ständige, aber genau auf den gleichen Prinzipien beruhende Entdeckung veröffentlichte.
Mit der Anwendung des Pendels erhielt die Stand- und Hängeuhr eine neue, durch die
Technik bedingte künstlerische Gestaltung, während das Gehäuse der Taschenuhr seine
künstlerische Ausschmückung je nach der Mode des Tragens der Uhr änderte. Die Neuerung
der spiralförmigen Regulierfeder übte keinen Einfluß auf ihre äußere Gestaltung aus.
Während sich in den vorhergehenden Zeiten die deutsche Uhrenindustrie stets eine
Selbständigkeit bewahrt hatte, ja sogar führend gewesen war, stand sie im 18. Jahrhun-
dert, wo Nürnbergs und Augsburgs Glanz verblaßt war, unter englischem, französischem
und schließlich auch schweizerischem Einfluß. Wenn auch die Uhr fQr wissenschaftliche
Zwecke große und einschneidende Verbesserungen erfuhr, so war doch die ungeheure
Produktion an Luxusuhren bestimmend für den Charakter dieser Zeit. Wand- und Zim-
meruhren nehmen in gleicher Weise Teil an der allgemeinen Prachtentfaltung wie die
kleinen Schmuck- und Taschenuhren, welch letztere mit dem 19. Jahrhundert leider aus
der Reihe der Schmucksachen verschwanden, um diesen Rang an die Uhrkette abzutreten.
Gerade der letzte, von der Uhrenliteratur meist wenig beachtete Zeitraum, in dem die
eigenartigen, fortwährend sich wandelnden Wechselbeziehung zwischen Tracht und Uhr
behandelt werden müssen, ist bei Bassermann von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung.
Der zweite Abschnitt des Werkes gibt eine nüchtern aufzählende Beschreibung
der Uhren des Bayrischen Nationalmuseums mit Ausschluß der Sonnen- und Sanduhren.
Die Beschreibungen sind äußerst exakt, ein gutes Register und vergleichende Tabellen
erhöhen noch die Benutzbarkeit dieses Kataloges. Das Bayrische Nationalmuseum, das
leider seit einem Dezennium mit seinen für ihre Zeit vorbildlichen Katalogisierungs-
arbeiten in Rückstand gekommen ist, dürfte dem Verfasser zu größtem Danke für das in
wissenschaftlicher Beziehung wie auch in der Ausstattung gleich mustergiltige Werk ver-
pflichtet sein. W. Josephi.
U E.SsMid, Nümbarg.
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DIE FRIJHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN
NATIONALMUSEUM.
VON DR W. JOSEPHI.
(Mit zwei Tafeln.)
Holzbildwerke des frühen Mittelalters können
zwar zumeist ästhetisch keinerlei Genuß ge-
währen, doch sind sie für den Historiker
als Inkunabeln eines gerade in Deutschland
durch alle Zeiten mit besonderer Liebe ge-
pflegten und echt volkstümlichen Kunst-
Zweiges von hoher Bedeutung. Wie die Früh-
werke der bildenden Kunst überhaupt, so
erzählen auch sie von den Lehrjahren des
Künstlergeschlechts; sie sprechen deutlicher,
als es schriftliche Aufzeichnungen vermöch-
ten, von dem Ringen ganzer Generationen,
im körperlichen Bilde das wiederzugeben, was aller Herz und Phantasie er-
füllte, und deshalb sind sie für den Historiker nicht weniger bedeutsam als
die vollendeten Schöpfungen einer Kunst, die im Höhepunkt ihrer Entwick-
lung steht.
Es wird demnach die Betrachtungsweise der frühmittelalterlichen bilden-
den Kunst, falls man diese nicht ikonographisch werten will, meist eine aus-
schließlich historische sein müssen, und das wird, allerdings in mehr und mehr
sich verringerndem Maße, für das ganze Mittelalter zu gelten haben. Denn
wenn auch mit der zunehmenden Verfeinerung im Können des Bildschnitzers
oder Malers seine Schöpfung zu einem wirklichen Kunstwerk wurde, so stehen
wir modernen Menschen mit unseren ästhetischen Anschauungen, deren Fun-
dament trotz aller Wandlungen des Geschmacks fest in der klassischen Kunst
der Antike und der Renaissance wurzelt, doch der mittelalterlichen Empfindung
und der aus ihr sich ergebenden Formengebung ziemlich fremd gegenüber.
Mitteilungen aus dem gernian. Nationalmuseum. 19(i5. 12
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90 DIE FRÜHWKRKE UER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIUNALMÜSEÜM.
Für eine historische Betrachtung besitzen aber gerade die älteren Stücke
einen besonders hohen Wert. Denn während sich in Perioden hohen Könnens
und großer Schaffenslust Denkmal an Denkmal reiht und deshalb das einzelne,
so hoch wir es auch künstlerisch schätzen mögen, unserer Kenntnis von dem
Fortschreiten der Kunst keine wesentliche Bereicherung schafft, so sind im
Gegensatz dazu in den früheren Zeiten diese Wegmarken für das Verständnis
der Entwicklung nur spärlich gegeben , so daß einer jeden eine erhöhte
Bedeutung zukommt. In allen Zweigen der Kunstgeschichte macht sich
diese Tatsache geltend, in der Plastik nicht anders als in der Baukunst, im
Kunstgewerbe wie in der Malerei und in den graphischen Künsten. Trotz-
dem hat man bisher — und das mag zusammenhängen mit der Zurücksetzung,
die die deutsche Plastik bis vor kurzem vor ihren Schwesterkünsten erfuhr
— den frühen Holzbildwerken deutschen Ursprungs wenig Beachtung geschenkt.
Das war um so unauffälliger, als gerade hier das Studienmaterial in besonderem
Maße lückenhaft ist. Ist doch der Stoff dieser Bildwerke am wenigsten
gegen die vielerlei Fährlichkeiten geschützt, die ihm die Zeit und mehr noch
die Menschen bereitet haben und noch bereiten. Was erhalten ist, ist nur
ein winziger Bruchteil des ehemals Geschaffenen; denn einerseits hielt die
rohe, unbefriedigende künstlerische Gestalt dieser frühen Denkmale die dilet-
tierenden Sammler ab, ihnen eine liebevolle Fürsorge zu widmen und für sie
ein gesichertes Asyl zu bereiten, andrerseits hatte aber auch der verfeinerte
Geschmack der nachfolgenden Kunstperioden, den man stets als den schlimmsten
Feind historischer Denkmale betrachten darf, keine Neigung, diese- unkünst-
lerischen Objekte zu schonen. So wird unendlich Vieles im Laufe der Zeit,
vor allem aber unter dem Einfluß der Restaurierungs- oder Reinigungswut
des 19. Jahrhunderts, zerstört worden sein. Dadurch läßt sich leicht der
Mangel an solchen Frühdenkmalen erklären, die wohl keine Zeit, ausgenommen
die ihrer Entstehung, für Kunstwerke angesehen hat.
Wenn die Kunstgeschichte sich diesen Frühdenkmalen mit größerer
Liebe widmen wird, so wird wahrscheinlich das Irrige der bisher herrschen-
den Ansicht klargelegt werden, die die Anfänge der selbstständigen deutschen
Plastik ausschließlich und jahrhundertelang von Stein und Bronze beherrscht
sein läßt. Allerdings ist dabei die Einschränkung festzuhalten, daß die be-
deutenderen Werke, die die Höhepunkte der Kunst verkörpern, zumeist wohl
aus einem vornehmeren, edleren Stoffe gefertigt sein dürften als aus dem
schlichten volkstümlichen Holz.
Durch glückliche Erwerbungen vornehmlich der letzten beiden Jahrzehnte
ist das Germanische Nationalmuseum in den Besitz einer größeren Reihe von
Frühwerken der Holzplastik gelangt, die würdig seine reichhaltige und hoch-
bedeutende Sammlung von Originalskulpturen einleiten. Als wichtige Bausteine
für die Kenntnis der Anfänge der deutschen Bildnerkunst sollen sie in den
folgenden Zeilen eine Besprechung und Würdigung finden. Damit wird einer
Anregung Matthaeis (Werke der Holzplastik in Schleswig-Holstein bis zum
Jahre 1530. Leipzig. 1901 S. 240) nachgegeben, der die große Bedeutung
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VON DR. W. JOSEPBI.
91
dieser frühen Stücke erstmalig ans Licht zog und eine genauere Durchforschung
Deutschlands nach den wenigen Resten der älteren Holzplastik forderte.
Die zeitliche Fixierung, auf die bei der nachfolgenden Behandlung der
einzelnen Stücke das Hauptgewicht gelegt werden soll, begegnet bei früh-
mittelalterlichen Bildwerken großen Schwierigkeiten. In der Regel beruht sie
nur auf allgemeinen Gefühlsmomenten, jedenfalls ist sie, wenn nur stilistische
Gründe zur Seite stehen, mit allergrößter Vorsicht vorzunehmen. In der großen
Periode vom ersten Auftreten einer selbstständigen deutschen Plastik im be-
ginnenden 11. Jahrhundert bis in das 13. oder in zurückgebliebenen Gegenden
gar bis weit in das 14. Jahrhundert hinein ist die Entwicklung eine so gering-
fügige, daß, sofern nicht äußere Merkmittel hinzutreten, eine wirklich begründete
Datierung nur in sehr weiten Grenzen erfolgen kann. Den klaren Beweis, wie
vorsichtig man verfahren muß, liefert eine Vergleichung der Augsburger mit
der Hildesheimer Bronzetür, deren annähernd gleiche Entstehungszeit ohne die
urkundlichen Nachrichten aus stilistischen Gründen allein wohl niemand zu
behaupten gewagt haben würde. Noch bei den plastischen Arbeiten des enden-
den 12. und des 13. Jahrhunderts liegt der Fall ähnlich: ein so großer Gegen-
satz wie zwischen den primitiven Durchschnittswerken und den Meister-
schöpfungen Braunschweigs, Bambergs und Naumburgs dürfte kaum in einer
späteren Kunstepoche wiedergefunden werden.
Ganz abzulehnen ist der Versuch, bei den frühsten Arbeiten aus sti-
listischen Gründen die Herkunft aus einem bestimmten Kunstkreis abzuleiten.
Solange die Sprache der Kunst nicht über ein Stammeln hinausgekommen ist
— und das ist bei der volkstümlichen romanischen Holzplastik wohl niemals
der Fall gewesen — darf man aus ihr keine dialektische Verschiedenheiten
oder gar tiefere Charakter unterschiede heraushören wollen. Im günstigsten
Falle wird man nur die Unterschiede der großen Völkergruppen finden können,
Stammesschattierungen sind noch nicht ausgeprägt.
Im Verlaufe des 13. Jahrhunderts, in den führenden Ländern schon am
Schlüsse des 12. Jahrhunderts, trat auch hierin ein Wandel ein, und damit
begann, zuerst in Mitteldeutschland, dann aber mit dem fortschreitenden Ver-
mögen , künstlerisch zu sehen und zu gestalten , überall in den deutschen
Landen, eine erst langsame, dann mehr und mehr sich beschleunigende kon-
sequente Stilentwicklung, in der zunächst die Steinplastik die Führung hatte,
sie dann aber schließlich an die mehr und mehr aufstrebende, vor allem
aber numerisch überlegene Holzplastik abtreten mußte. Während dieser Ent-
wicklung setzten sich allmählich auch Stammeseigenheiten durch, ifnmer deut-
licher traten dann innerhalb der Stammesgrenzen die einzelnen Kunstzentren
und Schulen bestimmend in die Erscheinung, bis sich schließlich das künst-
lerische Individuum klar aus der Masse abscheiden konnte. Wie die volks-
wirtschaftliche Entwicklung ging auch die Geschichte der Kunst im Sinne einer
fortgesetzten Spezialisierung von statten, sie schritt fort vom Ganzen zum
Individuum. Wo die einzelnen Wendepunkte in dieser fließenden Entwicklung
anzunehmen sind, wird mit unserem sich schärfenden Blicke für stilistische
Unterschiede allmählich näher festgelegt werden können. Heute ist unser
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92 uiK FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM.
Unterscheidungsvermögen für mittelalterliche Plastik noch fast unentwickelt
und steht auf jeden Fall weit hinter dem zurück, was wir uns für die anderen
Kunstgattungen angeeignet haben.
Wenn die Schwierigkeit, frühmittelalterliche Skulpturen zeitlich und ört-
lich einzuordnen, schon im allgemeinen eine große ist und man sich in den
meisten Fällen mit weit gezogenen Grenzen begnügen muß, so ist dies noch
in besonderem Maße bei Museumsstücken der Fall , deren Herkunft in der
Mehrzahl unbekannt ist , oft verschwiegen oder gar absichtlich falsch ange-
geben wird. Deshalb ist hier besondere Vorsicht am Platz.
Abb. 1. Bischof. 12. Jahrh. PI. 0. 17. H. 55 cm.
Wenn wir zu den einzelnen Stücken übergehen, so sei betont, daß es nicht
die Absicht sein kann, an der Hand der im Germanischen Nationalmuseum
befindlichen Sammlung eine Geschichte der frühen deutschen Holzplastik zu
geben. Ein solcher Versuch hat nur dann Wert, wenn er an einer fest be-
grenzten örtlichen Gruppe unternommen wird; das uns vorliegende Material
ist jedoch aus allen Gegenden Deutschlands, vielleicht sogar des Auslands,
zusammengetragen, es repräsentiert Gegenden fortgeschrittener und zurück-
gebliebener Kunst, so daß der Versuch der Vorführung dieser Stücke selbst
nur in zeitlicher Folge aufgegeben werden mußte. Ihre Veröftentlichung hat
den Zweck, einen Baustein zu bieten für eine Bearbeitung der deutschen
Frühplastik, für die bisher noch nicht einmal das Material zu sammeln ange-
fangen wurde.
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VON DR. W. JOSEPHI.
93
Stilistisch und wohl auch zeitlich wird die Statue eines sitzenden Bischofs
(PI. O. 17. Birnenholz, bemalt. Höhe 55 cm. Abb. 1) als das älteste Stück
unserer Sammlung anzusehen sein. Der Bischof, gekleidet in die lange Alba,
die über die Kniee reichende Dalmatika und die Kasula, mit dem Humerale
um den Hals, sitzt hieratisch-steif auf einem an den Seiten profilierten Thron.
Seine beiden Unterarme sind vorgestreckt, die linke Hand umfaßt ein auf-
wärts gestelltes und fest gegen den Leib gepreßtes Buch. Das Gesicht ist
bartlos, das lockige Haupt trug ehemals eine Inful, doch ist dieselbe in spä-
terer Zeit roh weggeschnitten, um, wie der stehen gebliebene Dübel am
Scheitel andeutet, für eine solche aus Metall Platz zu machen. Von der alten
Inful sind nur der untere Horizontalrand und die Bänder erhalten. Die Rück-
seite der Figur ist völlig flach und unbearbeitet, sie muß sich also vor einer
Wand befunden haben oder vor einem Brett befestigt gewesen sein.
Alte Farbspuren lassen sich vielfach nachweisen, doch mischen sie sich
so sehr mit einer dicken neueren Übermalung, daß es schwer hält, die ur-
sprünglichen Töne herauszufinden. Sicher war die Kasula reich vergoldet,
doch scheinen aus der Vergoldung rote Streifen in einer nicht mehr sicher
angebbaren Musterung ausgespart zu sein. Unter dieser Vergoldung und deren
teilweise durch Leinenauflage verstärktem Kreidegrund scheint sich aber noch
eine ältere in rot und weiß gehaltene Bemalung recht primitiver Art befunden
zu haben. Die Alba war weiß, vorne zeigt sich auf ihr ein roter Vertikal-
streifen; das Buch war rot und hatte, wie die Nieten andeuten, in der Mitte
und an den drei sichtbaren Ecken Zierbeschläge.
Die Figur ist gut erhalten, doch fehlt die rechte Hand, welche ehemals
angedübelt war. Erworben wurde die Statue in Ellwangen.
Einer sicheren Datierung stellen sich größere Schwierigkeiten dadurch
entgegen, daß das Stück äußerst primitiv ist. In solchen Fällen ist ein äußeres
Hilfsmittel für die Datierung in der Regel die Tracht; allein auch diese versagt
hier, da der geistliche Ornat nur sehr wenig der Mode unterworfen ist und deshalb
für die Datierung von Werken der bildenden Kunst meist von geringer Bedeutung
ist. Die Kasula, die der Bischof trägt, hat die Glockenform, wie sie uns im
Original etwa am Chorgewand des hl. Bernhard (f 1 153) im Domschatz zu Aachen
erhalten ist (abgebildet bei Hefner- Alteneck , Trachten u. s. w. I Tafel .66) :
sie ist noch nicht mit seitlichen Schlitzen versehen, vielirehr müssen beide
Arme die ganze Stoiifmasse aufnehmen, wodurch vorne ein dreieckiger Zipfel
entsteht. Dies Motiv findet sich aber überaus häufig an Miniaturen, Statuen,
Grabplatten und Siegeln etwa von der Mitte des 11. bis an den Schluß des
14. Jahrhunderts, so daß es für die Datierung nicht zu verwenden ist. Je
weiter aber die Zeit fortgeschritten ist, um so klarer wird dies schwierig
zu gestaltende Motiv veranschaulicht: bei den älteren Werken macht es den
Eindruck, als sei das Gewand vorne zu einem lang herabfallenden gerundeten
oder dreieckigen Zipfel zugeschnitten, in späterer Zeit mit dem zunehmenden
Beobachtungs- oder Gestaltungsvermögen der Künstler macht sich mehr und
mehr das Zusammenknäulen der Stoffmasse über den Armen und die dadurch
bewirkte Verschiebung der Umrißlinien geltend.
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94 DIE FRÜHWERKB DER HOLZPLASIIK IM GERMANISCHEN NATIONALMÜSEÜM.
Wenn wir uns im Denkmälervorrat nach Schnitzwerken ähnlicher Ge-
staltung umsehen, so finden wir in der Sammlung christlich-mittelalterlicher
Kunstwerke auf dem Domberge zu Freising die Figuren eines stehenden und
eines sitzenden Bischofs, die große Übereinstimmung in der Auffassung nicht
minder wie in der Wiedergabe der Tracht verraten.
Während aber der stehende Bischof in Tracht und Faltenstil dem
unsrigen nur nahesteht, in der Detailbildung des Gesichts sich wesentlich von
ihm entfernt, ist ihm die sitzende und durch eine spätere Inschrift als St.
Zeno bezeichnende rohere Figur sehr ähnlich. Die etwas abweichende Form
und Auffassung des schmalen Gesichtes kommt nicht in Berücksichtigung, da
dasselbe anscheinend in späterer Zeit nachgeschnitzt und mit Charakterzügen
einer späteren Epoche versehen wurde. B. Riehl, (Abhandlung der k. b.
Akademie der Wiss. III. Kl. XXIII. Bd. I. Abt. S. 29 und Tafel II Abb. 1)
setzt beide Figuren in das 12. Jahrhundert — das eingeritzte Ornament der
einen bestätigt diese Datierung — und so werden wir auch unsere Figur
dieser Zeit stilistisch zuzurechnen haben. Riehls Charakterisierung trifft fast
wörtlich auf unser Werk zu : Das Haar ist nur durch gleichmäßig wiederholte
Locken angedeutet, die Augen sind durch die Lider fast ganz geschlossen
und erhielten ihr Leben wohl ausschließlich durch die Bemalung. Auch bei
unserem Stücke zeigt die Modellierung des Mundes und des Kinns die ersten
Anfänge eines feineren Eingehens in die Natur, allerdings in etwas anderer
Weise als an den Freisinger Statuen, ebenso fällt auch hier die erschreckende
Rohheit der Hand auf. Die Körpergestalt kommt bei allen Werken nicht zur
Geltung, es ist nur ein roher Umriß gegeben; ebensowenig kann von einer
der Natur entsprechenden Faltengebung die Rede sein.
Wenn man überhaupt von Kunst bei diesem Werke reden darf, so ist
sie doch nur eine so kindliche und befangene, daß man das Werk auf die
unterste Stufe einer künstlerischen Entwicklung setzen muß. An ein Ver-
ständnis des Körperbaues und seines Mechanismus kann nicht im entfern-
testen gedacht werden; der Schnitzer gestaltet genau so wie ein Kind und
gibt nur Allgemeines wieder. Nur sehr vereinzelte Beobachtungen erheben
sich über diese Stufe, so in den Gesichtszügen die Partieen von der Nase
zum Munde. Die Prinzipien, nach denen sich ein Faltenwurf gestaltet, sind
dem Schnitzer fremd, er sieht nur, daß die Kasula unten spitz zuläuft, und
deshalb gestaltet er sie unter Weglassung fast aller Faltenzüge in dieser Form.
Er sieht, daß sich über dem Arm die Gewandmasse knäult und bauscht, aber
dies wiederzugeben ist er noch völlig unfähig. Er deutet es deshalb, genau
wie dies an den beiden Freisinger Statuen geschieht, nur leicht durch einige
ganz willkürlich eingesenkte Linien an. Allerdings darf man daraus nicht auf
hervorragend schlechte Qualitäten unseres Bildschnitzers schließen, denn dies
Motiv ist ein besonders schwieriges — die Faltengebung in der Alba ist ihm
daher auch besser gelungen — und viele Denkmäler der Grabplastik beweisen,
daß auch größere und spätere Meister an diesen Schwierigkeiten gescheitert
sind. Ebenso hilflos steht er der Wiedergabe des Humerale gegenüber : nur
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VON DR. W. JOSEPHI.
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ein dicker Wulst um den Hals deutet das Vorhandensein dieser feingeschlungenen
Binde an.
Diese Datierung der Figur in das 12. Jahrhundert bestätigt die Profilierung
der Thronbank, die aus romanischem Stilgefühl hervorgegangen ist. Sie ähnelt
im Prinzip sehr derjenigen an den Bankseiten des sogenannten Zeno in Frei-
sing, doch ist sie etwas reicher als bei jenen.
Abb. 2. Heilige Anna (?). Um 1200. PI. 0. 22. H. 60^ cm.
Das nächste Stück (Abb. 2) entstammt bereits der Werkstätte eines fort-
geschritteneren Meisters. Mit dem Ende des 12. und dem Anfange des 13. Jahr-
hunderts erhob sich auch die Holzplastik von der Stufe der rohsten Primi-
tivität, und deshalb lassen sich nunmehr auch stilistische Kennzeichen für
die Datierung verwenden , ja diese werden allmählich sogar maßgebend für
die Beurteilung derselben. Diesen Fortschritt verkörpert die Statue einer
thronenden weiblichen Gestalt, die aber wohl nicht, wie man annehmen möchte,
die Madonna, sondern eher die heilige Anna darstellt. Das Stück (PI. O. 22)
ist aus Lindenholz mit seitlichen Auflagen von Fichtenholz und 60,5 cm hoch;
es wurde in Rücksicht auf den interessanten und für die Geschichte des früh-
mittelalterlichen Sitzmöbels sehr merkwürdigen Thron bereits von Essenwein
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96 DIE FRCHWEHKK der HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM.
in den »Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum« 1891 S. 51 f.
besprochen und abgebildet. Aus dem gleichen Grunde beschäftigte sich Steg-
mann (ebenda 1903 S. 75) mit dem Stück und wies dabei auf die noch heute
in Swanetien im Kaukasus gebräuchlichen und durch charakteristische Originale
im Germanischen Nationalmuseum vertretenen Sitzmöbel hin, die genau den-
selben Typus zeigen.
Allein auch kunstgeschichtlich und stilgeschichtlich hat das Stück seine
Bedeutung, und ganz besonders für unsere Sammlung, denn es ist die erste
Skulptur, in der sich zwar noch recht bescheiden, aber doch schon deutlich
bemerkbar eine künstlerische Stilisierung geltend macht.
Die Heilige sitzt frontal auf dem Thron, dem der Künstler seine besondere
Sorgfalt zugewandt und dessen Drechselmotive er aufs genauste nachgebildet
hat ; es ist eine Matrone , ein blaues Kopftuch , die Tracht älterer Frauen,
liegt auf dem Scheitel und fällt zu beiden Seiten des Hauptes in regelmäßigen
Falten auf die Schultern. Ein über die Füße reichendes faltenreiches weißes
Gewand, über das ein bis zu den Knieen gehendes weitärmeliges rotes und
mit braunen Säumen geziertes Obergewand geworfen ist, bildet ihre Kleidung.
Der linke Unterarm ist vorgestreckt; die Hand, die hochgestellt auf dem
linken Oberschenkel ruht, ist etwas gekrümmt. Der rechte Unterarm ist eben-
falls vorwärtsgestreckt, die Innenfläche der Hand ist nach oben gewandt.
Unter den Füßen befindet sich eine Trittplatte, in deren senkrechte Vorder-
fläche ein weiß bemaltes Zickzackmuster eingeschnitzt ist. Der Thron ist
rot und weiß bemalt. Die ganze Bemalung liegt auf Kreidegrund, der stellen-
weise durch Leinen, Leder und Pergament verstärkt ist. Es fehlen an der
Figur der linke Zeigefinger, ferner der Daumen und sämtliche Endglieder
der Finger der rechten Hand, außerdem die Attribute, von denen im linken
Oberschenkel und in beiden Händen die Dübellöcher zu sehen sind. Damit
ist die Bestimmung der Figur erschwert, doch läßt das matronenhafte Aus-
sehen der Gestalt im Verein mit der Tatsache , daß augenscheinlich zwei
Attribute vorhanden waren , die Annahme , es sei eine heilige Anna darge-
stellt, als wahrscheinlich erscheinen. Daß die Otte'sche Ansicht, der Kult der
Anna sei erst am Ende des 15. Jahrhunderts in Deutschland eingeführt, irrig
ist, beweisen außer den im 14. Jahrhundert so häufigen Cyklen der Vor-
geschichte Maria vor allem die vereinzelten Kultstatuen der Selbdritt aus dem
13. und dem 14. Jahrhundert.
Während Stegmann in seiner vorgenannten Abhandlung aus stilistischen
Gründen die Figur in das 13. Jahrhundert setzte, neigte Essen wein mehr für
das 12., ließ dabei allerdings die Möglichkeit oft'en, daß sie noch am Anfange
des 13. Jahrhunderts gefertigt sein könne. Die Differenz beider Ansichten
ist gering und wird schwerlich authentisch zu lösen sein. Wenn die Herkunft
des Stückes näher bekannt wäre — die Angabe des Vorbesitzers, es stamme
aus Tirol, ist zu unbestimmt, um maßgebend für die Datierung verwandt
werden zu können — - würde man vielleicht dieser Frage näher treten können;
unter den gegebenen Verhältnissen halte ich eine genauere Datierung als »um
1200« für willkürlich, denn leider kommt die Tracht der Datierung nicht zu
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VON DR. W. JOSEPHI.
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Hülfe, da die Gewandung keine zeitbestimmenden Merkmale aufweist — nur
die weiten Hängeärmel weisen auf die Zeit um die Wende des 12. zum 13.
Jahrhundert (Weiß, Kostümkunde 1883. S. 362) — und das Kopftuch im 12.
Jahrhundert genau so gebräuchlich ist wie im 13., ja sich sogar im 14. Jahr-
hundert einer besonderen Beliebtheit zu erfreuen begann. Der Thron weist
nur in die entwickelte romanische Epoche, er ähnelt sogar auffällig dem auf
dem Relief der Huldigung vor Kaiser Friedrich II. an der Kanzel zu Bitonto,
ein Werk des Meister Nikolaus vom Jahre 1229. (Formenschatz 1901.
Nr. 16. Schubring, Schloß- und Burgenbauten der Hohenstaufen in Apulien.
Taf. VI.)
Einen leisen Anhalt gewährt der eigenartige Faltenstil, der weit entfernt
ist von jener künstlerischen Rohheit des zuvor betrachteten Stückes. Aller-
dings kommen hierfür nur das Untergewand und die Säume des Kopftuchs
in Frage , da das Obergewand , das zum größten Teil durch die auf dem
Schöße sitzenden attributiven Gestalten verdeckt war, wenig durchgebildet
ist. Der Faltenstil basiert ausschließlich auf dem Prinzip der Symmetrie;
besonders deutlich tritt dies am Saume des Untergewandes in Erscheinung,
indem hier an eine breite Mittelfalte mit umgeschlagenen Seiten sich beider-
seits genau symmetrische Faltengruppen anschließen, die wie fest geplättet
erscheinen und deren Säume in zackigen Linien über einander gelegt sind.
Wenn sich nun genau das gleiche Stilprinzip auch an den Säumen des Kopf-
tuches zeigt, so beweist dies ein vielleicht unbewußtes, doch fest begründetes
stilistisches Gefühl und ein in ganz bestimmter Richtung erfolgendes Um-
bilden des in der Natur Gesehenen. Beispiele dieses Stils kommen vornehm-
lich in Frankreich vor, hier allerdings meist in noch ausgesprochenerer und
entwickelterer Form. Es sei nur hingewiesen auf die bekannten Beispiele in
Vezelay, Autun, Moissac, Cahors, Poitiers und Donzy aus dem 12. Jahr-
hundert, dann auf die sehr ähnlich aufgefaßten sitzenden Madonnen im Süd-
portaltympanon der Westfassade von Notre-Dame zu Paris und in der Abtei
zu Saint-Denis, beide ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert. Von italienischen
Arbeiten dieses Stils mag die Madonna des Presbyter Martin im K. Museum
zu Berlin (1199) genannt sein. Von deutschen Arbeiten steht unserem Stück
vor allem die thronende Stuckmadonna aus dem Dom zu Erfurt, (nach Haseloff
in »Meisterwerke der Kunst aus Sachsen und Thüringen.« S. 91 und Tafel 106:
12. Jahrhundert), die sehr charakteristische Holzmadonna zu Buschhoven (Kunst-
denkmale der Rheinprovinz IV. 2. S. 20: um 1190) und die Holzmadonna im
Niedermünster zu Regensburg (von Seyler, die mittelalterliche Plastik Regens-
burgs. 1905 S. 22 an den Beginn des 13. Jahrhunderts gesetzt), in weiterem
Grade auch der sitzende Christus im Tympanon des Nordportals am Wormser
Dom (12. Jahrhundert) nahe. Dazu kommen dann noch eine große Anzahl
von Grabsteinen, unter denen ich etwa die des Wittekind zu Engern in West-
falen (12. Jahrhundert), des Bischofs Friedrich von Magdeburg (f 1152) und
des Bischofs Adelog in Hildesheim (f 1190) nennen möchte. Fast alle zeigen
dieselbe Faltenstilisierung, stehen allerdings dabei meist künstlerisch weit
höher. Alle deutschen Vergleiche führen an das Ende des 12. und an den
iMitteilungen aut dem f^ermaD. Nationalmuseum. 1905. 13
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98 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMÜSEUM.
Anfang des 13. Jahrhunderts, so daß, da auf eine lokale Entwicklung keine
Rücksicht genommen werden kann, die Datierung »um 1200« genügen muß.
Stilistische Gründe, sowie Eigentümlichkeiten der Tracht geben bei einer
stehenden weiblichen Figur (PI. O. 2 Abb. 3) für die Datierung einen allgemeinen
Anhalt. Die Heilige ist in ein langes, oben faltenloses und um die Hüften
gegürtetes Gewand gekleidet, über den Schultern trägt sie den vorne offenen
langen Mantel. Das Haupt ist von den Schläfen zum Kinn herab mit einer
Binde umwunden, dem »Gebende«, wie es die mittelhochdeutschen Dichter
nennen (Moriz Heyne, Körperpflege und Kleidung bei den
Deutschen. 1903. S. 319 und 324); eine horizontale um den
Oberkopf sich hinziehende Einkerbung deutet an, daß hier
ehemals ein Schapel oder Kronreif angesetzt war. Vom
Hinterkopf ziehen sich seitlich vor dem Gebende hinweg
zwei dicke geflochtene Zöpfe und fallen über die Schul-
tern in fast senkrechten Linien bis zu den Knieen herab.
Die Unterarme sind vor den Leib gelegt.
Die Figur, die aus Lindenholz besteht und deren
Höhe 78 cm beträgt, ist stark beschädigt : durch Wurm-
fraß ist die ganze Stirnpartie zerstört, die Nase ist abge-
stoßen und beide Hände fehlen. Unter einer zwar noch
mittelalterlichen Bemalung finden sich auf dem Kreide-
grund so viele Reste der ältesten Färbung, daß die ur-
sprüngliche Farbengebung deutlich erkannt werden kann.
Das Gewand war vergoldet, der Mantel war rot und mit
Goldblumen gemustert, sein Futter weiß, oder, was wahr-
scheinlicher sein dürfte, hellblau. Das Gebende war gol-
den und mit roten Streifen verziert, das Gesicht war
naturfarben bemalt, die Zöpfe waren golden und mit
dünnen roten, den Windungen des Flechtwerks folgen-
den Strichen versehen.
Da die Hände und somit das Attribut, welches die-
Abb. 3. Maria (?). Um 1200. selben gehalten haben könnten, fehlen, so kann nicht mit
'^' ' * ^™* Sicherheit nachgewiesen werden, welche Heilige hier dar-
gestellt werden soll. Es ist aber sehr wahrscheinlich , daß überhaupt kein
Attribut vorhanden war. 5 Bohrlöcher in der Fußplatte, von denen 3 noch
mit starken Eisennieten versehen sind, deuten auf eine besonders feste Auf-
stellung der Figur. Es ist demnach wahrscheinlich, daß die Gestalt eine
Maria ist und hoch oben auf dem Querbalken unter dem Triumphkreuz auf-
gestellt war. Für eine solche freie Aufstellung spricht der Umstand, daß auch
die Rückseite der Figur völlig bearbeitet und in ursprünglicher Weise bemalt
ist, andererseits lassen sich die Armstümpfe leicht zu dem Schmerzensgestus
der Maria — vergl. etwa die Wechselburger und die Freiberger Gruppe —
ergänzen.
Der für die höfischen Kreise charakteristische Kopfputz, das Gebende
mit dem schapelartigen Reif um das Haupt, kam etwa gegen Mitte des 12.
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VON DR. W. JOSEPHI. 99
Jahrhunderts auf und erhielt sich das ganze 13. Jahrhundert hindurch, wie
überaus häufig in der zeitgenössischen Buchillustration, in der Skulptur und
an Glasgemälden nachzuweisen ist. Ich erinnere etwa an die Darstellung des
Tanzes der Salome in einem Aschaffenburger Evangelienbuch (bei Hefner-
Alteneck, Trachten, Kunstwerke u. s. w. I 1879, Tafel 69 in die Zeit von
1100 — 1160 gesetzt), sowie an ein Glasgemälde mit der Kreuzprobe der hl.
Helena im Germanischen Nationalmuseum aus der Zeit von etwa 1180 — 1220
(Katalog der Glasgemälde 1898. N. 1 u. Tafel I). Vergl. ferner Bredt, Kata-
log der mittelalterlichen Miniaturen des Germanischen Nationalmuseum 1903.
Nr. 18 mit Abb. (13. Jahrh.) Ebenso zeigen diese Tracht die bekannten
plastischen Werke des 13. Jahrhunderts, wie etwa der Grabstein der Gattin
des Markgrafen Dedo in der Schloßkirche zu Wechselburg (um 1230), der
Gleichen-Grabstein im Dom zu Erfurt (von Buchner, die mittelalterliche Grab-
plastik in Nord-Thüringen. 1902 Tafel I und S. 1 f. um das Jahr 1264 gesetzt)
und die Naumburger Stifterfiguren (bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts.)
Dieser weite Zeitraum läßt sich durch die Haartracht etwas verengen.
Die Mode der lang über die Schultern herabhängenden Zöpfe, die oft sogar
mit Bändern reich durchwunden waren, war vornehmlich im 12. Jahrhundert
beliebt, wie die Königinnenstatuen von der Kathedrale zu Corbeil, die Stuck-
figur einer thronenden Madonna im Dom zu Erfurt, die Madonna der Chor-
schranken von St. Michael in Hildesheim, die oben erwähnte Madonna von
Buschhoven, die Madonna aus St. Gangolf in Metz (Leitschuh, elsäss. und lothr.
Kunstdenkmäler, Nr. 6), sowie vereinzelte Madonnenstatuen in Trient, Regens-
burg, München u. s. w., letztere teilweise schon aus dem Anfange des 13. Jahr-
hunderts, beweisen. Im Verlaufe des 13. Jahrhunderts ging diese Sitte in die
Bürgerkreise über, während der Adel nunmehr das Haar frei herabwallen ließ.
So führen äußere Gründe dazu, als Entstehungszeit dieses Stückes mit
ziemlicher Sicherheit den Schluß des 12. oder den Beginn des 13. Jahrhun-
derts anzunehmen. Eine Bestätigung findet diese Datierung insofern, als unser
Stück, wenn man überhaupt einfache Holzschnitzwerke mit Kunstwerken, die
auf der Höhe der Zeit stehen, vergleichen darf, in Anordnung, Tracht, vor
allem aber auch in stilistischer Beziehung mit den Königinnenstatuen von
Corbeil große Ähnlichkeit aufweist. Diese Statuen entstammen der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts; allerdings sind sie in Frankreich gefertigt, dem
damals künstlerisch am weitesten vorgeschrittenen Lande. Den französischen
Arbeiten ist in gleicher Weise wie unserem Stücke die steife Frontalität, der
für die Umrißgestaltung ausschließlich maßgebende Zwang der Werkform,
sowie die rein schematische Wiedergabe der Faltenzüge eigen.
Das Können, mit dem unser Bildschnitzer an sein Werk herantrat, ist
ein durchaus unentwickeltes, wenn es auch schon an Reife gegenüber dem des
Verfertigers der an erster Stelle betrachteten Bischofsstatue zugenommen hat.
Daß die Proportionen so unnatürliche sind, wird hauptsächlich seinen Grund
in dem unentwickelten Anschauungsvermögen der Zeit haben, ma^ aber auch
auf die Rechnung der die Plastik völlig im Banne haltenden Architektur zu
schreiben sein. In der Durchführung zeigt sich deutlich, wie wenig das Auge
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^00 DIB FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM ÜERMANISCHKN NATI0NALMU8EUM.
jener Zeit für das Charakteristische geschärft war. Leider ist das Gesicht
zu sehr zerstört, um ein Urteil zuzulassen; allein in der Durchführung der
ganzen Körperform, in der die Grundform des abgedrehten Holzklotzes deut-
lich wiederklingt, in der Vermeidung jeder größeren Ausladung oder Über-
schneidung, sowie in der willkürlich rohen Faltengebung des Untergewandes
zeigt sich doch ein nur sehr geringes Maß von Können und Verstehen. Das
Stück wurde im Jahre 1884 in Köln a. Rh. erworben und soll rheinischer
Herkunft sein.
Das Germanische Nationalmuseum besitzt unter seinen Frühwerken eine
größere Anzahl von Madonnen, die im Folgenden zusammenfassend behandelt
werden sollen; lehrt doch eine Vergleichung von Bildwerken desselben Vor-
wurfs aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Stufen künstlerischer
Entwicklung am besten die Fortschritte in der Einzeldurchbildung sowie den
Wandel in der inneren und äußeren Auffassung.
Das eigentliche Andachtsbild des mittelalterlich-christlichen Kultus ist
die Darstellung der Madonna mit dem Kinde; durch alle Zeiten vom Früh-
christentum bis zum Schlüsse des Mittelalters, und in der römischen und
griechischen Kirche bis auf den heutigen Tag, hat dies Motiv seine Geltung
als vornehmstes Kultbild bewahrt. Nur leise pflegt das Grundthema variiert
zu werden; bald sehen wir die Gottesmutter als thronende Königin, bald als
liebende Mutter, an die sich das Kind zärtlich schmiegt. Je nach den Zeiten
und der Stellung, die das allgemeine Empfinden dem Individuum den Himm-
lischen gegenüber zuwies, erfährt das Grundmotiv Wandlungen. In den ältesten
Zeiten christlicher Lehre scheint in der Madonna das rein mütterliche Moment
überwogen zu haben. Eine Darstellung in den Katakomben der Priscilla zu
Rom aus dem 3. Jahrhundert (abgebildet bei Venturi-Schreiber, die Madonna
S. 8) atmet heiterste Lebenslust und unterscheidet sich rein innerlich durch-
aus nicht von den Schöpfungen Rafiaels und seiner großen Zeitgenossen dies-
seits und jenseits der Alpen. Dann versteinerte diese Darstellung unter dem
Wandel des religiösen Denkens, vor allem aber infolge des Nachlassens der
künstlerischen Fähigkeiten und des Eindringens orientalischer Anschauungen
zu einem reinen Repräsentationsbilde, in dem sich allerdings fast immer noch
kleine, versteckte genrehafte Züge geltend machen. Das rein Menschliche in
der Darstellung kommt erst wieder mit Cimabue, vor allem mit Giotto und
Giovanni Pisano, im Norden bei den Meistern des 14. Jahrhunderts zum vollen
Durchbruch, um von da an bis auf den heutigen Tag die Darstellung zu be-
herrschen.
Stilistisch, doch schwerlich zeitlich, dürfte das altertümlichste Stück dieser
Gruppe eine Madonnenfigur (Fl. O. 313; Abb. 4) sein, die 1887 in München
erworben wurde und angeblich oberbayerischer Herkunft ist. Die Figur ist
sehr beschädigt, der Torso ist 56 cm hoch und von Lindenholz. Die Farbe,
die sich, wie Reste beweisen, ehemals auf Kreidegrund befand, ist völlig ent-
fernt. Die Zeit hat dem Stücke aufs übelste mitgespielt , Winiiifraß und
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VON DR. W. JOSEPHI. 1^^^
Brand haben es stark beschädigt. Das Grundmotiv ist dennoch deutlich zu
erkennen: die thronende Maria hält vor sich das Kind, welches in seiner
Linken ein Buch faßt, während es die Rechte ehemals wohl segnend erhob.
Es fehlen das Fußende der Bank, der obere Teil des Kopfes der Maria, ihre
äußerste rechte und ein größeres Stück ihrer linken Seite, sowie die unteren
Körperpartieen, ferner beide Füße Christi und seine rechte Hand.
Da diese Darstellung der Gottesmutter zweifellos den primitivsten Typus
in unserer Sammlung bedeutet, so stellen wir dies Stück an die Spitze; doch
Abb. 4. Madonna. 13. Jahrb. Abb. 5. Madonna. Aus Tirol.
PI. 0. 813. H. 56 cm. PI. 0. 26. H. 7ft cm.
bestehen erhebliche Zweifel, ob ihm auch ein entsprechendes Alter zuerkannt
werden darf. Die Arbeit scheint nämlich , soweit die schlechte Erhaltung
überhaupt ein Urteil zuläßt, weit hinter der allgemeinen Entwicklung der
Kunst zurückgeblieben zu sein und nur eine veraltete Phase zum Ausdruck
zu bringen.
Das Prinzip der Frontalität kommt hier selbst noch in der Haltung des
zwischen den Knieen der Mutter sitzenden Kindes zum Ausdruck, ein Motiv,
das mit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu Gunsten einer freieren
Auffassung abgestoßen wurde. Die gleiche Altertümlichkeit zeigt auch die
rohe Technik in der Wiedergabe von Gewandfalten , welche nur mit derb
angegebenen Kerben und Ritzen arbeitet. Diese Anordnung derselben, vor-
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102 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM.
nehmlich an den Knieen, findet sich vereinzelt bei Werken des späten 12. Jahr-
hunderts ähnlich wieder. Allein diese Zeit für die Entstehung des Stückes
in Anspruch zu nehmen, ist unmöglich, weil die tiefe Stufe der Entwicklung,
die sich in den bisher betrachteten Momenten ausprägt, in scharfem Wider-
spruch steht mit der fortgeschritteneren Durchbildung der Köpfe. Die ganze
Durchführung des Gesichts, die gut beobachteten, allerdings äußerst roh
wiedergegebenen Züge, vor allem die detaillierte Kenntnis der schwierigen
Flächen unter den Augen beweisen, daß der Schnitzer schon mehr zu be-
obachten gelernt hatte, als es nach der äußeren Anlage der Figur den An-
schein hat, daß er in einer Zeit lebte, wo es bereits eine entwickeltere
Plastik gab, ohne daß es ihm allerdings möglich war, mit jener Entwicklung
Schritt zu halten. Auch wäre der Fall denkbar, daß es sich hier um die
Nachahmung eines älteren Kultbildes handelt, bei welcher sich stets — auch
aus unserer Sammlung werden wir prägnante Beispiele bringen — eine selt-
same Mischung von Altem und Neuem geltend zu machen pflegt. Vor dem
13. Jahrhundert dürfte 'das Stück schwerlich entstanden sein.
Nicht weniger roh ist die Madonna (PI. O. 26; Abb. 5). Sie ist 75 cm
hoch und aus Lindenholz. Die thronende und gekrönte Madonna hält auf ihrem
linken Knie — also das Prinzip extremster Frontalität ist bereits verlassen —
das ebenfalls mit einem Kronreif geschmückte Kind, das die Rechte segnend
erhoben hält und mit seiner Linken ein Buch gegen die Brust preßt. Die
Statue ist hinten gehöhlt, es fehlen der rechte Arm der Maria und die rechte
(später ergänzte) Hand Christi, ferner die Spitzen der Kronen. Bemalt ist
die Figur mit einem abscheulichen Blumenmuster des 17. oder 18. Jahrhun-
derts, doch befindet sich darunter der alte Kreidegrund mit einigen originalen
Farbenspuren, aus denen aber nur zu ersehen ist, daß das Gewand der Maria
ehemals blau war.
Das Stück ist jeder künstlerischen Bedeutung bar, es ist ein roher Holz-
klotz, aus dem mühsam und nur andeutend die Grundlinien der beiden Körper
modelliert sind, und dürfte die tiefste Stufe einer Bildhauerkunst überhaupt
verkörpern. Ich halte das Stück für eine primitive bäuerliche Arbeit des
früheren Mittelalters. Für die bäuerliche Herkunft, und zwar aus einem welt-
abgeschiedenen Orte, spricht auch die selbst für ländliche Kultur erschreckend
rohe Bemalung, mit der das Stück in der Spätzeit verschönert wurde. Nach
Angabe des Verkäufers stammt es aus Tirol.
Im Jahre 1904 erwarb das Museum in den Bodenseegegenden die Holz-
figur einer thronenden Gottesmutter (PI. O. 299; Abb. 6), die die steife und,
wie man glaubte, byzantinische Auffassung des frühen Mittelalters gut veran-
schaulicht. Das Stück, das 94 cm hoch ist und dessen Material Lindenholz ist,
ist rundplastisch angelegt, doch an der Rückseite gehöhlt. Maria, mit einem
Diadem gekrönt und in ein langes Gewand mit einem kürzeren Überwurf
gekleidet, sitzt frontal auf einem einfachen Throne, ihre Füße stehen parallel
auf hoher Trittplatte. Auf ihrem linken Knie sitzt mit gekreuzten Unter-
schenkeln das Kind, das mit der Linken ein Buch gegen den Körper hält
und seine Rechte segnend erhebt. Die Farben sind zum Teil in späterer
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VON DR. W. JOSEPHI.
103
Zeit erneuert, vielleicht auch verändert: das Untergewand der Maria ist oliv,
der Überwurf rot, das Christkind ist in ein blaues Gewand gekleidet. Der
Stuhl ist weiß. Alle Farben liegen auf Kreidegrund mit stellenweiser Leinen-
verstärkung. An den Kanten und Säumen, sowie auf den Wänden des Throns
befinden sich in die Kreide gepreßte geometrische Ornamente. Es fehlen
Abb. G. Madonna. Ende deu 12. Jahrli.
PI. 0 299. H. 94 cm.
an der Figur der Maria der rechte Arm und die Spitzen des Diadems, beim
Kinde drei Finger der rechten Hand und ein Stück vom linken Fuß.
Der Stil dieser Figur unterscheidet sich scharf von dem der vorher
beschriebenen Sitzfigur der heiligen Anna, und das ist um so bemerkenswerter,
als, wie später nachzuweisen sein wird , der zeitliche Abstand beider Stücke
von einander schwerlich ein großer ist. Während sich bei jenem Werke in der
dekorativ-regelmäßigen Anordnung der scharf gepreßten Falten höchste Unnatur
und Künstelei geltend macht, ist hier die Auffassung zwar eine viel rohere,
aber doch natürlichere. Der Schnitzer will schon sanft verlaufende Wellen
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104 £)iB FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMÜSKÜM.
zur Belebung der Stofifmassen verwenden, allein er geht zu gewaltsam vor,
indem er durch allzu große Häufung paralleler, spitzwinklig zu einander ge-
ordneter Linien doch wieder zu einem leeren Schema kommt. Dies Fisch-
grätenmotiv kehrt dreimal wieder, ganz ausgesprochen am unten spitzwinklig
verlaufenden Obergewandsüberschlag, weniger deutlich am rechten Unter-
schenkel und an der recht stiefmütterlich behandelten Brustpartie. Die An-
ordnung des Gewandes ist genau die gleiche wie bei der an erster Stelle
betrachteten Statue des thronenden Bischofs aus dem 12. Jahrhundert, und
darum ist hier der stilistische Fortschritt gegenüber jener Frühzeit um so klarer
ersichtlich; denn während dort der Versuch einer Motivierung des dreieckigen
Gewandumrisses kaum gemacht wurde, ist hier das System der von den Armen
bis in den untersten Zipfel des Gewandes laufenden Falten deutlich, wenn
auch nicht gerade in überzeugender Weise zum Ausdruck gekommen. An
beiden Ellenbogen, dort wo sich die Hauptmasse des Stoffes zusammenschiebt,
findet sich sogar ein scharf zusammenlaufender Knäuel von Falten und Brüchen.
Verhältnismäßig klar tritt der Gegensatz des freien Flusses der seitlichen
Falten des Untergewandes zu dem gehinderten des von beiden Armen auf-
gehobenen Obergewandes in die Erscheinung, ebenso ist die Einwirkung
des vortretenden Kniees auf die Fältelung gut beobachtet, wie auch das
schwierigere Motiv der lang herabhängenden und über die Thronseiten ge-
legten Ärmel erkennbar wiedergegeben ist. Dagegen ist die Faltengebung im
Gewände des Kindes recht oberflächlich, wenngleich auch hier ein miß-
lungener Versuch gemacht ist, die Kniee durch die Gewandung hindurch-
scheinen zu lassen.
Die Gesamtanlage der Gruppe ist plump und läßt nur ein sehr geringes
Verständnis des menschlichen Körpers erkennen. Wie bei fast allen diesen
Frühwerken sind die Köpfe abnorm nach vorne geschoben, und dadurch wird
der ganze Ausdruck ein fast stupider. In den Gesichtszügen gibt der Schnitzer
nur das allgemeinste, ein Innenleben spiegelt sich in ihnen noch nicht wieder,
wie überhaupt der Kopf als Mittel des Ausdrucks noch nicht erkannt ist.
Die Nasen sind glatt und sehr wenig modelliert, die Augen halbkugelig und
glotzend und erhalten allein durch die Bemaluhg einen Anflug von Leben.
Einzig in der Mundpartie des Kindes zeigt sich ein feineres Durcharbeiten.
Die Durchbildung des Körpers ist sehr roh , überall zeigen sich anatomische
Unmöglichkeiten, wenn auch nicht stets so deutlich wie etwa an den unteren
Extremitäten des Kindes. Die weibliche Brust ist fast negiert, wie ja über-
haupt die Frühzeit deutscher Kunst bis weit in das 14. Jahrhundert hinein
einen anatomischen Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Körper
häufig zu übersehen pflegt.
Auch noch bei dieser Figur übt die Werkform des Holzes einen be-
stimmenden Einfluß auf die Gesamtgestaltung aus, indem der Schnitzer jedes
freiere Heraustreten einzelner Körperformen vermeidet. Noch ist ihm die
eigentlich plastische Gestaltung fremd, der ganze Unterkörper ist in die Fläche
projiziert und der Faltengebung liegt ein zeichnerisches Prinzip zu Grunde,
wie auch insbesondere die Hand der Madonna plastischer Durchbildung ent-
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VON DR. W. JOSEPHI.
105
behrt. Nur der rechte Unterarm, der selbständig gearbeitet und angesetzt
war, scheint sich aus der Fläche erhoben zu haben.
Zeitlich wird die Statue an das Ende des 12. Jahrhunderts zu setzen
sein. Sie stimmt stilistisch ziemlich überein mit einer stehenden Maria im
städtischen Museum Wallraf-Richartz zu Köln, einer tiroler Arbeit, die dort
für das »12. Jahrhundert« in Anspruch genommen wird. Gewisse allgemeine
Anklänge weisen auch auf die schon erwähnte Madonnenstatue aus Borgo
San Sepolcro im Berliner Museum, die im Jahre 1199 von einem Presbyter
Martin gefertigt wurde (Abgeb. im Jahrbuch der Preuß. Kunstsammlung 1888).
Am deutlichsten, weil in viel gröberer Auffassung, kehrt das Faltenprinzip
Abb. 7. Madonna. Erste H&lfte des 18. Jahrh.
PI. 0. 2X&. H. 48 cm.
am Grabstein des Bischofs Gottfried I. von Pisenburg im Würzburger Dom
wieder, der 1190 starb. Nicht ganz so klar, doch ähnlich zeigt sich dies
Motiv auf dem Grabstein des Plectrudis in St. Maria auf dem Kapitol in Köln
(12. Jahrhundert) und dem des Bischofs Adelog von Hildesheim (f 1190).
Durch diese Analogien dürfte die zeitliche Fixierung unseres Stückes an das
Ende des 12. Jahrhunderts gegeben sein.
Eine sehr feine Arbeit ist eine sitzende weibliche Gestalt (PI. O. 305;
Abb. 7), der zwar beide Arme und damit die Attribute fehlen, die aber,
worauf auch der Holzdübel auf dem linken Knie hindeutet, wohl als Madonna
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1905. 14
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106 DIE FRÜHWERKE DER flOLZPLASl'IK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM.
anzusprechen ist. Die Heilige sitzt auf einer Bank, ihr Haupt ist ein wenig
nach links gewandt und leicht geneigt. Ein langes Gewand, das vor den
Füßen reiche Falten wirft und über das in kühnem Schwünge von rechts
nach links ein Mantel gelegt ist, bildet ihre Kleidung. Ihr Haar ist in der
Mitte gescheitelt und fällt in welligen Flechten auf die Schultern herab. Die
Rückseite der Figur, deren Höhe 43 cm beträgt und deren Material Linden-
holz ist, ist auch auf der Rückseite bearbeitet, doch deutet die Höhlung der
gerade abgeschnittenen Bank, sowie der rückseitige von Färbung freie Ver-
tikalstreifen an der Körpermittelachse darauf, daß die Figur vor einem flachen
Hintergrunde befestigt war. Eine jüngere Bemalung hat dem Gewände rote
und blaue Färbung gegeben, allerdings in völlig verkehrter Weise, indem der
obere Teil des üntergewandes wie der Mantel rot, der untere Teil jedoch
blau ist. Die auf dem Kreidegrund liegenden alten Spuren beweisen aber,
daß das ganze Gewand ehemals vergoldet war. Der Oberkopf war mit Leinen
überzogen, auf welches blaue Farbe aufgetragen war; dasselbe Blau kehrt
unten auf den Achseln wieder, und es scheint, da die Seitenlocken vergoldet
waren, als ob dadurch ein Kopftuch dargestellt werden sollte. Gesicht und
Hals hatten Fleischfarbe. Es fehlen der ganze rechte Arm und der linke
Unterarm, die beide ehemals angedübelt waren.
Charakteristisch für diese Figur und gegensätzlich zu allen vorher be-
trachteten ist die Feinheit und Zartheit der Auffassung, sowie die relativ
große Richtigkeit in der Wiedergabe der Körperformen. Wenn auch in den
Details viel Fehlerhaftes und Oberflächliches ist, so sind doch die Grundzüge
des menschlichen Organismus richtig aufgefaßt und dargestellt. Auch die
Durchbildung des Ganzen ist durchaus schon eine plastische. Die Einzel-
heiten im Gesicht, das zwar wenig Charakter aufweist, sind gut durchgebildet,
Der Faltenwurf der Gewandung ist wohl noch etwas unfrei und unklar durch-
geführt, — das Versehen des späteren Bemalers zeigt, daß auch er ihn nicht
verstanden hat — aber er zeugt doch im Einzelnen, in den zarten Schwellungen
und Senkungen, in dem Gegensatz der gespannten und der mehr fallenden
Züge, in den Durchkreuzungen und Einschneidungen von großer Feinheit und
gutem Verständnis.
Der Faltenstil zeigt dieselbe Entwicklungsstufe, wie wir sie an den herr-
lichen Cyklen des frühen 13. Jahrhunderts in Frankreich, so an dem Nord-
portal der Kathedrale zu Chartres (seit 1215), vor allem aber an den Pfeilern
des Südportals (seit 1212), wo fast identische Motive wiederkehren, bewun-
dern (Marcou, Album du Mus6e de sculpture compar6e II PI. 24). Die Auf-
fassung ist ganz eigenartig und findet sich in Deutschland nicht allzu oft. Am
meisten entsprechen noch die getriebenen Figürchen vom Schrein der hl. drei
Könige im Dom zu Köln um 1200 (Münzenberger Lief. XVIII 6 u. 7; Falke
und Frauberger Tafel 61 — 64) unserem Stücke, wenn auch nicht verkannt
werden darf, daß Vergleiche kleinpastischer Metallarbeiten mit Holzschnitzereien
nur von bedingter Beweiskraft sind. Auch einige Figuren des 1237 vollen-
deten Marienschreins im Aachener Münsterschatz (Beissel, Kunstschätze des
Aachener Kaiserdoms. Tafel XiX-— XXIII) gehen aus demselben Stilgefühl
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VON DK. W. J08EPHI. 1 Ol
hervor. Ein engerer stilistischer Zusammenhang ist mit einigen der sitzenden
Brüstungsfiguren in der Trausnitzer Schloßkapelle (bei Landshut i. B.) zu
konstatieren, die nach Haack m die Erbauungszeit der Kapelle (1204—1231)
zu setzen sind. Wenn unser Stück auch sehr viel feiner ist, so geht es doch
in manchen Beziehungen mit einzelnen Figuren der Jungfrauen im Magdeburger
Dom zusammen, die, wie A. Goldschmidt im Jahrbuch der Preußischen Kunst-
sammlungen XX 1899, S. 285 ft'. einwandsfrei nachgewiesen hat, im zweiten
Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts und zwar unter direktem französischen Ein-
fluß entstanden sind. Wie bei diesen allerdings ins Extrem verzerrt, so ist
auch bei unserem Werk der auf dem Boden lagernde Teil des Gewandes in
eine Masse schnörkelhafter Gebilde aufgelöst. Es steht mit diesem Motiv
der herrlichen Holzstatue der thronenden Gottesmutter in der Kirche Unserer
Lieben Frauen in Halberstadt (nach Haseloff in »Meisterwerke der Kunst in
Sachsen und Thüringen« Tafel 115 und Seite 95: Anfang des 13. Jahrhunderts)
sehr nahe, während es sich in der sonstigen Auffassung von diesem Stücke
entfernt.
Das Werk, das in Köln erworben wurde und wahrscheinlich aus der
Kölner Gegend stammt, ist demnach wohl in die erste ^Hälfte des 13. Jahr-
hunderts zu datieren. Ob man bei ihm infolge der Ähnlichkeit mit fran-
zösischen Arbeiten von direktem französischen Einfluß sprechen darf, scheint
mir — der Landshuter Vergleich macht skeptisch — fraglich. Jedenfalls
gehört es in jene große Gruppe hochbedeutsamer Denkmale, die sich ganz
eigenartig und in einer heute noch nicht völlig aufgeklärten Weise aus der
Masse der rohen Denkmale des 13. Jahrhunderts erheben.
Mit dem 14. Jahrhundert trat eine durchgreifende Stiländerung ein: erst
jetzt wurde der Stil eigentlich plastisch und ließ in tieferen Aushöhlungen und
Überschneidungen eine Schattenwirkung zur künstlerischen Geltung kommen.
Das war im 13. Jahrhundert, wenn wir von den wenigen Meisterwerken ab-
sehen , für die Masse der Bildwerke noch nicht der Fall. Der Stil des
14. Jahrhunderts ist, so zart und fein auch die Übergänge aus den Stilphasen
des 13. Jahrhunderts sind, doch charakteristisch und scheidet sich von der
Vorzeit nicht weniger deutlich als vom 15. Jahrhundert.
im Verlaufe des 13. Jahrhunderts verlor das Bild der thronenden Gottes-
mutter von seinen repräsentativen Eigenschaften; die genrehaften Züge, wie
etwas das Anschmiegen von Mutter und Kind, das gegenseitige Anblicken,
das Beigeben von Attributen aus dem täglichen Leben, Züge, die sich schon
gelegentlich ganz versteckt selbst bei den starrsten Bildern geltend gemacht
hatten, traten mehr und mehr in den Vordergrund und bewirkten die Um-
bildung des hieratisch-feierlichen Charakters des Kultbildes in einen heiter-
gemütvollen. Maria blieb nicht mehr die ernste feierliche Herrscherin, vor
deren Throne sich die Gläubigen schaaren, sie wurde liebende Mutter ihres
Kindes, dem allein ihr Blick und ihr Denken galt und dem sie mit echt
mütterlicher Liebe scherzend die Zeit verkürzte. Nur die Krone — und auch
diese nicht immer — gemahnte daran, daß nicht eine schlichte und einfache
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lOS DIE FRÜH WERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMÜSEUM.
Frau aus dem Volke, sondern die Herrscherin der himmlischen Schaaren dar-
gestellt sein sollte.
Aus dem 14. Jahrhundert besitzt das Germanische Nationalmuseum vier
Statuen der thronenden Gottesmutter, von denen wir drei verbunden zu be-
trachten haben (PI. O. 21, 20 und 25). Alle drei haben das gleiche Motiv:
Maria sitzt auf einer mit einem Kissen belegten Bank und hält mit der Linken
das in ein langes Hemd gekleidete barhäuptige Kind umfaßt. Dieses hat
auf dem Kissen der Bank neben der Mutter gestanden, sein linker Fuß ruht
noch darauf, während der rechte in Schrittstellung auf den linken Ober-
schenkel der Mutter gesetzt ist, deren Schoß der Kleine zustrebt. Maria
ist in ein langes, in der Mitte gegürtetes Gewand gekleidet, den Mantel trägt
sie in freiem Wurfe von rechts nach links über den Schoß geschlagen. Die
rechte Hand der Maria ist vorwärtsgestreckt und hielt, wie andere Werke
derselben Gattung beweisen, ein Szepter.
Im Einzelnen ist dies Motiv jedoch vielfach variiert, so daß sich inner-
halb des gleichförmigen Schemas eine wenn auch unbedeutende Selbstständig-
keit geltend macht, die wohl auf die Verschiedenheit der ausführenden Ge-
sellen zurückzuführen ist ; denn daß diese Figuren einer und derselben Werk-
stätte entstammen, dürfte kaum zweifelhaft sein. Die gemeinsame Abkunft
aller dieser Bilder von einem berühmten, doch heute verlorenen Kultbilde,
woran man auch denken könnte, scheint mir nach Lage der Dinge unwahr-
scheinlich.
Die Statue PI. O. 21 (Abb. 9) ist 65,5 cm hoch und von Lindenholz mit
einer Fußplatte von Eichenholz, sie war ehemals auf Kreidegrund bemalt,
doch ist die Farbe mit dem Grunde jetzt völlig entfernt. Christus hat sein
Haupt etwas nach rechts geneigt, seine Linke ist segnend erhoben, während
die gesenkte Rechte — der ganze Arm ist modern ergänzt — einen Vogel
faßt. Die Gruppe ist gut erhalten, ergänzt sind nur die linke Hand und der
rechte Arm mit der rechten Schulter Christi. Das Stück wurde 1893 von
einem Händler gekauft, der es in Mainz erworben haben wollte.
Die zweite Figur (PI. O. 20; Abb. 8) ist mit Sockel 93 cm hoch. Sie
besteht aus Lindenholz, die Fußplatte und der Thron ist aus Eichenholz. Die
alte Polychromie ist gut erhalten : das Gewand und der Mantel ist golden,
die Säume sind mit plastischen farbigen Steinen in bestimmter Musterung
verziert. Das Kissen der Bank ist mit gekreuzten Streifen bemalt, der Sockel
weist mehrere Farben auf. Die Technik ist die übliche: die Farben liegen auf
starkem Kreidegrund mit stellen weiser Leinenunterlage. An den beiden Seiten-'
wänden der Bank ist je eine Einzelfigur in Malerei dargestellt. Die Gesichter
sind später mit häßlichem gelben Anstrich versehen.
Das Motiv ist im wesentlichen das gleiche wie bei der an erster Stelle
beschriebenen Statue, nur ist die rechte Hand Christi greifend ausgestreckt.
Es fehlen die rechte Hand der Maria und der linke Unterarm Christi, sowie
Teile der dem Sockel vorgelegten Maßwerkgallerie.
Die dritte Figur (PI. O. 25 Birnenholz, Höhe 77,5 cm; Abb. 10) besitzt
ebenfalls ihre alte Bemalung, wenn auch in sehr beschädigtem Zustande.
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VON DR. W. JOSBPHI.
109
Auch hier finden sich die plastisch verzierten Säume in genau der gleichen
Musterung wie an der eben erwähnten Statue. Im Gegensatz zu den beiden
vorgenannten Stücken ist das Haupt der Madonna mit einer Krone geschmückt
und der hohe Sockel ist zu einer niedrigen Fußplatte zusammengeschrumpft.
Es fehlen die rechte Hand der Maria, der rechte Unterarm und die linke
Hand des Kindes. Erworben wurde das Stück im Jahre 1882 in Köln.
Abb. 8. Mftdonna. Niederrheinisch. Erste Hälfte des 14. Jahrh.
PI. 0. 20. H. 93 cm.
Das besterhaltene Stück ist das an zweiter Stelle genannte, die große
Madonna (Abb. 8). Wie bei fast allen Statuen des 14. Jahrhunderts tritt uns
auch hier deutlich der Versuch entgegen, den Zügen einen Ausdruck inneren
Lebens aufzuprägen. Zumeist führt das Mißverhältnis zwischen Wollen und
Können dazu, den Gesichtern einen breiten, etwas manirierten Ausdruck zu
verleihen, der als »gotisches Lächeln« für das 14. Jahrhundert fast typisch
ist. Während dieser Versuch in gewissem Grade bei der Maria gelang, ist
der Ausdruck des Kindes nur als ein stupides Grinsen zu bezeichnen, wie
überhaupt dessen kugelrunder Kopf mit den abstehenden übergroßen Ohren
durchaus verunglückt ist.
Deutlicher zeigt sich gegenüber den früheren Werken der bedeutende
zeitliche Fortschritt in der detaillierteren Wiedergabe der Gewandfalten. Die
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110 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM (iERMANiSCHEN NATIONALMUSEÜM.
Zeit, in der rein äußerlich ein Faltenschema dem Gewände aufgepreßt wurde
und im besten Falle nur die großen Hauptzüge ihre Begründung in der
Anatomie des Körpers fanden, war im 14. Jahrhundert auch für die Durch-
schnittsleistungen deutscher plastischer Kunst vorüber. Eine durchgängige
Beherrschung der Körperformen war zwar auch dieser Zeit noch nicht ge-
geben, doch bildete sich eine Kenntnis mehr und mehr aus, so daß die
Fehler nicht mehr so augenfällig und störend entgegentreten. Wir finden
denn auch bei unserer Statue die weiblichen Formen nur erst zart angedeutet.
Große Schwierigkeit machte dem Schnitzer die Augenpartie; in beiden Köpfen
sind die Augäpfel viel zu flach eingesetzt, wodurch dem Gesichte ein etwas
ausdrucksloser Zug eigen wird. Daß im allgemeinen die Körperproportionen
noch vielfach falsche sind und daß insbesondere die Länge des Oberkörpers
und die Breite der ganzen Gestalt in einer anatomisch unmöglichen Weise
reduziert sind, kann bei einem Werk des 14. Jahrhunderts nicht Wunder
nehmen.
Das Gewand schmiegt sich eng um den Oberkörper und ist deshalb
faltenlos; doch wo der Gürtel schnürt, dessen Ende frei nach unten hängt,
bilden sich einzelne scharfe Faltenaugen, die dann nach unten in geraden
Linien auslaufen. Der Mantel mit seinem großen Wurf und seinen vielfachen
Umbiegungen und Durchschneidungen ist durch größere und kleinere Falten-
züge reich belebt. Da die Gestalt, um dem Kinde das Gleichgewicht zu
halten, ein wenig nach rechts zurückgelehnt ist, beide Kniee ebenfalls nach
rechts verschoben sind und sich nicht senkrecht über den Füßen befinden,
so ergibt sich eine reiche Bewegung im Gefältel, dessen Hauptrichtung von
rechts oben nach links unten läuft. Dieser Stil ist der in der Hochgotik
allgemeine und steht in seiner Grundtendenz im direktem Gegensatz zu der
steifen Frontalität der Schöpfungen früherer Jahrhunderte.
Ein hoher Sockel befindet sich unter der Figur, er ist mit freiliegenden
Maßwerkvierecken belegt, aus dessen Mitte je ein plastischer Kopf (nur einer
ist erhalten) hervorsah.
Die figürlichen Darstellungen an den Seitenwänden des Throns sind als
frühe Denkmale der Tafelmalerei von besonderem Interesse. Es sind dies
je eine unter gotischem Maßwerk stehende weibliche Heilige, von denen die
an der Seite des Christkindes zu sehr zerstört ist, um einer Beurteilung unter-
zogen werden zu können, während auf der anderen Seite die heilige Agnes
verhältnismäßig gut und vor allem von jeder Restaurierung unberührt erhalten
ist. Die Technik ist eine sehr einfache Temperamalerei auf dickem weißen
Kreidegrunde. Die Heilige steht stark nach links ausgebeugt, sie ist in ein
rotes Gewand gekleidet, über das der grüne, vorne quer über den Unterleib
geworfene Mantel gelegt ist. Ihr gekröntes, von rötlichen Locken umrahmtes
Haupt neigt sich dem durch den Kreuzesnimbus ausgezeichneten Lamm zu,
das, von ihr an den Hinterbeinen gehalten, ihr entgegenstrebt. In der Rechten
hält sie die Palme der Märtyrerin.
Die Malerei entspricht in ihrer rein zeichnerisch - flächenhaften Manier
durchaus dem, was uns von W^andgemäldcn des frühen 14. Jahrhunderts be-
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VON DR. W. JOSEPHI. 1 1 1
kannt ist. Derbe schwarze Linien geben die Hauptfaltenzüge an, während
dünnere gerade schwarze Striche die kleineren Falten veranschaulichen sollen.
Alle Flächen sind ohne jede weitere Modellierung einfach mit Lokalfarbe
ausgefüllt, so daß der Gesamteindruck etwa der eines frühen Glasgemäldes
ist. Nur beim Kopfe, speziell am Übergang von der Backe zum Halse, ist
der Versuch einer Modellierung in die Tiefe gemacht. Von einer Kenntnis
des menschlichen Organismus kann hier überhaupt noch nicht gesprochen
Abb. 9. Madonna. Niederrheinisch. Erste Hälfte des 14. Jabrh.
PI. 0. 21. H. 65,5 cm.
werden. Wenn wir nun vorher an der Madonna gerade den Fortschritt in
der Kenntnis der Anatomie hervorheben konnten, so beweist die zugehörige
Malerei wieder einmal die schon mehrfach betonte Tatsache, daß im Mittel-
alter die Entwicklung der Plastik vor der Malerei einen großen Vorsprung
hatte.
Die Statue PI. O. 21 (Abb. 9) steht der vorgenannten so nahe, daß man
fast das Verhältnis einer freien Kopie zwischen beiden annehmen möchte.
Das Stück ist, trotzdem es der Farbe beraubt ist, das sympatischere, auch
feiner und eleganter ausgeführt. Die Gesichtszüge sind weniger flach , das
Lächeln im Antlitz ist nicht so ^ezwun^en, vielmehr ist der Eindruck ein
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112 DIE FRÜHWBRKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM.
mehr lieblicher. Unangenehm fällt auch hier die Plumpheit im Gesichte des
Christkindes auf.
Das Motiv ist völlig dem der eben besprochenen Figur gleich; als einzige
Variationen sind zu nennen, daß die Madonna die rechte Hand etwas ge-
streckter hält und deshalb das Szepter etwas weniger gesucht graziös umfaßt.
Ebenso ist die Armstellung Christi eine etwas andere, ohne daß dadurch
aber die Gruppe veränderte Bedeutung gewönne. Auch die ungeschickte
Stellung der linken Hand der Maria ist vermieden, die das Kind nicht mehr
unmittelbar unter Achsel, sondern in leichterer und natürlicherer Weise um
die Hüfte faßt. Wesentlicher für den Eindruck ist, daß Christus aus der
Fläche mehr nach vorne gerückt ist, wodurch die plastische Wirkung ver-
stärkt wird.
Für die Behauptung, beide Stücke entstammten ein und derselben Werk-
stätte, ist nicht allein das Motiv maßgebend, wenn dieses auch für den ersten
Eindruck bestimmend sein mag. Man wird bei so einfachen Darstellungen,
deren Motiv sich aus der Natur der Sache ergibt, stets gut tun, mehr auf
kleine Äußerlichkeiten als auf das oft nur sehr wenig variable Grundmotiv
Wert zu legen — ich erinnere beispielsweise an die vielen einander sehr ähn-
lichen Darstellungen der Pieta, bei denen die Abhängigkeit von einander oder
von einem gemeinsamen Vorbild ebenfalls zu Unrecht behauptet wird — und
solche Äußerlichkeiten sind, abgesehen von der oben erwähnten Ähnlichkeit
in der Kopfbehandlung und der aber auch sonst gleichartig vorkommenden
Haarbehandlung vornehmlich die fast identisch wiederkehrenden Züge nicht nur
der Hauptfalten, sondern auch der oft ganz willkürlichen kleineren Knickungen,
Brechungen und Windungen. Diese Wiederholungen zeigen sich allerorts, wenn
sie auch auf den Abbildungen bei dem etwas geänderten Aufnahmepunkt nicht
so deutlich in Erscheinung treten. Am drastischsten zeigt sich dies am Ge-
wände Christi, vielleicht deshalb, weil in beiden Fällen dieses in völlig ana-
loger Weise lange nicht so fein und individuell durchgebildet ist, wie das
der Maria und deshalb die willkürlichen Äußerlichkeiten deutlicher in Erscheinung
treten. Das lange, vorne bis etwa zur Kniehöhe geschlitzte Hemd des Kindes
hat sich bei der heftigen Schreitbewegung etwas zur Seite verschoben und
dabei hat sich der Schlitz geöffnet. Dessen Säume haben sich — ein sehr will-
kürliches Motiv — in trichterförmigen Falten nach außen umgeschlagen, so
daß beiderseits in gerundeter, oben spitz zulaufender Fläche die Innenseite
des Stoffes sichtbar wird. Diese sehr individuelle Darstellung kehrt bei beiden
Werken vollkommen identisch wieder ; und das ist ein so auffälliger Zug, daß
an eine Werkstattgemeinschaft kaum noch gezweifelt werden dürfte. Die
Vermutung wird fast zur Gewißheit, wenn man beachtet, daß auch die meisten
der mehr oder minder willkürlichen Knickungen und Falten bei beiden Werken
vollkommen genau wiederkehren.
Nachdem aber neben der Gleichheit des allgemeinen Motivs auch die
Werkstattidentität nachgewiesen ist, sind wir in der Lage, die durch die
Entfernung der Polychromie entstandenen Defekte der zweiten Figur aus der
ersten zu ergänzen. Zunächst ist sicher, daß die durch ihre Breite auffälligen
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VON DR. W. JOSEPHI.
113
Seitertwände der Bank ebenfalls durch figürliche Malerei geschmückt und oben,
wie Nagelspuren beweisen, durch eine aufgesetzte ProfiHerung abgeschlossen
waren. Ferner war zweifellos der hohe eckige und in dem jetzigen Zustand
sehr plump wirkende Sockel mit freien Maßwerkauflagen geziert. Das Profil
der unteren Fußplatte ist bei beiden Figuren genau das gleiche.
Die größere künstlerische Reife, die sich in der unpolychrom ierten Statue
Fl. O. 21 ausspricht, die mannigfachen Verbesserungen, die sich bei ihr
gegenüber der an erster Stelle betrachteten Madonna Fl. O. 20 geltend
machen , lassen es als sehr wahrscheinlich erscheinen , daß jenes Werk das
Abb. 10. Madonna. Niederrheinisch. Zweite Hälfte des 14. Jahrb.
PI. 0. 25. H. 77,5 cm.
spätere ist. Zufällig setzt uns aber der Denkmälerbestand des Germanischen
Museums, dessen plastische Werke zu einem sehr großen Teile aus den Rhein-
gegenden stammen, in die Lage, dieselbe Werkstätte noch weiter zu verfolgen
und aus ihr ein zeitlich zweifellos noch späteres Werk vorzuführen. Die Madon-
nenstatue Fl. O. 25, die wir oben betrachtet haben, ist bezeichnend für den
stilistischen Fortschritt. Die Statue wird wohl derselben Werkstätte wie die
beiden vorgenannten entstammen. Das Motiv ist genau das Gleiche wie bei den
beiden anderen Stücken, nur ist die Bewegung in den Faltenzügen nicht
minder wie in der Gestalt des Kindes energischer, fast stürmisch geworden,
und Maria muß daher ihren ganzen Arm um das Kind schlingen, um seinem
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 11M>5. lö
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114 DIE FRÜHWKRKK DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATION ALMÜSEÜM.
heftigen Streben Einhalt zu tun. Ebenso ist die Faltenangabe eine reichere
und bewegtere. Die Bereicherung zeigt sich besonders deutlich am Oberkörper
der Maria in der Gewandung, die vorher fast faltenlos war und nur unmittelbar
am Gürtel Einschnürungen aufwies, nunmehr aber bei durchscheinenden Körper-
formen durch strahlenförmig auf die Schnürung zulaufende straffe Faltenrücken
belebt ist. Derartige Bereicherungen lassen sich auch am Untergewand viel-
fach nachweisen und bewirken den volleren Eindruck dieses Faltenstils, der
schon den Übergang von der straffen Faltengebung des eigentlichen 14. Jahr-
hunderts zu dem am Ende desselben beginnenden und vornehmlich in den
zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts zum Extrem sich ausbildenden über-
reichen weichfaltigen Stil andeutet. Innerhalb dieser Bereicherung wiederholen
sich die großen Motive der vorher betrachteten Statue unmittelbar. Völlig
identisch mit der polychromierten Statue ist dagegen die eigenartige plastische
mit Pünktchen besäte Verzierung der Gewandsäume durch eine regelmäßige
Folge von Steinen und Buckeln in Kreidetechnik. Dagegen unterscheidet diese
Figur von den vorigen das scheibenartige Rund auf dem Haupte, um das, wie
Reste von Ziernägeln zeigen, eine lederne und mit Seide bezogene Krone —
Spuren finden sich unter den Köpfen der Ziernägel — befestigt war. Der
Kopf, der an erster Stelle behandelten Figur ist im Gegensatz dazu flach ab-
gearbeitet, während die zweite einen kreisförmigen, zum Aufsetzen einer Krone
bestimmten Einschnitt aufweist.
Eine oberflächliche Durchsicht der bisher publizierten Werke deutscher
Plastik führt uns auf andere Madonnen, die den unseren fast genau ent-
sprechen und demzufolge als Arbeiten der gleichen Werkstätte anzusehen
sind. Direkt identisch ist die Madonna aus Altenberg bei Wetzlar, (Münzen-
berger, mittelalterliche Altäre Deutschlands) bei der auch die gleiche Muste-
rung der Gewandsäume wiederkehrt und bei der ebenfalls die Behandlung
des Sockels mit der freien Maßwerkverzierung die gleiche ist. Sehr ähnlich
sind ferner die Madonnen in der Sammlung Grüneschild in Bettenhoven (Kunst-
denkmale der Rheinprovinz. VIII. Bd., I. Abt., S. 44: um 1300), auf dem
Marienaltar der Stiftskirche zu Kleve (ebenda I. Bd., IV. Abt., S. 97: Mitte
des 14. Jahrhunderts) und im Städtischen Suermondtmuseum zu Aachen. Auch
die Madonna aus Ophoven (Münzenberger , mittelalterliche Altäre Deutsch-
lands) zeigt dasselbe Motiv, wenn auch stilistisch umgebildet. Genau derselbe
Stil wie an unseren in Abb. 8 und 9 wiedergegebenen Figuren , gleichzeitig
auch mit völlig identischer plastischer Dekoration der Gewandsäume kehrt
in der aus der Sammlung Schnütgen stammende Madonna vom Dreikönigcn-
altar im Dom zu Köln wieder (Münzenberger, mittelalterliche Altäre Deutsch-
lands XVI. 8: Mitte des 14. Jahrhunderts). Doch ist das Motiv leicht ver-
ändert, indem das Kind die Schreitbewegung vollendet hat und nunmehr auf
dem rechten Knie der Mutter steht, diese aber ihren linken Fuß auf ein
Ungeheuer gesetzt hat. Auch ist ihre Gewandung durch ein Kopftuch be-
reichert. Diese Ausnahme von 'der Regel kann aber nur unsere Annahme
von dem Werkstättenzusammenhange bestätigen, denn der Grund dieser be-
sonderen Modifikationen ist nachweisbar; sie gehen auf eine sehr feine und
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VON DR. W. JOSEPHI.
115
wie der Stil und der Vergleich mit der Elfenbeinstatuette in der Sammlung
Oppenheim zu Köln (Seemann, Kunstgeschichte in Bildern) lehrt, französische
oder doch unter unmittelbarem französischen Einfluß stehende Statue einer
thronenden Madonna zurück, die sich jetzt im städtischen Wallraf-Richartz-
Museum befindet und die alle die vorgenannten Abweichungen zeigt. (Münzen-
berger XVI Tafel 8: Anfang des 14. Jahrhunderts; Führer durch das städtische
Museum Wallraf-Richartz zu Köln 1902 m. Abb.)
Wenn wir bedenken, daß alle vorgenannten Werke sich in den Gegenden
des Niederrheins befinden und daß eines der unserigen authentisch aus der
Kölner Gegend, eines nach allerdings nicht ganz sicherer Händlerangabe aus
Mainz stammt, so ist die Wahrscheinlichkeit eine sehr große, daß die Werk-
stätte — auch die leichten Anklänge an französische Kunst deuten darauf
hin — sich am Niederrhein und zwar sehr wahrscheinlich in Köln befand.
Diese Wahrscheinlichkeit wird mir fast zur Gewißheit durch den Umstand,
daß ich trotz eifrigfen Bemühens außerhalb der Rheingegenden kein Stück
gefunden habe, das nach Motiv und Stil dieser Gruppe zuzurechnen wäre.
Durch einen glücklichen Zufall sind wir in der I-age gewesen , eine
scharf umschriebene früh-rheinische Werkstätte vorzuführen, die durch drei
sehr charakteristische Werke im Germanischen Museum vertreten ist. Solche
Werkstättenzusammenhänge, die in der Spätzeit des Mittelalters gang und
gäbe werden , sind für die frühe Zeit nur selten nachweisbar und deshalb
für unsere Kenntnis des frühmittelalterlichen Werkstättenbetriebes sehr in-
teressant. Wir hatten diese Werkstätte, die wahrscheinlich um die Mitte des
14. Jahrhunderts ihre höchste Blüte hatte, nur soweit zu verfolgen, als es
für die zeitliche und örtliche Festlegung unseres Sammlungsmaterials nötig
war. Sehr wahrscheinlich wird es möglich sein an der Hand des so gesicher-
ten reichen Materials auch andere plastische Werke nachzuweisen, bei denen
nicht das Grundmotiv und die Äußerlichkeiten von so maßgebendem Einfluß
sind. Allerdings dürfte der Einfluß der verschiedenen Gesellenhände, der sich
schon bei unseren drei Stücken deutlich geltend macht und der selbst in
ganz entwickelten Perioden — ich denke etwa an die noch niemals einwand-
frei gelöste Wolgemutfrage — unangenehm in die Erscheinung tritt, gerade
für die stilistisch sehr schwer faßbaren Frühzeiten von erhöhter störender
Bedeutung sein.
Völlig verschieden von dieser Gruppe ist die thronende Madonna (PI. O. 27;
Abb. 11), wenngleich sie sich zeitlich den eben betrachteten Arbeiten anschließen
dürfte. Die Statue ist von Lindenholz, ist 81 cm hoch und war ehemals bemalt
und vergoldet. Die Rückseite ist gehöhlt. Das Motiv ist das übliche: Maria
sitzt auf der mit dem Kissen belegten Bank; sie ist in ein enges, hochgegürtetes
Gewand gekleidet. Auf dem Haupte liegt das Manteltuch, das auch den
ganzen Rücken einhüllt und, von links her über die Knie geworfen, den Unter-
körper mit reichen Falten verhüllt. Auf ihrem linken Oberschenkel hockt
mit übereinandergeschla^^enen Beinen das nackte Kind, das mit der rechten
Hand spielend den rechten Saum des Kopftuchs der sich ihm zuneigenden
Mutter zu sich heranzerrt. Auf dem Kopftuch der Maria liegt die Krone,
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116 DIE FRÜH WERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMDSEUM.
deren Reif allein erhalten ist, während die ehemals eingenuteten Zacken oder
Blätter verloren gingen. Es fehlen der rechte Unterarm der Maria und des
Kindes, weshalb das Genremotiv nicht mehr klar zum Ausdruck kommt,
ferner der ganze linke Arm des Kindes. An der unteren Gewandpartie sind
kleinere Defekte.
Die ehemalige Färbung ist in brutaler Weise abgelaugt, so daß das Holz
ein häßlich-schimmeliges Aussehen bekommen hat. Nachträglich ist dann
wieder der Oberkörper der Maria mit einem unschönen roten Anstrich ver-
Abb. IL Madonna. Mitte des U. Jahrh.
PI. 0. 27. H. 81 cm.
sehen. Trotzdem lassen spärliche Farbspuren erkennen, daß das Gewand
ehemals r(Jt, der Mantel golden gewesen ist.
Das Werk ist eine derbe Arbeit und weit entfernt von der zarten Durch-
bildung und vornehmen Auffassung, die allen Werken der eben betrachteten
niederrheinischen Werkstätte eigen ist. Mit der Plumpheit des Körperbaues
nicht weniger wie der Gewandfältelung verbindet sich ein recht leeres und
nichtssagendes Gesicht, und das Kind verletzt fast durch seine Roheit den
Beschauer. Andrerseits darf aber auch wieder nicht verkannt werden, daß
das Kindliche in seiner Bewegung und Haltung prägnant erfaßt und wieder-
gegeben ist. Der gotische Schwung kommt in der Komposition und in der
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VON DR. W. JOSEPHI.
117
Gewandung sehr gemildert zur Geltung; der Körper der Mutter ist nur ganz
wenig nach rechts hinübergeneigt, eine Bewegung, die durch das auf der linken
Seite gehaltene Kind genügend motiviert ist. Die Falten verlaufen einfach
und in der üblichen Weise vertikal, mit großer Schoßfalte, erst ganz unten
streben sie mit scharfer Knickung schräge zum Boden nieder.
Für die Statue, die ihrem Stil nach in der Mitte des 14. Jahrhunderts
entstanden sein mag, finden sich vornehmlich in Süddeutschland analoge Bei-
spiele. Ziemlich nahe steht ihr im Faltenstil das große Steinrelief Kaiser
Ludwigs des Bayern im großen Rathaussaale zu Nürnberg, das bald nach
dem Jahre 1332 gefertigt sein wird (Mummenhoff, das Rathaus in Nürnberg
S. 30 f. Frh. von Reitzenstein , Kaiser Ludwig der Bayer und seine Dar-
stellungen im Mittelalter; in der Zeitschrift des Münchener Altertums Vereins.
N. F. XII 1901). Sehr große stilistische Ähnlichkeit hat die allerdings rohere
und bei Riehl (Abh. der k. b. Akad, d. Wiss. lll. Cl. XXIII. Bd. I. Abt. Tafel 2.
Nr. 4) abgebildete Madonna in der Sammlung christlich-mittelalterlicher Kunst-
werke zu Freising, die dort mit »erste Hälfte des 14. Jahrhunderts« bezeichnet
ist. Da unser Stück in Augsburg erworben wurde, so ist auch aus diesem
Umstände die süddeutsche Herkunft wahrscheinlich.
In den Bereich unserer Betrachtungen gehört auch eine eigenartige Statue
der thronenden Madonna (PI. O. 16) , welche kürzlich durch Schenkung in
unsere Sammlungen gelangte. Nach Angabe der Spenderin soll sich das Stück
in Salzburg und früher in Steiermark befunden haben.
Maria sitzt auf einer Bank, sie ist in ein langes blaues, goldumsäumtes
Gewand mit ebenso gefärbtem Mantel gekleidet, auf ihrem Haupte liegt ein
weißes goldumsäumtes Tuch. Auf ihrer rechten Hand sitzt der in ein blaues
goldumsäumtes Gewand gekleidete blondhaarige Christus. Er hält in der
Rechten den Apfel, mit der Linken greift er nach einer Birne, die Maria
ihm reicht. Das Material ist Lindenholz, die Färbung Ölbemalung. Die Höhe
beträgt 50 cm.
Die Figur ist so stillos, daß schon ohne Untersuchung des Materials
der Gedanke an eine ältere recht ungeschickte Fälschung rege werden muß.
Und doch ist dies nicht der Fall, denn das Stück ist archaistisch-mittelalter-
lich und bedeutet eine späte Nachbildung des berühmten Muttergottesbildes
zu Maria-Zeil in Steiermark. (Abb. in »Mitt. der K. K. Zentralkommission
zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale« XIV 1869 S. 79 und im
»Kirchenschmuck« 1899. XXX S. 93.)
Derartige Nachbildungen sind bei den berühmtesten Wallfahrtsbildern
sehr häufig und kommen aus allen Zeiten vor. So z. B. besitzt das Kgl.
bayerische Nationalmuseum in München eine interessante Reihenfolge von
Nachbildungen der Muttergottes von Altötting aus dem 15. bis zum 18. Jahr-
hundert (Nr. 1299—1303 und 1357 des VI. Bandes des Kataloges von 1896).
NachbiMungen des Cranachschen Mariahilfbildes in Innsbruck trifft man, zur
abscheulichsten Rohheit entstellt, in zahlreichen Bauernhäusern Nordtirols an.
In diesen Kreis gehören auch die Kopieen des Mariazeller Gnadenbildes,
die sich vielfach in Kärnthen und Steiermark vorfinden — Stift Griffen, Wolfs-
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nS piE KRÜHWKRKE DKK HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMÜSEÜM.
berg u. s. w. — und die gelegentlich auch in Sammlungen, wie etwa in das
Bayerische Nationalmuseum zu München und in das Germanische National-
museum ihren Weg gefunden haben. Dabei ist interessant, daß alle diese Nach-
bildungen, soweit sie mir bekannt sind, unter sich einander ähneln, dabei sich
aber weit von dem Originale entfernen Insbesondere kommt die ganze sehr
eigenartige Faltenangabe in dieser Weise beim Original, das ich im Gegensatz
zu den frühen Datierungen der Lokalforscher für eine Arbeit des späten 13.
oder des beginnenden 14. Jahrhunderts halte, nicht vor. Der Grund wird der
sein, daß alle Nachbildungen auf eine grundlegende Kopie, wahrscheinlich aus
dem 18. Jahrhundert, zurückgehen. Bei dieser wurde, da das Original stets
bekleidet ist und, wie die Literatur beweist, selbst Forschern nur nach Über-
windung allergrößter Schwierigkeit ohne Hülle zugänglich gemacht wurde,
nur das allgemeine Motiv beibehalten, während im Übrigen die Phantasie frei
schalten mußte. Dafür spricht auch das Beibehalten einiger augenfälliger
Seltsamkeiten des Originals, wie etwa der überlange Zeigefinger der linken
Hand der Madonna, der bei der bekleideten Figur sichtbar blieb und deshalb
kopiert werden konnte. Daß diese erste und grundlegende Kopie im 18. Jahr-
hundert entstand, darauf deuten die flauen Falten sowie vor allem die eigen-
artige Umbildung des Kopftuchs, das bei dem Original einfach über den Kopf
gelegt, nur die üblichen leichten Schwingungen am Saum aufweist, während'
bei den Kopien daraus die Piissehauben des 18. und des beginnenden 19. Jahr-
hunderts geworden sind. Solche Stücke bieten naturgemäß dem Sammler viele
Schwierigkeiten, die sich erst lösen, wenn der Zusammenhang, in den sich
das Stück eingliedert, erkannt ist.
Eine ähnliche Stellung wird man der Statuette der thronenden Gottes-
mutter PI. O. 310 (Lindenholz, Höhe 34,5 cm) zuweisen müssen, in der sich
in seltsamer Weise Altes mit Neuem mischt. Anscheinend liegt der Arbeit
eine alte Madonna vom Typus des frühen 13. Jahrhunderts zu Grunde. Die
thronende und bekrönte Madonna ist in ein rotes hochgegürtetes Gewand ge-
kleidet, ein weißer Mantel umhüllt die Gestalt und wird, auf der Brust durch
eine auffällig große romanisch stilisierte Schließe gehalten. Das Haar ist wellig
aus dem Gesichte gestrichen und fällt auf dem Rücken in 2 Zöpfen herab,
dem rechten Knie sitzt das in ein langes blaues Gewand gekleidete Kind.
Ausgeführt zu sein scheint das Stück im späten Mittelalter oder gar noch
später. Die Bemalung ist eine ziemlich oberflächliche und entbehrt des Kreide-
grundes, der den frühmittelalterlichen Arbeiten eigen ist. Nur die Krone, die
anscheinend vergoldet war, hat einen dicken Kreide- und Leinengrund.
Das sonst so verbreitete Motiv der stehenden Madonna mit dem Kinde
ist unter den Frühwerken unserer Sammlungen nur durch zwei Statuetten
vertreten. Die eine (PI. O. 309, Abb. 12) ist von Eichenholz und 45,3 cm
hoch. Maria steht auf dem linken Fuß und hat das rechte Bein entlastet
zurückgestellt, wodurch der ganze Körper eine starke Ausbeugung nach links
bekommt. Auf ihrem linken Arm sitzt das Christkind, dem die Mutter ihr
in der Mitte gescheiteltes lockiges Haupt zuneigt. Der rechte Arm ist recht-
winklig vorgestreckt und trägt in der (er^^änzten) Hand einen Blütenstengel.
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VON DR W. JüSEPflI.
119
Gekleidet ist die Heilige in ein langes Untergewand mit darüber liegendem
Mantel, der an der linken Seite zu einem reichen Gefältel aufgerafft ist. Der
Oberkörper ist außerdem noch in ein umgeschlagenes Tuch, dessen Futter
durch einen breiten Überschlag am Halse sichtbar wird, gehüllt, doch ist dies
Motiv nicht konsequent durchgeführt und deshalb nicht ganz klar wieder-
gegeben. Das bekleidete Christkind sitzt mit übereinander gelegten Beinen
auf dem linken Arm der Mutter, der es sein Haupt zuwendet. In der Linken
hält es einen Vogel, während die Rechte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf
diesen hindeutet. Eine flache achtseitige Platte dient der Figur als Sockel.
Ergänzt sind der rechte Unterarm der Madonna mit dem
Attribut, und einem Stück des Gewandzipfels, ferner
die Sockelplatte mit Teilen der unteren Gewandpartieen.
Schon Essenwein hat sich in den »Mitteilungen aus
dem germanischen Nationalmuseum« II. Bd. 1887 — 1889
S. 231 eingehend mit der Figur beschäftigt und dabei
das Wesentliche über dieselbe mitgeteilt. Nur ist ihm
ein Irrtum insofern unterlaufen , als er , verführt durch
die Zartheit und Feinheit der Schnitzerei, eine ehemalige
Bemalung derselben ablehnen zu müssen glaubte. Schon
die rein plastisch kaum verständliche Anordnung der
Gewandung muß darauf führen,- daß durch das Mittel
der Malerei die großen Gegensätze deutlicher gemacht
wurden, andrerseits ist es auch sicher, daß für die
frühe deutsche Plastik Naturfarbe des Holzes zu den
größten Ausnahmen gehört. In der Tat finden sich auch
in den Poren des Holzes Spuren der Grundierung und
der Bemalung, allerdings nur sehr vereinzelt und mit
unbewaffnetem Auge kaum sichtbar. Darnach war das
Gewand rot, der Mantel, sowie der den Oberkörper
deckende Stoff blau, der Gewandumschlag am Halse
wieder rot. Der Rock des Kindes war blau. Hinzu-
fügen können wir noch, daß das Stück aus Linz am
Rhein, also aus dem Kölner Kunstkreise stammt.
In dieser Statuette haben wir das Musterbeispiel einer gotischen Skulptur
des 14. Jahrhunderts: alle Schwächen und alle Vorzüge der Zeit treten uns
aufs Deutlichste entgegen. Der Schnitzer hat ein wirkliches Verständnis des
Körperorganismus, des wechselseitigen Zusammenwirkens der einzelnen Körper-
teile sowie der Proportionen noch nicht erworben, seine Gestalt ist überlang und
überschlank» und wenn auch der Totaleindruck ein durchaus erfreulicher und
anmutiger ist, so darf man doch nicht verkennen, daß eben nur das Gefühl
und nicht die Kritik dies Urteil spricht. Sehr hübsch und voll feiner Empfindung
ist das für die Zeit merkwürdig gut modellierte Gesicht, dessen zarte Über-
gänge und Schwellungen der Meister mit besonderer Liebe nachgebildet hat.
Allerdings ist dasselbe der Anlage nach völlig verschoben , worüber nur die
Ansicht von vorne hinwegtäuscht. Die anatomische Unkenntnis des Schnitzers
Abb. 12. Madonna.
Niederrheinisch.
2. H&lfte de« 14. Jahrh.
PI. 0. a09. H. 45^ cm.
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120 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM.
und sein Ungeschick in der Wiedergabe des Körperlichen wird vor allem durch
die linke Hand der Maria beweisen, deren Drehung und Wendung bei dem
schwierigen Motive der Umfassung des Kinderkörpers der ausführende Meister
noch nicht nachzubilden vermochte. Sehr fein und zart ist wieder die Falten-
gebung des Gewandes. Diese ist am Oberkörper sehr flach und gespannt, am
Unterkörper wird sie plastischer und tiefer; am Oberkörper ist die Fältelung
fast ausschließlich horizontal, während am Unterkörper die Richtungslinie von
der linken Hüfte zum rechten Fuß geht. An der linken Seite ist der Mantel
zusammengefaßt und bildet eine ziemlich reiche Fältelung, die in ihrer An-
lage und in ihren S-förmig geschwungenen Säumen bereits als erste Stufe
jenes in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts herrschenden Stoffreichtums
und jener charakteristischen Weichheit der Fältelung anzusehen ist.
Stilistisch gehört die Statuette unzweifelhaft in das 14. Jahrhundert und
zwar in die zweite Hälfte desselben. Wenn wir uns näher unter den datierten
plastischen Denkmälern umsehen , so finden wir eine große zeitstilistische
Ähnlichkeit mit einzelnen Figuren im Mittelstück des großen Altars vom
Jahre 1379, der kürzlich aus der Grabower Kirche nach Hamburg übertragen
wurde. (Schlie, Kunst- und Geschichtsdenkmäler von Mecklenburg-Schwerin
III. S. 187 f.) Die Entwicklungsstufe in der Erfassung des Ganzen und in der
Durchbildung der Einzelheiten ist im allgemeinen bei beiden Werken die gleiche,
die Faltengebung ist dort eher etwas reicher und plastischer als bei unserem
Stück, und deshalb wird unser Stück — zumal wenn man die künstlerische Be-
deutung Kölns berücksichtigt — etwas früher anzusetzen sein. Aus Köln selbst
steht mir leider nicht genügend plastisches Vergleichsmaterial zur Verfügung,
doch ist die ganze Auffassung der Figur eine solche, wie sie in der Malerei
jener Entwicklungsstufe eigen ist, die man gewohnheitsmäßig mit dem Namen
des Meister Wilhelm zusammenfaßt und die zweifellos an Detaildurchbildung
hinter der gleichzeitigen deutschen Plastik zurücksteht. Beiden ist die zarte
Innigkeit in der Auffassung, andrerseits auch das Knochenlose, Unwirkliche
der Körper eigen, sowie der feine Geschmack und die zarte Anmut. Auch
die Durchbildung der Gewandfältelung steht auf der gleichen Stufe. Aller-
dings ist dieser Vergleich nur sehr bedingt zuzulassen, denn die Malerei steht
infolge ihrer Technik unter völlig anderen Prinzipien als die Plastik. Wich-
tiger ist, daß die eigenartige und komplizierte Gewandung mit dem über dem
Mantel getragenen und am Halse nach außen umgeschlagenen Tuche völlig
identisch am Klarenaltare im Dom zu Köln an der Gestalt des Verkündigungs-
engels wiederkehrt (Woltmann und Woermann, Gesch. der Malerei I. Fig. 116),
wie auch an den von Lichtwark (Mitteilungen aus dem Germanischen National-
museum 1902 S. 45 fr), dem Hamburger Meister Bertram zugeschriebenen
Flügelgemälden des Grabower Altars von 1379 die Gestalt Gottvaters in der
Szene der Schöpfung der Tierwelt (vergl. die Abbildungen bei Schlie und bei
Goldschmidt, Lübecker Malerei und Plastik, Tafel 1) identisch gekleidet ist
und hier sogar das Motiv des an der einen Seite des Halses wieder zurück-
geschlagenen Halsumschlags wiederkehrt. Wenn man nun in Rücksicht zieht,
daß weit in das 15. Jahrhundert hinein die Malerei der Plastik in der Stilent-
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VON DR. W. JOSEPHI.
121
Wicklung nachsteht, wenn man ferner berücksichtigt, daß die weiblichen Figuren
des Grabower Altars von 1379 zweifellos entwickelter sind als unser noch
dazu aus Köln stammendes Stück, so wird man dieses mit einiger Sicherheit
in das dritte Viertel des 14. Jahrhunderts versetzen dürfen.
Ebenfalls aus Köln stammt eine 31,5 cm hohe Statuette der stehenden
Madonna mit dem Kinde. (PI. O. 306 Abb. 13.) Das Material ist Lindenholz,
dessen ehemalige Bemalung in recht brutaler Weise entfernt ist. Auf niedrigem
profiliertem, achtseitigem Sockel steht Maria mit entlastetem und zurückge-
setztem linken Bein; ihr Körper ist stark geschwungen und die linke Hüfte
ausgebogen. Sie ist barhäuptig, ihr Haar ist in der Mitte gescheitelt und
fällt beiderseits in welligen Strähnen auf die beiden Achseln und die Brust
herab. Gekleidet ist sie in der gleichen Weise, wie die letzt-
genannte Madonna. Auf dem linken Arm hält sie das kraus-
köpfige Kind, dessen Unterleib in ein Tuch gehüllt ist und
das die rechte Hand segnend erhoben hält, während seine
Linke einen Apfel umfaßt. Das Stück ist gut erhalten. Er-
gänzt ist nur an der Madonna die rechte Hand, in die als
Andeutung eines Szepters ein Stück gerundeten Holzes ge-
legt ist.
Die Figur ist nicht ganz so fein wie die vorher behan-
delte, ist jedoch stilistisch etwas vorgeschritten und entspricht
ziemlich genau — abgesehen von der derberen Individualität
des Hamburger Meisters — den Statuen am Grabower Altar.
Die etwas stärkere Betonung der Querfalten des Oberkörpers,
die Stilisierung der untersten Gewandfalten, vor allem die volle
Abb 13 Madonna "^^ Weiche Häufung der Falten des aufgehobenen Mantel-
Niederrheinisch. Zipfels sowie die eigenartige Linienführung seines Saumes ist
Ende des 14. Jahrh. ./ V.. * , . . , . , t^ • i
PI. 0. 306. H. 31^ cm. ihnen gememsam. Die Arbeit mag darnach im letzten Drittel
des 14. Jahrhunderts entstanden sein.
Innerlich verkörpern beide Statuen äußerst charakteristisch das Ideal nieder-
rheinischer und insbesondere kölnerischer Kunstübung. In ihnen offenbart
sich dieselbe Eigenart und derselbe Geist wie in den Kölner Gemälden des
14. Jahrhunderts, die Muther (Münchener Cicerone S. 5) trefflich mit folgen-
den Worten würdigt: »Gerade das gesteigerte Empfindungsleben, die Stim-
mungsschwelgerei macht uns die Bilder so lieb. Es ist ein so moderner Zug,
wie diese Meister aus der Wirklichkeit sich in ein Heimatland der Seele
flüchten und es mit allen Reizen der Mystik umweben. Gewiß darf man
nicht mit realistischem Maßstab an sie herantreten. Sie wollen garnicht Wirk-
liches wiedergeben. Gerade aus der Unterordnung des Körperlichen unter
das Seelische resultieren alle Vorzüge ihrer Kunst. Die typische Ähnlichkeit
der Gestalten, das reine Oval der Köpfchen, ihre schlanke, biegsame Anmut
, es dient dazu, in eine ferne Welt zu entrücken, wo alles anmutig
und schön ist, die Gefühle zart und fein, in ein Paradies, wo keine Rohheit,
kein Mißton die große Harmonie, die himmlische Sphärenmusik stört.«
BlitteilniigeD aus dem german. Natioiialmuseuia. 1905. 16
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122 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMÜSEÜM.
Gegenüber dieser lyrisch-heiteren Auffassung des Madonnenandachts-
bildes drang im Verlaufe des Mittelalters eine dramatische durch, die in dem
Bilde der Beweinung Christi, der Pieta oder dem Vesperbilde, ihren vollen-
detsten Ausdruck fand. Diese zweifigurige Gruppe, die ursprünglich nur eine
Teilscene der Kreuzigung bildete, wurde mit der wachsenden Bedeutung des
Marienkultus zu einer Darstellung der sieben Schmerzen Maria, wobei die
Mutter als Hauptperson zu gelten hatte und Christus — daher die oft ganz
auffällige Kleinheit seines Körpers — fast zu einem Attribut der Maria wurde.
Abb. 14. Pieta. Um 1400. PI. 0. 23. H. 106 cm.
Dieselbe Geistesrichtung, die zu dieser neuen. Auffassung führte, äußerte sich
auch in der Schaffung eines Festes »Maria Ohnmachtsfeier«, das am Beginn
des 15. Jahrhunderts (in Köln erst 1423) eingeführt wurde (F. Schmidt, Bau-
und Kunstdenkmäler der Stadt Nordhausen 1888 S. 220) und nun wohl
erneuten Anlaß gab zur Fertigung der vielen Pieta-Statuen, die aus der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts erhalten sind. Unter seinen Früh werken der Holz-
plastik besitzt das Germanische Nationalmuseum zwei hierher gehörige Bei-
spiele. Das erste (PI. O. 23; Abb. 14), welches angeblich aus dem Kölner
Dom stammt, ist von schwärzlich gebeiztem Nußbaumholz und hat eine Höhe
von 106 cm. Maria sitzt auf einer einfachen Bank, deren Vorder- und Seiten-
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VON DR. W. JOSEPHI.
123
flächen durch aufgesetzte Horizontalleisten geziert sind. Auf ihren Knieen,
von ihrer rechten Hand um die Mitte des Leibes gefaßt, von ihrer Linken an
den Oberschenkeln gehalten, ruht nach typischer Art der tote Christus, dessen
Haupt mit dem von Schmerz verzerrten Antlitz nach rechts niedergesunken
ist. Sein linker Arm umfaßt den Hals der Mutter, deren kummervolles
Antlitz dem Sohne zugeneigt ist.
Maria ist in ein langes, in der Mitte gegürtetes Gewand gekleidet, ein
Manteltuch bedeckt ihr Haupt, zu dessen Seiten je eine Locke auf die Schul-
tern und die Brust herabfällt, und bauscht* sich, von links nach rechts über
die Kniee geworfen, in reicher Fältelung zwischen den Knieen und vor den
Unterschenkeln. Der Heiland ist nur mit dem Lendentuch, das fast bis an
die Kniee reicht, bekleidet. Auch von seinem Haupte fallen zwei lange
Locken auf die Schultern herab. Er hat einen Schnurrbart, sowie einen in
zwei Spitzen auslaufenden Kinnbart. Zwei durcheinandergewundene Hanftaue
bekrönen sein Haupt.
Die Gruppe ist schlecht erhalten, die defekten Teile sind roh abgesägt
und waren schlecht erneuert, doch sind diese Ergänzungen, mit Ausnahme
derjenigen am unteren Gewandsaum und an der Sitzbank, nunmehr wieder
entfernt. Es fehlen an der Gestalt der Maria beide Hände, bei Christus der
ganze rechte Arm. Die Polychrom ierung und der Kreidegrund sind völlig
entfernt, Farbspuren sind nicht vorhanden, da sie durch die braune Beize
zugedeckt wurden. Die Rückseite ist gehöhlt.
Der Eindruck, den die Gruppe macht, ist ein durchaus unerfreulicher;
die Roheit, die sich in den äußeren Formen geltend macht, ertötet völlig
den edlen geistigen Inhalt der Darstellung und wirkt geradezu abschreckend.
Der Schnitzer arbeitet nur mit den derbsten und gröbsten Effekten, zarte
Übergänge, das Verfließen der einen Form in die andere, vermag ^r nicht
zu geben. Die derbe Formengebung spricht sich vor allem im ganzen
Körperbau aus, weniger in der Gewandfältelung, bei der das Ungeschick des
Schnitzers wohl einigermaßen durch das reiche Vorbildermaterial ausgeglichen
wurde. Allerdings wird ehemals auch der Kreidegrund und die Bemalung
manche Härten gemildert haben. Am deutlichsten zeigt sich die Gestal-
tungsart an den Rippen Christi und deren abruptem Übergang zu den Weich-
teilen, es kehrt aber genau so wieder etwa in den Parallelfalten der Stirnen,
an den Bart- und Haupthaaren und in den allzu scharf geschnittenen Gesichtern.
Das Gewand spannt sich glatt um die Brust der Maria, deren weibliche
Formen der Schnitzer noch nicht wiederzugeben verstand; nur durch einige
wenige rohe Schrägschnitte läßt er es in die Gürtung übergehen. Sehr reich,
und zwar nicht ohne Geschick, ist die über und zwischen den Knieen lagernde
Gewandung belebt. Sie kommt den stoff- und faltenreichen Gewändern der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts schon sehr nahe, doch fehlt dem Schnitzer
noch die Fähigkeit einer durchgehenden wirklich freien plastischen Durch-
arbeitung. Der Stoff lastet noch zu sehr am Körper, seine Fülle tritt noch
nicht in jener Schönheit in Erscheinung, wie sie das beginnende 15. Jahr-
hundert zu geben verstand.
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124 DjE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM ilERMANISCHEN NATIONALMUSEÜM.
Die Datierung des Stückes ist schwierig, da für den Ort der Entstehung
zuverlässige Angaben fehlen. Auf die vage Notiz, das Stück habe »angeblich«
im Kölner Dom gestanden, kann ich, ganz abgesehen von der Unbestimmtheit
derselben, aus stilistischen und künstlerischen Gründen kein Gewicht legen.
Selbst wenn diese Herkunft fest stände, so hat doch das Stück so wenig
von der Kölner Art, die uns an den vorbetrachteten Arbeiten aufs klarste
entgegentrat, es verhält sich vielmehr so gegensätzlich zu ihr, daß es zwei-
fellos nicht aus dem eigentlichen Kölner Kunstkreise stammt. Von den mir be-
bekannten älteren plastischen Gruppen der Pieta, die regelmäßig leider nicht
Abb. 15. Pieta. 15. Jahrh. PI. 0. 24. H. 69,5 cm.
datiert sind, stimmt keine so weit mit der hier behandelten überein, daß man
auch nur die Vermutung einer identischen örtlichen Herkunft aussprechen
könnte. Relativ nahe steht ihr — ich kann nur nach der Abbildung urteilen —
die in den Bau- und Kunstdenkmälern von Wesfalen (Band Münster-Land,
Tafel 111 Nr. 4) abgebildete Pieta der Kapelle von Telgte, die dort seltsamer
Weise »Übergang« datiert ist. Die gioße Anzahl teilweise sehr feiner Vesper-
bilder dieses stoffreichen weichen Faltenstils, die das Kunstinventar Ober-
bayerns veröffentlicht hat und die von Riehl in seiner Geschichte der Stein-
und Holzplastik in Oberbayern (a. a. O. S. 70 ff.) einer eingehenden kunst-
historischen Würdigung unterzogen sind, sind bei einer Datierung von etwa
1400 bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts doch wesentlich entwickelter als
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VON DR. W. JOSEPHI.
125
unser Stück, andrerseits greift aber bei unserem Original der Faltenstil so
sehr in das 15. Jahrhundert hinüber, daß ich keine genauere Datierung als
>um 1400« zu geben wage.
Nur kurz sei die zweite Pieta unserer Sammlungen erwähnt, die sehr
wahrscheinlich der hier betrachteten Gruppe der Frühdenkmale nicht zeitlich
angehört und nur infolge ihres rustikalen Fortschleppens älterer Motive den
älteren Werken zugerechnet werden kann. Das Stück (PI. O. 24; Abb. 15),
dessen Herkunft unbekannt ist, ist aus Lindenholz und 69,5 cm hoch; die
Rückseite ist hohl. Maria, in ein oben sehr enges, unten weites Gewand
und in das über die Kniee geworfene Kopfmanteltuch gekleidet, blickt mit
rechtsseitiger Neigung des Kopfes zu dem auf ihrem Schöße sitzenden
und nur mit dem Lendentuche bekleideten bärtigen Sohn herab. Ihre Rechte
umfaßte ehemals die Schulter Christi, ihre Linke hält über seinen Knieen
hinweg seine rechte Hand gefaßt. Die Figur war auf Kreidegrund bemalt;
die zahlreichen Farbspuren beweisen, daß das Gewand der Maria rot, ihr
Mantel blau gewesen ist. Christi Haare waren schwarz, die Bank und die
Fußplatte grün. Es fehlt der ehemals angesetzte linke Arm der Maria.
Die große Roheit dieser jedes künstlerischen Wertes baren Figur läßt
dies Stück älter erscheinen, als es tatsächlich ist. Der allgemeine Eindruck
ist der einer minderwertigen Arbeit des späteren 14. Jahrhunderts, doch
dürfte es tatsächlich in das vorgeschrittene 15. Jahrhundert zu setzen sein.
Die Durchbildung der Gesichtszüge, vor allem auch das trotz des geringen
künstlerischen Könnens entwickelte Vermögen des Schnitzers, den weiblichen
Körper zu charakterisieren, ebenso die Faltenstilisierung, in der der Schnitzer
zwar auch nur primitivste Mittel anwendet, deren Motive jedoch zu der
ruhigen Einfachheit des 14. Jahrhunderts gegensätzlich sind — vergl. als
typische Beispiele des späten 14. Jahrhunderts etwa: Katalog des Bayerischen
Nationalmuseums VI Nr. 519 und Tafel IX — lassen auf ein bäuerliches Werk
der Spätzeit des Mittelalters schließen.
Wir wenden uns nunmehr einer anderen Gattung von Holzbildwerken
zu, den Kruzifixen. Frühe Holzkruzifixe sind nicht selten, da schon mit dem
11. Jahrhundert der Kruzifixus zum selbständigen Andachtsbilde wurde und
sich ferner nach kirchlichen Vorschriften in jeder Kirche eine oder mehrere
Darstellungen des Gekreuzigten befinden mußten. Daß diese sehr altertüm-
lichen Figuren, mit denen sich oft ein Wunderglaube verband, pietätvoll ge-
schont wurden, ist leicht erklärlich, und das bedingte die Erhaltung sehr
vieler dieser kunstlosen, aber oft doch recht eindrucksvollen Stücke.
In seiner mehrfach genannten grundlegenden Abhandlung über die Ge-
schichte der Stein- und Holzplastik in Oberbayern vom 12. bis zur Mitte
des 15. Jahrhunderts weist B. Riehl (S. 25) darauf hin, ein wie hervorragen-
des Interesse die künstlerische Geschichte des Kruzifixes in den früheren
Perioden verdient, weil dieses allein in jenen Zeiten die Gelegenheit bietet,
gleichzeitig die beiden wichtigsten Probleme der christlichen Plastik, die
Durchbildung der Formen des menschlichen Körpers, sowie die Erfassung und
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126 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLA.STIK IM GERBIANISCHEN NATIONALMÜSEÜM.
Wiedergabe des seelischen Momentes des Leidens und Sterbens in ihrer
Entwicklung zu verfolgen.
Das Germanische Nationalmuseum ist in der glücklichen Lage, vier
frühmittelalterliche Holzkruzifixe zu besitzen, unter denen allerdings nur zwei
den ältesten Viernägeltypus zur Darstellung bringen. Das erste derselben
(P. O. 34; Abb. 16), das aus Urach stammt, ist von Lindenholz und hat eine
Höhe von 141 cm, eine Breite von 144 cm. Der Leib Christi hängt fast senk-
recht an dem (jetzt verlorenen) Kreuze; nur eine leichte Drehung der Unter-
schenkel nach rechts bringt eine unbedeutende Abweichung der Kniee aus der
Vertikalen. Die besonders angesetzten Arme sind fast horizontal ausgestreckt,
Abb. 16 Kruzifix. Um 1200. PI. 0. 34. H. 141 cm.
doch ist wie die linke Schulter, so auch der linke Arm ein wenig höher
gestellt. Das bärtige Antlitz, dessen Augen geschlossen sind, ist nach rechts
geneigt, das Haar ist in der Mitte gescheitelt und in Parallelsträhnen nach
hinten gestrichen; eine in drei Strähne sich teilende Locke — dieselbe Drei-
teilung findet sich sehr häufig, so beispielsweise auch an dem Kruzifix von
S. Petronio in Bologna vom Jahre 1159, an einem frühen Kruzifix in St. Jakob
in Regensburg und an anderen — fällt beiderseits auf die Schultern. Die Beine
sind parallel gestellt; die Füße neben einander genagelt. Ein Lendentuch be-
deckt Unterkörper und Oberschenkel bis an die Kniee. Es ist durch einen
Riemen um den Körper gegürtet; zwei symmetrisch angeordnete Tuchknoten,
um die kunstvoll der Riemen geschlungen ist, heben den unteren Saum des
Tuches und geben Gelegenheit, eine kunstvoll drapierte Fältelung über den
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VON DR. W. JOSEPHI. 127
Knieen anzubringen. An beiden Hüften fallen die Tuchenden über die Gür-
tung nach außen herüber.
Eine so gekünstelte Verknotung wiederzugeben, scheint bei den Plastikern
dieser Zeit besonders beliebt gewesen zu sein, wie viele Denkmale beweisen.
Ich erwähne als besonders charakteristische Beispiele etwa den großen Holz-
kruzifixus im Münchener Nationalmuseum, das im westfäHschen Kunstinventar
abgebildete Stück zu Walstedde oder den bekannten Kruzifixus zu Innichen
in Tirol ; ferner aus der Kleinplastik die vielen kleinen als Buchdeckelschmuck
oder als Tragkreuze verwandten Bronzekruzifixe der spätromanischen Zeit.
Unser Stück ist gut erhalten, auch die alte Bemalung auf dem Kreide-
grund ist noch vorhanden; der Körper ist fleischfarben, die Haare sind braun,
das Lendentuch braunrot, seine Unterseite, die in den Knoten, an den seit-
lichen Überschlägen und in der Fältelung des Saums sichtbar wird, ist leuchtend
rot. Ebenso sind an den entsprechenden Stellen rote Blutspuren angegeben.
Es fehlen nur einzelne Teile der Finger sowie die Füße; doch beweisen die
Stümpfe mit Sicherheit, daß die Figur den Viernägeltypus zur Darstellung
bringt. Die Rückseite hat zum Zwecke der Entlastung eine kastenartige Ver-
tiefung.
Wenn auch der Allgemeineindruck der Figur ein sympathischer ist, so
muß man doch den Verfertiger derselben als künstlerisch roh bezeichnen.
Der Versuch einer detaillierteren Nachbildung der Natur ist gemacht, der
Erfolg blieb jedoch ein ziemlich geringer. Die Auffassung der einzelnen
Formen ist flau und unbestimmt. Der Körper, der in seinen Umrissen der
Werkform- des Holzes noch sehr nahe bleibt, ist fast gar nicht modelliert,
auch die zeichnerische Angabe der Rippen und ihres Übergangs zu der flachen
Brust kann nur rein schematisch genannt werden. Immerhin deutet aber die
Neigung des grob gezeichneten Kopfes mit seinen großen halbkugelig vor-
tretenden geschlossenen Augen, sowie das seitliche Ausweichen der Unter-
schenkel und die Erhöhung der linken Schulter auf ein bewußtes Abweichen
von jenem bisher üblichen und auch sonst in der Statue noch herrschenden
Prinzipe der Frontalität. Besser ist das Lendentuch mit seinen äußerst real
wiedergegebenen Verknotungen behandelt. An dem Saum tritt uns genau
das gleiche Prinzip der symmetrisch festgedrückten Zickzackfalten entgegen,
wie wir es bereits an der an zweiter Stelle behandelten Sitzstatue der weib-
lichen Heiligen (Abb. 2) beobachten konnten. Sehr unangenehm fallen die
viel zu hoch angesetzten rohen Ohren auf.
Der zweite Kruzifix des Viernägeltypus (PI. O. 36; Abb. 17) ist 103 cm
hoch und 91 cm breit, das Material ist Lindenholz; nur der Körper ist er-
halten, während das Kreuz verloren gegangen ist. Das Bildwerk stammt aus
einer Kirche am Bodensee.
Der hagere Leib Christi hängt mit ausgestreckten, doch leicht erhobenen
Armen, die auch hier besonders angesetzt sind, am Kreuze. Die rechte Hüfte
ist stark ausgebogen, die fast parallel gerichteten Füße waren mit je einem
Nagel, anscheinend auf einem Suppedaneum, befestigt.
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128 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMÜSEUM.
Der Kopf ist vorgeschoben und stark nach rechts geneigt; das Gesicht
ist bärtig und zwei sich spaltende Locken fallen über die nur an den Läpp-
chen sichtbaren Ohren zu beiden Seiten auf die Achseln herab. Ein scharfer
Horizontaleinschnitt um den überhohen Scheitel deutet an, daß sich hier
ehemals ein Reif befand. Das Lendentuch reicht bis an die Kniee; es ist
durch ein Tau um den Körper gegürtet und vorne durch einen kunstvollen
Knoten befestigt. Zu beiden Seiten fallen die Tuchenden über die Gürtung
herab. Die Rückseite ist gehöhlt.
Abb. 17. Kruzifix. Erste Hälfte des 13. Jahrh. PI. 0. 36. H. IC3 cm.
Die Figur ist in späterer Zeit mit einer dicken weißlichen Ölfarbe be-
malt. Wahrscheinlich war auch die älteste Bemalung des nackten Körpers
weißgrau, vielfache Spuren zeigen, daß das Lendentuch rote Färbung hatte.
Die Arbeit ist sehr roh und repräsentiert eine tiefe Stufe künstlerischen
Schaffens. Durch die Ausbeugung der Hüfte wird zwar der Versuch ge-
macht, dem Körper etwas Leben einzuflößen, allein dies Mittel ist doch ein zu
äußerliches und drastisches, um eine tiefer gehende Wirkung zu erzielen.
Die Versuche des Schnitzers, den menschlichen Körper naturgetreu zu ge-
stalten, sind interessant, doch bleibt der Erfolg ein recht geringer. Das Her-
vortreten der Bauchpartie, die zahllosen parallelen Linien, die das Knochen-
gerü.st des Brustkorbes zur Darstellung bringen sollen, alles dies deutet doch
eine recht primitive Stufe an und wirkt fast wie eine Karrikatur.
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VON DR. W. JOSEPHI.
129
Geradezu abschreckend ist die Rohheit in der Wiedergabe der Gesichts-
züge; die glotzenden schräge gestellten Augen, die zurücktretende unpro-
portionierte Kinnpartie, die eingefallenen Backen und die übermäßig stark
markierten Züge in den von der Nase zum äußersten Mundwinkel sich hin-
ziehenden Gesichtsflächen, alles dies zeigt zwar deutlich das Streben des
Schnitzers den »Leidensmannc charakteristisch darzustellen, allein sein Können
hielt nicht mit seinem Wollen gleichen Schritt und so konnte nur eine groteske
Verzerrung des beabsichtigten Ideals daraus werden.
An dritter Stelle ist der große Kruzifixus (PI. O. 33; Tafel V) zu nennen,
der sich nach einer alten Katalognotiz ehemals als Triumphkreuz in der
Kirche St. Maria im Kapitol zu Köln befand. Leider steht mir nicht geeignetes
älteres bildliches Material zur Verfügung, um die Herkunft mit Sicherheit
feststellen zu können; aus der Literatur, soweit diese mir zur Hand war,
konnte ich eine Identifizierung nicht vornehmen.
Der Körper, der noch an dem alten wohlerhaltenen Kreuze von Fichten-
holz befestigt ist, ist von Lindenholz und hat eine Höhe von 220 cm, eine
Breite von 200 cm. Das Kreuz, das 352 cm hoch und 263 cm breit ist,
ähnelt in seiner Ausstattung dem bei Matthaei (Holzplastik in Schleswig-Hol-
stein. Tafel II Nr. 5) abgebildeten des Hüruper Kruzifixus: es hat in der
Mitte eine teller- oder kranzartige Erweiterung, der Stamm ist mit kreisrunden,
ausgehöhlten Ansätzen versehen, nur laufen die Kreuzesenden nicht, wie dort,
in kreisrunde Verstärkungen aus, sondern verbreitern sich in geschweifter
Umrißlinie.
Mit ausgebreiteten Armen, die stark nach oben gestreckt sind, hängt der
Leib des Herrn mit einer ausgesprochenen Neigung nach rechts am Kreuze.
Sein bebartetes und von Locken umrahmtes, mit einem Blattreif gekröntes
Haupt ist Schrägerechts nach vorne geneigt, die Kniee sind nach links ge-
schoben, die Füße über einander gelegt und von einem Nagel durchbohrt.
Ein Lendentuch, dessen Gürtung nicht klar zum Ausdruck kommt, mit kom-
plizierten Fältelungen und Überschlägen an beiden Seiten ist unter den
Hüftknochen befestigt und reicht bis zu den Knieen.
Die Figur, die hinten gehöhlt ist und bei der Arme und Kopf besonders
gearbeitet und angesetzt sind, ist sehr gut erhalten. Es fehlt nur die hintere
Blattzacke der Krone; ergänzt sind das untere Glied des Daumens, sowie die
ganzen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, ferner die linke Blattzacke
der Krone.
Die häßliche Ölfarbenbemalung — weiß-gelb mit Goldbronze — wird
dem 17. oder 18. Jahrhundert entstammen; ursprünglich waren, wie unter
jenem Farbauftrag deutlich ersichtlich ist, das Fleisch weiß mit rosa Tönung
im Gesicht, die Haare braun, der Schurz blau und die Krone golden. Über
die ehemalige Färbung des Kreuzes war nichts Sicheres festzustellen, vielleicht
entsprach sie der heutigen.
Wenngleich, wie später nachzuweisen sein wird, alle drei bisher betrach-
teten Kruzifixe hinsichtlich ihrer Entstehungszeit nicht allzu sehr differieren
dürften, so steht doch diese Kölner Arbeit künstlerisch erheblich höher als
MitteilangOD aus dem gorman. Nationalmuseum. 1905. 17
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130 DfE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEÜM.
die anderen. Die Entwicklungsstufe ist ja noch eine primitive, aber inner-
halb dieser zeigt sich der Schnitzer doch als ein selbstständig denkender und
beobachtender feinsinniger Künstler. Er vermag dem Körper einen wirklich
ausgesprochenen Leidenszug aufzuprägen; der Beschauer ist gezwungen, dem
Meister zu glauben, was er zur Darstellung bringt, er muß sich in die be-
absichtigte Stimmung einfühlen.
Schon in der Verschiebung der Richtlinien des Körpers spricht sich
das feine Empfinden des Meisters aus; der Eindruck des natürlichen Hängens
und damit des Leidens drängt sich durch diese nicht wie vorher gewaltsame,
sondern scheinbar ungewollte Abweichung von der Senkrechten und damit
von der starren Frontalität dem Beschauer zwingend auf. Und dieser Ein-
druck wird verstärkt durch das nicht minder ungewollte kraftlose Seitwärts-
neigen des Hauptes. Weniger glücklich ist der Meister in der Wiedergabe
des Gesichtsausdrucks ; der schwierigen Aufgabe des höchsten Schmerzaffektes
war er noch nicht gewachsen, und so mußte er sich damit begnügen, dem
allerdings gut durchgearbeiteten Antlitz den Ausdruck eines ruhig Schlafen-
den zu geben. Sehr fein und reich ist dagegen wieder die Modellierung der
Brust und des Bauches. Die Rippen entbehren zwar anatomischer Richtigkeit,
allein die durch das Knochengerüst bewirkten und durch die Hautdecke wieder
ausgeglichenen Hebungen und Senkungen, vor allem aber der ganz vorzüglich
wiedergegebene Übergang zu der weichen Bauchpartie verraten doch schon ein
eingehendes und zielbewußtes Naturstudium, das sich mit einem feinen künst-
lerischen Empfinden paart. In dieser Hinsicht — allerdings auch nur in dieser
— steht das Werk selbst dem herrlichen zeitgenössischen Wechselburger Kruzi-
fixus nicht nach. Viel weniger gut sind die mageren Extremitäten, vor allem
die Arme, und gar bei der klotzigen Wiedergabe des Lendentuchs mit seinen
unwahrscheinlichen Seitenfalten versagt das Können des Meisters vollkommen.
Man sieht, es ist noch die Zeit der tastenden Versuche; für eines sind dem
Künstler die Augen geöffnet, für anderes noch nicht, und so erklärt sich in
seinem Werke jener seltsam-krasse Widerspruch zwischen feiner Empfindung
und unkünstlerischer Roheit, der in einer Zeit fortgeschrittenerer Entwicklung
undenkbar wäre.
Über den Kruzifixus im allgemeinen und die den einzelnen Perioden
eigene Auffassung und Darstellungsweise hat zuletzt Matthaei in seiner »Holz-
plastik in Schleswig-Holstein« S. 23 ff. zusammenfassend gehandelt. Nach
Matthaei, der sich in seinen Forschungen vor allem auf Kraus stützt, wird
dem in der romanischen Zeit vor dem Kreuze stehenden oder an dasselbe
genagelten Christus mit dem Typus des Heldenjünglings im Verlauf des
12. Jahrhunderts die Königskrone hinzugefügt; seine Kleidung ist das Lenden-
tuch oder ein langer Rock. Die letztere Bekleidungsart führte zu einer Zeit,
wo nur der mit dem Schurz bekleidete historisch aufgefaßte Christus den
Andächtigen geläufig war, zur Entstehung der Legende einer neuen weib-
lichen Heiligen, der Wilgefortis oder Kümmernis, einer in ihrem Wesen heute
noch nicht ganz aufgeklärten Heiligen, deren Legende oft, vornehmlich im
schiffahrttreibenden Norden, mit den Sagen vom Volto Santo in Lucca durch-
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VON DR. W. JOSEPflI. 131
setzt wurde und von der auch das Germanische Museum ein plastisches Bild-
werk vom Schlüsse des Mittelalters besitzt (PI. O. 134). Zu der gleichen
Zeit, also schon im 12. Jahrhundert, machte sich aber im Gegensatz zu dieser
symbolischen Auffassung eine mehr historische geltend, infolge derer der Ge-
kreuzigte als Sterbender oder Toter dargestellt wurde. Der Übergänge zwischen
beiden Auffassungen gibt es viele, meist blieb auch dem historisch aufgefaßten
Heilande die symbolische Krone, die erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts
(Riehl S. 26) verschwand. Mehr und mehr trat dann der reine Ausdruck des
Leidens in den Vordergrund, um schließlich mit dem letzten Drittel des
13. Jahrhunderts ausschließlich herrschend zu werden.
Als ein wichtiges äußerliches Merkmal bei der Datierung frühmittel-
alterlicher Kruzifixe pflegt man das Aufkommen des Dreinägeltypus anzusehen,
und in der Tat wäre dies ein treffliches Hilfsmittel, wenn diese neue Auf-
fassung sich zu einer fest bestimmbaren Zeit geltend gemacht hätte. Wenn
auch, wie Kraus nachgewiesen hat, schon die Dichtung des 12. Jahrhunderts
von den drei Nägeln Christi spricht, so wurde doch, wie mit Recht behauptet
wird, diese Darstellung erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
bei den Werken der bildenden Kunst allgemein üblich; allein dies beweist
infolge der durchgehenden Undatiertheit der Frühwerke für den Einzelfall
durchaus nichts.
Die Gesamtauffassung sowie die Äußerlichkeiten können demnach zwar
einen leisen Anhalt für die Datierung geben; trotzdem wird man aber das
Schwergewicht auf die stilistische Durchbildung der Körperformen zu legen
haben, wenn man auch hier, wie schon an einleitender Stelle ausgeführt ist,
stets festhalten muß, daß die Fehlerquelle eine sehr große ist. Der älteste
steife Stil, der, wie Riehl (a. a. O. S. 25) mit Recht betont, einfach ein
streng archaischer ist und keineswegs in byzantinischen Einflüssen gründet,
erfuhr mit dem Übergang zum 13. Jahrhundert eine Belebung, die dann gegen
Ende desselben Jahrhunderts zu der gotischen Art extremer Heftigkeit in Aus-
druck und Bewegung ausartete. Allerdings darf man diese Beurteilung nur
als Durchschnittswertung auffassen; denn Ausnahmen — ich denke etwa an
den sehr belebten und historisch aufgefaßten Kruzifixus im hortus deliciarum
(um 1175) — sind nicht selten.
Der an erster Stelle betrachtete Kruzifixus (Abb. 16) dürfte, wenngleich
ihm die Krone fehlt (ein Bohrloch an der Stirne scheint allerdings auf eine
solche hinzudeuten) nach Auffassung und Stil der älteste sein. Die Technik
des Schnitzers ist eine recht geringwertige, sein künstlerisches Sehen ist un-
entwickelt, die Werkform des runden Baumstammes bleibt für die Körper-
gestaltung fast ausschließlich maßgebend. Nur die Neigung des Hauptes und
die ein wenig aus der Vertikalen verschobenen Kniee führen einen Anflug
von Belebung herbei. Die Arbeit wird der Gruppe der um die Wende vom
12. zum 13. Jahrhundert entstandenen Arbeiten einzureihen sein. Die scharf-
brüchige Stilisierung der zierlich gelegten Falten des Herrgottsrocks, die sich
im Prinzip wenig von der in Abb. 2 wiedergegebenen thronenden Heiligen
unterscheidet, führt ebenfalls auf diese Zeit.
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132 r)IE FRÜHWERKK DER HULZPLASl'lK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEÜM.
Viel roher, aber doch in der Auffassung entwickelter ist der in Abb. 17
wiedergegebene Kruzifixus, der, wie auch das große Kölner Triumphkreuz
(Tafel V) in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden sein wird.
Gegen eine spätere Zeit spricht bei letzterem vor allem die derbe und klotzige
Behandlung des Lendentuchs.
Etwas jünger, aber nach Maßgabe der Krone schwerlich weit in die
zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts hineinreichend, wird der sehr verwitterte
Holzkruzifixus (PI. O. 35; Abb. 18) sein, der von der Spitalbrücke zu Saal-
feld in Thüringen stammt. Er ist von Lindenholz, 98 cm hoch und jetzt
85 cm breit, das Kreuz fehlt. Der Körper, der mit dem an der linken Seite
Abb. 18. Krnzifixu.s. Aus Saalteld. Zweite Hälfte des 13. Jahrh.
PI. U. 35. H. 98 cra.
durch einen Knoten geschickt gerafften Lendentuch bekleidet ist, ist rechts
ausgebogen, der rechte F'uß deckt den linken und beide sind mit einem
Nagel durchbohrt. Das Haupt ist gekrönt, das Antlitz, das auf die rechte
Seite geneigt ist, scheint scharf geschnitten gewesen zu sein. Die angesetzten
dünnen Arme, sind etwas nach oben gestreckt; von der rohen rechten Hand
sind nur drei Finger cthalten, die linke Hand fehlt. Das Stück, das wohl
lange im Freien hing, ist so sehr von der Witterung mitgenommen, daß es
kün.stlerisch nicht mehr gewürdigt werden kann. Doch zeigen die Grund-
züge, daß die Gesamtauffassung eine viel freiere war als an den vordem be-
trachteten Werken.
Den entwickelten hochgotischen Typus mit seinen fast übertreibenden
(jliederverenkungcn und seiner tiefen seelischen Empfindung verkörpert gut
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VON DR. W. JOSEPHI. 133
ein sehr feiner, angeblich aus Köln stammender Kruzifixus von Eichenholz
(PL O. 308; Abb. 19), bei dem ebenfalls das Kreuzesholz fehlt. Das rund-
plastisch gearbeitete Figürchen ist 37 cm hoch und 31 cm breit.
Christus hängt mit stark ausgebogener linker Hüfte am Kreuzesstamm,
sein Haupt ist mit einer leichten Neigung nach rechts vorwärts gesunken.
Die langen Locken, die sein schmerzerfülltes bärtiges Gesicht umrahmen,
sind nach vorne gefallen und hängen zum Teil frei vor dem Antlitz. Der
Körper ist durch eigene Schwere tief nach unten gesunken; die Arme sind
daher schräge nach aufwärts gestreckt, die Kniee aber sind, da die von
einem Nagel durchbohrten Füße fest in ihrer Lage verbleiben mußten, in
scharfer Knickung nach links herausgedrückt (die seitlich aufgenommene Ab-
N
/
Abb. U). Kruzifixus. Um 1400. PI. ü. 308. H. 37 cm.
bildung versagt hier). Ein Leiideiituch mit breitem Überschlag liegt mit ein-
facher Faltung um die Hüften. Es fehlen an der rechten Hand der kleine
Finger, an der linken alle Finger mit Ausnahme des Daumens. Ergänzt sind
die rechte Hand sowie der Daumen der linken Hand, ferner Teile der Locken.
Das Stück war ehemals polychromiert, wie die Reste des Kreidegrundes
in den Poren anzeigen.
Das seelische Moment, das uns in diesem Stück entgegentritt, ist grund-
verschieden von dem der anderen Bildwerke. Wenn auch schon bei jenen
sich durch das Leiden die historische Auffassung geltend machte, so milderte
doch noch immer eine gehaltene Ruhe den Affekt, und die Krone wies deut-
lich darauf hin, daß bei dem Verfertiger die alte Reminiszenz an den Be-
herrscher der Welt, der vor dem Kreuze triumphierend dasteht, nicht un-
wesentlich mitwirkte. All dieses ist jetzt abgestreift; wir haben hier voll
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134 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATION ALMÜSEÜM,
ausgebildet und in einem charakteristischen Beispiel jenen Typus, dessen
Begründung Kraus treffend gibt, wenn er sagt: »der ausgebogene, stark ge-
schwungene Körper, der oft so heftige Ausdruck des leidvollen Antlitzes, die
Verrenkung der Glieder, alles das sind Züge jener tiefgreifenden seelischen
Erregung, welche als ein Erzeugnis der allgemeinen Verfassung der Geister
dem 14. und 15. Jahrhundert eigen ist und in der gesamten Skulptur und
Malerei der gotischen Periode wiederkehrt« (Gesch. d. christl. Kunst II 1, S. 324).
Die Durchbildung des Körpers ist eine sehr feine und dezente und
zeugt von einem relativ großen anatomischen Verständnis des Schnitzers.
Auch die gewaltsame Bewegung des Körpers ist gut erfaßt und wieder-
gegeben. In krassem Widerspruch dazu stehen seltsamerweise die wenig
durchgebildeten Arme. Das Vollendetste an dem Stücke ist der äußerst
fein erfaßte Kopf mit den scharfgeschnittenen und lebensvollen Zügen eines
Leidenden. Die naturalistische Modellierung derselben, die subtile Durch-
führung des Bartes, überhaupt die künstlerisch fein durchgebildete Anlage des
Kopfes läßt sich zeitlich schlecht vereinen mit der verzerrten Körperhaltung und
der stilistischen Auffassung des Lendentuchs. Diese beiden letzten Momente
scheinen im Großen und Ganzen aus dem Können und der Geschmacksrich-
tung vom Ende des 14. Jahrhunderts hervorgegangen zu sein. Von datierten
Skulpturen, die annähernd die gleiche Auffassung zum Ausdruck bringen, ist
mir nur ein zwar etwas roheres, aber doch zeitstilistisch ziemlich identisches
Relief in Kneiting bei Regensburg bekannt, das drei im Jahre 1368 ertrunkenen
Nonnen errichtet ist. Auch der mittlere Kruzifix am Portal von St. Lorenz
in Nürnberg (nach Pückler-Limpurg ca. 1350 — 1360 entstanden) bietet einige
Analogien. Mit dieser Datierung steht aber die gehaltvolle und vornehm-
realistische Durchbildung des Hauptes in unüberwindbarem Gegensatz, die
fast an das Ende des 15. Jahrhunderts verweist. Da sich aber die stilistischen
Merkmale des späten 14. Jahrhunderts in so hohem Maße geltend machen,
so wage ich nicht, die Arbeit später als um 1400 anzusetzen. Ich betone
jedoch, daß ich diese Datierung als eine rein hypothetische ansehe, die durch-
aus einer Bestätigung bedarf. Diese muß erst noch in der Tatsache, daß die
Kölner Schnitzschule des frühen 15. Jahrhunderts bereits so vollendet durch-
gebildete Köpfe zu schaffen wußte, gegeben werden.
Die Figur eines stehenden Königs (Fl. O. 312; Abb. 20), Eichenholz,
55 cm hoch, welche durch Schenkung in das Germanische Nationalmuseum
gelangte und aus den Moselgegenden stammt, ist nach Material und Herkunft,
vor allem aber stilistisch, ebenfalls dem niederrheinischen Kunstkreise ein-
zureihen. Die Figur des Heiligen, dessen Haupt mit einem niedrigen, oben
ausgebogten Kronreif bedeckt ist, wird wohl — man vergleiche z. B. die in
der Haltung fast identische Figur des »Caspar« im Münchner Nationalmuseum
(Katalog Bd. VI 1896 S. 328 und Tafel IV; erste Hälfte des 14. Jahr-
hunderts — ein Teilstück der Gruppe der drei Weisen aus dem Morgenlande
sein, und zwar scheint nach den offenbar jugendlichen Gesichtszügen zu urteilen
der Jüngste dargestellt zu sein.
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VON DR. W. JOSEPHI.
135
Die Last des ziemlich unproportionierten Körpers
ruht bei etwas gezwungener Körperhaltung auf dem
rechten Fuß, der linke ist entlastet zurückgesetzt. Ein
langes faltiges Gewand umhüllt den ganzen Körper, dessen
rechte Hüfte so ausgebeugt ist, daß in der Vorderan-
sicht die Umrißlinie der ganzen Figur einen Bogenab-
schnitt bildet. Die rechte Hand ist gegen die Brust
erhoben und hält senkrecht eine Rolle, die linke ist
geballt vor den Bauch gelegt. Der Kopf ist scharf nach
links gewendet, ein Kontrapost zu der nach rechts ge-
wandten Stellung des Unterleibs, der in dem legenden-
haften Zuge von dem scheuen Zögern des jüngsten
Königs seinen Grund haben mag. Horizontal abge-
schnittene Haare schließen unter der Krone die hohen
Stime ab, während das ziemlich leere Antlitz seitlich
von sehr schematisch stilisierten, genau symmetrischen
Locken umrahmt wird. Die Figur ist auf der Rückseite
flach und unbearbeitet.
Die Arbeit ist im allgemeinen gut erhalten, wenn
auch vielfach kleinere Stücke abgebröckelt sind. Es
fehlen die ehemals angesetzten Spitzen der Schuhe.
Die Polychromie und der Kreidegrund sind gänzlich ent-
fernt ; nur noch vereinzelte Farbspuren auf der Rückseite
beweisen, daß der Mantel blaue Färbung hatte.
Nachdem wir mit dem vorhinbetrachteten Werke
in eine bereits vorgeschrittene Epoche plastischer Kunst-
übung gekommen waren, fällt hier das durch die wesentlich
frühere Entstehungszeit bedingte größere Ungeschick in
der Wiedergabe des menschlichen Körpers ganz besonders auf. Die Arbeit
ist zwar voll feiner Empfindung und Anmut, und der ausführende Schnitzer
war zweifellos ein für seine Zeit bedeutender Meister, aber er war doch an
die Schranken seiner Zeit gebunden. Das zeigt sich besonders deutlich in
dem auffallenden Mißverhältnis zwischen Ober- und Unterkörper. Während
das der Zeit eigene Ungeschick bei den Sitzfiguren meist den Unterkörper
verkürzte, zeigt unsere Statue das entgegengesetzte Extrem, ein Fehler, den
sie mit den meisten Standfiguren des 14. Jahrhunderts zu teilen hat. Und
fast puppenhaft erscheinen gegenüber der Gesamtgröße die Ärmchen und
Händchen, denen man ihren Knochenbau nicht anzusehen vermag. Auch das
flache Gesicht ist ziemlich schematisch, die Locken gleichen fast schnörkel-
haften Ornamenten. Der Faltenwurf der Gewandung ist sehr einfach, er klebt
noch am Körper und die faltigen Säume wollen sich noch nicht von ihm
loslösen.
Die Zartheit in der Auffassung , die Weichheit und Anmut , die der
ganzen Figur eigen ist, daneben, allerdings nicht so zwingend, auch das Material
weisen auf den Kölner Kunstkreis hin. Auch die Eigenart in der Auffassung
Abb. 20. Heili^or König.
Niederrheiniscb.
Mitte des 14. Jahrh.
PI. U. 812. H. 55 cm.
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136 DIE FRÜHWKKKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM.
und Wiedergabe des Gesichts deutet auf diesen örtlichen Zusammenhang;
beides kehrt fast identisch an einen König der Anbetung im Dreikönigen-
thörchen zu Köln wieder. (Abgeb. bei Münzenberger , Altäre XV 10 und
XVIII 10.) Leider ist es mir nicht gelungen, eine genauere Datierung dieser
Arbeit aufzufinden, wie überhaupt die ganze Kölner Plastik noch ihrer Be-
arbeitung und Publizierung harrt. Die Schnitzereien des Klarenaltars aus
dem Ende des 14. Jahrhunderts sind zu frei und durchgebildet, als daß
unsere Arbeit gleichzeitig oder gar später sein könnte. Größer sind die
Analogien mit den Apostelfigürchen in der Kirche der hh. Aposteln zu Köln,
die von Münzenberger (XV 5 und 6, sowie Text Seite 214) wohl etwas zu
spät an das Ende des 14. Jahrhunderts gesetzt werden. Mit der Verlegung
Abb. 21. Maria im Wochenbett Niederrheinisch. Mitte des 14. Jahrh.
PI. 0. 18. Br. eO cm. H. M cm.
in die Mitte des 14. Jahrhunderts dürfte man der Entstehungszeit unserer
Statue nahe kommen.
Die künstlerisch unbedeutende Darstellung einer Maria im Wochenbett
(Pl.O. 18; Abb. 21) sei nur kurz erwähnt. Das fast freiplastische Bildwerk von
Lindenholz ist 60 cm breit und 54 cm hoch. Auf einem Lager mit einem
Kissen als Rückenstütze ruht Maria; ihr Kopf ist links vom Beschauer. Sie
ist in ein Hemd mit schmalem, rundem Halsausschnitt gekleidet, ein Tuch
verhüllt ihren Unterkörper und breitet sich in bogigen, durch eine Raffung in
der Mitte getrennten Faltenzügen vor der Bettlade aus. Auf dem Schöße
der Maria sitzt, von ihren beiden Händen gehalten, das nackte krausköpfige
Kind mit übereinandergeschlagenen Beinen, das sein rechtes Armchen nach
der Brust der Mutter ausstreckt. Das zart lächelnde Antlitz der Maria ist
geradeaus gewandt, der Blick in die Ferne gerichtet, sodaß der Kopf dem
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VON DR. W. JOSEPHI.
137
Beschauer in Profilansicht erscheint ; das Haar ist in der Mitte gescheitelt, die
Locken fließen auf den Rücken und die Brust herab. Ein kranzförmiger
Einschnitt um den Oberkopf deutet an, daß das Aufsetzen einer Krone beab-
sichtigt war. Das Bildwerk steht auf einem glatten, unten mit einer Profil-
leiste abschließenden Sockel, der mit einem gemalten fortlaufenden Ornament
von rundbogigen Vierpässen mit abwechselnd roter und grüner Ausmalung
geziert ist. Es fehlt der linke Unterarm des Kindes. Die Rückseite ist un-
bearbeitet und hohl.
Die Bemalung, die auf Kreidegrund mit teilweiser Verstärkung durch
Leinen aufgetragen ist, ist sehr beschädigt, doch noch deutlich erkennbar.
Das Bettuch ist golden, seine am Überschlag des Kopf- und Fußendes sicht-
bare Futterung weiß; das Kopfkissen ist golden mit roter, wahrscheinlich
auch weißer Musterung. Das Hemd ist golden, das Gesicht rosig mit roten
Backen, roten Lippen und blauen Augen, die lockigen Haare sind golden.
Der Körper des Kindes ist weißlich, seine Augen sind blau, seine Locken
golden.
Das Stück, welches in Köln erworben wurde, paßt trotz seiner rohen
Formengebung gut in den Kölner Kunstkreis, insbesondere verweist die Ähn-
lichkeit der Gesichtsform und des Gesichtsausdrucks der Maria in die Nähe
der oben betrachteten Kölner thronenden Madonna (PI. O. 25; Abb. 10).
Noch deutlicher tritt jene eigentümliche zarte Anmut in Erscheinung, wenn
man das Stück mit einer annähernd gleichzeitigen Darstellung genau desselben
Motivs aus einem anderen Kunstgebiet , etwa mit der in der Mitte des
14. Jahrhunderts gefertigten Geburt Christi im Bayerischen Nationalmuseum
vergleicht (Katalog VI 1896. Nr. 455 und Tafel V.), die aus Kloster Heggbach
in Oberschwaben stammt. Trotz aller äußeren Ähnlichkeit ist der innere
Gegensatz doch ein fundamentaler.
Ebenfalls gehört in die Kölner Schule das Reliefbild eines Gekrönten
(PI. O. 1 ; Abb. 22), Birnenholz mit rückwärtiger Auflage von Fichtenholz,
74 cm hoch. Auf einem niederen Sockel erhebt sich die Figur des auf einer
kissenbelegten Bank sitzenden Königs. Sein nackter rechter Fuß ist fest auf
den Boden gestellt, der linke, verdeckt von der Stofifmasse, zurückgeschoben,
so daß das rechte Knie etwas höher steht als das linke und die Schoßfalten
unsymmetrisch werden. Der Oberkörper ist ein wenig aus der Frontansicht
verschoben und ebenso wie das bebartete und von tief auf die Brust fallen-
den Locken umrahmte, durch einen Reif mit Dreipaßansätzen gekrönte Haupt
nach rechts gewandt. Der rechte Arm ist seitlich erhoben, die Hand leicht
gekrümmt; die gesenkt vorgestreckte linke Hand hält ein Buch. Es fehlen
einige Zacken der Krone.
Diese im Jahre 1884 in Köln erworbene Figur war so stark beschädigt,
daß sie einer eingehenden Restaurierung unterzogen werden mußte. Bei dieser
Gelegenheit wurden ergänzt : der ganze rechte Arm, die linke Hand mit dem
Buch, Teile am Kronreif, der untere Teil der linken Locke, die vertikalen
Teile der Bank, femer die ganzen unteren Teile der Gewandung mit der
Trittplatte.
Mitteilungen aob dem german. Nationalmuseum. 1905. 18
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138 DIE FRÜH WERKE DER HULZPLATSIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM.
Die Figur war bemalt, doch läßt sich aus den dürftigen Spuren nur so-
viel ersehen, daß am Mantel Rot und Blau zur Verwendung kam.
Die bisher übliche Benennung der Statue als »Christus aus einer Krönung
Mariae« dürfte die richtige sein. Die hierfür maßgebende Haltung des rechten
Armes wird in der Anlage, vielleicht von Kleinigkeiten wie der Krümmung der
Hand abgesehen, dem ehemaligen Zustande entsprechen. Allerdings wird
Abb. 22. Christus aus einer Krönung Maria. Ende dos 14. Jahrb.
PI. 0. 1. H. 74 cm.
die Gruppe wohl keine Krönung im eigentlichen Sinne gewesen sein, sondern
mehr ein Gegenübersitzen des segnenden Christus und der betenden Maria,
welch letztere Darstellung auch wohl gelegentlich zu einer wirklichen Krönung
wurde, indem ein herabfliegender Engel der Madonna die Krone aufs Haupt
setzt. Dagegen ist die Ergänzung der Linken mit dem Buche durchaus zweifel-
haft. Ein Buch kommt zwar bei dieser Darstellung in frühen. Zeiten (Laon,
Paris, Troyes: 13. Jahrhundert) in der Linken Christi vor, in den späteren
Zeiten wird jedoch — und das scheint in Deutschland sehr häufig gewesen
zu sein — ein Hoheitszeichen, Weltkugel oder Szepter meist üblich. (Augs-
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VON DR W. JOSEPBI.
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bürg, beide Domportale, das nördliche von 1343; Schwäbisch-Gemünd, Portal
der Heiligkreuzkirche, um 1380; Landsberg am Lech, Tympanon, zweite Hälfte
des 14. Jahrhunderts; Prag, Relief der Maria Schneekirche, Ende des H.Jahr-
hunderts; Tympanon des Eichstätter Doms, 1496; Imhof- Altar in St. Lorenz
zu Nürnberg ca. 1410; Neustädter Altar im Schweriner Museum 1435 und
viele andere.)
Das Relief ist voll feiner Empfindung und ausgezeichnet durch einen
tiefen seelischen Gehalt. Die Faltengebung — es ist zu beachten, daß die
detaillierten Falten der unteren Gewandpartie moderne Ergänzungen sind — ist
zwar noch einfach, neigt aber schon zu der weichen vollen Art des beginnen-
den 15. Jahrhundert. Durch das Zurücksetzen des linken Unterschenkels und
infolge der dadurch bewirkten Höherstellung des Knies zeigt sich ein feines
künstlerisches Gefühl , das vom Konventionellen abzuweichen strebte. Die
Brustpartie ist noch flach behandelt und wenig belebt. Eine wahrhaft be-
wunderungswürdige Leistung, ein Zeugnis von der echten Künstlerkraft des
Schnitzers ist der eminent fein durchgebildete Kopf. Trotzdem ehemals die
Bemalung deckend hinzutrat, sind doch die Züge des ruhigen edlen Gesichtes
von sorgfältigster Ausführung und von vollendetster Durchbildung. Eine so
exakte Beobachtung der Naturformen, wie sie sich beispielsweise in den Einzel-
heiten der Nase und deren Übergang zu den Backen bemerkbar macht, ist
im allgemeinen den Werken des 14. Jahrhunderts fremd und erhebt unser
Stück weit über das Mittelmaß. Die strenge Stilisierung der Locken und des
Bartes, die durchaus von dem Prinzip der Symmetrie beherrscht ist und die
den feierlichen Charakter des Bildes nur noch erhöht, deutet aber doch auf
eine frühe, noch nicht ausgesprochen naturalistische Zeit, wie auch das völlige
Fehlen der Ohren ein echter Zug des 14. Jahrhunderts ist. Als Entstehungszeit
wird niÄii wohl aus allgemeinen stilistischen Gründen die letzten Jahre vor
Schluß des 14. Jahrhunderts annehmen müssen. In gewissem Sinne wieder-
holt sich demnach hier jener bei dem hochgotischen Kruzifix ausführlicher
behandelte Zwiespalt, der aber nur durch eine zusammenhängendes Studium
der mittelalterlichen Kölner Plastik zu lösen ist.
Die zwei fast rundplastisch gearbeiteten, wenn auch an der Rückseite
gehöhlten weiblichen Figuren (PI. O. 2018 und 2019; Tafel VI) stammen nach
anscheinend zuverlässigen Angaben des Verkäufers aus einer Kapelle in der
Nähe von Schwäbisch-Gmünd, gehören also in den schwäbischen Kunstkreis.
Die Statuen sind von Lindenholz und ungefähr 166 cm hoch.
Wenngleich sich beide Gestalten in den Gesichtszügen äußerst ähneln,
so ist doch zweifellos, daß beide an Alter von einander unterschieden sein
sollen. Das Mittel, dies auszudrücken, ist die Tracht. Beide tragen ein mit
gefälteltem Saum geziertes Kopftuch, das in feinen Falten auf die Schultern
fällt. Während jedoch das Gesicht der einen von freien Locken eingerahmt
ist , über denen lose das Kopftuch liegt , sind diese bei der anderen , der
älteren, durch das den Matronen eigentümliche weit auf die Brust herab-
reichende Kinntuch fortgebunden. Der Körper der jüngeren Gestalt ruht auf
dem linken Fuß, ihr rechter ist entlastet zurückgestellt. Die Beinstellung der
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140 DIE FRÜH WERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMÜSEUM.
älteren ist die entgegengesetzte. Die Gewandung schließt sich den Körper-
bewegungen an: das lange Kleid, das sich dem Oberkörper eng anschmiegt
fließt in tiefen einfachen Faltenzügen dem Spielbeine zu. Die jüngere Gestalt
preßt mit dem rechtwinklig gebogenen rechten Arm den erhobenen Gewand-
zipfel gegen den Körper, so daß an der rechten Seite eine besonders reiche
Fältelung entsteht; die ältere hat den Mantel von rechts her quer über den
Unterleib gezogen und hält in ähnlicher Weise den Zipfel mit dem linken
Arm fest. Dadurch wird bei ihr im Gegensatz zu der andern Figur der Unter-
leib durch Querfalten belebt und die auffalligen Saumfalten befinden sich
an ihrer linken Seite. Es fehlen an der jüngeren Gestalt der linke Unterarm
und die rechte Hand, an der älteren Figur die linke Hand und der rechte
Unterarm, Teile, die besonders angesetzt waren. Größere Ergänzungen sind
nicht vorhanden, nur sind einige unwesentliche Stellen ausgeflickt. Unter
der Brust befindet sich eine spitzbogige Vertiefung, die modern durch Holz
ausgefüllt ist.
Die Figuren waren ehemals polychromiert , doch ist Farbe wie Kreide-
grund völlig entfernt.
Der bewußte Gegensatz in der Anordnung der beiden Figuren, die
Symmetrie in ihrer Haltung und in dem Fluß der Gewandfalten läßt darauf
schließen, daß beide darauf berechnet waren, sich zu einer Gruppe zusammen-
zuschließen. Wenn nun in der Kleidung so auffällig der Altersunterschied
betont ist, wenn ferner durch die Form des Leibes die Schwangerschaft beider
so absichtlich deutlich zum Ausdruck gebracht wird, so ist kaum eine ändere
Deutung möglich, als daß hier die Szene des Besuchs der Maria bei der
Elisabeth, die Heimsuchung, zur Darstellung gebracht werden soll. Damit
erklärt sich auch das spitzbogige Fensterchen auf der Mitte des Leibes, worin
ehemals wohl durch ein Glasfenster die Leibesfrucht zu sehen war. Beispiele
eines solchen Fensters finden sich noch bei Figuren in der Wallfahrtskirche
zu Bogen in Niederbayern und, wie Otte (Kunstarchäologie 1883 I. S. 527)
anführt, in der Krypta von St. Petri-Pauli in Görlitz, während einfache
plastische, vor allem aber malerische Darstellungen des gleichen Motives
ungleich häufiger vorkommen.
Die künstlerische Auffassung der Figur ist für ihre Zeit beachtenswert.
Die Ausführung ist etwas salopp und geschah unter weitgehendster Rücksicht-
nahme auf den alle Schäden verdeckenden Kreidegrund. Daraus erklärt sich
auch die Härte in der Formengebung der Gesichter, die der vordem betrach-
teten Kölner Zartheit und Anmut durchaus gegensätzlich ist.
Die flache Behandlung des Oberkörpers mit ihrem scharfen Gegensatz
zu den tiefen, schräg verlaufenden Faltenzügen der unteren Gewandpartie
weist für unsere Statue auf die Mitte des 14. Jahrhunderts. Derselbe Stil,
allerdings in noch nicht der gleichen plastischen Durchbildung, findet sich an
einigen Statuen am Portal von St. Lorenz in Nürnberg (nach Pückler-Limpurg
ca. 1350 — 1360 entstanden). Auch einige Figuren an den Augsburger Dom-
portalen, insbesondere die Kunigunde vom Nordportal (1343), bieten gute
Analogien.
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VON DR. W. JOSEPHI.
141
Die Kleidung ist nicht maßgebend für die Datierung zu verwenden.
Das am Saum mit Fältelbesatz gezierte Kopftuch war in der ganzen zweiten
Hälfte' des 14. Jahrhunderts Mode, wie vielfach die Denkmale beweisen. Gegen
den Jahrhundertschluß verstärkte sich bei vornehmer Modetracht jener Saum
zu einer dicken Krause, die dann gegen Ende des ersten Viertels des 15. Jahr-
hunderts sich wieder zu der alten Mode der zarten Fältelung abschwächte.
Allein jene Kopfkrause war eben nur eine besonders vornehme Modetracht,
bei den biblischen Frauen erhielt sich die ganze Zeit hindurch daneben das
einfache gesäumte Tuch, das, je nach dem auch das Kinn verdeckt wurde
oder nicht, eine Unterscheidung zwischen Matronen und Mädchen ermöglichte.
An letzter Stelle ist die Statue eines sitzenden Bischofs zu nennen
(PI. O. 135, Abb. 23), Eichenholz, 106 cm hoch. Der Bischof thront frontal
auf einer unten und oben ausladenden Bank, er ist in die lange auf dem
Boden sich bauschende Alba gekleidet, unter der die Spitzen der Schuhe
hervorschauen. Über der Alba trägt er die etwas kürzere Dalmatika und
darüber wieder die Glockenkasula. Um den Hals ist das Humerale sichtbar.
Der Kopf ist bei fast unmerklicher Neigung nach links geradeaus gerichtet;
eine Mitra krönt ihn, zarte Locken werden unterhalb derselben auf der Stirne
und über den Ohren sichtbar. Der rechte Unterarm ist vorgestreckt, seine Hand
faßt ein mit zwei Schließen versehenes Gebetbuch, der linke Unterarm ist
rechtwinklig nach vorne gebogen, die senkrecht gestellte angedübelte Hand ist
gekrümmt und umfaßte wohl ehemals ein Pedum. Auf der Brust ist eine
quadratische, über Eck gestellte, 0,4 cm tiefe Einsenkung, die zweifellos zur
Aufnahme eines Schmuckstücks oder eines Reliquienbehälters bestimmt war.
Ks fehlen kleinere Stücke von der Fußplatte und dem unteren Gewandteil.
Ergänzt sind einige Finger der linken Hand, von denen das Unterglied des
kleinen Fingers bereits wieder fehlt. '
Die Statue, die auf der Rückseite gehöhlt ist, ist rein auf Vorderansicht
berechnet. Der dicke Haarwulst unter der Mitra ist nur bis zu den Ohren
zu Locken ausgearbeitet, dahinter aber unbearbeitet gelassen. Es war also
eine Seitenansicht unmöglich, und so kann man wohl annehmen, daß der
Heilige in Nischenumrahmung aufgestellt war.
Die alte Bemalung auf Kreide- und Leinengrund ist gut entfernt. Aus
den wenigen Resten ersieht man nur, daß die Alba weiß, die Dalmatika rot
war, letztere in späterer Zeit jedoch grün übermalt wurde. An der Inful
sind die Farben Weiß und Rot zur Anwendung gekommen und man kann
nach den Resten auf dem rückseitigen Hörn schließen, daß zwei aus kon-
zentrischen Kreisen oder Spiralen gebildete Ornamente darauf gemalt waren.
Die Statue kam durch Schenkung aus Kaiserswerth (Regierungsbezirk
Düsseldorf) an das Germanische Museum. Wo dieselbe sich früher befand,
ist unbekannt, doch ist nach dem Material — Eichenholz — wahrscheinlich,
daß das Stück am Niederrhein gefertigt wurde.
Die Statue steht an Feinheit der Auffassung und Durchführung weit
hinter dem zurück, was die Kölner Arbeiten boten, trotzdem ist, entsprechend
der vorgeschrittenen Zeit, die Durchbildung der Einzelheiten im großen und
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142 DIE FRÜHWERKE DER HOLZPLASTIK IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEÜM.
ganzen eine genauere als bei jenen älteren Werken. Nicht eine feinere, denn
es liegt ein gut Teil Härte und Ängstlichkeit in der Formengebung des
Schnitzers. Die Verhältnisse des Körpers mit seinen fast negierten Ober-
schenkeln sind selbst für die reine Vorderansicht, für die ja ausschließlich
Abb. 23. Heiliger Bischof. Ende des 14. Jahrb.
PI. 0. 135. H. 106 cm.
die Figur gefertigt wurde, nicht genügend. Der Oberkörper erscheint unver-
hältnismäßig lang und steht im Mißverhältnis zu den unteren Extremitäten.
Wesentlich besser ist der Hals, an dem .schon eine Angabe des Kehlkopfes
versucht ist, sowie das runde, fleischige Gesicht mit seiner zierlichen, fast allzu
kecken Nase. Der Schnitzer beherrscht aber noch nicht die Kunstmittel ; der
Gesichtsausdruck, der wohl ein ernster oder liebevoller sein sollte, wurde
unter seinem Schnitzmesser ein starrer und schreckensvoller. In den Einzel-
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VON DR. W. JOSEPHI. 143
heiten des Gesichts giebt er noch viel Archaisches, so vornehmlich in der symme-
trischen Fältelung der Stirne und den schematischen Locken unter der Inful.
Die Faltengebung des Gewandstoffes ist am Oberleib sehr flach, wenn
auch schon die Qualitäten der einzelnen Falten, die mehr oder minder große
Straffheit der einzelnen Züge deutlich und bewußt unterschieden werden. In
der Schoßpartie werden die Falten schematischer, unten fließen sie, auch
hier die Frontalität der Figur zum Ausdruck bringend, symmetrisch schräge
nach beiden Seiten zum Boden nieder.
Für die Datierung der Figur ist die in der Faltengebung sehr ähnliche
sitzende Bischofsstatue unten im Deokarusaltar zu St. Lorenz in Nürnberg her-
beizuziehen (Abgeb. bei Münzenberger, sowie bei Stegmann-Nöhring, Meister-
werke der Kunst und des Kunstgewerbes, Tafel 31). Nach Pückler-Limpurg
ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß jener Altar im Jahre 1406 auf-
gestellt wurde. Unsere Statue macht nach Haltung und Gewandbehandlung
einen etwas altertümlicheren Eindruck. Auch die niedrige Inful und die strenge
Stilisierung der Locken weisen eher in das 14. als in das 15. Jahrhundert.
Man wird deshalb — auch hier muß eine etwaige lokale Besonderheit der
niederrheinischen Schule außer acht bleiben — die Figur wohl ganz an den
Schluß des 14. Jahrhunderts zu datieren haben.
Für die deutsche Plastik bedeutet das 13. Jahrhundert — für Italien
bieten die Kunstwerke der hohenstaufischen Periode, sowie Niccolo Pisanos
eine ähnliche, wenn auch in Ursachen und Wirkungen anders schattierte
Erscheinung — ein Zeitalter der Gegensätze; eine tiefe unüberbrückbare Kluft
trennt die hochbedeutenden Monumentalwerke von den primitiven und hand-
werklichen Durchschnittsleistungen. Die Kulturverhältnisse des damaligen
Deutschland bieten des Rätsels Lösung.
In jeder hohen Kunst machen sich internationale Faktoren geltend : eine
fortgeschrittnere Kunst, selbst eine solche der Dekadenz, wird stets einen
je nach den kulturellen Verbindungen mehr oder weniger starken Einfluß auf
die zurückgebliebenen Länder ausüben. Das künstlerisch führende Gebiet
war aber zu jener Zeit Frankreich, dessen Plastik — die Architektur ist für
unsere Betrachtung von nebensächlicherer, wenn auch immerhin beachtens-
werter Bedeutung — im Verlauf des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts
einen raschen Aufschwung genommen hatte und nun den deutschen Künst-
lern reiche Gelegenheit zum Lernen gab.
Nur in diesem allgemeinen Sinne vermag ich das oft mißbrauchte
Schlagwort »französischer Einfluß« zu fassen. Man pflegt heute gerne diese
Zusammenhänge allzu eng zu nehmen. Wir leben im Zeitalter des Schnell-
verkehrs und — der Photographie und sind daher leicht geneigt, aus Ähn-
lichkeiten Verbindungen zu konstruieren, die auf jene Zeit durchaus nicht
anzuwenden sind ; wir übersehen ferner, daß die in der Architektur festgelegten
Zusammenhänge keineswegs schlechthin auf die ihrer Natur nach ganz anders
geartete bildende Kunst übertragen werden dürfen. Wenn die Kunstwissen-
schaft bisher ein einziges Mal unanfechtbar ein wirkliches Kopieverhältnis
deutscher Bildwerke zu französischen hat nachweisen können, so beweist ge-
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144 DIE FROHWERKK der HOLZPLASTIK ETC. VON DR. W. JOSEPHL
rade dies Magdeburger Beispiel, wie wenig Erfreuliches dabei schon allein
infolge des geringen zeichnerischen Könnens jener Zeit herauskommen konnte.
Aber nur der wirklich große Künstler konnte sich die internationalen
Anregungen zu Nutze machen ; zu dem schlichten Bildschnitzer und Steinmetzen
werden diese Einflüsse schwerlich gelangt sein, und wenn sie ihn wirklich trafen,
so war er, aufgewachsen und ausgebildet in einem Lande, dem jede bedeuten-
dere künstlerische Vergangenheit fehlte, schwerlich imstande, ihnen zu folgen.
Nach dem 13. Jahrhundert entstanden in Deutschland keine Bildwerke,
die sich mit jenen infolge ihrer einfachen Monumentalität auch noch uns so
wirkungsvoll erscheinenden Meisterwerken messen könnten. Vielleicht fehlte
es an großen Künstlerindividualitäten; denn den vielen in der ersten Hälfte
des 14. Jahrhunderts allerorts im Anschluß an die kirchlichen Bauten ent-
stehenden umfangreichen plastischen Cyklen, die zur künstlerischen Betätigung
reichliche Gelegenheit boten, ist zweifellos ein im Gegensatz zu der Vor-
nehmheit jener Bildwerke kleinbürgerlicher Zug eigen. Allein trotzdem gingen
die Errungenschaften der großen Vergangenheit nicht verloren, denn ihrem
mächtigen Eindruck konnten sich auch die Plastiker des 14. Jahrhunderts
nicht entziehen, wie die schon damals im Umkreise jener Meisterwerke ge-
fertigten Kopien bezeugen. Befruchtend wirkte das Vorbild auf die beschei-
dene Handwerksplastik, und so können wir in der Tat ein merkwürdig rasches
Aufsteigen in ihr beobachten. Wenn auch das Streben des 14. Jahrhunderts
in erster Linie auf die Ausbildung der Details gerichtet war und dadurch
gleichsam in einen Gegensatz zu der großzügig-schlichten Monumentalität jener
Bildwerke trat, so wird man doch die Anregungen, die von ihnen ausgingen,
nicht unterschätzen dürfen.
Mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts setzte eine neue künstlerische
Bewegung ein, deren Ideale wesentlich verschieden waren von dem, was das
14. Jahrhundert erstrebt hatte. Aber der Schnitt zwischen Altem und Neuem
ist kein scharfer; der Übergänge gibt es viele, und wenn auch zuweilen die
Merkmale der neuen Zeit ganz plötzlich auftauchen, so ist doch im allge-
meinen die Entwicklung eine sanft fließende, die alle Gegensätze vermeidet.
Die Kenntnis in der Anatomie des Körpers schritt fort, das Verstehen der
Natur nahm folgerichtig zu, und damit ging eine mehr und mehr wachsende
Beherrschung der Ausdrucksmittel Hand in Hand. Besonders eigentümlich ist
jedoch der ersten Hälfte 15. Jahrhunderts jener weiche, volle Faltenwurf, der
sich schon seit den 70 er Jahren des 14. Jahrhunderts bei sonst noch ziemlich
strafler Gewandung und magerer Körperbildung an untergeordneten Stellen,
etwa an den von der Hand gehaltenen freihängenden Gewandzipfeln, bemerkbar
gemacht hatte. Bereits die an letzter Stelle behandelte Figur wies so viele
Merkmale des neuen Stils auf, daß man zweifeln konnte, ob sie dieser oder
bereits der nächsten Epoche zuzurechnen sei. Fast genau um die Mitte des
15. Jahrhunderts ging der weichfaltige Stil in den Knickfaltenstil über, der bei
gleichzeitigem Aufkommen hochbedeutender Künstlerindividualitäten den Höhe-
punkt und die letzte Phase gotischen Schaffens bedeutet und der zu Beginn
des 16. Jahrhunderts in die Renaissance überleitete.
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LITERARISCHE BESPRECHUNQEN.
Japanische Kunstgeschichte von Oskar Münsterberg. I. Verlag George
Westermann. Braunschweig.
Das Buch ist nicht die kritische Geschichte der japanischen Kunst, welche wir
wünschen. Zwar fehlt es in der japanischen Literatur nicht an Vorarbeiten über die
Künstlergeschichte, sowie an kunstgeschichtlichen Arbeiten, welche mehr Aufzählung von
Einzelheiten als systematische Darstellungen sind, allein die kritische Durcharbeitung
dieses literarischen Materials in stetem Hinblick auf die in Japan befindlichen schwer zu-
gänglichen und die in europäischen und amerikanischen Sammlungen zerstreuten Kunst-
werke ist eine Arbeit, welche kaum noch in Angriff genommen ist und deren Durch-
führung Dezennien in Anspruch nehmen wird. Münsterbergs Buch bezweckt eine vor-
läufige Orientierung. Es ist aus Aufsätzen entstanden, welche in Westermanns Monatsheften
erschienen waren und dieser Ursprung ist nicht völlig verwischt. Die Disposition ist
nicht allenthalben ganz klar und sicher. Ein einleitendes Kapitel sucht die Bedingungen
der japanischen Kunstentwickelung darzulegen. Mit Recht wird gleich eingangs betont,
daß das Fehlen einer monumentalen Architektur auch die Richtung der anderen Künste
nach dem Intimen, nach gewissenhafter Beobachtung und sorgfältigster Durcharbeitung
der Einzelheiten bestimmt hat. Dann hat der Ausschluß des Nackten aus der Darstel-
lung des Menschen die freie Entfaltung der Plastik verhindert, so daß das malerische
Empfinden, das wohl bei den Orientalen unter den künstlerischen Fähigkeiten die stärkste
ist, in allen Künsten vorherrscht.
Die japanische Kunst ist nicht autochthon, sondern mit dem Buddhismus von China
übernommen und zwar auf einer ziemlich hohen Entwickelungsstufe, und sie hat in ihren
stilistischen Prinzipien diese Grundlage niemals verlassen. Sie ist bei höchstem Können
in allem Technischen auf einer Entwicklungsstufe stehen geblieben, welche die europäische
Kunst längst überschritten hat; und sie hält bei aller Feinheit der Naturbeobachtung im
Einzelnen an einer Stilisierung des Ganzen fest, welche wir als Beengung empfinden. Die
Japaner sind sich bewußt, daß sie stark stilisieren und sie erblicken darin einen Vorzug ihrer
Kunst. Ohne Stilisierung gibt es selbst im äußersten Naturalismus keine Kunst; aber jede
Stilisierung beruht auf Konvention. Stilistische Konventionen, welche weit von den unsrigen
abweichen, befremden uns und erschweren den Genuß wie die kritische Würdigung der
Kunstwerke. Das ist nun bei der japanischen Kunst in hohem Maße der Fall. Was
den Europäer unmittelbar ansprechen kann, ist nur die harmonische Gesamterscheinung
und die unübertreffliche technische Durchbildung; sein Blick haftet an der Oberfläche
und dringt nicht in das innere Wesen der Kunstwerke; die japanische Kunst erscheint
ihm seelenlos. Nun weiß ich nicht ob die japanische Kunst Werke von solcher Tiefe
des geistigen Gehalts wie die vatikanischen Fresken Raphaels und Michelangelos oder
von solcher Intensität des Ausdrucks wie Rembrandts Anatomie im Mauritshuis oder auch
Landschaften von einer Stimmungsgewalt wie die Ruysdaels hervorgebracht hat und ich
bezweifle es, aber schon eine ziemlich oberflächliche vorurteilslose Betrachtung zeigt, daß
ihr Ausdruck und Stimmung wohl zu Gebote stehen, und daß nur die Mittel durch welche
sie erreicht werden andere sind als die uns geläufigen. Aber auch sie erscheinen uns
Mitteilungen aas dem german. Nationalmuseum. 1905. 19
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146
UTERARISCHE BESPRECHUNGEN.
sofort weniger fremdartig wenn wir uns bewußt bleiben , daß die japanische Kunst auf
einer tieferen Entwickelungsstufe steht als die europäische und wenn wir vergleichende
Blicke auf ältere Phasen dieser werfen. In dem vergleichenden Oberblick europäischer
und japanischer Kunstentwickelung, den Münsterberg zu Anfang des zweiten Kapitels gibt,
das Bildhauerei und Malerei enthält, erscheint leider die europäische Kunst in sonder-
barer Verzerrung. Eine solche Deduktion ist auch verfrüht und führt nicht zum Ziele,
man muß vom Einzelnen ausgehen, um der japanischen Kunst beizukommen.
Ein Umstand besonders erschwert die historische Erkenntnis der japanischen Kunst.
Sie hat keine so lebhafte Entwickelung wie die europäische. Alte Schulen dauern neben
Jüngern unendlich lange fort, der Charakter der Schulen ist ein sehr geschlossener, ihre
Traditionen vererben sich durch viele Generationen, die geistige Abhängigkeit der Schüler
von den Lehrern ist sehr groß, sie übernehmen deren Technik, deren Motive und finden
darin Ersatz für eigenes selbständiges Naturstudium. Nur ganz große und ursprüngliche
Begäbung kann aus den Fesseln der Schule befreien und zu originalen Schöpfungen führen,
die wieder schulbildend wirken. Aus der hohen Technik der japanischen Künstler ergibt
sich fQr uns die weitere Schwierigkeit für die Beurteilung der Kunstwerke, daß wir Ori-
ginales und Abgeleitetes oder reine Kopien schwer unterscheiden können.
Der Buddhismus kommt aus Indien, so sind auch seine Göttertypen indische, selbst
durch das chinesische und japanische Medium bleibt der indische Typus fast unverändert.
Von den Monstrositäten der indischen Kunst hält sich die japanische frei. In den großen
Erzbildern Buddhas erreicht sie nicht nur äußerlich eine hohe Monumentalität, aber auch
kleinere Figuren erfreuen durch ihre konsequente Stilisierung. Münsterberg bezeichnet
den Stil als griechisch-indisch. Anklänge an die griechische Formbehandlung sind, nament-
lich in der Behandlung der Gewänder, vorhanden. Wenn er aber behauptet, daß nur
eine hohe Kultur wie die Griechische die Pose der ruhig stehenden Figur mit dem feier-
lich drapierten Gewand erfinden konnte; daß wir bei allen Völkern in den Anfängen ihres
künstlerischen Schaffens die Bewegung als das sachlich Interessantere und erst bei Er-
reichung einer gewissen Kunsthöhe die Ruhe dargestellt finden, so ist dies ein Irrtum.
Die Plastik ist in jeder primitiven Kunst die Kun.st der ruhenden Form, die Malerei und
das Relief die der Bewegung. Es ist deshalb auch nicht zutreffend, wenn er annimmt,
die bewegteren Figuren der buddhistischen Kunst seien ältere vorbuddhistische Typen.
Im 12. und 13. Jahrhundert betritt die japanische Plastik den Weg selbständiger
Naturbeobachtung und es entstehen sehr bedeutende Werke , welche den europäischen
Skulpturen der gleichen Zeit nahe stehen, sie aber darin überholen, daß sie schon voll-
ständig treffende Portraits geben. Sehr merkwürdig als Darstellung eines nahezu völlig
nackten Körpers ist ein Laternenträger aus dem Kloster Kofukui. Die Haltung des
Mannes, der mit Anspannung aller Kräfte eine schwere Last trägt, ist äußerst genau stu-
diert Die Figur hat eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Silen der im Hause des Popi-
dius Priscus in Pompeji gefunden wurde, ja sie ist wohl noch realistischer als jener.
Hier wären die plastischen Darstellungen von Tieren zu erwähnen, deren Münster-
berg nicht gedenkt. Es ist eine der ganzen asiatischen Kunst eigene Erscheinung, daß
die Darstellung von Tieren früher zur Vollendung reift als die von Menschen. Tierbilder
von Erz gehören denn auch zum Besten, was die japanische Kunst hervorgebracht hat.
Fremdartiger als die Plastik der Japaner berührt uns ihre Malerei. In der Plastik
werden allzustarke Abweichungen von der Natur schon durch die Körperlichkeit verhin-
dert, in der Malerei, die körperliche Erscheinungen auf die Fläche überträgt muß das,
was ich oben als Konvention bezeichnet habe, in weit stärkerem Maße hervortreten.
Die Darstellung des Menschen bleibt mangelhaft, weil Aktstudien nicht getrieben
wurden und die Maler in Folge dessen keine ausreichende Kenntnis des menschlichen
Körpers hatten. Das hindert nicht, daß die Bewegungsmotive ausdrucksvoll behandelt
werden, die deutsche Kunst des 15. Jahrhunderts, die überhaupt so manche Analogien
zur japanischen hat, bietet hiezu Beispiele in Menge. Es hindert auch nicht die exakte
Wiedergabe der sichtbaren Körperteile , namentlich wissen die Maler die Gesichter cha-
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UTERARISCHE BESPRECHUNGEN.
147
rakteristisch und mit sprechender Mimik zu geben. Aber im Ganzen erleidet die Gestalt
eine Stilisierung, die oft in Manier übergeht.
Auf dieser gemeinsamen Grundlage gibt es in der japanischen Kunst nach Zeit und
Schule große Verschiedenheiten. Am meisten entsprechen uns die skizzenhaft behandelten
Bilder, welche mit wenigen sicheren Strichen das Wesentliche der Erscheinung geben.
Die Landschaft nimmt in der japanischen Kunst einen breiten Raum ein. Mönster-
berg bemerkt über sie : >Japanische Landschaften müssen immer — wie bei uns im
Mittelalter — begrifflich aufgefaßt werden. Der Sonnenaufgang ist nicht ein Nieder-
schreiben der Lichtreflexe, sondern eine Manifestation des Tages; die Wiese mit den
blühenden Blumen ist als Lustort des Frühlingsfestes und Äer Jugendliebe empfunden,
und so hat jede Darstellung ihre sinnvolle Bedeutung. Stets empfindet der Japaner eine
feine poetische Idee.« Das mag im Allgemeinen richtig sein. Auf einem beschneiten
Bergpfad wandert einsam ein Mann, von einem gegenüberliegenden Berge stürzt ein Wasser-
fall herab. Einen einsamen Menschen in die großartige winterliche Landschaft zu stellen,
ist ein poetischer Zug. Allein es ist nicht gleichgiltig . wer der Mann ist. Wenn ein
Holzknecht im Winter auf Bergen henimsteigt , so tut er es in Ausübung seines Berufs
und das läßt uns gleichgiltig. Hier erfahren wir, daß der Mann ein Dichter ist, und da-
mit erfslhrt die Poesie des Bildes eine Steigerung , denn wir nehmen an , daß et in der
großartigen Natur ästhetische Anregungen sucht und findet. Aber diese Steigerung setzt
voraus, daß wir etwas wissen, was das Bild nicht unmittelbar aussprechen kann. Dieser
Zug ist keiner bildenden Kunst fremd, auch unserer nicht, und er tritt zu Zeiten stärker
hervor, zu Zeiten mehr zurück. Sein Vorherrschen beeinträchtigt die Gemeinverständ-
lichkeit der Kunst. Da wir nicht zu den Wissenden gehören, wird unser Verständnis der
japanischen Kunst namentlich der japanischen Landschaft stets unvollkommen bleiben.
Ich bin indes nicht ganz überzeugt, daß wir hinter jeder japanischen Landschaft noch
eine außerhalb der unmittelbaren Darstellung liegende poetische Idee zu suchen haben,
bei vielen liegt die Poesie im Bilde selbst. Die Landschaften mit hohen Bergen , deren
Fuß in Nebel gehüllt ist, müssen bei ihrem ersten Auftreten sehr poetisch gewesen und
auch so empfunden worden sein. Durch unendliche Wiederholung ist das Motiv für uns
verblaßt, es fragt sich aber, ob nicht ein Volk mit beständigerem Kunstgefühl auch von
den Wiederholungen noch eine lebhaftere Anregung empfangt.
Viele japanische Landschaften bieten uns trotz ihrer fremdartigen Stilisierung einen
starken ästhetischen Genuß. Hier wäre Hiroshige zu erwähnen gewesen, auch wenn er
nur für den Farbenholzschnitt gearbeitet haben sollte. Seine Landschaften sind freilich
jungen Datums und stehen vielleicht schon unter europäischem Einfluß, aber sie bringen
das japanische Raumgefühl am klarsten und kräftigsten zum Ausdruck. Man blickt von
hohen Standpunkten in weite , reiche Landschaften , welche durch sichere Auswahl des
Bedeutenden klar gegliedert sind. Die Abstufungen der Farbe und des Lichtes sind
äußerst fein gestimmt, Schlagschatten fehlen, wie allenthalben in der japanischen Kunst.
Was w^ir an diesen Landschaften vor allem bewundern müssen , ist die Sicherheit des
perspektivischen Blicks, mit welcher der Raum angeordnet ist und die in hohem Maß
das Gefühl der Größe und Weite hervorruft. Diese Landschaften gehen nun wohl in
ihrer perspektivischen Anordnung über die Leistungen früherer Zeiten hinaus , aber sie
sind, soweit ich sehe , doch mit ihnen durch das gleiche Raumgefühl verbunden. Nun
ist jüngst — nicht von Münsterberg — die Frage gestellt worden : >Was heißt denn per-
spektivisch richtig und falsch ? Wer sagt denn, daß die japanische Perspektive nicht die
gleiche Berechtigung hat wie die unsere ? Und ist nicht manches, was wir als falsch be-
trachten, nur neu und ungewohnt?« Daraufist zu erwidern: Die europäische Perspektive
ist eine exakte Wissenschaft, deren Ergebnisse auf objektive Giftigkeit Anspruch haben.
Sie muß in der europäischen Kunst allen konstruierten Raumbildern zu Grund gelegt
werden. Modifikationen kann das konstruierte Raumbild erfahren , bei Konstruktionen
mit sehr kurzer Distanz, weil hier das auf einen Engpunkt konstruierte Raumbild von
dem binocular gesehenen wirklichen abweicht , dann wenn Räume dargestellt werden,
welche das Gesichtsfeld des horizontal gerichteten Auges überschreiten und Wendungen
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148 LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
des Kopfes erfordern um ganz gesehen zu werden. Hier werden verschiedene Raum-
bilder auf ein Bild kombiniert. Aber alle diese Modifikationen bewegen sich in engen
Grenzen. Die japanische Perspektive ist noch rein empirisch, objektiv falsch und für
ein perspektivisch geschultes Auge störend. Das ist kein Vorwurf, es ist damit nur die
Entwicklungsstufe der japanischen Kunst bezeichnet. Man kann über diesen Mangel wie
über andere Mängel der japanischen oder der mittelalterlichen ja jeder archaischen Kunst
hinwegsehen und zu reinem Genuß gelangen. Das ist uns, die wir auf einer höheren
Entwicklungsstufe stehen, aber nicht unmittelbar möglich, sondern erst durch eine Ak-
kommodation an die altertümlichere Weise, gleichviel ob diese Akkomodation durch
Empfindung oder durch Reflexion erreicht wird. Die Mängel der japanischen Perspek-
tive treten in der Darstellung von Gebäuden und Innenräumen, bei welchen das Hinein-
gucken oft nur durch Weglassen von Dächern und Wänden ermöglicht wird , mehr zu
Tage als in der Landschaft, und in der neueren Landschaftsmalerei, als deren Vertreter
ich oben Hiroshige genannt habe, sind sie tatsächlich überwunden. Sie sind aber nicht
überwunden durch die japanische Perspektive, sondern durch das Auge des Künstlers,
der ohne perspektivische Konstruktion ein klares Raumbild zu schaffen wußte. Auch bei
uns wird .kein Maler zu künstlerischen Zwecken ein Landschaftsbild aus der Landkarte
und aus Meßbildern heraus konstruieren. In den japanischen Landschaften ist also schon
mit der Art der Entstehung die Annäherung an unser Empfinden ermöglicht. Die Stili-
sierung — namentlich die der altjapanischen Kunst — ist uns jedoch fremdartig. Ober
den ästhetischen Wert der japanischen Landschaft ist damit nichts gesagt. Schließlich
ist jede in sich einheitliche Stilisierung gut, auch die japanische. Man gehe aber nicht
so weit, daß man die japanische Landschaft über die europäische stellt.
Und was von der Landschaft gilt, gilt von der bildenden Kunst überhaupt. Der
Wert der japanischen Kunst liegt in ihrer hohen technischen Vollendung. Darin , aber
nur darin — man täusche sich darüber nicht — ist sie der europäischen gleichwertig,
vielleicht überlegen, sowohl nach Form als nach Inhalt, steht die europäische Kunst in
in ihrer Gesamtheit höher. Hier pulsiert das künstlerische Leben seit Jahrtausenden
mächtiger, hier werden Höhen und Tiefen durchmessen, welche die japanische Kunst
nicht ahnt. Dem Volke sind die furchtbaren politischen Katastrophen, die markerschüttern-
den geistigen Kämpfe, welche Europa durchgemacht hat und durchmacht, erspart ge-
blieben, aber es blieb ihm auch die höchste Intensität des künstlerischen Lebens und
die Steigerung der Kunst ins Monumentale versagt. Nochmals sei es ausgesprochen,
man freue sich der feinsinnigen, sympathischen Kunst der Japaner, aber man überschätze
sie nicht, vor allem nicht auf Kosterf unserer eigenen
Münsterberg sucht die Entwickclungsgeschichte der japanischen Kunst an einer
Reihe von ausgewählten Beispielen darzulegen und gibt dazwischen allgemeine Erörte-
rungen. Dieses Verfahren setzt voraus, daß die Entwicklung im Ganzen schon erforscht
ist ; nur auf diesem Grunde kann eine zuverläßige Darstellung im Auszug beruhen. Für
die japanische Kunstgeschichte sind wir noch nicht so weit, es werden sich also manche
der vorgetragenen Anschauungen nicht bewähren. Wie weit dies der Fall sein wird
vermag ich im Einzelnen nicht zu ermessen, das Gebiet ist mir nicht genügend vertraut.
Das dritte Kapitel behandelt die Ornamentik. Münsterberg geht hier bis in die
Prähistorie zurück. In einem Aufsatz für die Monatshefte mögen die interessanten Aus-
führungen am Platze gewesen sein, hier stehen sie nicht an richtiger Stelle, sie greifen
in eine Zeit zurück, in der es noch keine japanische Nation gab.
Die Anfänge der japanischen Ornamentik werden wie die der Plastik und Malerei
vom Festland übernommen; vom 5. bis ins 11. Jahrhundert ist sie chinesisch. Zu den
linearen Motiven der Bandornamentik treten die Anfänge der Tier- und Pfianzenornamentik,
zunächst nuf Typen ohne Charakterisierung der Art. Zu phantastischen Tierformen ent-
wickelt sich die Darstellung von Tieren, welche in Japan nicht vorkommen.
Die Textilkunst übernimmt westasiatische Motive. Im 13. Jahrhundert, gleichzeitig
mit dem Entstehen der nationalen Malerschule entwickelt sich eine reine japanische Orna-
mentik, welche realistische Pflanzenmotive verwendet. Animalische Darstellungen treten
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 149
dazu, schließlich werden ganze Bilder ornamental verwendet. Daß ein Ornamentstil, der
den struktiv organischen Charakter des Ornaments negiert, reizendes leisten kann , ist
durch die japanische Ornamentik erwiesen, ihre letzten Phasen zeigen, daß die Phantasie
unsicher geworden ist.
Kann nach dem heutigen Stande der Forschung eine japanische Kunstgeschichte
nur zu vorläufigen Ergebnissen gelangen, so sind wir Münsterberg doch zu Dank ver-
pflichtet, daß er den Mut gehabt hat, schon jetzt eine zusammenfassende Darstellung und
in ihr die Richtlinien fQr weitere Studien zu geben. Bezold.
Das Tiroler Volk in seinen Weistfimem. Ein Beitrag zur deutschen Kultur-
geschichte von Franz Arens. (Drittes Heft der Geschichtlichen Untersuchungen, her-
ausgegeben von Karl Lamprecht. Gotha.) Friedrich Andreas Perthes. Aktiengesell-
schaft. 1904. XIV. und 436 SS. 8.
Eine historische Darstellung des >Seelenlebens« der tiroler Bauern, einen >Beitrag
zur Geschichte der deutschen Volksseele, die unsere Besten heute erstreben«, will Verf.
geben, um damit der >historischen Erkenntnis des Seelenlebens« überhaupt vorzuarbeiten.
Die vier Bände der Tiroler Weistümer in der großen schönen Sammlung der bäuerlichen
Rechtsquellen Österreichs sind ihm der lautere Born gewesen , aus dessen Tiefen die
mannigfaltigen Zeugnisse alttiroler Lebens und Fühlens zu heben waren. Auch das reiche
Erbgut der volkstümlichen Oberlieferungen des Landes, vor allem seiner Sagen und Mär-
chen, wie es vorzüglich in den geschätzten Sammlungen Zingerle's geborgen \st, ward
mit herangezogen. Ergiebige Ausbeute ist zutag gefördert und in sieben großen Ab-
schnitten gesichtet und vor uns ausgebreitet : Äußere Bedingungen des tirolischen Volks-
lebens; Innere Anlage des tirolischen Volkstums; Stellung zur Natur; Innere Grundlegung
des sozialen Lebens; Über Wertungen; Das sittliche Leben; Das Recht — das sind die
bedeutsamen Stoffgebiete, deren Erörterung man mit gespanntem Interesse entgegensehen
mag. Die Materie ist zu anziehend, die Darlegungen des Verfassers sprechen zu ein-
drücklich und vielfach in so fesselnder Weise, daß fürs erste jedem Genüge geschieht,
der für die engere Welt bescheidener Lebenskreise des >kleinen Mannes« Herz und Augen
offen behält und gerne auch in der Entwicklungsgeschichte des deutschen Durchschnitts-
menschen Umschau hält.
Nur schade, daß Arens, der mit Lamprecht an der Idee einer inneren Gesetz-
mäßigkeit der menschlichen Natur festhält und überall Entwicklungstendenzen auf der
Spur zu sein glaubt, seinen Reichtum gewonnener Tatsachen dem unseligen System einer
alles vergewaltigenden Konstruktion zum Opfer bringt. Diese hindert ihn auf Schritt und
Tritt ureinfachste Dinge in ihrer wahren schlichten Wesenheit, in ihrem natürlichen
ursächlichen Zusammenhang zu erschauen und treibt ihn wiederholt, selbst den harm-
losesten Wortlaut seiner Quellen mit dem unfreien Gewände eines die konkreten Dinge
und Erscheinungen verkennenden Theoretisierens und Schematisierens zu umkleiden.
Dazu hat man nur zu oft das unbehagliche Gefühl, daß der Geschichtsschreiber des tiroler
Volksem pfindens wohl nie ein persönliches Verhältnis zum lebendigen Volkstum gewonnen
hat. Jedem, der sich ernstlich mit dem Buche beschäftigt, muß dies zur Überzeugung
werden.
Auf der Literaturtafel erscheint auch Adolf Pichlers Name. Wie dieser feine Kenner
und gemütvolle Schilderer seiner Landsleute wohl geurteilt hätte, wenn ihm die Arens'-
sche Sektion des Seelenlebens seiner lieben Gebirgler noch zu Gesicht gekommen wäre !
HH.
Die Hoh-Königsburs: als Ruine. Von Gustav Dietsch. Leipzig. G. He de 1er.
1905. 8.
Eine neu bearbeitete Übersetzung aus dem Französischen mit 12 guten Abbildungen
und einer Grundrißkarte. Bei dem billigen Preise von 1 Ji. ein empfehlenswertes Nach-
schlagewerkchen, das dieses im Vordergrund des Interesses aller Burgenfreunde stehende
Bauwerk historisch erläutert und schließlich auch eine kurze Darlegung der Verhältnisse
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
gibt, die zu der mehr oder minder phantasievollen Wiederherstellung der alten Burg ge-
führt haben. A. H.
Zur Geschichte der Familleo Kaufmann aus Bonn und von Pelzer aus Köln.
Beiträge zur rheinischen Kulturgeschichte. Herausgegeben von Dr. Paul Kaufmann.
Verlag von P. Hanstein, Bonn, 1897. 118 S. 8.
Aus den Tagen des Kölner Kurstaats. Nachträge zur Kaufmann- von Pelzerschen
Familiengeschichte. Von Dr. Paul Kaufmann, Geh. Ober-Regierungsrat. Verlag von
P. Hanstein. Bonn, 1904. 86 S. 8.
Wer die Entwicklung der genealogischen Literatur etwa während des letzten
Dezenniums verfolgt hat, dem wird es nicht haben entgehen können, daß nicht nur eine
fortgesetzte Steigerung der Produktion — ich erinnere namentlich an die zahlreichen
Gründungen neuer genealogischer Zeitschriften und die zunehmende Einbeziehung der
Geschichte bürgerlicher Familien — , sondern teilweise auch eine auf höhere Wisscnschaft-
lithkeit gerichtete Vertiefung stattgefunden hat. Reines Sachinteresse auf der einen Seite,
das sich hier allerdings häufig mit dem persönlichen deckt, andererseits die Erkenntnis,
ein wie starkes Gegengewicht das den Familiensinn fördernde Interesse an genealogischer
Forschung den verflachenden und zersetzenden Einflüssen einer wesentlich durch das
rasche Anwachsen der Städte und den damit zusammenhängenden Existenzkampf groß-
gezogenen unhistorisch-materialistischen Weltanschauung gegenüber bilden könnte, haben
zu dieser Erscheinung geführt, die sowohl vom Standpunkt des Historikers wie vom
ethischen Standpunkt aus gewiß mit Freude zu begrüßen ist.
Als Musterbeispiele dieser jüngsten Phase genealogischer Forschung können die
beiden obengenannten Schriften von Paul Kaufmann gelten. Der Verfasser ist ein Neffe
des namentlich als Herausgeber des Cäsarius von Heisterbach bekannten 1893 als Archiv-
rat in Wertheim am Main verstorbenen Alexander Kaufmann, und die nachgelassenen
Familienerinnerungen dieses tüchtigen Forschers und liebenswürdigen Schriftstellers sind
für den Neffen der eigentliche Anlaß zu eigener wissenschaftlicher Be.schäftigung mit
genealogischen Fragen und zu den vorliegenden Veröffentlichungen gewesen. Pietätvoll
beginnt daher auch die erste Reihe dieser Studien, die zuerst im dritten und vierten Jahr-
gang der »Rheinischen Geschichtsblätter« zum Druck gelangte, mit der Publikation der
Alexander Kaufmannschen Arbeit. Sie beruht im wesentlichen auf den Erzählungen der
Mutter A. Kaufmanns, die eine Tochter des »kurkölnischen Wirklichen Geheimen Rates,
Oberappellations-, Revisions-, Kriegs- und Schulrates, sodann Gräflichen Syndicus, d. h.
Geschäftsführers des Grafenkollegiums bei den kurkölnischen Landständen« Tillmann
Jacob von Pelzer war. Naturgemäß überwiegen in diesen Aufzeichnungen die Nachrichten
über die Vorfahren von mütterlicher Seite, und zum Teil mag sich aus der Art der
Quelle wohl auch der Zug zum Anekdotenhaften erklären, der die Mitteilungen charakterisiert
und in gewissem Sinne auszeichnet. Freilich dürfen wir dabei nicht vergessen, daß eben
diesem Zuge eine starke Neigung seitens des Cäsarius-Herausgebers entgegenkam.
Da hören wir von einem entfernten Mitgliede der Familie, dem Sohn eines savoyischen
Kanzlers, der nach Erlangung des Doktorgrades noch im Reisekostüm in eine Gesellschaft
seiner stolzen und steifen Mutter getreten sei und voll Freude über seine neue Würde
das Hütlein in die Luft geworfen habe. Ober diese Unschicklichkeit aber, so heißt
es, »geriet die Mutter in solchen Zorn, daß sie ihm augenblicklich die Türe wies und ihm
verbot, ihr je wieder unter die Augen zu kommen. Alle Versuche , sie zu besänftigen,
waren umsonst, und der junge Mann mußte ins Elend wandern.« — Ein andermal wird
von einem Geheimen Konferenzrat von Föller, ebenfalls einem weitläuftigen Verwandten
des Hauses, erzählt, daß er einst zu Rom einem italienischen Priester gebeichtet und
sich dabei auch angeklagt habe, zuweilen zu tief ins Glas zu gucken. »Ah, dann sind
sie gewiß ein Deutscher!«, erwiderte ihm der Italiener und legte ihm als Buße auf, den
Wein nie mehr ungemischt zu trinken. »Dies hielt Föller bis an sein Lebensende, träufelte
aber in jedes Glas Wein nur ein wenig Wasser.« — Weiterhin ist von einem zahmen
Wolfe die Rede, der einst in einer Gesellschaft französischer Offiziere gewaltigen Schrecken
erregte; dann werden die Lebensschicksale Amaliens von Mastiaux, der »roten Reichs-
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
151
ritterin«, wie man sie ihrer rötlichblonden Haare wegen in Bonn nannte, erzählt und
ihrer vielen Eigentümlichkeiten, um nicht zu sagen Wunderlichkeiten, dabei gedacht; es
wird von >Pfingstens Madelenchen« berichtet, das sich, obgleich die Eltern absolut nichts
gegen die Heirat einzuwenden hatten , von seinem Bräutigam durchaus entführen lassen
wollte und seinen Willen und den Plan, der mit obligatem Kniefall und der elterlichen
Verzeihung endete, auch durchführte. Auch den Kaiser Napoleon hatte Alexander Kauf-
manns Mutter einigemale gesehen, >doch war der Eindruck, den seine äußere Erscheinung
auf sie gemacht, ein höchst widerwärtiger. Als charakteristisch für den Parvenü erzählte
sie, bei der großen Revue, die Napoleon am 6. November 1811 auf der Poppelsdorfer
Allee gehalten, habe er sich die Handschuhe aus- und anziehen lassen« . . .
Aus den mitgeteilten Hinweisen und Proben wird man, wie ich meine, bereits er-
kennen, daß das eigentlich historische Element in den Aufzeichnungen Alexander Kauf-
manns hinter dem novellistisch-anekdotenhaften sehr zurücktritt; und wenn wir gleich-
wohl aus dieser reizvollen Mosaikarbeit ein lebendiges Bild namentlich von den gesell-
schaftlichen Zuständen am deutschen Niederrhein zu Ausgang des 18. und in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gewinnen, so kommt doch die genealogische Forschung
entschieden dabei zu kurz. Das hat auch der Herausgeber offenbar deutlich empfunden,
denn der Zweck seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit war zunächst der, für die
Aufzeichnungen des Oheims eine breitere historisch-genealogische Grundlage zu schaffen,
gewissermaßen den wissenschaftlichen Apparat dazu darzubieten.
So erfahren wir denn erst aus Paul Kaufmanns >Geschichtlichen Nachweisen zu
den Familienerinnerungen« , die sich auf gründliche archivalische Nachforschungen und
insbesondere auch auf das Studium eines reichen Materials an alten Briefen stützen, ge-
naueres über Herkunft und Verzweigung der einzelnen Familien, die wir aus Alexander
Kaufmanns Arbeit nur flüchtig, nur in wenigen ihrer Mitglieder kennen gelernt hatten,
der Kaufmann, Pelzer, Mastiaux, dann auch der ebenfalls mit der. Kaufmann- und von
Pelzerschen Familie verschwägerten Rubens, Raaf, Freybütter, Poncet (Poncett, Poncetti),
von Hallberg und Godesberg etc. Den einzelnen Abschnitten sind jedesmal die betreffen-
Wappen in Holzschnitt beigegeben. Was an einschlägiger Literatur existiert, ist sorg-
fältig zu Rate gezogen worden.
Aber schon in diesen > Geschichtlichen Nachweisen«, die den zweiten, umfangreicheren
Teil des ersten der beiden oben genannten Werke bilden, geht der Verfasser verschiedent-
lich über den Kreis des Familiengeschichtlichen hinaus, so, wenn er gelegentlich dem
Föllerschen Wohnhause in Bonn, seiner Einrichtung und prächtigen Ausstattung, zu der
auch eine reiche Porzellansammlung gehörte, eine ausführlichere Beschreibung widmet,
oder wenn er das Lebensbild, das der kürzlich verstorbene Hermann Hüffer, übrigens
ein Vetter des Verfassers, im Jahre 1863 von dem kaiserlich französischen Unterpräfekten
des Arondissements Bonn, Peter Joseph Maria Boosfeld, entworfen hat, durch manche
biographisch wie kulturgeschichtlich wertvollen Züge ergänzt.
Solche allgemeinere, in der Hauptsache kulturhistorische Gesichtspunkte haben
dann in noch höherem Maße bei Abfassung des zweiten der beiden Bücher obgewaltet,
das zunächst Nachträge zur Familiengeschichte bieten sollte, in das dann aber auf Grund
der durchgesehenen Archivalien eine solche Fülle mit der eigentlichen Familiengeschichte
nur sehr lose verknüpfter Schilderungen zur Zeitgeschichte Aufnahme gefunden hat, daß
der Verfasser mit Recht für den Obertitel seiner Schrift die Fassung »Aus den Tagen
des Kölner Kurstaates« wählen durfte.
Gleich der erste Abschnitt des Buches (>Zur Geschichte der Familie Rubens«) be-
greift in sich eine anschauliche und ins einzelne gehende Darstellung des Anteils, den
das kurkölnische Reichskontingent , das einmal in einem Berichte des Prinzen Soubise
nach Paris im Jahre 1757 als »mittelmäßig« bezeichnet wird und in der Tat höchst mittel-
mäßig gewesen sein muß, erst am siebenjährigen Kriege, dann an den Koalitionskriegen
gehabt hat. Andere Abschnitte, wie der über die Bonner Freiheitsschwärmer (1795—98),
den Bonner Franziskanerkonvent, das Mastiauxsche Haus oder über Bonner Kunstsammler
zu Beginn des 19. Jahrhunderts dienen zwar mehr der Lokalgeschichte, doch fallt auch durch
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
diese Schilderungen auf Verhältnisse und Zustände und das geistige Leben im alten Kur-
staat manch willkommenes Schlaglicht.
Vielfach sind auch hier alte Briefe die Vermittler sowohl der Tatsachen wie der
lebensvollen Bilder aus vergangenen Tagen gewesen, und ich möchte meine Besprechung
der beiden trefflichen Kaufmannschen Bücher nicht schließen , ohne dem Wunsche und
der dringenden Mahnung Ausdruck gegeben zu haben, es möchte doch ganz allgemein
den Briefen und Briefwechseln selbst unserer gegenwärtigen Zeit und ihrer Erhaltung
etwas mehr Sorgfalt, als gemeiniglich geschieht, zugewendet werden. In unserer so oft
berufenen »schnellebigen« Zeit gewinnen diese Schriftstücke bereits nach wenigen Jahr-
zehnten eine Art von historischem Wert, der — besonders wenn man das kulturgeschicht-
liche Moment in den Vordergrund rückt — rasch zunimmt, bis sich dann nach Jahr-
hunderten die treu und pietätvoll bewahrten Briefe als eine der wertvollsten kulturhisto-
rischen Quellen erweisen werden. Theodor Hampe.
Huffo Schuchhardt an Adolf Mussafia« Graz im Frühjahr 1905. 2.
Die mit erlesenem Geschmack ausgestattete Schrift stellt eine Festgabe des mensch-
lich und beruflich dem berühmten Romanisten Adolf Mussafia nahestehenden Verfassers
anläßlich des Ausscheidens des Ersteren aus seinem Lehramte dar. Es ist eine philologische
Gabe, wie sie der gemeinsame Beruf von Empfanger und Geber natürlich erscheinen läßt,
aber sie geht von einer allgemeineren Auffassung aus, von der, daß die Betrachtung des
Gegenstandes gleichwertig zu betonen sei wie die Wortuntersuchung. Und wenn in den
verschiedenen Abschnitten der geistvoll geschriebenen Abhandlung auch vorwiegend
romanische, speziell italienische Volkskunde und Philologie in Verbindung gebracht wird,
mit Heranziehung ostasiatischen, slavischen und keltischen Vergleichsmateriales, mehr als
solchem des deutschen Stammes, so mag die außergewöhnlich liebevoll eindringende
Behandlungsweise, die sich mit scharfer aber feiner Ziselierung am ehesten vergleichen
läßt, die Anzeige an diesem Orte rechtfertigen. Zumal unstreitig der noch in den ersten
Stadien der Entwicklung befindlichen volkskundlichen Wissenschaft durch Schuchhardts
Behandlung scheinbar unbedeutender und abliegender Gegenstände zum Teil neue Wege
gewiesen werden.
Die Arbeit schließt zunächst an vergleichende Anmerkungen von Mussafias im Jahre
1873 erschienenen »Beitrag zur Kunde der norditalienischen Mundarten im 15. Jahrhundert«
an und nachdem Schuchhardt an einem Prolegomenon sozusagen, einem Exkurs über
romanische Ausdrucksformen für gewisse Spielarten des >Feuerbocks« seine These, daß
alle Genealogie (des Wortes) sich in Kulturgeschichte umsetzen müsse, nachgewiesen,
geht er zu seinem ersten Haupthema der sprachlichen und sachlichen Betrachtung von
Haspel und Garnwinde über. Mit großem Geschick wird an der Hand des sprachlichen
und eines zahlreichen, klar wiedergegebenen Abbildungsmaterials die Verschiedenheit der
einzelnen Arten dieser Spinngeräte festgelegt, und zugleich die wesentliche Verschiedenheit
der Bestimmung, des Aufsträhnzweckes der Haspel, des Absträhnzweckes der Garnwinde
klargelegt.
In einem zweiten Teile der Arbeit, die weniger mit dem Gegenstand sich beschäftigt
als auf die Wortform eingeht, und mit dem ersten Thema eigentlich nur insoferne zusammen-
hängt, als es sich um textile Dinge handelt, bearbeitet Schuchhardt im Anschluß an eine
Worterklärung in >Petrus de Crescentiis, opus ruralium commodorum« die Bedeutung
eines >negossa« genannten Fischnetzes, einer Hamenart.
Den Schluß bildet, im Hinblick auf den aktuellen italienisch-deutschen Universitäts-
streit in Österreich der vom Verfasser als Vertreter des Deutschtums an den italienischen
Kollegen und Freund ausgesprochene, mit einem Hinweis auf Goethe belegten Wunsche,
die an der Sprachgrenze errichteten Standbilder Walters von der Vogelweide und
Dantes möchten nicht als Sinnbilder der Drohung, sondern als solche freundschaftlichen
Grußes für die gegenseitigen geistigen Beziehungen der beiden Völker aufgefaßt werden.
H. Stegmann.
U E. Sabatd, Nürnbcrt.
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DIE THEOPHILUS- GLOCKEN.
GLOGKENSTUDIE VON P. LIEBESKIND, OBERPFARRER IN MÜNCHEN-BERNSDORF.
Die Glocke aus Graitschen bei Jena ^), seit dem Jahre 1888 im Germanischen
Nationalmuseum in Nürnberg befindlich, ist eine der ersten, an denen
die vom Presbyter Theophilus zu Anfang des 12. Jahrhunderts beschriebene
Methode des Glockengusses^) festgestellt wurde. Erst 14 Jahre zuvor war
durch die VeröflFentlichung von A. Ilg^) die für die Kenntnis und Bestimmung
der ältesten Glocken bedeutsame Anweisung des Theophilus über den Glocken-
guß bekannt geworden, und es dauerte wiederum ca. 14 Jahre bis aus den
verschiedenartigen, zerstreuten Funden und den entgegengesetzten Meinungen
bei der mangelhaften Ilg 'sehen Übersetzung ein sicheres, geklärtes Urteil
sich bilden ließ. Dies wurde erst möglich, nachdem zu den wenigen bereits
bekannten noch eine Anzahl neue Stücke aufgefunden waren und diese an
der Hand der Angaben des Theophilus einheitlich geprüft und untersucht
werden konnten*). Dabei sind allerdings verblüffende Ergebnisse gewonnen
worden, die hier am Beispiel der Graitschener Glocke dargeboten werden
sollen.
I.
Das Formen der Glocke beschreibt Theophilus ungefähr folgendermaßen :
Der Lehmkern wird auf einer Formbank (Fig. 1) in der Weise herge-
stellt, daß ein im Durchschnitt viereckiges, nach einer Seite zu dicker, nach
der anderen spitz zulaufendes Stück Eichenholz, das zwischen zwei Brettern
mittels eines Bankbohrers gedreht werden kann, schichtenweise, immer zwei
Finger dick, mit fein gemahlenem Thon (Lehm) umgeben wird, bis die
gewünschte Form erreicht ist. Auf diesen Kern wird das eigentliche Modell
der Glocke (die Dicke, la fausse cloche) aus Fett wiederum schichtenweise
1) Zum ersten Male beschrieben von Otte, Nachgelassenes Bruchstück zur Glocken-
kunde: Zur Erinnerung an D. Heinr. Otte, Halle 1891, nach den Angaben des Direktors
V. Essenwein.
2) Schedula diversarum artium, Hb. III. cap. 84.
3) Quellenschriften zur Kunstgeschichte VII. Wien 1874.
4) Vgl. im Jahresbericht des thüringisch-sächsischen Gcschichtsvercins in Halle
vom Jahre 1905 meinen Aufsatz: Der Glockenguß nach Theophilus.
Mitteiloiigen aus dem gennan. Nationalmuseam. 1906. 20
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154 hiE THEÜFHILUS-GLOCKEN U LOCKEN ST UülE VüN P. LlÜBESKlKU,
aufgetragen. Der Bord (Schlag) wird gleichzeitig in beliebiger Stärke, d. h.
dicker als die Wandung der Flanke (latera, irrtümlich auch Mantel genannt),
gearbeitet. Die Oberfläche der Fettschicht wird mit scharfen Eisen unter
beständigem Herumdrehen der Form geglättet, etwaige besondere Zierraten,
als Blumen (Ornamente) oder Buchstaben werden in dies hart gewordene Fett
eingeschnitten, desgleichen »iuxta Collum« die bekannten »vier Schallöcher«
(foramina). Hierüber kommt, aus fein gesiebtem und wohlgemengtem Thon
in mehreren Schichten aufgetragen, der Formmantel. Das soweit fertige Werk
wird nun von der Formbank herabgehoben, das Formholz herausgezogen und
auf die aufrecht gestellte Form die Haube, bestehend aus coUum und aures,
d. i. der Hals als Verbindungsglied zwischen dem Glockenkörper '^) und der
Bekrönung durch die sechs Henkel, einschließlich des Mittelzapfens, aufgesetzt.
Diese von dem Lehmmantel umhüllte und mit eisernen Reifen ringsum
befestigte Form wird nun erst in die Dammgrube eingesenkt und ausgebrannt,
damit das Fett der Dicke schmilzt und aus zwei in die Form gebrochenen
Fig. 1.
Löchern herausläuft. So ist, ohne daß der Formmantel abgehoben zu werden
braucht , der für den Guß nötige Hohlraum gewonnen , und der Guß kann
beginnen. Die mit der Glockenspeise ausgefüllte Form wird nach vorläufigem
Erkalten aus der Grube herausgehoben und nach dem völligen Erkalten zer-
schlagen. Der fertige Guß aber kommt wieder auf die Formbank, um mit
einem Sandstein geglättet zu werden. Diese Glättung ist aber in den meisten
Fällen nicht so tiefgehend gewesen, daß dadurch auch die durch Abbröckeln
aus dem Formmantel entstandenen Gußfehler beseitigt worden wären; zu-
weilen ist sie ganz unterblieben, und die Oberfläche der Glocke ist dann
rauh.
Weitere Angaben des Theophilus über die Behandlung der fertigen
Glocke, über das Aufhängen u. A. kommen hier weniger in Betracht.
5) Schönermark, Altersbestimmung der Glocken, Berlin 1889, erklärt colIum als
den Mittelzapfen; aber der »Hals« kann doch unmöglich als mitten in der »Krone« steckend
gedacht werden; außerdem bildet der Mittelzapfen das größte von den zum Aufhängen
der Glocke bestimmten Öhren (aures) und ist notwendigerweise in dem Begriff »aures«
mit enthalten.
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OBERPFARRER IN MÜNCHEN-BERN SDORK. 155
II.
Von den im Vorigen beschriebenen Kennzeichen besitzt die Graitschener
Glocke (Fig. 2) die wichtigsten. Zwar weist sie keine Inschrift*), auch keine
Ornamente auf, dafür sind aber die Zierlinien, durch welche über dem Schlag
(am »Wolm«) und am »Hals« unterhalb der Krone je zwei schwache Rund-
stäbe gebildet werden, wie ersichtlich, vertieft, in das Fett eingegraben. Vor
allem aber weist sie vollkommen durchbohrte foramina auf, freilich nur zwei,
während Theophilus deren vier vorschreibt (quattuor foramina triangula). Sonst
sind noch bemerkenswert die vertikal an der Flanke herablaufenden Marken,
welche als Folge von Rissen zu erklären sind, die beim Trocknen und Aus-
brennen des Mantels entstanden und ebenso wenig wie die aus Abbröckelungen
des Mantellehms verursachten Gußfehler an der Flanke, am Schlag und am
Fig. 2.
Wolm vermieden werden konnten, weil sich vor dem Gusse der Mantel nicht
abheben und an den fehlerhaften Stellen ausbessern ließ. Die fertige Glocke
ist mit Sandstein geglättet das ist ersichtlich an der polierten Oberfläche,
besonders an dem oberen Teil der Flanke; der Sandstein konnte aber die
eben erwähnten Gußfehler nicht hinwegnehmen, dazu hätte es schärferer
Mittel im Wege des Abdrehens bedurft. Die an der Flanke und am Schlag
ersichtlichen feinen, horizontal laufenden Marken rühren nicht vom Glätten
des Gusses her, sondern sind die Eindrücke des scharfen Eisens, mit welchem
der Fettkern geglättet wurde (s. o.).
6) Der verstorbene Professor Dr. Klop fleisch kannte in seinem Gutachten über
die Veräußerung der Glocke die theophilischen Merkmale offenbar noch nicht; er läßt
sie unerwähnt, bestimmt das Alter lediglich nach der Form und setzt ihren Wert wegen
Mangels an Inschrift und Verzierung herab.
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156 DIE THEOPHILUS-GLOCKEN. GLOOKKNSTÜDIE VON P. LIEBESKIND.
Eine sprechende Darstellung der Bereitung der Glockenform auf der
Formbank zeigt sich in der durch die vertieften Linien unten am Wolm und
oben unterhalb der Haube bewirkten Gliederung des ganzen Gefäßes. Der
von jenen Zierlinien, begrenzte Glockenkörper ist in der Hauptsache das auf
der Formbank (s. o.) hergestellte Stück. Es wurde nach der schwächer
werdenden Seite des Formholzes hin gleichmäßig abgerundet, um dann mit
der für sich hergestellten Haube mit Krone') bedeckt zu werden. Nach der
entgegengesetzten Seite hin wurde, noch auf der Formbank, der Schlagring
darangesetzt nach der Anweisung ebend. : Oram vero campanae ad libitum
tuum spissam facies.
Aus dieser Gliederung, die in der Beschreibung des Theophilus so gut
wie an der vorhandenen Glocke festzustellen ist, ergibt sich aber femer auch
zur Evidenz, was unter »Collum« zu verstehen ist, wenn die foramina sich
»iuxta Collum« befinden sollen: nämlich die Grenze zwischen dem auf der
Formbank gebildeten Körper und der daraufgesetzten Haube; nicht der Teil
der Glocke, den wir heutzutage als Hals bezeichnen, und an dem sich auch
auf den Theophilus-Glocken zumeist die Halsinschrift befindet, sondern die
durch die oberen Zierlinien abgegrenzte Einziehung des Glockenkörpers, auf
welche der eigentliche »Kopf« zuletzt aufgesetzt wird. Daß dies an sich und
mit mehr Recht als der Mittelzapfen (s. o.) als Hals bezeichnet werden kann,
ist wohl einleuchtend.
Die charakteristische Form®) (Rippe) dieser Glocke und der meisten
übrigen bisher bekannten ist bedingt durch den wenig ausladenden Schlagring
unten, der sich nicht zu einer Schärfe verjüngt, sondern stumpf abgerundet
ist und in der Stärke wagrecht abschließt. Zuweilen ist er sogar konkav
ausgebogen. Sie ist ferner und vor allem bedingt durch die nur wenig ge-
schweifte, beinahe kegelförmig, in einigen Fällen (LuUusglocke in Hersfeld,
die zwei Augsburger Domglocken, die Glocke im Museum zu Basel und die
zu Bamstedt, Kr. Querfurt, Prov. Sachsen), sogar ziemlich zylindrisch auf-
steigende Flanke, die sich oben allmählich zur Haube abrundet. Diese schön
proportionierte Form, die dem Forscher sofort in die Augen springt, konnte
ich bis jetzt an 32 Glocken nachweisen , unter denen sich sogar eine mit
erhabener, aber aus gedrehten Wachs- (Talg-) Fäden hergestellten Inschrift
befindet in Rödelwitz (S.-Meiningen).
Erwähnenswert ist schließlich an der Graitschener Glocke noch die
Krone. Sie besteht aus einem starken Mittelzapfen von der diesen Glocken
eigentümlichen ovalen Form, der, wie die Abbildung zum Teil erkennen läßt,
an der nach außen gerichteten Fläche eine auch an anderen derartigen Glocken
7) Theoph. pag. 321 unten: Post haec forma Collum atque aures etc.
8) Die nicht für alle Theophilus-Glocken, auch nicht in einerlei Sinn zutreffende
Bezeichnung »bienenkorbförmig« rührt aus der frühesten Zeit der modernen Glocken-
forschung, als man den Ursprung und die Eigentümlichkeiten dieser Glocken noch nicht
kannte; vgl. Wiggert, Historische Wanderungen durch die Kirchen des Reg.-Bez. Merse-
burg, in den Neuen Mitteilungen des thüring.-sächsischen Altertumsvereins, Bd. VI.
Heft 2, 1842.
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OBERPPARRER IN MÜNOBEN-BERNSDORF. 157
(Theißen, Aschara) beobachtete Rinne oder Riefe aufweist. Die Henkel, blos
zwei an der Zahl, fallen, wie bei allen diesen Glocken schlaff herab. Beim
Auftreflfen auf die Haube ist das Metall, wahrscheinlich infolge eines Defektes
an der Ummantelung , ausgelaufen, und die Henkel scheinen dadurch hier
stärker als sonst*). Die Krone besteht blos aus der Grundform, welche bei
der Herstellung verwendet wird *^), dem Mittelzapfen und zwei seitlichen
Henkeln. Es ist nirgends eine Spur davon zu erkennen, daß jemals doch die
vier übrigen Henkel angebracht gewesen wären * *). In Ermangelung der vollen
Zahl der Henkel konnte die Glocke nicht fest genug am Wolf aufgehängt
werden; das Metall wurde an den Reibungsflächen abgescheuert, und die Be-
festigung lockerte sich mit der Zeit immer mehr. Das mußte schließlich dazu
führen, daß die Glocke zersprang, nachdem sie ca. 900 Jahre lang treue
Dienste geleistet und zum Schluß arg malträtiert worden war. —
III,
Eines der wesentlichen Merkmale der Theophilus-Glocken sind die fora-
mina, über deren Herstellung in der schedula pag. 321 gesagt wird: quatuor
foramina triangula iuxta coUum, ut melius tinniat, formabis. Über die Be-
stimmung: iuxta Collum ist oben das Nötige angegeben worden. Was zu-
nächst die Zahl der sog. Schall-Löcher anbetriflFt, so schwankt sie zwischen
zwei und vier. Die volle Zahl findet sich bloß auf der Lullusglocke in Hers-
feld und den beiden Chorglocken in Augsburg; drei gleichmäßig auf der
Haube verteilte Löcher hat die Glocke in Basel; die übrigen weisen nur zwei
auf, die, wie an der Graitschener Glocke zu sehen ist, je an einer Breitseite
des Mittelzapfens auf der Haube angebracht sind. Auch ihre Form wechselt.
Auf der Lullusglocke sind sie rund-trichterförmig^^), mit unebener Wandung,
die, auch anderweitig, besonders an den Schriftzeichen zu beobachten, in der
Schwierigkeit, die Vertiefungen in den spröden Fett- (Talg-) Kern hineinzu-
arbeiten, ihre natürliche Erklärung findet. Es fiel niemandem ein, die Ver-
9) Bei Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, Bd. 1, S. 63 und hiernach
bei 0 1 1 e , Nachgelassenes Bruchstück zur Glockenkunde S. 28, Fig. 5 ist die Darstellung
der ganzen Glocke, besonders aber der Krone ungenau. Der Mittelzapfen ist beinah in
moderner Form mit einem Fuß unter dem breit-ovalen Ring, und die Henkel sind S-förmig
dargestellt.
10) Vgl. Otte, Glockenkunde S. 111, Fig 16.
11) Ähnlich gestaltet ist die Krone der Baseler Glocke, die aber dem Anschein
nach samt der Haube durch spätere Erneuerung hergestellt ist, wie bei der Glocke in
Rödelwitz.
12) Noch Schönermark, in der deutschen Bauzeitung 1889, Nr. 66 nimmt an,
daß diese trichterförmigen Löcher zu einer späteren Zeit eingemeißelt wären. Diese
Auffassung muß als ein letzter Rest aus dem Kindheitsalter der Glockenkunde nunmehr
aufgegeben werden. Vor dem Bekanntwerden des Theophilus konnte man sich auch die
vertiefte Schrift nicht anders, als durch Einmeißeln entstanden, erklären. In Aschara
(S.-Gotha) erklären sich die Bewohner die ihnen wohlbekannten foramina ihrer alten,
wertgeschätzten Glocke damit, daß einmal die Glocke, die natürlich silberhaltig sein muß,
zur Bestimmung ihres Silbergehaltes angebohrt worden sei.
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158 DIB THEOPHILUS-GLOCKEN. 6L0GK£NSTUD1E VON P. LIEBESKIND,
tiefungen nachträglich zu ziselieren*'), sondern die rauhen Wandungen blieben
stehen und sind uns heute eine wertvolle Bestätigung für den Glockenguß
nach der Anweisung des Theophilus. Die dreieckigen foramina sind unter
einander insofern verschieden, als einige (Basel, Canino) in ziemlich dreieckiger
Form durch die ganze Wandung hindurchgehen (Fig. 3 a); bei anderen ver-
engen sich die Innenflächen allmählich, schießschartenähnlich, sodaß drei drei-
eckige Böschungsflächen entstehen, und am Grunde befindet sich ein 6 — 7 mm
im Durchmesser haltendes, rundes Loch (Graitschen, Aschara) (Fig. 3b). Noch
häufiger aber fehlt das die Haube durchbrechende Loch, und es bleibt von
dem foramen nur eine Vertiefung in Form einer umgekehrten, flachen, drei-
seitigen Pyramide übrig. Diese Form der »Schall-Löcher« habe ich als mar-
kierte foramina (Fig. 3 c) bezeichnet. An der geschilderten Reihenfolge der
verschiedenen Formen ist deutlich wahrzunehmen, wie es nach und nach mit
dem Schall-Loch immer weniger wird, bis es zuletzt ganz verschwindet. Hierin
ist eine, gewiß nicht zu unterschätzende Handhabe für die verhältnismäßige
Altersbestimmung solcher Glocken zu erkennen.
Bis in die jüngste Zeit wollte man die bloß markierten foramina über-
haupt nicht als die echten des Theophilus gelten lassen**). Durch die Auf-
findung der beiden letzten Theophilus-Glocken in Theißen (Kr. Weißenfels)
Fi^. 8.
am 19. August 1904 und in Aschara (S.-Gotha) am 30. September 1905 bin
ich in den Stand gesetzt, diesen für die Beurteilung der foramina tief ein-
schneidenden Streitpunkt zur Entscheidung zu bringen. Beide Glocken rühren
nämlich ohne Zweifel von ein und demselben Gießer her, der sich in der
vertieft eingegossenen Inschrift am oberen Teil der Flanke, auf beiden Glocken
gleichlautend, nennt: WOLFGER VS ME FECIT. Beide Glocken haben vor
allen übrigen noch die Eigentümlichkeit gemeinsam, daß sie oberhalb des
Schriftbandes einen Kranz von Verzierungen in Form von einfachen Orna-
menten aufweisen. Gemeinsam bei beiden ist ferner der schon oben zur
Graitschener Glocke erwähnte tiefe Rief am äußeren Rande des Mittelzapfens.
Daneben machen sich aber auch zum Teil nicht unwesentliche Verschieden-
heiten bemerkbar, am auffälligsten die Gestaltung der Rippe; die Theißener
Glocke gleicht ganz der Graitschener in der gefälligen, kegelförmigen Ver-
jüngung der Flanke; die Glocke in Aschara dagegen zeigt den Typus der
13) Eine Ziselierung der Schriftzeichen nimmt Otte, Nachgelassenes Bruchstück
S. 29 f. fQr die Glocke in Merseburg an. Tatsächlich ist aber keine Spur davon zu sehen ;
im Gegenteil sind, besonders an den runden und schräggehenden Strichen deutlich die
Spuren des Grabstichels zu erkennen. An der angeführten Stelle neigt selbst Otte noch
der veralteten Auffassung des Einmeißeins der Vertiefungen zu.
14) Vgl. hierzu das Urteil bei Otte, Nachgelassenes Bruchstück S. 29 über die
Behauptung Schönermarks zur Dicsdorfer Glocke.
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OBERPFAHKEK IN MÜNCHKN-BEKNSÜüKF. 159
Lullusglocke mit beinahe zylindrischer Gestaltung der Flanke ^^), Am merk'
würdigsten aber ist der Unterschied, daß an der Glocke in Aschara die fora-
mina durch die Wandung hindurchgehen in Form von 6 mm im Durchmesser
haltenden, runden Löchern, während sie an der Theißener Glocke bloß markiert
sind. Es hat also ein und derselbe Meister nach derselben Methode und
sicherlich jedesmal mit derselben Absicht einmal durchbohrte und das andere
Mal markierte foramina auf den Glocken angebracht. Wie das gekommen
ist, läßt sich ebenfalls durch Vergleichung erkennen : an der Theißener Glocke
«• r • t» to 9« f« i«M,^
t""»'m| 1 I 1 » I
Fig. 4.
sind die foramina bei 5 cm Basis- und 4 cm Schenkellänge zu flach gearbeitet,
sodaß die Talgschicht nicht bis auf den Lehmkern durchbohrt wurde, — an
eine nachträgliche Durchbohrung dachte eben niemand — in Aschara dagegen
messen die Dreiecksseiten 6 cm, die inneren Kanten von den Ecken des
Dreiecks bis zum Mittelpunkt 4 cm, und das Loch ist glatt herausgearbeitet,
ohne daß auch nur die Spur einer nachträglichen Durchbohrung durch eine
stehen gebliebene stärkere Wand zu sehen wäre. Hierdurch ist wohl genug-
Fig. 5.
sam der Beweis erbracht, daß die markierten foramina mit den durchgehen-
den auf einer Linie stehen.
Es bleibt nun nur noch die bis jetzt nicht minder umstrittene, dunkle
Frage zu behandeln: welchen Zweck die foramina haben. Weil man mit
den markierten foramina nichts anzufangen wußte, verleugnete man sie ein-
fach und bestritt ihre Beziehung zu den Angaben des Theophilus^^). Gleich-
15) Lehfeldt, B. u. K. D. Thüringens, Heft 10, hatte vollends keine Ahnung von
den Theophilus-Glocken und beschreibt die vorliegende ohne jede Sachkenntnis: breite
Form des 13. Jahrhunderts! —
16) Otte, a. a. O. S. 29; auch Wernicke in privater Mitteilung
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160
DIE THEOPHILCS-OLOCKEN. QLOCKENSTUDIE VON P. LIEBESKIND.
zeitig aber wurde die Erklärung des Theophilus ungenau aufgefaßt und schief
wiedergegeben. Dieser bezeichnet als Zweck der foramina: ut melius tinniat.
Tinnire ist aber nicht gleichbedeutend mit sonare, das Theophilus an anderen
Stellen mehrfach in Bezug auf den Ton, Klang, der Glocken anwendet. Des-
halb darf man nicht, wie es bisher*ausnahmslos geschehen ist, an eine »Ver-
besserung des Klanges« durch die foramina denken. Tinnire = tintinnare,
klingeln, schellen, wovon tintinnabulum, die Schelle, abgeleitet ist, weist viel-
mehr im geraden Gegensatz zu dem am Schlag der Glocke erzeugten Haupt-
ton (sonus, sonare) auf den schellenden, pfeifenden Nebenton, den ein ge-
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OBERPFARRER IN MÜNCHEN-BERNSDORF. 161
übtes Ohr bei jedem Läuten wahrnimmt. Dieser Nebenton kommt aber am
deutlichsten am oberen Teil der Flanke zur Geltung (»iuxta Collum !c), gerade
in der Gegend, in der die foramina angebracht sind. Man bezweckte damit
zur Zeit des Theophilus offenbar, daß der zur Abrundung und Füllung des
Haupttones maßgebende Nebenton schriller durch die foramina entweichen
und deutlicher zur Geltung kommen sollte. Ziemlich dasselbe erreichte man
aber auch bewußt oder unbewußt mit den unfertigen, markierten foramina
insofern, als durch die keineswegs unbedeutende Verringerung der Wandung
an der Haube durch das Ausgraben der foramina der Nebenton merklich be-
einflußt werden mußte. Dieser Grundsatz der zunehmenden Verringerung
der Wandung nach der Haube zu ward schon im 13. Jahrhundert im Zu-
hTT
rlÜiü
MI
Fig. 8.
sammenhang mit der ausgeprägten Schweifung der Rippe entschieden durch-
geführt und führte zur Anwendung der sog. gotischen Rippe. Man darf also
die foramina, ob durchbohrt oder nur noch markiert, als den frühsten Ver-
such ansehen, den Nebenton schärfer hervorzuheben, ut melius tinniat.
IV.
Es erübrigt noch, der Vollständigkeit halber einen kurzen Überblick zu
geben über die bis jetzt bekannt gewordenen Theophilus-Glocken und ver-
wandte Arten, die den Übergang zu den gotischen Glocken bilden.
1) Diesdorf (Fig. 4.). Sie stammt aus dem Kloster Walbeck, kam
1813 nach Diesdorf und 1888 in das Provinzialmuseum nach Halle. Das
Jahr ihrer Auffindung war 1834; die erste Beschreibung gab Wiggert, Neue
Mitteilungen des thüring.-sächs. Altertumsvereins Bd. VI, Heft 2. 1842. S. 14fif.
Die dort gegebene Abbildung ist völlig unzureichend und irreführend, hat
sich aber trotzdem bis Otte, Glockenkunde, 2. Aufl. 1884, fort erhalten. In
ihrem Äußeren und im Profil gleicht sie ganz und gar der Graitschener Glocke.
An der Haube befinden sich zwei markierte foramina, am Hals zwischen den
Mitteilungen aus dem german. NationalrnuKeuni. 190.5. 21
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162 DIE TflEOPHlLUii-GLOCKEN. GLüGKENbTÜDIK VON P. LIEBKSKIND.
beiden unteren Paaren von sechs vertieften Zierlinien die vertieft eingegossene
Inschrift: (Fig. 5) IN HONORE SCE TRINITATIS AMENEN^^). Die Ent-
stehungszeit ist bald nach dem Jahre 1011, als die durch Feuer zerstörten
Glocken des Klosters Walbeck erneuert wurden. Durchm. 51,8 cm, Achsen-
höhe 48 cm.
2) Die LuUusglocke in Hersfeld i«). (Fig. 6.) Sie hat vier trichter-
förmige foramina am Hals, auf der Haube eine bis jetzt noch nicht entzifferte
Inschrift, deren Buchstaben 3 cm hoch sind. Nach den beiden allein lesbaren
Worten MEGINHARP FVDIT würde sie aus der Zeit von 1036-1059
stammen. Durchm. 112 cm, Höhe 199 cm.
Fig. 9.
3) Graitschen. Beschreibung s. o. Zwei durchbohrte foramina, inschrift-
los. Durchm. 40 cm, Höhe 42 cm.
4 u. 5) Chorglocken im Dom zu Augsburg (Fig. 7.) Ohne Inschrift,
Flanke zylindrisch; je vier durchbohrte, dreieckige foramina, die noch von
einer parallel zu den Seiten laufenden, vertieften Linie umgrenzt sind. Durch-
messer bei beiden: 91,4 cm^^).
6) Canino, jetzt im Lateranmuseum zu Rom (Fig. 8). Wurde bei Canino
aus der Erde ausgegraben, von de Rossi 1889 beschrieben. Zwei gleich weit.
17) Zur Erklärung des letzten Wortes vgl. Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz
Sachsen, Kr. Gardelegen, 1897, unter Wal heck; die früheren Erklärungsversuche finden
siph bei Otte, Nachgel. Bruchst., Anm. 39.
18) Vgl. Otte, Deutsche Bauzeitung, Jahrg. 23. 1889. Nr. 40 und Schönermark,
chcnd. Nr. 66. mit genauer Abbildung der Glocke.
19) Die genaueren Angaben verdanke ich dem Herrn Prof. Dr. S c h r ü d e r in Dillingen.
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OBKRPFARKEH IN MÜNCH£NBEKNSDOKK. ^63
ohne schießschartenähnliche Abschrägung der Wandung, im Querschnitt drei-
eckig, durch die Wandung hindurchgehende foramina*^), über denen in ganz
schwachen, vertieften Linien eine Ornamentierung angebracht ist, ähnlich den
einfachen Linien in Augsburg (s. o.) Außerdem ist unter jedem Schall-Loch
ein aus ganz schwach erhabenen Linien bestehendes Volutenkreuz angebracht,
der erste Anfang von erhabenen Verzierungen, die, wie in mehreren Fällen
die erhabenen Zierreifen am Wolm, sich an dem Talgkern des Theophilus
jM^
Fig. 10.
herstellen ließen. Außerdem befindet sich am Schlag in vertieften Buchstaben
eine Inschrift, deren Fragmente de Rossi so liest, bezw. ergänzt: (In honore)
DNI N(ri Jesu) CRISTI ET SCI (Michael)IS ARHANGELI (offert ?) VIVENTIV(s).
Durchm. 39 cm, Höhe 37 cm.
7) Elsdorf, jetzt im Provinzial- Museum zu Halle befindlich. Zwei
markierte foramina. Zwischen 3 Paar vertieften Linien am Hals läiiTt eine
mMst^mmmi
Figr. 11.
zweizeilige Inschrift (Fig. 9) des Inhalts: (in der unteren Zeile beginnend)
+ GODVINVS . DEO • CONQVERITVR • ET (obere Zeile) SANCTIS • QVIA
• RECEPIT . A VOBIS. — Schubart ''^^) setzt die Glocke wohl richtig in
die Mitte des IL Jahrh. an. Durchm. 50 cm, Höhe 49 cm.
20) Auf Grund eingehender Besichtigung mitgeteilt von Herrn Uldall in Randers
(Dänemark). i
21) Die Glocken im Herzogtum Anhalt, Dessau 18%. S. 214 flf., dort finden sich auch
die weit ausholenden Untersuchungen über den Godvinus, die aber zu keinem Ergebnis
führen.
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164
DIE THEOPHILUS^LOCKEN. OLOCKENSTUDIE VON P. LIBBESKIND,
8) Rosslau. Die einzige im Herzogtum Anhalt noch vorhandene Theo-
philus-Glocke**), mit zwei markierten foramina, ohne Inschrift. Schubart
glaubte auf der Haube an zwei Stellen aus vermeintlichen feinen, erhabenen
Schriftzeichen eine Jahrzahl wie DCCCCL . . herauslesen zu können. Aber
Form und Zeit sind gleich unwahrscheinlich. Durchm. 38 cm, Höhe 35 cm.
Fig. 12.
9) Glentorf im Herzogtum Braunschweig *^^). (Fig. 10.) Zwei markierte
foramina. Am Wolm zwei erhabene Stäbe als Verzierung und Andeutung
der Gliederung. Am Hals zwischen zwei Paar vertieften Linien die vertiefte
Inschrift: (Fig. 11.) + GODEWIN + ANDREAS MILES (vgl. zu ElsdorO-
Durchm. 48,6 cm, Höhe 48 cm.
Fig. 18.
10) Basel, im historischen Museum daselbst (Fig. 12). Ihre Beschrei-
bung s. o. Sie hat drei durchgehende foramina. Die Flanke steigt fast ohne
Verjüngung empor. Durchm. 40 cm, Höhe 38,5 cm.
22) Schubart, a. a. O. S. 20.
23) Beschrieben und abgebildet von H. Pfeifer, Kirchen j^locken im Herzogtum
Braunschweig, in der Denkmalpflege, III. Jahrg., 1901. Nr. 15.
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OBERPFARRER IN MÜNCHENBERNSDORK. ^65
11 u. 12) Cöln, im erzbischöflichen Museum unter Nr. 139 und Nr. 212.
Sie sind vorübergehend von H. Bergner besichtigt worden, der die zwei (?)
foramina von Nr. 139 als deutlich später eingemeißelt, aber doch wohl von
Fig. 14.
dreieckigem Profil bezeichnet. Prof. Dr. Schnütgen beschreibt sie mir an
beiden Glocken als IV2 — 2 cm im Durchmesser haltende, eingemeißelte, nicht
dreieckige Löcher. Eine Photographie der Glocken war beim besten Willen
Fig. 15.
nicht zu erhalten. Nur die Maße wurden mir freundlichst mitgeteilt, Nr. 139:
76,5 cm Durchm., 62 cm Höhe, und Nr. 212: 52 cm Durchm., 50 cm Höhe.
13) Merseburg, im alten Bibliothekzimmer des Kapitelhauses im Dom.
Profil genau wie bei der Graitschener Glocke; zwei markierte foramina.
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166
DIE THEüPHILUS-nLOCKKN. GLOCKENSTUDIE VON P. LIEBESKIND,
Zwischen zwei Paar vertieften Linien, über denen sich noch ein drittes Paar
befindet (vgl. zu Theissen und Aschara) steht die vertiefte Inschrift (Fig. 13) :
+ IN NOMINE DOMINI AMEN. Durchm. 47 cm., Höhe 43 cm.
14) Barnstedt (Kr. Querfurt, Prov. Sachsen) (Fig. 14), von mir und
Dr. H. Bergner im Sommer 1903 gefunden. Die Glocke ist sehr lang, wie
eine Kuhschelle geformt, ohne Inschrift, mit zwei markierten foramina. Durchm.
42 cm, Höhe 46 cm.
15) Theissen (Kr. Weißenfels, Prov. Sachsen) (Fig. 15). Sie wurde
von mir am 19. August 1904 gefunden und bestimmt^*). Zwei markierte
S^ZS^
TIM
Fig. 16.
foramina. Am Hals sind vier Paar vertiefte Linien; zwischen dem dritten
und vierten Paar steht die Inschrift: (Fig. 16.) + WOLFGER VS ME FECIT
IN. Als Fortsetzung dieser Inschrift darf man nicht sowohl den Ort des
Gusses ergänzen, als vielmehr, entsprechend der Inschrift in Merseburg oder
Diesdorf: in honore oder in nomine etc. Zwischen dem zweiten und dritten
Fig. 17.
Paar Zierlinien ist ein einfaches Linienornament (Fig. 17) angebracht, wie es
bei den bisher bekannten Glocken dieses Alters noch nicht festgestellt war.
Durchm. 48 cm, Höhe 42 cm.
16) Aschara, (S.-Gotha) (Fig. 18). Die in den Bau- und Kunstdenk-
mälern Thüringens, Heft 10, angegebene, mit der der Theißener Glocke überein-
stimmende Inschrift ließ vermuten, daß mitten in Thüringen noch eine Theo-
philus-Glocke im Verborgenen ein bescheidenes Dasein fristete. Eine darauf-
hin mit mancherlei Hindernissen verbundene Entdeckungsreise ward am
30. Sept. 1905 mit dem schönsten Erfolge gelohnt. Auf dem Turme fand
24) Die Glocke war bereits von Sommer, Archäologische Wanderungen 1856 — 1866,
in den Neuen Mitteilungen des thüring.-sächs. Altertumsvereins, Bd. IX, S. 308 flf., später
in den Bau- und Kunstdenkmälern der Prov. Sachsen, Kreis Weißenfels, 1880, erwähnt,
ohne daß die foramina und die vertiefte Schrift nebst Verzierung beachtet wurde.
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OBEKPFARRER IN MÜNCHBN-BERNSDORF. 167
sich noch mitten im harten Dienst eine regelrechte Theophilus - Glocke mit
zwei großen, durchgehenden foramina, die an die 900 Jahre hindurch von
einem Geschlecht zum andern geschlagen worden war. Sie hat die zylindrische
Flanke der LuUusglocke. Zwischen zwei vertieften Linien am Hals steht ohne
ein besonderes Anfangszeichen*^) die Inschrift (Fig. 19): WOLFGER VS • ME •
FECIT ; darüber wieder zwischen zwei vertieften Linien ein Kranz von Orna-
menten (Fig. 20). Es kann kein Zweifel sein, daß diese und die vorher be-
schriebene Glocke in Theissen von ein und demselben Gießer stammen.
Durchm. 64 cm, Höhe 42 cm.
Fig. 18.
in dieselbe Gruppe sind noch einige Glocken zu stellen, die zwar den
Weg mancher wertvollen Glocke, in den Schmelzofen hinein, gegangen sind,
denen aber ein gütiges Geschick noch soviel Gedächtnis bewahrt hat, daß
sie mit Sicherheit den alten, überlebenden Zeugen beigeordnet werden können.
Gleichzeitig sollen sie zum Zeugnis dafür dienen, mit welcher Gleichgiltigkeit
zuweilen unersetzliche Kunstdenkmäler gedankenlos vernichtet werden.
f 17) Unterröblingen. Grössler, in der Zeitschrift des Harzvereins,
XL Jahrg. 1878, sah und beschrieb noch eine Theophilus-Glocke mit zwei
markierten foramina und der Halsinschrift (Fig. 21): + CE + CI + LI + A
(= CECILIA, das C in derselben eckigen Form, wie in Elsdorf, oben unter
25) Das Anfangskreuz steht merkwürdigerweise in dem Ornamentkranz gerade über
dem Wort Wolfgerus, womit indirekt dieses Wort wie in Theissen als erstes gekenn-
zeichnet ist. Lehfeld hat das natürlich nicht gesehen und ratet auf den falschen Anfang,
indem er liest: Me fecit Wolfgerus.
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168
DIE THEOPHILÜSGLOCKEN. GLOCKENSTÜDIE VON P. LIEBESKIND,
Nr. 7), die im Jahre 1890 durch Unachtsamkeit der örtlichen Behörden ein-
geschmolzen wurde. —
f 18) Schkauditz, Kr. Zeitz. Die Bau- u. K.-D. der Provinz Sachsen,
Kr. Zeitz, 1879, verzeichnen noch eine alte Glocke, die in römischer Kapital-
schrift die Inschrift trug: IN ER + ADELBERT VS. Trotz jeder näheren
Angabe kann mit Sicherheit angenommen werden, daß es sich hier um eine
Theophilus-Glocke handelte. Die Glocke sprang im Jahr 1888 und ward
ungesehen eingeschmolzen !
FijT. 19
f 19) Hein rode (S.-Weimar). Durch eine gelegentliche mündliche
Mitteilung erfuhr ich vor kurzem, daß im Jahre 1887 am Tag der Einführung
des neuen Pfarrers eine Glocke sprang und umgehend dem Glockengießer
überantwortet ward, die nach den dürftigen Angaben nichts anderes, als eine
Fig. 20.
inschriftlose Theophilus-Glocke, vielleicht eine Schwesterglocke der Graitschener,
war. Von ihr berichtet kein Konservator mehr; bloß der Glockengießer weiß,
was für ein gutes Geschäft er gemacht hat.
Die Reihe der sicher als Theophilus-Glocken bezeugten Gefäße ist hier-
mit aber keineswegs erschöpft. Es schließt sich hieran eine andere Gruppe
von solchen, die als wesentlichstes Merkmal vertiefte Schriftzeichen oder auch
nur Linien haben, denen aber, soweit nachweisbar, die foramina fehlen. Es
sind die folgenden, zumeist im Herzogtum Anhalt von Schubart aufge-
fundenen :
20) Ried er. Ohne Inschrift; am Hals vier Paar vertiefte Linien; die
Flanke zylindrisch. Durchm. 43 cm, Höhe 45 cm.
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OBERPFARRER IN MÜNGHEN-BERNSDORF.
169
21) Großkühnau. Am Hals zwischen dem ersten und zweiten unteren
der drei Paare vertiefter Linien die vertiefte Inschrift (Fig. 22) : + IN HONORE
BEATE MARIE VIRS- Durchm. 47.7 cm, Höhe 47 cm.
22) Großkühnau. Von derselben Form wie die vorhergenannte, aber
ohne Inschrift. Durchm. 69 cm, Höhe 68 cm.
23) Streetz. Von gleicher Form wie die vorige, ohne Inschrift. Durch-
messer 45 cm, Höhe 50 cm.
Fijr. i>l.
f 24) Waldau. Die vertiefte Inschrift einer eingeschmolzenen Glocke
lautete: + IN HONORE DT GENETRICIS § V.
25) Drohndorf. Zwischen zwei Paar vertieften Linien steht die gleich-
falls vertiefte merkwürdige Inschrift (Fig. 23): aus welcher Schubart in
kühner Deutung, aber ohne Zustimmung zu finden, herausgelesen hat: + A(nno)
^^MismMw^mK
Fig. ^.
MlIC (^ 1098):D(ie) P(ost) F(e) S(tum) A(rchangeli) S(anc) T(i) Ml(chaelis)
II C(alendis) O(ctobris) I(n) H(onore) V(irgini)s M(ariaeJ G(ene) T(ricis) D(ei).
Durchm. 60 cm, Höhe 64 cm.
26) C rüchern. Drei Paar feine vertiefte Linien am Halse bilden zwei
Bänder; im unteren glaubte Schubart schwach erhabene Buchstaben ent-
wipyj^r
Fig. 23.
Ziffern zu können, die er als: (in hon)ORE BEAT(e Mariae virginis) deutet.
Durchm. 45 cm, Höhe 48 cm.
27) Gernrode. Einige vertiefte Schriftzeichen deutet Schub art: . . . C.
XXV - (1)125. Durchm. 52 cm, Höhe 54 cm.
MitteiloDgeD au8 dem german. Natiouaimuäeum. l*Ji>r>. 2
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170
DIE THEOPHILUS-GLOCKEN. GLOCKENSTUDIE VON P. LIEBESKIND.
28) Gernrode. Der vorigen im Äußeren gleich; ohne Inschrift. Durch-
messer 42 cm, Höhe 43 cm.
29) Großbadegast. Am Hals zum Teil verschwommene, vertiefte
Linien ohne Inschrift dazwischen. Durchm. 93 cm, Höhe 93 cm.
Nr. 20 — 29 sind im Herzogtum Anhalt von Schubart nachgewiesen.
30) Smollerup b. Viborg (Dänemark) nach einer gütigen Mitteilung
von F. Uldall in Randers. Als einzige dieser Art in Dänemark hat sie am
Hals die vertiefte Inschrift: HOC AVS (umgestellt aus VAS) EX ERE BE-
NEDIC DVS ATQVE TVERE. Durchm. und Höhe unbekannt.
Fig. 2b.
Eine weitere Gruppe von Glocken ist hierher zu rechnen, die ohne
vertiefte Inschrift und ohne foramina auf der Flanke merkwürdige, ver-
tiefte Bandomamente haben. Diese letzteren können nicht anders als durch
Einprägen oder Einarbeiten in die weiche Fettschicht, wie sie Theophilus
beschreibt, entstanden sein. Denn es ist kaum denkbar, daß die sym-
metrischen Linien, besonders die horizontal und schräg laufenden, freihändig
in den abhebbaren ^•) Formmantel eingegraben worden sind. Dagegen
konnten sie auf der drehbaren Formbank mit Leichtigkeit mittels des zum
Glätten des Talges dienenden scharfen Eisens hergestellt werden. Wenn
Fig. 24.
trotzdem an zwei von diesen Glocken (Nr. 31 und 32) die mit Kreuzen ver-
zierten apokalyptischen Buchstaben in erhabenen Zügen aufgegossen sind, so
ist das noch keineswegs ein Anzeichen gegen die beschriebene Herstellungs-
methode. Man braucht sich nur daran zu erinnern, daß schon die oben unter
Nr. 6 beschriebene, echte foramina-GIocke aus Canino erhabene Zeichen in
Form von Volutenkreuzen trug, die trotz der vertieften Inschrift erhaben auf
den Talgkern gearbeitet worden sind. Dafür aber, daß Glocken, die sicher
26) Hiernach ist meine erste Erklärung in dem Aufsatz: Der Glockenguß nach
Theophilus, S. 34 zu korrigieren, vgl. aber das Nachwort am Schluß.
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OBERPFARRER IN MÜNCHEN-BERNSDORF. 1'^
nach des Theophilus Angaben auf der Formbank gebildet sind, erhabene
Schriftzeichen führen, bietet die weiter unten zu besprechende Glocke in
Rödelwitz einen schlagenden Beweis. Natürlich müssen diese Glocken in
eine spätere Zeit, in die Schlußperiode der Theophilus-Glocken gesetzt worden.
Glocken mit bandartigen Gitter-Ornamenten sind bis jetzt nachweisbar in
31) Köchstedt, Durchm. 83 cm.
32) Unterröblingen, Durchm. 101 cm, Höhe 92 cm.
Fig. 26.
Beide im Mansfelder Seekreis, Prov. Sachsen, sind von Größler zuerst
beschrieben^^). Der untere Teil der Flanke ist durch senkrechte und wage-
rechte Bänder in Schachbrettfelder geteilt (Fig. 24); darüber sind zweimal,
auf die vier Himmelsrichtungen verteilt, die apokalyptischen Buchstaben an-
gebracht.
Fig. 27.
33) Ellrich b. Nordhausen, bei Otte, Nachgel. Bruchstück S. 32 f. nach
den Bau- u. K.-D. der Prov. Sachsen, Bd. XIII, 1889 erwähnt. Ohne Inschrift
und Zeichen, nur mit schräg sich kreuzenden Bändern auf der Flanke be-
deckt (Fig. 25), die ein rautenförmiges Muster bilden. Durchm. 59 cm.
27) Größler, Zeitschr. des Harzvereins, XI. Jahrg. 1878; darnach Otte, Nachgel.
Bruchst. S. 32 f Die Abbildung ist an beiden Stellen mangelhaft.
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172 DIE THEOPHILÜS-GLOCKEN. GLOCKKNSTUDIB VON P. LIEBESKIND,
34) Hunzen (Braunschweig)*®). Das Muster ist durch Bänder, die aus
je drei Linien bestehen, in Form von sich schneidenden Kreisbögen gebildet
(Fig. 26), und durch zwei lotrechte Bänder in zwei Hälften geteilt. Durchm.
70 cm, Höhe 66 cm.
35) Weddersieben b. Quedlinburg^®). Ein Gipsmodell davon befindet
sich im Provinzialmuseum zu Halle. Die Flanke ist mit den verschieden-
artigsten Ornamenten bedeckt (Fig. 27), die aus zumeist 1,4 cm. breiten, ver-
tieften Bändern bestehen. Durchm. 48,8 cm, Höhe 47 cm.
36) Halberstadt, Liebfrauenkirche. Ohne Inschrift, mit »gitterförmiger
Verzierung um den unteren Rand und die Seitenwände« ^^). Durchm. 41 Zoll,
Gewicht ca. 15 Ztr.
Fig. 88.
f 37) Langenstein bei Halberstadt®*), mit netzförmigen, übereck ge-
zogenen Bändern von dem Profil (Fig. 28) : über den ganzen Mantel (Flanke).
Durchm. 54 cm. Sie wurde 1888 eingeschmolzen!
Fig. 29.
Den Abschluß bilden zwei Glocken, die zwar erhabene Schriftzeichen
haben, deren Rippe aber der der Theophilus-Glocken so täuschend ähnlich
ist, daß man diese Glocken nirgends anders als im Anschluß an die ältesten
Geräße eingliedern kann.
38) Rödelwitz (S.-Meinigen). Die Krone ist samt der oberen Platte
abgebrochen und durch eine aufgeschraubte neue Metallplatte ersetzt. Mit
der Graitschener Glocke stimmt sie nicht bloß im Profil völlig (Fig. 29) über-
28) H. Pfeifer, Kirchengloclcen im Herzogtum Braunschweig, in der Denkmal-
pflege, m. Jahrg. 1901, Nr. 15.
29) Nach Otte, Nachgel. Bruchstück S. 33 f.
30) Nach Nebe, Die Halberstädter Glocken, Zeitschr. des Harzvereins. IX. Jahrg-
1876, S. 286 ff. Auch Bau- und Kunst-Denkmäler der Provinz Sachsen, Heft 19 zu Köch-
stedt, S. 286, Anm. 1.
31) Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, Kr. Halberstadt, 1902.
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OBERPPARRER IN MÜNCHENBBRNSDORF. 173
ein, sondern weist auch dieselben Gußfehler auf, die durch Abbröckeln des
festen Formmantels oder durch Lockerung desselben am unteren Rand des
Schlages und an dem Zierreif am Hals entstanden sind. Hierdurch ist das
Metall genau wie an den Henkeln der Graitschener Glocke ausgelaufen. Die
Oberfläche des Gusses ist rauh, nicht abgeschliffen. Die Schrift (Fig. 30) ist
aus dünnen Wachs (Talg)-Fäden gebildet, die zum Teil strickartig zusammen-
gedreht sind'^. Diese Form der Buchstaben hatte eine Analogie in den oben
90Ahisi
Fig. 80.
ZU Canino (Nr. 6) erwähnten , gleichfalls erhabenen Volutenkreuzen. Sie
erklärt sich daraus, daß einerseits der Formmantel noch nicht zum Abheben
eingerichtet war, wie Theophilus auch angibt, daß aber anderseits ein Fort-
schritt stattgefunden hatte, indem man schon lange vor dem späteren Gebrauch
der in Wachsmodellen hergestellten Lettern und Ornamente freihändig ge-
formte, erhabene Zeichen auf dem Talgkeme anbrachte.
Fip. 31.
39) Iggensbach (Niederbayern). Diese ist als älteste datierte Glocke
aus dem Jahr 1144 schon längst bekannt^*). Eine einigermaßen zuverlässige
Skizze (Fig. 31) nebst kurzer Beschreibung, die ich Herrn Prof. Dr. Schrö-
der in Dillingen verdanke, stellt das genau bienenkorbförmige Profil mit zylin-
drischer Flanke fest. Über die Herstellung der Inschrift durch Einschreiben
32) Jos. Berthel^, Enqußtes campanaires, Montpellier 1903, zählt vier solcher mit
Wachsfaden-Buchstaben ausgestatteten Glocken, darunter die aus Fontenailles, jetzt im
Museum zu Bayeux vom Jahr 1202. Dort hat das A, mit dem Kreuz verziert, genau die-
selbe Form, wie hier in Rödelwitz.
33) Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie, 1883, I. S. 355, Fig. 142 und
S. 404, Fig. 212; darnach Glockenkunde, 1884, S. 88. Die auch noch von Bergner,
Handbuch der kirchlichen Kunstaltertümer, 1905. S. 312, Fig. 263 gegebene Abbildung
der Glocke ist vollständig unzureichend und ungenau. Sie stammt von Herrn J. Stemp-
linger in Iggensbach.
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174 DIE THEOPHILÜS-GLOCKEN. GLOCKENSTÜDIE VON P. LIEBESKIND,
in den abgehobenen Lehmmantel ^*) sind mir inzwischen berechtigte Zweifel
beigekommen. Zunächst ist auffällig, daß die Schrift gleich bei dem ältesten
bekannten Beispiel rechtsläufig erscheint, während doch noch bei vielen späteren
Glocken festzustellen ist, daß die Buchstaben wohl rechtsläufig in den Mantel
eingeschrieben wurden, aber im Guß linksläufig zum Vorschein kamen. Ferner
ist es merkwürdig, daß das Anfangskreuz wiederum volutenförmig gebildet
ist. Diese Anzeichen bestärken mich in der Annahme, daß es sich auch hier
möglicher Weise um eine Wachsfädeninschrift handelt, und daß die Iggens-
bacher Glocke ein Gegenstück der Rödelwitzer aus noch weiter vorgeschrittener
Zeit ist.
40) Unter diese letzte Nummer sind endlich eine ganze Anzahl von Glocken
zusammenzufassen, die in die Klasse der zuckerhutförmigen gehören. Bei
ihnen ist die Herstellung auf der Formbank mittels des Formholzes deutlich
am Profil erkennbar. Die Flanke verjüngt sich kegelförmig, das Profil ist
geradlinig, ohne Schweifung, und der Schlagring fällt ohne größere Ausladung
stumpf ab. Als besondere Kennzeichen, die auf die Methode des Theophilus
zurückweisen, sind an ihnen bemerkbar: die schlaff herabhängenden Henkel,
die runde Haube, die vom Glätten des Talgkerns herrührenden, horizontal
laufenden Formmarken auf der Flanke, die rauhe, nicht geglättete Oberfläche
und der am Bord wagrecht abschneidende Schlag. Ein klassisches Beispiel
befindet sich in Zeugfeld, Kreis Querfurt. Hier ist nämlich die ganze Flanke
wie mit Blatternarben besät, die durch Abbröckelung im Innern des Form-
mantels entstanden sind. Sie lassen sich nur so erklären, daß der Mantel
nicht abgehoben werden konnte , sondern fest war , wie Theophilus angibt.
Denn wenn er abgehoben worden wäre , hätten die abgebröckelten Stellen
ausgebessert und geglättet werden können.
Der Übergang von der ältesten Form, wie sie Theophilus beschreibt,
zur gotischen Rippe, vollzieht sich stufenweise. Einzelne Fortschritte, an
denen sich Abweichungen von der Methode des Theophilus nachweisen lassen,
sind oben gelegentlich erwähnt. Ihren Abschluß fand die Übergangszeit in
der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Von Anfang des lä. Jahrhunderts
sind keine Merkmale mehr nachweisbar^'^), die auf Angaben des Theophilus
zurückzuführen wären.
Nachwort. Zu Ziffer 32, Unterröblingen. Bei eingehender Reinigung
und Untersuchung der über und über mit Staub und Schmutz bedeckten
Glocke fand ich am 18. Nov. 1905, daß die ganze Oberfläche dieser Glocke,
34) In meinem Aufsatz: Der Glockenguß nach Theophilus, S. 40. Ebend. ist der
sinnentstellende Druckfehler in Z. 5 von unten: »dennoch« in »demnach« zu verbessern.
35) Als Kuriosum sei hier noch die Glocke in Branderode, Kreis Querfurt,
erwähnt, die geschweifte Zuckerhutform mit weit ausladendem Schlagring und eine Hals-
inschrift vertieft eingegossen mit dem Spruch Joh. 1, 1 : In principio erat verbum etc.
aufweist. Allen Anzeichen nach stammt sie aber erst aus der Wende des 14. und 15. Jahr-
hunderts.
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OBERPFARRER IN BIÜNCHEN-BBRN8D0RF. 175
Haube, Hals, Flanke und Schlag, mit Mustern bedeckt ist. Diese sind auf
der einen, nach Norden gerichteten Hälfte durch senkrechte und wagrechte
Streifen gebildet, und nur diese Seite hat Größler a. a. O. gesehen und
beschrieben. Auf der anderen Hälfte, nach Süden zu, wird das Muster durch
regellos verschlungene Bänder gebildet. Diese Bänder sind aber nicht in der
ganzen Breite in die Glockenform eingedrückt, sondern werden durch zwei
parallellaufende, ganz schwach vertiefte Linien gebildet. Die apokalyptischen
Buchstaben stehen in dieser Reihenfolge : A A Q Q. Ihrem Profil nach er-
wecken sie den Anschein, als wären sie durch Einschreiben in den abgehobenen
Mantel entstanden und zwar später als das Bandornament, das den Buch-
staben gleichsam als Grund dient. Diese Glocke (nebst der in Köchstedt)
bietet demnach das in dieser Form noch nicht nachgewiesene Beispiel einer
Übergangsform, bei welcher vertiefte Zeichen auf dem Talg- (oder Thon-?)
Modell zusammentreffen mit Zeichen, die in den abhebbaren Formmantel ein-
geschrieben sind.
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DAS VON BIBRA'SCHE ZIMMER IM GERMANISCHEN
MUSEUM.
VON DR, FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
(Mit einer Tafel und drei Text- Abbildungen.)
Unter den im oberen Geschoß des Südbaues des Germanischen Museums
aufgestellten Zimmern nimmt das aus dem ehemals Freiherrlich von
Bibra'schen Hause in Nürnberg (jetzt Bergstraße Nr. 7) stammende Wohn-
gemach, gewöhnlich das von Bibra'sche Zimmer genannt, an Intimität der
Raumwirkung, an Einheitlichkeit des Gesamteindrucks und an Sorgfalt der
Einzelgestaltung entschieden den ersten Platz ein. Dazu fällt es durch die
präzise Feinheit der Technik aus dem Rahmen des sonst in Nürnberg zu
jener Zeit Üblichen heraus^ wie auch die Hinaufführung der Vertäfelung der
Eingangsseite bis zur Decke als eine Seltenheit bezeichnet werden muß.
Die Aufstellung dieses Zimmers erfolgte zusammen mit derjenigen der
Tiroler Bauernstube, den Renaissancestuben aus Chur und Tirol in den Jahren
1887/88, und zwar, wie Essen wein ausdrücklich hervorhebt, ohne jede Ände-
rung in genau der gleichen Art, wie sie am ursprünglichen Platze gestanden.
Essenwein betrachtete diese Raumausstattungen als eine Abrundung der
Gruppe des häuslichen und geselligen Lebens. Sie sollten gewissermaßen
die aus dem Studium der Einzelheiten gewonnenen Vorstellungen verdichten,
sie, sollten in zusammenfassender Art das häusliche Leben im Ganzen vor
Augen führen. Dadurch, daß er sie verschiedenen Gegenden entnahm, er-
möglichte er die Bildung einer Vorstellung von der Entwicklung des Wohn-
wesens überhaupt. Essenwein erklärte in näherer Darlegung, daß es ihm
vollkommen fernläge, mit diesen Einrichtungen originelle, romantische, der
Wirklichkeit doch nie entsprechende Bilder zu komponieren. Er lehnte es
ab, den unberechtigten sentimentalen Anschauungen von der Vergangenheit
Konzessionen zu machen. Er wollte wahr sein und die Dinge geben, »genau
so, wie sie wirklich waren, und nicht so, wie der allermodernste sentimentale
Weltschmerzler, welcher mit der Gegenwart zerfallen ist und sich ein roman-
tisches Bild der alten Zeit ausmalt, sich dieselben vorstellt.« Er sah die
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DAS VON BIBRA'SCHE ZIMMER IM GERM. MÜSEÜM. VCN DR. FRITZ TR. SCHULZ. 177
Aufgabe einer wissenschaftlichen Anstalt, wie sie das Germanische Museum
ist, darin, nicht selbst Kombinationen zu schaflfen, sondern das wirklich Vor-
handene in seiner charakteristischen Art unverfälscht zu geben. Dies ist
auch der Grund, weshalb nach modernen Begriffen die Innen-Ausstattung des
von Bibra'schen Zimmers mit beweglichen Zierstücken eine etwas dürftige
und kahle ist. Auf dem Kranzgesimse der Vertäfelung stehen einige Gläser,
Krüge und Teller. Auch zwei Porträts sind über der westlichen Schmal-
wand angebracht. Das ist aber auch alles, was zur Ausschmückung der
Wände verwendet worden ist. Im Übrigen wirkt eben die Vertäfelung durch
sich selbst. Auch das Mobiliar ist ein spärliches. In der Mitte ein großer
Tisch, umgeben von Stühlen mit geschnitzten Lehnen, in der Nordostecke
ein grünglasierter Kachelofen mit einer in eisernen Stäben bestehenden Schutz-
vorrichtung, welche oben mit großen geschmiedeten Rosen verziert ist, vor
dem Ofen zwei Wärmebecken und in den Fensternischen ein Sessel und
einige weitere Stühle. So hat Essenwein sich die Ausstattung eines Alt-
Nürnberger Wohnraumes gedacht. So und nicht viel anders ist sie auch tat-
sächlich gewesen.
Das von Bibra'sche Zimmer ist kein Repräsentationsraum im eigentlichen
Sinne. Es stammt ja auch nicht aus dem 2. Stock des Hauses Bergstraße 7,
sondern aus dem dritten. Die Prunkgemächer liegen aber im allgemeinen
in Nürnberg im 2. Stock. Wir haben es uns also als ein Wohnzimmer zu
denken, allerdings als ein Wohnzimmer einer Familie, welche mit Wohlhaben-
heit einen ausgeprägten Kunstsinn verband; denn das Haus hat auch sonst
noch manches Interessante aus jener Zeit aufzuweisen. Wer war nun der Er-
bauer des Zimmers .?* Oberhalb der Eingangstüre bemerken wir in den Füllungen
zwischen den äußeren Säulen zwei sehr zierlich geschnitzte Wappen mit wohl-
komponiertem Laubwerk und mit Helmzierden (Taf. VII und Abb. 2). Nähere
Nachforschungen ergaben, daß das linke dasjenige der Familie Vogt und das
rechte dasjenige der Familie Geiger ist. Die Wappen sind nicht tinktiert.
Es sei darum der Vollständigkeit halber eine sich aus den Nürnberger Wappen-
büchern unserer Bibliothek ergebende genauere Beschreibung derselben an-
gefügt. Das Vogt'sche Wappen zeigt aut rotem Feld einen springenden
weißen Hirsch, dessen Brust schräglinks mit einem schwarzen Pfeil durch-
bohrt ist. Geweih und Hufen sind golden gefärbt. Die Helmzier entspricht
dem Wappenbilde. Das Geiger'sche Wappen besteht in einer goldenen, über
Eck gestellten Baßgeige auf blauem Grunde. Als Helmzier dient die Halb-
figur eines bärtigen Mannes mit blauem Gewand, goldenem Kragen und blauer,
golden umrandeter Zipfelmütze. Da nun der Stil des Zimmers in Rücksicht
der speziell in Nürnberg üblichen Formen auf die 2. Hälfte des 16. Jahrhun-
derts als Entstehungszeit verweist, so dürfte es kaum einen erheblichen Zweifel
erregen, wenn ich die Wappen auf den Doktor der Rechte Hans Vogt und
seine Gattin Barbara, eine geborene Geiger, beziehe. Dieser Hans Vogt
wurde nach Roth^) im Jahre 1568 Genannter des größeren Rats, besaß ein
1) Joh. Ferd. Roth, Geschichte des Nürnbergischen Handels I, 1800, S. 3*^3 und
derselbe, Verzeichnis aller Genannten des größern Raths, 1802, S. 89.
Mitteiinnffen ans dem Krerman. NationHlomseuin. 19(V>. 23
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178
DAS VON BIBRA'SCHE ZIMMBR IM GERMANISCHEN MUSEUM.
Abb. I. Von bibra'sches Zimmer. Teil des EirifiranK^s.
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
179
Zinn-Bergwerk und handelte damit. Er starb am 31. März 1585*). Seine
Gattin wird als Steffan Geigers Steyrischen Händlers Tochter aufgeführt.
Sie starb am 10. Januar 1592 ^). Möglicherweise ist ihr Vater identisch
mit dem Stephan Geiger, welcher 1553 Genannter wird**). Vielleicht ist es
Abb. 2. Von Bibra'sches Zimmer. Anfsati Ober dem Eingr&ng.
der gleiche Stephan, welcher nach Trechsel, Erneuertes Gedächtnis des
Nürnbergischen Johannis- Kirchhofes, Seite 148, im Jahre 1557 starb. Als
2) Aus Genealo^ica der Stadtbibliothek.
3) Ebendaher.
4) Joh. Ferd. Roth, am letzt^jenannten Ort, S. 81.
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180
DAS VON BIBHASCUE ZIBCMER IM GERMANISCHEN MUSEUM.
Kinder des Hans Vogt und seiner Frau werden genannt: 1. Ursula Vogtin,
1579 mit Gabriel Mörder verheiratet; 2. Endres Vogt, 1588 mit Margaretha,
Hans Schwaben Tochter, verheiratet, gestorben 1607; 3. Barbara Vogtin, welche
sich mit Friedrich von Gera und in zweiter Ehe mit Joachim Weyermann
verheiratete. Wenn Hans Vogt, den wir wohl als den Erbauer des Saales
in Anspruch nehmen dürfen, im Jahre 1585 starb, so muß das Zimmer, um
das es sich hier handelt , unbedingt vor diesem Jahre oder noch zu Anfang
desselben erbaut worden sein. Wann dies geschehen ist, darüber läßt sich
Bestimmtes nicht sagen. Nicht ausgeschlossen ist es, daß die Anlage unseres
Zimmers mit der Verheiratung des Hans Vogt zusammenfällt, die etwa um das
Jahr 1560 erfolgt sein wird. Jedenfalls aber wäre dies der früheste Termin,
der für die Entstehungszeit des Saales in Ansatz gebracht werden dürfte.
Beschränken wir uns aber lieber nicht auf bestimmte Jahre, für welche doch
kein positiver Beweis gebracht werden kann, und lassen wir den Saal in der
Zeit zwischen 1560 und 1585 entstanden sein!
Wenden wir uns nunmehr der Innenausstattung selbst zu! Der innere
Saalraum mißt etwa 8,60 m in der Länge und rund 6,85 m in der Tiefe. Auf
der Südseite sind fünf, auf der östlichen Schmalseite zwei Fenster nach dem
Eck zu in tiefen flachbogigen Nischen angeordnet. Voll flutet das Licht
durch dieselben dem Eintretenden entgegen, um die Westwand, namentlich
aber die mit besonderer Liebe behandelte Vertäfelung der Nordseite hell zu
bestrahlen. So ist das, worauf infolge der in dieser Weise gewonnenen
günstigen Lichtverhältnisse ein besonderer Wert gelegt werden konnte, mit
Nachdruck dem gegenüber hervorgehoben, worauf eine gleiche Sorgfalt nicht
verwandt zu werden brauchte. Es ist nicht zu leugnen, daß in dem unter
glücklicher Beleuchtung an den entscheidenden Stellen mit Macht zum Durch-
bruch kommenden Reichtum ein hoher Reiz liegt. Er wird noch verstärkt
durch die Frische der auf Farbenharmonie sinnvoll arrangierten Hölzer. So
wechseln Schlichtheit und Pracht in wohltuender Weise ab, um im Ganzen
zu intim empfundener Raumstimmung zusammenzufließen. Man fühlt sich
in diesem Zimmer behaglich und heimisch, kann sich aber dabei nicht des
Eindrucks erwehren, daß es mehr als ein bloßer Alltagsraum ist, daß sich in
ihm Wohnlichkeit mit wahrem, auf Wohlhabenheit gegründetem Kunstsinn
verbinden.
Die eigentlichen Wandflächen haben unten eine umlaufende Fuß-Lamperie
mit breiten Lindenholzfüllungen in eichenen Rahmen. Dazwischen treten die
Postamente der mit ungarischer Esche fournierten Dreiviertelsäulen hervor,
welche, versehen mit attischen Basen und toskanischen Kapitalen in Eiche,
die obere Vertäfelung vertikal gliedern. Die Zwischenflächen innerhalb der-
selben werden durch hohe Lindenholzfüllungen , wiederum in eichenen
Rahmen, belebt. Siehe Taf. VII. Das mit Platte und Sima weit ausladende
Kranzgesims ist über dem mit ungarischer Esche fournierten Gebälkfries mit
zierlichem Zahnschnittgesims ausgestattet.
Wie bereits hervorgehoben, hat die Eingangsseite eine besonders ein-
drucksvolle Betonung erfahren. Siehe Taf. VII. Es wurde auch schon darauf
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ.
181
hingewiesen, daß die Emporführung der eigentlichen Vertäfelung durch eine
besondere Aufsatz vertäfelung bis zur Decke in Nürnberg eine Seltenheit ist.
Auch Ortwein ist dies nicht entgangen. Er spricht sich in folgender Weise
darüber aus: »Eigentümlich an diesem Täfelwerk ist, daß es ganz bis an die
Decke reicht, während bei allen übrigen, die uns zu Gesichte kamen, dies
nicht der Fall war.« Er bringt auch auf Doppeltafel 75/76 des Nürnberg
betreffenden Teiles seiner deutschen Renaissance eine von ihm selbst an-
gefertigte Aufnahme des Portals und des Wandschrankes samt dem Handtuch-
halter. Doch hat diese Darstellung nur allgemeinen Wert, sie gibt nur das
Gesamtbild wieder und versagt gänzlich, wenn man in die Details eindringt.
Auch fehlt eine sachentsprechende Charakterisierung der verschiedenen Holz-
arten. Es waren darum neue Aufnahmen erforderlich, welche, vom Archi-
tekten H. J. Dennemarck in Nürnberg gefertigt, in den Abbildungen 1 — 3
reproduziert sind.
Der Eingang erscheint durch eine weit vorspringende Säulenaedicula
mit flachem Giebel und seitlichen Nischen energisch markiert. Dazu baut
sich darüber eine stark vortretende ßekrönung auf, welche an der Wand-
fläche über der eigentlichen Vertäfelung eine entsprechende Fortsetzung findet.
Das Giebelgebälk wird von je einer ganzen Säule vorne und einer Dreiviertel-
säule dahinter (beide in massiver Eiche) getragen (Abb. 1), welche kanneliert
sind, in der Mitte eine Entasis aufweisen, eine attische Basis und ein tos-
kanisches Kapital (beide in Eiche) haben und auf einem hohen gemeinsamen
Sockel aufruhen. Das Gebälk wird an der Unteransicht durch vier kleine,
tiefgelegte Kasetten mit gedrechselten Knöpfen in der Mitte gegliedert. Der
Gebälkfries ist, wie auch der übrige umlaufende Fries, mit ungarischer Esche
fourniert und vorn von einem eichenen Zahnschnittgesims abgeschlossen.
Das Giebelfeld zeigt in eingelegter Arbeit in der Mitte einen Ring, an den sich
seitlich zwei spitz zulaufende, der Neigung der Giebelschrägen folgende Drei-
ecke mit Fagettenimitation anschließen. Für die oberen helleren Stellen ist
Ahornholz, für die dunkleren Nußbaum verwandt. Der untere Teil des Auf-
satzes über dem Giebel ist mit zwei aus einem Rund herausschauenden,
plastisch gearbeiteten Ziegenköpfen dekoriert, welche die Zwickel über den
Gebielschrägen recht gut ausfüllen. Der obere Aufsatzteil (Abb. 2) wird vorn
durch vier kannelierte Dreiviertelsäulen mit jonischen Kapitalen in drei Ab-
teilungen gegliedert. Die mittlere der letzteren enthält in rundbogiger Nische
in Intarsia eine Darstellung der Auferstehung. Christus steht mit weit seit-
wärts flatterndem Mantel und der Siegesfahne in der Linken, dem Beschauer
zugewandt, auf dem geschlossenen Sarkophag, Vorn am Boden die geblen-
deten Wächter. In den unteren Füllungen der seitlichen Abteilungen sind
die oben näher beschriebenen, mit feinem heraldischen Laubwerk in Relief
erhaben geschnitzten Wappen angebracht. Über ihnen bemerken wir deko-
rative Schrifttafeln mit ornamentierten Füllungen.
An die Säulenstellung in der Mitte schließen sich rechts und links je
eine weniger stark vortretende Aedicula an, deren Sockel in gleicher Flucht
mit den Sockeln der Gesamtvertäfelung liegen. Das zur Ausgleichung mit
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^^2 DAS VON BIBRASCHE ZIMMER IM GERMANISCHEN MUSEUM.
der übrigen Wandverkleidung weniger stark vortretende Gebälk ruht auf der
inneren Dreiviertelsäule der Hauptaedicula und einer gleich behandelten zweiten
Dreiviertelsäule auf. (Siehe Abb. 1.) Die Füllungsflächen dieser seitlichen
Aediculen sind im größeren unteren Teil zu rundbogigen Nischen mit Muscheln
im Bogenfeld ausgearbeitet und darüber mit einer vortretenden Ahornkassette,
deren Füllung mit ungarischem Eschenholz belegt ist, belebt. Ahorn bemerken
wir femer in Nußbaumholz-Umrandung als Einlage auf der übrigen Fläche
des oberen Teiles und an den Nischenpilastern. Die Nische selbst hat ein
Füllbrett in kernig gezeichneter ungarischer Esche.
Ein kurzes Wort wäre auch über die Behandlung der Türe des Ein-
gangs zu sagen. Sic weist zwei Füllungen in ungarischer Esche auf, deren
rechteckige Rahmen mit dunkel gebeiztem Nußbaum fourniert sind. Von den
vier Ecken laufen Diagonalstege zu dem in der Mitte angeordneten kleineren
Rahmen. Dieser ist wie auch die Stege mit dunkel gebeiztem Nußbaum
fourniert. Die Füllungsrahmen sind noch voii schmalen Bändern in heller
gehaltener Nußbaumfournierung umrandet, welche, sich kreuzend, bis zum
Rande der Türe fortlaufen. Dazwischen Ahornfüllungen und in den Ecken
kleine quadratische Intarsien aus einem marmoriert gemaserten, ausländischen
Holz. Eine Beachtung verdienen auch die beiden mächtigen Angelbänder,
das Schloßblech und der Türgriff. Die Form der ersteren ist aus Abb. 1
ersichtlich. Der an der freien Seite kleeblattförmig ausgebildete Schloßkasten
ist mit durchbrochen gearbeitetem Blatt- und Rankenwerk verziert. Die
Blätter sind gebuckelt und graviert. Als maßgebend für ihre symmetrische
Anordnung ist eine horizontal in der Mitte laufende Linie zu denken. Was
den gleich neben dem Schloß angebrachten Türgriff" betrifft, so hat er einen
vierpaßförmig aus spitz endigenden Blättern zusammengesetzten Teller.
Die Markierung des Haupteingangs wird für das Auge noch um ein
Bedeutendes vermehrt durch den rechts seitlich eingebauten Wandschrank
mit seiner lebhaft bewegten Architektur. Es ist ein portalartiger Aufbau
mit über kannelierten freistehenden Säulen auf hohen Sockeln vorgelegter
Aedicula, die das hohe Gebälk des flachen Giebels trägt. Die ebenso wie
diejenigen des Eingangs und der beiden seitlichen Aediculen massiven Eichen-
holzsäulen haben jonische Kapitale. Der größere Teil der Wandfläche hinter
den Säulen (siehe Abb. 3) ist zu tiefen rundbogigen Nischen mit Muscheln im
Scheitel ausgehölt. Die Sockel der Säulen und die an dieselben anschließen-
den kleinen Füllungsflächen sind mit ungarischer Esche ausgelegt. Die Pi-
laster der Nischen wie auch die Flächen über den letzteren weisen Ahorn-
einlagen in Nußbaum-Umrandung auf. Mit Ahorn ist auch die obere größere
Füllung der Schranktüre fourniert. Am Gebälk ist reichliche Verwendung
von ungarischer Esche, von Ahorn und Nußbaum zu bemerken. Der Giebel
ist dem des Portals entsprechend dekoriert.
Wir kommen nunmehr zur Aufsatzvertäfelung der Eingangsseite. Ich
will hier nicht verschweigen, daß man den Eindruck gewinnen kann, als seien
sowohl die Aufsatzvertäfelung als auch der Wandschrank und der Handtuch-
halter dem Zimmer erst nachträglich eingefügt worden. Der Eindruck wird
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ. 1 '^3
JL
Abb. 3. Von Bibn'scbes Zimmer. Wandschrank.
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1 S"^ DAS VON BIBRA'SCHE ZIMMER IM 6ERBIANISCHEN MUSEUM.
noch verstärkt, wenn man den etwas unsymmetrischen Anschluß des Portal-
aufsatzes an die Decke betrachtet. Es scheint darum nicht ausgeschlossen,
daß der Dr. Johann Vogt den Raum anfangs mehr in einfacher Art hat aus-
statten lassen, daß er dann später, vielleicht infolge gesteigerter Wohlhaben-
heit, noch jene dekorativen Prachtstücke hinzufügen ließ. Wie gesagt, es ist
dies nicht ausgeschlossen. Sollte es aber wirklich der Fall gewesen sein, so
kann es sich nicht um einen größeren zeitlichen Zwischenraum , sondern
höchstens um einige Jahre, welche zwischen der ursprünglich schlichten Aus-
stattung und der Hinzufügung jener reicheren Stücke liegen, handeln. Doch
wäre es auch möglich, an die Fertigstellung der gesamten Inneneinrichtung
durch zwei verschiedene, unabhängig von einander arbeitende Kunstschreiner
zu denken. Ein positives Resultat läßt sich hier nicht erzielen. Die Aufsatz-
vertäfelung setzt sich abwechselnd zusammen aus einfachen Lindenholzfüllungen
in Eichenholzrahmen und je zwei flachen kannelierten Pilastern mit jonischen
Kapitalen, welche eine Nischenarchitektur umschließen. Die Nischenpilaster
und der Raum über den Nischen sind mit Ahorn in Nußbaum-Umrandung
foumiert. Die vortretende Kassette ist innen außerdem mit einem dunkel-
gebeizten Nußbaumspiegel ausgelegt. Die Innenwand der Nische ist mit un-
garischer Esche verkleidet. Als oberer Abschluß der Aufsatzvertäfelung dient
ein Fries mit Belag in ungarischer Esche (siehe Tafel VII).
Ein in seiner Art seltenes Stück ist der rechts oben an der Vertäfelung
der Eingangsseite angebrachte Handtuchhalter, welcher mit Gebälk, Kranz-
gesims und einem über Konsölchen vorgekragten , von einem flachen Giebel
überdachten Mittelteil architektonisch gegliedert ist und zugleich den äußeren
Abschluß der Aufsatzvertäfelung bildet. Die in Eichenholz gearbeitete Rolle
ist kanneliert. Ihre Halter und deren tragende Glieder sind mit Intarsien in
dunklerem Holze verziert. Im Übrigen sind die gleichen Hölzer wie auch bei
der übrigen Vertäfelung verwandt. Auch die Ausbildung im Einzelnen ist die
gleiche. Die Füllungen der beiden Kassetten unter der Rolle sind mit Ahorn
foumiert. Das Schrifttäfelcheh zwischen den Stützkonsolen des Mittelteils
hat einen von Ahornholz umrandeten dunkelgebeizten Nußbaumholz-Spiegel.
Daß wir es bei unserem Zimmer nicht mit einem Repräsentationsgemach
als solchem, sondern mit einem nur repräsentativ erscheinenden Wohnraum
zu tun haben, wird auch bestätigt durch den Umstand, daß in die fenster-
lose d. h. westliche Schmalwand ein durch die kernige Art des Aufbaues
wie auch durch die frische Farbe der Hölzer wirksames Ruhebett eingebaut
ist. Es sitzt 0,46 m tief in der Vertäfelung und tritt um ca. 0,55 m über
dieselbe hinaus, hat demnach eine Gesamttiefe von rund einem Meter. Die
äußere Länge beträgt 2,37 m. Der mit ungarischem Eschenholzfries, Zahn-
schnittgesims und oben in Sima ausladendem Kranzgesims versehene Baldachin
wird von vier zu je zweien vereinigten Säulen auf 0,57 m hohen Sockeln
getragen. Ihre Schäfte glänzen in der prickelnden Farbe der ungarischen
Esche. Doch sind dieselben nicht massiv, sondern nur foumiert. Überhaupt
gilt dies auch sonst von der Innenausstattung; wo immer edlere Hölzer ver-
wandt sind, sind dieselben nur in dünnen Blättchen aufgeleimt. Die attischen
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ. 185
Basen und toskanischen Kapitale sind aus deutscher Eiche genommen. Die
Postamente wie auch das gleichhohe Fußbrett haben Eichenholzrahmen mit
von Nußbaum eingefaßten Lindenholzfüllungen. Der innere, in der Ausdeh-
nung des Raumes zwischen den Säulen offene Bettkasten wird durch kanne-
lierte Pilaster mit jonischen Kapitalen gegliedert, die auf den Schmalseiten
auch nach innen, aber dort glatt, vortreten. Dazwischen befinden sich ein-
fache Lindenfüllungen. Der obere Abschluß des Bettkastens hat einen Fries
mit ungarischer Esche. Links neben der Bettstatt ist zwischen zwei Säulen
in der Vertäfelung ein einfacher Wandschrank angelegt.
Auch die Fensterpfeiler sind, wenn auch in schlichtester Art, vertäfelt.
Doch entspricht das Kranzgesims in der Ausführung dem der Vertäfelung
der Wände.
Den Raum überdeckt, sich mit der Vertäfelung in angenehmer Harmonie
vereinigend, eine Kassettendecke. Dieselbe setzt sich aus zwölf fast qua-
dratischen Kassetten zusammen, welche von langgezogenen Sechsecken um-
rahmt werden, woraus sich eine im Ganzen wirksame Einteilung ergibt. Die
Kassetten sind tief gelegt und mit kleinem Wulst und Sima lebhaft profiliert.
Als Hölzer sind verwandt : Für die Füllungen Linde, für die Profile dunkel-
getontes Eichenholz, für die Stege ein helleres hartes Holz.
Mit Bewunderung stehen wir vor diesem Meisterwerk Alt-Nürnberger
Kunstschreinerei. Ein gesunder Sinn, eine hervorragende Erfindungsgabe und
eine biedere Sorgfalt verbinden sich, um uns Modernen stets mustergiltige,
in gleicher Gediegenheit kaum erreichbare Vorbilder zu schaffen. .
Mitteilungen aus dem grerraan. Nationalranseum. lOnäS. 24
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Im Auftrage des Ta^es für Denkmal-
pflege bearbeitet von Georg Dehio. Band I: Mitteldeutschland, Berlin, Ernst Was-
muth, A.-G. 1905. 8. 360 S.
Von dem Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, der bedeutendsten literarischen
Frucht des Tages für Denkmalpflege, ist im Herbst 1905 das erste Bändchen in schmuckem,
biegsamen, grauen Leinwandband erschienen. Der Gedanke, für die erste Orientierung
über den Bestand der deutschen Kunstdenkmale ein zusammenfassendes, kompendiöses
Werk zu schaffen an Stelle der älteren, in seiner Art ausgezeichneten, aber längstens
veralteten Arbeit von Lotz ist wohl von Allen, die der historischen deutschen Kunst mit
Interesse gegenüberstehen, mit größter Freude begrüßt worden. Und bei dem vielfach
zu beobachtenden, sehr langsamen Fortschreiten der Inventarisationsarbeiten in den ver-
schiedenen Gauen konnte das an sich ja wohl wünschenswerte Abwarten des Abschlusses
sämtlicher Inventarisationswerke nicht in Frage kommen. Das Bedürfnis für den Forscher
wie für den Liebhaber sprach sich zu dringend aus. Schwieriger aber als der Entschluß
der Herausgabe war die Bestimmung der Modalitäten. Ein besonders glücklicher Umstand
war es daher, daß der Mann, der zuerst den Gedanken des Buches in greifbare Formen
gebracht, auch der Bearbeiter und Herausgeber des Ganzen wurde. Bei der Formulierung
der Postulate war mit ihm, dem Straßburger Professor der Kunstgeschichte G. Dehio,
eine vom Denkmalstag aufgestellte Kommission, bestehend aus Geh. Hofrat Cornelius
Gur litt (Dresden), Geh. Justizrat H. Loersch (Bonn) und Geh. Hofrat Adolf von
Oechelhäuser (Karlsruhe), tätig. Die Richtlinien, die als Programm aufgestellt wurden,
waren im Wesentlichen die folgenden. Das Handbuch soll in fünf einzelnen Bändchen
erscheinen, die Ostdeutschland, Nordwestdeutschland, Mitteldeutschland, Westdeutschland
und Süddeutschland in abgerundeten Komplexen umfassen. Zugunsten der historischen
Verhältnisse darf bei der Gliederung der einzelnen Bände eine Abweichung von den
heutigen politischen Grenzen eintreten. Die äußere Gestaltung hat darnach zu trachten,
daß das ganze Werk und seine Bände nicht nur ein wissenschaftliches Nachschlage-,
sondern auch ein kunsthistorisches Reisehandbuch bilden. Da es nicht nur dem Fach-
mann, sondern auch dem kunstliebenden Laien als Lehrer und Berater in der heimat-
lichen Denkmalskunde dienen soll , muß auf eine möglichst leicht verständliche Fassung
des Inhalts gesehen werden. Den nach möglichster Ausführlichkeit und Vollständigkeit
strebenden Inventarisationswerken gegenüber kann nur eine beschränktere Auswahl der
Denkmäler aufgenommen werden, weniger wichtige Objekte müssen sich mit kurzer Er-
wähnung begnügen. Es soll im Handbuch eben kein Generalregister der Denkmalsinventare,
sondern ein urteilender und klärender Führer durch die Denkmälermasse gegeben sein.
Die Anordnung in den einzelnen Bänden erfordert die Aufführung nach dem Alphabet.
Bezüglich der aufzunehmenden Gattungen von Werken ist alle bemerkenswerte Architektur,
die mit ihr verbundene und selbständige Skulptur und Malerei zu berücksichtigen, mit Aus-
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IJTERARISCHK BESPRECHUNGEN. 1 8"/
Schluß der Museen und Privatsammlungen, aber mit Berücksichtigung der Kirchenschätze
wenigstens in ihren wichtigeren Teilen. Untergegangene Werke finden nur bei Vorhanden-
sein von Modellen und Plänen Erwähnung. Dagegen sind schon vorgenommene Wiederher-
stellungen nach Möglichkeit zu verzeichnen. Bezüglich der Literaturnachweise ist zu-
nächst auf die Inventare zu verweisen , dann auf die später noch erschienene Literatur,
sowie auf wichtigere zeichnerische Aufnahmen.
Nach kaum zweijähriger Vorbereitung ist nun der erste Band, Mitteldeutschland, er-
schienen, und es drängt sich die Frage auf, wie hat sich das oben auszugsweise mitgeteilte
Programm bewährt, wie ist der Herausgeber den außerordentlichen Schwierigkeiten seiner
Aufgabe gerecht geworden. Gerade Mitteldeutschland mit seiner ziemlich zerrissenen,
politischen Gestaltung, den im Plan und der Ausführung so verschiedenartigen Hilfsmitteln,
den zahlreichen Inventaren, die durchaus nicht gleichwertig erscheinen, dann den weiten
Strecken, die überhaupt noch nicht inventarisiert wurden, bietet für die Beantwortung
dieser Frage einen vorzüglichen Prüfstein. Und die Antwort des gewissenhaft Prüfenden
wird die Bewährung der Gesamtrichtung wie der Bearbeitung in fast allen wesentlichen
Punkten mit Genugtuung zugestehen.
Der Band enthält das Königreich Sachsen, das Großherzogtum Sachsen- Weimar-
Eisenach, die Herzogtümer Sachsen-Altenburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg-Gotha,
die Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß ältere und
jüngere Linie, vom Königreich Preußen die Regierungsbezirke Merseburg, Erfurt und
Cassel, vom Königreich Bayern die Regierungsbezirke Ober- und Unterfranken. Bei der
Abgrenzung hat offenbar das Bestreben obgewaltet , den Umfang der einzelnen Bände
möglichst gleichmäßig zu gestalten, denn sonst wäre beispielsweise das Wegbleiben Mittel-
frankens, das historisch in engster Beziehung zu Ober- und Unterfranken, nicht aber zu
Altbayern steht, wohl besser auch noch irt den vorliegenden Band hereingenommen wor-
den. Die Anordnung ist , wie gesagt , durch das ganze behandelte Gebiet alphabetisch.
Ein sehr dankenswertes Verzeichnis am Schlüsse gibt die Orte nochmals nach Staaten
und Verwaltungsbezirken geordnet.
Die Auswahl der Orte, resp. des aufgenommenen Denkmälermaterials, dürfte jedem
billigen Wunsche genügen. Der Herausgeber ist hier sichtlich mit größter Umsicht zu
Werke gegangen. Daß eine ganz gleichmäßige Behandlung der inventarisierten und noch
nicht inventarisierten Gebietsteile nicht möglich war und daß, wie der Verfasser selbst
angibt, aus den noch nicht bearbeiteten Landstrichen etwas weniger Orte angeführt wur-
den , bedarf keiner Entschuldigung. Es empfiehlt sich vielleicht sogar, überhaupt noch
strenger bei der Auswahl vorzugehen und Bauten, die weder als Kunst- und Geschichts-
denkmale in einem die Allgemeinheit interessierenden Sinne zu gelten haben, wegzulassen,
dafür aber wenigstens allen aufgeführten, die für jede Sparte der Benutzer nötigen, er-
klärenden Bemerkungen beizugeben. Bezeichnungen wie »Wasserschloß« (Ebelsbach),
Wallfahrtsk. 1570, 1672, 1780 (Findelberg) u. sehr viele andere dieser Art sind entweder
überhaupt überflüssig, weil sie nicht Kunstdenkmälern gelten, oder sie bieten dem Frager
zu wenig.
Rückhaltlosere Anerkennung noch darf die Art der Darstellung beanspruchen.
Das von Dehio selbst betonte Bestreben nach knappster sprachlicher Formulierung, die
jedes unnütze Wort vermeidet, ist strengstens und glücklich durchgeführt. Und bei aller
Knappheit herrscht eine außerordentliche Klarheit. Bei den wichtigeren Baudenkmälern
und den größeren Orten ist trotz der schärfsten Zusammenfassung ein deutliches , um-
fassendes Bild des beschriebenen Werkes in seiner Entwicklung zu erhalten. Die offen-
sichtliche , bestimmte Sicherheit des Urteils berührt überaus angenehm. Den aus den
verschiedensten Quellen, — verschieden an absolutem Wert und durch die eine einmal
unvermeidliche subjektive Auffassung der zahlreichen Bearbeiter — geschöpften Nach-
richten hat Dehio ein aus einem Guß erscheinendes Aussehen zu geben vermocht.
Wer die außerordentlich große Schwierigkeit dieser Übersetzung verschiedener Beurtei-
lungsmaßstäbe in einen einheitlichen zu erfassen vermag, wird in diesem Teil der Auf-
gabe wohl das höchste Vordienst Dehios erblicken. Daß die von ihm selbst bearbeiteten
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1 88 UTERARISCHK BESPRECHUNGEN.
Artikel aus Ober- und Unterfranken, besonders die wichtigsten Denkmäler, z. B. in Bam-
berg und Würzburg, die anschaulichsten und lebendigsten geworden sind, wird dabei Nie-
mand Wunder nehmen.
Die Literaturangaben beschränken sich in der Regel, d. i. mit Ausnahme der ge-
schichtlich oder kunstgeschichtlich besonders wichtigen Denkmäler, bei den schon in-
ventarisierten Orten auf den einfachen Hinweis auf das Inventar. Wo die monographische
oder sonstige Literatur angegeben ist , ist sie mit richtiger Einsicht auf das wirklich
Wichtige beschränkt. Ein Wunsch, der in späteren Auflagen und vielleicht schon in
den folgenden Bändchen Berücksichtigung finden köilnte , mag indessen hier ausge-
sprochen werden. An Stelle des bloßen Hinweises »Inv.« möge überall die Angabe
von Band und Seite des betreffenden Inventars treten. Bei dem Wunsche der Heraus-
geber, daß das Buch recht weiten Kreisen dienlich sein soll, muß doch berücksichtigt
werden, daß die überwiegende Mehrzahl der Benutzer weder die zum Teil sehr umfang-
und bändereichen Inventare persönlich besitzt noch sogleich zur Hand haben wird, denn
es wird nicht einmal allzuviel größere Bibliotheken in Deutschland geben, die sämt-
liche bisher erschienenen Inventare besitzen. Eine genaue Angabe wird hier die weitere
Nachforschung des Lesers wesentlich erleichtern und vereinfachen. Für den Herausgeber
oder Bearbeiter ist durch die genauere Literaturangabe, da ja doch alle Orte in den
Inventaren nachgesehen werden müssen, keine Erschwerung und räumlich für das Buch
kein irgendwie nennenswertes Platzerfordernis gegeben.
Das Werk beschließen ein Künstlerverzeichnis, ein Verzeichnis der über die be-
handelten Gebiete vorhandenen Inventare und ein Verzeichnis der Abkürzungen nach
Begriffsgruppen und nach dem Alphabet. An die Spitze des Bandes ist ein Obersichts-
kärtchen des Inhaltsgebietes gestellt. Es enthält die staatlichen Grenzen und die Haupt-
orte der Verwaltungsbezirke. Hier wäre wohl der Wunsch nicht unberechtigt, daß
künftighin eine Karte in größerem Maßstabe beigegeben werde, die sämtliche im
Handbuch erwähnten Orte verzeichnet. Zum Aufschluß über regionale Zusammenhänge
mancher Denkmalgruppen ist eine genaue Karte dringend erwünscht. Und dem Benutzer
des Buches, dessen Zweck ja ausdrücklich auch als die eines Reisehandbuches erklärt
wird, wird über die kleineren Orte weder im Reiseführer noch sonst das Material der
Spezialkarte immer zur Verfügung stehen.
Vielleicht wird in Fachkreisen noch der eine oder andere Wunsch nach Vervoll-
kommnung laut werden. Das mag den hochverdienten Verfasser indes nicht kränken.
Kein Baum flllt auf den ersten Hieb. Und das Bewußtsein, bei dieser an sich wohl nicht
allzu verführerischen und dankbaren Aufgabe der zahlreichen und großen Schwierigkeit
im Wesentlichen so trefflich Meister geworden zu sein, mag den bewährten Forscher
stärken zur Fortsetzung und Vollendung seines großen, freudig begrüßten Werkes.
Hans Stegmann.
Dr. J. Reinke. Philosophie der Botanik. I. Band der Natur- und Kulturhisto-
rischen Bibliothek. Verlag von Joh. Ambrosius Barth, Leipzig 1905. VI u. 201 S. Oktav.
Der Verfasser des vorliegenden Buches ist der bekannte Professor der Botanik an
der Universität Kiel. Er nimmt in seiner Philosophie der Botanik die reichen allgemeinen
botanischen Forschungsergebnisse der Gegenwart unter die Lupe der Spekulation. Er
gelangt dadurch letzten Endes aber nicht zur .sogenannten modernen Weltauffassung der
Darwinianer, sondern er steht mit seinem Glauben über die Entstehung des organischen
Lebens vermittelnd zwischen ihnen und dem auch von Linnö in seiner vor anderthalb
Jahrhunderten herausgegebenen Philosophiabotanica nicht angezweifelten biblischen Mythus,
nach dem am dritten Tage der Schöpfung alle Arten Pflanzen durch den Werderuf Jahwes
unter der ausgebreiteten Schöpferhand emporgesprossen sind.
Dabei huldigt Reinke aber doch einer dynamischen Naturauffassung und bekennt
sich zur Entwicklungstheorie.
Er vergleicht die Pflanzen mit einer durch Menschenverstand für eintn bestimmten
Zweck konstruierten Maschine In den ersten Kapiteln des Buches, die von den im Leben
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UTERABISCHE BESPRECflUNGEN. ^ 89
der pflanzlichen Organismen wirkenden Kräften, von der Zelle, von dem Wesen und der
Gestalt der Pflanzen handeln und die mehr den botanischen Fachmann interessieren,
wird dies aus den modernen Forschungen eingehend erwiesen. Letztere haben Reinke
überzeugt, daß genau wie bei den Maschinen auch bei den Organismen das Kausalprinzip
in den Dienst des Finalprinzips tritt. Er sagt: »Was man bei Tieren und Pflanzen als
zweckmäßig zu bezeichnen pflegt, ist nach meiner Auffassung ein Spezialfall von Finalität«.
Wie die noch mehr rein spekulativen Schlußkapitel des Buches zeigen, macht die
aus dem Bau und den Lebenserscheinungen der Pflanzen überall herauslugende Sphinx
der Theologie Reinke zu einem Gegner der letzten Konsequenzen einer monistischen
Weltanschauung. Bekanntlich gibt Darwin in seiner Lehre von der natürlichen Zucht-
wahl eine einigermaßen annehmbare Auskunft, wie eine gewisse Zweckmäßigkeit und
Zielstrebigkeit in die auch viele Zweckwidrigkeiten aufweisende organische Welt hinein-
gekommen sein kann. Diese Erklärung genügt Reinke aber nicht.
Der alte biologische Lehrsatz: omne vivum e vivo, omnis cellula e cellula ist zwar
bislang noch immer durch alles Erfahrungs wissen bestätigt. Nach der hypothetischen
Annahme der meisten Anhänger der Entwicklungstheorie darwinistischer Richtung soll
sich bekanntlich aber die Fülle und Mannigfaltigkeit der irdischen Pflanzenwelt aus ein-
zelnen , aus der Materie mittelst der ihr innewohnenden Kräfte durch Urzeugung ent-
standenen Zellen entwickelt haben. Auch Reinke sagt in seinem botanischen Glaubens-
bekenntnis: »Ich glaube an das ursprüngliche Gegebensein sehr zahlreicher Urzellen.«
Aus diesen von Anfang an bereits verschiedenen , elternlosen Zellen ist nach seiner
Meinung gleichfalls die weitere Mannigfaltigkeit in der Pflanzenwelt durch progressive und
regressive Entwicklung entstanden.
Die schon den Urzellen innewohnende Entwickelungs- und Anpassungsfähigkeit
und Zielstrebigkeit, glaubt er aber, könne unmöglich durch die Kräfte des anorganischen
»Lehms« von selbst entstanden sein. Namentlich auf Grund des teleologen Gedankens
nimmt er daher für die Herkunft des ersten organischen Lebens einen Schöpfungsakt
durch eine »kosmische Intelligenz« an. Von den treuen Anhängern des mystischen
Kirchenglaubens, denen ein Schöpfungsakt ein Gemütsbedürfnis ist, wurde diese schon
früher von Reinke vorgetragene Anschauung freudig begrüßt. Für sie hat sie den Vor-
zug, daß sie sich mit der mosaischen Schöpfungsgeschichte in Einklang bringen läßt.
Bei den Vertretern der monistischen Weltanschauung, denen die Begreiflichkeit
der Welt ein Axiom ist, hat Reinkes Ablehnung der Urzeugung und sein Beibehalten
der althergebrachten Erklärung des Welträtsels durch einen »übernatürlichen« Schöpfungs-
akt selbstverständlich keinen Anklang gefunden. In Wort und Schrift nahmen sie Stellung
gegen die Weltanschauung des konservativen Kieler botanischen Naturphilosophen.
Näheres darüber findet man in den Schriften von Dr. Heinrich Schmidt in Jena 1903:
»Die Urzeugung und Professor Reinke« sowie auch bei Haeckel: »Der Kampf um den
Entwicklungsgedanken.« 1905.
Durch die Erfahrung ist eine Urzeugung noch nie unbestreitbar erwiesen. Jedoch
auch die Unmöglichkeit einer solchen ist nicht bewiesen. Die Monisten sagen: Die An-
nahme einer solchen hypothetischen Urzeugung ist zur Zeit die einzige Möglichkeit, die
Herkunft des irdischen Lebens begreiflich zu erklären. Der Glaube, daß die Urzellen
durch einen übernatürlichen Schöpfungsakt einer hypothetischen kosmischen Intelligenz
entstanden sind, ist nach ihrer Meinung ein Verlassen des wissenschaftlichen Bodens.
Voraussichtlich wird dieser Streit , der von den Naturphilosophen nicht auf dem
Wissens- sondern auf dem Glaubensgebiete ausgefochten wird, nie ganz geschlichtet
werden. Vom Standpunkte der Wissen.schaft aus rief Du Bois-Reymond schon 1876 den
Streitenden sein bekanntes »Ignorabimus« zu. Das heutige Erfahrungswissen bietet keinen
Anlaß das zurückzunehmen.
Reinke bleibt bei seinen Ausführungen durchweg sachlich und vermeidet persön-
liche Angriffe. Auch Gegner seiner Weltanschauung finden in seiner Philosophie der
Botanik sicher viele anregende Gedanken. Der Kulturhisloriker aber sieht aus dem Buche
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190
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
wieder, daß sich die menschliche Anschauung über das Lebensrätsel nach keiner Richtung
hin gradlinig weiter entwickelt, sondern sich im Zickzack fortbewegt.
Hermann Peters.
Geschichte der deatschen Kanst von den ersten historischen Zeiten bis zar
Gegenwart. Von Dr. Hermann Schweitzer, Direktor des städtischen Suermondt-
Museums in Aachen. Mit 472 Textabbildungen und zahlreichen Einschaltbildern. Ravens-
burg. Verlag von Otto Maier. 1905. XX und 739 S. gr. 8.
Es f^llt schwer, dem vorliegenden Werke gegenüber den richtigen Standpunkt ein-
zunehmen; denn nach des Verfassers einleitenden Worten will es nur »dem gebildeten
Laien und dem Studierenden eine kurzgefaßte, leichtverständliche Übersicht der Gesamt-
entwicklung der bildenden Kunst unseres Volkes« geben, womit eine tiefer gehende
Kritik abgeschnitten ist.
Aber selbst diese engen Grenzen dürfte das umfangreiche Buch nicht ausftlllen.
Trotz der einfachen und klaren Schreibweise ist es dem Verfasser doch nicht gelungen,
das eigentlich historische Moment in einer für den Laien faßlichen Weise klarzulegen;
wird es doch selbst dem Fachgelehrten schwer, den oft recht willkürlichen Sprüngen zu
folgen. Gewiß bietet gerade dieser Punkt eine sehr große Schwierigkeit bei der Bear-
beitung einer viele Lokalschulen umfassenden Kunstgeschichte, allein dieselbe Aufgabe
wurde doch schon weit besser gelöst. — Man wird bei einem von Hause aus kompila-
torischen Werke in Bezug auf die Einheitlichkeit der Darstellung und die Richtigkeit
der Einzelheiten manche Konzession machen müssen, allein im vorliegenden Werke ist
der Durcharbeitung des verschiedenartigen Materials und seiner kritischen Sichtung doch
allzu wenig Fleiß gewidmet; überall finden sich Dissonanzen, oft sogar direkte Wider-
sprüche, die den Laien verwirren und den kritischen Leser verstimmen. Die Lübke'sche
Geschichte der deutschen Kunst war gewiß kein über jeden Tadel erhabenes Buch; aber
obwohl sie infolge der Forschungsergebnisse des letzten Jahrzehnts in den Einzelheiten
vielfach veraltet ist, wird man ihr doch vor der Schweitzer'schen den Vorzug geben
müssen.
Für die Ausstattung des Buches, das viele neue und gut gewählte Abbildungen
bringt, muß dem Verlage die Anerkennung ausgesprochen werden. Manchmal wäre
allerdings eine Beschränkung von Vorteil gewesen, denn einige Autotypien nach unscharfen
und verzitterten Amateuraufnahmen, sowie nach stilistisch gänzlich ungenügenden Zeich-
nungen — siehe insbesondere den Abschnitt über die Plastik des frühen Mittelalters — '
hätten ruhig fehlen dürfen. W. Josephi.
Süddeatsche Monatshefte unter Mitwirkung von Joseph Hofmiller, Friedrich
Naumann, Hans Pfitzner, Hans Thoma, herausgegeben von Paul Nikolaus Coss-
m a n n. Zweiter Jahrg. (2 Bde.) 1905. Stuttgart. Verlag von AdolfBonz& Comp.
Von den Süddeutschen Monatsheften, die in der kurzen Zeit des Bestehens dieser
Zeitschrift wegen ihres gediegenen, anregenden Inhalts und ihrer vornehmen Haltung
rasch einen treuen Leserkreis — und nicht blos im Süden — für sich zu gewinnen
wußten, liegt nun auch der zweite Band abgeschlossen vor. Wir versuchen aus der Über-
fülle des Gebotenen dies und jenes herausgreifend einzelne für die ganze Richtung der
Monatsschrift charakteristische Beiträge in der hier gebotenen Kürze wenigstens namhaft
zu machen.
Unter den Mitarbeitern auf dem Gebiete der bildenden Kunst leuchtet der Name
Hans Thoma's vor, der aus dem reichen Schatze seiner Erinnerungen und Erfahrungen
von seinem Münchener Leben (Anfangs der 70er Jahre des vorigen Jahrb.) erzählt, von
seinem Verhältnis zur Pilotyschule. seinen Beziehungen zu Böcklin , Leibl , den Frank-
.♦"urter Malern Viktor Müller und Eysen, zu Stäbli und Bayersdorfer. Dazwischen ergötz-
liche Glossen zur Geschichte der Münchener Kunstkritik und des Münchener Kunstvereins.
Diese Erinnerungen erhalten eine Art Fortsetzung in den Thoma'schen Plaudereien über
seine fünf Italienreisen, deren erste er 1874, die letzte 1897 unternommen hat. Ein Artikel
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 191
des Karlsruher Meisters über »Farbenmaterial und Maltechnik c läßt auch den Laien Ein-
blicke in diese wichtigen Departements künstlerischen Schaffens tun. H. Thode ist mit
seinem Heidelberger Vortrag »Über deutsche Weltanschauung und Kunst«, Wilhelm Porte
mit Erinnerungen an Karl v. Pidoll, den Schüler und Freund Mardes, vertreten. J. A. Be-
ringer steuert eine warmherzige Würdigung des spät, zu spät erst richtig eingeschätzten
Landschafters Emil Lugo bei.
Aus Friedr. Th. Vischers Nachlaß begrüßen wir seine prächtigen launigen Briefe
aus Neapel und Sizilien, nachdem wir im vorigen Jahrgang schon den Verf des »Auch
Einer« über Bozen und Gardasee nach Venedig gefolgt waren und er uns die ober-
italienischen Städte, Florenz und Rom in seiner köstlichen Art gewiesen hatte. Einen
Brief Vischers aus Griechenland hat gleichfalls der Sohn, Robert Fischer-Göttingen, der
Redaktion der S. M. zur Verfügung gestellt. Im Heft 7 reiht sich ein Schreiben Vischers
an Joachim Raff mit Bezugnahme auf des letzteren 1854 erschienene Schrift »Die Wagner-
frage« an. In durchaus fesselnder Weise entwickelt Isolde Kurz den Werdegang ihres
Vaters, des schwäb. Dichters Hermann Kurz. Von Adalbert Stifter finden sich drei
Briefe an seinen Freund, den Maler Heinrich Bürkel. Der ganze Justinus Kerner spricht
aus den mitgeteilten Briefen über magische Gegenstände. Adolf Frey schildert seinen
Verkehr mit Conr. Ferd. Meyer, eine Menge hübscher Einzelheiten zur Charakteristik
des Dichters (meist nach Briefen desselben) darbietend. Josef Hofmiller bespricht
J. V. Widmanns feingestimmte Dichtung »Der Heilige und die Tiere«, neue Freunde fiir
den schweizer Dichter werbend. Andere tüchtige Arbeit zur Geschichte der Litteratur
übergehen wir ungern, um noch kurz die Reihe wertvoller Beiträge zum Kapitel »Musik
und Theater« zu buchen. Wagneriania nehmen hier einen breiten Raum ein. Hierher
gehören: Urkunden zur Gesch. des Münchener Wagner-Theaters (von Heinrich Steinbach-
München aus dem Nachlaß von Gottfr. Semper und Friedr. Pecht veröffentlicht); Unge-
druckte Briefe von Peter Cornelius und Richard Wagner (Carl Maria Cornelius in Frei-
burg) ; Karl Heckel : Hugo Wolf in seinem Verhältnis zu Rieh. Wagner. Daneben stellen
wir Siegm. v. Hauseggers Schilderungen seiner Kinder- und Jugendjahre in Graz und
Hans Pfitzners »Bühnentradition«.
Nicht unerwähnt bleiben soll K. Th. Heigels »Landshut«, das uns die alte echt-
bajuwarische Stadt in einem fein gezeichneten Bilde näherbringt.
Ernst Weber erzählt uns seine Erinnerungen an Erwin Rohde. Fritz Mauthners
»Spinoza« und die Abhandlungen des russischen Philologen Thadäus Zielinski »Schön
Helena« und »Die sieben Todsünden«, die Ausführungen des Generals v. Scherff, »Vom
russisch-japanischen Krieg«, naturwissenschaftliche Arbeiten von Driesch , Lindemann,
Cohnheim etc., werden zahlreiche Leser finden.
Von Max Halbe ist »Die Insel der Seligen« zuerst in diesen Heften erschienen.
Unter den Erzählern der Südd. Monatsh. begegnen wir Namen wie Hermann Hesse (»In
der alten Sonne«), Ludwig Thoma, Ganghofer, J. C. Heer, Wilh. Fischer-Graz, u. a. m.
Mit Gedichten sind, um nur einige Poeten zu nennen, Cäsar Flaischlen, Adolf Frey, Emil
von Schönaich-Carolath vertreten.
Friedrich Naumann, unstreitig einer der hervorragendsten unter den volkswirt-
schaftlichen Schriftstellern unserer Tage, ist in jedem Hefte mit einem fesselnden Beitrag
zur Stelle.
In der »Rundschau« endlich erhalten anerkannte Autoritäten das Wort, um sich
über die staatlichen, sozialen, wissenschaftlichen, künstlerischen wie literarischen Zeit-
fragen zu äußern. HH.
Die Wandschmacksaminluiis: von Meisterwerken klassisciier Kunst. Heraus-
gegeben von der Gesellschaft zur Verbreitung klassischer Kunst, G. m. b. H. Berlin.
Vollendete Technik und künstlerische Ausführung wirken zusammen um diese
Kupferdruckblätter der Gesellschaft zur Verbreitung klassischer Kunst zu einem vor-
nehmen Zimmerschmuck zu machen. Der Preis, der sich je nach der Größe der Blätter
zwischen Ji. 20 und Ji. 2 bewegt, ist niedrig zu nennen. Die bisher erschienenen Num-
mern bringen Meisterwerke aus allen Epochen der Malerei zur Darstellung. W. J.
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Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1905
der
Mitteilungen aas dem germanischen Nationalmasenm.
Seite
Jörg Breu's Holzschnitte im Konstanzer Brevier von 1516. Von Alfred Hagel-
stange 3
Die Holzmöbel des Germanischen Museums. Von Dr. Hans Stegmann. Mit
2 Tafeln 18, 63
Die Originalzeichnung zum Holzschnitt Hans Sebald Beham. B. 149. Von Dr. Fritz
Traugott Schulz 39
Drei figürliche Holzschnitte von Peter Flötner. Von Dr. FritzTraugott Schulz 49
Eine Nürnberger Hauskapelle von Dr. Fritz Traugott Schulz. Mit 2 Tafeln . 57
Die Frühwerke der Holzplastik im Germanischen Nationalmuscum. Von Dr. W.
Josephi. Mit 2 Tafeln. . 89
Die Theophilus - Glocken. Glockenstudie von P. Liebeskind, Oberpfarrer in
München-Bernsdorf 153
Das von Bibra'sche Zimmer im Germanischen Museum. Von Dr. Fritz Traugott
Schulz. Mit 1 Tafel und 3 Abb 176
Literarische Besprechungen 43, 76, 145, 186
U C. Svbaid. Numbsrf.
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Mitteilungen aus dem germanischen Nationaimuseum. 1905. Taf. I.
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Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum. 1905. Taf. V.
PI. O. ^^. Kruzifix. Aus Köln. Erste Hälfte des 13. Jahrh. Höhe 220 cm.
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Mitteilungen
AUS DEM
Germanischen Nationalmuseum
HERAUSGEGEBEN
VOM DiRECTORIUM.
JAHRGANG 1906.
MIX ABBILDUNOEN.
NÜRNBERG
VERLAGSEIGENTÜM DES GERMANISCHEN MUSEUMS
1906.
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KOPTISCHE ALTERTÜMER
IM GERMANISCHEN NATIONALMUSEUM
VON
Dr. OTTO PELKA.
Vorbemerkung.
Die Zeiten sind hoffentlich für immer vorüber, für die als kaum an-
gefochtenes Dogma die Lehrmeinung galt, daß Rom, die politische Be-
herrscherin der Mittelmeerländer, auch auf dem Gebiete der Kunst tonangebende
Vormacht gewesen sei. Eine neue Zeit in der historischen Anschauung und
Betrachtung der abendländischen Kunstentwickelung seit Beginn der christ-
lichen Aera ist heraufgekommen. :>Es ist unzulässig, von einer römischen
Reichskunst zu sprechen und darunter eine Kunst zu verstehen, die, in Rom
ausgebildet, dann im Oriente die alte hellenistische Kunstübung verdrängt
und so die allgemeine breite Grundlage der christlichen Kunst geworden sein
soll. Wenn wir schon von einer römischen Reichskunst sprechen, dann ist
darunter die letzte Phase der hellenistischen Kunst zu verstehen, wobei Rom
nichts anderes als eines von mehreren Zentren ist und als solches gewiß auch
mit einer bestimmten Individualität ausgestattet war. Für die christliche
Kunst aber sind meines Erachtens schon in den ersten drei Jahrhunderten
gerade die alten orientalischen Großstädte des hellenistischen Kreises, vor
allem Alexandrien, Antiochien und Ephesus die Ausgangspunkte — nicht Rom
oder eine von Rom ausgehende Reichskunst« ^). Das war ein entschiedener
Schritt zu einem Bruch mit der bisher herrschenden traditionellen Ansicht
von Roms Einfluß. Strzygowski, dessen grundlegenden Forschungen wir diese
neue Erkenntnis verdanken, ging noch weiter. Die Denkmäler der Baukunst
gaben neue Aufschlüsse. »Marseille, Ravenna und Mailand bilden ein Boll-
werk, das den Norden von Rom abschließt und mit dem Oriente verbindet.
Dazu kommt die direkt von Ägypten, Syrien und Kleinasien auf den Norden
übergreifende Klostertradition. Die merowingische Zeit kennt nicht einen im
Einerlei der römischen T- Basilika befangenen Kirchenbau, den dann die
1) Strzygowski, Orient oder Rom. Leipzig 1901. S. 8.
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KOPTISCHE ALTBRTt3fliER IM UERMAN. NATIONALMÜSEÜM.
karolingisch-ottonisch- romanische Baukunst zu völlig neuen Formen führt,
sondern sie übermittelt in Gallien die reiche Mannigfaltigkeit der Bauformen
des eigentlichen und des hellenistischen Orients, sodaß die Typen der roma-
nischen Baukunst ganz direkt auf Ägypten, Syrien und Kleinasien zurückzu-
führen sind« ^). Was von der monumentalen Kunst, gilt auch vom Kunst-
handwerk. Für die Verbreitung orientalischen Einflusses wirkte hier noch
der tägliche Handelsverkehr mit. Damit kommen wir zur Beantwortung der
Frage nach der Berechtigung koptischer Denkmäler in einer Sammlung, der
die Produkte germanischer Kunst und Kultur aufzunehmen vornehmster Zweck
ist. Gerade die koptische Kunst »ist ein typischer Vertreter jener im Hinter-
lande der hellenistischen Küsten schon in antiker Zeit entstandenen Strö-
mungen, die dann in christlicher Zeit die Oberhand gewinnen, mit dem Mönchs-
tum auf das Abendland übergreifen und so die Grundlage unserer sogenannten
romanischen KuÄst werden« ').
Die Bestände der nachstehend verzeichneten kleinen Sammlung kop-
tischer Altertümer rühren fast ausschließlich aus dem Besitz Dr. Forrers in
Straßburg her. Mehr als Proben syro-ägyptischer Spätkunst konnten natur-
gemäß nicht Platz finden.
Eine genaue Datierung der einzelnen Fundstücke ist vorläufig noch nicht
durchführbar. Im allgemeinen verdanken sie ihre Entstehung dem 5. bis 7.
Jahrhundert.
Der Fundort der Mehrzahl ist nach der Angabe Dr. Forrers Achmim,
das alte Panopolis in Oberägypten.
Das Museum besitzt außer den hier beschriebenen Koptica noch eine
Anzahl koptischer Gewebe, die bereits publiziert sind *) und daher jetzt über-
gangen werden konnten. Ein syro-ägyptisches Räuchergefäß soll gesondert
veröffentlicht werden ^). Eine Elfenbeinpyxis derselben Provenienz wurde
bereits in den Mitteilungen, wenn auch mit unrichtiger Bestimmung ihrer
Herkunft, bekannt gemacht^).
2) Strzygowski, Kleinasien, ein Neuland der Kunstgeschichte. Leipzig 1903.
S. 230.
3) Catalogue g^ndral des Antiquitds Egyptiennes du Musde du Caire. Koptische
Kunst von Josef Strzygowski. Vienne 1904. S. XXIV.
4) Katalog der Gewebesammlung des Germanischen Nationalmuseums. I. Teil.
No. 6 ff.
5) Ein fast gleiches Exemplar im British Museum: Dal ton, Catalogue of Early
Christian Antiquities. London 1901. No. 540.
6) Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum. 1895. S. 20 ff. Mit Ab-
bildung. Die Pyxis gehört in die Nähe der von Strzygowski, Jahrbuch der Kgl. Preus-
sischen Kunstsammlungen. Bd. 25. 1904, S. 343 f. besprochenen Pyxiden. Auch sie ist dem
mesopotamischen Kunstkreise zuzuweisen. Bemerkt sei, daß das nach Strzygowski
der Comtesse Bdarn in Paris gehörende Exemplar sich jetzt in Berlin im Besitz des
Kaiser Friedrich-Museums befindet. Ich vermag nicht zu sagen, ob das in der ehemaligen
Sammlung Bourgeois in Köln befindliche Stück mit dem letztgenannten identisch ist.
Vergl.: Collection Bourgeois Fr^res. Katalog der Kunstsachen und Antiquitäten. Köln
1904. No. 1053 m. Abb.
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VON Dr. OTTO PELKA.
TON.
Lampen.
Es ist bis jetzt noch so wenig für eine Klassifizierung der antiken
Lampen, heidnischer sowohl wie christlicher, getan, daß jeder, der diese Geräte
einer bestimmten Sammlung zu bearbeiten hat, möge sie auch noch so wenig
umfangreich und den Typen nach eintönig sein, genötigt ist, einen eigenen
Typen-Kanon aufzustellen. Der Versuch von Fink (Sitzungsberichte der
philos.-philol. und der hist. Klasse der Münchener Akademie. Jahrg. 1900,
S. 685 ff.: »Formen und Stempel römischer Thonlampen.«), ein durchgehendes
Einteilungsprinzip aufzustellen auf Grund der Schnauzenform, ist wohl als
wenig gelungen zu bezeichnen. Der Schnabel ist das am wenigsten charak-
teristische Glied des Lampenkörpers; man wird also bei einer umfassenden
Bearbeitung der Lampen in erster Linie auf die Unterschiede in der Gestalt
des Körpers Gewicht legen müssen und erst als sekundäre Unterscheidungs-
merkmale Schnabelansatz und Griffform zu beachten haben.
I. Lampen mit einem Brenner.
Typus A:
Die Körperform ist fast eiförmig. Der Schnabel tritt als selbständiger Teil
etwas mehr hervor als im Typus D. Das Eingußloch befindet sich in
der Mitte des Diskus, der sich trichterartig senkt. Der Griff ist
durchlocht.
Ein Typus, der sich als provinzielle Eigentümlichkeit in Ägypten ausgebildet zu
haben scheint und, soweit das Material sich übersehen läßt, nur dort verwendet wurde.
Bemerkenswert ist die formale Abwandelung, die sich innerhalb der ganzen Gruppe
vollzogen hat. Die vermutlich auch der Zeit nach erste Form war noch, in An-
lehnung an antike Vorbilder, fast kreisrund (Abb. 1*): Berlin, Kaiser Friedrich-
Museum, Nr. 89 in Strzygowskis Inventar: aus Luksor); daraus entwickelte sich wohl
eine eiförmige (No. 1 ; F. G. 1666; Abb. 3) und aus dieser die letzte Variante mit birnen-
ähnlichem Körper (Abb. 2): Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, Nr. 79 in Strzygowskis
Inventar: aus Luksor.
Abb. 1: K. F.-M. No. 89. . Abb. 2: K. F.-M. No. 79.
♦) Die Direktion der genannten Sammlung gestattete in dankenswerterweise die Publi-
kation dieses und der anderen dort befindlichen Stücke, die wir im Folgenden zum Vergleiche
abbilden. Herrn Dr. Oskar Wulff bin ich für briefliche Auskunft zu Dank verpflichtet.
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KOPTISCHE ALTERTÜMER IM GERMAN. NATIONALMUSEUM.
1. (F. G. 1666.)*) Lampe. Rotbrauner Ton. L. 7,6 cm.
Henkel abgebrochen. Im Diskus, sowie zu beiden
Seiten der Dochtöflfnung Kreispunkte und fünflappige
gestielte Blätter. Auf dem flachgewölbten Rande
des Oberteils die Umschrift: H AHA COY | CANNA.
Datierung: 4. — 5. Jahrhundert.
Die erwähnte Heilige ist wohl die im Jahre 303 in
oder bei Oxyrhinchos hingerichtete Susanna. Vergl. Stadler,
Vollständiges Heiligenlexikon. Bd. IV, s. v. Marcellus 21. ^j^j, 3. j^^ i
Typus B:
Der Diskus ist fast kreisförmig gebildet und leicht sich nach innen vertiefend.
Der Schnabel wird deutlich abgesetzt. Der Griff wie bei Typus D.
2^ (F. G. 1670.) Lampe. Rötlichgelber Ton.
L. 9 cm.
Im Diskus ein gleichschenkliges Kreuz.
Auf jedem Arme eine Längsrille. Rings
herum auf dem horizontalen Rande ein
Blattkranz. Die gegenständigen Blätter
sind in roher Weise durch gestrichelte
Eindrücke angedeutet. Abb. 4:No.2.
Abb.: Forrer, Die frühchristlichen Altertümer aus dem Gräberfelde von Achmim-
Panopolis, Straßburg 1893. Taf. III, 1.
Typus C:
Der Körper ist vierseitig geformt. An zwei gegenüberliegenden Seiten Henkel-
griff und Schnabel. Der Schnabelteil setzt sich in ganzer Seitenbreite
an den Körper an, um sich verschmälernd in der Tülle zu enden. Das
Eingußloch ist dicht vor dem Henkelansatz angebracht. Der Diskus ist
nicht vertieft. Um beim Füllen ein Überfließen des Öles zu verhindern,
wird die Eingußöffnung mit einem kreisförmigen Steg umgeben.
3. (F. G. 1665.) Lampe. Rötlicher Ton. L. 11,8 cm.
Die etwas abgeschrägen Seiten des Oberteils
sind mit halbkreisförmigen Bogen ornamentiert.
Die Ölöffnung ist mit einem ziemlich flachen qua-
dratischen Steg und einem sich um diesen herum-
ziehenden, schärfer hervortretenden kreisförmigen
umgeben. In den Segmenten und den inneren Ecken
des Quadrates Kreispunkte. Zwischen Dochtöffhung
und Einguß ein gleichschenkliges Kreuz und größere
und kleinere Kreise.
Abb. 5r No. 3.
♦) Die Signaturen hinter den laufenden Nummern verweisen auf den handschrift-
lichen Museumskatalog: Frühchristliche und germanische Altertümer.
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VON Dr. OTTO PELKA.
Abb. 6: K. KM No. 124.
Typus D:
Körperumriß herzförmig; ohne besonderen Schnabelansatz. Brennöffnung
besteht in einem durch den Oberteil gedrückten Loch. Das ziemlich
große Eingußloch befindet sich ungefähr in der Mitte des Oberteils; es
wird von einem doppelten Steg umgeben, von denen der äußere sich
geradlinig bis zur Brennöfifnung fortsetzt, diese umschließend. Ob die
zwischen den Stegen liegende Rille den Zweck hat, einen Deckel als
Schutz für das Öl aufzunehmen, muß
dahingestellt bleiben, da solche nicht
gefunden wurden; wahrscheinlich diente
sie nur dazu, das überlaufende Öl der
Flamme wieder zuzuleiten.
I
Technik: Ober- und Unterteil, sowie
der als Handhabe dienende Dorn ge-
trennt geformt.
Die Datierung dieser Gruppe ergibt sich
aus den mit kuRschen Inschriften versehenen
Exemplaren, wie deren eines das berliner
Kaiser Friedrich-Museum besitzt (Nr. 124 in
Strzygowskis Inventar), s. Abb. 6.
4, (F. G. 1659.) Lampe. Gelblichgrauer Ton.
L. 10 cm.
Verzierung: Rankenmuster mit Trau-
ben in den kreisrunden Windungen. In
den Zwickeln kleine, aus drei, selten
vier Kreisen zusammengesetzte Blätter.
Sehr flaches Relief. Die Rinne von der
Einguß- zur Brennöfifnung ist mit dicht
aneinander gereihten Zickzacklinien ge-
mustert.— Datierung: Früharabisch.
5* (F. G. 1658.) Lampe. Ton von derselben
Färbung wie No. 4 (F. G. 1659). L. 9,7 cm.
Die ornamentale Verzierungdes Randes
ist in etwas unübersichtlicher Musterung
durch Traubenranken mit zwei Vögeln
zu Seiten der Dochtöfifnung und je zwei
Blättern am Griflf hergestellt. Die Rinne
zur Dochtöffnung hat vier Längsstege —
als Verzierung. — Datierung: Früh-
arabisch.
6» (F. G. 1672.) Lampe. Ein zweites kleines Exemplar
(L. 6,7 cm), hat annähernd dieselben Ornamente
und stammt vielleicht aus derselben Werkstatt. Die
Ablaufrinne ist wie bei No. 4 (F. G. 1659) orna-
mentiert. — Datierung: Früharabisch. Abb. O: No. 6.
Abb. 7: No. 4.
Abb. 8: No. 5.
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KOFl'ISCHE ALTERTÜMER IM GERMAN. NATIONALMUSEUM.
7. (F. G. 1660.) Lampe. Graugelber Ton.
L. 10 cm.
Von den drei voraufgehenden unter-
scheidet sich dieses Exemplar durch
eine etwas stärkere Wölbung des
Oberteils. Die Ornamentierung be-
steht aus Ranken mit dreilappigen
Blättern. In der Ablaufrinne zwischen
zwei Stegen vier auf die Spitze ge-
stellte Rauten. Die Reliefierung tritt
bei dieser Lampe am stärksten her- Abb. lO: No. 7.
vor. — Datierung: Früharabisch.
Typus E.
Rumpf annähernd kubisch, mit doppeltem Boden. Die Oberfläche hat über-
höhten Rand. In der Mitte, in einer wulstartigen Erhöhung die Ein-
gußöffhung. Der Schnabel ist mitten in der oberen Hälfte der Vorderfläche
angesetzt und tritt infolge des Fehlens
einer Vermittelung zwischen ihm und
dem Körper stark hervor. Die Ver-
bindung zwischen Einguß- und Docht-
öffnung wird durch die Fortsetzung
des Wulstes um den Einguß her-
gestellt. In einer Ecke eine Öffnung,
die in den unteren Hohlraum führt.
8. (F. G. 1674.) Lampe. Rotbrauner Ton,
H. 5,6 cm. L. 10,5 cm. Abb. ii:No. a
Äußerst rohe Arbeit.
Typus F.
Körper kreisrund; die Tülle ganz wenig
ausgebogen. Der Rand des Unter-
teils steht über; in dem leicht ge-
wölbten Oberteil eine kreisrunde Ein-
gußöffnung. Der Henkel geht vom
Rande des Oberteils bis zum Einguß.
Technik: Die drei Teile getrennt
geformt.
9., (F. G. 1663.) Lampe. Dunkelgraubrauner
Ton. L. 8,7 cm. Abb. 12: No. 9.
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VON Dr. OTTO PELKA.
II. Lampe mit mehreren Brennern.
10. (F. G. 1661.) Lampe. Rotgelber Ton.
Dm. 8,5 cm.
Umriß des Rumpfes ein Siebeneck; in
jeder Ecke eine Dochtöffnung. Über dem zen-
tralen Einguß wölbt sich der Henkel. Die flache
Oberfläche ist mit kleinen Knöpfen verziert;
darunter einzelne Buchstaben verstreut.
Technik: Rumpfaus einem Stück geformt;
der Henkel besonders angefügt.
Abb. 18: No. 10.
Menasfläschchen.
Eine Monographie über den hl. Menas steht zur Zeit noch aus. Daher
kann man auch vorderhand nicht den Ursachen einer ganz eigenartigen kunst-
geschichtlichen Erscheinung auf den Grund gehen, deren Erklärung, da die
monumentalen Zeugnisse keinen Anhalt geben, nur mit Hilfe literarischer
Quellen möglich sein wird. Von allen Erzeugnissen der christlichen Kunst
des Orients sind die Menasampullen im Abendlande am häufigsten anzutreffen.
Sie sind unverhältnismäßig zahlreicher als Pilgerandenken an die heiligen
Stätten in Palästina. Dieses massenhafte Vorkommen der Menasfläschchen
läßt sich, wie man ohne weiteres vermuten darf, nicht allein durch die Voraus-
setzung einer ausgebreiteten Verehrung des afrikanischen Wüstenheiligen im
Occident allein erklären; und noch weniger gerechtfertigt erscheint die An-
nahme, daß diese Terrakotten sämtlich von Pilgern nach Europa gebracht
wurden. Sollten sich nicht ägyptische, speziell alexandrinische Fabriken mit
dem Export eines so beliebten religiösen Modeartikels, wie es das Weihwasser
vom Grabe des Heiligen war, befaßt haben?
Von den zahlreichen Typen sind nur drei in der Sammlung vertreten.
11* (F. G. 1682.) MenasfläBchchen. Hellgrauer Ton.
Durchm. der Bildfläche 5,3 cm. H. 10,6 cm.
Der Heilige steht in der von einer Kreis-
linie eingeschlossenen Fläche als Orans, be-
kleidet mit dem Soldatenmantel und der bis
zu den Knieen geschürzten Tunica manicata.
Zu beiden Seiten des Kopfes zwei gleich-
schenkelige Kreuze, links und rechts von
ihm die zwei Kamele, von denen das linke
fast wie ein Baum aussieht. Die äußere Um-
randung der Bildfläche bilden Knöpfe, je
29 auf beiden Seiten. Die Kehrseite der Am-
pulle weist die gleiche Darstellung auf. ^^^- *'*• ^o. il.
Technik: Die beiden Hälften des Flaschenbauches sind einzeln ge-
formt und dann miteinander verbunden. Henkel und Hals sind roh
Mittoiliingen aas dorn ^erman. Nationalmusoiim. 1006.
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10 KOFnSGHfi ALTERTÜBfER IM 6ERMAN. NATIONALMUSEUM.
angefügt. Erh. : Relief stark abgerieben. Eine Seite eines Henkels
abgebrochen.
Aus der gleichen Form ist allem Anscheine nach hervorgegangen: Forrer,
Frühchristliche Altertümer, Taf. I, 2.
Gehört zu der von Strzygowski, Koptische Kunst*), S. 224 mit Haupttypus
bezeichneten Gruppe.
12. (F. G. 1684.) HenaBfläsohchen. Rotbrauner
Ton. Durchm. der Bildfläche 5 cm.
H. 9,4 cm.
Zu demselben Typus gehörend wie das
vorhergehende. Die Bildfläche wird von
einem geperlten Steg und einer Reihe ziem-
lich kleiner Knöpfe umrahmt. Die Kreuze
auf beiden Seiten des Kopfes bestehen aus
5 Perlen oder Knöpfen, von einigen kleineren
umgeben. Abb. 15: No. 12.
13. (F. G. 1683.) Menasfläsohohen. Brauner Ton.
Durchm. der Bildfläche 6,2 cm. H. 9,5 cm.
Auf der Vorderseite der Heilige in betender
Stellung, nur mit der gegürteten Tunika be-
kleidet; zu beiden Seiten des Kopfes zwei Kreuze
und zu den Seiten die zwei Kamele. Die Rück-
seite zeigt in einem Kreis von gegenständigen
Blättern auf einer runden Scheibe ein gleich-
schenkeliges Kreuz mit der Umschrift: TOI
AnOr MHNA. Das Relief ziemlich stark hervor-
tretend, daher Brust und Kopf des Heiligen
abgerieben. ^^^- ^^'- No. 13.
Stempel.
Mit Recht verwahrt sich Strzygowski, Koptische Kunst, S. 230 gegen
die Bezeichnung dieser in großen Mengen vorkommenden Ton- und Holz-
stempel als Weihbrotsiegel. Forrer, Frühchristliche Altertümer, S. 14 f. hat
diese Deutung aufgebracht. Allein die Bestimmtheit, mit der er seine Be-
hauptung aufstellt, steht im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Bedeutung. Wer
die Vorliebe der alten Christen für die Ausschmückung ihres Hausrates mit
symbolischen Zeichen und Bildern kennt, verwundert sich nicht weiter dar-
über, daß sie auch das tägliche Brot mit solchen Zeichen religiöser Art ver-
sahen. Man kann Forrer höchstens zugeben, daß die Möglichkeit vorliegt,
daß unter dieser ganzen großen Masse sich auch Weihbrotstempel befinden,
die für uns aber nicht mehr von den zu profanen Zwecken gebrauchten
unterscheidbar sind. Vor allem ist zu berücksichtigen, daß durchaus nicht
alle Brotstempel, wie Forrer ohne irgend einen Grund anzunehmen scheint,
christlichen Ursprunges sind.
*) Catalogue G^neSral des Antiquit^s Egyptiennes du Musde du Caire. Nos. 7001 — 7394
et 8742 — 9200. Koptische Kunst von Josef Strzygowski. Wien 1904.
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VON Dr. OTTO PELKA.
11
14. (F. G. 1703.) Stempel. Rötlichgelber Ton. Durchm. 7,7 cm.
Einseitig. Rund, mit Henkel auf der Rückseite. Im Felde ein Palm-
baum. Zu beiden Seiten des Stammes je fünf Dreiecke.
Abb.: Tafel 1,2.
15. (F. G. 1702.) Stempel. Gelbgrauer Ton. Durchm. 7,5 cm.
Einseitig. Rund, mit Henkel auf der Rückseite Im F'elde ein Palm-
baum, sehr rohe Arbeit. Am Anfang und auf beiden Seiten des Stammes
drei kreisförmige Vertiefungen. Am Stammende beschädigt.
Abb.: Tafel 1,1.
16. (F. G. 1701.) Stempel. Rötlichgelber Ton. Durchm. 6,5 cm.
Einseitig. Rund, Henkel abgebrochen. Im Felde ein Palmbaum mit
zwei sich abwärts biegenden Fruchtzweigen, an denen aus Dreiecken be-
stehende traubenförmige Gebilde hängen. Die Umrandung besteht aus
einem Zweige mit gegenständigen Blättern. Erhaben gearbeitet.
Abb. : Tafel I, 4.
17. (F. G. 1688.) Stempel. Rötlichgelber Ton. Durchm. 7 cm.
Einseitig. Rund, mit Henkel. Im Felde eine nach links springende Anti-
lope, vor ihr ein herzförmiges Blatt (oder Traube?). Erhaben gearbeitet.
Abb.: Tafel 1,3.
18* (F. G. 1699.) Stempel. Hellgrauer Ton. Durchm. 6,8 cm.
Einseitig. Rund, mit Henkel. Im Felde ein Vogel mit ausgebreiteten
Flügeln. Die Federn sind durch dreieckige Einschnitte angedeutet. Der
Rand eine vertiefte Kreislinie. Erhaben gearbeitet.
Abb.: Tafel 1.6.
Eine fast gleiche Parallele in Berlin, Kaiser Friedrich-Museum ; dort die Figur vertieft.
19. (F. G. 1696.) Stempel. Rötlichgrauer Ton. Durchm. 6,8 cm.
Einseitig. Henkel abgebrochen. In einem vertieften Kreise zwei in-
einander gestellte Dreiecke mit erhabenen Seiten. Das eingeschriebene
hat drei volle Dreiecke als Seitenansätze.
Abb.: Tafel 1,5.
20* (F. G. 1700.) Stempel. Gelblichgrauer Ton. Durchm. 6,7 cm.
Einseitig. Rund, mit Henkel. Im Felde ein palmettenähnliches Muster.
An den Außenseiten zwei Ranken. Das Innere der Palmette ist mit
Knopfpunkten ausgefüllt ; an der Spitze ein Querband, in der Mitte eine
vierseitige größere Erhöhung. Erhabene Arbeit.
Abb.: Tafel II. 2.
Ein fast gleiches Ornament: Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, Nr. 11 in Strzy-
gowskis Inventar; nur daß dort durch eine kleine Änderung in der Linienführung
aus der Palmette ein Fisch geworden ist.
21. (F. G. 1705.) Stempel. Rotbrauner Ton. Durchm. a) 7,2 cm, b) 6,3cm, H.6,1 cm.
Doppelseitig. Rund, am Rande eingeschnürt. Auf der einen Seite ein
sog. griechisches Kreuz mit X. Die Einfassung bildet ein Steg mit Zickzack-
linien. Die Gegenseite enthält in glatter Umrahmung dasselbe Monogramm ;
nur reichen hier die vier Arme des X nicht bis zum Mittelpunkt.
Abb. : Tafel II, 1.
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12 KOPl'ISCHE ALTERTÜMER IM GERMAN. NATIONALMUSEÜM.
22. (F. G 1695.) Stempel. Gelbbrauner Ton. Durchm. 7,6 cm.
Einseitig. Rund, mit Henkelrest. In dem durch einen erhöhten Rand
umschlossenen Felde ein nach* links ausschreitender Greif.
Abb. : Tafel II, 4.
23. (F. G. 1697.) Stempel. Grauer Ton. Durchm. 7,7 cm.
Einseitig. Rund, Henkel abgebrochen. Erhöhter Rand, im Felde
zwei Fische, nach der gleichen Seite gerichtet. Körper und Schwanz
fast von dreieckiger Bildung. Der Schwanz scharf vom Leib getrennt.
Die Rücken- und Bauchflossen aus nebeneinander gelegten kleinen Drei-
ecken gebildet.
Abb.: Tafel 11,3.
24. (F. G. 1698.) Stempel. Dunkel-
rotbrauner Ton. Durchmesser
15.4 cm.
Einseitig, mit voller Hand-
habe. Muster vertieft. Um
einen Mittelkreis drei konzen-
trische Ringe. Im ersteren
ein achtstrahliger Stern; der
sich anschließende kleinste Ring
hat eine Reihe radial gestellter,
ovaler Stäbchen; es folgt ein
Bandornament und am Außen-
rande ein Zahnradmuster.
Eine gleiche Umrahmung ovaler j^^^ 17- No 24
Bossen wie hier in dem kleinsten
Ringe auf einem Stempel in Kairo
aus älterer Zeit. Vgl. Strzygowski,
Koptische Kunst, S. 230, No. 8985.
25. (F. G. 1704.) Stempel. Gelb-
lichgrauer Ton. Durchmesser
14.5 cm. H. 6,4 cm.
Einseitig mit konischerHand-
habe. Das Feld ist vielfach
durch erhabene Stege quadriert.
In jedem Quadrate ein ver-
tieftes Kreuz. Auf dem Griff
ein roh eingeschnittenes Kreuz;
zwischen zwei Armen des-
selben ein kleineres, sorgfältiger
gepreßtes.
Dieselbe Musterung kehrt auf ^^^ jg. jj^, 25.
einem Holzstempel in Kairo wieder.
Strzygowski , Koptische Kunst ,
S. 139, Nr. 8807.
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VON Dr. OTTO PELKA.
13
26. (F. G. 1706.) JStempel. Grauer
Ton. Durchm. 9,7 cm. H. 5,4 cm.
Einseitig mit zylindrischem
Griff. In der Mitte des Feldes
ein vertieftes Kreuz. Zwischen
den Armen weniger tiefe Drei-
ecke mit runden Ausladungen
an den Ecken. Die Umrandung
bildet eine Zickzacklinie, in der
Mitte jedes der entstehenden
Dreiecke eine kreisförmige Ver-
tiefung.
Das gleiche Randornament findet
sich in der syrischen Rabula-Hand-
Schrift (geschrieben im Jahre 586)
an einem der Kanonesbögen. Vgl.
Venturi, Storia dell' Arte Italiana I. Abb. 19: No. 26.
S. 163, Fig. 153.
Tonscheiben.
27» (F. G. 1686.) Tonscheibe von hellroter Farbe. Durchm. 5,4 cm.
Christus oder ein Heiliger, bartlos mit Nimbus in Vordersicht. Die
Linke hält ein Stabkreuz, die Rechte ist segnend (im Redegestus?) er-
hoben. Seine Kleidung besteht aus der geschürzten langärmligen Tunika
und dem Pallium. Die Partie von den Knieen abwärts abgebrochen.
Der Scheibenrand gezackt.
Abb.: Tafel n,6.
28, (F. G. 1685.) Tonscheibe von rotbrauner Färbung. Durchm. 5 cm.
Die obere Schicht zum Teil abgeblättert; erhalten nur die rechte
Seite mit dem Rest einer weiblichen (?) Büste.
Abb. : Tafel II, 5.
Gefäße.
29. (F. G. 1675.) Vase. Gelber Ton. H. 12 cm.
Vor dem Brand bemalt. Die Ausbauchung trägt
einen Bildstreifen. Man erkennt zwei weibliche Büsten
in sehr schematischer Zeichnung und die Jagd eines
Löwen auf eine Gazelle. Die Mähne des Löwen sieht
aus wie aus dreieckigen Lappen zusammengenäht. Die
Zeichnung der Löwenmähne ist charakteristisch für
die spätere koptische Kunst; sie wiederholt sich auf |
Denkmälern, besonders auf Reliefs, deren sonstige
Ausführung auf technisch höherer Stufe steht*). Um
den Hals laufen zwei sich schneidende Zickzacklinien ;
in den durch die Kreuzungen entstehenden Rauten
Doppelkreise, in den Dreiecken Halbkreise. Die
, . ^ . , . 1. ,. , 1 AM». 20: No. 29.
schwarzbraune Zeichnung ist gelblichrot untermalt.
♦) Strzygowski, Koptische Kunst, S. 154, No. 72.
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14 KOPTISCHE ALTERTCMKR IM GERMAN. NATIONALMÜSEUM.
(F. G. 1676) Vase aus rotbraunem Ton. H. 13,5 cm.
Die Bemalung ist, was die Zahl der verwendeten Farben anlangt,
reichhaltig: rosa, grün, schwarz, weiß; die Musterung dagegen sehr ein-
fach; sie besteht nur in drei Rundstreifen am Halsrandansatz und an
der Stelle, wo die Bauchung am weitesten ist; an dieser selbst vier von
Punktreihen umrahmte Trapeze.
Abb. 2L': No. 30.
METALL.
Räuchergefäße.
Strzygowski, Koptische Kunst, S. 290 unterscheidet »eine reichere Form
mit hohem Fuß und Deckel an einer Kette und eine gewöhnliche Form mit
niedrigem Fuß, ohne Deckel und drei Ketten.« Diese Unterscheidung dürfte
m. E. zu wenig präzis sein. Es wird als spezifisches Merkmal hingestellt, was
nur nebensächlich ist. Das Charakteristische für einen Typus ist nicht die
Art der Aufhängung, ob an einer oder drei Ketten. Das Ausschlaggebende
bei einer solchen Klassifizierung müßte doch wohl die Form des Rauchfasses
sein. Da entstehen nun allerdings mehr Typen, als Strzygowski annimmt,
aber auch so sind sie »leicht auseinanderzuhalten«.
Es ergibt sich also, wenn man die Kettenzahl unberücksichtigt läßt,
folgende Gruppierung:
I) Eine kelchartige Form mit hohem Fuß und konischem Deckel mit
Bekrönung an einer oder seltener drei Ketten.
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VON Dr. OTTO PELKA.
15
II) Eine niedrige Form von zylindrischem Aufbau mit niedrigen Füßen
ohne Deckel mit drei Ketten.
III) Die gleiche Form von polygonalem Umriß an drei Ketten.
IV) Eine umen- oder vasenähnliche Form auf einem Dreifuß, ebenfalls
ohne Deckel und an drei Ketten hangend.
Strzygowski, a. a. O., S. 281 und S. 284 anerkennt nur die Teilung der
Räuchergefaße an Ketten in solche mit hohem Fuß und Deckel an einer Kette
und in solche niedrigem Fuß an drei Ketten ohne Deckel. Ohne er-
sichtlichen Grund schließt Strzygowski die von ihm als Feuerbecken bezeich-
neten Dreifüße von den Räuchergefaßen aus. Sie gehören eng an diese
Klasse. — Von den genannten Typen ist nur der erste und dritte in unserer
Sammlung vertreten.
31* (F. G. 1385.) Rauchfaß. Bronze, grün.
H. 18,5 cm. Länge der Ketten 21 cm.
Durchmesser des Beckens 9 cm, des
Fußes 7 cm. — Datierung: 5. — 6. Jahr-
hundert. — Typus I.
Einfachste Form dieses Typus. Der
Bauch des Gefäßes ist halbkugelig, der
Fuß konisch. Die einzige Verzierung
besteht in zwei doppelten Kreislinien am
Bauch und einer solchen am Fuß. Der
mittels eines Scharniers am Unterteile
befestigte Deckel sitzt auf dessen senk-
rechtem Rande auf. Die konische Grund-
form wird durch einige Profilierungen
unterbrochen. Die Löcher für den ab-
ziehenden Rauch sind anscheinend nach
dem Guß gebohrt. Drei Ketten.
Techn. : Gegossen.
Erh.: Der Deckel am Scharnier ge-
brochen. Vollständig patiniert.
Abb.: Forrer, Frühchristliche Altertümer,
Taf. VI, 5. 5 a.
Strzygowski, a. a. O., No. 9108. S. 281 be-
streitet die ägyptische Herkunft dieses Rauch-
fasses, weil der Typus sonst dort nicht zu be-
legen sei. Nach einer brieflichen Mitteilung von
Dr. R. Forrer in Straßburg ist es von seinem
Achmim-Agenten in Kairo gekauft. Wie schon
bemerkt, scheint mir die Zahl der Ketten ziem-
lich belanglos. Der Typus dieses Gefäßes ist
derselbe wie der von No. 9108 bei Strzygowski.
IT UV nv u u e ' u • Abb. 22: No. 31.
Um schließlich noch auf eme, wenn auch genng-
fügige Obereinstimmung aufmerksam zu machen, so sei auf die gleiche Form der
Verschlußhaken des Deckels bei beiden Exemplaren hingewiesen.
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16 KOFnSCHE ALTERTÜMER IM GERMAN. NATIONALMÜSEÜM.
32. (F. G. 1384.) Rauchfaß. Kupfer.
H. 6,7 cm. Durchm. in der Achse
des Sechsecks mit Rand 11,2 cm.
Länge der Ketten mit Haken 20 cm.
— Datierung: 5. — 7. Jahrhundert. —
Typus III.
Der rechtwinkelig umgebogene
Rand ist leicht geschweift. Die
sechs Seiten sowie der Boden tragen
ein aus konzentrischen Kreisen be-
stehendes Ornament. Den drei
konischen Füßen entsprechen auf
dem Rande drei kreisförmige Ösen.
Techn. : Gegossen.
Erh.: Eine Kette ist modern;
vielleicht auch der Haken einer
andern.
Abb.: Forrer, Frühchr. Altertümer,
Taf. VI, 4, 4 a.
Vgl. ähnliche Form: Strzygowski, Kopt.
Kunst, No. 9116, S. 283 u. Berlin, Kaiser
Friedrich-Museum.
Parfümfläschchen.
33. (F. G. 1730.) Bronze, grün. H. 8,8 cm.
Auf dem runden Bauch sieben
rundbogige Arkadenöfifnungen, deren
Architekturen sich stark vom Unter-
grunde abheben. Die Säulenkapitäle
springen zapfenähnlich vor. Der
zylindrische Hals ist ohne Profilierung.
Unter dem leicht umgebogenen
Rande zwei kreisrunde Henkel.
Techn. : Gegossen.
Erh. : Ein Henkel und Teile des
Fußes abgebrochen. Stark patiniert.
Ähnl. Exempl. vgl. Strzygowski, a. a.
O., No. 9096, S. 276 f.
Abb. 23: No. 32
Abb. 2i: No. 33.
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VON Dr. OTTO PELKA. 17
Bronze-Lampen.
Strzygowski ordnet die Lampen nach ihrer Verwendung. Er teilt in-
folgedessen ein in Hängelampen und in Lampen, die auf Ständer steckbar
sind. Schon oben habe ich mich gegen eine ähnliche Einteilung ausgesprochen.
Man muß vielmehr die Formentypen herzustellen suchen. Zwar macht Strzy-
gowski S. 289 einen Versuch, zu einer solchen Typenscheidung zu gelangen.
Indes bleibt bei seiner Betonung des Griflfes als unterscheidenden Merkmales
die Form des Lampenkörpers als des Haupteiles unberücksichtigt. Wie schon
bei den Tonlampen bemerkt, muß aber vor allem darauf Gewicht gelegt
werden, durch eine Analysierung der Gesamtform zu einer Präzisierung der
Typen und einer erschöpfenden Klarlegung der in dem ungeheuren Material
sich darbietenden Typenentwickelung zu gelangen. Die rein nach antiquarischen
und archäologischen Normen bisher fast ausschließlich erfolgte Sonderung hat
einer Betrachtungsweise Platz zu machen, die nach der Seite der, wenn man
bei diesen Handwerksprodukten so sagen darf, stilistischen Entwickelung hin
zu einem letzten Resultat zu kommen sucht.
Bei der geringen Zahl von vollständig erhaltenen Lampen in unserer Samm-
lung kann von einer Typenteilung selbstverständlich keine Rede sein. Abgesehen
von einer armenischen Lampe, die später veröflfentlicht werden soll, besitzt das
Museum eigentlich nur zwei ganze Lampen, die beiden übrigen sind nur teilweise
alt, und gerade das Charakteristische, nämlich der Körper, ist bei ihnen ergänzt.
34* (F. G. 1656.) Lampe aus heller Bronze mit flachem Fuß. Durchmesser
des Brenners 1,3 cm. Gesamtl. 9,2 cm. H. mit Aufsatz 4 cm.
Der kreisrunde Körper geht allmählich in den Schnabel über. Der
Griff ist mit dem halbmondförmigen Aufsatz verbunden. Am Übergang
von Diskus und Brenner zwei kleine Ösen. Eine dritte war vielleicht
in dem Loch in der Mitte des Halbmonds eingenietet. Die Taube, die auf der
Forrerschen Zeichnung in dem Loch be-
festigt erscheint, gehörte ursprünglich jeden-
falls nicht dazu; sie ist von dunklerem
Material. Die rundeEingußöflfnung(Durchm.
2,2 cm) hat einen leicht geneigten, mit Kreis-
linie umschriebenen Rand.
Abb. 25: Nr. 84.
Tech.: Gegossen. Erh.: Am Einguß verbeult. Schwache Patina.
Abb.: Forrer, Frühchristliche Altertümer, Tafel VII, 4.
35* (F. G. 1654.) Lampe. Dunkle Bronze. H. mit
Aufsatz 7,2 cm. L. 10 cm. Br. 6 cm.
Diskus kreisrund, am Übergang zum
Brenner zwei runde Ansätze. Der Hals
durch zwei Voluten stark eingeschnürt. In
der Mitte des Diskus um eine mittlere drei
kleinere Eingußöflfnungen, ringsherum ein
erhöhter Wulst. Am Boden das Loch für
die Hülse des Aufsteckdornes. Ein Wein- Abb. 26: No. 86.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmnseum. 1906. 3
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IS KOFflSCHK ALTERTÜMER IM 6ERMAN. NATION ALMÜSEUM.
blatt bildet den Aufsatz. Die Lappen des Blattes sind durch runde
Vertiefungen und von dort zum Rande gehende, eingehauene Kerbe
angedeutet. Der gebogene Henkel geht vom Rande des Diskus nach
dem Rücken des Blattes. Dieses, sowie der äußere Rand des Diskus
und die vier Ansätze mit Kreispunkten verziert.
Tech.: Gegossen. Erh. : Hülse des Aufsteckdomes ausgebrochen,
desgleichen der obere Lappen des Weinblattes. Vollständig patiniert.
Teile von Lampen.
36. (F. G. 1657.) Aufsatz mit Griff. Bronze. H. 8,4 cm. Br. 5,7 cm.
Rechteckiger Rahmen mit kreisförmig ausladenden Ecken. In der
Mitte der oberen Seite eine dreieckige, durchbohrte Erhöhung. Das
Innere durch ein sog. lateinisches Kreuz mit runden
Ausladungen an den Balkenenden ausgefüllt. Die
Vorderseite mit Kreuzpunkten geziert. Auf der
hinteren Seite ein einfacher Henkel aus Bronzedraht.
Tech.: Gegossen. Erh.: Vollständig patiniert.
37. (F. G. 1657.) Runder Lampenfnß. Bronze. H. 1,6cm.
Durchm. unten 7,2 cm, oben 3,5 cm.
Profiliert. Die Standfläche mit kreisförmigen
Rillen versehen, denen auf dem Lampenständer
hineinpassende Wulste entsprachen.
Der Aufsatz und der Fuß sind jetzt durch einen
modernen Lampenkörper zu einem Stück verbunden;
ob sie ursprünglich zusammengehört haben, ist
nicht festzustellen, aber nicht sehr wahrscheinlich,
da die Bronzelegierung bei beiden verschiedene
Färbung zeigt. Abb. 27: No. 3ß,t87.i
Techn. : Gegossen.
Abb.: Forrer, a. a. O., Taf. VI, 2. 2a. Erwähnt von Strzygowski, a. a. O.,
S. 291 oben.
38* (F. G. 1652.) Aufsatz
mit Griflf. Bronze. H.
des Griffes 8,5 cm.
Kreuz mit ausladen-
den kreisförmigen An-
sätzen. Der Deckel mit
einem Gorgoneion gehör-
te ursprünglich nicht hin-
zu ; der Lampenkörper ist
eine moderne Ergänzung.
Techn. : Gegossen.
39. (F. G. 1740.) Griff einer
Lampe (oder eines Ge-
fäßes). Bronze. H. 6,5 cm. Abb. 28: No. 38. ""^^ Abb. 29: No. 39.
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VON Dr. OTTO PELKA.
19
Herzförmig gebogen. Auf dem oberen Rande zwei Vögel (Tauben?)
von sehr primitiver Form. L. und r. von ihnen wachsen aus der Ranke
zwei auf der Oberfläche ziselierte Blätter heraus.
Techn. : Gegossen.
Ohrringe.
Von den fünf hauptsächlich vorkommenden Typen der in koptischer
Zeit in Ägypten üblichen Ohrringformen sind in unserer Sammlung nur drei
vertreten. Leider fehlt der christliche Haupttypus, ein Halbmond, dessen
Enden sich als Tragreif oder Bügel fortsetzen, gänzlich. Vgl. Dalton, Cata-
logue of Early Christian Antiquities and Objects from the Christian East.
London 190L No. 275, 276, 277. — Die Aufzählung der Typen bei Strzy-
gowski, a. a. O., S. 333 f., dem ich mich anschließe.
40, (F. G. 1836.) Ohrring. Goldbronze. Durchmesser der Scheibe 6,2 cm, des
Ringes 3,4 cm.
Drei konzentrische Drähte umschließen nach innen gerichtete Pal-
mettenfolgen, die mit Blei aneinander gelötet sind. Der äußere Rand
ist gezahnt. In den Zwickeln, wo der eigentliche Ohrring mit dem Ge-
hänge zusammenstößt, zwei auf Lötplättchen befestigte Kreise.
NachStrzygowski,a. a.O.,S.333 zu Typus II der in Ägypten vorkommenden Ohrring-
formen gehörend.
Abb. 80: No. 40.
41. (F. G. 1791.) Ohrring. Goldbronze. Durchm. des Kreises
mit Kreuz 3,4 cm, des Ringes 2,3 cm.
Zwei aneinander gelötete Ringe, von denen der äußere
wie bei No. 40 (F. G. 1836) gezahnt ist, umschließen
ein an den Enden nach außen umgerolltes Kreuz. In
den Zwickeln ebenso wie bei No. 40 zwei Kreise.
Auch hier verbinden zwei Lötplättchen die beiden Ringe.
Abb.: Forrer, a. a. O., Taf. X, 20. Nach Strzygowski Typus IL
Abb. 31: No. 41.
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20
KOPTISCHE ALTERTÜMER IM GERMAN. NATIONALMUSEUM.
Abb. 32: No. 42
Abb. 33: No. 48
42. (F. G. 1837.) Ohrring. Goldbronze. Durchm. des Kreuz-
ringes 2,6 cm, des oberen Ringes 1,9 cm.
In einem etwas breiteren Ring steht ein Kreuz von der
gleichen Form wie bei No. 41. Tragring und Zierscheibe
aus einem Stück geschnitten.
Nach Strzygowski Typus 11.
43. (F. G. 1792.) Ohrring. Goldbronze. Durchm. 2,2 cm.
Nur die Zierscheibe mit dem Kreuz erhalten. Der Trag-
ring aus der Lötung gelöst; vorhanden sind noch die zwei
Lötscheiben.
Techn. : Das Stück ist nicht wie No. 41 u. 44 in Filigran-
technik hergestellt, sondern geschnitten.
Abb. : Forrer, a. a. O., Taf. X, 19. Nach Strzygowski Typus IL
44. (F. G. 1805.) Ohrring. Silber. Durchm. der Zierscheibe 2,4 cm.
Das Muster ließe sich etwa folgenderweise auflösen: Ein Kreuz mit
umgerollten Enden. Bei den beiden Hälften des Längsbalkens sind die
zwei Drähte, aus denen er besteht, völlig aneinander ge-
lötet, während die beiden horizontalen Arme sich öflfnen.
Zwischen den Armen, von der Mitte ausgehend, nach
derselben Richtung sich umrollende Einzelstäbe. Auf
dem Ganzen, die Hauptpunkte des Kreuzes hervorzu-
heben, fünf Buckel. Tragring mit Haken; die Öse an der
Zierscheibe angelötet.
Nach Strzygowski Typus 11. Abb. 84: No. 44.
45* (F. G. 1794.) Ohrring. Bronze. Durchm. 5 cm.
Reif aus ziemlich starkem Bronzedraht (Durchm.
3 mm) mit aufgesteckter Trommel in Filigran.
Gehört zu der von Strzygowski als III. Typus bezeich-
neten Gruppe; vergl. Strzygowski, a. a. O., S. 334,.
Nr. 7034—7038, 7042.
46. (F. G. 1793.) Ohrring. Silber. Durchm. 4 cm.
Breite des Querstreifens 0,6 cm. Höhe der Pal-
mette 0,5 cm.
Ring aus rundem Silberdraht mit zwei Haken
zu schließen. In der unteren Hälfte ein Querband
mit mäanderartigem Muster zwischen zwei ge-
drehten Leisten. Darunter aus flachem Draht eine
Palmette mit geperlter Dreiecksumrahmung, von
der nur noch drei Teile erhalten sind. Die Füllung
der Palmette bildet eine mit Draht befestigte Perle
oder ein Glasfluß.
Abb 85 : No. 45.
Nach Strzygowski : Typus V; vgl. Strzyogwski, S. 335,
No. 7040. Die Einfassung der Palmette dort ohne die
dreieckigen Verzierungen.
Abb. 36: No. 46.
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VON DR OTTO PELKA.
21
Gewichte.
47. (F. G. 1747.) Gewicht. Weibliche Büste (Athene ?). Bronze. Höhe 14,5 cm.
Gewicht 1500 g.
In der Mitte des Brustpanzers ein Gorgoneion. Eine Art Schuppen-
panzer bedeckt den Rücken ; die halbkreisförmigen Schuppen sind stei-
gend angeordnet ; ihre Vernietung wird durch Punktierungen angedeutet.
Der Kopf ist durch einen Helm geschützt, an dessen linker Nacken-
seite ein punktiertes N eingeschlagen ist. An der Spitze des Helm-
bügels eine Öse für den jetzt fehlenden Haken. Das Innere der Büste
ist hohl; der ursprüngliche Bleiausguß ist an dem noch in der Höhlung
vorhandenen Bleioxyd zu erkennen.
48* (F. G. 1037.) Gewicht. Männliche (?) Büste. Bronze. Höhe 17 cm. Ge-
wicht 2400 g.
Die Gewandung besteht anscheinend aus zwei Tuniken, von denen die
äußere durch einen Ausschnitt am Halse die untere sehen läßt. Auf
dem Obergewand vor der Brust ein Kreuz. Der Helm ist etwas aus
der Stirn gerückt, so daß das kurze, nach vorn gekämmte Haar sicht-
bar wird. Der Helmbügel geht auffallend weit in den Nacken herunter.
An der Spitze des Bügels wie bei dem vorangehenden Stück eine Öse,
für den hier erhaltenen s- förmig gebogenen Haken. Das Innere ist mit
einem verbleiten Marmorkern ausgefüllt.
Abb. 37: No. 47. Abb. 38: No. 48.
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22 KOPTISCHE ALTERTÜlfER IM 6ERMAN. NATIONALMUSEUM.
49. (F. G. 1759. Gewicht. Bronze. Gr. 4 x 4 cm. Dicke 1 cm. Gew. 152 g.
Quadratisch. Auf der Oberseite in orna-
mentierter Kreisumfassung zu beiden Seiten
eines lateinischen Kreuzes: FS f= sechs Unzen).
Die Zeichnung nur leicht vertieft. Die Buch-
staben, sowie das Kreuz tragen in der Mitte den
Umrissen entsprechende , tiefer geschlagene
Linien, die ursprünglich eine rote Emailfüllung
aufnahmen, von der unbedeutende Spuren noch
vorhanden sind.
Ähnliche Formen mit gleicher Gewichtsbezeichnung im British Museum: Vgl.
Dalton, Catalogue, No. 480, 481. Desgl. in Paris: Vgl. Babelon et Blanchet, Cata-
logue des bronzes antiques de la Biblioth^que Nationale. Paris 1895. S. 693,
No. 2268, 2269. Dasselbe Gewichtstück aus Eisen in Spalato, Museum: No. 2582.
Vgl. Kubitschek: »Gewichtstücke aus Dalmatien« in: Archäologisch-epigraphische
Mitteilungen aus Österreich-Ungarn. XV. 1892. S. 89. .
Tierfiguren.
50- (F. G. 1769.) Antilope. Bronze.
H. 8 cm. L. 7 cm.
Stehend, die Hinterbeine sind
jetzt nach vorn gekrümmt. Am
Bauch und Hals Einschnitte als An-
deutung der Rippen und Halsmus-
keln. Rohe Arbeit.
51* (F. G. 1768.) Schaf. Bronze. L.3cm.
H. 3 cm.
Auffallend die charakteristische
Bildung des Kopfes. Der Leib
durchlocht.
52* (F. G. 1765.) Hase. Bronze. L. 4,6cm.
H. mit Stiel 4,4 cm."
Flaches Relief. Ungeschickte Mo-
dellierung. Auf keilförmigem Stiel ^^^- ^^- ^^- ^•
befestigt.
Abb. 41: No. 51 Abb. 42: No. 52,
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VON Dr. O'lTü PELKA.
23
58. (F. G. 1656.) Taube. Bronze. H. 2,8 cm. L. 3,6 cm.
Ohne Füße; vermutlich von einer Lampe oder einem Gefäß her-
rührend.
54. (F. G. 1767.) Vogel. (Auer- oder Birkhahn.) Kupfer. H. 3,4 cm. L.6cm.
Auf einem vom zugespitzten Aufsatz stehend. Das Bohrloch am
Ende ist anscheinend nicht gleichzeitig. Der Kopf mit den beiden
Hautlappen von sehr lebendiger Auffassung.
55. (F. G. 1766.) Hahn. Blei. H. 3 cm. L. 3,1 cm.
Die beiden Hälften einzeln gegossen, hohl. Die Flügelfedern durch
Linien angedeutet. Die Beine und ein Teil des Körpers abgebrochen.
Abb. 48: No. 5a
Abb. 44: No. 54.
Kreuze.
Abb. 45: No. 55.
56. (F. G. 1781.) Kreuz. Bronze. L. 3,6 cm. Br. 3,1 cm.
Mit fast gleichlangen, wenig ausladenden Armen. In der Mitte als einzige
Verzierung ein Kreispunkt. Der Längsbalken ist am oberen Ende durchlocht.
Abb. : Forrer, a. a. O., S. 18, Fig. 13.
57. (F. G. 1818.) Kreuz. Bronze. L. 2,9 cm. Br. 3 cm.
Aus fünf übereck gestellten Quadraten zusammengesetzt. Auf der
Rückseite werden zwei Nieten sichtbar.
Abb.: Forrer, a. a. O., Taf. X, 14.
58* (F. G. 1785.) Kreuz. Bronze. L. 3,1 cm. Br. 1,6 cm.
Dreigeteilte Armenden. An der Spitze sitzen auf einer schmalen
Querleiste einander zugekehrt zwei Tauben.
Abb. : Forrer, a. a. O., Taf X, 13.
59* (F. G. 1783.) Kreuz. Blei. L. 4,4 cm. Br. 3 cm.
Sog. griechische Form mit gering ausladenden Armen. Die Vorder-
und Rückseite weisen knopfartige Verzierungen in symmetrischer An-
ordnung auf. Am oberen Ende eine Öse.
Abb. 46: No. 56.
Abb. 47: No. 57.
Abb. 48: No. 58.
Abb. 49: No. 59.
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24 KOPTISCHE ALTERTCMBR IM GERMAN. NATIONALMÜSEUM.
60* (F. G. 1820.) Vortragkreuz. Vergoldetes Kupferblech. L. 42,7 cm.
Breite 33,5 cm.
Die Arme leicht geschweift, an ihren Ecken bei dreien kreisförmige
Ansätze; der Längsbalken in seinem unteren Ende rundet sich bim-
förmig ab, um dann in einen breiten Ansatz überzugehen, der zur Be-
festigung in dem hölzernen Tragstabe diente. Es finden sich noch
Spuren eines zementartigen Bindemittels an dieser Stelle vor. Die Kreuz-
mitte ist auf beiden Seiten mit vier konzentrischen Doppelkreisen ver-
ziert. An dem unteren Rande des Querbalkens sind zu jeder Seite drei
Löcher angebracht; sie dienten dazu, kleinere an Ringen hangende
Kreuzchen aufzunehmen, von denen noch zwei und ein einzelner Ring
erhalten sind.
Das Kaiser Friedrich-Museum in Berlin besitzt ein fast gleiches Stück.
Abb. 50: No. GO.
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VON Dr. OTTO PELKA.
25
Varia.
61. 62* 63* (F. G. 1771, 1772, 1773.) Drei Hände.
2. L. 5,5 cm. 3. L. 3,5 cm.
Bronze. 1. L. 6 cm.
Wohl als Amulette anzusprechen.
Fingerstellung, die dem sogenannten
lateinischen Segensgestus entspricht.
Über der Wurzel wird ein Stück des
Ärmels sichtbar, dessen Falten durch
vertiefte Einschnitte angedeutet sind.
Die beiden kleineren Hände sind von
ziemlich schematischer Arbeit; während
die fünf Finger der kleinsten, die aus
Bronzeblech anscheinend geschnitten
wurde, in der Größe fast unterschieds-
los sind, finden sich bei der größeren,
abgesehen von dem zu groß geraten
abgespreizten Daumen, ungefähr richtig
beobachtete Verhältnisse.
Die größte von ihnen zeigt eine
Abb. 51: Abb 52: No. 62. Abb.58: No.68.
No. 61.
64. (F. G. 1778.) Bekrönnng eines (eucharistischen ?) Gefäßes. Bronze.
H. 7 cm.
Auf einer von vier Säulchen getragenen Kuppel eine Taube mit aus-
gebreiteten Flügeln, auf ihrem Kopfe ein gleicharmiges Kreuz. Das
Ganze ruht auf einer qua-
dratischen Platte, an der ein
einmal abgesetzter Zapfen
befestigt ist.
65* (F. G. 1774.) Anker. Blei.
H. 6,2 cm.
Wohl als Totenbeigabe
verwendet, wie daraus her-
vorgeht, daß der Querbalken
senkrecht zu dem Unterteil
gestellt ist; für Lebende wäre
ein solcher Anhänger unbe-
quem zu tragen.
Abb.: Forrer, a. a. O., S. 17,
Fig. 2.
66, (F. G. 1796.) Säule. Bronze.
II 9 Qm Abb. 54: No. 64. Abb. 55: No. 65. Abb. 56: No. 66.
Über einer als Basis gedachten, flachen, runden Scheibe ein spiralig
kanellierter Schaft mit korinthisierendem Kapitell. An beiden Enden
zylindrische Zapfen.
Mittoiltingren aus dem german. NatiooalmuBeam. 1906. 4
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26
KOPTISCHE ALTEBTÜMER IM 6BRMAN. NATIONALMUSB UM.
67« (F. G. 1775.) Mumienstataette. Blei. H. 4,6 cm.
Auf vierseitigem, hohlem Sockel eine flachgegossene Mumie. Die
Hände liegen auf der Brust. Auf der Rückseite besonders deutlich die
Lagen der Mumienbinden markiert.
Abb.: Cabrol» Dictionnaire d'arch^ologie chrdtienne et de liturgie. Sp. 1050.
Fig. 260. Forrer. a. a. O., Taf. XIII, 19. Ebenda S. 16 deutet F. dieses Figürchen
ohne ersichtlichen Grund auf Lazarus. Wir haben hier vielmehr aus späterer Zeit
ein den altäg3^tischen Totenbeigaben aus Glasfluß entsprechendes Pendant aus
Metall, bei dem nichts för christlichen Ursprung spricht.
Abb. 57: No. 68,
BEIN.
Figärliche Schnitzereien.
68. (F. G. 1807.) Tafel. Knochen. H. 5,5 cm. Br. 3 cm.
Wenig überhöhter Rand. Unbekleidete männliche Figur an eine
Säule gelehnt in Vordersicht. Das rechte Bein
hinter dem linken Standbein gekreuzt. Der linke
Arm über dem Kopf erhoben. Flacher Schnitt,
teilweise verwittert.
Das Relief gehört in die von Strzygowski, Hellenistische
und koptische Kunst in Alexandria (Bulletin de la Socidtd
Archdologique d' Alexandrie No. 5), S. 56 ff. festgestellte
Typenreihe. Eine Benennung ist, da jedes Attribut fehlt,
in unserem Falle ausgeschlossen. Vgl. außerdem Strzygowski,
Koptische Kunst. S. 193, No. 7115.
69* (F. G. 1811.) Knochenstück, Gelblich. H. 10 cm.
Br. 4,7 cm.
Unbekleidete weibliche Gestalt en face. In der Rechten hält sie
einen konvexen Spiegel, in den sie hineinblickt. Der linke Arm hängt
leicht gekrümmt herab. Das Haar ist, anscheinend gescheitelt, am
Hinterkopf in einem Knoten aufgenommen. Das Profil zeigt den geradezu
karrikierten griechischen Idealtypus. Pupille, Brustwarzen und Nabel
sind durch Bohrlöcher angedeutet. Die Falten unterhalb des linken
Ellenbogens rühren vielleicht von einem Gewandstück her, von dem
sich aber sonst keine Spuren finden lassen.
Rohe Arbeit. Fragmentiert. — Datierung: Spätkoptisch.
70. (F. G. 1810.) Enochenstück. Graubraun. L. 12 cm. Br. 4,8 cm.
In einer von zwei Säulen flankierten rundbogigen Nische mit Muschel
in der Lünette ein nach rechts ausschreitender Kentaur. Auf dem Profil
des Rundbogens ein rohes Blattrankenmuster. Bei dem Kentauren
mußte der Tierleib stark verkürzt gegeben werden, da der menschliche
Oberkörper unverhältnismäßig groß geraten war; infolgedessen mußte
auch der Schweif fortbleiben. Seine Rechte stützt sich auf die Kruppe,
in der Linken hält er einen Stock mit leicht gebogenem Griff.
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VON Dr. OTTO PELLA.
27
Das Motiv anscheinend beliebt. Ich sah es wiederholt auf einer runden, ein-
farbigen koptischen Callicula aus älterer Zeit in der ehemaligen Grafschen Samm-
lung in Wien. Kentaurendarstellungen haben noch häufig in der späteren östlichen
Kunst des 9.— 11. Jahrhunderts Verwendung gefunden. Ungleich bevorzugter war
der Typus des musizierenden Kentauren in der byzantinischen Kunst, den meines
Wissens die koptische Kunst nicht kennt. (Vgl. Graeven, Antike Vorlagen byzan-
tinischer Elfenbeinreliefs. Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. XVIII. 1897. S. 17. —
Strzygowski, Das byzantinische Relief aus Tusla im Berliner Museum. Ebenda,
Bd. XIX. 1898. S. 62 f.)
Abb. 58: No. 69. Abb. 59 No. 70.
71. (F. G. 1808.) Kleine TafeL Knochen, hell-
braun. H. 5,9 cm. Br. 4,2 cm.
Rand erhöht, in der Mitte eine Taube;
die Zwickel mit Blattwerk ausgefüllt. Unten
und an der rechten Seite beschädigt.
Al»h. m: Xu. TJ.
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28 KOPl'ISCHE ALTERTÜBiER IM GERMAN. NATIONALMUSEÜM.
Omamentale Schnitzereien.
72. (F. G. 1809.) Beinschnitzerei. L. 13,9 cm. Br. 4,5 cm.
Aus einer henkellosen Vase mit geriefeltem Bauch kommen zwei
Traubenranken, die zunächst im Spitzoval und dann herzförmig aus-
einandergehen. Von diesen Hauptranken zweigen sich nach innen und
außen kleinere Ranken ab, so daß die ganze Fläche symmetrisch mit
Trauben ausgefüllt erscheint. Das Muster schließt an den beiden
Schmalseiten eine Knopfreihe ab; an den Längsseiten und an der unteren
Seite glatte Stege. Zwei übereck stehende Bohrlöcher.
Techn. : Geschnitzt; der Grund ungleichmäßig ausgehoben. Nach-
lässige Arbeit.
Ein bemerkenswertes Beispiel für die handwerksmäßige Gleichgültigkeit der
Schnitzer bietet ein Röhrenknochen des Kaiser Friedrich-Museums: No. 464 des
Strzygowski'schen Inventars (aus der Sammlung Fouquet in Kairo), den ich mit-
abbilde (Abb. 62). Das Rankenmuster ist dem unsrigen gleich. Da aber die Arbeit
von oben begonnen wurde und ein Giebeldach den Anfang machen sollte, so
konnte unten nicht mehr die Vase angebracht werden, und das Spitzoval blieb
nach unten geöffnet.
Abb. 61: No. 72 Abb. 62: Berlin, K. F.-M. No. 464.
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VON Dr. OTTO PELKA. 29
73. (F. G. 1834.) Beinschnitzerei. Röhrenknochen. L. 7,4 cm. Br. 3 cm.
Unter einem Giebel mit Knopfreihen eine in ein Weinblatt endende
Ranke. In den Zwickeln neben dem Giebel ein längliches Blatt. Von
glatten Stegen eingefaßt. Fast in der Mittelachse oben und unten ein
Bohrloch.
Techn. : Flau geschnitzt, Grund sehr ungleichmäßig ausgehoben.
Das gleiche Muster auf einem etwas breiteren und flacheren Knochen im Kaiser
Friedrich-Museum. Vgl. Strzygowski, Mschatta, im Jahrbuch der preuß. Kunstsamml.
XXV. 1904. S. 306. Abb. 85.
74. (F. G. 1812.) Beinschnitzerei. Elfenbein. L. 8 cm. Br. 4,7 cm.
Fragment einer anscheinend symmetrischen Blatt- und Traubenranken-
komposition. Die Lappen der Blätter haben eingeschnittene Vertiefungen.
Am Rande links der Rest eines glatten Steges. In der linken oberen
Ecke ein Bohrloch.
Techn.: Umrisse sorgfältig geschnitten; der Grund ungleichmäßig.
Erh. : Der obere Teil der linken Hälfte des Ganzen.
75. (F. G. 1835.) Beinschnitzerei. Röhrenknochen. L. 7,3 cm. Br. 3,9 cm.
Weinblattranken mit Trauben. An der Längsseite ein glatter, an der
einen Schmalseite ein Knopfsteg. In einer Ecke ein Bohrloch.
Techn. : Relief sorgfältig herausgearbeitet, Grund unregelmäßig. Erh. :
Der glatte Seitensteg teilweise abgesplittert, desgleichen die Ranken.
Das Vorhandene bildet etwas mehr als die Hälfte des ursprünglichen
Ganzen.
Der Stil gleicht dem des vorangehenden Stackes.
Abb. W: No. 74.
Abb. 63: No. 78. Abb. 66: Nu. 75.
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30 KOPlISCHfi ALTEBTOMSR im 6BRMAN. NATIONALMUSBUM.
Puppen.
7%. (F. G. 1764.) Puppe mit wagerechtem Armansatz. Knochen. Gelblich.
H. 9 cm.
Eine Körpcrgliederung durch flache Einschnitte versucht. Die unteren
Extremitäten durch einen fast durch die ganze Dicke des Knochens
gehenden Schnitt angedeutet, die Füße durch einen wagerechten hervor-
ragenden Streifen. Am Kopf noch Reste von dem schwarzen Haar und
einem grünen Gewebe (Haarnetz oder Haube). Spuren von schwarzer
und roter Bemalung. An den Armansätzen seitliche Bohrlöcher von
etwa 0,8 cm Tiefe. Rückseite abgeflacht.
Puppen mit noch vorhandenem Haar in Berlin, Kaiser Friedrich -Museum
No. 368. 369 des Strzygowski'schen Inventars.
Ober die Fußendigung vgl. Strzygowski, Koptische Kunst, S. 202, No. 8873.
Die Bohrlöcher ausnahmsweise nicht, wie Strzygowski a. a. O., S. 202, No. 8871
von allen Exemplaren der vorstehenden Art vermutet, quer durch die ganze Brust
gehend.
77. (F. G. 1821.) Puppe. Grauer Knochen. H. 9,1 cm.
Weibliche Rundfigur. In dem linken Armansatze noch Bohrung und
Falz für den beweglichen Arm. Haar in der Mitte gescheitelt. Diadem?
Erh.: Vielfach zerbrochen.
78. (F. G. 1795.) Puppe. Knochen, dunkelgelb. H. 8,4 cm.
Nur der Kopf ausgeführt. Nase und Lippen erhaben, Augen ein-
geritzt; den Hals ersetzt ein von zwei Einschnitten begleiteter halb-
runder Steg. Das Ganze endet in eine keilförmige Spitze.
Ein gleiches Stück in Kairo: Strzygowski, iCoptische Kunst, S. 203, No. 8877.
Abb. 67: No 77. Abb. <W: No 78.
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VON Dr. OTTO PELKA. 31
Spindelknöpfe.
79. (F. G. 1816.) Spindelknopf. Knochen. H. 1,5 cm. Durchm. 3,6 cm.
Unten flach, oben konvex. Um die Durchbohrung und über dem
Rande sind je zwei konzentrische Kreise eingeritzt. Auf der Wölbung
dreimal drei unter sich symmetrisch angeordnete
Kreispunkte; an sechs von ihnen kometenschweif-
artige Ritzungen.
Auf ähnliche Verzierungen weist Strzygowski, Kop-
tische Kunst, S. 208, No. 8909 hin.
80^ (F. G. 1815.) Spindelknopf. Elfenbein. H. 0,9 cm.
Durchm. 2,5 cm.
Gleiche Form wie No. 79 (F. G. 1816). Auf der ^^^ ^, ^^ ^
Unterseite zum Teil abgesplittert. Über die Ober-
fläche legt sich ein Kreuz mit schraffierten Armen.
In den Zwickeln zwischen den Kreuzarmen wieder-
holt sich viermal die gleiche Zusammenstellung von
Kreispunkten: Vier kleine Kreispunkte werden von
einer Kreislinie umschlossen, darüber wieder ein Kreis-
punkt; von diesem Zwickelomament nach den Kreuzen- Abb. 70: No. 80.
den laufen Halbkreise um ihren Mittelpunkt.
Anhänger.
81* (F. G. 1813.) Anhänger. Knochen, gelblichbraun.
Durchm. 3,3 cm. Dicke 0,4—0,3 cm.
Kreisrunde Scheibe mit durchbohrtem Ansatz, an
dessen Anfang zwei roh geschnitzte volutenähnliche
Bildungen. Auf der Vorderseite in einer Umrahmung j^i,i,. 71 ; no. 81.
von Kreispunkten ein aus fünf Kreispunkten be-
stehendes Kreuz. Rückseite glatt.
82. (F. G. 1779.) Anhänger. Knochen, graugelb. H. 1,8 cm.
Br. 1,3 cm.
Viereckig mit durchbohrtem Ansatz. Auf der Vorderseite Abb. 72: No. 82.
zwischen zwei Rillen vier Kreispunkte. Rückseite glatt.
Abb.: Forrer, Frühchristliche Altertümer, S. 21. Fig. 17.
83* (F. G. 1782.) Anhänger. Knochen, gelblichgrau. H. 2 cm.
Br. 1,2 cm.
Kreuz mit vier dreieckigen Armen; durchbohrter Ansatz.
Abb.78:No.88.
84. (F. G. 1819.) Anhänger. Knochen, gelblichgrau. H. 2 cm.
Br. 1,4 cm.
Kreuz mit vier dreieckigen Armen, drei von ihnen am
äußeren Rande mit Zahnschnitt versehen. Auf dem unteren
ein gleiches kleineres Kreuz. Durchlochter Ansatz.
Abb.74:No.84.
^1
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32 KOPTISCHE ALTERTÜBiER IM GERMAN. NATION ALMÜSE UM.
85. (F. G. 1814.) Medaillon. Knochen, kreisrund.
Durchm. 3,2 cm.
Auf der gewölbten Oberfläche ein Frauenkopf im
Profil nach links. Rechts am Nacken ein K. Flüchtige
Arbeit. In der Mitte der Rückseite: KNHx, von
einem geritzten Kreise umrahmt.
86. (F. G. 1806.) Kamm. Knochen, gelblichweiß. H. 3cm. Abb 75- No. 85.
Br. 2,3 cm.
Einseitig. In der Mitte der oberen Seite ein pfeil-
spitzenähnlicher Grifft, zu beiden Seiten ist der Knochen
in Form von dreieckigen Spitzen stehen geblieben.
Die noch erhaltene trägt an der Außenkante einen
Einschnitt, der anscheinend zur Befestigung einer
Schnur diente, an der der Kamm aufgehängt werden Abb. 76: No. 86.
konnte. Die Mittelfläche der beiden Seiten hat fünf eingeritzte, gerade
Linien, welche zum Teil Spuren von grüner Farbe aufweisen.
Wohl Kinderspielzeug.
HOLZ.
Pyxideiiy Kästen etc.
87. (F. G. 1726.) Pyxis. Holz, braun. H. 4,3 cm. Durchm. 5,9 cm.
Zylindrisch, in der Mitte leicht ausgebaucht. Ohne Deckel; mit wenig
überstehendem Rande. Die Verzierung der Außenseite besteht aus
einem etwas heraustretenden Ringe in der Mitte und zwei Reihen von
Kreispunkten. Reste von roter und blauer Farbe.
88. (F. G. 1727.) Pyxis. Eiche, braun. H. 6,1 cm. Durchm. 4,9 cm.
Zylindrisch, ohne Boden und Deckel. In flachem Relief trägt die
Außenseite ein Kreuz mit gleichlangen ausladenden Armen, flankiert von
einem eingeschnittenen A und (jj. — Datierung: 4. Jahrhundert.
Diente wohl, da sich Ansatzspuren von einem Deckel und Boden nicht finden,
als Einlage für eine Metall- oder Beinpyxis.
Abb.: Forrer, a. a. O., Tafel XI, 5. Vj2;l. ebda. S. 15.
Abb. 77: No. 87. Abb. 78: No.
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VON Dr. OTTO PELKA. 33
89* (F. G. 1722.) Pyxis. Holz, dunkelbraun. H. 10 cm. Durchm. 9 cm.
Zylindrisch mit konischem Deckel. Profiliert. Der übergreifende
Deckel, sowie der obere Streifen des Unterteils zeigen Intarsien aus
blauem Glas und Elfenbein von dreieckiger, kreisrunder und Segment-
form. Auf dem Oberteil des Deckels drei eingelegte dreilappige Blätter.
Der Deckelknopf aus Knochen. Grüne Farbspuren.
90. (F. G. 1720.) Pyxiß. Holz, dunkelbraun. H. 8 cm. Durchm. 8 cm.
Zylindrisch. Mit übergreifendem, flachem Deckel. Der Unterteil zeigt
in halber Höhe einen stark hervorspringenden Steg mit eingeritztem Kreis.
Der Deckelknopf zylindrisch ; durch diesen und den Deckel, sowie durch
den Steg des Unterteils gehen korrespondierende Bohrlöcher, durch
welche, ähnlich wie bei Räuchergefäßen, eine Schnur zum Aufhängen
geführt wurde. Inhalt: Reste eines schwarzen Farbstoffes.
Abb. 79: No. 89. Abb. 80: No. 90.
91. (F. G. 1725.) Pyxis. Holz, dunkelbraun. H. 7 cm. Durchm. des Unter-
teils 5,2 cm; Durchm. des Deckels 6,3 cm.
Halboval mit flachemFuß und konischem, übergreifendem Deckel mit vor-
stehendem Rande. Auf rotem Grunde schwarz, gelb und grün in nicht
mehr erkennbaren Zeichnungen ge-
mustert. - Datierung: Früharabisch.
Das Diözesanmuseum in Trier be-
wahrt eine Büchse mit gleichem Anstrich
von zylindrischer Form auf, welche mit
kufischen Schriftzeichen bemalt ist;
daraus ergibt sich auch für unser Exem-
plar die Datierungsmöglichkeit.
92. (F. G. 1723.) Pyxis. Holz, braun.
H. 11,7 cm.
Eicheiförmig, mitFußundDeckel.
Der Rand des Deckels abgestoßen,
Deckelknopf fehlt. Roter Anstrich
mit schwarzen Bändern. Abb. 81: No. 91. Abb. 82: No. 92.
Mitteil ungeD aus dem gennan. Nationalmuseum. 1906. 5
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34 ](OPTtSCd£ ALTERTÜMER IM 6ERMAN. KATIONALMUS^UII.
»8. (F. G. 1729.) Spiegelkapsel mit Deckel. Holz, dunkelbraun. H. 3,2 cm.
Durchm. des Unterteils 6 cm. Durchm. des Deckels 6,6 cm.
Zylindrisch. Unter der Glaseinlage im Unterteil Reste von grüner
Farbe. Unterteil schwarz, Deckel schwarz und rot gefärbt.
M. (F. G. 1724) Becher. Holz, braun. H. 10,9 cm. Durchm. 6,3 cm.
Zylindrisch, beim Übergang zum Fuß sich abrundend; der letztere
besteht aus einem zylindrischen Teil mit zwei eingeritzten Kreisen und
einer Einschnürung zwischen zwei Stegen. Unterhalb des oberen Ge-
fäßrandes eine ringsherumlaufende eingeritzte Linie.
Abb. 83: No. 98. Abb. ßi]: No. ^.
95- (F. G. 1741.) Kasten. Holz, hellbraun. H. 7,6 cm. L. 18 cm.
Br. 8,5 cm.
Von rechteckigem Grundriß. Im Innern eine quadratische und eine
größere rechteckige Vertiefung. Die Einschnitte auf der einen Schmal-
seite und auf der Zwischenwand im Innern waren für die Zapfen eines
Einsatzes bestimmt. Die beiden Längs- und eine Schmalseite sind mit
dem gleichen Ornamentmotiv gemustert: Zwei oder mehr Lorbeerblatt-
reihen gehen von einem Knopfsteg nach beiden Seiten und werden von
Abb.:8o: No. 95
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VON Dr. OTTO PELKA.
35
einem glatten Steg und einer Knopfreihe umrahmt. Die eine Langseite
zeigt dieses Ornament auf ihrer ganzen Fläche, auf der gegenüberliegen-
den erscheint es verkürzt, um Raum herzugeben für zwei Büsten, welche
durch zwei Säulen mit spiraligen Schäften von dem Mittelfeld getrennt
werden. Die Schmalseite, von der aus der Deckel hineingeschoben
wurde, hat als Verzierung nur zwei |J- förmige Stege mit dazwischen
liegenden Knopfreihen.
Erh.: An den Schmalseiten geborsten.
Die Lorbeerblattstege finden sich häufiger in der Steinplastik. Vgl. Strzygowski,
Koptische Kunst, S. 47, No. 7303, 7304, 7305; S. 50, No. 7309; S. 51, No. 7310.
Zu dieser Stilisierung vgl. außerdem das Fragment eines Lorbeerkranzes, in Holz
geschnitzt : Strzygowski, Koptische Kunst, S. 129, No. 8789.
96. (F. G. 1718.) Kasten. Holz, dunkelbraun. L. 17,5 cm. Br. 9,1 cm.
H. 3,8 cm.
Mit Falzen für den Schiebdeckel In der Mitte eine kreisförmige Ver-
tiefung für den Farbenbehälter, die sich nach unten in die längs laufende
Rinne für die calami oder stili öffnet.
Erh.: Unterteil vollständig. Deckel verloren.
Schnitzereien von Möbeln.
97. (F. G. 1763.) Relief. Holz, braun. H. 15,2 cm. Br. 10,2 cm.
Ein Vogel mit ausgebreiteten Flügeln, nach rechts blickend. Um den
Hals trägt er an einem Bande eine viereckige Bulla. Die Kiele [der
Federn sind durch scharfe Einschnitte angedeutet.
Techn. : Geschnitten und ge-
sägt. Erh.: Schnabel und Rück-
seite des linken Flügels ange-
splittert.
In der koptischen Kunst wird von
allen Tierornamenten dieses Vogel-
motiv am liebsten verwendet. Es ist
schlechterdings nicht zu entscheiden,
ob solche Vogelgestalten Adler oder
Tauben wiedergeben sollen. Wenn
ich Strzygowski, Koptische Kunst,
S. 39, recht verstehe, so scheint er
anzunehmen, daß das Vorhandensein
einer Bulla auf der Brust des Vogels
die Deutung auf einen Adler wahr-
scheinlicher mache. Eine Begründung
für diese Annahme gibt er nicht. Ich
kann mir aber nicht denken, daß
eine Nebensächlichkeit wie ein Me-
daillon auf die Tiergattung spezifisch
differenzierend wirken sollte. Die
Grabstelen haben sehr häufig dieses
Motiv. In dem Falle, da ein größeres
Vergleichsmaterial vorliegt, sieht man ^ *- ^'
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36 KOPTISCHE ALTERTÜMER IM GERMAN. NATION ALMUSEÜM.
leicht, daß sich die Strzygowskische Scheidung nicht aufrecht erhalten läßt.
Die Vögel ohne den Halsschmuck sind an Zahl zwar erheblich geringer als die,
welche ihn tragen, aber keines dieser Stücke unterstützt die Behauptung, daß
die Absicht des Steinmetzen dahinging, mit dem Fortlassen des Attributes zu-
gleich auch eine andere Vogelart darzustellen. Ein Beispiel sogar läßt vermuten,
daß alle diese Vögel als Tauben gedacht waren. Die Stele: Cnim, Coptic monu-
ments, No. 8659 zeigt einen Vogel mit Medaillon, der unverkennbar eine Taube
ist. Einen verallgemeinernden Schluß zu ziehen, geht freilich nicht an, indeß
möchte ich mich eher Karl Schmidt anschließen, der, nach einer Bemerkung von
Strzygowski, a. a. O., S. 60, geneigt ist, statt der Adler überall Tauben zu sehen.
Die Form des Medaillons ist mir auf den publizierten Denkmälern, soweit mir
die Literatur zur Verfügung steht, nicht wieder begegnet. Die kreisrunde Scheibe
wird im allgemeinen bevorzugt. An außergewöhnlichen Formen ist mir sonst nur
noch ein spatenähnliches Medaillon begegnet (Crum, a. a. O., No. 8659).
Stilistisch gehört unser Stück zusammen mit Strzygowski, Koptische Kunst,
No. 8786, S. 128. Auffallend ist die große Übereinstimmung der Linienführung in
den Flügelkonturen.
Nach der Angabe von Dr. Forrer stammt das vorliegende Relief aus Achmim.
Die Bleistiftnotiz über dieselbe Provenienz auf der Rückseite der Kairiner Schnitzerei
erhebt auch die lokale Zusammengehörigkeit beider Stücke zur Gewißheit.
98. (F. G. 1753.) Panneau. Holz,
dunkelbraun. H.7,5cm. Br.l3,4cm.
Ein Steinbock (?) nach rechts
gewendet, frißt an einem baum-
artigen Strauch. Reste von Be-
malung. An den Schmalseiten
Falze, die auf eine frühere Ver-
wendung als Füllung für eine
Möbel- oder Kastenwand^deuten.
In der Darstellung und stilistisch
eng verwandt mit einer Rosette aus Kom Eschkaw. Strzy-
gowski, a. a. O., Seite 156, No. 7216 u. Tafel IX.
99* (F.G. 1761.) Konsole. Holz, dunkelbraun. H. 16,5 cm.
Er. 4,8 cm.
Korinthisierendes Kapitell mit zwei Akanthus-
reihen. Das Mittelblatt der oberen Reihe legt sich
in die Biegung der Deckplatte. Auf dieser eine
Taube mit ausgebreiteten Schwingen, um den Hals
ein Medaillon. Die Rückseite ist geglättet. Der
Vogel nimmt nur zwei Drittel der Kapitelltiefe ein.
Ein Bohrloch geht fast durch die ganze Höhe des
Kapitells. Reste von roter Farbe und von Vergoldung.
Teil eines Möbels. Über die Beliebtheit geschnitzter
Möbel bei den Kopten vgl. Strzygowski, a. a. O., S. 126
und S. 163.
Abb. 88. No. 9J.
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VON Dr. OTl'O PELKA.
37
Haarkämme.
100. (F. G. 1731.) Breitkamm. Holz, braun.
H. 6,9 cm Br. 6,7 cm.
Mit zwei Zahnreihen; nach den Spitzen
sich abflachend. Im 1,4 cm breiten Mittel-
streifen auf beiden Seiten drei Kreispunkte
eingeritzt.
Abb. 89; No. 100.
101, (F. G. 1732.) Hochkamm. Holz, rötlichbraun. H. 24,5 cm. Br. 7,7 cm.
Mit zwei Zahnreihen. Das 13,9 cm breite Mittelstück auf einer Seite
ornamentiert: Zwischen zwei konzentrischen Kreisen läuft ein Ring von
Kreispunkten, deren Zentren durch eine leichtgeritzte Kreislinie ver-
bunden sind. Dieser Ring umschließt ein Kreuz mit geschweiften Armen;
seine Mitte nimmt eine Rosette ein, bestehend aus einem Doppelkreise
um einen Kreispunkt in einem vertieften Ringe. In den Kreuzarmen, sowie
in den Zwickeln Kreispunkte. Die gleiche Rosette wie in der Kreuzmitte
an den vier Ecken des Mittelfeldes ; eine jede von drei Kreispunkten um-
geben. Mit dem gleichen Ornament sind die beiden Querstreifen besetzt:
Die letzteren wie das Kreuz und die Eckrosetten waren vergoldet.
Die gleichen Rosetten auf einem Holzkamm in Kairo : Strzygowski , a. a. O.,
S. 145, No. 8828 u. Tafel VIII.
Abb. 90: No. 101.
102. (F. G. 1733.) Hochkamm. Holz, braun. H. 23 cm. Br. 7,4 cm.
Zweiseitig. Im 12,5 cm breiten Mittelfeld an den Ecken vier runde
mit Glasfluß ausgefüllte Vertiefungen. Die Mitte nimmt ein Kreuz ein.
Abb. 91 : No. 102.
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38 KOPl'ISCHE ALTERTÜMER IM QERMAN. NATIONALMÜSEUM.
Die gleichgroßen Arme werden von je drei pyramidal gestellten Kreis-
punkten gebildet. In der Kreuzmitte ein Knopf aus Bergkristall, welcher
in einer kreisrunden Vertiefung liegt. Am Rande zwischen den Glas-
flüssen wiederum Kreispunkte. Spuren von rosa Farbe in den Kreis-
punkten.
Erh. : Der Länge nach gebrochen ; die engen Zähne vielfach beschädigt.
Webekamm.
103. (F. G. 1756.) Webekamm mit Griflf. Holz. H. ohne Griff 18,5 cm.
Br. 26,5 cm. L. des Griffes 14,5 cm.
Aus drei Stücken mittels Dübel zusammengesetzt. Auf der einen
Seite vom oberen Rande ausgehend drei Dreiecke aus Kreispunkten,
eine Art der Verzierung, die nach Strzygowski auf Webekämmen all-
gemein üblich ist. Auf dem breiten Griffende fünf Kreispunkte. Reste
von Farbe.
Über Webekämme im allgemeinen vgl. Strzygowski, a. a. O., S. 147. Ein unserem
ähnliches Stück ebd., No. 8838.
Stempel. —
104. (F. G. 1691.) Stempel. Holz. Größe 4,4x3,8 cm.
H. 1,1 cm.
Einseitig, viereckig. Im rechteckigen Felde ein gleich-
schenkliges Kreuz mit Dreiecksarmen. Zwischen den
Kreuzarmen lanzettförmige Blätter. Vertieft geschnitten. ^^^- ^- ^^'' ^^*-
105. (F. G. 1694.) Stempel. Holz. H. 2,6 cm. Durchm. 6,2 cm.
Einseitig, zylindrisch geformt. Im runden Felde eine Taube. Als
Umrahmung dient ein Steg. Vertieft geschnitten.
106. (F. G. 1690.) Stempel. Holz. H. 3,2 cm. Durchm. 5,3 cm.
Zweiseitig. Zylindrisch geformt mit starker seitlicher Einschnürung.
Auf der einen Seite ein sogen, lateinisches Kreuz, flankiert von 0B;
auf der Gegenseite ein Sternmonogramm Christi jK. (Die Anfangsbuch-
staben von 'Ir^aoö^ Xptatcg).
Die Abbreviatur G B läßt zweierlei Auflösungen zu. Entweder man liest : Geog
i orjSeCy Geog jSo^Sei^ Geog [6] ßotjSüJv, oder : Georoxe ßorjSei. Zu dieser letzten Lesart
vgl. Dalton, Catalogue, No. 484.
Die auffallend scharf erhaltene Schnitzerei erweckt den Anschein, als ob sie in
moderner Zeit nachgeschnitten wäre, während der Stempel selbst wohPalt ist.
Abb 93: No. lO.'), Abb. IM: No. 106.
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VON Dr. QTVO PELKA.
3^
107. (F. G. 1728.) Stempel. Holz. H. 4,5 cm. Durchm. 4 cm.
Doppelseitig. Zylindrische Form mit seitlicher Einschnürung von
geringer Tiefe. Der Grund des Musters ist ausgehoben. Das Ornament
der einen Kreisfläche zeigt ein Quadrat mit kreisförmigen Ausladungen
an den Ecken, verbunden mit einer vierteiligen
Band verschlingung. In zwei gegenüberliegenden
Zwickeln zwei kleine, im rechten Winkel ge-
brochene Stäbe. Auf der Gegenseite zwei sich
kreuzende gleichseitige Dreiecke. In dem sechs-
eckigen Mittelfelde ein Ornament, das ich nicht
mit Sicherheit zu erkennen vermag. Vielleicht
zwei übereinanderstehende Tiere.? Außerhalb
derDreiecke symmetrisch verteilt vier gebrochene
Stäbe. Beide Stempelflächen werden von einem
schmalen Stege emgefaßt.
Über das Vorkommen des Pentagramms auf Holz- und Tonstempeln vgl. Strzy-
gowski, a. a. O.. S. 140, No. 8808; S. 231, No. 8988.
Die blauschwarzen Farbreste auf dem Relief beweisen, daß es sich hier nicht
um einen Brot- oder Ziegelstempel handelt, sondern man, wie auch aus der ge-
ringen Höhe und Breite der Ornamentstege hervorgeht, einen der aus so früher
Zeit selten erhaltenen Zeugdruckstempel vor sich hat. Publiziert wurde er bereits
von Forrer, Die Kunst des Zeugdrucks vom Mittelalter bis zur Empirezeit. Straß-
burg 1898. S. 10. Tafel II, 3—5.
108* (F.G.1736.) Stempel. Holz, braun. L.31cm. Br.6,8cm. H.mitGriff6,lcm.
Einseitig mit Griff. Auf der rechteckigen Fläche in die Windungen
eines Mäanderornaments die Zeichen AKOTC vertieft eingeschnitten.
Abb. 96: No. 108.
109. (F. G. 1735.) Stempel. ^Holz, braun. L. 10,9 cm. Br. 5,5 cm.
H. mit Griff 3 cm.
Einseitig mit Griff. Auf der rechteckigen Fläche in unscharfen Um-
rissen: AMMo||NIC n^T.
110. (F. G. 1738.) Stempel. Holz, hellbraun. L. 11,3 cm. Br.4,lcm. H. 2,9 cm.
Zweiseitig. Auf der größeren rechteckigen Fläche eingeschnitten
+ II KV A IC; die kleinere Gegenseite enthält das Zahlzeichen (J) I A.
Abb. 97: No. 110.
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40 KOPTISCHE ALTERTÜMER IM GERäUN. NATIONALMUSE OM.
lll. (F. G. 1737.) Stempel. Holz,
dunkelbraun. Länge 11,6 cm.
Br. 4,2 cm. H. 3,7 cm.
Unregelmäßiges Parallelepiped.
Zwei aneinanderstoßende Längs-
seiten haben vertieft geschnittene
Inschriften*). Die Buchstaben von
unregelmäßiger Form in wenig
sorgfältiger Ausführung. Auf
einer Schmalseite: N.
Abb. 98: No. 111.
Abb. 1)9: No. 111
Farbebehälter.
112. (F. G. 1715.) Farbebehälter. Sehr festes Holz, schwarzbraun. H. 5 cm.
Br. 2,8 cm. Tiefe der Öffnungen 3,8 cm.
Zwei zylindrische Röhren nebeneinandergestellt, so daß auf der einen
Längsseite ein Falz stehen geblieben ist, auf der andern eine Rinne, in
der noch der Rest eines hölzernen Färbestiftes steckt. Zwischen den
beiden Röhrenöffnungen eine kleinere 6 mm tiefe Bohrung ebenfalls mit
dem Rest eines Holzstäbchens.
113. (F. G. 1716.) Farbebehälter. Holz, braun. H. 10,6 cm. Br. 5 cm.
Brett von flachem, ovalem Querschnitt. Auf der einen Seite zwei
röhrenähnliche Fortsätze für den Farbstoff.
Spielzeug.
114. (F. G. 1745.) Vogel. Holz, braun. L. 11 cm. H. 4 cm.
Der Kopf ist nur angedeutet ; quer durch den Hals geht ein Bohrloch.
Zu beiden Seiten des Rumpfes Pflöcke mit verdickten Köpfen.
An den seitlichen Zapfen waren wohl kleine Räder befestigt; durch das Bohr-
loch wurde eine Schnur gezogen.
Abb. 100: No. 114.
115- (F. G. 1746.) Boot. Holz, hellbraun. L. 14,3 cm. Br. 3,3 cm, H. 2,6 cm.
Die Form ist die der auch jetzt noch gebräuchlichen Nilbarken.
Abb. 101: No. 115.
♦) Die Abbildungen sind nach einem Papierabklatsch hergestellt.
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VON Dr. OTTO PELKA. 41
116* (F. G. 1744.) Fisch. Holz, hellbraun. U 16,3 cm. H. 4 cm.
Maul und Kiemendeckel durch Einschnitte angedeutet, desgleichen
Rücken- und Bauchflosse. Augen fehlen. In der Unterseite ein Bohrloch.
Abb: 102: No 116.
STEIN.
Varia.
117^ (F. G. 1748.) Männliche Figur. Stein, schwarz. H. 8,6 cm.
Auf einer Kathedra mit Rück- und niedrigen Seitenlehnen sitzt ein
anscheinend unbekleideter Mann. Seine
Rechte stützt sich auf die Seitenlehne, die
Linke hält einen Palmzweig, der sich nicht
frei erhebt, sondern in schwachem Relief
den Formen des Körpers sich anlehnt.
Die vordere Kopfhälfte ist abgeschlagen.
Die Kathedra ist reichlich mit Kreispunkten
verziert, zu denen auf der Rückseite noch
sechs gebohrte Kreise kommen. Das
Ganze ruht auf einem zylindrischen, aus-
gehöhlten Zapfen, in den seitlich zwei Löcher
zur Befestigung von Haltestiften gebohrt
sind. (Bekrönung eines Stabes.?)
Techn.: Geschnitten. Häufige Verwendung
des Bohrers.
118. (F. G. 1719.) Behälter in Form einer ab-
gestumpften vierseitigen Pyramide von qua-
dratischer Grundfläche. Schwarzer Stein. Abb. 103: No. in.
H. 5 cm.
Jede der vier Seitenflächen hat an der
Basis, in der Mitte und am oberen Rande
eine nur um ein geringes hervortretende
schmale Querleiste. Die einzelnen kleinen,
trapezförmigen Seitenflächen sind mit drei
Kreispunktlinien verziert, wobei jedesmal
die mittlere größere Punkte zeigt. Unter-
halb des Randstreifens zweier gegenüber-
liegenden Seiten Bohrlöcher. Im Innern ein
nach unten sich verjüngendes Loch.
Diente vielleicht als Schminke- oder Tintebehältnis. Abb. 104: No. 118.
Mitteilungon aus dem german. Nfttionalmiisotim. 11)06. 6
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42 KoniSCHE ALTERTÜMER IM GERMAN. NATIüNALMÜSEÜM.
119. (F. G. 1683.) Stempel für Gefäßverschloß. Kalkstein (Muschelkalk).
Dm. 7,8 cm. H. 5,4 cm.
In der Form unregelmäßig konisch. Stempelfläche rund mit Monogramm.
120. (F. G. 1707.) Gußform*). Roter Stein. H. des Steines 6,3 cm.
Br. 4,3 cm. Dicke 2 cm. H. des Medaillons 3,5 cm. Br. 2,1 cm.
Form für einen ovalen Anhänger mit der Figur eines Reiters, der
mit seiner Lanze eine am Boden liegende menschliche Gestalt durch-
bohrt. Sehr flaches Relief; äußerst rohe Formen. Oben querlaufend
und unten eine Abflußrinne.
In dem Reiter hat man den oft wiederholten koptischen Reiterheiligen zu sehen ;
Der am Boden befindliche, noch halb aufgerichtete Mann ist der Repräsentant der
Glaubensfeinde, die jener bekämpft. Eine Deutung auf einen bestimmten Heiligen
ist mangels erklärender Beischrift nicht möglich. Auf keinen Fall ist aber der
hl. Georg gemeint. Vgl. darüber Strzygowski, »Der koptische Reiterheilige und
der hl. Georg« in der Zeitschrift {ült ägyptische Sprache und Altertumskunde.
Bd. 40, S. 49 ff.
Abb. 106: No. 119. Abb. 106: No. 190.
121. (F. G. 1689.) Gußform*). Grauer Stein. H.5cm. L. 9 cm. Dicke 1,9 cm.
Drei Formen von Anhängern : Ein Halbmond, eine dreiarmige crux
ansata mit einem Nilschlüssel in flacherem Relief auf dem unteren Arme und
ein rundes Medaillon mit einem Oranten in archaisierender Auffassung.
Alle drei Formen stehen mit einer Ablaufrinne am oberen Rande in
Verbindung.
_ _ Abb. 107: No. 121
♦) Die Abb. gibt einen Gipsausguß.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Meyers sprosse« Konversations-Lexikon. Sechste gänzlich neubearbeitete und ver-
mehrte Auflage. Bd. VII — XI. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut, 1904 und 1905.
Die Geschichte des Konversations-Lexikons zu schreiben, wäre eine Aufgabe für
den »alten Riehl« gewesen. Schon der gänzlich antiquierte, den eigentlichen Zweck eines
solchen Buches überhaupt nicht mehr erkennen lassende, aber tief eingewurzelte und
nahezu ehrwürdige Name, die Benennung »Konversations-Lexikon«, zeigt deutlich, daß
die Erscheinung auf eine längere Entwicklungsgeschichte zurückblickt. Aus Wörterbüchern
und Spezialenzyklopädien hat sich langsam und Schritt für Schritt das »Konversations-
Lexikon« herausgebildet, das sich zum Ziele setzt, einem bildungsbegierigen größeren
Publikum die Summe alles Wissenswerten, gewissermaßen das gesamte Wissen der Zeit,
in allgemeinverständlicher Form zu übermitteln. Dabei haben Auswahl und Umfang in
den verschiedenen Zeiten sehr gewechselt und den Unternehmern stets viel Kopfzerbrechen
gemacht. Denn auch ein »großes«, d. h. vielbändiges Konversationslexikon nach Möglichkeit
handlich, seinen Inhalt in Form und Ausdruck möglichst knapp und klar zu gestalten,
mußte sich immer mehr als das Haupterfordernis für Benutzbarkeit und Absatz aufdrängen.
So glaube man nicht etwa, daß Meyers mit Recht viel bewundertes »Großes
Konversations-Lexikon«, von dem uns gegenwärtig die 6. Auflage dargeboten wird — die
ersten sechs Bände dieser neuen Auflage sind bereits im Jahrgang 1904 unserer »Mitteilungen«
angezeigt worden — , sich, wie man zu sagen pflegt, »aus kleinen Anfangen« entwickelt
habe. Im Gegenteil: die erste Auflage dieses Buches, die von 1839 ab im Verlage des
Bibliographischen Instituts (das damals noch seinen Sitz in Hildburghausen hatte) erschien,
umfaßte mit seinen Supplementen nicht weniger als 52 Bände, ohne daß der Umfang jedes
einzelnen derselben den heutigen Bänden viel nachgestanden hätte. Erst aus diesem
voluminösen Werke »entwirkte sich«, um mit Goethe zu reden, »Meyers Neues Kon-
versations-Lexikon« mit seinen 15 Bänden, deren Zahl in der vorletzten Auflage auf 18
gestiegen war, in der vorliegenden gänzlich neubearbeiteten und vermehrten Auflage
jedoch auf 20 berechnet ist.
Und dabei bleibt noch besonders zu bedenken, um was für einen gewaltigen und
hochbedeutsamen Wissensschatz, namentlich auf technischem Gebiete und in den ver-
schiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen, die Menschheit seit den vierziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts reicher geworden ist, der doch alsbald verarbeitet, in seinen
Grundzügen einer Enzyklopädie des allgemeinen Wissens einverleibt sein wollte und
natürlich bei jeder neuen Auflage auf das sorgfältigste revidiert, auf den jeweiligen Stand
der rasch fortschreitenden Forschung gebracht werden mußte. Zugleich verschiebt sich
ja auch im übrigen der Kreis dessen, was für wissenswert erachtet wird, beständig, bald
er\freitert er sich für ein bestimmtes Gebiet, bald schränkt er sich ein; und selbst-
verständlich spielt hierbei gerade auch die Mode eine große Rolle. Einen zeitweilig viel-
genannten Schriftstellernamen beispielsweise wird das Konversations-Lexikon jener Zeit
nicht unbeachtet lassen dürfen, auch wenn die Bedeutung des betreffenden Autors nur
als eine ephemere gelten muß. seine Beliebtheit ledij^lich Modesache ist und vielleicht
schon die nächste Auflage des Namens getrost wieder entraten kann. Denn ein Spiegel
seiner Zeit soll jedes derartige Lexikon sein.
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44
LITERASISCHE BESPRECHUNGEN.
Auch der Inhalt von Meyers Großem Konversations- Lexikon hat von Auflage zu
Auflage Wandlungen auf Wandlungen erfahren , bis er seine heutige , dem Wissen , der
Bildung der Gegenwart homogene Gestalt gewonnen hat, und auf manche Jahre hinaus
wird das Buch nun wiederum weitesten Kreisen ein zuverlässiger Berater und Führer
sein können. Dazu tragen namentlich auch die in dieser neuen Auflage bedeutend ver-
mehrten, wie Stichproben zeigten, in der Regel durchaus das Neueste und Beste ver-
zeichnenden Literaturnachweise sehr wesentlich bei.
Ohne mich im übrigen hier auf die Nachprüfung auch nur eines kleinen Teils des
riesigen Stoffes einlassen zu können, möchte ich wenigstens noch einen Punkt kurz zur
Sprache bringen, der sich mir bei einer größeren Anzahl angestellter Stichproben die
biographischen Abschnitte des Konversations-Lexikons betreffend ergab. Es ist dies das
Mißverhältnis, das sowohl bezüglich der Zahl, wie in Bezug auf Behandlung und Würdigung
zwischen den in das Nachschlagewerk aufgenommenen Schriftstellern und Dichtern einer-
seits, den bildenden Künstlern andererseits — in beiden Fällen mit Rücksicht auf die
Gegenwart — obwaltet. Während ich Schriftsteller von Bedeutung in der Regel mehr
oder minder ausführlich behandelt fand, versagte das Lexikon für Künstler von gleicher
Bedeutung in der Regel. Allerdings ist ja die Abschätzung der Bedeutung in solchen
Fällen sehr subjektiv. Da man aber bei anderen ähnlich allgemein gehaltenen Veröffent-
lichungen, wie z. B. bei der »Allgemeinen deutschen Biographie« dieselbe Wahrnehmung
und zwar noch deutlicher machen kann — es flnden sich in der ADB. vielfach die
elendesten Reimer (ich denke namentlich an verschiedene Meistersinger) nach ihren Leben
und Werken geschildert, während tüchtige, ja bedeutende Künstler, z. B. Benedikt Wurzel-
bauer, Valentin Maler u. a. ganz fehlen — , so kommt der Beobachtung doch auch wohl
objektive Geltung zu. Vermutlich hat die Erscheinung ihren Grund darin, daß die mit der
Auswahl des Stoffes oder auch der Wahl der Mitarbeiter betrauten Persönlichkeiten, die Leiter
und Redaktoren eines solchen Unternehmens in der Regel weit nähere Beziehungen zum
Schrifttum haben, als zur Kunst in allen ihren Verzweigungen. Immerhin aber sollte künftig
wenigstens auf Abhilfe, auf einen Ausgleich dieser Unebenheit Bedacht genommen werden.
Wie der Text des Konversations-Lexikons, so hat auch die Ausstattung desselben
mit Abbildungen im Laufe der Jahrzehnte erhebliche Veränderungen und zwar, wie man
sich angesichts der raschen und fortgesetzten Vervollkommung der Reproduktionsverfahren
während dieser Zeit wohl denken kann, eine Entwicklung in mächtig aufsteigender Linie
zu verzeichnen gehabt. So ist denn auch die neueste 6. Auflage um rund 1000 Abbildungen
und um ungefähr 150 Tafeln vermehrt worden, unter denen namentlich die zahlreich
hinzugekommenen geographischen Blätter und die neue Erscheinung der Bildnistafeln
gewiß allgemein freudig begrüßt werden wird.
Ober die Trefflichkeit der Textabbildungen oder der zum großen Teil in Farben-
druck ausgeführten Tafeln brauchen wir hier kein Wort weiter zu verlieren, wie ja die
in Meyers Konversations - Lexikon vorliegende gewaltige Leistung einer eigentlichen
Empfehlung überhaupt nicht mehr bedarf. Th. H.
Hans Dlillwuttel un all, wat mehr is. Von EnnoHektor. Neu herausgegeben
von F. W. V. N e ß. Mit einem Lebensbilde des Dichters von Fr. vonHarslo. Emden 1905.
Verlag von W. Schwalbe. 196 S. 8«.
Eine Auswahl der Werke des in seiner ostfriesischen Heimat unvergessenen einst-
maligen Bibliotheksekretärs am Germanischen Museum Enno Hektor (f 1874) liegt hier
in einer neuen^ mit Liebe besorgten Ausgabe vor. B^ sind im wesentlichen seine zumeist
in niederdeutscher Sprache verfaßten »DüUwutteliaden« (»Harm Düllwuttel up Ball«,
»Harm upFreersfoten«, »Harm up t Dornmer Markt« u. s. w.), die in der zweiten Hälfte
der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, also vor Klaus Groth, Fritz Reuter und
John Brinckman, in Ostfriesland einen wahren Jubelsturm entfesselten, und einige nieder-
deutsche Gedichte (»In Oostfreesland is t am besten« u. a.), von denen sich ein paar
durch echte Empfindung und Gemütstiefe auszeichnen und daher auch einen verfeinerten
Geschmack noch anzusprechen vermögen. Der Ausgabe ist ein Bildnis Hektors und eine
mit großer Wärme geschriebene, lesenswerte Biographie desselben beigegeben. Th. H.
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LITERARISCHE BESPRECHUNßEN.
45
Schriftstellerbibliothek Nr. 1. Auskunftsbuch fflr Schriftsteller. Nr. 3. Ver-
les:erlisten für Schriftsteller. Herausgegeben von der Redaktion der »Feder«
Berlin. Federverlag (Dr. Max Hirschfeld). 144 und 141 S. 8.
Bei der Ausdehnung, welche die Schriftstellerei als alleiniger Beruf oder Neben-
erwerb in unserer Zeit gewonnen hat, kommen Bücher wie die beiden vorliegenden, die
in knapper Form und im wesentlichen richtig die hauptsächlichsten Fragen behandeln
und beantworten, denen sich insbesondere der jugendliche Schriftsteller, der Anfanger,
zunächst in der Regel ratlos gegenüber sieht, ohne Zweifel einem wirklichen Bedürfnisse
entgegen. Ihre Lektüre kann dem Werdenden, dem Ringenden gewiß manche üble Er-
fahrung ersparen, während der gereifte Journalist, der bereits in dem selbstgewählten
Berufe Wurzel gefaßt hat, bei der teilweise zu mechanischen, teilweise auch zu generellen
Abwandlung der meisten Fragen kaum seine Rechnung finden wird. Auch wäre eine
vom Schriftstellerberufe mit Ernst und unter Darlegung der Gründe abratende Schrift
oder gar eine volkswirtschaftliche Abhandlung, die Mittel und Wege nachzuweisen ge-
sucht hätte, dem Überhandnehmen der Schriftstellerei und der Oberproduktion an »Geist«
in unserem lieben Deutschland zu steuern, entschieden noch weit nötiger und nützlicher
gewesen. Denn an was für Schriftsteller als Benutzer der »Schriftstellerbibliothek« mit
gedacht ist, zeigen beispielsweise die in Band I S. 116 ff. abgedruckten »Formulare für
Schriftsteller,« die Formulare zu Begleitschreiben, zu Mitarbeitergesuchen (»Billige Zweit-
drucke von Romanen, Novellen, belletristischen Arbeiten von Feuilletonlänge etc. . . habe
stets in großer Auswahl vorrätig«) zu Bestätigungs-Postkarten, Mahn-Postkarten u. s. w.
mit geradezu erschreckender Deutlichkeit. Th. H.
Das Deutsche Rechtswörterbuch. In den Sitzungsberichten der Berliner Akademie
der Wissenschaften berichtet HeinrichBrunner alljährlich über den Stand der Arbeiten
am Wörterbuch der deutschen Rechtssprache. Da dieses Unternehmen nicht nur für
Rechtshistoriker und Philologen, sondern auch für allgemeine Geschichte, Kultur- und
Wirtschaftsgeschichte von der größten Bedeutung ist, so sind einige Worte hierüber an
dieser Stelle vielleicht von Interesse.
Das Bedürfnis nach einem Werke, in dem die deutschen Rechtsausdrücke aller
Zeiten und Mundarten gesammelt und erklärt sind , ist wohl bei allen Studien auf histo-
rischem Gebiete ein lang und lebhaft empfundenes. Die bereits vorhandenen Glossare
und Wörterbücher sind teils recht veraltet^) und lückenhaft, oder sie berücksichtigen
die rechtliche Bedeutung der Ausdrücke zu wenig ; andere bringen überhaupt keine Er-
klärungen oder sie beschränken sich der Natur der Sache nach zeitlich, örtlich oder
sachlich auf ein begrenztes Gebiet, wie z. B. die oft vorzüglichen Register der Urkunden- .
ausgaben. Du Gange berücksichtigt das deutsche Sprachgut erst in zweiter Linie.
Bereits 1893 hat Heinrich Brunner auf dieses Bedürfnis nach einem deutschen
'Rechtswörterbuche hingewiesen und bereits ausgesprochen, welche Förderung der histo-
rischen Forschungen durch ein derartiges Unternehmen zu erwarten sei. Die Berliner
Akademie der Wissenschaften nahm sich dieses Planes an, das Kuratorium der Hermann
und Elise geb. Heckmann Wen tzel- Stiftung stellte Mittel hiezu zur Verfügung und
1896 bildete sich eine Kommission, die aus den Professoren v. Amira (München),
Brunner, Dümmler, Gierke, W e i n h o 1 d (Berlin), Frensdor ff (Göttingen) und
Schroeder (Heidelberg) bestand. Heute sind in der Kommission die Professoren
Brunner, Gierke, Frensdor ff, Huber (Bern, als Vorsitzender der 1900 bestehen-
den Schweizer Kommission) , R o e t h e (Berlin), Schroeder und Freih. v. Schwind
(Wien, als Vorsitzender der 1903 ins Leben getretenen österreichischen Kommission).
Den Vorsitz führt Geheimrat Brunn er, die Leitung der praktischen Arbeiten liegt in
den Händen Geheimrat Schroeder* s. Als Hilfsarbeiter standen, bezw. stehen letzterem
zur Seite: 1898—1901 Professor R. His (jetzt in Königsberg), 1901—1904 Dr. jur. et phil.
H. Rott, seit 1901 Dr. phil. G. Wahl, seit 1903 Privatdozent Dr. jur. L. Per eis und
seit 1905 der Unterzeichnete.
') Ganz abgesehen davon, dafs sich in den letzten Jahrzehnten infolge der grofsen Zahl von dankens-
werten Quellenausgabeu unsere Kenntnis des alten Wortschatzes aufserordentlich erweitert hat
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46
UTERARISCHB BESPRECHUNGEN.
Die leitenden Grundsätze bei der Arbeit sind kurz folgende : Es werden alle Rechts-
ausdrücke (als solche gelten auch Rechtssymbole , Münzen und Maße) des deutschen
Sprachgebietes vom Beginn der Aufzeichnungen bis um das Jahr 1750 gesammelt Auch
die angelsächsischen, friesischen und langobardischen Wörter werden aufgenommen; der
skandinavische Wortschatz wird nur zur Etymologie gemeingermanischer Ausdrücke her-
angezogen. Aufzeichnungen in lateinischer Sprache werden ebenfalls verwertet, jedoch
daraus blos die eingestreuten germanischen Wörter notiert: z. B. jus quod vulgariter
dicitur spitzreht, oder gualdemannus. Vor allem gilt es, die gesamten Rechts-
aufzeichnungen älterer Zeit zu exzerpieren, weiters werden aber auch Urkunden und
andere Nebenquellen der Rechtserkenntnis verarbeitet.
Die Fülle des Materiales erfordert eine große Zahl von Mitarbeitern und es sind
auch erfreulicher Weise Juristen , Historiker und Philologen im Deutschen Reich , in
Österreich, in der Schweiz, in den Niederlanden und in Belgien daför gewonnen worden.
Wie den Sitzungsberichten der Berliner Akademie der Wissenschaften*) zu entnehmen
ist, sind bereits sehr viele Quellen erledigt, doch ist begreiflicher Weise noch ein reich-
licher Stoff zu bewältigen, sodaß weitere Meldungen zur Mitarbeit sehr willkommen sind^.
Diejenigen Forscher, welche dem Werke Interesse schenken, aber infolge Berufspflichten
und anderer Arbeiten nicht in der Lage sind, in größerem Umfange mitzuarbeiten, können
der allgemeinen Sache dadurch außerordentlich schätzenswerte Dienste leisten, daß sie
gelegentliche Funde dem Rechtswörterbuche zukommen lassen. Für diese gelegent-
liche Mitteilung von Notizen handelt es sich vornehmlich um solche deutsche Rechtsaus-
ausdrücke und formelhafte Wendungen der Rechtssprache, die entweder überhaupt oder
doch in dieser Zeit und Gregend selten vorkommen; insbesondere sind aber jene Aus-
drücke sehr willkommen, die in den landläufigen Glossarien und Wörterbüchern nicht
oder nicht in der gefundenen Bedeutung fUr jene Zeit und Gegend verzeichnet sind.
Hiebei kommt gedrucktes und ungedrucktes Material in Betracht. Namentlich wird sich
Anlaß bieten zu solchen gelegentlichen Beiträgen bei Archivstudien, Urkundenausgaben,
lokalgeschichtlichen Untersuchungen und dergl. Auf diese Weise kommen Kenntnisse
des Spezialforschers der Allgemeinheit in weitestem Maße zugute : Die zeitliche und räum-
liche Verbreitung von Rechtsausdrücken und Rechtseinrichtungen kann genauer fest-
gestellt werden, viele bisher nicht genügend erklärte Wörter werden in ihrer Bedeutung
erkannt, und der reiche Schatz unserer deutschen Rechtsprache erhält weiteren Zuwachs*).
Abgesehen von solchen buchstabengetreuen Quellenexzerpten wird sich unter Umständen
Gelegenheit zu einer wertvollen Bereicherung des gesammelten Materiales dadurch er-
geben, daß Bemerkungen, Ergänzungen und Berichtigungen zu bereits vorhandenen Wörter-
büchern dem Archive des Rechtswörterbuches bekannt gegeben werden.
Von der künftigen Einrichtung des Wörterbuches geben einige Probeartikel, die
von Kommissionsmitgliedern verfaßt wurden, ein anschauliches Bild. So der Artikel
Weichbild (von R. Schroeder) in der Festschrift fttr den 26. deutschen Juristentag 1902,
dann makler (von F. Frensdorff), pflege (von O. Gierke), walraub (von H. Brunn er),
wize (von G. Roethe) in dem Sitzungsbericht der Berliner Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse, 1906. Dr. jur. Eberhard Frh. v. Künssberg.
«) Die WGrterbachberichte werden auch abgedruckt in der Zeitschrift fQr Rechtsgeschichte (germ. Abt).
3) Diesbezügliche Zuschriften wollen an Geheimrat Prof. Dr. Richard Schroeder, Heidelberg, Ziegel-
häuser Landstrarse Nr. 19 gerichtet werden , worauf Zusendung einer Instruktion und Zuteilung einer Quelle
erfolgt. Betreffs österreichischer Quellen wolle man sich an Prof. Ernst Frhr. t. Schwind, Wien XIII,
Penzingerstr. 66 wenden.
^) Diese Beiträge bitten wir auf Oktarbl&tter des Kanzleipapiers (16'/2 X lO'/a cm.) quer zu schreiben
mit Unterstreichung des Stichwortes und rechts mit Freilassung eines beiläufig zweifingerbreiten Randes. Die
betreffende Quellenstelle ist buchstabengetreu und in solcher Ausdehnung zu geben, dafs sich die Bedeu-
tung des Stichwortes möglichst unzweideutig erkennen läfst Etwaige Erklärungen des Einsenders oder solche
Notizen , die sich in der Ausgabe selbst finden, sind sehr erwünscht nnd mögen auf dem rechten Rande ver-
merkt werden mit Angabe des Urhebers der Erklärung. Ort, Jahr und Fundstelle (bei Büchern auch Band-
nununer, Seite und Urkundennummer) sollen möglichst genau angegeben sein. Femer wird um deutliche,
lateinische Schrift gebeten. Auf Wunsch werden gedruckte Zettelformulare, wie sie im Archive des Rechts-
wörterbuches (Heidelberg, Universitätsbibliothek) verwendet werden, jederzeit unentgeltlich zugeschickt
U. CtabaM, NOrnMr«.
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EINE NÜRNBERGER HAUSKAPELLE.
Nachtrag
VON DR. FRITZ TRAUGülT SCHULZ.
(Mit 1 Tafel.)
Im Jahrgang 1905 dieser Zeitschrift, S. 57 — 62, entwarf ich auf Grund einer
auf Tafel II reproduzierten Aquarellzeichnung von Georg Christoph
Wilder, einer von ihm gefertigten Skizze zu dem großen Tafelbilde zur
Linken des Altares, einiger Photographien und mündlicher Mitteilungen des
inzwischen verstorbenen Hausinhabers unter dem Titel »Eine Nürnberger
Hauskapelle« eine Schilderung des früheren Zustandes der Hauskapelle im
ehemaligen Haus zum goldenen Schild in Nürnberg. Schon damals war mir
das erwähnte große Tafelbild zur Linken des Altares aufgefallen. Ich konnte
mir nicht denken, daß ein solch umfangreiches Gemälde so ganz spurlos sollte
verschwunden sein, und gab darum der Vermutung Raum, daß es möglicher-
weise noch vorhanden wäre, ohne daß man um seine Herkunft wüßte. Ich
schrieb damals: »Ob sich das Bild irgendwo erhalten hat, vermag ich nicht
zu sagen. Vielleicht gelingt es anderen, dasselbe auf Grund meiner Beschrei-
bung ausfindig zu machen«. Der Zufall wollte es, daß daraufhin das beregte
Bild wieder entdeckt wurde. Herr August Stoehr, Sekretär am pol)rtech-
nischen Zentralverein in Würzburg, zugleich Konservator der dortigen Samm-
lungen des fränkischen Kunst- und Altertumsvereins, war es, der bald nach
dem Erscheinen meines Aufsatzes an uns die Mitteilung gelangen ließ, daß
das beschriebene und gesuchte Bild identisch sei mit dem in den genannten
Sammlungen befindlichen großen Tafelbilde der Auferstehung Christi. Eine
Inaugenscheinnahme des letzteren an Ort und Stelle bestätigte die Richtigkeit
dieser interessanten und erfreulichen Entdeckung. Sie ist in mehrfacher Hin-
sicht von Belang. Zunächst ist ein durch die Größe seiner Komposition be-
deutsames und in seinem künstlerischen Wert durchaus schätzbares Kunstwerk
in seiner Schulzugehörigkeit und nach seinem ursprünglichen Standort wieder
aufgefunden worden. Dann aber gibt es uns einen Maßstab, um zu beur-
teilen, mit wie gearteten Gegenständen man seiner Zeit in Nürnberg die zur
Hausandacht bestimmten Kapellen im Inneren ausgestattet hat. Schließlich
können wir auf diese Weise auch einen kleinen Streifblick auf den Geschmack
und die Wohlhabenheit der Bürger Alt-Nürnbergs tun. Nachdem ich durch
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4S EINE NÜRNBERGER HAÜSKAPBLLS.
das wiederaufgefundene Original, dessen Veröffentlichung mir Herr Stoehr
bereitwilligst überließ und welches zur Zeit mit Genehmigung der Vorstand-
schaft des genannten Vereins in der historischen Ausstellung der Stadt Nürn-
berg auf der dritten bayerischen Jubiläums-Landesausstellung zur Darbietung
gebracht ist, in die Lage versetzt bin, meine seinerzeitigen Darlegungen zu
modifizieren und das Bild an der ihm zukommenden Stelle einzurangieren, so
will ich dies in Form eines Nachtrages zu meinem früheren Aufsatz tun. Eis
muß dies auch deswegen geschehen, weil unterdessen noch ein zweites, nicht
minder wichtiges Ausstattungsstück der Kapelle wieder aufgefunden worden
ist, nämlich der Altaraufsatz, der unter den kleineren Altärchen der südlichen
Seitenkapelle am kirchlichen Hauptraum in den Sammlungen des Germanischen
Museums schon seit langen Jahren eine Unterkunft gefunden hat. Da von
früher her nichts über dessen Provenienz überliefert war, wußten wir nicht,
daß wir es mit dem Altaraufsatz aus der früheren Hauskapelle im Haus zum
goldenen Schild zu tun hatten. Der Zufall wollte es, daß ich dies aus der
Erinnerung der Wilder sehen Zeichnung herausfand. Man braucht sich darum
nicht zu wundern, wenn der Altar bei uns bislang als eine allerdings fraglich
gelassene schwäbische Arbeit aus der Zeit um 1520 bezeichnet war. Wir
wenden uns nunmehr den genannten beiden Stücken des Näheren zu, ihre
gegenständliche und künstlerische Ausführung betrachtend und würdigend.
Das Auferstehungsbild.
Wenn ich damals das Auferstehungsbild eine ganz bedeutende Schöpfung,
die etwa in den Jahren 1480 — 1490 entstanden sein könnte, genannt und
dabei an Wolgemut als seinen Urheber gedacht habe, so urteilte ich lediglich
an der Hand eines unzureichenden Materials. Es fehlte mir eben das Original,
dessen Autopsie eine Änderung meiner damaligen Argumentationen erforder-
lich macht. Fassen wir zunächst die Darstellung als solche ins Auge! Das Bild
hat die Auferstehung Christi zum Gegenstand*). Verbunden ist damit zu-
gleich eine Darstellung der Familie des Stifters, wodurch es zu einem Devotions-
bild wird. Siehe Taf. III. Die eigentliche Szene hebt sich samt dem zugehörigen
Hintergrund scharf von der Tafel ab, da das obere größere Drittel mit flach
herausgeschnitztem Rankenwerk gefüllt ist. Wir dürfen hierin eine Reminis-
cenz an den großen Heilsbronner Schmerzensmann aus der zweiten Hälfte
des 14. Jahrhunderts sehen, der sich ebenfalls von plastisch gemustertem
Grunde greifbar ablöst. Nur ist dort die Musterung eine schematische und
bedeckt sie so ziemlich die volle Tafelfläche. Hier ist sie eine etwas
lebendigere und beschränkt sie sich ferner auf den oberen Teil des Bildes.
Obwohl der Künstler in der Landschaft nicht ungeübt ist, hat er es dennoch
nicht gewagt, ganz auf den traditionellen Goldgrund zu verzichten. Denn tat-
sächlich ist derselbe trotz der Musterung durch Ranken noch vorhanden, nur
ist er im Gegensatz zu der sonst glatten Behandlung freier und bewegter
•) Siehe auch den Katalog der histor. Ausstellung der Stadt Nürnberg auf der
Jubiläums-Landes-Ausstellung Nürnberg 1906 Nr. 53 (mit Abbildung) und Zeitschrift für
christliche Kunst 1906, S. 133—134.
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
49
gestaltet. Dieser gemusterte Grund scheint überhaupt eine Art Zwischen-
stufe zwischen dem glatten Goldgrund und der nachherigen Belebung des
Hintergrundes durch eine wirkliche, farbig gemalte Landschaft oder durch
stoffliche Draperien zu sein. Den größeren Teil des Bildes d. h. etwa die
unteren zwei Drittel nimmt die gemalte Darstellung ein. Vorn in der Mitte
steht, als die Hauptfigur die symmetrisch abgewogene Szenerie beherrschend,
Christus mit rotem Überwurf. Die linke Mantelhälfte hängt mit leichter
unterer Ausbiegung, ohne den Körper zu berühren, über den Rücken herab.
Die rechte Hälfte ist, über dem Schoß wulstige Dreieckfalten werfend, über
die linke Schulter heraufgeschlagen, um dann lebhaft nach rechts emporzu-
flattem. Eine organische Verbindung von Mantel und Körper besteht nicht.
Das Kleidungsstück ist im Vergleich zu dem schmächtigen Körper, der einer
modellierenden Durchbildung noch entbehrt, viel zu weit. Die Beine sind
etwas zu lang geraten, die Füße zu groß. Die Linke hält ein Stabkreuz mit
nach rückwärts wehender Siegesfahne, die ein weißes Kreuz auf rotem Grunde
zeigt. Die Rechte ist mit segnender Gebärde erhoben. Das bärtige, noch
wenig entwickelte Antlitz wird wie auch diejenigen der übrigen Figuren von
einem durchsichtigen Heiligenschein umgeben, der aussieht, als sei er von
Glas gemacht. Besonderes Leben verrät die Figur nicht. Nur der Gestus
der rechten Hand ist belangvoll und das Neigen des Hauptes dazu gut be-
obachtet. Das Antlitz zeigt wie auch die meisten übrigen Figuren eine niedrige
Stirn. Hinter dem Auferstandenen wird das geöffnete Grab sichtbar. Es
hat einfache Kastenform und ist grau getont. Der abgehobene Deckel steht
aufrecht im Kasten.
Zur Linken und Rechten des Auferstandenen verteilen sich die knienden
Figuren der Maria und der zwölf Apostel. Sie scheinen sich perspektivisch
aus der Tiefe heraus zu entwickeln, während sich die vorn kniende Serie der
kleiner gezeichneten Mitglieder der Stifterfamilie nach der Tiefe zu verjüngt.
Durch diesen Tric wird eine starke Erhöhung der Mitte bewirkt und tritt
dadurch die Hauptfigur förmlich dominierend hervor. Diese rhythmische
Symmetrie ruft eine in sich geschlossene Harmonie der Komposition hervor,
welche dem Bilde eine gewisse Bedeutung im Rahmen der allgemeinen Ge-
schichte der Malerei der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einräumt. Sie
beschränkt sich aber nicht auf den Vordergrund allein, sie greift über auf
die Landschaft und sogar auf den ornamentalen Hintergrund, in welchem ober-
halb des mittleren Hügels der Landschaft Gott Vater im Gewölk schwebt,
während von rechts und links Engel mit flatternden Spruchbändern heran-
fliegen. In diesem Rh)rthmus, der von eintöniger Gleichförmigkeit durchaus
frei ist, offenbart sich eine energische Künstlernatur, die mit Bewußtsein ein
positives Ziel anstrebt.
Gleich links von Christus kniet Maria. Ihr Antlitz blickt sinnend und
ernst. Die Gesichter der Apostel hinter ihr sind wenig aufwärts gerichtet.
Nur einer unter ihnen, nämlich der dritte von rechts, schaut zur Seite, seinen
Begleiter durch Gesten auf das Wunder hinweisend. Die Gesichter der Apostel
sind im Typus nicht allzu sehr von einander verschieden. Gemeinsam ist
MitteilttDgen aus dem german. Nationalmuseum. 1906. 7
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50 EINE NÜRNBERGER HAUSKAPELLE.
ihnen die scharfrückige Nase, die vorgeschobene Unterlippe, die flache Stirn.
Eine verschiedenartige Charakterisierung ist angestrebt. Bewirkt wird sie in
erster Linie durch die wechselnde Behandlung von Bart und Haupthaar. Am
besten gelungen sind die beiden Apostel mit wallendem greisen Vollbart und
weißem Haupthaar, das bei dem einen in Locken gewellt ist, während es bei
dem anderen die Stirn freiläßt, um nur den Hinterkopf zu bedecken. Alle
Apostel tragen bis auf Johannes den Typus des älteren, an Jahren und Er-
fahrung gereiften Mannes. Johannes dagegen erscheint jugendlich, bartlos
und mit vollem lockigen Haar. Der Apostel ganz links zeigt in der Aus-
bildung des Kopfes einige Verwandtschaft mit dem sonst bei Gott Vater
üblichen Tjrpus. In seinem Blick liegt zugleich etwas von freudiger Erregung.
Die Apostel zur Rechten gestikulieren lebhafter wie die zur Linken. Der
vordere hat beide Hände auf die Brust gelegt. Der zweite weist, sich dabei
zu seinem Begleiter umwendend, mit dem Finger nach oben. Dieser ist
im Profil gesehen und schaut, das Haupt rückwärts gebeugt, aufwärts. Der
vierte hat die Hände verwundert zusammengelegt. Der fünfte breitet sie auf
die Brust, während sie der letzte rechts mit den inneren Flächen nach aus-
wärts gekehrt emporhebt. Die Blicke sind, abgesehen von dem zurückschauen-
den Apostel, emporgerichtet. Die Behandlung der Köpfe entspricht derjenigen
der Apostel zur Linken. Doch trägt nur der vierte Apostel von links einen
längeren Vollbart, während die anderen Apostel kürzer geschorene, eckig zu-
geschnittene Barte haben. Die Apostelgruppe zur Linken ist im Vergleich
zu der anderen in Bewegung und Ausdruck ruhig, während aus dieser Be-
wegtheit, fast sogar leidenschaftliche Erregtheit spricht.
Bei allen diesen Figuren ist von einem körperlichen Studium wenig zu
bemerken. Sie sind in übermäßig weite Gewänder, die sich in vielfachem
Gefaltel auf den Erdboden herabsenken, gehüllt. Die Gewänder sind die
Hauptsache, nicht die Körper, die fast vollkommen unter den ersteren ver-
schwinden. Nur einer der Apostel auf jeder Seite entbehrt des Übergewan-
des und trägt lediglich einen mit einem Gurt um die Hüften zusammen-
gehaltenen, enger anschließenden Rock. Daß dies auch bei Johannes der
Fall ist, finden wir natrülich. Die anderen Figuren aber tragen durchweg
über dem knapper anliegenden Untergewand, das den Körper unmittelbar zu
decken scheint, einen in großen, oft unruhigen Knitterfalten gelegten Mantel.
Glatte Gewandpartien sind nur an den Schultern zu bemerken. Im Übrigen
ist versucht, die lastende Schwere des Stoffes auszudrücken. Als Farben
sind verwandt ein graugetontes Weiß, ein satteres und ein helleres Rot,
Dunkelblau, Stahlgrau, Grasgrün und Dunkelgrau.
Vorn unten zu den Füßen der Hauptfiguren kniet die Familie des Stifters.
Sie besteht aus 18 Mitgliedern, die sich ihrem Alter entsprechend in der
Größe nach dem Mittelgrunde zu abstufen. Die größeren Figuren sind etwa
halb so groß wie die Apostel, die kleinsten haben eine Größe von nur 13 cm.
Das Familienoberhaupt, neben welchem ein mit großer Helmzier geschmückter
Schild mit dem Lochnerschen Wappen steht, trägt einen schlichten schwarzen
Rock. Die Hände, welche den Rosenkranz halten, sind in Andacht zusammen-
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VON DR. FRITZ TRAUQOTT SCHULZ.
51
gelegt. Das bartlose Antlitz verrät im Ausdruck den in reiferem Alter stehen-
den Mann. Die von dem Nasenflügel nach dem Mundwinkel laufende Falte
tritt energisch hervor. Die Augen sind verhältnismäßig groß. Das greise
lockige Haupthaar steht etwas vom Kopfe ab. Neben dem Vater kniet eben-
falls in andächtiger Haltung sein ältester Sohn, der sich dem geistlichen
Stande gewidmet hat. Auf dem Haupt hat er eine rote Mütze. Das weiße
Untergewand ist mit rotem Stoff gefüttert. Den Oberkörper verhüllt ein grau-
farbener Pelzkragen mit langen Zaddeln. Nun folgen dem Alter nach die weiteren
sieben Söhne, sämtlich mit blondem lockigen Haar und in rotem weißge-
fütterten Rock. Sie knien in der gleichen Haltung wie das Familienober-
haupt. Doch hält nur der größere unter ihnen einen Rosenkranz in den
Händen, während die anderen eines solchen entbehren. Die Gesichter tragen
so ziemlich den gleichen Typus. Der älteste gleicht im Gesichtsausdruck
sehr dem Vater. Vor ihm lehnt ein Schild, auf welchem das Lochnersche
und das Fütterersche Wappen. Vor dem zweiten bemerken wir einen Schild
mit dem Lochnerschen und dem Plobenschen Wappen. Die beiderseitigen
Wappen sind derart als Alliancewappen vereinigt, daß der Schild vierfach
geteilt und das eine Wappen in den Feldern 1 und 4, das andere in den
F^eldern 2 und 3 untergebracht ist. Die Zahl der weiblichen Mitglieder
der Stifterfamilie korrespondiert derjenigen der männlichen. Es sind ihrer
ebenfalls neun. Bei dem Antlitz der Gattin des Stifters werden wir an die
Maria zur Linken des Auferstandenen erinnert. Die Gesichtszüge sind ein-
ander verwandt. Den Kopf umhüllt eine weite Haube, wie sie um die Mitte
und in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts üblich war. Die Hände halten
einen lang herabhängenden, aus roten Kugeln bestehenden Rosenkranz. Der
weite schwarze, glatt herabfallende Mantel ist vorn mit Pelz besetzt. Neben
ihr schwebt, wenig nach links geneigt, das sicher gezeichnete, im Kolorit wirk-
same Wappen der Pirkheimer. Links neben der Mutter kniet eine unver-
heiratete Tochter in roter Gewandung. Dann folgt mit großer Kopfhaube,
weitem, vorn mit Pelz besetztem roten Mantel und gleichfarbigem Unter-
gewand eine im Gesichtsausdruck der Mutter ähnelnde verheiratete Tochter.
Vor ihr lehnt ein Schild mit dem Lochnerschen und dem Preglerschen Wappen.
Nunmehr folgen mit gleichmäßig emporgerichtetem Blick sechs weitere Töchter,
deren Tracht derjenigen der zwischen den beiden Frauen knienden Tochter
entspricht. Haltung und Wurf der Falten gleichen sich sehr.
Von der Landschaft, welche die eigentliche Szenerie abschließt, war
schon oben in Kürze die Rede. Sie läßt in ihrem Arrangement die figurale
Komposition vortrefflich ausklingen. Sie paßt sich derselben förmlich an und
folgt ihr in ihren wesentlichen Linien. So etwas findet man in dieser Zeit
sonst nur selten, weshalb es wohl nicht unberechtigt ist, wenn ich diesem
Bild einen Platz unter den Leistungen seiner Zeit angewiesen und seine Be-
deutung nicht zu gering angeschlagen wissen möchte. Das Kolorit der Land-
schaft ist ein schlichtes, es bewegt sich nur in wenigen Farben. Ob dies
Absicht war, können wir nicht mit Bestimmtheit behaupten. Für uns ist es
nur wichtig zu konstatieren, daß die Hauptszene durch die Landschaft in
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52 SIKB NÜRNBERGER HAUSKAPELLE.
keiner Weise beeinträchtigt wird. Diese schließt jene vielmehr in unauffälliger
Weise ab, sie dadurch nur noch in ihrer Bedeutung hebend. Unmittelbar hinter
dem Auferstandenen steigt eine kegelförmige Anhöhe von dunkelgrünem Ton
empor. Seitlich von ihr dehnen sich graugrüne Felder, hinter denen zwei
kleinere Erhebungen ansteigen. Auf der linken baut sich eine burgartige
Anlage auf. Die andere ist von Gebäuden frei geblieben. Doch zieht sich
in der Talsenkung rechts neben ihr eine mit Mauern bewehrte Stadt hin,
welche im Inneren mit drei Kirchen ausgestattet ist. Die zahlreichen Mauer-
türme und die kirchlichen Bauwerke sollen natürlich die Vorstellung einer
größeren Stadt, bei der vielleicht Nürnberg dem Künstler vorgeschwebt hat,
erwecken. Ein von Bäumen begleiteter Weg führt in gewundener Linie von
der Mitte des Sarkophags aus an dem Haupthügel vorüber nach der Stadt
zu. Rechts und links wird die Landschaft von felsigen Bergen mit dicht-
belaubten Baumgruppen darauf abgegrenzt. Sie ist mit breitem Pinsel ohne
detaillierende Nüancierungen flott hingeworfen. Daß sie von Übermalungen
nicht frei geblieben ist, soll nicht unerwähnt gelassen werden.
In besonderem Maße ist dies der Fall mit den oben im Rankenwerk
schwebenden Figuren, welche in ihren Umrissen aus dem gemusterten Grunde
gewissermaßen ausgespart sind. Die Mitte nimmt, umrahmt von einem kranz-
förmigen Gewölk, welches über den unteren Körper hinweggeht, Gott Vater
mit dem Reichsapfel in der Linken und mit segnender Rechten ein. Vor
ihm fliegt mit ausgebreiteten Flügeln in Gestalt einer Taube der heil. Geist.
Die Füße Gott Vaters schauen unten aus den Wolken heraus. Die ihn be-
gleitenden Engel sind mit einem späteren hellroten Ton überzogen. Über-
haupt scheint die ganze Gruppe übermalt worden zu sein. Auch die Ver-
goldung des Rankenwerks dürfte schwerlich noch die ursprüngliche sein. Das
Kolorit der mit flatternden Spruchbändern von rechts und links heranschwe-
benden Engel dürfte ebenfalls nicht mehr das anfangliche sein. Die Farben
der Flügel widersprechen direkt der Entstehungszeit des Bildes. Sie scheinen
dem 17. Jahrhundert anzugehören. In den Ecken rechts und links oben be-
merken wir die aus dem Untergrunde flach herausgearbeiteten Sinnbilder von
Sonne und Mond, welche als die Vertreter von Tag und Nacht die Ewigkeit,
das ewige Leben, zu welchem Christus eingeht, anzudeuten scheinen. Zu
erwähnen ist schließlich noch, daß das Rankenwerk mit einzelnen, farbig be-
handelten Blüten untermischt ist.
Wann ist nun das Bild entstanden ? Gibt es Anhaltspunkte, welche eine
genauere Begrenzung seiner Entstehungszeit ermöglichen? Es ist klar, daß
hiervon angesichts der Bedeutung desselben für die Kunstgeschichte viel ab-
hängt. Die Wappen, welche verschiedenen Mitgliedern der im Vordergrunde
knienden Stifterfamilie beigefügt sind, geben dem Kenner der Ortsgeschichte
nach dieser Richtung hin ein willkommenes Material an die Hand. Dem
Familienoberhaupt ist das Wappen der Familie Lochner, seiner Gattin das-
jenige der Familie Pirkheimer beigegeben. Letzteres ist bekannt, ersteres
weniger. Der Schild ist vierfach geteilt und von einem Horizontalbalken
durchquert. Feld 1 und 2 sind blau, Feld 3 und 4 rot tinktiert. Der Balken
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
53
zeigt auf gelbem Untergrund links eine blaue, rechts eine rote Kugel. Nach
den handschriftlichen Familienchroniken unserer Bibliothek haben die Löchner
zum Adel gehört. Sie sind ein altes fränkisches Geschlecht, das seinen
Namen von einem Schlößlein auf dem Gebirg, >zum Loch« genannt, hat.
Als der zu frühest vorkommende des Geschlechtes wird 1283 Poppo von
Loch aufgeführt. Weiter begegnen 1300 Conrad Lochner, 1301 Erhard Lochner,
1320 Seifried Lochner, 1338 Heinrich Lochner. »Und wohnen disz Geschlecht
noch etliche zu Huttenbach v. Winterstein uf dem Gebürg«. Wir erfahren
aus unserem Familienstammbuch : »Verzeichnusz und Wappen derjenigen
adelichen und erbaren Familien, welche in allhiesigen Burgerrecht von A. 900.
bisz 1400. gefunden werden und zu den Genanntenstandt theils auch anderen
ansehnlichen Ehrenaemtem ausser dem Rath ^gelanget sind«, daß sich vor-
mals in der Lorenzkirche ein Monument mit folgender Inschrift befunden
hat: »Anno domini MCCCC und im XLII Jahr am Samstag vor. dem heil.
Auffarthstag do verschiet die Erbar Frau Katarina Heinrich Lochnerin, der
und allen glaubigen Seelen Gott genedig seye«. Würfels Wiedergabe der In-
schrift lautet etwas anders. Bei Hilpert wird das Monument unter den weg-
genommenen Schilden aufgeführt. Die Unvollständigkeit in der Wiedergabe
der Grabschrift bei Würfel deutet darauf hin, daß es eine gemalte Tafel war,
die jedoch durch das Alter derart gelitten hatte, daß manches nicht mehr
leserlich war. Auch in der Sebalduskirche hat sich früher ein Lochnersches
Epitaph befunden und zwar mit folgender Grabschrift : »Anno domini
MCCCCLXXXIV die vero XIX. Septembris obiit venerabilis egregiusq do-
minus Johannes Lochner utriusq juris doctor, Radtisponae Canonicus, in
Forcheim Praepositus, hujus vero ecclesiae sancti Sebaldi Praepositus et Ple-
banus. Cujus anima requiescat in pace. Amen«. Diese Grabschrift stimmt
mit der von Würfel mitgeteilten im Wesentlichen überein. Ob dieser Johannes
Lochner aber ein Mitglied unserer Familie war, muß fraglich bleiben, da er
nach Würfel von Brixenstadt gebürtig war. Gerne würde man den Geistlichen
auf unserem Bilde sonst auf ihn deuten und jenen somit für den ältesten
Sohn des Oberhauptes der dargestellten Familie halten. Es geht dies aber
nicht zusammen, weshalb wir am besten diesen Lochner als ein Glied der
Nürnberger Familie Lochner fallen lassen. Jene im Jahre 1442 verstorbene
Katharina Lochner, welche in einer handschriftlichen Familienchronik unserer
Bibliothek vom Ende des 17. Jahrhunderts als Christina, geborene Holzbergerin,
aufgeführt wird, war aber nicht die Gattin eines Heinrich Lochner, wie die
wohl nur falsch wiedergegebene Inschrift auf dem Totenschild besagt, auch
nicht die eines Friedrich Lochner, wie Würfel angibt, sie war vielmehr die
Gattin des Hans Lochner, welcher 1451 nach S. Jakobstag starb und der
Vater des auf unserem Bilde dargestellten Doktors der Medizin Johann Lochner
ist. Letzterer war mit Clara Pirkheimerin, Tochter des Friedrich Pirkheimer
und der Barbara Pfinzingin, vermählt und hatten beide 16 Kinder, was zu
der Mitgliederzahl der Familie auf unserem Bilde auch vollkommen stimmt.
Unser Johann Lochner wurde 1461 Genannter. Seine Gattin starb am
4. Februar 1467 und wurde bei S. Sebald begraben. Er selbst wurde nach
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54 EINE NÜRNBEilGER HAÜSKAPELLE.
ihrem Ableben Chorherr zu Neunkirchen, woselbst er am 19. April 1491 starb
und begraben wurde. Da nun weder seine Gattin, wie es üblich war, durch
ein beigefügtes Kreuz als verstorben bezeichnet noch er selbst durch die
Tracht als Chorherr charakterisiert ist, so kann unser Bild nur vor dem Todes-
jahre der Frau, also vor dem Jahr 1467 gemalt sein. Sehen wir nun zu, ob
wir nicht in der Lage sind, die Entstehungszeit des Bildes auf Grund weiterer
historischer Angaben noch etwas genauer festzulegen! Über den ältesten
Sohn Hans Lochner, welcher seiner Tracht zufolge dem geistlichen Stande
angehörte, erfahren wir nichts Näheres. Der Zweitälteste Sohn Sebastian
Lochner war mit Martha Fütterer, Tochter des Ulrich Fütterer und der Ger-
haus Harsdörferin, verheiratet. Auf unserem Bilde ist er durch die AUianze-
wappen auf dem vor ihm befin41ichen Schilde als bereits verheiratet bezeichnet.
Seine Gattin gebar ihm im Jahre 1462 zwei Zwillingssöhne, Sebastian und
Hans Lochner, welche aber im gleichen Jahr starben. Nähere Daten über
diesen Sohn des Hans Lochner und seine Gattin liegen nicht vor. Nur er-
fahren wir noch, daß jener nach dem Tode seiner Frau in das Cartäuser-
kloster eintrat, dort Priester wurde, hier starb und auch sein Begräbnis fand.
Der dritte Sohn des Hans Lochner, Michael Lochner, hatte, worauf auch der
Wappenschild hindeutet, Catharina von Ploben, Tochter des Leonhard von
Flohen und der Barbara Peringsdörferin, zur Frau. Er starb am 27. August
1505, sie verschied am Freitag nach Philippi und Jakobi im Jahre 1512. Sie
zeugten zwei Kinder, einen klein verstorbenen Sohn Michael Lochner und
eine Tochter Catharina. Diese verheiratete sich am 7. Juli 1495 mit Michael
Behaim (f 12. Aug. 1522) und starb am 12. April 1527. Auf Sebastian Lochner
folgt dem Alter nach die unverheiratete Tochter links neben der Mutter, auf
diese die Clara Lochnerin, welche mit Leonhard Pregler vermählt war. Sie
zeugten vier Kinder, nämlich Elisabeth, Hans, Martin und Jakob Pregler.
Daten über sie liegen uns nicht vor. Es bleiben nun die namentlich aufge-
führten abgezogen, 12 Geschwister übrig, von denen berichtet wird, daß
sie jung verstorben seien. Die Familienchronik aus dem Ende des 17. Jahr-
hunderts macht noch eine zweite Tochter namhaft, die aber nach den bei-
gebrachten Daten zu urteilen, unmöglich eine Tochter unseres Hans Lochner
gewesen sein kann, der doch nach dem Tode seiner Frau ins Kloster ging
und dort 1491 starb, während jene sich im Jahr 1568 zum zweiten Male ver-
heiratete.
Wenn dem Zweitältesten Sohne Sebastian im Jahre 1462 Zwillingssöhne
geboren werden, so darf man doch wohl annehmen, daß er damals ein Alter
von mindestens 20 Jahren gehabt hat, daß er mithin etwa ums Jahr 1442
geboren war. Der Vater Hans Lochner, welcher 1491 starb, dürfte demge-
mäß ein Alter von etwa 70 Jahren erreicht haben. Er könnte sich, da der
Sohn in geistlicher Tracht dem Sebastian Lochner noch vorangeht, etwa
ums Jahr 1440 verheiratet haben. Wenn sich die Tochter des Michael Lochner
im Jahre 1495 verheiratet, so wird ihr Vater etwa ums Jahr 1445 das Licht
der Welt erblickt haben. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß vor ihm noch
die unverheiratete und die verheiratete Tochter kommen. Er selbst mag bei
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ. 55
seiner Verheiratung 25 Jahre alt gewesen sein, was dann auch von der
Tochter angenommen werden müßte. Es folgen nun aber noch 11 weitere
Geschwister, die sehr wohl in der Zeit zwischen 1445 bis 1460 zur Welt ge-
kommen sein können. Da es nun aber heißt, daß die 12 nicht mit Namen auf-
geführten Geschwister jung verstorben seien, sie aber auf unserem Bilde sämt-
lich dargestellt sind, so ist die Annahme nicht zu gewagt, daß dasselbe zu
Anfang, spätestens aber um die Mitte der sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts
entstanden ist , zu welcher Zeitbestimmung der Stil nicht im Mindesten im
Widerspruch steht.
»Dr. Johan Lochner d Elter v. seine Ehewürthin, auch desselben Vatter
V. Mutter v. aller ihrer Vorfahren v. Nachkommen Jahrtag begehet man zv
S. Sebald, mit gesungener Vigili v. Seelmess, 8. od. 10. Tag nach S. Jacobs-
tag«. Diese Notiz könnte leicht zur Vermutung führen, daß unser Bild vor-
mals in der Sebalduskirche gehangen und dann erst in die Hauskapelle im
ehemaligen Hause zum goldenen Schild verbracht worden sei. Da es aber
bei Würfel nicht erwähnt wird, würde eine solche Annahme hinfällig sein.
Wahrscheinlich wurde es direkt für die Kapelle gestiftet und hat sich von
Anfang an in ihr befunden. Allerdings waren die Lochner zur Zeit der Ent-
stehung des Bildes nicht Eigentümer des Hauses, doch können hier verwandt-
schaftliche Beziehungen maßgebend gewesen sein.
Nach Würzburg kam das Bild als Vermächtnis des Ökonomierats Streit
in Baden-Baden.
Der Altaraufsatz.
Nicht so bedeutend in seinem künstlerischen Wert wie das Auferstehungs-
bild ist der Altaraufsatz. Für die Kunstgeschichte ist derselbe nur wegen seines
Aufbaues von Wert. Im Übrigen liegt seine Bedeutung mehr auf kulturge-
schichtlichem Gebiet, da seine Ausführung eine schlichte ist. Siehe die Abb.
Von dem gewöhnlichen Typus weicht er namentlich durch seine Größe ab.
Es ist ein Triptychon mit zwei beweglichen und zwei feststehenden Flügeln.
Als Unterbau dient ein an den Schmalseiten steilgekehlter Friesbalken, der
vorn eine in Maßwerk motiven durchbrochen gearbeitete und über rotem Grund
aufgeleimte Zierleiste zeigt. Derselbe hat eine Höhe von 8 cm und soll die
sonst an größeren Altären übliche Praedella ersetzen. Oben wird er von
einer stark vorspringenden Kehle abgeschlossen.
Der Mittelschrein enthält unter einem vpn gewundenen Säulen getragenen
Rankenbaldachin eine in ^J4 Vollplastik geschnitzte Madonna mit dem Kinde.
Wir haben es mit einer, wenn auch nicht meisterhaft, so doch mit geschickter
Hand und gesunder Empfindung durchgeführten Arbeit zu tun. Die Falten
des mit dem linken Unterarm angerafften, altvergoldeten Mantels treten zwar
etwas stark hervor, doch erscheint ihre Lage natürlich und durch die Ver-
hältnisse bedingt. Das enganliegende blaue Untergewand wird von einem
schmalen roten Gürtel um die Hüften zusammengehalten. Charakteristisch
ist die Kopftracht. Die Haare verlaufen in parallelen Wellenlinien nach vorn,
werden über der Stirn von einem Goldreif zusammengehalten und fluten dann
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55 EINE NÜRNBERGER HAUSKAPELLE.
in reichem Gelock über die Schultern bis zur Mitte des Körpers herab. Den
hinteren Teil des Hauptes deckt das Kopftuch, welches links in einem Bogen
unter dem rechten Arm hindurch, am Ende flatternd, herabgleitet. Die Finger
sind verhältnismäßig lang^ und dünn. Das schmale Antlitz neigt sich wenig
Altftrchen aus eiuer NQrnberger Hauskapolle im German. Museum t. J. 1501. 1,50 m hoch, 1,11 m breit
nach rechts. Die Augen schauen sinnend geradeaus. Das Kinn ist in kräf-
tiger Rundung herausgeschnitzt. Die Füße ruhen auf einer Mondsichel, in
der ein menschliches Antlitz. Beiderseits quellen die Saumenden der Mantel-
hälften über die Mondsichel herüber. Das Jesuskind blättert in einem Buche.
Das Figürchen hat eine Höhe von 57 cm. Der obere Teil des Szepters ge-
hört einer späteren Zeit an. Über dem Haupt der Gottesmutter schwebt
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ.
57
eine teilweise beschädigte Krone. Die Engel, welche sie hielten, sind ver-
loren gegangen. Nur ihre am Reif der Krone haftenden Hände sind noch
vorhanden. Beiderseits des Hauptes der Maria wird je ein geflügelter, an-
scheinend späterer Engelskopf sichtbar. Unten zu den Füßen der Madonna
finden wir rechts und links im Boden des Schreins je ein Loch. Hier waren,
wie die Wildersche Zeichnung vom Inneren der Kapelle erkennen läßt, ehe-
dem zwei kleinere, jetzt nicht mehr vorhanderte Figürchen eingezapft. Die
bläulich überstrichene Hintergrundwand des Schreins ist mit vergoldeten Papier-
stcmchen übersät.
Die bei geöffnetem Flügel sichtbaren Malereien (s. die Abb.) offenbaren
das redliche Streben, die heiligen Vorgänge ungeschminkt, ohne viel Beiwerk,
durch direktes Eingehen auf das Maßgebende zur Darstellung zu bringen. So
treten uns nur wenige Figuren in beschränktester Szenerie entgegen. Nur einmal
geht der Künstler aus sich heraus, nämlich auf dem Bilde der Verkündigung
der frohen Botschaft an Joachim. Hier war es die Freude an Landschaft und
Tierwelt, welche zu einer etwas reicheren Gestaltung drängte. Die technischen
Mittel sind die um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert üblichen. Noch
spielt der Goldgrund eine Rolle, aber nicht immer tritt er mehr dominierend
hervor. Grün und Rot sind, wie wir es von jener Zeit gewohnt sind, die
für das Gewand vorherrschenden Farben. Die vier unversehrt auf uns ge-
kommenen und leidlich frisch erhaltenen Bilder des normal geöffneten Altares
behandeln die Legende der Eltern der heil. Jungfrau. Links oben erscheint
Joachim, der zwar mit Erdengütern gesegnet war, aber das Eine schmerzlich
empfinden mußte, daß seine Ehe kinderlos war, im Tempel, um zu opfern,
wird aber eben wegen seiner Kinderlosigkeit vom Hohepriester als unwürdig
zurückgewiesen. Letzterer, dessen Mantel mit großen Blumen gemustert ist,
steht vor dem auf erhöhtem Unterbau ruhenden Altartisch, auf dem ganz
links die Gesetzestafeln aufgestellt sind. Das Antlitz blickt finster und streng.
Die Rechte ist wie abweisend vorgestreckt. Unten kniet in grünem Unter-
gewand und rotem, gelbgefüttertem Mantel Joachim, in der Linken die Mütze,
die Rechte mit redendem Gestus erhoben. Bart und Haupthaar lassen ihn
als Mann in reiferen Jahren erscheinen. Nach dem Hintergrund zu bemerkt
man in rundbogiger Nische ein zweiteiliges Fenster, dessen Scheiben mit Gold-
grund gefüllt sind. Die eine sichtbare Schmalseite des Altartisches tritt etwas
erhaben hervor und ist mit einem eingepreßten Brokatmuster in auffallender
Weise verziert. Betrübt über die Abweisung zieht Joachim sich in die Ein-
samkeit zurück, wo ihm durch einen Engel die Botschaft zu Teil wird, daß
ihm ein Kind geschenkt würde, welches der Gegenstand der Bewunderung
sein würde. Diesen Moment hat das Bild rechts oben zum Gegenstand.
Joachim weilt bei den Schafen auf dem Felde, als ihm die frohe Kunde zu
teil wird. Freudige Erregung überkommt ihn, wie er sie vernimmt. Im Vor-
dergrund und weiter rechts ruhen weiße und schwarze Schafe. Neben Joachim
liegt der wachende Hund. Zur Rechten ein mit Bäumen bestandener Hügel,
an dessen Fuß der Hirte sitzt. Links erhebt sich ein mächtiger Felsberg,
dessen Krone eine burgartige Anlage größeren Umfangs einnimmt. Zwischen
MitteilimffeD aoi dem gennan. Nationalmiueam. 1906. 8
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58 EINE NÜRNBERGER HADSKAPELLE.
dem Hügel und dem Felsberg schweift der Blick auf eine sich zwischen
Bergen hinwindende Landschaft. Der Himmel ist noch durch den tradi-
tionellen Goldgrund ersetzt. Wie ihm verheißen, trifft Joachim seine Gattin
unter der goldenen Pforte des Tempels. Auch Anna hat unterdessen die
wichtige Botschaft empfangen. Sie halten sich beide umschlungen. Zur
Linken führt ein wenig gewundener Weg in ein Gehölz. Die Stelle der Luft
vertritt auch hier noch der übliche Goldgrund. Auf dem Bilde rechts unten
endlich hat sich das lange sehnsüchtig erwartete Ereignis bereits vollzogen.
Anna ruht auf dem mit roter Decke verhüllten Lager. Von links her prä-
sentiert ihr eine Frau das sauber gebettete Kindlein. Freudig und andächtig
bewegt kreuzt die Mutter die Hände über der Brust. Durch die Tür ist so-
eben eine Magd mit einer Schüssel, worin die erste Nahrung, eingetreten.
Oberhalb der Türe ist in Gold die Jahrzahl 1501 aufgemalt, womit die Ent-
stehungszeit des Altarwerkes unumstößlich festgelegt ist. Die Bettstatt wird
am Kopfende von einem Himmel aus blaugrünem Stoff überdacht. Zur Rechten
derselben bemerken wir eine Bank, auf der eine Kanne und ein Teller, und
das Badefaß. So wird uns in anspruchsloser Art die Legende der Eltern der
Gottesmutter erzählt, und gerade die große Schlichtheit ist es, die an unser
Gefühl appeliert. E$ liegt in dieser gewollten oder nicht anders gekonnten
Einfachheit viel Anziehendes.
Scliließen wir den Altar, so werden acht Täfelchen mit gemalten Voll-
figuren von Heiligen sichtbar. Die Figuren stehen vor gemauerten Wänden,
welche bis Schulterhöhe hinaufreichen. Der Raum darüber war ursprünglich
mit Gold grundiert, ist aber heute mit einem blaugrünen Ton überlegt. Typus
und Behandlung im Einzelnen lassen auf eine andere Hand als diejenige,
welche die Innenflügel bemalt hat, schließen. Künstlerisches Vermögen und
technische Fähigkeit sind nicht besonders entwickelt. Auch läßt die Erhal-
tung der Malereien zu wünschen übrig. Demgemäß ist ihr Wert ein geringer
und kann ich mich darauf beschränken anzugeben, welche Heilige dargestellt
sind. In der oberen Reihe finden wir (von links begonnen): S. Eligius (Zange
in der Linken), S. Lorenz, S. Sebald, S. Nikolaus, in der unteren Reihe: S.
Petrus, Kaiser Heinrich den Heiligen, S. Florian, mit dem Wasserkübel das
in einem Haus ausgebrochene Feuer löschend, und schließlich Paulus. Daß
die Figuren korrespondierend nach der Mitte zu gewandt sind, bedarf wohl
auch noch der Erwähnung. Bei den Heiligen zu äußerst rechts und links
erstreckt sich die schon in der Haltung angestrebte Symmetrie sogar auf die
Gewandung und deren Kolorit. Dieser mittlere Teil des Altares hat eine
Höhe von 83 cm und eine Breite von 1,04 m.
Der Aufsatz ist aus durchbrochen geschnitztem Rankenwerk komponiert
und zwar in dreiteiliger Anordnung. Die Seitenteile sind etwas niedriger,
das Mittelteil etwas höher und schmaler. DieTrennung und Begrenzung der
Teile wird durch strebepfeilerartig ausgebildete Pilaster mit Krabben und
Kreuzblumen bewerkstelligt. Als Grundmotiv für die Astverschlingung der
Ranken ist die S-Form verwandt. Das mittlere Aufsatzstück nimmt Baldachin-
form an, indem es die Mitte, in welche eine kleine Holzfigur hineingestellt ist,
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ. 59
dieselbe umrahmend, frei läßt. Das Figürchen, welches eine Höhe von 33 cm
hat, will offenbar die Stifterin versinnbildlichen. Es ist eine zierlich durch-
gearbeitete kleine Skulptur in blauem, um die Hüften gegürtetem Rock mit
andächtig gefalteten Händen. Das reiche Haupthaar verteilt sich in kräftigen
Strähnen beiderseits , den Körper fast bis auf die Knie herab einrahmend.
Der Aufsatz hat eine Höhe von 52 cm und eine Breite von 1,03 m.
Der gesamte Altar ist 1,50 m hoch und 1,11 m breit.
Albrecht Düror P. 177. Erworben auf der Auktion Gutekunst in Stutt^rt 1906.
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MEISTER BERTRAM,
EINE RESÜMIERENDE BETRACHTUNG AN DER HAND DER
LICHTWARKSCHEN STUDIE.
VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ.
Das Wesen unserer frühdeutschen Kunst ist uns noch lange nicht hin-
reichend verständlich geworden. Es liegt dies weniger daran, daß es
an Werken fehlte, als an dem Umstände, daß es uns noch sehr an Künstler-
individualitäten mangelt, die wir mit sicherer Hand zu umreißen imstande
sind. Der Forschung soll hieraus kein Vorwurf abgeleitet werden. Was will
sie tun, wo es ihr fast ganz und gar an den erforderlichen Unterlagen, an
urkundlichen Nachrichten und positiven Anhaltspunkten gebricht? Nur der
Zufall kann hier zu Entdeckungen von einschlagender Wichtigkeit führen.
Solch ein Zufall war es auch, welcher den Hamburger Meister Bertram er-
stehen ließ. Wenn wir heute imstande sind, uns eine Vorstellung dieses
Künstlers, seiner Auffassung und Schaffensart zu machen, so verdanken wir
dies in erster Linie dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, dem Prof. Dr.
Alfred Lichtwark. Nicht nur ist er den Spuren Bertrams nachgegangen;
er hat auch nicht eher gerastet, bis er den größten Teil der heute dem
Meister zuzuschreibenden Werke in der Hamburger Kunsthalle vereinigt hatte.
Es ist erfreulich, die Kunst eines Meisters und noch dazu eines so frühen
Meisters in seiner Heimatstadt an einer solch beträchtlichen Fülle von Werken
studieren zu können. Das Zentrum ist gegeben, um von demselben aus nun-
mehr mit geschärftem Blick den einzelnen Strahlen nachzugehen. Den kräf-
tigsten Anstoß gibt uns hierzu Lichtwark selbst mit seiner Ende vergangenen
Jahres herausgegebenen, 409 Seiten umfassenden, reich illustrierten Studie
»Meister Bertram. Tätig in Hamburg 1367 — 1415«. Sie ist der Versuch
einer Charakteristik des Künstlers auf Grund der bei der Zurückgewinnung
seiner Werke für das Museum seiner Vaterstadt gemachten Beobachtungen.
Den Anlaß zur Erforschung der eigenartigen Persönlichkeit des Meisters
Bertram gab die von Schlie auf dem Kunsthistorikerkongreß zu Lübeck im
Jahre 1900 verkündete Mitteilung, daß der große Altar zu Grabow in Mecklen-
burg nicht von Lübeck aus, wie big dahin angenommen wurde, sondern von
Hamburg aus und zwar nach dem großen Brande in Grabow im Jahre 1731 gestiftet
worden sei. Nähere Nachforschungen ergaben, daß er aus der Petrikirche in
Hamburg stammte, und daß sein Verfertiger der zwischen 1367 und 1415 in
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MEISTEB BEBTRAM. VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
61
Hamburg tätige Meister Bertram war. Dies war eine für die Kunstforschung
sehr gewichtige Entdeckung. Es war die Möglichkeit geboten, einen Künstler
vom Ende des 14. Jahrhunderts in seinem Leben und in seinen Werken
greifbar zu erfassen. Lichtwark führte die Untersuchung weiter. Er kon-
statierte, daß der von Lappenberg um ein volles Jahrhundert zu spät an-
gesetzte Harvestehuder Altar ebenfalls ein Werk Bertrams sein müsse, daß
ferner das Marienleben im Museum zu Buxtehude und ein Altarwerk im
South Kensingtonmuseum in London mit ihm in engen Zusammenhang zu
bringen seien. Auch konnten durch wunderbaren Zufall die beiden am Grabower
Altar fehlenden Bilder, nachdem sie von der zu Ende des 16. Jahrhunderts
vorgenommenen wertlosen Übermalung befreit worden waren, wieder auf-
gefunden werden. So erweiterte sich der Gesichtskreis zur Beurteilung des
Meisters Bertram mehr und mehr. Nach jeder Hinsicht hin erschien er von
Wichtigkeit, so auch in kulturgeschichtlicher Beziehung. Er malte, wie Licht-
wark hervorhebt, die heiligen Geschichten, als hätten sie sich um 1380 in
Hamburg zugetragen, und bildete die heiligen Gestalten, als wären sie zu seinen
Tagen über die Straßen und Plätze Hamburgs gewandelt. Dazu ist er der ein-
zige Hamburger Maler jener Zeit, dessen inneres Wesen erkennbar vor uns
steht. Er ist aber auch der früheste Tiermaler und Landschafter des Nordens.
Alles weist ferner darauf hin, daß er Maler und Bildhauer zugleich war. So
hat Bertram nicht nur für Hamburg Wert, er ist von der größten Bedeutung
auch für die Kunstgeschichte überhaupt. Es war darum keine lokal-einseitige
Übertreibung, wenn Lichtwark dem Meister Bertram eine solch erhöhte Auf-
merksamkeit schenkte und ihm eine verhältnismäßig umfangreiche Publikation
widmete. Er tat es, weil er wußte, daß mit Bertram ein gewichtiger Angel-
punkt für die deutsche Kunstgeschichte gegeben war.
Lebensdaten über Meister Bertram sind nur in geringer Anzahl vor-
handen. Wir erfahren, daß er schon 1367 für den Hamburger Rat ein Bild-
werk ausführt. Weiter liegen zwei ausführliche Testamente von ihm vor,
die uns in seine Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse einführen. Diese
Nachrichten lassen den Schluß zu, daß Bertram gegen 1345 geboren wurde.
Als er 1379 den Grabower Altar in Angriff nahm, stand er in der Mitte der
dreißiger Jahre. 1390 tat er, in der Mitte der vierziger Jahre stehend, das
Gelübde einer Romfahrt. Lichtwark schließt aus den beiden Testamenten,
daß der Buxtehuder Altar erst nach 1390 geschaffen sein könne, weil das
Kloster im ersten Testament noch nicht, dagegen im zweiten Testament be-
reits bedacht wird. Gestorben wird Bertram sein kurz vor 1415. Seite 55 — 56
stellt Lichtwark die Nachrichten über Bertrams Leben in chronologischer
Reihenfolge zusammen.
In einem besonderen Kapitel spricht sich Lichtwark über Bertrams
künstlerische Herkunft aus. Es läßt sich die Möglichkeit, daß Bertram wie
Meister Francke eine lokale Tradition fortführt, nicht von der Hand weisen,
um so mehr, als Bertram jung nach Hamburg gekommen. Etwas Bestimmtes
läßt sich jedoch hier nicht sagen. Einstweilen stehen wir noch bei Bertrams
Kunst und ihrer Herkunft wie vor einem Rätsel. Das Lebenswerk des Meisters
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62 MEISTER BERTRAM.
läßt ihn als eine aus sich selbst heraus schaffende, selbständige Persönlichkeit
erscheinen. Ein Lehrer oder Vorbild, bei dem er geborgt haben könnte, ist
nicht nachzuweisen. Auch kann man sich kaum denken, daß sich Bertram
bei verschiedenen Meistern Rat geholt hätte. Er müßte denn, wie Lichtwark
mit Recht bemerkt, denselben gerade das seiner Natur Konvenierende ab-
gelauscht und dies dann in der Bearbeitung zu etwas Einheitlichem ver-
schmolzen haben. Dagegen aber läßt sich konstatieren, daß seine Werke
nachgeahmt worden sind. Dies drängt notwendigerweise zu dem Schluß, daß
wir es in dem Meister mit einer ausgesprochenen Künstlerpersönlichkeit zu
tun haben (Lichtwark S. 68). Seine künstlerischen und technischen Aus-
drucksmittel kommen, wie Lichtwark näher ausführt, weder bei einem seiner
Vorgänger noch bei einem seiner Zeitgenossen vor. Sie sind etwas ganz
Exzeptionelles. Meister Bertram, das ist der auch durchaus berechtigte Schluß
Lichtwarks, muß bis auf weiteres aus sich heraus erklärt werden.
Mit Bertram beginnt eine ganz neue Behandlung der Stoffwelt. Er
bricht das konventionelle Schema in der Gestaltung der biblischen Stoffe.
Er erzählt die heiligen Vorgänge, als seien sie noch nie geschildert worden.
Auch kommt ein neuer Typus in der Behandlung der menschlichen Gestalt
auf. Die Proportionen des Körpers werden gedrungen. Die langen Linien
des Faltenwurfs machen kräftigen , wenn auch schwerfälligen Formen Platz.
Die Gebärden gewinnen an individuellem Ausdruck, die Gesten reden eine
natürliche Sprache. Der Mensch wird nicht mehr lediglich als Mensch be-
trachtet. Er wird in seiner Umgebung, sei es im Freien oder sei es im ge-
schlossenen Raum, gesehen. Die Perspektive wird versucht, das Helldunkel
in seinem Zauber erkannt. Im einzelnen wird nachgewiesen, wie Bertrams
Gestaltung der überlieferten Stoff*e an Leben und Natürlichkeit zunimmt,
wie er in allem Realisierung und Verinnerlichung des Althergebrachten an-
strebt. Woher nun aber die Ursachen dieser großen Stilwandlung in Form,
Kolorit, Raumanschauung und Behandlung der überlieferten Stoffe? Lichtwark
erklärt sie aus der Zeit. Ein neuer Stand gewann kräftig aufstrebend die
Überhand, nämlich das eben zum Bewußtsein seiner Selbständigkeit und
Macht erwachsene Bürgertum. Das Aristokratische der Kunst wird abgestreift.
Ein äußerlich weniger vornehmes, aber innerlich um so reicheres Leben ent-
faltet sich. Man sucht nach neuen Ausdrucksmitteln. Die Quellen fand man
im Wesen der Mystiker, deren Anschauungen mit der Mitte des 14. Jahrhun-
derts auch nach dem Norden zu dringen begannen. Nur das traumhaft visionäre
Wesen der Mystiker vermag uns eine Erklärung für das sich in Bertrams
Kunst äußernde realistische Lebensgefühl und seinen starken dramatischen
Drang zu geben. Seite 85 ff. untersucht Lichtwark, wie weit die stofflichen
Ideen Bertrams alt und wie weit sie neu sind. Bertrams Darstellungskreis
beschränkt sich auf das alte Testament, das Marienleben, die Apokalypse
und einige Heiligenlegenden. Hiervon kommt nur das Marienleben in jener
Zeit neben Bertram vor, nämlich am Kölner Klarenaltar. Alle anderen Stoffe
sind neu. Er selbst wiederholt ja dieselben Gegenstände des öfteren. Doch
ist die Einzelbehandlung stets eine verschiedene. Die*Typen und Motive
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VON DR KRITZ TRAUGOTl' SCHULZ.
63
werden abgewandelt. Lichtwark legt dies in eingehender Art dar. Eine
Wiederholung als solche kommt nicht vor. So darf man annehmen, daß
die Ideen dem Künstler zu eigen gehören.
Bertram verwendet auf seinen Bildern noch den Goldgrund. Aber wie
tut er das? Er gibt ihn als selbständigen Faktor auf. Er ist keine ab-
schließende Wand mehr, sondern er erhält das Wesen von Luft und Raum.
Seine Figuren kleben nicht auf dem Goldgrunde. Sie bewegen sich frei-
plastisch vor ihm. Hierdurch wird eine seltene Ruhe und Größe der dekora-
tiven Wirkung erzielt (Siehe S. 93). Bertram vermag den Goldgrund fast
schon aufzugeben, ihn fast schon wie Luft zu behandeln. Das Silhouettieren
der Figuren gegen den Goldgrund hört auf. Derselbe wird infolgedessen
nicht mehr gefühlt. Ein weiterer Fortschritt bei Bertram besteht in der
Vertiefung der Fläche, auf der sich die Gestalten bewegen. Die Stereometrie
des Raumbildes wird erkannt, gefühlt und angestrebt. Die Bodenfläche wird
eine wirklich gefühlte Ebene mit perspektivischer Aufsicht. Die Figuren
bewegen sich im Raum. Das Flächenbild wird zum Tiefenbild.
Erstaunlich groß ist Bertrams Fähigkeit in der Kennzeichnung seelischer
Vorgänge. Er ist einer der größten Erfinder auf diesem Gebiet. Er besitzt
die Gabe, alles endgültig und mit den sichersten und knappsten Mitteln aus-
zudrücken. Er ist kurz und dramatisch zugleich. Lichtwark gibt hierfür be-
zeichnende Proben.
Bertram ist ja noch nicht zum unmittelbaren Naturstudium durch-
gedrungen, doch ist er schon imstande, lebendige Charaktere hinzustellen.
Er unterscheidet die vornehmen und die niederen Stände. Sein Streben,
natürlich zu sein, führt ihn oft nahe an die eigentlich naturalistische Dar-
stellung heran. Er hat die Fähigkeit zu individualisieren und er tut dies
auch in weitreichendem Maße. So charakterisiert er die Juden nicht mehr
nur durch die Judenhüte, sondern schon durch Rassenzüge. Er gibt eben
Charaktertypen oder will sie wenigstens geben.
In der Darstellung des Nackten ist Bertram natürlich noch schwach.
Aber er kennt die Verhältnisse und ist sicher im Ausdruck der Stellungen,
Bewegungen und Gesten. Auch ist er schon bemüht, im Fleischton der
Natur so nahe wie nur möglich zu kommen. Bei den Frauen verwendet er
einen rosigen Ton. Bei den Männern dagegen kommen die mannigfaltigsten
Töne zur Anwendung. In den Einzelformen des Gesichts und Körpers ver-
spüren wir überall die Wendung auf eine unmittelbare Anschauung der Natur.
So wird z. B. die Umgebung des Auges scharf beobachtet und namentlich
bei den Männern sehr weitgehend individualisiert. Auch der Mund wird mit
Verständnis gebildet. Merkwürdig erscheint, daß Bertram in seinen Gemälden
die Männer, in der Skulptur die Frauen mehr individualisiert.
Stark ausgeprägt ist beim Meister Bertram die Liebe zum Tier. Kaum
einer seiner Zeitgenossen und Nachfolger ist in der Tierdarstellung so weit
gegangen wie er. Die Schöpfung der Tiere, Joachim bei den Hirten, die
Geburt Christi und die Verkündigung an die Hirten tun dies deutlich dar.
Auffallend gut beobachtet sind die Fische. Der Hügel mit der Schafherde
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64
MEISTBR BEBTIUM.
neben dem heiligen Joachim darf als das älteste wirkliche Tierbild in der
deutschen Tafelmalerei angesprochen werden. Auch in der Landschaft läßt
sich ein energischer Fortschritt konstatieren. Der Wald auf der Erschaffung
der Pflanzen darf als die erste Landschaft in der deutschen Kunst angesehen
werden. Es ist geradezu auffällig, wie weit Bertrams Nachfolger, insonderheit
Meister Francke, in alledem noch hinter ihm zurückbleiben. Es mußte eben
eine geraume Zeit vergehen, ehe solch ein bedeutender Geist Gemeingut
aller geworden.
Mit der Architektur geht Bertram sowohl in den Formen wie in den
Verhältnissen ziemlich willkürlich um. Wir finden bei ihm phantastisch-
dekorative Gebilde, die seiner eigenen Erfindung entsprungen, und Baulich-
keiten, welche als Nachbildungen der Wirklichkeit gedacht sind oder die sich
an eine aus der Wirklichkeit bekannte Form anlehnen. Man muß bei Ber-
trams primitiv erscheinenden Architekturen bedenken, daß er mit den Augen
seiner Zeit sah, und dann wird man seine Architektur nicht mehr als plumpe
Unbeholfenheit, sondern schon als eine Tat betrachten. In der Darstellung
des Innenraumes ist Bertram seinen Nachfolgern ebenfalls weit voraus. Rasch
schreitet er von der bloßen Andeutung der Innenarchitektur zur folgerichtigen
Wiedergabe des Raumes vor. Er bringt es schließlich fertig, die Figur als
vom Raum umschlossen hinzustellen.
In der Farbe macht sich bei Bertram ein jugendfrisches Leben be-
merkbar. Sie nimmt mit der fortschreitenden Entwicklung an Leuchtkraft
zu. Sie gewinnt die Fähigkeit, die Kontraste zu markieren. Sie beginnt,
das Clairobscur zum Ausdruck zu bringen. »Sie fängt an zu schimmern und
leuchten, zu glühen und zu strahlen, sucht die Wirkung des Gegensatzes und
der Tonigkeit, sie verfügt über alle Mittel der Schönfarbigkeit und beginnt
bereits, sich dem Helldunkel zu vermählen« (S. 146). Bertram befindet sich
allerdings selbst hierbei auf einem Übergangsstadium. An Werken des
gleichen Altares läßt sich die Entwicklung vom Primitiven zum Ausgebildeten
verfolgen. Was aber bei alledem am meisten Genuß bereitet, das ist die
stark sich geltend machende, ganz außergewöhnlich koloristische Begabung
Bertrams. Mit feinem Taktgefühl studiert Bertram die Wirkung des Lichts
auf das Fleisch. Er beobachtet aber auch die Beleuchtung eines freistehen-
den Körpers, ja er schwingt sich sogar zum Studium der Beleuchtung eines
Innenraumes auf. Auch das Helldunkel versucht er zum Vortrag zu bringen.
In den Waldlandschaften des Grabower und Buxtehuder Altares erscheint es
am folgerichtigsten entwickelt. Beim Segen Jakobs wogt es zwischen den
Figuren von durchlichteten Dunkelheiten, welche deutlich erkennen lassen,
wo hinaus des Meisters Streben ging.
In der Perspektive verfährt Bertram mit großer, wenn auch gefühls-
mäßiger Überlegung. Seine Empfindung für dieselbe ist in hohem Grade
entwickelt. Beim Tronsitz auf der Krönung Mariae am Grabower Altar sind
sogar die Ansätze einer Luftperspektive unverkennbar. Dabei darf aber nie
aus dem Auge verloren werden, daß Bertrams Perspektive diejenige eines
natürlichen Gefühls ist.
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VON DR. PIUTÄ TRAUGOTT SCHULZ. 65
Bertrams Einfluß auf seine Nachfolger ist ein auffallend großer. Licht-
wark zeigt dies an dem Altar der Antoniterpraezeptorei zu Tempzin in
Mecklenburg und an dem Göttinger Altar im Provinzialmuseum zu Hannover.
Aber er wagt noch nicht alle Fragen zu lösen. So verrät das Laienkreuz in
der Kirche zu Doberan enge Beziehungen zu Bertram, für die sich aber eine
Erklärung deswegen noch nicht geben läßt, weil Motive vorkommen, die wir
bei Bertram noch nicht gewohnt sind. Um Nachahmungen kann es sich hier
nicht handeln. Es dürfte sich wohl verlohnen, dem weiter nachzugehen und
einmal, vom Meister Bertram ausgehend, eine genaue Untersuchung sämtlicher
Werke der Nach-Bertramschen Epoche vorzunehmen. Einer kann natürlich
nicht auf einmal alles klären. Es genügt, wenn er den Anstoß gibt. Mögen
andere den von ihm gewiesenen Weg glätten und ebnen! Gewiß sind hier
Probleme von der weittragendsten Wichtigkeit für die deutsche Kunstgeschichte
zu lösen. Näher untersucht dann Lichtwark das Verhältnis Meister Bertrams
zu Meister Francke. Er stellt fest, daß Francke kein Schüler Bertrams ist.
Bertram dringt, obwohl der ältere, in mehr als einer Richtung sehr viel weiter
vor als Francke. Dieser aber wiederum entwickelt auf der anderen Seite
Kräfte und Mittel, die bei Bertram nicht einmal im Keim vorhanden scheinen.
Doch hat Francke die Werke seines Vorgängers gekannt und vieles daraus
herübergenommen. Warum sollte er das auch nicht! Wo sollte er auch
anders Anregungen empfangen und lernen als eben an den Werken, die vor
ihm geschaffen worden! Ein klaffender Unterschied aber trennt beide: Bertram
benützt die Farbe, um räumlich-plastische Wirkungen zu erzielen; er lockert
und lichtet sie auf. Francke dagegen geht auf Flächenwirkung aus. Bertram
ist die Farbe Mittel, Francke ist sie Zweck (Siehe S. 166). Trotz des zeit-
lichen Unterschiedes geht Bertram im Raumgefühl weit über Francke hinaus.
Er ist der bahnbrechende Riese, Francke der genial begabte Erbe. Wir
können diesen erst verstehen, wenn wir ihn neben jenem sehen. In ihrem
koloristischen Wesen sind sie einander nahe verwandt.
Man hat sich bislang nicht getraut, von der hanseatischen Kunst vor
dem Einbruch des niederländischen Einflusses als einer selbständigen Er-
scheinung zu sprechen. Nach den Untersuchungen und Feststellungen Licht-
warks aber wird man notwendigerweise gedrängt, die konventionelle An-
schauung der Kunstgeschichte zu modifizieren. Die Werke Bertrams reden
eine zu deutliche Sprache, als daß man sie nicht als etwas Ebenbürtiges
neben den Leistungen der bisher bekannten Zentren hinstellen dürfte. Aller-
dings hört diese Selbständigkeit mit der Mitte des 15. Jahrhunderts auf. Die
kräftigen Wogen verlaufen, vom festen Gestade gebrochen, zur ruhigen breiten
See. Die hanseatische Produktion von 1370 — 1400 ist nicht eine Art un-
persönlicher Kunst als Ausläufer der kölnisch-westfälischen Wurzel. Sie er-
scheint als etwas in sich Autochthones. Fast darf man jetzt sogar von einer
Priorität der hanseatischen Kunst sprechen, ist ja doch in Rücksicht zu ziehen,
daß die bisher um 1380 angesetzten kölnischen Bilder um mehr als ein Jahr-
zehnt später, also etwa um 1400 datiert werden müssen. Die kölnisch-west-
fälische Kunst vor Meister Bertram aber hat mit diesem keinerlei Verwandt-
MitteiluDgen aus dem german. Nationalmusdum. 1906.
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66 MEISTER BEfh'RAM.
Schaft. Noch nicht geklärt ist das Verhältnis zur böhmischen Kunst. In Be-
tracht käme wohl nur die nordböhmische Kunst. Verwandtschaften bestehen,
aber muß darum auch ein tatsächlicher Zusammenhang angenommen werden?
Es ist lebhaft zu wünschen, daß allen diesen Anregungen Lichtwarks einmal
nachgegangen und der Versuch gemacht wird festzustellen, ob und wie weit
die hanseatische Kunst jener Tage selbständig ist. Die begonnene Arbeit
der Aufsuchung der Persönlichkeiten müßte fortgeführt werden.
Gehen wir nunmehr, dem Leitfaden der Lichtwark sehen Studie^). folgend,
zu den Werken Meister Bertrams über und fassen wir zunächst den Gi^abower
Altar ins Auge! Die Bezeichnung »Grabower Altar« ist eigentlich keine
zutreffende, doch ist sie einmal so eingeführt. Der Altar stammt nämlich
aus St. Petri in Hamburg, woselbst er ehedem als Hauptaltar in Gebrauch
stand. Seine Stiftung und Entstehung fallt in eine Zeit, lebhafter Bautätigkeit
an St. Petri, aber auch zugleich in eine Periode wirtschaftlichen und politischen
Gedeihens der Gemeinde und der Stadt überhaupt. Nur so erklärt sich
seine gewaltige Anlage und der große Reichtum der Einzelgestaltung. Der
komplizierte Plan zu diesem umfangreichen Werk kann, wie Lichtwark mit
Recht hervorhebt, nicht dem Künstler zugeschrieben werden. Zur Aus-
arbeitung eines solchen war nur ein Geistlicher, nicht ein Künstler befähigt.
Der Altar war ursprünglich ein dreifach wechselbarer Wandelaltar. Die
Praedella enthält in breitem Relieffries die Verkündigung, Johannes den Täufer,
Kirchenväter und Ordensgründer. Die Außenseiten bei vollständig geschlossenem
Altar entbehren heute ihrer sicherlich einstmals vorhanden gewesenen Malereien.
In seinem zweiten Zustand schildert er in 18 Bildern die Erschaffung der
Welt, die Geschichte der ersten Eltern und die der Patriarchen bis zum Segen
Jakobs. In den übrigen sechs Feldern werden die Hauptereignisse aus dem
Marienleben vorgeführt. Bei ganz geöffneten Schreinen wird in Vollplastik
die Kreuzigung sichtbar, um die sich in zwei Reihen einzeln stehend die
Propheten, Apostel, Märtyrer und Heiligen der Frühzeit schaaren. Oben im
Ornament finden wir die klugen und törichten Jungfrauen und noch einmal
die Propheten. So wird uns in dem Altarwerk die ganze Heilsgeschichte
Vom Weltanfang bis zu den großen Ordensgründern des späteren Mittelalters
geschildert. Lichtwark weist darauf hin, daß dem Altar, dessen Typus der
älteste seiner Art ist, das gefühlsmäßige Gleichgewicht in der rhythmischen
Verteilung der Darstellungen fehlt, und vermutet, daß diese Unsymmetrie
nicht auf den Künstler, der gewiß auf ein Gleichgewicht hingestrebt haben
würde, sondern auf den Urheber des Planes zurückgeht.
Bei der Betrachtung der Gemälde fällt es auf, daß nur einmal eine
einzelne Szene vorkommt, daß sonst aber ständig im Zusammenhang erzählt
wird. Es war hier also eine Kraft tätig, welche auf schildernde Erzählung,
nicht auf die Unterbringung von möglichst vielem verschiedenem Stoff aus-
ging. Letzteres hätte gewiß mehr im Interesse des den Kreis der Darstellungen
1) Vgl. auch die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Großherzogtums Mecklen-
burg-Schwerin III, S. 187—189.
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VON DR. FRITZ TRAUGOIT SCHULZ.
67
bestimmenden Geistlichen gelegen. Ersteres aber dürfte wohl auf die Nei-
gungen des Künstlers zurückzuführen sein. Erfreulich ist es, daß Licht wark
den Einzelschilderungen der Gemälde stets eine Abbildung beigefügt hat,
hierdurch die Schaffung einer deutlichen Vorstellung ermöglichend.
Abb. 1. Meister Bertram: Der 4. Schöpfungstag vom Grabower Altar.
Der Altar beginnt mit der Schöpfungsgeschichte. Nicht zum zweiten
Mal sind die sechs Schöpfungstage in der deutschen Kunst so aphoristisch
und dabei so monumental behandelt worden. Gewaltig hebt sich die impo-
nierende und dabei doch menschlich gedachte Gestalt Gott Vaters heraus.
In kurzen Andeutungen werden die zugleich symbolisch und naturalistisch er-
faßten Handlungen der Schöpfungsgeschichte gegeben. Beim erstenSchöpfungs-
tag fällt uns auf, daß die Erschaffung der Erde und der Teufelssturz auf
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68 MEISTER BERTRAM.
einem Bilde zusammengezogen sind, was sonst nicht üblich ist. Sowohl
beim ersten wie beim zweiten Schöpfungstag zeichnet sich das Antlitz Christi
vor demjenigen Gott Vaters durch eine höher entwickelte Individualisierung
aus. Das eine Mal ist es feuerrot, das andere Mal karmin gefärbt. Die
Abb. 2. Meister Bertram: Die Verwamung.vom Grabower Altar.
Landschaft auf dem vierten Schöpfungstag (Abb. 1)*) ist die frühest be-
kannte Landschaft in der nordischen Tafelmalerei. Das Helldunkel des Wald-
innern bleibt bis weit ins 15. Jahrhundert hinein ohne Seitenstück. Die
Größenverhältnisse zwischen der Figur Gott Vaters und der Landschaft sind
2) Anm. : Die Illustrationen wurden uns in dankenswerter Weise durch Hrn. Prof.
Dr. Lichtwark aus seiner Studie über Meister Bertram, um unsere Ausführungen zu
verdeutlichen, zur Verfugung gestellt.
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
69
bereits mit scharfem Auge beobachtet. Die Richtung Bertrams auf Realistik
der Wiedergabe findet ihren beredtesten Ausdruck in dem Bilde der Er-
schaffung der Tiere, welche in großer Anzahl Gott Vater rings umgeben und
schon auf eifriges Naturstudium schließen lassen. Bertrams Denkweise ist
eine tiefgegründete. Es zeigt sich dies z. B. darin, daß er sich Adam auf
dem Bilde seiner Erschaffung als jugendlichen Mann, ja fast als Jüngling denkt,
daß derselbe aber auf dem Bilde der Erschaffung Evas bereits zum bärtigen Manne
geworden. Solch kleine Motive rücken uns die Persönlichkeit des Künstlers
menschlich immer näher. Er wird uns sympathisch. Das Bild der Verwarnung
(Abb. 2) stellt Lichtwark als eine der wichtigsten Kompositionen des Altares
hin. Die Abwägung der Massen erregt unsere Verwunderung. Die innerliche
Empfindung ist in reichem Maße zum Ausdruck gebracht. Die Gruppen-
bildung operiert geschickt mit figürlichen Überschneidungen. Beim Sünden-
fall ist auf die vortreffliche Charakterisierung Adams und Evas hinzuweisen.
Jener fühlt sich unsicher, zaghaft, er zweifelt. Diese aber steht positiv und
bestimmt da. Etwas eminent Vollendetes ist die sicher gegebene Figur der
Eva auf dem Bilde der Entdeckung des Sündenfalls. Ihr Körper ist von
hoher formaler Schönheit. Wie wenig gebeugt, wie selbstbewußt tritt sie
Gott Vater entgegen, alle Schuld unbeirrt auf die sich am Boden windende
Verführerin abwälzend! So kann nur ein Weib auftreten! Ein Mann pflegt
solchen Situationen nicht gewachsen zu sein. Aber auch das Gegenteil,
die vollkommene Zerknirschtheit und Niedergeschlagenheit, weiß Meister
Bertram und noch dazu in drastischer Weise zum Ausdruck zu bringen.
Die Vertreibung aus dem Paradiese gibt hierfür den sprechendsten Beweis.
Wie verraten Mienen, Gesten und Bewegungen die geistige Depression des
ersten Elternpaares nach voUführter Übertretung des göttlichen Verbotes!
Bertram weiß seine realistische Empfindungsweise so weit zu steigern, daß
die heilige Handlung darüber fast ihren Charakter verliert und profan wirkt.
Das Bild »Adam baut die Erde« wirkt kaum noch als eine Szene aus dem
alten Testament. So ist auch die Gegenüberstellung von Kain und Abel auf
dem Bilde des Opfprs beider außerordentlich prägnant. Der Unterschied
zwischen den Brüdern ist aufs Schärfste markiert. Der Bau der Arche über-
rascht durch seine nur andeutende und dabei doch vollkommen verständliche
Ausdrucksweise. Eine in sich geschlossene Handlung ist es nicht, die wir
vor uns haben. Es sind eigentlich nur Bruchstücke vorhanden. Aber diese
genügen namentlich dem mit dem Schiffsbau vertrauten Norddeutschen, um
sich ein phantastisches Bild der verschiedenen Vorgänge zu schaffen. Beim
Opfer Abrahams ist der landesübliche Typus insofern abgewandelt, als Isaak
nicht mehr das geduldig stillhaltende Opferlamm ist. Vielmehr sträubt er
sich mit Händen und Füßen gegen das ihm Bevorstehende. Auch in den
verzerrten Gesichtszügen prägt sich dies deutlich aus. Der Fortschritt gegen
die entsprechende Darstellung am Doberaner Altar ist offenbar. Das Bild
»Jakob und Esau« gibt zu vielen Beobachtungen Anlaß (Abb. 3). Das Antlitz
des durch Kissen im Rücken gestützt auf seinem Lager sitzenden Jakob trägt
den typischen Ausdruck des Blinden. Die Bewegungen verraten unverkenn-
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BfEISTER BERTRAM.
bar die natürliche Unbeholfenheit des blinden Alten. Esau blickt wild, sein
Haar steht in wirren Strähnen über der Stirn, die Unterlippe ist vorgeschoben
und deutet auf rohe Kraft. So ist der Charakter Esaus in jeder Hinsicht
meisterhaft geschildert. Der über der Szene schwebende architektonische
Abb. 3. Meistor Bertram: Jakob und Esau vom Grabowor Altar.
Baldachin verjüngt sich perspektivisch nach der Tiefe. Alles das läßt uns
dieses Bild als eines der wichtigsten des Altares erscheinen. Eine der lieb-
lichsten Schöpfungen unter den folgenden Szenen ist die Anbetung der Könige.
Es genügt vollkommen, wenn man sich in das Anschauen der natürlichen
Bewegungen des Jesusknaben vertieft. Der knieende König hat sein linkes
Oberärmchen angefaßt. Darüber ist er erschrocken. Er strebt nach der
Mutter hin, nach der er die Rechte ausstreckt, dabei das rechte Bein krümmend.
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VON DB. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ.
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Maria hält das Kind in seelischer Erregung. Auch bei der Darstellung im
Tempel wendet sich das Kind vom greisen Simeon, der es mit verhüllten
Händen anfaßt, nach der Mutter hin, nach der es beide Hände ausstreckt.
Der Bethlehemitische Kindermord gibt uns ein vortreffliches Zeugnis dafür,
wie sehr Meister Bertram befähigt war, für die verschiedenen seelischen
Empfindungen auch jedesmal den entsprechenden Ausdruck zu finden. Die
Frau rechts am Boden herzt in gebrochenem Schmerz ihr totes Kind. Die
Gesichtszüge sind schlaff. Der Schmerz hat sie vollkommen niedergedrückt.
Die Frau über ihr ringt die Hände nach Herodes hin, ihn um Erbarmen
anflehend Dabei scheint sie sich ihrer Ohnmacht bewußt zu sein. Anders
die dritte Frau, die laut schreiend und mit verzerrtem Gesicht den Mörder
ihres Kindes beim linken Oberarm packt. Empfindungslos gebietet Herodes
die Fortsetzung des beispielslosen Mordens. Die Ruhe auf der Flucht nach
Egypten stellt sich als ein Familienidyll von seltenem Liebreiz dar. Auch
ist sie vor den anderen Bildern durch einen hohen Grad von Sattheit und
Glut der Farben ausgezeichnet.
Jugendfrische Auffassung, natürliche Anschauung, naive Beobachtung,
dazu ein fester Wille sprechen aus allen diesen Bildern. Nicht immer ja
glücklich im Ausdruck seiner Ideen, ist Meister Bertram doch feinfühlig in
allem, stürmisch im Temperament, lebendig in der Erzählung.
Ein flüchtiger Blick auf die Skulpturen des Grabower Altares läßt
erkennen, daß dieselben nicht sämtlich auf ein und dieselbe Hand zurück-
gehen. »Neben einer Reihe lieblicher Frauen und großartiger Apostel und
Prophetengestalten, die heute den Künstler entzücken und dem unbefangenen
Laien, der ein Herz hat, unmittelbar Genuß gewähren, erscheinen andere
wohl als derselben Art, aber kaum derselben Hand angehörig« (S. 241). Die
Werkstatt ist wohl die gleiche, nicht aber der Meister. Wahrscheinlich
rühren die besten Bildwerke vom Meister selbst her. Wie weit die Poly-
chromie noch sein Werk ist, muß eine offene Frage bleiben. Bei einigen
waltet kaum ein Zweifel über seine Urheberschaft. Lichtwark nennt Christus,
Maria Magdalena • und Paulus. Im übrigen muß auf die Restaurationen von
1595 und 1734 Rücksicht genommen werden. Die Köpfe des Josua und
Micha sind nach Lichtwark um 1595 erneuert. Den Propheten Micha in der
Bekrönung hält er in Schnitzerei und Bemalung für einen Teil der Restauration
von der Wiederherstellung vom Jahre 1734.
Den Mittelpunkt des Altares in vollkommen geöffnetem Zustande bildet
die eindrucksvolle Gruppe der Kreuzigung (Abb. 4). Christus leidet nur sym-
bolisch. Noch ist er als Sieger über Tod und Hölle aufgefaßt. Maria sinkt nicht
in ohnmächtigem Schmerz zusammen. Noch wohnt sie, wie Lichtwark sich
treffend ausgedrückt hat, als Göttin dem Opferakt bei. Johannes blickt
schmerzerfüllt, nicht verzweifelt empor (S. 247). Die Gestalt Christi berührt
uns eigenartig. Sie hat etwas »Zeitloses« an sich. Sie schwebt erhaben
über den ganzen anderen Darstellungen des Altares. Der außerordentlich
realistisch durchgebildete Körper läßt erkennen, daß Bertram sehr viel Em-
pfindung »für die lebende Materie des Fleisches« hat.
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MEISTER BERTRAM.
Die Verteilung der Statuetten ist in folgender Weise erfolgt: am Fuße
des Kreuzes stehen 13 Apostel, von denen Petrus und Paulus als die Schutz-
heiligen etwas höher als die anderen gerückt sind. An die Apostel reihen
sich 9 Propheten; Micha ist als zehnter in die obere Reihe versetzt, in der
Abb. 4. Meister Bertram: Die Mittelgruppe vom Grabower Altar.
20 männliche und weibliche Heilige. In der Bekrönung, mit Ornamentfüllungen
wechselnd, die 5 törichten und die 5 klugen Jungfrauen. Die Tracht der
Gestalten ist eine verschiedene. Entweder ist es die konventionell-ideale oder
die zeitgemäße oder endlich eine Mischung von Alt und Neu. In allem er-
weist sich Bertram als Naturalist; er stilisiert nicht. Die Apostel tragen die
gleichen Kleidungsstücke wie die heiligen Frauen. Aber Bertram weiß mit
beinahe raffiniertem Geschick der Drapierung des Mantels und den Falten
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ.
73
des Untergewandes bei den Aposteln etwas männliches und bei den Frauen
etwas zierliches, dem Weibe eigenes zu geben. So wird man über die Gleich-
heit der Gewandung ganz und gar hinweggetäuscht. Die Propheten aber
tragen den jMantel wiederum ganz anders als die Apostel. So wird eine
Abb. 5. Meister Bertram: Maria Magdalena yom Grabower Altar.
Mannigfaltigkeit der Tracht erzielt, die unwillkürlich frappiert. Trotzdem
sind die Grundelemente die gleichen. Dies kann nur ein in sich gefestigter
Künstler fertig bringen, der weiß, was er will, dessen Fähigkeit in der Vari-
ierung des Einzelmotivs eine weitgediehene ist. Um einen Einblick in die
künstlerischen Gaben und Mittel Bertrams zu geben, greift Lichtwark eine
einzelne Gestalt und zwar die Maria Magdalena (Abb. 5) heraus. Sie schreitet
als zierliches Modedämchen mit großer Rüschenhaube dahin. Die Rechte raflft
Mitteilungen aas dem german. NationalmuseanL 1906. 10
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^^ MEISTER BERTRAM.
den Mantel leicht auf, die Linke faßt unter dem Mantel die runde Salbbüchse.
Das Antlitz ist derart sorgsam und verständnisinnig individualisiert, daß Licht-
wark geneigt ist, in dem Figürchen eine dem Künstler nahestehende Persön-
lichkeit, vielleicht seine Frau oder seine Schwester zu sehen; denn die Züge
Abb. 6. Meister Bertram: Putrus vom (irabowor Altar.
kehren unter den Skulpturen auch bei anderen Heiligen wieder. Überhaupt
läßt die Durchreifung dieser Gestalt eine besondere Liebe des Künstlers er-
kennen. Und nunmehr wendet sich Licktwark den anderen Figuren zu, seine
Ausführungen durch zahlreiche Vollbilder und Detaildarstellungen illustrierend.
So verdichtet sich unsere Anschauung über den Künstler und seine Fähig-
keiten mehr und mehr. Die Charakteristik ist bei sämtlichen Figuren eine
lebhafte. Man genießt sie aber erst dann, wenn man dieselben aus dem
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
75
Altar herausnimmt und für sich betrachtet. Die Lebensfülle der Silhouette
und des Ausdrucks ist eine erstaunliche. Übertreibung ist nicht vorhanden.
Trotz seiner geringen Kenntnis erreicht Bertram in der Ponderation des Körpers
eine frappierende Glaubwürdigkeit. Die Körper der Frauen sind lebendiger
gefühlt als die der Männer. Auch sind ihre Köpfe besser proportioniert
als die der Männer, die vielfach zu groß sind (vgl. Abb. 6). Lichtwark weist
auf die mannigfache Variation der Motive in der Haltung hin. Kein Motiv
kehrt in der gleichen Weise wieder, obwohl Anlaß dazu genug dagewesen
wäre. Dazu operiert Bertram stark mit der Farbe; er schneidet z. B. den
Gesichtsausdruck auf Polychromie zu. In den Köpfen oflfenbart sich des
Meisters schöpferische Gabe in unbegrenzter Art. Jeder einzelne Kopf ist
in sich durchgebildet. Bei den weiblichen Heiligen wird der Idealtypus ver-
lassen. Bestimmend aber war für die Köpfe das Charakterbild einer jungen
Frau, das, wenn auch im Ausdruck wechselnd und verschieden schattiert,
allenthalben durchleuchtet.
Es ist schwer, mit Bestimmtheit zu sagen, welche Bedeutung die
tronenden Figuren der Praedella haben. Vieles spricht für Licht warks An-
nahme, daß wir in ihrer Auswahl das Bekenntnis eines Mystikers zu sehen
haben. Das Mittelstück der Reihe bildet die seelisch empfundene Verkün-
digung. Maria erschrickt vor dem Gruße. Mit staunender Geste hebt sie
plötzlich und rasch die Rechte empor, wodurch die kühne Querfältelung des
Mantels herbeigeführt wird.
Der Buxtehuder Altar weicht im Typ vom Grabower Altar ab.
Dieser ging als Hochaltar sehr in die Höhe; seine Einzelheiten waren dem
Blick entzogen. Jener dagegen stand dem Beschauer näher. Er war für den
Chor der Kapelle eines Frauenklosters bestimmt und daher niedriger und
breiter. Das begünstigte Bertrams Neigung zu erzählen, wobei ihm der Zweck
des Altares, der für ein Nonnenkloster berechnet war, sehr zustatten kam.
Aus der Bestimmung für ein Nonnenkloster erklärt sich auch die Sorgfalt,
die Bertram auf die modische Frauentracht verwandte. Innere und äußere
Gründe sprechen dafür, daß der Buxtehuder Altar später als der Grabower
Altar geschaffen wurde. Lichtwark möchte die Mitte der 90er Jahre als
Entstehungszeit in Anschlag bringen. Wie beim Grabower Altar wendet er
sich auch hier den Einzeldarstellungen, seine Ausführungen durch Abbildungen
verdeutlichend, zu. Als Einleitung zum eigentlichen Thema dienen drei
Szenen aus der Legende der Eltern der Maria. Das Opfer Joachims erfreut
durch seine lebendige Erzählung. Es darf wohl auf die Ähnlichkeit im Ge-
sichtstypus mit dem Hohepriester und dem Joseph auf dem Bilde der Geburt
Christi am Grabower Altar hingewiesen werden. Die eine emporgezogene
Lippe bei dem abwehrenden Priester kennen wir schon von der Entdeckung
des Sündenfalls, der Vertreibung aus dem Paradiese und der Darstellung im
Tempel als ein Bertram geläufiges Motiv. Bei der Wald- und Tierdarstellung
des Bildes Joachims bei den Hirten werden wir unwillkürlich an den 4. und
5. Schöpfungstag erinnert. Der Engel ist schon sehr viel weiter gediehen
als auf dem Grabower Altar. Während man beim Grabower Altar von einer
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76 MEISTER BERTRAM.
verstandesmäßigen Architektur noch nicht reden kann, darf man dies auf
dem Bilde der goldenen Pforte fast schon tun. Entschieden läßt sich hier
ein Fortschritt konstatieren. Eine sehr erfreuliche Schöpfung ist das Bild
der Geburt der Maria Die Szene ist in ihrer naiven, ungezwungenen
Natürlichkeit außerordentlich anziehend. Wie bestimmt ist femer der Raum
charakterisiert ! Wie drängt sich alles, perspektivisch gedacht, in die Tiefe !
Die Fensterwand hinter dem Bett ist schon mit Schlagschatten überdunkelt.
Der Fortschritt wird noch einleuchtender, wenn man die beiden Verkün-
digungsbilder am Buxtehuder und Grabower Altar mit einander vergleicht.
Abb. 7. Meister Burtram: Besuch der Engrel vom Buxtehuder Altar.
Damals wagte Bertram noch nicht, die Figuren mit Raum zu umschließen.
Jetzt kniet Maria in einem offensichtlich in die Erscheinung tretenden
Raum, der sie mit drei Wänden umrahmt, so daß man den Eindruck eines
Zimmers gewinnt. Die Wirkung des von rechts durch das Fenster ein-
fallenden Lichtes ist wenigstens in Umrissen geschildert. Bei der Geburt
Christi auf dem Grabower Altar war die Perspektive des Stalles noch sehr
mißglückt. Ganz anders ist dies bei der entsprechenden Darstellung des
Buxtehuder Altares, die in dieser Hinsicht einen »sehr großen Fortschritt«
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VON DB. PRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
77
(S. 358) bezeichnet. Die Verkündigung an die Hirten darf nach Lichtwark
als eine der wichtigsten Kompositionen des Meisters betrachtet werden. Die
Originalität ist hier am weitesten gediehen. In allem offenbart sich der an
der Natur geläuterte Sinn. Leben und intensive Handlung pulsieren in kräf-
tiger Weise. Dazu ist das Bild durch einen feingestimmten Reichtum an
Farben und Tönen ausgezeichnet. Wie geschickt Bertram zu komponieren
weiß, läßt die Flucht nach Ägypten erkennen. Um den Eindruck der Fort-
bewegung hervorzurufen, hat er hier der nach rechts sich bewegenden Gruppe
wenig Raum vor sich, um so mehr aber hinter sich gegeben. Hierdurch hat
das Bild außerordentlich an plastischer Kraft gewonnen. Die hohe Gabe
Bertrams in der verschiedenartigen Ausbildung des Gesichtsausdrucks kommt
wohl am besten auf dem Bilde des im Tempel lehrenden Jesusknaben zur
Geltung. Die mannigfache Form der Reaktion auf die Worte des Redenden
bei den Zuhörern konnte kaum besser geschildert werden, als es hier ge-
schehen ist. Sie vermag sich zu steigern von der staunenden Bewunderung
bis zur zornigen Erregung. Wild auffahrend hat der eine Pharisäer sein Buch
emporgehoben, um es wütend zu Boden zu schleudern. Den Besuch der
Engel bezeichnet Lichtwark als eine der reifsten und schönsten Kompositionen
des Meisters (Abb. 7). Die Szene ist von intimem Reiz und voll tiefer Symbolik.
Ein Seitenstück läßt sich, was das Thema anbelangt, weder in der Epoche
Bertrams noch lange nach ihm nachweisen. Eine große Natürlichkeit in den
Mienen und Gesten erreicht Bertram auch auf dem Bilde der Hochzeit zu
Kana. Namentlich ist da auf den behäbigen Patrizier rechts an der Tafel
hinzuweisen, der von seiner modisch gekleideten Partnerin ein Glas mit dem
umgewandelten Wein entgegennimmt, indessen er zugleich mit der Linken
einen harten flachen Kuchen mit dem Rand gegen die Tischplatte drückt,
um ihn mit Hilfe der Hebelkraft durchzubrechen. Lichtwark sieht' in diesem
bezeichnenden Zug eine der frühesten Äußerungen des neuen Geistes. An
der Krönung Mariae müssen wir die Vollendung in der Perspektive bewundern.
Wie Lichtwark darlegt, ist hier neben der Linearperspektive sogar die Farbe
zu Hilfe genommen worden, um den räumlichen Eindruck soweit wie nur
eben möglich zu steigern.
Der Harvestehuder Altar ist von kleinen Dimensionen und enthält
nur vier Darstellungen aus dem Leben der Maria, nämlich die Verkündigung,
Geburt, Darstellung im Tempel und Anbetung der Könige. Neue Momente
zur Beurteilung des Künstlers scheint er nicht beizubringen. Was die Da-
tierung anbelangt, so ist der vom Grabower Altar Kommende leicht geneigt,
beide etwa gleichzeitig anzusetzen. Lichtwark läßt die Frage der Zeit-
bestimmung ungewiß.
Zum Schluß wendet sich Lichtwark dem im Jahre 1861 vom South
Kensingtonmuseum in Brüssel erworbenen »Londoner Altar« zu. Seine
äußere Erscheinung trägt den Bertramschen Typus zur Schau. Der obere
Abschluß, in welchem Ornamente mit goldgrundierten Medaillonköpfen
wechseln, weist auf hohen dekorativen Sinn. Der Altar enthält im ganzen
57 Darstellungen. Die zwölf auf den Außenseiten behandeln verschiedene
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78
MEISTER BERTRAM. VON DR FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
Legenden, die 45 inneren die Apokalypse (Siehe S. 396). Von den Dar-
stellungen der Außenseiten verraten die drei Szenen aus dem Marienleben
und die drei Szenen aus der Legende der Maria Aegyptiaca am meisten Ber-
trams Art. Die Verkündigung ähnelt bis auf den abwehrenden Gestus der
Maria sehr derjenigen auf dem Grabower Altar. Tod und Krönung Mariae
wiederholen in abgekürzter Form die Darstellungen des Buxtehuder Altares.
Bei den übrigen Darstellungen steht die Urheberschaft Bertrams nicht ganz
fest. Doch ist eine nähere Verwandtschaft zu konstatieren.
Die klaren und durchsichtigen Ausführungen Lichtwarks, denen wir in
resümierender und mehr betrachtender Form gefolgt sind, tun dar, von
welch durchschlagender Wichtigkeit Meister Bertram für die deutsche Kunst-
geschichte vom Ende des 14. Jahrhunderts ist. Mit einer gewaltigen Fülle
von Werken seiner Hand tritt er plastisch und als Persönlichkeit, welche das
künstlerische Vermögen, die Anschauungsweise und das Kulturleben seiner
Zeit repräsentiert, aus einer noch in Vielem dunklen Epoche heraus. Viel
bringt er uns, aber noch viel mehr gibt er uns zu denken und zu forschen.
Jedenfalls aber ist es Lichtwark schon jetzt gelungen zu erweisen, daß man
in Zukunft mit Meister Bertram als einem gewichtigen Faktor und Ausgangs-
punkt zu rechnen hat.
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EINE GLOCKE AUS DEM 18. JAHRHUNDERT.
VON GUSl'AV VON BEZOLD.
Die ehemalige Klosterkirche zum heiligen Kreuz in Donauwörth erhält
ein neues Geläute. Zu dessen Herstellung sollten die alten Glocken
mit verwendet und umgegossen werden. Die größte der drei Glocken ist
sehr hübsch ausgestattet und man bedauerte, daß sie eingeschmolzen werden
Glocke aus der ehemaligen Klosterkirche Heilig Kreuz in Donauwörth.
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80 EINE GLÜCKE AUS DEM la JAHRHUNDERT. VON GUSTAV VON BEZOLD.
sollte. Sie wurde dem germanischen Museum angeboten und von diesem um
den Metall wert erworben.
Die Glocke ist im Jahre 1748, dem letzten der langen Regierung des
Abtes Amandus Röls gegossen. Abt Amandus hatte von 1717 an die Kirche
lind die Klostergebäude von Heilig Kreuz neu gebaut. 1747 ließ er den alten
Turm der Kirche zum größsen Teil abtragen und in seiner jetzigen Gestalt
neu aufbauen. Der Bau kam noch im gleichen Jahre zum Abschluß, wie die
Urkunde in dem Turmknopf besagt*). Von dem Geläute sind bei der Säku-
larisation des Klosters nur drei Glocken erhalten worden. Die größte wird
hier abgebildet, die beiden kleineren hatten keine archaeologische oder künst-
lerische Bedeutung.
Unsere Glocke trägt im oberen Reif die Inschrift: Laudent nomen in
choro, Psalm 149 Amandus abbas a-2 1748. Dann folgt ein Puttenfries mit
Ranken und Rokokokartuschen. Das Ornament ist aus einem Model geformt,
der sich mehrmals wiederholt; leider ist er einigemale verkehrt eingesetzt.
Die Komposition ist schön und füllt die Fläche sehr gut aus. Auf der aus-
ladenden Fläche der Glocke sind vier Reliefs: Das große Abtswappen, Maria
mit dem Leichnam Christi, S. Benedikt und Christus am Kreuz angebracht.
Auf dem unteren Rand steht: Abraham Brandtmair und Franciscus Kern in
Augspurg gos mich. — Die Gesamtform der Glocke ist schön; ihr Gewicht
beträgt etwa 250 Kgr; sie ist auf den Ton C gestimmt.
♦) Coelestin Königsdorfer, Geschichte des Klosters zum heiligen Kreuz in Donau
württ. III. I. S. 423.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Werden und Vergehen im Völkerleben von A. Frh. v. Schweiger-Lerchen-
feld. Lfg. 1. Wien und Leipzig, A. Hartlebens Verlag.
Die neueste Arbeit des unermüdlichen Schriftstellers wendet sich nicht an den
Historiker, sondern an ein allgemeines Publikum. Läßt sie eine selbständige Durch-
arbeitung des Stoffes und ein Zurückgehen auf die primären Quellen vermissen, so ist
sie doch gewandt zusammengestellt und kann zu allgemeiner Orientierung auf dem weit-
verzweigten Gebiete ihre Dienste tun. Das Werk ist auf 40 Lieferungen berechnet.
Wir werden nach dem Abschluß eingehender auf dasselbe zurückkommen.
Die Denkmäler der deutschen Bildhauerkunst. Herausgegeben von Dr. Georg
Dehio, Professor und Direktor des kunstgeschichtl. Instituts der Universität Straßburg,
und Dr. Gust. v. Bezold, I. Direktor des Germanischen National-Museums in Nürnberg.
4 Serien von zusammen 20 Lieferungen von je 20 Tafeln im Format 32 x 48 cm. Verlegt
bei Ernst Wasmuth, A.-G., Berlin.
Das großzügig angelegte Tafel werk, von dem die erste Lieferung, enthaltend
20 Tafeln mit 51 Abbildungen, vorliegt, scheint berufen zu sein, das Material für die
lang ersehnte Geschichte der deutschen Plastik zu bringen.
Da zwar im Prospekt darauf hingewiesen wird, daß die Auswahl nach einem festen
und eingehenden Plane erfolge, jedoch in dieser ersten Lieferung Text und Übersicht
des in den kommenden Nummern Gebotenen noch fehlen, so dürfte eine eingehende
Würdigung zurzeit noch nicht angängig sein. Doch läßt sich schon aus der vorliegenden
ersten Lieferung ersehen, daß alle Perioden deutscher plastischer Kunst vom 11. bis
zum 18. Jahrhundert berücksichtigt werden. Neben den bekannteren Werken, wie etwa
der Gnesener Erztüre und den Nürnberger Tonaposteln, findet sich eine große Anzahl
von hochbedeutenden Skulpturen wiedergegeben, die bisher wohl nur in den Kunst-
inventaren Erwähnung und Aufnahme fanden. Besonders erfreulich ist die mustergültige
Publizierung der Details der Wechselburger Kanzel, deren Wiedergabe im sächsischen
Kunstinventar durchaus ungenügend war; wenn auch die Aufnahme nach den Gipsabgüssen
mit Notwendigkeit manche störende Beigaben bringt, so ist doch dies Kompromiß infolge
der großen technischen Schwierigkeiten, die eine gute photographische Aufnahme des
Originals unmöglich machen, unbedingt notwendig. Auch der für die sächsische Früh-
plastik hochbedeutende Grabstein des Wiprecht von Groitzsch in der Klosterkirche zu
Pegau findet hier meines Wissens zum ersten Mal eine mustergültige Wiedergabe.
Die technische Leistung ist durchgehends zu rühmen. Etwas störend wirkt bei
einigen besonders zart getönten Lichtdrucken die rauhe Struktur des Papiers, ein Mangel,
der vielleicht in den folgenden Lieferungen behoben werden könnte. W. Josephi.
Die Denkmalpflege und ihre Gestaltung in Preussen. Von Dr. jur. F. W. Bredt.
Berlin, Köln, Leipzig, Albert Ahn. 8<>. VIII und 64 S. 1904.
Die vorliegende Schrift beschäftigt sich mit der Denkmalpflege in erster Linie vom
uristischen Standpunkt aus. Ihr Endzweck ist, die gesetzliche Regelung des Denkmal-
Mi tteiluDgen aus dem german. Nationalmuseum. 1906. 11
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82
UTBRARISCHE BESPRECHUNGEN.
Schutzes in Preußen durch Diskussion der bei dieser Materie sich ergebenden Fragen in
die Wege zu leiten. Damit geht Hand in Hand der allgemeinere Zweck, über das heute
so aktuelle Gebiet der Denkmalpflege auch in weiteren Kreisen Klarheit zu schaffen.
Daher wird in knapper und klarer Weise in den einleitenden Kapiteln zunächst versucht,
den Gegenstand der Denkmalpflege, die Art der zu schützenden Denkmale, festzulegen.
Eine abschließende Definition ist aus der Gegenüberstellung der verschiedenen Erklä-
rungen in den Gesetzentwürfen und Gesetzen verschiedener Länder nicht erbracht; es
werden nur drei Gesichtspunkte als allgemein gültige anerkannt, die Bedeutung der
Denkmale für die Naturgeschichte, die Geschichte, dann Kunst und Kunstgewerbe.
In einem zweiten Kapitel wird in sehr warmfiihlender Weise der ideelle Wert der
Denkmalpflege hervorgehoben, ihr Einfluß auf den Kulturstand und das Nationalbewußt-
sein an manchem treffenden Wort und Beispiel vor Augen geführt.
Das dritte Kapitel handelt von den Mitteln und Wegen der Denkmalpflege. Als
Leitsatz ist hier aufgestellt : >Die Aufgabe der Denkmalpflege ist und bleibt aber lediglich
die Erhaltung des Bestehenden«. Der Verfasser ist indes im Lauf seiner Untersuchung
selbst genötigt, über den Rahmen seines Leitsatzes hinauszugehen, und wir möchten die
Abgrenzung ebenfalls als zu eng bezeichnen. Von der auf die zu schützende Materie
sich beziehenden Pflege scheidet F. W. Bredt eine subjektive, wie er sie nennt, die
wieder in die durch Gesetz oder Verordnung erzwungene, und die freiwillige zerf^lt,
eine Scheidung, die unseres Era^tens nicht ganz glücklich ist.
Von großem Interesse ist die im vierten Kapitel vorgenommene Darlegung der
geschichtlichen Entwicklung und Organisation, wenn sie auch naturgemäß wenig Neues
vorbringt. Besonders eingehend wird das »classement« der französischen Geschichts-
und Kunstdenkmale erörtert, das für den Denkmalschutz aller mit eigenen Gesetzen
nachgefolgten Staaten vorbildlich geworden ist. Im Deutschen Reich ist bekanntlich
nur das Großherzogtum Hessen mit einem eigenen Denkmalschutzgesetz hervorgetreten.
Die organisatorischen Maßnahmen aller übrigen Staaten können nur als vorläufige betrachtet
werden. Am Schluß des Kapitels wird der bisherigen im Verordnungsweg geregelten
Ordnung der Frage in Preußen eine besonders eingehende Würdigung zuteil. Im letzten
Kapitel werden dann die Wünsche und Erfordernisse für ein künftiges preußisches Denk-
malgesetz in Preußen aufgestellt. An der Spitze steht auch hier die Denkmälerliste, eben
jenes »classement«, dann das Enteignungsrecht. Die zahlreichen Anregungen, die hier
meist vom verwaltungsrechtlichen Standpunkte aus gegeben werden, sind sicher geeignet,
über die vielerlei Schwierigkeiten bietende Frage in weitere Kreise Klärung zu bringen.
Als Anhang ist eine Obersetzung der einschlägigen italienischen Gesetze gegeben,
die zeigen, wie in diesem Kunstlande die staatliche Fürsorge — allerdings auch aus
flnanziellen Beweggründen — sich sehr ins Einzelne erstreckt. H. Stegmann.
Die Bannerherrschaft Bntsee bei Rothenburs: o. T. Von A. Kreiselmeyer,
Steinach bei Rothenburg. München 1906. Druck von F. X. Pradarutti. 64 SS. S^.
. Diese kleine Arbeit einer eifrigen Geschichtsfreundin beschäftigt sich mit den Ge-
schicken des alten Dynastengeschlechts derer von Entsee, von deren festem Sitze auf
dem sogen. Endseer Berg, nächst Steinach bei Rothenburg, spärliche Reste sich bis in
unsere Tage erhalten haben, dann mit den ferneren Schicksalen der einst ansehnlichen
freien Herrschaft E., unter den uffenheimischen Hohenlohe und der Reichsstadt Rothen-
burg o. T. Die Verfasserin kommt bei eingehender Prüfung der Quellen zu dem Schluß,
daß das Geschlecht Reginhards von Entsee nicht schon 1167 bezw. 69, sondern erst
— wie dies schon Bauer gegen Bensen dargetan hat — um 1240, mit Albert (f 1239 in
Kloster Heilsbronn) und Konrad (f als Abt zu Komburg 1245), erloschen sein kann. Die
weiteren Schicksale Endsees erscheinen als bedeutsame Ausschnitte aus der Geschichte
der von dem staufischen Kaiserhause so sehr begünstigten Hohenlohe und der Reichs-
städte Windsheim und Rothenburg. Letzteres, dem Schloß Endsee 1407 von Burggraf
Friedrich V. als dem Vollstrecker der Reichsacht zerstört worden war, mußte dem Kaiser
Ruprecht sich fügend die alte Burg in Trümmern lassen.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 83
Ober Einzelheiten (das anfängliche Arbeiten mit Trithemius und Papius, die meines
Erachtens nicht eben glückliche Etymologie >end-see<, u. a.) hier richten zu wollen, würde
an dieser Stelle zu weit führen. In der Einleitung ist natürlich Bnisch(ius) für Bnichius
zu lesen. Brauchbare Fundnotizen und reizvolle Volksüberlieferungen findet man in an-
sprechender Weise herangezogen. Dankenswerte Beigaben sind ein Abdruck der Endseer
Dorfordnung von 1681 und die Geschlechtstafeln der Dynasten von £. und der Herren
von Hohenlohe auf E.
Das auf gründlichem Quellenstudium (unter Benützung sämtlicher zuständiger
Archive) sich aufbauende, übrigens auch anregend und fiott geschriebene Büchlein verdient,
im Hinblick auf die leider nicht geringe Zahl gänzlich unzureichender lokalgeschichtlicher
Arbeiten, gewiß alle Anerkennung. HH.
Sechs Wandbilder aus vorseschichtlicheo Kulturperioden. Nach Aquarellen
von Prof. Dr. Jul. Naue. In Farbendruck ausgeftthrt. Nebst Erläuterungen. Verlag von
Piloty &. Loehle in München. 1904. Imp. 2 und 8.
Der Zweck dieser lithographischen Farbendrucke ist, dem Laien , zumal der her-
anwachsenden Jugend ein möglichst getreues Bild von der äußeren Erscheinung der
Menschen vorgeschichtlicher Kulturperioden zu vermitteln. Da hierbei, wie der Text
ausdrücklich hervorhebt, die Beschränkung auf Bayern gemacht, vor allem Oberbayem mit
seinen reichen Funden in Betracht gezogen ist, so dürfen wir von vornherein in die Zu-
verlässigkeit der Bilder, namentlich soweit es sich um die Zuteilung und Verwendung
der Geräte und Waffen, wie in der Regel auch des Schmuckes handelt, volles Vertrauen
setzen. Ist doch Julius Naue seit Jahrzehnten als einer der besten Kenner gerade der
Prähistorie Bayerns bekannt und hochgeschätzt. Wo er dann freilich, wie es die ge-
wissermaßen als Rekonstruktionen aufzufassenden bildlichen Darstellungen notwendig
mit sich brachten, den Boden der Grabfunde verläßt, wird, was die Tafeln bieten, der
Text uns erläutert, vielfach hypothetisch, und man wird alsdann nicht selten anderer
Meinung als der Verfasser sein können. Das gilt z. B. von Schnitt und Verzierung der
Gewänder, welch letztere in Ermangelung von Resten, die zuverlässigere Auskunft geben
könnten, der Ornamentik der Tongefäße entlehnt ist. So beruht auch die Wiedergabe
des Beiwerks — des Thrones auf Tafel I („Die weise Frau" oder die „Priesterin von
Mühltal"), des Tisches auf Tafel V — und die Anbringung des einen oder andern
Schmuckstückes nur auf mehr oder minder wahrscheinlichen Annahmen und Ver-
mutungen, doch hat Naue, soweit die Tracht, um die es ihm ja allein zu tun war, in
Frage kommt, in dem begleitenden Text überall sorgfältig hervorgehoben, wo das sicher
begründete Wissen aufhört. Schon deswegen darf auch diese Veröffentlichung Naues
mit Anerkennung begrüßt, dürfen diese Tafeln — die ersten beiden sind der älteren,
Nr. III der jüngeren Bronzezeit, Tafel IV und V der Hallstatt- und Tafel VI der Völker-
wanderungszeit gewidmet — mit ihren kurzen Erläuterungen insbesondere Schulen
warm empfohlen werden. Th. H.
FOhrer durch das städtische Museum, die alte Kaiserburg und sonstige Seheos-
wOrdigkeiten von Eger. Mit 7 Ansichten und 2 Plänen. Eger 1906. Verlag der
Stadtgemeinde.
Wer der Besichtigung der interessanten Stadt Eger mit ihrer fast tausendjährigen
Geschichte und der reizvollen Umgebung einen Tag oder mehr widmen will, den wird
es nicht gereuen, mit diesem sorgfaltig ausgearbeiteten Büchlein in der Hand dort sich
umgesehen zu haben. Ein gründlicher Kenner der Stadt in Gegenwart wie Vergangen-
heit geleitet uns durch das ansehnliche Museum, in dem wir einer stattlichen Reihe von
Denkmälern des öffentlichen und privaten Lebens in Alteger begegnen und an der ört-
lichen Sonderart, dem bunten Hausrat und der eigenartigen Tracht des Egerländchens,
an den natur- und vorgeschichtlichen Sammlungen uns erfreuen. Vom Museum aus be-
suchen wir die alte Kaiserburg mit der berühmten Doppelkapelle , um dann auf einem
Rundgang durch die alte und neue Stadt unsere Aufmerksamkeit dem imposanten Markt-
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84 LITERASISCHE BESPRECHUNGEN.
platze, den mannigfachen öffentlichen Gebäuden, geschichtlich denkwürdigen Häusern,
den schönen Kirchen u. a. m., zuzuwenden. Zum Schluß erföhrt der Fremde alles Wissens-
werte über die reiche Auswahl hübscher Spaziergänge und Ausflugsorte im näheren und
weiteren Umkreis von Eger. HH.
Abrlss der Geschichte und Topographie von Markt-Redwitz und seiner Nach-
barorten Dörflas und Oberredwitz. Von Oskar Gebhardt. Markt-Redwitz 1906.
Druck u. Verlag von Otto Traut ner. 124 SS. 8.
Verfasser schildert die wechselvollen Schicksale seiner Vaterstadt, ihre ältesten
Beziehungen zu den v. Redwitz und v. Schönbrunn, das rechtliche Verhältnis zum Kloster
Waldsassen, die politischen Zusammenhänge mit der ursprünglichen Reichsstadt Eger
(1340 — 1816), endlich die wichtigeren Ereignisse der letzten 90 Jahre unter der Krone
Bayern. Die Sondergeschichte der Nachbargemeinden Dörflas und Oberredwitz reiht sich
in zwei ausführlichen Kapiteln an. Auf eigene archivalische Studien verzichtend, hat G.
alles ihm erreichbare Material an gedruckten Quellenpublikationen und handschriftlichen
Chroniken, auch die Ergebnisse der neueren und neuesten Literatur mit großer Umsicht
zusammengetragen und verarbeitet. Möge diese erste zum Druck gelangte Geschichte
des aufstrebenden Fichtelgebirgsstädtchens angesichts ihres keineswegs nur lokales Ge-
präge tragenden, vielfach allgemein interessanten und in anziehender Form dargebotenen
Inhalts auch in weiteren Kreisen verdiente Beachtung finden! HH.
Führer durch die BOcherei des Kaiser Friedrich Museums der Stadt Mairde-
buni:. Von A. Hagelstange. Magdeburg 1906. Verlag des Kaiser Friedrich Mu-
seums der Stadt Magdeburg. 330 S. 8.
. Dieser mit Sorgfalt und viel Geschmack zusammengestellte Katalog, der den nicht
sehr umfangreichen Besitz der Magdeburger Museumsbibliothek in der alphabetischen
Reihenfolge der Verfasser bezw. Titel aufführt, wozu noch ergänzend ein praktisch ge-
arbeitetes Schlagwörterverzeichnis tritt, ist als eine vortreffliche Leistung zu bezeichnen.
Vornehmlich aber ist die Ausstattung des Bandes zu rühmen , die allen Anforderungen
moderner Buchästhetik entspricht. Nur der Wortlaut des Titels scheint mir nicht ein-
wandsfrei; denn augenscheinlich handelt es sich nicht um einen Führer, sondern um
einen erschöpfenden Katalog. Will man durchaus die alte fachliche Bezeichnung aus
puristischen Gründen vermeiden, so wäre meines Erachtens das auch in den Überschriften
der Einzelabschnitte gebrauchte Wort >Verzeichnis« besser gewählt an Stelle des irre-
führenden Wortes »Führer«. W. J.
u C.Sebaid, Nümberf.
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EIN SYRO-PALÄSTINENSISCHES RÄUCHERGEFÄSS.
VON
OITO PELKA.
(Mit 2 Tafeln.)
Das nachstehend beschriebene Gefäß ist ein typisches Beispiel sowohl
nach Form wie im Ornament der in Syrien-Palästina bis zum 8. Jahr-
hundert und wohl noch etwas später beim Gottesdienst verwendeten Rauch-
fässer. Da Josef Strzygowski, wie ich höre, eine eingehende Publikation
sämtlicher Thuribula, die aus der gleichen Gegend und Zeit stammen,
vorbereitet, oder wenigstens schon seit einiger Zeit das vollständige Material
bereit hat, so kann es hier nur meine Aufgabe sein, eine Beschreibung
und kurzgefaßte Erklärung des vorliegenden Denkmales zu geben. Daneben
werde ich auch die anderen mir bekannt gewordenen Rauchfässer zum
Vergleich heranziehen. Ein Eingehen auf ikonographische Details erübrigt
sich hier. Eine ikonographische Worterklärung der figuralen Szenen zu geben
liegt mir fern. Alle diese Rauchfässer sind nicht sowohl durch ihren figür-
lichen Schmuck wie durch ihre Ornamentation bemerkenswert. Aus der rein
ikonographischen Betrachtungsweise, auf die früher von den christlichen
Archäologen, besonders von den der römischen Schule nahestehenden, soviel
Gewicht gelegt wurde, würde etwas wesentlich neues oder den christlich-
archäologischen Wissenskreis erweiterndes nicht resultieren. Viel wichtiger ist
es m. E. eine stilistische Einordnung durch Vergleichen der Ornamente zu ver-
suchen. Strzygowski hat in seiner Arbeit über die Mschattafassade den Weg
gewiesen. Ich kann nur auf einem bescheidenen Nebenwege in die Nähe
des von ihm glänzend erreichten Zieles gelangen. Der Mangel an Vergleichs-
material, mit dem ich zu kämpfen habe, möge manches unerreichte ent-
schuldigen.
Die Form des Gefäßes ist halbkugelig mit einem niedrigen konischen
Fuß. Am oberen Rande sind drei Ösen für die Tragketten angebracht. Den
größten Teil der Außenseite nimmt ein Streifen mit fünf Szenen aus dem Leben
Christi ein. Über dieser Bilderreihe, eingeschlossen von zwei gedrehten Rund-
stäben, ein Ornamentstreifen; ein solcher, aber schmaler, dient auch als Ab-
schluß des figurierten Hauptteilcs nach unten. Fuß und Boden sind ebenfalls
ornamentiert.
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^6 EIN SYHO-PALÄSTINENSISCHES RÄUCHEK«EKASS.
Das Material ist helle Bronze. Die figürlichen Darstellungen erscheinen
im Relief, die Ornamente sind nach dem Guß durch die Punze angebracht.
Die Höhe des Fasses beträgt, ohne die ösenansätze, 65 mm; der Durch-
messer am oberen Rande der Öffnung 84 mm.
Die Erhaltung zeugt von starker Benutzung. An verschiedenen Stellen
ist die Bronze durchgebrannt.
Die Reliefs sind stark abgerieben, sodaß man Einzelheiten, wie Gesichts-
züge, Nimbierung etc. nicht mehr feststellen kann.
A. Figürliche Szenen.
1. Verkündigung an Maria.
Maria sitzt en face mit etwas nach links ^) gewendetem Kopf. Links von
ihr steht ein geflügelter Engel. Einzelheiten lassen sich nicht mehr erkennen.
Der syrisch-palästinensische Typus der Verkündigungsszene zeigt Maria
stets beim Spinnen beschäftigt. Die Details variieren, insofern Maria in einer
Denkmälergruppe steht, während sie hier auf einem Stuhl zu sitzen scheint.
Auf den mir bekannten Rauchfässern ist die letztere Variante bevorzugt. Sie
stellt sich als genaue Illustration der betr. Stelle des Protevangelium Jacobi
dar: xal Xaßoöaa xtjV Tzopcpjpav JxiO-taev inl xoO frpovou (xbxffi (c. XI, 1). In-
folge der Roheit der Technik fehlen natürlich im vorliegenden Falle alle
Einzelheiten in der Ausstattung der Szene. Doch wird man wohl kaum
fehl gehen in der Annahme, daß hier ebenso wie auf den parallelen Ver-
kündigungsbildern die Absicht des Künstlers es war, die spinnende Maria zu
geben. Rechts von der hl. Jungfrau dient ein sehr stark stilisierter Baum
mit lanzettförmiger Krone als Abschluß der Gruppe. Nach der angezogenen
Stelle des Protevangelium Jacobi trifft der Engel Maria im Innern des Hauses.
Der Baum aber soll die Begegnung als im Freien stattgefunden bezeichnen.
Es ist hier eine Vermischung der Örtlichkeiten in dem Gedächtnis des aus-
führenden Handwerkers eingetreten. Im Anfang des 2. Kapitels des Prot-
evangelium wird von zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Verkündigungen
erzählt. Die erste erfolgt an der Quelle, zu der Maria, um Wasser zu schöpfen,
geht; daran schließt sich sofort eine zweite im Innern des Hauses, als Maria
mit dem Spinnen der Purpurwolle beginnt.
So einfach diese Szene an sich ist, zeigen die verschiedenen Exemplare
in der Ausführung doch mancherlei kleine Unterschiede.
Nur einmal ist Maria stehend, mit dem Purpurwollenfaden in der Hand,
dargestellt (Nr. 10 2). Die Kathedra der sitzenden Maria wird auf den Parallelen
nur zweimal sichtbar (Nr. 2, 12), gewöhnlich wird sie fortgelassen. — Die
Stellung des Engels wechselt zwar auch, doch wird das Herannahen von links
bevorzugt. Auf der rechten Seite erscheint er nur dreimal (Nr. 1, 7, 10).
Auf zwei Fässern läßt sich ein Stab in der Hand Gabriels erkennen (Nr. 2, 10).
1) Links und rechts vom Beschauer aus.
2» Die Nummern beziehen sich auf die am Schlüsse eingeschaltete Tabelle.
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VON OrrO PELKA. *^'
2. Geburt Christi.
Das Lager des Christuskindes wird von zwei Säulen mit stark defor-
mierten korinthischen Kapitellen getragen. Darüber die Köpfe von Ochs (1.)
und Esel (r.). Links Josef in langer Tunika und Pallium, anscheinend sitzend.
Sein rechter Arm ruht auf dem Schöße, der linke stützt den Kopf. Auf der
rechten Seite der Krippe ist Maria liegend dargestellt. Eine Andeutung der
Bettstatt fehlt; wie denn überhaupt der Verfertiger dieses Stückes darauf
verzichtet, die Sitzgeräte zu kennzeichnen, so daß man nur aus den Parallelen,
und aus der auch nur sehr dürftig angedeuteten Körperhaltung imstande ist,
einen Schluß auf die Art der in der Darstellung beabsichtigten Bewegungs-
oder Ruhemomente zu ziehen.
Die Geburtsszene findet sich auf sämtlichen übrigen Gefäßen. Wie bei
der Verkündigung, so zeigen auch hier die einzelnen Stücke Abweichungen
voneinander. Die gewöhnliche Anordnung ist dieselbe wie auf dem Nürn-
berger Faß: In der Mitte der Szene die Krippe mit dem Kinde, darüber die
Köpfe von Ochs und Esel; zu beiden Seiten Maria, auf einem oval geformten
Bett liegend, und Josef stets sitzend. Die Örtlichkeit, an der der Vorgang sich
abspielt, wird durchgängig nicht spezialisiert, mit einer Ausnahme (Nr. 9), die
im Anschluß an das Protevangelium Jacobi und Pseudo-Matthäus^), eine Höhle
andeutet. Änderungen des Grundschemas der Komposition treten ein durch
das Fortlassen der Figur des Josef (Nr. 3, 13). Auf dem letztgenannten
Stück wurde durch die Einbeziehung der Hirten- und Magieranbetung aus räum-
lichen Gründen die Übereinanderstellung der Lagerstätten von Mutter und
Kind notwendig.
3. Taufe Christi.
Christus steht anscheinend unbekleidet bis zu den Knieen im Wasser,
links daneben Johannes, bekleidet mit Tunika und Pallium ; er legt die Rechte
auf das Haupt des Täuflings; zur Rechten Christi ein Engel, bekleidet, soweit
sich erkennen läßt, wie der Täufer, hält in seiner erhobenen Linken einen
länglichen Gegenstand, dessen Bedeutung ich nicht zu ermitteln imstande bin,
der aber sicher nichts mit dem in der Hand des assistierenden Engels sonst
ausnahmslos üblichen Tuche zu tun hat. Denkbar wäre es vielleicht, daß
ein verunglückter Versuch des Modelleurs vorliegt, den Engel geflügelt dar-
zustellen. — Über dem Haupte Christi ist eine längliche Erhöhung angebracht,
deren Umrisse so unklar sind, daß die Deutung auf die Taube nur aus den
parallelen Taufdarstellungen gewagt werden kann. Ein Baum links deutet die
Landschaft an.
Dieser Typus erfährt in der Gesamtanordnung auf den übrigen Rauch-
fässern keine Änderung. Eines der Berliner Exemplare (Nr. 9) hat zwei Engel.
3) Protev. Jac. XVII, 3 bis XVII, 1: xai rjXSoy ev rrj fiior^ odw^ xai etxev avrio
MocQidfi' xarayuye juie dxo rij^ ovov, ort ro ey ifioi exeiyei fie XQoeXSeiy. xai xariijyayev
avripf dxo rfjg oyov^ xai etjtev avrf/' jrov Oe axd^ta xai Oxixdöca öoü rijv döxrjuoövvrjv ; ort 6
TÖJtog ügijiJLog eOriv, xcu ev^ev OxijXaiov exei xai eiö^ayev avrijy,
Ps.-Matth. Xni : iussit angelus stare iumentum, quia tempus advenerat pariendi ; et
praecepit descentlerc de animali Mariam et ingredi in speluncam subterraneam.
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88
EIN SYRO-PALÄSTINENSISCHES RÄUCHERGEFÄSS.
4. Kreuzigung.
Christus am Kreuz, ^angetan mit dem Colobium ; die Beine, nebeneinander
gestellt, reichen bis zum Erdboden; Die Kreuzesarme werden nicht sichtbar.
Unter dem Querbalken links Maria (?), rechts Johannes {>)\ neben dem Kopf
Christi über den Enden des Horizontalbalkens als zwei runde Scheiben, Sonne
und Mond, die aber durch den Gebrauch so abgeschliffen sind, daß Einzel-
heiten nicht zu erkennen sind.
Es ist diese Szene ein Beispiel für den »Haupttypus der morgenlän-
dischen Kreuzigungsdarstellung.«*) Auf sämtlichen Beispielen des vorliegenden
Gefäßtypus bemerkt man die Bevorzugung der »historischen« Auffassung für
die bildliche Wiedergabe der Kreuzigungsszene. Christus ist nie allein; ent-
weder die zwei Schacher, oder Maria und Johannes stehen ihm zur Seite,
einigemale sogar die vier genannten Personen gleichzeitig (Nr. 7, 11, 12); nie-
mals fehlen Sonne und Mond über den Enden des Querbalkens.
5. Auferstehung.
In der Mitte das Grab, ein anscheinend auf vier Säulen oder Pilastem
ruhender, über einem niedrigen Postament sich erhebender Bau mit einem
durch ein Zickzackornament verzierten Architrav und einem Dach, das in
seiner Zeltform mit der »gleichsam gedrehten Spitze mit krönender Blume«**)
an Architekturen, wie das sogenannte Grabmal des Absalom •), erinnert. Links
vom Grabe der geflügelte Engel in sitzender Stellung; auf der anderen Seite
Maria ^j die Mutter des Herrn, bekleidet mit langer Tunika und Palla. Ob
sie etwa, wie sonst üblich, ein Salbgefäß trägt, ist infolge der nachlässigen
Modellierung, nicht ersichtlich.
B. Ornamente.
Eine ornamentale Verzierung findet sich bei unserem Rauchfaß, wie
bereits erwähnt, auf den schmalen Bändern, die den Bildstreifen oben und
unten begrenzen; ferner auf der Außenseite und am Boden des Fußes. Die
Übereinstimmung dieser Omamentation mit Motiven, wie sie sich an syrischen
Architekturen und auf Miniaturen des gleichen Ursprunges finden, legt es
nahe, die Provenienz auch dieses Rauchfasses aus Syrien als ziemlich sicher
4) Vgl. Reil, Die frühchristlichen Darstellungen der Kreuzigung Christi (Studien
über Christliche Denkmäler, herausgeg. von Johannes Ficker. Heft 2). Leipzig, 1904.
S. 94. — A. a. O. S. 95 und S. 96 redet Reil mit Bezug auf zwei dieser Rauchfasser von
»Pyxiden«, eine Bezeichnung, die unzutreffend ist, da man allgemein in der Terminologie
der christlichen Archaeologie unter Pyxis einen runden Behälter versteht, der, mit oder
ohne Deckel, zur Aufbewahrung der Hostie, von Reliquien oder höchstens von Schmuck-
sachen verwendet wurde.
5) von Sybel, Weltgeschichte der Kunst im Altertum. Marburg 1903. S. 393.
6) Abb. z. B. Herders Bilderatlas zur Kunstgeschichte. Freiburg 1906. Taf. VII,
Nr. 4. Die Entstehung dieses Bauwerkes läßt sich nicht sicher fixieren. Wahrscheinlich
gehört es dem ersten nachchristlichen Jahrhundert an.
7) Über die Zahl der Frauen vgl. Stuhl fauth, Die Engel in der altchristlichen
Kunst. Freiburg 1897. S. 137 f.
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VON OTTO PELKA.
89
hinzustellen. Wenn andererseits der gleiche Typus dieser Fässer auch in Süd-
rußland vorkommt, so erklärt sich dies leicht durch die Tatsache, daß im
VI. Jahrhundert bereits Einflüsse syrischer Kunst auf Armenien zu konstatieren
sind.®) Daß solche Massenartikel wie die Rauchfässer dann durch Vermittelung
armenischer Händler ihren Weg nach der Krim gefunden haben, ist nicht
weiter verwunderlich.
Das Ornament des oberen Randstreifens wird von zwei Rundstäben ein-
gefaßt; es besteht aus einer Folge von horizontal gelegten gleichschenkeligen
Dreiecken mit konkav gebogenen Schenkeln und sphärischer Basis, die so
angeordnet sind, daß die Spitze des einen die Mitte der Grundlinie des
nächsten berührt. Zu beiden Seiten dieses mittleren Dreieckstreifens liegen
halbe Dreiecke von gleichem Aussehen symmetrisch gegenübergestellt, so daß
die Ecken zweier von ihnen dem Berührungspunkt von zweien der Mittelreihe
anliegen.
Dieses Motiv ist in Syrien sehr beliebt. Es findet sich in den ver-
schiedensten Abwandelungen. Die einfachste Form zeigt nebeneinandergesetzte
gleichseitige Dreiecke. (Großes Pyramidengrab von El-Barah; 5. Jahrhundert.
Vgl. De Vogü6, Syrie centrale, pl. 76). In Qal*at Sim*an erscheinen die Drei-
ecke wie ineinandergesteckt, sodaß eine Kette von Trapezen übrig bleibt.
(Vgl. De Vogü^, a. a. O. pl. 146. 147, 2. 148. Wohl schon aus der 1. Hälfte
des VI. Jahrhunderts). Bereits in der paganen Architektur tritt dieses Motiv
auf, an einem Tor des Tempels in Suw^dä aus den letzten Jahren des ersten
vorchristlichen Jahrhunderts oder spätestens vom Beginn der christlichen
Ära (Part II of the Publications of an American Archaeological Expedition to
Syria in 1899—1900. Architecture and other Arts by H. C. Butler. New
York 1904, S. 332, 334). Doch läßt sich hier bereits eine Abzweigung von
dem geometrischen Grundmotiv erkennen, die zur Umwandlung in ein rein
vegetabiles Ornament führt. Die Grundlinie ist gebrochen, so daß aus dem
Dreieck eine Art herzförmigen Blattes geworden ist. Eine weitere Teilung
der Grundlinie in drei Spitzen oder Lappen sieht man auf einem sassa-
nidischen Kapitell aus Ispahan, dessen Entstehung Strzygowski (Jahrbuch der
K. Preuß. Kunstsammlungen Bd. XXV. 1904. S. 354, Abb. 117a) spätestens in
das 4. Jahrhundert datiert. Den gleichen Schmuck tragen, in durchbrochener
Arbeit, die großen Rosetten der Mschattafassade. Einer eigenartigen Variation
dieser Ornamente begegnet man auf den Kanonesbögen der Rabulas-Hand-
schrift vom Jahre 536. Dort sind die Seiten S-förmig gewunden, sodaß der
Eindruck einer blattartigen Verzierung erreicht wird. Ich bin überzeugt, daß
alle diese Verschiedenheiten in der Auffassung auf die eine Grundform der
Dreieckstreifen mit geraden Seiten zurückzuführen sind. Auf den späteren
Denkmälern hat sich der Charakter des Motivs unter der Hand verständnis-
loser Nachahmer völlig gewandelt. Ursprünglich als steigendes Ornament
gedacht, und infolgedessen nur für vertikale Flächen verwendet, geht man
8) Vgl. Strzygowski, Byzantinische Denkmäler I. Das Etschmiadzin-Evangeliar.
Wien 1891. S. 81 ff.
Mitteilungen aus dem german. Natiunalmuseum. 1906. 12
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90
EIN «YRO-PALÄSTINENSISCHES BÄUCHKKüKFÄSS.
später dazu über, auch horinzontales Gebälk, ja sogar wie bei Rabulas Rund-
bögen damit zu verzieren.*)
Das untere Ende der Bildreihe schließt ein schmaler Streifen mit Zick-
zackornament und eingeschlossenen Kreispunkten ab. Während das eben
beschriebene Motiv auf den mir bekannten Räuchergefäßen nicht wieder vor-
kommt, wiederholt sich dieses, entsprechend seiner sonstigen Beliebtheit,
einigemale (Nr. 2. 7). Ein spezifisch syrisches Muster ist der Zickzack nicht.
Soweit ich sehen kann, hat man ihn in der Architektur außer in der späteren
sassanidisch beeinflußten Fassade von Mschatta alsVerzierung von Einzel-
teilen nicht verwendet. Dagegen findet er sich im syrischen Evangeliar der
Laurenziana des öfteren.*^)
Den Fuß des F^asses bedeckt eine Palmettenranke, die sich aus einer
Wellenlinie entwickelt, von der sich Halbpalmetten nach beiden Seiten
abzweigen. Das Auftreten dieses Ornamentes gibt einen Anhalt für die
Datierung des Rauchfasses. Strzygowski ^ ^) betont, daß »in Syrien weder in
Baalbek, Dscherasch, Palmyra, noch in (Spalato und) Jerusalem, noch auch
in dem christlichen Kirchenbau des antiochenisch-nordsyrischen Kreises irgend
eine Spur dieser Art vorliegt.« Ich kann hier nicht den ganzen Beweisgang
Strzygowskis wiederholen. Nur das eine sei hervorgehoben, daß es ihm ge-
lungen ist, einen Kreis von Denkmälern aufzuzeigen, »die Persien und das
Zweistromland als die Heimat jener Ornamentik nachweisen, die sich auf die
Palmette als Hauptmotiv stützt.« Das früheste jener, von Strzygowski heran-
gezogenen Denkmäler datiert wahrscheinlich aus dem Jahre 651 — 652. Die
weiteren Beispiele entstanden in den Jahren 832—840 und sind altarabischen
Grabsteinen in Kairo entnommen.*^) Bedenkt man, daß immerhin einige
Zeit vergehen mußte, ehe der arabischen Kunst diese Ornamentik so ge-
läufig werden konnte, daß sie allgemein verwendet wurde, so geht man wohl
nicht fehl, wenn man die Herstellung des vorliegenden und die der übrigen
damit verwandten Gefäße frühestens in die 2. Hälfte des VII. Jahrhunderts,
spätestens in die 1. Hälfte des VIII. Jahrhunderts setzt.
Die Bodenfläche zeigt auf punktiertem Grunde eine achtteilige Rosette *•)
mit 8 halbovalen Blättern am Rande. Dieselben Blattovale in der gleichen
Zahl sind am Innenrande des Bodens angebracht.
Ich schließe ein Verzeichnis der mir bis jetzt bekannt gewordenen
Räuchergefäße des vorliegenden Typus an, indem ich gleichzeitig die Reihen-
9) Eine von Nesbitt als ägyptisch bezeichnete Glasmosaikscheibe lAbb. Catalogue
of the collection of glass formed by Felix Slade. London 1871. PL IV, 7), die das
Ornament in vegetabiler Umformung zeigt, dürfte wohl eher dem nordsyrischen Kunst-
kreise zuzuschreiben sein.
10) Garrucci, Storia dell'arte cristiana Tay. 135, 2; 138, 2.
11 1 Jahrbuch d. preuß. Kunsts. -25, S. 282 ff.
12) A. a. O. S. 283.
13) Abb. s. Taf. II, 2.
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VON ÜlTÜ PELKA
91
folge der Szenen in tabellarischer Übersicht gebe. Die Anordnung erfolgt
nach der Anzahl der Szenen.
IVcrkün-
a. Mana
Heim-
suchung
^t''- . ^^'.r- ' T.uf. 'iS7/;3!l 'S- AU'- ."Ke>i".-'
Geburt i der j der Taufe in Jeru
Hirten 1 Magier
.iem!-«-8 »tehung Th?™., '»"r«
biger
Berlin, Kaiser
Frdr.-Museum ")
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
Berlin, K. F.-M.
London , British
Museunn'*). . . .
Nürnberg, Germ.
Museum'*). . . .
Berlin, Sammlung
Sarre
St. Petersburg,
Ermitage*') . . .
Berlin, K. F.-M.
_ I 2 I - -
— 2 — —
— 2 — -
— : 2
2
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I
3 —
2
Konstantinopel,
Slg. Ledoulx'") . 1
Berlin, K. F.-M.
I
Paris, Sammlung
Carrand") ....
Berlin, K. F.-M.
Odessa, Mus.*')
12
13. Odessa, Mus.'«)
1
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1 1
2
1
2
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1
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6
5
7
5
5
5
5
6
6
7
7
6
8 — ; —
14) Die Nummern 1, 2, 5, 6, 7, 9, 11 sind noch nicht publiziert.
15) Abb.: Catalogue of Early Christian Antiquities and objects from the Christian
East in the Department of British and mediaeval Antiquities and Ethnographie of
the British Museum by O. M. Dalton. London 1901. Nr. 540. S. 107 f. Daselbst die
sonstige Literatur.
Fundort: Kloster Mar Muza el Habashi zwischen Damaskus und Palmyra.
16) Abb. s. Taf. I— II. Fundort unbekannt. Erworben 1889 in Bologna.
17) Beschrieben von Kondakoff, Ermitage Imperial. Guide pour la partie du
moyen äge et de la Renaissance. Petersburg 1891, S. 233 (Russisch). Erwähnt von
P6trid6s in den Echos d'Orient VII. 1904. S. 151.
Fundort: Sudaka (Sugdaea) in der Krim.
18) Abb. : Echos d'Orient VII. 1904 : Pdtridös, Un encensoir syro-byzantin. S. 149, 150.
Fundort: Kloster in Midiat, s.-ö. von Diarbekr.
19) Abb.: M^langes d'Arch^ologie III. Paris 1853. S. 20, 21. Fundort unbekannt.
20) Abb.: Rohault de Fleury, La Messe. PI. CDXVI. Fundort: Krim.
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92 EIN SYRO-PALÄSTINENSISCBES RÄUOHERGEFÄSS.
Die Reihenfolge der biblischen Szenen auf den Denkmälern deckt sich
mit der geschichtlichen Folge; nur zweimal kommt es zu einer Umstellung.
Auf dem Petersburger Rauchfaß (Nr. 6) ist, vorausgesetzt, daß die Beschrei-
bung nicht irrt, die Heimsuchung vor die Geburt gesetzt. Ich glaube in
diesem Falle aber eher ein Versehen Kondakoffs» annehmen zu dürfen, der
bei der im allgemeinen schlechten Erhaltung der Gefäße sehr leicht dazu
kommen konnte eine Verkündigung für die Heimsuchung zu halten. Bei
dem von Fleury publizierten Stück aus dem Museum in Odessa dagegen,
liegt die Sache etwas anders. Dort ist die Vernachlässigung der Chronologie
bei weitem erheblicher, wie aus der Tabelle hervorgeht. Ich vermute, daß
diese totale Änderung der Szenenfolge hier nicht mit der Annahme künstle-
rischer Freiheit oder handwerklicher Willkür allein erklärt ist. Meines Er-
achtens dürfte diese überraschende Inversion vielleicht auf Eigentümlichkeiten
der am Benützungsort bestehenden Liturgie zurückzuführen sein. Einen Beweis
für diese Vermutungen zu bringen, vermag ich mangels jeglichen Materiales
nicht.
Auf eine Eigentümlichkeit des Pariser Exemplares (Nr. 10) möchte ich
schließlich noch aufmerksam machen. Dort ist die Episode vom ungläubigen
Thomas zwischen Heimsuchung und Geburt eingeschoben. Cahier a. a. O.
S. 21*^) versucht eine Erklärung, die mich indes nicht ganz plausibel dünkt.
21) »Comme cela se trouve prt^cis^ment ä l'opposite de l'Ascension, il est fort
probable qu'on l'aura fait ä dessein pour donner k un mystfere glorieux le centre (ä peu
prfes) de chacune des deux faces.«
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BILDER AUS DEM KINDERLEBEN IN DEN DREISSIGER JAHREN
DES SECHZEHNTEN JAHRHUNDERTS.
VON HEINKICH flKKRWA(iKN.
Mit seinem »Kinderleben in der deutschen Vergangenheit« ^) hat Hans
Boesch eines der reizvollsten Kapitel der Kunde von deutscher Art
aufgegriffen und in behaglicher Folge launige und ernsthafte Bilder vom Tun
und Treiben jener kleinen Welt inmitten so mancher Wandlungen deutschen
Geistes und Gemütes vor uns ausgebreitet. Eine bunte Menge von köst-
lichen, unmittelbarsten Zeugnissen, mit dem Bienenfleiß des belesenen Ver-
fassers unter Beihilfe eines beneidenswerten Gedächtnisses aus mannigfachem
Schrifttum zusammengetragen und gesichtet, lieferte dem gemütvollen Schil-
derer die Bausteine für sein anziehendes Werk.
Natürlich konnte es des Verfassers Absicht nicht sein, alle erreichbaren
Quellen, all die unterschiedlichen Rüstkammern unseres Museums zu er-
schöpfen. Keinen Augenblick verhehlte er sich, welcher Ergänzung die von
ihm für sein Thema gebrachten Unterlagen noch fähig wären, wie viel vor
allem noch aus vergilbten Blättern in Archiven und Bibliotheken geholt
werden konnte. Was weiter ungenutzt am Wege liegen mochte, mußte er
dem überlassen, dem von ungefähr jene Ährenlese zufiel.
Eine solche Nachlese soll auf den folgenden Blättern versucht werden,
indem wir hier aus den Aufzeichnungen des bekannten Nürnberger Humanisten
Dr. Christof Scheurl*) in seinem Schuld- und Rechnungsbuch^ dies
1) Monographien zur deutschen Kulturgeschichte, hrsg. v. Gg. Steinhausen, Bd. V.
2) Allgemeine deutsche Biographie, Bd. XXXI, S. 145—154. (Mummenhoff).
3) Frhrl. von Scheurl'sches Familienarchiv im Germanischen Nationalmuseum.
Dem schlichten, übrigens auch nicht erschöpfenden Titel [»Dr. Ch. Scheurl. Schuld und
Rechnungsbuch = Christof III. Familienbuch 1543—1592«], den das aufgeklebte Rücken-
schildchen dem stattlichen Folianten (379 El. in hübsch gepreßtem Pergament-Einband
mit Ecken und Schließen) gibt, ist es zuzuschreiben, wenn der reiche Inhalt, dessen
Lektüre uns die intimsten Einblicke in ein Nürnberger Bürgerhaus des 16. Jahrhunderts
gewährt, soweit wir sehen, nirgends noch ans Licht gezogen erscheint. Das Buch ist
noch von Dr. Christof selbst mit der Nummer 275 und der Bezeichnung
• Georgias Schewrl
19. april: 1532«
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94
BILDER ALS D. KINDKRLEBEN IN DEN ÜREISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
und jenes herausholen, was dort urplötzlich zwischen trockenen geschäftlichen
Notizen aller Art sich einschob, wenn der so vielfach in Anspruch genommene
Mann wieder einmal den frohen Weg von seinem stillen Schreibtisch hinüber
zur Kinderstube in dem geräumigen Hause der Scheurl unter der Veste*)
gefunden hatte.
Eine regelrechte Hauschronik zu begründen, war bei Anlage dieses
Buches zunächst nicht in Aussicht genommen. Die Aufnahme jedes kleinsten
Postens in dasselbe sollte dem Besitzer für die Überschau von Soll und
Haben die nötigen zahlenmäßigen Unterlagen zusammenhalten, im Falle plötz-
lichen Ablebens des Buchführenden den Vermögensstand der Familie klar
ausweisen*). In der Tat nehmen denn auch die gewissenhaften Eintragungen
jeder Einnahme und Ausgabe, die Angaben über den Vermögenszuwachs aus
dem Gewinn bei Handelsunternehmungen, sowie durch den Anteil der Familie
an der Bergwerksausbeute von Annaberg, Joachimstal und Schlaggenwald
einen gar breiten Raum ein.
Zum Teil nun in Zusammenhang mit diesen rein wirtschaftlichen Auf-
stellungen, teils nur lose mit ihnen verknüpft, treten uns wiederholt an-
sprechende Niederschriften über das Mancherlei des täglichen Lebens ent-
gegen, die als willkommene Beiträge zur Erkenntnis der Lebenshaltung einer
in günstigsten Verhältnissen lebenden reichsstädtischen Bürgerfamilie in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bezeichnet werden dürfen. Mit Stolz er-
gänzt der Herr des Hauses jeweils das Inventar desselben. An der Hand
dieser regelmäßigen Aufzeichnungen läßt sich genauestens verfolgen, wie das
Haus sich füllt mit köstlicher Habe, findet sich doch jedes einzelne Stück,
mochte es jeweils mit Bedacht gekauft, oder durch Gunst der Fürsten und
Großen dem gelehrten Manne zugefallen sein, an seiner Stelle sorgsam ge-
bucht vor*). Aber auch über den Kaiser Karl V., über verschiedene Fürst-
lauf der unteren Schmalseite des Schnitts) versehen worden. Die Innenseite des Deckels
und beide Seiten des Vorsatzblattes füllen Sprüche aus der Bibel und den Kirchenvätern.
Christof ni., der in der Folge dies »gehaimbuch« if. 260) seines Vaters fortsetzte, hat
diesen Aufzeichnungen dann den Namen »Christof Scheurl-Buch« gegeben. Ein Eintrag
des Sohnes meldet f 257 b unmittelbar unter Dr. Christofs letzten Eintrag vom 19. Mai 1542
den am 14. Juni desselben Jahres erfolgten Tod des Vaters. Auf einem folgenden, sonst
leer gebliebenen Blatt hat Christof III. sein Exlibris angebracht. Folgen fol. 258 f allerlei
Sprüche. 259a: »Alhi fecht sich Christof Scheurls Buch an.« Darnach weitere Sentenzen.
260: Vorrede und Programm, d. d. 1579, 4. Jan., auf des Vaters Einträge bezugnehmend.
261 ff.: Nachrichten, mit dem Jahre 1543 anhebend und die spätere Jugendzeit Chr. III.
schildernd. Ab Fol. 318 a eine zweite Fortsetzung (1592—1603) von der Hand des Hans
Christof Scheurl, eines Enkels von Dr. Scheurl.
4) Heute: Burgstraße Nr. 10. Das Haus befindet sich seit 1486 (ununterbrochen) in
Scheurl'schem Besitz.
5) Fol. la: »all mein vermögen, einnemen, ausgeben und handlung ordenlich zu
schreiben, künftig irrung nach meinem tod zufurkummen.«
6) Unter diesen Einträgen über angekaufte oder geschenkt erhaltene Gegenstände
begegnet uns so mancher Künstlername jener Zeit, manche für die Geschichte der Kunst
und des Kunstgewerbes nicht uninteressante Angabe. Ich behalte mir vor, meine dies-
bezüglichen Auszüge an dieser Stelle gelegentlich im Zusammenhange zu bringen.
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VON HEINRICH HEBBWAGEN.
95
lichkeiten, Adelige, Mitbürger ic. fällt dann und wann ein Wort, städtische
wie Reichs- Angelegenheiten kommen vielfach zur Sprache. Nicht selten findet
eine »neue Zeitung« ihr Plätzchen im Familienbuch. Ein frommer Geist geht
durch das Ganze und offenbart sich stets aufs neue durch eine Fülle von
eingestreuten Worten der hl. Schrift und der Kirchenväter. Dem Aberglauben
der Zeit huldigt die Unzahl der Mitteilungen von Prophezeiungen (iudicia),
die dem Doktor und zuvor seinem Vater auf deutschem und wälschem Boden
zuteil geworden sind und hier nun mit einer für unser Gefühl etwas be-
fremdlichen Sorgfalt aufgezeichnet erscheinen.
Das Ansprechendste unter dem allem bleiben jedoch die von Zeit zu
Zeit immer wieder auftauchenden, von einem glücklichen Vater mit sicht-
lichem Behagen ausgemalten Genrebildchen aus der Kinderstube, die, wenn
auch der treuherzige naive Ton des großen Kinderfreundes Martin Luther^)
nicht getroffen ist, doch durch unwiderstehliche Einfalt und ergötzliche Un-
mittelbarkeit gewinnen.
7) Verf. erinnert an den bekannten Brief des Reformators an sein Söhnlein
Hänsichen (abgedruckt bei Köstlin, Martin Luther, 4. Aufl. Bd. IL Beriin 1889, S. 214
— 215, bei de Wette und Seidemann, Briefe, Sendschreiben und Bedenken Luthers:
I. 41 f.).
Zur Veranschaulichung der Scheurl'schen Genealogie, soweit ihre Kenntnis hier
vorausgesetzt werden muß, bringe ich diesen Stammbaum:
Christof I. Scheurl,
1457—1519.
Gem.: Helena Tucher.
Dr. Christof II.
Ratskonsulent und kais.
Rat in Nürnberg,
geb. 1481, 11. November,
t 1542, 14. Juni.
Vermählt 1519,
29. August mit
Katharina Fütterer
(T. des Ulrich F. und der
Ursula F., geb. Behaim),
geb. 1491, 10. August,
t 1543, 12. Februar.
Albrecht V.
t 1531 durch Meuchel-
mord, hinterläßt einen
Sohn, Albr. VI., und fünf
Töchter.
Kinder außer 3 Söhnen und 3 Töchtern, die alle bald nach der Geburt verstarben:
Georg (Jörg),
geb. 1532, 19. April,
t 1602, 11. November.
Hier onymus,
geb. 1533, 19. März,
t 1533, 23. März.
Christof IIL,
des hl. Rom. Reichs Stadt-,
Blut- und Bann-Richter zu
Nbg. (Gemahlin : Sabina
Geuder v. Heroldsberg.)
geh 1535, 3. August,
t 1592, 19. November.
Hans Christof,
1562—1632
Stammherr der noch
blühenden frhrl. Familie
V. Scheurl.
Georg.
Karl.
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90 BILDKR AUS D. KINDEKLKBEN IN DEN DREISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
Auszüge.
1532.
[fol. 4a:] Item ich koufet der doctorin in ir künftig kindpet,
atias deck. ^jg^ Herr verleih mit seinen gnaden, 24 ein pruckischen®) atlas, hie im prediger-
closter gmacht, halb ploe und halb goltfarb, die ein umb 8 ß, tut 9 fl. 12 ß*),
zalt ich ir durchs Krafts Endlein etc.
Ä^e'i/^'SS Item ich gab für ain beschlagne wigen 2 fl. 4 / 6 ^
guter 'kouf. ^^j ^^^ j^^ p^g^^ doruber sampt trankgelt — 1 /17 ^
lorgen deck, ^^^^ ^^,^ j^j^ koufct meinem Jörgen 472 ein ploen und goltvarben
pruckischen atlas zu ainer deck von sechs strichen, über die wigen umb
I fl. 16 ß, 2 ein weiss futter tuchs umb 84 /^, ain ein gelbn schetter^**) umb
25 /^. 2V2 lot neeseiden umb 4/, dovon zu machen — — — — 3 ort,
tutdiseidenkindsdeck — — — — — — 2fl. 5/28/^.
[fol. 4b:] Zu gedenken diweil ich zu Regnspurg was aufm reichstag,
teten frau Margret Endres Tucherin und ander vil nachfragens, versuchten
etlich und dingten den 1. Mai zu ainer ammen meinem sun Jörgen, Anna
Erhartn dachdeckers, so sich neulich zu tot gefalln het, wittib, zu ainer
ammen, ein fein beschaiden weib, do mit mir wol gedint was und das mich
vil sorgen entlud, das iar umb 8 fl.
[fol. 5a:] vnd als ich vor 2 jarn zu Forcheym gewesn, ward ich an ein
frauen gewisen, die auch vil fruezeitige Kinder gehabt het, die saget
mir schrepfen het ir geholfen, doran kont ich mein weib koum bringen, bis
das sie es auch tet, wiwol ich acht, das groß gepet zu unserm heiland hab
uns unsern Samuel vom got Israhel erworben, der frist im in seinen wegen
sein leben.
Noch hab ich ins haus des vergangn monet Aprilis über di egemelten
II fl. beileuftig verzert diweil ich des kindpets halben vil zufals") und zu
sampt dem schreiber puben 2 maiden, ein kelnerin^*) und di ammen hilt,
tut bis auf 18 Maii 8 fl. 6/ 13 ^.
IC, IC. (weitere Anschaffungen, u. a. a.:)
[fol. 5a:] ain gewantkalter^^) mit Schubladen in di kintpetstuben ic.
[fol. 6a:] Item der Anna seugammen iren Ion das erst virtl iars
zalt am tag Laurenti[i] 2 fl.
8) von Brügge.
9) Mit ß bezeichnet Scheurl den »kurzen« Schilling ^/2o fl. 12 ^ (Groschen),
weiterhin mit /den »langen« Schilling Vs fl. - 30 ^. Vgl. Schmeller, II, 398 u. 399.
Wer nachrechnet, wird freilich erkennen, daß die Zahlenangaben unserer Vorlage mit
dieser Aufstellung nicht überall sich in Einklang bringen lassen.
10) schätter, schotter: lockere, undichte Leinwand. Schmeller-Frommann, Bayer.
Wörterbuch II, Sp. 482.
11) Zuspruch, Besuch.
12) Kindbett Wärterin, noch heute in Nürnberg Kindbittkell(n)erin.
13) Kleiderschrank.
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VON HEINKICH HEERWAGKN.
97
und eodem die der milchpeurin, dis virtl iars, erstlich des tags ein seidlein,
dornoch ein mas milch, tut 4/18 ^, zalt ich ganz gern für meinen lieben
sun Jörgen der herr verleih lang.
[fol. 6a 19. Aug. 1532:] und desselben tags der doctorin von lorgen
wegen ain kulwemmen^^) pelz mit ainem groefehn^^) prem^*) . . 5 fl. 4 /
[fol. 6b Oktober 1532 :J Ich kauft von Merten Kreln deckwebern 2 grün «'"dVcK^^"
deck, sein lang 4^2 und prait 4 ein, mer ein deck meinem sun Jörgen
l^/i ein lang, 1^2 prait, mer ein rucktuch in die eßstuben, 5^4 lang,
IV2 prait, dofur zalt ich den 15 octob 8 fl.
Noch kouft ich lorgen ein schlechte weise teck umb .... 3 /
Ich hab zalt den 19 octob. doran mein lieber sun Jörg aus gotlicher
begnadung halbjerig worden ist, der Prunsterin im für ein rot piret^^)
2 / 3 /^, seiner ammen 2 fl., der Ursel koohin 1 fl., Mathesn 1 fl.,
dodurch sein die ehalten*^) alle omnium sanctorum zalt.
Ker umb fol. 38.
[fol. 10a f.:]
Georgius.
Nach dem willen des herrn gots, dem allain in allen dingen lob und ehr
sei, gebar mein liebe hausfrau Katherina, di doch aller erst auf Urbani
gerechnet het, freitag nach misericordia domini, den 19 Aprilis 3^4
stund auf den tag, das ist 87* uhr, aufm klain seger ^®) 1532, einen jungen
sun, den herr Symon Pistoris doctor, meins g. herrn herzog Jörgen
zu Sachsen 2C. canzler, der sampt seinem schwesterman Wolfen Wid-
man burgermaistern zu Leypzk, domaln bei mir herbriget, an stat
hochgedachts m. g. h. herzog Jörgen 2C. im haus aus der touf
hub und Gorgen nennet, und im alsbald einpand zehn Joachim-
taler, seiner g. gebrech ^"). Der doctorin ward etwas wehe zu morgents
ein halbs nach ainem gen tag, arbetet aber gar kurzlich mit dem gepern,
doch nit an sunder gros we[c]lagn und schmerzn. di geburt geschach
im hintern haus, in unser gewonlichn eßstuben gegm rosnpad^^), ich
14) Nach Du Gange III, 593 ist gula = pellis rubricata (rotgeförbtes Fell) ; wemmen
•aus Wamme' zu wamme Bauch. (Schm. I, 1238; II, 914). Man vergleiche hiezu kul-
mantel: spenula, cholmantil, quam mulieres in aestate portant: Glossar in Mone's An-
zeiger f K. d. d. V. VII, 590.
15) Grauwerk, also Eichhörnchenrücken, im Gegensatze zu dem häufigeren Bunt-
werk (Bauch und Seiten). Freundliche Mitteilung von Dr. August Gcbhardt-Erlangen.
Vgl. Mhd. Wb. I, 135.
16) bröm, prem: Einfassung, Pelzstreifen. Vgl. Lexer I, 348.
17) pirct = Barett, Hut, Mütze.
18) Dienstboten.
19) Statt seiger (Zeiger).
Vgl. die Ausführungen über die sog. »Nürnbergische Uhr« (eine Rechnungsweise,
die die jeweilige Länge und Kürze der Tage und Nächte zugrundelegt) bei J. Chr-
Wagenseil, De . . . civitate Noribergensi commentatio. 1697. S. 138 und Nicolai,
Beschr. einer Reise durch Deutschland und die Schweiz. I. Bd. 3. A. 1788, S. 97 ff.
20) Gepräge.
21) Das Rosenbad, oben- am Brunnengäßchen, zunächst an der Schildgasse ge-
legen, alte Nr. S. 608.
Miltbiluuifeij aua <i<;iii ^vrtuAh. Nationalmuseum. 1^M>. Vi
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9^ BILDER AUS Ü. KINDEHLEBKN IN DEN DRS188IG. JAHREN DE» XVI JAHRHUNDERl'S.
ward verjagt vom aufschlohn des pets, frau Margrete Endres Tucherin,
Ursula Fritz Tezlin, Madlena**) Mugnhoferin wittiben, vnd Anna di
hebamm stunden ir bei, zu denen hernach auch kam Katherina
Hansen Imhof. Und bemelter canzler schanket der gefattern für sich
selbst ain gülden ringlein, mit ainem rubin und demunt tefelein, im
wert bis in 7 fl., das lies ich ir änderst versetzn und dorein schreiben:
Gorg. 19 April 1532. dofür zalt ich Mertn Kraftn sampt dem halben
ung. gülden — tut — Ifl. 5/19^
Item Appolonia Tucherin schankt ins kindpet 15 frische air und
frau Margreta Tucherin wittib ein gemalt s tefelein, die hailign drei
könig, die dem neu gebornen könig ir schenk vom orient prachten.
[fol. IIa.:] Item als am suntag den 21 Aprilis Jörg Scheurl mit freuden
aus der wester gepat*^) wurd, gab ich baiden hausgesinden, hinten und
vorn, sampt meins brudern seligen kinden, der Endres Tucherin, iren dreien
stifeniklein **) . . . met, wein und prot.
[fol. IIa:] und den 23. Aprilis, S. Jorgn tag, schickt ich frauen
Charitas Pirchamerin*^) und Tucherin zu S. Clarn, Merten Pfinzingin,
Seufrid Pfinzingin undMathesSaurmennin*®) in namen meins suns presenz,
ain viertl kostlichs weins, nemlich seins potns^^) m. g. h. h. Jorgn zu
Sachsn ic. und s,i sagten all er wurd mild werden.
[fol. IIa:) Item ich gab der Endres Tucherin den 25. Ap. 5 fl., meinen
^/rVueiT' mumen in den Clostern aufzutailen und got für meinen sun zu
pitten und danken, nemlich Feliz Kopfin und Anna Tucherin zu
Engltal, Christina Tucherin zu S. Katherina, Marta und Helena Tucherin
zu Pilnreut und Juliana Tucherin zum Gnadenperg,
[fol. IIb:] Item der Ursel, meiner Kochin, di das potnprot*®) gewan,
Endlein meiner untermaid, Anna seugammen und Margreten meiner kind-
petpflegerin schankt ich ic.
22) am Rand: gnod ir got, starb im sterbn 1533.
23) Ober West er (zu got. wasti, vestis sc. alba, Candida) und Westerbad
(das am 3. Tag herkömmliche Westerbad: Nürnberger Hebammenordnung von 1755),
siehe Schmeller II, 1044, und Kamann, Aus Nürnberger Haushaltungs- und Rechnungs-
büchern des 15. u. 16. lahrhdts. in den Mitteilungen des V. f. G. d. St. Nürnberg, 7. Heft,
1888, S. 66. (»Auf 13. december 1549 hat man das westerpad gehalten zu mittag nach
geprauch «). Nebenbei wäre auch noch die »Westerhaube« (auch wol
»Glückshaube« genannt) heranzuziehen: »ain westerhauben, also wird das fellin genannt,
das die kinder zu zeiten ob ihrem angesicht mit ihnen an die weit bringen« (1519;
Boesch, Kinderleben, S. 17).
24) Stiefenkeln.
25) Die berühmte Schwester Willibald Pirckheimers, Charitas, 1466 — 1532, Äbtissin
des S. Klara-Klosters in Nürnberg seit 1503 (20. Dez.).
26) Mathes Sauermann war bis 1520 Scheurls Nachbar als Eigentümer des südlich
angrenzenden Hauses (Burgstraße 8), das er in jenem Jahre an Marquard Rosenburger
verkaufte.
27) seines Paten.
28) Das sogen. Botenbrot gebührte der Person, die als erste dem Vater die
Kunde von der glücklichen Geburt seines Kindes überbrachte. Vgl. Schmeller I, 308;
Boesch, S. 13.
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
99
[fol. IIb:] Item noch schicket mein sun, an S. Jörgen tag prcsenz, ein
stuck mayenkuchen ^**) und ain halbe kandl guts weins, junckfrau Urseln
und der alten Kreftin.
[fol. IIb:] Item ich het furgnomen und bedacht ein ehrliche kind-
touf zu halten und darzu zu laden auf meiner seiten: frauen Helena "j"'**)
Jh. Ebnerin, frauen Helena Chr. Kressin, frauen Margreten Ch. Kolerin,
Annaf Clement Volkamerin, Clara Linhart Tucherin, Katherina Ch. Furerin,
Ursula f Seyfrid Pfinzingin, Barbara Hans Koburgerin und Helena Florentins
Ortlin.
und auf meins weibs seiten: Clara Fritz Behamin, Cordula Joachim
Hallerin, Katherina Jeronimus Futtrerin, Lucia Albrecht Letscherin, Anna
Jörg Eisvoglin, Madlena Wilhelm Schluslfelderin, Anna Sebolt Peslerin, Ur-
sula f Antoni Schluslfelderin.
Jörg Scheurl.
[fol. 12a:] Nota, mitwoch nach Jubilate den 24. Aprilis. padet
man meinen lieben sun, zum andern mal, der hat sich so ser ver-
gilbt, das auch die wintel etwas gelb wurden, do sagt Anna Peter blJI^^Sedcut
Hessin, si het vor langn jahrn zu Ellingen von einem teutschen herrn '*"<? '^**«"
gehört, das solchs ain gewiss zaichen wer, ains kinds langlebens,
welchs der got Israhel schick nach seinem gotlichen wolgefallen. Amen.
[fol. 12a:] Margret kindpetwarterin schenket meinem
sun lorgen ein hemdlein und ein pelzlein mit golt.
[fol. 12a:] Mein gnedigster herr, herr Albrecht cardinal zu Mainz 2C.
kam her in unser behausung montag nach Exaudi, den 13. Maii 1532, zog
wider weg, den volgenden mitwoch vor tags, nach Regnspurg. Schankt mir
zur letz und umb meiner verdinst willen einen schönen übergulten bedeckten
köpf.'*) .... und meiner kindpetterin ein schöne ketten, ains selt-
zamen musters, rund von gülden treten ^^), als ein getrungene schnür, wigt
11 gülden ungr., mag sampt dem macherlon wert sein bei 16 fl., meiner ge-
schweien^^) 10 gohgulden und beiden hausgesinden 8 fl. golt, ein milter
kurfürst und herr.
[fol. 12b:] Item am suntag Exaudi den 12. Maii. 1532. was Elizabeth
Pehamin zu S. Clarn, meiner schwiger Schwester jubilea, schankt ich dem
convent 16 mass, Endres Tucherin pesten weins, und 46 ^ weis prot zu
presenz, dorumb das si mir vom got Israhel meinen lieben sun Jörgen
erpeten hetten.
29) maienkuchen ; mit Rücksicht auf den herannahenden Mai (Georgentag ist der
23. April) so genannt?
30) Ober die Taufnamen derjenigen eingeladenen Frauen, die wenig später ver-
starben, hat Dr. Scheurl jeweils ein f gesetzt.
31) kugel- oder halbkugelförmiges, auf einem Fuß stehendes Geschirr für Flüssig-
keiten. Schm. I, 1274.
32) Drähten.
33) Schwägerin. Schm. II, 615.
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100 BILUEK AUS D.KINDEKLEBEN IN DEN DRBISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
[fol. 12b:] und die maid sagten sein kopflein wer im weit oflen, zaiget
langleben: Et recordatus dominus Rachaelis, exaudivit eam et aperuit vul-
vam eius quae concepit et peperit filium dicens Abstulit deus obprobrium
meum et vocavit nomen illius Joseph dicens: Addat mihi deus filium alterum. ^*)
[Gen. XXX.]
[fol. 12b:] Item mein g. herr herzog Jörg zu Sachsen 2C. beschwert sich
die gevatt er Schaft zu ratificirn. Het solichs dem lanlgrafen und andern
abgeschlagen, mangl halben des Chrisma. ^*) Schrib mir doch am pfingst-
abent mit aigner Hand, und erzaigt sich vast mein gnedigen Herrn sein, [sie!]
[fol. 12b:] Man riet mir, ich solt meinen Jörgen unbeschoren sein
erstes har behalten lasn, wi auch mein über vetter Albrecht hat, dinet
zu der memori®*) und anderm mer.
[fol. 12b:] Item dem 28 Maii gab mein Weib den airkuchen,
schicket ich den nachbourn hinten und vomen, auch etlichen hant-
werkern, Schweinen gesalzn wilpret, Speckkuchen, wein und zum tail west-
feli.sch hammen'^), entbot mir maister Sebastian Wagner [f]'®), futer-
macher, mein sun wer ein sunnenkind, wurd wol beredt, fursten und
herrn angnem, ein gros namhaft man, ein libhaber der warheit und ein
feind der lügen werden, das verleihe der herr got mit gnoden Amen.
[fol. 13a:] Item Juliana Jörg Spenglerin mein mum gab meinem sun
Jörgen ein pulver von gepranten unten pasten®*), praucht man im prei, ein
gute kunst für das fraislich^^), versegnt und das in offen behelt und durch-
gängig macht.
Ich zalet der Margreten kindpetwerterin den 3 Junii für iren Ion 12 /
[und schankt ir und meinen baiden maiden, so des betn prot*^) gewunnen
hetten, ein weiss tuch zu unterrocken, kostet 4 fl. 1 ort.]
Es waren bei hundert erbar frauen ins kindpet gangen, sich
mit uns und unserm sun zu erfreuen, legten auf di wigen bei 2 fl. und
2 /, koufet di doctorin ainen schwarzen schürz dorumb.
[fol. 13a:] Item Lucas Gauricus*^) Neapolitaner entput mir den 10. Junii,
mein lieber sun Jörg wurd leben und ich wurd zu jar einen andern
sun haben und Jörg Neusesser koufet meinen Jörgen 1 K*^) in der
untern 12 mas nachm Aberthams funtgruben umb 20 fl. g.
34) Am Rande: »No[minel Jeronimus.«
35) Das bei der Taufe nach kathol. Ritus angewandte Salböl. Mit der Reformation
kam der Brauch der Salbung hier wie anderswo in Wegfall.
36) Zur Stärkung des Gedächtnisses.
37) Hamme, Schinken. Schm. I, 1105—1106.
38) Seb. Wagners Prophezeiungen s. ferner zu fol. 108b u. 171a.
39) Lindenbast.
40) Das Fraislich, auch die Frais, die Freisei oder das Gefrais, Krämpfe:
Schm. I, 826.
41) Siehe Anm. 28. Der letzte hier in [] gesetzte Posten ist nachtr. gestrichen.
42) Lucas Gaurico, der berühmte Mathematiker und Astrolog, geb. 12. März 1476
zu Gifoni in der Mark Ancona, t z« Ferrara 6. März 1558. Vgl. über ihn Allgemeine
Encyklopädie. hrsgg. v. Ersch u. Gruber, Erste Sektion, 55. Teil, S. 29.
43) Kux, Bergwerksanteil.
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VON HEINRICH HEERWAGEN. 101
Noch schreibt Gauricus: filius meus erit pulcher et venustus mihi
assimilabiter, erit dives locuples pecuniosus ingeniosus facundus et verbosus,
si vixerit, habebit duas uxores et multos utriusque sexus liberos. et dicat
omnis populos amen.
[fol. 13b:] Junckfrauen Anna Berbla**) Thurlein**) Kreftin schankten
meim Jorgn ein gülden hemt, furtuchlein und fazolet**^).
[fol. 14a:] Item ich schenkt freitag den 19. Julii, doran mein lieber
sun Jörg, aus gotlicher parmherzigkait, ein virtl ains lars alt ward
der got der tugent verleihe weiter gned — der ammen, domit sie sein
treulich wartet und im zu nachts aufstund und ine nit lang schreien
liess 1 fl.
[fol. 14a:] Jorgn erstes schreiben: des selben tags [19. Juli 1532]
schrieb mein sun Jörg, mit meiner hand, meiner mumen Appolonia Tucherin,
zu S. Clarn, einen langen prief, allerlei allegation gotlicher schrift inhaltend,
mit angehefter danksagung, das si ine vom herm got erpeten hetten, über-
sendet doneben dem convent 2 fl. und 50 / schons reis ic.
[fol. 14b:] Ich schenkt an S. Christofls tag 25 Julii zu presenz und
von wegen meins suns lorgen meiner geschweien zweien stifschwestern
Ketteria *^) und Urseln, auch iren zweien maiden, ein ganz gelbs tuch zu
unterrockn, kostet 4 V4 ff., dogegen bezalt sie das verberlon 5 /
Item Hans Linhart perkmaister aufm Anneperg schankt meinem sun
Jörgen 1 K in der 4 mas und Hans Puchner 2 K in der fünften mas 2C. 2C.
[fol. 35a:] Unter der Rubrik »Verdinst und Schankung«:
Item mir schankt Anthoni Vento*®) 2 judicia so der gros berombt
astrologus Lucas Gauricus Neapolitanus meinem lieben sun Jörgen gemacht
hat und Albrechten, do gegen schankt ich im umb 8 fl. 3 / 27 /^ zinen
schusseln.
[fol. 35b:] Erasmus futrer hat meinem sun geschenkt, sontag abents
den 22 Sept., ein Mailendisch rot Scharlachs piretlein**) und Katherina Kreßin
ein elentkloen*®) eingefaßt in vergult silber, an hals für das frai schlich^»)
Maid habens verlorn.
[fol. 35b:] Wolf Lochmayr (f) auf S. Annaperg schankt meinem sun
Jörgen, 1 K doselbst in S. Anna hofnung und verkouft im 2 K in kaiser
Carln funtgrubn zwischen der unter nehsten und andern mas in S. Lorenzn
gots gotsgab [sie!] aufm Abertham, umb 6 fl. den 16 octob. 1532. der herr
geb gnod — .
44) Barbara.
45) Dorothea.
46) Schnupftuch. Schm. I, 780.
47) Katharina.
48) Ein vielgenannter Geschäftsfreund Scheurls.
49) Barett, Hut, Mütze.
50) Klaue des Elchs.
51) Siehe Anm. 40.
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102 BILDER AUS D. KINDERLBBEN IN DEN DRBISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
[fol. 36b:] Maister Endres im rosnpad*^) schankt meinem sun lorgen
ainen padhut und maister Jörg putner®*) ein wenlein**), als man das erst
mal ins päd hinüber trug 20 novemb. So schankt ich der paderin 1 mos
salbeweins und dem gesind ain virtl pirs.
[fol. 36b:] Jorgn hochzeit hempt: Junckfrau Anna Tucherin***) Linharten
Thoma von Kempten praut schenkt am hochzeittag den 3 decembris
meinem Jörgen ein schon hemt mit golt.
[fol. 36b. Am Rand nachgetragen:]
31. dec. schankten Appolonia Tucherin zu S. Clarn 2 leckkuchen*®)
Jorgn und mir, und Martha Tucherin zu Wildenreut*^) Jorgn ain hübsch
schlotterlein®®), der mutter ein nodlpant®*) und mir ain fazolet*®), zu
neunjar.
[fol. 37 a:] Annala*^*) Jorgn wieger in: Ich hab das maidlein im haus
behalten, meinen Jörgen zu wiegen, der in 8 wochen ein funtgrubner
ist worden und nimt auspeut aus sein K in S. Katra stolln itzo 5 fl.
So ich im erkauft hab umb 15 fl., dem herrn sei lob.
[fol. 38a:) Rubrik »Haushalten«, mit vielen hieher gehörigen Angaben.
Obergangen.]
[fol. 38a:] Item ich hab sampt meinem weib unsern sun Jörgen das
erst mal aus + und in sant Sebolts kirchen getragen und aufge-
opfert meinen herrn got, mit ratification des gelübds, ine in seinen wegen
und gepoten treulich zuerzihen, im den ergeben, bevolen, gepeten, lob gesagt
und gedankt montag, S. Martins tag, 1532, doran mein 52 jar ange-
fangen, dorinnen mir maister Lucas Gauricus noch ainen sun judi-
cirt hat.
Hiezu die Randbemerkung: Ich hab meinen sun Jörgen dem herrn
heimgestelt. Voti solemnis ratificatio.
1533.
[fol. 41a:] Diweil der almechtig gutig herr got, aus seiner gotlichen
begnadung und barmherzigkeit , der sei glori lob und dank in ewikait, mir
doctor Christofen Scheurln, dises vergangn 1532. und nemlich den 19. aprilis,
meinen lieben sun Jörgen beschert hat, wil ich im mit meiner hand
hirein verzeichnen, wi ich bemelt iar hausgehalten 2C. 2C.
52) Siehe Anm. 21.
53) Büttner, Böttcher.
54) Badwännlein.
55) Anna Tucher 1513-— 1540. Biedermanns Geschlechtsregister des hochadeligen
Patriciats zu Nürnberg nennt tab. DVIII »Herrn Leonhard Thomas von Memmingen«
als Bräutigam.
56) Lebkuchen.
57) Pillenreut.
58) mhd. sloterlin, schlotterlein, in Nürnberg noch jetzt >Schlotter«, die Klapper
oder Rassel, ein Kleinkinderspielzeug. Lexer II, 986.
59) Bandstreifen, auf dem Nadeln befestigt sind oder werden ?
60) Siehe fol. 121a S. 111.
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VON HEINRICH HEER WAGEN. 103
am Rande steht ebenda: »Meinem sun tu ich rechnschaft seins ge-
burtjars.«
Folgen die einzelnen Posten.
[fol. 46a:] Mein kochin Ursel, mein untermaid Endlein, und das
jung siebenjerig maidlein Annalein Scheurlin des Khuelinleins [sie!] von
Thillingen**^) tochter, so ich umb gots willen zeug und angnomen hab den
9 octob. 1532.
[fol. 46b:] Mein mum Helena C Kressin schenkt mir und Jörgen meinem
sun meiner perckwerk arbeit halben 2 guldne hembd 27 Jan.
[fol. 46b.] 1533: Item ich hab zu neuen jar geschenkt, meinem weib
und dem Jorgn 2 fl., der seugammen V* ^i"s Joachimtalers, Appolonia
Tucherin in Gorgn namen 2 halb fl. gr. ic.
[fol. 48a:] Item di doctorin hat zu ader gelasn donerstag den
16 Januarii und das kind regt sich zimlich fluchs dorauf, got lob, der mich
den volgenden 19 Aprilis (darüber: Martii) reichlich begnadet hat mit
meinem libsten sun Jörgen (darüber: Jheronimus). Im sei glori er und preis
in sempiterna secula.
[fol. 52af:] Erasmus Ebner**) zalet das mol, dann er hielt für gewies
mein weib trueg ainen sun, das verleih der hr. got.
[fol. 52b] (1533). Freitag, 14 Martii schankt Seufrid Pfinzing meinem
vetter Albrecht und meinem sun Jorgn ein schwarz pferdlein, des Albrecht
und mein oheim Eberhart Kurn vast fro warn, Kurn riets [ritt es] dornach
in Thal. •«)
4-
Iheronimus Schewrl.
[Fol. 53a:] Benedictus deus in donis suis. Quia fecit mihi magna
qui potens est. Et sanctum nomen eins. Aus gotlicher barmherzikait ist
mein sun Jheronimus geporn als di taglang 13 stund und di nachtlang
11 stund anfiengen zu werden, mitwoch nach oculi den 19 martij, als ain virtl
schluch über achte, 2 stund ^/4 nach mitternacht, und 2 stund 3 virtl vor
tags, nach dem halben seger ain virtl vor dreien, nach mitternacht^*). Es ging
in zweien stunden, alles so glücklich zu, das mir di frolich potschaft ans pet
pracht worden, doch die weil das kind etwas schwechtet, und vast windig
regnig boes wetter war, lies ich meinen sun, des selben tags vor essens, in
der hintern Stuben gegen predigern, auf einem tisch vorm kintpet herm
Jörgen — **) Schafner zu S. Sebolt taufen, das hub mein guter freund und
mitburger Anthoni Vento von Genua aus der tauf und nent es, nach meins
vater brudern seligen, des rats zu Preslau, Jheronimus, dem gutigen herrn
got sei lob ehr und dank in ewikeit.
61) Dillingen.
62) Über ihn A.D.B. V, 591 f. Seine spätere Unglücksprophezeiung siehe S. 106
(nach fol. 65 b).
63) Thal = Joachimsthal.
64) Für den Familiennamen, den Scheuri im Augenblick nicht anzugeben wußte,
ist in der Handschrift ein entsprechender Zwischenraum aufgespart. Gemeint ist Georg
Mann, Schaffer bei St. Sebald, f 1535. (Würfel, Diptycha I, 41.)
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104 BILDER AUS D. KINDERLBBBN IN DBN DREISSIO. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERfS.
und die mutter het aller erst von primo augusti her gerechnt und auf
Walburgis verhoft niderzukomen, also das si irs erachtens, wi auch di andern
kinder schwerlich 32 wochen tragen het, doch was das kind mit negeln und
aller ding anzusehen gnung völlig und leibig, het aus der masn vil schwarz,
hars und wi hivor geschriben stet, hat mir hr. Lucas Gauricus, den ver-
gangn sumer aufm reichstag zu Regnspurg dises jar ainen sun iudicirt und
mein oheim Erasmus Ebner in kainen zweifei gesteh. Der herr verleih im
das leben, und in seinen wegen gelaitet und erzogen ze werden.
Also het ich an heut 2 sun, warn baid noch nit 48 wochn alt, ein
klains und ein winzigs, und ich was mein leben lang nie reicher gewesn,
got lob.
[fol. 53b:] den volgenden tag, 20. Martii, schankt mir mein gnedigster
herr, cardinal zu Mainz, ein stuck guts reinisch weins, wart visirt 13 aimer
4 virtl, zalt ich ungelt.
den 21. martii ward Jeronimus aus der wester gepadt**) het ich zu
gast mein mumen Madlena Hans Mugnhoferin, di Holpeckn Anna und Christa
ir Schwester, denen ich ainen gülden golt schankt und ain ort und noch 500
stecknodln und schenkt am suntag Letare, den 23. Martii, frauen Katherina
Pirchamerin eptesin und convent zu S. Clarn umb met und prot ainen
gülden, got für mich und Iheronimus zu pitten und zu danken, das di gotselig
Appolonia Tucherin der masn für mich gepetn, das ich sein entphunden het,
wi si in irem sterben zugesagt.
[fol. 53b:] Item wiwol mir Gauricus pronosticirt het, Alteram sobolem*^)
masculam pulchram satis fortunatam, wirget doch das fraislich*®) den
Jheronimus inwendig, den 22 Martii, das er auswendig vom rechtn fuslein aufhin
die rechten Seiten erschwarzet, vil pein erlied und starb suntag letare 23 Martii
2 stund */4 vor tags in masn er geporn ward, also das er gerad gelebt het
4 tag und ich nie reicher war, denn mit diesen meinen baiden
sunen®'), der halben ich ainen laidigen letare het und mein freud kurzlich in
traurikeit bewendt ward Aber dises was der will meins herrn gots, dem es
also gefil, das ich pillich mit freuden annemen sol, dorumb sei im abermaln
lob, ehr vnd dank. [Am Rand das Bibelwort: Raptus est ne malitia mutaret
intellectum. Sap. 4.] Er hat den sun geben, wider gnomen, kan mich als
ein mechtiger herr, des wol widerumb ergetzn, dorumb ich ine treulich pit.
oder ia / das er meinem Jörgen das leben lang friste /
[fol. 54 a:] Item 23 Martij schankt meins gutn freunds doctor Gregori
Kreutzers weib der doctorin ain par cappaun ins kindpet.
[fol. 54 b: 1533 Aprilis ] Item meinem Jorgn 4^2 ein ulmer parchant
zu einem rocklcin auf di ostern zu 29 /^ — thut — 4/15 /^.
65) Siehe Anm. 23, S. 98.
66) = suboles (fem.) Sprößling, Kind.
67) Das hier gesperrte ist im Original unterstrichen.
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
105
1533.
Georgius Scheurl eins iar alt. iSSSi?"
[fol. 55b:] An heut sunabent in albis, den 19. Aprilis, ist main liebster An heut,
sun Jörg eins iars alt worden, und bis hiher, frumb und, auserhalb ainichs
aufstossens, gesunt gewesn, dann so vil je zuzeiten die zen, der er sechst-
halbn hat, vor oben zwo gros schaufeln, etwas hitz im köpf verursacht haben,
hat bisher ein gute ammen gehabt, wol zugnomen und gewachsn, einen
starken grosn köpf, lacht gern, frolich und guter ding, kan reden ka, ka, iichtgem.
dem vater das hentla reichen, und vogela zaigen im heuslein am fenster, get
gern hutzn*®), aus der stubn an luft. So oft er den vater *siht ausm peck
[Becken] di hend waschen, mues er im si auch waschn und pfadlen^*) lasn,
geret auch in disein dem vater nach, das er anfecht, ab den pferden sich zu pSrd.
erfreuen, hat am laib bis in 10 werzeln, das unser nachbour Weidner lOwcnein.
sagt ein zaichen sein des langlebns, wi im auch der köpf noch
offen stet ains gülden prait'®), ißt und trinkt fluchs zu, wil lauter nit
sitzen weder im stüelein noch sunst, peugt sich über sich und strebt do-
wider, kreint^^) nit, ist nit aigen willig, sonäer leichtlich mit der ammen zu stillen,
der er auf den sessel deutet, di er ser liebet als wol als si ine, geet gern zu
vater, hat ine lieb. Herwiderumb ist er auch seins vatern alle freud er-
gezlikait und reichtumb, der herr got verleih lang mit gnaden, das si dciide patente,
baid wandern in seinen gepotn, ine allain lieben und anhangn, vor alln dingen,
dem sei ehr lob preis und dank von ewikeit in ewikeit Amen.
Hans Schnot [Schnöd] schankt im ainen peutp fennig, mit der Über-
schrift, des türken belagerung der stat Wien, den 24 septembris. 1529.
und so der vater sagt: Jörg mach ein poslein, rümpfet er das neslein,
und so der vater hustet, hustet er hinach, kont allein nebem vater sitzen,
und verstund und zaiget datla, in suma Jörg Scheurl beweist sich im jar mit
rullen'*) und seinen geberden, als ob er beherzigt und fraidig werden wolt,
feht an etwas in henden zu behalten und ser gern mit puchern und prifen
oder papir umbzugin. Wurft di arm auf und guchzet'^). Act. 19 aprilis 1533.
[fol. 62b:] Item ich hab meinem sun Jörgen sein erste rais aus-
geschickt, gen Wildenreut '*) zu Madlena Futterin seiner mutter jschwester,
sampt seiner mutern, ammen, meiner geschweien, den kindern, Albrechtn
Eberhartn 2C. suntag den. 22. Junii, habn verzert anderthalbn gülden und
bin selbst auch hinaus geritn sampt meinem gevatter Anthonien Vento 2C.
[fol. 62 b:] (Juni 1533) und er Seufrid [Pfinzing] schankt meinem sun
Jörgen ein seiden teschlein und ainen degen, mit conterfeten beschlagen.
68) hutzcn gen = hin und her gehn. Vgl. Schm. I, 1195.
69) plätschern.
70) Im Original unterstrichene Stellen.
71) greinen (mhd. grinen, den Mund verziehen) heißt noch heute in Nürnberg
'weinen.'
72) Rollen.
73) jauchzet.
74) Pillenreut.
MitteilniifeD aui dem gennan. NationalmuMum. 1906. 14
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106
BILDER AUS D. KINDEKLEBEN IN DEN DREISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
[fol. 64 a:] Ich schickt meiner mumen Juliana Tucherin zu Gnadenperg
von meins suns Jörgen wegen, got für in zu pitten den 12 Julii 1 fl.
[fol. 65b:] (Juli 1533) . . . und send inen [den Klarissinnen am Gedächt-
nistage der Apollonia Tucher] meinen lieben sun Jorgn, in templ gots zu
statuirn, dem herrn got aufzuopfern und zu piten umb gnad, das er auf-
wuchs und erzogen wurd in seinen wegen und gepoten, wi ich mir dan an-
fenglich furgnomen und gelobt hab, meinen getreuen moglichn vleis furzu-
wenden, wi gros von noten sein wirdet, diweil im Erasmus Ebner
so vil Ungeschicks und böses pronosticirt, das mich zu höchsten beküitiert
und ungeschlafn Jegt, der herr got erbarm sich unser.
[Juli 1533. Anfang des großen Sterbens — fol. 66a u. 66b: Flucht
der Schwägerin nach Amberg].
[fol. 66 b:] Sunabent den 2 Augusti hab ich zalt Mathesn Perger ain
fl. Ions und aller ding Anna Jorgn ammen2fl. Ions, Ella unser gertnerin
seiner milchpeurin 6 / 2 /^, gredlein unser kochin, 1 fl. Ions, 2C. 2C.
[fol. 70a:]
-f
-h Benedictus deus -f
+
-h Mihi autem adherere deo bonum est, ponere in domino deo -h
-f spem meam ps. LXXII. -f
Im namen des herrn gots, di weils bei uns des tags zu 30 personen
allnthalbn stirbt, und ich in 15 tagen ausm haus nit komen bin, die zeit mit
den buchem vertreib und lust hab zu arbeten zu raysen und meine herrn
und freund zu besuchen, haben meine herrn, ein erbar rat, mich vergent und
erlaubt, anheut sunabent vigilia Bartholomei 23 Augusti, von zeit meins aus-
reutens fünf wochn lang, mit meinem schwagern Hansn Johann gen Preslau zu
raisen und im beistendig und hulflich zu sein, seins vatern Lorenzen Johanns
vertragne verpfendte 3700 fl. von Conraden Saurman seinem schwager einzu-
pringen.
sttrbn nihen. [^fol. 70a:] Item ich hab ausgeschickt mein weib, Katharina Tucherin,
mein sun Jorgn, sein ammen Anna, Gredlein kochin, Mathesn und Annalein di
Scheurl gen Henfenfelt zu herrn Hansen pfarherrn^"), 4 stund auf den tag den
30 Aug., und hab der doctorin zu zerung geben 25 fl.
[fol. 70b:] Mein diner Methes Perger ward mit dem regirenden
prechen beladen freitags vor tag, 29. Aug. Ich lis in in gartn^*) gin, ver-
schaft im bei Meuseln alle notturft, der herr got sei im beistendig.
Ich hab Hansn Meuseln mein sach, auch das haus bevoln, dergleichn
Johan Neudorfern '^), hab mein tag nit herter gearbeit denn die vergangn
10 tag und bin nach Preslau verritn und heut suntag 31 Augusti gen Henfen-
75) Johann Frank. (Würfel, Diptycha IV, 221).
76) gemeint ist der Scheurlsche Garten vor dem Tiergärtnertor.
77) dem berühmten Schreib- und Rechenmeister (1497—1663). Derselbe bewohnte
das heute als Burgstraße 16 bezeichnete Haus unter der Vcste.
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
107
feit zu weib und kind, der parmherzig herr got verleih mir sein g., dem sei
lob ehr preis und denk in ewigkait amen.
Actum. 31. Augusti 1533.
31. augusti als ich verrit starben 54 person.
Widerkomen. '®)
[fol. 70b f:] Als ich den 31 Augusti gen Henfenfelt geritn und mein
gesint elend ^®) gefunden^ hab ich von Amberg aus maister Jörgen von gerbers-
mül nach inen geschickt, haben mein weib und unser sun Jörg, dinstag
den 2 Sept. in der heg®^) übernacht und sein den 3 Sept. gen Amberg
komen, do ich inen bei Margreta Gerstnerin einbestanden hab und bin des-
selben tags yerriten®*) übers gepirg, auf Bamberg, der Pfinzing, herrn Sig-
munden Fürers und Christofen Fürers hutten bei Arnstat, gen Weinmar,
Leipzk, Dresden und Breslau, bin do bliben 25 tag. Hab Hansn Johan sein
Sachen contra Conraden Saurman wol aufgericht, bin bei m. g. h. pischofn
Jacobn do selbst gewesen und herwider geritten gen Dresden zu m. g. h.
herzog Jorgn zu Sachsn 2C. gen Grim [Grimma], gen Wittenberg, gen Hall
zu m. g. h. herrn Albrech tn cardinaln zu Mainz zc, gen Leipzk, aufn Anna-
perg, ins Joachimthal zu grafen Jeronimus Schlickn 2C. und Jorgn Neusessem,
gen Schlackenwald auf meins vatem seligen begrebnus, gen Eger, gen Am-
berg und Nürmberg, den 14. Novemb. Laus deo.
[fol. 71a:] Zu Amberg hab ich froliche Mertnsnacht gehalten, alle die
meinen gesunt gefunden, und das mein sun Jörg umb. 19. octob., als er aus
gotlicher begnadung anderthalb ior erraicht het, an alle beschwernus entwent
was und kant itzo gin, laufen, tanzen und reiten, doch wolt er kainen
schwarzn, sonder allein ainen gescheiten weisen stecken reiten, und must im
Matthes Scheurl, den er ser liebet, nachreiten, und auf ine warten, als ein
knecht auf seinen herrn, das den vater nit wenig freuet®^), demnach
er den gutigen herrn got, seiner gnadenreichen gaben pillich dankbar ist, und
redt Jörg noch nichts, lacht allein und kennet den vater bald und wolt nit
von im.
[fol. 73 b:] Item mein bruderlicher freund Jörg Neusesser hat den
7 Novemb. meinem sun Jörgen zu seiner gedechtnus geschankt, ein schöne
erzstufen und etlich rot gülden stüflein gedigen silber, aus der ainikeit, und
2 silbren g. könig Ludwigs und kongin Maria pildnus und dann grafen
Stefan und grafen Lorenzn Schlicken pildnus im wert 10 fl.
[fol. 73 b:] Ich hab frauen Helena Ch. Kressin, meiner mumen den
8 decemb., von wegen meins suns Jörgen, zu neuen iar verert, einen
schwarzen lidren®^) stul, kouft ich von maister Lucasn p. 2*/« fl. und hab di
zeit so ich allein hi gewesn bin, bei 14 maln, mit inen geessen.
78) Am Rand: Heimkunft gen Nürnberg.
79) In der Fremde.
80) Hecke. Schm. I, 1068. Am Rand: Gorgn herbrig in der heg.
81) Randbemerkung: Schlesisch rais.
82) ledern.
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108 BILDER AUS D. KINDERLEBEN IN DEN DREISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
Gorgn Scheurls gepet.
[fol. 74a:] Item ich kouft meinem sun Jörgen den 2 decemb. [1533]
ein pelzene huseckn**^) umb 4*2 /, di schickt ich im gen Amberg, mit be-
velch das ine Neudorfer und mein vetter Albrecht dorein kleiden und den
pelz benedeien solten, mit disem gebet.
[Folgt ein längeres lateinisches Gebet (»oratio«) mit der bezeichnenden
Stelle: ». . . ut te creatorem, recta et sancta ecclesie tue catholice fide colat.«]
Mer übersent ich im ein teschlein mit zucker mit disem gepet
umbzugurten, precingat te dominus zona iusticie, ut immaculata conserves
omnia mandata sua.
mer ein par pantofl kostn 32 ^ und ein par hentschuch kostn 26 /^,
auf dem weg herab zu prauchn.
Und sein mein weib, unser sun Jörg, junckfrau Katherina Tucherin,
Mathes, Annalein di Scheurl, Anna seugam, gredlein kochin, gefarn montag,
8 decemb. von Amberg gen Engltal und auf 9. gen Nbg. mit freuden vom
vater entphangen. got sei lob in ewikeit amen. /
[fol. 74 b:] und haben meine leut auserhalb des geschickten weins
di zeit nemlich 14 wochn zu Amberg sampt 10 fl. zins und holzgelt der
Gerstnerin am rosmarkt bezalt und den furlon und zerung auf dem weg
verzert, beileuftig 78 fl. deo gratias, das wir gesunt sein.
1534.
[fol. 75a:] Auch schankt ich eptesin und convent zu S. Clarn, der
Appolonia Tucjierin jartag, den 15 Januarii, zu begin, und den herm got für
meinen sun Jorgn zu pitn 1 fl. dogegen schankten si mir ainen gutn ge-
würztn leckuchn.
Georgius filiolus bimus:
[fol. 83a:] Suntag quasimodogeniti. 19 aprilis. ist aus gotlicher be-
gnadung mein lieber sun Jörg zwei jar alt worden und augenscheinlich zu-
genomen und gewachsen, hat noch bisher keinen aufstoss gehabt, lauft,
springt, tanzt den Murascha-Tanz®*) und ist frolich und guter ding, hat
all sein freud zu reiten und zun pferden, kan noch nichzit reden, dann
mamma data, verstet schier alles, der gütig herr got verleih weiter gnad, dem
sei lob ehr und dank, den ich pillich lieben, eren, loben und furchten sol
[fol. 90b:] 1534 September: Veranschlagung des Gesamtvermögens, des
Hausrats, der Bibliothek zc. Darunter findet sich die Angabe:
und meins lieben suns Jörgen Scheurls perckwerk 7500 fl.
Weiterhin am Rande:
diligenter nota, o Georgiole, fili charissime. Daneben: Timete do-
minum omnes sancti eius, quoniam nihil deest timentibus eum. ps. 33. In-
quirentes autem dominum, non defitient omni bono. Math. 11. hoc fac fili
83) husecken, Schaube, Mantel. Schm. I, 1184.
84) Vielleicht derselbe Tanz, der sich bei Czcrwinski : »Die Tänze des XVI. Jahr-
hundertst . . . Danzig 1878. 8°. S. 121 unter dem Namen »Die Moriske« findet. (Tanz
eines Knaben mit geschwärztem Gesicht.)
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
109
mi Georg iole et vives et abundabis, hoc det tibi piissimus et misericors
dominus noster Jesus Christus. Sollicitudo autem est mater divitiarum:
Attamen divitie si aiifluant, noli apponere cor, sed his utere ad honorem
creatoris et pauperis alimenta.
[fol. 95b:] Item sunabent den 21. novembris hab ich mein testament
geendert, zu erben Jorgn Scheurln und zu aftererbn Albrechtn Scheurln mein
Hb sun instituirt und zu vormundern gesetzt doctor Christof Gugeln, Jorgn
Neusesser, Gothartn König, Linhartn Thoman und mein weib. Gleichwol
hab ich noch keinen gepeten, auserhalb Neusessers ic.
[fol. 95 b:] Oratio pro Georgiolo Scheurl: Item als frau Katherina
Pirckamerin und convent wi hioben geschriben stet, meinen sun Jörgen in
templ statuirt und geopfert [haben], haben si gesungen das responsorium
Benedicite deum 2C.
1535.
[fol. 103a:] Benedictus deus in donis suis, den 19 aprilis, als ich gen
Perching riet [ritt], ist mein lieber sun Jörg Scheurl drei jar alt worden,
hat dises iar ganz keinen aufstoss gehabt, ist gar nichzit gefallen, liebet di
muttern herzlich, libet was rot ist, von wein und kleidern, trinkt gern wein,
sunderlich roten, ißt gern fisch, krebs, hirn, ist stets frolich und guter ding,
kreint nimer nit, libet aus der masn ser pferd und was zur reuterei dinet,
padt gern, reit und vert gern, kan noch nichzit reden, dann data mamma,
aia, das ist Albrecht, zin und wein, ist ser merklich, hat vast einen guten
verstand, verstet schir alles, furcht di ruten über aus ser, vermaint etwan
dem vater und der ruten zu entloufen, der gutig herr got sei gelobt und ver-
leih im gnad in seinen wegen erzogen ze werden.
[fol. 104 a:] Item bei m. g. herrn grafen Jeronimum und grafen Loren-
tium den Schlicken hat Jörg Neusesser zu sant Jorgn tag unterbracht an be-
heimischen gelt meinem vettern Albrechtn 4000 fl. und meinem sun Jorgn
lOÖO fl.
[fol. 105b:]
Benedictus deus in donis suis, dinstag den dritten Augusti, anno
gotlicher menschwerdung 1535, gerad zu zwelf urn des halbn segers, ward
mir geborn aus gotlicher begnadung mein neudtes®^) kind, mein sun Christof
und anhaims zu vesper zeit getouft, den hueb [fol. 106] aus der tauf,
mein guter freund Johann Neudorfer rechnmaister an stat und von wegen
meins lieben und getreuen freunds Jorgn Neusessers im Joachimthal, der mir
zu vor solichs auf mein pitlich ansuchen zu dank zugeschriben het, di pot-
schaft kam mir über tisch, auf der hochzeit meins oheims Anthonien Tuchers
vnd Junckfrauen Felizn Im Hoff, in hm. Endresn Im hof behausung, meinem
frumen gutigen lieben herrn got sei lob ehr preis und dank in ewikeit, der
verleih im kraft und macht. Auf volgenden donerstag ward mein sun Christof
aus der wester gepadt. ^^) Schankt ich Anna hebammen ainen Lorentzer
85) neudtes verschrieben für neuntes.
86) Siehe Anm. 23 S. 98.
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110
BILDER AUS D. KINDBRLEBBN IN DEN DREISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
gülden, iren maiden 3 z weif er und het zu gast frauen Helena Christof
Kreßin, Margreta Endres Tucherin, Ursula Fritz Tetzlin, Katherina leronimus
Fütrerin; Doctor Christof Guglin, Ursula Seufrid Pfinzingin, Barbara Hans
Koburgerin, Anna hebammen, mein geschweien Anna Albrecht Scheurlin, und
wir assn zimlich gut milaunen®') und waren frolich und leichtsinnig, guter ding
lobten und preistn got.
[fol. 106a:] Sunabent, 7. Augusti, gegn abent, als mein ander lieber
sun Christof elter dann vir tag®*) alt worden, derhalbn ich nie reicher
waß, kam potschaft, das unser aller herr, di Romisch kayserlich M*®*) die
bevestigung La Goleta^**) sambt dem geschloß und stat Tunis ®^) gwaltig-
lich erobert, das ich acht meinem neu gebornen sun und der ganzn christn-
hait ein gluckliche zeitung sein /
[fol. 106b:] Das ist aber war und verfolgt statlich: den 14 Julii hat
unser herr kaiser Goleta gewonnen, den dritn Augusti ist mein über sun
Christof von gots gnadn geborn, den 21 Julii hat kaiserlich M^ gschloß
und stat Tunisy gewunnen, 4 tag und nacht geblündert vnd trefnliche anzal
geschütz schiffung und vil guts gewunnen. die zaitung komen gen Maylant
9 Augusti 4 stund nach mittag und das Barbarossa mit 2000 Alarber (sie!)
pferden entrunnen was, dem di kaiserischen zu wasser und land heftig nach-
eiltn. deo gratias. und sol am jungstn kaiserlich M* im Teutschland gesagt
Pilgram. habn: Er sei dogwesn als ein pilgram, zu nehstn so er widerkom, wol er
Kriegsman. komen als ein kriegsman.
[fol. 108a f. (1534)]. Den 20 octob. ward mein lieber sun Christof
an kindsblatern heftig krank, und über acht tag von einem inwendigen ^'')
fraischlich 2 oder 3 mal berürt, dorumb gab im sein milchpeurin ein gert-
nerin einen samen zu trinken, darzu überkam er das versegnt*^) und durch-
schlechten, ®^) das mich alles hart erschrecket und bekumret, aber mein frumer
herr got verlih bald sein gnad und pesserung, dem sei lob ehr preis vnd
dank in ewikeit, der verleih alzeit was sein gotlicher will und lob ist.
[fol. 108b. 1 Januarii 1535:] Aus desselben begnadung hat benanter
mein sun bisher wol gewachsn und zugnomen, gleichwol an der narung kainen
mangl. Er lest auch nit noch, wil für und für vol sein, bis es überget, und
ist gut mit im auszukomen, dann so bald er hungrig wirt, ist er ser ieh,
schreit und gibt kainen frid, bis er wol gessen hat, vil sagen er werd ein
ander anherr werden und im gleich sehen meinem vattem.
Maister Sebastian Wagner iudiciret benantem meinem sun Christof
den 3 dec. Er wurd sein rund behend trutzig seiner Sachen recht haben
wollen, und sich nimant maistern lasen, und etwan nit bald gute wort aus
87) Melonen.
88) Sein verstorbener Bruder Hieronymus war gerade vier Tage alt geworden.
89) Feldzug des Kaisers gegen Haradin Barbarossa.
90) Goletta.
91) Tunis.
92) Rotlauf. Schm. II, 240.
93) Masern. Vgl. Grimm W. B. II, 1667.
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VON HEINRICH HEERWAGEN. 1 1 1
geben, und grosers leibs sein dann sun Jörg, der tetig und nit zu gros noch
zu klain sein wurd, itzo aber ist er ein bos bublein, und doch dem vater lieb,
vacht an zu schwatzn, wen er gern wein und met trünkt, und zucker candet •*)
eß so ist im ein gred •*) im hals besteckt, So ist er haiser und hat di husten,
das schir für und für beschicht, und acht sich der mutter bei weitem mer
dan des vatem. Er hat die fleckn, wi meins brudern kinder alle, und der
gmain iargang*®) was überkomen den 13 dec. vnd 12 tag in der stubn gelegn
und sich doch wenig anfechtn lasn.
1536.
[fol. 121a:] Item di weil wir schuldig sein, aneinander guts zu tun
und sunderlich armen freunden®^), wie Meinander sagt, recordare dives existens
pauperes iuvare, hab ich Mathesn Scheurln von Dillingen und sein Schwester
Annala mitwoch den 13 octob. 1532 vnd, auf des Annala absterben, ir
Schwester Ketteria den 8 Januarij 1534 zu erzihen angenomen ic. 2C.
Jörg vom Rotenhan.
[fol. 122 b. 1. Januarii 1536:] Item diweil herr Sebastian vom Rotnhan
ritter vnd doctor, ein gelerter namhafter redlicher Frank vor 37 jarn zu
Bononien*®) mein schulgesel und bis in sein absterben — **) mein liber und
guter freund gewesen ist, und domit auch mein liber sun Jörg Scheurl,
mit erlicher geselschaft erzogen wurd, hab ich seins brudern Hansn von
Rotnhan zu Rentweinsdorf ^^^) sun Jörgen, seins alters 6 Jar und 8 tag, den
23 Augusti 1535 in mein behausung angnomen zuerzihen, zu guten tugenden
und Sitten, und lernen zu lasn, unbenant ainicher zeit, noch kostgelts, mer
umb freuntschaft willen, hab bisher nichzit entphangn und bin unverbunden
und wol zufriden was mir sein vater und mutter Margreta von Seckndorf
geben oder nit geben. Ir voit zu Hebelsried ^***), gewislich ein beschaiden ver-
stendig und seiner herschaft getreu man, haist Jobst Dhein, wie sein sun.
Jörg Neusesser junior.
[fol. 122b:] Der ist zu mir komen dinstag den 9. Novembris nehst
verschinen, seins alters auf S. Niklas tag 12 jar alt, den hab ich in mein
haus und an meinen tisch angnomen, auszuzihen und lernen zu lasn, im auch
zucht er und veterliche guthait zu beweisen ic. ic.
[fol. 124 a:] Anna seugam:
Item ich hab die Anna auf 27 Aprilis 1532 gedingt umb 8 fl. und ir
darzu allerlei geschenkt, dorumb das si meinen liben sun Jorgn gemuttert,
und sein bisher gewartet und er ir gute gnad hab, volgent hab ich ir ein zeit
94) Kandiszucker.
95) Fischgräte.
96) die Kinder in seinem Alter.
97) Verwandten.
98) Bologna.
99) Platz frei gelassen, wohl zu künftiger Eintragung des Todestages bestimmt.
100) Markt, A.G. Baunach und B.A. Ebern (Unterfranken).
101) Vermutlich Namensvariante für das später vorkommende Ebelsbach, Dorf im
heutigen Amtsger.-Bez. Eltmann, B.-A. Haßfurt, Unteriranken.
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112
BILDER AUS D. KINDERLEBEN IN DEN DREISSIG. JAHREN DES XVL JAHRHUNDERTS.
lang 6 fl. geben und gib ir seint aller hailigen tag, doran si aller ding bezalt
gewesen ist, 4V2 fl.
[fol. 124a:] Katherina von Staflstein seugam Hansn Fuchsn tochter.
Als mein lieber sun Christof geborn ist dinstag den 3 Augusti 1535.
hab ich im das Ketteria, in zu muttern gedingt den 5. Augusti umb 8 fl. ein
jar. und ein gülden leikauf, dofür hab ich ir itzo zum neuen jar geschenkt
tuch zu ainem Unterrock, und im solt auf lichtmes künftig zalt 2 fl.
Milchpeurin.
[fol. 124a:] Item meiner baider sun milchpeurin di Linhartin in Peter
Schneiders garten hinter der vesten, gibt alle tag herein 3 seidla guter milch
umb 3 /^ tut ein virtail iars 9 / 3 /^ und ist zu aller hailign tag zalt ge-
wesen /.
[fol. 125a:] und di benant Agnes Perin hat meinem lieben sun Christofn
ain gut gesotten pulver für das fraislich eingeben, das in neben gotlicher
begnadung bald und wol geholfen hat. der sei lob ehr und dank zc.
[fol. 127b:] Mer zalt ich den 2 feb. Linhartin gertnerin meins suns
Christof auch Jörgen milchpeurin des tags 3 seidlein milch 3 ^ tut
ein virtl jars von omnium sanctorum bis her — Ifl. 0/21/^.
[fol. 130b. Mai 1536:] Meiner seugammen Ketteria von Staffelstain 2 fl.
Jorgn mait der Anna 1 fl. ein halb ort im lidlon .... Walpurgis.
[fol. 134a. 1536, Prty, nach Laurentii:] Es verlassen den Dienst u. a.:
Anna Hofmanin, di meinen üben sun Jorgn gemuttert und 4V4 iar treulich
erzogn hat, der schankt ich zu samt irem Ion 4 halb Joachimtaler, und
Katherina von Staffelstain, di meinen lieben sun Christofen ein iar gemutert
hat, den man nun entwenen muß, der zalt ich iren austendigen virtail iarlon
2 fl. und schankt ir auch von irs suns wegen 2 halb Joachimtaler, do was
vil wainens ic.
[fol. 139a:] Item als ich Hansn vom Rotnhan zu Rentweinsdorf ^^^) seinen
sun Jörgen den 23 Augusti 1535. in di kost angnomen hab, hat mir sein
voit zu Ebelsbach ^<^2) den 5 octob. zalt kostgelt das vergangn iar 28 fl. vil
dargelihns gelts 5 fl. 6 / 11 /^.
[fol. 139a:] Item ich kouft [von Melchior Beyr] den 11. Nov. ein pecher
den ich Gorgn schenkt, wigt 11 lot 1 q 1 ^.
1537.
Christof Schewrl ambulans:
[fol. 155 b:] Item Christina Neusesserin hat irm poten [Paten] Christofen
Scheurln geschenkt ein podkittelein ausgenet mit gold und seiden lustig
und kunstlich, der hat angefangen zu gin allein, suntag Letare, 11 Martii
1537, als er alt was 19 monat und 7 tag. dorumb sein vater als von seinem
sun sunderlich geliebt, einen frolichen Letare het, gott den herrn got lobet
danket und bat umb gnad das baide seine sun gin mochten und wandern
in seinen hailigen wegen und gepoten amen.
102) s. d. vor. Anm.
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VON HEINRICH HBERWAGEN.
113
[fol. 157a:] Linhartin milchpeurin, meins suns Christofen tegliche
milch 9 /3 .^.
Sun Christof.
[fol. 159b. Augustus. 1537:] Item an heut freitag den 3 Augusti zu 12
um des halben seigers ist mein geübter sun Christof Scheurl zwei jar alt
worden, und aws gotlicher begnadung dises iar nur wol gesunt gewesen,
leibig und völlig worden, hat ser gewachsn und zugnumen, hat letare ver-
gangen angefangen zug in, aber doch nichzit zu reden, dann da und ma, auch
bisher gar nichzit trunken, dann ein gute warme kuemilch, di er wol zechen
niag, got gesegn ims, und ist zumal ein schöner, frolicher holtseliger pueb,
der den vater ser liebet, und mit ofnem weiten maul an ine feit und kust,
und widerumb von im herzlich geliebet wirdet, in masen er auch sein mutter
überaus ser libet, und grose naigung zu pferden hat, erzaigt sich auch, als
ob er gern peten wolt.
Sun Jörg.
Der gleichn wehst auch sun Jörg aus der masn ser, ist auf 19 Aprilis
5 jar alt worden, pet gern, kan noch nit r sprechen, aber zu tisch peten,
lateinisch, pater noster, ave maria, simbolum, decem precepta, Benedicite,
Ego sum dominus deus tuus, summa legis und der gleichn mer, hat lust zun
pferden, kurzweilt gern, begint den vater mer zu lieben, dann vor 3 jarn,
von dem allen der vater in seinen alten tagen die höchst ergezlikait und freud
hat, und die beid sun für seinen grosten reichtumb acht und helt hoher
dann ein furstentumb, wi sich auch Jörg nent einen pfalzgrafen und herzog
Jörg ze Vischbach. trinkt aus der masn gern wein, ist gern wol, und hat
freud zu gülden hembden und seiden claidern. In suma ich lob preis ehr
und dank, got meinen herrn, der grosen gnaden, fleuch pittent, mir sein
gotliche gnad zuverleihen, beide meine herzlibsten sun zu erziehen, in seinen
gotlichen gepoten und wegen, das beger ich und pit vom ganzem herzen, und
wer mir di höchst freud auf erdrich. das verleih mir und inen der frum gutig
und barmherzig mein libster herr und got, dem sei allein lob und ehr in
ewikeit Amen.
[fol. 161b: Gewinnanteile der Söhne.]
[fol. 162 b. März 1537:] .... und meins lieben suns Christofen, der
noch bisher kainen andern trunk tun hat, milchpeurin di Linhartin, alle tag
3 seidlein milch p 3 ^. Tut von Walb. bis 1. Novemb. 2 fl. 1 / 12 ^.
1538.
[fol. 165b. A. dl 1. Januarii 1538:]
Ein gluckselig neu jar und vleisige haltung der gepot gots, verleih uns
allön, sunderlich meinen libsten sunen Jörgen und Christofen, denen hab ich
nachvolgende verzeichnus an heut den ersten tag Januarii einschreiben und
zu ainem neuen jar schenken wollen, mein dobei zu gedenken.
Wiwol sich niemant an juditia lasen, noch dorauf vil pauen sol, hab ich
doch von jugent auf di selben nit verachten wollen und sundre naigung dar-
zu gehabt, wol wissent, das si vilmaln velen und herwiderumb auch mermaln
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1906. ]5
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1 14 BILDER AUS D. KINDERLEBEN IN DEN DREISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
zutreffen, dorumb wil ich auch meinen liebsten sunen dis orts summaris aus-
zihen, was mir mein tag judicirt und pronosticirt ist.
— — [fol. 165b— 171a: Wiedergabe solcher Prophe-
zeihungen ^®^).]
[fol. 166a:] Kurzlich nach dem ich von Rom wider gen Bononien^®*) kam,
macht ich kuntschaft mit ainem vast berumbten chyromantico von Mirandula**^*),
so von diser kunst des hendsehens getruckte puchlein hat ausgin lasen,
der urtailet mir, wo ich verharret im studirn, wurd ich gros ehr haben und
zeitlich selig sein, ich wurd mein gut mern und reich sterben, ich wurd in
allweg wol sterben und reich, es wurd mir nach 40 jarn glucklich zustin,
bis in tod, um die 75 jar. Mir werden zwen sun bei leben bleiben,
und der ain, ein überaus groß man werden^®*). Ich wurd gros gluck
haben, bei fursten und herrn.
[fol. 171b. 1538, 9. Jan.:] Mein lieber sun Jörg Scheurl von gots
gnaden wird auf 19 aprilis 6 jar alt, wechst so ser, das er ganz dürr und
hager ist, und etwas ein lenglet angesicht hat, mag wol lernen, hat lust dar-
zu, lernt den Donat lesen, kan berait auswendig und betet dem vater vorm
tisch, doch mit zugetonen henden, domit er kein kind geachtet werd, Ora-
tionem dominicam Math. 16, Salutationem angelicam Luc. 1., Simbolum
fidei, Decem praecepta Exo. 20, Ego sum dominus deus tuus, fortis zelotes,
visitans iniquitatem etc. Exo. 20,' diliges dominum deum tuum. Math. 20,
Consumatio itaq. legis. Rom. 13, omnia quaecumque volueritis. Math. 10,*
vii schöner perfectio Icgis Christus. Rom. 10, Cantum Marie Luc. 1. Si in praeceptis
Spruch. .
meis ambulaventis etc. etc.
Gleich wol kan er noch nit r oder — *®^ sprechen noch volkumenlich
reden, schwatzt doch vil, freut sich der pferd und reutens, hat lust zu gülden
hembden, wais wer im ain ides unter den zehen geben hat, tregt gern
seidene wammes und gute claider, ist aus der masn gern krebs, hirn und
gute pisla, trinkt gern roten und neuen wein, tut mermaln einen guten sauf,
stets frolich guter ding, gesunt, get in Sprüngen, het den vater lieber dann
anfangs sein mutter, di er noch mamma haist, und bruder Christof, der gutig
herr got benedei in, amen.
[fol. 172a gl. Dat.:] Christof Scheurl mein lieber sun von gots gnaden,
wird itzo auf künftig 3. februarii drithalben jars, zecht teglich bei ainer
103) u. a. erzählt Dr. Ch. Seh. ans seiner eigenen Kinderzeit [fol. 165b]: Di weil ich
ein kind was, spilet ich mit korblein, hing die an di tischecken, und begeret dero ümer
mer, das mein vater sprach, Nun wil ich dir korb gnung koufen, es sei dann, das ich
kainen vail find ?
Do ich erst geborn ward, und mich mein anfrau von der erden vom stroe aufhub,
und ich so einen grosen köpf het, sagt sie : Stirb liebs kind, wen du wilt, so stirbt deinem
vater ein gros haubt.
104) Bologna.
105) Mirandola bei Modena.
106) Am Rand hat der Sohn Christof bescheidenen Sinnes angemerkt : filii magni —
quo ad staturam, verum dixit.
107) Lücke.
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VON HEINRICH HEER WAGEN 115
maß, guter geweihter^®®) warmer kue milch, di schmeckt im wol, hat noch bis-
her kainen andern trunk tun, dann milch, tut im recht, hat laufen lernen zu
mitvasten^"*), kan noch nichtz reden, denn data mama, nain, ja verstets als,
hat aus der masn ein schon rund angesicht, ein weiser har, dann bruder Jörg,
überaus ein schöner freuntlicher holtseliger bueb, hengt stets an der mutter,
hat den vater mechtig lieb, halst, schmückt**^), musslt*^^) und tut im schun,
wart auf in, so er aus der Schreibstuben zu tisch get, sucht im seinen loffl
und messer zuweg, ist wol zu zihen, bisher nit gevallen, keint [sic!]^^*) nit,
kreist ^^*) nit, gesunt wie ein fisch, wol leibig, nimt wol zu, stark und dick
wie sein bruder, roslet*^*), wol geferbt, und eins edlen guten Verstands, aus
der massn zwai schone schwarze äugen, haben ser lieb anainander, herwide-
rumb het si der vater bed zugleich ser lieb und all sein freud ergetzlikeit
und reichtumb an disen baiden sunen, do mit in der gutig barmherzig herr
got in seinem alter so gnediglich begobt und fursehen hat . . . [Gebet].
[174b. 1538, 9. Febr.:] Item ich het zalt der Linhartin für meinen liben
sun Christofn der noch nichzit änderst zecht, dis quartal bis auf lichtmes al
tag 3 /^ p 3 seidla milch 9 / 3 ^.
[181 b. 1538, Juli:] . . . und maister Lamprechtn, meins lieben suns
fechtmaistern, im schwert 1 fl.
Meins suns Christofen milchpeurin, ein tag ein moß p 2 /^. 6/2 /^.
der noch bis her änderst nichzit trinkt.
dem gutigen herrn got sei preis lob ehr und dank, der verleih meinen
liben sunen Jörgen und Christofen sein gotliche gnad, das sie seine heilige
gepot treulich halten, auch gern zalen, und in irem tun ordenlich und vleisig
sein, so werden si auch reich, wie geschriben steht: Solicitudo est mater divi-
tiarum. divitie si affluant, nolite apponere cor. Benedictio illius quasi fluvius
inundabit. eccl. 39.
[183a. 1538:] Item dinstag 13 Augusti ist Jörg vom Rotenhan
widerkumen von Rempersdorf ^^^) hat ipir zalt dises jars, so sich enden wirdet
23 Augusti kostgelt, als nemlich fl. 28, die hob ich einnemen lassen Melchior
Peyrin^**) goltschmidin.
[fol. 189b:] Linhartin milchpeurin meinem lieben sun Christofen, der
überaus heftig grintig ist, einen ser flisenden köpf hat und noch nichtz
dann milch trinkt, des tags 3 seidlein, tut des virtl jars 1 fl. 0 / 19 /^.
108) Milch, die bei ruhigem Stehen den sich über der Oberfläche wölbenden Rahm
erzeugt hat.
109) Mittwoch vor Laetare.
110) schmucken, schmiegen. Schm. II, 544.
111) sonst muscheln, sich anmuscheln, sich anschmiegen.
112) statt: greint.
113) kreischt.
114) von rosiger Gesichtsfarbe.
115) = Rentweinsdorf. S. Anm. 100 S. 111.
116) Melchior Baier, Goldschmied in der Bindergasse. Sein Name kehrt in unserer
Vorlage immer wieder. Fol. 226a heißt ihn Dr. Scheurl ausdrücklich seinen Gold-
schmied. Mehr über M. Baier bei Hampe, Nürnberger Ratsverlässe, Einlcit. S. XIII und
Bd. I nr. 3080 mit Anm. 2, in der die bezügl. literarischen Nachweise beigebracht werden.
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116
BILDER AUS D. KINDEHLEBBN IN DEN DREISSIG. JAHREN DES XVI. JAHRHUNDERTS.
[fol. 202b. 1. Februarii 1539:] Linhartin milchpeurin mein sun Christofen
alle tag 3 seidla milch, dieweil er noch nit anders tringt, tut 9 / 1 ^.
[fol. 207 a. 1. März 1539:] Kurze Notiz zur gleichen Ausgabe.
[fol. 211a. 1 Aug.:] meins üben suns Christofen milchpeuerin ein tag
3 seidlein milch, die er genzlich und sunst nichzit auszecht, 1 fl. 0/21 /^.
[fol. 211b. 30. Aug.:] Christofn milchpeurin 1 fl. 21 ^,
[fol. 215a. 31. Okt.:] der milchpeurin sun Christofen di vergangen
13 Wochen alle tag 3 seidlein milch zupringen p 3 ^9^ tut 1 fl. 0 / 21 ^.
[fol. 217 a:] Item als ich Keterla Scheurlin Linhart Scheurls tochter,
nach absterben irer Schwester Annalein, 4 jar in meinem haus erzogen, und
si aber zu aller posselarbet ^ ' ') gebraucht und der maid maid gewesn ist, das
si weder gotsvorcht peten lesen noch spinnen gelernt hat, hab ich sie aus an-
gezaigten Ursachen donerstag den 11. decemb. zu Kungunten Scherbin unter
der vesten gelasen, und ir gedingt zu geben ein jar 14 fl. und auf di kreuz-
wochen ainen Joachimstaler zu ainem leikouf oder taler. Ich zalt ir sunabent
20 Martii V* kostgelt 3 fl. 4 / 6 ^.
[fol. 217 a:] Item Steffan Merten mein Schreiber ist seins Ions des ersten
jars, so sich auf 6 dec. geendet hat, bezalt, nemlich 8 fl. für Fabian Mulzn
und Jorgn vom Rotenhan. darzu schankt ich im von der Kinder rechnung
und anderm zu schreiben 2 fl. und gib im das jar von beden meinen
sunen zu leren 2 fl. und was er weiter erdinet.
1540.
[fol. 221a:] Georg Scheurl mein lieber sun ist aus gots begnadung
anheut montag nach Jubilate 19 Aprilis, 37* stund auf den tag alt worden
acht jar. dem sei lob ehr preis und danksagung in ewikeit. der verleih im
sein gotliche gnad das er aufwachs in seinen heiligen gepoten, und alt
werd, wi hioben a. z. 12 eingeschriben ist.
[fol. 221a. auf walburgis = 1. Mai:] Meins lieben suns Christofen
milchpeurin des tags 3 ^ für milch, seinen wein und pier, tut 1 fl. 21 ^.
[fol. 224b:] Item a. di. dito. 3. Augusti, doran mein lieber sun Christof
zu mittag, aus gotlicher begnadung alt worden ist 5 jar. der herr got geb
lenger nach seinem gotlichen willen, dem sei allein lob ehr glori und dank-
sagung. was mir Pirckman schuldig . . . (folgen die Posten).
1541.
[fol. 247a. Nov.:] Item ich hab zalt maister Petern von Hausen meinem
balbirer hausarmen leuten umb gots ehr auszuteilen, wi vormaln fl. 3 ein ort,
und sunderlich der Anna seugammen meins suns Jörgen den halben tail zu
geben, den erfult ich ir mit 1 '/a orten, domit si den hauszins bezalen
mocht.
Mit herzlichem Dank gedenke ich auch an dieser Stelle der ausgezeichneten Bei-
hilfe, die mein Freund Dr. August Gebhardt-Erlangen mir gelegentlich der Revision
des Textes und der endgiltigen Fassung der Anmerkungen durch vielfache Nachweise
und Verbesserungsvorschläge hat zuteil werden lassen. H. H.
117) Geringe Arbeit. Vgl. Schm. I, 410.
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ÜBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULPTUREN-
SAMMLUNG DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR W. JOSEPflI.
(Mit 2 Tafeln.)
Die umfangreiche Skulpturenabteilung des Germanischen Museums erhielt
in den letzten beiden Jahren sehr erhebliche Bereicherung; die be-
deutendsten Stücke, und zwar zunächst die dem Mittelalter enstammenden,
sollen im Folgenden einer Besprechung unterzogen werden.
An erster Stelle ist der weniger künstlerisch als kunsthistorisch wert-
volle Kruzifixus (Pl.-O. 2056, Taf. VI) zu nennen, der unter die im Jahrgang
1905 dieser Mitteilungen S. 89 ff. behandelten Frühwerke der Holzplastik
einzureihen ist. Seine Erwerbung war für das Museum um so erfreulicher,
als er die nur sehr lückenhaft vertretene Obergangsgruppe zwischen den
Frühwerken gotischen Stils und der reifen Plastik des beginnenden XV. Jahr-
hunderts anschaulich vertritt. Bisher besaß das Germanische National-Museum
nur einen kleinen Kruzifixus dieser kunstgeschichtlich wichtigen Epoche (Pl.-O.
308), während einerseits die Frühzeit mehrfach (Pl.-O. 33, 34, 35, 36. Vgl.
Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum. 1905. S. 125 ff.), andrer-
seits aber vor allem die Spätzeit durch ganz hervorragende Exemplare ver-
treten ist.
Der nackte, nur mit dem bis über die Kniee reichenden Lendentuch
bekleidete lebensgroße Christus hängt mit übereinander gelegten Füssen, von
drei Nägeln durchbohrt, am Kreuze. Die Körpermittellinie ist eine fast gerade,
nur eine ganz leichte Ausbiegung der rechten Hüfte bewirkt eine Abweichung.
Das mit einem gewundenen Doppeltau, dem Dornenkranz, gekrönte Haupt,
an dessen rechter Seite sich noch ein Arm des aus Eisen geschnittenen lilien-
förmigen Kreuzesnimbus befindet, ist ein wenig nach rechts geneigt und vor-
wärts gesenkt; die Arme sind durch das Gewicht des Körpers aus der Hori-
zontalen abgelenkt. Der auffällig schmale Kopf hat lockiges Haupthaar und
einen kurzen straffen Backen- und Kinnbart. In der rechten Brust befindet
sich eine zackige Wunde, unter welcher, wie auch unter den Wundmalen der
Füße, der Blutstrom plastisch wiedergegeben ist. Das Lendentuch hat an
beiden Seiten lange, reichgefältete Überschläge.
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IIS ÜBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULPTURENSAMMLUNG D.GERM. MUSEUMS.
Das Material des Körpers ist Lindenholz, das des Kreuzes ist Fichten-
holz.
Die Länge des Körpers Christi von der Hauptesmitte bis zu den Zehen
beträgt 167 cm, die Breite der ausgestreckten Arme 154 cm. Das Kreuz hat
eine Höhe von 210 cm und eine Breite von 162,5 cm.
Die Figur ist vollrund gearbeitet, aber hohl; sie scheint demnach aus
Teilen zusammengesetzt zu sein, was unter der starken Übermalung im Ein-
zelnen nicht festzustellen ist. Die Bemalung ruht auf Kreidegrund mit ge-
legentlicher Leinenunterlage, doch stammt die oberste Schicht zweifellos erst
aus der Barockzeit: Weiß und Rot herrschen vor. Die ursprüngliche Färbung
nachzuweisen war angesichts der schlechten Erhaltung der wenig von einander
unterscheidbaren Farbschichten unmöglich.
Das Kreuz, das keine Grundierung besitzt, scheint einfarben braun an-
gestrichen gewesen zu sein; über dem Haupte Christi findet sich die Dar-
stellung von Flammen. Die Rückseite ist flammenartig in Rot und Gelb orna-
mentiert.
Im Gegensatz zu der Erhaltung der Färbung ist das Holz verhältnismäßig
intakt geblieben. Es fehlen nur die drei ersten Finger der rechten Hand, die vier
letzten Zehen des linken und sämtliche Zehen des rechten Fußes; ferner sind
noch kleinere Wurmfraßdefekte vornehmlich an den Ohren und an den
Zipfeln des Lendentuchs zu konstatieren. Von dem vertikalen und dem
linken Arm des wohl nicht ursprünglichen eisernen Lilienkreuznimbus finden
sich nur noch die angenagelten Stümpfe.
Ergänzungen lassen sich unter der späteren Farbschicht mit Sicherheit
schwer nachweisen; sicher sind nur der vierte und fünfte Finger der rechten
Hand hinzugefügt.
Auf der Rückseite des Kreuzesstammes findet sich die nachstehende,
im Einzelnen schlecht lesbare Inschrift:
dises Crucifix ist Anno
1699 mense 7bri aus
dem bein haislein hie
her auf S. Ulrich (?) gesetzt
warden.
(Abgesehen vom letzten Worte ist die vierte Zeile fast unleserlich).
Damit ist zweifellos der Zeitpunkt für die Fertigung des Kreuzes, sowie
für die Erneuerung der Färbung des Körpers gegeben. Derselben Zeit dürfte
auch wohl der eiserne Kreuzesnimbus angehören, ebenso die drei Eisennägel,
die, wenigstens an den Händen, in keinen Beziehungen stehen zu den durch
das Hängen aufgerissenen und verzerrten Wunden. ^
Die Herkunft der Arbeit steht nicht fest; sie wurde in Konstanz im
Kunsthandel erworben und sollte sich gemäß den Angaben des Vorbesitzers
ehemals im dortigen Dominikanerkloster, dem heutigen Inselhotel, befunden
haben. Die Richtigkeit dieser Angaben war nicht nachweisbar; sie ist mög-
lich, doch gibt die obige Inschrift zu gewissen Bedenken Anlaß. Die Nennung
des Heiligen Ulrich, falls dies Wort richtig entziffert ist, würde ja in erster
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VON DR. W. JOSEPHI.
119
Linie nach Schwaben weisen, doch ist das kein Grund, der schwerwiegender
gegen die doch immerhin wahrscheinliche Herkunft aus Konstanz oder dessen
Umgebung sprechen würde. Infolge der unentwickelten Stilphase läßt sich
eine örtliche Zuweisung aus einem Lokalcharakter künstlerischer Art nicht
vornehmen: künstlerische Stammesschattierungen finden an diesem rohen
Werke noch keinen Ausdruck.
Als Entstehungszeit wird die Mitte oder die zweite Hälfte des XIV. Jahr-
hunderts anzunehmen sein. Die richtige Datierung derartiger Kruzifixe ist
erschwert, weil bei diesem einfachen Motiv der bei jeder mittelalterlichen
Figur doch in erster Linie maßgebende Faltenstil der Gewandung nur unter-
geordnete Bedeutung besitzt. In den deutschen Kunstinventaren hält sich
deshalb die Datierung meist in sehr weiten Grenzen und begnügt sich in der
Regel mit der Feststellung des Jahrhunderts.
So viele und dem hier behandelten Exemplare künstlerisch nahestehende,
oft sogar überraschend ähnliche Kruzifixe der deutsche Denkmälerbestand
aufweist, so wenige datierte Stücke finden sich unter ihnen. Unter den
datierten Erzeugnissen der Großplastik kenne ich kein einziges, das stilistisch
mit dem Kruzifix des Germanischen Museums in enge Beziehung zu bringen
wäre. Und Vergleiche mit kleinplastischen Werken, denen ganz andere Voraus-
setzungen zu Grunde liegen, bergen — ganz besonders dann, wenn man nicht
nach den Orginalen zu urteilen Gelegenheit hat — bedenkliche Fehlerquellen
in sich. Trotzdem kann man allgemein wohl die Behauptung aufstellen, daß
beispielsweise der Kruzifixus des Grabower Altars von 1379 in der Ham-
burger Kunsthalle (Schlie, Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Groß-
herzogtums Mecklenburg-Schwerin III. Lichtwark, Meister Bertram) an Körper-
durchbildung, natürlicher Auffassung, seelischer Vertiefung und Stilisierung
der Stoffaltelung erheblich fortgeschrittener ist als der hier behandelte. Aller-
dings war auch der Plastiker des Grabower Altars, mag er nun Meister Bertram
geheißen haben oder nicht, ein für seine Zeit hochbedeutender Künstler, was
von dem Verfertiger des Konstanzer Kruzifixes wohl nicht behauptet werden
darf. Ebenso ist der Kruzifix des Schrenkaltars in der Peterskirche zu
München (v. Bezold und Riehl, Die Kunstdenkmale des Königreichs Bayern.
I. Oberbayem. Tafel 170), der, vielleicht nicht mit Recht, auf 1376 datiert
wird, wesentlich entwickelter. Ziemlich nahe dagegen steht ihm der bei
von Bezold und Riehl, ebenda, Tafel 89 abgebildete Kruzifixus auf dem Grab-
stein des Joh. Lapic(ida) von 1380 in Mittenwald. Es ist dies Beispiel aber
ein Relief in Stein, sodaß die Vorbedingungen andere sind.
Im allgemeinen dürfte aus diesen Vergleichen hervorgehen, daß der
Nürnberger Kruzifix stilistisch etwas altertümlicher ist, als jene allerdings
führenden datierten Stücke, und demnach wohl in die zweite Hälfte des
XIV. Jahrhunderts zu setzen sein wird. Gegen eine noch frühere Zeit
spricht das schon ziemlich reich- und weichfaltig angelegte Lendentuch, das
somit schon auf die konsequent allerdings erst zu Beginn des XV. Jahrhunderts
einsetzende Stilphase hindeutet. Die Fältelung an den Säumen der Über-
schläge ist zwar noch flach und unplastisch, zeigt aber, allerdings nur zeichne-
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120 Ober einige Neuerwerbungen der skulptureksabcmlung d. germ. museuhs.
risch angedeutet, bereits die sich zu Beginn des XV. Jahrhunderts zu plas-
tischer Fülle entwickelnden Röhrenfalten. Wenn der in den Mitteilungen des
Germanischen Nationalmuseums 1905, S. 133 abgebildete Kruzifix aus dort
angeführten Gründen an das Ende des XIV. Jahrhunderts gesetzt werden
mußte, so beweist der Vergleich, daß der hier behandelte nur eine Vorstufe
dazu repräsentiert und daher etwas früher zu datieren ist.
Von undatierten Stücken möchte ich einige anführen, die mir zeit-
stilistisch dem Nürnberger Exemplar besonders nahe zu stehen scheinen. Vor
allem ist dies der Kruzifix der katholischen Pfarrkirche zu Kendenich. (Giemen,
Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. IV. Bd. Die Kunstdenkmäler des Land-
kreises Köln. Fig. 71: »XIV. Jahrhundert«), wie auch die Kruzifixe von Ahlen
und Sünninghausen (Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmale von Westfalen. Kreis
Beckum. Beide als »gotisch« datiert) hier angeführt werden können. In der
Durchbildung des Körpers haben die Kruzifixe von Apierbeck (im städtischen
Museum zu Dortmund. Ludorff, ebenda. Kreis Horde: »Übergang«), in der
Gaukirche zu Paderborn (Ludorff, ebenda. Kreis Paderborn: »gotisch«),
sowie auch das Triumphkreuz des Güstrower Doms (Schlie, Die Kunst- und
Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg -Schwerin. Bd. IV:
»Mitte des XIV. Jahrhunderts«) große Ähnlichkeit. Auch auf den in den
Mitteilungen der K. K. Centralkommission VII. Neue Folge. 1881. S. 133
behandelten Silberkruzifix im Domschatz der Metropolitankirche zu Görz
(»XIV. Jahrhundert«), sei als Analogon hingewiesen.
Die Stufe künstlerischer Entwicklung und künstlerischen Könnens, die
sich in diesem Denkmsrl ausspricht, ist eine recht tiefe: das Sehvermögen des
Künstlers und seine Fähigkeit, das Gesehene zweckentsprechend wiederzu-
geben, ist noch wenig entwickelt. Der erste Eindruck, den das Bildwerk auf
den Beschauer macht, ist demnach ein solcher roher Handwerklichkeit. Ästhe-
tisch bedeutet das Bildwerk wenig, sein Wert liegt lediglich in seiner kunst-
historischen Stellung, die es allerdings mit einer Anzahl sehr ähnlicher Werke,
insbesondere solcher in der Provinz Westfalen (vgl. das Ludorff^sche In-
ventar) teilt.
Vor allem merkwürdig mutet das Ringen des Meisters an, anatomische
Details, vor allem an der Bauchpartie, zur Darstellung zu bringen. Das kugelige
Heraustreten der Eingeweidemasse ist zwar an sich bei dem hängenden
mageren Leichnam möglich, dürfte aber in Wirklichkeit schwerlich in dieser
gewaltsamen Weise vorkommen. Um so merkwürdiger ist es, daß eine große
Zahl von Kruzifixen dieser Zeit ohne jeden anderen Zusammenhang als den
der Zeit in fast identischer Weise dies Motiv vorführt (besonders Ahlen in
Westfalen, Güstrow in Mecklenburg -Schwerin, Apierbeck in Westfalen und
noch andere). Noch deutlicher macht sich diese in der Darstellung zu einem
Schematismus erstarrende Naturbeobachtung bei den an der Bauchhöhle ab-
rupt endenden falschen Rippen, die eigentlich nur aus parallel eingekerbten
Linien bestehen, geltend. Die Brustpartie entbehrt jeder feineren Modellierung,
wie auch die Extremitäten, bei denen aber wieder die allerdings völlig un-
verstandene und unkorrekte Wiedergabe der Sehnen auffällt, aufs rohste ge-
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VON DR. W. JüSEPflI.
121
Staltet sind. Der Kopf ist nur ganz allgemein angelegt; durch die später
erneute Bemalung erscheint er lebensvoller, wenn auch nicht gerade sym-
pathischer, als er es seiner plastischen Anlage nach verdient. Da es sich
um ein Werk des XIV. Jahrhunderts handelt, muß immerhin zu Gunsten des
Herstellers angeführt werden, daß er sich nicht nach der üblichen Weise
über die schwierige Wiedergabe der Ohren durch einfache Negierung derselben
kühn hinwegsetzte, sondern unter dem vom Haupte wegfließenden Haupthaar
verhältnismäßig gut durchgebildete Ohren gestaltet hat, deren unnatürliche
Stellung — sie stehen rechtwinklig zum Schädel — allerdings das Waghalsige
dieses Versuches in Erscheinung treten läßt.
Über die Faltenstilisierung und deren Bewertung ist bereits oben ge-
sprochen: sie ist eine nur andeutende und entbehrt plastischer Empfindung
und Durchbildung.
Wenn wir die Neuerwerbungen in zeitlicher Reihenfolge betrachten, so
ist an zweiter Stelle die wertvolle und künstlerisch hochbedeutende Gruppe
der Madonna mit dem Kinde zu nennen, die als hochherzige Spende der Familie
des jüngst verstorbenen Nürnberger Buchdruckereibesitzers Hans Sebald in
das Germanische Nationalmuseum gelangte. (Pl.-O. 2030. Abb. 1.)
Diese Gruppe ist ein rückseits gehöhltes Hochrelief. Maria steht mit
entlastet vorgesetztem linken Bein auf dem Monde, der als ein der Länge
nach halbiertes liegendes Gesicht wiedergegeben ist. Der ganze Oberkörper der
Madonna ist unnatürlich weit nach rechts ausgebogen, das Gesicht mit leichter
Wendung nach links dem nackten Christuskinde zugeneigt, das mit über-
einander gelegten Beinen auf der linken Hüfte der Mutter sitzt und von ihrer
linken Hand stützend umfaßt wird. Der rechte Unterarm der Maria ist vor-
wärts gestreckt, die etwas nach unten gesenkte vertikal gestellte Hand macht
eine leichte Griflfbewegung (anscheinend um ein jetzt verlorenes Scepter zu
halten). Das krausköpfige Kind blickt mit seinem etwas nach links geneigten
Gesicht geradeaus. Seine linke Hand faßt eine auf dem linken Knie auf-
ruhende stilisierende Rose, die rechte zerrt an dem Kopftuch der Mutter.
Maria ist in ein langes gegürtetes Gewand gekleidet, das in rundem
Ausschnitt den Halsansatz frei läßt und faltenlos die Brust umspannt, während
es die Unterschenkel in reichem Faltenwurf umhüllt und vermöge seiner
Überlänge faltig auf dem Boden auflagert. Um die Schultern ist ein bis
über die Kniee reichender stoffreicher Mantel geworfen, der von rechts nach
links über den Unterkörper gezogen ist und in dieser Lage durch das Ge-
wicht des Kindes erhalten wird. Dieser Mantel schlingt sich einerseits um die
gehobene rechte Hand, andererseits bildete er auch an der linken Seite beim
Zusammenstoß der Säume ein reiches Gewirr weicher Röhrenfalten. Eine
Krone, gebildet aus einem Reif, aus dem sich in regelmäßigem Wechsel eine
Zacke und eine auf stilisierten Blättern ruhende Rose erheben, schmückt das
Haupt, dessen wellig aus dem Gesicht fließendes Haar teilweise durch ein
von gewelltem Saum umfaßtes Kopftuch bedeckt ist. Während der linke
Zipfel dieses Kopftuchs auf die linke Hüfte der Mutter herabfällt und sich
Mitteilangen aus dem gennan. Nationalmoaetim. 1906. 16
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122 ÜBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULFl'URENSAMMLUNG D. GERM. MUSEUMS.
letzten Endes um den linken Oberschenkel des Kindes schlingt, wird der
rechte Zipfel von dem Kinde mit seiner rechten Hand an sich herangezogen.
Das Material ist Lindenholz. Die Rückseite der flach angelegten Gruppe
ist so sehr ausgehöhlt, daß hie und da infolge Durchbrechung einzelner be-
sonders dünner Stellen Defekte entstanden sind. Das Gewicht dieser 160 cm
hohen Gruppe ist ein auffällig geringes.
Abb. 1. Madonna. Französisch. 2. Hälfte des XIV. Jahrh.
Pl.-O. 2030. Höhe 160 cm.
Die Gruppe ist ausgezeichnet erhalten. Irgend welche wesentlichen Er-
gänzungen sind nicht nachzuweisen. Die, wie die Technik und die Richtung
der Wurmlöcher beweisen, ursprünglich vorhanden gewesene Färbung ist
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VON DR. W. JOSEPHI.
123
entfernt, dafür ist aber ein leicht abwaschbarer bräunlicher Anstrich aufgetragen.
Farbspuren sind nicht mehr vorhanden.
Erworben wurde die Gruppe im Kunsthandel; sie soll sich lange Zeit
im Münchener Privatbesitz befunden haben.
Gemäß dem sehr charakteristischen Faltenstil, sowie der typischen
Körperhaltung müßte die Gruppe, falls es sich um eine deutsche Arbeit
handelte, etwa in das erste oder zweite Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts gesetzt
werden. Allein gegen die deutsche Herkunft spricht die feine Durchbildung
des Gesichts, die für jene Zeit etwas ganz Abnormes wäre. Man vergleiche
damit etwa die im Faltenstil und Haltung sehr ähnliche, wenn auch sogar
schon etwas fortgeschrittenere nürnbergische Madonna des Germanischen
Nationalmuseums (Pl.-O. 37. Katalog der Originalskulpturen 1890. Nr. 80.
Abgebildet bei Albrecht, Meisterwerke deutscher Bildschnitzerkunst im Ger-
manischen Nationalmuseum, Taf. 4, sowie bei Münzenberger, Mittelalterliche
Altäre Deutschlands), sowie die vielen Pietäs und Madonnen dieses weich-
faltigen Stils, wie sie vor allem die Kunstinventare Bayerns und Westfalens
publiziert haben, um den Unterschied in der Detaillierung der Gesichtszüge
sowie in der Zartheit der Wiedergabe äußerer Formen einzusehen. Soweit
photographische Reproduktionen ein Urteil erlauben, muß ich diese Gruppe
in den französischen Kunstkreis versetzen.
Fast ebenso wie in Deutschland hat auch in Frankreich die Kunst-
geschichte der Erforschung der mittelalterlichen Plastik bis in neuste Zeit
wenig Sympathie entgegengebracht. Über die Elfenbeinwerke sind wir relativ
noch am besten unterrichtet; und auf diesem Gebiete der Kleinkunst zeigen sich
im XIV. Jahrhundert deutlich erkennbar und in auffälligem Gegensatz zum
deutschen Kunstschaffen jene für unsere Figur charakteristischen Eigenheiten in
der Formengebung der weiblichen Gesichtszüge: die übermäßig hohe Stirne,
die zart verlaufende und besonders an den Flügeln fein beobachtet wieder-
gegebene Nase, die in feinen Schwellungen modellierten Partien unter den
Augen und zwischen Nase und Mund, der zarte, meist an den Winkeln etwas
nach oben gezogene Mund, dessen feines Lächeln weit entfernt ist von der
den deutschen Skulpturen eigenen gewaltsamen Ausdrucksbetätigung, vor
allem aber die etwas schräg verlaufenden und von den Oberlidern halb be-
deckten Augen. Alle diese Motive, die an der neu erworbenen Gruppe auf-
fallen, finden sich charakteristisch wieder in den auch in Deutschland zahl-
reich verbreiteten Erzeugnissen französischer Elfenbeinkunst.
Neuerdings sind wir durch das treffliche Tafelwerk von Paul Vitry und
Gaston Bri^re : Documents de sculpture frangaise, in die Lage versetzt, auch die
mittelalterliche Monumentalplastik Frankreichs in vorzüglicher Weise überblicken
zu können. An der Hand dieses äußerst reiches Material bietenden Werkes ist
umfassende Gelegenheit zu vergleichenden Studien gegeben, und in der Tat
finden sich alle jene Momente, die bei einer deutschen Skulptur jener Zeit
befremden müßten, hier, und zwar schon in frühester Zeit, deutlich und den
Eindruck bestimmend wieder. Bekannt und oft bewundert ist ja dieser vor-
nehme Liebreiz der Gesichtstypen, diese feine Durchbildung des Antlitzes
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124 CBEK EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULPTURENSAMMLUNG D.GERM. MUSEUMS.
schon bei den Frühwerken monumentaler französischer Plastik, ich denke vor
allem an die Werke von Amiens und Rheims aus dem XIII. Jahrhundert,
denen als gleichwertige Erzeugnisse im deutschen Kunstgebiet einzig und
allein die mit französischen Elementen stark durchsetzten Statuen der Kirche
und der Synagoge am Straßburger Münster an die Seite zu stellen sein dürften.
Dieser Stil setzt sich dann in Frankreich durch das ganze XIV. und XV. Jahr-
hundert hindurch fort, wofür Vitry und Bri^re zahlreiche Beispiele bringen
(PI. XCIII— CXVII).
Die Zuweisung dieser Figur in den französischen Kunstkreis wird äußer-
lich bestätigt durch die eigenartig schöne Form der Krone. In der deutschen
Kunst kommen zwar ähnliche stilisierte Rosen als Zier von schapelartigen
Kopfbändern gelegentlich vor, doch eine Krone dieser Art, deren Zacken in
dieser schönen Form abwechselnd durch Spitzen und auf Dop|>elblättern
liegenden stilisierten Rosen gebildet werden, ist mir bisher im deutschen
Denkmälerbestande nicht bekannt geworden. Demzufolge erscheint mir als
ein die Zuweisung in den französischen Kunstkreis bestätigendes Moment der
Umstand, daß sich dieselbe Krone, und zwar fast identisch, — nur der Reif
ist niedriger — an einer aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts stam-
menden Muttergottesstatue im Kreuzgang der Kathedrale von St. D\6 (Vosges)
findet; auch das Christkind hält dort in ganz ähnlicher Weise seine Rose.
(Vitry und Bri^re, PI. XCIII, 3).
Weitere Untersuchungen, in welche Zone französischer Kunst diese
Skulptur einzuordnen ist, vermag ich zur Zeit nicht zu machen, da erfahrungs-
gemäß gerade auf dem Gebiet der Plastik die photographischen Reproduktionen
für feinere stilistische Untersuchungen absolut ungenügend sind und regel-
mäßig zu falschen Schlüssen verleiten.
Als Entstehungszeit der Gruppe wird das Ende des XIV. Jahrhunderts
anzunehmen sein. Die Fülle, die der Figur ihre Eigenart gibt, tritt, wie in
Deutschland erst gegen Ende des XIV. Jahrhunderts, in Frankreich schon bald
nach Mitte allgemein auf. Abgesehen von dieser kleinen zeitlichen Differenz
verläuft die Entwicklung in beiden Ländern fast analog.
Zeitstilistisch stehen unserem Werke nahe die Madonnenfigur am Nord-
turm der Kathedrale von Amiens (Vitry und Bri^re, PI. CHI, 3. Zwischen
1373 und 1375), die Apostelstatue in St. Croix in Bemay (ebenda PI. CV, 8.
Ende des XIV. Jahrh.), die Madonnen an der Kirche zu Rouvres (Ebenda
PI. CXI, 2. Zweite Hälfte des XIV. Jahrh.), in Paris im Mus^e du Louvre
und im Mus^e de Cluny (Ebenda PI. CXI, 6 u. 8. Mitte des XIV. Jahrh.).
Ferner ist die zeitliche Entfernung der Gruppe von Claus Sluters
1395—1402 in Dijon errichteten Mosesbrunnen (Ebenda PI. CVIII. Marcou,
Album du mus6e de sculpture compar^e III. PI. XXX — XXXII. Klassischer
Skulpturenschatz 39, 46, 52, 57) keine allzugroße, jedenfalls aber verbietet
die flache Formgebung der Brust in das XV. Jahrhundert hineinzugehen. Im
Faltenwurf sehr verwandt mit dieser Gruppe ist, soweit ich nach der unge-
nügenden Abbildung bei Jules Heibig, La sculpture et les arts plastiques au
pays de Liege et sur les bords de la Meuse 1890, S. 118, urteilen kann.
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VON DR. W. JOSEPHI. 125
die Madonnenstatue in Notre-Dame zu Maestricht; Heibig datiert jene Figur
nicht, doch geht aus der Titelüberschrift hervor, daß er sie vor 1390 ansetzt.
Allerdings bringt derselbe Verfasser in seinem Werk, L'art Mosan. Tome I,
1906, S. 126 dieselbe Abbildung, mit der Datierung: XV. Jahrhundert.
Kunsthistorisch ist die Gruppe jener sympathischen Stilphase einzu-
reihen, in der im Gegensatz zu der frühgotischen Knappheit auf das Stoff-
liche der Gewandung, vielleicht durch einen Modewechsel angeregt, ein ganz
besonderer Nachdruck gelegt wird. Bei unserer Figur dominiert für den Ein-
druck der Kleiderstoff, wie er in seiner weichen Fülle und seinem faltigen
Reichtum den Körper umhüllt. Trotz dieser Bevorzugung des Stofflichen
sind aber die einzelnen Faltenmotive, insbesondere dort, wo sie sich, wie an
beiden Seiten, häufen, durchaus nicht natürlich, sondern in den Einzelheiten
unfrei und schematisch. Trotzdem mutet aber dieser Faltenstil in seiner
Weichheit und Ruhe wahrer und vor allem sympathischer an als der viel
raffiniertere scharfbrüchige, doch in den Einzelmotiven viel maniriertere der
zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts.
Dem Laien, der gewohnt ist, jedes Kunstwerk vom Standpunkt der
Gegenwart aus zu beurteilen, wird vornehmlich die anatomische Unrichtigkeit
in der Formgebung auffallen, und doch ist gerade sie typisch für die Zeit,
in der das Werk entstand. Der vorgetriebene Unterkörper ist viel zu lang
im Verhältnis zu dem fast negierten Oberkörper, an dem weibliche Formen
kaum angedeutet sind; die Verkürzung des Unterarms ist übertrieben, der
Halsansatz, der infolge des Kleiderausschnittes sichtbar ist, unorganisch. Ein
Blickkonnex zwischen Mutter und Kind ist versucht, aber noch nicht ge-
lungen. Die ganze Haltung ist äußerst gezwungen und wirkt sogar direkt
unschön. Aber gerade diese gekünstelte Körperhaltung beweist, daß es dem
mit den Aüsdrucksmitteln noch ringenden Meister darum zu tun war, seinem
Werke Leben einzuprägen, und so gelangte er, da ihm ein eingehendes
Studium der Natur noch nicht zu Gebote stand, auf diese gewaltsame Ver-
renkung. Andererseits muß aber auch in Rücksicht gezogen werden, daß
derartig geschwungene Stellungen zweifellos dem hochgotischen Schönheits-
ideal entsprachen und demzufolge gern gebildet wurden. Bei dieser Gruppe
ist jedenfalls die Wirkung die, daß eine Art Gleichgewicht entsteht zwischen
dem auf der linken Hüfte der Mutter sitzenden Kinde und dem Oberkörper
der Madonna.
Ebensowenig Naturkenntnis verrät die Durchbildung der Gesichtszüge,
und doch sind sie ein Hauptmoment für den sehr sympathischen Eindruck
der Figur. Der eigenartige Liebreiz, der über diese Gruppe ausgegossen ist,
die ?arte Empfindung, die sich in Haltung und Gebärden ausspricht, die
Weichheit der ganzen Formengebung, alles das verleiht der Arbeit einen
eigenen Wert.
Viel besser ist das nackte Kind durchgebildet; wie so oft, so zeigt sich
auch bei dieser Gruppe, daß die Kunst verhältnismäßig früh verstand, , den
Kinderkörper in seiner Eigenart zu erfassen, während gleichzeitig der be-
kleidete Körper Erwachsener die nach unserem Gefühl gröbsten Unrichtig-
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126 ÜBER EINIGB NEUERWERBUNGEN DER SKULPTURENSAMMLUNG D. GERM. MUSEUMS.
keiten aufweist. Sehr hübsch, wenn auch in der Wiedergabe nicht ganz ein-
wandsfrei, ist das Weichliche des Kinderkörpers beobachtet, indem die Finger
der Mutter sich in die schwellende Fülle eindrücken, andererseits an den drallen
Ärmchen über dem quellenden Fettpolster die Haut sich ringförmig strafft
und einzieht.
Die Form der Konsole, so eigenartig sie auch anmutet, ist dennoch keine
originale Erfindung. Das halbierte, meist auch mit dem Kopftuche bekleidete
Gesicht, findet sich, wie in der französischen Kunst (Beispiele im Louvre),
so auch in der deutschen Kunst nicht selten. Ich erwähne etwa die thronende
Madonna in Gries (Mitte des XV. Jahrhunderts), ferner verschiedene ober-
bayerische, schwäbische und fränkische Madonnen meist von der Mitte bis
zum Ende des XV. Jahrhunderts. Ganz besonders beliebt scheint aber diese
Darstellungsart im niedersächsischen Kunstkreise gewesen zu sein; das
Schlie'sche Kunstinventar von Mecklenburg -Schwerin bildet eine auffällig
große Anzahl ab, unter denen der Krämer -Altar in Wismar (Mitte des
XV. Jahrhunderts) die älteste Darstellung ist. Ein Beispiel aus dem west-
lichen Kunstkreise ist die oben erwähnte Madonna zu Maestricht. In späterer
Zeit verschwindet diese Form mehr zu Gunsten der Sichelform, doch findet
sich damit noch gelegentlich vereint die dreidimensionale Wiedergabe des Ge-
sichts. Das bayerische Kunstinventar gibt besonders viele Beispiele dieser Art,
am bekanntesten dürfte die herrliche Multscher'sche Madonna zu Sterzing vom
Jahre 1458 sein, bei der sich das dreidimensionale Gesicht mit der Sichel
verbindet.
Aus Altdorf bei Landshut in Niederbayern wurde die aus Lindenholz
geschnitzte Gruppe einer Madonna mit dem Kinde erworben. (Pl.-O. 206L
Höhe: 93 cm, Abb. 2). Maria sitzt auf einer an den Seitenflächen oben und
unten in einfachen Profilen auslaufenden marmorartig bemalten Bank. Sie ist
in einen weiten goldenen, hellblau gefutterten Mantel gekleidet, der von links
nach rechts über die Kniee geworfen ist; sein überlanges Ende ist zur Rechten
der Maria auf die Bank gelegt, vor der die Stoffmasse in reichen undulierenden
Falten hemiederfällt. Über das Haupt, das von schematisch stilisierten ver-
goldeten Locken umrahmt ist, ist ein silbernes Kopftuch gelegt, dessen linker
Zipfel auf die Brust herabfällt, während sich der rechte, unter dem Kinn
weggezogen, über die linke Achsel auf den Rücken legt. Während die vor-
gestreckte rechte Hand einen goldenen Apfel hält, umfaßt die linke das auf
dem rechten Knie der Mutter in Profilstellung sitzende nackte Kind, dem sie
ihr Haupt zuwendet. Der Kopf des Kindes ist mit scharfer Wendung nach
links gedreht, also dem Beschauer zugewandt; beide Arme umklammem einen
goldenen Vogel. Die Haare sind gelockt und vergoldet. Die Figur des
Kindes ist selbständig gearbeitet und mit einem Dübel in der auf dem linken
Oberschenkel der Mutter angebrachten Vertiefung befestigt.
Ergänzt ist die rechte Hand der Maria; die linke ist angedübelt, doch
anscheinend alt. Beim Kinde rühren die Beine in ihrer jetzigen Gestalt von
einer Ergänzung her; ebenso stammen seine vordem roh entfernten Ge-
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VON DR. w. JosErni. 127
schlechtsteile von der letzten Restaurierung. — Beide Figuren trugen ehemals
Kronen, wie der tiefe horizontale Einschnitt um den Oberkopf des Kindes
sowie die unbearbeitete Partie um den Scheitel der Maria beweisen (bei der
Restaurierung ausgeglichen). Doch scheint beim Kinde dies erst eine nach-
trägliche Zurichtung zu sein, während sie bei der Mutter ursprünglich ist. —
Die Rückseite der Gruppe ist bearbeitet, doch ist die Bank ausgehöhlt.
Als die Gruppe in den Besitz des Germanischen Nationalmuseums ge-
langte, war sie entstellt durch eine in neuerer Zeit vorgenommene dicke
Cberschmierung mit Ölfarben und unechter Vergoldung und Versilberung.
Abb 2. Pl.-O. 2061. Maria mit dem Kinde. Nieder-
bayerisch. Erste Hälfte des XV. Jahrb. Höhe 93 cm.
Das Direktorium sah sich deshalb genötigt, eine Entfernung vorzunehmen.
Im Verlaufe dieser Arbeit erwies sich, daß mehrfach Übermalungen, und zwar
in willkürlichen und oft direkt falschen und störenden Färbungen vorhanden
waren. Im Gesicht, dessen letzter bäuerlich-roher Antrieb vornehmlich zu
einer Korrektur herausforderte, ließen sich mit Sicherheit 4 Schichten kon-
statieren, deren unterste sehr feine und zarte Tönungen aufwies. Nach Maß-
gabe der zahlreich auf dem vollständig erhaltenen Kreidegrund vorgefundenen
Farbenspuren konnte die oben geschilderte ursprüngliche Farbengebung mit
Sicherheit wiederhergestellt werden, so daß der derzeitige Eindruck ein un-
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128 ÜBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULPl'URENSAMMLUNG D. GERM. MUSEUMS.
getrübterer und vor allem unverfälschterer ist als zuvor. (Die beigegebene
Abbildung gibt die Figur in ihrem Zustande vor der Restaurierung wieder).
Die Gruppe zeigt bayerischen Kunstcharakter und gliedert sich gut
den thronenden Madonnen, vor allem aber den Pietäs dieses weichfaltigen
Stils an, die Ober- und Niederbayem in großer Zahl aufweisen. Die Wahr-
scheinlichkeit spricht dafür, daß dies Werk in Landshut gefertigt wurde, wo
sich seit dem Beginn des XV. Jahrhunderts im Anschluß an den Bau der
Martinskirche und anderer bedeutender Kultstätten auch für das Gebiet der
Skulptur eine Hauptpflegestätte bayerischer Kunst bildete. (Fr. Haack, Die
gotische Architektur und Plastik der Stadt Landshut. Inaug.-Diss. München.
1897. Leider ist das bayerische Kunstinventar noch nicht an die Publizierung
Niederbayerns gelangt, sodaß Vergleichsmaterial in größerem Umfange fehlt,
doch scheinen mir die dortigen Denkmale, soweit ich nach den mir vor-
liegenden Photographien zu urteilen wagen darf, nicht gegen diese an sich
schon durch die Herkunft des Werkes wahrscheinliche Annahme zu sprechen.
Insbesondere scheint die Pietä in Kloster Seligental, ein Werk, das sicherlich
dem Landshuter Kunstkreise angehört, nach mancher Richtung Analogien zu
bieten.
Einer genaueren Datierung der Gruppe stehen insofern Schwierigkeiten
entgegen, als alle ähnlichen Darstellungen einer sicheren Zeitangabe entbehren.
Auch die vielfachen Beispiele, die das bayerische Kunstinventar vorführt,
bieten hierfür wenig, da dies Inventar infolge der Langsamkeit seines Er-
scheinens jede Einheitlichkeit in der subjektiven Datierung verloren hat.
Doch ist soviel sicher, daß der steinerne Hochaltar in St. Martin zu Lands-
hut vom Jahre 1424, ein Werk, das sicherlich den Höhepunkt des dortigen
plastischen Könnens jener Zeit verkörpert, in den Einzelheiten wesentlich
altertümlicher anmutet. Auch die herrliche thronende Madonna aus Kloster
Seeon, wohl das schönste Werk dieses weichfaltigen Stils, das das bayerische
Nationalmuseum in München besitzt und das der Katalog von 1896 (Nr. 493)
»um 1433« datiert, ist stilistisch erheblich älter. Von den bei B. Riehl in
seiner Abhandlung: Geschichte der Stein- und Holzplastik in Oberbayem.
(Abh. d. III. Cl. d. k. b. Akad. d. Wissensch. XXIII. 1.) abgebildeten Pietäs
steht die von Moosburg (»gegen Mitte des XV. Jahrh.«) unserer Gruppe am
nächsten. (Abgebildet auch in »Die Kunstdenkmale des Königreiches Bayern«.
I. Band. Oberbayern. Tafel 149). Einzelne stilistische Momente deuten
bereits auf den Übergang zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts, und so wird
die Datierung gegen die Mitte des XV. Jahrhunderts die richtige sein.
Erst nach der Ablaugung zeigte sich die große Feinheit der Arbeit, da
zuvor alle Details unter der dicken Farbenschicht versteckt lagen. Die Be-
wegung der Madonna zeugt von zartem Empfinden, die Drapierung der
weichen Stoffmasse von großem plastischem Feingefühl. Das Antlitz ent-
behrt, wie bei allen Figuren dieser Zeit, noch der feineren Durchbildung,
wirkt aber im ganzen sehr sinnig und anmutig. Weniger befriedigt das Kind,
das im Gegensatz zur Mutter recht derb aufgefaßt ist und durch seine un-
schöne Kopfform unsympathisch berührt.
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VON DR, W. JOSEPHI.
129
Seltsamerweise ist die Szene exzentrisch komponiert: die Madonna sitzt
auf der einen Seite der Bank, und auch der abgeeckte Sockel erstreckt sich
nicht unter das ganze Bildwerk, sondern nur unter die Figur. Der Eindruck
ist ein solcher, als habe sich ehemals noch etwas zur Rechten der Madonna
befunden, oder die Bank sei in späterer Zeit willkürlich verlängert worden,
worden. Trotzdem nun in der Tat an dieser Stelle das Holzmaterial zu-
sammengestückt ist, so hat sich doch bei der Ablaugung ergeben, daß diese
Zusammensetzung ursprünglich ist, auch die Anordnung der ziemlich will-
kürlich über das Bankende gelegten Gewandmaße, läßt den Gedanken einer
späteren Hinzufügung als untunlich erscheinen. Möglich, wenn auch nicht
wahrscheinlich, wäre allerdings, daß die Gruppe nur der Teil einer größeren
Szene, etwa einer Darstellung der Anbetung der heüigen drei Könige, gewesen
sei, aber auch damit ergibt sich keine allseits befriedigende Erklärung für
das Unsymmetrische der Komposition.
Als einziges Steinbildwerk unter den hier besprochenen Skulpturen ist
die Madonna vom Hause Albrecht Dürerplatz 4 in Nürnberg (Pl.-O. 2057.
Abb. 3) zu nennen, die, um der zunehmenden Verwitterung Einhalt bieten
zu können, an Ort und Stelle durch eine Kopie ersetzt werden mußte,
während das Original als Eigentum der Stiftung zur Erhaltung Nürnberger
Kunstwerke in die im Germanischen Museum aufbewahrten Kunstsammlungen
der Stadt Nürnberg gelangte. (Vgl. R^e, Nürnberg, 1900. S. 79).
Maria steht da mit entlastet vorgesetztem rechten Bein. Sie ist in ein
langes rotes, am Halse rund ausgeschnittenes, langärmeliges Gewand ge-
kleidet, das sie mit ihrer rechten Hand vorne emporrafft. Die Linke trägt
oberhalb der etwas ausgebogenen linken Hüfte das krausköpfige, mit über-
einandergelegten Beinen dasitzende nackte Kind. Ein langer Mantel bedeckt
den Rücken der Mutter. Ihr Haupt ist etwas nach links gewandt und nach
vorne geneigt, der Blick ist geradeaus gerichtet.
Es fehlen ein größeres Stück vom rechten Arm, sowie Stücke der Ge-
wandpartie des linken Ellenbogens. Als Ergänzung ist nur die schmiede-
eiserne Krone zu nennen, die in den romantisch-gotischen Formen der Mitte
des XIX. Jahrhunderts gefertigt ist.
Eine an der Vorderseite mit einem Wappenschilde gezierte Konsole
aus spätgotischem Astwerk mit einer reich profilierten achtseitigen Deck-
platte trägt diese Figur, Auf dem Wappenschilde ist ein wahrscheinlich im
XVI. oder gar erst im XVII. Jahrhundert gemaltes Wappen, das nicht iden-
tifiziert werden konnte — nur das Bild, nicht aber die Tinkturen entsprechen
dem der Nürnberger Patrizier Rieter von Kornburg. — Auf zwei Seiten der
Konsole stehen: kazel — 1482.
Von der Bemalung, die sicher mehrmals erneuert worden ist, ist nur
die rote Färbung des Gewandes, sowie die blaue des Mantels nachweisbar.
Die Gruppe (ohne Krone) hat eine Höhe von 182 cm. die Konsole eine
solche von 50 cm.
Mitteilungen aus dem germao. Nationalmuseum. 1906. 17
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130 ÜBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULFTURENSAMMLUNG D. GERM. MUSEUMS.
Die Bedeutung dieser unzweifelhaft der Nürnberger Kunst entstammenden
Gruppe, die rein künstlerisch schon eine sehr große ist, erhöht sich kunst-
historisch noch durch die sichere und unanfechtbare inschriftliche Datierung.
Abb. 3. Madonna. Nürnbergisch. 1482. Pl.-O. 2057. Höhe 382 cm.
Durch diese Arbeit ist eine Stilphase festgelegt, wie sie einem ganz
hervorragenden Steinplastiker zu Beginn der achtziger Jahre des XV. Jahr-
hunderts eigen war. Die künstlerische Bedeutung dieser Figur ist eine so
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VON DR W. JOSEPHI.
131
große, daß nur einer der ersten seiner Zeit sie zu gestalten vermochte, was
vornehmlich durch einen Vergleich mit der herrlichsten Madonnenschöpfung
unterfränkischer Kunst, der um elf Jahre jüngeren und dem Riemenschneider
zugeschriebenen Madonnenstatue im Neumünster zu Würzburg (Tönnies,
T. Riemenschneider. Abb. IV) erhellt. Besonders auffällig berührt der für
die Entstehungszeit merkwürdig reich und weich gestaltete Faltenwurf und
die gute, den Faltenverlauf bestimmende Durchbildung der weiblichen Brust.
Die Auffassung der Gruppe ist, ihrer Zweckbestimmung gemäß, eine
dekorative, was vornehmlich in dem großflächigen Faltenwurf zum Ausdruck
kommt. Trotzdem spricht aus vielen Zügen eine sehr feine und liebevolle
Naturbeobachtung; vor allem in dem sehr naturwahr durchgebildeten Christus.
Weniger gelungen sind die Gesichter, denen eine gewisse Strenge und Herbe
eigen ist und bei denen vor allem die scharfe und harte Formengebung der
Augenpartie auffallt.
Unter den Nürnberger Hausmadonnen ist mir keine bekannt, die mit
Sicherheit dem Meister von 1482 zuzuweisen wäre. Unter den vielen der-
artigen Schöpfungen steht ihm aber sehr nahe die Madonna an der Tetzels-
kapelle von St. Ägidien, die man früher als ein Jugendwerk Adam Kraffts
ansprach. Doch scheinen mir beide Werke sich sehr erheblich von den dem
Krafft authentisch zuzuweisenden Arbeiten zu unterscheiden.
Eine charaktervolle und wirksame Arbeit etwa aus dem letzten Dezenium
des XV. Jahrhunderts ist die Rundstatue des heiligen Nikolaus (Pl.-O. 2022.
Abb. 4, ferner abgebildet bei .Dehio und von Bezold, Die Denkmale der
deutschen Bildhauerkunst. Taf. 40,2).
Auf niedriger achtseitiger Platte steht der Heilige, das linke Bein ent-
lastet vorgestellt. Er ist bischöflich gekleidet: über der weißen, goldgesäumten
und mit braunen Punteten übersäten, vorne mit einem roten Damaststreifen
verzierten Alba trägt er, nur an den Seiten sichtbar, die rotdamastne befranste
und beiderseits aufgeschnittene Dalmatika, über welche die goldene mit ein-
geritzter Kreuzverzierung versehene Kasula geworfen ist. Um den Hals ist
das faltige weiße, doch rotgesäumte Humerale gelegt. Auf dem Haupte trägt
er die rote, goldbebortete Mitra, deren in Fransen endende Bänder beider-
seits in freiem Schwung nach vorne über die Schultern fallen. Die Hände
stecken in weißen Handschuhen, deren Rücken mit einem gemalten roten und
goldenen kreisförmigen Ornament bedeckt ist. Auf dem Daumen der linken
Hand steckt der Bischofsring.
Beide Arme sind derart vorgestreckt, daß sich die glockenförmige Kasula
beiderseits über den Unterarmen zusammenschiebt, wodurch sie auf ihrer
Vorderfläche faltig belebt wird. Die rechte Hand faßt den in schöner goti-
scher Blattkrümme endenden Bischofsstab und rafft gleichzeitig das daran
befestigte Schweißtuch empor, während die linke ein mit Zierbeschlägen ver-
sehenes aufgeschlagenes Buch trägt, auf welchem die pyramidenförmig über
einander angeordneten drei Kugeln, das Attribut des Heiligen, lagern. Kasel-
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132 ÜBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULFl'UREXSAMMLUNG D. GERM. MUSEUMS.
kreuz und Kaselsäume, sowie die Borten der Inful sind überreich durch ein-
gepflockte Kügelchen verziert, ebenso finden sich noch auf der Mitte der
Abb. 4. St. Nicolaus. Tyrolisch? Ende des XV. Jahrh.
PI.-O. 2022. Höhe 171 cm.
Mitra und auf der rechten Brust der Kasel geschnitzte vierpaßartige Schmuck-
stücke aufgesetzt.
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VON DR. W. JOSEPHI.
133
Die Statue ist vollrund gearbeitet; auch die Rückseite ist durchgeführt.
Das Material ist ein sehr gut erhaltenes, kerniges und auffallend schweres
Lindenholz. Die Bemalung und Vergoldung befindet sich auf Leinen- und
Kreidegrund. Die Höhe beträgt 171 cm.
Die Erhaltung ist, abgesehen von Farbendefekten, eine vorzügliche : nur
eine Ecke des Buchs hat vom Wurmfraß gelitten, auch fehlen viele der
kleinen Zierknöpfe und der aufgesetzten Schmuckstücke. Der Stab des
Pedum ist, vom unteren Ende des Sudarium an abwärts, modern ergänzt.
Die Durchbildung und Bemalung der Rückseite scheint zwar dafür zu
sprechen, daß die Figur ehemals frei aufgestellt war; doch deutet das Flächige
der Rückenbehandlung mehr darauf hin, daß doch an eiaen Hintergrund dafür
gedacht war. Bestätigt wird diese Vermutung dadurch, daß die in verhältnis-
mäßig früher Zeit erneuerte Vergoldung auf der Rückseite willkürlich abbricht
und eine schmale senkrechte Zone frei läßt, in der die erste Vergoldung
bezw. deren rote Untermalung zu Tage tritt. Die Durchbildung der Rück-
seite scheint demnach mehr auf eine Betätigung liebevoller Sorgfalt des
Verfertigers als auf eine praktische Notwendigkeit zurückzuführen zu sein.
Möglich wäre ja allerdings auch eine derartige Aufstellung, daß mit einem
teilweisen Sichtbarwerden der Rückseite hätte gerechnet werden müssen,
also etwa vor einem Rundpfeiler. <
Die Statue ist eine künstlerisch bedeutende Leistung des ausgehenden
XV. Jahrhunderts, weniger im Faltenwurf, der trotz der geschickten und
wirkungsvollen RafTung der Kasula etwas flach und unwahr erscheint;
weniger auch in der Haltung, die steif und gezwungen anmutet und unwill-
kürlich den Gedanken an eine Aufstellung im engen Schrein eines spätgoti-
schen Schnitzaltars aufkommen läßt. Vielmehr ist das Bedeutende an der
Figur die feine und charaktervolle Durchbildung und Beseelung des Antlitzes.
Ohne kleinlich zu werden, und nur unter Zurhülfenahme einfachster Mittel
wußte der tüchtige Künstler dem Kopfe ein faszinierendes Leben einzuprägen,
das durch die wirkungsvolle Bemalung nur noch mehr gehoben wird.
Die herben Spuren des Alters in den weichen Partien der hier origineller
Weise etwas schräge gestellten und in feinen Schwellungen sich vom ener-
gisch gezogenen Augenbrauenbogen abhebenden Augenhöhlen sind mit großer
Feinheit beobachtet und mit nicht minderem Geschick wiedergegeben, ebenso
zeigt sich in der Modellierung der fleischigen Wangen und des rundlichen
Kinns großer künstlerischer. Sinn . jmd bedeutende technische Fertigkeit.
Der Einreihung in eine lokale Gruppe stehen insofern Schwierigkeiten
entgegen, als über die ursprüngliche Herkunft nichts bekannt ist. Die Statue
befand sich in Paris, und es ist erfreulich, daß es dem Germanischen National-
Museiun gelang, dies echt deutsche Kunstwerk in seine Heimat zurückzu-
führen.
Eine lokale Einordnung nach stilistischen Merkmalen ist infolge der
derzeit noch sehr mangelhaften Publizierung des deutschen plastischen Materials
sehr erschwert, und die kleinen originellen Äußerlichkeiten, wie die Applizierung
der Kügelchen und des Schmucks besagen nichts, da derartiges in Lübeck
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134 ÜBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULPTURENSAMMLUNG D. GERM. MUSEUMS.
und Mecklenburg oder überhaupt in Niedersachsen genau ebenso vorkommt,
wie in Obersachsen, Schwaben oder Franken. Doch scheint ganz allgemein
ein tirolischer Charakter der Figur eigen zu sein, ohne daß jedoch irgend
welche Beziehungen zu dem, wenn man der Literatur glauben darf, für alle
besseren Tiroler Arbeiten verantwortlichen Fächer oder seiner Schule behauptet
Abb. 5. Johannes der Täufer. Nordschwäbisch. Um 1500.
PI.-O. 2054. Höhe 128 cm.
werden dürften. Allerdings wird es mir erst nach eingehendem Studium des
bisher nur äußerst mangelhaft publizierten Tiroler Materials möglich sein, ein
abschließendes Urteil zu fällen. —
Aus dem Privatbesitz konnte eine Figur Johannes des Täufers erworben
werden (Abb. 5. Pl.-O. 2054 Lindenholz, Rückseite abgeplattet und gehöhlt.
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VON DR. W. JOSEPHI.
135
Höhe 128 cm). Auf einer felsigen Basis steht der mit dem langen Fellgewande
bekleidete Heilige; sein lockenumwalltes und bebartetes Haupt ist leicht auf
die linke Seite geneigt. Der rechte Arm ist segnend erhoben, während die
horizontal gestreckte linke Hand das Attribut, ein Buch mit dem liegenden
Lamm, trägt. Der rechte Fuß ist entlastet vorgesetzt; ein Mantel fallt von
den Schultern über den Rücken herab, sein linker vorderer Teil ist in faltigem
Schwünge über den Unterleib gezogeft und wird mit dem rechten Arm an
der rechten Hüfte festgedrückt.
Ergänzt sind die ganze rechte Hand, der kleine Finger der linken Hand,
einige unwesentliche Stücke in der Gewandung, sowie vom Lamm das Ohr
und die Vorderbeine. Der obere Teil des Kopfes des Johannes ist bei einer
Restaurierung mit Gipsmasse ausgefüllt. Das Holz hat durch Wurmfraß
gelitten.
Die Figur war bemalt, doch wurden in Ansehung des schlechten Zu-
standes vom letzten Besitzer die Farben abgenommen. Spuren sind fast
nicht erhalten.
Die um 1500 gefertigte Figur wird dem nordschwäbischen Kunstkreise
entstammen, sie findet ihre besten Analogien unter den Kunstwerken der
Neckargegenden und insbesondere die holzgeschnitzten Statuen des Hoch-
altars der Stadtkirche zu Besigheim (Abgebildet bei Dr. Ed. Paulus, die
Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Neckarkreis.
Textband 1889, Seite 64, sowie klassischer Skulpturenschatz Nr. 389) weisen
überraschend verwandte Züge auf. Vergleiche femer die Skulpturen des
Altarschreins zu Bönnigheim im Württemberger Neckarkreis (abgebildet bei
Paulus, ebenda Atlas 1889). Mit der Lokalisierung dieser Statue in das nörd-
liche Württemberg erklären sich auch die leichten Anklänge an die unter-
fränkische Kunstart.
Femer wurde die interessante Freifigur eines Palmesels erworben (Pl.-
O, 1875), den die Tafel VII wiedergibt. Sein Material ist Lindenholz, das auf
Kreidegrund mit stellenweiser Leinenunterlage bemalt ist.
Im Kultus der mittelalterlichen und insbesondere in der spätmittelalter-
lichen Kirche spielten die Palmesel eine sehr populäre, und, wie zeitgenössi-
sche Chroniken vermelden, zu mannigfachem Unfug Anlaß gebende Rolle; sie
waren bei der Palmsonntagsprozession das beliebteste Schaustück. Diese Sitte
ist sehr alt; angeblich ist sie in der römischen Kirche von Papst Gregor I.
(um 600) eingeführt, und da bereits Gerardus in seiner Lebensbeschreibung
des heiligen Ulrichs von Augsburg (f 973) ausdrücklich eines solchen Palm-
esels Erwähnung tut, so ist sie für Deutschland schon im 10. Jahrhundert
feststehend. (Wetzer und Weite's Kirchenlexikon IV (1886) 1407. Bergner,
Otte, femer Beck im Diözesenarchiv von Schwaben XXI 1903 Nr. 1, Stückel-
berg im Festbuch zur Eröflfnung des historischen Museums zu Basel 1894
S. 17flf., V. Strele, der Palmesel, in der Zeitschr. des deutschen und öster.
Alpenvereins XXVIII 1897 S. 135 ff. etc.) Tatsächlich sind auch deren noch
heute eine größere Anzahl erhalten, und das Germanische National-Museum
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136
ÜBER EINIGE NEUER WERBUNGEN DER SKULPTÜRENSAMMLUNO D. 6BRM. MUSEUMS.
besitzt, abgesehen von dem hier behandelten Palmesel noch deren vier (Pl.-
O. 152, 153, 154 und 2055; Pl.-O. 154 abgebildet bei Albrecht, Meisterwerke
deutscher Bildschnitzerkunst im Germanischen Nationalmuseum Tafel 24).
Von diesen ist das eine aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stanunende
Exemplar ein Unikum infolge der rein israelitisch aufgefaßten Gesichtszüge
Christi, während ein anderes Exemplar, das aus der Zeit um 1700 stammt
und sich ehemals im oberbayerischen Kloster Altomünster befand, interessant
ist als ein später Nachzügler jener mittelalterlichen Sitte, die allerdings in
vereinzelten katholischen Ländern bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts von
Bestand geblieben ist.
Die große Bedeutung, die der Palmesel im Volksleben inne hatte, erhellt
auch daraus, daß es meist durch alte Sitte festgelegt war, wer ihn in der
Prozession zu ziehen hatte. »In Zürich sollen die Metzger, mit anderen Worten
die stärksten Männer den Esel gezogen haben; in Nordheim hingegen zogen
nur vier Knaben den Esel, während in Meßkirch von sechs der vornehmsten
Ratsherrn, die in Joche gereiht zogen, in Nürnberg ebenfalls von Patriziern
die Rede ist.c (Stückelberg). Weitere derartige Mitteilungen bei von Strele.
Die Darstellung ist die übliche des auf dem Esel reitenden Christus.
Seine Stellung ist eine streng frontale: das mit einer vegetabil ornamen-
tierten goldenen Krone gezierte Haupt mit lang herabwallendem Haupthaar
und kurzem lockigen Bart ist geradeaus gerichtet. Die Rechte ist segnend
erhoben, während die Linke vorwärts gestreckt und gekrümmt ist und wohl
ehemals die Zügel oder einen Palmenzweig, vielleicht auch beides, hielt; denn
die analogen Denkmäler zeigen hierin Willkür. Christus ist in ein langes
violettes Gewand gekleidet; über dieses ist ein roter goldumsäumter, innen
grüner Mantel geworfen, der vorne auf der Brust durch eine kleine goldene
Agraflfe zusammengehalten wird und dessen linker Zipfel quer vor dem Unter-
leib über den rechten Arm geworfen ist und so eflFektvoUe Schrägfalten bildet.
Die Füße sind unbeschuht. Der naturfarben bemalte ungesattelte Esel steht
in Schrittstellung auf einer atischeinend alten Fußplatte; die Räder daran
fehlen, waren auch wahrscheinlich nie vorhanden, so daß dies Exemplar zu
jenen gehört, welche beim Umzug auf einen besonderen Wagen gestellt wurden.
Die Gesamthöhe der Gruppe beträgt 180 cm. Der Oberleib Christi ist
abnehmbar, die unteren Extremitäten sind mit dem Esel zu einem Stück ver-
bunden; die Trennung ist hier also nicht in der üblichen Weise vorgenommen;
denn gewöhnlich ist die ganze Figur Christi abnehmbar.
Die Erhaltung ist eine vorzügliche : lediglich in der Färbung zeigen sich
Defekte. Ergänzungen sind nicht nachweisbar.
Trotz auffalliger Mängel in der plastischen Durchbildung macht das
Stück dennoch einen künstlerischen Eindruck und scheint von einem tüch-
tigen Schnitzer der ausgehenden Gotik herzurühren. Die Farbe und Knapp-
heit der Körperformen steht in gewissem Gegensatz zu dem barockartig
geschwungenen und auf lebhafte Schattenwirkun^ angelegten Gewände, die
Ruhe der Haltung und des Ausdrucks zu der lebhaften Bewegung des StoflFes.
Merkwürdig streng ist das schmale knochige Gesicht aufgefaßt, das fast
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VON DR W. JOSEPHI.
137
nur gerade Linien aufweist: weder finden sich feinere Modellierungen der
zarteren Übergangspartien, noch überhaupt Details. Ebenso einfach sind der
überschlanke Hals und Hände und Füße behandelt. Dagegen hat der Meister,
vielleicht mit Rücksicht auf den Zweck, die Vorführung unter freiem Himmel,
ein Hauptgewicht auf eine kontrastreiche Anordnung der Gewandfalten und
ihre plastische Durchbildung gelegt, wodurch er eine erhebliche Schatten-
wirkung erzielte. Sehr fein ist auch die originell erfundene Krone.
Trotz der großen Eigenart, die sich in diesem Schnitzwerk ausspricht, ist
es mir nicht geglückt, unter den publizierten deutschen Skulpturen Vergleichs-
stücke zu finden, die eine örtliche Fixierung ermöglichten. Zwar soll sich
nach Angabe des Vorbesitzers der Palmesel ehemals im württembergischen
Kloster Blaubeuren befunden haben, allein die Nachricht scheint mir ziemlich
willkürlich. Jedenfalls hat die Arbeit, die etwa im ersten Jahrzehnt des
16. Jahrhunderts entstanden sein mag, nicht, gemein mit den reichen und im
Kunstcharakter einheitlichen Schnitzwerken Blaubeurens, wie sie überhaupt
nicht aus der Ulmer Schnitzschule und sicher nicht aus Syrlins Werkstatt
hervorgegangen ist. Im weiteren Sinne mutet das Werk allerdings schwäbisch
an, wie ja überhaupt Schwaben und die Schweiz die Hauptstätten solcher
Palmesel gewesen zu sein scheinen.
Von Neuerwerbungen aus dem Gebiete der Kleinplastik ist ein Hoch-
relief zu nennen, das, wenngleich dem vorgeschrittenen 16. Jahrhundert ent-
stammend, dennoch gemäß der Anlage und Auffassung wie auch im Hinblick
auf die Ausführung der Einzelheiten den mittelalterlichen Kunstwerken zu-
gerechnet werden muß. Das kleine Hochrelief (Pl.-O. 360. Abb. 6) ist aus
Buchsbaumholz geschnitzt; es ist 16 cm breit und in seinem derzeitigen Zu-
stande 14,2 ein hoch. Dargestellt ist die Kreuzigung Christi; allerdings ist
das vorliegende Exemplar defekt und völlig falsch ergänzt, so daß der Ein-
druck getrübt worden ist. Über der figurenreichen Komposition erhoben sich
ehemals in der Mitte Christus als Kruzifixus und ganz zur Seite — die ein-
genuteten Stümpfe sind an der Rückseite sichtbar — die Kreuze der beiden
Schacher. Eine ungeschickte Ergänzung hat nun aber an die Stelle des
mittleren ein unverhältnismäßig kleines Kreuz ohne den Gekreuzigten gesetzt.
Von diesen Mängeln abgesehen, ist das Kunstwerk gut erhalten und weitere
Ergänzungen, vielleicht abgesehen von dem Haupte der das Kreuz umklam-
mernden weiblichen Gestalt, scheinen nicht vorgenommen zu sein.
Das Kaiser Friedrich-Museum in Berlin besitzt von der Hand desselben
Meisters eine besser erhaltene und in der Ausführung feinere Variante dieses
Reliefs, vermittelst derer sich die ursprüngliche Darstellung gut rekonstruieren
läßt. Darnach gehört in die Mitte ein stark überhöhtes, rein frontal gestelltes
Kreuz mit dem nackten, nur mit dem Lendenschurz bekleideten Christus,
dessen domengekröntes Haupt leicht auf die linke Seite geneigt ist. Zu
äußerst auf beiden Seiten befinden sich die rein seitlich gestellten Kreuze
mit den ebenfalls im Profil wiedergegebenen, in originelles Zeitkostüm ge-
Uitteilangen aus dorn german. NationaJoiuseum. 1906. 18
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138 ÜBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULPTUREN SAMMLUNG D.GERM. MUSEUMS.
kleideten lebhaft bewegten Gestalten der Schacher. Die geraden Linien ihrer
Kreuzesstämme bilden gleichsam einen Rahmen um die ganze Darstellung.
Andrerseits sind aber doch auch wieder die Unterschiede zwischen dem
Nürnberger und dem Berliner Relief sehr erhebliche, und insbesondere verleiht
die verändert komponierte Gruppe der Frauen den Arbeiten einen anderen
Gesamteindruck.
Der Meister beider Repliken ist zweifellos der gleiche, wie die stilistische
Gleichheit — ich weise vornehmlich auf die in ihrer Manieriertheit sehr auf-
fallige Behandlung der Mäntel des Johannes und der Frauen, ebenso der
Körperformen des behelmten Kriegers ganz rechts hin — zwingend beweist;
Abb. 6. Kreuzigung Christi. Relief von H. Leinberger in Landshut. CJm 1515.
Pl.-O. 360. Höhe 142,2 cm, Breite 16 cm.
jedoch ist das Berliner Relief das reifere und weit feinere, und muß als die
jüngere, fortgeschrittnere Arbeit angesprochen werden. Darauf deuten nament-
lich die einzelnen veränderten Züge in der Gesamtkomposition. Im Gegen-
satz zum Berliner Relief macht die Nürnberger Gruppe einen weniger kon-
zentrierten Eindruck: die Komposition fällt auseinander. Im Berliner Relief
ist vornehmlich die Frauengruppe geklärter und künstlerisch geschlossener:
die hülfeleistenden Frauen sind einander gegenübergestellt, der Körper der
Maria verkürzt sich in den Hintergrund und entbehrt jener fast komischen
Gewaltsamkeit der Bewegung. Durch diese Umordnung wird die beim Nürn-
berger Relief als Füllfigur im Hintergrunde knieende weibliche Gestalt zu
einer die Mitte der Basis betonenden dominierenden Gewandfigur. Die von
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VON DR. W. JOSEPHI.
139
dieser Basis aus aufsteigende Mittellinie setzt sich nach dem Kruzifixus
hin vermittelst der in das Zentrum der Komposition gestellten Profilgestalt
des Mannes mit der Kapuze fort, der auf dem Nürnberger Relief auf die
rechte Seite gerückt ist. Im Gegensatz dazu ist die auf dem Nürnberger
Relief den Kreuzestamm umklammernde Magdalena — bei beiden Reliefs
die unkünstlerischste Figur der Gruppe — in der Berliner Arbeit etwas auf
die linke Seite gerückt und streckt, den Blick nach oben gerichtet, voll tiefen
Schmerzes ihre Arme zum Gekreuzigten empor.
Mit diesen kompositionellen Vorzügen des Berliner Reliefs geht neben
künstlerischerer Ausführung auch eine Bereicherung durch Einzelheiten Hand
in Hand. Vornehmlich ist das Kostüm der Krieger reicher und, wenn man
so sagen darf, antiker geworden, daneben ist in der Gestalt des ganz zur
Linken stehenden Lanzknechts der modernen Schlitztracht in treuster Wieder-
gabe Rechnung getragen.
Die meisten dieser Veränderungen, zumal diejenigen in der Komposition,
sind allein aus künstlerischen Gründen hervorgegangen und lassen zwingend
das Berliner Relief als die jüngere, verbesserte und reifere Arbeit erscheinen.
Es gibt noch eine dritte Variante dieses Reliefs, ein Flachbild auf der
Platte, das sich im Münchener Nationalmuseum befindet und das die Signatur
H. L. sowie die Jahreszahl (15)16 enthält (abgeb. im Münchener Jahrbuch
der bild. Kunst I. 1906). Dr. Georg Habichs Forschungen ist es gelungen,
diesen Meister H. L. als den Landshuter Bildhauer und Schnitzer Hans Lein-
berger zu identifizieren. Eine Abhandlung im oben genannten Münchener
Jahrbuch ist diesem bisher unbekannten Meister gewidmet, dessen künst-
lerische Bedeutung und kunsthistorische Stellung eingehend gewürdigt
wird. Die urkundliche Auffindung des Meisternamens wurde ermöglicht durch
das mit der gleichen Signatur versehene und 1524 datierte Relief der Krö-
nung Maria an der Martinskirche zu Landshut in Niederbayern (abgebildet
Münchener Jahrbuch Abb. 1., sowie Formenschatz 1896 N. 162). Habich
erwähnt kurz das Nürnberger und das Berliner Relief und gliedert beide
Werke der gleichen Stilrichtung an, welcher Leinberger angehört. Ich halte
dagegen die beiden Werke für Arbeiten Leinbergers selbst; denn einerseits
berechtigt die übereinstimmende Eigenart des sehr viele persönliche Momente
aufweisenden Stils in den gegenständlich gleichen Darstellungen Münchens,
Nürnbergs und Berlins zu diesem Schluß, andrerseits sind aber die Umbildungen
in diesen 3 Reliefs so logische, daß sie auf einen und denselben künstlerisch
mehr und mehr fortschreitenden Meister hinweisen. Kompositionen stehen
sich das Nürnberger und das Münchener Relief am nächsten; auch die Falten-
stilisierung weicht wenig von einander ab, wenn auch infolge der Verschie-
denheit der Anlage bei dem Münchener Flachbild die Wiedergabe eine mehr
flächige gegenüber dem Nürnberger Hochrelief geworden ist. Die den all-
gemeinen Eindruck bestimmende Komposition der Frauengruppe ist bei beiden
Reliefs die gleiche, doch fehlt auf dem Nürnberger Relief der kleine Stecken-
reiter, der dann schließlich in dem in jeder Beziehung vornehmeren und ge-
klärteren Berliner Relief als ein antik gekleideter schildtragender Putto cr-
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HO OBER EINIGE NEUERWERBUNGEN DER SKULPTURENSAMMLUNG D.GERM. MUSEUMS.
scheint. Durch diese Sachlage ist denn auch eine ziemlich genaue zeitliche
Fixierung des Nürnberger Reliefs gegeben; es wird wahrscheinlich kurz vor
dem Münchener Relief von 1516 entstanden sein. Eine Gegenprobe erfährt
diese Datierung dadurch, daß das Nürnberger Relief eine überraschende stili-
stische Ähnlichkeit mit der von Habich dem Leinberger zugeschriebenen und
von Bode um 1515 datierten Moosburger Bronzemadonna des Berliner Kaiser
Friedrich-Museums (Abb. bei Habich im Münchener Jahrbuch I 1906 Abb. 12)
sowie mit dem von Habich in die gleiche Zeit gesetzten signierten Buchs-
baumrelief der Beweinung Christi im Berliner Kaiser Friedrich -Museum
(Ebenda Abb. 4) zeigt, während das ebenfalls signierte und 1524 signierte
Landshuter Relief der Krönung Maria, die Grundlage der ganzen Leinberger-
forschung, einen weit vorgeschrittneren und nicht allein durch das Stein-
material bedingten klareren Faltenstil aufweist.
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BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI
IN NÜRNBERG.
VON
DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ.
Vorbemerkungen.
Wer heute über die Plätze und durch die Straßen, Gassen und Gäßchen
der Nürnberger Altstadt wandert, der wird gewiß seine Freude haben
an der gediegenen Art der bürgerlichen Baukunst, an dem unerschöpflichen
Reichtum der Einzelmotive und an dem trotz der stark variierenden Detail-
gestaltungen in kraftvoller Zusammenfassung offen in die Erscheinung treten-
den malerischen Totaleindruck. Eines aber wird und muß ihm bald, wenigstens
in gewisser Beziehung, störend vorkommen. Die große Schlichtheit im Aufbau
und das weise Maßhalten in den Mitteln der belebenden Auszierung stimmen
ernst. Man kommt von selbst dazu, hier etwas zu vermissen, und zwar ein das
Ganze mit frischem Leben erfüllendes Mittelglied: Die Farbe. Aber wie
es heute ist, so war es nicht früher. Im Wandel der Zeiten ist hier durch
die zersetzenden Einflüsse eines ungünstigen Klimas und durch teilweise
spätere Verständnislosigkeit alles das nach und nach zu nichte gemacht
worden, was uns ein leuchtendes Bild von einer besonderen Phase des Kunst-
■ sinns und des Geschmacks unserer Altvordern gegeben hätte. Die Vorliebe
für nivellierende äußere Glätte hat ein Übriges getan, um die schließlich
noch vorhandenen wenigen Spuren ganz und gar hinweg zu tilgen. So sind
wir heute zur Beurteilung der Außenmalerei im alten Nürnberg lediglich an-
gewiesen auf ältere Darstellungen und archivalische Nachrichten, zwei Quellen,
welche es nur sehr schwer ermöglichen, eine klare Vorstellung über das in
Frage kommende Gebiet zu schaffen. Die Darstellungen sind, abgesehen
von einigen Entwürfen und einigen mit mehr Liebe und Sorgfalt als ge-
wöhnlich durchgeführten Kupferstich-Prospekten, meist von sekundärer Be-
deutung. Sie stammen aus späterer Zeit, sind im Empfinden der sie re-
produzierenden Epoche gehalten, geben nur ein ungenügendes Abbild, und
oft nicht einmal das, sondern nur Andeutungen gänzlich aphoristischer Natur.
Und was die archivalischen Nachrichten betriff't, so bieten sie nur wenig Hand-
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142 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AÜSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
haben, um dieses Abbild zu klären. In den meisten Fällen haben wir es
nur mit kurzen Angaben zu tun, die mehr historischer und kulturgeschicht-
licher Natur, als direkt belangvoll für unsere Zwecke sind. Wenn dennoch
der Versuch gemacht wurde, dieses unzulängliche Material in chronologischer
Aufeinanderfolge zusammen zu arbeiten, so ist es geschehen, weil nur auf
diese Weise ein ungefähres Urteil über die verschiedenen Blüteperioden, die
Art und die Darstellungsgebiete der Nürnberger Außenmalerei ermöglicht
werden kann. Als etwas endgültig Abgeschlossenes jedoch können und wollen
diese Darlegungen nicht gelten; sie beschränken sich zudem auf das aus den
Sammlungen des Germanischen Museums und aus der städtischen Kupferstich-
sammlung sowie der Noricasammlung in der Stadtbibliothek gewonnene Material
und die in der einschlägigen gedruckten Literatur enthaltenen Nachrichten.
Professor von Thiersch hat in seinem Vortrag über die Augsburger
Fagaden-Malereien auf der vom 1. — 3. September 1902 in Augsburg statt-
gefundenen 15. Wanderversammlung des Verbandes deutscher Architekten-
und Ingenieur- Vereine als ersten der drei Umstände, welche der Wiederauf-
nahme der Fagadenmalerei im Wege stehen, den aufgeführt, daß wir heute
zu verzärtelt wären und keine ausgesprochene Farbe mehr vertragen könnten.
Wenngleich sich nach dieser Richtung in den letzten Jahren ein Umschwung
vollzogen hat, so ist doch diese Feststellung im Großen und Ganzen auch
heute noch richtig. Tatsächlich war in älteren Zeiten der Sinn für farbige
Behandlung und lebhafte Kontraste in weit höherem Grade ausgeprägt als
heute. Ich will hier nicht auf die romanische und gotische Zeit zurück-
greifen. Ihre weitgehende Vorliebe für polychrome Ausgestaltung ist zur
Genüge bekannt. Aber auch in den folgenden Jahrhunderten war die Neigung
zu lebhaften, frisch-kräftigen Tönen eine große. Überhaupt muß das alte
Nürnberg in früheren Zeiten einen viel lebendigeren Eindruck hervorgerufen
haben. Zunächst hat man, was ja allerdings zum Teil noch in die Zeit der
Gotik, wenn auch in diejenige der spätesten Spätgotik zurückreicht, an die
in sattem Rot freiliegenden Fachwerke der Nürnberger Wohn- und Klein-
bürger-Häuser zu denken. Heute sind dieselben zumeist unter jahrelanger,
dickkrustiger Tünche vorborgen. Der bei weitem größte Teil der kleineren
Häuser war aber in älteren Zeiten in Fach werk erbaut. Welch ein im Ganzen
freudig stimmendes Farbenbild durch die rot gestrichenen Hölzer der Fach-
werkbauten mit ihren gelblich-weiß schimmernden Gefachen hervorgerufen
worden sein mag, dafür bietet das hübsche Grolandsche Haus am Paniersplatz
V. J. 1489, das erst jüngst seitens des städtischen Bauamtes freigelegt wurde,
ein BeispieP). Es muß anerkannt werden, daß nach dieser Richtung hin in
neuerer Zeit ein erfreulicher Wandel eingetreten ist. Eine ganze Reihe alter
Fachwerkhäuser schimmert heute in erneuertem alten Gewände. Oft waren
auch die Fensterläden mit bildmäßigem oder dekorativem Schmuck versehen.
Ich führe hier z. B. an, was Andreas Gulden in seiner Fortsetzung von Johann
1) Vgl. Die Denkmalpflege 1903, Seite 71—72, und Schulz, Alt-Nürnbergs Profan-
architektur, S. 16 und Tafelabb. 43.
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VON DR. FRITZ TRAUöüTT SCHULZ.
143
Neudörfers Nachrichten von Künstlern und Werkleuten*) von dem Hafner
Andreas Leupold (f 1676) sagt: »giebt auch einen feinen Zeichner und Maler,
wie er dann die Fensterladen auswendig an seiner Werkstatt, an seinem haus
am Milchmarkt mit allerlei hafnereigeschirren von oelfarb manierlich und ver-
ständig selber gemahlet, also daß er neben seinem handwerk auch billig für
einen künstler zu halten istc. Die Läden der Erdgeschoßfenster an der
Kugelapotheke waren, wie der Delsenbachsche Prospekt »bey der Haupt-
u. Pfarr-Kirche St: Sebaldc erkennen läßt, ehedem mit stehenden Einzel-
figuren bemalt. Allerhand kleine Darstellungen weisen die Läden eines Hauses
gegenüber der ehemaligen Salvatorkirche auf dem Delsenbachschen Prospekt
des Kommarktes v. J. 1715 auf. Überhaupt waren der belebenden Elemente
am Nürnberger Hause früher weit mehr wie heute. Ja, man kann sagen, daß
hier im drängenden Verkehrsgetriebe und bei veränderten Anschauungen
späterer Zeiten das reizvolle Alte so gut wie ganz verschwunden ist. Das
Anbringen von Sonnenuhren war nichts ungewöhnliches. Vielfach findet njan
auf älteren Straßenansichten unten an den Häusern von Kästen eingehüllte
Bäume, die eine für das Auge sehr wohltuende Unterbrechung hervorgerufen
haben müssen. Vor den Fenstern waren in ausgedehntem Maße auf Streben
vorkragende Bretter angebracht, auf denen Blumen standen. Auch auf die
Fensterbänke stellte man solche. Neben den großen Chörlein sehen wir zahl-
reiche vorspringende Fensterkästen, welche es gestatteten, die Straße draußen
beiderseits geschützt zu überschauen. Ein vortrefiliches Beispiel hierfür bietet
der Prospekt des Neuen Baues nach dem Haller Türlein, gestochen von Joh.
Ulrich Kraus, nach der Natur gezeichnet und herausgegeben i. J. 1693 von Joh.
Andreas GrafT (Abb. 1). Groß muß ehedem auch die Zahl der an den Häusern
angebrachten Abzeichen gewesen sein. Da die Numerierung der Häuser
erst i. J. 1796 stattfand, mußten bis dahin die Abzeichen vielfach als ein
Hülfsmittel zur Kennzeichnung der Häuser und namentlich der Lage ihrer
Nachbarhäuser dienen. Hiervon hat sich allerdings manches bis auf den
heutigen Tag erhalten. Im Folgenden können wir natürlich auf diesen, vor-
mals charakteristischen Schmuck des Nürnberger Wohnhauses nicht näher
eingehen. Wir können nur Proben davon geben, wie wir selbstverständlich
auch absehen müssen von der nur für den augenblicklichen Zweck geschaffenen
Ausschmückung der Fagaden anläßlich festlicher Ereignisse. Es genügt hier
hinzuweisen auf den Stich von G. D. Heumann mit der illuminierten Fagade
der Schau i. J. 1725 zu Ehren der Erzherzogin Maria Elisabeth und auf
das große Blatt mit der Wiedergabe des festlich geschmückten Deutsch-
Ordens-Commenth-Hauses zur Feier des Einzugs des kaiserlichen Kommis-
sarius Grafen von Sazenhofen zur Huldigung am 8. Februar 1746 von J. M.
Seeligmann. Wenn die schlanke Spitze des vormaligen viereckigen Frauen-
torturms mit buntglasierten Ziegeln gemustert war, so spricht sich auch
hierin die Vorliebe für bunte Farben, für lebhafte Kontraste aus.
Es dürfte wohl nicht vollkommen zutreffen, wenn man meint, daß in der
Nürnberger Außenmalerei ein hervorstechendes Charakteristikum das sei, daß die
2) Ausgabe von Lochner, Seite 218.
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BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AÜSSENMALEKEI IN NÜRNBERG. 145
Farbe der Form gegenüber zurücktrete. Noch viel weniger ist die Behauptung
haltbar, daß dies mit der ausschließlichen Verwendung des Hausteins als
Baustoffes zusammenhänge. Es gibt in Nürnberg hinreichend große Gebäude,
die in Fachwerk errichtet sind. Die kleineren Häuser sind es in der Mehr-
zahl. Nun aber sind sowohl massive Sandsteinhäuser als auch größere und
kleinere Fachwerkbauten mit Außenmalereien dekoriert worden. Der Baustoff
spielte hier keine maßgebende Rolle. Große Flächen standen in den wenigsten
Fällen zur Anbringung von Darstellungen zu Gebote. So mußte man sehen,
wie man sich nach Tunlichkeit auf den vorhandenen Flächen einrichtete.
Man schmückte sie aus, weil jeder wollte, daß sein Haus besonders in die
Augen fiel. Man wollte seiner Wohlhabenheit und seinem Kunstsinn nach
außen einen glänzenden Ausdruck geben. Man fragte nichts nach Form.
Das Entscheidende war, zu erreichen, daß das Haus sich von den anderen
abhob. Man scheute hier keine Kosten, und so konnte es schließlich sogar
dahin kommen, daß man in öffentlich Anstoß erregender Weise übertrieb.
Dies ist auf das deutlichste aus einem von Archivrat Dr. Mummenhoff im
10. Heft der Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg
S. 273 angezogenen Ratsverlaß vom 22. August 1695 ersichtlich. Ich wieder-
hole denselben an dieser Stelle, weil ihm in diesem Zusammenhang eine be-
sondere Bedeutung beizumessen ist. Er lautet: »Nachdem unter andern
dieses vorkommen, daß verschiedene Burger ihre Häuser von außen mit Auf-
wendung vieler Kosten sehr prächtig mahlen und renovieren ließen, welches
denen Fremden sehr in die Augen falle und zu vielen gehässigen und
wiedrigen Vorbildungen Anlaß gebe, als ist der Herr Baumeister ersucht, die
Mahler und Tüncher dahin zu bewegen und ihnen zuzusprechen, daß sie die
Leute von solchen unnöthigen Kosten und Übermahlung der Häuser, so durch
unanständige Witterung bald verderbet werden können, abmahnen und hin-
gegen dahin disponiren, daß sie es allein bei Einfassung der Fensterstöck
bewenden lassen mögen.c Einen Zwang amtlicherseits konnte man nicht auf
die Hausbesitzer ausüben. Es stand also jedwedem frei, sein Haus nach seinem
Geschmack dekorieren zu lassen. Der Baumeister sollte nur versuchen, auf
die ausführenden Kräfte, die Maler und Tüncher, einen leisen Druck auszu-
üben. Doch da wird er schwerlich Erfolg gehabt haben; eine Beeinträchtigung
ihres Gewerbes werden dieselben kaum der Obrigkeit zu Liebe auf sich ge-
nommen haben. Und tatsächlich finden wir auch noch in späterer Zeit hin-
reichend figurale Kompositionen größeren Stils. Im System dürfte sich somit
die Nürnberger Außenmalerei wenig von der Fagadenmalerei (wenigstens der
älteren Zeit) in Augsburg^) unterscheiden. Auch der Nürnberger Künstler
bringt nicht die malerische Dekoration bewußt mit der Architektur in Ein-
klang. Er faßt seine Aufgabe lediglich vom malerischen Standpunkt aus auf.
Eine harmonische Zusammenwirkung von Architektur und Malerei wird nicht
als Endziel angestrebt. Doch das eine darf man sagen: der Nürnberger
3) Siehe über diese Adolf Buff in der Zeitschrift f. bild. Kunst XXI, 58 ff., 104 ff.
u. XXn, 173 ff., 275 ff. sowie auch Prof. Friedr. von Thicrsch, die Augsburger Fassaden-
malereien, Süddeutsche Bauzeitung 1902, Nr. 43, 44, 45 und 46.
MittoiloDirMi aat dem ^mutn. NationalmuteoiiL 1906. 19
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146 BBITRÄGB ZUR ÜESCHICHI'E DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
Künstler übertrifft den Augsburger insofern, als er ein wenig mehr Maß übt
und die ihm durch die Architektur gezogenen Grenzen mehr respektiert.
Dem Beschauer geht das Gefühl für das Konstruktive des Baues wenigstens
nicht ganz verloren. Nach dieser Richtung hat sich ja auch in Augsburg in
der späteren Zeit ein Umschwung zur Besserung vollzogen.
Das XIV. Jahrhundert.
Wenn es nicht möglich ist, über die Nürnberger Außenmalerei der
ältesten Zeit — ich meine das XIV. und XV. Jahrhundert — etwas Posi-
tives zu sagen, so liegt dies an der Unzulänglichkeit und Unzuverlässigkeit
der Quellen. Die früheste bestimmte Kunde davon, daß in Augsburg die
Außenseiten von Bauwerken mit Malereien geziert wurden, stammt aus dem
Jahre 1362. Damals schmückte der Maler Hermann das Gögginger- und heil.
Kreuzertor mit Bildern.*) Auch die älteste Nachricht über die Außenmalerei
in Nürnberg bezieht sich auf die Auszierung der Stadttore. »1388 ließ der
Rat die Stadttürme frisch tünchen und malen.« *^) Allerdings ist die Deutung
dieser Notiz in Bezug auf das hier in Frage kommende Gebiet nicht ganz
unanfechtbar; denn »malen« kann auch gemeinhin »mit Farbe anstreichen«
bedeuten, ohne daß damit zugleich gesagt wäre, daß es sich um eine bunte
Auszierung handelt. Überhaupt brauchen wir bei der von Baader gebrachten
Notiz nicht gleich an eine figurale Ausschmückung der ganzen Türme zu
denken. Der Zusatz »frisch tünchen« verbietet dies auch schon an sich.
Aber nicht unberechtigt sind wir, die Anbringung einer oder mehrerer kleinerer
Darstellungen anzunehmen, wird doch zum Jahre 1500, wie wir nachher sehen
werden, von einer Erneuerung des Gemäldes unter dem weißen Turm ge-
sprochen.
In den Jahren 1385 — 1396 erhielt Nürnberg eines seiner berühmtesten
Wahrzeichen — nach Hans Rosenplüt war es der Stadt fünftes Kleinod — näm-
lich den Schönen Brunnen in der Nordwestecke des Hauptmarktes. Gehört
derselbe auch, streng genommen, nicht in diese Darlegungen hinein, so dürfen
doch die an seiner Polychromierung wirksamen Meister hier nicht ganz über-
gangen werden, sind sie doch, wenn auch in ganz allgemeinem Sinn, mit als
Außenmaler anzusehen. Es existiert eine gleichzeitige, allerdings recht sum-
marisch behandelte Baurechnung, aus der wir entnehmen, daß Meister Rudolf,
der Maler, die Vergoldung und das Bemalen des, wie ich bereits an anderer
Stelle betont habe, sicherlich auf Polychromie berechneten zierlichen Kunst-
baues besorgte. Neben ihm war Cunz Klügel, Maler, mit Malen und Ver-
golden beschäftigt.®)
4) Siehe darüber Adolf Buff a. a. O. XXI, ßeite 58, und Centralblatt der Bauver-
waltung 1902, Seite 442.
5) Jos. Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, 2. Reihe, Nördlingen 1862,
Seite 2.
6) Jos. Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, 2. Reihe, Nördlingen 1862,
Seite 11 — 12; Schulz, der Schöne Brunnen zu Nürnberg, Süddeutsche Bauzeitung 1904,
Nr. 4.
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VON DB. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ. 147
Kurz gestreift sei an dieser Stelle auch eine auf das Rathaus bezügliche
Nachricht, welche in der Zweitältesten der uns erhaltenen Stadtrechnungen,
nämlich in derjenigen vom J. 1378, enthalten ist. Es heißt dort zum 17. März
des genannten Jahres: »Item dedimus ^2. SB. hlr., daz man daz hawse [d. h.
das Rathaus] schön macht und die pilde wischet und sawbert.«^) Leider
aber ist diese Notiz viel zu aphoristisch abgefaßt, um weitere Schlüsse darauf
aufzubauen.
Garnichts anzufangen ist mit einem ehemals am Aeußeren des Lorenzer
Pfarrhofes angebracht gewesenen, von Heideloff in das Innere desselben ver-
setzten Frescobild, als dessen Entstehungszeit Heideloff das Jahr 1358 genannt
hat. ®) Eis befindet sich heute in einer flachbogigen Nische seitwärts der Treppe
im Erdgeschoß. Dargestellt ist vor einem Vorhang sitzend St. Lorenz mit
großem Rost. Zu seinen Seiten stehen vor Fenstern mit Ausblicken auf bergige
Landschaften, die durch kleine Gebäude belebt sind, die Heiligen Stephan
und Vincenz. Das Gemälde ist durch spätere Übermalungen in Öl derart
verdorben, daß sein ursprünglicher Charakter vollkommen verwischt ist. Doch
dürfte es eher in der 1. Hälfte des XVI. Jahrhunderts als im Jahre 1358 ent-
standen sein. Als heute völlig belanglos müssen wir es aus dem Zusammen-
hang unserer Untersuchung ausschalten.
Diese wenigen Nachrichten dienen nicht dazu, die Möglichkeit des Ge-
winnens einer Vorstellung von der Art und dem Charakter der Nürnberger
Außenmalerei im XIV. Jahrhundert herbeizuführen. Sie haben nur Wert als
registrierende Notizen von rein kulturgeschichtlicher Bedeutung. Ob Privat-
häuser bemalt worden sind, davon verlautet nichts. Fast möchte man glauben,
daß die Außendekoration in diesem Jahrhundert noch keine maßgebende
Rolle gespielt hat.
Das XV. Jahrhundert.
Das änderte sich gleich mit dem Beginn des XV. Jahrhunderts, wo wir
alsbald von einer Außenbemalung aller Wahrscheinlichkeit nach größeren Um-
fangs hören. In Endres Tuchers Memorial, welches die Zeit von 1421 — 1440,
und zwar vornehmlich die täglichen Ereignisse und diq inneren Angelegen-
heiten der Stadt behandelt, finden wit zum Jahre 1423 folgende wichtige
Notiz: »Item do man zalt 1423 jar zwischen ostem und pfingsten do molet
man das rothaus hinten und vom.«*) Diese etwas allzukurze Angabe findet
eine für den vorliegenden Zweck außerordentlich gewichtige Ergänzung aus
den Stadtrechnungen zum August dieses Jahres. Es heißt dort: »It. dedim.
150 guld. new meister Berchtolten moler von dem rothaws czu malen
auszen binden, vornen, neben und unter dem rothawse von czwein Stuben,
7) Die Chroniken der deutschen Städte III, Seite 155, Anm. 1; Mummenhoff, das
Rathaus in Nürnberg, Nbg. 1891, Seite 38; H. Thode. die Malerschule von Nürnberg im
14. u. 15. Jahrh., Frankfurt a. M. 1891, Seite 9.
8) R. V. Rettberg, Kunstblatt 1849, Seite 13; und H. Thode, die Malerschule von
Nürnberg im 14. u. 15. Jahrh., Frankfurt a. M. 1891, Seite 314.
9) Die Chroniken der deutschen Städte II, Seite 11 ; vgl. hierzu u. zu dem folgenden
auch H. Thode, die Malerschule von Nürnberg im 14. u. 15. Jahrh., Seite 39—40.
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148 BEITRÄGE ZOR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
und vom rothawse ynnen von dem gemeide czu bessern, daz man im gab
für sein malen und arbeit, die er daran getan het, über alle andre arbeit,
die der paumeister auch daran getan het unum pro 1. .%. 1 sz und 8 hllr. Summa
in hallensibus 100 und 62^2 SE. hllr. r(ecepit) per se.c Und kurz darauf
findet sich folgender Vermerk : »It. ded. 4 guld. new des meister Berchtolds
maier sünen und knechten czu trinkgelt, unum pro 1 IB. 1 sz 8 hllr. Summa
in hallensibus 4 %. 6 sz und 8 hllr. ^®) Es unterliegt gar keinem Zweifel,
daß in den vorstehenden Nachrichten von einer Außenbemalung des Rat-
hauses die Rede ist. Die nähere Bezeichnung »do molet man das rothaus
hinten und vorne und »von dem rothaws czu malen auszen binden, vomen«
könnte darauf schließen lassen , daß nur die Giebelfronten dekoriert worden
seien. Die nicht geringe Kostensumme, welche sich allerdings auch auf
die Ausmalung zweier Stuben (das »neben« auf eine Bemalung der Süd-
seite zu deuten, halte ich für zu gewagt) und auf die Ausbesserung
der Malereien im großen Rathaussaal bezieht, der Umstand, daß der aus-
führende Künstler der bedeutendste unter den damals in Nürnberg an-
säßigen Meistern war, und daß er sich bei der Ausführung der Beihülfe
seiner Söhne und Gesellen bediente, lassen gewiß den Schluß zu, daß die
Giebeldekorationen solche von mehr monumentaler, sicherlich aber solche
von ausgedehnterer Art gewesen sein müssen. Des Meisters kraftvolle,
markige Behandlungsweise, sein Streben, in großzügigen, imposanten Einzel-
figuren nach einem Ausdruck seiner Ideen zu suchen, sein Sinn für das
Große und Würdevolle, für einen idealen Stil, für das Feierliche, sprechen
schon allein für die Berechtigung unserer Annahme. Man denke z. B. an
das hervorragendste unter seinen Werken, an den Imhofschcn Altar in der
Lorenzkirche. Man könnte in einigen Zweifel geraten, ob der hier genannte
»meister Berchtold maier« wirklich identisch ist mit dem berühmten Meister
des Imhofschen Altares. Schon Thode hat sich mit dieser Frage beschäftigt. **)
Er stellt fest, daß in den Archivalien ein »Meister Berthold, Bildschnitzer
und Maler« schon 1363, dann 1378 erwähnt wird, daß 1396 ein »Berthold,
Moler« vorkommt, daß 1406 ein Maler Berthold die Schildlein und Wappen
an den Armbrüsten und Tartschen im Rathaus malt, daß weiter 1413 ein
»Meister Berchtold Moler« und 1427 — 1430 ein »Berchtolt Moler« aufgeführt
wird. Es ist nicht recht möglich, daß es sich in den von Thode bei-
gebrachten Aufzählungen um ein und denselben Künstler handeln sollte.
Dieser müßte alsdann etwa 67 Jahre lang tätig gewesen sein und in seiner
Entwicklung die ganze Wandlung aus der älteren in die neuere Kunst-
richtung durchgemacht haben. Das ist aber doch wohl so gut wie ausge-
schlossen. Thode unterscheidet darum einen älteren und einen jüngeren
Berthold. Letzterer wäre der 1406, 1413 und 1427—1430 erwähnte. Un-
bestimmt läßt er — und das ist ja auch kaum mit Gewißheit zu sagen — ,
wer von beiden der 1396 aufgeführte ist. In die Zeitspanne nun, welche
von Thode für den jüngeren Berthold, den Berthold des Imhofaltares, als
10) Die Chroniken der deutschen Städte II, Seite 11, Anm. 6.
11) a. a. O. Seite 40.
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VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
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Dauer seiner Wirksamkeit gewonnen ist, paßt die Ausführung der Rathaus-
malereien im Jahre 1423 nun insofern ganz vortrefflich hinein, als sie in eine
Epoche fällt, in welcher der Künstler auf dem Höhepunkt seines Schaffens
stand. Er hatte soeben mit dem Imhofschen Altar eine glänzende, ja die
glänzendste Probe seines Könnens und seiner Fertigkeit abgelegt. Nur
einem solch begabten und in dieser Weise erprobten Meister konnte man
die schwierige Aufgabe der Außenbemalung des wichtigsten Profanbaues der
Stadt, in dem sich das ganze öffentliche Leben konzentrierte, den man zu-
gleich als den schönsten und eindrucksvollsten Bau dastehen haben wollte,
übertragen. Es war darum »eine große und ehrende Aufgabe, ja vielleicht
die ehrenvollste, die ein Maler der Stadt Nürnberg erhalten konntec (Thode).
Ist Meister Berthold durch die von ihm erhaltenen Arbeiten als der hervor-
ragendste unter den Nürnberger Malern der ersten Jahrzehnte des 15. Jahr-
hunderts erwiesen, so ist die Thodesche Vermutung, daß er es auch ge-
wesen, der die Malereien am und im Rathaus ausgeführt, mehr als eine bloße
Wahrscheinlichkeit, sie ist fast eine nicht hinwegzuleugnende Bestimmtheit.
Keiner hat solch gewaltige Werke hervorgebracht wie er. Seine charakter-
volle Art, seine tiefgegründete Empfindung für Größe und erhabene Würde,
seine Neigung für das Dauernde, Ewige und Unvergängliche, seine kühne
Gestaltungskraft wirken bestimmend auf die Nürnberger Kunst der ersten
Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts. »Keinem Maler neben ihm darf man irgend
welche hervorragende Stellung einräumen« (Thode S. 38).
Aber was waren es nun für Malereien, mit denen Meister Berthold das
Nürnberger Rathaus schmückte? Was für Stoffe behandelten sie, und welcher
Art waren sie ? Auf alle diese Fragen erhalten wir aus den nur die geschehene
Tatsache und die erwachsenen Kosten feststellenden, knapp abgefaßten Nach-
richten keine Antwort. Nicht einmal Andeutungen, welche unsere Phantasie
wenigstens in etwa anzuregen im Stande wären, werden uns gegeben. Waren
es etwa Gemälde religiösen Charakters.?^ Fast möchte das kirchliche Stoffjgebiet
am ehesten der Gemütsart Meister Bertholds entsprochen haben. Ja, man muß
zu dieser Vermutung neigen, wenn man sich etwas näher mit des Künstlers
innerem Wesen befaßt hat. Seinen Gedanken aber über eine bloße Ver-
mutung hinaus Raum zu geben, erscheint nicht zulässig.
Noch eine Frage bedarf einer kurzen Erwägung: Welches war die Ver-
anlassung dazu, das Rathaus außen und innen durch einen solch bedeutenden
Meister, wie es Berthold war, dekorieren zu lassen? Ein festliches Ereignis
stand nicht, wenigstens nicht unmittelbar bevor. Die Einbringung der Reichs-
kleinodien fand erst ein volles Jahr später, am 22. März 1424, statt. So lange
vorher wird man also kaum an eine Ausschmückung des Rathauses gedacht
haben. Scheinbar war demnach lediglich der allgemeine Wunsch, den gewich-
tigsten Bau der Stadt möglichst glänzend und prächtig in die Erscheinung
treten zu lassen, die maßgebende Veranlassung.
Wenn Baader die von uns oben beigebrachten, sich auf die Aus-
schmückung des Rathauses mit Malereien beziehenden Nachrichten in Zu-
sammenhang bringt mit dem Abbruch der Krame und Brotbänke, die an
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150 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBER(i.
dasselbe angebaut waren, und zwar insofern, als die Abtragung der letzteren
der Bemalung des ersteren zeitlich vorangegangen wäre, so entspricht dies
nicht den tatsächlichen, durch die Archivalien festgelegten Verhältnissen.
Gerade das Umgekehrte ist der Fall, und viel eher die Annahme gerecht-
fertigt, daß die Freilegung des Rathauses eine Folge der Auszierung mit
Gemälden, die man vielleicht auf diese Weise besser zur Geltung bringen
wollte, gewesen ist. Die betreffende Stelle bei Baader ^^) lautet: »In den
Jahren 1423 und 1424 wurde das Rathaus restaurirt und von den Kramen
und Brotbänken befreit, die an dasselbe angebaut waren. Der Rat ließ sie
abbrechen nicht ohne große Opfer. Sie waren an Bürger der Stadt vererbt ;
ihre Zahl belief sich auf etliche 60 Krame und Bänke. ^*) Der Rat löste den
Bürgern das Erbe ab und bezahlte ihnen dafür 4237 Pfund, 13 Schillinge
und 3 Haller. Nachdem das Äußere von diesen unschönen [}] Anhängseln
befreit worden, ließ der Stadtbaumeister Andres Volkamer die Restaurations-
arbeiten im Innern beginnen. Sodann malte Meister Berchtold der Maler
>außen, binden, vornen vnd vnder dem Rothawse«, desgleichen zwei Stuben
desselben. Das Gemälde im Innern des Rathauses besserte er aus.« Was
Baader hier an tatsächlichen Geschehnissen bringt, ist ja an sich nicht un-
richtig. Doch zieht er das, was in zwei verschiedenen Jahren ohne inneren
Zusammenhang mit einander getan wurde, zu einem einheitlichen Ganzen
zusammen und konstruiert sich auf diese Weise eine in den Jahren 1423/24
vorgenommene größere Restaurierung des Rathauses. Nun aber fand die
äußere und innere Bemalung des Rathauses (siehe das Nähere darüber oben)
durch Meister Berthold zwischen Ostern und Pfingsten 1423 statt. Die Ab-
lösung der Krame mit den darauf ruhenden Lasten erfolgte aber erst, wie
Mummenhoff festgestellt hat, am 28. August 1424^*). So kann also das erst-
genannte Ereignis nicht eine Folge des zweiten, zeitlich späteren sein. Beide
stehen vielmehr vollkommen unabhängig von einander da. Bei beiden können
schwerlich bevorstehende größere festliche Ereignisse die nähere Veranlassung
gewesen sein. War die Bemalung ein Ausdruck des Kunstsinnes des Nürn-
berger Rates und damit auch der Bürgerschaft, so möchten wir auch in der
Entfernung der Krame und Brotbänke die Äußerung eines regeren Gefühles
für äußere Schönheit, das die Malereien ganz zur Geltung gebracht wissen
wollte, sehen. Auch sonst sind die von Baader beigebrachten Einzelheiten
zu berichtigen. Nach dem Jahresregister IL Bl. 243a ^^) betrug die Ablösungs-
summe »in hallensibus in toto 3237 ft. 13 sz und 3 hllr.«, nämlich »244 Ä.
12) Jos. Baader, Beiträge zur Kunstgesch. Nürnbergs, 2. Reihe, Nördlingen 1862,
Seite 2—3.
13) Mummenhoff, das Rathaus in Nürnberg, Nbg. 1891, Seite 312, Anm. 92, zählt
deren an der Hand des Jahresregisters nur 40.
14) Siehe Mummenhoff, das Rathaus in Nürnberg, Nbg. 1891, Seite 312, Anm. 92.
In den Jahrbüchern des 15. Jahrh.? (Die Chroniken der deutschen Städte X, Seite 142)
heißt es allerdings bereits zum 22. März 1424: »do wurden die krem und protlauben
vor dem rothaus über den weck abgeprochen«. Doch kann dies schlechterdings nicht
möglich sein, da an diesem Tage die Einbringung der Reichskleinodien geschah.
15) Siehe die Chroniken der deutschen Städte X, Seite 142, Anm 6.
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VON DR. FRITZ TRAUGOIT SCHULZ.
151
9 sz hllr. und 1236 guld. werung, unum pro 1 IE. und 4 sz hllr. und darczu
1300 und 92 guld. und 3 ort new, unum pro 1 ft. 1 sz und 8 hllr.«
Nicht unterlassen möchte ich, auf eine von Sigmund Meisterlin gebrachte,
allerdings mit größter Vorsicht aufzunehmende Notiz hinzuweisen, da es nicht
ganz ausgeschlossen erscheint, daß dieselbe auf eine gleich zu Anfang vor-
genommene Außenbemalung des Rathauses bezogen werden könnte. Meisterlin
erzählt nämlich: »Es was das rathaus under Ludwico etwas gepawet und
gemalt mit historien, genomen ausz Vklerio Maximo, Plutarcho und Aggellio:
die histori die ratsherren und richter solten bewegen zu gerechtigkeit, des-
gleichen die notari und Schreiber, aber das gemeld hat abgenomen und ist
auch veracht das, das es bedeutet, doch ward es nach dem auflauf gar
gebawet und zugericht^*).« Das kurze Aufeinanderfolgen der Worte »gepawet
und gemalt«, die Übersetzung des letzteren durch »depingitur« in der latei-
nischen Fassung der Chronik legt den ausgesprochenen Gedanken wenigstens
nahe. Mummenhoff bezieht die Meisterlinschen Nachrichten auf das Innere des
Rathaussaales ^'). Auch Thode denkt dabei an Innendekorationen^®). Ich
lasse die Entscheidung dieser Frage angesichts der Unzuverlässigkeit und
Unklarheit der Meisterlinschen Erzählung unentschieden, nicht verhehlend, daß
auch mir die Annahme einer Innenausschmückung des Rathauses plausibler
erscheinen will. Aus diesem Grunde bin ich erst hier und nicht schon beim
14. Jahrhundert auf diesen Punkt zu sprechen gekommen.
Es dürfte fast selbstverständlich sein, daß die Außenbemalung des ge-
wichtigsten Baues der Stadt Auszierungen auch einer größeren Zahl von
Bürgerhäusern zur Folge gehabt hat. Schweigen hier auch die Quellen im
Großen und Ganzen, so ist doch darin kein Gegenbeweis zu sehen; denn
auch die Haus- und Kaufbriefe späterer Zeiten ermangeln zumeist hierher
gehöriger Mitteilungen. Die mit der Dekorierung des Rathauses stärker in
Übung gekommene Sitte der Bemalung des Äußeren der Profangebäude
schwand aber auch für die Folgezeit nicht dahin. Doch sind die vorliegen-
den Nachrichten, welche zu dieser Annahme ermutigen, recht spärlich gesät.
Im Jahre 1431 wurde am neuen Gewandhaus ein Gemälde angebracht*^).
Das Gebäude war im Jahr zuvor aufgeführt worden ^'^). Im Jahre 1447 wurde
eine Neupolychromierung des Schönen Brunnens auf dem Hauptmarkt erfor-
derlich**). Die gleich nach seiner Erbauung angebrachte Fassung war somit
von keiner langen Dauer. Ihr Bestand beziffert sich auf kaum volle 50 Jahre.
Bedenklich stimmt eine von Lochner in seinen Abzeichen (S. 67) gebrachte
Nachricht, der zu Folge ähnlich wie im vordem Hofe des Gasthauses zum
Bitterholz (des späteren Bayrischen Hofes) noch damals d. h. im Jahre 1855
16) Die Chroniken der deutschen Städte III, Seite 154—155.
17) a. a. O. Seite 38.
18) H. Thode, die Malerschule von Nürnberg im 14. u. 15. Jahrh., Frankfurt a. M.
1891, Seite 9 - 10.
19) Jos. Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, 2. Reihe, Nördlingen 1862,
Seite 3-4.
20) Nopitsch, Wegweiser für Fremde in Nürnberg, Nbg. 1801, S. 50.
21) Schulz, der Schöne Brunnen zu Nürnberg, Süddeutsche Bauzeitung 1904, Nr. 4.
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152 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
ein ungewöhnlich großer Mann im Stemhof mit folgender Beischrift abgemalt
war: »Jakob Spanmann aus dem Lande Lüneburg seines Alters 21 Jahre miszt
96 Zoll und kann in die Höhe langen 108 Zoll. Gemalt 1468 (!). Renovirt
1684, 1718, 1748, 1818 und 1846«. Von 1468 bis zum Jahre 1684 dürfte
sich eine Außendekoration, und noch dazu eine solche mehr für den Augenblick
geschaffene, schwerlich derart erhalten haben, daß man sie sachgemäß hätte
wiederherstellen können. Entschieden liegt hier ein Irrtum, hervorgerufen durch
eine Entstellung der Jahreszahl, vor. Schuld an derselben sind die vielfachen
Auffrischungen, die auch das ursprüngliche Bild schließlich bis zur völligen
Unkenntlichkeit verderbt haben. Die Urgestalt dieser Wandmalerei, auf die wir
nur der Kuriosität halber hier näher eingehen, ist uns in einer Radierung vom
Jahre 1613 (Siehe Abb. 2) erhalten, welche einen zu Anfang des 17. Jahrhunderts
in Nürnberg tätigen Dilettanten von mittelmäßiger Qualität namens Peter Helffrich
zum Urheber hat**). Dargestellt ist ein Mann in der Tracht des beginnenden
17. Jahrhunderts, mit rundem Hute, wie er Büchse und Gabel zum Auflegen be-
reit trägt. Die Figur ist nach links hin gerichtet, während die Malerei dieselbe
nach rechts gewendet gab. Wenn diese Darstellung im Gegensinn nicht auf
Konto des Unvermögens des dilettierenden Künstlers zu setzen ist, so liegt mög-
licherweise in dem Exemplar unserer Sammlung ein Beispiel des Gegendrucks des
originalen Blattes vor, dessen Vorhandensein von Nagler als wahrscheinlich hin-
gestellt wird*^). Durch diese Radierung nun wird bewiesen, daß die von Lochner
erwähnte Darstellung im Stemhof nicht schon im Jahre 1468 gemalt worden
sein kann, sondern daß sie frühestens erst im Jahre 1613 angebracht worden ist.
Die Radierung trägt nämlich folgenden textlichen Zusatz: »lACOB DAMA,
V PISPEN, aus dem Land Lüneburg, sein span ist • 16 • zoll u: er ist 96. zoll
Lang kan in die Höhe reichen 126, zolls: Alters, 22^2, Jahr in Mon:
Sep — kam in Nürnbe: A 1613«. Der größere Teil der Inschrift steht oben
beiderseits des Kopfes, der kürzere Teil hinter dem Gedankenstrich befindet
sich seitlich der Beine und zwischen denselben. Es gewinnt den Anschein,
als wenn Nagler diese Radierung nicht durch Autopsie kennen gelernt habe;
denn einerseits ist die Wiedergabe der Inschrift bei ihm nicht ganz fehler-
frei (z. B. PIPSEN statt PISPEN), anderseits bemerkt er, daß dieselbe am
Pulverhorn des Jacob Damman angebracht sei, während dort nur zu lesen
ist: »P H fec aqua forte«. Auch die Wiedergabe der Inschrift bei Müller**)
ist nicht vollkommen einwandfrei. Noch besitzen wir ein großes Holzschnitt-
blatt mit einer Darstellung der kolossalen Hand des Riesenmannes in originaler
Größe. Rechts oben findet sich folgende Beischrift: »Jacob Damman von
Piszpen, ausz dem Land Lünenburg, sein Spanne die ist 16. Zoll, vnnd er
ist 96. Zoll lang, vnd kan inn die höhe reichen 126. Zoll, seines alters drit-
halben vnnd zwantzig Jahr, Im Jahr 1613«. Es unterliegt demnach keinem
22) Nagler, Monogrammisten IV, Nr. 3001.
23) Siehe im übrigen Barbeck, Alt-Nürnberg, Haus und Hof, Bl. 15.
24) C. G. Müller, Verzeichnis von Nürnbergischen topographisch-historischen Kupfer-
stichen und Holzschnitten, Nbg. 1791, S. 176.
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VON DR. FttlTZ TKAUGO'IT SCHULZ.
153
Zweifel, daß Jakob Damman erst im Jahre 1613 nach Nürnberg kam und
wohl noch im gleichen Jahre im Sternhof auf die Wand konterfeit worden
ist. Angesichts der Vergänglichkeit der Malerei aber mußte dieselbe von
Zeit zu Zeit aufgefrischt werden. Künstler als solche haben sich schwerlich
gy%V%'»yw ^OcU^^^y^jH^ .^./fcn^ 8. ^l^^^r
Abb. 2. Radierung nach einem Wandgemälde im Sternhof zu Nürnberg. 1613.
(Der im Original vorhandene Strich über dem A fehlt in der Reproduktion. Siehe S. 12).
mit einer solchen Aufgabe befaßt. Besondere Sorgfalt auf eine vollkommen
getreue Wiederherstellung wurde auch nicht verwandt. So wandelte das Bild
seine Gestalt nach der Laune des Malers und dem Geschmack und der Mode
Mitteilungen aus dem gennan. Nationalmusoum. 190G. 20
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1^ BEITRÄGE ZUR OKSCHICHTE DER AUSSENMAI^REl IN NÜRNBERG.
der Zeit so lange, bis schließlich vom Original keine Spur mehr vorhanden
war. Deutlich lehrt dies ein Vergleich der Helffrichschen Radierung mit den
beiden aus späterer Zeit stammenden Wiedergaben bei Barbeck. Auf der
kleineren trägt unser Damman schon einen Hut aus der Mitte des 18. Jahr-
hunderts; auch seine sonstige Tracht ist dieser Zeit angepaßt. Auf dem
Aquarell von Pfann vom Jahre 1881 hat die Figur eine weitere Wandlung
nach der neueren Zeit hin erfahren.
Nach dieser Abschweifung kehren wir zur historischen Abwicklung
unseres eigentlichen Themas zurück. Wiederum ist es der Schöne Brunnen,
dessen wir Erwähnung tun müssen. Im Jahre 1490 soll derselbe von keinem
Geringeren als von Michael Wolgemut, dem Lehrmeister Albrecht Dürers,
neu bemalt worden sein. *'^) Wir sind damit am Ende des 15. Jahrhunderts
angelangt. In dasselbe könnte, wenn in ihrem ursprünglichen Zustand mit
dem Bau gleichzeitig, eine an dem ehemaligen Zachariasbad angebracht ge-
wesene Malerei, nach Lochner (Abzeichen S. 20) zeigend, wie dem Priester
Zacharias der Engel erscheint, gesetzt werden. Etwas Bestimmtes jedoch
läßt sich nach dieser Richtung nicht sagen. In der letzten Fassung, in der
das vielleicht auch wiederholt übermalte Bild vor dem Abbruch des Baues
sich zeigte, trug es, wie sich Herr Direktor Dr. Stegmann, dem ich für den
gütigen Hinweis Dank schulde, bestimmt zu erinnern weiß, sowohl in dem
annehmbaren Kolorit als in der bewegten Haltung der Figuren (der Engel
naht sich von rechts her dem aufrecht dastehenden Zacharias) augenfällig
die Merkmale vom Ende des 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts zur Schau.
Das Bild befand sich auf der Giebelseite in der Höhe des ersten Stockes und
nahm eine Gefachfläche seitwärts eines am Eck über spätgotischen Konsölchen
vorgekragten Fensters ein.
Zum 1. Juni des Jahres 1500 berichtet ein Ratsverlaß^*): »Es ist er-
laubt, das gemel unter dem Weyssen thurn zu verneuen, doch das man
dheynen schilt daran mal.« Wir werden hierbei an die Notiz v. J. 1388
erinnert, dergemäß damals die Stadttürme frisch getüncht und bemalt wurden.
Durch den Rats verlaß v. J. 1500 werden wir gedrängt anzunehmen, daß zum
Jahre 1388 nicht etwa die Rede sein kann von monumentalen Kompositionen
umfangreicher Art, sondern nur von der Anbringung eines oder mehrerer
kleinerer Bilder. Vielleicht befand sich am Weißen Turm die zu erneuernde
Malerei innerhalb der plumpen spätromanischen Seitennischen.
Ob sich der vielerorts erwähnte Hans Beuerlein auch mit dem Bemalen
von Häusern befaßt hat, darüber ist nichts überliefert. Da er aber ausdrück-
lich als ein Maler aufgeführt wird, der zu seiner Zeit gar renommiert war,
daß er die Malerei mit Ölfarben an den Mauern mit gutem Verstand zu
applizieren wußte ^'), so müssen wir seiner wenigstens Erwähnung tun. Nach
25) Schulz, Der Schöne Brunnen zu Nürnberg, Süddeutsche Bauzeitung 1904, Nr. 4.
26) Hampe, Nürnberger Ratsverlässe I, Nr. 586.
27) Doppelmayr, histor. Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künst-
lern, S. 177.
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VON DR FRITZ TRAUG01"r SCHULZ. 155
Doppelmayr starb er gegen 1500. Thode*®) möchte mit Rücksicht darauf,
daß noch im Jahre 1518 ein Maler Hans Peurl, der möglicherweise mit
unserem Hans Beuerlein identisch sein kann, in den Bürgerlisten erscheint,
sein Todesjahr später ansetzen und ihm ein hohes Alter vindicieren. *®)
Urkundlich erwähnt wird er zum ersten Mal, und zwar als Bildschnitzer, im
Jahre 1461.®^) Er soll verschiedene Wandmalereien in der Augustinerkirche,
auf dem »Augustinerklostersaale« und in der Dominikanerkirche geschaffen
haben. Thode bringt nähere Nachrichten darüber. Auf dem »Augiistiner-
klostersaalec malte er zwei große Bilder an die Wand. »Zur Rechten Maria
Magdalena und Christus, über Lebensgröße, zur Linken ist der Heiland
zwischen den beiden Schäcljern am Kreuze, nebst vielen Personen. Alle sind
in Lebensgröße. 1489.« Diese Malereien sind durch den völligen Abbruch
des Augustinerklosters zu Grunde gegangen. Doch ist wenigstens eine da-
von in einem Abbild auf uns gekommen. Während des Abbruches des
Klosters im Jahre 1883 hat nämlich der damalige Maler und Professor an der
Kunstgewerbeschule in Nürnberg Gg. Eberlein mehrere der zu jener Zeit
noch sichtbaren Wandgemälde kopiert und diese farbigen Wiedergaben als-
dann in einer Ausfertigung dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, in einer
anderen dem Magistrat der Stadt Nürnberg überreicht. Die an die Stadt ge-
langten Copien befinden sich heute in der städtischen Kupferstichsammlung
im Germanischen Museum. Es sind im Ganzen, inclusive Titelblatt, 12 Blätter,
die aber bislang noch keine Beachtung gefunden zu haben scheinen. Vier
dieser Copien bringen Wiedergaben von Gewölbedekorationen ; bei dreien von
ihnen bestehen dieselben in naturalistisch gemalten Blumen und Blattranken;
bei dem vierten Blatt scheint es sich nur um bildhauerischen Schmuck zu
handeln. Dann finden wir einzelne Figuren aus Fensterlaibungen in den
Kreuzgängen, zwei Engel aus einer Himmelfahrt Christi und die ornamen-
talen Zierate im Scheitel einer Spitzbogenlaibung. Es folgen nunmehr vier
Copien nach größeren Wandgemälden, stofflich behandelnd die Kreuzigung,
die Auferstehung, Christus als Gärtner Maria Magdalena erscheinend und die
Au.sgießung des heiligen Geistes. Der Wert dieser Copien ist ein sehr ge-
ringer, da es augenscheinlich ist, daß Eberlein aus dem, was er darstellen
wollte, etwas ganz Eigenes, etwas Modernes gemacht hat. Weder ist der
Stil noch die Malart der älteren Schule in etwa erfaßt. Das Einzige, was
wir an Nutzen aus diesen Copien ziehen, ist, daß wir ungefähr eine Vor-
stellung von der Composition dieser sicherlich einst nicht unbedeutenden
Wandmalereien erhalten. Nach dieser Richtung gewinnt das Blatt mit
Christus als Gärtner der Maria Magdalena erscheinend insofern einigen Wert,
als es nicht ausgeschlossen erscheint, daß das Original ein Werk von Hans
Beuerlein ist, dessen Art und Weise somit, wenn auch nur in blasser
Dämmerung, dokumentiert ist (Abb. 3). Dies war auch der Grund, weshalb
wir den Namen Beuerlein in unsere Untersuchung hineingezogen haben. An
28) a. a. O. S. 101—102.
29) Siehe auch Hampe a. a. O., Seite 237, Anm,
30) Thode a. a. O.
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156 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
der Hand dieser Copicn weiterhin feststellen zu wollen, was im Original von
Beuerlein, und was von Hans Trautt gemalt sein könnte, dürfte ein eitles
Unterfangen sein. Auch Hans Trautt hat sich bekanntlich an der Ausmalung
des Augustinerklosters mit beteiligt.
Abb. 3. Wandmalerei auf dem ehemaligen Augustinerklostersaale in Nürnberg.
Kopie von Gg. Eberlein, 1883.
Ziehen wir kurz ein Resultat aus den Nachrichten, welche wir für das
15. Jahrhundert beizubringen vermochten, so haben wir das Einsetzen einer
starken Woge gleich zu seinem Beginn zu konstatieren. Aber sie behält
ihre Kraft nicht. Sie löst sich auf, ohne jedoch zusammenzubrechen. In
kleineren Wellen lebt sie fort. Und diese vereinigen sich zu Beginn des
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VON DR. KRITZ TRMJGp-lT SCHULZ. 157
riqyuiMyr
16. Jahrhunderts zu einem von nun an ständig und lebenskräftig durch die
Jahrhunderte fließenden Strom. Die Bemalung des Rathauses durch den be-
deutendsten Künstler der Zeit, durch Meister Berthold, kann unmöglich, ohne
im vorbildlichen Sinn Einfluß auszuüben, hingegangen sein. Meister Berthold
eröffnet den Reigen, der vielleicht — gewiß können wir das nicht sagen —
durch Hans Beuerlein beschlossen wurde. Zwischen diesen beiden Angeln
bewegt sich in ruhigem Fortgang, ohne Aufsehen erregende Zwischenfälle,
die Fagadenmalerei im 15. Jahrhundert. Ihr Stoffgebiet war wohl das kirch-
liche; es lag dies einerseits im Geiste der Zeit und anderseits sprachen da-
für die von uns zum Ausdruck gebrachten Vermutungen, deren Berechtigung
versucht wurde, zu erweisen, soweit von einem »erweisen« bei der Unzu-
länglichkeit der Unterlagen überhaupt gesprochen werden kann.
(Fortsetzung folgt.)
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Vom Deutschen Buchgewerbeverein geht uns die nachstehende Mitteilung zu, der
wir im Interesse der Sache gerne weitere Verbreitung geben: Eine für Künstler und
Kunstfreunde wichtige Veröffentlichung wird auf Anregung des internationalen Verleger-
kongresses zu Mailand 1904 unter dem Titel „Neuigkeitendes Deutschen Kunsthandels"
nebst den wichtigsten Erscheinungen des Auslandes demnächst beginnen. Redaktionell
vom Deutschen Buchgewerbeverein zu Leipzig geleitet, werden diese monatlichen Ver-
zeichnisse alle käuflichen Photographien und Kunstblätter jedweder graphischen Technik
in Original wie Nachbildung, Tafelwerke künstlerischen wie kunsthistorischen Inhaltes
einschließlich aller Vereins- und Privatpublikationen, sowie Verzeichnisse der Ausstellungen,
Museen, Privatsammlungen, Kunstverleger und Antiquariate verzeichnen. Der Deutsche
Buchgewerbeverein vereinigt einesteils in seiner geschäftlichen Leitung, andernteils durch
sein Museum, praktische wie wissenschaftliche Erfahrung. Wir sind deshalb sicher, daß
die Verzeichnisse nicht nur ein wichtiges Nachschlagemittel für den bisher bibliographisch
sehr stiefmütterlich bedachten Kunsthandel sein werden, sondern auch für den Kunst-
historiker, für Sammlungen und Künstler. Es wird deshalb auch im Interesse aller be-
teiligten Kreise liegen, das Unternehmen zu unterstützen und der Geschäftsstelle des
Deutschen Buchgewerbevereins, Leipzig, Deutsches Buchgewerbehaus, sämtliche Neuer-
scheinungen an Kunstverlags- wie Privatpublikationen regelmäßig zur Aufnahme einzusenden.
Leipzigs Handelskorporationen. (Kramerinnung, Handlungsdeputierte, Handels-
vorstand, Handelsgenossenschaft. Die Leipziger Kaufmannschaft und die Kommune-
repräsentation.) Versuch der Gründung Sächsischer Handelskammern im 19. Jahrhundert.
Herausgegeben von der Handelskammer zu Leipzig. Verfaßt von deren Bibliothekar
Siegfried Moltkc. Mit mehreren Abbildungen. Leipzig. In Kommission bei der
Buchhandlung von A. Twietmeyer. 1907. VIII u. 248 S. 8».
Auch dies neue Werk des Verfassers baut sich auf Forschungen in den Archiven
der Handelskammer auf, die bereits für zwei wenig früher erschienene Darstellungen als
Grundlagen dienen konnten: »Die Leipziger Kramer-Innung im 15. u. 16. Jahrh.« (1901)
und »Urkunden zur Entstehungsgeschichte der ersten Leipziger Großhandelsvertrctung«
(1904). In einem dritten abschließenden Bande dieser Studien zur Handelsgeschichte
Leipzigs untersucht nun M. Entstehung, Entwicklung, Ausgestaltung und Ende derjenigen
kaufmännischen Korporationen, die der heutigen Handelskammer zu Leipzig nicht un-
wesentlich vorgearbeitet haben, bis sie eben endlich von dieser abgelöst werden sollten.
Besonderes Interesse verdient die Darstellung der vorangehenden Versuche zur Gründung
von Handelskammern in Sachsen, insbesondere einer, noch vor 1861 (Entwurf der Gewerbe-
ordnung), für Leipzig geplanten.
Wer sich mit Studien über die Entwicklungsgeschichte des Handels und der Industrie
Sachsens im 19. Jahrhundert befaßt, wird auf die schätzbare Verarbeitung des bedeut-
samen Leipziger Materials, wie sie S. Moltke hier bietet, zurückkommen müssen.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
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Ffihrer durch das städtische Museum (in Troppau)» nebst einer Einleitung, ver-
faßt im Auftrage des Ausschusses des städtischen Museums in Troppau von Prof. Erwin
Gerber, Kustos. Troppau. 1906. Im Selbstverlage. 8^ 9 S.
Das anspruchslose Büchlein dürfte sich als ein guter Wegweiser bewähren für die
Besucher der Stadt Troppau, deren Geschichte und Sehenswürdigkeiten das einleitende
Kapitel gewidmet ist, sowie ihrer neuerdings im imposanten Schmetterhause aufgestellten
Altertumssammlung. Zu wünschen ist, daß bei einer Neuauflage mehr Gewicht auf An-
gabe der Entstehungszeiten, insbesondere der Kunstwerke und kunstgewerblichen Er-
zeugnisse, gelegt werde. Bei undatierten Stücken fehlen die Zeitangaben fast durch-
gehends, und diese sind für den Besucher, nicht minder auch für den Fachmann, der
sich an der Hand des Führers im allgemeinen über die Bestände unterrichten will, un-
erläßlich. Dagegen sollten Ausdrücke wie »alt« oder »altertümlich« ausgemerzt werden.
W. J.
Kirchliche Kunstaltertfimer in Deutschland. Von Dr. Heinrich Bergner.
Mit 9 Tafeln in Farbendruck und Autotypie sowie über 500 Abbildungen im Text.
Leipzig. 1905. Chr. Herm. Tauchnitz. 619 S. 8.
Bergners kirchliche Kunstaltertümer, denen inzwischen desselben Verfassers Hand-
buch der bürgerlichen Kunstaltertümer in Deutschland (1906) gefolgt ist, macht zwar
Ottes »Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie des deutschen Mittelalters« nicht
überflüssig, ergänzt es aber nach verschiedenen und sehr wesentlichen Seiten. Bewunde- .
rungswert ist die dem Verfasser eigene weitgehende Kenntnis der vielverzweigten Literatur,
nicht minder sein kritischer Scharfblick bei der Verwendung dieser ungleichwertigen
Quellen. Trotzdem es sich um ein kompilatorisches Werk handelt und trotzdem der
umfangreiche Stoff durch strengste Sichtung und größte Knappheit der Darstellung in
einen Band zusammengedrängt werden mußte, ist das Buch durchaus lesbar und anregend,
wenn es auch, vor allem durch seine reichen Literaturnachweise, in erster Linie als
Nachschlagwerk gelten muß. W. J.
Die Revolution. Von Dr. Paul Liman. Eine vergleichende Studie über die großen
Umwälzungen in der Geschichte. Berlin. C. A. Schwetschke & Sohn. 1906. VIIL
286. St. Preis 5 Mk., gebunden 6 Mk.
Die Betrachtungen, welche Liman in seinem neuen Buche gibt, sind ihrer Gattung
nach Eßays, sie behandeln die Geschichte in ausgesprochen persönlicher Auffassung,
unter stetem Hinblick auf die heutigen Verhältnisse. Das Buch gewinnt dadurch etwas
äußerst anregendes, aber es fordert selbst bei dem, der den politischen und konfessionellen
Standpunkt des Verfassers teilt, vielfach Widerspruch heraus. Den Grundgedanken wird
man indes zustimmen können. Das Buch ist sehr gut geschrieben und von Anfang bis
zu Ende interessant.
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Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1906
der
Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum.
Seite
Koptische Altertümer im germanischen Nationalmuseum. Von Dr. Otto Pelka.
Mit 2 Tafeln 3
Eine Nürnberger Hauskapelle. Nachtrag. Von Dr. Fritz Traugott Schulz.
Mit 1 Tafel 47
Meister Bertram, eine resümierende Betrachtung an der Hand der Lichtwarkschen
Studie. Von Dr. Fritz Traugott Schulz 60
Eine Glocke aus dem XVIII. Jahrhundert. Von GustavvonBezold 79
Ein syro-palästinensisches Räuchergeföß. Von Otto Pelka. Mit 2 Tafeln ... 85
Bilder aus dem Kinderleben in den dreißiger Jahren des XVI. Jahrhunderts. Von
Heinrich Heerwagen 93
Über einige Neuerwerbungen der SkulpturensammlVing des germanischen Musenms.
Von Dr. W. Josephi. Mit 2 Tafeln 117
Beiträge zur Geschichte der Außcnmalerei in Nürnberg. Von Dr. Fritz Traugott
Schulz 141
Literarische Besprechungen ' . 43, 81, 158
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1906.
Taf. I.
5.
Tonstempel.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1906. Taf. II.
5. 6.
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Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum. 1906. Taf. IV.
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Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum. 1906. Taf. V.
Gefaßboden.
2.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1906.
Taf. VI.
Pl.-O. 2056. Kruzifix.
Oberdeutsch. Zweite Hälfte des XIV. Jahrh.
Höhe 210 cm.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1906. TTsl^, 'yjl
Palmesel. Schwäbisch. Um 1500. Pl.-O. 1875. Höhe 180 cm.
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Mitteilungen
AUS DEM
Germanischen Nationalmuseum
HERAUSGEGEBEN
VOM Direktorium.
JAHRGANG 1907.
MIX ABBILDUNGEN.
NÜRNBERG
VERLAGSEIGENTUM DES GERHANISCHEN MUSEUMS
1907.
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Die fränkischen Epitaphien
im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert.
Von
Dr. Edw^ln I^ecislol3.
Vorbemerkung.
Die folgenden Ausführungen legte ich, als Erweiterung einer akademischen
Preisaufgabe, im Jahre 1906 der hohen philosophischen Fakultät der Heidelberger
Universität zur Promotion vor. Die seitdem, zumal als Folge der histo-
rischen Ausstellung der Stadt Nürnberg 1906, erschienene Literatur habe ich nach-
träglich noch zu benutzen versucht. Naturgemäß konnte es sich dabei nicht um
eine Verschiebung meiner Hauptresultate handeln, die nur durch Unterordnen der
kunstgeschichtlichen Entwickelung unter den gegenständlichen Gesichtspunkt
meines Themas gewonnen werden konnten.
Außer den Neuerscheinungen der Literatur habe ich der Hilfe meiner verehrten
Kollegen am Germanischen Nationalmuseum und der Architekten der Bauhütten
von St. Sebald und St. Lorenz, der Herren Prof. Joseph Schmitz und Otto
Schulz dankbar zu gedenken. Vor allem aber drängt es mich, an dieser Stelle
meinem hochverehrten Lehrer, dem Herrn Geh. Hofrat Prof. Dr. Henry Thode
den herzlichen Dank für die Anregung und Förderung meiner Arbeit auszusprechen.
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Verzeichnis der wichtigsten Literatur.
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1. Grabplastik.
Otto Buchner: Die mittelalterliche Grabplastik in Nord-Thüringen. Straß-
burg, Heitz 1902.
H. Schweitzer: Die mittelalterlichen Grabdenkmäler in den Neckargegenden,
Straßburg, Heitz 1898.
H. Bröger: Grabdenkmäler im Maingebiet. Leipzig, Hiersemann, 1907.
Paul Knoetel: Die Figurengräber Schlesiens. Jenenser Diss. 1890.
2. Zur Geschichte der fränkischen Kunst.
Henry Thode: Die Malerschule von Nürnberg im XIV. und XV. Jahrhundert.
Frankfurt a. M., Keller, 1891.
Friedrich Dörnhöffer: Beiträge zur Geschichte der älteren Nürnberger
Malerei. Repertorium XXIX, 1906.
Janitschek: Geschichte der deutschen Malerei, 1890.
Waagen: Kunstwerke und Künstler I. 1843.
Schnaase: Geschichte der bildenden Künste.
K u g 1 e r: Kleinere Schriften, I883.
Sighart: Geschichte der Kunst in Bayern, München 1862.
W. Bode: Geschichte der deutschen Plastik, Berlin 1887.
Pückler-Limpurg: Die Nürnberger Bildnerkunst um die Wende des XIV.
und XV. Jahrhunderts. Straßburg, Heitz 1904.
Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Berlin, Wasmuth 1905.
3. Nürnberg.
M. M. Mayer: Die Kirche des hlg. Sebaldus, Nürnberg 18)1.
0. Schulz: Geschichte. der Wiederherstellung der Sebalduskirche, Nürnberg 1905.
J. W. Hilpert: Die Kirche des hlg. Laurentius, Nürnberg I831.
P. R6e: Die Bilder in der Sebalduskirche. Kunstchronik XX 111. Nürnberg, ber.
Kunststätten V, 1900.
Christian Rauch: Die Trauts. Straßburg, Heitz, '1907.
B. Daun: P. Vischer und Adam Krafft, Künstlermonographien LXX 1905, Veit
Stoß, LXXX.
Berg au: Veit Stoß bei Dohme: Kunst und Künstler.
Katalog der histor. Ausstellung der Stadt Nürnberg 1906.
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VERZEICHNIS DER WICHTIGSTEN UTERATUR.
4. Heilsbronn.
Hocker: Heilsbronner Antiquitätenschatz, Onolzbach i73i.
Muck: Geschichte des Klosters Heilsbronn-Nördlingen 1879.
S t i 1 1 f r i e d: Grabstätten des Hauses Hohenzollern 1874. Denkmale des Hauses
Hohenzollern Bd. I, Kloster Heilsbronn 1877.
5. Eichstätt.
S a X : Geschichte von Eichstätt.
F. H. Herb: Eichstätts Kunst. München, Ges. f. christl. Kunst 1901.
J. Fischer: Domkreu^ang u. Mortuarium. Vortrag. Eichstätt 1889. Pastoral-
blatt des Bistums 13 u. 15-
Sammelblatt des historischen Vereins 8 u. 12.
A. Hämmerle: Der Pappenheimer Altar, Eichstätt 1906.
Felix Mader: Loy Hering, München, Ges. f. christl. Kunst 1905.
6. Bayern und Schwaben«
Berth. Riehl: Zur bayer. Kunstgeschichte I. Die ältesten Denkmale der
Malerei. Studien zur Geschichte der bayer. Malerei des XV. Jahrhunderts.
1895. Augsburg, ber. Kunststätten XX 11, 1903).
A. Schröder: Die Monumente des Augsburger Domkreuzganges. Jahrbuch des
Hist. Vereins Dillingen 1878.
Walter Josephi: Die gotische Steinplastik Augsburgs. Münchener Diss. 1902.
A. Seyler: Die mittelalterliche Plastik Regensburgs. Münchener Diss. 1905.
7. Zur Ikonographie.
Otte: Handbuch der kirchlichen Kunst- Archäologie.
Bergner: Handbuch der kirchlichen Kunstaltertümer in Deutschland. 1905.
Lehmann: Das Bildnis: Straßburg, Heitz.
8. Über Inschriften.
Klemm: Über die Entwickelung der Schriftformen in der Steinschrift 1000—1600.
Christi. Kunstblatt 1884.
W. Weimar: Monumental- Schriften vergangener Jahrhunderte 1898.
g. Abbildungsmaterial.
M. Ger lach: Totenschilde und Grabsteine. Wien. Gerlach & Schenk.
Digiti^jCoOgle
Die Entstehung der Epitaphienform.
Die Begräbnisstelle für die Vornehmen war im Mittelalter das Innere der Kirche.
Die Grabstätten wurden unter den Fußboden eingemauert und mit einer Steinplatte
geschlossen. Absichtlich den verwischenden Schritten preisgegeben, trugen diese
Platten anfangs nur einfache Zeichen: ein Kreuz oder ein Wappenschild und eine
kurze Inschrift; allmählich verzierte man sie in flachem Relief mit dem Bilde des
Toten, für dessen Charakteristik die allgemeinen Merkmale seines Standes und Alters
genügten.
Aber immer mehr wuchs das Verlangen, den Stein dem Bilde des Aufgebahrten,
den er bedeckte, ähnlich zu gestalten: am Ende des 12. Jahrhunderts hatte sich eine
reichere Form durchgesetzt, welche das Relief erhöhte und die Züge des Dargestellten
portraitartig herausarbeitete. Dann verlieh die Gotik den Grabsteinen^) größere
Pracht: häufig wurde die Gestalt unterarbeitet und mit reichem Zierrat umrahmt.
Solche Werke konnten nicht mehr ein Teil des Fußbodens sein: sie wurden als
Tumben sarkophagartig untermauert oder von kleinen Pfeilern, die bald als Wappen-
träger plastische Gestalt bekamen, als Hochgräber'') über den Boden gehoben.
So bekamen die Grabsteine den Sinn von Portraits und wurden daher oft schon
bei Lebzeiten gemeißelt; neben die Abbildung des Aufgebahrten trat die Wieder-
gabe des Lebenden in der Fülle seiner Kraft und Macht: der Brauch, zu dem auch
räumliche Gründe zwangen, daß man die Steine aufrecht an die Wand stellte, war
kein Widersinn mehr.
Wurden anfangs nur die Herrschenden durch ein Denkmal ausgezeichnet, so
drängten sich allmählich immer mehr Gemeindemitglieder zu der Ehre, ihr Bildnis
nach dem Tod zu erhalten. Der Raum der Kirche konnte für größere Gemeinden
nicht mehr genügen, so daß auch der Kreuzgang als Begräbnisstelle herangezogen
werden mußte.
Die Anlage eines Domkreuzganges war aus dem Verlangen entstanden, den
Kanonikern und Geistlichen, die am Dome wohnten, einen abgeschlossenen Wandel-
raum zu geben. Dann wurde der Kreuzgang immer mehr als ein Teil der Kirche
1) Vgl. Lind, die Grabdenkmale während des M. A. in d. Bcr. u. Mitt. d. A. V. zu
Wien XI (1870) S. 163—213. Schultz, Höfisches Leben II, S. 410-416.
2) Buchner (S. 65) erklärt die Entwicklung zum Hochgrab aus »dem Einfluß der im
Sinne des Verticalismus treibenden Architektur".
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DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT VON DR. EDWIN REDSLOB. 7
aufgefaßt, wie es beim Augs bürg er Dom ^) gut zu erkennen ist. Hier wurde er
durch Verlegung der Kanonikerwohnung seiner ursprünglichen Bestimmung entfremdet,
und bald trat er mit der Kirche in enge Verbindung, indem er ihren einen Zweck
teilte und zur Begräbnisstätte ward. Die Verwendung seiner drei Flügel
war genau geregelt: der westliche, dem ehemaligen Hauptchor der Kirche zu-
nächst liegende Teil diente den Kanonikern als Grabstätte (ambitus canonicorum),
der nördliche den Domvicaren (ambitus vicariorum), der östliche Flügel war
auch Laien, Männern wie Frauen, meist adeligen Stammes, die irgendwie durch
Stiftungen oder Verwandtschaft der Domkirche nahegestanden, zum Begräbnis über-
lassen.*) Zunächst wurden die Grabsteine, nach der ältesten Sitte, in das Estrich
eingelassen; die Schmalheit des Ganges machte es unmöglich, das Relief hoch heraus-
zuarbeiten oder die Platte über den Boden zu heben. Um daher die Namen der Ver-
ewigten zu erhalten, wurden bald in der Nähe des Grabsteins an der Wand einige
Zeilen oder eine Inschrift in Verbindung mit einer heiligen Darstellung, ein „Epi-
taphium", angebracht. Das älteste Epitaph des Augsburger Kreuzganges stammt
vom Jahre 1348^).
Das Wort Epitaph bedeutet ursprünglich jede gesonderte Gedächtnisin-
schrift für einen Toten, dann ist es ausschließlich zur Bezeichnung des mit einer
Inschrift verbundenen Andachtsbildes verwendet worden, das an der Wand in der
Nähe der Begräbnisstelle angebracht wurde.
Die ältesten Beispiele für Inschriften befinden sich auf Steinplatten, die in
dem aus der Mitte des XI. Jahrhunderts stammenden Teile der Krypta des Bonner
Münsters gefunden worden sind. Ihr hohes Alter ist daraus zu folgern, daß sie
schon in so früher Zeit als Baumaterial behandelt wurden. Sie entsprechen in ihrer
Form (ungefähr ein zu einen halben Meter groß) verkleinerten Grabsteinen und sind
zur Aufnahme der Inschrift mit einem Kreuz durchzogen. Reste ähnlicher Stein-
platten sind im Museum zu Köln erhalten, zwei weitere in Bonn und einer — zur
Aufmauerung des Hauptaltars verwendet — in der Kirche zu Dollendorf bei Bonn ®).
Neben diesen Inschriften kamen im vierzehnten Jahrhundert die Totenschilde
auf: erst schildförmige, dann zumeist runde, von einer Inschrift umrahmte Holz-
tafeln mit dem geschnitzten oder gemalten Wappen des Verstorbenen') .
3) Die Augsburger Bildwerke behandeln zwei eingehende Schriften: der Arbeit Schröders
im X. und XI. Band des Dillinger Jahrbuches von 1897 und 1898, und Walter Josephis
Münchener Dissertation über die gotische Steinplastik Augsburgs, 1902, besonders S. 35 — 41,
S. 53-55 und 60 ff. Mehrere Abbildungen und eine zusammenfassende Übersicht finden sich
in Berthold Riehls Augsburg (Ber. Kunststatten 22, 1903).
4) Hierzu Schröders Arbeit.
5) Abguß im Germ. Museum.
6) Bonner Jahrbücher LVII, Tafel XIII S. 213 XXXII, Tafel II S. 144—220. Nieder-
rhein. Annalen II, 1, 2 u. X, 91 und 222. Otte, I, 5, S. 344. Bergner, S. 300. Dazu kommen
Steininschriften in der Neumünster Kirche zu Würzburg und — in Verbindung mit Wappen
— aus der Zeit um 1200 in der Kirche zu Weinsberg. Andere Beispiele bei Otte I S. i45.
Quast veröffentlicht im Korresp.-Blatt d. Oes. V. d. Gesch. u. Altert. V. I (1853) S. 37 zwei
Inschriftsteine vom Jahre 938 und 1048.
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8 DIE FRÄNKISCHEN EPIfAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Ein praktischer Grund, der auf die Erhaltung der Inschrift Wert legen ließ,
ist bisweilen die Erinnerung an eine Seelenmesse gewesen®), mit der sich der
Stifter das Recht erkauft hatte, in der Kirche bestattet zu werden •).
Da man bei Epitaphien neben der Inschrift eine kleine Darstellung des
Verstorbenen anbrachte, gewöhnte man sich an diese Verbindung von Heiligenbild
und Portrait, und auch bei der Schenkung eines Andachtsbildes unteriieß man nicht,
den Stifter in kleinem Maßstab auf die Tafel zu malen. Oft wurde dann wieder bei
einem solchen Bilde Raum gelassen, um später das Todesdatum des Stifters einzu-
tragen und es so zu einem Epitaph zu machen ^o).
Die Erklärung für diese Verbindung von Frömmigkeit und Sorge für die Er-
haltung seines Gedächtnisses liegt in dem Wesen des Bürgertums. Als es im vier-
zehnten Jahrhundert — in Nürnberg besonders durch die Einsicht Karls des IV. ge-
fördert — immer mehr an Bedeutung gewann, als das Empfinden der Zeiten, welche die
Reformation vorbereiteten, einen jeden nach Gleichstellung seinem Gotte gegenüber
verlangen ließ, drang diese Ausprägung gesellschaftlichen Bewußtseins auch in die
Bestattungsbräuche ein ^ *). Freilich nur ausnahmsweise gesellten sich die Bürger gleich-
berechtigt zu den machtvollen, steingehauenen Gestalten der Geistlichen, Fürsten und
Ritter * ^). Auf die Fürbitte der Heiligen angewiesen, wurden sie gruppenweise in kleinen
Maßen dargestellt, wie sie ihres Schutzheiligen Vermittelung vor dem Bilde der
7) Die Totenschilde der Elisabethkirche zu Marburg, die besten Beispiele dieser Er-
innerungsform, wurden 1884 von Bikell und Warneke publiziert. Hier ist das älteste Bei-
spiel das Wappen des Landgrafen Heinrich I. (f 1308), das aus gestreifter Leinwand und.
Schnitzerei hergestellt ist. Abbildung bei Hefner, Trachten I. Tafel 82. Nach F. Küch, der
in der Zeitschrift für hessische Geschichte (XXVI, N. F. 145—225, Marburg 1902) über Toten-
schilde spricht, bedeuten sie nicht den ehemaligen Kampfschild, sondern eine für den se-
pulchralen Zweck bestimmte Nachbildung des Wappens, das die Persönlichkeit des Toten
versinnbildlichen soll. Dazu Oerlach's Abb. und die Sammlung im Germanischen Museum
mit Beispielen von 1332 ab.
8) Als Vertreter mehrerer Beispiele nenne ich an der Stadtkirche zu Eisfeld in
S.-Meiningen eine Inschrift aus dem Jahre 1364 und eine zweite aus dem Jahre 1436, die
Ditzel Heffners und seines Geschlechts Begräbnis bezeichnet, „das man ewiglich des Jahres
vierstund begeen soll alle Quatember — darum das Geschlecht ewige Zinsen gemacht haben".
(Thüringer Kunstdenkmale XXX. S. 133). Vgl. A. Ooldschmidt : Lübecker Malerei und Plastik,
1890, S. 2. Noch auf dem 1530 entstandenen Grabstein des Propstes Petrus Häckel in der
Klosterkirche zu Au, der in Epitaph-Form oben Gottvater und den von Maria gehaltenen toten
Christus, unten den knieenden Probst zeigt, steht hinter dem Namen: „stiffter diser wochen
mess." (Bayrische Kunstdenkmale I S. 1931 u. 1932).
9) Otte, 1883 S. 334.
10) Schröder, S. 84 sieht in dieser Verbindung des bei Lebzeiten gestifteten Bildes
mit der oft nachträglich angefügten Epitaphbestimmung mit Recht den Grund für die auf-
fallende Erscheinung, daß die Epitaphien so selten Bezug auf den Tod oder das Leben nach
dem Tode haben, sondern bloße Andachtsbilder von beliebigem Vorwurf bedeuten.
11) In der Kirche Gedächtnisbilder anzubringen, war in Nürnberg nur den ratsfähigen
Geschlechtem eriaubt: man vergleiche Hilperts Notiz über den Homschen Grabstein, der für
das Innere der Lorenzkirche aus mühsam eingeführtem Marmor gearbeitet war, aber wegen
des Wappens der Frau, die keinem Patrizierhaus entstammte, an der Außenseite verwittern
mußte. (Hilpert, St. Lorenz S. 12 und im Beobachter an der Pegnitz I. 3. 1807 S. 173.)
12) Als Beispiel dieser Denkmalsart sei nur das in Pückler-Umpurgs Buch über die
Nürnberger Bildhauerkunst (S. 29) besprochene Grabmal des Konrad Groß in der Spitalkirche
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VON DR. EDWIN REDSLOB.
Madonna oder des Schmerzensmannes erflehten, oder sie wurden ohne Zusammen-
hang mit der Darstellung am Inschriftstreifen untergebracht. Man konnte die
winzigen Gestalten fast übersehen, und gerne ließ es sich die Geistlichkeit gefallen,
daß auf solche Weise ihre Kirche mit Darstellungen der heiligen Geschichte immer
reicher und bunter geschmückt wurde.
Zur Herausbildung dieser neuen Denkmalsart hatte die Malerei höchstens in
den Widmungsblättern der Codices ein Vorbild; in der Plastik gab es schon in früherer
Zeit Grabesplatten, die statt der lebensgroßen Gestalt des Verstorbenen eine Dar-
stellung schmückte. Schon im zwölften Jahrhundert zeigt ein Hildesheimer Grab-
stein^^) des Presbyters Bruno, in drei Teile geteilt, zu unterst die Beweinung des
Leichnams durch Arme und Geistliche, darüber die zum Himmel fliegende Seele,
und oben Christus, der sie empfängt. Seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts
entstanden häufig Grabsteine, die eine heilige Gestalt mit der des Verstorbenen ver-
banden. Für Franken vertritt diese Art der Grabstein Berthold Ruckers an der
Pfarrkirche zu Schweinfurt (Todesjahr 1377) mit einem Schmerzensmann über dem
knieenden Verstorbenen ^ *) .
So führt, als Konsequenz der Aufrechtstellung, ein Weg vom Grabstein zum
Epitaph. Weil der Grabstein im Innern der Kirche aufgestellt werden sollte, lag es
nahe, die Gestalt des Verewigten in der knieenden Haltung des Betenden darzu-
stellen ^'*) und allmählich zur Motivierung dieser Stellung den verehrten Heiligen
beizufügen.
Also mehrere Motive und Entwickelungen auf verschiedenen Gebieten kommen
zusammen und lassen die neue Kunstform entstehen. Jedoch als entscheidend für
die Herkunft des Epitaphs ist zu betonen, daß es sich aus den Formen des mittel-
alterlichen Grabsteines entwickelte, und daß es zunächst im Dienste der herrschenden
Klasse stand.
Den formalen Charakter bekam das Epitaph durch die dekorative Aufgabe,
die es im Inneren oder an den Außenwänden der Kirche zu erfüllen hatte.
Dieser dekorative Zweck verursachte eine eigentümliche Verquickung plastischer
und malerischer Stilelemente, deren Verständnis für die richtige Auffassung der
mittelalterlichen Kunst in Deutschland entscheidend ist.
Malerei und Plastik standen damals nicht in formalem Gegensatz zu einander,
da das deutsche Mittelalter fast keine Freiplastik kannte. Zuerst war die Architektur
für die Plastik stilbestimmend, indem die Bildwerke durch Form und Zweck der
(t 1356) genannt (Abb. R^ Nürnbergs. 60), der sich (wohl noch bei Lebzeiten) ein Hochgrab
mit acht Trauernden als Träger der Steinplatte errichten ließ, was ihm, in derselben Kirche,
Herdegen Valzner nachmachte. (Vergl. Buchner über Tumben im 4. Abschnitt.) Mit Pücklcr-
Limpurg an direkte Nachahmung eines burgundischen Herrschergrabes zu denken, scheint mir
nicht nötig, da sich viele Werke dieser Anlage in Deutschland finden. Ich nenne nur für
die ältere Form das Hochgrab Conrad Wurzbolds im Limburger Dom, aus dem XIII. Jahr-
hundert und die, gegen 1300 begonnene Reihe von Tumben in der Elisabethkirche zu
Marburg.
13) Abguß im Germanischen Museum.
14) Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler I, S. 280.
15) Buchner, S. 54 u. Taf. 5: Th. v. Lichtenhayn in der Erfurter Predigerkirche vom
Jahre 1366.
Mitteiluni^en aus dem german. Nationalmitseam 1907. 2
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10 DIB FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XY. JAHRHUNDERT.
Bauteile, welche sie verzierten, ihre formalen Gesetze erhielten. Dazu entwickelte
sich am Tympanon die Reliefplastik und später für den Schmuck des Kircheninnern
die Holzskulptur, aus der die Altarmalerei ihr Vorbild gewann.
Aber wegen dieses Zusammenhanges mit der unter den Gesetzen der Architektur
zu omamentaler Stilisierung gezwungener Plastik erhärtete sich in der Malerei die
Entwickelung: lange wirkte die strenge und gesonderte Figurenanordnung der Skulptur
nach; ihrer dekorativen Bedeutung entsprechend vielfach als Ersatz der Plastik
oder der Weberei entstanden, bewahrte die Malerei im Widerspruch zu ihren freieren
Möglichkeiten einen starr gebundenen Stil.
Dennoch brachte sie notwendiger Weise lebendigere und gewandtere Lösungen
für die dekorativen Aufgaben, die ohne Bedenken sofort auf die Plastik übertragen
wurden und deren architektonisch bestimmte Formgesetze lockerten.
Darin liegt also die Bedeutung, welche die Epitaphienkunst für die Erkenntnis
der mittelalterlichen Formauffassung hat, daß sich hier die Wechselwirkung der
beiden Schwesterkünste in ihrer gegenseitigen Bedingtheit erkennen läßt.
U.
Die Epitaphien des vierzehnten Jahrhunderts in Heilsbronn
und Nürnberg,
Der Nürnberger Kunstbetätigung fehlte der vereinheitlichende Einfluß eines
Bischofsitzes oder einer alten, heimischen Tradition. Durch die Verschiedenartigkeit
der von den Bestellern geforderten Aufgaben verwirrt, mußten die Ausführenden
immer von neuem sich mühsam die äußeren Formbedingungen suchen, ein Zwang
freilich, der sie zu den schöpferischsten und eigenartigsten Meistern des späten
Mittelalters machte.
Ein Gesamtbild der fränkischen Kunst wird erst in den fortgeschrittenen Zeiten
möglich; auch innerhalb der Epitaphienkunst lassen sich für den Anfang nur ver-
einzelte Werke aufführen, deren früheste für die Heilsbronner Kloster-
kirche entstanden sind.
Die kleine Reihe beginnt mit dem frei aufgestellten Steinepitaph des 1390 ver-
storbenen Abtes Heinrich von Annavarsen.
Der oben durch einen kleinen Giebel erweiterte Stein mißt etwa ein Drittel
von der Größe einer Grabplatte. Auf beiden Seiten in handwerklicher Aus-
führung bearbeitet, wirkt er doch durch seine gedrungene, maßvolle Geschlossenheit,
zumal bei dem einen Relief, dessen Giebel geschickt dazu benutzt ist, die Darstellung
des Gekreuzigten mit Maria und Johannes und dem knieenden, nach vorn
schauenden Stifter einzufügen. Die Rückseite zeigt die Krönung Maria, die
mit dem Sohne vor einem von drei Engeln gehaltenen faltenreichen Vorhang sitzt;
Christus hat die Hand noch erhoben, die der Mutter eben die Krone aufs Haupt ge-
setzt hat, ihm wendet sich der Bischof betend zu.
Zu diesem Relief gesellen sich drei gemalteEpitaphien, von denen
nur das älteste hinreichend erhalten ist: eine schmale, zwei und einen halben
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VON DR EDWIN REDSLOB.
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Meter hohe Tafel, die im Format die
Größe eines Grabsteines übertreffen will,
stellt vor dem Kreuze und den Lei-
denswerkzeugen überlebensgroß den
mit Blut und Wunden bedeckten
Schmerzensmann dar. Seine Gestalt
ist machtvoll und wuchtig im Sinne der
alten Wandmalereien aufgefaßt: die
Arme hat er starr übereinandergelegt,
der Kopf neigt sich nach links, und aus
den zur Seite gewandten Augen dringt
ein erschütternder Blick unter geraden
Brauen hervor; die linke Schulter trägt
den Mantel, der oben in festen Linien
fällt, während er unten reiche, unruhig
gebauschte Falten bildet, deren grau-
grüner Ton mit dem Dunkelgrün des
Mantels, dem gelblich roten Futter, de^
grünlich braunen Fleisch und dem
bräunlich und grünlich goldenen, reich
gemusterten Hintergrund zu einerschwe-
ren Harmonie bronzener Farbtöne
zusammenklingt. Ihre Einheitlichkeit
ist allerdings zum Teil auf Kosten der
späteren Übermalung zu setzen. Die
Gestalt des verstorbenen Abtes ist klein
und läßt Raum für zwei Spruch-
bänder, eines mit der Inschrift:
Apt Friedrich von Hirzlach,^*^
eines mit dem bei Epitaphien oft an-
gewandten Spruch : miserere mei deus. * ')
Die Bedeutung dieses Werkes erläutert
am besten ein Vergleich mit der nur
wenig später entstandenen Fresko-
Malerei^®) eines Schmerzensmannes im
16) Friedrich von Hirzlach starb 1361.
17) Thode Tafel I und S. 14 Nürn-
berger Ausstellung 1906 No. 45. Lehmann:
das Bildnis, S. 149 mit Abbildung. Dom-
höffer, S. 446. Das Klischee zu der vor-
liegenden Abbildung wurde uns aus dem
Thodeschen Werke vom Kellerschen Verlag
zu Frankfurt a. M. freundlichst überiassen. Abb. i. Epitaph für den Abt Friedrich von
18) Bei den Schmitz'schen Wieder- Hirzlach In der Klosterkirche zu Hellsbronn
herstellungsarbeiten 1905 zu Tage gekommen. (um 1 361 ).
Buchner (S. 52) stellt das Heilsbronner Bild
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12 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Ostchor von St. Sebald, dem ausdruckslosen und plumpen Bild eines schwachen
Nürnberger Handwerkers. —
Vielleicht waren zwei andere Werke dem Hirzlach- Epitaph ähnlich: eine in zwei
Teile zerlegte Tafel zeigtoben die Halbfigur der Madonna vor einem brokatenen
Muster; schmal ansetzend, steigt der Umriß malerisch geschlossen in die Höhe, unten
kniet auf blauem Grund (die gewöhnliche Farbe des^Hintergrundes für den getrennt
dargestellten Stifter) vor einem Betpult der Bischof, den Stab in der Mitte haltend, den
Kopf nach oben zur Madonna erhoben; rechts ist ein Spruchband angebracht: Maria
mater dei miserere mei. Darunter steht, zwischen dem Hohenzollem- und Bischof-
Wappen (der Verstorbene war der Sohn des Burggrafen Friedrich IV. von Nürnberg), die
Inschrift mit dem Namen Bertholdus und dem' Todesjahr 1365*®). Die Farben
der grabsteingroßen Tafel haben durch häufige Übermalung (die erste 1497) so ge-
litten, daß der ursprüngliche Charakter des Bildes völlig verloren gegangen ist.
Daher läßt sich nicht mehr bestimmen, wie weit es Ähnlichkeiten mit dem Stile
der Schule des Prager Meisters Theodorich hatte, doch scheint eine Verwandtschaft
mit dem Votivbild des Erzbischofs Johann Ocko von Wlaschim im Rudolphinum
zu Prag sich behaupten zu lassen.
Auch bei dem kleinen Epitaph für den Arzt Mengst (t 1370) läßt sich nur
noch von der Anordnung sprechen: in der Mitte steht Christus, auf die Wunde der
entblößten Brust weisend, rechts Maria, und links kniet in einem roten, hermelin-
gefütterten Mantel der graubärtige Magister; der Raum über seinem Kopf ist durch
zwei Spruchbänder ausgefüllt, über denen aus Wolken Gott- Vater erscheint, der
mit der Hand auf seinen Sohn zeigt. Das Thema der Entsündigung durch Christus
und Maria entspricht dem Zweck des Epitaphs, kommt aber seltener vor, als man
voraussetzen sollte. Das Bild stimmt mit den bei Thode erwähnten vier Szenen
aus Christi Leben überein, die so erhalten sind, daß man in ihnen den Stil besser
erfassen kann.*®)
Von gemalten Epitaphien im Stile des ausgehenden vierzehnten Jahrhundert
sind innerhalb Nürnbergs nur Nachzügler erhalten. Eine Schmerzensmanndar-
stellung in St. Lorenz"), das Epitaph des Paul Stromer, möchte ich
trotz des frühen Todesdatums (1406) später besprechend^). Die Kreuzigung in
der Tetzelkapelle der Aegidienkirche für Anna Kunz Mendel (t 1406)
ist derartig [übermalt, daß eine Beurteilung unmöglich ist. Ein späteres
Machwerk im alten Stil ist das Epitaph für Klara Holzschuherin im
Germanischen Museum (Nr. 93), auf Goldgrund in halblebensgroßen
Figuren Maria mit dem Kinde, die Heiligen Dominicus und Katharina von Siena
mit einem Grabstein in Lineartechnik der alten Erfurter Peterskirche zusammen. Abbildung
bei F. Tettau, Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, Erfurt (S. 283).
19) Sighart II, 409 Waagen 1, 311, Muck 81, Hocker S. 5 und 6 Abbild, pag. VI
Thode S. 13, Lehmann S. 150 Dr. Julius Meyer: Hohenzollem-Denkmale in Heilsbronn.
20) Thode S. 13 und 14. Abbildung im Katalog der Nürnberger Ausstellung 1906
S. 390 (Nr. 44).
21) Thode S. 15 Janitschek S. 206
22) Kapitel IV.
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VON DR. EDWIN KEDSLOB.
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darstellend, vor deren Füßen die klein gebildete Verstorbene mit dem Wappen der
Holzschuher kniet^*). Die Inschrift lautet: Da man zeit nach Cris: geburdt m.^
CCCC. XXVI. Jar an dem andern pfingstag do verschiet Schwester Clara Holtz-
schuerin der Got genadt Am.
Die Darstellungen auf den besprochenen Werken sind für die Zeit vor 1400
bezeichnend, indem sie die damals besonders beliebten Stoffe behandeln. Die Kreu-
zigung wird Vielleicht am häufigsten verwertet, daneben erscheint bereits die Gestalt
der Maria, aber vor allem wurde ein Bild des Schmerzensmannes von den Stiftern
verlangt. Für die erzählten Ereignisse der Glaubenslehre noch nicht interessiert,
faßte man die Gestalt Christi in typischer Erscheinung auf, wie er als Erlöser von
den Predigern geschildert wurde: von Blut und Wunden entstellt, mit wehem Zug
auf die Male zeigend, die dem Verstorbenen Errettung verheißen. Dabei begnügte
man sich für die Wiedergabe des Körpers mit einem sehr schematischen Typus: nur
auf dem Epitaph des Abtes von Hirzlach ist, unter Einfluß der Wandmalerei, eine
große Formensprache innerhalb der alten Stilisierung erreicht.
Immer bedeutet die heilige Gestalt den Hauptzweck des Epitaphs, die Gestalt
des Verstorbenen wird klein und ohne scharfe Charakterisierung gegeben, die In-
schrift ist anfangs meist lateinisch und beschränkt sich auf die kürzesten Angaben.
Während in anderen Städten, zumal für die Plastik, die neue Denkmalsart schon
häufig verwendet wurde, bedeutete die Bestellung eines Epitaphs für Nürnberg und
seine Nachbarorte eine Ausnahme, sodaß sich noch keine bestimmte Form für die
Epitaphienkunst herausbilden konnte.
m.
Plastische Epitaphien an der Wende des
XIV. Jahrhunderts.
War die Nürnberger Plastik zur^Zeit ihrer ersten Anfänge — vornehmlich
an St. Lorenz und an der Frauenkirche — noch nicht zu eigenkräftiger Freiheit
gelangt, so traten in den letzten Jahrzehnten des vierzehnten Jahrhunderts bedeutende
Aufgaben an sie heran und brachten der jungen Schule eine rasche Entwicklung.
Gegen 1360 wurden die Reliefs am Lorenzer Hauptportal fertiggestellt**); 1366
bis 1379 wurde der Sebalder Chor gebaut; kurz nach 1366 am Sebalder Pfarrhof
das Chörlein begonnen; 1385—1396 fällt die Arbeit am schönen Brunnen. Um
St. Sebald und St. Moritz war ein Friedhof entstanden, und in schneller Folge wurden
die Außenwände der beiden Kirchen mit Epitaphien bedeckt, die zeigen, wie auch
auf handwerklichem Gebiet eine reg erwachte Arbeitslust nach reicher Ausgestaltung
der Motive und freien Lösungen der Kompositionen verlangte.
23) Thode S. 15. Lehmann (S. 130) erwähnt, daß die Hände der Madonna größer
sind als ihr Kopf.
24) Nach Pückler-Limpurg.
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14 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XY. JAHRHUNDERT.
I.
Am besten läßt sich die Entwickelung der Handwerker- Plastik an einer Reihe
Ölberg-Reliefs verfolgen, als deren frühestes wohl das Relief in Hoch-
format am Westchor von St. S e b a 1 d zu nennen ist, das wie die ungeschickte
Vergrößerung einer Elfenbeintafel anmutet, denn ohne plastisches Gefühl sind die
Figuren zu einem omamentalen Gefüge verteilt, das die Platte im Sinne der Klein-
kunst füllt und belebt. Es lag weder in der Absicht, noch im Können des Meisters,
die drei schlafenden Jünger zu einer Gruppe zusammenzuschließen: rechts unten
sitzen, in unbegründeter Symmetrie, zwei Jünger nebeneinander, darüber ist ein Berg
gebaut, um den dritten unterzubringen. Auch über diesem setzt sich der Höhen-
zug fort, sodaß die Schlafenden wie in Höhlen sitzen. Links erweitert sich
Abb. 2. Ölbergrellef am Westchor von St. Sebald zu Nürnberg.
die Berglinie; unter ihr ist für die zwei winzigen Figuren der betenden Stifter
Platz, über ihr kniet Christus, in der alten Art der Adoranten die Gestalt seit-
wärts, den Kopf halb nach vorn gewandt; aus engenden Faltenzügen hebt er seine
Hände empor, dem Engel entgegen, der von oben rechts sich herabschwingt, ein
Spruchband in der Hand, das in weitem Bogen die Anordnung der linken Seite
vollendet. Ein Relief mit dem Stromerschen Wappen aus dem Cyclus am Ostchor,
das nicht als Epitaph bestimmt ist, gestaltet diese Gruppe im Gegensinne um; dem
weniger hohen Format entsprechend werden die Jünger zusammengeschoben, und der
Blick kann sich mehr auf die Hauptszene konzentrieren.
Die Stileigentümlichkeiten sind an beiden Reliefs gleich : die Körper sind noch
unbeholfen, aber in ihren ausgebogenen Stellungen und intensiven Bewegungen, in
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dem Gegensatz zwischen dem ruhigen Schlaf der Jünger und dem aufgeregten
Flattern des aus der Ecke herausschießenden Engels drängt eine dramatische Lebens-
kraft zu kraftvollem Ausdruck. Die Gewandfalten spannen sich röhrenartig in
zackigem Bogen über die Körper, die Gelenke sind energisch betont.
Trotz der anders gearteten Gruppierung kommen bei der Frage nach der Her-
kunft dieser stilisierten Motive die Reliefs am Hauptportale von St. I^renz^**) als ent-
scheidende Vorbilder in Betracht, doch sind die Fortschritte naiver Beobachtungs-
lust, die den Eindruck des Sebalder Pfarrhauschores bestimmen, an beiden Werken
erkennbar.
Im Gegensatz zu den gotischen Nachklängen dieser beiden Ölbergszenen steht
das Relief in Querformat an St. Moritz, das wieder als Epitaph gedacht ist.
Die Stifter sind an einem Sockel unter dem Relief angebracht, der geschickt als
Postament der großen Christusgestalt benutzt ist, über dem Heiland spannt sich die
Linie des Zaunes, links gewährt sie für die dicht zusammengedrängte Gruppe von
Judas und drei Kriegsknechten Platz, rechts unten geht sie bis an den Rahmen und
endet hinter den übereinander hockenden Jüngern, oben ist der Himmel durch Wolken
angedeutet, vor denen die Hand Gottes erscheint. Die Figuren sind in ihren
Bewegungen lebendig beobachtet, aber sie sind ohne jede Kenntnis der menschlichen
Gestalt ausgeführt. Christus ist groß und schlank, weil für ihn Platz war, die anderen
haben sich zum Teil mit drei Kopflängen für ihren Körper begnügen müssen. Die
Köpfe sind rund und plump und schauen ausdruckslos vor sich hin.
Ein viertes Relief — an der Südseite des Westchores — ist ähnlich an-
geordnet: durch die knieenden Stifter unterbrochen, schließt der Zaun das Relief
unten ab, links geht er bis zum Rande, sodaß die Kriegsknechte ganz zusammen-
gedrückt sind, indeß Judas die Pforte öffnet; rechts biegt das Geflecht weit aus,
den bequemen Schlaf der Jünger behütend. In der Mitte ist viel Platz für Christus,
der — zum ersten Mal mit scharfem Profil — in ausdrucksvoller Konzentration
sich nach oben wendet. Das Symbol für die Erscheinung Gottes ist heraus-
gebrochen. Unter diesem Relief befindet sich — seltsam primitiv — eine Dar-
stellung der Dreifaltigkeit: Christus als Schmerzensmann neben Gott- Vater, der
Maria im Arme hält, zwischen ihnen die Taube, rechts und links zwei Heilige, die
mit ihren bärtigen Köpfen und untersetzten Körpern an die Thonapostel des Ger-
manischen Museums erinnern. Am untersten Abschluß beider Reliefs, ohne Zusam-
menhang mit der Hauptkomposition, sind die betenden Stifter angebracht. (Das
Werk wurde kürzlich ergänzt.)
Das Epitaph der Römer an der Südseite von St. Sebald (Taf. I) mit In-
schriften vom Jahre 1331—1395^®) entspricht dem letzten Werk, in dessen Nähe es
eingelassen ist, durch die Zweiteilung der Platte. Seine späteste Jahreszahl gibt
für die Ansetzung der anderen Epitaphien an der Wende des vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhunderts den Anhaltspunkt. Die Gethsemanedarstellung ist mehr
zusammengedrängt, Judas ist schon durch die Pforte geschritten. Die Gruppe der
25) Der Baugeschichte nach muß das Relief am Ostchor um 1379 entstanden sein.
26) Die Zahl 1416 der Ergänzung wird 1366 gelautet haben, eine Lesart, welche ihre
Begründung aus der Reihenfolge der Zahlen bekommt.
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16 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XY. JAHRHUNDERT.
Jünger ist mit sichtlicher Freude an den; Wechselspiel der Motive gebildet, wie
denn dies Werk feineres Verständnis für die Charakteristik der einzelnen]^ Gestalten
zeigt. In der unteren Hälfte steht ein schlanker Schmerzensmann zwischen den
zierlich geputzten Angehörigen der Familie Pömer.
Die fünfte, an der Nordseite des SebalderWestchores eingemauerte
Ölbergdarstellung ist eine etwas spätere Handwerker arbeit: in den gedrungenen,
plumpen Figuren im Gegensatz zur gotischen Schlankheit der früheren Werke auf
den Stil der im Verlaufe des fünfzehnten Jahrhunderts ausgebildeten realistischen
Bürgerkunst hinweisend, bringt sie die einfachste Scenerie: unten die Jünger, darüber
Christus, der sich zum Felsen wendet, hinter dessen Zacken in ungeschickter Auf-
fassung Gott- Vaters Kopf auftaucht.
Abb. 3. Ölbergrelief am Westchor von St. Sebald zu Nürnberg.
In der Nähe befindet sich die Kopie des letzten Reliefs unserer Reibe: es
zeigt die kräftigen Gestalten des benachbarten Werkes, vermehrt um die Schar der
Kriegsknechte. Die Figuren sind dicht gruppiert, nicht um den Raum zu gliedern
und zu beleben: es kam dem etwas plumpen Meister nur darauf an, ihn recht voll-
gefüllt zu haben, ihn auszunutzen.
Hier kommt der neue Stil entscheidend zum Ausdruck: die feine dekorative
Anordnung der Gotik hört auf, das Einzelne löst sich selbständig los, wird ein Ganzes
und muß nun sehen, allein möglichst viel zu sagen und darzubieten.
Auf diesem einen Darstellungsgebiet war es möglich, im Zusammenhang
die Wandlung der Plastik um 1400 zu verfolgen; außerhalb Nürnbergs bleibt, im
Stile der zuerst besprochenen Wßrke gehalten, das Relief eines etwas manierierten
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VON DR. BDWIN REDSLOB.
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gotischen Handwerkers an der oberen Pfarrkirche in Bamberg hinzu-
zufügen, das dem von Buchner besprochenen Epitaph Heinrichs von Meiningen (t 1382)
an der Erfurter Augustinerkirche*') ähnlicher ist, als einem Nürnberger Werke. — Für
Nürnberg haben wir noch andere Darstellungen zu nennen, die in der Zeit um 1400
gearbeitet worden sind.
H.
Das früheste dieser Epitaphien, die am Äußern von St. Sebald und St. Moritz
in Zusammenhang mit dem dortigen Friedhof entstanden sind, scheint das
Epitaph an der Südseite von St. Moritz zu sein; unten den in Verwesung über-
gehenden Leichnam darstellend, bringt es oben drei beziehungslos nebeneinander ge-
reihte lamentierende Gestalten mit geneigten Köpfen: zwei Heilige und den mit einem
Mantel umkleideten Schmerzensmann. Die Darstellung des verfaulenden, von
Schlangen umringelten Leichnams ist ein für den drastischen Naturalismus des späten
Mittelalters bezeichnendes Motiv. Mitunter liegt er auf dem Grabstein*®) statt des in
Prunkgewändem Aufgebahrten, besonders bei Hochgrab- Anlagen, wo über diesem Stein
eine zweite Platte getragen wird, die dann die Gestalt des Lebenden bringt. Gern
wird, wie in der Grabplatte Hans Baumgartners zu Kufstein**), dem Gleichheits-
empfinden der neuen 2^it entsprechend, ein Spruch beigefügt. („Arm und reich
vern all dem pild geleich.") In Nürnberg ist dies Epitaph das einzige, welches
sich jenem Todesallegorien und Totentänze in sich schließenden Vorstellungs-
bereiche nähert.
Ein zweites Steinbild an der Moritzkirche zeigt ähnlich manieriert be-
wegte Figuren. Die Konsole der Mitte trägt die tänzelnd bewegte Maria, an
den Seiten stehen zwei heilige Frauen; vor der Madonna knieen die kleinen
Figuren der Stifters und seiner Frau, der Raum über ihnen gab Platz für zwei
Engelsköpfe, die der Meister mit sichtlicher Liebe ausführte.
Die übertriebenen Gebärden der Gestalten hat ein drittes Werk links vom
Westportal derselben Kirche (Taf. II) mit dem Todesjahr 1422^®) mit den beiden
besprochenen Arbeiten gemeinsam. Von einer gotischen Architektur umrahmt, zeigt
es die halbe, nackte Figur des Schmerzensmannes über dem Grabe, den Maria und
Johannes in weichem Schmerze betrauern. An den Seiten stehen zwei weibliche
Heilige, aus der Grabeskiste hängt das Veronicatuch bis in die untere Hälfte herab,
wo die Stifter hinter einem Papst und Bischof knieen. Dieses Schmerzensmann-
Epitaph hat große Ähnlichkeit mit dem Steinbild links vom Tucherportal an
27) Buchner S. 74 Abbildung 152 (von Johannes Gehart). Dazu das Epitaph der
Familie Pfaffenhofer (Todesjahr 1429) in Erfurt. (Lübke, Plastik II S. 719.) Ober zwei Öl-
bergreliefs von Anfang und Mitte des 15. Jahrhunderts in Wasserburg, vgl Bayr. Kunst-
denkm. I, 2085 und 2086. Über eine Reihe Ölbergreliefs in Regensburg, vgl. Seyler, S. 101 ff
28) Peter von Schaumberg (f 1467) in Rieh], Augsburg, S. 43.
29) Abb. Bergner, S. 301. Josephi, S. 65, 66. Riehl, Die Kunst an der Brennerstrasse.
S. 5 (mit anderen Beispielen).
30) Lotz. Rettberg. Von Pückler-Limburg S. 113 und 114 ohne Zusammenhang mit,
anderen Nürnberger Werken behandelt.
Mitteilungen ans dem gorman. Nationalmusoiim. 1907. 3
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18 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UNÜ XV. JAHRHUNDERT.
St. Lorenz. Hier fehlen die Heiligen und Geistlichen; an Stelle des Veronica-
tuches ist eine Inschriftrolle gekommen, Maria und Johannes sind in Halbfiguren
gegeben.
Die Gestalten dieser Reliefs lassen uns an aie Schauspieler denken, die auf den
Passionsbühnen die Leiden Christi darstellten. Wir erkennen in dem erregten Ge-
bahren der Figuren den empfindsamen Ausklang der gotischen Kunst.
Doch zeigen diese beiden .Werke die eigenartigen Züge eines bedeutenden
Meisters, der sich eine leicht zu erkennende Formensprache ausgebildet hat. Der
Christuskörper hat spitz herausgeknickte Schultern, über denen sich die Haut des
Halses, der den Kopf nicht zu tragen vermag, kraftlos zusammenzieht. Der Brust-
korb ist durch einen scharfen Grat von den Rippen abgesetzt, die sich hart heraus
Abb. 4. Epitaph^am Tucherportal von St. Lorenz zu Nürnberg.
zeichnen, darunter wird der Oberkörper durch eine abnorme Einziehung über den
Hüften vom Bauch getrennt. Die Linien der Gestalten sind weich und ausdrucks-
voll empfunden, die Falten des Gewandes zierlich und in zartem Flusse angeordnet.
Unter deutlichem Einfluß des Reliefs an St. Moritz steht das Epitaph eines
Tetzel in der T e t z e 1 k a p e 1 1 e der Aegidienkirche. Dargestellt sind in der großen
oberen Abteilung, unten durch konsolenartige Vorsprünge vorbereitet, die drei
Figuren der Kreuzigungsgruppe. Christi Körper zeigt, bei aller schematischen Be-
handlung, besonders des Knochenbaues, dennoch einige nach der Natur beobachtete
Einzelheiten, an denen sich ein Fortschritt im Vergleich mit dem Körper des
Reliefs vom Jahre 1422 erkennen läßt. Die reich übereinandergepreßten Röhren-
falten in den Gewändern der beiden Trauernden scheinen ebenfalls dafür zu sprechen,
bei einer stilistischen Datierung nicht vor die Zeit um 1430 hinauszugehen. In der
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VON DR. EDWIN REDSLOB.
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unteren, etwas verbreiterten Steinplatte kniet links vor seinem Wappen der Stifter,
rechts würfeln zwei Kriegsknechte um den sorgfältig ausgearbeiteten ungenähten
Rock Christi
Durch alle diese Plastiken, die sich um die Schmerzensmann-Darstellungen
an St. Moritz und St. Lorenz gruppieren, erhalten wir die deutliche Vorstellung von
einer bestimmten Schaffensrichtung, die für den Stand der Nürnbergei Kunst,
nach der Vollendung der großen, in nachahmenden Formen ausgeführten Aufträge
des vierzehnten Jahrhunderts charakteristisch zu sein scheint. Noch wirkt die
dekorative Formauffassung der Gotik nach, aber zugleich verleiht ein fast sentimental
zu nennendes Eingehen auf die seelischen Regungen der einzelnen Gestalten den
Szenen verinnerlichten Gehalt.
Erst als die Bürgerkunst im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts mit ihrer
realistischen Kraft einsetzte, konnte in Nürnberg ein eigenartiger Stil entstehen.
Dafür war nötig, daß die Malerei sich vom Einfluß der Plastik löste» >), die ihr
keine pfadfindenden Stilgesetze mehr geben konnte, deren Weiterleben vielmehr
selbst davon abhing, ob die neue malerische Auffassung die Wege öffnen könnte,
nach denen die Plastiker vergeblich gesucht hatten.
31) Wie überwunden der Einfluß der Plastik auf die Malerei war, zeigt am besten das
Epitaph des Hans Stark (f 1435) in St. Sebald, das neben dem Abendmahl auch das Gebet
in Gethsemane darstellt. Leider macht seine Obermalung (1627) jede über die Komposition
hinausgehende Beurteilung unmöglich.
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20
DIE FRÄNKISCHEN EPriAPHIBN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
IV.
Berthold Landauer und seine Nachfolger.
I.
Die zarte Auffassungsart, die in der Plastik den Ausklang der gotischen Kunst
bedeutet, wurde für die erste ausgeprägte Persönlichkeit der Nürnberger Maler-
schule, für den gegenwärtig gern Berthold Landauer»*) genannten Meister, die
Quelle eines neuen Stiles. Die Malerei war ein beweglicheres Ausdrucksmittel für
den empfindsamen Sinn jener Übergangszeit, sie übernahm in der Epitaphienkunst
bisher vorwiegend der Skulptur zugewiesene Aufgaben, für die sie eine leichtere und
verinnerlichte Lösung fand.
Das Stromersche Epitaph in St. Lorenz**) erscheint mir als das bezeich-
nende Frühwerk seiner unter dem Einfluß der Plastik entwickelten Kompositionsart.
Ähnlich wie auf den besprochenen beiden Reliefs an St. Lorenz und St. Moritz ist
eine Gruppe des Schmerzensmannes mit Maria und Johannes gebracht. In vollstem
Gegensatz zu Malern des vierzehnten Jahrhunderts, wie z. B. zum Schöpfer der
freskenartig empfundenen langgezogenen Gestalt der Hirzlach-Tafel in Heils-
bronn, gibt Meister Berthold seinem Christus eine kleine Gestalt, er malt ihn in
halber Figur und ohne Wunden, umgibt ihn mit einem Strahlenschein, hinter dem
das grausame Kreuz fast verschwindet, und legt den Hauptton auf die stille Klage
von Maria und Johannes. Nicht mehr mit der Brutalität qualvoller Drastik soll das
Opfer Christi die Seelen erschüttern: die milde Trauer der zwei Menschen, die ihn
am meisten geliebt haben, wird der bestimmende Gehalt des Bildes. Aus gleichem
Geiste entstand (in St. Lorenz) das Epitaph für Kunz Rymensnyder
(t 1409)'*), dessen Aufnahme in die unter Bertholds Namen zusammengefaßten Werke
sich vielleicht innerhalb dieses Zusammenhanges rechtfertigt^*). Dem Bilde des
germanischen Museums (Nr. 96) entsprechend, das ursprünglich die Rückseite
der Imhofschen Tafel in der St. Lorenzkirche darstellte, zeigt es den Körper des
Schmerzensmannes, links von Maria, rechts von Johannes erfaßt. Schon erscheinen
die Eigentümlichkeiten und Feinheiten der späteren Zeit vorgebildet: der Typus
des Kopfes mit seinen einfachen, geraden Linien, der Schwung der Lider, und der
konzentrierte Ausdruck der Augen, die — in einer Bertholds Gestalten eigenen Weise
— so zur Seite blicken, daß der weiße Augapfel nur an einer Hälfte sichtbar ist.
Schon läßt sich das für seine Figuren bezeichnende sensitive Tasten seiner Hände
empfinden: sie wagen kaum zu fassen, und bei der geringsten Berührung durch-
zittert den Körper ein Schauer.
Daher möchteich in diesen beiden Gemälden, den Inschriften entsprechend, Werke
vom Anfang des Jahrhunderts sehen und ihren Zusammenhang mit den plastischen
32) A. Gümbel: Meister Berthold, ein Glied der Familie Landauer. Repertorium für
Kunstwissenschaft XXVI S. 318.
33) Siehe Kapitel II am Schluß. Thode S. 15 Lehmann S. 15.
34) Weltmann I S. 405.
35) Thode: Schule Bertholds.
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VON DR. EDWIN REDSLOB.
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Epitaphien für die Entstehung der Kunstweise als wichtig betrachten. In der An-
ordnung zeigt sich darin, daß die. Stifter von der Hauptgruppe zwar getrennt sind,
aber doch durch das Veronicatuch eine Beziehung zwischen beiden Hälften gegeben
ist, der Einfluß der beiden Schmerzensmannreliefs an St.. Moritz und St. Lorenz,
Abb. 5. Epitaph für Kunx Rytnensnyder (gest. 1409) in St. Lorenz.
die als Beispiele für die Berthold bestimmenden Plastiken einen für die Geschichte
der Nürnberger Malerei wichtigen Aufschluß über den Zusammenhang von Skulptur
und Malerei geben.
M.
Dann wandte Berthold sich neuen Stoffen zu, deren Gestaltung sein freier
sich entwickelndes Vermögen ihm erlaubte, und auch in seinen Epitaphien drückt
sich der Wandel aus. Noch einmal ist auf der Staffel der Prünsterin- Gedenktafel
im Germanischen Museum (Taf. IM) zwischen zwei Heiligen und den Stiftern der
Schmerzensmann gebracht. Aber oben in der Darstellung der Geburt darf er hellere
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22 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Vorstellungen verwirklichen, in denen sein Wesen sich besonders glücklich äußert.
Die Tafel ist in größerem Format gehalten: 1,40 m hoch und über 1 Meter breit;
da sie bestimmt war, an einem Pfeiler der Frauenkirche zu hängen, ist sie rund ge-
bogen.
In diesem Werke erkennen wir in Komposition und Farbe den italienischen
Einfluß, der ihm offenbar durch die Prager Richtung des Thomas von Modena ver-
mittelt wurde'*). Vor dem Stalle kniet Maria nach rechts gewandt mit gefalteten
Händen neben dem Kind, das ein heller Lichtglanz umstrahlt; ein Pfosten sondert
die Gestalt des heiligen Joseph, doch oben werden die Gruppen durch den Kranz
dreier Engel verbunden, die vor dem Dache mit einem Glorienband schweben. Ähn-
lich wie auf dem Stromer- Epitaph trägt' Maria einen grünlich-blauen Mantel mit
hellem Schimmer auf den Faltenhöhen; Josephs Gewand ist weinrot mit blauer
Kappe, doch sind die Farben auffallend matt, was mit dem kalkigen Grund
des Bildes zusammenhängt. Für Meister Berthold bezeichnend ist die riesige Scheibe
des Heiligenscheins der Maria, für die er durch Bilder des Thomas von Modena eine
Voriiebe gefaßt haben kann.
ni.
Sein folgendes Schaffen ist fast ausschließlich der Verherrlichung
der Maria gewidmet. Von zwei einander sehr ähnlichen Werken: der Imhoff-
Madonna in St. Lorenz'^ und dem Epitaph der Elisabeth Tetzel (t 1437)
in der T e t z e 1 k a p e 1 1 e ist das erste noch trefflich erhalten, indeß das andere
durch Übermalung völlig entstellt ist. Die Komposition ist auf beiden Tafeln gleich.
Wie im Epitaph Bertholds von Hohenzollem zu Heilsbronn ist die Halbfigur der
Madonna dargestellt, in der Art des durch Böhmen vermittelten Lieblingsmotives
der Sienesen. Ein schlichter, blauer Mantel mit goldenem Saum legt sich über den
Kopf und umhüllt in weichen Falten die Gestalt. Auf der rechten Seite sitzt Jesus,
in seinen vollen Formen dem Kinde der Prünsterin-Tafel ähnlich, und um einen
Vorhang schweben 4 Engel, deren lange, schmale Flügel wie zum Kranze sich um
die Madonna vereinen. Auf einem getrennten Streifen unter der Hauptdarstellung
ist links der Stifter mit acht Söhnen, rechts dessen Frau mit vier Töchtern unter-
gebracht, ohne daß auf die Porträtwiedergabe viel Wert gelegt wäre.
In zwei entwickelteren Werken, die sich im National-Museum zu
München befinden, ist der Gestalt der Verstorbenen mehr Bedeutung ver-
liehen. Diesmal handelt es sich auch nicht um die Aufreihung einer Stifterfamilie :
beide Bilder sind für Dominikaner - Nonnen vom Kloster zum heiligen Grab
36) Schon bei einem Werke des vierzehnten Jahrhunderts (Kap. II) ließ sich Theodorichs
Einfluß behaupten. Auch die beiden Tafeln mit dem Bethlemitischen Kindermord und der
Bestattung Maria (Thode, Taf. 5) im Germanischen Museum (97 u. 98) zeigen Prager Stil-
eigentümlichkeiten. Man wollte deshalb Thode die Berechtigung, sie der fränkischen Schule
einzureihen, abstreiten; doch wird seine Ansicht durch die neuaufgefundenen Freskenreste:
Qerichtsszenen aus dem Leben des Apostels Paulus in St. Sebald und die Geburt Christi in
St. Moritz, gerechtfertigt, die engsten Zusammenhang mit den beiden Bildern des Germanischen
Museums erkennen lassen.
37) Abbildung : Thode, Tafel 4.
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VON DR, EDWIN REDSLOB.
23
in Bamberg gemalt. Die Inschrift des einen drückt die Bestimmung der
Tafel aus: Anno domini M°. CCCC dernoch im XLIII iar an unsers herre leichnä
obet do vschied gerhaus ferin Klosterfraw zum heiligen Grab der Got genedik sey.^®)
Im Typus stimmen beide Werke völlig mit der Imhoff -Madonna überein. '•)
Sie zeigen dieselben gelbblonden Haare, die in geschmeidiger, dichter Masse den
seitwärts gewandten Kopf umrahmen und denselben scharf konzentrierten Blick
aus dunklen, weit von einander stehenden Augen, deren oberes Lid in einer markanten
braunen Linie gezogen ist. Der rechte Winkel von Braue und Nasenlinie, die leichte
Falte zwischen Backe und Nasenflügel, und die weit auslaufende Linie des unten
gerade abgeschnittenen Kinnes verbreitem den Kopf und betonen seine fest um-
rissene, quadratische Form, wodurch er den Ausdruck feierlicher Geschlossenheit
erhält. Die Hände haben schmale Finger, von denen meist nur zwei oder drei zu sehen
sind. In gehaltener Erregung schieben sie sich aus den eng und mas ig geschlossenen
Falten des Gewandes hervor, das einen gedrungenen Körper umspannt***).
' Das Fehrin- Epitaph *M ist offenbar später als das der unbekannten Nonne ge-
malt. Bei diesem zeigt die symmetrische Kompositionsart und die reiche Verwendung
der Spruchbänder Anschluß an ältere Vorbilder, die sich wahrscheinlich am Bestel-
lungsort befanden. In Querformat auf Goldgrund stellt es in der Mitte die gekrönte
Maria dar, rechts von ihr steht die heilige Elisabeth, links kniet, von Johannes dem
Evangelisten empfohlen, die Stifterin, nach der das Christuskind sein Ärmchen
ausstreckt.
Beim Fehrin-Epitaph ist die Heilige weggelassen, das Kind, das Maria im an-
deren Bild quer über ihrem Schoß hielt, so daß es zurückschauend sich zur betenden
Nonne wandte, konnte hier ungezwungen und frei auf die eine Seite gesetzt werden.
Auch nahm sich der Meister die Freude, hinter der Madonna von zwei entzückenden
Engeln einen reichen Brokat halten zu lassen, der in vollen, perspektivisch geschickt
benutzten Falten auf dem Boden liegt. Auch die Nonne schaut nicht mehr starr wie
eine vorgeschobene Puppe aus dem Bilde heraus: ruhig und lebendig hebt sie den
Blick zum Kinde empor. Auf dem früheren Epitaph entsprach dem Grün der Heiligen
ein roter Mantel des Johannes: auf dem zweiten hat er, im Gegensatz zu den weichen,
malerischen Falten der dunkelgekleideten Maria einen weißen Überwurf mit scharf
gezeichneten Linienzügen/ ^).
!V.
Mit Bertholds Schaffen steht ein weiteres Werk in Zusammenhang: der Tod
der Maria für Hans Glockengießer (t 1433) in St. Lorenz*«). Ähnlich
38) Waagen, I, S. 116. Sighart S. 613, Janitschek S. 285, Abb. Förster, VII, S. 15
und H. Waldes-Stich, Thode S. 32 und 33. Was die Inschrift betrifft, so wird seit dem Be-
ginne des 15. Jahrhunderts die deutsche Sprache bevorzugt.
39) Zur Entstehungszeit siehe Thode S. 32.
40) In diesem Werke erscheint die von Thode behauptete Beziehung zu dem süd-
böhmischen Meister von Wittingau besonders überzeugend.
41) Lehmann S. 133.
42) Ich glaube, daß in Beziehung zu dem Nonnen-Epitaph das Rauchenberger Votiv-
bild in Freising (aus Salzburg stammend) zu nennen ist; doch ist mir das Bild in den Einzel-
heiten nicht gegenwärtig.
43) Lehmann S. 153.
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24 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
wie schon in den Wandmalereien in St. Sebald und in der Heiliggeistkirche aus der
Zeit um 1400**) ist das Bett quer gestellt, doch wird, dem Verlangen nach belebter
Handlung entsprechend, Maria nicht mehr als Verstorbene aufgebahrt dargestellt,
sondern es ist der Moment erfaßt, da sie im Gebete vor dem Pult zusammen-
bricht. Die dichte Gruppe der Apostel links ist auch hier nicht gelockert, aber im
übrigen ist die Darstellung mit freiem Lebensgefühl und malerischem Sinn aufgefaßt.
Die lange Fläche des leeren Bettes ist unterbrochen, indem Johannes seinen Arm
darüber nach der Maria zu ausstreckt. Der auffallend entwickelte Wirklichkeitssinn
des Meisters dieser Tafel vertangte, Christus von der Szene zu trennen: mit der
Seele der Verstorbenen schwebt er zwischen Engeln über den Versammelten. Be-
sonders an diesen Engeln mit ihren kraftlosen Flügeln erkennt man, daß die Aus-
führung von einem schwächeren Meister herrührt, dessen Kunst bei allem Ver-
ständnis für die Auffassung der Szene in den einzelnen Gestalten einen phleg-
matischen, von dem zurückhaltenden Wesen Berthold Landauers weit entfernten
Charakter zeigt. Formal unterscheiden sich seine Gestalten durch die geringe Aus-
bildung der Hinterköpfe und die unbeholfene Bewegung der Hände.
Die Zeichnung und Gruppierung der Engel mit ihren schwingenden Flügeln
und die runden Formen des Christuskindes berechtigen vielleicht dazu, das gänzlich
übermalte Schutzmantelbild für die 1422 gest. Anna Tetzel in der Tetzelkapelle
als Werk eines Berthold-Nachfolgers hier anzureihen. Wie ein Relief an St. Sebald
zeigt es die Stifter zwischen den Vertretern der Menschheit als Schutzbefohlene unter
dem Gewand der Gottesmutter.
Auch mag erwähnt sein, daß ein schwäbisches Epitaph für den Pfsyrer Joh.
Paur von Bechthal (t 1456) im Münchener National-Museum, Saal 8
ähnlich angeordnet ist, wie Meister Bertholds Bamberger Epitaphien.
Einen Schüler Bertholds hat Thode in dem Meister des Wolfgangs-
altar es (St. Lorenz) gefunden und ihm das Epitaph des Professors Friedrich
Schon (t 1464) in St. Lorenz, sowie die kleine Gedächtnistafel im Germanischen
Museum zugewiesen. Die Tafel des Germanischen Museums stellt, vermutlich als
Staffel eines Epitaphes, den 1449 bei Fürth gefallenen Anton Imhoff in voller
Rüstung knieend dar. Der gelehrte Stifter der Lorenzer Tafel hat sich — wohl noch
bei seinen Lebzeiten und nach seinen Angaben — eine Allegorie auf Christi jungfräuliche
Geburt malen lassen. Die in der Mitte befindliche Szene der Geburt, deutlich beein-
flußt von dem Prünsterin-Epitaph Bertholds, ist umrahmt von einem auf der Spitze
stehenden Rhombus mit Kreisen an den Ecken, welche die vier Evangelistensymbole
enthalten. In den Dreiecken, die zwischen Rhombus und Mittelbild entstehen, sind
die Symbole der Reinigung Pelikan, Phönix, Löwe und Einhorn angebracht. Die
Dreiecke, die der Rhombus nach außen abschneidet, enthalten folgende Einzel-
szenen: Moses vor dem feurigen Busch, Aaron mit dem blühenden Stabe, Ezechiel
44) Vergl. hierzu: Dr. Traugott Schulz in der Süddeutschen Bauzeitung VI (1904)
mit Abb. d. Freskos der Heiliggeistkirche.
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VON DB. EDWIN REDSLüB.
25
und endlich Gideon vor dem Vliess. Die einfassenden Streifen boten Raum für
eine Menge lateinischer Inschriften.*'^)
Man muß dies gelehrte Epitaph für einen besonders guten Empfehlungsbrief
an den Himmel gehalten haben, denn zum Gedächtnis des 1478 verstorbenen Ulrich
Starck ist es von einem "schwachen Maler in der Sebalduskirche nachge-
Abb. 6. Epitaph für Friedrich Schon (gest. 1464) in St. Lorenx zu Nürnberg.
macht worden; heute ist das Bild durch die Renovierungen (1591 u. 1658) seinem
ursprünglichen Charakter entfremdet. Daran reiht sich, in quadratischer Form
mit 8 Kreisen, welche die Seiten des Rhombus durchschneiden, eine gleichfalls durch
Übermalung entstellte Tafel der T e t z e 1 k a p e 1 1 e für die Frau des Linhart
Tetzel (t 1480). —
45) Thode S. 53. Als Beispiel ähnlicher Darstellungen nenne ich in Verbindung mit
der Verkündigung die Freske im Emmauskloster zu Prag (Neuwirths Publikation Tafel VIII) ;
in Verbindung mit der Geburt zwei Niederrheinische Bilder, die als No. 88 und 89 in
Düsseldorf 1904 ausgestellt waren. Vergl. S. 36 von Clemens Katalog und die Literatur-
angaben über Typologie der unbefleckten Empfängnis dort und in den Kunstdenkmälem der
Rheinprovinz V, S. 198. (Abbildungen: Kdm. d. Rheinpr. V Tafel XVII und Kdm. des
Kreises Gladbach S. 76, Tafel XVIII) und Firmenich-Richartz in d. Ztschr. f. christl. Kunst
VIII S. 304. Kunst-Dkm. Mecklenburg-Schwerins I, S. 189 fg. Hochaltar in der Kirche zum
hl. Kreuz zu Rostock u. S. 187 Lettner-Altar in derselben Kirche.
Mitteilungen atis dem german. Nationalmusoum. 1907.
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26 DIE FRÄNKISCHEN EPFfAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHKHÜNDERT.
Interessant für unsere Betrachtung sind diese drei Werke vornehmlich ihres
Inhaltes wegen. Durch Meister Bertholds Schaffen, der als Nachfolger der Plastiker
mit der im vierzehnten Jahrhundert beliebten Darstellung des Schmerzensmannes
begonnen hatte, kam als entscheidendes neues Motiv für die Epitaphien die Ver-
herrlichung der Madonna auf. Er bringt sie als thronende Gottesmutter, oder in der
vertrauten Weihnachtsszene. Seine Nachfolger übernehmen die Geburt Christi und
schmücken sie allegorisch aus. Hierin zuerst zeigt sich der Einfluß der Besteller auf
die Kunst, nachdem die Zeit vorbei war, in der die vereinheitlichende Dogmatik der
Kirche die festen Bestimmungen für die Wahl der Stoffe gab.
Die Weiterbildung des Epitaphs von den Malern um die
Mitte des XV. Jahrhunderts.
Berthold Landauer hatte die Epitaphienkunst aus der Plastik in die Malerei
und damit von der Außenwand ins Innere der Kirche übertragen. Gleichzeitig
hatte er in seinen Altären gezeigt, wie auch bei größten Aufgaben die Malerei die
Plastik ersetzen könne.
Die Hauptarbeit der schöpferischen Meister konzentrierte sich seitdem in erster
Linie auf die Ausschmückung der Altäre, sodaß die bescheidene Epitaphienkunst
mehr und mehr an Bedeutung verlor.
Stand unsere Betrachtung am Anfang innerhalb der lebendigen Entwickelung
der Nürnberger Kunst, so können wir jetzt zumeist nur Rückwirkungen dessen, was
im Schaffen der entscheidenden Meister neu entsteht, an den Epitaphien erkennen,
denn diese werden zu Begleiterscheinungen, die meist nachträglich und vermindert
die Fortschritte verwerten.
Dennoch haben noch einige Epitaphien große Bedeutung innerhalb des gesamten
Nürnberger Kunstschaffens. So sehen wir die rücksichtslos zupackende Auffassung,
die der Meister des Tucher- Altares brachte, im Epitaph des Pfarrers Joh. von Ehen-
heim (f 1438) in St. Lorenz (4. Kapelle rechts)*^) zum Ausdruck kommen. Dar-
gestellt ist die mit derbem Wirklichkeitssinn erschaute Gestalt des Schmerzens-
mannes, dem der Pfarrer von den reichgekleideten Heiligen Heinrich, Kunigunde
und Lorenz empfohlen wird. Es charakterisiert die energische Art der neuen
Generation, wie jetzt die Einzelerscheinung herausgearbeitet wird, wie jede Gestalt,
von einem kraftvollen Leben durchglüht, in sich abgeschlossen dasteht, und auch
das Bild des Stifters infolgefder realistischen Freude an der Porträtwiedergabe
größere Bedeutung erhält.
Zwischen der gehaltenen Christusgestalt des Tucher-Altares und der gewaltsam
aufgefaßten des Ehenheimschen Bildes steht der Kruzifixus auf dem Epitaph des
46) Von Thode als Werk dieses Meisters S. 79 näher beschrieben und mit dem
Altärchen der Johanneskirche (Abbildung dieses Altares im Burlington-Magazin von 1906)
zusammengestellt. Lehmann fragt S. 70 nach dem Namen des Pfarrers. Dörmhöffer S. 448.
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VON DR. EDWIN REDSLOB.
27
1437 verstorbenen Ritters Heinrich von Hohen-Rechberg im Dom zu
Eichstätf )
Christus hängt mit weit ausgespannten und doch stark heruntergezerrten
Armen am Kreuzesstamm; sein mit festen Linien umrissener Kopf liegt kraftlos zur
Seite, die Haare haben sich gelöst und fallen auf die rechte Schulter herab; der
Brustkorb ist herausgedrückt, derT Unterleib ist schmerzhaft eingezogen. Die
einzelnen Glieder sind straff und .sehnig, die Gelenke sind durch auffallend kräftige
Rundung betont. Das Lendentuch ist über einen Strick gespannt, zu Seiten flattert
Abb. 7- Epitaph des Pfarrer Johann von Ehenheim (gest. 1438) in St. Lorenz zu Nürnberg.
es in beweglichen Windungen herab. Die anderen Figuren sind in strenger Sym-
metrie um das Kreuz gruppiert: unter dem Querbalken des Stammes schweben
vier Engel; links steht Maria, die Hände über der Brust zusammengelegt, den
Kopf gesenkt, von einem weißen, in reichen Faltenmassen gebauschten Mantel um-
hüllt; rechts steht Johannes, den Kopf zur Seite, die gefalteten Hände kontrastie-
rend nach außen gewandt. Ganz vorn knieen rechts und links mit ihren Wappen
der Stifter und seine Frau, in dunklem Gewände einfach gegeben, ähnlich den
Adoranten auf einigen der unter dem Namen Berthold Landauer gemeinsam be-
sprochenen Bilder.
47) Da ich das Bild unter ungünstigen Lichtverhältnissen sah, kann ich nicht ent-
scheiden, wie weit es der Rückseite des Dreikönigsaltares zu Heilsbronn verwandt ist. Be-
sonders das unterdeß von Christian Rauch als Hans Traut erkannte und Taf. 6 in seinem
Buch reproduzierte Bild der Dreieinigkeit zwischen zwei Heiligen käme hierbei in Betracht.
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28 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
In den Zusammenhang der Werke, welche die Neuerungen des Tucher-
Altares verwerten, gehört offenbar auch das Gedächtnisbild für Conrad Zingl
(t 1447) und seine 1462 verstorbene Frau in der Wolfgangskapelle der Aegidien-
kirche: doch läßt die völlige Übermalung (zum erstenmal 1531) über den Charakter
des Bildes, einer Messe Gregors mit den Verstorbenen unter der Darstellung,
Bestimmtes nicht sagen. Der Christus erinnert an das Staffelbild vom Prünsterin-
Epitaph Bertholds.
Zum Hauptbild desselben Werkes hat die Imhoff -Tafel in St. Sebald*®)
mit der Geburt Christi Beziehung; der Fortschritt der Nürnberger Kunst durch die
Entstehung des Tucher-Altares zeigt sich hier in dem Versuch, die Verkürzung eines
schwebenden Engels darzustellen. Auch die strenge Einteilung des Bildes entspricht
der Art des Tucher-Meisters: die Balken des Stalles sind geschickt zu einer Drei-
teilungbenutzt; in der Mitte kniet Maria: ihr großer Kopf auf dem dünnen, kraft-
losen Hals erinnert an Bertholds Frauentypus. Auf den abfallenden Schultern
liegt ein blauer Mantel mit unruhigen Falten, die unten den Boden weit bedecken.
Sie wendet sich zum Christkind, das von zwei Engeln und den durchs Fenster schauen-
den Hirten verehrt wird. Links von der Maria macht sich — ein abgeschlossenes Genre-
Bild — Josef am Herd zu schaffen. Das Braun der Hütte, davor das Blau der Maria,
ein wenig Rötlichbraun in den Töpfen links, kräftiges Rot bei der Madonna, das ge-
dämpft in den Engelflügeln und der Kappe eines Hirten wiederklingt, hierzu der
Dreieckaufbau der Maria und die Einteilung durch die Pfosten: diese strenge An-
ordnung von Farben und Linien bewirkt eine für den Zweck des Bildes fein empfun-
dene Symmetrie und charakterisiert den Stil des Meisters, der den Malereien des
Tucher-Altares nahe kommt, aber noch durch Einflüsse des Wolfgangsaltares zu
Bertholds Schaffen in Beziehung steht.
Gleiche symmetrische Anordnung gibt vielleicht das Recht, ihm ein später
entstandenes Epitaph in St. S e b a 1 d zuzuschreiben : in der Mitte sitzt — im
Staffelbild der beiden Stifter durch eine Konsole vorbereitet — die heilige
Anna mit der kleinen Maria, zu ihren Seiten stehen die Heiligen Katharina und
Nikolaus. (Vielleicht haben wir in diesem Bild die bei Lotz S. 336 erwähnte Tafel
für den 1460 gestorbenen Graßner zu erkennen, wodurch wir einen Anhaltspunkt
für die Datierung gewännen).
Altertümlicher in der mehr zeichnerischen Behandlung ist eine Verkündi-
gung im Chor von St. S e b a 1 d , die im Stil und nach ihren allegorischen Bei-
gaben der Kunst des Wolfgang-Meisters verwandt ist**).
Zwei Bilder ähnlichen Charakters, eine Dornenkrönung und eine Geißelung
Christi, hängen hoch oben an der gegenüberiiegenden Chorwand. **<*) Wie die Ver-
kündigung durch die beiden unten in der Mitte ansetzenden Bogenlinien, so bekommt
die Dornenkrönung durch den oberen Bogenabschluß eine architektonische Wirkung,
das zweite Bild dadurch, daß die Säule in die Mitte gestellt ist; ihr Postament unter-
bricht die Trennungslinie zwischen Darstellung und Stiftern, ähnlich, wie beim Anna-
48) Waagen S. 233.
49) Waagen S. 233.
50) Ree, Kunstchronik XXIII.
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VON DR. EDWIN REDSLOB. 29
Epitaph, mit dem das Bild der t)omenkrönung das Wappen gemeinsam hat. Ob
die beiden letzten Werke als Epitaphien gedient haben, ist nicht mehr zu erkennen,
da die Inschriften fehlen.
Für den Entwickelungsgang unserer Arbeit vertreten sie einen bestimmten
Abschnitt: aus dem Typus des Gedächtnisbildes, das durch die Maler am Anfang
des fünfzehnten Jahrhunderts seinen monumentalen Charakter verlor, hat sich die
Form des Andachtsbildes entwickelt, das in gleicher Weise wie das Epitaph mit der
religiösen Darstellung das Stifterbild verbindet.
Dieselbe, vom Epitaph nicht bestimmt zu unterscheidende Form des An-
dachtsbildes, welche die Werke aus der Zeit und dem Kreise des Tucher- Altares kenn-
zeichnet, weist das Bild der Auferstehung in der Frauenkirche auf.
Freilich macht der dunkle Platz an der Südwand der Kirche es unmöglich,
sich eine abschließende Ansicht darüber zu bilden. In der alten Art der Darstellung,
die auch der Tucher-Altar gibt, durchschreitet Christus den Stein. Durch die mit
sichtlicher Beobachtungsfreude gegebene Landschaft eilen, von Johannes begleitet,
die heiligen Frauen mit zusammengeschlagenen Händen und flatternden Kopf-
tüchern. Die sorgfältige Abbildung der Stadt Jerusalem im Hintergrund mit
genauer Wiedergabe der durch die Bibel bekannten Gebäude ist charakteristisch
für Werke um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts und erklärt sich aus den
damals besonders häufigen Wallfahrten ins heilige Land. In der Heiligen- Kreuz-
kirche, der Holzschuher- und Wolfgangskapelle finden wir solche Darstellungen
hinter den Steingestalten der Grablegung Christi, in St. Sebald*^^) ist — ebenfalls
zeitlich noch vor den Städtebildern der Schedeischen Weltchronik entstanden —
eine Jerusalem versinnbildlichende Freske gemalt, und an einigen Epitaphien erinnern
die Abzeichen der Kreuzritter an die Wallfahrt des Verstorbenen"^^).
Von einem weniger begabten Maler dieser Richtung, ähnlich schwach wie das
am Ende des vorigen Abschnittes erwähnte Stark- Epitaph, ist das Epitaph der Fa-
milie Stör (nach Hilpert) mit dem Todesjahr 1479 in St. Lorenz, „ein ganz
rohes Machwerk, Christus in der Kelter darstellend, dessen Blut von
dem auf einem mit den vier Evangelistensymbolen bespannten Wagen sitzenden
Papst aufgefangen wird."*^) Das Thema, eine Illustration zu Jesaias 63, 2 und 3,
ist alt: schon Herrad von Landsberg hat es im hortus deliciarum, ein späteres Beispiel
ist das Wandgemälde zu Klein-Komburg**) und noch im Beginne des sechzehnten Jahr-
hunderts gibt sich das Baidung Grien zugeschriebene Ansbacher Bild mit dem Stoffe
ab.*^*) So gesellte sich zu den Allegorien der unbefleckten Empfängnis, welche die
vorige Generation liebte, eine neue allegorische Vorstellung.
Damit sind wir am Ende einer Entwicklungsphase angelangt, die, mehr um die
Erscheinung des Einzelnen bekümmert, mit lebendiger Charakteristik die alten Stoffe
51) Bei den Wiederherstellungsarbeiten des Prof. Joseph Schmitz zu Tage gekommen.
52) Vgl. das Ketzel-Epitaph am St. Sebald und im Germanischen Museum die Tafel
mit Darstellung des Ketzel, die zum hgn. Grabe zogen. (G. 525).
53) Thode S. 78. Dömhöffer S. 449.
54) Abgebildet im christl. Kunstblatt 1883, S. 53.
55) Copie im Germanischen Museum.
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30
DIE FRÄNKISCHEN EPITiPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRH. VON DR. EDWIN REDSLOB.
belebt und mit natürlichen Mitteln neugestaltet, indem sie es, im Gegensatz zu Meister
Berthold, auf eine drastisch sich einprägende Wirkung abgesehen hat und eine oft
plumpe, aber stets ausdrucksvolle Sprache redet. Soweit wir aus der offenbar geringen
Zahl der erhaltenen Werke Schlüsse ziehen können, hört während dieser Phase die
gehaltene Denkmalstimmung des Gedächtnisbildes auf, die Lust am Charakterisieren
der verschiedenen Gefühle verlangt sich durchzusetzen. Die Betonung der sepul-
chralen Bestimmung hat sich fast völlig verloren, die Gestalten der Stifter werden
lebenswahr aufgefaßt, bleiben aber dem Andachtsbild untergeordnet, da ihre Größe
nur wenig über die winzigen Verhältnisse, die sie auf den frühesten Epitaphien
hatten, hinausgeht. Der Maler Berthold hatte das Epitaph von der Außenwand
der Kirche in das Innere übertragen, und in den folgenden Zeiten mußte naturgemäß
die Auswahl des Stoffes vor allem danach sich richten, daß es etwas anderes brachte,
als die Darstellungen der vorher gestifteten Votivbilder, wodurch eine einheitliche
Weiterentwickelung der neuen Denkmalsform unmöglich wurde.
(Fortsetzung folgt.)
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BEITRAGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
VON GUSTAV VON BEZOLD.
(Mit 6 Tafeln.)
o |o| o
l->. ie Aufgabe, die Erscheinung des Menschen in ihrer individuellen Eigenart
L/ tx2Aii darzustellen, wird in der bildenden Kunst erst spät vollständig gelöst.
Kultur und Kunst eines Volkes können eine große Höhe erreicht haben, ohne
daß sich das Verlangen geltend macht, die Züge bestimmter Personen im
Bilde genau wiederzugeben. Man begnügt sich lange mit Andeutung einzelner äußer-
licher Merkmale, einer gebogenen oder geraden Nase, eines vorspringenden Kinns oder
eines langen Bartes, ja man ist noch bescheidener und hat schon an der einem Stand
eigenen Kleidung und Bewaffnung genug. Das sind Vorstufen, die allmählich zum Bild-
nis hinführen, von einem Bildnis kann aber erst gesprochen werden, wenn die einzelnen
Merkmale zu einer homogenen mit dem Urbild übereinstimmenden Gesamterscheinung
vereinigt sind. Vorbedingung hierfür ist, daß Auge und Hand soweit geschult sind,
daß sie die individuelle Sondererscheinung eines Menschen objektiv aufzufassen
und wiederzugeben vermögen. Ist diese Stufe erreicht, so gewinnt die Bildniskunst
rasch die volle Sicherheit erst in der objektiven Darstellung der Formen, dann im
Festhalten vorübergehender Regungtn der Seele. Aber das Interesse an der Er-
scheinung des Einzelnen, wie die Fähigkeit, diese Erscheinung künstlerisch wieder-
zugeben, hält nicht ewig an, sie können abnehmen, ja völlig erlöschen. Im Alter-
tum besitzt die hellenistische Kunst die höchste Kraft realistischei Individualisierung,
im Beginne der Kaiserzeit ist das Können noch sehr groß; aber in der langen Reihe
der römischen Kaiserbildnisse können wir sein allmähliches Abnehmen Schritt für
Schritt bis zum tötlichen Ermatten verfolgen. Die bildnerische Kraft versiegt. In
der abendländischen Kunst ist ein solches Nachlassen des Könnens bis jetzt nicht
eingetreten. Wenn da und dort ein Künstler in einzelnen Fällen auf die volle, ob-
jektive Bildnistreue verzichtet hat, so hat das seinen Grund in einem bestimmten
und bewußten Kunstwollen, nicht in künstlerischem Unvermögen, und es ist keine
allgemeine Erscheinung.
Im Folgenden sollen einige Beiträge zur Geschichte des Bildnisses, wie sie für
weitere Leserkreise von Interesse sein können, gegeben werden. Ich beschränke
mich dabei auf das Material, das die Sammlungen des Germanischen Museums bieten.
Die Betrachtungen gehen mehr von künstlerischen, ab von streng wissenschaftlichen
Gesichtspunkten aus.
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32 BEITRÄGK ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
Bildnisse römisclier Kaiser auf Münzen.
Die Quellen der Ikonographie der römischen Kaiser fließen reichlich. Die
Zahl der Statuen und Büsten ist eine sehr große; freilich hat sich Nachahmung und
bewußte Fälschung schon früh dieses Gebietes bemächtigt, aber auch die Zahl der
echten Werke ist größer als die irgend eines anderen Zweiges der antiken Skulptur«
Dazu kommen die Bildnisse auf Cameen und Gemmen und die auf Münzen. Die
Bildnisse auf Münzen sind selten, vielleicht nie nach dem Leben gearbeitet worden,
sie sind also für die Anschauung von den dargestellten Personen nur sekundäre Quellen,
ihre große Bedeutung beruht darin, daß sie bezeichnet sind. Statuen, Büsten und
Cameen tragen nur selten den Namen des Dargestellten, in den meisten Fällen ist
die Bestimmung nur auf Grund der Bildnisse auf Münzen möglich. Auch auf ihrer
Grundlage bleibt manche Bestimmung unsicher, die Übereinstimmung verschiedener
Darstellungen einer Person ist durchaus nicht immer so groß, daß sie sofort unzweifel-
haft erkannt werden kann und zuweilen weist ein Münzbild auf zwei Typen, der
großen Plastik, welche unmöglich eine Person vorstellen können.
Die Ikonographie der römischen Kaiser ist gut bearbeitet; es genügt hier auf
die grundlegende Arbeit Ennio Quirino Viscontis, Iconographie Romaine, fortge-
setzt von Mongez und auf Bernoullis römische Ikonographie zu verweisen. Reiches
Abbildungsmaterial bietet Lenormant im Tresor de numismatique et de glyptique.
Abt. Iconographie des empereurs Romains.
Es soll hier nicht Bekanntes wiederholt und mit dem lückenhaften Material
unserer Münzensammlung eine Ikonographie der römischen Kaiser zusammengestellt
werden, ich will vielmehr versuchen, die Entwicklung des Bildnisses auf Münzen im
Verlauf der römischen Kaiserzeit an einer Reihe von ausgewählten Beispielen zu
veranschaulichen. Die Entwicklung ist eine absteigende, sie führt von hoher Voll-
endung zu tiefem Verfall.
Münzbildnisse sollen zuerst bei den Persern vorkommen, allein die Darstel-
lungen der Großkönige auf persischen Münzen können schon aus dem Grunde nicht
als Bildnisse gelten, weil die Könige in ganzer Figur dargestellt sind, wodurch bei
der Kleinheit des Maßstabes eine treue Wiedergabe der Züge ausgeschlossen ist.
Eine solche ist indes gar nicht beabsichtigt. Die Köpfe persischer Satrapen auf
kleinasiatischen und kilikirschen Münzen sind allgemeine Typen, keine Bildnisse.
Es sind Arbeiten griechischer Künstler aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts,
aus der Zeit, in der die Kunst des Stempelschneidens bei den Griechen ihren Höhe-
punkt erreicht hat. Erst nach dem Tode Alexanders des Großen erscheint sein
Bildnis, wie das der Münzherm auf den Münzen der Diadochen. Der erste, der sein
eigenes Bild in porträtmäßiger Treue auf seinen Münzen anbringen ließ, ist Ptolemaios
Soter; ihm schlössen sich bald Demetrios Poliorketes und Seleukos Nikator an.
Die Münzbildnisse sind zu allen Zeiten ungleich in der Anführung, so schon
in ihren Anfängen, aber die besten unter den Münzen der ersten Diadochen sind von
einer Größe des Stils, die später kaum wieder erreicht und niemals übertroffen worden
ist. Es ist ein plastisches Können, eine Fähigkeit, auch in kleinem Maßstab einfach
und groß zu arbeiten, in diesen Köpfen niedergelegt, das die höchste Bewunderung
erregt. Die plastische Kraft läßt im Laufe der Zeit nach und die Arbeit geht mehr
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YON GÜSTÄY VON BEZOLD. 33
ins Kleine. Ein entschiedener Rückgang tritt im Laufe des zweiten Jahrhunderts
V. Chr. ein. Die Köpfe sind leer und flau gearbeitet.
Gegenüber den Bildnissen der späteren Ptolemäer, wie der Dynasten von Kili-
kien und Kappadokien bedeuten die ersten Münzbilder der römischen Imperatoren
einen Aufschwung. Sie sind nicht die ersten Bildnisse auf römischen Münzen. In
der späteren Zeit der Republik werden Denare mit den Bildnissen der Könige, so-
wie mit denen historischer Persönlichkeiten geprägt. Daß jene freie Erfindungen
sind, liegt auf der Hand, aber auch diese sind alle erst nach dem Tode der Dar-
gestellten geprägt und wir können nicht entscheiden, wie weit ihnen vorhandene Bild-
nisse zu Grunde liegen, wie weit sie Phantasiegebilde sind; denn die Fähigkeit, auch
solchen das Gepräge scharf ausgesprochener Individualität zu geben, nehmen wir
auch an den Königsbildern wahr. Die Köpfe des Ancus Marcius, wie des Postu-
mius und des Lucius Brutus sind mindestens ebenso persönlich, als die des Sulla
oder des Pomponius Rufus. Letztere nebst einer größeren Anzahl von Bildnissen
berühmter Männer auf Denaren aus der Zeit der Republik sind alle erst in der ersten
Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. nach Bildern oder älteren plastischen Dar-
stellungen gefertigt. Sie machen den Eindruck der Porträtähnlichkeit, aber sie sind
trocken behandelt und nicht sehr sorgfältig gearbeitet. Der Stil ist wie der der ge-
samten römischen Kunst jener Epoche, hellenistisch; sie stehen auf der Stufe der
Münzbilder der asiatischen Dynasten der gleichen Zeit.
Um vieles höher stehen die guten Münzbilder der Kaiser des julisch-claudischen.
des flavischen Hauses, ja auch der folgenden bis auf Hadrian. Von den Schwan-
kungen, welche die römische Kunst in dieser fast zweihundertjährigen Periode durch-
macht, wird die Stempelschneidekunst kaum berührt. Der Stil dieser Kaisermünzen
läßt sich mit dem heroischen der frühen Diadochenmünzen nicht entfernt vergleichen,
er ist lange nicht so plastisch groß; aber die Bildnisse sind gut charakterisiert und
geben uns eine lebendige Anschauung von den dargestellten Personen. Die Köpfe
sind stets im Profil gegeben. Das Relief ist mäßig hoch, malerisch behandelt und
bei guter Beleuchtung von vortrefflicher Wirkung. Die Anlage ist fast immer her-
vorragend gut, sodaß noch stark abgenützte Exemplare den Eindruck geistreicher,
treffender Skizzen machen. Die Durcharbeitung geht ins Einzelne, ohne kleinlich
zu werden und die Gesamthaltung bleibt gewahrt. Die Künstler haben ein scharfes
Auge, dem die geübte Hand willig folgt und sie beherrschen die Form mit voller
Sicherheit. Ein sehr großes Können vererbt sich von einer Generation auf die andere.
Auf Tafel 1 sind einige Münzen aus der Zeit von Augustus bis auf Hadrian Taw i.
zusammengestellt; sie umfassen einen Zeitraum von etwa 140 Jahren. Für die lange
Periode ist die stilistische Behandlung auffallend gleichartig.
Augustus, 29 V. Chr. bis 14 n. Chr. (G. M. 6511; Cohen 226). Mittelbronze
vom Jahre 764 d. St. 11 v. Chr. Der Kopftypus ist der der reiferen Jahre
wie er um das vierzigste Lebensjahr aufgestellt und von da an festgehalten
wurde. Augustus war 764 (11) 52 Jahre alt. Die Münze ist keine von den
besten, die Reliefbehandlung ist dürr.
Nero Drusus. (G. M. 65)53; Cohen 8). Großbronze unter Claudius ge-
prägt. Trotz der schlechten Erhaltung der Münze ist die vortreffliche Arbeit
noch klar ersichtlich, sie steht der vorigen mindestens gleich.
Mitteilungen aus dem grerman. Nationalmnseum. 1907. 5
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34
BBITHAGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
Tiberius, 41— ) 7. Von Tiberius haben wir nur eine der falschen Lyoner
Bronzen. Tiberius erscheint meist jugendlich auf seinen Münzen. Die schöne
Goldmünze (Dilherr Ae. 8; Cohen 15) zeigt ihn in reiferen Jahren. Das scharfe
Profil ist charakteristisch gegeben. Leider ist die Münze an der Schläfe etwas
abgenützt, so daß das Auge jetzt zu hoch liegt.
Nero, 54—68. (Dilherr Ae. 18; Cohen 278). Die Erhaltung der schönen
Münze ist kaum eine mittlere zu nennen, die höchsten Teile des Reliefs sind
durch einen Schlag abgeplattet, und die Oberfläche hat durch Corrosion ge-
litten; aber die Trefflichkeit der Arbeit kommt noch klar zur Erscheinung.
Die Ausführung ist nicht mehr so lebendig und frei, als an den Münzen der
ersten Claudier. Die sinnliche Fülle der Formen, der tückische Blick Neros
ist charakteristisch wiedergegeben, legt man aber neben die Münze eine frühere,
etwa die des Nero Drusus, so zeigt sich der Abstand. Die Münze ist etwa aus
den Jahren 65—66, dem 28. Lebensjahre des Kaisers.
Vespasian, 69—79. (G. M. 6541 ; Cohen 419). Die sehr abgenutzte Münze
zeigt doch noch die charakteristischen, energischen Züge des alternden Kaisers
in voller Lebendigkeit. Vespasian regierte von 69—79 und kam mit 60 Jahren
zur Regierung.
Titus, 79—81. (Dilherr Ae. )2; Cohen )17). Die kleine Münze ist im Stil
sehr ähnlich den Silbermünzen der Claudier. Die Ähnlichkeit des Titus mit
seinem Vater ist groß und würde sich im höheren Alter wohl noch gesteigert
haben. Titus starb schon mit 40 Jahren, 81 n. Chr.
Domitian, 81—96. (G. M. 6546; Cohen )07). Münze von mittlerer Erhal-
tung. Die Münzen des Domitian stimmen mehr zu der Beschreibung des jüngeren
Plinius, als zu der Suetons, der sagt: er hatte ein bescheidenes Gesicht, errötet
oft, hatte große Augen, war aber kurzsichtig. Plinius dagegen charakterisiert
ihn als immanis belua. Seine Beg^nung und sein Anblick flößten Schrecken
ein, Hochmut auf der Stirn, Jähzorn in den Augen, weibische Blässe am Körper,
in dem häufig errötenden Gesicht Schamlosigkeit (Paneg. 48). Mag diese Dar-
stellung übertrieben sein, um den Gegensatz zu Trajan stärker hervorzuheben,
das Gesicht Domitians widerspricht ihr nicht. Sein Profil ist das der Flavier,
das Gesicht ist schön, aber unangenehm; ein hochmütiger Zug umspielt den
Mund. Die Münze ist 85 n. Chr. geprägt als Domitian )4 Jahre alt war; ihre
Erhaltung ist ziemlich gut, die Arbeit ist schön und nicht kleinlich. Die
Silbermünze (Dilherr Ar. 36, Cohen 192) zeigt die gleichen Züge.
Julia, die Tochter des Titus (G. M. 1)995; Cohen 18), erst Geliebte, dann
Gemahlin des Domitian. Auf Münzen ist ihr Bildnis sehr verschieden gegeben.
Ein geschnittener Stein des Pariser Kabinetts von Euodos (Germ. Museum,
Pl.-O. 1270, Zinnabguß von geringer Schärfe : Lenormant Tr&or, Iconogr.
Rom. Taf. 22. 12) gilt als Bild der Judia und muß bei seiner hohen
Vortrefflichkeit als die treffendste Darstellung betrachtet werden. Unsere
Münze stimmt mit ihm nicht völlig, doch ziemlich überein, leider ist ihre Er-
haltung keine gute, sie ist sehr abgeschliffen. Der Kopf hat das flavische Profil,
und zur höchsten Schönheit erhoben, die sich ihm abgewinnen läßt. Die Aus-
führung war von vollendeter Feinheit.
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VON GUSTAV VON BEZOLD. 35
Trajan, 98—117. (G. M. 13989; Cohen 5)1). Trajans Münzen haben einen
feststehenden, charakteristischen Typus mit markierten Zügen, bezeichnend
sind die schmalen Lippen und der festgeschlossene Mund. Die Großbronze
auf unserer Tafel ist fein und sehr ins Einzelne gearbeitet. Die kleine Silber-
münze (G. M. 6555; Cohen 514) zeigt die gleichen Züge, ist aber in den oberen
Teilen des Gesichtes oberflächlich behandelt.
An dem letzten Aufschwung der antiken Plastik unter Hadrian hat die Stempel-
schneidekunst keinen Anteil; mit Hadrian beginnt ihr Verfall. Erst leise, noch
bleibt die formale Schönheit, noch die äußere Ähnlichkeit, aber die Durchmodellie-
rung des Reliefs wird flach und leer. Mit den späteren Antoninen von Marcus Au-
relius an, werden die Münzbilder oberflächlich und geistlos. Die Haare werden sche-
matisch behandelt; ein erschreckendes Zeichen sinkender Beobachtung ist die Front-
stellung des Auges in Profilköpfen, ein Zurücksinken auf eine primitive Kunststufe;
selbst die äußere Ähnlichkeit wird vernachlässigt und die Beseelung fehlt ganz. Etwas
besser sind die Münzen der folgenden Zeit, der Severe und Gordiane. Ihre Münz-
meister sind gewissenhafte Medailleure von mäßigem Können und ohne Geist. Aber
es fragt sich auch, ob diese Imperatoren zur Entfaltung von Geist bei Aufnahme
ihrer Bildnisse, Anlaß gegeben haben. Die Münzbilder erreichen die Ähnlichkeit,
schön waren diese Kaiser alle nicht. Ab und zu begegnet uns ein Charakterkopf,
der zu besserer Behandlung anregt. Das technische Können hält sich durch Jahre
auf ziemlich gleicher Höhe. Das Profil ist meist gut gegeben, auch der Mund. Die
Zeichnung der Augen ist schlecht, obwohl sie noch fast immer im Profil gegeben
werden. Haar und Bart sind kurz geschoren und durch kurze vertiefte Striche an-
gegeben.
Hadrian, 117—1)8. (G. M. 6567; Cohen 1364). Die Münzen Hadrians
weisen einen feststehenden Typus des Gesichts auf, der sich auch auf
unserer findet. Die Behandlung ist einfach, etwas steif. Kaum besser
ist die Silbermünze (G. M. 6564 Cohen 1147).
Sabina, Hadrians Gemahlin. (Dilherr Ae. )8; Cohen 68). Die Münze ist in
der technischen Behandlung der Hadians verwandt.
Antoninus Plus, 138—161. (G. M. 17110; Cohen 1115). Die Münze ist schlecht lacei 11.
erhalten, doch läßt sie eine sorgsame, etwas ängstliche Formbehandlung er-
kennen und sie entspricht in ihrer inneren Charakteristik dem, was wir über
den Charakter Antoninus wissen. Die Goldmünze (Dilherr Au. 14; Cohen 3 12),
ist hübsch modelliert, aber ohne Ausdruck, einen Christusbild des 18. Jahr-
hunderts ähnlich.
Faustina die Ältere. (G. M. 17143; Cohen 210). Die Münze ist von mittlerer
Erhaltung, zeigt uns das Bild einer schönen Frau. Die Arbeit ist gut, wenn
auch nicht eindringend. Die Münze ist nach dem Tod Faustinus um 145 ge-
prägt.
Marcus Aurelius, 161—180. (Dilherr Ae. 60). Die kleine Silbermünze
zeigt einen jugendlichen, bartlosen Mann. Die Ausführung ist kaum
mittelgut. Noch geringer ist die Kupfermünze (G. M. 6590; Cohen 115), sie
ist ein charakteristisches Beispiel der schlechten Münzen der Zeit, das Relief
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36 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
ist oberflächlich und unsicher behandelt, das Auge nicht mehr ganz im Profil,
die Haare schematisch, das Beiwerk hart. Das Relief ist ziemlich flach.
Faustina die Jüngere. (G. M. 6599). Diese Münze ist kaum besser
als die vorige, wenn ihr auch das etwas stärkere Relief eine vollere Wir-
kung gibt. Die Ähnlichkeit Faustinas mit ihrer Mutter, der älteren Faustina,
ist auch auf dem mittelmäßigen Bilde augenfällig.
Commodus, 180— 192. (G. M. 6609), einer der Söhne des Marcus Aurelius
und dessen Nachfolger war trotz des verschiedenen Profils dem Vater
ähnlich, besonders in den stark vortretenden Augen. Unsere Münze zeigt
einen nicht unschönen Kopf ohne Energie und Geist. Der Stil ist der der-
Münzen des Marcus Aurelius, die Arbeit ist gering.
Die Münzen des Annius Verus, des Lucius Verus und der L u-
c i 1 1 a sind nicht besser als die hier erwähnten. Die der folgenden Kaiser
stehen etwas höher, die Arbeit ist unbeholfen aber die Ähnlichkeit wird erreicht.
Es genügt hier, einige herauszugreifen.
Septimius Severus, 193—211. (G. M. 17106), vergoldete Silbermünze. Der
Vergleich mit größeren Bronzen zeigt, daß diese Münze, welche im Relief
ganz gut wirkt, hinsichtlich der Ähnlichkeit zu den geringeren zählt. Der
Charakter des Septimius Severus kommt in ihr so wenig als in den besseren
zum Ausdruck.
Julia Domna. (G. M. 6618; Cohen 72), die zweite Gemahlin des Septimius
Severus, wird als eine schöne und kluge Frau gerühmt. Die Münzen geben
nur die äußerlichsten Merkmale, vor allem ihre perückenartige Frisur. Die
kleine auf Tafel 1 1 abgebildete Silbermünze steht mit größeren Bronzen wenig-
stens nicht mehr in Widerspruch, als in anderen Fällen. Die Arbeit ist hin-
sichtlich der Gesamterscheinung nicht schlecht. •
Caracalla, 211—217. (G. M. 662O; Cohen )58). Die kleine Silbermünze ist
wie die meisten Denare Caracallas nicht charakteristisch.
Alexander Severus, 222—235 (G. M. 6634; Cohen 106). Die Bronze-
münzen des Alexander Severus zeigen einen ziemlich übereinstimmenden Typus,
der auch durch die Büsten des Kaisers als zutreffend erwiesen wird. Unsere
Münze ist eine trockene, wenig künstlerische Arbeit, aber sorgfältig ausgeführt
und als Porträt nicht schlecht. Hier tritt die langweilige Behandlung der
Haare und des Bartes mit kurzen, vertieften Strichen auf. Ganz oberfläch-
lich und geistlos ist die Silbermünze. (G. M. 13988; Cohen I83).
Julia Mamaea. (G. M. 6039; Cohen 10). Die Bronzemünze der Mutter
des Alexander Severus gehört zu den besseren aus dem ersten Drittel des dritten
Jahrhunderts. Sie stammt mit der Büste Mamaeas im Vatikan zwar nicht
genau überein, doch aber soweit, daß sie noch als ein zutreffendes Bildnis gelten
kann. Auch ist das Gesicht nicht ohne Ausdruck.
Maximinus» 235—238. (G. M. 6642; Cohen 10). Die Münze stellt stilistisch
der oben besprochenen Mittelbronze des Alexander Severus nahe, ja der Stempel
kann von der gleichen Hand geschnitten sein. Der Kopf dieses Kaisers wird
auf den Münzen verschieden gegeben. Mit der kapitolinischen Büste stimmt
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VON GUSTAV VON BEZOLD.
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das Profil in seinen Grundzügen, nicht aber in den Einzelheiten überein, es
darf kaum als sehr treffend bezeichnet werden.
Gordianus III. Plus, 2)8—244. (G. M. 6654; Cohen 254). Die leider*
durch Doppelschlag etwas entstellte, sonst gut erhaltene Mittelbronze zeigt
abermals genau den gleichen Stil wie die des Maximinus und des Alexander
Severus. Gordianus wurde 244 im Alter von 19 Jahren ermordet. Eine gute
Büste von ihm besitzt das Louvre, sie muß noch in seinen Knabenjahren ge-
fertigt sein. Das Bild unserer Münze zeigt ihn in etwas reiferen Jahren, es
ist ähnlich, wenn auch äußerlich und geistlos behandelt.
Philippus Arabs, 244—249. (G. M. 6662; Cohen 59). Die Bronzemünzen
des älteren Philippus haben ganz den gleichen Stil wie die vorhergehenden.
Das Münzbild stimmt mit der schönen Büste im Vatikan gut überein, weniger
die ziemlich lebendige Silbermünze. (G. M. 17092; Cohen 198).
Volusian, )52— 25) (G. M .171)4; Cohen 70). Das Bild ist trocken und
oberflächlich, aber nicht ohne individuelle Züge.
Der Verfall der Stempelschneidekunst schreitet in der zweiten Hälfte des
dritten Jahrhunderts fort. Noch ist die Fähigkeit, die Züge einer Persönlichkeit
wiederzugeben, nicht erloschen und ab und zu begegnen uns Münzbilder, welche
augenscheinlich charakteristisch und ziemlich gut ausgeführt sind, aber die große
Menge ist schlecht. Die Formen sind mager, es besteht die Neigung, den Hals lang
zu machen, den Kopf klein und oben abgeplattet.
Valerianus, 25)— 260. (G. M. 17101; Cohen 18, aber Silber). Die Silber- lafei iii.
münze zeigt einen älteren Mann mit vollem Gesicht und dürfte ein ziem-
lich zutreffendes Bild des Kaisers geben, der von seinem 6).— 70. Lebens-
jahre regierte.
Postumus, 258—267. (G. M. 6691). ein Usurpator in Gallien während der
Regierung des Gallienus. Seine zahlreichen Münzen sind gut geschnitten
und stimmen im Typus wohl überein.
Quintillus, 270. (Dilherr Aur. o. Nr.; Cohen 167). Quintillus der Bruder
des Kaisers Qaudius Gothicus folgte diesem 270 in der Regierung. Er soll
nur siebzehn Tage regiert haben. Ist diese Angabe richtig, so müssen seine
Stempelschneider Tag und Nacht gearbeitet haben, denn Cohen führt von ihm
74 Münzen an. Die äußerst seltene Goldmünze ist technisch gut gearbeitet,
aber charakterlos und stimmt nicht zu den Großbronzen.
Aurelianus, 270—275. (G. M. 6701; Cohen 95). Das gleiche gilt von den
Münzen dieses Kaisers. Sie zeigen den allgemeinen Kopftsrpus des späteren
dritten Jahrhunderts ohne jegliche Sorgfalt der Individualisierung.
Tacitus, 275—276. (G. M.*6715; Cohen 1)7). Das fette Gesicht mit dem
dürftigen Bart gab Anlaß zu etwas besserer Charakteristik, doch sind auch
die Bilder dieses Kaisers flau.
Probus, 276—282. (G. M. >)717; Cohen 210). Die Münzen des Probus sind
sehr zahlreich, aber sie begnügen sich zum größten Teil mit einer sehr allge-
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BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
meinen Charakteristik. Am besten sind die Großbronzen, deren wir keine
besitzen.
Mit dem Ausgange des dritten Jahrhunderts schreitet der Verfall rascher
vor. Man sieht, die Stempelschneider suchen noch individuelle Bilder zu ge-
winnen, aber sie vermögen es nicht mehr. Die Bilder eines Kaisers sind oft
unter sich verschiedener, als die zweier. Das Relief wird flach, an Stelle der Model-
lierung tritt eine Art Zeichnung mit erhabenen Linien. Der Augenstern wird als
voller Kreis angegeben. Das Bild ist starr und leblos. Nach der Mitte des vierten
Jahrhunderts greift die äußerste Rohheit um sich. Die Münzen des Magnentius
(350—353) sind von einer kindischen Unbeholfenheit. Es lohnt sich nicht hierbei
zu verweilen, einige Beispiele bis zum Schluß des vierten Jahrhunderts mögen ge-
nügen. Ihnen folgen von Münzen der byzantinische Kaiser und germanischer Fürsten
des 5. und 6. Jahrhunderts.
Diocietianus, 284—305. (G. M. 6730; Cohen 101 ; G. M. 6732; Cohen 436).
Die Münzen Diolcetians weichen so vielfach von einander ab, daß wir sagen
können, sie geben alle kein zutreffendes Bild des großen Kaisers. Vergleichen
wir mit seinem Bilde die seiner Mitregenten.
Maximianus, 286— 310. (G. M. 6751 ; Cohen 179 (?) und Galerius» 305— 311
(G. M. 6769; Cohen 54), der sich auf seinen Münzen gleichfalls Maximianus
nennt, so sehen wir, daß nun von einer Individualisierung überhaupt keine
Rede mehr ist. Mit Recht bemerkt Bemoulli (III. 2. 205) von Galerius: Seine
Bildnisse machen den Eindruck, als ob es bloße Reproduktionen von Typen
der unmittelbar vorhergegangenen Kaiser wären, ohne allen individuellen
Charakter.
Constantius Chlorus, 305—306. (G. M. 6768; Cohen 44) weist auf den
Münzen einen ziemlich gleichbleibenden Typus mit sehr scharfem Profil auf,
der Stil ist der gleiche wie der der Münzen seiner Mitregenten.
Helena. (G. M. 6811; Cohen 13). Es gibt von Helena auf Großbronzen
Bildnisse, welche ziemlich individuell sind (Bemoulli III. 2 Münztafel VII. 1),
die kleinen Münzen haben ähnliche Typen, aber verflacht.
Constantin der Große, 306—337. (G. M. 6790; Cohen 202). Von Con-
stantin gibt es eine Anzahl größerer Medaillons, welche zu den besseren Arbeiten
der Zeit gehören, aber ein idealisiertes Bild des Kaisers geben. Die Münzen,
im Stil von denen der Zeitgenossen nicht verschieden, zeigen, daß sein Profil,
wenn auch weniger scharf, dem des Vaters ähnlich war. Von Constantin an
sind die Kaiser wieder unbärtig.
Maximinus Daza, 305—313. (G. M. 6777; Cohen 96). Mittelbronze im
Stil des frühen 4. Jahrhunderts ohne individuelle Züge.
Constantin IL, 337—340. (G. M. 6814; Cohen 38). Geistlos, aber zier-
lich gearbeitetes Bildnis des jugendlichen Herrschers.
Die Mittelbronzen Diocletians und seiner Mitregenten sowie Constantins und
seiner Söhne bilden eine Gruppe für sich, die sich zwar nicht wesentlich von denen
der unmittelbar vorausgehenden und nachfolgenden Kaiser unterscheidet, aber doch
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VON GUSTAV VON BEZOLD. 39
ein einheitliches Gepräge zeigt. Das Streben nach zierlicher Behandlung ist unverkenn-
bar, allein das Können ist gering. Niemals weder vorher noch nachher wurde lang-
weiliger und einförmiger gearbeitet. Die Individualisierung bleibt am Äußerlichsten
haften und wird auch ihm nicht gerecht, von irgend welcher psychischen Charakteristik
ist überhaupt keine Rede. Der Tiefstand des Könnens ist damit noch nicht einge-
treten, aber schon unter dem Usurpator.
Magnentius, 350— )53- (G. M. 6842; Cohen 31) wird er erreicht. Die rafci iv.
Münze, welcher andere um ein Geringes bessere zur Seite stehen, ist unglaub-
lich roh in der Auffassung des Bildnisses. Wir stehen in der Mitte des
vierten Jahrhunderts. Von Julianus und von Theodosius haben wir keine
Münzen.
Gratianus, 375—383. (Dilherr Au. 17; Cohen 38; G. M. 6847; Cohen 34).
Die Ausführung dieser kleinen Münzen ist unsicher und weichlich. Noch um
eine Stufe tiefer steht die Goldmünze des Arcadius, Kaiser des oströmischen
Reiches, 395—408. (Dilherr Au. 18). Nun tritt ein Stillstand ein. Die
Münze des Arcadius vom Anfang des fünften Jahrhunderts ist stilistisch
wenig verschieden von der des Anastasius, 491—518. (G. M. 7149) oder des
Justinian 527—567 (G. M. 8215;) aus dem Anfang des sechsten. Auf
Ähnlichkeit wird überhaupt nicht mehr gesehen. Die germanischen Könige
setzen auf ihre Gold- und Silbermünzen die Köpfe der oströmischen Kaiser.
Die kleine Silbermünze Theoderichs, 493—526. (G. M. 11862) trägt das
Bild des Anastasius. Der Stempel zur Münze Theoderichs mag von einem
Stempelschneider des Kaisers geschnitten sein. Die Silbermünze von Theo-
derichs Nachfolger Athalarich, 526—534 (G.M. 11850) hat das Bild des Kaisers
Justinian, 527—567 und zwar in besserer Ausführung als auf der Goldmünze
dieses Kaisers (G. M. 8215). Die Goldmünze mit dem Kopfe Justinians (G.
M. 12403) ist provinziell oder barbarisch (westgotisch .>). Die Mittelbronze des
Ostgothen Theodahat, 534—536 (G. M. 1788) zeigt in starren Formen doch
wieder bildnismäßige Züge.
Auf oströmischen Münzen tritt sofort nach der Teilung des Reiches ein neuer
Typus der Münzbilder auf. Der Kaiser erscheint im Brustbild von vorn, er hält in
der rechten Hand, über die Schulter gelehnt, eine Lanze oder ein Szepter. Der Kopf
ist mit einem Helm bedeckt und gewöhnlich etwas nach links gewendet. Der Typus
kommt schon auf Münzen des Arkadius vor (Sabatier, discription g^ndrale des mon-
naies byzanticus I. PI. HI.). Er bleibt lange Zeit sehr gleichartig.
Konstantin IV. Pogonatos 668—685. (Dilherr Au. 16; Sabatier H. S. 17,
No. 20). Goldmünze, dekorativ sehr gut gearbeitet, die Bildnisähnlichkeit
höchstens ganz äußeriich.
Das Frontbild kommt schon auf antiken Münzen vor. Die Köpfe der Gott-
heiten auf griechischen Städtemünzen, namentlich aus dem vierten Jahrhundert
V. Chr. sind oft so gegeben. Die Darstellungsweise entspricht sehr wohl dem hohen
Reliefstil der griechischen Münzen. Für Bildnisse ist sie weniger geeignet; auf den
Münzen der hellenistischen Dynasten kommt sie nur ausnahmsweise vor, unter den
römischen Kaisermünzen kenne ich nur solche von Postumus, 258—267, welche das
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40 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
Frontbildnis tragen. Auf sassanitschen Münzen erscheint es erst später als in Byzanz,
sie schließen sich zuerst an achaemenidische Vorbilder mit Profildarstellung an. In
Byzanz ist das Frontbild vom 6. Jahrhundert an herrschend.
Phokas» 602-610. (G. M. 1)882; Sabatier 1. PI. XXVII). Äußerlich ähn-
lich, aber starr.
Leo VI,, 886—911. (G.M. 10439; Sabatier 11. PI. XLV), und Constantin X.
mit seinem Sohn. (Dilherr Au. 22; Sabatier II. PI. 46) mögen als Beispiele
genügen. Der Stil ist hier ganz leblos, fast ornamental geworden.
Bildnisse auf Diptychen.
Neben die Münzbilder treten vom fünften Jahrhundert an die Bildnisse auf
Diptychen. Sie haben, wie die Münzbilder, den Vorzug, daß sie fast'alle fest datiert
sind. Sie treten in einer Zeit auf, in welcher das Münzbild schon ganz konventionell
geworden ist und haben, wie die Münzen des fünften und sechsten Jahrhunderts,
keinen großen Bildniswert.
Diptychen sind Schreibtafeln, welche, aus zwei Platten bestehend, auf- und
zugeklappt werden können. Hier h^ben wir es mit Elfenbeintafeln zu tun, die auf
der Außenseite mit Reliefs geschmückt sind. Sie dienten als Geschenke. Insbe-
sondere war es üblich, daß die Konsuln beim Antritt ihres Amtes den Kaiser und
andere vornehme Personen mit Diptychen beschenkten. Man nennt diese Diptychen
Konsulardiptychen ; sie tragen gewöhnlich auf einer oder auf beiden Tafeln das
Bild des Konsuls. Anordnung der Komposition und Darstellung der Figur sind an-
fangs mannigfach verschieden, gegen Ende des fünften Jahrhunderts tritt eine fest-
stehende Kompositionsformel ein und die Darstellung der Person wird schematisch.
Sie ist so allgemein gehalten, daß man oft zweifeln kann, ob sie das Bildnis des Kon-
suls ist, dessen Namen das Diptychen trägt. Einige tragen individuelle Züge we-
nigstens Isoweit, daß man sie sofort als Bildnisse anerkennt, andere aber würden
wir ohne die Beischrift und ohne Kenntnis ihrer Bestimmung nicht als Bildnisse
ansprechen.
Aber die Frage ist nicht so klar, daß sie sofort entschieden werden körnte.
Die Anforderungen, welche man an die Ähnlichkeit eines Bildnisses stellt, sind zu
verschiedenen Zeiten verschieden und waren im fünften und sechsten Jahrhundert
äußerst gering. Daß die Münzbilder der oströmischen Kaiser zu ihren Lebzeiten
gefertigt nicht einfach den Kaiser, 'sondern Honorius, Anastasius, Justinian u. A.
darstellen sollen und wollen, haben wir gesehen, aber wir haben auch wahrge-
nommen, mit welch bescheidenen Leistungen man sich begnügte. Selbst wenn wir
von den rohen Arbeiten entlegener Provinzialkunst iind von den Nachahmungen
der Barbaren absehen, welche nicht mehr als Bildnisse gelten können,^ ist auch
bei den besten MünzbUdern das individuelle Ingrediens gering, l Bei einigen Kon-
sulardiptychen aber vermisse ich es vollständig. Anastasius, 517 Konsul des Ostens,
Magnus, 518 Konsul des Ostens sind Schemen ohne alles individuelle Leben, von einer
Allgemeinheit der Gesichtsbildung, die kaum übertroffea JHBl^ kann. Sie stellen
einen Konsul in Amtstracht dar, keinf "^ ^nn mich nicht
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J
VON UUSTAV VON BEZOLD.
41
davon überzeugen, daß sie auf Bestellung gemacht sind und das Bildnis des Konsuls
enthalten, dessen Namen sie tragen, ich glaube vielmehr, daß es rein industrielle
Erzeugnisse sind, welche auf Vorrat gearbeitet und nur nach Bedarf mit dem Namen
des Käufers versehen wurden. Man sehe aber, was E. Molinier in seiner Historie
gdn^rale des arts appliqufe ä Tindustrie I, S. 5 für die gegenteilige Ansicht beibringt. —
Ich bespreche einige Diptychen, jedoch nur soweit, als sie für die Geschichte des
Bildnisses von Belang sind.
Römische Familie. Anfang des fünften Jahrhunderts. (Molinier 1, Wilh. Tafci v.
Meyer 47 a b ^) Auf der einen Platte ist der Mann, auf der anderen die Frau
und ein Knabe dargestellt. Der Mann zeigt indivuelle Züge, er hat ein
schmales, nach oben breiter werdendes Gesicht, kleinen Mund mit vollen
Lippen, lange, gerade Nase, mäßig große, weit geöffnete Augen, kurzen Bart.
Die Darstellung macht den Eindruck der Ähnlichkeit, wenn sie auch ziem-
lich äußerlich behandelt ist. Die Gesichter der Frau und des Kindes sind rund
und voll, weniger charakteristisch als das des Mannes, aber doch glaubwürdig
als Bildnisse. Zur Bestimmung der Personen fehlen alle festen Anhaltspunkte.
Es ist zu bedauern, daß sie unter verschiedenen Namen kritiklos als gesicherte
Porträts bestimmter Personen des sinkenden Reiches in illustrierte Geschichts-
werke aufgenommen worden sind.
Felix, 428 Konsul des Westens. (Molinier 3; Meyer 2). Das Original in
der BibliothÄque nationale zu Paris. Auch diese Darstellung ist als Bildnis
Diptychon des Konsuls Asturius.
1) Emile Molinier, bist. g^n. des arts appliqu^s k Tindustrie. — Wilhelm Meyer, Zwei
antike Elfenbeintafeln der K. Staatsbibliothek in München; in den Abhandlungen der K. b.
Akademie d. W. Phil. Cl. XV. S. 1 ff.
MittfiluDgren ans dem ^erman. NationalrnuKeum. 1907. (
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BBITRXGE Zur GESCHICHTE DES BILDNISSES.
kenntlich; die Auffassung ist ähnlich wie auf dem vorigen Diptychen, die Aus-
führung weniger sorgfältig, aber etwas lebendiger.
Asturius, 449 Konsul des Westens. (Molinier 4, Meyer )). Das Gesicht
des sitzenden Konsuls bietet nur noch einen Schatten von Ähnlichkeit und
die Ausführung ist roh und unbeholfen.
Ttfcjvi. Unbekannter Konsul, zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts. (Molinier
38, Meyer 63). Das Original im Domschatz zu Halberstadt. Abendländische
Arbeit. Auf den beiden Platten sind drei Männer abgebildet, ihre Züge sind
verschieden und man hat wenigstens bei denen auf der zweiten Platte den
Eindruck, daß individuelle Charakteristik angestrebt ist. Die Ausführung ist
ziemlich roh, die Erhaltung schlecht. Die Datierung des Halberstädter Dip-
tychons auf die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts scheint mir nicht ganz
unzweifelhaft zu sein, es könnte auch als provinzielle Arbeit einer älteren Zeit
angehören. Doch kenne ich das Vergleichsmaterial nicht genug, um meine
Zweifel begründen zu können.
Philoxenus, 525 Konsul des Ostens. (Molinier 29, Meyer 26). Original
in der Bibliothdque nationale zu PariSv Aus der Reihe der sehr gleichförmigen
Diptychen des sechsten Jahrhunderts tritt das des Philoxenus sowohl durch die
Komposition wie durch die Behandlung der Figuren heraus. Auf jeder Tafel
sind drei Kreise, im oberen das Brustbild des Konsuls mit der Trabea bekleidet,
im mittleren die Inschrift, im unteren das Bild einer Frau. Die Züge des Mannes
wie der Frau haben ein individuelles Gepräge. Die Wangen und das Doppel-
kinn des Mannes, wie der Schnitt des Mundes und die eigenartige Behandlung
der Haarlocken sind entschieden nach Beobachtungen an der Natur gemacht
und weichen von dem allgemeinen Typus der Zeit so weit ab, daß wir die Dar-
stellung sicher als ein Bildnis und zwar als ein nicht unzutreffendes bezeichnen
dürfen. Auch das Bild der Frau hat namentlich im unteren Teil des Gesichts
etwas individuelles, von dem herrschenden Typus abweichendes. Gleichwohl
bleibt es fraglich, ob wir eine bestimmte Person oder eine Allegorie vor uns
haben.
Das Bild des Philoxenus ist das letzte, welches ich als Bildnis anerkennen kann.
Aber schon vor seinem Konsulat kommen Konsulardiptychen vor, auf welchen das
Bild des Konsuls aller individuellen Züge bar ist. Als Beispiel mag ein Diptychon
genügen, das ohne ausreichenden Grund dem Magnus, 518 Konsul des Ostens, zuge-
schrieben wird. (Molinier 24, Meyer 31). Die Übereinstimmung des Gesichtes des
Konsuls mit denen der hinter ihm stehenden allegorischen Gestalten der Roma und
Constantinopolis zeigt klar, daß hier nur ein Konsul, nicht aber 'eine bestimmte
Person dargestellt ist, soferne nicht das gekräuselte Haar als individualisierendes
Zeichen gelten soll. Auch wenn dies zutreffen sollte, wäre damit bewiesen, daß die
Bildniskunst vom Wesentlichen auf das Unwesentliche, auf äußerliche Merkmale
zurückgesunken ist, von welchem sie auf primitiven Kunststufen ihren Ausgang ge-
nommen hat.
Die antike Bildniskunst hat ihren Lauf vollendet. Werfen wir einen Blick aut
den Weg zurück, welchen sie seit dem Beginn der römischen Kaiserzeit durchlaufen
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VON GUSTAV VON BEZOLD.
43
hat. Zur Zeit des Augustus ist der Höhepunkt schon überschritten, aber das künst-
lerische Vermögen ist noch sehr groß und die besten Kräfte werden in den Dienst
des Kaisers gezogen.
Es waren Griechen, und als ein Sproß der griechischen Kunst muß, wie ich
schon eingangs betont habe, die römische Bildniskunst betrachtet werden. Schon
im dritten Jahrhundert ist in den Büsten der Diadochen das Äußerste an realistischer
Bildnistreue erreicht. Die Bildnisse der claudischen Kaiser zeigen eher ein Zurück-
greifen auf typische Formgebung, sie sind mit bewußter Absicht dem Bilde des
Augustus genähert. Wie weit dies mit allgemeinen stilistischen Strömungen der
Zeit in Zusammenhang steht, soll in dem engen Rahmen dieser Arbeit nicht unter-
sucht werden. Die Münzbilder sind von einer reifen und vollen Schönheit, sie bleiben
auch bei einer sehr ins Einzelne gehenden Durchbildung frei und groß. Der Stil
ändert sich bis auf Hadrian kaum. Dann tritt der Verfall ein, und zwar im Münz-
bilde weit entschiedener als in der großen Plastik. Während noch unter den Severen
Meisterwerke der Bildniskunst wie die Büste des Caracalla in Berlin geschaffen werden,
sind die Münzbilder der Antonine schon durchgehends erschreckend geistlos und
nachlässig gearbeitet. Etwas besser sind die Münzen der Severe, der Gordiane und
ihrer nächsten Nachfolger. Ihr Stil ist trocken, ihre technische Ausführung mittel-
mäßig, aber sie erreichen im allgemeinen die Ähnlichkeit. Mit dem Ausgang des
dritten Jahrhunderts sinken die Anforderungen an die Ähnlichkeit auf eine ganz
niedrige Stufe, der Stil schwankt zwischen Relief und Zeichnung, die technische
Ausführung ist unbeholfen. Das Gefühl für den organischen Bau des Gesichts
schwindet, man begnügt sich mit einer mehr oder minder unvollkommenen Wieder-
gabe einzelner Merkmale; Nebensächliches wie die Tracht tritt in den Vordergrund.
Schließlich werden nur noch die Standesabzeichen gegeben, das Münzbild hört auf
Bildnis zu sein, es ist Symbol geworden.
Daß in der Frühzeit des sechsten Jahrhunderts noch eine beschränkte Fähig-
keit der charakteristischen Darstellung bestimmter Personen vorhanden war, zeigen
einige Diptychen. Aber die meisten von diesen Erzeugnissen der Kleinkunst lassen
erkennen, wie wenig Wert man auf die Bildnistreue legte.
Dieser Verzicht ist ein Symptom einer allgemeinen Erscheinung, eines voll-
ständigen Wandels des Kunstgefühls. Die lineare und plastische Anschauung, welche
die griechische Kunst beherrscht und zur höchsten Vollendung der Form geführt
hat, tritt zurück, der plastische Formensinn erlischt, die bildende Kunst gelangt
zu völliger Vernachlässigung der formalen Durchbildung. Man sucht und findet
Ersatz in einer Kunst, welche durch Licht und Farbe wirkt und das psychologische
Moment der Stimmung einführt, das wissenschaftlich kaum faßbar ist. Wer in
Ravenna die kleine Grabkapelle der Galla Placidia betritt, wird inne, mit welcher
Macht hier nur durch Licht und Farbe ein sehr starker ästhetischer Eindruck erzielt
wird. Doch wir können nur ermessen, wie der Raum auf uns wirkt. Es ist ja anzu-
nehmen, daß die Wirkung auf die Menschen des fünften Jahrhunderts ähnlich war,
aber wenn wir von dem Stimmungsgehalt alter Kunstwerke sprechen, projizieren
wir doch nur unser Gefühl in frühere Zeiten.
Noch ein zweites wirkte zersetzend auf den Formensinn. Die spät antike Kunst,
namentlich die christliche, operiert in ausgedehntem Maße mit Assoziationsvor-
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44 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES VON GUSTAV VON BBZOLD.
Stellungen, welche durch Symbole hervorgerufen werden. Das aber führt von der
Anschauung, der einzigen Grundlage ästhetischer Wirkung, in Gebiete, die der Kunst
fernliegen.
Es wäre verlockend, die Entwickelung der spätantiken Poesie zu der der bil-
denden Kunst in Parallele zu setzen. Es ist kaum zufällig, daß gleichzeitig mit dem
Schwinden des plastischen Formensinnes der quantitierende Vers in Verfall gerät
und daß der akzentuierende rhythmische mit dem Reimschluß in Aufnahme kommt.
Hier sei nur darauf hingewiesen.
(Fortsetzung folgt.)
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Alfred Walcher Ritter von Moltheln, Bunte Hafnerkeramik der Renaissance in den öster-
reictiisctien Ländern Oesterreicti ob der Enns und Salzburg bei besonderer Beräckslchtigung Ihrer
Beziehungen zu den gleichzeitigen Arbeiten der Nürnberger Hafner. Wien 1906.
Die Geschichte der deutschen Keramik hat im letzten Jahrzehnt durch die immer weiter
greifende Sammlertätigkeit auf diesem Gebiet zu manchen neuen und glücklichen Ergebnissen
geführt. Eines der schwierigsten Kapitel bildete von jeher die Provenienz und Entwicklung der
aus gewöhnlichem Töpferton mit Buntglasur hergestellten Ware, die sich in zwei Hauptgebiete,
die Gefäß- und die Ofenkeramik abteilen läßt. Nur sehr zeit- und müheraubende SpezialStudien
Abb. 1. Nürnberger Hafnerkrug,
der Preuningschen Werkstätte zugeschrieben.
für kleinere lokalere Gebiete können Aussicht geben, in das noch vielfach herrschende Chaos Ord-
nung zu bringen. Alfred von Walcher, der Kustos der berühmten Sammlungen des Grafen Wilczek
hat diese Aufgabe bezüglich Salzburgs und Österreichs für die Renaissanceperiode in einem muster-
haft angelegten Werke in Angriff genommen, wie es seines Gleichen auf deutschem Boden noch nicht
gefunden hat. Auch wenn man nicht allen Schlüssen des Verfassers beistimmen kann, so trägt
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46
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
die Herbeischaffung alles nur erreichbaren urkundlichen und Denkmälermateriales und seine
sorgfältige Prüfung zur Aufhellung des gerade in jenen Gebieten glänzend vertretenen Kunst-
zweiges doch wesentlich bei.
Den Beginn der Untersuchungen macht v. Walcher mit der Stadt Steyr, deren Bedeutung
als Transitplatz für den deutsch-italienischen Handel er auch als ausschlaggebend für die große
Hafnerindustrie ansehen möchte. Nach kurzer Erzählung der Geschichte des dortigen Hafner-
gewerbes und Aufführung der nachweisbaren Meister geht er mit Geschick an die Zusammen-
stellung der vermutlich in Steyr gefertigten Gefäße ein. Hier wie an anderen Stellen des Werkes
muß freilich bemerkt werden, daß die Versuche, unbezeichnete alte Gefäße auf Meister zu bezichen,
von denen nichts als der Namen überliefert ist, zu gewagt erscheint. Die Blütezeit der Steyrer
Hafnerkeramik fällt in die Jahrzehnte um 1600. Sodann wendet er sich den Hafnern im Krems-
tale zu, die durch die Art der Verwendung von Reliefauflagen und die Art der Zinn- und Blei-
Abb. 2. Nürnberger (?) Krug mit Porträtmedaillons um 1530.
Sammlung Figdor, Wien.
glasuren dem Verfasser eine enge Verbindung mit gleichzeitiger und vorangehender Gefäßkeramik
in Nürnberg vermuten lassen. Der Export nach dort, insbesondere der Plutzer genannten Wein-
krüge, wovon Abb. 1 ein Beispiel aus der Sammlung Wilczek *) gibt, ist sicher und ebenso die tech-
nische und stilistische nahe Verwandtschaft dieser und der Kremstaler Hafnergeschirre, so daß
außer dem Exportgut selbst, wohl auch die Ansäßigmachung eines oder mehrerer Nürnberger
Hafner, von Gesellen, die dort gearbeitet, sehr wahrscheinlich wird. Daß der in Kremsegg ge-
nannte Hafner Acher, der die neue „aufgelegte" Ware nach vorhandenen Akten einführte, der
1) Die Klischees zu dieser wie zu den folgenden Abbildungen wurden für diese Be-
sprechung von Herrn v. Walcher freundlichst überlassen.
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LITERARISCHE;BESPKECHUNOEN.
47
.Überbringer der Nürnberger Tradition war, bleibt zum mindesten wahrscheinlich. Ein weiterer
Abschnitt beschäftigt sich mit den Welser und Ennser Töpfereien. Die Hypothese über die Ge-
fäße mit Sandanwurf und Porträts als Erzeugnisse der Nürnberger Werkstatt Oswald Reinhart,
Nickel und Hirsvogel möchte ich in diesem Zusammenhang doch nicht für völlig begründet er-
achten, noch weniger den etwas phantastisch konstruierten Zusammenhang Reinharts mit dem
angeblichen Zwinglibecher. Novellen sind in der Kunstgeschichte stets von Übel. Betrachtet
man die Wanderung der rheinischen Steinzeugdekoration durch ganz Deutschland, so wird man
bei dem ja heute noch stattfindenden Wandervertrieb keramischer Erzeugnisse das Vorkommen
ähnlicher Formen und Techniken in jener Zeit auch ohne spitzfindige Erörterungen begreifen.
Immerhin mag Nürnberg eher als Köln für die oben erwähnte Hafnerwaren den ersten Ausgangs-
punkt gebildet haben (s. Abb. 2 u. 3)- Neben dem in Wels sehr viel vorkommenden gekörnten
Grunde, kommen auch gepunzte Stücke in den in der Gegend gemachten Funden vor. Im weiteren
Abb. 3. Nürnberger (?) Hafenkrug am 1550.
österreichisches Museum, Wien.
Verlauf werden von einer Reihe weiterer Städte und Märkte meist des nördlichen Oberösterreichs
Notizen gebracht und das hiezu gehörige Denkmälermaterie abgebildet. ( Proben in Abb. 4 u. 5.)
Dann wendet sich die Betrachtung dem Salzkammergut zu. Der an erster Stelle zu nennende Ort
ist Gmunden am Traunsee, über dessen Hafnergeschichte wir allerdings erst seit dem 17. Jahr-
hundert Genaueres wissen. Von den Hafnerorten ist Frankenberg (ursprünglich Zwispallen genannt)
und Sitz des Khevenhüllerschen Grafengeschlechtes, weitaus der wichtigste. Eine interessante
Hypothese bezüglich"der Hinwirkung Augustin Hirsvogels auf die Frankenburger Töpferei knüpft
V. Walcher an die enge Bekanntschaft des Nürnberger Künstlers mit dem kaiserlichen Kammer-
rat Christoph Khevenhüller. Ins Salzkammergut versetzt Walcher auch den sehr frühen, interes-
santen Weinkühler der Sammlung Lanna in Prag, auf Grund des Vorkommens desselben Modells
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48
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
mit Josua und Kaleb an ein«:m Halleiner Ofen. Bezüglich der möglicher Weise dem Salzkammer-
gut entstammenden Wasserblase im Germanischen Museum ist zu bemerken, daß sie auf der einen
relifierten Seite nicht eine Darstellung der Ohrenbeichte, sondern Adam und Eva in einer im Maß-
stab der Figuren und Auffassung von der anderen Seite völlig verschiedenen Auffassung zeigt,
ein weiterer Beweis, daß die Hafner ziemlich wahllos Model der verschiedensten Provenienz ver-
wendeten.
Den letzten Abschnitt über Gefäßkeramik nimmt Salzburg ein, das in dieser Beziehung
wie auch in der Ofenkeramik in den behandelten österreichischen Kronländem unbedingt die erste
Stelle einnimmt. Die Zuweisung des schönsten keramischen Werkes der Renaissance der deutschen
Kronländer Österreichs, der Zunftkachel der Sammlung Figdor nach Salzburg dürfte jedenfalls
richtig sein, ebenso die daran anschließenden Werke, wenn auch hier, wie überall, der Verfasser
geneigt ist, eine ansprechende Namenshypothese wie in diesem Falle des Thomas Strobl als feste
Tatsache anzunehmen.
Abb. 4. Buntglasierte, oberösterreichische Feldflasche aus der 2. Hälfte des 16. Jahrh.
Sammlung Figdor, Wien.
Den letzten weitaus umfangreichsten Abschnitt der geschichtlichen Untersuchung bildet
derjenige über die Ofenkeramik Oberösterreichs und Salzburgs. Die Untersuchung geht natur-
gemäß vom Hohensalzburger Ofen aus, den v. Walcher mit ausführlichen Darlegungen für eine
Halleiner Werkstätte reklamiert. Daß er heimatlichen Ursprungs ist, wird heute wohl niemand
mehr in Abrede stellen; aber das nächstliegende wird doch immer bleiben, ihn in Salzburg selbst
entstanden zu denken. Sehr dankenswert ist die Zusammenstellung der einheimischen Kacheln
vor dem Eindringen der alle Model der deutschen Gaue nivellierenden Vorlagen der Kleinmeister.
Material und Art der Glasur geben späterhin allein noch die Handhaben zu richtiger Bestimmung.
Beizustimmen ist Walcher wohl in der Zuschreibung des kostbaren Ofens mit den freien Künsten
im Germanischen Museum an einen österreichischen Meister, wogegen die Deutung der Initialen
desselben auf Andre Finkh-Wels, schon wegen der Datierung unbedingt abzulehnen ist Der
Einfluß der Nürnberger Ofenkeramik auf die übrige deutsche und insbesondere die österreichische
wird meines Erachtens von Walcher und anderen stark überschätzt. Die Vorlagen, wie die Model-
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iseschaifdidft Bfidi^liiten^ddear,! i^enibidkisosa^gantiärfvrvoiQiOft^ l^ottttLiäLsuMr
iCehti(W4di^bev[afli)f itiici^ögtictef \yiei^eibev/deRiit^aitfZiiulalininenfaaii|r' öasij Mnsteidt^smit ^lä)ing
das Hellersche Epitaph von 1542 aus Wasserburg, jetzt im Germanischen Museum, nidit^äihbr
4tiu;Qndi iterivieist rhtsr; wiejbeiidehirsidheir tad^^nnw/Sal&uigef ulOüiätleH^znrack^faiaieh ) Jakobs-
Jprergef/iRfiliflft^ YonlifS80'j(B^zj^J^i RosekUleim^:4iteiVi Sistüiri Sa>lzboTg^iltfiigeil6r^t^altf'JiBmeat^NIi■^I-
fifM|j:T Tjfj litt 'jdi:?
-ii!'.// IM fil PI ni T-Mfl
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Abb. 5. Bunte TonscIHbMl dm<16tM)/ t]H«fiiMr^hf«ttir tfetar'^lxl^^
•jvm'] ms ^iv/t;n*3'ni iüii /^-Jh. ^'' '•'-■'''S^ftllttKlii^' 'Flfc'dtyi^^'^Vi^ÄJ' ^"'fi'^!'- ''-^ -"^ '^-f' n^j^n^lü fn!
cfftV^iÄ^ieii^isi' ^^Jr^Jdi v^fscikitdert; 'fifr'l^ii^ht(^^g'^be^^^^^ ^^^^' ^'' ^^^^ ''^''''^'^
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Utk emscii1ä'i:ig:en^ Ur'kundenmateriats/ soweit' öi ti^' dahin vorliei^t seiA XiigenVerk''gewi(imei
abgedruQkt^OdVjenchiedenen Hafnerordnungen aus den beiden fraglichen Kronländem von hohem
Wert. Es sind dies die Hafnerordnung für die Stadt Steyr von 1485, bezw. 1628, die Ordnung
des Hafnerhandwerks der Stadt Wels von 1589, die Hafnerordnung für die sieben landesfürst-
lichen Städte Oberösterreichs von l65l, die Hafnerordnung für Oberösterreich von 1669, die Hafner-
Mitteilungen aus dem german. Nationahnuseum. 1907.
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50
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Ordnung für den Markt Frankenburg, erlassen vom Grafen Franz Christoph Khevenhüller von
1632 und die Salzburger Hafnerordnung des Erzbischofs Johann Jakob von Khuen-Belasy von
1578. Nach derselben Richtung bewegen sich die weiter abgedruckten Urkunden, ein Welser
Lehrbrief von 1535, ein Streitentscheid zwischen der Steyrer Hafnerzunft und dem Kremsegger
Meister Acher durch den Steyrer Bürgermeister 1581 und ein Hausierverbot für Hafnerwaren
in Steyr 1628. Trotz der etwas ermüdenden Weitschweifigkeit, wie sie den Handwerksschriften
eigen zu sein pflegen, fällt doch mancher Lichtstrahl in das kleinbürgerliche süddeutsche Leben
der Zeit.
Gleichhoch wie die Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung möchte ich für Fach-
und Sammlerkreise den illustrativen Teil des Werkes stellen. Hier ist einmal an einem kleinen,
scheinbar unbedeutenden Zweig des Kunsthandwerks gezeigt, wie weit wir heute in der Wieder-
gabe farbiger Vorlagen gekommen sind. Die farbige photomechanische Wiedergabe der Tafeln
ist eine so ausgezeichnete, daß diese Abbildungen den höchsten Anforderungen für die stilkritischen
Abb. 6. Oriinglasierte Terrine, Salzbarg, um 1600.
Sammlung Schwarz in Wien.
Vergleichungen genügen. Die ja hauptsächlich durch die Farbe, weniger durch die Form wirkenden,
hier in Betracht kommenden Hafnererzeugnisse sind auf den dreizehn bunten Tafeln in Mehr-
farbenautotypie und farbigem Lichtdruck förmlich lebendig geworden. Auch die nicht poly-
chromen Lichtdrucke geben die farbigen Wirkungen trefflich wieder.
Im übrigen hat v. Walcher mit dankenswerter Vollzähligkeit alles nur irgendwie zur Frage
wichtige Material in Abbildungen gebracht, in nicht weniger als fünfundzwanzig Tafeln und 140
Textabbildungen, so daß man diese Arbeit gleichzeitig als ein ziemlich vollständiges illustriertes
Inventar der bis jetzt bekannten Oberösterreicher und Salzburger Hafnerkeramik betrachten kann.
Daß die mit peinlichster Sorgfalt durchgeführte Arbeit auch typographisch den höchsten
Anforderungen entspricht, kann nach dem Gesagten als fast selbstverständlich gelten, ebenso das
sorgfältige Register die Benutzung für den Museumsfachmann und Sammler wesentlich erleichtern.
H. Stegmann.
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LITEBARISCHE BESPRECHUNGEN.
51
Gemälde alter Meister im Besitz seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von
PreuBen. Unter Mitwirkung von Wilhelm Bode und Max Friedländer, heraus-
gegeben von Paul Seidel.
Rembrandt in Bild und Wort, herausgegeben von Geheimrat Dr. Wilhelm Bode unter
Mitwirkung von Dr. W. V a 1 e n t i n e r. Berlin, Rieh. Bong, Kunstverlag.
Von den beiden in jüngster Zeit von dem rührigen Bongschen Kunstverlage in den Verkehr
gesetzten Prachtwerken über ältere Malerei war das erste über den Familienbesitz der Hohen-
zollem an älteren Bildern bestimmt, als Huldigungsgabe anläßlich der silbernen Hochzeit des
Kaiserpaares zu dienen. Der Gemäldeschatz der preußischen Schlösser begann mit der Aus-
stellung einer wertvollen Auswahl der von Friedrich d. Großen gesammelten französischen Bilder
auf der Pariser Weltausstellung 1900 die Aufmerksamkeit der ganzen gebildeten Welt auf sich zu
lenken. Die vorliegende Publikation, welche den gesamten Gemäldebesitz des preußischen
Königshauses an künstlerisch wichtigen Stücke umfaßt, läßt erkennen, wie viel Interessantes
und Schönes bei der in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts vorgenommenen Über-
führung des Hauptteiles des Gemäldebestandes in die königlichen Museen in den Schlössern,
besonders von Berlin und Potsdam, zurückgeblieben und bisher der Forschung und dem
Kunstfreund so gut wie unbekannt geblieben ist Neben der französischen Kunst des 18. Jahr-
hunderts, die nirgends auf der Welt eine so quantitativ und qualitativ großartige, Vertretung
aufweisen kann, haben sich insbesondere auch für die Kunst Cranachs und Rubens ungekannte,
oder doch unbeachtete Schätze heben lassen. Der Herausgeber, als Vorstand der Königlichen
Kunstsammlungen, macht den Leser zunächst mit der Sammlertätigkeit des preußischen Königs-
hauses bekannt, wobei diejenige Friedrichs des Großen an erster Stelle steht, der nicht nur
die französischen Maler seiner Zeit, sondern auch Correggio und andere Italiener, die großen
Namen, wie Rubens und van Dyk in den Kreis seiner großzügigen Kunstleidenschaft zog. Die
altdeutschen und altniederländischen Gemälde sind von Max Friedländer, die Holländer und
Italiener von W. Bode, die Franzosen des XVIII. Jahrhundert wieder von Seidel behandelt.
Die Namen dieser ersten Autoritäten ihres Faches verbürgen an sich den Wert des Gebotenen.
Die bildliche Ausstattung des Werkes ist eine ganz ausgezeichnete und in den 72 Kupfer-
drucktafeln hat der auf diesem Gebiet ja schon rühmlichst bekannte Verlag das Glänzendste zu
so verhältnismäßig billigem Preise geleistet, was bisher auf dem deutschen Markte erschienen.
Das gleiche uneingeschränkte Lob verdienen auch die noch zahlreicheren, zum Teil in größtem
Maßstabe gefertigten Autotypien.
Das Werk über Rembrandt hat einen etwas anderen Charakter. „Rembrandt in Bild
und Wort" will ein im Verhältnis zu seiner Ausstattung billiges Prachtwerk für den weiten
Kreis deutscher Kunstfreunde sein. Auch hier stehen in gewissem Sinne die 60 Kupfergravüren
nach Gemälden Rembrandts im Vordergrund, wenn sie auch an Feinheit und Tonigkeit an die des
erstgenannten Werkes nicht ganz heranreichen. Daß ein auch in Illustrationsfragen so feinsinniger
Mann wie Bode an der Reproduktion der Radierungen und Handzeichnungen in Autotypie auf
stark glänzendem, gestrichenem Papier Gefallen gefunden haben sollte, ist indes wenig glaublich.
Der Text mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und doch in warmer, leichtverständlicher Weise
geschrieben, ist eine ganz ausgezeichnete Einführung in das Wesen des dem deutschen Volke so
nahestehenden hoUändischen^Meisters, wie sie bisher trotz der reichhaltigen Rembrandtliteratur
nicht vorhanden war. H. St.
Miinchener Jalirbuch der bildenden Kunst. Herausgegeben von Ludwig von
Buerkel. Verlag von Georg D. W. Callwey, München. Bd. I 1906 und 1907
1. Halbband,
Ein seit vielen Jahren gefühltes Bedürfnis in Süddeutschland war es, für den gesamten
kunstwissenschaftlichen Betrieb ein Organ zu schaffen, das für Süddeutschland und speziell
für Bayern dieselben Ziele verfolgen solle, wie dies in Osterreich vom Jahrbuch der Kunst-
sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, in Preußen durch das Jahrbuch der Kgl.
preußischen Kunstsammlungen geschieht Versuche und Anregungen, eine ähnliche Publikation
durch die staatliche Kunstverwaltung in die Wege zu leiten, sind bisher an der leidigen Geld-
frage gescheitert. Im vorigen Jahre hat ein jüngerer Münchener Kunstgelehrter, Dr. Ludwig
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IS2
fMem;i;tailfceiniirarj¥ftMinit»it)^udlr;>i5e«if>op;' >^niQtlkUeyarhcA lyeHiffsInlMIatalpmdfti aner-
]Qfimenswert«nn jMitt getttibt;: die l.Lösusi|p<<ttrr[ li^kHtigeW uoil .^soMvierififöivJUü^abedttunfli
private Initiative zu versuchen. Die Publikation, die zugleich L ias^^ öffia^eiiOrgonHode^
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j. I ,;hI»« ^!>«^WiPi5n 4^! )ypbl ,gies^^ww4en^ 4g(J .derjwisMII^&Ä^iiW^fi WÄrt ^ publi-
^^er^.Arjbi?^jteiv,..^i^ flp^er^^fttwert} l?(*ftr i^t^.wenn, jmch,n>aÄ(*»^ i|fJ,eii^ejS<:l>flife^l^rti,
(^ «fjei^o .gHJt/^iä^^Wg^n^t :b*ei^WHöp|ißn^^ ?^j to^^^PflBSÖJfei^h?
^«|rt,|T^f)0^lj4^er![|JAHl|USk?tWft!AHSSta<ttUl^ d<^:4
Die Aufgabe, die sich der Herausgeber der neuen ZeitSÄiWFi(t^<g§?tem;|^*ttiisfc,.4»ij#M)l
1^1 nwiemft, JCtfi^h und, Jfjwifit,»^eor?^.^ßW»^, W^sewn^fil^uf^p iWms^^S^n^ ,iyif4»VfiiH'/ Überaus
rtrlfl^^Jtig^ Qlp j(i^,.4i^^'iW«jiifM:miif=gf<9te.>^^itW8Pfi^ dift.Z^kiwft
j,fthwnr!-iPi9ni,fu8etJiftibf.4fiT iA(yw*^ciri v^^n^ttMWrßJ^henO«. teHr^^mniö^^lwtiööi^fth«'
d^ .,feig^4^9,,fie4aftift?Pj,4wtf4r|ngp»)i )iiJpM^w^y/pt^,,^^ /i»i Mftc«iis$A(offnfn.gfi9ii^gigin
^tuiift^ii^>v.Us<^r>Ä9Jh,M*Mc-hAmiP/«b#H%tiftrt(n,i^h.ij^KMi»ft^:^
}^fld^,kjf}^kP. flptfi^^htHngWÖfr^n 2|?JteefH)$fti§<fhft,,ISu!^JfrÄgWi;ftW5^5ph^e«j^-rt.^
i^K¥MrJiJif u I^UA^ J^r.»9l.!ap4ftri?n;Ort^i>,.jf^M^4rtffi.!«^uw.:r?iirf:i^^ Üim
^,yn^$m*hJT?»M§Piu4w dH;f^)VÄg^,nfcW? fmt Wiy^rtiW/i(Q4»r,ai44f)^hi^rt/ZHfftuivi^
ricas, ^n.H Amsterdam, den jüngst erworbenen Cranach- Altar bei StädeV>.v^i|^{,i$it|iHU^ jVfeW
Thomas Couture, nicht etwas stark den Eindruck von künstlich als Lückenbüßer heran-
gszQgenca I' FüDlssli» /msidtitn.ii '. ^nderertfeitsJ&rlilOt nsMKibNvbhit^bevivntoiB^ ibifi^rljtwiMn das
MiftncHencr <K^iinst$aHrbuch/i^>iävkiklV fnifih;tb#ingiend/ fOt üaraUSgeber/ ytüz§6t uhd>l7eiMa
weiteren Leserkreis werden soll, der ziemlich exclusiv münchnerische Standpuhht. defeHJWtei>
nehmens« dei^ skh tm ictwatseiiisehigbhjXrets id^::!Aütoreti{::>ivi^ rinuddr (vdcwiegiesidflitiSphilre
des Imhüfts^ klmdglbti' äüf eine breitem hwymsdat^ h^t^f^j^aüdäavi^h^^
Sensti kdbnt^i ihr .Lau£e> / dto Zeit « die i iadere. £xiäteBzbecädlti9un^ r derv vi^brspiedtfiidfin
Publikation ilskttif feil ihrefai Sdutden'.ttttm&mn .",^01 rir '.i > r.*,^f'.nfiv,;i/H./'8iteg.pii*ttfirnt>
('o|ij -''il"i)'i iil-ji\i\i\'i, ';i.ij .v.i^-fvyii'J hfiii •::\-A\/\\J .1'" ifl^/'.v (!j"(in'frriij.. jVf'i.'/i ii'jflO'/fJu'.iq
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Die fränkischen Epitaphien
im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert.
Von
Dr. Bdwin F^edslotD.
(Fortsetzung.)
VI.
Plastische Epitaphien um die Mitte des fünfzehnten
Jahrhunderts.
Man müßte den einzelnen Werken der fränkischen Epitaphienkunst Gewalt
antun, wollte man sie unter dem Gesichtspunkt einer abgeschlossenen Entwickelung
betrachten.
In Städten außerhalb Frankens, zumal für Kreu^änge von Domkirchen, hat
sich mitunter eine gewisse Tradition in der Form der plastischen Epitaphien heraus-
gestellt, die eine einheitliche Behandlung ermöglichen würde. In Nürnberg hat
sich, wie es der Mannigfaltigkeit der Besteller und der Verschiedenheit der Ver-
wendung im Innern und Äußern der vielen Kirchen entsprach, keine feste Ge-
staltung des Epitaphs ausbilden können. Die auf diesem Gebiete tätigen Meister
haben neben ihren anderen heiligen Gemälden und Skulpturen auch solche
geschaffen, die mit dem religiösen Gehalt den persönlichen Zweck des Gedächtnis-
bildes verbanden, die aber den anderen Werken so ähnlich sind, daß ihre gesonderte
Behandlung nicht durch vereinheitlichende Hypothesen zu bequemer Übersichtlich-
keit gebracht werden kann.
Immer wieder zur Betrachtung vereinzelt stehender Werke gezwungen, sehen
wir, wie auch für unbedeutende Aufgaben, welche kleinen Handwerkern übertragen
werden, diese eifrigen Meister eine selbständige Lösung erstreben. Niemals sind sie mit
dem Überiieferten zufrieden; wohl benutzten sie die erweiterten Kenntnisse eines
vorangehenden Meisters, aber der nächste sucht sofort seinen eigenen Weg einzuschlagen.
Daher diese verwirrende Fülle isolierter Werke, daher der Mangel an Tradition, da-
her dieser Reichtum lebenskräftiger Ansätze, die ungenutzt und ohne Nachfolge blieben.
Die Unfähigkeit, sich einer Überlieferung unterzuordnen, erklärt aber auch,
warum bei aller Intensität der Auffassung das Niveau für die handwerklichen Arbeiten
so niedrig ist, warum zum Beispiel die Nürnberger Steinmetzarbeiten hinter denen
der Augsburger Handwerker zurückbleiben, deren Skulpturen infolge des traditionell
geschulten omamentalen Verständnisses sich organisch aneinanderreihen.
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54 DlK FRXnKISCHEN EPITAPHIEN IM XlV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Aus solchen Gründen ist zu verstehen, daß sich nach den um 1 380—1420 an
St. Sebald und St. Moritz entstandenen Werken die Bedeutung der Epitaphienplastik
für die Kunstentwicklung so schnell verminderte.
Als Ausnahmeerscheinungen sind zwei Werke zu nennen, die durch ihre
freiplastische Gestaltung das Gebiet der Epitaphienkunst verlassen. Beide Figuren
stehen an St. Sebald. Das erste, der Rietersche Christus (Datum
1437)*^*), befand sich ursprünglich an der Sakristei und hat jetzt im Innern, rechts
vom Peterschor seinen Platz gefunden. Neben dem Rieterschen Christus war ein
Messingtäfelchen mit der Inschrift angebracht. Das zweite Werk, der Schlüssel-
felderische Christophorus vom Jahre 1442, steht rechts vom Portal des
Sebalder Westchores'^'). Zu der eigentlichen Epitaphienkunst haben sie beide keine
Beziehung; zumal die Statue des Christophorus mit ihrem Reichtum plastischer
Motive und der gedrungenen Formenbehandlung zeigt, wie wenig diese bescheidene
Kunst einem frei entwickelten Schaffen genügen konnte.
Da es bei den anderen Epitaphien unmöglich ist, sie nach ihrer formalen
Entwicklung zu gruppieren, wird sich eine Anordnung nach den Stoffen der Dar-
stellung empfehlen.
I.Darstellungen der Kreuzigung.
Bei der Besprechung der Gethsemane- Reliefs hatte ich die letzten Werke mit
ihren dicht im Räume zusammengeschobenen, untersetzten Gestalten als charakte-
ristisch für den Stil der neuen Bürgerkunst hingestellt. In ähnlichen Formen sind
zwei spätere Reliefs mit der Kreuzigung an St. Sebald gehalten, die eine (1448) für
Hermann Maurer von einem handwerklichen Meister, der mit gesunder Kraft und
fester Faust den Stein bearbeitet; die zweite zur Erinnerung anBurckhartSemm-
1er (t 1463), die sich in ähnlicher Weise durch kleine gedrungene Figuren von den
Arbeiten der vorhergehenden Generation unterscheidet. Eine Beurteilung des Stiles
im Einzelnen entzieht sich der Möglichkeit, da an der Kirche Kopien angebracht
werden mußten, und die schon sehr zerstörten Sandstein-Originale — jetzt in der
Krypta des Westchores aufbewahrt — noch eines Ausstellungsraumes harren.
Indeß beim ersten Relief die Stifter in die Gruppe aufgenommen waren, ist bei dem
zweiten die Abteilung für Stifter und Inschrift über der Hauptdarstellung an-
gebracht.
Weiter ist die Kreuzigung für Hans Rebeck (t 1482) im Witteisbacher
Hof des Germanischen Museum s^^) zu nennen und auf Werke in Bam-
berg sowie auf das reich ausgestattete Relief in St. Burkhard zu Würzburg
hinzuweisen, das in architektonischer Umrahmung spätgotischen Geschmackes
Christus am Kreuze zeigt, links Maria, von zwei Frauen gehalten, rechts Johannes,
darüber den Pelikan, darunter den Löwen. Ein anderes, mehr handwerkmäßiges
Kreuzigungsrelief ist an der Außenseite des dortigen Domes für den 1451 ver-
storbenen Hans Kraft gestiftet.
56) Pückler-Limpurg S. 145-149 mit Angabe der deutschen Inschrift auf der Kon-
sole, 1757.
57) Wurf fei Diptycha ecclesiae Sebaldianae. Nürnberg 1757 Seite 11, Pückler-Limpurg
S. 157 bis 160.
58) Gr. 202 mit den Todesdaten 1493 und 1482; aus dem Nürnberger Augustiner-
kloster stammend.
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VON DR. EDWIN REDSLOß. 55
II. Darstellungen des Schmerzensmannes.
I ! Der alte Hauptstoff der plastischen Epitaphien war die Darstellung des
Schmerzensmannes.
I ' Gern wählte man ihn oder die Gruppe der Dreieinigkeit, wenn das Bild des
Verstorbenen die Hauptsache sein sollte. Im Entwurf zum Epitaph Ludwigs des
Gebarteten (f 1447) im National-Museum zu München ^^) wendet sich der Herzog
betend der Dreinigkeit zu. Die Gestalt des Fürsten ist eine der besten Porträt-
darstellungen, die wir innerhalb der Epitaphienkunst jener Zeit finden : wie durch ein
Wunder überrascht blickt er auf die von Engeln umschwebte Erscheinung. Die aus-
geführte Tafel bringt die Engel und Gott- Vater ungeschickt nebeneinander gereiht
und trennt den Herzog von der heiligen Darstellung.
^'; An einem Gedächtnisstein für Paul Truchs zu Dachsbach auf der
Altenburg bei Bamberg steht eine kleine Christusgestalt im Zierrat, welches
das Brustbild des Verstorbenen umrahmt. In Schwabach an dem großen
Aufbau um die Freifiguren des Ritters Hans von Waiderot (f 1473)
und seiner Frau (f 1459) ist der Schmerzensmann unter dem gotischen Baldachin
angebracht.
Ähnlich angeordnet ist das Epitaph für Joh. von Salfeld in der Erfurter Bar-
füßerkirche mit den Todesdaten 1394 und 1400 (Größe 1,57 : 2,40)^°), und das nach
Buchner zwischen 1410 und 1420 entstandene Grabmal des Grafen Albert von Kirch-
berg in Kapellendorf^^), der mit seiner Frau den Schmerzensmann verehrt.
Als einige weitere Beispiele dieser meist durch Werke außerhalb Frankens zu
belegenden Form greife ich heraus: mit den Todesdaten 1477 und 1461 das
Epitaph für Daniel von Muderspach zu Limburg an der Lahn: unter drei reich ver-
zierten Spitzbogen knieen zur Seite die Gatten, in der Mitte befindet sich eine Pietä
in kleinen Verhältnissen; im Museum zu Heilbronn der Grabstein des Bürger-
meisters Berlein (f 1472), an dem die Ornamente der Umrahmung die heiligen Figuren
enthalten, ein Typus, der vor allem an den Mainzer Bischofsdenkmälern reich aus-
gebildet wurde; im Wanddenkmal des Schenken Friedrich III. von Limpurg kniet
der 1445 Verstorbene mit seiner Frau unter dem von einem Engel gehaltenen
Veronika-Tuch.^^) Aus solchen Grabsteinen und Epitaphienumbildungen hat sich
dann die Form des in großer Architektur aufgebauten Renaissancewandgrabmals
entwickelt, welches die Statuen der Fürsten und Bischöfe, meist vor dem Kruzifixus
knieend, in rundplastischer Arbeit zeigt.
Wichtiger für unsere Untersuchung ist es, eine andere Umbildung zu verfolgen,
die sich vom Monumentalen entfernt und die malerische Auffassung der zweiten
Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts zur Geltung bringt: die Umgestaltung der
59) Bode S. 192 Abbildung des Entwurfs: Altertümer des bayer. Herrscher-Hauses.
1855 Kap. II (Tafel 8) Abb. d. ausgeführten Steines: Gerlach Taf. I, 1. Riehl, Abhandlung
d. histor. Kl. d. kgl. bayer. Acad. d. Wissensch. XXIII Bd. I Abt. S 56.
60) Buchner S. 86 Tettau S. 174.
61) Buchner S. 91 und Tafel 8. Lehfeld, Thüringer Kunstdenkm. XVIII. S. 258 nimmt
einen Italiener als Steinmetzen an. Dehio, Handbuch I S. 154.
62) Kunst- und Altertums-Denkmale im Königr. Württemberg. Fortsg. 32—35, 1907,
S. 632, 633.
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56 DIE FRÄNKISCHEN EPHAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
einfachen Darstellung des Schmerzensmannes zu dem reicheren Bilde der Gregors-
Messe*®). Das gemalte Zingl- Epitaph aus der Mitte des XV. Jahrhunderts ward
schon genannt ; bald danach ist das Wandbild der Gregors-Messe in St. Sebald
entstanden**).
Plastisch finden wir diesen Stoff im Riet er -Epitaph (Todesdaten 1462 und
1476) imGermanischenMuseum aus Sandstein gebildet. Streng symmetrisch
in gehaltener Ruhe knieen Gregor und der Kardinal Bonaventura vor dem
Altare; die zwei Stifterfiguren sind mit in die Gruppe aufgenommen, indem
St. Franziskus den in Ordenstracht knieenden Peter, St. Klara die gleichfalls in
Abb. 8. Epitaph des Peter Rieter und seiner Frau Barbara
(gest. 1462 und 1476) im Germanischen Nationalmuseum. Pl.-O. 191.
Ordenstracht knieende Barbara empfiehlt. Dieselbe Darstellung finden wir in
einem Relief an St. Sebald. In Bamberg an der Pfarrkirche bringt ein
kleines Relief für Heinrich von Schaumberg (f 1501) überladen und unruhig
bewegt die gleiche Szene**).
Die Kirche zum heiligen Kreuz in Nürnberg enthält ein farbiges
Holzrelief als Epitaph der Wolkenstein (vom Jahre 1496), das im Geiste
Wolgemuts komponiert ist und, seiner Größe entsprechend, zugleich als Altar-
aufsatz dient.
In der Plastik ist der Stoff durch jene Reliefs vorbereitet, die den Schmerzens-
mann von den Leidenswerkzeugen umgeben zeigen, ein Motiv, das schon im vier-
zehnten Jahrhundert aufkam, wofür ein Grabstein des Oberdorfer Friedhofs'*) mit
der Umschrift: ,vere languores nostros ipse tulit et dolores nostros portavit* als
63) Bischof Gregor faßte zuerst das Meßopfer als eine Wiederholung des Opfertodes
Christi auf.
64) Traugott Schulz in der Denkmalspflege, VI, 1904 mit Abb. S. 43.
65) Das Relief in Münnerstadt (Unter-Franken) ist sehr schlecht erhalten.
66) Thüringer Kunstdenkmäler XXVI S. 8.
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VON DB. EDWIN REDSLOB. 57
Beispiel anzuführen ist. Die Ausbildung der Komposition aber wurde von der Malerei
gebracht und ist offenbar in den Niederlanden erfolgt, wie die von Tschudi für
eine spätere Kopie nach dem Meister von F16malle gehaltene Tafel der Galerie Weber
zu Hamburg mit der Inschrift: „Dees tafel was gemaeckt int iaer 0ns Heeren MVc.
XIV" zu beweisen scheint^').
In Nürnberg tauchen, wie wir sahen, Darstellungen der Gregorsmesse in der
Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts auf. Weitere Beispiele sind das Bild Wolgemuts
für Hans Meyer und seine Frau (Todesjahre 1473 und 1450) in St. Lorenz, das
große Bild im Germanischen Museum vom Jahre 1493, und die Holz-
schnitzerei aus Rastatt im Germanischen Museum.
III. Madonnenbilder.
Spät erst wird die Madonna auf Nürnberger plastischen Epitaphien dargestellt:
Eins der schönsten Madonnenrelief ist das zierliche Schutzmantelbild*®) für
Neidhard-Fugger (nach Mayer gest. 1497) an St. Sebald. Schlanke Figuren,
schlanker noch erscheinend infolge der leichten, langen Falten der weichen Gewänder,
die in feinem omamentalen Schwung gezogen sind, verieihen dem Werke eine be-
wegliche Zartheit, die wie ein Nachklang gotischer Formen erscheint.
Aus Holz ist das Epitaph des Friedrich Gerung vom Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts im Germanischen Museum mit der in Dreiviertelrelief ge-
arbeiteten M a r i a im Ä hren kleide**), das ehemals an einem Rundpfeiler
angebracht war.
Ebenfalls aus Holz ist ein flach behandeltes Relief in St. Sebald, das angeblich
vom jungen Michael Wolgemut zur Füllung des Bogens über der Südtüre für die
schon 1356 verstorbene Christina Ebner in'®) geschnitzt wurde und sich durch
seltene Feinheit und Sorgfalt der Arbeit auszeichnet. Das Kind an die Brust
drückend, sitzt Maria auf der Mondsichel, über der sich der reich gefaltete Mantel
bauscht. Über ihr schweben Engel im Federkleide mit der Krone, zur Seite kniet
die Verstorbene. Die ausladende Form des Bogens ließ ein sorgsames Ausbreiten
und Verteilen der brüchigen Falten zu, die dem Werke seinen reichen Charakter
verleihen.
67) Friedländer: Rep. 1903 S. 8. Dazu, in der Wiesenkirche zu Soest, das dem
Weberschen entsprechende Bild, und die mit der Gregorsmesse verbundene symbolische Dar-
stellung der Leiden Christi im Utrechter Museum vom Jahre 1486. Über ein Bild der Gregors-
messe im Museum zu Gotha : Thüringer Kunstdenkm. XXVI S. 75. Über den Holzschuherschen
Grabteppich im Oerman. Mus. vom Jahre 1495: Mitt. d. Germ. Mus. 1895 S. 99 ff. und Taf. IV.
68) Zur Ikonographie des Schutzmantelbildes: Lehmann S. 210.
69) Zur Ikonographie: Thode, S. 33, Schulz, Legende vom Leben der Jungfrau Maria,
Stephan Beissel in der Zeitschr. f. christl. Kunst, 1904 XVII, 12. J. Graus, Kirchenschmuck,
XXXV, 11 1904. Döbner: Anz. f. Kunde d. deutsch. Vorzeit 1870 S. 269. Otte: Kirchl.
Kunst-Arch. S. 729. — Auf einem gemalten Epitaph in der Römhilder Stadtkirche (Thür.
Kunstdenkm. XXXI, S. 415. Erfurter hist. Ausstellung 1903 No. 124) vom Jahre 1482 steht
die Ährenkleid Jungfrau zwischen 4 Heiligen. Dies Bild scheint vom Meister der Themarer
Altarwerke (Stadtkirche) gemalt zu sein; es zeigt dieselbe Art, durch gesuchte Zieriichkeit
und seltsame Haltung die innere Plumpheit zu verbergen.
70) Bode: S. 118.
MitteilnDgen aus dem german. Nationalmoseuin. 1907. 8
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58 DIE FKÄNKISCHEN EPHAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Auch der Löffelholzaltar in derselben Kirche mit Holzschnitzereien zur
Katharinenlegende hat als Epitaph gedient. Nach Bode'^) ist er von einem Vorläufer
der Wolgemutschen Werkstatt geschnitzt worden. (Todesjahr 1453-)
IV.
Von verschiedenen anderen Darstellungen seien erwähnt: An St. Sebald das
Grabmal des Heinrich Ketzel (t 1438) „mit einer Darstellung, wie die Seelen aus
dem Fegefeuer errettet werden'*'^) und an St. Lorenz das wenig bedeutende
Marmor- Epitaph mit der Dreifaltigkeit für Conrad Hörn. "8)
Nur sehr vereinzelt finden wir profane Stoffe behandelt: in Milbertshofen
zeigt das Stein- Epitaph des Andreas Keferlocher den Verstorbenen, wie er das
Feld mit einem vierspännigen Pflug bestellt.'^) Ein Grabrelief auf dem Johannis-
Friedhof zu Nürnberg bringt die Darstellung einer Buchdruckerei. ''^)
V.
Gesondert von den anderen Werken muß der große Stein für den 1485 verstor-
benenDr. HartmannSchedelan der Sebalduskirchegenanntwerden. (Abb. 9).
Abb. 9. Epitaph des Dr. Hartmann Schedel an St. Sebald zu Nürnberg.
71) Bode: S. 115. Waagen K. in Deutschland I. S. 237.
72 ) Rettberg : S. 52. - Wegen der Kreuzritterabzeichen : Vase, Kreuz, Rad und Schwert
ist cap. 3 zu vergleichen. Abbildung: Gerlach, Taf. 39, 2.
73) Renov. 1702; näheres Hilpert S. 12.
74) Das Grabmal des Theologie-Professors Johann Altorf (f 1505) in der Frauenkirche
zu Ingolstadt stellt im Sinne italienischer Denkmale den Gelehrten im Hörsal dar.
75) Abguß im Germanischen Museum.
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VON DR. EDWIN REDSLOB. 59
Neben der Bronzetafel mit der lateinischen Inschrift,^*) kniet unten der ge-
lehrte Doktor. Ein Engel schreitet auf ihn zu, ihn zum Reigen der Seligen zu
rufen, die dem Himmelstor entgegen gehen, während auf der rechten Seite die
Verdammten die Qualen der Hölle erdulden. Über der Inschrifttafel erheben sich
drei Auferstehende, die in der Zierlichkeit ihrer Gestalten und Gebärden an die
Auferstehenden des Veit Stoß zugeschriebenen Schwabacher Altars erinnern. '')
Ist es doch bezeichnend, daß am Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts die
Steinbildnerei häufig mit der Leichtigkeit der Holzschnitzerei zu wetteifern versucht.
Über dieser Gruppe knieen Maria und Johannes, die sich nach oben wenden,
wo Christus thront; zu Christi Seiten sitzen die Apostel mit Thomas in großen Ge-
stalten, auf mannigfach gewundenen Wolkenzügen mit reichem Faltenwurfe schwerer
Mäntel angeordnet, in der Höhe schweben vier Engel.
VI.
7. Die Reliefs im Kreuzgang der Stiftskirche zu Aschaf-
fe n b u r g.
Der Einfluß der Nürnberger Kunst an den Grenzen des fränkischen Stammes-
gebietes ist gering. Das große Relief der Kreuzabnahme und der Grabstein mit dem
von Maria und Johannes beklagten Schmerzensmann für Ren. von Weinsperg in Ans-
bach sind Werke, die schon ihrer Form nach mit der eigentlichen Epitaphienkunst
keinen Zusammenhang haben.
Interessanter wird die Selbständigkeit einer auf die örtliche Tradition be-
schränkten Arbeitsart bei den Grabsteinen im Kreuzgang der Stiftskirche zu
Aschaffenburg.'®) Alle sind einander verwandt in der Enge und Fülle der zusam-
mengedrängten Komposition, welche die Figuren, trotz der festen, charaktervollen
Köpfe, trotz der energischen und gegensetzlich gespannten Falten steif und ungelenk
erscheinen läßt. Enge Falten, die nur an den Endigungen in runde Linien übergehen,
parallele Linienführung in Haaren und Gewandzügen, gedrungene, schwer lastende
Formen und eindrucksvolle Köpfe bestimmen den Charakter der harten Stein-
arbeiten.
76) Zur Zeit der Humanisten werden die Grabinschriften zumeist wieder lateinisch
und in der Capitale geschrieben.
77) Bode, S. 126: nach Veit Stoß.
78) Dehio: Handbuch d. Kunstdenkmäler I, S. 18. A. Amrhein: Die Prälaten und
Kanoniker des St. Peter- und Alexander-Stifts, 1882. J. May: Geschichte der Stiftskirche
1857. Girstenbrey: Festschrift 1882. Während des Druckes dieser Arbeit erschien als Nr. V
der Hiersemannschen Monographien: Hans Bröger, Grabdenkmäler im Maingebiet. Hier
sind die Aschaffenburger Denkmale S. 38 ff. behandelt, das Kronenbergsche ist auf Tafel 16
abgebildet.
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50 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Es ist für unsere Betrachtung wichtig, wie hier aus dem Vermeiden der lebens-
großen Porträtfigur ein eigenartiger Grabsteintypus sich entwickelt, indem an Stelle
der Figur eine religiöse Komposition tritt. Vielleicht ist die Vermutung berechtigt,
daß der niederen Geistlichkeit die lebensgroße Porträtwiedergabe nicht gestattet war.
Abb. 10. Grabstein für Johann von Kronenber; (gest. 1439) in der Stiftskirche zu Aschaffenburg.
So entstanden die Mariendarstellungen vom Jahre 1424 und 1437, der Christo-
phorus aus rotem Sandstein für Johann von Kronenberg (vom Jahre 1439), die
Kreuzigung mit dem Steinmetzzeichen ^^ (1456), der Tempelgang Maria (1463),
die Pietä für Wiedewed von Lammerbach (1474). Dann werden die Dimensionen
allmählich größer bis zum Epitaph mit dem heiligen Martin (Todesjahr 1505), das die
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VON DB. EDWIN RBDSLOB. 61
Grabsteingröße bei weitem überschreitet. Erst eine Pietä mit dem Todesjahre 1536
bringt die kleineren Verhältnisse der Renaissance- Epitaphs.
Einen Aufschluß darüber, warum ebenso wie in der Malerei auch in der
Plastik eine bestimmte Entwickelung des G^enständlichen sich in der Epitaphien-
kunst des fünfzehnten Jahrhunderts nicht feststellen läßt, dürfen wir gerade den
Grabplatten des Aschaffenburger Kreuzhanges entnehmen: die Auftraggeber trugen
bei der Bestellung eines Epitaphs vor allem dafür Sorge, daß eine neue Darstel-
lung gebracht würde.
vn.
Die Epitaphien Wolgemuts und seiner Stilgenossen.
Als in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts Wolgemut seine große
Werkstatt in Nürnberg begründet hatte, wurden die gemalten Epitaphien meist bei
ihm hergestellt. Schematische Arbeiten, die traditionelle Typen weiter ausbilden,
sind sie fast alle von Schülern ausgeführt, woraus sich die Unterschiede in Manier
und Tüchtigkeit erklären. Charakteristisch ist, daß hauptsächlich der Verehrung
Mariae gewidmete Bilder in dieser Zeit verlangt wurden.
I.
Ein holzgeschnitztes frühes Werk des Wolgemutschen Kreises, das Madonnen-
relief zu St. Sebald, ist schon im vorigen Abschnitt besprochen worden. Eines der
frühesten Gemälde aus Wolgemuts Schule, das Epitaph des Hans Lochner in
St. Lorenz (zweite Kapelle rechts) mit dem Todesjahr 1466, stellt den Tod der
Maria dar: von Johannes gehalten, bricht sie vor dem Betpult zusammen. Die
Leblosigkeit in cJer Handlung, die großen Köpfe mit niedriger Stirn, die schwer auf
dem kleinen Körper hängen; die dunklen Augen, unter deren scharfgezogenen Brauen
ein glanzloser Blick vergebens sich Bedeutung zu geben versucht, die dicken Nasen-
kuppen, die vollen Backen und die künstlich zugespitzten kleinen Hände: alles sind
typische Merkmale für die Figuren der Wolgemutschen Werkstatt, die den Eindruck
nutzlos in krampfhafter Starrheit verharrender Holzpuppen hervorrufen.
Dieselbe Szene, aber in größerem Stil, behandelt das Hallersche Epitaph
(Todesjahr 1487) im Germanischen National-Museum (s. Abb. 11), dessen
Gruppierung durch den Schongauerschen Stich angeregt worden ist.'*) In wahlloser
Buntheit, ohne Rücksicht auf die Komposition, sind die vollen Farben an den dick
gebauschten Gewändern verschwendet. Die Stilart Wolgemuts erkennt man an dem
phlegmatischen Mißmut, mit dem die Figuren an der Aktion teilnehmen: der zusam-
mengepreßte Mund und die hochgezogenen, eingekniffenen Nasenflügel sind charakte-
ristische Züge, deren Vorhandensein sich wohl eher aus dem für das Ende des fünf-
79) Thode S. 145. Beschr. im Katalog d. germ. Mus. 115. Schultz: Deutsches Leben
im 14. und 15. Jahrhundert S. 101, Abbild. S. 105. Wölfflin. Die Kunst Albrecht Dürers
S. 20. Die Abbildung wurde uns aus Dr. H. Schweitzer, Gesch. d. deutschen Malerei S. 260,
Fig. 212 von Herrn Verleger Mayer zu Ravensburg überlassen.
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62 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
zehnten Jahrhunderts bezeichnenden, unbeholfenen Streben nach Verfeinerung und
Zierlichkeit, als aus Wolgemuts philiströsem und bösartigem Charakter erklären läßt.®^)
Eine dritte Darstellung in der Ägi dien kir che für Frau Margaretha Tetzel
(t 1496) zeigt eine fein geschlossene, symmetrische Komposition, wodurch sie an
Werke, wie die Anbetung der drei Könige in der Wolfgangskapelle, erinnert. Das
Abb. 11. Epitaph der Frau Margret Haller (t M87) von Michel Wohlgemut
im Germanischen Nationalmuseum. (G. 115.)
Bett ist diesmal mit der Längsseite an die Wand gestellt; die Mitte des Bildes wird
durch die Gruppe des Petrus, der zur Sterbenden schaut, und des Johannes, der sich
an Petrus lehnt, gut betont. Wie in fast allen Werken dieser Zeit sind die Stifter
des Epitaphs vom Hauptbild getrennt.
II.
Ähnlich dem zuletzt genannten Epitaph erscheint die Volkamersche Gedächt-
nistafel mit der Himmelfahrt Christi an der rechten Seite des Chor-
umganges in St. Lorenz, ®0 und in diesem Zusammenhang ist die Verklärung
80) Lehmann, S. 164.
81) Thode S. 148.
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VON DR EDWIN REDSLOB. 63
Christi in der siebenten Kapelle links zu nennen (nach Hilpert zum Gedächtnis
des 1500 verst. Hans Mayer gestiftet), dieThode als Schulbild Wilhelm Pleyden-
wurff s bezeichnet hat. (Hier ist der Stifter links am Bild sehr klein angebracht.)
Es ist bezeichnend, wie sich nunmehr das Verlangen regte, auch dem Leben
Christi neue Stoffe für die Epitaphien zu entlehnen. So zeigt ein Tuch er- Epitaph
(Todesjahr 1485) in der Sebalduskirche die Kreuztragung nach
dem Schongauerschen Stich, *^) und die Andachtsbilder aus dieser Zeit suchen
immer wieder durch selten behandelte Szenen des neuen Testamentes mit dem Er-
findungsreichtum der Kupferstiche zu wetteifern.
III.
Andere Werke wiederholen den älteren Typus der für Epitaphien beliebten
Nebeneinanderordnung von Heiligen, den schon das Ehenheimsche Epitaph in
St. Lorenz zur Entstehungszeit des Tucher-Altares brachte. An die Anordnung dieses
Werkes erinnert das Epitaph des 1488 verst. Leonhard Spengler in St. Lo-
renz ®^) mit Christus zwischen den Heiligen Philippus und
Jacobus; ein Bild, das wieder durchaus die harte und manierierte Gespreiztheit
Wolgemuts zeigt und besonders an die vier Altarflügel mit Helena, Christoph,
Elisabeth und Anna selbdritt in St. Jacob erinnert.
Der Anordnung nach entspricht ihm das Epitaph des Erhard Schon (t 1464)
in St. Lorenz mit drei nebeneinander stehenden Heiligen auf Goldgrund, hinter
denen Engel einen blauen Teppich halten; an der Staffel knieen der Vater mit fünf
Söhnen und gegenüber fünf Frauen in großen weißen Hauben.®*) (Ähnlich sind die
Heiligengestalten im Germanischen Museum Nr. 104 u. 105.) Auch das Römhildsche
Epitaph, das ich im vorigen Kapitel bei Besprechung der Maria mit dem Ährenkleid
nannte, muß in dieser Reihe aufgezählt werden.
Endlich sei im L o r e n z e r c h o r das R o s e n k r a n z b i I d für die 1 502
verst. Anna Nicolaus Paumgärtnerin®^) und Hanns Trauts^^) heilige
Sippe genannt,
Ein Altarwerk mit dem Nebenzweck des Epitaphs aus der Wolgemutschen
Schule am Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts ist der V o 1 k a m e r - A 1 1 a r
in Bamberg (Museum) mit den großen Tafeln der Kreuzigung, der
Krönung Mariae und der P i e t ä. Die drei Mitglieder der Volkamerschen
Familie, deren Gedächtnis die Tafeln gewidmet sind, wurden getrennt von den
Altarblättern dargestellt; ihre Todesdaten sind 148}, 1494 und 1521.
Die Messe des heiligen Gregor in St. Lorenz (4. Kapelle
links) für den 1473 verst. Hans Meyer ist eine besonders figurenreiche Darstellung
dieses schon besprochenen Gegenstandes.
82) Waagen K. i. D. I S. 234, Thode 193.
83) Thode S. 147, Rettberg S. 64, Lehmann S. 167.
84) Thode S. 147.
85) Erwähnt bei Waagen S. 248 und Thode S. 290.
86) Nach Scheibler, Vischer Studien 364, Thode S. 216. Besprochen von Christian
Rauch, Die Trauts, I, S. 33 und Tafel 8. Rauch bringt auch die Inschrift, ein lateinisches
Distichon.
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64 DIB FRiNKISCHBN EPITAPHIEN IM XIT. UND XY. JAHRHUNDERT.
Der Richtung des Peringsdörfer Altares ist in St. Lorenz die für B. Kraft
(ti475) gestiftete handwerkliche Tafel mit dem Martyrium des heiligen
Dionys anzureihen, an der das naive Bemühen um die Wiedergabe der Land-
schaft besonders hervorzuheben ist.
Als Resultat dieses Abschnittes läßt sich zusammenfassen: mit dem Einfluß
der Wolgemutschen Arbeitsweise wird die Epitaphienmalerei ein Gebiet für Hand-
werker; so weit wir auf Grund der erhaltenen Tafeln ihre Leistungen überschauen
können, gibt sie, den anderen Andachtsbildem entsprechend, die beliebtesten Stoffe
der Zeit, die aus dem Verlangen nach reicher Komposition und Schilderung bewegter
Handlung entstehen. Gern wird eine momentane Situation erfaßt, so daß die
Szenen der sterbenden Maria oder des unter der Last des Kreuzes zusammen-
brechenden Christus besonders häufig dargestellt werden. Aber von all den künst-
lerischen Motiven, wodurch diese Stoffe für die Zeit vor Dürers Schaffen so bedeu-
tungsvoll wurden, ist in diesen nüchternen Leistungen untergeordneter Maler wenig
zu bemerken: für den flüchtigen Blick scheint kaum ein Unterschied zwischen
solchen bewegten Szenen und den kompositionslos im alten Sinne nebeneinander
gereihten heiligen Gestalten zu sein.
Die Figur des Stifters vertiert an Bedeutung. Zu der veriangten Ähnlichkeit
hätte die Handwerkerarbeit nicht genügt, und das Interesse daran war vermindert,
weil seit dem entscheidenden Schritt Hans Pleydenwurffs im Schönbom-Porträt die
Bildniskunst sich zu selbständiger Bedeutung loszulösen begann. Dazu kam, daß
infolge der Sitte, den Verstorbenen mit seiner gesamten Familie anzubringen, die
Figuren schematisch nebeneinander geordnet wurden. Es genügte, wenn man an
dem Bilde abzählen konnte, wieviel Frauen, wieviel Söhne und Töchter das Familien-
haupt gehabt habe. Die verstorbenen Familienglieder wurden durch Kreuze über
ihrem Kopf gekennzeichnet; die verheirateten Töchter erkannte man an der weißen
Haube einer Ehefrau.
vm.
Die plastischen Epitaphien im Dom zu Eichstätt.
Da die Nürnberger Epitaphienkunst nicht zur Ausbildung eines bestimmten
Typus gekommen war, ist es begreiflich, daß sie keinen entscheidenden Einfluß auf
die Arbeiten benachbarter Städte gewinnen konnte.
Der Lage des Ortes entsprechend hatte schon früher in Eichstätt®^)
schwäbische Art neben fränkischer und bayerischer die Kunstbetätigung des Alt-
87) Riehl: Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst, spricht über den Ausdruck der drei
Stammeseigentümlichkeiten in der Architektur, Pückler-Limpurg, S. 89 über den beginnenden
Nürnberger EinHuß. Dazu: Josephi, Augsburger Steinplastik S. 96 und Anmerkung zu S. 56.
Herb: Eichstätts Kunst Joseph Schlecht: Zur Kunstgesch. d. Stadt Eichstätt (Vortrag in der
Görrcs-Versammlung 1888). Riehl: Kunsthist. Wanderungen durch Bayern 1888 S. 109. Bodc
S. 192 und 193.
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VON DR. EDWIN REDSLOB. 65
mühltales bestimmt. So erklärt es sich, daß auch die plastischen Epitaphien,
die zum Schmucke des Dommortuariums am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
ausgeführt wurden, in Anknüpfung an Augsburger Reliefs entstanden sind.
Dem neuen Zwecke des Domkreuzganges entsprechend, hatte Bischof
Wilhelm von Reichenau (1471—1496) die eine Seite des Ganges erweitert,
und ein geräumiges, zweischiffiges Mortuarium geschaffen. In kurzer Zeit wurde
für dessen Ausschmückung gesorgt, — sogar Glasfenster wurden durch den Epitaphien-
zweck gewonnen — , so daß der Bau einen einheitlichen Eindruck von dem Kunst-
schaffen am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts geben kann.
I. Hans Peuerlin von Augsburg.
Der Bischof selbst hatte durch einen Künstler des Ortes, der ihm die Anregung
zu seinem Baue gab, noch im Innern des Domes, offenbar vor seinem Tode, sich ein
Grabmal aus rotem Marmor errichten lassen (Taf. IV). Völlig dem Epitaph Bischof
Friedrichs von Zollern (t 1 505 ®®) im Augsburger Dome entsprechend, stellt es vor einem
architektonischen Hintergrunde zur Seite des nach rechts geschobenen Kreuzes, dessen
Stamm Maria Magdalena umfaßt, die Mutter Christi mit Johannes dar. Zu dieser
Gruppe tritt von links Jacobus heran, den reich gekleideten, knieenden Bischof em-
pfehlend. Ein erregtes Empfinden, das aber durch die feinberechnete Geschlossenheit
der Komposition gemildert wird, hat das Werk von innen heraus belebt; es macht
sich bis in die gewundenen Säulenschafte geltend und bis in die vielen omamentalen
Streifen, welche als Lendentuch, als Spruchband, oder als Gewandsäume die Grup-
pierung durchspannen.
Eine Inschrift nennt uns den Künstler: „Hans Pewerlin von Augsburg hat den
Stein gemacht." Wir wissen von Peuerlin®*), daß er bis gegen 1508 in Augsburg
tätig war, wo er außer dem Hohenzollernschen Grabdenkmal auch das für den erst
1517 verstorbenen Bischof Heinrich von Lichtenau mit der Ölbergszene*®) schuf.
Mit Recht betont Riehl die Vorzüge der Komposition im Augsburger Kreuzigungs-
relief vor dem Eichstätter: Maria und Johannes sind dem Kreuzesstamm deutlicher
zugewendet, der Heilige, der den Stifter empfiehlt, muß sich nicht mehr so mühsam
• vor der Säule seinen Platz suchen, und die freie Bewegung der Figuren wird durch
eine perspektivisch mit mehr Geschick verwendete Architektur erleichtert.
II.
Im Gegensatz zu den kraftvollen Arbeiten Peuerleins aus ihrem harten roten
Marmor steht eine Reihe von Epitaphien im Mortuarium, die, verleitet von den leich-
teren Möglichkeiten ihres Materials, des im Altmühltal gebrochenen weichen Schwamm-
88) Nach Braun (Geschichte der Bischöfe von Augsburg III, 1814 Seite 151) zu Lebzeiten
des Bischofs entstanden. Josephi, Seite 80 fg. Abbildung Riehl, Augsburg S. 74 und Gerlach
48, 3. Bodes (S. 193) Betonung bayer. Kunstart bei Wilhelms Epitaph scheint infolge des
klar zu erkennenden Zusammenhanges mit den Augsburger Werken hinfällig zu werden. Mader,
Loy Hering S. 1 u. 2. Abguß im German. Nationalmuseum.
89) Herberger im Jahrbuch d. bist. Vereins f. Schwaben und Neuburg 1855- Robert Vischer:
Studien zur Kunstgesch. 1886 (Veröffentlichung der Augsburger Handwerkerbücher).
90) Riehl: Augsburg S. 74 bis 76 mit Abb. Josephi. Bode. Abguß im German. National-
museum.
Mitteilungen lOB dem gennan. Nationalmaseom. 1907.
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66 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
kalkes, ihr formales Vorbild der Holzskulptur entnehmen. Ihre Gestalten sind un-
gelenker und werden in der Steigerung des Empfindens manieriert. Dennoch haben
diese Reliefs einen selbständigen, der oberfränkischen Kunst nahekommenden Cha-
rakter, so daß es berechtigt erscheint, als Herkunftsort die Werkstatt eines von der
Schnitzerei ausgehenden Eichst ätter Handwerkers zu vermuten
Bald nach 1473 niuß das Epitaph der Pröbste von H e 1 1 p u r g»i) entstanden
sein. Es hat drei Todesdaten, aber nur die beiden ersten (1464 u. 1473) haben gleiche
Buchstabenstellung und gleiche Zeilenzahl; die dritte Inschrift für den 1481 ver-
storbenen Johannes hat weiter auseinahdef stehende Buchstaben, ist also offenbar
erst nach Aufstellung des Werkes gemeißelt worden.
Über der unverhältnismäßig großen Inschrifttafel baut sich eine zierliche Archi-
tektur auf: bis zur Hälfte gehen zwei Säulen, die einen mit Krabben geschmückten
und in einer Kreuzesblume endenden Kielbogen tragen. Als Abschluß der Seiten
stehen auf den Säulen zwei Fialen; der Platz zwischen den Fialen und der Kreuzes-
blume ist durch eine Arkatur ausgenützt. Da unten noch ein Streifen mit den drei
knieenden Adoranten abgeschnitten ist, nimmt die Hauptdarstellung nur wenig Raum
ein. In der Mitte steht Gott- Vater und hält vor sich den leblos zusammengeknickten
toten Christus. Sein Kopf fällt nach links, auf der freien Schulter sitzt die Taube
des heiligen Geistes; die Arme Christi werden von den zur Seite knieenden Gestalten
der Maria und des Johannes gehalten. Die Formen sind hart, die Umrißlinien be-
wegen sich in ungeschickt eckiger Zuckung; in den Falttnzügen ist viel Reichtum
erstrebt, doch sind sie in unruhig gegeneinander stoßenden Winkeln gebrochen.
Trotz dieses Zickzackspieles in Haltung, Umriß und Faltenlinien wirkt das Relief
durch den strengen Zusammenhang der Gruppe mit dem umrahmenden Kielbogen.
Ähnliche architektonische Umrahmung, aber in breiterer Anlage und reicherer
Ausführung hat das Eyb- Epitaph (letzte Jahreszahl 1487). (S. Abb. 12).
Die Inschrift nimmt weniger Platz ein, das Wappen ist nur einmal und deshalb in
beherrschender Größe in der Mitte der Schrifttafel gegeben, die vier Adoranten knieen
vor Nischen. Unter dem von einem Baldachin abgeschlossenen Kielbogen steht,
von zwei schwebenden Engeln gekrönt, Maria auf der Mondsichel, rechts von ihr
die heilige Barbara, links von ihr, mit dem Schwert, die heilige Katharina.
Dies Relief zeigt am deutlichsten, wie am Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts
der Stil der Schnitzaltäre Einfluß auf die Steinarbeit gewann. So wirken die drei
Frauengestalten wie in Stein nachgebildete Holzfiguren: die dicken Köpfe sitzen
plump und ohne Übergang auf dem vollen Halse; die Stirn zeigt jene der fränkischen
Kunst eigene herausgewölbte Form; die Brauen sind in hohem Bogen gezogen; die
kleinen Nasen haben klobige Kuppen, von denen eine scharfe Falte zu den vollen,
zugespitzten Lippen geht; auf der Kopf und Hals verbindenden Masse sitzt wie auf-
geklebt ein kleines Stückchen Kinn.
Aus der Holzskulptur ist auch die ausbiegende Körperbewegung übertragen,
aber durch die Fülle des schweren Faltenwurfs und des dicken Haares, wie durch
den engen Zusammenschluß der Figuren ist dennoch eine der Steinarbeit entsprechende
Geschlossenheit der einzelnen Gestalt und der Gruppe erreicht. Trotz all ihrer Massig-
91) Abb. Gerlach, Tafel 39, 1.
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VON DR. EDWIN REDSLOB.
67
keit wirken die manieriert bewegten Figuren kraftlos, zumal das schwere Ornament
des Rahmens sie niederzudrücken scheint. Aber freilich, diese Werke nach den
Einzelheiten zu beurteilen, hieße dem Stil des Meisters unrecht tun, der einzig
auf einen architektonisch geschlossenen Eindruck hinarbeitet und mit der reichen
Farbwirkung seiner kräftigen Bemalung rechnet.
Abb. 12. Eybsches Epitaph im Mortuariutn des Domes zu Eichstätt.
Das dritte Werk, das Seckendorf-Epitaph, zeigt, wie diese von
der Holzskulptur bedingte Stilrichtung sich mit dem Einfluß des unterdeß von
Peuerlin gearbeiteten Reichenau- Epitaphs auseinandersetzt. Da die letzte seiner vier
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68 D» FRlNKISGHEN EPITAPHIBK Df XIY. UND XV. JAHRHÜNDEBT.
Inschriften (1505) mit ihren dickeren Buchstaben einen späteren Zusatz erkennen
läßt, dürfte es nach dem Tode des Johannes von Seckendorff (1490) entstanden sein,
also in der Zeit des Reichenau-Denkmals. Dargestellt ist zwischen Maria und
Johannes der Gekreuzigte, dessen Blut drei kompliziert bewegte Engel auffangen.
Maria und Johannes zeigen die gedrungenen, schwerfälligen Formen und die
massige Gewandbehandlung mit den zackig geknickten Faltenmassen, die bei den
heiligen Frauen des Eyb-Epitaphs an Halbreliefs aus Holz denken ließen. Doch sind
diese Eigentümlichkeiten hier weniger ausgesprochen, denn gleichzeitig hat sich der
Verfertiger dieses Epitaphs bemüht, seinen Gestalten etwas von der derben Kraft
Peuerlins zu geben.
Das vierte Werk dieser Reihe hat Bischof Wilhelm von Reichenau 1493
dem Andenken zweier geistlicher Würdenträger seines Geschlechts errichten lassen.
Noch mehr im Anschluß an die Holzskulptur ist hier die feste, der Steinplatte ent-
sprechende Umrahmung in Zierrat aufgelöst: zur Seite stehen auf einer Säule und
unter einem Baldachin die Heiligen Richard und Wunibald, oben ist zwischen fein
durchbrochenem Rankenwerk in drei Einzelfiguren das Mart3a'ium des heiligen
Stephan gebracht. Besonders geschickt ist die Figur des linken Schergen unter einen
den Aufbau durchschneidenden Gewölbeansatz komponiert: er ist niedergekniet,
um seine Armbrust zu spannen. Als Hauptfigur steht unter der altarartigen Be-
krönung zwischen Willibald und Waldburg, den Schutzheiligen des Hochstifts,
Maria mit dem Kinde, über ihrem Haupt halten zwei schwebende Engel die Krone.
Die Gesamtanordnung wirkt, zumal . heute bei der schlechten Erhaltung der
Farben, weniger geschlossen, als bei den anderen Werken: es widerspricht dem Stil
des Steinreliefs, den Grund der Platte aufzugeben und Figuren und Ornamente einzeln
in die Wand zu fügen, wie es bei größeren Holzschnitzwerken aus Gründen des Ma-
terials bedingt ist. Doch die Einzelheiten sind in Anlehnung an Augsburger Reliefs»«)
feiner und gewandter gegeben, als bei den anderen Werken dieser Gruppe: die Ma-
donna zeigt schon die etwas inhaltlose, aber zarte und ruhige Gesichtsbildung und
den weich und voll veriaufenden Faltenwurf Loy Heringscher Figuren.
Diese Stiländerung ist durch Einflüsse bestimmt, die wiederum ein schwäbischer
Meister vermittelte.
III.
In der Zeit um 1490 war im Inneren des Domes der Pappenheime r-
Altar**) (Taf. V) entstanden, der mit dem Kultzweck die Epitaph- Bestimmung
für drei Mitglieder und einen Verwandten des gräflichen Geschlechtes verbindet,
die dem Eichstätter Kapitel als Domherrn angehört haben.
Wenn schon die um das Eyb-Epitaph sich gruppierenden Werke in ihren Ge-
stalten von dem Stil der Holzskulptur beeinflußt waren, so will der Pappenheimer
Altar, ähnlich dem Hochaltar der Martinskirche zu Landshut, geradezu einen
großen Schnitz-Altar ersetzen. Er mißt mit dem Altartisch über zehn Meter
92) Man vergleiche etwa das Freiberg- Epitaph (Schröder Nr. 392) vom Jahre 1474.
93) Bode, S. 192. Herb mit Abb. auf S. 35. A. Hämmerte: D. Pappenheimer Altar, Wiss.
Beil. d. K. Gymn. zu Eichstätt, 1906 bei Seitz, mit besonders ikonographisch eingehender Be-
schreibung und mehreren Abbildungen. Über den Landshuter Altar: Haack, Gotische Archi-
tektur und Plastik der Stadt Landshut. Münchener Diss. 1894 S. 62 bis 64.
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VON DR. EDWIN REDSLOB. ÖO
Höhe; neben dem Altarblatt waren bewegliche Flügel aus Holz; als Bekrönung
trägt er einen schlanken Aufbau von steinernen Fialen; in diesem Aufbau stehen
elf, in den Laibungen zehn Figuren, an der Predella knieen vor Nischen zu Seiten der
Inschrift die vier geistlichen Herren. In einem ähnlichen Sinne, wie bei den Kraft-
schen Sakramentshäuschen, ist der Versuch gemacht, die Härte des Steinmaterials
zu überwinden und die Zierlichkeit geschnitzter Holzornamentik zu erreichen.
Der feinen Gliederung des Rahmens entspricht die Ausführung des Altar-
blattes. Aus einer figurenreich übereinander angeordneten Menschenmenge ragen die
drei Kreuze heraus. Mit echt schwäbischer Eigenart ist die Haupthandlung durch
eine Fülle freudig und gewandt erzählter Einzelmotive übertönt. Links raufen sich
gelenke Kriegsknechte um die Kleider Christi, hinter ihnen sieht man Maria zu-
sammenbrechen, über dieser Gruppe drängen sich Schergengestalten, zur Seite des
Kreuzes hält auf seinem Pferde Longinus, im Begriff, mit Hilfe seines Knechtes die
Lanze in die Seite des Heilands zu stoßen, um sich durch das Blut Heilungzu verschaffen.
Auch rechts, unter dem Kreuze des bösen Schachers, herrscht dichtestes Gedränge:
oben entspricht der Gruppe der linken Seite die Menge der spottenden Juden und
der Kriegsknechte, nur vorne staut sich die Bewegung an den in breitspuriger Ruhe
verharrenden Urteilsvollstreckern.
Der Zusammenfügung des Altarblattes aus zwei Teilen entsprechend, nimmt die
Schar der um das Kreuz Versammelten genau die untere Hälfte ein. Hoch in die
obere Hälfte hinauf ragen die drei Kreuze, hinter denen sich die Felsen mit den ge-
wissenhaft zur Darstellung gebrachten Gebäuden Jerusalems türmen. Den Ab-
schluß nach oben bilden rhythmisch bewegte Fialen, die weit über das Altarblatt
hinausragen.
Ist der Pappenheimer- Altar seiner Größe und Form nach kaum noch als Epitaph
anzusehen, so wird er doch innerhalb unserer Betrachtung wichtig, weil sich ihm
zwei andere Werke schwäbischer Stilart anreihen.
Gleiches Verständnis für die Beweglichkeit der Körperformen, gleiche Vorliebe
für enganliegende Bekleidung des ausgehenden fünfzehnten Jahrhunderts, welche
die Elastizität der Gliedmaßen besonders hervorhebt, gleiche künstlerische Kraft,
die auch im Ornament Rhythmus und Leben ausdrückt, und die gleiche taktvolle
Zurückhaltung, die trotz aller Fülle der Einzelformen die geschlossene Wirkung nie
außer Acht läßt, zeichnen die S t e i n i g u n g des h 1 g. Stephan für den
Chorherren Karl von Wippfeld (t 1499) aus.®*) Zuckendes Leben ist in allen
Muskeln des Gefesselten zu empfinden, neben dem an jeder Seite die trefflich zur
Gruppe vereinten Gestalten der Richter und Henker stehen; der Baldachin ist reich
ornamentiert; in der unteren Hälfte ist in der Anordnung des Wappens und der
beiden Betenden die Dreiteilung der Hauptgruppe wiederholt. Ganz unten befindet
sich die Inschrift, welche, wie an allen Reliefs des Mortuariums, in lateinischer
Sprache verfaßt ist.
Freier und leichter in der Anordnung ist das Wolfersdorf- Epitaph
(Todesdatum 1505), das in der Mitte einer dreiteiligen Rundbogenordnung die
94) Abb. O. Gerlach Tafel 39.
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70 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
Madonna zeigt. Rechts schreitet der heilige Christophorus heran. Die
Gruppe der Madonna und des in gleicher Größe vor ihr knieenden Stifters ist da-
durch abgesondert, daß zwei Engel innerhalb der beiden linken Bogen einen Vor-
hang ausspannen. Das Christuskind ist stark verstümmelt, offenbar hatte es eine
ähnliche Stellung, wie das Kind des.Klieberschen Epitaphs der Anna selbdritt vom
Jahr i498 im Augsburger Domkreuzgang (Schröder Nr. 32). Auch die Hand der
Mutter zeigt dieselbe Feinheit; und die massige, in weiten runden Falten sich stauende
Gewandbehandlung ist beiden Reliefs gemeinsam. Die junge Maria mit der zierlichen
geraden Nase und den dicken Backen, mit dem feinumsäumten Gewand, das einen
schlanken Körper umschmiegt, und mit dem langen, in einzelnen gewellten Strähnen
herabfließenden Haar erscheint auf beiden Werken als dieselbe Gestalt. Da auch
das Gefühl in der Anordnung entsprechend ist, dürfen wir wohl annehmen, daß das
kleine Wolf ersdorf- Epitaph von einem Augsburger Künstler geschaffen ist, der
vorher das Kliebersche Relief gearbeitet hat.
Im i6. Jahrhundert hatte Eichstätt am Hofe seiner Bischöfe einen Künstler,
der die unter Wilhelm von Reichenau gepflegte Tradition fortsetzte: den Schüler
Peuerlins, Loy Hering»»), dessen Werke dem Stile nach bereits der Renaissance-
Kunst angehören und Peuerlins Absichten zur Vollendung bringen.
IX.
Die Epitaphien- Kunst am Ende des XV. Jahrhunderts und
ihre Überleitung in die Renaissancezeit. *^)
Im Gegensatz zur vereinheitlichenden Kunstauffassung der CJotik betonte
die Renaissance die Selbständigkeit der verschiedenen Kunstarten und suchte die
künstlerischen Aufgaben nach den Stilbedingungen zu lösen, die Material und Arbeits-
art mit sich brachten. Auch innerhalb der einzelnen Kunst verlangte man nach
Trennung der verschiedenen stofflichen Gebiete, so daß die naive Verbindung von
Andachtsbild und Porträt, welche die Form des Epitaphs bedingte, als wider-
spruchsvoll erkannt wurde.
95) F. Mader: Loy Herings Epitaphien in Unterknöringen, Christi. K. 1904, 69. Jahrg.
F. Mader: Loy Hering, München, 1905. Henner, Altfränkische Bilder, 1899, 1900, 1904. Über
Loy Herings Beziehungen zu Eichstätt vgl. in Maders Monogr. S. 2 bis 5- Danach hat Loy Hering
von etwa 1513 bis nach 1554 in Eichstätt gelebt H. Graf. Ztschr. d. Münchener K.-Gew. V. 1886,
S. 777. Repertorium XI u. XXX.
96) Auf handwerkliche Werke gehe ich in diesem Schlußkapitel nicht mehr ein. Genannt
sei in St. Jakob (Lösch S. 31) das jüngste Gericht für Hans Murr (t 1512) schon 1570, dann 1693
übermalt; dazu, mit demselben Todesjahr, das Epitaph für die Familie Gewandtschneider mit
der Auferstehung. Stofflich interessiert hier die bei Epitaphien damals noch ungewöhnliche Todes-
allegorie, eine Anordnung von Schädel, Blumenkranz und Inschriftband: vanitas vanitatum et
omnia vana. Auch ein 1480 entstandenes Straßburger Epitaph hatte eine Todesallegorie: Es
„bestand aus einem viereckigen Stein mit drei Totenköpfen. Darüber war ein Gemälde, das auf
einer Seite einen Engel mit einem Stundenglase, auf der anderen die Darstellung des Todes mit
dem Schachspiel zeigte: Ich sag es dir. es ist daran, Du sollt tötlichen Schach matt han!" Leit-
Schuh, Straßburg Seite 86.
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VON DR. EDWIN REDSLOB. 71
I.
In Schäufelein s»') Epitaphien kann man diesen Vorgang verfolgen.
Werken wie dem großen Wolgemutschen Marientod verwandt, geben sie den Stifter-
bildnissen geringe Bedeutung. Ohne Freude an der Beobachtung individueller Züge
sind sie auf einer besonderen Staffel untergebracht, oder, in Übereinstimmung mit
Albrecht Dürers Paumgartner-Altar, klein und bedeutungslos im vordersten Grunde
aufgestellt, sodaß der Blick über sie hinwegsieht, wie über die Grasbüschel am Rande
eines Bildes. Dafür nimmt Schäufelein inhaltlich gern auf die Bedeutung als Grab-
mal Bezug: Gruppen, in denen er ähnliche Probleme, wie sie Dürer nach dem zweiten
venezianischen Aufenthalt beschäftigten, mit der Geschmeidigkeit seiner schwäbischen
Überlieferung zu lösen scheint, indem er flau und weichlich die kubischen Schwierig-
keiten verwischt, geben in leuchtenden, breit über weite Flächen verbreiteten Farben
die Szene des Abschieds Christi von der Mutter (Epitaph der Anna Brigels,
gest. 1515) oder die Beweinung vor dem Kreuz, oder (für Jörg Brigels,
gest. 1521) die Krönung der Maria. (Alle in der Georgskirche zu Nörd-
1 i ngen.)
Bei Hans von Kulmbach sind die Formen härter und sorgsamer
durchgebildet, aber auch er will — wonach Dürer so mühevoll rang — leicht und
elegant wirken. Daher zieht er die Glieder in die Länge, spielt mit den Endigungen
der faltigen Gewänder und sucht die scharfe Einzelarbeit durch konzentrierte Licht-
wirkung zu mildern. Für die kleineren Stifterfiguren schafft er sich durch Engel
die Verbindung mit der Hauptgruppe. (Krönung der Maria in Wien, Gem.-Gal.
Nr. 14)8.)
Als das vollendete Beispiel für die andere Entwicklungsrichtung, welche die
Porträtfigur als gleichberechtigt in die Darstellung aufnimmt, ist Hans Hol-
beins am Anfang der zwanziger Jahre gemalte Madonna des Bürgermeisters Meyer
im Großherzogl. Schloß zu Darmstadt zu nennen. Ihrem Gehalt nach aus dem alten
Schutzmantelbild entstanden, bedeutet sie in der wunderbaren Vereinigung der
Gottesmutter mit den sechs mittelalterlichen Gestalten die Vollendung der Bildform,
die von der Epitaphienkunst geschaffen wurde.
Als Allegorie auf die Entsündigung der Menschheit durch Christi Opfertod
steht Lucas Cranachs»«) Altarbild der Stadtkirche zu Weimar in Be-
ziehung zu den alten Blutkelterdarstellungen. Aber trotz des gedanklichen Auf-
wandes bekommt es seinen Wert durch die Gestalt Doktor Martin Luthers: wahrer
und zwingender als die gelehrten Deutungen bringt das einfache Bildnis des Re-
formators die Größe und den Sinn des Protestantismus zum Ausdruck: in der Malerei
hat die Porträtdarstellung das Erbe der Epitaphienkunst angetreten.
97) Schaffners Epitaphien sind in der Monographie des Grafen Pückler-Limpurg (bei Heitz,
1899) behandelt.
98) Als Werk Cranachs des Älteren möchte ich auch das Epitaph für Ursula Meienburg
(1529), als solches Cranachs des Jüngeren das für Michael Maienburg (1555), die Auferweckung
des Lazarus in Gegenwart der Reformatoren und der Familie Meienburg, beide Werke in der Bla-
sien- Kirche zu Nordhausen, nicht unerwähnt lassen.
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72 DIE FRANKISCHEN KPITAPHIKN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT.
II.
Aus den plastischen Grabdenkmälern hat sich das Epitaph entwickelt. War
es in der Malerei, die ihrem Wesen nach den monumentalen Aufgaben der Grabkunst
widerspricht, nie zu einem abschließenden und aus sich heraus entwicklungsfähigen
Typus gelangt, so ist die plastische Behandlungsart einheitlicher und darum auch
lebensfähiger gewesen»»). In Nürnberg erlebte die Epitaphienkunst ihre Vollendung
in den Schöpfungen von Adam Kraft und Peter Vischer.
Adam Kraft hatte sich mit den sieben Stationen der Kreuztragung einen
festen Stil erarbeitet, der in seiner Nebeneinanderreihung gedrungener Figuren die
einfachste Komposition brachte und die bestimmte Herausbildung der Einzelgestalt
als entscheidend betonte.
Seine Epitaphien*^'') sind später entstanden, als er, hindurchgegangen durch
eine Zeit, da er brüchige Falten und gebogene Gebärden liebte, den gedrungenen Stil
seiner Anfangsjahre mit reichem, ornamental wirkungsvollem Schwung zu beleben ver-
mochte und immer verinnerlichter die Ausdruckskraft seiner Köpfe durch Einfach-
heit und Konzentration zu steigern begann. So vereinigen sie, wie es der Sinn des
Epitaphs bedingt, dekorative Anordnung und inneren Gehalt.
Die Pergerstörffersche Gedächtnistafel in der Frauenkirche
zu Nürnberg, zwischen i498 und 1499 gestiftet, bringt in reicher, oben durch
einen Baldachin zusammengeschlossener Ornamentik die Gnadenmutter, über deren
Haupt Engel die Krone tragen. Zwei andere halten schwebend die rundgebogenen
Falten des Mantels, unter dem links die typischen Vertreter der Christenheit, rechts
die Angehörigen der Pergerstörfferschen Familie knieen. Die Mittellinie wird unten
durch das Postament der Maria betont.
Um 1500 entstand das Rebecksche Epitaph derselben Kirche mit der Krönung
der Maria, dessen Anordnung der Veit Stoßschen Schnitzerei im Germanischen Museum
verwandt ist^oi). im Schutzmantelbild wurde die Gliederung der Komposition durch
den Unterschied der scharf herausgebildeten Falten bei der Madonna und den Engeln
und der weicheren Gewandbehandlung bei den kleinen Gestalten unter dem Mutter-
gottesmantel bestimmt: hier faßt die einheitliche Durchbildung die Kompositions-
gruppe fest zusammen, trotzdem die Zacken und Spiralen der Falten im einzelnen
viel unruhiger gegeben sind.
99) Für Augsburg gibt die Schrödersche Arbeit die Übersicht über die Werke der Renaissance.
Über die Fuggergrabdenkmäler (Abb. in Riehls Augsburg S. 78 u. 79), zu denen Dürer das Dipty-
chon der Philisterschlacht und Auferstehung entworfen hatte (Berlin und Albertina), vgl. Vischers
Studien S. 583 fg. Von Graf (Ztschr. d. Kg. V. München, 1886, S. 77 f.) u. Mader, (S. 35 fg.) werden
alle vier Reliefs Loy Hering zugewiesen. Über Hans Daucher: neben Bodes Aufsatz 1887 im
VIII. Bd. des preuß. Jahrbuchs, G. Habich in Helbings Monatsberichten III, 1903 mit Abb. von
Grabsteinen u. Wiegands Monographie 1903.
100) Über das Schrey ersehe Grabdenkmal an St. Sebald vergl. Gümbel, Rep. 1892 und
(mit den Abbildungen) die letzte eingehende Untersuchung in Dauns Monographie.
101) Dauns Veit Stoß-Monographie. In großer Abb. in der Dehio-Bezoldschen Publikation
deutscher Skulpturen in Wasmuths Verlag 1906 II. Liefg. Diesem Relief entspricht das rund-
gebogene Fichtenholz- Epitaph für Konrad und Katharina Imhoff im Nationalmuseum zu München.
(Todesdaten 1486 u. 1494 Daun, Veit Stoß 1903). Abb. im VI. Katalog-Band S. XXIV. Be-
Schreibung S. 43 Nr. 679, S. 42 u. 43 mit Abb. Fig. 20.
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73
Das Landauer Grabmal der Ä g i d i e n k i r c h e (i 503 vollendet)
bringt die drei Figuren der Krönung als gesonderte Gruppe, indem die archi-
tektonische Anordnung das Relief in drei Teile zerlegt. Unten setzt sich diese Glie-
derung fort: in der Mitte sind singende und musizierende Engel, links kniet die
Christenheit des Peterstorff - Epitaphs, rechts eine Gruppe von Stifterfiguren, fein
beobachtet mit ihrer eigentümlich zurückgeworfenen, stolzen und zuversichtlichen
Kopfhaltung; leider sind sie schlecht erhalten
In den ein wenig konventionellen Erztafeln Peter Vischers^®*) erhielt die
Stifterfigur wieder größere Bedeutung. Am meisten im Zusammenhang mit gotischer
Tradition steht noch das Relief auf der Vorderseite des Grabmals für F r i e d r i c h
Casimir im Dom zu Krakau, das den von St. Stanislaus und St. Pie-
trovin geleiteten Cardinal im Gebet vor der Madonna abbildet (1500), und in der
Schloßkirche zu Wittenberg das Gedenkbild Henning Godens
(1521) mit der Krönung Mariä^os). Die Rundbogenumrahmung leitet perspektivisch
in die Hauptdarstellung über, vor ihr kniet der Stifter, rechts drängen sich musi-
zierende Engel vor.
In dem perspektivischen Architekturhintergrund und den gewandten Renais-
sanceformen zeigt die Tuchers che Tafel im Regensburger Dom (Todes-
jahr 1521) und die entsprechenden Tafeln im Münchener Nationalmuseum
und im Erfurter Dom, wie das humanistische Stilideal sich immer reiner und
gefälliger ausbildete. Nach Dauns Dariegung ist die Begegnung mit dem kananitischen
Weibe dargestellt. Der Stifter ist bei diesen mehrmals gegossenen Tafeln weg-
gelassen. Für die Person des Stifters ist die Erztafel des Anton Kreß(tl5l3)
in St. Lorenz zu Nürnberg hergestellt, deren Gegenstück Hans Vischer
für H e k 1 0 r P o e m e r (t 1541) arbeitete, ohne die zarte und graziöse Arbeit
der Kreß'schen Platte erreichen zu können. In Renaissancenischen knieen die
Prälaten vor dem Altar; aus dem Gekreuzigten, der früher die Anordnung des
Bildes bestimmt hätte, ist ein kleines Kruzifix geworden; das Verhältnis der beiden
Darstellungselemente hat sich zu Gunsten der Bildnisfigur umgedreht.
III.
Damit ist das Renaissance- Epitaph ausgebildet: die Malerei schafft nur noch
selten Gedächtnistafeln, die Plastik kehrt zu der Aufgabe zurück, der die Grabkunst
ihre Entstehung verdankt. Immer häufiger werden die Reliefs mit dem Brustbild
des Verstorbenen^®*) und neben Werken, die büstenartig die obere Hälfte eines
Grabsteins bringen, entwickelt sich als maßgebender Typus die Vollgestalt des vor
dem Kruzifix Knieenden.
102) Die Vischer- Literatur ist zusammengefaßt in Th. Hampes Ausgabe der Nürnberger
Ratsverlässe B. 1. Anm. S. 50 u. 51. Auf fragliche Werke, wie das der Ellwanger Stiftskirche
für Johann von Hirschheim (f 1460) und Albrecht von Rechberg (f 1^02) mit der Pietä bin ich
nicht eingegangen. Hierzu Bergau, Kunstchronik XIV, S. 15 und Paulus, Württembergische
Kunstdenkm. III, S. 125.
103) Wiederholung im Dom zu Erfurt. Abguß im German. Museum.
104) Im Augsburger Domkreuzgang für Adolf Occo (gest. 1503). Riehl, Augsburg S. 74
und Abb. S. 73*
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 10
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74 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XY. JAHRHUNDERT.
Diesem Typus hat für Franken Loy Hering die vollendete Form gegeben.
Freilich erreichte er das nur dadurch, daß er die heilige Darstellung zurückdrängte
und der Gestalt des Stifters monumentale Bedeutung verlieh. Zu dieser Vereinigung
fast rundplastisch herausgearbeiteter Figuren brauchte er eine reiche Umrahmung,
und diese architektonische Auffassung des Epitaphs bedeutet die entscheidende
Abb. 13. Epitaph der Markgrafen Friedrich und Qeorg; von Brandenburg; (gest. 1539 und 1543)
von Loy Hering in der Klosterldrche zu Heilsbronn.
Neuerung der Renaissance. Hierfür ist sein Epitaph der Markgrafen Friedrich
und Georg von Brandenburg in derHeilsbronner Klosterkirche*^*)
das deutlichste Beispiel. Der Kruzifixus, dessen Formen uns von Peuerleins Grab-
105) Mader, S. 86 u. 87 mit Abbildung. Die Abbildung wurde uns aus Maders Werk vom
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst überlassen. Als „unbekannter Meister der Ober-
deutschen Kunst" vom klassischen Skulpturenschatz, Nr. 280, gebracht.
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VON DR. EDWIN REDSLOB.
75
stein des Bischofs von Reichenau in Eichstätt bekannt sind, ist zurückgeschoben;
streng symmetrisch steht er in der Mitte und die kassetierte Apsis trägt dazu bei,
ihn für das Auge entfernt erscheinen zu lassen. Ganz vorn zu beiden Seiten knieen
die Markgrafen, der Eindruck ihrer Lebendigkeit und unmittelbaren Nähe wird
dadurch verstärkt, daß ihre Füße über den Rahmen hinausgehen, der die Gruppe
umspannt. So wird eine Tiefenwirkung erreicht, und indem der verkleinerte Christus
aus der Nähe der knieenden Ritter entfernt wird, erscheint er höher und beherrscht
die Komposition.
Solche architektonische Denkmale im Inneren der Kirche hatten nur Sinn
bei fürstlichen Epitaphien. Das stetige Anwachsen der Städte verlangte an den
für das fränkische Kunstschaffen entscheidenden Plätzen das Verlegen der Friedhöfe
vor die Stadt, sodaß auch am Äußeren der Kirche ein Anbringen von Gedächtnis-
zeichen sinnlos wurde»»«). Nur in den Kreuzgängen der Klostergeistlichkeit blieb
die alte Form, und in kleinen Städten erhielt sie sich mitunter bis ins achtzehnte
Jahrhundert hinein, den Handwerkern überlassen und meist ohne künstlerische
Bedeutung.
Im Innern der größeren Kirchen blieb nur das Prunkgrab der Spätrenaissance,
das in reichem Aufbau die ganze Wand bedeckt, und aus dem das mit Todesalle-
gorien überhäufte Barockgrabmal entstand: Vielfach ein Wandgrab mit Kronos, der
den Sargdeckel schließt, oder eine ähnliche allegorische Gruppierung, die Putten
und Tugenden reichliche Gelegenheit zu pathetischen Schmerzensäußerungen ge-
währt.
Dann löste sich auch beim Fürstendenkmal die Verbindung mit dem kirchlichen
Gedanken immer mehr: die Kirche ist nicht mehr der entscheidende Versammlungs-
ort der Gemeinde und bildet die alten Formen der Grabsteine und Epitaphien nur
noch für die hohen Geistlichen weiter, der Held gehört unter die Augen der Menge
auf die Märkte und Plätze, und in einem völlig anderen Sinne bekommt nun das
Denkmal von neuem seine Verbindung mit der Architektur.
IV.
So ist in der Renaissancezeit in zwei Gebiete geteilt worden, was sich Albrecht
Dürer als doppelte Aufgabe der Malerei überlegt hatte: „die Kunst ^es Malens wird
gebraucht im Dienste der Kirchen und dadurch angezeigt das Leiden Christi, behält
auch die Gestalt des Menschen nach ihrem Absterben", ^o')
Wie bedeutungslos die kleinen Stifter auch anfangs am Rande der heiligen
Bilder erschienen: nicht dem religiösen Gehalt, sondern der Verbindung mit dem
Bildnis verdankt die Epitaphienkunst ihre Entwicklung. Denn die innere Einheit
bekommt sie nicht durch einen gleichmäßigen Ausbildungsgang des Stofflichen, ob-
wohl der allgemeine Wandel der Anschauungen auch hier zum Ausdruck kommt.
Wir können am Schlüsse der Arbeit auf eine wechsel volle Reihe von Darstellungen
innerhalb der fränkischen Epitaphienkunst zurückschauen, der die Entwicklung in
anderen Gegenden entspricht.
106) Hilpert (St. Lorenz) teilt mit, daß 1518 das Begraben um diese Kirche abgeschafft
wurde, wofür die Gemeinde den St. Rochus- Gottesacker anlegte.
107) Lange- Fuhse: Dürers schriftlicher Nachlaß S. 297.
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76 DIE FRÄNKISCHEN EPITAPHIEN IM XIV. UND XV. JAHRHUNDERT VON DR. EDWIN REDSLOB.
Zuerst steht das Bild des Schmerzensmannes im Vordergrund, dann verlangt
man nach dramatischer Belebung und bestellt sich Szenen der Passion, oder man
wandelt die Schmerzensmanndarstellung in die figurenreiche Gregorsmesse um.
Gleichzeitig bekommt die Madonna erhöhte Bedeutsamkeit: Berthold Landauer findet
zuerst die bestimmte Form, unter seinen Schülern werden die belebten Szenen der
Geburt Christi und des Todes Maria besonders beliebt. Diese Stoffe bleiben für die
kommende Zeit. Man sucht sie durch allegorische Ausdeutung zu bereichem, bis
endlich, als die Plastik wieder Bedeutung gewinnt, die malerische Auffassungsart
zurücktritt. Nun wird die Göttlichkeit Christi und der Madonna in symbolischer
Erscheinung erfaßt: für Christus wird die Darstellung des Gekreuzigten, für die
Madonna die Szene der Krönung allgemein gültig und in schematisch festgelegter
Form wiederholt.
Damit hat die Plastik die Malerei wieder verdrängt, die, ohne einen festen Stil
zu finden, die Denkmalskunst hatte bestimmen wollen. Aber sogleich verliert die Plastik
ihre erfinderische Quelle und verfällt dem gedankenlos wiederholenden Handwerk.
Entscheidend zur Begründung dieses Entwicklungsganges ist der Umstand, daß
die mittelalteriiche Kunst im Dienste der Auftraggeber steht: die Epitaphienbildnerei
hat nicht die einheitlich in ihrem Lehrgebäude geschlossene Macht der Kirche hinter
sich, sondern die unübersehbare, für uns Heutige in ihren verschiedenen Motiven un-
erkennbare Menge der einzelnen Besteller. Sie ist das erste Betätigungsfeld für die
Kunst des Publikums, welche die Kunst der Kirche ablöste.
Was wir für die gesellschaftliche Gesamtheit als Inhalt des späten Mittelalters
erkennen können: den Kampf des Einzelnen um die freie Ausdruckskraft seiner
Persönlichkeit, gibt ihr neben den vielen, mit anderen Schaffensgebieten gleichen
Motiven den einheitlichen Charakter und die auch für Probleme unserer Zeit
lebendige Bedeutung.
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BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
VOM GUSTAV VON BEZOLD.
(Fortsetzung.)
(Mit 7 Tafeln.)
Bildnisse des frühen Mittelalters.
Als die Germanen das Erbe der Römer antraten stand ihre Kunst auf einer
Entwicklungsstufe, welche eine genaue Naturbeobachtung ausschloß. Orga-
nische Wesen kamen nur in strenger ornamentaler Stilisierung zur Darstellung. Auf
Schmuckgegenständen und auf dekorierten Geräten geht die Stilisierung so weit,
daß sogar der organische Zusammenhang der Teile aufgelöst oder fast bis zur Un-
kenntlichkeit umgestaltet wird. Die Textfigur gibt einige Beispiele ornamental
umgestalteter Köpfe aus Grabfunden der merowingischen Zeit. Die Berührung
mit der spätantiken Kunst erfolgte zu einer Zeit, als diese selbst gealtert und in
Auflösung begriffen war. Auch hier war an Stelle der eigenen Beobachtung mehr
und mehr eine schematische Stilisierung getreten. Es soll nicht verkannt werden,
Ornamental stilisierte Köpfe aus merowinp'schcr Zeit.
daß in den großen Mosaikbildern der Kirchen noch hoher Ernst und Würde walten,
aber das, worauf es uns hier ankommt, die Fähigkeit zu individualisieren, war bis
auf geringe Reste geschwunden. Die byzantinische Kunst, in der sich die antike
Tradition noch Jahrhunderte hindurch erhält und auslebt, zeigt in ihrem langen
Verlauf manche Schwankungen, es wechseln mit Epochen des Niedergangs solche
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78
BEITHÄÜE ZUR GESCHlCIIiE DES BILDNISSES.
des Autschwungs und ein von Geschlecht zu Geschlecht vererbtes technisches Können
hält die äußerste Rohheit fem. Die ersten Kunstregungen der Germanen, sobald
sie über das rein Dekorative des Kunstgewerbes hinausgingen, vollziehen sich im
Anschluß an die byzantinische Kunst. Daneben fanden direkte Anleihen von der
klassischen Antike statt. Aber bei aller Abhängigkeit von den Vorbildern zeigen sich
schon sehr früh die ersten Ansätze einer selbständigen abendländischen Kunst.
Eigene Beobachtungen muß man im voraus beim Bildnis erwarten, aber die
Künstler sind nicht rückhaltslos an die Natur herangetreten, die nachzubilden ihr
Können nicht ausreichte, sondern sie suchten in ein nach fremdem Vorbild ge-
zeichnetes Gesicht die individuellen Züge der Person hineinzutragen. Die An-
sprüche waren Jahrhundertelang bescheiden; zu vollem individuellen Dasein durch-
gebildete Köpfe sind vor dem .1}. Jahrhundert kaum entstanden.
Bei den germanischen Völkern sind die Münzbilder die frühesten Darstellungen,
welche zu bestimmten Persönlichkeiten in Beziehung stehen. Wir haben schon ge-
sehen (S. 39), daß die Ostgoten einfach die Köpfe römischer Kaiser herübernahmen.
Der byzantinische Typus herrscht auch in den Münzen der anderen germanischen
Reiche. Auf den Münzen der späteren Westgoten, 7. B. des Recared (586—601)
Taf. IV. und des Egica (687—700) (Taf. IV), ist das byzantinische Frontbild völlig zum
ornamentalen Schema geworden, es ist nur Hoheitszeichen ohne allen Porträt-
charakter.
Etwas höher als die westgotischen Münzen stehen die langobardischen; sie
sind wenigstens nicht ganz unorganisch, aber Bildniswert kommt ihnen nicht zu.
Das Profilbild eines unbekannten Fürsten aus der Mitte des siebenten Jahr-
hunderts sowie die Frontbilder von Arrigis (758—787), Grimwald III. (787 bis 806)
und Sighard (832—839) tragen ihre byzantinische Abkunft deutlich zur Schau. Das
erste hat noch ein mäßiges Relief, die drei anderen sind im Grunde nur 2^ich-
nungen mit erhabenen Linien.
Bei den Franken herrscht das Profilbild vor. Die Arbeit ist sehr roh, der byzan-
tinische Typus löst sich auf; aber bei aller Rohheit wird ein geringes Relief beibe-
halten, die Bilder sind nicht so rein zeichnerisch, wie die langobardischen. Als Bei-
spiele mögen zwei unbekannte Merowinger, Sigebert III. (645 — 657)
und aus karolingischer Zeit Ludwig der Fromme (814—840) genügen. Sie unter-
scheiden sich von den westgotischen und langobardischen Münzbildern durch eine
weniger schematische Stilisierung, es sind wirkliche Darstellungen von Menschen,
wenn auch äußerst primitive.
In der karolingischen Zeit stellt sich das Bestreben, die Züge bestimmter Per-
sonen im Bild wiederzugeben ein. Die wichtigste Quelle, die monumentale Malerei
versagt vollständig, das Bild Karls des Großen im Lateran ist so überarbeitet, daß es
nicht mehr in Betracht kommt. Dagegen ist in den Miniaturen wertvolles Material
erhalten. Kemmerich hat in seiner eingehenden Studie über die frühmittelalter-
liche Porträtmalerei in Deutschland den ersten Anfängen des Porträts bei den Deut-
schen nachgespürt und den wichtigen Nachweis erbracht, daß die Fähigkeit, eine
Person porträtmäßig darzustellen in karolingischer Zeit wenigstens in "Anfängen
vorhanden war. Er führt den Nachweis an den Bildnissen Karls des Kahlen, welche
allerdings eine gewisse Übereinstimmung zeigen, aber eine feste Erfassung des indi-
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VON GUSTAV VON BEZOLD. 79
viduell Besonderen fehlt durchaus. Was ich oben vom Hineintragen individueller
Züge in traditionelle Typen gesagt habe, gilt insbesondere von diesen Bildnissen.
Die Bilder sind nach Komposition und Einzelformen byzantinisch. Das konnte
nicht anders sein. Der Übergang von der ornamentalen Gestaltung organischer
Wesen, wie sie in der merowingischen Malerei herrschend war, zu realistischer Dar-
stellung konnte sich nur im Anschluß an eine überlegene fremde Kunstweise voll-
ziehen und das war die byzantinische. Sie besaß, was man erstrebte. Die byzan-
tinischen Gestalten, so beengend uns ihre stilistische Gebundenheit erscheint, mußten
dem erwachenden Auge der Karolinger als volle Darstellungen der Wirklichkeit er-
scheinen. Man hatte das, was sie an Realismus enthielten, übersehen, solange das
Auge für die Erfassung der organischen Form noch nicht reif war, und solange die
Hand ihren eigenen, vom inneren Schauen vorgezeichneten Weg ging, nun nahm
man es wahr und schtoß sich ihm im eigenen Kunstschaffen rückhaltslos an. Der
Anschluß ist ein sehr enger, wir haben karolingische Elfenbeinskulpturen jahrzehnte-
lang für byzantinisch gehalten und noch vermögen wir die Grenzen nicht scharf zu
ziehen, aber zu vollem Aufgehen in byzantinischer Kunstweise hat er doch nicht
geführt. Sobald man die wirkliche Erscheinung des Menschen künstlerisch wieder-
zugeben suchte, war man auf eigene Beobachtung von Bewegungen und Formen
angewiesen. Sie ist noch nicht intensiv und auf dem Wege vom Auge durch die
Hand auf das Bild geht vieles verloren, aber sie führt notwendig zu einer leichten
Modifikation des Stils. So erscheint die karolingische Kunst dem rückwärts ge-
wandten Blick als ein später Ausläufer der byzantinischen, dem vorwärts gerichteten
als Keim einer neuen Kunst, der romanischen. Allein der beginnende Realismus
bei den Franken stützt sich nicht einzig auf die byzantinische Kunst, er sucht Hilfe
wo er sie findet, auch bei der klassischen Antike.
Sehen wir genau zu, was auf den Bildnissen Karls des Kahlen porträtmäßig
ist, so bleibt wenig. Schon die allgemeine Form des Gesichts ist nicht individuell,
die einzelnen Merkmale, ein volles, bartloses Kinn, ein schmaler Schnurrbart, ein
starker Hals finden sich zwar auf mehreren Bildern, aber sie sind nur oberflächlich
angedeutet und stimmen auf den verschiedenen Bildern nicht genau überein. Als
wirkliche Porträts, die eine objektiv deutliche Anschauung einer Person geben,
können diese Bilder noch nicht gelten; anderseits beweisen sie aber, daß nun doch
die Beobachtung individueller Form eingetreten ist. Die Anfänge des Porträts sind
gegeben. Mehr als zweihundert Jahre mußten vergehen, bis sie zu voller Entfaltung
kamen.
Das germanische Museum besitzt keine karolingischen Miniaturen, welche für
die Geschichte des Bildnisses in Betracht kämen. Von der bekannten Reiterfigur
des Muste Carnavalet in Paris haben wir einen Gipsabguß. Sie gilt allgemein als
ein Bild Karls des Großen. Die Benennung stützt sich nur auf eine unsichere Tra-
dition, sie läßt sich nicht begründen und würde besser aufgegeben. Daß sie einen
karolingischen Herrscher darstellt, steht fest, zu einer sicheren Benennung fehlen
die Unterlagen. Wollte jemand in ihr Karl den Kahlen erblicken, so ließe sich, so-
ferne man sich mit den oben angegebenen Merkmalen begnügt, kaum sehr viel da-
gegen einwenden, aber zwingend sind die Analogien keineswegs. In der Bildung des
Gesichts wird das Individuelle von dem stilistisch Bedingten überwogen. Das gilt
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80 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
besonders von der Stime und den Augen, welche hoch liegen und froschartig heraus-
getrieben sind; im Schnitt des Mundes, in der Gestaltung des Kinns mag man den
Versuch, ein bestimmtes Vorbild wiederzugeben, vermuten, vergleichen wir aber
Reiterstatue im Mus(§e Carnavalet zu Paris.
andere karolingische Skulpturen, z. B. den Elfenbeindeckel mit der Darstellung eines
Bischofs in der Bibliothek zu Frankfurt, so werden wir zur Vorsicht gemahnt, denn
dieser Kopf, der kaum als Bildnis aufzufassen ist, ist weit sorgfältiger und natur-
wahrer durchgebildet.
Den Münzbildern kommt in karolingischer Zeit, ja im ganzen Mittelalter kein
großer Bildniswert zu. Sie können hier kurz behandelt werden. In der über-
Taf. VII. wiegenden Mehrzahl ist, wie die Zusammenstellung auf Tafel Vll zeigt, irgend
welche Ähnlichkeit gar nicht angestrebt. Sie sind zum Teil Frontbilder, zum Teil
Profilbilder. Die Frontbilder sind ausnahmslos schematisch, selbst noch bei Rudolf von
Habsburg in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. So können sie als ikono-
graphische Quelle nicht anerkannt werden. Unter den Profilbildern Heinrich H.
ragen die einiger Regensburger Denare durch sorgfältige Behandlung des Kopfes
hervor. Vergleicht man sie mit den Miniaturen, namentlich mit Fol. IIa des
Münchener Codex Clm. 60, so wird man ihnen Bildniswert nicht absprechen.
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VON GUSTAV VON BEZOLD.
81
Etwas hart, aber vortrefflich geschnitten sind die Augustalen Friedrich II. Sie
gehen direkt auf antike Vorbilder zurück. Wie weit das Profil lebenswahr ist,
kann ich hier nicht feststellen. Auf der Silbermünze, die nach den Augustalen
gearbeitet ist, ist es willkürlich verändert.
Neben die Münzbiider treten von den Karolingern an die Si^elbilder
der Könige und Kaiser. Kaiser Wilhelm II. hat dem germanischen Museum an
seinem fünfzigjährigen Stiftungsfeste die von Geheimrat Poße in Dresden gefertigten
galvanoplastischen Nachbildungen der sämtlichen deutschen Kaisersiegel gestiftet.
Diese bedeutende Quelle ist nach kunstgeschichtlicher Richtung noch wenig aus-
gebeutet. Da die große Publikation von Poße noch aussteht, muß ich mir bei der
Benützung der Sammlung einige Zurückhaltung auferlegen. Es ist ja auch nicht
meine Aufgabe, eine Ikonographie der deutschen Kaiser zu geben. Die Siegelbilder
haben den großen Vorzug, daß sie zu Lebzeiten der Kaiser und in deren Nähe ge-
fertigt sind. Das sagt nicht unmittelbar, daß sie als besonders ähnliche Bildnisse
zu gelten haben, wohl aber geben sie darüber Aufschluß, welche Anforderungen an
die Ähnlichkeit man zu verschiedenen Zeiten stellte. Ihre Größe und sorgfältige
Ausführung verleiht ihnen eine Bedeutung, welche weit über die der Münzbilder
hinausgeht. Die Benützung der Siegelbilder der Kaiser wird dadurch erschwert,
daß die Abdrücke großenteils stumpf geworden oder sonst beschädigt sind. Front-
bilder haben unter der Abnützung stärker gelitten als Profilbilder.
Die merowingischen Könige siegelten mit Ringen, welche für sie geschnitten
waren. Der Ring Childerich I. trug das Frontbild des Königs mit gescheiteltem,
langem, geflochtenen Haar und mit der Lanze. Der Typus ist byzantinischen Münzen
entnommen. Die Ausführung war roh und trug nur im ganzen der fränkischen
Haartracht Rechnung, während das Gesicht schematisch dargestellt war, ohne indi-
viduelle Züge. Ein Ring in der Bibliothdque nationale in Paris zeigt einen bärtigen
Kopf mit langen Haaren und den Buchstaben S R. (Sigebertus Rex ?) Ob Racne-
thramnus, dessen Ring ein ähnliches Bild zeigt, dem königlichen Hause angehörte,
ist ungewiß. Köpfe in Frontansicht mit langen Haaren zeigen auch die Siegel
anderer merowingischer Könige, wie Childebert III., Chilperich II., Chlodwig IIL,
welche bei Le Normant, Tr&or de numismatique, Sceaux des rois et reines de France
PI. I. abgebildet sind. So mangelhaft diese Köpfe sind, die Könige siegelten mit
ihrem eigenen Bilde, wie sie ihr eigenes Bild auf ihre Münzen prägten. Die Ringe
Privater trugen bildliche Darstellungen, Ornamente oder Schriftzeichen, zuweilen
waren antike Gemmen eingesetzt. Der Gebrauch antiker Gemmen zum Siegeln
wurde unter den Karolingern auch von den Königen angenommen. Daneben tritt
aber schon früh das Bild der Herrscher wieder in seine Rechte und es tritt in seine
Rechte mit ganz anderen Ansprüchen an die Auffassung und Wiedergabe der Wirk-
lichkeit. Allein es ist fraglich, wie weit die Stempel für die Könige neu gefertigt,
wie weit antike Gemmen mit den Köpfen römischer Kaiser verwendet wurden. Die
Frage wird für die ersten Karolinger allgemein dahin beantwortet, daß antike Gem-
men in Gebrauch waren. Sie bedarf indes der Nachprüfung, die Siegel müssen genau
auf ihre stilistischen Merkmale geprüft werden. Die Stempel sind bis auf einen,
die Gemme Lothar IL im Lotharkreuz in Aachen, nicht erhalten, die Untersuchung
kann nur noch an den Abdrücken gemacht werden, die alle mehr oder weniger ge-
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 11
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82 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DBS BILDNISSES.
litten haben. Mir stehen nicht einmal diese, sondern die galvanoplastischen Nach-
bildungen Poßes zur Verfügung. So sorgfältig sie gemacht sind, können sie doch
die Originale nicht ganz ersetzen. Dagegen bietet die Sammlung die Möglichkeit,
die ganze Reihe unmittelbar zu vergleichen. Die Frage der Echtheit der Siegel zu
prüfen liegt nicht in meiner Aufgabe, sie kann nur an den Originalen geprüft werden.
Das ist von Poße u. A. geschehen, die sicher kompetenter sind, als ich. Zunächst fragt
es sich, aus welchem Material die Stempel gefertigt sind. Soweit antike, geschnittene
Steine in Verwendung waren, wurden sie mit einer Metallfassung versehen, welche
die Inschrift trug. Auch einige der Stempel, deren Ursprung näher zu untersuchen
ist, sind aus den gleichen Materialien, Stein in Metallfassung, hergestellt. Zweifellos
von Metall waren die Matrizen für Bleibullen. Viele Siegel zeigen oben den Ab-
druck eines Ringes oder einer Öse. Eine solche kann an dem Stempel nur ange-
bracht sein, wenn er eine Metallfassung hat, oder ganz von Metall ist. Daß die Öse
mit dem Stempel aus einem Stein geschnitten sei, ist unwahrscheinlich; ist sie vor-
handen, so ist anzunehmen, daß der Stempel von Metall ist oder eine Metallfassung
hat. Die Fassung wird im allgemeinen als Rand erscheinen, aber es ist auch mög-
lich, daß sie nicht über die Fläche der Platte vortritt. In solchen Fällen ist eine
Entscheidung über das Material des Stempek kaum möglich, umsoweniger, als die
Abdrücke gewöhnlich stumpf sind. Darf aber in karolingischer Zeit überhaupt die
Fähigkeit, Bilder in Stein zu schneiden vorausgesetzt werden ? Die Frage darf wohl
bejaht werden. Der technisch hohe Stand der Elfenbeinskulptur läßt mit Sicherheit
annehmen, daß auch andere Zweige der Glyptik nicht völlig damiederlagen. Auch
gestatten die Siegelstempel der Ottonen, von welchen wenigstens einige aus Stein
waren, den Rückschluß, daß man auch in karolingischer Zeit in Stein schneiden
konnte.
Die Stempel der späteren Karolinger sind mit einer oder zwei Ausnahmen
fränkische Originalarbeiten. Es ist z. B. ausgeschtossen, daß Kart der Dicke gleich
drei ähnliche, antike Gemmen gehabt habe, mit welchen er in den Jahren 880, 882
und 887 gesiegelt hat. Auch der Raum, welchen das Bild auf der Platte einnimmt,
beweist den fränkischen Ursprung. Auf allen dreien ist die Inschrift auf der Platte
selbst angebracht, die Fläche der antiken Gemme wird fast ganz durch das Bild
ausgefüllt. Der Typus ist nicht der der antiken Gemmen, sondern der der antiken
Münzen — Kopf mit Lorbeerkranz und Umschrift oder Brustbild mit Lanze und
Schild. Diese Stempel können nur für die Herrscher, deren Namen sie tragen in
karolingischer Zeit gefertigt sein. Sie sind technisch nicht schlechter, sondern eher
besser gearbeitet, als die antiken Münzen vom vierten Jahrhundert an, aber sie ent-
sprechen stilistisch keiner Zeit der antiken Stempelschneidekunst.
Die Stempel Ludwig des Frommen, Lothar II. im Lotharkreuz zu Aachen
und Ludwig des Deutschen von 831 gelten als antike Gemmen. Über die Siegel
der ersten Karolinger von Pippin bis zu Ludwig des Frommen handelt ausführlich
Th. Sickel, Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger S. 347 ff. Die Siegel
Ludwig des Frommen sind S. 352—354 besprochen, die Siegelplatte Lothar II.
S. 346 Note 13.
Taf VIII Von Ludwig dem Frommen gibt es zwei Siegel. Das eine ist von 814—833
und von 836— 840 in Gebrauch, das zweite von 833—836; beide sind Gemmen-
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VON GUSTAV VON BEZOLD.
83
Siegel mit Metallfassung, beide zeigen einen nach links gewandten Profilkopf mit
Lorbeerkranz und Ansatz des Mantels. Der erste Stempel ist weitaus besser ab
der zweite. Ist ein römischer Kaiser dargestellt, so kann es nur ein Oströmer aus
später Zeit sein. Ich will das nicht unbedingt bestreiten, aber der Vergleich mit
byzantinischen und karolingischen Elfenbeinskulpturen weist doch viel mehr auf
eine fränkische als auf eine byzantinische Arbeit. Auch die Form des Kopfes und
die Barttracht spricht für fränkischen Ursprung. Zweifellos fränkisch und eine
ziemlich geringe Arbeit ist der zweite Stempel. Ebenso muß ich die Siegelplatte
Lothar IL für fränkisch erklären. Wäre es eine antike Arbeit, so müßte sie aus
dem späteren dritten Jahrhundert sein. Aber so gering man die Kunst dieser Zeit
einschätzen mag, so hätte doch ein antiker Steinschneider den Kopf niemals so un-
geschickt in den Raum gesetzt und die Fläche mehr ausgefüllt. Es ist augenschein-
lich, daß hier mit Absicht Raum für die Umschrift gelassen ist. Auch der Stil des
Kopfes spricht bestimmt für fränkischen Ursprung. Die Platte erscheint mir ab
Nachahmung der antiken Gemme, mit welcher Lothar II. am 13. April 862 ge-
siegelt hat und welche die gleiche ist, wie die Lothar I. auf einer Urkunde vom
21. Mai 843. Soweit die beiden stumpfen Abdrücke ein Urteil gestatten, ist es ein
Bild Gordianus III. Weniger bestimmt ist mein Urteil über das Siegel Ludwig
des Deutschen (18. August 831). Auch hier sprechen die stilistischen Merkmale
und der Umstand, daß die Umschrift in den Grund der Gemme graviert ist, stark für
karolingisch-fränkischen Ursprung, aber es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß wir eine
byzantinische Arbeit des sechsten Jahrhunderts vor uns haben.
Wenn ich im folgenden die vier Siegel als fränkisch betrachte, bin ich mir be-
wußt, daß die Frage noch nicht vollständig entschieden ist.
Bei der Prüfung der karolingischen Siegel auf ihren Bildniswert ist zu berück-
sichtigen, daß es die Anfänge der Wirklichkeit nachstrebender Darstellungen mensch-
licher Köpfe bei den Franken sind, welche sich notwendig unter starker Anlehnung
an fremde Vorbilder vollziehen. Der Künstler, der noch in der Nachahmung be-
fangen ist, kann nur wenig von eigener Beobachtung zugeben. So ist in den
Köpfen Ludwig des Frommen, Ludwig des Deutschen und Lothar IL eine
unmittelbar auffallende Individualisierung nicht wahrzunehmen. Auch auf dem
Wege der Vergleichung mit anderen Bildnissen ist nicht weit zu kommen.
Material liegt für Ludwig den Frommen und Ludwig den Deutschen vor,
aber es ist unzureichend. Die auf Tafel IV abgebildete Münze Ludwig des
Frommen ist so roh, daß sie zur Vergleichung kaum herangezogen werden kann.
Das Bild Ludwig des Frommen in der Wiener Handschrift des Hrabanus Maurus
(Jahrbuch der k. k. Kunstsammlungen XIII. S. 9) stimmt mit unserem Kopfe nur
wenig überein. Es ist ein Repräsentationsbild nach einer spätantiken Vorlage, bei
welchem die Nachahmung völlig überwiegt. Von Ludwig dem Deutschen ist
außer der Urkunde von 831, deren Siegel den Typus der byzantinischen Münzen
des sechsten Jahrhunderts nachahmt, ein zweites Siegel an einer Urkunde von 874,
das ebenfalls von einem Originalstempel abgedrückt ist, es ist das Bild eines jugend-
lichen Herrschers mit entblößter Schulter, über welcher der Mantel geschlossen ist.
Der Typus kommt zuerst unter den Antoninen auf. Hier ist der Herrscher mit
Schild und Lanze dargestellt. Irgend welcher Bildniswert kommt dem Stempel
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84
BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
nicht zu, er stimmt mit dem älteren nicht überein und kann noch weniger als Por-
trät gelten als jener. Bemerkenswert ist, daß der Reliefstil in dem Siegel von 874
weit freier geworden ist als in dem älteren. Für Lothar 11. fehlt alles Vergleichs-
material.
Den Siegeln der folgenden Herrscher liegen römische Münzen früherer Epochen,
des zweiten und dritten Jahrhunderts zugrunde, die Köpfe sind größer als bisher,
die Behandlung sicherer.
An einer Urkunde Karlmanns vom }. Dezember 878 ist ein Originalsiegel.
Leider ist der Abdruck sehr stumpf. Der Kopf sieht sehr individuell aus, das Profil
ist fein gezeichnet, die einzelnen Teile sind bis auf das sehr tief sitzende Ohr richtig
gruppiert. Man hat den Eindruck, daß hier eine bestimmte Person charakteristisch
dargestellt ist. Aber gerade hier ist große Vorsicht angezeigt, denn es läßt sich nicht
ermessen, wieweit der Eindruck freier Formgebung durch die Verwischung der Formen
hervorgerufen wird. Und da alles Vergleichsmaterial fehlt ist eine Prüfung auf die
Ähnlichkeit nicht möglich. Doch selbst wenn sie ganz fehlen sollte, was ich nicht
glaube, bleibt der Stempel eine achtungswerte Leistung karolingischer Glyptik.
Von Karl dem Dicken sind sieben verschiedene Siegelbilder vorhanden,
alle Originalarbeiten. Es sind zwei verschiedene Typen, ein Imperator mit Lorbeer-
kranz und der junge Herrscher mit Schild und Lanze, den wir zuerst bei Ludwig
dem Deutschen gefunden haben. Die Siegel vom 8. Februar 880, vom 23. April 882
und vom 17. März 887 stimmen zwar im Profil nicht völlig überein, sind aber doch
unter sich so ähnlich, daß man sie als Porträts ansprechen darf. Die Nase ist lang,
die Oberiippe kurz und etwas aufgeworfen, die Unterlippe tritt zurück, das Kinn
springt vor. Die Stempel von 880 und 882 sind vielleicht von der gleichen Hand
wie der Karimanns von 878. Vorbilder sind Münzen aus der Zeit der Gordiane.
Ein Stempel, mit welchem am 9. Mai 881 und am 5. Mai 883 gesiegelt wurde, ist
nach einer römischen Münze aus dem dritten Jahrhundert gearbeitet, ohne genaue
Kopie zu sein; es ist nicht möglich zu bestimmen, welchem Kaiser das Original an-
gehörte, vielleicht Maximinus. Die Arbeit ist gering. Zwei weitere Siegel vom
9. Juni 886 und vom 29. Mai 886 haben den Typus des jungen Herrschers mit
Schild und Fahne. Das erste (Abbildung bei Heffner, die deutschen Kaiser- und
Königssiegel Taf. I Nr. 6), ein jugendlicher bekränzter Kopf in hohem Relief ist
sehr hübsch, obgleich die Durchbildung der Einzelheiten zu wünschen übrig läßt.
Der zweite ist weniger schön. Bildniswert haben beide nicht. Wohl ist das Bild
auf dem ersten so, daß es als Jugendbildnis Karls aufgefaßt werden könnte, aber
wir haben kein Recht zu der Annahme, daß der Stempel schon so früh gefertigt
worden sei, um so weniger als er schon als Imperator bezeichnet ist. Der Stil der
Siegel, mit Ausnahme dessen vom 9. Mai 881, ist gut. Sie stehen den römischen
Münzen des späten dritten Jahrhunderts mindestens gleich. Die Profile sind rein
gezeichnet, das Relief ist kräftig und gut abgestuft. Die Profilstellung der Augen
ist nicht ganz gelungen, auch besteht ein Widerspruch zwischen der Frontstellung
des Rumpfes und der Profilstellung des Kopfes. Ganz abweichend im Stil ist eine
Bleibulle vom 30. Mai 887, von deren Echtheit ich nicht überzeugt bin.
Von Arnulf sind sechs verschiedene Siegelbilder vorhanden. Das vom 5. Oktober
889 ist so stumpf, daß sich nichts aus ihm entnehmen läßt. Drei andere haben unter
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VON GUSTAV VON BEZOLD.
85
sich wohl im Profil einige Ähnlichkeit, stimmen aber im einzelnen wenig überein.
Das beste ist das vom 20. Juni 889, Profilkopf mit Lorbeerkranz, Fahne und Schild.
Leider ist der Mund verwischt. Die Arbeit ist gut und erinnert an die Siegel Karl
des Dicken. Das Siegel vom 6. Januar 893 ist roh gearbeitet und der Abdruck
stumpf. Der Typus ist der gleiche wie der des vorigen. Das dritte vom 7. Februar
893 ist besser gearbeitet, aber auch gerade am Profil etwas verdrückt. Am ehesten
darf das erste als Bildnis Arnulfs gelten. Sehr befangen in Zeichnung und Ausführung
ist ein Stempel, mit welchem am 30. 1.897 und am 13. XI 1.898 gesiegelt wurde.
Profilkopf mit Diadem, Schild und Lanze. Das Profil weicht von dem vorigen sehr
ab und kann nicht als porträtmäßig gelten. Endlich ist eine sehr roh gearbeitete
Bleibulle vom i. V. 896 vorhanden. Sie zeigt wieder völlig andere Formen.
Mit Ludwig dem Kind (IV.) tritt ein neuer Typus ein, der Herrscher erscheint Taf. ix.
als nach links gewandte Halbfigur mit Lanze und Schild. Dabei ist der Schild in
perspektivischer Ansicht gegeben. Die technische Ausführung ist geringer als in
der unmittelbar vorhergehenden Periode, die Reliefbehandlung trocken. Die Siegel
zweier Urkunden vom 24. VI.903 und vom 16. VI. 911 gehören diesem Typus an,
sie zeigen den König mit sehr ausgeprägten Zügen. Die Nase ist kräftig, die Flügel
senken sich gegen die Spitze, die Oberlippe ist gerade, die Mundwinkel nach abwärts
gezogen. Vom Nasenflügel geht eine Falte um den Mundwinkel, die Unterlippe tritt
zurück, das Kinn springt scharf vor. Die Augen sind auf beiden Bildern oberfläch-
lich behandelt. Stimmen die Bilder leidlich überein, so erregt es Bedenken, daß sie
einen Mann von etwa vierzig Jahren darstellen, während Ludwig 91 1 im Alter von
18 Jahren gestorben ist. Heffner gibt a. a. O. Taf. I, 8 ein Siegel Ludwigs, Brust-
bild mit Schild und Lanze, das jugendlichere Züge aufweist und mit den beiden anderen
einige Ähnlichkeit im unteren Teil des Gesichtes hat. Geben wir zu, daß die Siegel
eine wenn auch beschränkte Bildnistreue haben, so zeigt die Unfähigkeit das Lebens-
alter anzudeuten, daß das künstlerische Vermögen im Rückgang ist.
Das bestätigen auch die Siegel Konrad I. Sie weisen alle den Typus der nach
links gewandten Halbfigur mit Fahne und perspektivisch gezeichnetem Schild auf.
Ein Siegelbild vom 10. XI.911 ist ganz steif und leblos. Höher stehen die Siegel
vom 11.1. und vom 8. VI 1 1 . 91 2. Sie sind nicht ganz gleich. Das Profil, kurze gerade
Nase, gerade Oberlippe, schmale Lippen und etwas vortretendes Kinn ist auf beiden
verwandt. Die gleiche Form des Mundes und der Oberlippe zeigt das bei Heffner
a. a. 0. Taf. 1. 9 abgebildete Siegel, das in der Gesamtfigur wieder etwas verschieden
ist. Wieder unter sich fast gleich sind das Siegel einer Urkunde vom 13. IX. 918
und ein Abdruck in Zürich, die in den Maßen übereinstimmen, aber in der Form der
Umschrift kleine Unterschiede aufweisen. Hier ist das Profil bewegter, die Nase
tritt mehr hervor, Lippen und Kinn sind stärker geschwungen. Drei weitere Siegel
sind so schlecht erhalten, daß sie kaum mehr zu beurteilen sind. Das vom 18. X. 927
hat im Profil mit den beiden zuletzt besprochenen Ähnlichkeit. Eine Entscheidung
über den Grad der Bildnistreue ist umso weniger zu treffen, als durch die diesem Typus
angehörenden Siegel Ludwig IV., Konrads und Heinrich I. ein Zug von Ähnlichkeit
geht, der starke Zweifel der Individualität der Formen erregt. Es ist wahrscheinlich,
daß hier überhaupt keine Bildnisse vorliegen, sondern Kopien, welche von einem
Original Ludwig IV. ausgehen und immer wiederholt werden.
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Ö6 BEITRÄGE ZÜK GESCÖICÖTß DBS BlLDI^lSSßS.
Der Typus der nach links gewandten Halbfigur mit Fahne und Schild dauert
auch unter den sächsischen Kaisern neben anderen Typen noch fort. Die Ausführung
ist lässiger. Das Siegel Heinrich I. vom 18. X. 927 ist als Kopienach einem Konrad 1.
zu betrachten. Das Otto I. vom 29. V. 940 ist oberflächlicher gearbeitet als die
meisten früheren; aus dem gleichen Stempel scheint das fast ganz verwischte Otto II.
vom 24. Vn.961 abgedruckt zu sein. Das letzte Beispiel bieten die Rückseiten
zweier Bullen Otto III. vom 3. 1. und vom 1}. IV. 999. Der überaus flau gearbeitete
Stempel enthält eine ganz schematische Halbfigur (vgl. Heffner Taf. 1. 18 b)
Auch der Profilkopf, wie er vor Ludwig IV. üblich war, findet sich unter den
Siegeln der sächsischen Kaiser noch in einigen Beispielen vor. Heinrich I., )0. IV. 925.
Bartloses Gesicht mit gerader, ziemlich scharf vorspringender Nase, kleinem Munde
und Kinn, Augen unrichtig gezeichnet. Vergleichsmaterial zur Feststellung des
Porträtwertes fehlt; auf keinen Fall ist die Ausführung eindringlich. Weitere Profil-
köpfe finden sich auf Bleibullen. Otto III., 3. I. und 11. IV. 999 und *)0- VI. 1000,
das Motiv des spätrömischen Imperatorenkopfes mit Krone. Porträtähnlichkeit
ist gar nicht angestrebt (Heffner Taf. 1. 18 a). Konrad II. Bulle einer Urkunde
vom 23. VIII. 1028. Heinrich III. 22. VII. 1040. Ich komme auf diese beiden
Köpfe zurück.
Die Profilköpfe verschwinden von da an aus den Siegelbildern. Ihr Stil ist
in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts streng und befangen; noch ist die Abhängig-
keit von byzantinischen Vorbildern groß. Sie haben die Eigenheiten des fränkischen
Stils, die wir aus Elfenbeinreliefs und der Reiterfigur, die für Karl den Großen gilt,
kennen, aber sie geben wenig Individuelles. Unter den späteren Karolingern hebt
sich das technische und künstlerische Können. Die Abhängigkeit von Vorbildern
wird geringer, sie schließen sich ihnen wohl noch im Motiv an, aber die Ausführung
ist ziemlich selbständig. Die Profile sind sorgfältig gezeichnet und geben individuelle
Züge wieder, wenn sie ihnen auch nicht in die letzten Feinheiten folgen. Das Relief
ist kräftig und gut abgestuft. Im Beginn des 10. Jahrhunderts wird die Behandlung
einförmiger. Die Halbfigur bringt einen kleineren Maßstab des Kopfes mit sich,
welcher eine einfachere Formgebung bedingt. Man legte weniger Wert auf die Bildnis-
treue als früher, ganz scheint sie aber doch nicht zu fehlen. Die Bleibullen Kon-
rad II. von 1028 und Heinrich III. von 1040 geben in groben Zügen einige Ähn-
lichkeit ohne auf Richtigkeit im Einzelnen auszugehen.
Von Otto I. an treten Frontbilder neben die Profilbilder und verdrängen sie
bald vollständig. Das Frontbild ist für eine Reliefbehandlung nicht günstig, erst
späte Zeiten haben es völlig bewältigt und eine leichte Wendung des Kopfes der
strengen Frontansicht vorgezogen. Der erste Typus ist die frontale Halbfigur mit
Szepter und Reichsapfel (Weltkugel vom Kreuz bekrönt), Krone und Mantel. Er
kommt auf byzantinischen Münzen schon im 8. Jahrhundert vor. Die Siegel vom
21. II. 962 und vom 5. IV. 965 zeigen ein volles Gesicht mit Schnurrbart und breitem
Vollbart. Die Augen sind rund und glotzend. Auf diesen Siegeln sind höchstens
die äußeren Merkmale des breiten Gesichts und des großen Bartes bildnismäßig.
Das bestätigt der Vergleich mit dem Elfenbeinrelief in der Sammlung der Marchese
Trivulzi in Mailand, das den Kopf im Profil gibt. Es ist weit besser gearbeitet als
die Siegelstempel, aber es geht in der Wiedergabe der individuellen Formen auch nicht
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Von Gustav von bezolü. 87
über das Allgemeine hinaus. Dis spätere Majestätssiegel Otto I. ist ganz schematisch
und leblos; der schmale magere Kopf mit spitzem Kinn und Bart^ die gezierte Haltung
der Arme, all' das ist undeutsch.
Fast identisch mit dem vorigen ist das Siegel Otto II. (13- V. 974 und 3. HI. 980;
Abb. bei Heffner Taf. II. 5). Otto II. Königssiegel vom 27. VII. 934 zeigt einen
jugendlichen Kopf, ist aber sehr undeutlich, ebenso die Siegel vom 3. X. 968 und
vom 18. X. 972, die unter sich sehr ähnlich sind. Otto erscheint auch auf ihnen
noch jugendlich, mit schmalem Gesicht, auf dem ersten bartlos, auf dem zweiten
mit kurzem Bart ( ?). Die Darstellung ist unbeholfen, am ehesten kann das Siegel
von 968 als leiser Versuch zu bildnismäßiger Darstellung angesehen werden.
Von Otto III. gibt es zwei Siegel (27. X.984 und 12. XII. 993), welche die
frontale Halbfigur haben. Ein Vergleich mit den viel besseren Miniaturen (Kemmerich
S. 64 ff.) zeigt, daß ihnen kein Bildniswert zukommt.
Otto III. hat noch zwei andere Siegeltypen, den stehenden und den thronenden
Imperator. Der stehende findet sich auf zwei wenig verschiedenen Siegeln vom
15. IX. 996 und einem undatierten in der Sammlung Sara in Wien; ein gekrönter
Kaiser in langem Leibrock (der byzantinischen Tunica), Mantel, mit langem Szepter
in der Rechten und der Weltkugel (Reichsapfel) in der Linken, auch das ist ein
byzantinisches Motiv. Der Umriß des Kopfes stimmt ziemlich zu den Miniaturen,
weniger die Zeichnung innerhalb dos Umrisses.
Dann tritt unter Otto III. der Typus auf, welcher von nun an bis ins 18. Jahr-
hundert für die Kaiserbilder der Majestätssiegel herrschend bleibt, der auf dem Thron
sitzende Kaiser in frontaler Haltung. Es ist das Repräsentationsbild, das schon
unter den römischen Kaisern vorkam. Typisch ist es für die Consulardiptychen.
Der Kaiser hat in der Rechten das Szepter, in der Linken den Reichsapfel, zuweilen
auch umgekehrt. Die Arme sind fast symmetrisch erhoben. Der Kaiser ist mit
langem Rock, Mantel und Krone bekleidet. Die Stellung der Beine ist symmetrisch,
die Knie sind etwas auseinander gerückt, die Füße nach auswärts gerichtet. Die
Durchbildung des Gesichts ist nicht sorgfältig. Das hängt damit zusammen, daß
der Kaiser nun in ganzer Figur dargestellt wird. Doch wenn auch die Vorstellung,
welche uns diese Siegelbilder bieten, ungenügend bleibt, sind sie doch eine
wichtige, ja für die Frühzeit vielleicht die wichtigste, ikonographische Quelle. Der
Porträtstil hält sich unter den fränkischen Kaisern und ihren nächsten Nachfolgern
noch an die äußerlichsten Merkmale. Die Fähigkeit andeutend zu charakterisieren,
zu skizzieren, steht noch in den ersten Stadien. Sie tritt erst im 14. Jahrhundert
sicher hervor. Die größte Zeit der deutschen Plastik hat einzelne sehr schöne Siegel-
bilder aufzuweisen, aber als Bildnisse stehen diese Arbeiten nicht hoch. Unter den
Luxemburgern beginnt eine neue Epoche für das Siegelbild, die Fähigkeit, ein Ge-
sicht in wenigen Zügen charakteristisch wiederzugeben ist gewonnen.
Es ist für unsere mehr auf das Stilistische, als auf das Ikonographische ge-
richtete Betrachtung nicht nötig, die Siegelbilder sämtlicher deutscher Kaiser zu
besprechen.
Die zahlreichen Siegel Konrad II. stimmen mit einer Ausnahme (12. 1. 1025) Taf. x
in der schmalen Gesichtsform, dem langen spitzen Bart und dem großen Schnurrbart
überein. Es sind äußeriiche Merkmale, die Individualisierung fehlt. Ich gebe auf
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88 BBITRÄÜE ZUR GESCHICHTE DES BILDNISSES.
Tafel X ein Siegel vom 1. V. 1039. Nun stimmt das oben erwähnte Profilbild
(23. VIII. 1028) wohl in den allgemeinen Grundzügen mit den Frontbildem überein.
Aber es gibt wesentlich mehr und besseres.
Wie gering der Wert der Frontbilder Konrads anzuschlagen ist, zeigt der Ver-
Tafci XI. gleich mit denen Heinrich III. Die Gesichter auf beiden sind fast identisch. Auch
sie finden in dem Profilkopf einer Bulle (22. VII. 1040) eine Ergänzung. Dieses Bild
ist weniger gut als das Konrads, verdient aber trotz seiner ziemlich unbeholfenen
Ausführung einiges Vertrauen. Das Profil ist stark bewegt, die Stirn gewölbt, die
kräftige Nase etwas gebogen, die Oberlippe kurz, die Unterlippe wulstig, der Bart
ist in runde Knollen und längliche Zotten stilisiert. Das Auge liegt tief unter dem
gegen die Nase gesenkten Augenbogen. Auffallender Weise ist hier der obere Teil
des Gesichts besser gezeichnet als der untere.
Die Majestätssiegel der späteren fränkischen Kaiser und Lothar III. sind formal
gering, besonders dürftig sind die Beine, welche vom Knöchel gegen das Knie keulen-
förmig anschwellen. Als Bildnisse bieten sie fast nichts. Zu bedauern ist, daß der
Kopf des Siegels Rudolfs von Schwaben (25. III. 1079) ganz verwischt ist. Hier
hätte man zum Vergleich das Grabmal im Dom zu Merseburg.
Nun möchte man gerne von den großen Hohenstaufen genaue Bildnisse haben.
Die bieten uns die Siegel nicht, aber einen Fortschritt gegenüber den Siegeln der
Salier bekunden sie doch. Schon die Stilisierung ist fester, das Relief, wenigstens
bei den guten Siegeln, schön und kräftig, aber die Beobachtung der Körperformen
und der Bewegungen ist noch mangelhaft. Merkwürdig ungleich ist die Behandlung
der Gesichter, neben solchen, welche den organischen Bau des Kopfes gut erfassen,
stehen noch im 13. Jahrhundert völlig befangene schematische Bildungen ohne alles
Leben. Einige Köpfe sind wirklich schön. Aber gerade sie müssen, wenn es sich
um den Bildniswert handelt, mit Mißtrauen betrachtet werden. Sie stammen aus
der Blütezeit der mittelalterlichen Plastik, in der man auch Idealköpfe zu vollem
Leben durchzubilden vermochte. Die Frage, ob die Stempel deutsche oder italienische
Arbeiten sind, ist schwierig und kann mit dem Vergleichsmaterial, welches mir hier
zur Hand ist, nicht gelöst werden. Man wird geneigt sein, die besseren für italienisch
zu halten. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß im 13. Jahrhundert die
deutsche Plastik weit höher steht, als die italienische.
Tafel XII. Die Siegel Friedrich I. Barbarossa stimmen mit Ausnahme einer Goldbulle
von 1154 in Wolfenbüttel so weit überein, daß ihnen trotz der Stilisierung des Kopfes
Bildniswert zugemessen werden darf. Die Form des Kopfes ist oval, Schnurrbart
und Vollbart sind kräftig, doch nicht lang, die Unterlippe tritt deutlich hervor, die
Nase ist ziemlich lang. * Eine richtige Darstellung der Augen ist noch nicht gelungen.
Unter den Siegeln ist das vom 26. II. 1162 das beste. Das Stadtsiegel von Geln-
hausen mit den Halbfiguren Friedrichs und Beatrices hat keinen Bildniswert. Zieht
man andere Darstellungen heran, welche teils mit Sicherheit, teils vermutungsweise
auf Friedrich bezogen werden, so haben sie zwar alle einige Ähnlichkeit mit den
Siegeln, stimmen aber keineswegs soweit mit ihnen überein, daß man sofort von der
Identität der dargestellten Person überzeugt ist. Eine kolorierte Zeichnung, welche
Propst Heinrich von Schaf tlarn 1180 gefertigt hat, jetzt in der Vatikanischen
Bibliothek (Cod. Vat. 2001. Abb. in O. Jägers Weltgeschichte II. S. 264), zeigt den
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VON GUSTAV VON BEZOLD.
89
Kaiser in ganzer Figur, die Form des Bartes ist ähnlich wie auf den Siegeln, weiter
erstreckt sich die Ähnlichkeit nicht. Das Gleiche gilt von dem Relief im Kreuzgang
von S. Zeno in Reichenhall (Abb. in Kunstdenkmale des Königreichs Bayern I.
S. 2911) und dem am Portal des Domes zu Freising (Sammelblatt des Hist. Vereins
Freising V. Taf. 1). Sie sind alle nicht nach dem Leben gefertigt. Das Kopfreliquiar
in Cappenberg in Westfalen, welches vor 1171 gefertigt, wird in der Schenkungs-
urkunde als „arf imperatoris formatum effigiem'' bezeichnet. Daß dieser Kaiser
Friedrich I. ist, ergibt sich aus einer anderen Stelle der Urkunde. Der Kopf ist in
Erz gegossen und äußerst streng stilisiert, so daß man ihn ohne die Notiz nicht als
Bildnis ansehen würde. Ich kann mich auch, trotz der sehr lebendigen Behandlung
des unteren Teils des Gesichts und der Ähnlichkeit des Bartes mit den anderen Bildern
Friedrichs nicht überzeugen, daß wir hier ein nach dem Leben gearbeitetes Porträt
vor uns haben. (Über das Reliquiar vgl. Philippi in den Mitteilungen des Vereins
für Altertumskunde Westfalens Bd. 44. 1886 mit 2 Abbildungen und Ludorff, Die
Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Kreis Lüdinghausen, Taf. 24.)
Die Siegel Friedrich IL sind sehr verschieden, während einige ein rundes Ge-
sicht ohne alle Individualisierung geben und andere (zwischen 1224 und 1276) einen
jungen Mann mit hübschem, aber ausdruckslosem Gesicht zeigen, hat ein Siegel
vom 2. VI. 1213 einen schönen, durch die tiefe Lage der Augen ausdrucksvollen Kopf, Tai. xiii.
der mit dem eben erwähnten wenigstens eine allgemeine Ähnlichkeit hat. Man möchte
hier ein im großen Sinn des 13. Jahrhunderts stilisiertes Bildnis vermuten. Das
Gleiche gilt von dem Siegelbild König Heinrich (VII).
Der außerordentlich schöne Kopf Ricliards von Cornwallis (1257—1272) auf
dem Siegel vom 16. VIII. 1268 kann wohl nur als Idealbild aufgefaßt werden.
In den Siegeln des ausgehenden 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
finden wir manche individuelle Züge, aber ein wesentlicher Fortschritt in der Er-
fassung und Wiedergabe der Wirklichkeit tritt nicht ein.
Mitteilungen ans dem german. Nationalmusenm. 1907.
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SILBERVEROOLDETES MONILE.
Von DR. EDWIM REDSLOB.
(Neuerwerbung des Jahres 1907.)
(Mit 1 Tafel.)
Während die Geschichte der deutschen Spätrenaissance innerhalb der freien
bildenden Künste eine schnelle Verarmung an Gedanken und Formen zu ver-
zeichnen hat, läßt sich beim Kunstgewerbe noch ein Jahrhundert über die Blüte-
zeit hinaus eine lebendige Weiterentwickelung erkennen. Vor allem die Gold-
schmiedekunst bewahrte sich infolge der zunehmenden Freiheit, die sie in der tech-
nischen Behandlung des Materials gewann, noch bis in das siebzehnte Jahrhundert
hinein ihre hervorragende Stellung.
Ein bezeichnendes "Beispiel ihrer Leistungsfähigkeit wurde im Jahre 1907 im
Münchener Kunsthandel für die Abteilung der kirchlichen Geräte unserer Samm-
lungen erworben. Es handelt sich um eine silbervergoldete Agraffe, ein sogenanntes
Monile, das im liturgischen Gebrauch als Zierstück eines Pluviale-Mantels be-
stimmt war.
Unser Stück hat die Form eines aus Halbkreisen gebildeten, durch die hervor-
stehenden Ecken eines Quadrates erweiterten Vierpasses, der 15,5 cm im Durchmesser
aufweist. Auf der zwei lange Haken tragenden silbernen Rückseite ist eine zweite
Platte angeschraubt, vor der, innerhalb einer aufgelöteten Profilumrahmung, die
Zierformen aufgesetzt sind. Die Mitte der Komposition wird durch die Madonna
gewonnen. Mit dem Flammenkranz umgeben thront sie vor einer Renaissancenische,
auf einem bankartigen, mit schwerem Stoff bedeckten Sitz. Im Sinne der Spät-
renaissance ist sie als jugendliche Himmelskönigin charakterisiert. Auf dem Haupt,
von dem das gelöste Haar in langen Wellen herabfällt, trägt sie eine kleine Krone,
in der rechten Hand hält sie das Scepter, indeß das auf ihrer linken sitzende, in ein
kurzes Hemd gekleidete Kind den Reichsapfel hält und die rechte Hand segnend er-
hebt. Marias Gewandung besteht aus reich gemusterten Stoffen. Sie trägt ein ge-
gürtetes, enganliegendes Kleid, über dem der Mantel in feinen Falten liegt.
Mutter und Kind wenden sich dem Stifter zu, dessen kleine Figur etwas un-
geschickt links vom Thron die sonst streng regelmäßige Anordnung unterbricht. Er
kniet in Profilstellung vor dem Betpult. Seine Kleidung ist die weltliche Tracht der
Zeit um l6oo, nur das auf dem Pulte liegende Barett deutet auf seine geistlichen
Würden hin und läßt wohl am ehesten auf enien Domherrn schließen.
Die vier Pässe sind ornamental gefüllt. Im oberen ist zur Bekrönung der Nische
ein Baldachin untergebracht, dessen von zwei schwebenden Putten zur Seite geraffte
Vorhänge die Hauptgruppe nach rechts und links abschließen. Der Rundung der
zwei seitlichen Halbkreise paßt sich das einfach und klar geordnete Schweifwerk
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SILBKRVERGOLDETES MONII.K. VON DR. EDWIN REDSLUH.
91
an, mit dem die Flügel von zwei zur Madonna emporscliauenden Cherubimköpfen
endigen. Im unteren Paß liegt ein Lorbeerkranz, dessen Oval nach oben zwei ge-
flügelte Engelsköpfe erweitern. Der Kranz umrahmt eine mit geperlter offener
Krone bedeckte Kartusche, auf der das Wappen aufliegt. Es zeigt einen quadrierten
Schild und enthält im ersten und vierten Feld einen doppelten Hausanker, im zweiten
und dritten drei als Mispelblüten zu deutende fünfblättrige Blüten in der Anordnung
2 über 1. Zwischen Schild und Kranz sind sechs Buchstaben eingraviert:
SVHHZW, die auf Grund des Wappens aufzulösen sind in: S. von Hatzfeld,
Herr zu Wildenburg.
Die technische Ausführung der montierten Arbeit verrät eine außerordentliche
Sorgfalt. Die Teile sind einzeln in Silber gegossen und mit Stiften oder Muttern
an der Rückplatte angezogen, nur die Vorhänge des Baldachins und die Ornamente
des Wappens sind getrieben und angelötet. Auch der mit der Madonnenfigur an-
geschraubte Strahlenkranz ist aus dem Stück geschnitten.
Der Vergoldung sind durch verschiedene Materialbehandlung farbige Unter-
schiede abgewonnen. Die am stärksten modellierten Teile, also besonders alle Fleisch-
partien, das Ranken werk in den seitlichen Pässen und die Pfosten des Thrones haben
den gewöhnlichen Glanz. Die Vergoldung der durch einfache Rauten verzierten
Hintergrundplatte mit der Nische ist poliert, so daß sie mit den vielen Reflexlichtern
der vorgeschraubten Zierstücke von hinten hell hervorleuchtet. Als dritter Ton
kommt die mattgeschlagene Vergoldung des Ornamentstreifens unter dem Thron
in Betracht. Am mühsamsten sind die stofflichen Teile behandelt. Kleid und
Mantel der Maria sind durch sorgfältig mit dem Punzen eingeschlagene Gewebe-
ornamente unterschieden. Auch die Tracht des Stifters, die getriebenen Baldachin-
streifen, die Decke des Thrones sowie die kleinen Tücher am Halse der zwei seitlichen
Cherubim sind durch Ziselierung als Stoffteile charakterisiert. Wichtig und be-
sonders bewundernswert erscheint, daß also nur durch die Materialbehandlung die
einzelnen Unterschiede gewonnen sind; die Farbe der Vergoldung selbst ist für
alle Teile die gleiche; einige Unterschiede in der Färbung, durch die besonders die
Pfosten und die Decke des Thrones nebst Teilen des unteren Paßrundes auffallen,
erklären sich durch eine vor Aufnahme des Stückes in unsere Sammlungen vorge-
nommene Reparatur.
Für die Frage nach der Herkunft der Arbeit kommen, außer dem Hinweis durch
das Wappen des in den Rheinlanden ansässigen Hatzfeldischen Geschlechtes, die auf
der Rückseite des Stückes oberhalb seiner Haken angebrachten Beschauzeichen in
Betracht. Zu unterst befindet sich das 2,7 cm lange, in Form der sogenannten Säge
Abb. 1. Beschauzeichen von der Rückplatte des Monile.
eingeschnittene Vollwertzeichen, mit dem die Geschworenen der Zunft den Feingehalt
des Materiales garantiert haben. Darüber sind zwei Wappen, jedes von 3 mm
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92 SILBEKVERüOLDETES MONILE.
Höhe, die unsere Abbildung in sechsfacher Größe wiedergibt. Das rechte Wappen
mit dem Pentagramm bedeutet das Meisterzeichen, das linke ist, wie uns auch eine
freundliche Mitteilung des Herrn Professor Marc Rosenberg zu Karlsruhe zusichert,
als Beschauzeichen der Stadt Köln zu deuten. Im oberen Felde haben wir die heiligen
drei Könige, die Schutzheiligen der Stadt, zu erkennen, das untere Feld, wo im Stadt-
wappen elf Flammen als Symbol der elftausend heiligen Jungfrauen erscheinen, ist
durch ein Gitterwerk gefüllt.
Die Entstehung der Arbeit in den Rheinlanden ergibt sich auch aus formalen
Gründen. Stilistische Vergleichung führte uns dazu, an einem in altem west-
fälischen Privatbesitze befindlichen Werke dieselbe Arbeitsart zu erkennen.
In dem der Familie von Twickel gehörigen, im Kreise Lüdinghausen gelegenen
Rittergut Ermelinghof wird ein kleiner Hausaltar bewahrt, der in einer späteren,
mit Beschlägen verzierten Ebenholzumrahmung die silberne Figur der Madonna
enthält. (Abgebildet: Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Kreis Lüding-
hausen, Tafel 45.) Über Wolken auf dem Halbmond stehend, ist sie ähnlich der
Figur des Monile charakterisiert. Ihr gegürtetes Untergewand ist ungemustert,
aber der in feingewellte Falten gelegte Mantel zeigt ähnliche Ornamente wie
das Gewand unserer Madonna, und die Ziselierung seiner Innenseite entspricht
ganz der Behandlung der getriebenen, von den schwebenden Engeln gehaltenen
Vorhänge an der Agraffe. Diese Engel lassen sich am besten mit dem in Ermelinghof
unbekleidet gegebenen Christuskind vergleichen, da sie, ihrer Größe entsprechend,
sorgfältiger durchmodelliert werden konnten, während sich bei einer Gegenüber-
stellung der Madonnen die freiere und weichere Behandlung an der Standfigur be-
merken läßt, die ja auch in annähernd doppelter Größe gebildet wurde.
Die Kenntnis dieses Werkes ist für die Datierung wichtig, weil wir diese vor
allem aus stilistischen Gründen gewinnen müssen. Wie das Monile zeigt es Formen
der Spätrenaissance. Da wir Arbeiten der Kölner Kunst vor uns haben, kann
eine zeitliche Ansetzung nicht hoch in das siebzehnte Jahrhundert hinaufgehen. Die
Übersichtlichkeit und Ruhe, die besonders das Monile in Figuren und Ornamentik aus-
zeichnet, veränderte sich schon in den zwanziger und dreißiger Jahren des siebzehnten
Jahrhunderts, und zwar vornehmlich unter dem Einfluß der frühzeitig mit Elementen
des Barockes durchsetzten Augsburger Goldschmiedekunst. Ein Werk wie der I633
entstandene Engelbertschrein des Kölner Domschatzes zeigt diesen Wandel. Hier
sind, trotz der noch einfachen Gesamtkomposition, die Figuren in ihren Stellungen
und Bewegungen leidenschaftlich und aufgeregt, die Zierformen zeigen gewundene
Übergänge und mannigfach ausgebuchtete Umrisse, die einzelnen Ornamentmotive
werden bis in ihre letzte Konsequenz zu immer neuen Verzweigungen ausgenutzt.
(Abbildung: Berühmte Kunststätten 38: E. Renard, Köln, Fig. 168.)
Unser Bemühen, die Datierung auch auf Grund von Anhaltspunkten aus der
Hatzf eidischen Familiengeschichte zu bestimmen, fand das bereitwilligste, dankbar
an dieser Stelle zu nennende Entgegenkommen von Seiten des herzoglich Hatz-
feldischen Archives zu Trachenberg, des fürstlich Hatzf eidischen zu Crottorf und
der bischöflichen Archive zu Münster und Osnabrück. Leider konnte sich aber
nicht bestimmt ergeben, auf wessen Person der Name S. von Hatzfeld zu deuten sei.
In Betracht kommt erstens der Osnabrücker Domherr Stephan von Hatzfeld. Als
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VON DR. EDWIN REDSLOB. 93
vierter Sohn aus der 152} geschlossenen Ehe zwischen Hermann Hatzfeld aus der
Wildenburgischen Linie und Anna Droste von dem Schweckhaus könnte er noch im
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts Stifter der Schließe gewesen sein. Allerdings
müßte dann das Datum seiner Geburt sehr spät anzusetzen sein, da die Darstellung
im äußersten Falle auf einen Mann in der Mitte der fünfziger Jahre schließen läßt.
Eine zweite, ursprünglich von uns gehegte Vermutung, der auch die Meinung
Sr. Durchlaucht des Herzogs zu Trachenberg entspricht, geht dahin, den Namen
S. von Hatzfeld auf Sebastian von Hatzfeld zu deuten, der sie seinem Sohne Franz
geschenkt haben könne. Dieser Franz wurde i6}0 Fürstbischof von Würzburg;
die Schließe müßte vorher gestiftet worden sein, denn es wäre anzunehmen, daß
man sonst die bischöflichen Insignien angebracht hätte. Auch waren nicht die Bischöfe,
sondern die Domherren zur Stiftung eines Pluviale mit der zugehörigen Schließe
verpflichtet. Als Resultat bleibt immerhin, daß wir auch auf Grund der Hatzf eidischen
Familiengeschichte Anhaltspunkte für die Entstehungszeit der Arbeit am Anfang:
des siebzehnten Jahrhunderts gewinnen.
Die Form des Monile hatte bis zu dieser Zeit schon eine lange, durch die Aus-
bildung des Pluvialemantels bestimmte Tradition. Das Pluviale hatte sich ziemlich
schnell zum Prunkgewand entwickelt. Ursprünglich hatte es bloß den Zweck ge-
habt, als Regenmantel bei Prozessionen die reiche Festtracht vor den Einflüssen
der Witterung zu schützen. Als allmählich die einzelnen Gewebeomamente immer
größer und verzweigter sich über die Bahnen der Stoffe erstreckten, schien
der umfangreiche Mantel besser als die schmale und glatte Casula geeignet,
die golddurchwebten Brokate in schweren, auf den Höhen erglänzenden Falten-
massen zur Geltung zu bringen. So wurde das Pluviale, das schon seit dem vier-
zehnten Jahrhundert vereinzelt als Amtstracht der Bischöfe im Inneren der Kirche
verwendet wurde , im Verlaufe des sechszehnten fast allgemein von Bischöfen und
Domherren an Stelle der Kasel getragen. Vorn geöffnet und mit breiten, meist ver-
schwenderisch bestickten Borten umsäumt, wurde es über der Brust durch eine
Spange gehalten. Damit das Gewicht des Mantels diese Spange nicht hinaufzöge,
mußte man sie beschweren. Auch Gründe der Schönheit verlangten, das Zusammen-
halten des Mantels über der Brust klar zu veranschaulichen, und hierzu konnte inner-
halb der reichen Säume ein schmales Stück Stoff kaum geeignet erscheinen.
Infolge dieser Anforderungen entwickelten sich verschiedene Formen für die
Verzierung der Spange. Man besetzte den Streifen mit Perlen und schweren, großen
Steinen. (Gute Beispiele dieser Form sind auf Bildern der Cranachschule enthalten.)
Oder man ließ ihn ganz fallen, richtete den Schnitt so ein, daß die beiden Mantel-
hälften sich in Brusthöhe trafen und steckte sie mit einer Agraffe zusammen.
(Beispiel: Grabmal des Erzbischofs Uriel von Gemmingen, Kurfürsten von Mainz,
gest. 1514, im Dom zu Mainz; Gipsabguß im Germanischen Museum.)
Die erste Form hatte den Nachteil, daß sie als Gegengewicht zu der Rückseite
nicht schwer genug war, und daß die Steine, sobald die Spange nicht mehr auf der
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94
SILBER VERGoM»KTK.S MUXILF.
Brust ruhte, den Zeugstreifen übermäßig belasteten. Die zweite Form zog den
Mantel in unschön geknitterten Falten über der Brust zusammen.
Die beste, vor allem auch für die Zeremonie des Umkleidens am Altare
geeignetste Lösung war die, daß man auf der Spange mittels zweier Krampen
Abb. 2. Teilstück der Bischofsfigur von einem schwäbischen Holzrelief
des Germanischen Museums. (PI. O. 131)
das Metallschild in zwei Laschen aufsteckte. Diese Form veranschaulicht unsere
Abbildung, die einen Bischof vom Anfang des sechzehnten Jahrhunderts darstellt.
(Da B r a u n — Liturgische Gewandung, S. )21 bis )29 — die Bedeutung des Monile
als Gewicht nicht berücksichtigt , sieht er im Aufstecken der Scheibe auf den Quer-
riegel ein Zeichen dafür, daß die Pluvialschließe nach Aufgabe der Spangenform zum
bloßen Schmuckstück ohne praktischen Wert geworden sei. Vgl. auch 0 1 1 e,
Kunstarchäologie, 1885, I, 212 u. 276; Bergner, Kirchliche Kunstallertümer,
1905, S. 357 und 375.)
Diesen aus Anforderungen der Schönheit und Verwendbarkeit sich ergebenden
Grundbedingungen entspricht die Entwickelung, die sich ganz im allgemein für
die Pluvialschließe erkennen läßt. Im dreizehnten Jahrhundert trug man meist ge-
stickte Agraffen, wie auf dem Rauchmantel, so auch, als broschenarliges Zierstück,
auf der Kasel. (Beispiel: Gestickte Agraffe in Vierpaßform von der Braunfelser
Kasel des Fürsten Sohns, Abb., Zeitschrift f. christliche Kunst, 1903, 207. Englische
Arbeit aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.)
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VON DK. EDWIN REHSLÜB.
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Solche paramentischen Entwürfe wurden dann von den Goldschmieden über-
nommen und vielfach mit Emailmalerei und Edelsteinschmuck ausgestattet. (Vgl.
Viollet-le-Duc : Dictionnaire raisonn6, 11, PI. XLVIII. Joseph Braun: Pluvial-
schließen der Stiftskirche zu Tongern, Zeitschrift f. christliche Kunst, 1904, 245 fg.)
Allmählich, besonders im Verlaufe des fünfzehnten Jahrhunderts, gab man
die farbige Belebung der Scheiben auf, der figürlichen Arbeit aus vergoldetem Kupfer
oder Silber wurde die Hauptbedeutung beigemessen. Durch Fialen und Baldachin-
überdachungen vertikal gegliedert, bekamen die Schließen einen architektonischen
Charakter. (Beispiele: Hirth's Formenschatz, 1906, 15 und 12), zwei Aachener
Schließen, Abguß der ersten (K. G. 66)) im Germanischen Museum. Katalog
der Sammlung Felix, 1886. Heideloff: Stilformen des Mittelalters, H. IX, PI. III.
Bock: Das heilige Köln, 1858, VIII, S. )2. Braun: Liturgische Gewandung. ))2fg.
Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen: Agraffe von 1487 im Mindener Dom. Das
Germanische Museum besitzt aus der Spätzeit der Gotik ein kupfervergoldetes
Monile (K. G. 611), das in kreisrunder Umrahmung unter Baldachinen die Madonna
zwischen Katharina und Barbara enthält.)
Im Verlaufe des sechzehnten Jahrhunderts trat die vertikale Einteilung
und Überhöhung wieder zurück : eine runde, rosenförmig um die Mitte konzentrierte
Anordnung entsprach dem beruhigten Formensinn der Renaissance. Aber die go-
tische Tradition wirkte noch immer nach und arbeitete sich im Verlaufe der Zeit
immer wieder durch. Auch unsere Neuerwerbung ist ein Beispiel für das lange
Nachleben mittelalterlicher Formen innerhalb der kirchlichen Kunst.
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EIN BILDNIS GEORG PHILIPP HARSDORFERS
VON GEORG STRAUCH.
VON DR. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
(Mit 2 Tafeln).
Die 300. Wiederkehr des Geburtstages des Begründers des Pegnesischen
Blumenordens Georg Philipp Harsdörfer am 1. November 1907 gab uns
Veranlassung, zur Erinnerung an diesen vielseitigen, ungemein tätigen und seiner Zeit
einflußreichen Literaten eine Ausstellung zu veranstalten. Wir kamen damit zu-
gleich einem Wunsch des jetzigen 1. Vorstandes des Pegnesischen Blumenordens,
des Herrn Hofrats Dr. Wilhelm B e c k h, entgegen. Unser Bestreben war da-
hin gerichtet, ein zusammenfassendes Bild des Wirkens und der Persönlichkeit des
Dichters zu geben, unter Berücksichtigung der Zeit, in der er gelebt, und nicht zum
mindesten des Ordens, den er gestiftet. Wir konnten aus verschiedenen Besitz-
ständen ein reichhaltiges Material zusammentragen. Zum größten Teil wurde es
unserem Kupferstichkabinett und unserer Bibliothek entnommen. Nicht gering
war auch die Stoffülle, welche uns die Nürnberger Stadtbibliothek bot. Hinzu
kamen Gegenstände verschiedener Art aus dem Besitz des Pegnesischen Blumen-
ordens selbst, aus der bei uns verwahrten Bibliothek der Paul Wolfgang Merkei-
schen Familienstiftung und aus der Kupferstichsammlung der Stadt Nürnberg.
Über die Ausstellung ist im Zusammenhang an anderer Stelle berichtet worden^).
Auch wurde ein handschriftliches Verzeichnis aller ausgestellt gewesenen Gegen-
stände angelegt. Ich kann darum davon absehen. Näheres über die Ausstellung
zu bringen, und mich unmittelbar meiner voriiegenden Aufgabe zuwenden.
Selbstverständlich mußte unser Ziel neben anderem darauf gerichtet sein, so-
weit es möglich war, alles zu vereinigen, was eine porträtmäßige Vorstellung des
Dichters gibt. A priori schien zu erwarten zu sein, daß hierbei die längst bekannten
und wiederholt reproduzierten Bildnisse wieder ans Tageslicht kommen würden,
und daß sich nach dieser Richtung etwas Neues nicht finden lassen würde. Doch
dem war nicht so; denn bei der Durchsuchung der umfangreichen Porträtsamm-
lung der Bibliothek der Paul Wolfgang Merkel'schen Familienstiftung stießen wir
unvermutet auf ein bisher gänzlich unbekanntes und, was das Wichtigste war, originales
Porträt. Es ist eine getuschte Federzeichnung, in der Mitte unten bezeichnet:
„G. Strauch, fec: 1651" Damals war der Dichter 44 Jahre alt und stand also in der
Vollkraft seines Lebens. Sieben Jahre später raffte ihn der Tod dahin. Wir haben
also eine Darstellung vor uns, welche uns Georg Philipp Harsdörfer mit voll ausge-
prägten Gesichtszügen, die späterhin wenig Veränderungen mehr erfahren haben
1) Frank. Kurier, Abendausgabe vom 6. November 1907 (Nr. 569).
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EIN BILDNIS GEORG PBIL. HARSDÖRFERS VON GEORG STRAUCH. VON FR. TR. SCHULZ. 97
werden, zeigt. (Taf. XX). Er ist als Brustbild gegeben, das von einem breiten acht-
eckigen Rahmen umschlossen wird. Das Antlitz ist dem- Beschauer fast en face zuge-
wandt, während der Oberkörper nach links (vom Dargestellten aus) gedreht ist. Das
Gesicht ist rund und fleischig, die Nase wenig gekrümmt und energisch ausgebildet.
Die unteren Augenlider treten mäßig schwer hervor. Die Augenbrauen sind im
Bogen hinaufgeschwungen, so daß die darunter liegende Partie als breite Fläche
erscheint. Alles das deutet auf einen stark entwickelten Körper hin. Ein kleiner
Schnurrbart deckt die Oberlippe. Ein kurzer Knebelbart umzieht das Kinn. Der
Hals tritt unter den Kinnbacken fleischig heraus. Die vollen Gesichtszüge deuten,
wenn dies erlaubt ist zu sagen, auf Wohlhabenheit und Gesundheit hin. Das
Haupthaar ist in der Mitte gescheitelt und wallt beiderseits in welligem Lockenfluß
bis auf die Schultern herab. Ein breites, beiderseits gefranstes Band geht von der
rechten Schulter nach der linken Hüfte herab. Unterhalb der Schnalle hängt,
scheinbar an einem besonderen, um den Hals getragenen Bande, ein ovales Medaillon
mit dem Symbol der fruchtbringenden Gesellschaft, dem Palmbaum. Der Unter-
grund ist licht getuscht und durch quergelegte Parallelschraffuren gegliedert. Der
Oberkörper endet nicht unmittelbar an dem Rahmen, sondern wird von diesem durch
einen leeren Streifen getrennt, auf dem ebenso wie auf dem Rahmenband, welches
das Bildnis als Achteck umschließt, Schrift angebracht werden sollte. Der Künstler
hat jedoch hiervon abgesehen. Seine Aufgabe bestand lediglich in der getreuen
Darstellung und dem Arrangement im Ganzen; alles übrige war Sache des Stechers.
Als äußerer Abschluß dient ein rechteckiger Rahmen, den eine dünne Federlinie
umgrenzt. In den oberen Eckzwickeln hat der Künstler rechts das Wappen, links
die Helmzier Harsdörfers angebracht, beide mit flatternden Bändern verziert. Das
untere Stück des Bildes wird von einer perspektivisch gestellten Tischplatte ein-
genommen. Auf dieser bemerken wir links ein Buch mit geöffnet darauf liegender
Uhr, rechts auf einem vorn umgebogenen Stück Papier einen dreischenkligen, auf-
recht gestellten Zirkel. Rechts von diesem wird das Ende einer Papierrolle, links
der untere Teil eines scheinbar zylindrischen Gefäßes bemerkt. Oberhalb der er-
wähnten Inschrift endlich liegen ein Messerchen und eine Feder.
Die Darstellungsart ist eine flotte. Die Konturen sitzen fest und sicher. Das
Gesicht ist sprechend im Ausdruck. Entschieden darf dieses Porträt den besseren
Bildniszeichnungen der Zeit beigezählt werden. Das Arrangement im Ganzen ist
ein glückliches und ansprechendes.
Als Verfertiger dieses Bildnisses hat sich, wie schon bemerkt, Georg Strauch
genannt, ein Künstler, der sich als Maler, Kupferstecher und Emailmaler betätigte*).
2) An Literatur über diesen ist zu verweisen auf: Andreas Gulden's Fortsetzung
der Johann Neudörf erischen Nachrichten von berühmten Künstlern und Handwerkern im
17. Jahrhundert in der Ausgabe von Lochner, S. 203 u. 231. — Joh. Gabriel Doppel-
mayr, historische Nachricht von den Nümbergischen Mathematicis und KünsUem, Nürnberg
1730, S. 233 u. 234, unter Berücksichtigung der Zusätze in seinem Handexemplar, das unsere
Bibliothek besitzt. — N agier, neues allgemeines Künstler- Lexikon, XVII, S. 465 u. 467- —
Nagler, Monogrammisten III, Nr. 370, 384 u. 2913- — Andresen, der deutsche Peintre-
Graveur V, S. 140 ff. — Allgemeine deutsche Biographie, Bd. XXXVI, S. 527 u. f. — Hans
Bosch, die Nürnberger Maler, ihre Lehrlinge, Probestücke, Vorgeher u. s.w. von 1596—1659,
in den Mitteilungen des Germanischen Nationalmuseums 1899.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 13
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98 EIN BtLDNlS GEORG PHILIPP HARSDÖRFERS VON GEüRQ STRaÜCÖ.
Er wurde am 17. September 1613 in Nürnberg geboren, wo er wirkte und am
1). Juli 1675 starb. Rte irrt wohl nur, wenn er in seinem Artikel über Georg
Strauch in der Allgemeinen deutschen Biographie 167) als Todesjahr angibt. Ge-
rade das Bildnis des Meisters von unbekannter Hand, das er im Auge hat, nennt
1675 als Todesjahr. Übrigens ist dieses Bildnis recht herzlich schlecht. In jeder
Hinsicht steht es als eine mindere Leistung da, vollkommen abfallend gegen das
reizende kleine Porträt mit der Pelzmütze, das der Künstler im Jahre 1655 eigen-
händig radierte, und das er mit folgender Devise versah: „Gott ist meines Lebens
Krafft, Sein Wort meiner Seelen Safft". Eines der Exemplare dieses Selbstbild-
nisses, welche sich in der Porträtsammlung der Bibliothek der Paul Wolfgang Mer-
kel'schen Familienstiftung befinden, trägt folgenden handschriftlichen Vermerk:
„Georg Strauch fecit 1655. 0hl und Schmeltz Mahler in Nürenberg raddierte auch
1675". Der Drang zur Kunst soll sich frühzeitig in ihm geregt haben. Wie Doppel-
mayr berichtet, illuminierte er „die mehreste biblische Figuren schon in dem 10.
Jahr seines Alters, ohne daß er die geringste Anweisung zuvor darinnen gehabt,
so fein,|daß sich viele darüber verwundert**. Sein Lehrmeister wurde Johann
Hauer, zu dem er 1626 (1628) „zur Beförderung seines guten Intents** ging. Weil
er kein Lehrgeld gab, mußte er sich auf sechs Jahre zu diesem verdingen. Unter-
richtet wurde er im Malen und Radieren. Er machte so gute Fortschritte, daß er
schon im Jahre 16)5 sein Probestück fertigen konnte, bestehend in der Darstel-
lung des heiligen Sebastian, wie selbiger an einen Baum angebunden. Meister wurde
er am 8. September dieses Jahres. 1647/51 und 1654/58 war er Vorgeher der Maler-
zunft. 1651 wurde er zum Genannten des größeren Rats gewählt. 1667 wurde
er Kirchner bei St. Sebald. Er war also angeschrieben: „Der erbar und fürnehm
Georg Strauch Mahler u. Contrefeyer, auch diese Zeit verordneter Kirchner bey
S. Sebald auf der vordem Füll**. Seine Frau war den 28. Mai 1682 folgendermaßen
angeschrieben: „Die erbar und ehrntugendsame frau Magdalena des erb: und für-
nehm Georg Sträuchen Mahlers u. Contrefeyers auch verordneten Kirchners bey
S. Sebald hinteriassne wittib, unterhalb St. Lorenzen**. Georg Strauch war ein
Sohn des Hans Strauch, der als Visierer bezeichnet wird*).
Was seine künstlerische Wirksamkeit betrifft, so genügt es für den vorliegen-
den Zweck, wenn ich mich auf einige allgemeine Angaben beschränke. Zunächst
war er als Radierer tätig. Als solcher wird er geschätzt. Seine Blätter sind zum
Teil selten. Andresen zählt deren }} auf, darunter 16 Porträts. Als Maler fertigte
er historische Darstellungen und Bildnisse. Für die letztgenannte Seite seiner
Tätigkeit besitzen wir ein hübsches Beispiel in dem auf Holz gemalten Kniebild
einer unbekannten Nürnbergerin mit einer Flitterhaube vom Jahre 1664, das außer-
ordentlich zierlich durchgeführt ist und fast einer Miniature gleicht. Es mißt
nur 23 cm in der Höhe und 18 cm in der Breite*). Einen besonderen Ruf genoß
er als Emailmaler. Es heißt von ihm: „Malte gar klein Ding von Schmelzglas auf
Gold**. Bei Doppelmayr lesen wir: „absonderiich aber war er in der Mahlerey mit
3) Siehe Th. Hampe, Nürnberger Rats verlasse über Kunst und Künstler im Zeitalter der
Spätgotik und Renaissance, II, Nr. 2615- Dort heißt es zum 1. Nov. 1613: »»An statt Christoff
Reingrubers soll man Hansen Sträuchen zu einem geschwomen visierer annemen**.
4) Katalog der im Gennanischen Museum befindlichen Gemälde, 3- Aufl., Nr. 834.
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VOK DH. FRrrZTRAliGOl^ SCfiüLZ. ÖO
Gummi-Farben und im Schmeltz-Wercke oder in dem so genannten Emailliren treff-
lich geübt, und bemühet viel schönes davon zum Andencken zu hinterlassen, welche
man noch bis dato als treffliche Kunst-Stücke in hohen Werth hält". Andresen
und R6e führen Proben seines Wirkens auf diesem Gebiet an', die sich damals in der
Kunstkammer in Berlin und im Belvedere zu Wien befanden. Ganz besonders groß
aber ist die Zahl seiner Zeichnungen, die er für den Stich im Einzelblatt und in Büchern
schuf. Sie bestehen in Historien, Landschaften, Grotesken, Emblemen, auch In-
schriften und Sentenzen. Neben anderem war er als Illustrator für verschiedene
geistliche Schriften des bekannten Predigers Joh. Mich. Dilherr tätig, was zu be-
merken deshalb nicht unwichtig ist, weil er bei einer dieser Gelegenheiten auch mit
Georg Philipp Harsdörfer in Berührung kam, was für diesen Veranlassung geworden
sein mag, gerade durch ihn sein Bildnis als Vorlagezeichnung für den Kupferstich
fertigen zu lassen. Zu Joh. Mich. Dilherr's evangelischer Sonntags-, Fest- und
Epistelpostill nämlich, welche dieser die Sabbaths-Ruhe benannte, hat Georg Philipp
Harsdörfer die Sinnbilder erfunden und diese dann unser Georg Strauch gezeichnet.
Ich entnehme diese Notiz unserem mit zahlreichen handschriftlichen Zusätzen ver-
sehenen Handexemplar von Doppelma)^*, bei der mir jedoch die Angabe des Jahres
der Herausgabe dieses Buches (1674) etwas zweifelhafter Natur zu|iein scheint. Die
Zahl der religiösen Embleme dieses Werkes wird auf 182 angegd)en. Der Stich
zu ihnen rührt von Melchior Küsseil her. Weiter zeichnete Strauch viele Bildnisse,
die von Sebastian Furck, Bartholomeus Kilian, Andreas Khol, J. F. Leonhart,
Jak. Sandrart, Jak. Schollenberger, Com. Nie. Schurz, Matthaeus Küsseil u. a. m.
in Kupfer gestochen wurden. Zu diesen gehört auch das vorliegende Porträt Georg
Philipp Harsdörfers, das in allem deutlich darauf hinweist, daß es eine nach dem
Leben gezeichnete Vorlage für einen Stich ist. Dieser wurde von Andreas Khol
in Kupfer gebracht.
Wie verhält sich nun der Khol'sche Stich unseres Harsdörfer-Porträts zu der
Strauch'schen Originalzeichnung .^ Wir müssen uns näher mit dieser Frage be-
schäftigen, weil es von Wichtigkeit ist festzustellen, ob uns in den verschiedenen
allgemein bekannten und oft reproduzierten Bildnissen Georg Philipp Harsdörfers
sein charakteristisch physiognomischer Gesichtsausdruck getreu und wahr über-
liefert worden ist. Vorweg ist noch zu bemerken, daß der Stich des Andreas Khol,
wie aus der Unterschrift geschlossen werden darf, eine Widmung des bekannten
Nürnberger Kupferstechers, Kunsthändlers und Verlegers Paul Fürst an den Dichter
ist; denn nur auf diesen können die beiden Initialen P. F. gedeutet werden. Bei
der Vergleichung der Zeichnung und des Stiches sehe ich von äußerlichen Ab-
weichungen wie auch von einer Erklärung des Beiwerks in den Zwickeln links und
rechts unten ab und beschränke mich lediglich auf das, worauf es mir hier ankommt,
auf das Antlitz des Dichters, wie es hier und dort wiedergegeben erscheint. Zug um
Zug läßt sich konstatieren, daß der Stecher die feinen Gesichtszüge vergröbert, entstellt
und verdorben hat. Die hohe Stirn des Originals ist im Stich (Taf. XXI) niedriger
gegeben, sie ist in die Breite gezogen und mehr nach vorn herausgedrückt. Die
Folge davon ist, daß das volle lockige Haupthaar nicht mehr in seiner bezeichnen-
den Weise herabflutet. Der Scheitel sitzt verkehrt, wodurch bewirkt ist, daß die
Natürlichkeit des, wenn ich so sagen darf, künstlerischen Haararrangements in eine
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100 EIN BILDNIS GEORG PHILIPP HARSDÖRFERS VON GEORG STRAUCH.
steife Symmetrie verkehrt ist. Durch diese Veränderung ist dem Antlitz, wie wir
es in der Zeichnung dargestellt finden, eines seiner wichtigsten Merkmale genommen
worden. Ganz anders wirkt ferner die Behandlung der Augen hier und dort. Zwar
treten die Augen auch in der Zeichnung etwas schwer markiert aus den Höhlen
heraus. Doch ist der Schwung der Lider hier weit mehr gerundet. Das obere Lid
ist auch nicht so breit und lastet darum nicht so schwer. Das untere Lid liegt nicht
so plastisch auf, wie wir es auf dem Stich sehen. Hinzu kommt, daß die Augen-
brauen viel freier hinaufgezogen sind. So ist der Effekt in der Kupferstich wieder-
gäbe ein ganz anderer. Die Verzeichnung, die Verschiebung der charakteristischen
Lagen der Linien in den Augenpartien, die übertriebene Herausarbeitung ins Pla-
stische hat dem geistreichen Zug, den das Antlitz des Dichters in der originalen
Zeichnung zur Schau trägt, in ganz bedenklicher Weise Abbruch getan. Der Stecher
hat etwas ganz anderes daraus gemacht. Auch die Form der Nase hat er verändert.
Der Rücken ist in Wirklichkeit höher und im oberen Teil energischer ausgeprägt.
Die Partie zwischen Nase und Mund wirkt dadurch, daß die Haare des kleinen
Schnurrbarts aufwärts gekämmt und die neben den Nasenlöchern beginnenden
Wangenfalten stärker hervorgekehrt sind, im Stich ebenfalls anders als im Original.
Überhaupt hat das ganze Antlitz eine mehr länglich-ovale Form bekommen, wäh-
rend es auf der Zeichnung mehr in die Breite geht. Das Fleisch der Gesichtsteile
ist femer bei weitem nicht so straff gespannt; es ist weicher und voller. Die offen-
sichtliche Unfähigkeit des Stechers gegenüber seiner Vorlage, die sich in allem als
künstlerisch bedeutsam erweist, hat so ein Bild zuwege gebracht, das nicht im
Entferntesten den Feinheiten der Zeichnung gerecht geworden ist. Es ist eine
Wiedergabe, die sich nur in dem allgemeinen Gesamteindruck dem Original nähert,
aber in den wirklich charakteristischen Einzelheiten auf Treue der Durchführung
nicht den geringsten Anspruch erheben darf. Der Stich ging in zahlreichen Exem-
plaren in die Welt hinaus und bestimmte für die Folgezeit die Vorstellung von der
äußeren Persönlichkeit des Dichters. Die originale Zeichnung aber, die allein das
richtige Abbild bringt, war nur einmal vorhanden. Sie blieb verschollen, um erst
vor kurzem durch einen Zufall wieder ans Tageslicht zu kommen. Beide sind zu-
gleich ein Beweis für die Richtigkeit des allgemeinen Satzes in Naglers Monogram-
misten: „G. Strauch lieferte auch Zeichnungen zum Kupferstiche, welche aber nicht
gut übertragen wurden**.
Der Porträtstich des Andreas Khol, welcher Künstler im Jahre 1656 starb,
wurde die Quelle weiterer Übel, denn es dürfte kaum einem Zweifel unteriiegen,
daß auf ihn der erst nach dem Tode des Dichters geschaffene Stich des Jakob von
Sandrart zurückgeht. Zwar heißt es links unten auf dem letzteren „G. Strauch
delin:*', aber ein Vergleich der drei Blätter lehrt, daß diese Notiz nur insofern Be-
rechtigung hat, als Sandrart nur indirekt, nämlich durch das Porträt des Andreas
Khol auf die originale Darstellung zurückging. Eine neue Zeichnung des Georg
Strauch scheint mir hier nicht vorzuliegen. Die Veränderungen, welche Sandrart
vornahm, sind nämlich nur äußerlicher Natur. Er kleidete den Dichter in die Tracht
eines Nürnberger Senators, welche Würde er ja einnahm, und umschloß sein Bild
mit einem ovalen Rahmen, der in einer Pilasterstellung mit größeren allegorischen
Figuren und kleinen Darstellungen ruht. Die Gesichtszüge behielt er bei, sie je-
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VON DR FRITZ TRAÜQOTT SCflÜLZ.
101
doch noch weiterhin verflachend und vergröbernd. Hierdurch entfernte sich das
von ihm geschaffene Bildnis noch weiter von der gezeichneten Vorlage. Der Cha-
rakter des Urbildes wurde in fortschreitender Skala entstellt, verwischt und ver-
dorben. So darf der Sandrartsche Porträtstich, zu dem sich die originale Kupfer-
platte jetzt als Depositum des Pegnesischen Blumenordens bei uns befindet, auf Treue
und Zuverlässigkeit der Wiedergabe im Grunde genommen noch weniger Anspruch
erheben als das Blatt des Andreas Khol. In weit geringerem Maße aber gilt dies
noch von dem auf den ersten Blick täuschend ähnlichen Nachstich, den der Nürn-
berger Kupferstecher Augustin Christian Fleischmann zu Ende des 17. Jahrhunderts
nach dem Sandrarf sehen Porträt schuf. Auch er fand nichts Verwerfliches darin,
wenn er seinem Blatt ein „G. Strauch delin." beifügte und dabei in Wirklichkeit
nicht auf die Zeichnung, sondern auf den bereits sekundären Stich Sandrarts zurück-
ging. Die damalige Zeit war in derlei Dingen nicht so ängstlich, wie man es heute
zu sein gewöhnt ist; auch der Nachstich hatte damals noch nicht, oder wenigstens
nicht immer, den Beigeschmack des Unerlaubten und Verbotenen.
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DIE HOLZMOBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
VON DR. HAnS STCGMANN.
(Fortsetzung.)
Verbleiben wir bei der Betrachtung der Renaissanceschränke gleich bei dem
zuletzt behandelten Stollenschränken aus dem Rheinland und Westfalen, so ist eine
konstruktive Weiterbildung kaum zu bemerken. Der Schrankkasten steht je nach-
dem auf vier oder sechs Stollen, die sich um die Hälfte verringern, wenn die Rück-
wand des Kastens bis zum Boden oder dem unteren Querbrett heruntergezogen ist.
Der Schrank ist ganz regelmäßig als rechteckiger Kasten gebildet, die Vorderfläche
zwei- oder dreigeteilt mit zwei Türen im ersteren, mit einer mittleren oder zwei
seitlichen im letzteren Falle.
Das Museum besitzt von rheinischen und westfälischen Stollenschränken eine
schöne Reihe meist in guter originaler Erhaltung. Die rheinischen Schränke, die
wie ihre spätmittelalteriichen Vorfahren, mit ihren flandrischen und französischen
Genossen in naher verwandtschaftlicher Beziehung stehen, sind durchaus in Eichen-
holz gearbeitet; die allein gezierten Vorderflächen, gelegentlich auch die Vorder-
stollen sind mit reicher omamentaler und figürlicher Schnitzerei bedeckt.
Beginnen wir mit dem schönsten Exemplar (Abb. 121 u. 122). Es wurde
von dem bekannten Möbelhändler und Restaurator Most in Köln bei einem Bauern
in Wanne aufgefunden und von A. v. Essenwein I883 in unrestauriertem Zustand
für das Museum erworben. Es wurde dann von Most in verhältnismäßig schonen-
der Weise wiederhergestellt. Wenn Essenwein (Mittig. d. Germ. Mus. Bd. 1 S. 182 f. u.
Tafel XI 11) in seiner Besprechung des Stückes dasselbe um die Wende des 16. und
17. Jahrhunderts ansetzt, so dürfte nach dem echten Frührenaissancecharakter des
Ornaments, auch wegen der Kostüme der Medaillonköpte diese Entstehungszeit
um einige Jahrzehnte zu spät gegriffen sein. Ich möchte diesen Stollenschrank
und seine beiden Genossen im Museum eher um 1560 datieren. Mit Recht betont
aber Essenwein den gotischen Grundcharakter des Schrankes, der auch in den
scharfen, feinen Profilierungen des Schreinerwerks, nicht nur in dem ganz nach außen
gelegten Beschläge nachklingt. Ganz renaissancemäßig dagegen ist die in Entwurf
und Ausführung gleich ausgezeichnete, geschnitzte Dekoration der Vorderstollen,
der drei obern Schrank- und der beiden Schubladenfelder. Das feine künstlerisch
Verständnis in der Behandlung der Verhältnisse und des Details geht weit über die
oft übliche ungeschickte Übernahme von Omamentstichvorbildem hinaus. Man
beachte beispielsweise die verständnisvolle Verwendung des Akanthusblattwerks an
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DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS. VON DR. HANS STEGMANN. 10^
den Vorderstollen, die frisch er- und empfundene Art der Flächenfüllung mit von
Maskarons, Panisken und Vögeln durchsetzten Blattwerks, oder die ausgezeichnete
aufsteigende Kandelaberfüllung mit Putten des Mittelteils. Charakteristisch für
Jim
Abb. 121. Westfälisch-rheinischer Stollenschranic. Mitte des 16. Jahrhunderts.
die rheinischen Stollenschränke ist die Verwendung frei aus der Fläche heraus-
tretender Brustbilder aus den Türfüllungen, die zugleich die Funktion der Türknäufe
versehen sollten. Ob für diese eigenartige Büstenverwendung Frankreich oder
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104 DIB HOLZMÖBBL DES GBRICANISCHBN BfTJSEUMS.
Deutschland die Priorität gebührt, läßt sich bei dem angeführten gleichzeitigen Auf-
treten des Motivs in beiden Ländern schwer entscheiden.
Die Einteilung des Schrankes mit zwei Türen und einem unbeweglichen Mittel-
teil, darunter zwei Schubladen, ist die übliche. Ebenso die typische Verzierung
Abb. 122. Seltenansicht des Schrankes Abb. 121.
der Seiten mit Pergamentrollen, die nur durch Anbringung strickförmig gedrehter
Rundstäbe in den Knickungen der Rolle etwas antikisiert erscheinen. Die Maße des
Schrankes sind Höhe: 1,55, Breite 1,2 und Tiefe 0,58 m.
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VON DR HANS STEGMANN. 105
Dem eben besprochenen und abgebildeten rheinisch-westfälischen Stollenschrank
steht ein weiterer der Sammlung sehr nahe. Der Schrankaufbau (zum großen Teil
modern ergänzt) ist genau derselbe. Er hat dieselben (drei) Vorderfelder mit zwei Türen
im eigentlichen Schrankkasten, darunter ebenso zwei Schubladen. Nur ist er breiter
auseinandergezogen. Die Stollen und der gesamte Unterbau sind schwerer, nicht
geschnitzt und kaum profiliert. Die Teilungsfüllung zwischen den Schubladen ist
Abb. 123. Vorderansicht eines rheinischen Stollenschrankes.
auch hier als eine Art „Hängestollen" mit Kropf gebildet. Die Profilierungen des
bekrönenden Gesimses und der Umrahmungen nähern sich mehr der gotischen
Formensprache, als derjenigen der Renaissance. Die Flachschnitzereien der Schub-
ladenvorderseiten weisen Mascarons mit Blattwerk, die drei eigentlichen Schrank-
füllungen, von denen die mittlere wesentlich schmäler als die beiden äußeren sind,
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. 14
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106
DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
in der Mitte sämtlich frei heraustretende Köpfe, links (vom Beschauer) den einer
Frau, rechts und in der Mitte von Männern. Die Umrahmung bildet das übliche
Blattwerk. Die Seitenteile haben in 3 Feldern Pergamentrollenverzierung. Die
Ausführung ist eine sorgfältige, wenn auch nicht so meisterhaft, als beim vorher-
gehenden Stück.
Abb. 124. Seitenansicht des Scliranlces Abb. 123.
Die Schlösser fehlen, die wiederum, wie bei diesen Möbeln üblich, außen-
liegenden Türbänder sind in ähnlichen gotischen Formen gehalten, wie bei dem vorigen.
Derselben Gruppe und Zeit gehört ein kleinerer, von A. v. Essen wein schon
Ende der sechziger Jahre in Köln bei einem kleinen Händler erworbener und nach
dem Ankauf maßvoll restaurierter Stollenschrank (besprochen und abgebildet Mittig.
d. Germ. Mus. Bd. I S. 19) f. u. Tafel XIV) an, den die Abbildungen 123 und 124 in
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VON DR. HANS STEGBiANN.
107
Vorder- und Seitenansicht wiedergeben Er ist wesentlich kleiner (die Höhe be-
trägt 1,4, die Breite 0,88, die Tiefe 0,45 m). Die Dreiteilung des Schrankkastens
ist hier so getroffen, daß auf ein breites Mittelfeld mit der Tür zwei schmale Seiten-
felder treffen. Der seitlichen Pergamentrollenfüllungen sind es auch nur zwei, eine
mit senkrechter und eine mit wagrechter Anordnung des Pergaments. Die geschnitzte
Dekoration bewegt sich in den üblichen Formen mit den heraustretenden Medaillon-
büsten in den Rahmenfüllungen und dem schon etwas flau und oberflächlich be-
handelten Blattwerk.
Einen sehr nahe verwandten, aber doch nicht gleichen Typus der Stollen-
schränke lernen wir in zwei Exemplaren aus Westfalen kennen, die ebenfalls der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstammen dürften. Gleich ist bei ihnen
und den rheinischen Schränken das Material und die reiche Verwendung von Relief-
schnitzerei; dieselbe erstreckt sich hier sogar auf alle gliedernden und tragenden
Teile. Dies ergibt bei den in verhältnismäßiger Kleinheit durchgeführten über-
reichen Motiven ein etwas unruhiges, zum Teil sogar unklares Bild.
Das erste Exemplar ruht auf vier brettförmigen Stollen (die untere Querplatte
mit den kurzen glatten Stollen darunter ist moderne Ergänzung), von denen die
beiden vorderen in Reliefschnitzerei (nur auf der Vorderseite) als Säulen auf über-
hohen, mehrfach gegliederten Postamenten behandelt sind. Der Schrankkasten
ist an der Vorderseite in drei Felder gegliedert, von denen das breitere mittlere die
Türe mit originellem, gotisierendem Schloß enthält. Die schmalen Seitenfüllungen,
durch breitere äußere und schmälere innere Pilaster abgegrenzt, haben aufsteigende
kandelaberartige Kompositionen, von vielen kleinen Putten umspielt. Auf der Mitte
des Kandelaberschafts hängt je ein Wappen (links vom Beschauer mit Schachbrett-
muster, rechts mit drei ins Dreieck gestellten Rosen). Ähnliche, auf Omament-
stiche als Vorbilder deutlich hinweisende, aufsteigende Füllungen haben die in der
Axe der Stollen laufenden Pilaster. 'Der Einfluß der in Technik und Geschmack
weit durchgebildeteren Handwerksgenossen am Rhein läßt sich leicht erkennen.
Eigenartig ist bei diesem Stück die Behandlung der Rundstäbe, die wo immer an-
gängig ein strickartig gedrehtes, abwechselnd aus glattem Band und Perlstab zu-
sammengesetztes Muster zeigen. (Abb. 125). Die Maaße betragen: 1,48 m Höhe,
1,01 m Breite, 0,55 m Tiefe.
Das zweite Exemplar, etwas kleiner, die Höhe beträgt 1,44, die Breite 1,03,
die Tiefe 0,51 m, entfernt sich vom landläufigen Typus des Stollenschrankes etwas
dadurch, daß der Schrankkasten sich ohne Trennung, ja sogar ohne Schlagleisten in
zwei fast die ganze Breite einnehmende Türen öffnet. Das stark restaurierte Stück —
Deckplatte mit Sims, Untergestell bis auf die skulptierten Vorderpfosten, und Seiten-
wände sind erneuert — zeigt in Anordnung und Ausführung mit seinem vorbe-
schriebenen Genossen sehr viel Ähnlichkeit. Besonders gut sind hier die stämmigen,
mehrfach abgesetzten Vorderpfosten mit ihrer Akanthustabverzierung, dann die
vielleicht ursprünglich gar nicht zu diesem Schrank gehörende Arabeskenfüllung
der unteren Schublade. Die Arabeskenfüllungen der Türen, deren Mittelpunkt hier
zwei aufgehängte, offenbar bürgerliche Wappen bilden, sind wesentlich schwächer.
Das Schloß werk ist demjenigen des in Abb. 125 wiedergegebenen ganz gleich.
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108 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Der lokalen und auch der stilistischen Verwandtschaft halber, sei ein weiterer
Schrank aus den Rheinlanden angeschlossen, der den Stollenschränken fem steht.
Er dürfte seiner ganzen Außenbehandlung nach im ursprünglichen Zustand ein
eingebauter Wandschrank in Verbindung mit einer vielleicht gleichartig anschließen-
den Wandvertäfelung gewesen sein, wenn er nicht etwa gar in späterer Zeit (wohl
Abb 125. Westfälischer Stollenschrank. Ende des 16. Jahrh.
aber nach dem Befund der einfachen Seiten- und Rückwand zu schließen vor dem
19. Jahrhundert) aus Teilen einer Vertäfelung zusammengefügt wurde. (Abb. 126.)
Die Vorderseite ist dreigeschossig und im Ganzen in zwölf Felder geteilt, so symme-
trisch, daß von einem ausgesprochenen Möbelcharakter eigentlich nicht die Rede
sein kann. Die Entstehung des Schrankes dürfte in das Ende des 16. Jahrhunderts
fallen. Das Hauptdekorationsmotiv des durch seitliche und mittlere Pilaster ge-
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VON DR. HANS STEGMANN. 109
gliederten Schrankes sind in den umrahmten Füllungen der beiden Untergeschosse
Spitzrauten, deren Inneres sechsmal eine in Blattwerk auslaufende Maske, einmal
eine Schere und einmal eine Hausmarke in Verbindung mit der Zahl 4 aufweist.
Die oberen vier Felder dagegen zeigen in reichen Laubwerkfüllungen die rheinischen
Büstenmedaillon sin leider ziemlich beschädigtem Zustand. Der Schrank ist 1,88 m
hoch, 1,85 m breit und 0,63 m tief.
Von weiteren norddeutschen Schränken wären nur noch zwei der Frührenais-
sance zuzuzählende Stücke der norddeutschen Tiefebene an dieser Stelle zu be-
trachten. Wirklich gotische Schränke, wie sie insbesondere im Lüneburgischen
Abb. 126. Rheinischer Schranlc Ende des 16. Jahrh.
sich erhalten haben, besitzt das Museum nicht. Der Aufbau besteht bei diesen aus
dem eingebauten Schrank entstandenen System aus einem in der Regel dreigeschos-
sigem Gefach, wobei mindestens sechs einzelne durch eigene Türen verschlossene
Fächer sich ergeben. Charakteristisch ist, daß bei dem im Mittelpunkt des Schrankes
liegenden Fach, die Drehungsaxe der Tür nicht vertikal, sondern horizontal ist, so
daß die geöffnete Tür eine zum Schreiben und dergl. geöffnete, oft noch durch ein
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110 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
Abb. 127. Niederdeutscher Schrank von 1550.
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VON DK. HANS STEGMANN. Hl
originelles eisernes Gestänge gestützte horizontale Platte bildet. Ein merkwürdig,
reich, wenn auch etwas derb geziertes Stück dieser Art, das den mittelalterlichen
Aufbau noch beibehält — andere werden wir bei der späteren Be^rechungder bäuerlichen
Möbel vorfinden — , hat das Museum in einem mit der Jahreszahl 1550 versehenen großen
Schrank aufzuweisen, der vielleicht in Schleswig- Holsteins eine Heimat hat. Der
Schrank (Abb. 127) ist 3,12 m hoch, 1,62 m breit und 0,72 m tief. Der Schrank
ist, wenn man ein schmales Schubladengeschoß hinzurechnet, viergeschossig. Das
Untergeschoß mit zwei Gefachen, ist durch zwei größere Türen geschlossen, welche
ebenso wie der trennende Rahmenstreifen mit Arabeskenfüllungen, die Türen außer-
dem mit männlichen Brustbildmedaillons in Flachrelief geziert sind. Darüber zwei
Schubladen, deren Vorderseiten einen Spruch enthalten: JS(T) . CODT . MIT.
VNS . WOL (soll heißen Wer) KAN . GEGEN . VNS. Das nächste Geschoß ent-
hält zwischen zwei rein vegetabilischen Arabesken eine breite, nach unten aufklapp-
bare Tür mit zwei geschnitzten Füllungen, dem Sündenfall und der Vertreibung
aus dem Paradiese. Das oberste Geschoß enthält drei je mit einer Tür verschlossene
Fächer, die durch schmale Pilaster getrennt sind; die Reliefs der Türen behandeln
die Geschichte Simsons. Den oberen Abschluß bildet ein hohes, gebälkartiges Ge-
sims, durch das die Pilaster des obersten Geschosses durchgekröpft sind. Über dem
Gesims ein Aufbau mit einer Wappentafel, welche auch die Jahrzahl trägt und oben
und an den Seiten mit Muschelhalbkreisen begrenzt wird, in deren Zentrum frei
heraustretende männliche Büsten sich befinden. Die dekorativen Teile stimmen
wohl in der etwas derben Durchführung, nicht aber stilistisch überein, so daß schon
Zweifel an der Ursprünglichkeit des Schrankes in dieser Form und an der frühen
Datierung aufgetaucht sind. Doch dürfte sich für die auffallende Verschiedenheit
des figüriichen und des omamentalen Schmuckes wohl die Erklärung finden lassen,
daß an einer wahrscheinlich kunstarmen Stätte der Verfertiger für die omamentalen
Stücke verhältnismäßig gute graphische oder andere Vorlagen benutzen,
während eine mehr handwerklich-bäueriiche Kunst mit den Köpfen und Figuren
— vielleicht rohen Holzschnitten entnommen — nicht recht fertig werden konnte.
Die zwischen Gotik und Renaissance schwankenden, reichen, verzinnten Beschläge,
die Verwendung von breitköpfigen ebenfalls verzinnten Nägel an Stelle der üblicheren
Holzzapfen, die Unteriassung jeglicher Verzierung an den trennenden Horizontal-
gliedem lassen nicht auf ein Kulturzentrum, etwa eine größere Stadt als Entstehungs-
ort schließen.
Gleichen Kreisen dürfte der zweite in der eigentlichen Möbelsammlung des
Museums sich befindende norddeutsche Schrank entstammen, den wir in Abb. 128
dargestellt sehen. Er ist sechsteilig mit vertikaler Mittelteilung, die durch sämtliche
drei Geschosse hindurchgeht. Die einfache, aber sehr wirkungsvolle Dekoration
wird einmal durch das sehr reichlich verwendete, gotisierende, durchbrochene und
verzinnte Eisenbeschläg, das das dunkle Eichenholz merkwürdig belebt, dann durch
die Schnitzerei der zahlreichen Füllungen gebildet. Der Aufbau ist sonst sehr ein-
fach. In einem von einem unteren glatten Querbrett, zwei schmalen Pilasterfül-
lungen an den Seiten und einem kräftig profilierten oberen Abschlußgesims gebildeten
Rahmen besteht die Vorderseite. Zwei für Niederdeutschland charakteristische
aus der Schrankfläche vorspringenden Kufenbretter, in die die Seitenwände einge-
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112 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
zapft sind, kommen hinzu. Die Horizontal- und Querverbindungen sind leicht
ausgekehlt und mit einem abgesetzten Stab verziert. Die eingerahmten Tür-
füllungen, an den beiden Untergeschossen, je vier im oberen, je zwei für jede Tür,
Abb. 128. Niederdeutscher Schrank von 1566.
zeigt gefälteltes Pergament in der für die Spätzeit und die niederdeutschen
Gegenden bezeichnenden vielfach gebrochenen und sinnwidrig auch durchbrochenen
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VON DR. HANS STEGMANN.
113
und an den Säumen ausgeschnittener Art. Die beiden Seitenpilaster haben auf-
steigende Füllungen mit dem üblichen Ornamentenapparat in leidlich guter Aus-
führung. Am oberen Ende der PilasterfüUungen befindet sich die Datierung:
Anm. 1566. Die Maße betragen: Höhe 2,42 m. Breite 1,75 m, Tiefe 0,65 m.
Die Gesamtwirkung ist eine ganz vorzügliche, wenn auch bei der Einzelbetrachtung
diese norddeutschen Möbel an Sauberkeit des Entwurfs und der Ausführung den
oberdeutschen ziemlich nachstehen.
Die Hauptgattung der oberdeutschen Schränke in der Frührenaissance, deren
Blüte wir bis ins späte 16. Jahrhundert annehmen können, bleibt der doppel-
geschossige Schrank. Die Geschosse sind oft lose aufeinandergesetzt, Sockel und Ge-
sims leicht abnehmbar. Bei den engen Ausmaßen der Treppen und Türen der Bürger-
häuser jener Zeit war dies geboten, um die Aufstellung und den Transport zu er-
leichtern, zumal da die Dimensionen der Schränke dieser Art, in der Regel zur Auf-
nahme der mit dem zunehmenden Luxus immer ansehnlicher werdenden Vorräte
der Leinenwäsche, ziemlich große waren. Im Gegensatz zu den oben betrachteten
rheinischen und niederdeutschen Schränken ist der Aufbau im wesentlichen archi-
tektonisch. Wie im Mittelalter läßt der oberdeutsche Schrank das Vorbild des Hauses
mit reich geschmückter Fassade durchklingen. Die Architektur der Schränke wird
dabei immer reicher. Dieser Umstand geht Hand in Hand mit dem offenbaren Be-
wußtsein, daß der Inhalt den kostbarsten oder doch gepflegtesten Teil des hausfrau-
lichen Besitzes enthält. So wird der oberdeutsche Schrank im Verlauf des 16. und
auch noch des 17. Jahrhunderts das prunkvollste und repräsentativste Möbel des
ganzen Hausrats. Es entsteht der Typus des Prunkschrankes, der dann auch außer-
halb der bürgerlichen Familie in Amtszimmern und dergleichen Orten seinen Platz
findet. Bekannt ist, daß die ganze deutsche Renaissance in ihrem späteren Ver-
laufe auch in anderen Zweigen — es sei nur auf die eigentliche Architektur, die
dekorative Plastik, die Ofenkeramik hingewiesen — einen charakteristischen, schreiner-
mäßigen Zug hat. Daß dieses üppige Wuchern der Holzarchitektur auf ihrem
eigensten Gebiet, der Möbelkunst, und ihrem damaligen vornehmsten Repräsentanten,
dem Schrank, in spitzfindig gekünstelten Ausdrucksformen noch vor Eindringen
des eigentlichen Barockos besondere Triumphe feierte, kann daher nicht überraschen.
Von^solchen erstaunlichen Schreinerkunststücken, wie sie manche Samm-
lungen aus dem Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts besitzen, hat das
Germanische Museum zwar keine Exemplar aufzuweisen, dafür beginnt die Reihe
der Entwicklung mit sehr seltenen frühen Exemplaren und läßt sich bis um die Mitte
des 17. Jahrhunderts ziemlich lückenlos an meist aus Nürnberg oder dessen Um-
gebung stammenden Stücken verfolgen.
Der schönste und zugleich auch früheste Nürnberger Renaissanceschrank
stammt aus dem Jahre 1541 (Abb. 129). Zugleich gehört er zu dem frühesten Be-
sitz des Germanischen Museums, nämlich zu der Sammlung des Begründers der
Anstalt, Freiherm H. v. Aufseß. Der spätmittelalterliche Grundtypus ist völlig
beibehalten. Zwei völlig gleiche Geschosse werden durch eine Mittelabteilung mit
zwei Schubladen getrennt ; die Gesamtheit der Behälter steht auf ziemlich hohem
Untersatz und wird von einem ebensolchen Aufsatz bekrönt. Beide Teile sind im
Gegensatz zu den meist durchbrochenen gotischen Untersätzen und Galerien ge-
Mitteilttngtn am dem gtnnan. Nationalfflosemn. 1907 15
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114 DIE HOLZMÖBEL DES GERBCANISCHEN MUSEUMS.
schlössen gehalten. Die Übertragung der Renaissanceformen auf den gotischen
Kern ist in vollkommener Weise gelöst. Die ungemein sichere Behandlung aller
Verhältnisse, die vollkommene Beherrschung aller Zierformen, wie der Profilierung
im neuen Stil, die vornehme und phantasievolle Zeichnung der geschnitzten Fül-
lungen und der umrahmenden Teile verraten den Entwurf eines hervorragenden
Künstlers, dem auch die saubere Ausführung entspricht. Es lag in Berücksichtigung
Abb. 129. Nürnberger doppeltgeschouiger Schrank um 1540.
dieser Umstände nahe, an Peter Flettner zu denken, doch dürfte bei der gegen-
wärtigen Sucht, jede nur irgendwie bedeutende Leistung der deutschen Frührenais-
sance mit diesem Namen in Beziehung zu bringen, einige Vorsicht geboten sein. Die
Dekoration schwelgt förmlich in den neuen von Italien herübergekommenen Formen.
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VON DR. HANS STEGMANN.
115
Man beachte den klassizistischen Zug, der dieser frühesten Zeit deutscher Renais-
sance eignet, in der Verwendung von Zahnschnitten, Eierstäben und Blattkränzen,
dann von dorischen Triglyphen und Metopen mit Stierköpfen. Im geschnitzten
Relief wiegen aus Vasen aufsteigende Pflanzenkompositionen vor. Aber auch die
ganz quattrozentistischen gekreuzten Wappenschilder, die Behandlung des Blatt-
werks in der spätrömischen Formengebung verrät genaue Kenntnis der italienischen
Abb. 130. Nürnberger Renaissanceschrank; Mitte des 16. Jahrh.
Kunst. Der Kern des Schrankes ist nach oberdeutscher Sitte in weichem Holz aus-
geführt. Die Schnitzereien sind in Eichenholz, die noch gotisch breitflächigen Rahmen
der Türen mit hellerem Eschenholz foumiert. Mit Recht hat A. v. Essen wein, der
diesen und den folgenden Schrank in den Mitteilungen des Germanischen Museums
Bd. I S. 238 ff. Tafel XVI beschrieb und abbildete, auch auf die seltene Stilein-
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116 DIB HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
heitlichkeit sogar in den ausnahmsweise in reiner Renaissance ausgeführten Be-
schlägen — nur die Schlüsselbleche und Zuggriffe liegen auf der Außenseite — hin-
gewiesen.
Die Höhe des Schrankes beträgt 2,35, die Breite 1,75, die Tiefe 0,58 m. Die
Jahreszahl der Entstehung (1541) ist auf einem Täfelchen im Mittelpilaster des
oberen Stockwerkes angebracht.
Sehr ähnlich ist diesem ein weiterer Schrank (Abb. 130). Man könnte fast
glauben, er sei in derselben Werkstatt entstanden, nur daß die feine künstlerische
Empfindung doch etwas geringer ist. Der Aufbau gleicht dem vorigen vollkommen.
Einfacher ist er nur darin, daß eine Vertikalteilung der Schrankgeschosse nicht mehr
stattfindet. An Stelle des trennenden Pilasters mit Füllungen ist eine einfache Tür-
schlagleiste mit Querpfeifen und Rauten getreten. Auch die Füllungen der Türen mit
einer architektonischen, nicht ganz organischen Bogenstellung harmonieren nicht
ganz mit dem reichen Kandelaber und Blattfüllungen der umrahmenden und trennen-
den Teile, die wieder von trefflichem Entwurf sind. Ein noch antikisierenderes Ge-
präge erhält der Schrank durch das Aufsetzen eines flachen tempelartigen Giebels
mit geschnitzter Giebelfüllung. Aber z. B. die ganz schreinermäßige Behandlung des
Hauptgesimses verrät das Fehlen eines einheitlichen künstlerischen Entwurfes, ebenso
wie die Türfüllungen. Es ist offenbar alles aus zweiter Hand. Der Schrank ist wie
sein vorherbeschriebener Genosse, als dessen wenig jüngerer Bruder er wohl ange-
sprochen werden kann. Nürnberger Ursprungs und wurde vor etwa vierzig Jahren
von dem bekannten Erforscher der deutschen Renaissance Professor A. Ortwein bei
einem kleinen Antiquar gefunden und von Essenwein für den für heutige Verhältnisse
fast lächeriich geringen Preis von 80 Gulden s. W. für das Museum erworben. Er
ist 2,6 m hoch, 1,75 m breit und 0,60 m tief.
Der dritte Schrank dieser Art ist nach seiner künstlerischen Wirkung der
geringwertigste. Als Ausgangspunkt einer neuen nun anbrechenden Entwicklung aber
ist er wichtig. Er besteht aus zwei gleichen Stockwerken mit je zwei annähernd
quadratischen Türen, deren Rahmenwerk wie bei den vorangehenden in Gehrung
geschnitten ist (Eschenholzfoumier), während die hochrechteckigen Füllungen in
in Eichenholz geschnitzt eine über einem architektonischen Sockel sich aufbauende
Blattwerkfüllung in breiten krautartigen Formen zeigen. Der niedrige nicht über
den gesamten Schrankaufbau heraustretende Sockel enthält, durch ein kleines ge-
schnitztes Mittelstück getrennt, zwei einfache Schubladen. Die Türen, nur durch
eine verhältnismäßig einfache Schlagleiste getrennt, werden in beiden Geschossen
von verhältnismäßig breiten pfeilerförmigen Feldern begrenzt, vor denen dünne,
nicht gerade schön gebildete toskanische Säulen auf vor dem Unterbau herausge-
kröpften Sockeln stehen. Das schwere, den Schrank abschließende Gebälk ruht,
vor die Fläche der Vorderseite vorgezogen, auf diesen Säulen. Das Gebälk mit ge-
schnitztem Fries (abwechselnd schlecht gebildete, flaschenförmige Vasen mit Blät-
tern und eine Blattwerkkomposition) ist durch einen geschweiften Aufsatz (Vasein
der Mitte mit addosiertem, in Laubwerk auslaufendem Delphinenpaar) abgeschlossen.
Der Vorsprung des Aufsatzes zeigt in der Untersicht gedrechselte Scheiben. Als
oberer Aufsatz dient ein geschweift ausgesägtes Brett.
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VON DR HANS STEGMANN.
117
Der Schrank, geschickt im Entwurf, zeigt den ersten Versuch, den doppelgeschos-
sigen Schrank durch eine einzige Säulenordnung — wir haben hier sozusagen den
Vater aller der vielen nachfolgenden Säulenschränke vor uns — zu einem eingeschos-
sigen zusammenzufassen. Deswegen ist auch die Trennung der beiden Geschosse
mit Weglassung des üblichen Zwischengeschosses durch ein paar nichtssagende
Gliederungen sehr schwach hervorgehoben. Die Maße des Schrankes sind: Höhe
2,36, Breite 2,11, Tiefe 0,8 m.
Abb. 131. Hälfte eines doppelgeschossigen Renaissanceschrankes um 1600.
Das ansehnlichste Stück der zweigeschossigen Schränke des Museums gehört
schon dem Beginn des 17. Jahrhunderts an.. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts
hatte aber in Nürnberg den Möbelgeschmack völlig geändert. Die geleimte Arbeit,
vielfache Kehlungen, Kröpfungen, Fournierung in den verschiedenen Hölzern, ein
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118 DIB HOLZMOBBL des germanischen MUSEUMS.
Überreichtum von Auflagen mit der Laubsäge hergestellter Ornamente und von
architektonischen Gliederungen waren an die Stelle der einfacheren , noch mehr Relief-
schnitzereien bevorzugenden Art getreten. Wie lEssenwein in einer kurzen Beschrei-
bung dieses größten Renaissanceschrankes unserer Sammlungen (Mitt. d. G.M. Bd. I,
S. 265) richtig bemerkt, beeinflußte die wachsende Wohlhabenheit des Bürgerstandes
die Vermehrung der Haushaltungsvbrräte und damit den Umfang der Schränke.
Die Täfelung ganzer Wände und Zimmer, hinter denen die Schränke massenhaft an-
gebracht wurden, führte ebenfalls dazu, auf Fluren und Hallen wahre Riesenexemplare
freistehender Schränke aufzustellen. Aus einem alten jetzt abgebrochenen Patrizier-
hause am Hauptmarkt zu Nürnberg, erst im Besitz der Volckamer, dann der Forster,
stammt unser Exemplar, dessen Höhe 2,58, Länge 3,40 und Tiefe 0,8 Meter beträgt.
Die Abbildung 131 bringt die Hälfte desselben nebst der vorderen Profilierung zur
Anschauung. Man könnte den Schrank, der allerdings vom Alter sehr gebräunt, aber
ohne irgend welche andere Überarbeitung geblieben ist, wohl auch richtig als Doppel-
schrank bezeichnen. Der Aufbau der Schrankfassade ist streng architektonisch.
Fünf Säulen gliedern jedes Stockwerk. Als Sockel dient ein auf dem Boden auf-
ruhendes Postament, das ebenso wie die Friese der beiden Stockwerksimse mit aus-
gesägtem Ornament bedeckt ist. Schubladen sind keine vorhanden. Die Schrank-
türen sind zweiflügelig, die in der Mitte jeder Schrankabteilung liegende Säule dient
als Schlagleiste, eine im 17. und 18. Jahrhundert häufige, aber nicht gerade stilgerechte
und bequeme Einrichtung. Die Säulen stehen auf hohen Sockeln vor einer flachen,
entsprechend in Felder geteilten Wand. Charakteristisch für viele Schränke ist, daß
der hier kannelierte Säulenschaft vor einer runden Scheibe steht. Zwischen den
Säulen in der Wand je eine reich umrahmte Muschelnische; diejenigen des Ober-
geschosses mit kräftig vorspringenden Konsolen etwas reicher als die unteren. Die
großen, geblauten und teilweise vergoldeten Bänder liegen innen. Der ganze Schrank
ist ohne überreich zu sein, ein sehr gutes Beispiel geschmackvoller Nürnberger
Schreinerkunst. Der Aufbau ist wie üblich aus weichem Holz, die aufgeleimten
Profile aus Eichenholz, die Einlagen aus verschiedenen helleren und dunkleren
Hölzern zusammengesetzt.
Noch tiefer ins 17. Jahrhundert dürfte nach seiner schon etwas weniger feinen
Formenbehandlung ein doppelgeschossiger Schrank gehören, der die Unabhängig-
keit der beiden Schrankgeschosse von einander aufs Deutlichste dokumentiert (Abb.
132). Der Oberteil des Schrankes ist auf den untern auf dessen Deckplatte inner-
halb einer umlaufenden Leiste lose aufgesetzt. Wie die Abbildung zeigt, ist die
Breite von Unter- und Oberteil völlig verschieden, das Untergeschoß hat zwei, das
Obergeschoß nur eine Tür. Im übrigen gehört diese Schrankkombination zu den
sogenannten Säulenschränken, hat keinen besonderen Sockel, sondern nur ein vor-
springendes Brett auf flachen Kugelfüßen. Die toskanischen Säulen, deren glatte
Schäfte teilweise mit ausgesägten Ornamenten bedeckt sind, stehen auf Konsolen, eine
Anordnung, die sich in Oberdeutschland besonders in Franken und Schwaben in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einbürgerte. Der in verschiedenfarbigen, meist
helleren Hölzern eingelegte Schrank zeigt innerhalb der Säulenordnung das beliebte
Rahmen- und Füllwerk. Die herausgekröpften Ohren, das Fräsen der Leisten, die
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VON DR. HANS STEGMANN.
119
mageren Profilierungen und die schon etwas verwilderten, ausgesägten Ornamente
verweisen das ebenfalls aus Nürnberg stammende Stück mindestens in die Mitte
des 17. Jahrhunderts. Der Schrank ist 1,98 m hoch, 2,52 m breit und 0,6 m tief.
Abb. 132. Doppeigeschossiger Renaissanceschrank. 2. Hälfte des 17. Jahrh.
Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts verschwindet allmählich die symme-
trische doppelgeschossige Anordnung. Bequemlichkeitsrücksichten mochten die eine
Veranlassung davon sein. Bei einem größeren einheitlichen Schrankkasten gewann
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120 DIE HOLZMOBEL des germanischen MUSEUMS.
naturgemäß die Übersichtlichkeit des Inhalts. Aber auch künstlerische Momente
taten das ihrige. Die Schrankfassade wurde bei weitem einheitlicher bei der be-
liebten Verwendung der antiken Säulenordnung, wenn sie in einer, statt bisher
in zwei Ordnungen zusammengefaßt wurde. Der in diesem Falle stark in die Er-
scheinung tretende Sockel gab wiederum willkommene Gelegenheit zur Anbringung
der mehr und mehr beliebten Schubladen.
Abb. 133. Nürnberger Pilasterschrank. 2. Hälfte des 17. Jahrh.
Das zeitlich früheste Exemplar dieser Gattung im Museum ist gleichzeitig das
schönste, geradezu ein Meisterwerk der Intarsierung (Taf. XXII). Auf einem auf dem
Boden aufruhenden dreiteiligen Sockel mit drei nebeneinander liegenden Schubladen
erhebt sich der zweiflügelige Schrankkasten. Die Gliederung bilden drei flache, kanne-
lierte Pilaster toskanischer Ordnung auf hohen Sockeln. Zwischen den Pilastem ist
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VON DR. HANS STEGMANN.
121
je eine Rundbogennische angeordnet über einem unteren Feld mit Rahmen- und
Füllwerk. Alle Flächen sind mit reicher Intarsienarbeit geschmückt. Am reichsten
das obere halbrunde Türfeld, das eine hervorragend gezeichnete, aufsteigende Kompo-
sition enthält. Diese ist im Gegensatz zu den übrigen nur zweifarbigen Intarsien im
reichsten Farbenschmuck gehalten. Der ganze Schrank wirkt freudig und reich;
bedauerlich ist, daß der obere Aufsatz nicht mehr der ursprüngliche ist, sondern
eine spätere farblose und auch in der Profilierung nüchterne Ergänzung. Die Maße
des jedenfalls kurz nach 1600 entstandenen Möbels sind 2,4 m Höhe, 2,24 m Breite,
0,82 m Tiefe.
Abb. 134. Nürnberger Säuienschrank. 2. Hälfte des 17. Jahrh.
Im genannten Aufbau dem vorgenannten ähnlich ist ein weiterer Schrank dieser
Art (Abb. 133; beschrieben und abgebildet von Essenwein, Mittig. d. G. M., 1891,
S. 80). Nur daß die Zeit der Entstehung wenigstens fünfzig Jahre später fällt.
Das drückt sich nicht nur in der Umwandlung der Stilformen, sondern auch in dem
ärmlicheren Charakter nach dem dreißigjährigen Kriege aus; man möchte für Werke
vor und nach diesem Deutschlands künstlerische Kultur so schwer treffenden Kampf
Mitteilungen aus dem gorman. Nationalm useum. 1907. IG
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122 DIE HOLZMÖBEL DES GERMANISCHEN MUSEUMS.
das freudige Rokoko und die Biedermeierzeit zum Vergleich heranziehen. Die Prove-
nienz auch dieses Möbels ist nürnbergisch. Drei Pilaster, von denen der mittlere auch
hier als Schlagleiste der Doppeltüre verwendet ist, bilden die Fassadengliederung des
Schrankkastens. Die Türflügel sind in zwei Felder geteilt, ein niedrigeres unteres und
ein höheres oberes in Rahmen und Füllwerk, die mit den für den Barockstil charakteri-
stischen „Ohren" versehen sind. Der Unterbau des eigentlichen Schrankkastens ist etwas
stärker betont. Er enthält in zwei Geschossen vier Schubladen. Der ganze Schrank
steht auf Kugelfüßen, den oberen Abschluß über den Türen und Pilastem bildet ein
etwas kümmerlich ausgefallenes Gesims. Für die etwas ärmliche Art der Form ent-
schädigt die reiche dekorative Behandlung einigermaßen. Die Intarsierung in meist
hellen und braunen Hölzern (Eiche, Esche und Nußbaum) in guter, wenn auch etwas
schematischer Zeichnung wird unterstützt durch reichliche Verwendung ausgesägten
und aufgelegten Ornaments in recht hübsch gezeichneten Mustern. Der Schrank
ist 2,25 m hoch, 1,94 m breit und 0,75 m tief.
Für die Bewertung von Altertümern ist die Notiz Essenweins interessant,
daß der heute als ein recht gutes Museumsstück zu betrachtende Schrank
1863 vom damaligen I. Direktor des Museums, Dr. Michelsen, auf dem Trödel-
markt in Nürnberg, der freilich manchen Kapitalstücken in- und ausländischer
Sammlungen früher zeitweise Unterkunft bot, als Bureaumöbel erstanden wurde.
Die Eignung dazu hatte er, da er bis auf die geringste Einzelheit tadellos er-
halten war.
Etwas früher, wohl um die Mitte des 17. Jahrhunderts dürfte der letzte Schrank
dieser Reihe (Abb. 134) sein, der den überaus häufigen oberdeutschen Typus des
eingeschossigen Säulenschrankes in einer etwas späteren Fassung vor Augen führt.
Er gehört zu den reich, aber nur in zwei Farben, hell und dunkel, intarsierten
Schränken. Zugleich aber ist auch die Wirkung des lebhaft und kräftig g^liederten
Schreinerwerkes eine bessere als beim vorhergehenden Stück. Der Sockel, wieder
auf flachen Kugelfüßen ruhend, und einfach eingelegt, hat nur eine mittlere Schub-
lade. Den Schrankkasten zieren an der Vorderseite drei Ringsäulen toskanischer
Ordnung mit vasenförmigen Basen auf hohen Sockeln. Die Doppeltüre, für welche
die mittlere Säule wieder als Schlagleiste dient, hat beiderseitig zwei gekröpfte
Felder, das obere höherund mit Giebelarchitektur. Die inneren, intarsierten Füllungen
zeigen Ornamentranken. Außen an dem Rahmenwerk findet sich wieder ausgesägtes
Ornament. Solches ziert auch die zwei langen, schmalen Füllungen des oberen Auf-
satzes, der der Architektur der Schrankvorderseite sich anschließt. Wie sämtliche
vorgenannten ist auch dieser Schrank in weichem Holz gearbeitet; die Profile sind
in Eiche, die Intarsien in Ahorn, Linde und Esche gehalten. Sehr hübsch sind die
türklopferartig ausgebildeten Griffe. Die Türbänder liegen, teilweise geblaut und
mit eingehauenen Ornament versehen, innen. Die Höhe beträgt 2,22, die Breite 1,9
und die Tiefe 0,78 Meter.
Von oberdeutschen Schränken der Spätrenaissance wäre schließlich noch ein
sogenannter Ulmer „Fußnetschrank" zu erwähnen. Es ist dies eine niedrige, auch
in Augsburg und Nürnberg vorkommende Art von Kasten, der am Fußende des
Bettes Aufstellung fand und dessen Höhe natürlich nicht übersteigen durfte. Unser
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VON DR. HANS STEGMANN. 123
Exemplar besteht aus einem Schrank mit zweiflügeliger Türe, der ohne beson-
deren Sockel und Aufsatz gearbeitet ist. Er ruht auf Kugelfüßen. Die Vorder-
seite ist durch drei dünne, auf kleinen Konsolen stehende gewellte Säulen
gegliedert. Die Türflügel sind in Füll- und Rahmenwerk mit einfacher, einge-
legter und ausgesägter Arbeit geschmückt. Die Höhe ist 1,14, die Breite 1,41, die
Tiefe 0,58 Meter.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Der deutsche Volks- und Stamniescharakter im Lichte der Vergangenheit. Reise- und Kultur-
bilder von Georg Grupp. Stuttgart. Verlegt bei Strecker & Schröder. 1906
205 S. S^.
„Die Schwaben reisen sehr gerne, und wie der Deutsche überhaupt, so schwankt der Schwabe
zwischen dem Drang in die Feme und der Heimatliebe.'' Der diesen durch die Erfahrung be-
gründeten und im Volksmunde längst gefestigten Satz niederschrieb, hat auch keine Ausnahme
von der Regel sein wollen: Selbst ein Sohn der schwäbischen Erde hat er nicht allzufeDi von den
schwarz-roten Grenzpfählen, noch auf gut schwäbischem Boden, in dem stillen Mjjhingen als
Bibliothekar des Fürsten v. öttingen- Wallerstein eine Stätte befriedigendster Wirksamkeit ge-
funden. Allein aus dem weltentlegenen schwäbischen Schlosse, aus dem Bereich seiner kostbaren
Bücher- und Altertumssammlungen zog es den Verfasser doch zeitweise wieder hinaus ins Leben des
Tages, in die „grüne Wirklichkeit" und nach Scheffels Rezept hat auch er „je zuweilen seine
Bücherei abgeschlossen, bestrebt, seine Gedanken wandernd und schauend auszudenken*'.
Für den Verfasser gibt es mit Recht keine Frage, daß für den ernsthaften Erforscher der
Kulturgeschichte die schriftliche Überlieferung der Ergänzung durch lebendige Anschauung des
Gewordenen nicht entbehren darf. Grupp hat nicht nur den größten Teil Deutschlands und
Österreichs im Geiste Riehls sich selbst entdeckt, sondern auch weitere Reisen nach Italien und
Frankreich, England und Holland, selbst nach Skandinavien und Rußland unternommen. Aus
Reiseeindrücken, die teilweise schon ehedem zu Zeitschriftenbeiträgen und Vorträgen sich ver-
dichtet hatten, reifte der Gedanke zu diesem Buch, das nun auch das schon Veröffentlichte in
gänzlich erneutem Gewände und um das Doppelte vermehrt vorträgt.
Die aufgenommenen Arbeiten bemühen sich um die Lösung der alten Aufgabe, das Deutsch-
tum und die einzelnen deutschen Stämme in ihrer Sonderart zu erfassen und Vorzüge und Schatten-
seiten gleichsam abzuwägen.
Die Schwierigkeiten, die der Durchführung einer reinlichen Scheidung nach ethnographischen
Gesichtspunkten sich entgegenstellen, sind Grupp klar vor Augen. Es selbst stellt wiederholt
mit Bedauern fest, daß die Unterschiede zwischen den Stämmen, ja selbst zwischen Rassen und
Völkern sich mehr und mehr verwischen, daß namentlich der Süden das Bewußtsein seiner Eigen-
art allmählich hintansetze und farblose Übergänge die Erkenntnis des ursprünglichen Volks-
charakters erschweren. Vielleicht daß der Verfasser hier manchmal zu schwarz sieht. Schließlich
ist auch solch ein Ausgleich — rein sachlich betrachtet — nicht immer und nicht überall ein
Unglück zu nennen!
Andererseits scheint der Umstand der Erwähnung wert, daß die wirtschaftliche und poli-
tische Vergangenheit neue, eher noch mächtigere, bestimmendere Unterschiede innerhalb der
Stammesgrenzen geschaffen hat. Dies gilt namentlich für den von Grupp fast gänzlich beiseite
geschobenen Stamm der „Franken", deren heutiger Bestand sich aus doch recht heterogenen
Gruppen zusammensetzt. Das bedächtigere, schwerfälligere Geschlecht am Obermain und das
leichtlebige Völklein in der Rheinpfalz z. B. eint schließlich nur das Band einer an sich schon ziem-
lich weitläufigen Verwandtschaft der Mundarten. So wäre es gewiß auch dem gelehrten Verfasser
schwer gefallen, hier die erwünschte allgemeine Formel zu finden.
Bedauerlich ist, daß die Gruppierung nach Stämmen, wie sie der Leser nach der Fassung
des Titels erwarten muß, im Buche selbst nicht festgehalten, ja so gut wie außer acht gelassen ist.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
125
Bei näherem Zusehen zeigt sich denn, daß unter der Überschrift „Württemberg" nur vom schwäbi-
schen Württemberg, unter „Bayern" nur vom Stamme der Bayern die Rede ist. Die fränkischen
Landesteile ^er beiden süddeutschen Königreiche (mit der Rheinpfalz) werden, wie gesagt, merk-
würdiger Weise kaum berührt.
Der Verfasser hat an einen weiteren Leserkreis gedacht, den gelehrten Apparat möglichst
in die übrigens recht lesenswerten Anmerkungen am Ende des Bandes verwiesen und ohne Zweifel
ist auch der rechte Ton getroffen. Man liest gleichwohl in einem nachdenklichen Buch, das ab
und zu schon zum Widerspruch auffordert, immer wieder aber auch zu eigener Beobachtung
und eigenem Nachprüfen anregt und zwischen hübschen Reiseerinnerungen und den Abschnitten,
die der historischen Ergründung des Landschafts- und Volkscharakters gelten, beschäftigen uns die
freimütigen Äußerungen des Autors über seine persönliche Auffassung der religiösen und poli-
tischen Fragen der Gegenwart.
Im Anhang bringt Grupp einen uns naturgemäß besonders interessierenden Abschnitt
über das Germanische Nationalmuseum, dem der Maihinger Bibliothekar seit 1891 als Pfleger
schätzbare Dienste erwiesen hat. Hier wird der mehrfachen Beziehungen des Fürstlichen Hauses
öttingen- Wallerstein und der Maihinger Sammlungen zu der Schöpfung des Freiherm von Auf-
seß gedacht und so manche persönliche Erinnerung und Begegnung in der liebenswürdig-beschei-
denen Art des Erzählers überliefert.
Friirfrich der Qrofie und der Netzedistrikt. Von Dr. Christian Meyer. Zweite
vermehrte und verbesserte Auflage. München 1906. Verlag von Max Steinebach. 118 S. 8®.
Dr. Christian Meyer, der Geschichtschreiber der Provinz Posen, zeigt hier die
hervorragende, an den verschiedensten Punkten einsetzende Kulturarbeit des großen Königs auf,
die dieser, unterstützt von tüchtigen Helfern ( Kammerpräsident v. Domhardt, Geh. Finanz-
rat v. B r e n c k e n h o f f u. a.) dem unter polnischer Verwaltung, namentlich nach der wirt-
schaftlichen Seite hin, unglaublich vernachlässigten Lande zugewendet hat. Die archivalischen
Unterlagen für diese Studie ergaben sich für den Verfasser aus den reichen Materialien des Posener
Staatsarchivs. Die interessante Folge einschlägiger Cabinets-Ordres Friedrichs d. Gr. findet sich
auf S. 67 ff. anhangsweise vollständig wiedergegeben.
Altreichsstädtische Kulturstudien von Dr. Christian Meyer, Staats- Archivar a. D.
München. Verlag von Max Steinebach. 1906. 257 S. 8®.
In einem handlichen Bande hat der Verfasser eine ansehnliche Folge seiner kleinen Ab-
handlungen zur Geschichte alter Reichsstädte auf dem Boden des rechtsrheinischen Bayern ver-
einigt. Anspruchslose Bilder aus deutscher Vergangenheit sind es, die uns hier entgegentreten.
Viel Bekanntes für den, dem die autobiographische Literatur des Mittelalters und des sechzehnten
Jahrhunderts einigermaßen vertraut ist, anderseits Anschauung und Belehrung in reicher Fülle
für die vielen, denen es nicht möglich ist, aus unmittelbaren Quellen zu schöpfen, und doch der
Wunsch rege bleibt, die Welt unserer Vorfahren nicht bloß im Rahmen des geschichtlichen Romans
zu sehen.
Dem Verfasser hat es Augsburg vor allem angetan. Dieser Stadt sind vierzehn seiner
Essays und allein vier Fünftel des Ganzen eingeräumt worden. Franken ist durch Nürnberg und
Rothenburg o. T. vertreten. Den Schluß macht eine Studie über Memmingen im Reformations-
zeitalter.
Nicht wenige Besitzer und dankbare Leser werden bedauern, daß sein Inhalt mit diesen
vier Städtel)ildem erschöpft ist und daneben die große Vergangenheit anderer ober-, mittel- und
niederdeutscher Reichsstädte so ganz leer hat ausgehen müssen. HH.
Die Zenten des Hochstifts Wtirzburg. Ein Beitrag zur Geschichte des süddeutschen
Gerichtswesens und Strafrechts. Mit Unterstützung der Savignystiftung herausgegeben von
Dr. Hermann Knapp. I. Band. Die Weistümer und Ordnungen der Würzburger Zenten.
I. und II. Abteilung. Berlin 1907- J. Guttentag. Veriagsbuchhandlung, G- m. b. H-
XII, IV, 1405 S. in 8^.
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126
UTERAKISCHE BESPRECHUNGEN.
Des Verfassers Name ist kein unbekannter auf dem Arbeitsfelde der deutschen Rechts-,
insonderheit der Strafrechtsgeschichte. Wir danken dem früheren Würzburger Privat-
dozenten, jetzigen Reichsarchivassessor in München bereits zwei vortreffliche Arbeiten über das
Nürnberger Kriminalrecht. Neuerdings nun hat er den Fachgenossen den reichen Ertrag seiner
fast lOjähngen andauernden Beschäftigung mit den entsprechenden Verhältnissen auf unterfrän.
kischem Boden vor Augen gestellt.
War Planck in seinem grundlegenden Werke über das deutsche Gerichtsverfahren im
Mittelalter (1878—79) wesentlich von niederdeutschem Quellenmaterial ausgegangen, so sucht
nun Knapp seinerseits die Grundlagen und treibenden Kräfte innerhalb des süddeutschen Straf-
rechts aufzudecken, um den Unterbau zu schaffen für eine künftige durchgreifende und möglichst
abschließende historisch- dogmatsche Verarbeitung des gewaltigen Stoffes. Nicht den leich-
testeten Teil hat der Verfasser gleich zum ersten sich herausgeholt und in Angriff genommen:
die Ergründung des Wesens und der Entwicklung der Würzburger Zenten.
Die Ergebnisse einer bewundernswerten Durchdringung dieses zumeist noch recht unan-
gebauten und doch so reizvollen Gebietes, ir das Rockingers bedeutsame Arbeiten über Lorenz
Fries locken mußten, liegen nun in zwei starken Halbbänden vor.
Da gerade im Würzburger Territorium, dessen Verfassung aufs engste mit seiner Gliede-
rung in etwa 70 Zenten und Halsgerichte verwachsen erscheint, an der Hand sorgsam erwogener
„Fragen" die „herbrachten** Rechtsbräuche mit peinlicher Sorgfalt ergründet wurden und Auf-
zeichnung fanden, so gibt uns das gesammelte und gesichtete Material den erwünschten Einblick
in das Gefüge des kriminellen Rechtslebens jener Zeiten.
Der erste Band reproduziert die OucMcn selbst, für jede Zent erst deren alte Weistümer
und Halsgerichtsformulare, dann den Kern des Ganzen, den Text des Würzburger Zentbuchs
aus der Epoche des M. L. Fries und die so bedeutsame Modifikation des großen Bischofs Julius
nach dem leider nur als Torso überlieferten Zentwerke (Beginn der Kodifikation 1576), zuletzt
die vier nachjulianischen Ordnungen. Die Anordnung des gewaltigen Stoffes, der die chrono-
logische Folge fallen läßt, um durch „Zerreißung** der Echter'schen Sammlung den Überblick
über die historische Entwicklung der einzelnen Zentverfassung und den inneren Zusammenhang
zwischen den verschieden zeitlichen Ordnungen nicht zu verlieren, sondern besser herauszu-
arbeiten, erscheint freilich zunächst nur als eine philologische Ungeheuerlichkeit, aber für den
geschichtlich und praktisch an die Sache Herantretenden war das unbedingt eine Forderung der
Notwendigkeit. Dem historischen Nacheinander wird immerhin der Überblick in der Ein-
leitung (S. 11 ff.) einigermaßen gerecht.
Es liegt in der Natur der Sache, daß Knapps Werk in erster Linie dem Rechtshistoriker,
dem sich hier eine Fundgrube allerersten Ranges erschließt, zu gute kommt, doch ist damit der
Wert der Edition in keiner Weise erschöpft. Der Herausgeber selbst hat mit Bedacht den be-
sonderen Ansprüchen der Wirtschaftshistoriker bezüglich der Textwiedergabe nach Möglichkeit
Rechnung getragen. Die jedem einzelnen Abschnitt vorausgeschickten Übersichtstabellen
bringen neben anderen willkommenen Angaben die Namen der Orte des betreffenden Zent-
bezirks, einschließlich der Wüstungen, die Feststellung der Zugehörigkeit zu diesem oder
jenem Gau, zu Würzburgischen und zu heutigen Ämtern, die kurzgefaßte Geschichte jeder
Zent, kurzum Stoff genug für weitere Forschungen (Würzburger Ämterorganisation, Bedeutung
der Leibzeichen u. s. w.), zugleich sichere Ausgangs- und Stützpunkte für orts- und provinzial-
geschichtliche Arbeiten. In dieser Hinsicht sei auf die rasch orientierende Übersicht über die
an das Hochstift angrenzenden Territorien und die innerhalb des Würzburger Landes von
geistlichen und weltlichen Herren ausgeübten Gerechtsame (1,2—10) noch besonders hingewiesen.
Auch einiger Bilderschmuck blieb dem Werke, dessen materielle Gestaltung durch die Unter-
stützung der Savignystiftung und das Verständnis eines opferfreudigen Verlegers gewährleistet
war, nicht vorenthalten. Die beigegebenen drei Farbendrucke sind nach Originalen im alten
Zentgrafen- und im Julianischen Zentbuche (dessen Titel übrigens 1, 19 zum Abdruck gelangt ist)
hergestellt.
Möge dem Verfasser bald die Zeit kommen, da er auch den darstellenden Teil seiner „Würz-
burger Zenten'* hinausgehen lassen kann. Nicht minder sehen wir der in Aussicht gestellten
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN. 127
Veröffentlichung der Ergebnisse seiner Beschäftigung mit den Denkmalen des bayerischen, in-
sonderheit Regensburgischen Rechtslebens mit Spannung entgegen. HH.
Joseph Braan S. J., Die belgisdien Jesaitenkirchen. Ergänzungshefte zu den Stimmen
aus Maria-Laach. 95- Freiburg i. B. Herdersche Verlagsbuchhandlung 1907. XII. 208 S.
Die sehr sorgfältige Arbeit Brauns ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Über-
ganges von der Gotik zur Renaissance. Die Meinung, daß die Jesuiten die eifrigsten Vor-
kämpfer des neuen Stils in den nordischen Ländern gewesen seien, ist noch immer verbreitet
und noch immer wird eine auf das Große und Ernste gerichtete Art des Barocks als Jesuiten-
stil bezeichnet. Mit diesen Anschauungen räumt Braun gründlich auf, denn was für Belgien
gilt, gilt auch für andere Länder. Es ist ausgeschlossen, daß der Orden gerade in Belgien
andere Grundsätze für seine Bauten gehabt habe als anderwärts.
Die erste Kirche des Ordens in Belgien, die Kollegskirche zu Douai (1583—1591) ist
allerdings ein Barockbau vom Grundrißtypus des Gesü, ihr Plan war aus Rom gekommen.
Als aber einheimische Ordensmitglieder die Kirchen und Kollegien entwarfen und ausführten,
schlössen sie sich den heimischen Bauformen an. Lange hielten sie an der Gotik fest und als
sie im Beginn des 17. Jahrhunderts zum Barock übergingen, folgten sie dem Zuge der Zeit,
der in der kirchlichen und profanen Architektur des Landes den Obergang zum neuen Stil
schon herbeigeführt hatte. Braun weist sogar nach, daß in vielen Jesuitenkirchen Belgiens
das struktive System unter der Hülle barocker Formen das gotische geblieben ist. Die Behand-
lung des Barocks, welche die Jesuitenkirchen zeigen, ist prinzipiell durchaus die gleiche wie
die, welche es in der profanen Architektur des damaligen Belgiens erfuhr; denn auch in ihr
war die Auffassung des Stiles kaum etwas mehr als eine bloß formale. Neben den Jesuiten-
kirchen entstanden gleichzeitig auch andere, welche den gleichen Stil haben.
Die allgemeinen Ergebnisse gewinnt Braun aus der sorgfältigen Untersuchung aller
Monumente, so daß der Leser Schritt für Schritt die Probe auf die Richtigkeit machen kann.
Bezold.
Dr. Martin von Dentinger, Beiträge znr Geschichte, Topographie nnd Statistik des
Erzbistnms Mfinchen nnd Freising. Fortgesetzt von Dr. Franz Anton Specht, Domkapitular.
X. Band. N. J. 4. Bd. München 1907. Lindauer'sche Buchhandlung (Schöpping).
Deutingers Beiträge sind von ihren Anfängen an eines der gediegensten und wichtigsten
Sammelwerke zur Geschichte des Erzbistums München- Freising, und es war ein dankenswertes
Unternehmen, daß sie nach längerer Unterbrechung unter Spechts Leitung wieder aufgenommen
und fortgesetzt wurden. Heute liegt schon der vierte Band der neuen Folge vor, der sich
den früheren würdig anschließt. Er wird eröffnet durch eine gehaltvolle Arbeit von Dr. Doli
über die Anfänge der bayerischen Domkapitel. Es wird damit für Süddeutschland ein Gebiet
urbar gemacht, das im Norden unseres Vaterlandes schon vielfach kultiviert ist. Nach einer
vortrefflichen Einleitung über die Entstehung und die rechtlichen Verhältnisse der Domkapitel
werden die Anfänge der bayerischen Domkapitel Salzburg, Freising, Regensburg, Brixen und
Passau dargestellt. Dr. Franz Xaver Zahnbrecher behandelt in einer namentlich wirtschafts-
geschichtlich interessanten Studie die Kolonisationstätigkeit des Hochstifts Freising in den
Ostalpen. Dr. Max Fastlinger untersucht in einer von guter Kritik getragenen Abhandlung
die Bedeutung der Erblichkeit der Vogtei des Freisinger Hochstifts für die Genealogie dei
Ahnherrn der Witteisbacher. Dr. Richard Hoffmann gibt eine ausführiiche Geschichte und
Beschreibung, sowie eine baugeschichtliche Analyse der ehemaligen Dbminikanerkirche St. Blasius
in Landshut. Die schöne Kirche ist einer der frühesten gotischen Backsteinbauten in Bayern;
ihr Chor gehört wahrscheinlich noch dem 13. Jahrhundert an. In ihrer gesamten Anlage ist
der Dominikanerkirche in Regensburg nahe verwandt. Von dem gleichen Verfasser erhalten
wir noch einen sehr fleißig gearbeiteten Katalog der Kunstaltertümer im erzbischöflichen
Klerikalseminar zu Freising, der auch als Separatdruck erschienen ist (Preis X 2,50). Friedrich
H. Hofmann gibt den Anfang einer Statistik der Glocken der Erzdiöcese.
So reiht sich dieser neue Band seinen Vorgängern würdig an und sei der Beachtung
aller, die sich mit bayerischer Geschichte beschäftigen, bestens empfohlen.
Bezold.
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128 LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Die Ortmamen der Fränidscheii Schweiz. Von Gymnasiallehrer Dr. Christoph Beck.
Erlangen. B. Hof- und Universitätsbuchdruckerei von J u n ge & So h n. 1907. 8. 132 S.
Zu den bewährten Ortsnamenbüchem von Gradl, Hartmann, Heilig, Miedel u. a. gesellt
sich ein neues Werkchen, das jene anmutige fränkische Landschaft zum erstenmale der wissen-
schaftlichen Namenkunde erschließt. Sein Verfasser, ein sprachenkundiger Sohn dieser in mehr-
facher Beziehung hochinteressanten Gegend, ist mit ernstem Eifer daran gegangen, das quellen-
mäßige Material für die frühere Geschichte der heimatlichen Berge und Täler, wie es ihm vor-
nehmlich das Münchener Allgemeine Reichsarchiv und das Bamberger Kreisarchiv, dann die ge-
druckten Urkundenwerke und ähnliche Sammlungen darboten, zu befragen und zu verwerten.
Der Ortsnamenkunde ist zweifellos neben dem Studium der Flurverfassung, der Dorfanlage,
des Hausbaues, neben archäologischen, folkloristischen und somatischen Untersuchungen, die
Bedeutung einer wichtigen, wenn auch wohl eher über- als unterschätzten Hilfskunde der
Siedelungsgeschichte einzuräumen. Insbesondere ist für ein Näherherankommen an die Lösung
der „Slavenfrage" und die Feststellung des Bereichs der alten „terra Slavorum** die Würdigung
der namenetymologischen Ergebnisse unerläßlich.
Die vorausgeschickten zwei Abhandlungen über die „Geschichte der Besiedelung** und
„Die Ortsnamen in ihrer Bedeutung für die Siedelungsgeschichte" dürfen jedenfalls das Lob für
sich in Anspruch nehmen, daß sie mit Bedacht an das gesammelte Material herantreten, das vor-
und umsichtige Verwendung findet, und dermaßen im wohltuenden Gegensatze stehen zu den
phantastischen Ungeheuerlichkeiten, denen man in diesen Dingen täglich begegnen kann.
Der Verfasser folgt den sehr geringen Spuren der Kelten, auf die allenfalls noch einzelne
schwererklärbare Gewässernamen hindeuten, und sucht das Völkergemenge zu entwirren, das
weiterhin, bis zum Auftreten der Franken, jene Berge und Täler berührt oder besiedelt haben
mag. Neben den fränkischen Eroberem erkennen wir den wendischen Einschlag, den das An-
sässigmachen erst eingewanderter, dann auch kriegsgefangener slavischer Elemente hereinbrachte,
und die von der Sprache festgehaltene Erinnerung an die offenbar auch in diesen Gegenden er-
folgte Verpflanzung der Sachsen. Etwas kühn erscheint die Auffassung Becks, wonach ein nord-
albingischer Stamm, der der Stürmer, dem Dorfe Tiefenstürmig seinen Namen gegeben hätte.
Auffallend groß ist die Zahl der Wüstungen des Gebiets, die in Urkunden des 13- bis 15.
Jahrhunderts häufig auftauchen. Wertvoll ist die Auseinandersetzung über die Ortsnamen in ihrer
kulturgeschichtlichen Bedeutung, bei deren Abfassung des zu früh verstorbenen Köberlin ge-
diegene Arbeit „Zur historischen Gestaltung des Landschaftsbildes um Bamberg" (1893) über-
sehen zu sein scheint Der Abschnitt „Die Ortsnamen in ihrer Überlieferung" dient speziell
philologischen Interessen, er gliedert sich in die besonders wertvolle Untersuchung über die mund-
artliche Aussprache der Namen und eine Betrachtung über deren Schreibung.
Der größere Teil des Buches tritt uns als Wörterbuch entgegen, das Name um Name in
alphabetischer Folge bringt und unter Voranstellung der jetzigen offiziellen Schreibweise, die
heutige volkstümliche Aussprache feststellt, die historische Gestaltung des Namens verfolgt und
mit einer derart kontrollierbaren Deutung jeden Artikel beschließt. Hier ist der Bescheid auf
viele wißbegierige Fragen der Besucher und Freunde der Fränkischen Schweiz. Daß überall die
letzte Antwort gegeben wird, ist natürlich ausgeschlossen und zu den Fragezeichen, die der Ver-
fasser selbst setzt, wird die Forschung noch andere bringen. Aber ein sehr bedeutendes Stück
Arbeit ist hier einmal geleistet und durch die sorgsam ermöglichte Überschau über das erreichbare
Material die Hauptsache gewonnen.
Zu den S. 63 unter „Glashütten" angezogenen St. Nikolaus- Kapellen gehörte vor allem
die dort und auch bei K nicht genannte Klaussteinkapelle bei Rabenstein. Für den, der sich für
die Patronate der Heiligen interessiert, mögen neben den genannten Kapellen zu Reifenberg und
Ebermannstadt noch die Pfarrkirchen von Pinzberg und Baiersdorf namhaft gemacht werden. —
Ob es notwendig war, den Namen der Pegnitz wiederum mit slavisch bagenc (Sumpf) zusammen-
zubringen ? Dem wirklichen Landschaftsbilde entspricht diese Erklärung doch eigentlich nicht. —
In dem gelegentlich (S. 102) erwähnten Breemberga von 805 (MGLL 1, 1, 133) ist keinesfalls eine
frühe Nennung von Nürnberg zu sehen (der Verfasser bringt mit Recht hier ein Fragezeichen an),
es handelt sich da vielmehr zweifellos um das heutige Kirchdorf Premberg, nordöstlich von Burg-
lengenfeld in der Oberpfalz, unweit der Naab.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
129
Zur Erklärung einer großen Schicht von Ortsnamen sind Personen- Namen herangezogen
worden, deren Formen wohl zuweilen erst zu erschließen, häufig genug aber gerade für unsere
Gegend belegbar waren. Den Laienetymologen verstimmen zumeist solche einfach-wahrschein-
liche Erklärungen und so werden die Slavomanen unter ihnen beispielsweise bei Poppendorf ihre
vielgeliebten „Popen" schmerzlich vermissen. Aber gerade in diesem Sichlosmachen von der
bisher beliebten vorurteilsvollen schematischen Behandlung (zu der auch die immer wieder nach-
gesprochene generelle Aufstellung der Endung -itz als eines slavischen Charakteristikums zu
rechnen), liegt der bleibende Wert des Beck*schen Buches.
Den Historiker interessiert natürlich vor allem die Stellungnahme des Sprachforschers zu
jener Hauptfrage, wie weit nach Westen man die wendischen Siedelungen und Zwangskolonien
sich vorgeschoben zu denken hat. Schon eine oberflächliche Betrachtung des Namenbestandes
lehrt, daß da und dort der Germane ( Franke, Bayer) als ein fremdes Element erscheint, der um-
liegende Bezirk also vermutlich in fremden Händen war. Umgekehrt spricht die Bezeichnung
windisch- (W.-Gailenreut, Windischendorf, heute Wünschendorf) für insulares Vorkommen wen-
discher Ansiedler. Wenn Beck auch in Windhof und Herzogwind den Wendennamen enthalten
sieht, so wird man die Möglichkeit zugeben, die Frage aber zur weiteren Diskussion stellen müssen.
Der naturgegebene Grundsatz muß lauten: Keine slavische Deutung, solange die ältesten
vorliegenden Namenformen ungezwungen eine Erklärung in unserer Sprache zulassen. Ihm folgend
gelangen wir mit Beck dazu, die von Dilettanten mit mehr Eifer wie Sachkenntnis festgehaltene
wendische Provenienz für eine stattliche Zahl von Ortsnamen abzuweisen.
Verbinden wir die äußersten Punkte im Westen des Untersuchungsgebietes (des Fluß-
gebietes der Wiesent), deren Namen nach Beck für kürzere oder längere Anwesenheit der Slaven
sprechen, so kommen wir auf folgende, in merkwürdig weitem Abstand vom Regnitzgrund ver-
laufende Linie: Treunitz (nordwestlich von Hollfeld), Leiberös, Tiefen- und Hohen- Pölz, Teuchatz,
Traindorf, Draisendorf, Kolmreut (zwischen Kirchehrenbach und Pretzfeld), Birkenreut ( ?), Train-
meuseU Moggast, Windischgailenreut, Nemsgor-Leimersberg, Herzogwind. Die Angabe der Süd-
grenze, die von Herzogwind über Graisch, Trägweis (? vgl. Beck 132), Kühlenfels, Körbeldorf
auf Nemschenreut südlich von Pegnitz zu laufen würde, hat solange nur problematischen Wert, als
das Pegnitzflußgebiet (die Hersbrucker Gegend) noch außerhalb des Forschungsbereichs steht.
Alles in allem, tritt die Zahl der mehr oder weniger sicheren wendischen bezw. an die Wenden
gemahnenden Bezeichnungen doch auffallend zurück gegen das ungeheuer überwiegende ger-
manische Namengut. Freilich wird man gut tun, sich der Grenzen der Beweiskraft des sprachlichen
Materials, das eben nur einen Teil der frühgeschichtlichen Geschehnisse überliefert oder, besser,
durchblicken läßt, zu erinnern und beileibe keine abschließende Antwort auf die Frage nach der
Verteilung der beiden Rassen zu erwarten. Auch Becks fleißige Arbeit wird nur aufs neue die
Erkenntnis festigen, daß hier einzig und allein ein Zusammenarbeiten der verschiedenen beteiligten
Wissenszweige zu endgültigen Resultaten führen wird. H H.
Die Trauts, Studien und Beiträge zur Geschichte der Nürnberger Malerei. Von Chri-
stian Rauch. Heft 79 der Studien zur deutschen Kunstgeschichte. Straßburg, J.
H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1907. VIII u. 114 S. mit 31 Tafeln.
Der Verfasser beabsichtigte uranfänglich, nur die Ergebnisse seiner Forschungen über
den Dürer- Schüler Wolf Traut an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch hatte er eben bei dieser
Arbeit so viel Material auch über den Vater Hanns Traut gewonnen, daß er glaubte, mit diesem
ebenfalls nicht zurückhalten zu dürfen. So liefert er uns einerseits einen Beitrag zur Geschichte
der Werkstatt Wolgemuts, andererseits einen solchen zur Schule Dürers.
Bei beiden Meistern stellt er das Urkundliche und Biographische voran, um sich alsdann
mit den ihnen zuzuschreibenden Werken in chronologischer Aufeinanderfolge zu beschäftigen.
Hanas Traut begegnet urkundlich zum ersten Mal 1477- Er dürfte demnach etwa
ums Jahr 1453 geboren sein. In den Rechnungsbüchem des Klosters Heilsbronn wird er Hanns
Speyer von Nürnberg, Hanns von Speyer und Johannes de Spira genannt. Er war also von
Speyer eingewandert. Rauch tritt der Annahme Gümbels, der auf Grund urkundlicher Nach-
richten an zwei Künstler des Namens „Hanns Traut" denken zu müssen glaubt, entgegen. In
der entsprechenden Anmerkung dazu erörtert er in vorsichtiger Weise, wie etwa zu kombinieren
Mitteilungen au» dem gorman. Nationalniusonni. 1907 17
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130 LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
wäre, wenn sich die Hypothese Gümbels, die mir allerdings nicht hinreichend begründet er-
scheint, durch Auffindung weiterer Belege dennoch bewahrheiten sollte. Ob sich für diesen
Fall die a priori von Rauch vorgenommene Teilung der jetzt seinem Hanns Traut zugeschrie-
benen Werke halten lassen wird, müssen wir der Zukunft überlassen. Einstweilen kommen wir
ganz gut mit einem Hanns Traut aus. Rauch bringt alsdann teils bekannte, teils unbekannte
archivalische Belege für eine Tätigkeit des Hanns Traut für das Kloster Heilsbronn, für Fried-
rich den Weisen und für den Eichstätter Bürger Diebold Zeller. Der Meister starb 1516. Der
Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Wandmalereien im Kreuzgang des Augustinerklosters
zwar mit dem Abbruch desselben zu Grunde gegangen sind, daß sich aber noch Kopien da-
nach, allerdings etwas fragwürdiger Natur, in der bei uns aufbewahrten Kupferstichsammlung
der Stadt Nürnberg befinden, worauf vielleicht in Kürze hätte eingegangen werden können.
Siehe darüber Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1906, S. 155 u. f.
In seiner Betrachtung der Werke Hanns Trauts geht Rauch von der einzig beglaubigten
Handzeichnung desselben, dem Sebastian in Erlangen, aus. Er sieht in dieser eine Vorstudie
zu der entsprechenden Darstellung auf dem Peringsdörfferschen Altar aus der Augustinerkirche
im Germanischen Museum. Bekanntlich sagt Neudörfer in seinem Abschnitt über Wolgemut:
„sein Gemäld aber ist die Tafel in der Augustiner Kirche gegen die Schustergasse, welches der
Peringsdorffer hat machen lassen". Weiterfußend auf den Einzelheiten in der Verwandtschaft,
kommt Rauch zu dem Schluß, daß Hanns Traut derjenige war. der unter Wolgemuts Leitung
die Hauptarbeit am Peringsdörfferschen Altar ausführte. Seine diesbezüglichen Darlegungen
überschreiten den Rahmen bloßer Hypothesen, ohne daß aber damit gesagt sein soll, daß seine
Schlüsse direkt zwingend sind. Es ist ein wenig gewagt, von einer Zeichnung auf ein
solch gewaltiges Altarwerk unmittelbar zu schließen. Rauch führt dann weitere Werke an, in
denen er die Hand Trauts erkennen zu dürfen glaubt. Hier bewegt er sich auf posi-
tiverem Boden, nur tut er in diesem Zusammenhang dem kleinen Führer durch die Lorenz-
kirche m. E. zu viel Ehre an. Hanns Traut zuzuweisen sind Rauch zufolge Teile des Katha-
rinenaltares in S. Lorenz, die Gemälde des Rochusaltares ebendort. die Geburt der Maria im
bayerischen Nationalmuseum zu München, das Schutzmantelbild in Schleißheim, der Drei-
königsaltar in Heilsbronn (doch wäre hier ein „vielleicht" nicht ganz unangebracht), zwei fälsch-
lich dem Schwarz von Rothenburg zugeschriebene Bilder der Bamberger Galerie (Apostelteilung
und die Madonna mit sieben Heiligen), das für einen am 20. Juli 1504 verstorbenen Johannes
Löffelholz gemalte Tafelbild der heiligen Sippe in S. Lorenz und vielleicht auch das Bild der
Kreuzauffindung im Germanischen Museum. Stammt der Rochusaltar in S. Lorenz von Hanns
Traut, dann könnten auch wohl die Altarflügel von Neunkirchen am Brand möglicherweise von
ihm herrühren, die ich auf der historischen Ausstellung 1906 in Nürnberg zur Darbietung ge-
bracht habe. Siehe den Katalog derselben Nr. 60 und 61. Zu berichtigen ist, daß das kleine
Porträt des Conrad Imhof mit der Jahreszahl 1486 in der Rochuskapelle nicht von Wolgemut
herrührt, sondern eine spätere Kopie nach demjenigen auf dem Altärchen im Nationalmuseum
zu München ist.
Reich war also die Ausbeute, welche Hanns Traut bot, nicht. Zudem läßt sich hier,
wie ich zu Anfang andeutete, nicht immer mit voller Sicherheit operieren. So ganz festgefügt
ist darum das Gebäude, das sich Rauch auf Grund gewissenhafter Erwägungen konstruiert,
nicht. Immerhin sind wir durch seine Untersuchungen um ein gut Stück weitergekommen.
Dankenswerter war und ist die Beschäftigung mit Wolf Traut. Dieser wurde um
1478 geboren und starb im Jahre 1520. Er war zunächst als Gehilfe seines Vaters, dann in
der Werkstatt Dürers als Geselle tätig. Eine seiner letzten Arbeiten in Dürers Werkstatt war
die Vorzeichnung zu einem Glasgemälde für Sebald Schreyer vom Jahre 1505 in Schwäbisch-
Gmünd. Die früheste Spur der Betätigung Trauts in Dürers Werkstatt findet Rauch in dem
1 502 herausgegebenen Werk des Conrad Celtes ..quatuor libri amorum". Als das früheste Malerei-
werk des Künstlers betrachtet er die Gemälde eines Flügelaltars in der Karlsruher Galerie, die
er gemeinsam mit Hans von Kulmbach (um 1505) herstellte. Auch diese denkt er sich noch
in Dürers Werkstatt entstanden. Rauch stellt den Anteil beider Künstler an ihnen im einzelnen
fest. Auch der Holzschnitt der Stigmatisation des Franziskus von Assisi ist nach seinem Dafür-
halten in Dürers Werkstatt und zwar unter Dürers Augen, unter seinem Vorbild und seiner
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UTERABISCHE BESPRECHUNGEN.
131
Korrektur entstanden. Der Übergang aus Dürers Werkstatt zu selbständiger Tätigkeit bezeichnet,
wie an einer Reihe von Belegen dargetan wird, ein Sinken in der Qualität der Leistungen Trauts.
Eine Ausnahme bilden die Illustrationen zur Bambergischen Halsgerichtsordnung. Im 5. Ab-
schnitt werden weitere für des Künstlers Art und Entwicklung charakteristische Holzschnitte
aufgeführt. Von einer vollständigen Aufzählung der mehr handwerklichen Arbeiten wird abgesehen.
Im Jahre 1510 schuf Traut eine Passionsfolge, die unter seinen Werken einen relativ hohen Rang
einnimmt. Die Originalität ist eine verhältnismäßig große. Daran schloß sich im folgenden
Jahr der imposante Hochaltar der Johanniskirche, der durch die Vielseitigkeit seiner Darstel-
lungen weitgehende Schlüsse auf die künstlerischen Fähigkeiten Trauts erlaubt. Die Landschaft
ist zuweilen stimmungsvoll, der Kolorismus oft recht wirksam, die Komposition meist klar.
Auch die vier Flügelbilder des nördlichen Seitenaltares in S. Johannis mit der vermeintlich
echten Altdorfer- Kreuzigung im Mittelteil weist Rauch dem Wolf Traut zu, und dürfte damit
wohl auch Recht haben. Die Geburtsdarstellung des Johannisaltares gibt Rauch Veranlassung,
Traut ein großes Holzschnittblatt mit Geburt, Passionsdarstellungen u. a. m. zuzuteilen. Als
zweites Hauptwerk des Meisters hat dann die Folge der Holzschnittillustrationen (51 BU.) zu
dem 1512 von Hölzel gedruckten Buche Bonaventuras „die Legende des heiligen Vaters Fran-
zisci** zu gelten. Ungefähr mit dem Jahre 1512 beginnt eine regere Betätigung Trauts in der
Malerei. Etwa dieser Zeit dürften die beiden Bilder des Johannes und der Barbara im Germa-
nischen Museum angehören. Einen wesentlichen teil seiner Wirksamkeit in diesem Zeitraum
beanspnichen die Arbeiten für das Kloster Heilsbronn (Ursulaaltar 1513). Ganz ruhte in dieser
Epoche auch seine Tätigkeit für die Holzschnittillustration nicht. Was aber jetzt entstand,
steht künstlerisch höher als das zuvor zutage geförderte. Eingehend beschäftigt sich Rauch
alsdann mit dem Artelshofer Altar vom Jahre 1514 im bayerischen Nationalmuseum in München.
Interessant ist der den Fortschritt zeigende Vergleich der Hauptdarstellung mit dem Löffelholz-
bilde von Hanns Traut in S. Lorenz. Traut erhebt sich hier zu einer Höhe, der er nicht oft
wieder nahegekommen ist. Was das Londoner Bild der Kranzbinderin betrifft, so hat es stets
etwas mißliches an sich, lediglich auf Grund einer Photographie ein Urteil zu fällen. Ich möchte
lieber die Akten über dieses Bild noch ungeschlossen lassen. Das gefälschte Dürer-Monogramm
könnte auch an einen der bekannten Kopisten (Jörg Gärtner, Hans Hof mann) denken lassen.
In das Jahr 1514 (ällt auch eine tüchtige graphische Arbeit, der Titelholzschnitt für das 1514
von Gutknecht gedruckte Passauer Missale, der innerhalb des Werkes Trauts von erfreulich
reicher und charakteristischer Wirkung ist. Bei dem Heilsbronner Jungfrauenaltar, dem Artels-
hofener Altar und dem Titelholzschnitt zum Passauer Missale liegt Dürers Einfluß klar zutage.
Ihren direkten Ausdruck findet diese Zugehörigkeit Trauts zum Dürerkreis in seiner Beteiligung
an der unter des Meisters Leitung hergestellten Ehrenpforte Maximilians. Von ihm rühren die
Zeichnungen zu 12 Schnitten her. Zwischen 1516 und I5l8 arbeitet Traut an den Bildern des
Heilsbronner Mauritiusaltares, die für seine Art sehr bezeichnend sind. In engem Zusammen-
hang mit diesem steht das Katharinenaltärchen in Bamberg. In die gleiche Zeit fällt die Taufe
Christi im Jordan im Germanischen Museum, wie Stegmann nachgewiesen hat, das Hauptbild
eines Altares aus Heilsbronn, an dem Traut in den Jahren 1516—1517 arbeitete. Auch zur
Illustrierung des Teuerdank wurde Traut herangezogen. Es rühren die Zeichnungen zu drei
Blättern von ihm her. Das künstlerisch hochstehendste Blatt In Trauts Holzschnittwerk ist
nach Rauchs Ansicht der Abschied Christi von seiner Mutter (1516). Im allgemeinen gab Dürer
(Marienleben) die Anregung. Die Einzelheiten aber sind durchaus frei und Trautisch ausgearbeitet.
Ein weiteres größeres Werk von Traut aus dieser Zeit ist die Malerei des Peter- Pauls- Altares in
Heilsbronn, der allerdings durch eine spätere Restauration stark gelitten hat Entschieden
stimme ich Rauch zu, wenn er auch das Porträt des Abtes Bamberger, das er erst als
solches erkannt hat, Wolf Traut zuschreibt. Es zeigt, abgesehen von den übermalten Teilen,
des Künstlers bezeichnende Art. Höher noch als dieses steht das monogrammierte Porträt aus
Freiherrlich von Behaimschem Besitz, das ich auf der historischen Ausstellung 1906 gebracht
hatte. Als Trautisch bekannt war bereits der Holzschnitt Augustin und das Kind. Er gehört
dem Jahre 1518 an. Die Zeichnung ist sicher und kräftig. Die Bäume sind gut charakterisiert.
In die letzten Lebensjahre des Künstlers fällt seine Tätigkeit für die Illustrierung des Halleschen
HeÜigtumbuches, über welcher Arbeit ihn der Tod ereilte.
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132
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Resümieren wir kurz, so liegt vor uns eine fleißige, ungemein folgerichtig aufgebaute und
verdienstvolle Arbeit, voll guter Beobachtungen und neuer Anregungen. Sie verzichtet auf eine
rhetorisch ausgeschmückte Sprache und beschränkt sich darauf, mehr in knapper, inventarisa-
torischer Art. aber bei entsprechender Begründung, die Forschungsresultate des Verfassers zu-
sammenzufassen. Dr. Fritz Traugott Schulz.
Franz Zell, Volkstiimnche Bauweise in der Au bei München. — Altmiinchener Tanzplätze.
75 Aufnahmen mit Vorwort. Verlag von Heinrich Keller in Frankfurt a. M.
Wer München vor fünfzig, ja noch vor vierzig Jahren gekannt hat, weiß, daß um die
stille Großstadt herum eine sehr kleinbürgerliche, zum Teil halb bäuerliche Bevölkerung gewohnt
hat, die in beschränkten Verhältnissen mit Behagen dahinlebte. Ihre kleinen Häuser reichten
bis unmittelbar an die großen Hauptstraßen heran; mit wenigen Schritten gelangte man von der
Maximilianstraße in die Stemgasse, die voll war von malerischen Holzhäusern, im Süden der
Stadt war es ebenso und nördlich hat der lange Türkengraben dem Umbau bis vor einigen Jahren
Stand gehalten, eine kleine Insel solcher Häuschen war auch die Grube in Haidhausen. Heute
ist das Meiste verschwunden, nur in der Au haben sich diese altmünchener Häuschen noch in
größerer Zahl erhalten. Ihre künstlerische Bedeutung liegt auf der malerischen Seite und ist
auch nach ihr nicht groß, aber sie haben doch ihre bescheidenen Reize und sind individuell ge-
staltet. Vor allem aber sind sie frei von künstlerischer Absichtlichkeit an unrechter Stelle.
Auch ihre Tage werden gezählt sein, so war es ein gutes und dankenswertes Unternehmen,
daß Franz Zell, dem wir schon so manchen Beitrag zur Kenntnis altbayerischer Volkskunst ver-
danken, eine Auswahl solcher Bauwerke in photographischen Aufnahmen herausgegeben hat.
Die Beispiele sind gut gewählt, von richtigen Standpunkten aus aufgenommen und in guten
Autotypien wiedergegeben.
Als Anhang sind einige Tanzplätze und andere Vergnügungsorte beigegeben.
B e z o 1 d.
F. Baltzer, Regierungs- und Baurat, Das Japanische Haus, eine bautechnische Studie. Mit japa-
nischem Titelbild, ISO Textabbildungen und 9 Tafeln in Folio. Sonderdruck aus Zeit-
schrift für Bauwesen. Berlin 1903. Verlag von Wilhelm Ernst &Sohn.
F. Baltzer, Regierungs- und Baurat, Die Architektur der Kultbauten Japans. Mit 329 Ab-
bildungen im Text. Berlin 1907. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn.
Der Verfasser, welcher lange Zeit in Japan als Ingenieur tätig war, gibt in diesen beiden
Werken einen Ueberblick über die japanische Baukunst, aus dem wir sie sowohl nach ihrer tech-
nischen, als nach ihrer ästhetischen Seite kennen lernen. Er beschränkt sich auf Beschreibung
und Abbildung der verschiedenen Gebäudegattungen und verzichtet auf historische und archäo-
logische Ausführungen. Seine Arbeiten sind deshalb als reine Quellenpublikationen, die nur
Tatsächliches bieten, besonders wertvoll.
Das japanische Haus ist stets nur für eine Familie bestimmt, es ist reiner Holzbau und
macht einen unscheinbaren Eindruck. Der Typus ist trotz vielfacher Unterschiede in der Zahl
und Anordnung der Räume ein ziemlich gleichförmiger. Im Grunde ist das Haus ein von Pfosten
getragenes Schutzdach. Die inneren Wände sind beweglich und können herausgenommen werden,
so daß aus mehreren kleinen ein größerer* Raum geschaffen werden kann. Aber auch die Außen-
wände sind nur zum Teil fest, große Schiebetüren und Schiebefenster gestatten eine weitgehende
Öffnung der Wände. Das Haus bietet mehr Schutz gegen Feuchtigkeit und Hitze als gegen Kälte.
Bei äußerst sorgfältiger Ausführung ist die Holzkonstruktion des Hauses nicht sehr rationell;
das für die Stabilität so wichtige Prinzip der Dreiecksverbindungen ist nicht ausgebildet, es wird
viel mehr Material verwendet, als konstruktiv notwendig ist und oft sind die Hölzer an stark
beanspruchten Stellen geschwächt.
Als Material für die Dachdeckung kommen Holz, Rinde, Stroh und Ziegel in Verwendung.
Die Rahmen für die Zwischenwände werden mit Papier bespannt, das oft mit schönen Malereien
geziert ist. Der Fußboden besteht aus Brettern, welche mit Matten aus Reisstroh oder Binsen
belegt werden. Die Matten haben eine Fläche von 3 : 6 Fuß und weil sie den ganzen Boden
/.u bedecken, haben geben sie die Flächeneinheit, nach der die Größe der Räume bemessen wird.
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luerawschk Besprechungen. 1 33
Für die Verteilung der Räume ist die innere» der Straße abgewandte Seite des Hauses
die bevorzugte, die Wohnräume liegen nach dem Garten. Aus dem im ganzen rechteckigen
Grundriß treten verschiedene Anbauten vor. Symmetrie wird nicht angestrebt. Bei großer
Einfachheit des Aufbaues erhält nur das Dach eine etwas reichere, gefällige Ausstattung.
In dem zweiten Werk, das die Architektur der Kultbauten behandelt, ist das im ersten
über die Konstruktion Gesagte nicht wiederholt, dagegen wird es durch einen ausführlichen Ab-
schnitt über die architektonischen Elemente und Zierformen eingeleitet Dann werden die ver-
schiedenen Gebäude, welche in den Tempelanlagen vereinigt sind, besprochen. Die beiden
Religionen der Japaner, der Shintoisraus und der Buddhismus, haben verschiedene Tempelformen.
Der shintoistische Tempel ist eine einschiffige Zelle mit umlaufender Veranda, der buddhistische
eine dreischiff ige Halle mit erhöhtem Mittelschiff, das aber in zwei Geschoße geteilt ist Der
Shintotempel ist die alte heimische Tempelform, der Buddhatempel ist mit der buddhistischen
Religion von China eingeführt worden, hat aber in Japan eine selbständige Weiterbildung er-
fahren und auch auf die Shintoarchitektur eingewirkt. Der Entwicklungsgang der japanischen
Tempelarchitektur läßt sich ziemlich sicher verfolgen. Es zeigt sich nämlich die sehr eigentüm-
liche Erscheinung, daß die Tempel, welchen infolge ihres Baumaterials eine lange Dauer nicht
beschieden ist, in verhältnismäßig kurzen Zwischenräumen ganz in ihrer früheren Form erneuert
werden. Der Unterschied der verschiedenen Bauweisen kommt hauptsächlich in der Anlage
und Form der Dächer zum Ausdruck. Drei Hauptepochen lassen sich unterscheiden. Die erste
geht von den vorgeschichtlichen Zeiten bis etwa 780 nach Christo, die zweite bis 1500, die dritte
bis 1868. Von da an kommt Japan unter den Einfluß der europäischen Kultur und Kunst.
Innerhalb der Gruppen sind wieder verschiedene Stilarten zu unterscheiden. In der Besprechung
dieser Stilarten tritt nun doch die historische Anordnung in Geltung. Es folgen noch drei weitere
Kapitel über die No-Bühne, über die mehrgeschossigen Turmbauten und über die Schatztürme.
Beide Werke sind durch ein reiches Material an zeichnerischen und photographischen Auf-
nahmen illustriert. Wir gewinnen durch sie einen klaren Einblick in ein Gebiet der Kunst-
geschichte, das uns bisher nahezu fremd war.
Die Baukunst der Japaner ist nicht Architektur im höchsten Sinne, die Dimensionen und
das Material schließen die Monumentalität aus; nicht die Raumgestaltung, nicht die Konstruktion
stehen im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens, sondern die dekorative Ausgestaltung. Noch
eines: die Bauformen, welche sich am Holzbau entwickelt haben, werden ohne Rücksicht auf
die Bedingungen der Baustoffe auch angewandt, wenn ausnahmsweise in anderem Material ge-
baut wird. Nimmt man diese Einschränkungen hin, so bleibt noch genug des künstlerisch bedeut-
samen. Die Wahrnehmung, daß die japanische Kunst auf einer Entwicklungsstufe beharrt,
welche die europäische längst hinter sich hat daß sie aber die auf ihrer Stufe gegebenen Mög-
lichkeiten in selbständiger, höchst eigenmächtiger Weise zu höchster Vollendung steigert, machen
wir auch in der Baukunst Die japanischen Bauten machen in der energischen Profilierung ihres
Umrisses und in dem reichen Wechsel von Licht und Schatten einen bedeutenden malerischen
Eindruck und erfreuen durch die vollendete, geschmackvolle Ausführung der einzelnen Formen.
B e z o 1 d.
Meyers groBes Konversatlons- Lexikon. Sechste gänzlich neubearbeitete und vermehrte
Auflage. Bd. XII — XVIL Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut
1905—1907. Lex 8®.
Herders Konversatlons- Lexikon. Dritte Auflage. Freiburg im Breisgau. Herder*sche
Veriagshandlung. 1902— 1907. Lex. 8®. (8 Bände).
Die Bände I— XI der neuen Auflage von Meyers Konversations- Lexikon sind bereits
früher an dieser Stelle Besprechungen unterzogen worden. Die inzwischen neu erschienenen
Bände zeigen sowohl was den Text als auch was die reichlich beigegebenen Abbildungen betrifft,
die gleichen Vorzüge. Bei der Umgestaltung und Erweiterung, die insbesondere der Text erfahren
hat macht sich das sehr berechtigte Bestreben geltend, Worterklärungen, namentlich wenn es sich
um Fachausdrücke handelt hinter den Sacherklärungen, wie sie unsere Zeit des sich fortgesetzt
steigernden Weltverkehrs von Jahr zu Jahr in immer größerer Zahl fordert, zurücktreten zu
lassen. So sind auch manche exotische Ortsnamen und sonstige speziellere geographische Be-
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134 LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Zeichnungen in Wegfall gekommen, während z. B. Artikel über Japan und seine Kultur der
seit dem russisch-japanischen Kriege so mächtig gewachsenen Bedeutung des Landes und
Volkes entsprechend außerordentlich an Umfang zugenommen haben, zum (nicht geringen Teil
überhaupt, wie auch so mancher Abschnitt über die Erfindungen und Entdeckungen der
jüngsten Vergangenheit, neu hinzugekommen sind. Ein solcher Versuch, das allgemein Wissens-
werte vom rein fachlichen Wissen Jkräftiger und klarer abzuheben, für dieses gewissermaßen
stillschweigends auf die verschiedenen Fachlexika zu verweisen, kann bei einem „Nachschlage-
werk des allgemeinen (nicht des gesamten!) Wissens", wie gesagt, nur mit Anerkennung be-
grüßt werden. Würde doch ohne solche weise Beschränkung die Gefahr nahe liegen, den Stoff
ms Ungemessene, Unübersehbare anschwellen zu lassen.
Wesentlich die gleichen Gebiete, wie die Umgestaltungen des Textes, betreffen auch die
Wandlungen die mit dem Abbildungsmaterial in der neuen Auflage vorgenommen wurden.
Dabei ist es erstaunlich, aus einem Vergleich der beiden Auflagen zu ersehen, wie tiefgreifend
auch hier die Veränderungen sind. So zähle ich in dem beliebig herausgegriffenen halben
Bande von „Russisches Reich (Geschichte)" bis „Schönebeck" an Tafeln in der alten (S)
Auflage 57. in der neuen (6.) Auflage 79, von denen nur 22 — zumeist Landkarten — genau
die gleichen geblieben sind ; 12 Tafeln (Länder des Gelben Meeres und der südlichen Mand-
schurei" zum Artikel: Russisch -japanischer Krieg, „Sägemaschinen", „Körperteile der Säuge-
tiere", „Schädel des Menschen", „Schlacht- und Viehhöfe", „Schokoladenfabrikation" u. s. w.)
sind in der 6. Auflage völlig neu hinzugekommen. 3 dagegen („Salanganen", „Salzkammer-
gut", „Sanitätskorps") fortgefallen, die übrigen wesentlichen Verbesserungen, die zum größten
Teil natürlich gleichfalls nur durch den Ersatz alter Tafeln durch neue möglich waren, unter-
zogen worden. Schon dieser Vergleich zeigt deutlich, daß die 6. Auflage von Meyers großem
Konversations- Lexikon sich mit größtem Fug und Recht eine „gänzlich neubearbeitete und
vermehrte Auflage" nennen kann.
Gleichzeitig mit dem 17. Bande des Meyerschen Lexikons ist der 8. Band der dritten
Auflage von „Herders Konversationslexikon" zur Ausgabe gelangt, und damit hat ein
Werk seinen Abschluß gefunden, das bereits anläßlich der früheren Auflagen — die erste erschien
1854—57 in 5 nicht allzu stuken Bänden — - als ein Meisterwerk der Präzision anerkannt
worden ist. Dieser Ruhmestitel vor allem muß auch der neuen Auflage wiederum zuerkannt
werden; und da die Gedrungenheit, die sich wesentlich auf Form und Ausdruck der einzelnen
Artikel bezieht, mit einer außerordentlichen Reichhaltigkeit des Inhalts und, soweit Stich-
proben ein Urteil zulassen, mit einer ungemeinen Zuverlässigkeit und Gründlichkeit auch in
der Benutzung der neuesten Literatur Hand in Hand geht, so darf man wohl sagen, daß nur
schwer ein Buch gefunden werden wird, in dem bei gleichem Umfange eine gleiche Fülle
gediegenen Wissens vereinigt und zu bequemer Aneignung bereitet ist. Als em Beispiel für
die Reichhaltigkeit des Buches mag hier nur bemerkt sein, daß, wie es bei einem Werke des
Herderschen Verlages nicht anders zu erwarten, der katholischen Kultur und ihren Erschei-
nungen ein reges Interesse und weitgehende Beachtung geschenkt wird, während wir in unseren
übrigen großen Konversationslexika diese Kultur meist gegenüber der nichtkatholischen ver-
nachlässigt finden; man vergl. z. B. die Artikel: Franz Renz, Ryan, Joh. Frdr. Schannat,
Anton von Scholz etc. etc. Daß dagegen im Herderschen Konversationslexikon sich etwa eine
ähnlicher Mangel an Beachtung hinsichtlich der Hervorbringungen der nichtkatholischen Kultur
geltend mache, dafür habe ich bei daraufhin vorgenommenen Stichproben kemerlei Anhalts-
punkte gefunden. Erwähnen wir noch, daß auch durch eine vortreffliche Bezeichnung der Aus-
sprache und Betonung fremder Namen und Worte dem Bildungsbedürfnis und der Wißbegierde
weitester Kreise Rechnung getragen ist und daß die Vermittlung der Kenntnis aller wichtigeren
Sachen durch ein ausgezeichnetes Abbildungsmaterial unterstützt wird, so ist der Wunsch wohl
berechtigt, daß auch das handliche Herdersche Lexikon sich fortgesetzt zunehmender Beliebtheit
und einer immer weiteren Verbreitung zu erfreuen haben möchte. Kann es doch in gewissem
Sinne, wie angedeutet, geradezu als eine Art Ergänzung der wichtigsten anderen deutschen
Konversationslexika betrachtet werden Th. H.
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Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1907
der
Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum.
Seite
Die fränkischen Epitaphien im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Von Dr. Edwin
Redslob. Mit 5 Tafeln 3, 53
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Von Gustav von Bezold. Mit 13 Tafeln . 31» 77
Silbervergoldetes Monile. Von Dr. Edwin Redslob. Mit 1 Tafel 90
Ein Bildnis Georg Philipp Harsdörfers von Georg Strauch. Von Dr. Fritz Traugott
Schulz. Mit 2 Tafeln " 96
Die Holzmöbel des Germanischen Museums. X. Von Dr. Hans Stegmann. Mit 1 Tafel. 102
Literarische Besprechungen .45,124
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Tat. I.
Epitaph der Familie Pömer an St. Sebald zu Nürnberg.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. 11.
Epitaph vom Jahre 1422 an der Moritzkapelle zu Nürnberg.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. III.
Epitaph für Walburg Prfinsterin (gest. 1434) im germanischen Nationalmusenm.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. IV.
Epitaph des Bischofs Wilhelm von Reichenan im Dom zu Eichstätt.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. V.
Der Pappenheimer Altar im Dom zu Eichstätt.
(Photogr. Ostermayr. Eichstätt.)
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Mitteilungen aiis dem german. Nationalmnseum. 1907.
Taf. VIII.
Valerianus,
Postumus.
Quintillus.
Aurelianus.
Tacitus.
Probus.
Diocletian.
Diocletian.
Maximianus.
Constantius Chlorus.
Galerius.
Maximinus.
Helena.
Constantin d. G
Constantin II.
Btltrlgt zar Geschichte des Bildnisses. Tafel III.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907.
Taf. IX.
Magnentius.
Gratian. Gratian.
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Anastasi US.
Theoderich. Athalarich.
Justinian
Arcadius.
•
•
Gunthamund. Thrasamund.
Theodahat.
Constantin Pogonatos.
Phokas.
Leon XI.
Constantin X.
Liuva ( ?).
Recared.
Egica.
Langobarde. Arrigis.
Grimoald. Sighard.
Unbekannte Merowinger.
Siegebert III. Ludwig d. Fromme.
Beitrage zar Geschichte des Bildnisses. Tafel IV.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum, ij 1907-
Taf. X.
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Mitteilungen aus dem gernian. Nationalmuseuni. 1907.
Taf. XI.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XII.
Heinrich
Siegfried von Mainz
Egbert von Meißen.
Friedrich I.
Konrad III.
Friedrich I.
Friedrich II.
Philipp.
Friedrich II.
König Heinrich.
Richard von Cornwallis.
Rudolf von Habsburg.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel VII.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XIII.
Ludwig der Fromme.
Ludwig der Deutsche.
Karlmann.
Karl der Dicke.
Karl der Dicke.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel VIII
Arnulf.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XIV.
Ludwig das Kind. Konrad I.
... . , , Heinrich I.
Heinrich I.
Otto III.
Otto I.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel IX.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XV.
Konrad II.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel X.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XVI.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1Q07. Taf. XVII.
Friedrich I.
Friedrich II.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel XII.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XVII.
Friedrich I.
Friedrich II.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel XII.
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Mitteilungen aus dem gerinan. Nationalmuseum. 1907. Taf. XVIII.
König Heinrich (VII.).
Richard von Cornwallis.
Beiträge zur Geschichte des Bildnisses. Tafel XIII.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XIX.
SHbervergoldetes Monile. (K. G. 817.)
Kölner Arbeit vom Anfang des siebzehnten Jahrhunderts.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XX.
Bildnis Georg Philipp Harsdörfers von Georg Strauch v. J. 1651.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1907. Taf. XXI.
Bildnis Georg Philipp Harsdörfers. Kupferstich von Andr. Khol
nach Georg Strauch.
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Mitteilungen
AUS DEM
Germanischen Nationalmuseum
HERAUSGEGEBEN
VOM Direktorium.
JAHRGANG 1908.
MIX ABBILDUNOEN.
NÜRNBERG
VERLAGSEIGENTUM DES GERHANISCHEN MUSEUMS
1908.
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HANS TRAUT UND DER PERINGSDORFFER-ALTAR.
VON DR. EDWIN RED$LOB.
(Mit 1 Tafel.)
In dem einleitenden Abschnitt seines Werkes „Die T r a u t s" (erschienen 1907
als Heft 79 der Studien zur Deutschen Kunstgeschichte) hat Christian
Rauch den Zeitgenossen Wolgemuts Hans Traut behandelt.
Nach einer Zusammenstellung des über den älteren Traut vorhandenen ur-
kundlichen und biographischen Materiales versucht Rauch, ein Bild von der künst-
lerischen Tätigkeit des Meisters zu geben. Als Grundlage hierzu dient ihm die
einzig beglaubigte malerische Arbeit Trauts, eine im Besitze der E r 1 a n g e r
Universitätsbibliothek befindliche, etwa 55:30 cm messende kolorierte Federzeich-
nung. Das Blatt stellt den Heiligen Sebastian dar; es trägt von Dürers Hand
die Bezeichnung: „Dz hatt hans trawt zu Nommirchkg gemacht". Das Wasser-
zeichen des benutzten Papieres (Ochsenkopf, ähnlich wie Nr. 44 869 in Briquet:
Les Filigranes T. IV. 1907) erscheint nach Briquets Forschungen auf meist vene-
zianischen Urkunden der siebziger und achtziger Jahre des fünfzehnten Jahr-
hunderts. (Taf. I u. Abb. 1.)
Durch V i s c h e r ist die Zeichnung in die kunstgeschichtliche Literatur ein-
geführt. Er schreibt (Studien, 1886, S. 335): „Die Manier ihres Vortrages hält so
ziemlich die Mitte zwischen Schongauer und Michel Wolgemut, kommt jedoch
diesem um einen Grad näher als jenem und kann nicht eben außergewöhnlich ge-
nannt werden." Ihre Ähnlichkeit mit dem Sebastian auf dem Peringsdörff er -Altar
des Germanischen Museums (Nr. 117 des neuen Gemäldekatalogs) wurde
am eingehendsten von Thode (Die Malerschule von Nürnberg, 1891, S. 179—181)
behandelt. Doch hebt Thode zugleich die deutlichen Unterschiede zwischen den
beiden Sebastiangestalten hervor. Die Zeichnung macht auf ihn einen „zierlicheren
Gesamteindruck, der besonders durch die hübsche, kürzere und geradere Nase und
den feinen Mund bedingt wird". Auf Grund dieser Verschiedenheit des künst-
lerischen Geistes und Geschmackes sieht er sich gezwungen, die Zeichnung als
eine Kopie hinzustellen; er nimmt an, daß es sich um eine Studie handelt, „zu
der Hans Traut jenen Sebastian auf dem Altarwerk sich als Vorbild genommen".
Gegen diese „Degradierung" zu einer Nachzeichnung wendet sich Rauch (S. 19).
Nach ihm zeugt „jeder Feder- und Pinselstrich auf beiden Bildern von demselben
künstlerischen Temperament und Empfinden". Die Freiheit und Sicherheit der
Zeichnung habe nichts von dem unselbstständigen Tasten einer Kopie an sich; beide
seien von ein und demselben Meister und die Zeichnung sei höchstwahrscheinlich
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HANS TRAUT UND DER PERINGSDÖRFFER-ALTAR.
eine Vorstudie zu dem Gemälde. Daraus zieht Rauch den Schluß, der Perings-
dörffer-Altar sei von Hans Traut gemalt.
Daß Vischer und Thode im Gegensatz zu Rauch bei ihrer Wertung des Er-
langer Sebastian ein sicheres Empfinden leitete, wird ersichtlich, sobald man erkennt,
daß die Zeichnung allerdings ein Vorbild hat, und dadurch einen gesicherten
Beurteilungspunkt für ihr Verhältnis zum Peringsdörffer-Altar gewinnt.
Hans Traut hat in annähernd vierfacher Vergrößerung nach MartinSchon-
g a u e r s großem Sebastian (B. 59) gearbeitet. Die Veränderungen, die er vornahm,
sind leicht erkennbar: der rechte Arm ist bei der Zeichnung gesenkt, dement-
sprechend ist der Kopf mehr zur Seite geneigt. Der Körper ist nicht so weit
zur rechten Seite gebogen, das Lendentuch ist statt an der rechten Hüfte an der
linken verknotet, und hier flattert auch sein abstehender Zipfel. Individuell ver-
ändert ist der Kopf: er ist rund, fleischig und weich, die Augenlider sind ein wenig
geöffnet, die Linien von den Brauen zum Nasenrücken sind auf beiden Seiten
durchgeführt. Hierin wie in der weichen und etwas flauen Fleischbehandlung
kommt die Verschiedenheit des künstlerischen Temperamentes deutlich zum
Ausdruck.
Vergleicht man Stich und Zeichnung, so wird man für die Zeichnung als
Deutung geben müssen, daß es sich wahrscheinlich um den unter Benutzung des
Schongauerischen Blattes hergestellten Entwurf zu einer Holzfigur handelt, der ur-
sprünglich durchaus nicht als Vorstudie zu der Altartafel gedacht war.
Der Stich ist melirfach zu Nachbildungen benutzt worden. Nach dem Text
zuAmand-Durands Publikation (Oeuvre de Martin Schongauer, 1881)
haben ihn Wenzel von Olmütz und Israel von Meckenem kopiert;
im Gegensinne erscheint er bei dem Monogrammisten 3. 1.; auch zeigt
ein kleines Bild der Königl. Gemäldegalerie zu Wien (Nr. 1491) die Schon-
gauerische Gestalt. Der unter Schongauers Namen gehende, gegenseitig dargestellte
kleine Sebastian (B. 49) scheint mir nur eine Kopie nach dem großen Stich zu sein.
Die Übernahme von Entwürfen des Kupferstiches war bei Malern und Pla-
stikern durchaus gebräuchlich. Alfred Schmid hat im fünfzehnten Bande des
Repertoriums (1892, S. 19) eine ganze Reihe von Beispielen angeführt, die W. Josephi
im Jahrgang 1903 unserer Mitteilungen durch Belege aus der Skulpturensamm-
lung des Germanischen Museums und des Münchener National-Museums erweitert
hat. Die Einwirkung Schongauerischer Arbeiten auf Nürnberger Skulpturen hat
E. V. Keyserling in der Beilage 29 der Allgemeinen Zeitung 1899 behandelt.*)
Alle Veränderungen, die Hans Traut bei seiner Kopie vornahm, erklären sich
auf das einfachste aus dem Verlangen, sein Vorbild für eine Holzskulptur umzu-
arbeiten. Abgesehen von dem achteckigen, profilierten Postament läßt sich dies
in der gesamten Durchbildung erkennen. Für eine Skulptur mußte die starke
Neigung des Körpergewichtes auf eine Seite gemildert werden; da Traut aber dennoch
den scharfen Winkel beibehielt, der durch das vorgestellte rechte Bein an der Hüfte
1) Auf Schongauer gehen auch zwei Köpfe zurück, deren feine Form Dörnhöffer an
die Arbeitsart des jungen Dürer zu denken zwingt: der Kopf der Maria von der Verkün-
digung und von der Anbetung des Hersbrucker Altares. (Vgl. Repertorium XXIX, S. 455 t)-
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VON DR. EDWIN REDSLOB.
entstand, bog er den rechten Arm herunter und gewann somit eine gerade Abschluß-
linie. Richtig ließ er den Kopf nun haltlos sinken, aber er vergaß, die linke Hand
entsprechend zu ändern. Beim Schongauerischen Stich erklärt sich ihre er-
hobene Haltung, denn sie wird durch den rechten Arm gestützt; bei der Trauti-
schen Zeichnung ist sie unbegründet. Da die Hand zu alledem noch übermäßig
groß ausgefallen ist, muß dieser Fehler besonders störend wirken. A 1 b r e c h t
Dürer in der im Städelschen Institut zu Frankfurt aufbewahrten Vorzeichnung
zum Ober- St. Veiter Altar und Hans Lautensack auf einer Zeichnung im
Kupferstichkabinett des Germanischen Museums, die beide den Heiligen mit hoch-
gebundenem linken Arm und gesenktem rechten dargestellt haben, lassen die
linke Hand richtig herabhängen.
Ersichtlich wird Trauts Befangenheit jeder Veränderung gegenüber auch bei
Betrachtung des Astes, den er zur Befestigung des rechten Armes an den Stamm
angeflickt hat; ein Baum, der ganz deutlich in Manneshöhe sich zur Krone ver-
zweigt, kann unmöglich so nahe der Wurzel einen derartig kräftigen Ast abgeben.
Gegenüber dem rechten Knie des Heiligen ist eine andere Unrichtigkeit zu er-
kennen: hier war ursprünglich die für Schongauer charakteristische Windung des
ausbiegenden Stammes vorgezeichnet, doch ist die Umrißlinie bei der Kolorierung
glatter geworden, wodurch der Stamm den Eindruck organischer Kraft eingebüßt hat.
Zwei weitere wichtige Änderungen endlich, das Weglassen der Zweige und
der Pfeile, deuten am überzeugendsten darauf hin, daß die Zeichnung als Entwurf
für eine Holzskulptur gearbeitet wurde. Wir wissen, daß Hans Traut Aufträge
für Schnitzereien angenommen hat, und in dem Heilsbronner Abtei-
gebäude ist eine zum mindesten von ihm entworfene Balkendecke erhalten.
(Nach Rauch S. 6 1494 in den Rechnungseinträgen erwähnt.) Die ornamentierten
Balken tragen an den Enden Wappenbilder, der mittlere Balken ist reicher verziert
und zeigt im Zentrum die Madonna, am einen Ende den Kaiser, am anderen
Johannes den Täufer. Diese Johannesfigur läßt sich am ehesten mit der
Sebastianzeichnung vergleichen. Ihre zierlichen, weichen Formen erwecken einen
ähnlichen Eindruck wie die Zeichnung: sympathisch und angenehm, wirken sie
dennoch bei genauer Betrachtung der Einzelheiten etwas flau.
Ein deutliches Bild der Kunst Hans Trauts können wir auf Grund dieser zwei
beglaubigten Arbeiten nicht gewinnen. Die Fresken, die er in Heilsbronn (1488
bis 1495) gemalt hat, sind nicht mehr nachzuweisen; die von Rauch (S. 6) ge-
nannten Reste der Hauskapelle des Abtes: Figuren unter Baldachinen, mit plastisch
aus Kreidemasse gearbeiteten Köpfen und Nimben, entstammen bereits dem An-
fang des fünfzehnten Jahrhunderts.
Rauch hat dennoch versucht, mit Hilfe der einen Zeichnung das malerische
Schaffen Trauts zu rekonstruieren, indem er annimmt, daß von ihrem Meister der
im Germanischen Museum aufbewahrte Peringsdörffer-Altar herrührt.
Hier begegnen wir nämlich der Kopie nach dem Schongauerischen Stich in einer
erneuten Umbildung. Die Hauptänderung, welche die Zeichnung dem Stich
gegenüber aufweist, ist übernommen: der heruntergelegte rechte Arm mit seiner
ausdruckslosen Hand. Aber er ist höher angebunden, so daß die unnatürliche Form
des Trautischen Baumstammes verbessert werden konnte. Die unrichtige Haltung
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HANS TRAUT UND DER PERINQSDÖRFFER- ALTAR.
des linken Armes ist nicht beibehalten: er ist nach außen gelegt, die Hand
hängt müde und kraftlos herunter. Dieser Ausdruck des Erschöpften herrscht
in der ganzen Figur: die schweren Augenlider sind fast niedergefallen, der Kopf
liegt eingeknickt auf der rechten Schulter: der Gemarterte ist zu ermattet, als
daß er seinen Schmerz mit Leidenschaft äußern könnte. Also ein großer Abstand
von dem Erlanger Sebastian, dessen nette, etwas glatte Erscheinung den Ge-
danken an sein Martyrium gar nicht aufkommen läßt! Deutlich wird diese Ver-
schiedenheit auch bei Betrachtung der Kopfformen: der Heilige des Altares hat
einen langen Schädel, die großen Augen liegen unter hochgewölbten Knochen-
Abb. 1. Kopf der Sebastianzeichnufig von Hans Traut in Erlangen.
bogen, die Nase ist lang und schmal, das Kinn tritt scharf und knochig hervor, die
Kinnladen sind hart und kantig.
Derartig selbständige Änderungen dem Vorbild gegenüber zeigen eine
Stärke der Persönlichkeit, die der Benutzer des Stiches vermissen läßt. Es
scheint mir deshalb ausgeschlossen, mit Rauch in Zeichnung und Gemälde die-
selbe Hand zu erkennen; ich glaube, das Verhältnis, in dem beide Meister zu
ihrem jedesmaligen Vorbild stehen, zeigt hinlänglich die verschiedene Begabung
zweier Individualitäten.
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VON DR. EDWIN REDSLOB.
Immerhin bleibt die Beziehung des Erlanger Blattes zum Peringsdörffer-Altar
interessant für die Erkenntnis des Nürnberger Werkstattbetriebes zur Zeit der Wol-
gemutischen Unternehmungen, Der Peringsdörffer-Altar stellte der jungen Schule,
die für ausgesprochene Charakterköpfe schon über eine reiche, anstandslos von allen
Malern gleichzeitig verwendete Typenreihe verfügte, die schwere Aufgabe, den
undurchgebildeten Zügen junger Heiligengestalten charakteristische Unterschiede
abzugewinnen. Man kann auf allen Tafeln des Altares erkennen, wie schwer
man sich gemüht hat, dieser Anforderung zu genügen. Um so leichter verständlich
wird uns daher, daß einer der Mitarbeiter für die noch weniger gewohnte Dar-
stellung eines nackten Körpers Hans Trauts Vergrößerung des Schongauerischen
Stiches zu Hilfe nahm.
Abb. 2. Mittelgmppe des Wandgemäldes im Ostcfaor von St. Sebald zu N&mberg.
(Vergröfterung nach einer Aufnahme vor der Restauration.)
In einer anderen Tafel (Nr. 127 des neuen Gemäldekatalogfe), die mit drei
weiteren Darstellungen der Veitslegende (Nr. 128 unseres Kataloges und zwei Tafeln
in der Lorenzkirche) vermutlich zum Peringsdörffer-Altar gehört hat, will neuerdings
Albrecht Weber (Repertorium 1908, Heft 1) Albrecht Dürers Selbst-
porträt erkennen. Allerdings zeigt die in Frage kommende Hintergrundfigur
Züge, die an Dürer denken lassen könnten. Doch die Deutung, daß man dem
sechzehnjährigen Lehrbuben erlaubt habe, sein Bildnis in die Tafel eines älteren
hineinzumalen, scheint recht gezwungen, zumal eine der zugehörigen Tafeln in
St. Lorenz von ihrem Meister mit R. F. und dem Jahre 1487 signiert ist. Eher
wird anzunehmen sein, daß der mit dem Bilde beauftragte Meister R. F. seinen
Werkstattgenossen Modell stehen ließ, um sich so über die Schwierigkeit der
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8 HANS TRAUT UND DER PERINGSDÖRFFKR-ALTAR
Erfindung eines neuen jugendlichen Kopfes hinwegzuhelfen. Der Stab, den die
betreffende Gestalt in der Hand hält, ist übrigens keineswegs als Malstock zu
deuten: er ist das übliche Abzeichen des Pagen oder überhaupt bloß das Stöckchen
des jungen Stutzers, wie es auch die Hintergrundgestalt der Sebastiantafel (siehe
unsere Abbildung) in der Hand hält. Andere Beispiele ließen sich in ziemlicher
Zahl aus Tafelbildern und Miniaturen anführen; ich nenne nur die Knappen-
gestalt auf der Gefängnisszene des Rochusaltares in St. Lorenz (Abb. Rauch,
Taf. 3) und eine weitere auf dem Gastmahl des Herodes (Bayerisch um 1480) in
der Augsburger Galerie (Phot. Höfle).
Wenn man also auch Webers Deutung auf ein Selbstporträt ablehnen muß,
so bleibt die Vermutung, daß uns auf dem Peringsdörffer Altar die Züge des
jugendlichen Dürer erhalten sind, dennoch wichtig genug. Gemeinsam mit der Tat-
sache, daß er eine zum Altar benutzte Zeichnung in seinem Besitz hatte, zeigt
Dürers Verwendung als Modell, wie sehr seine Lehrzeit in Zusammenhang mit der
Entstehung des Peringsdörffer-Altares zu beurteilen ist.
Auf keiner Tafel des Altares finden sich aber Gesichtszüge, die denen
des Trautischen Sebastian ähnlich oder verwandt erscheinen. Innerhalb der Nürn-
berger Malerei am Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts läßt sich nur einmal
ein ähnlicher Kopf nachweisen : auf der im Ostchor der Sebalduskirche
befindlichen Freske mit Darstellungen von Abendmahl und Gethsemane, die für den
1473 verstorbenen Hans Stark gemalt wurde. Das Bild ist jetzt einer genauen
Untersuchung entzogen, da bei den Wiederherstellungsarbeiten der Kirche seine
Übermalung nötig wurde.
Dennoch zeigt noch heute, besonders aber auf der vor der Restauration auf-
genommenen Photographie (Abb. 2), der Kopf des in Christi Armen zusammensinken-
den Johannes Züge, die an den Sebastian der Erlanger Zeichnung erinnern könnten.
Die Brauen sind ziemlich gerade gezogen, die Augenlider sind sorgfältig umrändert,
mit einem phlegmatischen Ausdruck, der auch beim Sebastian an Stelle des
Schmerzes über dem Antlitz liegt, sind sie ein wenig geöffnet. Die Überleitung
der Brauen zum Nasenrücken ist wieder beiderseits durchgeführt und zart ab-
schattiert, die Mundform ist durch die unter der schmalen Oberlippe weichlich
hervorquellende Unterlippe charakterisiert, welche an der Profilseite unvermittelt
abschließt. Das Kinn ist spitz, aber die ausladende Kinnbackenlinie verbreitert
den Kopf.
Es läßt sicli nicht bestimmt beweisen, daß Hans Traut der Schöpfer des Freskos
war, aber unsere Vermutung vermeidet die Widersprüche, in die Rauch dadurch
gelangt, daß er ohne sichere Basis die bedeutendsten Werke der Nürnberger Tafel-
malerei vor Dürer seinem Meister zuschreibt.
Wir wissen von Hans Traut durch Neudörffer (Rauch I, S. 7; Stiassny
in Lausers Kunstchronik XI, 1887, S. 815; Thode, S. 217), daß er als Wandmaler,
Tafelmaler und Bildschnitzer tätig war. Neudörffer (Quellenschriften zu Kunst-
geschichte X) erwähnt, „daß er den Kreuzgang zu den Augustinern gemalet und
darin viel erbare Herren conterfeyet" habe.^) Auch die Nachricht über die Fresken
2) Die auf Hans Traut und ein Mitglied der Familie Beurlin zurückzuführenden Wand-
gemälde sind i883 mit dem Abbruch des Klosters zu Grunde gegangen. Die damals von
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VON DR. EI>WIN REDSLOB.
in Heilsbronn zeigt, daß er auf dem Gebiete der Wandmalerei besonders tätig
gewesen sein muß. Sehr geschätzt ist er offenbar nicht gewesen, darauf deutet
seine Armut (Rauch I, S. 8) und Neudörffers Urteil, daß der Sohn Wolf „dem Vater
in der Kunst des Malens und Reißens hoch überlegen** war.
Somit wird er mit Recht als ein über das Handwerkliche wenig erhobener
Meister seine untergeordnete Stellung in der Geschichte der Nürnberger Kunst bei-
behalten. Für seine Verbindung mit der Holzschnitzkunst haben wir zwei Belege:
den Erlanger Entwurf und die Heilsbronner Balkendecke. Seine Tätigkeit als
Freskenmaler ließ sich vermutungsweise mit den zwei Sebalder Darstellungen illu-
strieren. Tafelgemälde seiner Hand wüßten wir nicht zu erkennen: die von
Rauch unter seinem Namen zusammengestellten Bilder scheinen uns nicht einmal
Arbeiten derselben Meisterhand zu sein, geschweige denn mit Traut zusammen-
zuhängen. Vor allem müssen wir es ablehnen, den Peringsdörffer-Altar für Hans
Traut in Anspruch zu nehmen.
Prof. Gg. Eberlein angefertigten zwölf Farbenskizzen (in zwei Exemplaren, eines im Besitze des
deutschen Kaisers, das andere im Kupferstichkabinett des Germanischen Museums erhalten)
können nicht im geringsten eine Vorstellung der Werke geben. Vgl. Dr. Fr. Tr. Schulz in
d. Mit d. German. Mus. 1906, S. 155 und 156 mit Abbildung einer Eberldinscheii Kopie.
Mitteilungen aus dem g<erman. Nationalmuseum. 1906.
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BEITRAGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI
IN NÜRNBERG.
VON DR. PRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
(Fortsetzung.)
(Mit 2 Tafeln.)
Die Schau.
Groß war die Ausbeute, die wir aus dem in unserem ersten Aufsatz 0 für das
15. Jahrhundert zusammengetragenen Material zur Geschichte der
Außenmalerei im alten Nürnberg gewannen, nicht. Die Dürftigkeit und Knappheit
der quellenmäßigen Unterlagen, das Fehlen älterer Darstellungen, welche diese hätten
verdeutlichen oder beleben können, schloß die Möglichkeit aus, für den in Frage
kommenden Zeitraum ein zusammenhängendes, entwicklungsmäßig in sich ge-
schlossenes Bild zu zeichnen. Doch wurde die Wahrscheinlichkeit erhärtet, daß
die Fassadenmalerei im 15. Jahrhundert in Nürnberg ständig in Übung war.
Einen neuen Beweis hierfür bringen die nun folgenden Ausführungen, die sich
mit dem ehemaligen Gebäude der Schau beschäftigen, das seine Stelle südwärts
des Ostchores von S. Sebald gegenüber der eindrucksvollen, gewaltigen Front des
Wolffschen Rathausbaues hatte. Denn auch dieses Bauwerk gehört dem 15. Jahr-
hundert an. Es ist nicht, wie bislang angenommen wurde, erst im Jahre 1520 durch
einen Umbau aus dem früheren Almosenhaus entstanden; vielmehr waren beide,
wie wir nachher dartun werden, zwei von einander verschiedene Gebäude. Die be-
kannte Notiz Joseph Baaders in seinen Beiträgen zur Kunstgeschichte Nürnbergs
(2. Reihe, Nördlingen 1862, S. 4) hatte mich veranlaßt, mir die Schau für das
16. Jahrhundert vorzubehalten. Hinterher aber mußte ich erkennen — und nicht
zum mindesten bin ich hier Herrn Archivrat Dr. M u m m e n h 0 f f für seinen
Hinweis dankbar — , daß ein Festhalten an der bisherigen Annahme nicht mög-
lich sei.
So gewann die Schau für unsere Zwecke an Wichtigkeit. Sie wurde zu einem
belangvollen Glied in der Kette, die es hier zusammenzuschließen gilt. Sie
nimmt geradezu eine hervorragende, eine Ausnahmestellung ein. Architektur und
Malerei sind eng mit einander verwoben. Erstere ist für letztere geschaffen, ist auf
sie eingerichtet. Alles das hätte schon an sich eine besondere Behandlung dieses
interessanten Bauwerks erfordert. Dazu kommt, daß die archivalischen Nach-
richten etwas reichlicher fließen und es an Darstellungen nicht mangelt, um unsere
Vorstellungen zu verdichten und unsere Anschauungen zu begründen.
1) Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1906, S. 147—157.
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BEITRÄGE ZUR GESCH. D. AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG. VON DR. FRITZ TRAÜG. SCHULZ. 1 1
Die Fassade der Schau ist wiederholt bildlich dargestellt worden. Belangvoll
für unseren Zweck sind aber nur die Wiedergaben aus älterer Zeit. Wollten wir
uns z. B. an die Darstellung des bekrönenden Aufbaues mit der Uhr, die Heideloff
in seiner Ornamentik des Mittelalters Heft VI! Taf. 5 bringt, halten, so würden
wir eine gänzlich verkehrte Vorstellung vom einstigen Aussehen der Schau ge-
winnen. Heideloff dürfte die Schau auch kaum noch selbst gesehen haben. Wer
will sich darum darüber wundern, wenn sich in seiner regen Phantasie ein Bild der-
selben entwickelte, das diese nicht zeigt, wie sie einst wohl war, sondern wie sie
sich in Heideloffs pseudogotischem Stil restauriert ausgenommen haben würde!
Das breite Band mit den Wappen der Kurfürsten war in Wirklichkeit gar nicht
vorhanden. Die Figuren des Kaisers und der Kurfürsten waren nicht in spitz-
bogigen, sondern in flachbogigen Nischen untergebracht. Die beiden Zinnen zu
den Seiten der Uhr waren nicht höher hinaufgezogen, sondern hatten die Größe der
übrigen. Die Ausbildung des Maßwerks im äußeren Uhrkranz sowie auch in den
Nischen der Staffeln in dem bekrönenden Aufbau über der Uhr ist eine der Wirk-
lichkeit wie auch der ursprünglichen Entstehungszeit nicht entsprechende. Die
beiden Wappen der Stadt Nürnberg unten in den Zwickeln des Mittelstücks sind
rein willküriiche Zutaten. Weiter können die seitlichen Fialen desselben sowie der
bekrönende Baldachin, wie Heideloff sie dargestellt hat, nicht den mindesten An-
spruch auf Zuverlässigkeit oder Stilechtheit erheben. Der gewichtigste Fehler aber
besteht darin, daß Heideloff glaubte, die Figuren in den Nischen seien plastisch ge-
arbeitet gewesen, sagt er doch in dem zugehörigen Text : „Der Aufsatz der Uhr, das
Glockentürmchen, die sieben Kurfürsten mit dem Kaiser (Kari IV.) und die da-
mals allein bekannten 7 Planeten, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn und Uranus
personifizirt, waren von Stein". Es unterliegt keinem Zweifel, daß er die Schau
nicht durch Autopsie kannte, sondern sich in virtuos-freier Weise der Heumann-
schen Darstellung der Illumination der Fassade zu Ehren der Erzherzogin Maria
Elisabeth im Jahre 1725 (Abb. 1) als Unteriage bediente. Diese, ein nicht gerade
seltener Kupferstich, erschien unter dem Titel „Conspectus llluminationis, qua Aedi-
ficium publicum, vulgo die Schau dictum, in honorem Serenissimae Archiducis Au-
striae et Gubernatricis Belgii Austriaci, MARIi€ ELISABETHi€, jussu Senatus
Noribergensis, e regione Curiae, d. 19. et 20. Sept. Ann. 1725. collustratum atque
Emblematibus et Inscriptionibus exornatum est" als einzelnes Flugblatt. Sie trägt
nicht zu einem geringen Teil Schuld an den Irrtümern, die Heideloff beging. Eine
Wiederholung der Heideloffschen Darstellung finden wir auf einem Aquarell
vom Jahre 1850 von der Hand seines Schülers Hutzelmeier •), das sich als Projekt
zu einem][Neuaufbau der Schau mit zwei Obergeschossen erweist, wie es vielleicht
Heideloff selbst vorgeschwebt hat. Daß er sich mit dem Gedanken eines Wieder-
aufbaues getragen hat, scheinen neben der Aufmerksamkeit, die er der Schau über-
haupt schenkte, die Begleitworte zu der Darstellung in seiner Ornamentik des Mittel-
alters anzudeuten. Er sagt nämlich: „Dieses höchst interessante und schöne
Gebäude, welches mit dem Typus seiner Umgebung im reinsten Einklang stand.
2) In der im Germanischen Museum aufbewahrten Kupferstichsammlung der Stadt
Nürnberg, Abt. Arnoldsche Sammlung, Nr. 304.
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12 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
fiel im Jahre 1811 als ein Opfer der Unwissenheit, des Ungeschmacks und der Roh-
heit, um eine Hauptwache hinzustellen, die mit ihrer Umgebung, der St. Sebalds-
kirche, dem Rathhause etc. im schreiendsten Contraste steht".
Oiwa-natrids^^U EUSABETHjE.jujfuSeniL'
tusJmihaycruis, e ryimc driae, djg, et 20. S^%Awi.J72S, coauß^atun
ataiijt {Mwlcmatiius ctSfl/cruüionwus eaxnyiatimi csL.^ .
,JU.
Abb. 1. Die Fassade der Schau in Nfimberg mit der llluininatiofi i. J. 1725.
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VON DR. FRTTZ TRAÜGOTT SCHULZ.
13
Die Schau, welche, wie bereits bemerkt, an der Stelle der heutigen Haupt-
wache südwärts des Ostchores von S. Sebald und gegenüber dem Rathaus stand,
diente zunächst dazu, die Arbeiten der Goldschmiede auf ihren Metallwert zu prüfen
oder, wie es früher hieß, zu „schauen". Waren sie als ordnungsmäßig befunden
worden, d. h. waren sie (nach der Ordnung vom Jahre 1541) mit dem Goldschmied-,
Kontroll- und Wüchsenzeichen versehen, so wurden sie in der Schau vom Wardein
mit dem Stadtzeichen N als Nürnberger Arbeit amtlich beglaubigt^). Die Schau
war aber zugleich auch Münzschau. Es wurde in ihr das Geld, das in der Stadt
in Umlauf kommen sollte, beschaut und probiert, ob es gehörig von Schrot und
Korn sei. Der Schauamtmann war zugleich Spezial-Münz-Wardein und hatte seine
Wohnung im ersten Stock der Schau. Endlich war die Schau das Zahlamt der
Losungsstube oder der Finanzkammer. Auf dem Schauamt hatte jeder Losungs-
pflichtige seine Losungssjmibola, d. h. so viel metallene Zeichen, als dem Betrag
seiner Losung entsprachen, zu lösen und diese dann auf der Losungsstube in Gegen-
wart eines andern Losungspflichtigen unter ein grünes Tuch, das über den Tisch
gebreitet war, zu schieben. Aufgelöst wurde das Losungs- und Schauamt am
29. Oktober 1798*).
Die Schau ist wohl zu unterscheiden von dem Schauhaus oder Infektionshaus,
einem bei S. Jakob in der Lodergasse (nun Ottostraße) am ehemaligen Schützenhof
gelegenen Krankenhaus für arme Personen, welche mit hitzigen oder ansteckenden
Krankheiten behaftet waren und dort unentgeltlich kuriert wurden*).
Was nun das Gebäude der Schau anbelangt, so finden wir bei Baader folgende
Notiz: „Dieser (d. h. Meister Hanns Beheim) machte auch die Visirung zu der Schau,
die im Jahre 1520 unter seiner Leitung gebaut und ins Almoshaus auf St. Sebalds-
kirchof übergetragen wurde"®). Die Quelle, woraus Baader diese Nachricht schöpft,
ist nicht angegeben. Hierdurch muß man zu der Annahme geführt werden, daß
die Schau im Jahre 1520 durch einen Umbau nach dem Plane und unter der Leitung
des Hanns Beheim aus dem ehemaligen Almosenhaus entstanden sei. Hinzu-
zunehmen ist, was Johannes Müllner in seinen Annalen zum Jahre 1520 im An-
schluß an eine Reparatumotiz in Bezug auf^das Schloß auf der Festung und auf
den Margarethenturm bringt. Es heißt dort: „Auch hat man das Allmosen Haus
auf St. Sebaldts Kirchhof zu einer Münzschau zugerichtet, wie vor Augen" ^). Hält
man aber dagegen, was die Jahrbücher des 15. Jahrhunderts zum Jahre 1454
bringen, so kann man nicht mehr daran glauben, daß die Schau aus dem ehemaligen
Almosenhaus hervorgegangen ist, sondern muß vielmehr zu der Überzeugung ge-
drängt werden, daß die Schau und das Almosenhaus zwei zwar im gleichen Jahre
und dazu dicht^nebeneinander erbaute, aber dabei doch von einander verschiedene
Gebäude waren. Klar und deutlich scheint mir dies aus den folgenden beiden,
3) Marc Rosenberg, der Goldschmiede Merkzeichen, S. 238.
4) Nopitsch, Wegweiser für Fremde in Nürnberg, Nürnberg iSOi, S. 143; Die Haupt-
wache, früher Schau zu Nürnberg, 1454 — 1903, von Generalmajor z. D. von Dotzauer, im Frän-
kischen Kurier 1903, Nr. 13I; E. Reicke, Gesch. d. Reichsstadt Nürnberg, S. 114.
5) Nopitsch a. a. O. S. 144.
6) Joseph Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, 2. Reihe, Nördlingen 1862, S. 4.
7) Ich citiere nach der bei uns befindlichen Abschrift Tom. II, S. 247-
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14 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSBNMALEREI IN NÜRNBERG.
offenbar unabhängig von einander aufgezeichneten Nachrichten der Jahrbücher
hervorzugehen: „Des jars (1454) machet man das almusenhaus auf sant Seboltz
kirchof zu dem reichen almusen alles neu" und „Anno 1454 am dritten novembris
wart das heuslein auf sant Sebalts kirchof volbracht und gemolt und die ur und
das reich almusen"®). Das Häuslein mit der Uhr ist eben unsere Schau, die in
ihrem ganzen Stilgepräge, wie wir nachher sehen werden, auch auf diese Zeit als
Entstehungszeit hinweist. Auch Müllner muß anfänglich dieser Ansicht gewesen
sein, sonst hätte er zum Jahre 1454 nicht folgende Notiz bringen können: „Man
hat dis Jahr das Allmoshaus auf St. Sebalds Kirchhof, darmit die lateinische Schul
gebauet ist u. das Haus daran mit der Uhr, in welchen der Amtmann der Münz
Schau wohnet, neu gebauet"*). Errichtet wurde das Almosenhaus an der Stelle,
welche der Rat bereits im Jahre 1388 zu dem Almosen, das Burkhard Sailer ge-
stiftet, bestimmt hatte ^*^). Die Schau wurde also im Jahre 1454 als Haus für sich
erbaut. Von einem Umbau des ehemaligen Almosenhauses zu einer Münzschau
durch einen der beiden Beheim weiß Lochner in seinem Commentar zu Johann
Neudörfers Nachrichten von Künstlern und Werkleuten nichts zu berichten, was er
gewiß nicht versäumt haben würde, falls ihm bestimmte Anhaltspunkte hierfür vor-
gelegen hätten.
Die Schau war von Anfang an mit Malereien versehen. Es ist dies klar und
deutlich in der zweiten Notiz ausgesprochen, die wir aus den Jahrbüchern des 15.
Jahrhunderts citierten. Es erscheint darum natüriich, wenn späterhin wiederholt
von einer Erneuerung derselben berichtet wird. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts
soll die Schau durch Hanns Grossen gemalt worden sein. Nach Andreas
Gulden'^) ist dies im Jahre 1514 geschehen, nach einem handschriftlichen Zusatz
in unserem Handexemplar von Doppelmayr's historischer Nachricht von den Nürn-
bergischen Mathematicis und Künstlern, im Jahre 1522, und zwar zugleich mit dem
Rathaus. Eine Erneuerung der von Hanns Grossen angebrachten Malereien fand
im Jahre 1579 durch ThomasOelgast statt. Dieser, ein Maler, aus München
gebürtig, genoß zu seiner Zeit Ansehen und Ruf, „da er sowohl mit Oel- Farben als
in Fresco grau auf grau seine Kunst an den Wänden und Mauren vor andern statt-
lich anzubringen wußte, wovon er verschiedene schöne Proben, nachdem er sich
gegen A. 1570. die Stadt Nürnberg zu seinem beständigen Wohnplatz ausersehen,
auch allda hinteriassen"**). Das Fresco verfahren, dessen sich Thomas Oelgast be-
diente, war damals namentlich in Nürnberg in Übung. Doppelmayr spricht sich
hierüber folgendermaßen aus: „Die Manier grau auf grau, und also durch und durch
mit einerley Färb in Fresco zu mahlen, ist zur selbigen Zeit vornemlich in Nürnberg
üblich gewesen, welche Art zum öfftesten gar zu bund ausgefallen"*^). Eine weitere
8) Die Chroniken der fränkischen Städte, Nürnberg, IV, S. 211.
9) Siehe unsere Abschrift der Müllnerschen Annalen an gleicher Stelle wie zuvor.
10) E. Reicke a. a. O. S. 620.
11) In Lochners Ausgabe von Johann Neudörfers Nachrichten von Künstlern und Werk-
leuten, S. 201.
12) Doppelmayr, histor, Nachricht von den Nümbergischen Mathematicis u. Künstlern,
S. 205. Er starb den 24. Oktober 1584.
13) Doppelmayr a. a. O. Anm. y.
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTl' SCHULZ. 15
Erneuerung erfuhr dann „das Gemäl aussen an der Schau** im Jahre 1652 durch
den Stadtmaler Leonhard Heberlein'*). Eine abermalige völlige Reno-
vierung der Malerei erfolgte im Juli I690. Auch soll die Schau in den Jahren 1716
und 1778 renoviert worden sein"). Höchst wahrscheinlich gingen alle diese Erneue-
rungen Hand in Hand mit irgend welchen sonstigen Vornahmen am Äußeren der
Schau, das sich, wie wir nachher sehen werden, in Einzelheiten des Fassaden-
aufbaues späterhin hier und da veränderte.
Der Vollständigkeit halber schließe ich hier noch einige Notizen mehr ge-
schichtlicher Natur, auf die Schau bezüglich, an. Die erste bezieht sich auf die
Uhr, mit der ja die Schau von Anbeginn an versehen war. Im Jahre 1547, als Karl V.
nach Nürnberg wollte, wurde den Uhrrichtem des kleinen Zeigers in der Schau,
„zu unserer Frau** und zu St. Egidien befohlen, die Uhren fleißig zu richten^®).
Durch Ratsverlaß vom 5. Januar 1558 wurde dem Cristoff Lohen, Illuministen,
vergönnt, „das taflet unnd krämlein an der Schau, darinnen etwo bücher fail gehabt
worden** zu benutzen „seine kunststückh darinnen fail zu haben, . . doch mit offner
hanndt, das es Meine Herren zu irem gefallen wider abschaffen mögen***'). Weiter
wurde durch Ratsverlaß vom 15. Oktober 1611 dem Caspar Peutmüller erlaubt,
einen Silberkram bei der Schau aufzurichten, vorbehaltlich allerdings des Einver-
ständnisses des Amtmanns in der Schau*®). Im Jahre 1810 fiel die Schau, um dem
noch jetzt stehenden Gebäude der Hauptwache Platz zu machen.
Wie die Schau uranfänglich aussah, bot sie im ganzen ein schlichtes Bild, das
erst durch den bekrönenden Uhraufbau und namentlich die bunten Farben der
Nischengemälde Leben bekam. Insofern war sie ein konkreter Ausdruck der typi-
schen Bauart im alten Nürnberg, welche auf Einfachheit ausging, aber durch spar-
same und weise Anwendung geeigneter Zierstücke am rechten Ort Abwechslung und
Stimmung hervorzurufen sehr wohl imstande war. Und gerade deshalb stand die
Schau im Süden des reichgegliederten Ostchores von S. Sebald und schräg gegen-
über der großzügigen Front des Rathauses an ihrem rechten Platz. Sie bestand
(Taf. II) aus einem Erdgeschoß und einem Obergeschoß, die durch ein Gurtband
getrennt waren. Ein unterkehltes Kranzgesims diente als oberer Abschluß. Das
JErdgeschoß zeigte in seiner rechten Hälfte ein durch eine Verdachung geschütztes
größeres Fenster, zu dem man über zwei Steinstufen herantreten konnte. Offen-
bar diente es zum Hereinreichen der zu beschauenden Gegenstände, welche von
dem Schauamtmann oder seinen Gehilfen hier entgegengenommen wurden. Auf
einer bei uns befindlichen späteren Darstellung eines Schembartlaufens vom Jahre
1539 (H. B. 2354, siehe Abb. 2) hatte das Fenster dreiteilige Form und konnte es in
der unteren Hälfte ganz geöffnet werden. Außerdem war es durch Läden zu schließen.
Auf der aus dem Ende des 16. Jahrhunderts herrührenden Darstellung in dem bei
14) Iit Lochners Ausgabe von Johann Neudörfers Nachrichten von Künstlern und Werk-
leuten, S. 201.
15) Beschreibung der Reichsstadt Nürnberg in der Bibl. des Germ. Mus. Bl. 127a und
von Dotzauer a. a. O.
16) E. Reickfe a. a. O. S. 1028.
17) Th. Hampe, Nürnberger Ratsverlässe I, 3701.
18) Ebendort II, 2425-
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16 BBITRÄ6E ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
uns aufbewahrten Stromerschen Baumeisterbuch (Taf. II) entbehrt es der Läden
und ist es außerdem nur zwiefach und zwar ungleich geteilt. Rechts neben dieser
Schalteröffnung zeigt die Schembartdarstellung ein wiederum durch eine Ver-
dachung geschütztes Fenster. Im Stromerschen Baumeisterbuch ist wohl eine
Verdachung vorhanden, doch fehlt das Fenster, statt dessen ein regelrechter organi-
scher Quaderverband bemerkt wird. Die linke Hälfte des Erdgeschosses war durch
zwei kleinere, dicht unter dem Gurtgesims gelegene Fenster erhellt. Zwei in gleicher
Höhe angeordnete, nur größere Fenster befanden sich auf der südlichen Giebelseite.
Wie die nördliche Giebelfront ausgestaltet war, läßt sich nicht sagen, da sie auf
keiner der vorhandenen Darstellungen gezeigt wird. Was die innere Einteilung
des Erdgeschosses betrifft, so war nach einem aus der Zeit kurz vor der Einlegung
stammenden Grundriß nach Osten zu ein etwa drei Meter breiter Raum, welcher
Abb. 2. Die Schau in Nfirnberg.
Ausschnitt aus der Darstellung eines Schembartlaufens i. J. 1539.
die ganze Ostfront einnahm, mit zwei kleineren Nebenräumen vorhanden, während
gegen Westen und Süden drei mit Fenstern versehene Stuben sich befanden*"). Das
Obergeschoß war als Wohnung eingerichtet und nach vorn mit drei Fenstern,
von denen das mittlere die seitlichen an Breite übertraf, versehen. Auf der
Schembartdarstellung sind die beiden seitlichen Fenster zwiefach, das mittlere drei-
fach geteilt. Auf der Darstellung im Stromerschen Baumeisterbuch entbehren die
seitlichen Fenster einer Unterteilung. Das Mittelfenster erscheint in ungleicher
Weise zwiefach geteilt. Auch zeigen sämtliche drei Fenster steilgekehlte Fenster-
bänke. Auf der südlichen Giebelseite bemerken wir ein größeres, zweigeteiltes
Fenster.
19) Von Dotzauer a. a. O.
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VON DR. FRITZ TRAUGOIT SCHULZ.
17
Bis dahin war das Gebäude schmucklos und im höchsten Grade schlicht. Nun
aber entfaltet sich ein frischeres Leben. Zwischen den beiderseitigen Stufengiebeln
und dem mittleren Uhraufbau zieht sich ein Kranz von acht größeren und sechs
kleineren Zinnen hin, die nach vorn abgeschrägt und zu flachbogigen Nischen ver-
tieft sind. So zeigt sie uns wenigstens die Darstellung der Schau im Stromerschen
Baumeisterbuch (Taf. II), und es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen, daß dies
ihre ursprünglich architektonische Ausgestaltung war. Die Nischen aber waren,
wie die Schembartdarstellung (Abb. 2) erkennen läßt, mit Figuren in bunten Farben
(gelb, hell- und dunkelrot, blau) ausgemalt. Daß es Malereien und keine relief-
plastischen Darstellungen waren, deuten die immer wiederkehrenden Nachrichten
von Erneuerungen des Gemäldes außen an der Schau an. Nie hören wir etwas von
Figuren, ja, die Nischen waren viel zu gering vertieft, um reliefplastische Arbeiten
aufnehmen zu können. Gewiß hätte man auch noch Reste im Bauschutt vor-
gefunden, wenn es sich um Skulpturen gehandelt hätte. Die von Baurat H e i n-
Abb. 3. Die Schau in Nfirnberg. Der Fassadenaufbau vor dem Abbruch i. J. 1810.
rieh Wallraff geleiteten Aufgrabungen förderten solche aber nicht zutage. Die
acht großen Nischen enthielten in ganzen Figuren den Kaiser Karl IV. und die
sieben Kurfürsten, ein in älterer Zeit sehr beliebtes Darstellungsmotiv. Es ist wohl
anzunehmen, und die Zahl der Zinnen spricht auch dafür, daß man von Anfang an
die Einmalung des Kaisers und der Kurfürsten projektiert und mithin den Bau
als solchen von vorneherein darauf eingerichtet hatte. Die Kurfürsten waren in
stehender Haltung dargestellt, der Kaiser scheinbar thronend mit dem unter ihm
angebrachten zweiköpfigen Reichsadler. Diesen Schluß möchte man aus der Blei-
stiftskizze ziehen, welche der Pfarrer Johann Christoph Wilder am 6. Juni 1810
von dem bekrönenden Aufbau anfertigte (Abb. 3). Allerdings zeigt der Kupferstich
mit der Illumination der Fassade im Jahre 1725 (Abb. 1) den Kaiser ebenfalls
stehend.
MitteiluDgen aus dem german. NatioDalmuseum. 190B. 8
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18 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
Wie die acht großen Nischen, so waren auch die sechs kleineren Nischen von
Anbeginn an mit figürlichen Malereien gefüllt. Und zwar enthielten sie in Halb-
bezw. Dreiviertelfiguren Darstellungen der Planeten Luna,' Merkur, Venus, Mars.
Jupiter und Saturn. Es muß auffällig erscheinen, daß wir hier nicht sieben, sondern
nur sechs Planeten finden, kannten doch schon die Alten sieben Planeten, nämlich
Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, wozu sie auch Sonne und Mond rech-
neten. Wenn darum die Sonne fehlt, oder vielmehr, wenn ihr keine besondere Nische
eingeräumt ist, so muß sie an anderer Stelle gesucht werden. Denn das[^unterliegt
keinem Zweifel, daß bei diesem kleinen Bau alles wohl durchdacht und^berechnet
war. Die Darstellung der Schau in dem Stromerschen Baumeisterbuch (Taf. II)
tut dar, daß in den inneren Kreis der Uhr eine Sonne eingemalt war, deren
gewellte Strahlen zugleich als Ziffemweiser dienten. Warum sollte sie da nochmals
als Figur versinnbildlicht werden? Als einer der wichtigsten Planeten durfte sie
schon an sich eine bevorzugte Stelle beanspruchen. Sie war ihr an einem markanten
und zugleich geeigneten Ort gegeben. Eine Wiederholung hätte dem harmonischen
Zusammenklang, den der schmucke Bau sonst aufweist, in keiner Weise entsprochen.
In Wirklichkeit sind also an der Schau nicht sechs, sondern sieben Planeten dar-
gestellt. Die Anbringung der Planeten am Äußeren der Schau erklärt sich aus den
Anschauungen der Zeit. Den Alten galten die Planeten als Gottheiten ersten
Ranges und jeder als Regent eines der sieben Wochentage. Die Römer nannten
daher ihre Wochentage nach ihnen. Besonders beliebt war die Darstellung der
Planeten in der Renaissance. Ich erinnere nur an die beiden Planetenfolgen von
Hans Sebald Beham, an die Plakettenfolge der sieben Planetengötter von Peter
Flötner und die Planetendarstellungen von Virgil Solis. So mögen auch hier in
den Planeten Verkörperungen der sieben Wochentage zu sehen sein. Von Hans
Sebald Beham gibt es eine reizende kleine Folge der sieben Planeten vom Jahre 1539
(B. 114—120), die uns, als von einem Nürnberger Meister herrührend, als erklärende
Illustration zu den ja nicht mehr vorhandenen Bildern dienen mag. Sie führt den
Titel: „Die Tag der . VII . Planeten", die in folgender Weise eriäutert werden:
„Sun . den Svntag . / Lvna . Montag . / Mars . Dinstag . / Mercvrivs . Mitwoch . /
Jupiter Dvnerstag . / Venvs . Freitag . / Satvmvs . Sambstag .". Zu berück-
sichtigen ist nur, daß die Planeten an der Schau, abgesehen von der Sonne, als
Halb- bezw. Drei viertelf iguren gegeben waren. Das klare Schema der Anordnung
macht es im höchsten Grade wahrscheinlich, daß ebenso wie der Kaiser und die
sieben Kurfürsten so auch die sieben Planeten gleich zu Anfang an der Schau an-
gebracht worden sind.
Wie in den Nischen der Zinnen, so waren auch in dem die Mitte der Fassaden-
bekrönung einnehmenden Uhraufbau Farben zur Anwendung gebracht. Die schon
des öfteren erwähnte Schembartdarstellung (Abb. 2) läßt erkennen, daß sich die
innere Sonne in Gold von tiefblauem Untergrund abhob. Der Ziffemkranz war
golden getont und von schwarzen Ringen eingefaßt. Selbstredend werden auch die
Eckzwickel und Nischen mit Farben angelegt gewesen sein, wie auch eine dem Zeit-
geschmack entsprechende reiche Verwendung von Gold angenommen werden darf.
Die Ausbildung der Uhr selbst ist kulturgeschichtlich nicht ohne Interesse (Taf. II).
Das Zifferblatt war mit gotischen Ziffern versehen. Diese wurden durch gewellte
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VON DR. FRITZ TRAOGOTT SCHULZ. 19
Strahlen betont, die von der Sonne des inneren Kreises ausgingen. Die Sonne war
durch ein natürliches Antlitz belebt. Es war nur ein Zeiger vorhanden. Ein mit
24 rundbogigen Kleeblattbögen in Reliefplastik verzierter breiter Kranz schloß das
Ganze nach außen hin ab. Die Uhr bildete die Mitte des Aufbaues, dessen übrige
Glieder sich in symmetrischer Weise um sie gruppierten. Zu ihren Seiten steigen
Fialen empor, deren Riesen mit Krabben besetzt und von freigearbeiteten Kreuz-
blumen bekrönt sind. Zwischen ihnen leiten zwei Stufen zu dem zierlichen offenen
Baldachin empor, der die bekrönende Spitze des Ganzen bildet. Die beiden obersten
Stufen waren mit Figuren besetzt. Die konsequent durchgeführte, symmetrisch
ansteigende Tendenz des Uhraufbaues muß direkt zu der Afimhmt führen, daß
solche von Anfang an an dieser Stelle angebracht waren. U^d daß dies in Wirk-
lichkeit der Fall war, ergaben die von Baurat Heinrich Wallraff -geleiteten
Ausgrabungsarbeiten, wobei die Schlüsselhand der Petrusstatue gefunden wurde,
welche über der linken Stufe stand. Die vorhandenen Formen weisen auf die Zeit
um die Mitte des 15. Jahrhunderts als Entstehungszeit hin. Auf der rechten Stufe
war S. Sebald mit dem Modell der nach ihm benannten Kirche aufgestellt. Die
Figuren hatten Lebensgröße. Der Baldachin ist über Eck gestellt und von einer
kleinen Kuppel überdacht, unter der ein Glöckchen hängt, und welche eine große
Kreuzblume schmückt. Die dünnen Strebepfeiler weisen eine zwiefache Abdeckung
auf. Die Kanten der Kuppel sind mit Krabben versehen. Hinzu kommt, daß die
Nischen der Stufen und der Füllungen des Baldachinsockels bei rund- und flach-
bogigem Abschluß in bezeichnender Weise mit Maßwerken belebt sind, und daß
die äußere Umrahmung der Uhr durch einen krabbengeschmückten Kielbogen nach
oben emporgezogen ist.
In dieser, d. h. seiner ursprünglichen Gestalt muß das kleine Häuschen ehe-
mals einen schmucken Anblick geboten haben. Die harmonische Vereinigung von
Einfachheit in großen Flächen mit zierlichem Detail an maßgebender Stelle und
lebendigen, wenn auch rhythmisch abgewogenen buntfarbenen Malereien lassen es
geradezu als einen für die Kunst der Gotik bezeichnenden Bau erscheinen. Die
bewußte Berechnung auf Bemalung erhöht seinen Wert in besonderem Maße. Da-
bei ist nicht zu vergessen, daß auch die Giebelnischen mit buntgemalten Figuren
ausgestattet waren, und daß ferner das Äußere noch einen besonderen Reiz erhielt
durch die Einbeziehung des Giebels der westwärts anschließenden Schule in die
vordere Schräge des Daches der Schau.
Es wurde darauf hingewiesen, daß die Malereien an der Schau im Laufe der
Jahrhunderte wiederholt erneuert werden mußten. Aber auch der Bau und seine
Zierteile blieben von Veränderungen nicht frei. Zunächst wurden die Stufen der
beiderseitigen Giebel abgeschlagen und letztere glatt geschrägt. Die Frontecken
aber wurden zu Fialen ausgebildet, die denen zu den Seiten des Uhraufbaues konform
waren. Der bekrönende Baldachin hatte bei seiner exponierten Lage unter Wind und
Wetter zu leiden. Wie er zuletzt aussah, lehrt die Wildersche Zeichnung vom Jahre
1810 (Abb. 3). Die obere Kreuzblume fehlt. An ihre Stelle ist eine Helmstange
mit Kugelknauf und einem vielstrahligen Stern als Spitze getreten. Im Jahre 1810
waren in dem Baldachin drei, im Jahre 1725 zwei Glöckchen, die jedesmal unter
einander aufgehängt waren, untergebracht. Auch mit der Uhr gingen Veränderungen
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20 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER AUSSENMALEREI IN NÜRNBERG.
vor sich. Die gotischen Ziffern sind auf der Illuminationsdarstellung vom Jahre
1725 (Abb. 1) durch römische Zahlen ersetzt.
So wandelte sich das Außenbild der Schau im Laufe der Jahrhunderte. Aber
es waren nur Änderungen geringfügiger Art, welche vorgenommen wurden. Sie
waren meist bedingt durch die Fürsorge um die Erhaltung des Gesamtcharakters
des Bauwerks, den man an solch maßgebender Stelle nicht verwischt sehen wollte.
Schließlich aber wurde das Gebäude doch zur Ruine, und es erhob sich keine Stimme
dagegen, als man Ende Mai des Jahres 1810 mit seinem Abbruch begann, um an
seine Stelle die jetzige, als solche jedoch heute nicht mehr benützte Hauptwache
zu setzen. Wie durch Baurat Heinrich Wallraff festgestellt wurde, steht sie
genau auf den Grundmauern der Schau, deren geräumige Gewölbe zur Vereinfachung
des Verfahrens mit dem Abbruchschutt zugefüllt wurden. Ob und wie weit diese
die Aufgabe der ehemaligen Schau erfüllt, das Platzbild harmonisch abzurunden,
darüber mich zu äußern, liegt außerhalb des von mir verfolgten Zweckes!
Zwei noch erhaltene Entwürfe tun dar, daß man sich zu Ende des 16. Jahr-
hunderts mit dem Plan getragen hat, die Schau baulich zu vergrößern. Es will fast
natürlich erscheinen, wenn man auf diesen Gedanken kam, ließ doch das nur aus
Erdgeschoß und einem Obergeschoß bestehende Gebäude eine amtliche Benützung
etwas ausgedehnteren Umfangs nicht zu. Der eine dieser Entwürfe ist in dem bei uns
aufbewahrten Stromerschen Baumeisterbuch (Taf. HI links) enthalten. Den anderen
(Taf . 1 1 1 rechts) besitzen wir selbst als Einblatt in unserer Sammlung historischer Blätter
(H. B. 13 174. Bürgerliche Baukunst). Beide rühren von der gleichen Hand her,
und zwar von derjenigen, welche die Schau in ihrem ursprünglichen Zustand (Taf. U)
zeichnete. Letztere Darstellung war als Grundlage zu den beiden Erweiterungs-
projekten gedacht und zugleich bestimmt als Faktor zur Beurteilung der mit diesen
erzielten Verbesserungen. Auf der Rückseite unseres Blattes finden sich rechts unten
die Buchstaben W. J. St. . . . = Wolf Jakob Stromer, ein Zeichen, daß dieses Blatt
ursprünglich ebenfalls zu der unter dem Namen „Stromersches Baumeisterbuch"
bekannten Sammlung von Entwürfen, architektonischen und anderen Zeichnungen
gehört hat. Das Papier ist außerdem das gleiche. Gemeinsam ist den beiden Er-
weiterungsprojekten, daß sie das Erdgeschoß und das Obergeschoß unverändert
belassen wollen, daß sie dagegen noch ein zweites, höheres Obergeschoß und ein
verhältnismäßig hohes Dach vorsehen. Bei beiden ist ferner die Beibehaltung des
bekrönenden Uhraufbaues in Aussicht genommen. Die Zeichnung im Stromerschen
Baumeisterbuch (Taf. HI links) will ihn an seiner alten Stelle unverändert beibehalten
und läßt das zweite Obergeschoß seitwärts mit je zwei Fenstern anschließen. Weiter
geht der in unserer Sammlung aufbewahrte Entwurf (Taf. HI rechts). Er entfernt den
Uhraufbau von seinem ursprünglichen Platz und setzt ihn oben auf die Mitte des zweiten
Obergeschosses, das er mit sechs Fenstern glatt durchlaufen läßt. Um eine bessere
künstlerische Gesamtwirkung zu erzielen, leiten in diesem Fall zwei durch ein Band
verbundene Voluten von der Abschlußbrüstung zum Uhraufbau empor. Die Bänder
sind außerdem mit Blumenvasen besetzt. Die Ausbildung der Schauseite des neuen
Obergeschosses entspricht in beiden Fällen dem damals in Nürnberg herrschenden
Stil, der in der Verquickung von gotischen Stilelementen mit denen der Renaissance
seine Force suchte. Kräftige toskanische Halbsäulen über ornamentierten Sockeln
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VON DR. FRITZ TRAUGOIT SCHOLZ.
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begleiten die rechteckigen Fenster. Die Brüstungen unter ihnen sind mit durch-
brochenem Maßwerk verziert. Darüber baut sich ein hohes, mannigfach profiliertes
Kran^gesims auf, das eine ebenfalls mit durchbrochenem Maßwerk ausgestattete
Abschlußbrüstung trägt. Das alte Prinzip war also beibehalten: unten größte Ein-
fachheit, oben reichere Fülle! Aber die Zeit verfügte nicht mehr über die Fähigkeit,
in den dekorativen Mitteln Maß zu halten. So muß die unorganische Vereinigung
zweier in ihrem Wesen grundverschiedener Stile notgedrungen den Eindruck des
Erkünstelten, des Erzwungenen hervorrufen. Für uns sind diese beiden Entwürfe
an sich lehrreich und belangvoll. Sie zeigen uns, wie in früheren Zeiten neue Bau-
werke aus alten entstanden. Dennoch aber müssen wir es auf der anderen Seite
als ein Glück bezeichnen, daß sie nicht zur Ausführung gelangten, daß vielmehr
das Gebäude in seiner ursprünglichen Gestalt im großen und ganzen erhalten blieb.
Die wunderbare, anspruchslose Schlichtheit desselben wäre durch Veränderungen
der projektierten Art ganz und gar zerrissen und vernichtet worden.
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DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
von
WALTER STENGEL
(Mit 2 Tafeln.)
Nachdem i. J. 1907 die Gläsersammlung des Germ. Museums aus dem ehe-
maligen Klosterrefektorium und dem anstoßenden Raum nach dem geeigne-
teren Hochparterre 50 überführt und dort neben den gemalten Scheiben des 17. Jahr-
hunderts aufgestellt worden war, konnte die am alten Ort mit dem Zinn allein
verbleibende Keramik ausgebreitet, gesichtet und neu geordnet werden. Für die
neuen Etiketten wurde mit Rücksicht auf die Beleuchtungsverhältnisse Golddruck
auf Schwarz gewählt und damit war eine lapidarische Kürze der Angaben bedingt,
so daß schon aus verwaltungstechnischen Gründen ein Kommentar zu der Aufstel-
lung notwendig geworden ist, der zugleich die heute teilweise veralteten kurzen
Aufsätze Essenwein's über „Bunt glasierte Tonwaren im G. M." (Anzeiger f. K.
d. d. Vorz. 1873 — 1877) ergänzt. — Bezüglich der Ofenkeramik im G. M. können
wir auf eine Abhandlung von M. Wingenroth verweisen (Mitteil. d. G. M.
1899—1900. 1902). Ausgesclilossen haben wir femer die Abteilungen der prähisto-
rischen und mittelalterlichen Keramik (welch letztere inzwischen gleichfalls neu
geordnet ist). Auch das Bauerngeschirr wurde, abgesehen von gelegentlichen
Seitenblicken, nicht in die folgende Betrachtung einbezogen. — Wir vermerken noch
besonders, daß jetzt Photographien von den Hauptstücken der keramischen Samm-
lung erhältlich sind. Ein im Text jeweils der Inventarnummer beigefügtes Stern-
chen kennzeichnet sie.
I. Fayence.
Es ist ein Verdienst von August Essenwein, die Inkunabeln der deutschen
Fayence in Nürnberg festgehalten zu haben. Essenwein war es auch, der zuerst
auf die Möglichkeit hinwies, die Nachrichten über Hirschvogels und seiner Ge-
nossen keramische Tätigkeit mit diesen Stücken in eine gewisse Beziehung zu
bringen. O. v. Falke hat dann durch eine eingehende Darlegung des Sachver-
halts die Hypothese Essenweins begründet.^)
Sieht man von der lokalen Überlieferung und ihrer etwas schwierigen Inter-
pretation zunächst ab, so läßt wohl die Nürnbergische Provenienz der ältesten Denk-
mäler die fragliche Annahme zu, daß die Heimat der deutschen Fayenceindustrie
1) Majolika, Handb. d. Königl. Museen zu Berlin (1896). S. 184 f.
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FAYENCE
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des 16. Jahrhunderts in Nürnberg zu suchen sei. Ein mehr positiver Wahrschein-
lichkeitsbeweis ist in einer Urkunde vom 4. Juni 1518 enthalten, die Giuseppe M.
Urbani de Gheltof im R. Archivio in Venedig entdeckt und in seinen studi intorno
alla ceramica veneziana veröffentlicht hat. Da diese Studien als Privatdruck er-
schienen sind und somit schwer zugänglich sein dürften, wiederhole ich den Text:
„Leonardo Peringer spechiarius in marzaria constitutus in officio: et narauit
et exposuit qualiter lui ha trouato gia fa mexi 6 in circa uno nouo artificio o defitio
non piü facto n^ usitato in questa incljrta cita de Venetia de far bone et optime
lauori de ogni sorte de porzelane chome sono quäle de leuante transparenti et stano
ad ogni bona proua de quele ditte de leuante et stano salde da tucte uiande cal-
dissime et diboto fuogo et sono transparenti: et pero dimanda che niuno possi
adoperar dicto suo arteficio uel eficio senza licentia sua sichome dispona la leze
sopra deziö prexa ne lo excellentissimo Consegio de pregadi."
Unter den verschiedenen Zeugnissen von Porzellanliebhaberei und Porzellannach-
ahmung, die aus der italienischen Renaissance auf uns gekommen sind, ist dieses
Dokument vielleicht das beachtlichste, insofern es eine vollkommene Einsicht in das
Wesen des echten Materials bekundet. Gewiß dürfen wir annehmen, daß die eigent-
liche Behauptung des spechiarius Vorspiegelung falscher Tatsachen war. Aber es
bleibt wichtig für uns, daß dieser Porzellanarkanist Nürnberger Herkunft gewesen
zu sein scheint. Der Name spricht dafür.*) Im späteren 16. Jahrhundert ist sogar
eine Hafnerfamilie Peringer in Nürnberg nachweisbar.^) Auch glaubte (ohne hier-
von zu wissen und unabhängig von der Hirschvogelfrage) Urbani de Gheltof bereits,
Leonardo Peringer mit einem gewissen Leonardo qum. Amoldo Teutonico di nurim-
berg identifizieren zu dürfen. Hat es aber mit der Nürnberger Herkunft Peringers
seine Richtigkeit, so ließe sich denken, daß seine botega der Fabrikation der gleich-
zeitigen Venezianer Majoliken „alla porcellana" mit Wappen Nürnberger und
Augsburger Familien nahe stand, und dann wäre auch das problematische
Majolikaunternehmen von Hirschvogel & Co. von einem Landsmann vorbereitet
und mit Tradition gegründet.*)
Für die Schale mit der ungerahmten Darstellung von Simson und Dalila
(H. G. 351*) mögen Majoliken in der Art jener faentinischen Werkstätten, die um
1507 und später nach deutschen und italienischen Stichen und Holzschnitten
arbeiteten (vgl. besonders den Teller mit dem gleichfalls ungerahmten Bilde des
2) In den Nürnberger Bürger- und Meisterlisten der Zeit von 1465—1546 sind dreiund-
zwanzig Träger des Namens Peringer bezw. Beringer verzeichnet. 1473 und l48l kommt ein
Linhart Beringer vor. (Mitteilung des Königl. Kreisarchivs.)
3) 1564 wird ein Hafner Hans Peringer Bürger in Nürnberg (vgl. Anm. 26). Eine Frau
oder Witwe Anna eines Hafnermeisters Martin Beringer steht als verstorben in dem gleichen
Jahr 1564 in emem Nürnberger Totengeläutbuch (Hs. No. 6277 der Bibliothek des German.
Museums).
4) (Orientalisches oder italienisches?) WeiOgeschirr mit Blaumalerei, muß man in Nürn-
berg schon gegen Ende des 15- Jahrhunderts gekannt haben. Es sei hier besonders auf ein
H. Pleydenwurff zugeschriebenes Gemälde der Alten Pinacothek in München (No. 234) hinge-
wiesen, das sich früher auf der Burg in Nürnberg befand. Dargestellt ist die mystische Ver-
mählung der hl. Kathanna: man sieht in der abgebildeten Stube auf dem Tisch einen weißen
Teller, der mit blauem Ornament bemalt zu sein scheint
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iH. G. 351) Abb. 1.
verlorenen Sohnes nach Dürers Stich, im Berliner Kunstgewerbemuseum) die An-
regung gegeben haben. In Venedig, dessen Majolikaindustrie im Anfang des
16. Jahrh. mit Faenza Fühlung hatte, konnte der deutsche Meister gewiß damals
Ähnliches kennen lernen. — Die Gruppe von Simson und Dalila ist dem Holz-
schnitt von Hans Burgkmair (B. 6) verwandt, in der Gesamtdisposition wie in
Einzelheiten: vgl. den schlaff herabhängenden rechten Arm mit bauschigem Ärmel
und besonders die leicht gekrümmte Hand, die mit dem Rücken den Boden berührt.
Die Simsonschale hat auf der Unterseite*) (Abbildung 1) deutlich die Jahres-
zahl 1526 und die Meistermarke R. Ein dazu im Sinne der obigen Hypothese
passender Name ließe sich den Urkunden wohl entnehmen. Aus dem in Zahns
Jahrb. f. Kunstw. II S. 77 veröffentlichten Vertrag vom 27. Dez. 1531 scheint hervorzu-
gehen, daß nur Oswald Reinhard und nicht Hans Nickel hier in Frage kommen kann,
da dieser mit Hirschvogel von jenem damals erst die Kunst des Schmelzens lernen
wollte. Reinhard ist es jedenfalls, von dem Neudörffer gehört hat: „der zog gen
Venedig, ward hie ehelich und ein Burger, musste das Handwerk und Schmelzen*)
von neuem lernen, kam wieder hierher, bracht viel Kunst in Hafners Werken mit
sich." Denn diese fünf Sätze sind offenbar parenthetisch und erst die Worte
„machte also" nehmen den auf Hirschvogel bezüglichen Satz „machte eine Com-
pagnie mit einem Hafner" wieder auf. Die letztere Mitteilung des Schreib- und
5) Das Ornament hat keinerlei Verwandtschaft mit dem auf der Rückseite der faen-
tinischen Teller. Herr Prof. Dr. Chr. Scherer und Dr. L. Schnorr v. Carolsfeld waren so
liebenswürdig, uns Pausen der Teller in Braunschweig und Berlin zu senden.
6) Hinsichtlich des Wortes „Schmelzen" besteht u. E. die Auffassung v. Falkes, daß damit
das Glasieren (Zinnglasur) gemeint sei, zu Recht. A. Walcher v. Molthein (Kunst- und Kunst-
handwerk VII, 1904, S. 488) glaubt den Ausdruck nur auf Glasfabrikation beziehen zu dürfen.
Man vergleiche dagegen den RatsverlaO Hampe Nr. 1847: Augustin Hirschfogell, hafner,
sein begem des lehens halb ablainen und nach einem platz umbseehen zu einem schmelzoffen.
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FAYENCE
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Rechenmeisters ist allerdings so konfus wie möglich, indem er hier zwei verschiedene
Verträge (vom 27. Dezember 1531 und vom 15. Mai 1532) zusammenwirft und
dann die beiden Hafner (R. und N.) identifiziert. C Friedrich, der die ganze Stelle
auf Hirschvogel bezog, kam dadurch zu der Anschauung, „daß die Unterweisung
des Reinhard nichts getaugt habe; denn sonst wäre Hirsch vogel nicht gezwungen
gewesen das Handwerk und das Schmelzen in Venedig von neuem zu lernen."
Wiewohl sich nun die Voraussetzung, die zu diesem Schlüsse führte, jene irrige
Interpretation, in der keramischen Literatur kaum behauptete, blieb doch der daraus
gefolgerte Verdacht der Unwissenheit an Reinhard hängen, und so ist es gekommen,
daß sein Name gegenüber Hans Nickel, auf den nunmehr die Nachricht von dem
erfolgreichen venetianischen Studienaufenthalt bezogen wurde, in den Hintergrund
trat und für eine andere Taufe in Anspruch genommen werden konnte (vgl. S. 23).
Ein Schulzusammenhang zwischen den frühen deutschen Fayencen kann,
auch wenn wir die Hirschvogelfrage zunächst noch einmal ausschalten, als wahr-
scheinlich gelten. So hat die Madonnenschüssel von 1530 (H. G. 352*) den undulieren-
den Grundzug des Randomaments mit dem Hamburger Teller gemeinsam, dieser
wieder die Schraffur der Einzelwelle mit der Ringflasche v. J. 1544 (Taf. IV— V)^
und den Gegenstand (weibliches Brustbild) und die Verwendung von Gelb mit dem
Teller von 1531 (H. G. 2044), während die Manganfarbe auf dem Hamburger Teller
in gleicher Sparsamkeit wie auf der Simsonschale auftritt. Die Verschiedenheit
des Schmelzgrundes und des Blau läßt sich, wie Direktor Brinckmann (im Jahres-
bericht 1895 des Museums f. Kunst u. Gewerbe in Hamburg) bemerkt hat. aus
der bei den Anfängen eines neuen Verfahrens häufigen Unsicherheit erklären.
Dazu kommt, daß bei einer Beziehung auf Nürnberg von vornherein verschiedene
Werkstätten anzunehmen wären. Denn eine Klausel des Vertrags zwischen Reinhard
und Nickel - Hirsch vogel besagt, daß ersterer die (Fayence-) Fabrikation selb-
ständig weiterbetreiben und auch auf seine Kinder übertragen wollte.
Besonderes Interesse gewährt die Ringflasche v. J. 1544 (Taf. IV— V). Man
wird versucht, die Frage aufzuwerfen, ob nicht dieser Typus mit der Nachricht
Neudörffers, die von eigenartigen Krügen vermeldet, in einem positiven Zusammen-
hang steht. In dem Ausdruck, den Neudörffer braucht — „als wären sie von Metall
gössen"®) — mag nachklingen, was von den Majoliken „alla porcellana", die wie G.
Swarzenski bemerkt venezianischen Metallarbeiten zu vergleichen sind, gesagt werden
konnte. Vielleicht war jedoch auch, was O. v. Falke betont, die an Metallguß, vor-
nehmlich an Zinn erinnernde Spiegelglätte der Zinnglastir und die Feinheit in der
Ausdrehung des Tons gemeint. Nun ist die Sonderbarkeit einer Ringflasche von
Ton dergestalt, daß man glauben möchte, sie sei ursprünglich nicht in diesem Ma-
terial erfunden. Sollte hier eine Nachahmung von Zinn vorliegen?') Ehe nicht die
7) Wir sind für die Photographien der Sigmaringer Flasche dem Fürstl. Hohen-
zollemschen Museum zu Dank verpflichtet.
8) In den Mitteil. a. d. Germ. Nat.-Mus. 1900, S. 65 hat M. Wingenroth bemerkt, daß
es in der Neudörffer-Hs. Nr. 4355 des German. Mus. statt „von Metall gössen" heißt: „in
Model gegossen". Demgegenüber möchte ich auf eine dritte Lesart hinweisen, die sich in der
Hs. Nr. 236 des German. Mus. findet: „von Model gössen": also die Übergangsvariante.
9) Vgl. etwa die Zinngurde v. J. 1534 auf der Frankfurter Stadtbibliothek (Abb. im
Katalog der Frankfurter Kunstgewerbeausstellung 1875) — das Wappen in der Mitte ist
MitteiluDgen aus dem german. Nationalmiiseiim. 1908. 4
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26 DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
etwaigen Präzedenzfälle zusammengestellt sind, kann darüber kaum geurteilt werden,
aber es ist jedenfalls möglich, daß erst das Fayencekunststück die Form in der Keramik
eingebürgert hat: die bunt glasierten Hafner arbeiten der Art sind später,^®) ebenso
die vielen Ringflaschen und Wurstkrüge in rheinischem Steinzeug. ^') Der Um-
stand, daß das fragliche Stück heute in Sigmaringen steht, hat nebst der alten An-
nahme, daß die Fayenceeulen der nahen Schweiz entstammen, offenbar mit dazu
beigetragen, die Wahrscheinlichkeit eines Nürnberger Ursprungs auch der früheren
Fayencen zu verdunkeln. Nun ist aber neuerdings festgestellt worden, daß von einer
Schweizer Heimat der Eulen nicht die Rede sein kann, und die Sigmaringer Ringflasche
wurde östlicher, in Augsburg erworben. — Unbekannt ist die Provenienz des ganz ähn-
lichen Exemplars im Münchener Nationalmuseum**). Diese Flasche*') bietet für die
Hirsch vogelfrage ein neues Moment. An der Vorderseite (Taf. 11, links) ist eine Eule
in ein Medaillon in der Mitte der unteren Hälfte des Röhrenringes hineingemalt, also
sehr viel auffälliger als etwa die Vögel (Falken, Eulen u.s.w.) in den natürlichen Ranken
der gleichzeitigen Steinzeugkrüge aus der Werkstatt der Maximinenstraße in Köln.
Eine Eule an auffälliger Stelle findet sich nun ähnlich auf einer bezeichneten Radie-
rung von Hirschvogel selbst: B. 95 (Abb. 2). Das Blatt stellt eine Kanne dar, und die
Eule sitzt mitten an dem Bauch in einer bogenförmigen Draperie, also auch isoliert.
Durch das kreisrunde Profil des Gefäßbauches und durch die zu beiden Seiten ange-
brachten Maskarons wird der Gedanke an die Ringflasche mit ihren hundskopfähn-
lichen Schulterstücken verstärkt. Zudem trägt die Radierung die Jahreszahl 1 543, d. h.
es bliebe ein Jahr Spielraum für die notwendige Annahme eines verloren gegangenen,
von Hirschvogel eigenhändig gemalten Originals — falls wir die Hypothese
zuspitzen und dies Datum (154}) als terminus post quem nehmen wollen.
Doch dazu ist eigentlich kein Grund. Denn daß die Gefäßphantasien Hirsch-
vogels mehr Paraphrasen sind als Vorbilder, jedenfalls aber nicht so ausgeführt
werden konnten und sollten, wie sie auf dem Papier stehen, kann als selbstverständ-
lich gelten. In der Praxis muß die lustigste Erfindungsgabe sich bescheiden, und
scharf umringt wie bei den gleichzeitigen emaillierten Glasgurden (Beispiel im German. Museum:
H. G. 1015 mit süddeutschem Wappen).
10) Die Darmstädter Blasiusgurde v. J. 1563 hat noch ähnliche Proportionen wie die
Fayenceflasche (breiter Ring, klemes Loch).
11) An Qualität und Alter vielleicht die erste rheinische Arbeit in diesem Genre ist die
prächtige Siegburger Ringflasche der Sammlung Figdor, mit (Drachenhenkeln und) einem
Menschen-Maskaron oben und unten am Ring. Die eigentümliche Glasur läßt hier unter Um-
ständen an ein Fayencevorbild denken. Solon (The art stoneware I p. 93) äußert unabhängig
von einem solchen Gedanken die Vermutung: „Probably thin touches of white tin enamel had
been partially applied, of which only faint trac^ remained after the firing".
12) Wir sind für die Photographien Herrn Direktor Dr. Hager zu Dank verpflichtet.
13) Alter Besitz.. An der Echtheit zu zweifeln sehe ich (nach Autopsie) keinen Grund.
Eine Konfrontation beider Exemplare wäre allerdings erwünscht. Die Münchener Flasche erscheint
dank der Abwechslung in den Schlußstücken der vorderen Ranke und durch die Verwendung
von Grün in dem Ornament der äußeren Laibung eher bedeutender als die nur in Blau gemalte
Flasche in Sigmaringen. Letztere ist auch in den Maßen etwas geringer. (Die genauen An-
gaben über die Sigmaringer Flasche verdanken wir der Liebenswürdigkeit des Herrn Hofrats
J. W. Gröbbels).
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(Hirschvogel, B. 95) Abb. 2.
es will uns dünken, als sei die Gestalt der Ringflasche in Fayence so ein Kompromiß
zwischen Phantasie und Erde. — Nun gibt es in blaugemalter deutscher Fayence
des 16. Jahrhunderts noch eine andere Type, die nicht minder grotesk aussieht: die
bereits erwähnten Eulengefäße mit abnehmbarem Kopf. Im ganzen sind sieben
Exemplare bekannt. Ihre Zusammengehörigkeit ist durch eine sorgfältig vergleichende
Untersuchung von K. Masner erwiesen.**) Auch diese Spezialität wurde also von
einer botega in mehreren gleichartigen Exemplaren ausgegeben. Das gemeinsame
Eulenmotiv ist der Meinung günstig, hier möchten Erzeugnisse derselben Luxus-
industrie vorliegen. — Für eine Beziehung der Eulengefäße auf Hirschvogel spricht,
daß in seinen Ornamentstichen häufig unstilisierte tierische Formen Verwendung ge-
funden haben. Man vergleiche etwa das Gefäß B. 84, auf dessen Bauch ein vogel-
ähnlicher Igelkopf aufsitzt, oder den hockenden Geißbock, der einen Schild hält (B. 83)
und besonders noch auf dem Blatt B. 95 (Abb. 2) gerade unter der Eulenskizze die
Krallen als Fuß. Auch muß es auffallen, daß die „griselige" Strichführung in der Blau-
malerei der Eulen für Hirsch vogel den Radierer so charakteristisch ist.'*) — Die
Priorität der rheinischen Steinzeugeulen hat Masner in Frage gestellt. Falls nun
wirklich der Fayencering unter den rheinischen Krugbäckem Schule gemacht haben
sollte (vgl. Anm. 11), so würde auch hier die Annahme eines Abhängigkeitsverhält-
nisses erleichtert sein. Eine andere Frage wäre, ob nicht ein gemeinsamer Archetyp
zu vermuten ist. Schon gegen Ende des 15- Jahrhunderts fabrizierte die für Hirsch-
14) Jahrbuch d. Schles. Museums f. Kunstgewerbe und Altertümer (Breslau 1902) S. 100 ff.
15) Die Eule Sr. Exzellenz des Grafen H. Wilczek (Burg Kreuzenstein) zeigt auf dem
Deckel den gemalten Profilkopf eines Türken mit Turban. Hirschvogel hat das Profil eines
Türken mit Turban i. J. 1547 radiert (B. 17).
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DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MOSBUM
vogels Schaffen allerdings in Betracht zu ziehende Glasindustrie von Murano,
wie Marcantonio Sabellico (De situ Venetae urbis, 1495) berichtet, omnis generis
animalia, und die Häufigkeit tierischer Gefäßformen (Eulen, Hirsche, Bären) in der
Goldschmiedekunst der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhundert läßt auf
eine ältere Tradition auch innerhalb dieses Handwerks schließen. Die nämliche
Werkstatt der Maximinenstraße in Köln, der die ältesten Steinzeugeulen ent-
stammen, hat bei einer Reihe von Gefäßen Metallbuckelung angewandt, und
für ein silbervergoldetes Vorbild der Fayenceeulen mag die Goldminierung des
ältesten Exemplars sprechen, vielleicht auch der Umstand, daß hier wie bei der
nächstjüngeren Eule die Federn plastisch und grätig sind. Diese Annahme ließe
sich wieder mit dem Satz Neudörffers, der ausdrücklich den Metallcharakter der
Hirschvogel-Nickelschen Keramik konstatiert, wohl vereinigen, um so eher, als
wir durch die RatsverHsse von der gleichzeitigen Existenz eines Goldschmieds
(Balthasar) Nickel in Nürnberg wissen. Auch zeigt das Omamentstichwerk Hirsch-
vogels, daß zwischen ihm und der Goldschmiedekunst Beziehungen bestanden haben.
Die Breslauer Eule trägt den Bindenschild von Österreich, das bekanntlich
Augustin Hirschvogels zweite Heimat war. Er starb dort im Jahre 1553- Man ist
gewohnt, ihm nachzusagen, daß er wankelmütig und unstet gewesen sei. Allein ein
Vagant war Hirschvogel nicht. Er hat die Brücken hinter sich nicht leichtfertig
abgebrochen. Sein Gesuch um Aufrechterhaltung des Nürnberger Bürgerrechts be-
weist das. Ebenso läßt der Verlag seines Buches über Geometrie und Perspektive
vermuten, daß er mindestens bis 1543 mit einem Fuß in Nürnberg blieb, wo die
Sippe lebte. Irrig ist es auch, wenn Neudörffer Hirschvogels Lebenslauf so dar-
stellt, als hätten die verschiedenen Phasen seiner Künstlerschaft sich dergestalt ab-
gelöst, daß die neuen Interessen immer die alten verdrängten. Wir wissen, daß
Hirschvogel noch 1543 und 1548 Glasmalereien lieferte. Ebenso wird seine kera-
mische Tätigkeit, die nur für die Zeit von 1530— 1535 beglaubigt ist, mehr als ein
vorübergehendes Zwischenspiel gewesen sein. Blieb aber der Künstler an dem kunst-
gewerblichen Betrieb, den er in Nürnberg in Szene setzte, zeitlebens interessiert,
so hatte möglicherweise die Nickeische Werkstatt seinen österreichischen Bezieh-
ungen noch die Kundschaft zu verdanken, welche die im Jahre 1560 gebrannte
Eule bestellte.
Der ursprüngliche Sinn der Eulengefäße ^®) mit Wappen ist uns nicht be-
kannt. Wenn die Geschichte des Breslauer Exemplars glauben macht, daß „dieser
lücubrierende Vogel** vielleicht von jeher ein Bibliothekszierrat war, so möchte wohl
an das klassische Symbol erinnert werden, um so eher als wir Grund haben, das
16) Mein Kollege, Herr Archivar Dr. H. Heerwagen macht mich noch freundlichst auf
folgende Mitteilungen aus einem 1583 aufgenommenen Inventar der Burg Neidek (jetzt im
Rentamt in Arnstadt) aufmerksam: „So fand der Notar, als er das Kellnerstüblein in Augen-
schein nahm, viel Gläser aus Boheim zu verzeichnen, dazu 64 Venedische Gläser, klein und
groß, doch deren etzlich mit Deckeln. Ein Venedischer Willkumb mit sieben Jungen, eine
große Eule aus Thon gebrannt, standen bereit, ankommenden Gästen den Labetnink zu
kredenzen. Im übrigen scheint auch das Schießhaus im nahen Garten den Ansprüchen der
Gäste an den fröhlichen Becher vollauf Rechnung getragen zu haben. Denn* auch hier
fehlte es nicht an Willkumbs mannigfachster Gestalt und anderem Trinkgeschirr."
(Alt-Arnstadt, Beiträge zur Heimatkunde von Amst. und Umgegend, Arnst. 1901, S. 29-)
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FAYENCE
29
Wort Neudörffers von Bildern „antiquitetischer Art" wörtlich zu nehmen (vgl.
S. 32). Eine andere Deutung dürfte jedoch näher liegen. Die rheinischen Stein-
zeugeulen hat 0. V. Falke als ein im Dialekt verständliches Wahrzeichen der
„Ulner" (d. h. Töpfer) erklärt. Sollte demgemäß die erste Fayence- Eule ein ver-
körpertes Wappenbild gewesen sein, das dann, den Anlaß gab, die originelle
Form auch für andere Wappen als Schildhalter zu verwenden.^ Die Hypothese
hat etwas Verlockendes, wenn man bedenkt, daß Hirschvogel in der betreffenden
Zeit (vor 1540, dem Datum der ältesten der erhaltenen Eulen) als Stempel-
schneider wesentlich heraldischen Interessen lebte. Dazu kommt, daß der Gönner,
der ihn nach Österreich zog und ihm selbst (u. a. zu Glasgemälden) Aufträge gab,
wie auch solche des Kaisers vermittelte — der Hofkammerrat Christoph Kheven-
hüller^') — einem Geschlecht angehörte, das die Eule im Schilde und als Helm-
zier führt.
Während das Breslauer Gefäß sich auf Österreich (Kaiser) bezieht, weisen Wappen
anderer Exemplare nach Südwestdeutschland. Nürnberg, das zwischen den beiden
Absatzgebieten mitten inne liegt, kommt daher (wenn die im übrigen schwächeren
Ansprüche Augsburgs und Ulms sich nicht erhärten lassen) ohnehin als mutmaß-
licher Herstellungsort in Betracht. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß Hirschvogel
in Österreich eine Filiale der Nürnberger Firma ins Leben rief. Für diesen Fall —
Gustav E. Pazaurek stellte in Erinnerung an Neudörffers Charakteristik der Hirsch-
vogel-Keramik die interessante Hypothese auf ^®) — wäre an jene teils glatten,
teils gebuckelten Schüsseln und reliefierten Kannen und durchbrochenen Teller
von weißer Fayence zu denken, die, häufig mit Wappen süddeutscher Familien be-
malt, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im 17. Jahrhundert nach
italienischer Art wie es scheint auch in Österreich gearbeitet wurden. Ich
bemerke noch, daß in Gräflich Giech'schem Besitz (Fideikommiß) eine Reihe
von solchen Fayencen erhalten ist, die aus Kärnthen, von den Familien
V. Khevenhüller und Dietrichstein herstammen, deren (Einzel-) Wappen sie tragen.
Ein Khevenhüller ehelichte 1624 eine Dietrichstein. Erinnern wir uns der be-
rührten Beziehungen zwischen Hirschvogel und einem älteren Angehörigen
dieses Hauses, so gewinnt jene Vermutung noch an Wahrscheinlichkeit.
Allerdings kann man Weißgeschirr der geschilderten Art vor der Mitte des 16. Jahr-
hunderts kaum nachweisen. Erst nach 1560 tritt es zahlreich auf. Und bei
diesen älteren Fayencen handelt es sich wohl wesentlich um italienisches Fabrikat.
Jacquemart zitiert die Nachricht: „En 1567 le navire la Pens6e amenait ä
Rouen trois coffres bahuts pleins de vaisselle blanche et peinte de Faenze." Noch
deutlicher gibt sich ein Eintrag vom Jahre 1565 in dem Unkostbuch des Wilibald
Imhof (Nürnberg, Kgl. Kreisarchiv): „40 weiße Maiolika mit Wapen, und andere
Maiolikas." Im Germanischen Museum ist solches Geschirr reichlich vorhanden. Ein
Teller (H. G.406*) mit Wappen derScheurl und Imhof trägt die Jahreszahl 1560 (oder
1 569 ?) und die Marke Jännicke M. V. 247. Ebenso bezeichnet ist der zweifellos
17) Vgl. über Hirschvogels Beziehungen zu ihm: A. Walcher v. Molthein, Bunte Hafner-
keramik der Renaissance in den österreichischen Ländern (Wien 19O6) S. 32.
18) Vgl. Mitteilungen des Nordböhm. Gewerbe-Museums XX (1902) S. 98 f. und „Nord-
böhm. Gewerbe-Museum: Keramik" (Reichenberg 1 905) S. 13 ff.
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30
DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
italienische große Teller (H. G. 350) mit einer Darstellung der Lebensalter. Auch sonst
kommt diese Marke, deren Deutung Jacquemart gefunden zu haben glaubt, auf Stücken
der Gruppe nicht selten vor. So auf einer in Palmetten und Maskarons reich ge-
buckelten Schüssel des Gewerbemuseums in Nürnberg (VIII 318). Eine in der
Form ähnliche Schale (H. G. 357) hat Essenwein bereits publiziert. Das Wort
„weys" auf der Rückseite, blau unter Glasur, bekundet, wenn es auch keine Signatur
bedeutet, doch unwiderleglich den deutschen Ursprung, und es ist interessant,
einmal das Gewicht mit einem in Maßen und Buckelungen genau übereinstimmen-
den Exemplar (H. G. 2139) der Ware, die jedenfalls nicht deutsch ist, zu vergleichen.
Die deutsche Schale wiegt ganz bedeutend schwerer: 933 gr- gegenüber 815 gr.
Hier schließen sich zeitlich die Fayencen des Monogrammisten SL an, die durch
Anzeichen fränkischer Herkunft den Nürnberger Ursprung der früheren deutschen
Fayencen, denen sie augenscheinlich nahe verwandt sind, beglaubigen. So zeigt eine
kleine Schale^*) vom Jahre 1621 das Wappen des oberfränkischen Geschlechts v. Giech.
Eine Büchse (H. G. 2405) mit dem sächsischen Wappen, datiert 16I8 (Abb. 3)
stammt wie die gleichartigen Stücke des Kunstgewerbemuseums in Dresden
wahrscheinlich aus der Dresdener Hofapotheke, wo noch ähnliche Gefäße stehen.*®)
Wenn dies nun dieselbe Apotheke ist, für die eine Creußener Büchse der Samm-
lung V. Lanna, Prag, mit der Inschrift „H. Jodicus Muller Apotheker zu
Dresden 1626" gearbeitet wurde, so dürfen wir vermuten, daß man dort
auch acht Jahre früher schon die Schaustücke der Offizin aus Franken bezog.
Überdies kann die Form als autochthon fränkisch betrachtet werden, insofern sie zu den
von Creußen beständig wiederholten Typen gehört und anderwärts kaum vorkommt.
Da die älteste uns bekannte eckige Apothekenbüchse aus Creußen erst 1622 datiert ist
(H. G. 829*), müssen wir die Frage, ob Fayence oder Steinzeug die Priorität des Typus
hat, oder ob wieder ein Archetyp von Zinn anzunehmen wäre, wie in den vor-
erörterten Fällen offen lassen. Das Metallmotiv des Kettenbelags haben die Creußener
Hafner der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch anderweitig gern verwandt
im Einklang mit dem damals strengen Charakter der Bossierung und die Caryatide
in ganzer Figur (mit einem Gesicht auf der Draperie und mit dem Brustkleinod)
findet sich ähnlich auf einem frühen Creußener Krug der Sammlung Frohne,
Kopenhagen (vgl. Anm. 48) und in ganz auffälliger Übereinstimmung der Details
(vgl. etwa die Haartracht), wenn auch weniger zierlich, auf einem Creußener Krug
des Gewerbemuseums in Nürnberg (Einzelabbildung: Bayer. Gewerbezeit. VIII,
S. 221). Diesen hat C. Friedrich bereits in seinem Werke über Hirsch vogel ab-
gebildet, ohne von der Fayence zu wissen, die ihn gewiß zu einem Vergleich
zwischen seiner und der heute herrschenden Stellung der Hirschvogelfrage ver-
anlaßt hätte.
In Betreff etwaiger Beziehungen der SL-Gruppe zu den Incunabeln ist zu-
nächst zu bemerken, daß in technischer Hinsicht die Blaumalerei der Büchse mit ihrem
frischen, teilweise pastosen Farbenschmelz u. a. der Schüssel von 1530 (H. G. 352*)
außerordentlich ähnelt. Die Schale von 1621 hat das Wappen mit der Jahreszahl in^-
19) Im Besitz des Herrn G. H. Lockner, Würzburg.
20) Vgl. Mitteil. d. Nordböhm. Gewerbemus. XXII, S. 107.
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31
(H. G. 2405) Abb. 3.
mitten von plastischen Schuppen, die als fünffacher Kranz die ganze Umgebung des
kleinen Spiegels füllen : man wird an die datierten Eulen mit ihren Wappen auf dem
Schuppengefieder erinnert. Schuppen bilden auch einen wesentlichen Bestand-
teil des Ornaments der Büchse (s. in der Abb. besonders links oben). Dort ist die
Innenzeichnung der einzelnen Bogenlinien durch ein Häkchen in Verbindung mit
Längsstrichelung gegeben und wir hätten damit den Übergang von dem Gefieder
zu dem Schmuck der Schuppen in der späteren Schale, der nur aus mehreren kon-
zentrischen Häkchen besteht. Es sei hier daran erinnert, daß schon der Hamburger
Teller einen Schuppenkranz aufzuweisen hat. An sich sind Schuppenverzierungen
ja ein nicht eben selten benutztes Zubehör des allgemeinen Omamentenschatzes
der Renaissance. Immerhin kann festgestellt werden, daß gerade in Hirschvogels
Gefäßphantasien Schuppenbildungen verhältnismäßig reichlich auftreten, und es
mag wohl sein, daß eben die fragliche Beschäftigung mit Majoliken (wenn nicht die
Gläser- Schmelzmalerei) den Radierer daran gewöhnt hatte. — Die Büchse von 1618
(die durch das Vorhandensein von Reliefdekor an die von Jacquemart beschriebene
Fayence- Eule der Sammlung de la Herche erinnert) ist auf der Schulter mit mehreren
Ringlinien umrandet, an welche sich ein Kranz von kleinen Halbkreisen anschließt:
ein simples Motiv, das in der Hirschvogelfrage doch eine gewisse Beachtung ver-
dient, insofern es der Glasmalerei des 16. Jahrhunderts (Wappenscheiben) besonders
eigentümlich ist und seine Beliebtheit auf diesem Gebiete durch die Technik des
Auskratzens der Farbe natürlich gewonnen hat, also ein eigentliches Glasmalerei-
ornament darstellt. Solche Rahmung findet sich schon in gleicher Weise in dem
Hamburger Teller und noch auffälliger in der Madonnenschüssel von 1530. Die
Bogen stoßen immer scharf aneinander. Auf zwei dem mutmaßlichen Schulzu-
sammenhang der genannten Fayencen femer stehenden Schalen von 1584 (H. G. 390)
und 1596 (H. G. 391) — beide haben, so verschieden sie im übrigen sind.
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32
DEUTSCHE KEKAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
auch eine eigentümliche Oliv-Mischung von Blau und Gelb gemeinsam — ist aus dem
Spitzenrand eine Wellenlinie geworden.
Ein sicher mit Franken verknüpftes Bindeglied der SL-Gruppe und der älteren
Fayencen bietet die unbezeichnete kleine Schale H. G. 2015* mit einem ungerahmten
hellblau gemalten Bischofswappen. Es ist das des sehr freisinnigen Johann Philipp
V. Gebsattel, der 1 599 zum Bischof von Bamberg erwählt und im gleichen Jahre
vom Papst bestätigt, 1600 vom Kaiser mit den Regalien belehnt wurde und bereits
1609, an der Pest, starb. ^^) Auch diese Schale zeigt sich in der Mache der Madon-
nenschüssel von 1530 verwandt. Hier wie dort ist die Glasur, besonders auf der Rück-
seite, z. T. in dicken Tropfen rein weiß geflossen und stellenweise scheint der Scherben
leicht rötlich durch, ferner sind die Drehungsriefen (bei der Schüssel auf der Rück-
seite, bei der Schale vorn) erkennbar. Ähnlich in technischer Hinsicht, wiewohl
schärfer gedreht, ist auch die große Schüssel mit dem blauen Brustbild eines Herrn
vom Jahre 1593 (H. G. 369). Der Spiegel hat hier wieder die vorerwähnte Rahmung.
Die daran angesetzten Strahlenzipfel können an die Schulterschraffierung der
Sigmaringer Ringflasche erinnern, wo diese Verzierung wie ein abgeleitetes Ornament
aussieht und vielleicht eine Schüssel mit Strahlenbildung ähnlich der\on 1593 vor-
aussetzt, wie überhaupt der Ausfall entscheidender Zwischenglieder der Reihe nicht
stark genug in Rechnung gezogen werden kann.
Durch die Liebenswürdigkeit von Charles Hercules Read sind wir in den
Stand gesetzt, zur Vervollständigung noch einen Teller des Britischen Museums
abzubilden: Abb. 4.*^) Diese wesentlich in Blau (außerdem in Gelb und etwas
Orange) gemalte Fayence ist datiert 1583, 10/Januarij. Mit der Bezeichnung CL
(verschränkt) scheint sie sich als ein älteres Produkt der späteren SL- Firma aus-
zuweisen. Irren wir nicht in der Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen
der letzteren und den Werkstätten von Reinhard-Hirschvogel-Nickel, so kann ein
SL-Teller des Beriiner Kunstgewerbemuseums in der Hirschvogelfrage Bedeutung
gewinnen. Dargestellt ist eine allegorische Figur mit der Beischrift rhetorica.
Das Bild gehört also zu einer Folge der sieben freien Künste. Wir erinnern uns
hier an Neudörffers Wort von Bildern „antiquitetischer Art". Sollten schon die
Nürnberger Fayencen der 30 er und 40 er Jahre des 16. Jahrhunderts u. a. auch
Themata der klassischen Bildung behandelt haben? Der im eigentlichen Sinne
„antiquitetisch"ste unter den Nürnberger Malern jener Zeit war Georg Penz. Wir
dürfen vermuten, daß dieser Erzklassicist einen Einfluß auf die Nickeische Werk-
statt ausübte.*') In den Ratsveriässen (Hampe Nr. 2120 und 2209) tritt Georg
Penz 1535 für Augustin Hirschvogel und Hans Nickel (die Firma), dann 1536
für Hans Nickel (den damals alleinigen Inhaber) als Bürge auf, das zweitemal
21) Diese Angaben verdanken wir Herrn v. Kohlhagen, Bamberg, Herausgeber der
„ Heraldisch. Genealogischen Blätter**.
22) Man wird zur Not einige Elemente des Randornaments der Madonnenschüssel von
1530 hier wiederfinden: den undulierenden Grundzug, die gegenständigen Blätter (s. r. oben)
und die runde Granat- Frucht (?) mit einem Büschel von drei Blättern.
23) Penz hat auch eine Folge der sieben freien Künste gezeichnet (B. HO— tl6): sitzende
Gestalten. Die schon etwas mißverstandene Berliner Rhetorica (mit einem Mercurstab!) steht.
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33
(London) Abb, 4.
unter Garantie auf ein Jahr. So möchte ich fast annehmen, daß er nach Hirsch-
vogels Weggang vorübergehend der künstlerische Beirat des Betriebs gewesen ist.
Sind die SL- Fayencen die direkten Abkömmlinge einer Nürnbergischen
Industrie des 16. Jahrhunderts, so müssen wir eine Gruppe von Schalen mit
gekräuseltem Rand, die, jenen gleichzeitig, doch wesentlich von ihnen verschieden
ist, auf eine Nebenlinie rücken.-*). Die Exemplare des Germanischen Museums
(H. G. 370— 372 a) tragen die Jahreszahlen 1613, 1618 und I623. Zugehörige
Schalen im Münchener National - Museum sind datiert 1610, 1617 und 1630,
im Berliner Kunstgewerbe-Museum: 1623. Bei dem ältesten Stück ist die Glasur der
Rückseite fett und deckend, bei den späteren mager. Die Schale v. J. 1610 (mit einer
Darstellung von Adam und Eva) ist noch in guter Majolikatechnik spiegelnd glatt in
Blau, Grün, Gelb u. Mangan ausgeführt, die v. J. 1630 (mit einem Vogel zwischen Blatt-
stauden) ist roh und rauh, die Farben sind schon ganz schlecht eingebrannt. Vielleicht
stammt diese Serie unmittelbar von italienischen Majoliken ab. Man vergleiche
für den gekräuselten Rand etwa die Schale Nr. 153 der Sammlung Spitzer, mit großem
weiblichem Brustbild und (italienischer) Inschrift. Die allerdings nicht ganz ein-
heitliche Reihe«») ist interessant, insofern sie einmal im Zusammenhang den Übergang
von Majolika zu jener Stufe der Bauemtöpferei veranschaulicht, die wir aus Joh.
Böhlaus Veröffentlichung gleichzeitiger Erzeugnisse einer niederhessischen Werk-
24) Der Londoner CL-Teller könnte zwischen den beiden Gruppen vermitteln.
25) Der auf einigen Stücken vorhandene dünne Kranz mit gegenständigen Blättern findet
sich schon auf der 1609 datierten schweren Schale (ohne gekräuselten Rand) mit einer weib-
lichen Gestalt: H. G. 1552
Mitteilungen ans dem german. Nationalrnnseum. 1906.
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34 DEUTSCHE KERAMIK IM GERBfANISCHBN MUSEUM
Stätte kennen gelernt haben. Von den dieser Stufe nicht ferne, aber höher stehenden
Schweizer Fayencen des 17. Jahrhunderts besitzt das Museum u. a. einen schweren
Winterthurer Teller mit der Autumnusallegorie, H. G. 5362, (aus der Kollektion
Gubler) der um 1625 zu datieren ist. Auch die sächsischen Teller mit malachit-
grünen Blättern auf grauem Grunde seien hier genannt. Vorhanden sind (in der
Sammlung von Bauern- Altertümern) solche von I663, 1673, 1688, I698 und spätere.
Auf den älteren Tellern ist außer Grün noch Gelb angewandt. — Unter den öster-
reichischen Halbfayencen bemerkt man eine Schüssel (H. G. 1553*) mit Hasen-
geschichten aus der Tierfabel zwischen dunkelblauen welligen Bändern die sich
überschneiden. Dieselbe entstammt einer Salzburger Werkstätte um 1680, von der
A. Walcher v. Molthein kürzlich einen Teller im Museum Carolino Augusteum in
Salzburg und mehrere Krüge nachgewiesen hat. Ein Krug (in Privatbesitz in Linz)
ist durch die Darstellung der Werkstatt des Hafners Thomas Obermillner bezeichnet
(vgl. Kunst u. Kunsthandwerk X, S. 89 ff.)-
Fayencen mit Schwarzlotmalerei sind im Germanischen Museum noch nicht
so reichlich vorhanden, wie es von einer Nürnberger Spezialität zu erwarten wäre.
Ein schönes Stück ist die gelappte Schale H. G. 5156,* mit Brustbildern des Johann
Harsdörffer und seiner Ehefrau sowie einer Reihe von Allegorien, die sich auf den
Pegnesischen Blumenorden beziehen und somit den Nürnberger Ursprung der feinen
Malerei verraten. Das Monogramm des Johann Schaper, der seit 1640 etwa in Nürn-
berg tätig war (man vergleiche die Scheibensammlung des G. M.) und im Jahre
1670 starb, trägt ein birnförmiger Krug, H. G. 4652,* ebenfalls mit allegorischen
Bildern. Schaper hat hier auf eine Narbe der Glasur eine Fliege aufgemalt, wie das
später Meißen den Japanern nachmachte.
Der Nürnberger Schmelzdekorateur, der in gewisser Beziehung als ein
Vorläufer der Porzellanmaler gelten kann, Abraham Helmhack, ist mit zwei
großen Enghalskrügen (H. G. 6084, 6085) und — eine Seltenheit -— mit einem
Teller (H. G. 1603*) vertreten, der verwandte Monogrammist W R nur mit
einem kleinen Enghalskrug (H. G. 5047). Die Darstellung des letzteren ist eine
von grünen Palmzweigen gerahmte bunte Türkenschlacht unter lichtblauem Himmel,
spiegelnd glatt gebrannt. Für die Frage nach den Vorbildern dieses Malers ist das
„livre nouveau de fleurs trös-util pour l'art d'orfevrerie et autres" von Nikolaus
Cochin (Paris, 1645) in Betracht zu ziehen. Mit der Türkenschlacht des Kruges läßt
sich die sehr ähnliche Mittelgruppe (s. das aufbäumende Pferd nach r. und den
Flüchtling, der mit vorgestreckten Armen nach rechts eilt) auf Blatt 2 der Folge
vergleichen. — Der Monogrammist W R scheint in den 80er Jahren des 17. Jahr-
hunderts geblüht zu haben. Helmhacks Tätigkeit reicht von dieser Zeit bis in
das dritte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts hinein. Ausweislich des Totenbuchs
der Nürnberger Glasermeister, das im Germanischen Museum bei den Zunftalter-
tümern aufbewahrt wird, ist er geboren zu Regensburg 1654, kam aufs Handwerk
1668, ward freigesprochon I672, erlangte das Meisterrecht 1678 (erwarb das
Bürgerrecht in Nürnberg 1680),**^) wurde zum Geschwornen erwählt 1688, 1695
und 1707 und starb 1724, seines Alters 70 Jahr. Dem Andenken des
26) Vgl. das Bürgerbuch im Kgl. Kreisarchiv. Herr Dr. Th. Hampc war so liebens-
würdig, mir die Einsicht seiner daraus genommenen Excerpte zu gestatten.
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FAYENCE
35
Glasermeisters Ferdinand Waldt, bei dem er in Nürnberg (nach Doppelmayr)
1673 Arbeit nahm, hat er 1675 ein Blatt radiert. Der Blumenzweig, der das
Porträt umgibt, zeigt noch nicht die auf den späteren Krügen (H. G. 6084, 6085)
erreichte Freiheit, die den großen, in ungemein zartem Relief gehaltenen Schnitt-
blumen eines gleichzeitigen Nürnberger Zinngießers S. L. oder S. J. (schönes Bei-
spiel der breitrandigen Teller: H. G. 461, vgl. auch Collection Ritleng Nr. 86 und
Zinncimelien der Sammlung Kahlbau PI. XIII) nichts nachgibt. Die Blumen-
malerei ist überhaupt Helmhacks Vorzug. Seine Leistungen in dieser Spezialität
lassen es wohl begreiflich erscheinen, wenn, wie Doppelmayr sagt, curieuxe Lieb-
haber von ihm gemalte Gefäße begehrten. Das Figürliche ist weniger seine Sache.
Der Teller (H. G. 1603*) zeigt in der Mitte eine braunschwarz gemalte Schäferszene
(spiegelnd gebrannt) und am Rande Ranken in derselben Farbenstimmung wie
einige der kolorierten Ornamentstiche, *^) die Helmhack bei Weigel in Nürnberg ver-
legt hat, nämlich Hellgelb, Lichtgrün, violettes Carmin und Hellblau, die beiden
letzteren Farben außerdem gemischt. — Unbezeichnet ist ein mit dem Wappen
dar Nürnberger Patrizierfamilie Haller versehener großer Enghalskrug (H. G. 171)
mit Purpurmalerei, dessen Ornamentik an das „Laubwerk" Helmhacks (Weigelscher
Verlag Nr. 173) erinnert. Die Montierung hat die Marke eines Nürnberger Gold-
schmieds H. H. (Rosenberg 1387), von dem die hiesige Johanneskirche datierte Ar-
beiten von 1698 und 1709 bewahrt. —Daß „feine" Krüge mit Purpurmalerei auch
in Frankfurt hergestellt wurden, hat H. v. Trenkwald aus einem Inventar der
Fehr'schen Manufaktur (I693) nachgewiesen. Der Meister des kleinen Enghals-
kruges (H. G. 5537) mit gut gezeichneter Szene in Purpur (Loth und seine Töchter)
muß noch bestimmt werden.
Im übrigen bedarf die Gruppe der Nürnberger Schmelzmalereien der Er-
gänzung. So fehlen die Monogrammisten J. L. F. und M. S. Ersterer, den
Direktor Brinckmann mit dem Glasmaler Johann Ludwig Faber identifiziert
hat, scheint allerdings nicht in Nürnberg selbst gearbeitet zu haben. Doppel-
mayr erwähnt Faber als Schüler des im Jahre 1670 verstorbenen Nürnberger Glas-
malers Georg Guttenberger und bemerkt, daß er sich außerwärts als guter
Künstler in der Glasmalerei erwiesen. Von ihm je ein Krug mit Schwarzlot-
malerei im Hamburger Museum (bez. L. F. 1682) und im National-Museum in
München (bez. J. L. F. 1688). Von dem Monogrammisten M. S. besaß Pickert in
Nürnberg (Katalog 1881 Nr. 25 m. kleiner Abb.) einen großen Enghalskrug mit einer
bunten Darstellung. Bezeichnete Arbeiten desselben Malers waren auch in der
Historischen Ausstellung in Nürnberg (I9O6) und in der Keramischen Ausstellung
des Nordböhmischen Gewerbe-Museums in Reichenberg (1902). Er dürfte identisch
sein mit einem gewissen M. Schmid, der sich (nach Bucher) 1722 auf einem in
Purpur dekorierten Kruge nennt.
Das Material, das diese Hausmaler als Grund verwendet haben, ist von
verschiedener Art. Man vergleiche etwa mit dem Schaperkrug den jüngeren Helm-
hackteller: dieser sehr dünn gedreht, aber in der Glasur bläsig und von etwas
grünlicher Färbung, jener solid, technisch vorzüglich, mit tadellos milchiger Glasur,
27) Herr Prof. Jessen war so gütig, uns zum Vergleich das kolorierte Berliner Exemplar
herzuleihen.
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3Ö DBUISCHK KERAIUK IM GERMANISCHEN MUSEUM
die einen leichten Stich ins Rötliche hat. Von gleicher Fayence wie der Krug ist
der im Spiegel mit einer Allegorie, am Rande mit steifem Kranz von langstieligen
Blumen in Schwarzlot etwas gröblich bemalte Teller H. G. 1604* (ohne Bezeichnung).
Der Gewichtsunterschied der beiden Teller, bei gleichem Durchmesser, ist beträcht-
lich. Der Helmhacks wiegt 346 gr., der andere 512 gr. Offenbar kommen für dies
Weißgeschirr verschiedene Bezugsquellen in Betracht (vgl. Jahresbericht 19O6 des
Museums f. Kunst u. Gewerbe in Hamburg, S. 37).
Seit 1661 hat in Hanau, seit 1666 auch in Frankfurt eine Fayencefabrik be-
standen. R. Jung und H. v. Trenkwald haben deren Geschichte dargestellt.
Wesentlich jünger sind die nächstältesten Fabriken von Ansbach und Nürn-
berg. Das Gründungsjahr der ersteren ist unbekannt. Eine Verfügung des
Markgrafen Wilhelm Friedrich, datiert vom 4. April 1712, konstatiert, es befinde
sich das in dem Ansbachischen Porcellain Hauß fabricierte Porcellain nunmehro in
einer solchen Qualität und Güte, daß es jedermann vor tüchtiger und besser denn
Frankfurter und Hanauer Gut erkennen könne.*®) Demnach war das Unternehmen
damals bereits über den ersten Anfang hinaus. Daß die Fabrik schon im Jahre 1710
im Gange war, zeigt ein Eintrag des Onoltzbachischen Totenregisters vom Jahre 1710
— in den Matrikeln des Pfarramts in Ansbach, denen ich auch die weiteren neuen An-
gaben entnehme — wo d. 20. May ein Kind des Bortslin Mahlers Joh. Kaspar Rüpp
verzeichnet steht. Wenn wir diesen Fayencemaler zusammenbringen dürfen mit
dem Hanauer Porcellainfabrikanten Joh. Kaspar Ripp, der sich 1712 mit den
drei berechtigten Venediger Glas- und Krughändlern in Nürnberg zum Behufe der
Gründung einer Fayencefabrik associierte und wahrscheinlich mit dem Frankfurter
Fayencemaler Kaspar Ripp aus Hanau*') identisch ist, so stellt sich uns in dem
Itenerar einer Person der Stammbaum der vier Fabriken dar.
Auch der Begründer des Betriebs in Ansbach ist in dem dortigen Totenbuch
genannt: 1725, 7. Aug.: Mathäus Bauer, Porcelain- Verwalter, welcher die Kunst
Porcelain zu machen allhier erfunden, und die hiesige Fabrique aufgerichtet hat,
54 J. a.^^) Ein Schwiegersohn Bauers war, ausweislich des Onoltzbachischen Hoch-
zeitsregisters vom Jahre 1729 (22. Febr.) der Porcelain-Mahler Valentin Bontems, des
Gerhard Bontems, auch Porcelain-Mahlers, Sohn, jedenfalls derselbe, der am
3. März des nämlichen Jahres in Nürnberg erscheint. Signiert „d. 12 8br. Ao
1739 Valentin Bontemps" ist ein „Humpen in mattem Email mit einem Handwerks-
wappen in harten Tönen", den Jännicke beschreibt, ohne den Aufbewahrungsort
28) Vgl. W. Stieda, Die keram. Industrie in Bayern während des 18. Jahrhunderts
(Leipzig 1906), S. 9.
29) R. Jung (im Archiv für Frankfurter Geschichte und Kunst, 1901, S. 241 hat über ihn
folgende Daten ermittelt: geboren 1681, heiratet 1702, läßt (in Frankfurt) 1703— 1708 mehr-
mals taufen, stirbt (in Frankfurt) 1726. Diese Daten lassen sich mit der Annahme eines Ans-
bacher und Nürnberger Aufenthalts wohl vereinen. Jung macht darauf aufmerksam, daß Abraham
Ripp. 1742 Porzellain-Macher in Fulda, wohl ein Verwandter von Kaspar Ripp sei. — Auch in
der Fayencefabrik zu St. Georgen bei Bayreuth war ein Maler namens Ripp beschäftigt (vgl. Bayer.
Gewerbezeit. 1893, S. 327).
30) Es sei dahingestellt, ob etwa die Marke MB (verbunden) des Kühlbeckens mit Blau-
malerei H. G. 2518 auf Mathäus Bauer zu beziehen ist. Vgl. über ihn noch „Kunst u. Ge-
werbe" XXI, 258.
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FAYENCE
37
anzugeben. Die genaue Datierung entspricht Nürnbergischem Brauch.®^) Zu Beginn
der 40er Jahre finden wir (Johann) Valentin Bontems dann als Braun-Porcelain-
Fabricanten in Ansbach wieder.
Einen zweiten Schwiegersohn von Mathäus Bauer lernen wir in Georg
Christian Oswald kennen, der im Jahre 1720 (25. Apriiy als Porcelain-
Fabrique-Adjunctus heiratete und sieben Jahre später (25. April 1727 Tod eines
Kindes) bereits Verwalter der Fabrik war, als solcher 1728 (Mitte März) die
erste Frau verlor und 1729 (5. September) zum zweitenmal heiratete. 1734 war
er bereits verstorben. Oswalds Witwe ging damals eine Ehe ein mit seinem Nach-
folger, dem Porcellainverwalter Johann Georg Köhnlein, der in gleicher Eigen-
schaft noch in dem Hochfürstlich Brandenburg. - Onoltzbachischen Adress- und
Schreib-Calender auf das Jahr 1737 aufgeführt ist.
Das Germanische Museum bewahrt einen „G. Oswa 1713" bezeichneten tiefen
Teller: H. G. 3824 (Abb. 6), der übereinstimmend noch dreimal in Gräflich
31) Der Liebenswürdigkeit des Herrn Direktors H. v. Trenkwald verdanken wir eine
Photographie des Tellers im Frankfurter Kunstgewerbe-Museums, der mit „J. J. (unklar ver-
schlungen) Bontemps A® 1716" bezeichnet ist (Abb. 5). Das Ornament (Spiegelrahmung und
äußerer Rand) wiederholt sich genau in dem Teller H. G. 387 (mit einer Darstellung des Besuchs
Christi bei Maria und Martha, vom eine Küche), der die Signatur G. K. trägt und jedenfalls der
Nürnberger Schule zugehört. Doch ist er nicht auf Georg Kordenbusch zu beziehen, da hier (wo-
rauf mich Herr Direktor Brinckmann gütigst aufmerksam machte) die obligaten drei Punkte der
Kordenbusch-Signatur fehlen.
(Frankfurt) Abb. 5.
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(H. O. 3824) Abb. 6.
Giech'schem Besitz vorkommt. Die Blaumalerei ist schwarz konturiert, mit Aus-
nahme des Rankengewirrs. Gleichartige Fayencen sind in der städtischen Altertums-
sammlung in Würzburg. Das gekräuselte Ornament hat auch der, speckig und
bläulich glasierte, einzelne Deckel H. G. 1628, auf dem der Hohenlohesche Löwe
hockt als Träger der Wappenschilde von Hohenlohe und Öttingen. Der zugehörige
Becher ist nicht vorhanden. Vollständige Exemplare auf Schloß Langenburg (in
Württembergisch- Franken) und im Staatsmuseum in Stuttgart.*') Das erstere ist nicht
bezeichnet, das letztere hat unten die Buchstaben 0 S und im Deckel O S W 1714.
Die Bestellung dieser Ausstattungsstücke war wohl von der Familie der Braut,
also von Öttingischer Seite ausgegangen, und da wir von keramischen Beziehungen
zwischen Öttingen und Ansbach wissen -— für die Fürstlich Öttingische Fayence-
fabrik wurden im Jahre 1735 Angestellte des Onoltzbacher Betriebs engagiert
(vgl. Keram. Monatshefte 1905, S. 997) — so wäre hier ohnehin zunächst an
Ansbach zu denken. Die Signaturen 0 S, OS W und G. Oswa können daher unbe-
denklich auf den genannten Georg Christian Oswald bezogen werden.
Noch unter Oswalds Direktion, wenn nicht schon zu Mathäus Bauers Zeit,
scheint die Ansbacher Manufaktur nach Mustern vonRouen gearbeitet zu haben.'")
32) Auf die Becher in Langenburg und Stuttgart haben mich die Herren G. H. Lockner
und A. Stöhr in Würzburg freundlichst aufmerksam gemacht. Die näheren Angaben verdanken
wir der Schloßverwaltung in L. und der Museumsdirektion in St.
33) Versuchsweise möchten die beiden Platten mit Rouendekor H. G. 427*, die den Eindruck
von Versuchsstücken machen, für Ansbach in Anspruch zu nehmen sein. Ihre Marke (B mit einem
Anstrich) ließe sich in diesem Sinne deuten. Wenn nämlich die Nürnberger Fayencemarke aus
den aneinandergelehnten Buchstaben NB besteht, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß vorher
schon eine analog aus den Anfangsbuchstaben der beiden Silben des Stadtnamens gebildete
Ansbacher Fayencemarke (Ligatur AB) existierte. Es wäre nicht das einzige Beispiel, daß eine
Fabrik von der älteren Konkurrenz das Prinzip der Markierung übernimmt.
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FAYENCE
39
Jacquemart beschreibt „un magnifique surtout de table appartenant ä M.
Edouard Pascal; il est omd de moulures dl^gantes et dteord en camaieu bleu de
bordures et lambrequins dans le style de Rouen. En dessous entre les baguettes
de renfort appliqutes pour soutenir la tab*lette, est rinscription : Mathias Rosa im.
Anspach." Von diesem Maler dürfte auch der ä la Rouen dekorierte Untersatz
H. G. 1606* herrühren : bezeichnet M R (verbunden, das R links oben offen wie in dem
von Jacquemart mitgeteilten Facsimile). Ein anderer Träger des in Ansbach häufigen
Namens: Johann Lorenz Rosa, „Porcelain"-Mahler, ehelichte 1728 (1. Nov.) eine
Schwester des Bossierers und „Porcelain"-Drehers Johann Leonhard Popp. Kinder
von ihm stehen 1736 (5. Juni) im Totenregister.
Ein Fayencemaler namens Johann Georg Taglieb läßt sich von 1722—1734
in Ansbach nachweisen. Heirat: 1722 (9- Juni); Tod von Kindern: 1723 (14. Nov.),
1724 (14. Aug.), 1728 (19- Aug.), 1734 (11. Juni); Tod der Frau: 1734 (25. Juni).
Es ist wahrscheinlich derselbe Johann Georg Taglieb — nach dem Tod von Frau
und Kindern mochte ihm die alte Heimat verleidet sein — der später in Rör-
Strand (vgl. Brinckmann, Führer S. 358) auftaucht. Als zweiter Nachfolger des eben-
falls aus Deutschland gekommenen Johann Wolff, der wohl mit dem gleichnamigen
„Porcellain"-Mahler identisch ist, welchem im Jahre 1717 in Nürnberg auf der
„Porcellain"-Fabrikanten Vorbitte der Schutz auf ein halbes Jahr verstattet wurde,
war Johann Georg Taglieb von 1739—1741 Leiter der schwedischen Manufaktur
und hat daselbst (nach einer freundlichen Mitteilung von Reichsantiquar Dr. Hans
Hildebrand, Stockholm) vornehmlich Blumen und Blätterzweige in camaleu-blau
gemalt. Auch wurde gerade während dieser Periode in Rörstrand der Rouendekor
gepflegt, auf den sich T. in Ansbach hatte einarbeiten können. Noch aus seiner
deutschen Zeit stammt ein mit dem vollen Namen „Taglieb" signierter Enghals-
krug, mit gewundenem Bauch und Zopfhenkel, im Gewerbemuseum in Nürnberg
(VII L 524). Die Malerei zeigt auf kleisterbläulichem Grund kleine hellblaue Vögel
und (z. T. dunkle) Blümchen. Dieser bekannte Typus, den auch Bayreuth ver-
wendete, ist im Germanischen Museum vertreten durch mehrere gleichartige Exem-
plare ohne Bezeichnung. Denselben Dekor hat auch die gewellte Schüssel H. G. 2098
die das Wappen der Nürnberger Familie Volckamer enthält, also wahrscheinlich
für Nürnberg beansprucht werden darf. In Frankfurt gilt solche Ware als einhei-
misch und es mag wohl sein, daß die jüngeren Konkurrenzfabriken das Muster
dorther haben.
Ob auch die Marke T. des Tellers H. G. 1573* ^luf Taglieb zu beziehen ist, steht
dahin. Die vorzügliche' Blaumalerei gibt ein ostasiatisches Vorbild wieder und der
genarbte Rand erinnert an die bunten Fayence-Nachahmungen der chinesischen
famille verte: das früher sogenannte Rehweiler Fabrikat.
Als vor fünf Jahren die erste Bestimmung der „Fayencen der grünen
Familie", die „den feinsten und schönsten im 18. Jahrhundert in Deutschland
erzeugten Fayencen zuzuzählen sind", als unhaltbar zurückgezogen wurde — die
Ware ist nicht weniger denn ein halbes Jahrhundert älter als die Castell'sche
Manufaktur — geschah es in der Voraussicht, daß sich wahrscheinlich Ansbach
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40 DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
als eigentlicher Herkunftsort künftig noch herausstellen werde. (Vgl. Jahresbericht
1903 des Museums f. Kunst u. Gewerbe in Hamburg.) Es ist dann weiter be-
merkt worden (vgl. Gustav E. Pazaurek, Keramik des Nordböhm. Gewerbe-
museums, Reichenberg 1905, S. 24 f.)/ daß der früher für denjenigen von
Gasten gehaltene quadrierte Schild, der sich u. a. auf der Rückseite des Tellers
H. G. 3836 findet, auch das HohenzoUemwappen von Ansbach bedeuten kann.
Denn da der Schild uni (nur in rot) gemalt ist, spielt die Farbe keine Rolle. —
0er zu der Gruppe gehörige Henkeltopf H. G. 2256 zeigt das große 22-feldrige
Wappen von Brandenburg-Bayreuth. Man hat daher auch an St. Georgen ge-
dacht, wo, wie es scheint, schon um 1740 eine in manchem Betracht ähnliche
Ware hergestellt worden ist. Doch gebührt Knöller keinesfalls die Priorität.
Denn die älteren „Fayencen der grünen Familie" stammen tatsächlich aus Ans-
bach. Die dortige Manufaktur begann mit diesem Artikel wie es scheint zur Zeit
des Wechsels in der Verwaltung, um 1730. Wesentlich daran beteiligt war Georg
Christoph Popp, der schon 1722 in Ansbach nachweisbar ist (Hochzeitsregister,
18. Mai). Seine junge Frau, 23 jährig, steht noch in dem gleichen Jahre im Toten-
buch (15. Dez.). Damals war Popp nur „Porcellain"-Mahler. 1737 führt ihn der
Hochfürstl. Brandenburg.-Onoltzbachische Adreß- und Schreib-Calender schon neben
dem „Porcellain"- Verwalter Johann Georg Köhnlein als „Porcellain"-Gegenschreiber
auf. In dieser Eigenschaft erscheint er ebendort noch 1742. Von 1747 ab finden
wir ihn in dem Calender als „Porcellain"-Verwalter. 1769 erwarb er die Fabrik
eigentümlich und erhielt den Titel eines Commercien-Commissarius. Als solchen führt
ihn der Calender dann seit 1770 neben Johann Gottfried Popp, gleichfalls Commer-
cien-Commissarius. 1791 war er anscheinend nicht mehr am Leben. (Der Calender
des Jahres verzeichnet: Bey der Faience-Fabrique: Hr. Johann Julius Popp, Com-
mercien-(i>mmissarius; Hr. Georg Ludwig Popp, (i>mmercien-(i>mmissarius). Georg
Christoph Popp hat es also noch weiter gebracht als Georg Christian Oswald. — Sig-
nierte Arbeiten von ihm, mit f amille-verte-Dekor, finden sich in verschiedenen Samm-
lungen. Im Germanischen Museum ein Enghalskrug (H. G. 4627) mit der Be-
zeichnung P 1732. Deutlicher ist die Signatur eines Cylinderkruges mit Chinesen,
im Münchener National-Museum: PO: 1734. Die Eigentümlichkeit, den Namen
nicht auszuschreiben, aber groß, haben wir schon bei Oswald festgestellt. Auch die
Vornamen gibt eine Marke, die Jännicke (M. V. 1342) auf einem jedenfalls der grünen
Familie angehörigen „Humpen mit mattem Email (bunte Verzierung in harten,
mit Schwarz schattierten Farben)" gelesen hat: G. C. P. 1730.
Aus der Sammlung Paul (Katalog Nr. 265) wurde der bimförmige famille-
verte-Krug H. G. 186 erworben. Die Bezeichnung VZ — es ist kein Punkt
zwischen den Buchstaben — beziehe ich auf einen Namensvetter, Landsmann und
Zeitgenossen des bekannten Odendichters, auf den „Porcellain"-Maler Johann Leon-
hard Uz, der am 20. Mai 1727 in Ansbach heiratete und dort gelegentlich des Todes
von Kindern auch 1728 (16. Sept.) und 1736 (16. Sept.) noch vorkommt. Wie bei
den technisch ähnlichen Arbeiten der älteren Schmelzmaler steht die Signatur
hier am Ansatz des Henkels. Aus der Gepflogenheit, Krüge auf dem schmalen
Henkel zu bezeichnen, erklärt sich auch die ungewöhnlich winzige Signatur des
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FAYENCE
41
zur grünen Familie gehörigen Tellers H. G. 28 (auf der Unterseite, am Bodenrand).
Es ist ein M., wohl die Abkürzung von Meyerhöfer.^*)
Wir mußten etwas länger bei der Ansbacher Manufaktur verweilen, weil sie
in der Geschichte der süddeutschen Fayenceindustrie eine wesentliche Rolle
gespielt hat. Besonders nachhaltig scheint Bayreuth von ihr beeinflußt worden
zu sein. Auf die Verwandtschaft Knöllerscher Fabrikate mit der famille-verte hat
neuerdings Pazaurek hingewiesen. Es erübrigt sich daher, hier darauf näher
einzugehen. Nur der in Muffelfarben bemalte Cylinderkrug H. G. 184* sei besonders
erwähnt. Dieses Cabinetstück ist mit Wahrscheinlichkeit auf den Buntmaler J. Chr.
Danhof er zu beziehen, der im Jahre 1737 von Wien nach St. Georgen (vgl. Fr. Hof-
mann, Die Kunst am Hofe der Markgrafen von Brandenburg fränk. Landes,
1901, S. 234) übersiedelte. Die Ornamentik (vergl. besonders die Halbrosette mit
strahlender Mitte) und der Charakter der Chinesenszene erinnern sehr an Porzellane der
Periode du Paquiers. Weitere Fayencen wurden Danhofer kürzlich von E. W. Braun
zugeschrieben.
Der Nürnberger Manufaktur werden die wesentlichsten Anregungen anfangs
durch den genannten Kaspar Ripp von Hanau-Frankfurt gebracht worden sein.
Da die Erzeugnisse dieser Manufakturen jedoch schwer bestimmbar sind, tappen
wir in Hinsicht auf die Frühzeit Nürnbergs im Dunkeln (vgl. Anm. 31).
Der von Jännicke (S. 953) abgebildete, unbezeichnete, aber wohl sicher hierher ge-
hörige Teller vom Jahre 1720 mit dem Selbstbildnis eines sonst in Nürnberg nicht
nachgewiesenen Fayencemalers namens Christoph Andreas Leitzel (H. G. 2007) im
Charakter der gleichzeitigen Fabrikherrenbilder von Tauber (Beriin, Hamburg) zeigt,
daß damals in Nürnberg die in manchen Sammlungen als Hanau geltenden Schüsseln
mit geteiltem Rand hergestellt wurden: Leitzel hat gerade eine solche Schüssel in
Arbeit. Der Frühzeit Nürnbergs zuzurechnen ist wohl auch das große gebuckelte
34) Johann Mathias Meyerhöfer, „Porcelain- Staffierer und Verzierer'* (so im Hochzeits-
register, wo begreiflicherweise mit Titeln und Würden nicht gekargt wird) heiratet 1719, 11- April;
Kinder von ihm stehen im Totenbuch 1728, 9- Sept. und 17- Sept. — Johann Wolfgang Meyer-
höfer, „Porcelain-Mahler und Vergülder" heiratet 1724, 12. Sept. Ein Kind von ihm im Toten-
buch 1726, 12. Aug. — Ein Kind eines „Porcellan"-Malers Meyerhöfer (Vorname fehlt) steht 1734
im Totenregister (18. Juni). — Ich notiere noch folgende Namen von Ansbacher Fayencemalern:
Georg Balthasar Bürckenkopf: Kinder im Totenregister 1726, 20. Sept und 22. Dezbr.;
im Totenregister 1730, 7- Juni noch der Eintrag: Georg Balthas. Bürkenkopf gewesener
Bortslin Mahler alhier: ein Söhnlein, 7 Monat. — Jeremias(?) Bütsch: Kind im Totenreg.
1727, 10. Nov. — Jo. Paul Förster: heiratet 1733, 27. April. — Georg Hahn: seine Witwe
heiratet den „Porzellan"mahler Johann Herrmann Mayer (vgl. S. 38, und Keram. Monats-
hefte 1905, S. 99 f.) 1733, 2. Juni. — Johann Jakob Hahn, Sohn des „Porcelain"- Brenners
Johann Georg Hahn, heiratet 1726, 22. Okt.; ein Kind im Totenregister 1727, 2. Nov. — Christian
Imanuel Kruckenberger: heiratet 1719, 7- Febr. u. stirbt im Alter von 32 Jahren 1730,
10. März. — Johann Albrecht Nestel: heiratet 1721, 18. März; ein Kind im Totenregister
1723, 5. Dez. — Johann Jacob Schmidt: heiratet 1724, 4. Sept. — Johann Michael Schnell
(vgl. Keram. Monatshefte 1905, S. 99f.) heiratet 1726, 14. Okt.; ein Kind im Totenregister 1728,
7. May. — Johann Bernhard Westennacher: ein Kind im Totenregister 1710, 18. März. —
Im Totenregister 1717, 6. Mai, ein Kind von Johann Heinrich Wochenfeld „Porcelin*'-Mahler
(demselben, der 1721 ohne Erfolg versuchte, in Straßburg eine „ Porzellan* *fabrik anzulegen: vgl.
Bucher, Gesch. d. techn. K. III 471 und Stieda, Die keram. Industrie in B., S. 11).
Mitteilungen aus dem gemuui. Nationalmuseum. 1908.
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(H. O. 1812, 1813)
Abb. 7.
Kühlbecken H. G. 1148 mit derb modellierten Masken als Handhaben: die vorzüg-
liche Blaumalerei ist von dem Meister mit dem Pfundzeichen gemarkt. Ein erst-
klassiges Stück der gleichen Signatur, einen prachtvollen Teller mit Delftischem Reich-
tum der Scharffeuerpalette — sattes Grün, Rot (und Rosa) in der blauen Zeich-
nung-— bewahrt das National-Museum in München (No. 935). Im Grün und im Gelb
excellierte gegen Ende der 20er Jahre Grebner. Eine anonyme wellige Schüssel von
ihm, mit schlecht gezeichneter Landschaft: H. G. 2309. — Der Blaumaler B. liebt
Chinesenszenen und verrät auch durch die Spiegelrahmung (Schuppenmuster) des
Tellers H. G. 1572*, die genau so in der grünen Familie vorkommt, seine Ver-
wandtschaft mit Ansbach. Die Marke B findet sich noch unter dem Tee-
kännchen H. G. 865, das ein Böttgermodell (vgl. H G. 4713) copiert. Als ein
Prachtstück kräftiger Blaumalerei, J. A. Marx nahestehend, wäre die große oblonge
Platte H. G. 6992 hervorzuheben. Von Johann Andreas Marx selbst, im drei-
knöpf igen Deckel kalligraphisch signiert und datiert 1733 ist die Wöchnerinnenschale
H. G. 3806, mit zierlichen blauen Ranken. Aus der späteren Periode sei ein wesentlich
in Grün und Gelb nach J. E. Nilson gemalter Cylinderkrug notiert (H. G. 2704*).
Eine gleichartige, noch vorzüglichere Schnabelkanne mit der Marke des Georg Korden-
busch und dem Datum 1761, nach Nilsons „Charmes du portrait'*, befindet sich
im Gewerbemuseum in Nürnberg.
Von den übrigen süddeutschen Manufakturen wird Göggingen durch eine Selten-
heit—ein Paar weißer Figuren (H. G. 1812, I813, Abb. 7) interessant vertreten. Als
ein besseres Stück kann ein Crailsheimer Cylinderkrug, mit einem Eichzweig als
Henkel, erwähnt werden (H. G. 1931*). Von Schretzheim sind nur ganz schlechte
späte Sachen vorhanden. Diese Manufaktur hat jedoch, wenn die Pfeilmarke
zu Recht auf sie gedeutet wird, ganz wundervolle Fayencen geschaffen, in entzückend
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FAYENCE
43
frischen und pikanten Farben, u. a. Tafelaufsätze in Gestalt von Delphinen, in Gräflich
Giech'schem Besitz (Fideicommiß). An Mosbacher Fayence ist außer einer Saucidre
(H. G. 2474*), die zu einem in mehreren Teilen in der Würzburger Sammlung befind-
lichen Service gehört, eine große Platte (H. G. 1663) mit bunten Blumen und
Astrand (Bossierermarke W) zu erwähnen. Verzeichnen wir noch einen weißen, zart
rosa getönten Krautskopf (H. G. 5344*) mit ungemem lebendig gekräuselten Blättern,
ein nicht nur technisch außerordentliches Kunstwerk unbestimmter Herkunft, femer
einen Höchster Tafelaufsatz von Johann Zeschinger (H. G. 6155*) und aus Nord-
deutschland eine Vegesacker Terrine (H. G. 1448*), sowie einen Braunschweiger Rex-
krug mit der Marke v. Hantelmanns (H. G. 2578*), so sind die interessanteren
Stücke der leider noch etwas lückenhaften Reihe schon genannt.
(Fortsetzung und Schluß folgt.)
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Magifter F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale. Von ihm selbst beschrieben.
Deutsche und französische Kultur- und Sittenbilder aus dem 18. Jahrhundert. Bearbeitet von
Dr. Viktor Petersen. 2 Bände. Stuttgart, Verlag von Robert Lutz. 1908. Bro-
schiert 11 Mk., geb. 13 Mk.
Die Wege zur Unsterblichkeit sind verschieden, daß sie aber ein verkommener Lump durch
die cynische Beschreibung seines verfehlten Lebens erreicht, ist gewiß eine seltene Ausnahme.
Laukhard hat Aufnahme in der deutschen Biographie gefunden. Und weil die literarische Pro-
duktion unserer Tage nicht reichlich genug fließt, um dem Unternehmungsgeist unserer Verleger
und dem Bildungshunger unseres Volkes Genüge zu tun, ist von den vier ersten Bänden seiner fünf-
bändigen Lebensbeschreibung ein gekürzter Neudruck in zwei Bänden veranstaltet worden, dessen
Berechtigung durch den Hinweis auf die kulturgeschichtliche Bedeutung dieser Memoiren ge-
rechtfertigt wird.
Laukhard ist 1758 in Wendelsheim in der Unterpfalz im heutigen Rheinhessen als Sohn
eines Pfarrers geboren. Sein Vater war ein Aufgeklärter und daneben Alchymist, über dem Suchen
nach dem großen Magisterium konnte er sich der Erziehung des Sohnes nur wenig widmen, auch
die Mutter, offenbar eine schwache Frau, bekümmerte sich wenig um den Sohn. So blieb dieser
einer Tante überlassen, die ihn abgöttisch liebte, seine Streiche bewunderte und ihn schon mit
sechs Jahren dem Trunk zuführte, dem sie selbst ergeben war. Über geschlechtliche Dinge wurde
der Knabe durch das Gesinde vorzeitig aufgeklärt. Hat sich der Vater um die Erziehung des
Sohnes "»cht genügend angenommen, so hat er ihn doch unterrichtet und sein Unterricht war
nicht schlecht. Laukhard lernte leicht und gem. Mit Unterbrechung durch den kurzwährenden
Besuch von Schulen in Dolgesheim und Grünstadt blieb er im elterlichen Hause, bis er die Uni-
versität bezog. In diese Zeit fällt auch seine Verlobung mit der Tochter eines Amtmanns. Der
Verbindung stand der Unterschied der Konfession im Wege. Laukhard war sofort zum Über-
tritt zum Katholizismus bereit und hatte schon Einleitungen dazu getroffen, als sein Vater, der
die Verlobung gebilligt hatte, davon erfuhr und den Schritt verhinderte. Um die Beziehungen
zu unterbrechen, brachte er ihn auf die Universität nach Gießen. Das Mädchen ist dem Geliebten,
auch als alle Hoffnung auf Vereinigung geschwunden und er sich durch seinen Lebenswandel als
unwürdig gezeigt hatte, treu geblieben und unvermählt gestorben. Laukhard hatte doch auch
gute Eigenschaften. Er charakterisiert sich selbst in der Vorrede zu seiner Lebensbeschreibung
richtig: Ich war ein Mensch von guten Fähigkeiten und von gutem Herzen. Falschheit war nie
mein Laster; und Verstellung habe ich erst späterhin gelernt und geübt, nachdem ich vieles schon
getan und getrieben hatte, dessen ich mich schämen mußte. Mein Vater hatte mir guten Unter-
richt verschafft, und ich erlangte verschiedene recht gute Kenntnisse, welche ich meiner immer
fortwährenden Neigung zu den Wissenschaften verdanke. Meine Figur war auch nicht häßlich.
Da war es denn doch schade, daß ich verdorben und unglücklich ward. Aber ich wurde es und
fiel aus einem dummen Streich in den anderen, trieb Dinge, worunter auch wirkliche gröbere Ver-
gehungen sind, bis ich endlich aus Not und Verzweiflung an allem Erdenglück die blaue Uniform
anzog.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
45
War Laukhards Erziehung falsch gewesen, so wurde er nunmehr einem falschen Berufe
entgegengeführt Der Vater, der glaubenslos war und im Sohn den Glauben und die Achtung vor
seinem eigenen Stande leichtfertig, ja frivol vernichtet hatte, bestimmte ihn, Theologie zu stu-
dieren. Laukhard hat gewiß nicht eifrig studiert, aber er hat die Studien auch nicht direkt ver-
nachlässigt, wohl auch zuweilen einen Anlauf zu ernstem Arbeiten genommen. Mit Behagen hat
er an dem wüsten Treiben der Gießener Studenten teilgenommen. Auf ihm verweilen seine Schil-
derungen, welchen hier kulturgeschichtliche Bedeutung nicht abzusprechen ist. Laukhard war
drei Jahre in Gießen, zwei Jahre in Göttingen, 1779 kam er nach Hause.
Er bemüht sich nun, eine Pfarrstelle zu erhalten, aber vergebens. Seine Berichte gewähren
Einblick in die tiefe Kläglichkeit der kleinstaatlichen Verhältnisse jener Zeit Ihn haben seine
Mißerfolge wenig angefochten, er lebt ebenso fröhlich und liederlich weiter, wie auf der Universität
Da und dort tritt er auch als Prediger auf und findet bei den Bauern Anklang. Endlich wird er
Vikar in Obersaulheim, hat auch einige Aussicht, der Nachfolger des Pfarrers zu werden, aber
diese Hoffnung wird zu nichte und unvorsichtige Reden haben sogar die Enthebung vom Vikariat
zur Folge. Nun weist ihn auch der Vater von sich. Freunde nehmen sich seiner an und er wird
Jäger, Kellermeister und Sprachlehrer bei einem Major von Goldenberg, aber er hält nicht lange
aus, sondern reist mit einem Freund und Gönner nach Straßburg. Nun wendet sich ihm der Vater
wieder zu und schlägt ihm vor, noch ein Jahr in Halle zu studieren. In Halle nimmt sich Semler,
der Begründer der kritischen protestantischen Theologie, seiner an, er gibt am Waisenhause latei-
nischen, griechischen und hebräischen Unterricht hört mehrere Vorlesungen und empfindet bald
die seligen Folgen eines ordentlichen Lebens. Auf Semlers Rat hält er auch privatim Vorlesungen
über deutsche Reichsgeschichte. Dann erwirbt er den Grad eines Magisters und die venia legendi
an der Universität Seine Vorlesungen fanden Beifall. Aber sein Leichtsinn verleitet ihn immer
wieder zu Ausschreitungen, die ihn gesellschaftlich schädigen und in Schulden stürzen. Aber-
mals entzieht ihm der Vater seine Hilfe, da läßt er sich an Weihnachten 1 783 als Soldat anwerben.
Der Soldatenstand, so gering sein Ansehen war, behagte Laukhard. Der Dienst war leicht,
er war bei seinen Vorgesetzten beliebt fand Gesellschaft die ihm zusagte und konnte nach seinen
Neigungen leben. Auch die Versöhnung mit dem Vater kam zustande. Im Mai 1784 machte
er die Revue bei Magdeburg mit und sah den großen König zum erstenmal. Er schreibt: Sein
Anblick erschütterte mich durch und durch; ich hatte nur Auge und Sinn bloß für Ihn! Auf
Ihn war ich und alles konzentriert! Viele tausend Persönlichkeiten in eine einzige umgeschmolzen!
Ein Heer, eine Handlung 1
Der Vater wollte den Sohn, den er vom Soldatenstand nicht befreien konnte, wenigstens
noch einmal sehen und im Winter 1786 erhielt Laukhard gegen eine Kaution von 150 Reichstalern
Uriaub. Wohl wünschte der Vater, er solle in der Pfalz bleiben, aber Laukhard traute pich nicht
die Kraft zu. ein geregeltes Leben zu beginnen und festzuhalten, er kehrte in die Garnison zurück.
Im Frühling 1789 starb der Vater. 1790 machte Preußen gegen Österreich mobil. Laukhards
Regiment zog nach Beriin und dann nach Schlesien. Er teilt einiges über die Lebensverhältnisse
der schlesischen Bauern mit Nach Abschluß des Reichenbacher Vertrags kam er wieder in seine
Garnison Halle zurück, gab wieder Stunden und schrieb seine Lebensbeschreibung. Damit endet
der erste Band, er bewegt sich zu sehr auf den unteren Stufen menschlichen Daseins, um wirkliche
Teilnahme erregen zu können.
Interessanter ist der zweite. Laukhard macht den unglücklichen Feldzug gegen Frank-
reich 1792 mit, gerät durch ein seltsames Unternehmen, zu dem er sich leichtsinnig bestimmen
läßt, in Beziehung zu den Führern der Revolution im östlichen Frankreich und kommt nach merk-
würdigen, wechselvollen Schicksalen wieder nach Halle.
Das Regiment zog am 14. Juni 1792 von Halle aus, kam am 9- Juli nach Coblenz und nach
12 Tagen in ein Lager bei Trier. Mitte August wurde der Vormarsch nach der Grenze aufge-
nommen, die am 19. überschritten wurde. Und nun begann alles Elend, das der schlecht organi-
sierte, unklar geführte Feldzug, das ungenügende Verpflegung und unendliches Regenwetter mit
sich brachte. Ein großer Teil der Truppen erkrankte und die Lazarete waren schlecht Longwy
und Verdun kapitulierten, am 19. September folgte die Kanonade bei Valmy und nach ihr der
klägliche Rückzug. Laukhard schildert alles das anschaulich und ohne starke Erregung. — In-
zwischen war Custine in Deutschland eingefallen und hatte Mainz und Frankfurt genommen.
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46 LITERARISCHE BESPRECHUNGEN
Die Verbündeten wandten sich gegen ihn, Frankfurt und Mainz wurden wieder geräumt und die
Preußen belagerten Landau. Hier wurde Laukhard plötzlich auf die abenteuerlichste Weise unter
die Franzosen geworfen. Es war bekannt geworden, daß er den Volksrepräsentanten von Landau
Dentzel kannte und er wurde aufgefordert, diesen durch die Aussicht auf eine reiche Belohnung
zu bestimmen, die Übergabe der Festung herbeizuführen. Die Unterhandlungen wurden durch
den Prinzen von Hohenlohe eingeleitet und der leichtsinnige Mann ging nach einigem Bedenken
auf den gewagten Antrag ein, seine genaue Instruktion erhielt er direkt vom Kronprinzen von
Preußen. So ging er in der Nacht des 27. September 1 793 mit Genehmigung seiner Vorgesetzten
als Überläufer in die Festung. Dort wurde er wohl aufgenommen und von Dentzel als alter Be-
kannter empfangen. Schon nach wenigen Tagen führte er übereilt und unbedacht seinen Auftrag
aus, aber Dentzel wies ihn bestimmt ab, wohl versprach er ihm Schonung und Geheimhaltung
seines Versuchs, aber er bedrohte ihn für den Fall der Wiederholung mit dem Tode und ließ ihn
überwachen. Es scheint aber, daß die Sache doch nicht ganz geheim blieb. Bald darauf geriet
Dentzel in den Verdacht des Verrats, es entstand ein Aufruhr gegen ihn, er wurde abgesetzt und
verhaftet. Auch Laukhard schien verdächtig und wurde vor einem Sicherheitsrat und danach
noch von General LaubadÄre verhört, er wußte aber den Verdacht von sich abzuwenden, sprach
auch für Dentzel, doch blieb dieser zunächst noch gefangen. Erst ein mißglückter Ausfall Lau-
baddres gab Veranlassung, ihn wieder in sein Amt einzusetzen. Es folgte die Beschießung und
am 28. Dezember wurde Landau von den Franzosen unter Feuvre entsetzt, die Preußen waren
abgezogen.
Die Überläufer wurden nach dem Innern des Landes abgeführt. Laukhard bekam Lust,
in französischen Dienst zu treten. Er meldete sich in Macon zu den Sansculotten, wurde von
da nach Lyon gewiesen und fand dort Aufnahme. Von Lyon wurde er mit einem Trupp von
1 50 Mann nach Grenoble gesandt, als sie dort ihren General nicht antrafen, zogen sie weiter nach
Valence und Avignon. Dort verließ er die Armee revolutionnaire wieder und ließ sich einen Paß
nach Lyon geben. In Lyon geriet Laukhard mit einem Offizier der Sansculotten in Streit, es kam
zum Zweikampf und er erhielt einen Degenstich in die Brust. Ohne die Heilung vollständig abzu-
warten, ging er weiter und kam krank nach Dijon. Er fand im Hospital Chailler Aufnahme und
wurde nach einiger Zeit Krankenpfleger. Aber diese stüle Lebensart behagte ihm nicht lange,
er nahm seine Entlassung. Nun brachte er sich als Sprachlehrer fort und lebte behaglich in Dijon.
So hätte er wohl abwarten können, daß den Deserteuren die Rückkehr gestattet wurde, aber un-
bedacht stürzte er sich nochmals in große Gefahr. Er schrieb an den Repräsentanten Dentzel
nach Paris und bat ihn, ihm einen Paß nach der Hauptstadt anszuwirken. Aber Dentzel war
wegen der Landauer Affäre in Untersuchung und Laukhards Brief kam an den Wohlfahrtsaus-
schuß. Acht Tage später wurde er gefangen gesetzt und in Macon vor Gericht gestellt. Die Unter-
suchung wurde gelinde geführt und er trotz widersprechender Aussagen freigelassen. Er kehrte nach
Dijon zurück. Seine Wunde brach wieder auf und im Dezember 1794 ging er wieder ins Spital.
Aber es war ihm nicht mehr behaglich in Frankreich, denn Dentzels Lage war immer noch unklar
und Laukhard mußte immer noch fürchten, wegen seines Unternehmens in Landau geköpft zu
werden. Er wandte sich deshalb an seinen Freund Bispink in Halle und bat ihm, in einem Briefe
an den Kommandanten Belin von Dijon zu bezeugen, daß er in Altona geboren sei. Bispink stellte
nun zwar kein falsches Zeugnis aus, brachte aber die nötigen Angaben in einem Briefe an, teilte
ihm mit, daß er in Preußen vom Soldatenstande befreit sei und schickte ihm einen Paß nach Halle.
Die Sache wurde wohlwollend behandelt und Laukhard war frei. Er eilte, nach Basel zu kommen,
von wo er nach Zürich wollte, doch das wurde ihm nicht gestattet, er wandte sich deshalb nach
Baden. Das Fortkommen war schwierig, es wurden nur Pässe auf kurze Strecken ausgestellt
und die nicht immer. So kam es, daß Laukhard in Freiburg einem Werber der Emigranten in
die Hände fiel. Der Dienst behagte ihm nicht und er entlief, doch nur um sofort bei den schwä-
bischen Kreistruppen einzutreten, denn von diesen hoffte er durch die Fürsprache des Kronprinzen
von Preußen frei zu werden. Das geschah auch. Sein Oberst ließ ihn ungern ziehen und ließ sich
nicht überzeugen, daß es ihm im Preußischen wohl gehen würde. Schon zwanzig Monate später,
als Laukhard den zweiten Teil seiner Biographie abschloß, hatte er eingesehen, daß der Oberst
recht hatte. Der Soldatenstand mit seiner regelmäßigen Zucht war der einzige, in dem Laukhard
gedeihen konnte.
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LITERABISCHE BESPRECHUNGEN.
47
Der Neudruck bricht mit der Entlassung aus dem schwäbischen Heere ab. Ein Schluß-
kapitel berichtet noch über vergebliche Versuche eine feste Lebensstellung zu erlangen. Am
29. April 1822 ist Laukhard als Privatlehrer in Kreuznach gestorben.
Wird die Frage gestellt, welche kulturgeschichtliche Bedeutung der Biographie Laukhards
zukommt, so ist zunächst auszusprechen, daß sie für die Kulturgeschichte im engeren Sinne über-
haupt nicht in Betracht kommt. An der hohen geistigen Bildung seiner Zeit hat er trotz seiner
Magisterwürde keinen Teil. Sittengeschichtlich sind seine Schilderungen aber höchst interessant,
allerdings auch nur nach der negativen Seite. Wenn er uns die Korruption in den kleinen Staaten
des Reichs, den tiefen Stand des Familienlebens im Eltemhause, das wüste Treiben in den Stu-
dentenverbindungen, die kümmerliche Lage des Heeres in den späten Lebensjahren Friedrich des
Großen und unter Friedrich Wilhelm IL, das verheerende Treiben der Emigranten in Coblenz
u. a. schildert, so dürfen'wir^nicht übersehen, daß trotz dieser Erscheinungen das sittliche und
geistige Leben des deutschen Volkes wie seine wirtschaftlichen Verhältnisse aufsteigende waren.
Wir haben genug Schilderungen aus Laukhards Zeit, um ermessen zu können, daß im großen und
ganzen im deutschen Hause Zucht und Ehrbarkeit herrschten, daß sittliche Festigkeit und ernste
Arbeit ihre Früchte trugen. Wir wissen, daß die Geisteswissenschaften, wie die Literatur und die
Musik auf einer unerreichten Höhe standen, daß sich eine strenge und ernste deutsche Kunst vor-
bereitete. Laukhard schildert uns Symptome der Auflösung, welche im Beginne des 19. Jahr-
hunderts in fürchterlicher Weise eintrat Das Unwetter, das von Frankreich her über Deutschland
hereinbrach, hat verwüstend, aber es hat auch reinigend gewirkt Dem politischen Zusammen-
bruch folgte unmittelbar die Erhebung, sie wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht die Männer,
die sie durchführten, schon bereit gewesen wären, wenn ihnen nicht ein starkes und mutiges Volk
zur Seite gestanden wäre. Äußerlich arm, innerlich reich ist Deutschland aus den langen Kriegen
hervorgegangen.
Laukhard besaß eine gute Beobachtungsgabe und gesunden Menschenverstand, aber seine
Reflexionen gehen nie in die Tiefe, sie enthalten manches Richtige, vieles Oberflächliche. Die
politischen Betrachtungen im zweiten Teil sind Kannegießereien, wie man sie zu seiner Zeit an
vielen Biertischen hören mochte. So tut man ihm zu viel Ehre an, wenn man ihn einen Philo-
sophen nennt Der Wert seiner Schilderungen liegt in der frischen Wiedergabe der Beobachtungen.
Als kulturgeschichtliche Quellen sind sie nur im Zusammenhalt mit anderen und auch da nur mit
Kritik zu verwerten. B e z o 1 d.
Friedrich Oelenhainz. Ein Bildnismaler des 18. Jahrhunderts. Sein Leben und seine Werke
dargestellt von Professor L. Oelenheinz, Coburg. Mit 36 Lichtdrucktafeln und 42 Ab-
bildungen im Text Leipzig. Verlag von E. A. Seemann. 1907. 91 Seiten. 2.
Den „Beiträgen zur Biographie des Porträtmalers Aug. Friedrich Oelenhainz" in den „Würt-
tembergischen Vierteljahrsheften für Landesgeschichte" N. F. IV (1895) S. 104 ff. hat L. Oelen-
heinz im vorigen Jahre eine umfangreiche und vortrefflich ausgestattete Monographie über den
Künstler folgen lassen. Wer Einblick in die Forschungsart des Verfassers hat gewinnen, seinen
keine Mühe scheuenden Fleiß und seine zähe Ausdauer hat kennen lernen und das vorliegende
Werk in seinem Entstehen und Fortschreiten hat beobachten können, der wird von vornherein
wissen, daß wir es in der nunmehr abgeschlossenen Arbeit mit einem Buche zu tun haben, deren
Gründlichkeit und Zuverlässigkeit kaum zu übertreffen ist, mit einer wissenschaftlichen Leistung
ersten Ranges. Und die Lektüre und Prüfung des Buches bestätigt dieses Urteil im vollsten Maße.
Was nur Literatur, Denkmäler und archivalische Quellen herzugeben vermochten, wurde heran
gezogen und zu einem klaren und eindrucksvollen Bilde von dem Leben und Schaffen des seiner-
zeit hochgeschätzten und viel beschäftigten, dann aber jahrzehntelang nahezu vergessenen Por-
trätmalers Oelenhainz (1745—1804) vereinigt, der so vor uns gewissermaßen aus dem Nichts neu
erstand. Die größten Schwierigkeiten machte das Zusammenfinden und Zusammenbringen seines
weitverstreuten, zumeist in Privatbesitz befindlichen „Werkes"; und hier werden auch ein stets
fortgesetztes Forschen und der Zufall vielleicht im Laufe der Zeit noch einzelne Lücken ausfüllen.
Verschollenes wieder zutage fördern helfen.
Daß der Verfasser in einzelnen Punkten über das seiner Arbeit gesteckte natürliche Ziel
erheblich hinausgeschossen ist wie in der Aufzählung auch der aus zweiter oder dritter Hand her-
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48
LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
geleiteten modernen Reproduktionen Oelenhainzscher Bildnisse oder in der genauen Erforschung
und Feststellung der Nachkommen der Schwestern des Vaters oder der Geschwister der Mutter
Oelenhainz': dieser Überschuß und Überfluß wird den genealogischen Neigungen des Verfassers,
des Mitherausgebers der „Heraldisch-genealogischen Blätter," und verwandtschaftlichen Regungen
gern zugute gehalten werden. Nicht ganz so leicht vermag man sich über den Telegrammstil,
in dem fast das ganze Buch geschrieben ist und der manchem Leser den Genuß beeinträchtigen
wird, hinwegzusetzen, wie auch hie und da die Anordnung des Stoffes zu wünschen übrig läßt.
So ist in dem ersten, das Leben und den Entwicklungsgang des Künstlers schildernden
Teil des Buches (S. 1—36) nicht recht einzusehen, weswegen ein Kapitel über den Nachlaß des
Meisters und die Versteigerung dieses Nachlasses (Kap. 9)> sowie ein „Rückblick" überschriebenes
Kapitel (10) der Schüderung seiner letzten Lebenstage (Kap. ii) vorangehen. Der zweite Teil
zählt nach Art der räsonnierenden Verzeichnisse die bisher bekannt gewordenen Oelenhainzschen
Werke auf und beschreibt sie genau. Ein erster Abschnitt umfaßt hier die Ölbilder und Pastelle
(S. 37—59), ein zweiter die Handzeichnungen (S. 59—60), ein dritter die „Kupferstiche u. s. w.,
welche nach Oelenhainzschen Bildern bis zum Jahre 1904 erschienen sind" (S. 60 — 64). Es folgen
sodann als Beilage l „Bemerkenswertes aus dem Nachlaßverzeichnis" (S. 65 und 66) und femer
als Beilage 2 und 3 die genealogischen Untersuchungen des Verfassers (S. 67—79), worauf ein
spezialisierter Quellennachweis nebst sonstigen Anmerkungen, ein gut gearbeitetes Namen- und
Sachregister und ein Verzeichnis der Subskribenten den textlichen Teil des Buches beschließen,
dem wir gerade auf dem Gebiete der deutschen Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts eine zahl-
reiche Nachfolge von gleicher Gewissenhaftigkeit und Gediegenheit wünschen möchten.
Th. H ampe.
Friedrich FrieB, Leben der Ehrwürdigen Mutter Maria Theresia
von Jesu Gerhardinge r, Gründerin und erste Generaloberin des Ordens der armen
Schulschwestern de Notre Dame. München, J. J. Lentnersche Hofbuchhandlung 1907.
Der Verfasser war 27 Jahre hindurch der Spiritual des Ordens, hatte die Oberin Maria
Theresia von Jesu noch persönlich gekannt, und war daher der berufene Mann, ihre Biographie
zu schreiben. Ihm zuerst erschlossen sich auch die reichen Schätze des Münchner Ordensarchives
zu systematischer Durchforschung und so war er in der Lage, die erste quellenmäßige und exakte
Schilderung des Lebens der Karoline Gerhardinger, wie sie mit ihrem weltlichen Namen heißt,
zu geben. Das Buch hat dadurch seinen festen Platz in der Ordensgeschichte des 19. Jahr-
hunderts.
Karoline Gerhardinger (1797—1879) war eine Frau von seltener, bewunderungswürdiger
Energie, und wenn heute von 8000 Schwestern 184 000 meist armer Kinder in Deutschland,
Österreich und Amerika unterrichtet werden, so ist das i h r Werk, mag auch die Anregung dazu
von anderer Seite ausgegangen sein. Ihr Leben ist schweren Schicksalen unterworfen gewesen,
aber es berührt ungemein sympathisch, sie in der heftigen Fehde mit dem Münchner Erzbischof
oder im Kulturkampf, in dem sie über 30 ihrer Filialen auf preußischem Boden verlor, immer
mit der gleichen sichern Kraft ihres Amtes walten zu sehen.
Der Orden der armen Schulschwestern hat seinen Ursprung im Zeitalter der Säkularisation,
genauer im Jahre 1809, als die in gleicher Richtung wirkenden Chorirauen de Notre- Dame aus
Stadtamhof ausgewiesen wurden. Damals faßte der Dompfarrer Wittmann den Plan, diesen
Schulorden zu erneuern, und das Werkzeug in seiner Hand wurde alsbald Karoline Gerhardinger.
Um sie sammelten sich andere; sie begannen ein gemeinsames, zurückgezogenes Leben und
pflegten den Unterricht armer Mädchen. Die ersten Versuche, ein Kloster ins Leben zu rufen,
mißglückten; erst 1833 wurde dieses Ziel in Neunburg vorm Wald in der Diözese Regensburg
erreicht. Die Statuten, nach denen die junge Genossenschaft sich einrichtete, waren in der
Hauptsache die Regeln der Chorschwestem von Notre- Dame, deren Nachfolgerinnen sie ja ge-
worden waren. Es begann eine Entwicklung, die beredtes Zeugnis ablegt von der kolonisatori-
schen Triebkraft, die noch heute in der katholischen Kirche steckt: in den ersten drei Jahr-
zehnten konnten 68 Filialen eröffnet werden. Schon 1847 griff die Bewegung nach Amerika
über, wo sie heute in noch vollerer Blüte steht als im Mutterland. H. S t i e r 1 i n g.
•WK*
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ERHARD SCHON ALS MALER.
Von Dr. HANS STEGMANN.
(Mit 1 Tafel.)
Die Geschichte der Nürnberger Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts hat viel
früher und viel eingehender den Gegenstand kunstwissenschaftlicher Betrach-
tungen gebildet, als die mancher anderer deutscher Gaue. Der Grund liegt einmal
in der historischen Bedeutung Nürnbergs als eines der Kulturmittelpunkte des alten
deutschen Reichs, dann im Besitze Nürnbergs an Künstlern ersten Ranges um die
Wende des 15. und 16. Jahrhunderts. Aber, um von dem beliebtesten Studien-
objekt, der Malerei, zu sprechen, die Forschung hat sich nicht begnügt, in einer
schon kaum mehr zu übersehenden Einzelliteratur Albrecht Dürer, seine Vorläufer
und seine direkten Nachfolger unter die Lupe zu nehmen, die Anläufe in das in
Nürnberg besonders reich fließende Material der Geschichte der Malerei, der sich
die der graphischen Künste sachlich berechtigt anschließt, einige Ordnung zu
bringen, sind immer noch im Zunehmen begriffen. Dem Eifer nach Aufhellung
der Malergeschichte Nürnbergs verdankt die Kunstgeschichte in speziellen wie zu-
sammenfassenden Darstellungen in den letzten Jahren recht bemerkenswertes neues
Material; es sei nur beispielsweise auf die ergebnisreiche Herausarbeitung Wolf
Trauts verwiesen. Im allgemeinen ist die Sichtung des Materiales, soweit es der
graphischen Kunst angehört, weiter gediehen, als die des gemalten. Zu den Meistern,
welches Wort hier aber durchaus keinen lobenden Sinn haben soll, die in der fast
überreichen Buchverlagstätigkeit Nürnbergs in den ersten drei Jahrzehnten des
16. Jahrhunderts einen gewissen Namen und eine gewisse Beachtung gefunden, ge-
funden, gehört auch Erhard Schön. Nach Doppelmeyer, der ihn zuerst erwähnt,
ein Kupferstecher (?) und Maler, der sich Dürer enge anschloß.
Über die Lebensverhältnisse und den Entwicklungsgang des Erhard Schön
hat die bisherige Forschung (die Literatur ist in der Hauptsache im Katalog von
Campbell Dodgson zusammengestellt) sehr wenig eruieren können. Wir wissen aus
seinen bezeichneten Holzschnitten nur so viel, daß er von 1515 bis 1538 tätig war. Die
Doppelmeyerische Angabe, daß Erhard Schön auch Maler war, vermutlich hat
Doppelmeyer auch keine Gemälde von ihm gekannt, sondern nur den Beruf des
Malers und Kupferstechers anstatt Holzschneider gedankenlos niedergeschrieben,
war in der Fachliteratur zu keiner authentischen Bestätigung gekommen.
Bezüglich der Lebensdaten des Künstlers will ich nicht unterlassen, einige
mir durch die Güte von Dr. H. Heerwagen zugekommene Notizen aus einem Rech-
nungsbuch des Dr. Christof Scheurl hier kurz zu erwähnen. Einmal wird er als Her-
steller (Restaurator) von Familienbildern genannt, das andere Mal scheint es sich um
immerhin etwas künstlerische Tätigkeit zu handeln. Der Kardinal und Fürstbischof
von Trient, Bernhard von Cles, befand sich in den Jahren 1531—33 wegen eines
Mitteilungen aus dem german. Nationalmusenm. 1908. 7
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50 ERHARD SCHÖN ALS MALER.
offenbar für das Castello di Buonconsiglio bestimmten Kunstbrunnens mit Dr. Christof
Scheurl in Unterhandlung. Es scheint sich um eine Art Konkurrenz unter den
Nürnberger Künstlern gehandelt zu haben, zu der der Vischersche Apollobrunnen
im neuen Schießgraben den Anlaß gegeben haben dürfte. Scheurl schreibt auf,
daß ihm der Kardinal für eine übersandte „prunnen visirung" von „erhart schon"
1 fl. 4 h. 6 /^ schulde. Vielleicht handelt es sich übrigens gar nicht um einen
selbständigen Entwurf, sondern eine Abbildung des gedachten Apollobrunnens.
Jedenfalls geht aber so viel daraus hervor, daß Schön in jenen Jahren nicht, wie
Dodgson aus Anlaß von Schöns Tätigkeit für böhmische Buchdrucker annehmen
möchte, in Prag geweilt haben dürfte. Die Angaben Rettbergs, Naglers u. a. über
Geburt und Tod sind unbeglaubigt, besonders die, daß Schön 14S2 geboren
sei, ist btoße Mutmaßung. Doppelmeyer hat bei seiner Angabe, daß Schön um
1550 gestorben sei, wohl auch keinen sicheren Anhalt gehabt; 1561 erschien noch
eine letzte Ausgabe des „Büchleins" über die Perspektive, die natürlich ebensogut
wie die 1542 erst nach dem Tode herausgegeben sein kann.
Zuschreibungen ohne nähere Angaben, wie die Rieffels (Zeitschr. f. b. K. N.
F. XIII, S. 211), woraus nicht einmal hervorgeht, welches Bild in Heilsbronn er
Schön zuschreiben will, haben sich entweder nicht bestätigt, oder beruhen, wie die
angebliche Professor Hausers über das Bamberger Bild in der St. Gangolphskirche
mit den 7 Seligkeiten Maria, nur auf äußeren Anhaltspunkten zwischen Bild und
beglaubigtem Holzschnitt (großer Rosenkranz, Passavant 35).
Den Anlaß, mich mit Erhard Schön als Maler zu beschäftigen, bot die Auf-
findung einer signierten Holztafel mit der Darstellung der Geschichte von Cimon
und Pero. Diese Holztafel, arg vernachlässigt und heruntergekommen, fand ich
im Germanischen Museum unter alten, meist sehr minderwertigen „Denkmälern"
der Kunst- und Kulturgeschichte auf einem Dachboden, wohin sie vermutlich wegen
ihrer schlechten Erhaltung, dann wegen des allzuprüden Augen vielleicht anstößigen
Inhalts, vielleicht aber auch wegen ihrer tatsächlich recht geringen Qualität vor
Jahrzehnten verbannt worden sein mag. Wann und von wem sie dem Museum
übergeben wurde, ließ sich bis jetzt nicht feststellen, da das Bild in keinem Katalog
aufgeführt ist.
Der vor zwei Jahren gemachte Fund ließ es kaum wahrscheinlich erscheinen,
daß sich die Kunstliteratur schon mit dem Bild beschäftigt habe. Während
der Niederschrift dieser Zeilen wurde ich durch eine mir liebenswürdiger Weise
von Dr. Th. Hampe zur Verfügung gestellte Zettelnotiz auf einen kurzen Auf-
satz in den Nrn. 511 und 512 des Korrespondenten von und für Deutschland,
Jahrgang 1843, aufmerksam, der sich mit dem Cimon- und Perobild beschäftigt. Er
stammt aus der Feder von Chr. Mehlis und spricht von der vor einigen Jahren
(vor 1873) gemachten Entdeckung des Bildes. Danach hat der damalige Vorstand
der kunst- und kulturgeschichtlichen Sammlungen des Germanischen Museums A. Eye
zuerst den Maler aus dem Monogramm festgestellt. Es wird auf Verhandlungen
hingewiesen, die behufs Erwerbung des Gemäldes mit dem Germanischen Museum,
König Ludwig I. von Bayern (der 1868 starb) und dem Berliner Museum statt-
gefunden haben sollen, ebenso auf eine beabsichtigte Ausstellung im Nürnberger
Albrecht Dürer- Verein. Das Bild soll nach derselben Quelle nach seiner Auf-
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VON DR. HANS STEGMANN. 51
findung restauriert worden sein, aber 1873 sich schon wieder in einem herstellungs-
bedürftigen Zustand befunden haben. Die angegebene Restauration erscheint nach
dem heutigen Befund als sehr wenig wahrscheinlich. Als damaliger Besitzer wird
ein Verwalter Rüll in Nürnberg genannt. Wann und wie es schließlich doch ins
Germanische Museum gekommen, ließ sich nicht feststellen; jedenfalls hat es, wie
schon erwähnt, bis vor zwei Jahren keine Beachtung und auch keine Aufstellung
erfahren.
Das Cimon- und Perobild (Abb. auf Taf. VI, links) ist 86 cm. hoch und 65 cm.
breit und auf Tannenholz gemalt. Pero ist in reichlich halber Figur halb nach
links gewandt dargestellt. Links vor ihr kniet Cimon, von dem Kopf und Schulter
sichtbar sind, sowie ein Teil des rechten Armes. Die Arme sind als auf dem Rücken
gebunden gedacht. Pero legt die Rechte auf die linke Schulter des Vaters, mit der
Linken reicht sie dem Vater die rechte Brust. Die rechte obere Ecke nimmt ein
vergittertes Rundfenster ein, durch das ein Ausblick in die magere Landschaft er-
möglicht wird. Das durch einen dunkelgrünen Gürtel zusammengehaltene in
Orangerot und Orangegelb gehaltene Gewand und ebenfalls orangerot gehaltenen
Flechten Peros geben auf dem dunkelolivgrünen Grund die koloristische Haupt-
note. Es wäre eine undankbare Bemühung, alle die Zeichnungsfehler, die der Lehrer
der Perspektive auf diesem Bild verbrochen hat, aufzuführen. Am meisten stört
das Mißverhältnis in der Größe der beiden Köpfe. Charakteristisch sind bei Pero
die fast mongolisch geschlitzten Augen mit den verschwollenen Augendeckeln. Der
Kopf Cimons in seiner unregelmäßigen Häßlichkeit wirkt fast kretinenhaft. Die
Oberfläche ist besonders in den Fleischteilen sehr stark abgerieben, so daß die in
dicken, schwarzen, ziemlich sorglosen Strichen hingeworfene Vorzeichnung vielfach
zum Vorschein gekommen ist. Die von Mehlis unvollständig wiedergegebene und
teilweise falsch gelesene Inschrift in der rechten oberen Ecke lautet:
Cimonis . Tochter . Hat . Iren .
Vater . Ausz . Vrsach . Der .
Pein . Im . Ker . Beschlossen .
Vnd . Jetzund . Des . Letzten .
Alters . Zugleich . Ein . Kind
Irem . Hertzen . Zugenaigt
Mit . Iren . Aigen . Prusten .
Ernert.
Valerius . Maximus . Im Fun
Ft . Buch . Virden . Capitel .
Von . Der . Gutigkait .
Gegen . Den . Eltern . etc.
Lieben . Die Eltern . Der .
Natur . Erst Gebot
15 E.S (ineinandergezogen) 38.
Nach der Feststellung des Cimon- und Perobildes war es nicht schwer, ein
weiteres, wenn auch nicht bezeichnetes Werk von Schön festzustellen, nämlich ein
bei der in der Museumsbibliothek aufgestellten Scheurlbibliothek befindliches Halb-
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52 ERHARD SCHÖN ALS MALER.
figurenbild der hl. Magdalena (abgebildet Taf. VI rechts). Die Erhaltung ist bei
diesem Bild, trotzdem es auch eine ganze Anzahl Schrammen zeigt, eine wesentlich
bessere , die Ausführung eine ziemlich sorgfältige und dieselbe zeugt vor allem von
einer größeren Sicherheit der Hand. Daraus möchte ich vermuten, daß es ohne allzu-
weit, vom Cimon- und Perobild entfernt zu sein, doch um einige Jahre früher fällt.
Die Dargestellte steht oder sitzt vor einem Tisch mit weißer Steinplatte, auf
dem ein in grünes Leder eingebundenes Buch mit orangefarbenem Schnitt liegt.
Der Körper ist leicht nach rechts, der Kopf nach links gewandt. Die Unterarme
sind auf der Tischplatte aufgestützt, im rechten Arm hält die als solche übrigens
nicht bezeichnete Heilige einen langschaftigen Crucifixus. Die sichtbare rechte
Hand, die ziemlich unmotiviert entblößte rechte Brust, Hals und Schultern weisen
wieder recht beträchtliche Verzeichnungen auf, die den Verfasser der „unterweysung**
in keinem viel glänzenderen Licht erscheinen lassen als das direkt stümperhafte
Cimon- und Perobild. Die Gewandanordnung ist nicht ganz klar, M^dalena trägt
ein feines mit Picots und Goldfäden besetztes Hemd, das schleierartig an dem gold-
farbigen Haardiadem hinten befestigt zu sein scheint, die Jacke ist orangegelb, der
Mantel orangerot. Die Vorliebe für Orangetöne ist offenbar für den späteren Schön
charakteristisch. Die Haarbehandlung, die dicke, durch die dünn emailartig auf-
getragenen Farben durchscheinende Vorzeichnung, die unsichere Schattenmodel-
lierung, die auffällige an Ophtalmie erinnernde Gestaltung der Augen zeigt genau
dieselbe Hand wie auf dem Cimon- und Perobild. Doch wirkt die Magdalena (h. 64,
br. 45 cm) koloristisch viel angenehmer, schon durch den früher dunkelolivgrünen,
jetzt fast schwarzen einfarbigen Grund.
Diesen beiden unbedingt sicheren Bildern Schöns mag hier ein drittes gleich-
artiges in der Stadtpfarrkirche zu Schwabach angereiht sein. Es stellt die heilige
Ursula dar. Es dürfte nach dem Zeitkostüm, das besonders sorgfältig ausgeführt ist,
wieder um eine Reihe von Jahren früher anzusetzen sein als die Magdalena im Germ.
Museum. Die Heilige steht in etwas mehr als halber Figur auf schwarzem Grund dem
Beschauer voll zugewandt. Der Kopf ist etwas zurückgeneigt und nach links gewandt.
Die rechte Hand hält sie vor dem Schoß, in der Linken hält sie zwei gekreuzte Pfeile.
Das sehr modisch geschnittene Gewand ist rotbraun, die Ärmel weiß, das schwarze
Mieder ist ausgeschnitten und hat einen Besatz von goldenen Spitzen. Außer mit
einer dicken, gedrehten, goldenen Halskette ist sie mit einem doppelreihigen Korallen-
halsband geschmückt, an dem ein großer Anhänger angebracht ist. Das goldblonde
Haar wird von einer Goldhaube eigenartigen Schnittes bekrönt. Die gezierte Stel-
lung, der fast überreiche Schmuck, die elegante Kleidung lassen eher auf eine sehr
lebenslustige Dame, denn auf eine Heilige schließen. Die Ausführung und die Zeich-
nung des zwar nicht bedeutenden, aber hübschen Bildes sind sorgsamer als bei den
vorausgegangenen. Die durchscheinende Vorzeichnung in den Fleischteilen, Mal-
weise und Farbenwahl, der Frauentyp lassen aber dieselben charakteristischen Merk-
male erkennen, wie die beiden vorerwähnten Halbfigurenbilder. Immerhin zeigt
das Bild sich von dem oberitalienisch-lombardischen Einfluß, den die ersten aufweisen
und auf den ich noch später zurückzukommen haben werde, befreit, so daß es wohl
erheblich früher, etwa um 1425, angesetzt werden könnte. Wenn, wie ich glaube.
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VON DR. HANS STBGBfANN.
53
die Zuschreibung an Schön richtig ist, haben wir es mit seiner besten Leistung
zu tun. Das Bild stammt anscheinend von einem Altarflügel. Auf der Rückseite
lassen sich Spuren von der Befestigung eines Reliefbildes ersehen. Das letztere
dürfte, ebenso wie das Gemälde, ursprünglich in ganzer Figur ausgeführt und in
späterer Zeit abgeschnitten worden sein. (Abb. 1).
Abb. 1. Erhard Schön: Hl. Ursula. Stadtkirche in Schwabach.
Den drei Bildern ist eines gemeinsam, daß sie in stilistischer Beziehung mit
seinem Holzschnittwerke so gut wie gar nichts gemein haben, man müßte denn eine
gewisse Vorliebe für auffallend modische Frauenkleidung, wie wir sie auf einer Reihe
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54 ERHARD SCHÖN ALS MALER.
weiblicher Heiligenfiguren sehen und wie sie sich auf dem Schwabacher Bild wieder-
findet, hier in Anschlag bringen. Ich möchte sogar behaupten, daß ohne das Mono-
gramm auf dem Cimon- und Perobild schwerlich auch gewiegteste Kenner des Holz-
schnittwerkes von Schön auf den Gedanken hätten kommen können, dieses Bild dem
Erhard Schön zuzuschreiben. Von dieser Gruppe aus läßt sich Schön zunächst
noch ein weiteres Bild des Germanischen Museums zuteilen.
Der Entstehungszeit nach ist es das späteste, nämlich ein Porträt in
ganzer Figur, stehend und in Lebensgröße, des Nürnberger Patriziers Sigmund
Fürer von 1540 (Katalog, 3. Auflage, Nr. 562 des Germanischen Museums).
H. 1,96, Br. 0,93 m. Das in Abb. 2 wiedergegebene Bildnis ist auf Leinwand
in Leimfarben gemalt. Die Erhaltung ist, abgesehen von zahlreichen Feuchtig-
keitsflecken, eine ziemlich gute. Die Zuschreibung des unbezeichneten Bildes beruht
ausscliließlich auf stilkritischen Gründen. Die Eigenart der rasch in derben Strichen
hingeworfenen Konturen, das allerdings hier durch das Material mit bedingte blasse
Kolorit, die Schattierung in ganz leichten grauen Tönen, die ungeschickte Behand-
lung der Füße und Hände, vor allem aber die hellen Augen lassen das Bild
in seiner Art den beiden Stücken: büßende Magdalena und der Cimondarstellung
so ähnlich erscheinen, daß die Attribution an Schön gerechtfertigt sein dürfte. Für
die Nürnberger Schule dürfte das Bild schon insofern von Interesse sein, als es wohl
das früheste lebensgroße Bildnis in ganzer Figur ist. Als Kunstwerk im
ganzen recht schwach, hat es doch einige gute malerische Qualitäten, vor allem
koloristische. Die etwas leblos stehende, ganz in Schwarz gekleidete Figur hebt
sich von dem hellen, gelbgrünen Hintergrund trefflich ab, der breite Pelzbesatz der
Schaube, ganz breit heruntergestrichen, wirkt doch außerordentlich naturwahr, so
daß auf einige Entfernung der Pelzcharakter geradezu täuschend getroffen ist. Am
besten ist der Kopf gelungen. Die nichts weniger als regelmäßigen Züge mit der
kurzen, eingedrückten Nase, dem breiten Raum zwischen ihr und dem breiten, in
den Winkeln herabgezogenen Mund, die etwas glotzenden Augen, der kurze, dicke
Hals geben dem Bild etwas froschartiges. Offenbar aber ist es dem Maler gelungen,
mit sehr wenig Aufwand von Mitteln und recht sicherer Hand ein lebenswahres Bild
zu geben, das sogar die geistige Komplexion, Klugheit und eine gewisse Gutmütig-
keit deutlich zum Ausdrucke bringt. Der Dargestellte (nach Biedeimanns Ge-
schlechtsregister), Sigmund III. Fürer zu Kirmreuth und Röthenbach, war am
21. März 1470 geboren und starb kinderlos am 19. Januar 1547. Er war Rat des
Kaisers Maximilian I., Pfleger zu Engelthal und begabte die Kirche zu Gnadenberg
bei Altdorf mit sehr reichen Schenkungen. Die Inschrift oberhalb und zu Seiten
des Kopfes ist ein dichterisch sehr schwacher Vierzeiler und lautet:
Als Man Nach Der Geburt Cristi 1540 Jar 24 Marcio Zalt
War Ich Sigmunt Eurer 70 Jar 2 Tag Alt
Lies Ab Cunterfetten Mein Gestalt
Vnd Stel Alle Mein Thun In Gottes Gewalt.
Das Bild war also eine Gelegenheitsschöpfung und ist als solche an der flüch-
tigen und raschen, aber doch sorgsamen Durchführung zu erkennen.
Im vorausgehenden wurde auf das gesicherte Holzschnittwerk so gut wie keine
Rücksicht genommen, vielmehr das schon sehr späte Cimon- und Perobild als Aus-
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VON DK. HANS STEGMANN.
55
Abb. 2. Erhard Schön: Bildnis Sigmund Furers. Germanisches Museum.
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56 ERHARD SCHÖN ALS MALER.
gangspunkt der Untersuchung angenommen. Zum mindesten für die frühere Periode
des Künstlers müssen aber doch dessen graphische Werke für die Forschung nach
weiteren Bildern in Anspruch genommen werden.
Auf den Katalog der Schönschen Holzschnitte bei dieser Gelegenheit einzugehen,
liegt nicht in meiner Absicht, da eine Prüfung, Mehrung oder Minderung desselben,
wie er heute nach Dodgsons Studien uns vorliegt, für die reine Erkenntnis Schöns
als Maler kaum von ausschlaggebendem Einfluß sein könnte.
Die Forschung nach weiteren Gemälden Schöns hat wohl von dem großen
Rosenkranz, Pass. 35, bezüglich dessen gemalter Replik oder Vorlage als einem,
dem Bild mit Cimon und Pero als anderem Angelpunkt auszugehen. In gewissem
Sinne können diese beiden Werke auch zeitlich vielleicht als Ausgangs- bezw. End-
punkt der malerischen Tätigkeit Schöns gelten. Das Rosenkranzbild als Holzschnitt
ist ebensowenig als die gemalten Rosenkranzdarstellungen datiert. Die Bezug-
nahme auf eine Ablaßerteilung Leo X., die schwerlich vor 1513 erfolgen konnte und
die ablaßfeindliche Stimmung in Nürnberg nach 1520 gebietet förmlich, die Ent-
stehung von Holzschnitt und Bild in den Zeitraum von 1513—20 zu setzen.
Als weiterer Ablaßerteiler ist „Primus Albertus" genannt. Albrecht wurde
1514 Erzbischof von Mainz und 1418 Kardinal. Da er im Gegensatz zu andern
an derselben Stelle erwähnten Kaidinälen nicht als solcher bezeichnet wird, dürfte
ziemlich sicher der Rosenkranzholzschnitt eben in die Jahre 1514—18 fallen. Ge-
malte Rosenkranzdarstellungen, die sich inhaltlich und formell an den Schönschen
Holzschnitt eng anschließen, sind nur zwei bekannt. Der eine (Abb. 4) in der Galerie
des Germanischen Museums (Kat. des Germ. Mus. Nr. 233, 3. Aufl.), der andere in der
Rosenkapelle der Stadtpfarrkirche zu Schwabach (Abgeb. Kat. der historischen Aus-
stellung, Nürnberg 1906). Beide setzen trotz mancher Veränderung und Verein-
fachung in den Einzelheiten den Holzschnitt voraus. Daß dieser nicht etwa die
Nachbildung nach einem der Gemälde sein kann, dürfte schon daraus erhellen, daß
jedes der beiden Bilder mancherlei Details enthält, die wohl auf dem Holzschnitt,
nicht aber auf dem anderen Gemälde sich vorfinden. Die Provenienz des zum
Königlichen Hausgut gehörigen Rosenkranzes in der Galerie des Germanischen
Museums ist nicht zu bestimmen.
Die ersten datierten Holzschnittarbeiten Schöns in dem von Clein in Lyon
für Koberger 1516 gedruckten „Hortulus animae" tragen die Jahreszahl 1515. Die
Vermutung, daß der Beginn künstlerischer Tätigkeit Schöns in die ersten Jahre
des zweiten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts falle, wird durch beide Umstände
wahrscheinlich gemacht. Für den neben dem Holzschnitt des Rosenkranzbildes
(Abb. 3) hier wiedergegebenen gemalten Rosenkranz möchte ich Erhard Schön als
Maler nicht annehmen. Er dürfte vielmehr von einem Meister gemalt sein, der
in seiner ganzen Entwicklung noch ganz und gar im 15. Jahrhundert steckt. Die
harte und eckige, dabei kleinliche Art, entspricht der malerischen Behandlung
Schöns in seinen späteren Bildern ganz und gar nicht.
Weiter eher schon könnte man daran denken, das Rosenkranzbild in der
Stadtpfarrkirche in Schwabach (abgebildet im Katalog der historischen Ausstel-
lung der Stadt Nürnberg 1906 No. 67, S. 395) mit Schön in Verbindung zu
bringen. Aber auch hier stimmt die miniaturenartige Feinheit der Durchführung,
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VON DR. HANS STE6BIANN.
57
ihr Reichtum der Palette im Gegensatz zum späteren Schön zu wenig zusammen,
um ehe weitere Bindeglieder zu seinem späteren malerischen Schaffen gefunden
Abb. 3. Erhard Schön: Der Rosenkranz. Holzschnitt. Germanisches Museum.
sind, an eine so proteusartige Wandlungsfähigkeit des handwerklichen Erhard Schön
zu glauben. Bei dem schon oben erwähnten Bamberger Bild mit den sieben
Mitteilungen aus dem german. Nationahnuseum. 1906. 8
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58 ERHARD SCUÖN ALS MALKR.
Seligkeiten Maria vermag ich höchstens in der gedrängten Figurenanordnung, die
aber bei so kleinfigurigen Darstellungen dieser Zeit typisch ist, als an den Schönschen
Rosenkranz erinnernd, anzuknüpfen. Ich halte das Bild überhaupt nicht für
nümbergisch.
Abb. 4. Gemälde des Rosenkranzes. Nürnberger Schule, 1510—20. Germ. Museum.
Wenn von Nürnberger kleinfigurigen Bildern eines mit Ehrhard Schön nach
den bisherigen Feststellungen etwas mit Schön zu tun haben könnte, so wäre es
eine aus der Nürnberger Frauenkirche stammende, vor einigen Jahren für das
Germanische Museum erworbene große Passionstafel von 1513 mit 15 Darstellungen.
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VON DR. HANS STEGMANN. 59
Chr. Rauch in seinem Buch über die Trauts (S. 111 f.) hält die Tafel für eine
Wolf Traut nahestehende, zum Teil über sein Können hinausgehende, aber sicher
von einem Schüler Hans v. Kulmbachs herrührende Arbeit. Soweit eine direkte
Nebeneinanderstellung von Bildern und Holzschnitten statthaft ist, dürfte eine Ver-
wandschaft der Typtn der Passionstafel mit denen auf Schöns besten Holzschnitt
nicht zu verkennen sein. Sollte Schön die Tafel gemalt oder doch stark an ihr
beteiligt sein, worauf die starke Vorliebe für rote und gelbe Töne, die für Schön
charakteristisch ist, ebenfalls aufgeführt werden könnte, so müßte man freilich
das künstlerische Vermögen Schöns in der Jugend wesentlich höher als dasjenige
seines Alters annehmen. Berücksichtigt werden dürfte aber die wesentlich geringere
malerische und zeichnerische Schwierigkeit bei kleinfigurigen Bildern. Die Tafel
ist 176 cm hoch und 240 cm breit.
Die Vergleichung mit den weiblichen Heiligenfiguren des Koberger-Cleinschen
Hortulus animae von 1517 einerseits, mit den drei beschriebenen Halbfigurenbildern
andererseits lassen für Schön noch ein weiteres, ebenfalls im Germanischen Museum
befindliches Werk als sicher erscheinen. Und zwar sind es hier zum weitaus ge-
ringeren Teil die Holzschnitte, als eben wieder die nichts weniger als trefflichen,
aber sehr auffälligen malerischen Eigenschaften, die den Urheber erkennen lassen.
Aus der Pfarrkirche in Wendelstein von einem größeren Altarwerk besitzt das Ger-
manische Museum zwei gemalte Flügel, von denen der eine schon 1853 ™ Museum
nachweisbar, also vermutlich der Aufseßischen Sammlung angehörte (Kat. der Ge-
mälde des Germ. Mus., 3. Aufl., Nr. 479 und A80). Der eine der beiden Flügel stellt
in Lebensgröße zwei weibliche Figuren dar (Abb. 5). Die links stehende, halb nach
rechts gewandt, ist als elegante Modedame der Zeit von 1520— 3Ö gekleidet — man
wird anläßlich dieses Toilettenaufwandes sofort an die hl. Ursula in Schwabach
erinnert — und zwar ohne Heiligennimbus, die andere rechts, halb nach links ge-
wendet, ist eine heilige Nonne. In der Mitte ein Baum mit spitzen, schlanken
Blättern und roten Früchten ; ob es ein Kirschen- oder Olivenbaum sein soll, dar-
über kann man zweifeln. Die heilige Nonne hält in der Rechten einen abgeschnit-
tenen Gänsefuß, nach anderen ein Füllhorn, zu ihren Füßen tummeln sich 3 weitere
Gänse. Bei beiden Figuren handelt es sich um eine fast Unbekannte Lokalheilige
des kleinen Marktfleckens Wendelstein bei Schwabach in der Nähe von Nürnberg,
der hl. Ahahildis oder Atzin. Auch ihre Legende ist ziemlich in Dunkel gehüllt.
Nur so viel steht fest, daß nach dem angeblich 1447 aufgefundenen Grabstein die
hl. Ahahildis die Schwester der Kaiserin Kunigunde und die Stifterin der Pfarr-
kirche Wendelstein gewesen sein soll. Die doppelte Darstellung bezieht sich auf
die Sage, daß die Heilige zuerst mit ihrem Gatten in kinderreicher Ehe lebend, für
den Rest des Lebens Keuschheit gelobte und sich dann durch besondere Werke der
Barmherzigkeit auszeichnete. Das Bild links stellt jedenfalls Ahahildis vor ihrem
heiligmäßigen Leben als Weltdame dar, das Nonnengewand der rechten Figur hat
als Symbol der Keuschheit zu gelten. Die Deutung des Öl- oder Kirschbaums, so-
wie die Beziehung der Gänse ist unbekannt. Zeichnung und Malweise an den un-
berührten Stellen — auch diese Tafel ist sehr schlecht erhalten und teilweise über-
malt, vor allem aber die Farbengebung stimmen mit den Halbfigurenbildern im
Museum und in Schwabach so genau überein, daß ein Zweifel an der Autorschaft
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60 ERHARD SCHÖN ALS MALER.
Abb. 5. Erhard Schön: AltarflOgel mit der hl. Ahahildis. Germ. Museum.
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VON DR. HANS STEGMANN. 61
Schöns hier völlig ausgeschlossen erscheint. Neben der eigenartigen, auch hier durch-
scheinenden groben Vorzeichnung, der mangelhaften Perspektive in den Figuren,
besonders schlecht sind die gekreuzten Unterarme der Nonne ausgefallen, ist auch
hier das Vorherrschen von Rot (Gewand der Weltdame) und Orangegelb (Mantel
der Nonne) bemerkenswert. Die Landschaft in ihrem stumpfen Charakter gleicht
ganz der durch das Fenster sichtbaren im Cimon- und Perobild. Immerhin hat
Schön hier eine gewisse Selbständigkeit zu verzeichnen; der allgemeine Eindruck
ist, wenn man über die etwas unbeholfene Stellung der beiden Frauen hinwegsieht,
sogar ein ziemlich bedeutender.
Von der Rückseite (Außenseite) sind bloß Spuren von Gewändern und eines
Teppichhintergrundes erhalten geblieben. Die Malereien waren in Leimfarbe aus-
geführt. Trotzdem lassen diese Reste die Art der Malerei Schöns in dieser Technik
deutlich erkennen und führen sogar auf die Spur eines gleichartigen Werkes der-
selben Hand, nämlich der Rückseite des Schwabacher Altars, der in Wolgemuts Werk-
statt oder vielleicht richtiger für dessen kirchliche Kunstanstalt in den Gemälden
der Vorderseite möglicherweise von Wolf Traut ausgeführt wurde. Leicht möglich,
daß an den späteren Werkstattarbeiten des Wolgemutconcern auch Erhard Schön,
wie so viele andere, beteiligt war.
Der zweite ebensogroße Flügel braucht uns hier nicht ausführlicher zu be-
schäftigen. Er stellt eine sozusagen strichgetreue Kopie des hl. Georg auf dem
Dürerschen Holzschnitt (B. ill) dar. Der Maler war nur wegen des Formats ge-
nötigt, das Ganze zu komprimieren, schmaler zu machen, was für die künstle-
rische Wirkung selbstverständlich nicht von Vorteil sein konnte. Die koloristische
Wirkung, soweit man dieselbe beurteilen kann, war aber recht glücklich. Die ganze
Mittelpartie des Bildes mit dem Rumpf des hl. Georg und dem Hals und Kopf des
Pferdes ist Ergänzung. Von den Malereien der Rückseite ist hier nur eine Bischofs-
mitra teilweise erhalten.
Es dürfte im Anschluß an die vorstehenden Untersuchungen, die sich absicht-
lich im wesentlichen auf das im Germanischen Museum enthaltene Material be-
schränken, nicht schwer sein, das gemalte Werk Erhard Schöns noch weiter zu ver-
mehren. Die Grundzyge seiner Art und Unart treten darin deutlich genug hervor,
um sichere Schlüsse auf weitere Arbeiten zuzulassen. Ob es allerdings der Mühe
verlohnt, diesen Maler höchstens dritten Rangs mit besonderem Aufwand von Mühe
und Zeit nachzugehen, muß dahingestellt bleiben. Besondere Aufschlüsse über die
eigentlich etwas verkümmerte Kunstentwicklung Nürnbergs nach 1520, soweit die
Malerei in Frage kommt, dürfte auch ein wesentlich erweitertes Werk Erhard
Schöns kaum ergeben.
<IDl>-
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DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
von
WALTER STENGEL.
(Mit 2 Tafeln.)
(Fortsetzung und Schluß.)
IL Bunte Hafnerware.
Unsere Kenntnis der bunt glasierten Hafnerarbeiten der Renaissance ist neuer-
dings durch A. Walcher v. Moltheins Forschungen wesentlich bereichert worden.
Walcher verdanken wir die Zuweisung einer Gruppe der früher sogenannten Hirsch-
vogelkrüge an die Nürnberger Hafnerfamilie Preuning, ihm auch grundlegende Unter-
suchungen über den Anteil der österreichischen Länder. — Die bunten Krüge des
16. Jahrh. finden sich im Germanischen Museum noch nicht so zahlreich wie es der
bedeutsamen Rolle, welche die Nürnberger Töpferkunst auf diesem Gebiete gespielt
hat, entsprechen würde. Immerhin sind einige Prachtstücke vorhanden. So der
große Krug H. G. 734* (Abb. Kunst und Kunsthandwerk Vll S. 490) den Walcher
einem Nachfolger des Paul Preuning zuschreibt. Gut ist auch die „Wasserblase"
H. G. 4770 (Abb. Walcher, Bunte Hafnerkeramik der Renaissance, Wien 1906, S. 43)
mit Adam und Eva, der Kreuzigung und dem armen Lazarus am Tische des Reichen.
Ein ganz ähnliches Gefäß, mit demselben Mittelrelief der Kreuzigung auf citrongelbem
Grund und mit den Darstellungen einer Ohrenbeichte und der Bekehrung Pauli befand
sich zuletzt in der Sammlung Lippmannn-Lissingen. Erfreulich wirken an dem Nürn-
berger Exemplar die derb modellierten Figuren von Adam und Eva, die einander
umschlungen halten. Nach Walcher ist diese Wasserblase im Salzkammergut oder
in der Stadt Wels gearbeitet, um 1550.
Als charakteristisch für Nürnberg gelten die sogenannten Plutzer. Es heißt,
daß sie viel nach Österreich exportiert wurden, wie sie denn auch im Handwerks-
wappen österreichischer Töpferinnungen erscheinen. Ein solcher Flaschenkrug mit
dem Wappen von Nürnberg befindet sich in der Sammlung Figdor. Als weiterer
Beleg für die Nürnberger Heimat der Gefäß-Type kann der glatthenkelige Plutzer
H. G. 1959* dienen (un verziert und mit Ausnahme des Mundstücks ohne Glasur),
der beim Ausheben von Baugrund in der Theresienstraße in Nürnberg gefunden
wurde. ^^)
Aus der Gruppe von Gefäßen mit Sandanguß besitzt das Museum einen Bart-
mann, H. G. 2523.* Der sehr bestimmten Taufe dieser Spezialität auf den Namen
Oswald Reinhards, Hirschvogels Kompagnon, die Walcher vorgenommen hat, können
wir nicht beipflichten.*®) Walcher führt als Taufzeugen den sogen. Zwinglibecher des
35) Mit dem in den Mitteil. d. Germ. Mus. 1898 S. 1 ff. besprochenen Hellerschen Epitaph vom
Jahre 1554 ist noch besonders zu vergleichen eine bunte Waschtoilette (m. Liebesszene am Brunnen)
im Münchener Nationalmuseum, Nr. 4023 (Raum 79): auf den weißen Pilastern blaue Ranken.
36) Vgl. E. W. Braun in Kunst und Kunsthandwerk 1906. 495 und H. Stegmann in Mitteil,
a. d. Germ. Mus. 1907, S. 47-
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BUNTE HAFNERWARE
63
Züricher Landesmuseums an (a.a.O. S. iSff.). Der Deckel desselben enthält eine
Inschrift, die bisher (vgl. H. Angst im Anzeiger f. Schweizer. Altertumskunde 1892)
„Caroli M cui cui poculum hoc inserviit" gelesen wurde, während einige vorstehende
Worte nicht zu entziffern waren. Indem Walcher nun, nach einer Photographie,
ziemlich deutlich liest „Rein (h) . . . Zwingly cui poculum hoc inserviit", ergänzt
er das erste Wort als „Reinhardus" und kombiniert dann weiter, da der durch eine
Tradition und wie es scheint auch in der Inschrift als Besitzer des Bechers genannte
Reformator Zwingli einen gewissen Oswald Reinhard, Gastwirt in Zürich, zum
Schwiegervater hatte, daß der zeitgenössische Hafner Oswald Reinhard in Nürnberg
jedenfalls mit dem in der Inschrift, wohl als Schenker und Verfertiger in einer Person,
angegebenen Reinhardus identisch sei. Die Hypothese wird noch dadurch gestützt,
daß dieser Hafner der einzige Reinhard seines Handwerks in Nürnberg gewesen
zu sein scheint. Er war mithin wohl kein geborener Nürnberger, sondern
Schweizer. Kommen doch Hafner des Namens im 17. und noch im 18. Jahrhundert
in Winterthur vor. — Ebensowenig wie mit dieser schwierigen Beweisführung kann
ich mich damit einverstanden erklären, wenn hier auf Neudörffer Bezug genommen
wird. „Der Becher ist für Neudörffer welsch, weil er bunt ist und ihn daher
an italienische Majoliken erinnert" (a.a.O. S.20). Das heißt doch auf den Stand
der Hirschvogelfrage vor Friedrich zurückgehen. Walcher schaltet denn auch folge-
richtig das Fayenceproblem ganz aus. „In welchem Sinne hätte auch Hirsch vogel
sich als Kunsthafner äußern sollen ? Die Renaissancekeramik Nürnbergs kennt nur
zwei Gefäßgruppen, die künstlerisch ausgeführt wurden (die Gefäße mit Sandanwurf
und die Preuningkrüge). Es bleiben uns somit keine Gefäße übrig, die wir ihm zu-
legen könnten, denn alles andere war minderwertig." Schon C. Friedrich — er war
Bibliothekar am Gewerbemuseum in Nürnberg — hatte die erhaltenen Fayencen
nicht in die Betrachtung einbezogen und, trotz Essenweins Veröffentlichung, die zehn
Jahre früher erschien, in einem besonderen Kapitel nachgewiesen, daß man um 1530
weder in Deutschland noch in Venedig das Zinnemail gekannt hat. Der Hinweis auf
die bei Goldschmiedearbeiten der beginnenden Renaissance für becherartige Gefäße
übliche Gestalt, die der Zwinglibecher wiedergibt, ist gewiß einwandsfrei. Ob aber
der Sandanwurf das Aussehen gegossenen, rauhen, noch nicht nachgearbeiteten,
somit unpolierten Metalls geben sollte, muß auf sich beruhen. Mit gleichem Rechte
möchte an die gesprenkelte Glasur rheinischen Steinzeugs erinnert werden. In
der Form sind einige der körnigen Gefäße jedenfalls von diesem beeinflußt, so der
Bartmann H. G. 2523* und eine Schnelle im National-Museum in München, mit der
Solon Fig. 66 und 67 zu vergleichen wäre. Die Drachenhenkel der Louvreflasche wieder-
holen sich, worauf 0. v. Falke®^) hingewiesen hat, in Siegburg. Bezüglich der Vase
bei Figdor — ein zweites weniger gutes Exemplar in der Sammlung v. Lanna —
ist zu bemerken, daß die Form außer zwei kleinen Bechern mit Bleiglasuren im Kölner
Kunstgewerbemuseum und einer Anzahl von braunen Steinzeugkrügen aus der Maxi-
minenstraße, noch anderwärts vorkommt. Eine solche Steinzeugvase im National-
Museum in München (Nr. 703, im romanischen Saal aufgestellt) ist ähnlich wie das
Figdorsche Gefäß an der Mündung mit einem gravierten Silberband gefaßt, dessen
37) Vgl. Jahrb. d. Königl. Preuß. Kunstsamml. XIX, 197-
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64 DBUTSCHB KERIMIK IM QERMANISCHEN MUSEUM
deutsche Inschrift nach den Kapital- und Unzialcharakteren zu urteilen, auch dem
16. Jahrh. angehören kann. Goldmontiert und, wie ein Toilettengerät zum Tropfen
mit einem Schraubdeckel versehen, der sich zu einer offenen Spitze erhebt, ist ein
zweites größeres Stück der Art in demselben Museum (Nr. I6i0, Saal 25, Vitrine II).
Hier entspricht dem bei dem Figdor-Becher in Ton modellierten gedrehten Stab an
der Einschnürung eine Goldtorques. Dieses Gefäß ist in Ölfarbe bemalt mit der
Jahreszahl 1580, einer Kreuzigungsgruppe und dem Wappen der Abtei von Hersfeld.
Ein drittes Stück, das in Augsburg bei einem Erweiterungsbau der Fronveste aus-
gegraben worden ist (jetzt im Museum Maximilianeum, Nr. 86 bietet keinerlei
Anhalt für die Datierung, ebensowenig ein gleichartiges (jefäß^®) in der Sammlung des
Historischen Vereins für Mittelfranken in Ansbach (Bodenfund, Steinzeug von stumpfer
eisenviolettgrauer Färbung mit einem braunschimmemden Fleck). Wir wissen
zu wenig von mittelalterlicher Keramik, um die Frage nach dem Alter des T)rpus
entscheiden zu können. Ein Gefäß von der gleichen Grundform, das in der Burg
Tannenberg (13.-14. Jahrhundert) ausgegraben wurde (Hefner und Wolf, Die Burg
Tannenberg, Tafel Vn) läßt die charakteristische Glockenschwellung des Halsteils
vermissen. Es scheint, daß diese Form nicht wesentlich älter ist als das 16. Jahr-
hundert. Und wenn bei B. Beham (Bartsch 168) ein solcher Becher auf einem länd-
lichen Tische steht, •*) so könnte die Form wohl auch als autochthon fränkisch gelten.
Tatsächlich taucht sie noch im 17. Jahrhundert in der Creussener Krugbäckerei
vereinzelt auf (Madonnenbecher v. J. 1671 im Berliner Kunstgewerbemuseum).
Es stünde also von dieser Seite nichts im Wege, die Figdor-Vase und damit die ganze
Fseudo-Reinhart-Gruppe für Bayern und Franken, wenn nicht mit Walcher für
Nürnberg zu reklamieren. — Einen einigermaßen verwandten Dekor (dicht gedrängte
Beeren - Noppen) zeigt der Krug (mit dem sächsischen Wappen) H. G. 4069*,
dessen Profil man mit dem Annaberger Koller - Krug verglichen hat. Ganz
ähnlich ist ein Krug im Österreichischen Museum in Wien, mit der gleichen Dar-
stellung der Taufe Christi. Letzterem Exemplar, das im Profil etwas abweicht und
wenig älter sein dürfte, fehlen die blauweißen Glasurstreifen am Hals und die
seitlichen Medaillons.
Beerennoppen schmücken auch die dünnwandigen, schwarzen Stangen-
Becher H. G. 710, 731*. Der Scherben ist weißlich und ziemlich hart gebrannt.
Als weitere Verzierung dient hier eine feine wellige Riefelung. Diese Becher*®) ent-
stammen derselben Werkstatt, aus der die schwarzen Tonbären (vergl. H. G. 6474)
herrühren, die 0. v. Falke als Kölnische Arbeit um 1615 bestimmt hat. Die Zu-
sammengehörigkeit zeigt noch deutlicher ein gleichartiger Stangenbecher in Maihingen,
an dem sich u. a. Reliefs musizierender Tiere finden. Ein ähnlicher Becher, gleichfalls
mit Reliefdekor, steht im National-Museum in München. Das Maihinger Exemplar
hat das Wappen von Augsburg.
38) Nach einer freundlichen Mitteilung des Herrn Prof. Preger, Ansbach, irrtümlich ab-
gebildet im Limeswerk Castell Dambach Tafel IV 7 (zu p. 15).
39) Auf einem Blatt von H. Burgkmair (Pass. 106) erscheint es zweifelhaft, ob nicht statt
eines Bechers ein Geldbeutel gemeint ist. Begründet wäre dieser Zweifel bei dem 1501 datierten
Frankfurter Altar des älteren Holbein (Abendmahl), wo das Objekt in der Nähe von Judas steht
40) Ein montiertes Exemplar, aus Schloß Schwarzburg, ist in der Zeitschrift des Mün-
chener Altertumsvereins N. F. XI 32 abgebildet.
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65
(H. G. 4797) Abb. 8.
III. Steinzeug.
In der alten Karthause beim Ausheben von Museumsbaugrund gefunden ist
das Fragment H. G. 716* eines Siegburger Gefäßes aus dem 15. Jahrhundert.
Die Form ergänzt sich nach Maßgabe vollständig erhaltener Exemplare (Museum
in Trier, Sammlung A. v. Oppenheim) zu einer rübenartigen Gestalt, die von
vier genarbten Reifen in fünf Zonen zerlegt wird. Als Verzierung dienen angesetzte
Ösen, die zur Aufnahme von hängenden Ringen bestimmt waren und aufgelegte
Figuren. Diese stellen dar einen der heiligen drei Könige, den Mohren, der eine Vase
trägt (dasselbe Modell ist an der gehenkelten Kruke der Sammlung v. Oppenheim
zur Verwendung gekommen) ferner einen stehenden heiligen Georg, der den
Drachen tötet und einen knieenden Armbrustschützen. Besonders die letzteren beiden
Figürchen sind sehr zierlich modelliert. Man darf hier wohl niederrheinische Gold-
schmiedearbeiten als Vorbilder voraussetzen. Es sei nur auf die, freilich etwas
jüngere, kleine Georgsfigur der schönen gotischen Schützenkette mit dem Wappen
der Grafen von Limburg (Katalog der Frankfurter Kunstgewerbeausstellung 1875,
Taf. 21) hingewiesen; das Vorhandensein eines Armbrustschützen an dem Stein-
zeuggefäß legt einen solchen Vergleich ja nahe.
Noch ein Nürnberger Bodenfund verdient besonders hervorgehoben zu werden:
das Fragment H. G. 4797*, das bei einem Neubau außerhalb der Stadtmauer, jetzt
Spittlertorgraben Nr. 3 zu Tage kam zusammen mit anderen, leider nicht
MitteiloDgen aus dem germao. Nationalmuseum. 1908. 9
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66 DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
eingelieferten Scherben, die wohl als Schutt dorthin verschleppt waren. Die in der
Abbildung (8) nicht sichtbare Seite ist ausgebrochen, es fehlt auch der Oberteil,
dessen Rekonstruktion zweifelhaft bleiben muß. Der runde, jedoch nicht regelmäßig
gedrehte Fuß ist hohl und etwas aufgetrieben. Die Tracht der beiden Brustbilder —
der bärtige Mann erscheint gegenüber zum zweiten Male — ergibt als Zeit die erste
Hälfte (genauer etwa die 30er Jahre) des 16. Jahrhunderts. Es ist möglich, wiewohl
die Form selbst für eine solche Annahme keinerlei Anhaltspunkt bietet, daß dies
Fragment der interessanten Gruppe gotischer Krausen mit aufgelegtem bärtigem
Kopfe, die 0. v. F a 1 k e unlängst zusammengestellt und als Dreihäuser Ware be-
stimmt hat, angegliedert werden darf. Die wesentliche Eigentümlichkeit des Stein-
zeugs von Dreihausen bei Marburg ist die eben hier vorhandene chokoladebraunrote
Färbung, die sich ebenso noch bei späten Erzeugnissen (wie der in Gießen gekauften
Kruke, Nr. 11075 der Sammlung von Bauerngeschirr) findet. Eine verwandte Farbe
läßt sich hie und da beobachten, aber nicht als einheitliche Glasur, in einer
Gruppe von wahrscheinlich sächsischem Steinzeug: H. G. 756*, 2922*— 2924.
Vornehmlich der Krug H. G. 2922 (Taf. VH) ist, besonders am Rücken und unter
dem Fuße violettrot angelaufen. Im übrigen erscheint die eher chokolade- als kaffee-
bohnenbraune Glasur hier so schön fein gesprenkelt wie bei manchen rheinischen
Arbeiten des 16. Jahrhunderts. Bei H. G. 756 (Taf. VI!) sieht die Oberfläche
gleißender aus, der rötliche Einschlag fehlt in dem Braun, statt dessen findet sich
mehr Grau. H. G. 2924 ist fast gelblich wie die Altenburger Cylinderkrüge. Das
deutet auf eine Verwandtschaft, für die sich noch weitere Anhaltspunkte ergeben
werden. Charakteristisch für dieses Steinzeug ist die Abschrägung des Fußes
und der obere Randwulst, insbesondere aber die Verzierung mit Reihen von
winzigen Zäpfchen bezw. Dreiecksvertiefungen, die wohl auch zu Zickzack- oder
Wellenlinien entarten. H. G. 2922 ähnelt im Profil einem Creussener Krugmodell
(vergleiche besonders Sammlung Lippmann Lissingen Nr. 17). Betreffs des Fuß-
frieses von durchlochten Löwenköpfen genügt es, an die prächtige große Kanne der
Sammlung Spitzer mit verschieden (1579 und 1583) datierten Reliefs von Bal-
dem Mennicken zu erinnern, die durch den gedrehten Henkel auffällt. Statt
der Cherubim (vergl. auch die Kreuzigungsschnelle der Sammlung v. Lanna,
Solon Taf. XXI) sieht man bei der späteren Apostelschnelle der Sammlung A. v.
Oppenheim zwischen den Löwenköpfen Rosetten. Schließlich verschwindet
der Fries ganz. Dieser Entwicklungsstufe gehört ein Exemplar mit dem
Scheurlschen Wappen (im Besitz der Familie in Nürnberg). Das eine der daran
angebrachten Reliefbilder (Isaaks Opferung) findet sich ebenso auf einer Schnelle in
Prag (Solon Fig. 171) die im übrigen durch das Fehlen der gestochenen Verzierung
von dem Glier- Steinzeug — so nennen wir die Gruppe nach dem auf einem anderen
Stück der Sammlung v. Lanna dargestellten Töpfer Hans Glier — abweicht und
durch die mehrfachen Wülste an Fuß und Rand, sowie durch den geschlossenen Fries
runder Porträt-Medaillons rheinischen Arbeiten näher steht. Die Scheurlsche Schnelle
nun, die mit der des Barons v. Oppenheim die umständliche Art der Montierung
(Querstege über dem Randwulst) gemeinsam hat, ähnelt in der Glasur noch mehr
als H. G. 2924, der bekannten Altenburger Ware. Vergleicht man die ältere,
reliefierte Ausführung der gelblichen Cylinderkrüge (Beispiel: H. G. 3082) so ist
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STEINZEUG
67
ihre Verwandtschaft mit dem durch die Scheurlsche Schnelle repräsentierten Typus
unverkennbar.**)
Von der früheren Phase des Glierstils leitet sich eine Reihe blau glasierter Stein-
zeuggefäße her: mehrere Kannen (H. G. 3492, 3494 (Taf. VII), 2/65*), die Fäßchen
H. G. 2943 (Solon Fig. 166), 2769,* 2770* und ein bauchiger Topf (H. G. 2766*).
Die blaue Glasur, die bei mehreren der Stücke eine bräunliche Färbung aes grauen
Scherbens teilweise deckt, ist ganz vortrefflich. Von rheinischem Fabrikat aus dem
Anfang des 17. Jahrhunderts in der Sammlung läßt sich in dieser Hinsicht den
ungefähr hundert Jahre späteren sächsischen Arbeiten nur die schöne Gurde
H. G. 176 (Solon Fig. 124) mit dem Wappen Hermanns v. Eynatten, eines Abtes
von Cornelimünster in der Nähe von Raeren (1628) an die Seite stellen. Aber hier
ist doch nicht die reizvolle Unregelmäßigkeit in dem Fluß der tiefblauen Glasur,
welche besonders die kleine Kanne H. G. 2765* so sehr auszeichnet und, wie es den
Anschein hat, auch beabsichtigt war. Die stumpfen Löwenköpfe der Kännchen
sind nicht durchlocht. Bei einer braunen Kanne von dem gleichen Typus im
National-Museum in München (Nr. 1035) ist das aber der Fall und dieses Exemplar
hat auch noch die großen Wappenmedaillons (u. a. das sächsische Wappen) in Kranz-
rahmen, wie sie für die Glierkrüge charakteristisch sind. Eine zweite ähnliche
Kanne ebenda (Nr. 1036) mit Rosetten, zeigt den nackten grauen Scherben. So
auch ein kleiner Krug von dem Typus H. G. 2922, in der Sammlung des histo-
rischen Vereins für Mittelfranken, in Ansbach. Der Relief dekor, der bei diesem
Steinzeug im 17. Jahrhundert üblich war, tritt unter der blauen Glasur im Anfang
des 18. Jährhunderts zurück und wird durch eingetieftes Ornament (unter Glasur)
ersetzt.^''*) Im Übergangsstadium ist das 1733 datierte kleine Faß H. G. 2759-*
Das Fäßchen H. G. 2770* vom Jahre 1744 zeigt kein Relief mehr, während der
bauchige Topf H. G. 2766 (Taf. VH) noch plastische Rippen hat. In letzteres
Gefäß sind von dem Töpfer an der Unterseite die Anfangsbuchstaben seines
Namens — WC— mit dem Spachtel eingeschrieben. Das blauglasierte Steinzeug
ist von den gelblichen Cylinderkrügen grundverschieden. Wenn also diese mit
Recht für Erzeugnisse der Altenburger Industrie gelten, so wird man den Meister
W. C. in einem anderen Centrum suchen müssen. Es liegt nahe, an die altberühmte
Steinzeug-Töpferstadt Waidenburg zu denken. Dort wurden in der Tat zu An-
fang des 18. Jahrhunderts blau glasierte Gefäße und besonders auch Kannen her-
41) In den Akten des Altenburger Töpferhandwerks im Stadtarchiv in A. (16.— 18. Jahrh.)
die wir einer Durchsicht unterziehen konnten, ist uns Hans Glier nicht begegnet, und wie die
Direktion des Herzoglichen Archivs in A. mitteilt, kommt auch in den dortiijen Töpferakten des
17. Jahrh. ein solcher Name nicht vor.
42) Von ganz anderer Art sind die sächsischen Nachahmungen der Westerwälder Ware
mit geritztem Ornament (Bandgeschlinge u. s. w.). — „Blaukrüge'* von „Steinwerk'* waren zu
Anfang des 17. Jahrhunderts ein Exportartikel von Arnstadt. Vgl. Zeitschr. d. Ver. f. Thüring.
Geschichte und Altertumskunde N. F. IV, Jena 1885, S. 398. (Diesen Nachweis verdanke ich
meinem Kollegen Herrn Archivar Dr. H. Heerwagen.) — Laut einem Aktenstück vom 3. Sept.
1705, im Stadtarchiv in Altenburg, haben die Meister der Töpfer in A. sich bey ihrem Rath
beklagt, und vorbracht, sie dürften nach Zeitz keine blaue Waare bringen. Umgekehrt be-
schwerte sich am 29- Aug. 178O (Aktenstück ebenda) der Zeitzer Töpfer Johann Friedrich
Wundrack über das Töpferhandwerk in Altenburg, das ihn verhindert hatte, seine in Zeitz
verfertigten Töpferwaaren, besonders aber braune und blaue Gefäße, in A. zu verkaufen.
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68 DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
gestellt.*^) Das im Jahre 1653 angelegte Meisterbuch des Waldenburger Töpfer-
handwerks enthält jedoch keinen Namen, auf den die Buchstaben W C paßten.
Will man also den vorzüglich gearbeiteten Topf nicht für ein Gesellenstück
halten — der tüchtige Geselle wäre dann in Waidenburg nicht Meister geworden —
so muß die ganze Gruppe anderwärts lokalisiert werden.
Eine weitere Gattung sächsischen Steinzeugs, von der u. a. das kleine Roch-
litzer Museum (4. Heft d. Vereins für Rochlitzer Gesch., 1905, Taf. V) und A. v. Op-
penheim je ein Exemplar besitzen, ist im Germanischen Museum vertreten durch
zwei Kuffen (H. G. 3049*— 3050*), eine Büchse mit Schraubdeckel (H. G. 3084) und
eine Flasche mit Gurthenkeln (H. G. 2124). Der auffällige Schmuck dieser Gefäße
besteht in Noppen von schwarz emaillierten Beeren. Dazu kommen noch bei der einen
Kuffe wenig sorgfältig modellierte Löwenköpfe oder Satyrmasken, bei der Büchse
reliefierte Medaillons mit stilisiertem Wappen bezw. einem Liebespaar in Kränzen.
Der graue Scherben ist hell gelbbraun gefärbt. Die Nachricht der Meißnischen Bergk-
Chronica des Petrus Albinus vom Jahre 1590, daß die aus ascherfärbigtem Ton ge-
fertigten steinernen Geschirre von Waidenburg aussahen, als seien Perlen darauf ge-
wachsen , ließe sich vielleicht auf diese Type beziehen. Ein hierher gehöriges, wohl
aus dem 17. Jahrhundert stammendes „Fäßlein, das auf vier Beinlein steht" im
National-Museum in München wäre dann noch von der Sorte, welche die Kurfürstin
Anna von Bayern schon in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts von Waiden-
burg bestellte.**) Wie A. Kurzwelly**^) hervorhebt, muß man aus allen Berichten
den Eindruck gewinnen, daß Waidenburg von jeher vornehmlich schlichte Gebrauchs-
ware fabriziert hat. Diesem Eindruck würde das in Rede stehende Steinzeug
wohl entsprechen. Da die Waldenburger Industrie zu Böhmen in naher Beziehung
stand (die Zinngießer in Eger verhandeln im Anfang des 18. Jahrhunderts wieder-
holt mit dem Töpferhandwerk in Waidenburg), so ließe sich mit unserer Annahme
auch der Umstand vereinigen, daß die Glaskuffen, mit Perlen in ähnlicher Anord-
nung wie die Brombeeren auf der Steinzeugkuffe H. G. 3049,* eine böhmische
Spezialität zu sein scheinen, die nach Sachsen hinübergewirkt hat. Ein derartiges
Glas im Schlesischen Museum in Breslau, das 1617 datiert ist, stammt laut Inschrift
aus Friedrichswald bei Reichenberg. Pazaurek *') hält daher eine böhmische
Heimat der gläsernen Kuffen für wahrscheinlich und läßt andererseits die Frage, ob
nicht auch Sachsen dafür in Betracht kommen kann, offen.
Für die Bestimmung der Verwandtschaft des Glierstils mit dem Brom-
beergeschirr sind einige Scherben im Leipziger Kunstgewerbe-Museum wichtig. Die-
selben haben, wie Kurzwelly bemerkt, „denselben hellgelben Ton wie die Altenburger
Krüge und zeigen als Dekor emaillierte Perlen und Rosetten in Verbindung mit edel
43) Ein losgesprochener Lehrjunge verehrt dem Handwerk (der Töpfer in Waidenburg)
1717: t,2 beschlagene Krüge, als eine Kann- Pumphose und ein b 1 a u gemaltes Gesellenstück
von einer knappen Kanne". Vgl. Reinhold Hofmann, Zur Gesch. d. Töpferei in Altstadtwalden-
burg (Schönburg. Geschichtsblätter, 1894), S. 156.
44) Vgl. K. V. Weber, Anna, Churfürstin zu Sachsen, S. 118. Vgl. zu den Münchener
Fäßchen auch Dr. Fr. Hofmann im Führer durch das Bayer. National-Museum (1908), S. 290.
45) Vgl. Wuttkes Sachs. Volkskunde (Leipzig 1903), S. 426 ff.
46) Vgl. „Gläsersammlung des Nordböhm. Gewerbe-Museums in Reichenberg" S. 6.
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(H. O. 827) Abb. 9.
gezeichnetem figürlichem Relief im Stile des 16. Jahrhunderts. Der eine Scherben
weist eine Löwenmaske auf, der andere eine Satyrmaske nach Art der Masken auf
rheinischem Steinzeug, ein dritter einen Cherubskopf der Art, wie sie an Creussener
Krügen und deren alten Nachahmungen vorkommen".
Die überhöhte Gestalt der Brombeer- Kuffe H. G. 3049* entspricht gewissen
Creussener Krügen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (vgl. S. 70, zu
H. G. 760) und die haufenförmige Büchse H. G. 3084 scheint den noch zu be-
sprechenden Adam Scharf-Typus vorauszusetzen.
Während über Waldenburger Steinzeug seit 1530 eine ganze Reihe von Mit-
teilungen vorliegt, hören wir in der Literatur von der Krugfabrikation in Creussen
zuerst durch Merian (1648) und diese wie die späteren Erwähnungen sind, ver-
glichen mit den Lobeserhebungen über Waidenburg ziemlich dürftig. Das alte Hafner-
Handwerksbuch von Creussen ist bei einem Brande im Jahre 1705 zerstört worden.
Ein im Jahre .1709 begonnenes neues Buch, das sich am Orte bei dem Hafnermeister
Hof mann erhalten hat, ist Stockbauer*') unbekannt geblieben. Es beginnt
mit einer aus dem Gedächtnis unklar wiedergegebenen Rekapitulation der früheren
Geschichte des Handwerks: „Erstlichen is zu wiessen daß vor alten Zeiten alss
Anno 1512 Häffner hier gewesen sintt mitt Nahmen die Vesten, die Bilt- Schnitzer
und Bossierer zu gleich gewessen sintt und haben in der Statt Win und Lintz vor-
nehme Arbeit von aller-hantt Fieguren in die Kirchen gemacht und sie dess von
Keiser Ferdinandi miett einen Atliegen Waben worin zwei Eichhörner ( ?) sambt
einen offen Helm auch haben Sie bekommen eine schöne Fahnen zu ewigen an-
denken . ." Von einer Steinzeug- Industrie erfahren wir auch hier nichts.
Es entspricht nur dem Verhalt der Schriftquellen, wenn die wenigen Stein-
zeugkrüge, die wir vor l600 in Nürnberg nachweisen können, noch rheinisch sind.
47) Vgl. Kunst und Gewerbe XI (Nürnberg 1877) S. 321 ff.
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70
DEUTSCHE KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
Außer den beschriebenen Fragmenten wäre dies der bauchige Siegburger Krug
vom Jahre 1592 mit den Wappen der Derrer und Löffelholz (H. G. 769)*, sowie die
Raerener Büchse H. G. 2244 v. J. 1590, die aus der Apotheke zum heil.
Geist in Nürnberg stammt. Weiter muß hier daran erinnert werden, daß Raeren
im 16. Jahrhundert auch für Sachsen gearbeit hat (Flachkrüge v. J. 1588 bei
A. V. Oppenheim und im South- Kensington-Museum) und daß Waidenburg
gleichzeitig an den Münchener Hof lieferte. Erst im 17. Jahrhundert scheint
Creussen eine gewisse Suprematie dem sächsischen Markt und der sächsischen
Produktion gegenüber eingenommen zu haben.
Stockbauer führt als älteste Creussener Arbeit einen Apostelkrug im Ger-
manischen Museum (H. G. 760) an, der das Datum 1585 hat. Die gemalte Zahl ist
jedoch nicht original. Es ist ein geringer, später Krug, aus der zweiten Hälfte
des 17- Jahrhunderts, in der ungeschickten Form etwa dem im Katalog der ehemaligen
Sammlung Schloß Mainberg als Nr. 418 abgebildeten Stück ähnelnd. Hinsichtlich
des kleinlich wirren Ornaments läßt sich ein 1665 datierter Apostelkrug der
ehemaligen Sammlung Heinr. Wencke (Nr. 25) vergleichen.*®) — Vier Jahre
älter als die früheste Creussener Arbeit, die Solon namhaft macht, ist der
vortrefflich scharf gepreßte, unbemalte Krug H. G. 827 (Abb. 9) mit der Inschrift:
lOHANN FROBENivs F. B. SECRET. I6l4, die sich wahrscheinlich auf den
1620- nobilitierten Markgräflich Anspach- Brandenburgischen Geheimen Hofrat
und Lehnprobst Johannes Frobenius bezieht (Mitteilung Sr. Exzellenz General v.
Froben, Karlsruhe); auf dem Henkel eine Karyatide, ein Motiv, das bald durch
ein Löwenmaskaron mit Akanthusblatt ersetzt wird. Als gutes Beispiel der vornehmen
frühen Emaillierung kann der I634 datierte Krug H. G. 2974 genannt werden, der
dem Prachtstück des Muste Cluny (Solon PI. XX) nicht nachsteht. Später nimmt
die Farbe überhand und contrastiert in grellen Tönen mit einer mehr und
mehr flauen Bossierung.
Es würde zu weit führen, hier die in schnell absteigender Linie ins
Bäuerliche geratende Entwicklung der Creussener Krugbäckerei im einzelnen
aufzuzeigen. Nur einige Abarten seien noch namhaft gemacht. Zunächst die
niedrigen achtkantigen Büchsen mit viereckigen Seiten, die von Ketten um-
rahmt und mit Kerbschnitt teilweise verziert sind (vgl. H. G. 2967*). Auf einer
derartigen Büchse im National-Museum in München ist ein Töpfer namens Adam
Scharf abgebildet. Da ein solcher sich in Creussen nicht nachweisen läßt,*®) steht
man vor der Alternative, diese den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts angehörende
48) Eine Creussener Büchse des Fürstl. Museums in Sigmaringen mit der Inschrift „M.
Johannes Kobius Aldorphi P. P." in dem alten vortrefflichen Katalog „um 1600" datiert, dürfte
nicht vor 1621 entstanden sein, da der Philosoph Johannes Kobius laut G. A. WilPs Nürn-
berg. Gelehrtenlexicon erst in diesem Jahre die Magisterwürde annahm. In Beziehung zu Altdorf
steht auch der oben erwähnte Creussener Krug der Sammlung Frohne Kopenhagen (Nr. 98),
dessen Inschrift nach einer liebenswürdigen Mitteilung des Besitzers vollständig lautet: LEONH.
FVRSTENHAVER. ACAD. ALTORPH. OECONOMVS. Man ist hier wieder versucht, auf ein
sehr frühes Datum zu raten. Herr Notar H. Adam, Altdorf, unterzog sich der Mühe, nach dem
Namen in den Kirchenbüchern zu suchen, leider ohne Ergebnis.
49) Nach den von Herrn Apotheker K. Böhner, Creussen, angestellten Untersuchungen.
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71
(H. O. 3005) Abb. 10.
Gefäßtype Creussen abzusprechen oder das Münchener Exemplar als Dedikation an
einen fremden Töpfer aufzufassen. Vielleicht wurde auch nur die Emaillierung aus-
wärts besorgt. Ein anderes Exemplar mit dem Porträt des Herzogs Joh. Georg 111.
von Sachsen, in demselben Flachemail, war in der Frankfurter Kunstgewerbeaus-
stellung 1875, eine Büchse mit dem ähnlich gemalten sächsischen Wappen und den
Initialen des Herzogs Johann Heinrich von Sachsen in der Sammlung v. Lanna.
Die den genannten Stücken eigentümliche Verzierung mit Reihen feiner Punkte erinnert
mehr als andere Details des Creussener Emails an Gläser. — Eine solche Verwandtschaft
läßt sich noch bei dem 1671 datierten Zopfkrug mit dem sächsischen Wappen
(H. G. 3005, Abb. 10) feststellen. Die Pflanzen mit ihren aus bunten Häkchen
gebildeten Blüten kehren ganz ähnlich wieder auf einem Hallorenglas v. J. l68l im
Mus6e Cinquantenaire in Brüssel (No. 2726). Sächsische Bestimmung verrät auch
die Kuffe H. G. 3004* mit Jagddarstellungen zu Seiten eines Medaillons mit Brust-
bild, dessen Relief sich von dem nämlichen bunten Häkchenwerk abhebt: eine
gleichartige Kuffe mit derselben krischeligen Grundierung im Gewerbe-Museum in
Nürnberg (VIII 1087) hat das sächsische Wappen.
Den irrtümlich sogenannten Trauerkrügen unbekannter Herkunft an die Seite
zu stellen sind die Büchse H. G. 3031* und die Kuffe H. G. 3002* (wellige Auf-
rauhung des Grundes, eingepresste Lilien u. s. w.). Beide schwarz. Die Büchse
mit Schraubdeckel, die gewiß nicht zu vorübergehendem Gebrauch bestimmt war,
zeigt, daß es sich bei den zugehörigen „Trauer"- Krügen in der Tat nicht, wie
man angenommen hat, um eine von Creussen für den Totenschmausbedart herge-
stellte Spezialität, sondern um den Stil einer anderen Töpferindustrie handelt.
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(H. O. 3010) Abb. 11.
Als Beispiele der schwarzglasierten Lausitzer Ware mit aufgelegten Ranken
notieren wir die Nummern H. G. 2937 und 2938 wegen des an der Bauchung an-
gebrachten Datums 1774.
Unter den Palmettenkrügen fällt H. G. 3010 (Abb. 11) mit einem Fries von Damen
und Herren, besonders auf. Es ist offenbar ein frühes Exemplar der Gattung und
unterscheidet sich von den sehr häufigen späteren Stücken auch durch die ver-
nünftigere Anordnung und ruhigere Färbung der Palmetten — die obere Reihe ist
nach unten, die untere nach oben gerichtet und jede Halbpalmette ist einheitlich
weiß oder rot bezw. blau in regelmäßigem Wechsel.
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(H. O. 4852) Abb. 12.
IV. Porzellan.
Die Porzellansammlung des Germanischen Museums ist im wesentlichen neueren
Datums und daher noch mehr als die übrigen keramischen Gruppen entwicklungs-
fähig. Insbesondere kann hier das Fehlen so mancher für den vornehmen Haus-
halt des 18. Jahrhunderts charakteristischer Gerätformen nicht unbemerkt bleiben,
um so weniger, als die Keramik im Germanischen Museum von alters her eine
Unterabteilung und den Grundstock der Sammlung von Hausgeräten bildet. Saal
28 führte einst, als diese Sammlung noch nicht in technische Gruppen aufgeteilt
war, den denkwürdigen Titel der Frauenhalle. Es sollte dort, wie es ausdrücklich
hieß, der Wirkungskreis der deutschen Frau vergangener Zeiten dargestellt werden:^®)
— ein echt romantischer Gedanke, der uns heute fast wie eine Utopie anmutet und
jedenfalls schwer realisierbar ist. So dürfte „der gedeckte Tisch" des 18. Jahr-
hunderts^^) in dempreziösen Programm nicht fehlen, und es wäre doch museologisch
nicht gut möglich, kostbares Porzellan frei hinzustellen und feines Tischzeug ein-
stauben zu lassen. Allein auf die Illusion kommt es nicht an. Eine Spezialsamm-
lung von verschiedenem Tischgerät aus Porzellan, welche die Formen und den Ge-
brauchszweck besonders berücksichtigt, ließe sich wohl denken, und die allmähliche
50) Vgl. Th. Hampe's Jubiläumsfestschrift des Germ. Mus. (S. 56). S. ebenda das museums-
geschichtlich merkwürdige Bild der Frauenhalle nach einer Lithographie der Illustrierten Zeitung,
Jahrgang 1858.
5i) Vgl. Museumskunde II 63 (Biologische Museen) und Kunst und Kunsthandwerk VII
130 ff. (Brüning: Schauessen und Porzellanplastik).
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum.. 1908 10
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74
DEOTSGHB KERAMIK IM QEHMANISCHEN MUSEUM
Komplettierung in Einzelheiten bereits vorhandener Service ist auch in manchen
Fällen eine nicht hoffnungslose Aufgabe.
Das Germ. Museum besitzt von historischen (für bekannte Urbesitzer gear-
beiteten) Servicen zunächst drei große Sulkowsky-Teller (H. G. 4961—4963). Die
zugehörigen Prachtstücke hat Jul. Lessing beschrieben (Kunstgewerbeblatt 1888). Sie
sind in festen Händen. Aus dem Service, das König August der Starke 1741 an Clemens
von Bayern, Kurfürsten von Köln, schenkte, ist eine Terrine vorhanden (H. G. 6246).
Der Untersatz fehlt (wie leider auch bei den anderen Terrinen und Bowlen der Samm-
lung). Ein vollständiges Exemplar war bei v. Pannwitz, auch in der Auktion Fischer-
Dresden. Fischer besaß ferner eine zugehörige große Schüssel, v. Pannwitz noch
zwei Kännchen und bei Lepke wurde 1904 ein Teller versteigert (Katalog 1376 Nr. 250).
Die „deutschen" Blumen und Insekten, die nebst vergoldeten Muscheln den Dekor
dieses Services bilden, sind nicht nach der Natur, sondern nach naturgeschichtlichen
Abbildungswerken gemalt. Doch ist die Verwendung der Vorbilder naturgemäß.
Man sehe nur, wie auf dem genannten Teller eine Raupe den Spiegelrand entlang
kriecht.
Sehr beachtlich innerhalb des historischen Rahmens erscheinen die fürstlichen
Repräsentanten der Manufakturen von Meißen und Frankenthal: d^ kostbare
Figürchen August des Starken (H. G. 4050) und die von Linck bezeichnete allegorische
Gruppe mit den Porträtmedaillons Karl Theodors und der Kurfürstin Maria Elisabeth
Auguste (H. G. 6129). Vielleicht fügt ein glücklicher Zufall künftig die Ludwigsburger
Allegorie auf Herzog Karls Kunstpflege (Architektur und Keramik) hinzu oder ein
entsprechendes Stück von Fürstenberg etwa oder Berlin.
Ausgezeichnet als Zeitbilder wie in künstlerischer Hinsicht sind die Frankenthaler
und Nymphenburger Cavaliere: H. G. 5280* und H. G. 5253-* Letzterer ein lang-
beiniger Herr in steifem weißem Rock (Aufschläge karminrot wie die Weste) hält
unter dem Arm den schwarzen Dreimaster und reicht, sich zierend, der zu vermissenden
Dame eine Rose. Der Frankenthaler Galant (H. G. 5280, Taf. VIII) bietet eine Traube
an, auch er in weißem Rock, Knopflöcher und Knöpfe golden, dazu lila Aufschläge und
eine licht citrongelbe Weste. Dieses feine und bedeutende, leider im Gesicht etwas
verschundene Figürchen, stammt noch aus der Hannongschen Periode, ebenso
wie der unbemalte Flötenspieler am Pult (H. G. 4832). Das schöne Frankenthaler
Brüle- Parfüm H. G. 6245 kommt in derselben Gestalt und mit ähnlichen Archi-
tekturbildern auch als Nymphenburg vor. Ob die bisher unbestimmte Tänzerin
H. G. 5609 (Abb. 13) mit einem Füllhorn, aus dem ein Kurhut herausrollt, als ein
Geschöpf der Manufaktur Karl Theodors gelten kann, steht dahin. Das Bravour-
stück des frei wehenden Schleiers ist sehr beachtlich, wie überhaupt die kleine
häßliche Person Charakter hat. Vergl. die bemalte Tänzerin, mit frei zurück
wehendem Schleier, der Sammlung v. Pannwitz (Löwenmarke, Berliner Porzellan
Ausstellung 1904, Nr. 880).
Aus der unlängst festgestellten Pf alz - Zweibrücker Fabrik der 70 er Jahre
stammt der Einsatz mit Essig- und Ölkännchen H. G. 5032, sowie der Milchgießer
H. G. 5408. Beide verziert mit bunten Buketts und grünen Reliefblatt- Spitzen;
am Rande lila. Von Kelsterbach, auf dessen Bedeutung zuerst C. A. v. Drach hin-
wies, ist eine unbemalte Lautenspielerin da (H. G. 6506), die nach 0. v. Falke
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PORZELLAN
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(Jahresber. d. Kölner Kunstgewerbe- Vereins 1906) ein Nymphenburger Original von
Bastelli wiederholt, früher in der Sammlung Habich. Als Arbeit Bastellis wäre noch
zu nennen das gelassen tanzende Paar H. G. 6135, 6136, unbemalt, aus der
Kollektion Hirth.
Ansbach - Bruckberg, die eigentliche Domäne der Porzellansammlung des
German. Museums, ist bislang noch verhältnismäßig schwach vertreten. Frühe
Sachen wie die beiden weißen Kännchen des Gewerbemuseums (Vlll 1490, 1491)
sind hier nicht vorhanden. Die große Salat-Terrine H. G. 5035, deren eisenrote
Malerei (Buketts und verstreute* Blumen) gut zu dem schönen crSmefarbigen
Grundton steht, verdient hervorgehoben zu werden. Auf dem Deckel Hahn
mit Henne. Der bunte Teller H. G. 6494, der ein ostasiatisches Original kopiert,
erinnert daran, daß auch die ältere Fayencefabrik bedeutende Anleihen von
China aufgenommen hatte. Die engen Beziehungen Ansbachs zu Berlin deutet der
Teller mit „Relief zierrat" H. G. 5409 an, der ein Berliner Muster nachahmt, und die
Götter H. G. 61 32, 6133 (Merkur und Venus) kranken auch an dieser etwas unglück-
lichen Verwandtschaft. Wenig ansprechende Beispiele der Königlich Berlinischen
Figurenplastik, die bisweilen etwas stark an Seife erinnern, sind vorhanden, u. a. der
Paris (H. G. 6507) aus der Zeit um 1775. Die zugehörige Venus fehlt. Wegely'sches
Fabrikat ist der bunte, schwarz aufgezäumte Hahn (H. G. 5025*), auf dem Amor
reitet mit blauem Frack und schwarzem Dreimaster. Das feine Gefieder ist außer-
ordentlich scharfpinselig bemalt.
Eine hervorragend gute Vertretung hat Fulda gefunden durch die im
Preiskurant 1786 mit dem Preis von 18 Gulden aufgeführte große Madonna
Immaculata (H. G. 5314), die, in etwas anderen Farben, auch eine Zierde
des Hamburger Museums darstellt (vgl. Jahresbericht 1905 des Museums für
Kunst u. Gewerbe in Hamburg). Daneben — ein reizvoller Kontrast — ein kleines
hochfrisiertes Dämchen mit grünem Pompadour und lila Rose (H. G. 5026). Die
sehr pikant modellierte dritte Figur (H. G. 5773, Taf. VHI), wie die vor-
genannten mit dem Kreuz gezeichnet, trägt erdbeerfarbenen Rock und lila
gestreifte Kniehosen. Der Mantel und die Schuhe sind schwarz. Das gleiche
Modell in Lachs, Türkis und Gelb als Harlekin, der vor einem Partner die
Mütze zieht, war in der v. Pannwitzschen Sammlung. — Kassel schließt sich an mit
einem unbemalten Rossebändiger, nach einer Sandsteingruppe der Au (H. G. 6509)
Der hübsche Geigenspieler H. G. 461 6 und das etwas spießbürgerlich unge-
lenke Paar H. G. 6497, 6498, aus einer Folge der Jahreszeiten, geben einen Begriff
von der Produktion Limbachs. Aus Kloster Veilsdorf stammt ein Service (H. G.
5113 — 5130) mit Landschaften, die der Züricher Art zu vergleichen sind, ferner
der sehr reizvolle Leuchter H. G. 6962, dessen Vorbild Direktor Brinckmann in
einem französischen Ornamentstich (Entwurf für Silber) nachgewiesen hat. Ein
Beispiel der kräftig schönen Blumenmalerei — der Stolz dieser vornehmsten der
Thüringischen Manufakturen — steht noch aus.
Die bekannten Chinesen und die hausbackenen, aber gesunden Kinder von
Höchst möchten hier weniger interessieren, es sei denn das zierliche Sommer-
mädchen (H. G. 4071) und die liebliche kleine Prima vera (H. G. 4070). Nur
scliwach wirken die kränklichen Gestalten Ludwigsburgs, das mit dem Schuppen -
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76 ' DBUTSCHB KERAMIK IM GERMANISCHEN MUSEUM
Service (H. G. 5131—5152) sonst nicht ungünstig abschneidet. Vielleicht ist es auch
ungerecht, die sehr temperamentvollen Wiener Herkulesgruppen (H. G. 6578) mit
den ähnlichen Modellen von Ludwigsburg zu vergleichen, die gegenüber dieser
Verve doch ganz matt aussehen müßten. Noch fällt in dem Wiener Schrank ein
Bottengruber (H. G. 5022) durch seine feine Malerei auf (Abb. im Jahrbuch
des Schlesischen Museums f. Kunstgewerbe und Altertümer II, Breslau 1902,
S. 149). Ein CrSmeschälchen mit goldgehöhtem Schwarzlot und Eisenrot (H. G.3671,
vgl. 5653) hat G. Pazaurek als Arbeit Preußlers bestimmt. Unter H. G. 4679. 3629
besitzt das Museum in der Form und im Relief übereinstimmende Blattschälchen
von rotem Böttgersteinzeug.
Wir müssen die kurze Übersicht schließen, ohne auf die Muttermanufaktur
Meißen, die hier nichts wesentlich Neues bietet, näher eingegangen zu sein.*^)
Nur noch eine Bemerkung zu dem rotbraunen Böttgersteinzeug mit braunschwarzer
Glasur, das im Germanischen Museum reichlich vorhanden ist, sowohl mit grober,
schlecht haftender Bemalung, wie mit gutem Silber und sehr feinem Golddekor.
Meißen, Flaue und Bayreuth werden als Fabrikationsorte genannt. *•) Daß diese Ware
auch in Ansbach hergestellt wurde, und zwar außerhalb der Manufaktur, beweist die
folgende, vom 25. Februar 1743 datierte, Bittschrift des bereits oben erwähnten
(Johann) Va]entinBontems,dieauf dem Rathaus in Ansbach unter der Signatur Class.I,
Tit. XXXII, Tom. ix*^) aufbewahrt wird: „Durchlauchtigster Marggraf, gnädigster
Fürst und Herr! —Von der Zeit, da ich den Anfang gemachet, das Braune Porcellain
Geschirr mit Silber einzuschmelzen und solches hie und dar Beliebt zu machen, haupt-
sächlich aber nachdeme von Euer Hochfürstl. Durchlaucht auf Vielfältig mein unter-
thänigstes Suppliciren die hohe Gnade erlanget, solch Geschirr selbst Fabriciren zu
dörffen, worzu unter göttlichem Bejrstand und mit meinen schweren Kosten die nöthige
Einrichtung gemachet, haben sich nicht nur verschiedene Persohnen auffgeworfen, die
das von denen Preissen"^*) erhandelte Geschirr in ziemlicher Menge durch einige hier
und dar sitzende Porcellain-Mahler Lacquiren lassen und hernach, sowohl hier als
anderwärts zu verschliessen gesuchet und anbey sich nicht geschemet haben, solches
entweder vor meine* Arbeit, oder wenigstens doch vor eingeschmelzt auszugeben,
vorgefunden, sondern es hat sich sogar der ehemahlen Bey hiessig Herrschaftl. Fabrique
und vor kurzer Zeit als Mahler Bey mir gestandene Meyer unterstanden nachdeme
er währender Bey mir gehabter Condition mir eines und das andere abzusehen Ge-
legenheit gefunden, ohnangefragt und lediglich nach eigenem Gefallen ein Brenn
Öfelein in seinem nechst mir Bewohnenden Quartier zuzulegen, und darinnen Braun
Geschirr mit Silber einzuschmelzen, in welcher Arbeit er dato mit gutem Success
Continuiret, und ob selbiges gleich nicht von gehöriger Güte und nach meiner Art
Beschaffen, so weiss er jedoch sich aller Orten damit seinen Verschluss zu machen
52) Die goldmontierte Kanne H. a 4852, Abb. 13 (das Weiß hat einen leichten Stich
ins Grünliche) ist nach dem Urteil von Dr. E. Zimmermann nicht Meißener Fabrikat.
53) Ein Service (mit feinem Golddekor und mit einem Wappen: im rechten Feld ein Hirsch,
im linken ein Pokal) im Gewerbe-Museum in Nürnberg hat die Goldmarke W.
54) Die Ermittelung dieses Aktenstücks verdanke ich dem Entgegenkommen des Herrn
Bürgermeisters Roh med er.
55) Flaue a. d. H.
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PORZELLAN
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und mittelst ohnerlaubter Entziehpraeoccuperirung meiner ihme Bekandt gewordenen
Kundschaft einen grossen Nahrungs Abbruch Beyzufügen habe dieses hier-
durch unterthänigst ohnangezeigt nicht lassen und gehorsamst Bitten sollen. Euer
Hochfürstl. Durchlaucht geruhen ermeldten Meyer sowohl die Inhibition dessen zu
thun und ihn anweissen zu lassen, dass er sich gehörig in Condition und auf eine
Fabrique Begeben solle, denen übrigen Porcellain Mahlern aber, die ausser und nach
Verrichter ihrer ordentlichen arbeit sich unterfangen, dergleichen Braun Geschirr
vor sich privatim zu lacquiren oder um den Lohn andern zu verarbeiten, welches
hernach mit Übersetzung der Käufer vor eingeschmelzt herumgeführt und dadurch
das ächte in Verachtung und Miß-Credit gesezet wird, aufladen zu lassen, dass sie
sich dessen gleichfalls enthalten, Bey ihrem weißen Geschirr und dessen Tractament
Verbleiben, dagegen mich bey Genuss des hierüber aus Hochfürstl. Höchster Milde
erlangten Decreti ohngekränket lassen mögen. Hierüber und dessen gnädigster
Manutenenz Bin in Unterthänigkeit gewärttig und Verharre mit profondestem Respect
Euer Hochfürstl. Durchlaucht unterthänigster Johann Valentin Bontems. Onolzbach,
den 25. Febr. 1743." Dem Gesuch wurde stattgegeben und die Verordnung dem
Hermann Mayer publiziert. — Ein Krug vom Jahre. 1742, mit Silberdekor, im
Hamburgischen Museum, dürfte für Ansbach zunächst in Betracht kommen.
(H. 0. 5609) Abb. 13.
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ANMERKUNGEN ZUR HIRSCHVOOELFRAOE*
von
WALTER STENGEL
I. Das Wappen der Fayence- Eule v. J. 1540 ist versuchsweise auf das Über-
linger Geschlecht der Kessenring bezogen worden. Das entsprechende Wappenbild
in dem oberbadischen Geschlechterbuch von J. Kindler v. Knobloch (1899) unter-
scheidet sich jedoch von dem der Eule, insofern der Kesselring hier nach innen, dort
nach außen offen steht. Ich habe nun den für Bürgermeister Jacob Kessenring (zur
Belohnung von im Bauernkrieg geleisteten Diensten) durch Kaiser Karl V. i. J. 1528
ausgestellten Wappenbrief auf dem Rathaus in Überlingen verglichen. Dort
stimmt das Detail mit dem der Eule überein. — Der Sohn des Bürgermeisters, Jacob
Kessenring der jüngere, Doktor beider Rechte (er heiratete 15)9), war der Rom.
Majestät Ferdinand I. und nach deren Ableben Erzherzogs Ferdinandi zu Oester-
reich Rat und Diener (nachträgliche Notiz auf demselben Wappenbrief). Im Jahre
1547 erhielt er als ein Zeichen besonderer kaiserlicher Gunst eine Wappenverbesse-
rung (goldene Krone).
II. Das Wappen der Eule in Kaufbeuren (1543) ist nicht das der Stadt, sondern
der kaiserliche Adler. Bezüglich der Bedeutung erklärte mir der Konservator der
städtischen Sammlung in K., Herr Juwelier Haggenmiller, er habe immer geglaubt,
daß die Eule ein kaiserliches Ehrengeschenk gewesen sei. Dieser Annahme, die auf
einer Tradition beruhen dürfte, widerspricht die Herkunft des Stückes nicht. Die
Eule stammt aus dem Besitz der Hörmann v. Guttenberg. Als Urbesitzer kommt
Georg Hörmann in Betracht. Er war durch Reichtum und Bildung ausgezeichnet
und hatte als Attache des Kaufhauses der Fugger eine hervorragende Stellung.
Im Jahre 1530 war ihm das Adelsdiplom verliehen worden. Seine Güter lagen in
Tirol. Aus einer 1539 datierten Urkunde des Statthaltereiarchivs in Innsbruck
(II. Jahrbuch d. Kunsthistor. S. des allerh. Kaiserhauses, No. 2141) ersehen wir, daß
er damals zu der dortigen Regierung in Beziehung stand. — Über königlich-kaiser-
liche Ehrengeschenke des 16. Jahrh.^) in Gestalt von Trinkgeschirren sind uns in den
♦) Vgl. Mitteil. a. d. German. M. 1908, S. 22—33- Auf die hier angedeuteten Punkte
werde ich in ausführlicherem Zusammenhang zurückkommen.
1) Unter den von Kaiser Ferdinand Beschenkten erscheint (1564) auch ein Otto von
Neydegg, Jahrbuch VII 4971: »»maister Mathesen Jämniczer Goldschmied zu giessung eindliff
phening kaiser Ferdinanden conterfehung, so dem Herrn von Gera, Otto von Neydegg etc. di
kais. maj. hochloblichister gedächtnus jedem zu geben verwilligt hat.** Auf einer Burg Neidek
fand sich wie erwähnt 1583 auch eine große Eule, aus Thon gebrannt.
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ANMERKUNGEN ZUR HISCHVOGELFRAQB. VON WALTER STENGEL.
79
Rechnungsbüchern des Hofzahlamts viele Belege erhalten. Es sei hier nur daran
erinnert, daß Ferdinand I. den (Nürnberger) Maler Albrecht Glockenthon^) 1553
„beschäftigte, um zwei Trinkgläser mit vier Wappen herstellen zu lassen, die dann
eine Silberfassung erhielten und zu einem Geschenke an zwei große Augsburger
Kaufherren bestimmt waren". (Vgl. Lx)bme)rr, Die Glasindustrie, 1874, S. 110).
Nach der Hofzahlamts- Rechnung 1553 Fol. 189' (= VH. Jahrbuch d. K.-S. d. allerh.
K. No. 4875) waren es „irer Römisch Khgl. maj. wappen".
HI. Die Fayence- Eule Sr. Exzellenz des Grafen Wilczek hatte, wie aus dem
Katalog der Spezialausstellung von Krügen und krugartigen Gefäßen im öster-
reichischen Museum in Wien (1881), S. 72, hervorgeht, auf dem heute leeren Schild
ebenfalls den kaiserlichen Adler. Das Türkenmedaillon oben könnte darauf deuten,
daß dieses Gefäß zu einem Gnadengeschenk für ritterliches Verhalten im Felde gegen
die Türken bestimmt war. Vgl. Hofzahlamts- Rechnung 1556, Fol. 367* (=Vn. Jahr-
buch No. 4941): 1557 Jänner 15, Wien. In die Kammer König Maximilians H.
wurden vierzehn silberne vergoldete Trinkgeschirre von „Khnorter und Sübenbürgi-
scher arbait" eingeliefert, welche insgesamt als Gnadengeschenke für ritterliches
Verhalten im Felde gegen die Türken bestimmt waren. Mehrere darunter werden
in nachstehender Weise beschrieben: ein großer Kopf mit einem Deckel, geziert
durch einen Kranz, darauf das Bild eines Ritters; ein Kopf mit einem Deckel, da-
rauf ein Kaiserbildnis, u. s. w.
IV. Hofzahlamts- Rechnung 1568 Fol. 92* (= VH. Jahrb. No. 5112): 1568
Jänner 4. Für einen von Erhart Hipflkhofer, Bürger und (3oldschmied zu Wien,
gefertigten „silberen Käuzen" (Nachteule) von 2 Mark 6 Loth y/2 Quintel Wiener
Gewicht, welcher als Bestgabe zu dem beabsichtigten kaiserlichen Freischießen be-
stimmt war, erscheinen 48 Gulden 35 Kreuzer 2 Pfennige in Ausgabe.
V. Die vorübergehend in Zürich gewesene und als nicht schweizerisches
Erzeugnis von dort wieder abgestoßene, seitdem verschollene Fayence- Eule (Masner
a. a. O.) zeigte ebenso wie das Breslauer Exemplar den Reichsadler nebst den
Schilden der sieben Kurfürsten. — Die Stuttgarter Eule v. J. 1561, mit württem-
bergischem Landeswappen auf der Brust, hat an den geöffneten Flügeln Wappen-
schilde wie das bei den Reichsadlergläsern der Fall ist.
VI. Der älteste bekannte Reichsadlerhumpen (Lobmeyr a. a. 0. S. 106) trägt
die Jahreszahl 1547. Er befindet sich in dem k. k. Schlosse Laxenburg und ist gewiß
alter kaiserlicher Besitz. Es ist m. W. noch nicht der Versuch gemacht worden,
dieses Glas (d. h. die Malerei) für eine Arbeit Hirschvogels in Anspruch zu nehmen.
Und doch kommt H. hier sehr stark in Betracht. Gerade 1547 hat er mit Kaiser
Karl V. persönlich konferiert. „H. mußte 1547 seinen Plan (der Stadt Wien) zuerst
nach Prag zu König Ferdinand"*), dann nach Augsburg zu Kaiser Karl V. bringen,
zur Einsicht vorlegen und erläutern". (Bergau in Allgem. Deutsche Biogr. XH,
474). Aus dem folgenden Jahre hat sich im Oberkammeramt der Stadt Wien eine
Rechnung erhalten, woraus unzweideutig hervorgeht, daß H. damals Hohlglas email-
2) Albrecht Glockenthon war Mündel von Veit Hirschvogel, dem Vater Augustins. Vgl.
Zahn's Jahrb. f. Kunstw. II, S. 76.
3) Vgl. die Urkunde bei Joseph Bergmann, Medaillen auf berühmte und ausgezeichnete
Männer des Österreich. Kaiserstaates, Wien 1844. I, S. 294.
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80
ANMERKUNGEN ZUR HIRSCH VOGELFRAGE.
lierte: „1548. Mer am 16. Sept. Dem Augustin Hirsch vogel von wegen ettlich ge-
mainer Stadtwappen die er gemacht, Nemlich in glöser geschmeltzt fünff, Inn die
zwei Khöph so dem jungen Erzhertzogen Carolo vereret; auch in den Koph so Hern
Salamanckha prautt auf Ir Hochzeitliche freid geschenckht worden — "*). Daß H.
endlich die den Reichsadlerhumpen eigentümliche Darstellung (vgl. über die Bild-
quellen: Jahresber. 1906 des Hamburg. Mus. f. Kunst u. Gewerbe S. 90) wenigstens
gekannt hat, verrät eine (wie ich aus stilistischen Gründen mit Bestimmtheit an-
nehmen zu müssen glaube) von H. radierte Karte: Rhetiae Alpestris In Qua Tirolis
Com. Descriptio (ein Exemplar im Kupferstichkabinet des G. M.: La 3780). Das
einem Kreis einbeschriebene eigentliche Kartenbild liegt hier auf der Brust des
Reichsadlers, dessen Flügelfedern mit einigen kleinen Wappenschilden bedeckt sind.
VII. Der in den Nürnberger Urkunden gebrauchte Ausdruck „(die venetianische
arbeit mit dem schmelzen und) glaswerk" scheint zunächst gleichbedeutend mit
Hohlglas zu sein: in einer Urkunde v. J. 1553 (= V. Jahrb. d. K.-S. d. a. K., No. 4215)
werden sogar Scheiben, Glasmalereien für eine Kirche in Linz, „geschmeltzt glas-
werch" genannt. „Glaswerk" ist aber auch in der Bedeutung = glasierte Töpfer-
ware nachweisbar. Ich finde es so in einer 1538 datierten Hafnerordnung von
Memmingen im Stadtarchiv in Memmingen (Schublade 457, I): „Vonn mayster
stucken. Item welcher haffner hinfüro alhie Mayst werden will der soll dise nach-
benannte Mayststück machen. Nämlich ein achtegketten Ofen mit dreyen sembssen
und ein sinwellin (runden) ofen mit ainem gefiertten kastenn und was er für modeil
dartzu braucht die soll er selbs all machen. Dessgleichen soll er auch in sonnderheyt
ainen hafen machen der zehen mass fassen mug unnd denn markt mit guttem ge-
schier alss mit glasswerck und mit allenn anndern dingen so ain Mayster
haben sol besetzenn. Unnd umb dise stück alle soll ain yeder Mayster annloben
das er dieselben selbs mit seinen hennden unnd kein annderer gemacht hab
Auch soll fürohin kainer kein hafen weyssen noch hauben die uff die Frickenhausser
artt gemacht werden sonnder denn hafen brennen wie die erdenn ir selbs ist unnd
sunst sol man auch kainerley gschirr hauben mann weiss den verglessen".
VIII. Warum Hirschvogel 1536 (Anfang August) Nürnberg verläßt und das
entlegene Laibach ^) als künftigen Wohnort (oder doch als Standquartier) wählt,
wird durch seine spätere kartographische Tätigkeit nicht zureichend erklärt. Eine
in der Sammlung von Auszügen aus dem k. und k: Reichs - Finanzarchiv im
V. Jahrbuch d. K.-S. d. allerh. Kaiserhauses (1887) versteckte Urkunde (No. 4473),
die sich wie ein Kommentar zu der vielerörterten Neudörfferstelle liest, scheint
das Rätsel zu lösen:
1534 October 20, Wien. König Ferdinand I. ertheilt dem Peter Reicher,
Bürger zu Laibach, auf dessen Bitte die Bewilligung, „das plei zu pulfer zu prennen
und daraus die schönnen säubern und wollgezierten gemalten scutelln, Khrueg und
ander dergleichn geshier, wie man dieselben zu Venedig zu machen phligt, in unsem
landen und gebieten, nämblichen zu Triest oder ander orten nahend bei dem meer
machen zu lassen, dieselben auch allenthalben in und aus unsern landen verfüern,
4) Bergmann, a. a. O.
5) Vgl. Th. Hampe, Nürnberger Ratsverlässe I, S. 309 Anm.
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VON WALTER STENGEL.
81
verkaufen und vertreiben" zu dürfen, „doch gegen bezallung der meut, zoll und
anders, so gewöndlich darvon zu thain geburt". In Anbetracht seiner gemachten
Ausgaben, „so ime in anfang auf die Verlegung solchs pulfermachen mit b e-
stellung der maister und in ander weg auflaufen wierdet", ertheilt er
ihm die besondere Gnade, „das innerhalb zehen jaren in zwainzig meilen wegs weit
und preit, der enden er solch arbait machen lässt, sonst niemands allain ime an-
gezaigt pulfer zu prennen oder dergleichen gattung machen ze lassen" zugelassen
werden solle.
Also ist Hirschvogel als „Meister'* d. h. als Majolikamaler von Peter Reicher
nach L. engagiert worden.^ — Man könnte einwenden, daß der Laibacher Betrieb
sich vielleicht gar nicht mit der Fabrikation von Majoliken beschäftigte**), sondern
emaillierte Kupferwaren in der Art der sogenannten venetianischen herstellte. Das
einzige Datum, das wir in dieser Gattung kennen, auf einem Stück aus der Samm-
lung Gustav V. Rothschild (vgl. Labarte, Histoire des arts industriels 1875 11 1,
p. 231) ist aber sehr viel früher: 1502. Solches Emailgeschirr dürfte 1534 kaum
mehr ein modemer Artikel gewesen sein. Es ist doch wohl bei den säubern scutelln
an breitrandige Wappenteller u. s. w. aus der von uns nach Pazaureks Vorgang
schon indirekt zu Hirschvogel in Beziehung gesetzten österreichischen Gruppe zu
denken. Das in der erwähnten späteren Marke ( Jännicke M. V. 247) enthaltene R
würde der Annahme nicht entgegenstehen. Sonderbar bleibt allerdings, daß von den
Bestandteilen des Glasurpulvers das Blei und nicht der Zinnzusatz genannt ist.
Aber diese Verallgemeinerung kann auf einem Irrtum der in technischen Fragen
schwerlich bewanderten Kanzlei beruhen, wenn nicht gar der Fabrikant selbst in
seiner Zuschrift, um sein Geheimnis zu verschleiern, sich so ausgedrückt hatte. —
Peter Reicher mochte Hirschvogel zunächst auf die Dauer seines Privilegs verpflichtet
haben. Jedenfalls fällt mit dieser die Zeit von H.'s Aufenthalt in L. ungefähr
zusammen.
IX. 1543 ist H. wieder in Nürnberg und veröffentlicht seine Zirkel künde.
Das, wie es im Vorwort heißt, zum Dienste der freien Kunst wie des Kunstgewerbes
(„vielen Künstlern, fürnemblich den Mahlem, Bildhauern, Cioidtschmieden, Seyden-
stickern, Steinmezen, Schreinern und auch allen andern") bestimmte Werkchen'),
dessen Illustrationen zum großen Teile Kreiskonstruktionen darstellen,
ist „Nürnberg den ersten April Anno 1543" datiert. Das Titelblatt zeigt einen
Polyeder, der von dem Spruch „Spero Fortune Regressum" (Ich hoffe des Glückes
Wiederkehr) kreisförmig umschrieben ist. Auf dem Polyeder sitzt
eine Eule: Wie ein Resultat von Hirschvogels Besuch in Nürnberg 1543 er-
scheinen im folgenden Jahre — gleichsam eine keramische Nutzanwendung der
„Geometrie" — die von uns der Nickel'schen®) Werkstatt zugewiesenen Ri ngflaschen.
6) Daß es sich etwa gar um Glasfabrikation handeln könnte, ist ausgeschlossen. Man
vergleiche den Wortlaut der gleichzeitigen Urkunden (II. Jahrb. d. K. S. d. allerh. K.) be-
treffs Wolfgang Vitls Fabrikation von venetianischem Glas in Hall. Eine Glashütte bestand
damals auch in Laibach. Als Besitzer derselben erscheinen im August 1534 Veit Kissl und
Hans Weilheimer. (a. a. O. Nr. 1969).
7) Vgl. Bibliothek des German, Mus. Nr. 38, 796.
8) Der erwähnte Nürnberger Goldschmied Balthasar Nickel war (1546) Hoflieferant
Ferdinands I. Vgl. VII. Jahrbuch Nr. 4805, 4806.
Mitteilungen aas dem i^erman. Nationalmoseam. 1908 11
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ANMKRKUNQEN ZUR HIRSCH VOGELFRAGE. VON WALTER STENGEL.
X. Das Datum 1544 steht auch auf einem Albarelk) im städtischem Museun
in Ulm, auf den mich Max Sauerlandt aufmerksam machte mit Rücksicht auf die
Möglichkeit eines schwäbischen Ursprungs der ganzen Gruppe. Über die Provenienz
dieses kleinen Topfes, der mir nach Technik®) und Dekor durchaus mit den Eulen,
Ringflaschen u. s. w. zusammenzugehören scheint, konnte ich nur noch folgendes
ermitteln. Das Stück kam 1850 an den Verein für Kunst und Altertum in Ulm
und Oberschwaben als Geschenk eines Vereinsmitgliedes, des Münstermeßners Käst
(vgl. Verhandlungen des Vereins u. s. w., VII. Bericht, Ulm 1850, S. 15). Die Witwe
des Geschenkgebers, die noch, in Reutlingen, lebt, gab mir die Auskunft: „Mein
sei. Mann hat mir über die Existenz dieses Glases (gemeint ist der Albarello) ge-
sprochen. Es wurde sehr wahrscheinlich auf dem alten Markte (in Ulm) er-
worben. Von den Verkäuflem, bei denen man es vielleicht hätte erfahren können,
lebt aus selbiger Zeit niemand mehr".
XI. Es wäre trotz gewisser Bedenken dringend zu wünschen, daß einmal
eine Leihausstellung „Cisalpine Fayencen des 16.— 1417. Jahrh." zustande käme,
wenn auch nur für wenige Tage. Denn nur durch den unmittelbaren Vergleich
können die schwebenden Fragen ernstlich beantwortet werden.
9) Der Hamburger Teller (m. weibl. Brustbild wie der Albarello) ist, wie ich jetzt sehe,
der in Nürnberg „gefundenen" Schüssel von 1593 (vgl. Essenwein a. a. O., wo zwischen „ge-
funden" und „von [hiesigen] Händlern erworben" unterschieden wird) technisch (Rückseite)
sehr ähnlich
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
W. M. Schmid, Altertümer des bürgerlichen und Strafrechts, ins-
besondere Folter- und Straf wer kzeug e des Bayerischen National-
museums. 1908. (Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums. VII. Band.)
Dem Bestreben, die Schätze des Bayerischen Nationalmuseums der Wissenschaft und der
Allgemeinheit nutzbar zu machen, verdanken wir diesen Katalog. Schmids Arbeit löst den alten
Führer von K. A. Bierdimpfl (1882) ab, ist aber in jeder Beziehung eine neue und selbständige
Durchforschung des Gebietes, die auch äußerlich in einem viel stattlicheren, reich mit Bildern
geschmückten Gewände erscheint.
Der Verfasser beginnt mit einer kurzen, vielleicht etwas gar zu knappen Skizze des germa-
nischen Rechtswesens. Größere Ausführlichkeit hätte ihm hier die Scheidung gemeingermanischer
und frühmittelalterlicher Institutionen erleichtert, ja geradezu an die Hand gegeben, z. B. hin-
sichtlich des Gottesurteils, dessen Wesen in der germanischen Zeit ein anderes war als in der fränki-
schen und nachfränkischen, oder in der Frage der Verstümmelung, die die Urzeit nicht kennt und
die erst unter dem mildernden Einfluß der Kirche als gelegentliche Ablösung des Todesurteils
aufkommt. — Weiterhin verfolgt Schmid die Aufzeichnung der einzelnen Stammesrechte im
13. Jahrh. bis zur Bamberger Halsgerichtsordnung von 1507 und der auf ihr fußenden Constitutio
Criminalis Carolina von 1 533, und mit Recht betont er, daß bereits in den ältesten Sammlungen
sich Spuren des römischen Rechts finden, das auf dem Wege des kanonischen Prozesses sich lang-
sam Boden eroberte. Die Aufzeichnung der Stammesrechte bedeutete nochmals ein energisches
Zusammenraffen der germanischen Rechtsbegriffe, aber im Grunde bezeugen systematische Samm-
lungen doch immer, daß etwas verloren geht. So war es im 9. Jahrhundert, als Karl der Große die
absterbenden Heldenlieder aufschreiben ließ, so im 14., als die großen Sammelhandschriften des
Minnesangs entstanden, und so war es auch im 13., als Eike von Repgow den Sachsenspiegel schrieb.
Die eigentliche Zeit des sieghaften Eindringens des römischen Rechtes ist aber erst das 15. Jahr-
hundert: der Boden ist ihm bereitet durch das kanonische Recht; dem Volk ist es willkommen,
da es die Standesunterschiede aufhebt und durch einen geschulten Richterstand eine gleichmäßige
Ausübung gewährleistet; dem Richter selber geht es mehr an die Hand, da es detailliert fertig ist
und nicht erst „gefunden" zu werden braucht; und zu dem allem gesellte sich bald die Autorität,
mit der die wiederaufsteigende Antike die Gemüter umfing.
Mit dem römischen Recht aber drang ein unheimlicher Gast in das deutsche Gericht ein,
und das führt Schmid auf sein eigentliches Thema: die Folter. In sehr beschränktem Maß scheint
sie bereits den Germanen geläufig gewesen zu sein, als Prügelstrafe, gegenüber dem Unfreien.
Ihre furchtbare Entwicklung beginnt aber erst mit dem 14. und 15- Jahrhundert und sie erreicht
ihren Höhepunkt in dem in jeder Beziehung maßlosen 17. Jahrhundert. Die beiden aus dem
Kriegstumult geborenen Romane, der Simplicius Simplicissimus und der Phüander von Sittewalt,
bewahren das grausame Abbüd jener Zeit. Milderung brachte hier erst das kluge 18. Jahr-
hundert, allen voran Preußen, dessen König 1740 die Folter abschaffte; Bayern folgte erst 18O6.
Schmid berichtet in kurzer, aber sehr instruktiver Weise über die verschiedenen Arten
der Tortur, und geht dann auf die „Lebensstrafen" über, die bei schweren Verbrechen stets mit
Foltern verbunden wurden. Leichtere Vergehen wurden mit „Leibesstrafen" geahndet und in
ihnen suchte die mittelalterliche Rechtspflege, von einem starken Wirklichkeitssinn geleitet, überall
das Glied zu treffen, mit dem gesündigt war: der Gotteslästerer verlor die Zunge, der Dieb die
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84 LITERAKISGHE BESPRECHUNGEN.
Hand, der Meineidige die Schwurfinger. Dieser Zug nach dem Symbolischen hat in das Kapitel
der „Ehrenstrafen" denn auch einiges gebracht, was uns die mittelalterliche Rechtspflege in hellcrem,
oft genug humoristischen Lichte erscheinen läßt; so die Schandlarven, die dem Delinquenten,
während er am Pranger stand oder durch die Straßen geführt wurde, vors Gesicht gebunden wurden.
In ihrer fabelhaft grotesken Bemalung und Ausstattung mit Teufelshömem, Hängezungen und
Schweinsrüsseln waren sie „gewissermaßen eine Projektion der Gesinnung des Verbrechers, ein
Bild seines Vergehens, das manchmal eigens beigeschrieben wurde." — Mit einem kurzen Blick
auf den ehrlosen, aber einträglichen Stand des Henkers, dem erst das Zeitalter der französischen
Revolution seine Bürgerrechte zurückgab, und auf die Hexenprozesse, die in Bayern eine ver-
hältnismäßig geringe Rolle gespielt haben, schließt der Verfasser seine inhaltreiche Einleitung.
Der Hauptteil des Katalogs dient der Beschreibung der Objekte selber. Folterinstrumente,
Straf Werkzeuge, Gesetzbücher u. s. w. in Druck und Handschrift, Tatbestandszeichen, Rechts-
symbole, klösterliche Bußgeräte und Keuschheitsgürtel werden kurz beschrieben und, was bei den
Münchner Katalogen jetzt in so dankenswerter Weise in den Vordergrund tritt, durch zahlreiche
Abbildungen vor Augen geführt. Den Beschluß des instruktiven Büchleins bildet ein Verzeichnis
der Waffenschmiedsmarken, die auf den Richtschwertem der Sammlung vorkommen.
H. Stierling.
Dr. Max Kemmerich, Die frühmlttelalterHche Portratmalerei in Deutschland bU zur Mitte
des XIII. Jahrhunderts. Mit 38 Abbildungen. München 1907. Verlag von Georg D. W.
C a 1 1 w e y.
Ein wenig bearbeitetes Gebiet der Kunstgeschichte wird hier mit Energie und gutem Er-
folg in Angriff genommen. Der Verfasser konstruiert sich zunächst die Methode der Untersuchung
und wendet sie konsequent an. Er geht dabei vom Wesen des Porträts aus. „Das Wesen des
Porträts ist die Ähnlichkeit, die Übereinstimmung zwischen Original und Abbild in Merkmalen."
Leider ist dieser Satz, so allgemein aufgestellt, nicht richtig. Ähnlichkeit ist eine Grundforderung,
welche an jedes gute Porträt gestellt werden muß, aber sie erschöpft nicht dessen Wesen. Gerade
die höchsten Leistungen der Porträtkunst gehen über die objektiv richtige Wiedergabe der Formen
hinaus, sie suchen die Individualität durch Konzentration und Modifikation der Formen be-
stimmter und lebendiger darzustellen als dies in noch so genauer Wiedergabe der äußeren Formen
möglich wäre. Paradox ausgedrückt kann man sagen, ein Porträt kann einem Menschen ähnlicher
sein, als sein eigenes Gesicht. Andererseits können stüistische Bedingungen oder stilistische Moden
den Ähnlichkeitsgehalt des Porträts nach der negativen Seite beeinflussen, so daß das Individuelle
gegenüber dem Typischen oder Konventionellen zurücktritt. In beiden Fällen können Werke
entstehen, welche nicht nur als Kunstwerke, sondern als Porträts sehr hoch, ja höher stehen, als
solche, welche die äußeren Formen ganz exakt wiedergeben. Tizian und Rigaud sind größere
Porträtisten als Denner. Auch die weitere Definition von Ähnlichkeit als Übereinstimmung von
Original und Abbild in Merkmalen ist unzureichend. Kemmerich wird auf sie durch die Beob-
achtung geführt, daß in den Anfängen des Porträts erst ein oder wenige Merkmale gegeben werden.
Aber ein Porträt kann alle einzelnen Gesichtsteile richtig wiedergeben und doch der Forderung der
Ähnlichkeit nur wenig entsprechen, wenn die Teile nicht in richtigem Verhältnis und in richtiger
gegenseitiger Lage stehen. Das Porträt ist nicht eine Summe von Merkmalen, sondern, wenn das
mathematische Bild beibehalten werden soll, ein Integral. Eine Untersuchung, welche das Wesen
des Porträts in die Ähnlichkeit verlegt und Merkmale addiert, läuft Gefahr, im Ikonographischen
stecken zu bleiben.
Kemmerich ist dieser Gefahr nicht ganz entgangen. Seine Methode leistet Gutes für die
Untersuchung der Anfänge der Bildniskunst, sie wird auf deren Höhe versagen. Denn wenn
er meint, in den Zeiten der Reife komme es im Gegensatz zu den Frühzeiten darauf an, die kon-
ventionellen, nicht individuell beobachteten oder nach einem Schönheitsideal verbesserten Mo-
mente hervorzuheben, so wird sich zeigen, daß damit nicht sehr weit zu kommen ist. Kemmerichs
Bestreben geht dahin, das Porträt aus der Sphäre der ästhetischen Schönrednerei zu befreien und
annähernd exakter Messung zu unterziehen. Ich fürchte, die künstlerische Seite der Aufgabe
kommt dabei zu kurz.
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LITERARISCHE BBSPRECHUNOBN. 85
Dies zur Begründung meiner abweichenden Grundauffassung. Lassen wir sie in der Folge
bei Seite und sehen was der Autor mit seiner Untersuchung erreicht.
Wichtig ist zunächst der Nachweis, daß die Anfänge individueller Menschendarstellung bis
in die primitivsten Kunststufen zurückgehen. Diese primitiven Zeichner begnügen sich aller-
dings mit der formal mangelhaften Andeutung eines oder weniger äußerlicher Merkmale, während
die Gesamterscheinung dem Urbild in keiner Weise entspricht, und man mag mit Recht Bedenken
tragen, solche Darstellungen als Porträts zu betrachten, aber den Keim, aus welchem das Porträt
erwächst, enthalten sie gewiß.
Für die Anfänge der Bildniskunst bei den germanischen Völkern wäre mehr als geschehen
ist zu beachten gewesen, daß sie nicht autochton, sondern in hohem Grade von der byzantinischen
Kunst abhängig ist, und daß gerade die Herrscherbilder diese Abhängigkeit in formaler und tech-
nischer Hinsicht am deutlichsten zur Schau tragen. Die eingehendere Berücksichtigung dieses
Verhältnisses hätte die Erklärung für die auffallende Tatsache ergeben, daß die Porträtfähigkeit
von den Zeiten der Karolinger zu denen der Salier nicht zu-, sondern abnimmt.
In sehr gründlichen Einzeluntersuchungen führt Kemmerich den Nachweis, daß die Fähig-
keit, eine Person charakteristisch darzustellen, schon in der karolingischen Zeit vorhanden war.
Die Charakteristik ist nicht eindringend, genügt aber, um die Person objektiv kenntlich zu machen,
nicht allein durch die Wiedergabe einzelner Merkmale, sondern auch durch deren annähernd rich-
tige Kombination. Unter den Ottonen und noch unter Heinrich II. bleibt die Bildniskunst ziemlich
auf gleicher Höhe. Es ist die Zeit engen Zusammenhangs der abendländischen Kunst mit der byzan-
tinischen. Diese Abhängigkeit gewährt eine gewisse Höhe des technischen Könnens, zu dem schul-
mäßig erlernten treten eigene Beobachtungen. Mit dem Nachlassen der byzantinischen Tradition
um die Mitte des ll. Jahrhunderts tritt ein Rückgang auch der Porträtfähigkeit ein, der wohl
weniger eine Folge oberflächlicherer Beobachtung als geringeren technischen Könnens ist. Im
12. Jahrhundert folgt ein erneuter Aufschwung der Malerei. Die Tradition ist nicht abgerissen,
aber sie tritt gegenüber dem eigenen Können zurück, eine selbständige deutsche Kunst ist er-
wacht. In der Buchmalerei setzt ein neuer zeichnerischer Stil ein. Die dieser Stilepoche ange-
hörigen Porträts zeigen schon eine achtenswerte Kraft der Individualisierung, aber eine volle
Porträtmäßigkeit wird noch nicht erreicht.
Mit dem Beginne des 13. Jahrhunderts schließen Kemmerichs Untersuchungen. Ihr wich-
tigstes Ergebnis ist, daß das Bestreben und die Fähigkeit, das Bild eines Menschen individuell
zu gestalten, wenn auch in beschränktem Maße, schon in den frühesten Zeiten der deutschen Kunst
vorhanden ist. Eine Fülle von Beobachtungen über die Ansprüche, welche zu verschiedenen
Zeiten an ein Porträt gestellt werden, über die Reihenfolge, in welcher die Merkmale beobachtet
und wiedergegeben werden u. a. ist da und dort eingestreut. Es ist eine sichere Grundlage ge-
schaffen, auf der weiter gebaut werden kann. Möge die verdienstvolle Arbeit bald eine Fort-
setzung finden. B e z 0 1 d.
Geschichte der Familie Vogtherr Im Lichte des Kulturlebens. Herausgegeben von Dr.
Friedrich Vogtherr, Kgl. Bezirksamtsassessor. Zweite vermehrte und illustrierte Auflage. Ans-
bach, Kommissionsverlag von Fr. Seybold's Buchhandlung. 1908. 1 75 S. 8.
Schon als Student war Dr. Vogtherr, angeregt durch eine bekannte Äußerung W. H. Riehls,
der Geschichte seiner Familie nachgegangen und ein Büchlein, das er 1892 als „Chronik der Familie
Vogtherr" im Selbstverlag erscheinen ließ, hatte bereits eine erstaunliche Menge gesicherten Ma-
terials unter Dach bringen können. Diese Chronik wurde zur Grundlage für weitere Forschungen,
die im Laufe der Jahre aus dem bescheidenen Buche von damals ein fast völlig neues werden ließen.
Verfasser wie Verleger haben ein Übriges getan, so daß bereits beim Durchblättern dieser 2. Auflage
das Interesse und ein gewisses Behagen auch bei dem erwacht, dem die „Genealogia Vogtherorum'*
das nicht bedeuten kann, was sie ihrem pietätvollen Erneuerer geworden ist. Dieser wird es
keinem verübeln, wenn er die mannigfachen Verzweigungen und Verästelungen des Stammes nicht
mit solcher gespannter Aufmerksamkeit zu verfolgen vermag wie der getreue Chronist des eigenen
Geschlechts es tut. Erwarten aber darf er, daß wir gerade an dieser Familiengeschichte nicht
zu rasch vorübergehen. Finden sich doch unter den Ahnen dieses Geschlechts, inmitten der
natürlicherweise vorhandenen Menge von Gestalten mehr alltäglichen Gepräges eine auffallend
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UTBRARISCHB BESPRBCHUNGBN.
große Zahl überragender Persönlichkeiten, deren Schaffen und Wirken auch unserer Zeit unver-
loren ist. Der Fleiß des Familienforschers hat nicht geruht, bis die nachgedunkelten Bilder wieder
durchaus in alter Frische vor Augen standen. Ein paar wirkliche Charakterköpfe sind darunter:
Da ist der Stammvater der Vogtherm, der geb. Häller und spätere kampfgemute „Reformator
von Feuchtwangen** Georg V. (1487—1539). dann der 1536 verstorbene Hofaugenarzt des
Augsburger Bischofs Christoph v. Stadion. Bartholomäus V., vor allem aber der bekannte StraO-
burger Maler, Formenschneider, Buchdrucker. Augenarzt und Dichter Heinrich Vogtherr
der Altere (1490—1556, des gen. Georgs jüngerer Bruder). Ihm ist die ausführliche Biographie
auf S. 60 — 82 gewidmet. Beigegebene Kunstbeilagen (S. 62/63 ff) geben Proben von dem künst-
lerischen Schaffen dieses Meisters. In des Vaters Fußstapfen folgte sein gleichnamiger Sohn (1513
bis 1568). Auch ein Enkel, Hans Jakob und ein Urenkel Johannes sind Maler (in Ingolstadt) ge-
worden. Ein anderer bemerkenswerter Künstler aus der Vogtherrschen Familie ist der Augs-
burger Goldschmied und Kupferstecher Clemens Vogtherr (1608— 1687), über den S. 57 ff- das
über ihn bekannt Gewordene zusammengestellt wird.
Das Buch, das — ein Hauptvorzug — bestrebt ist, die Beziehungen des Einzelnen zu der
Gedankenwelt und den Geschehnissen seiner Zeit nirgends außer Acht zu lassen, weiß noch von
vielen interessanten Trägem des Namens zu berichten. Wir müssen aber auf ein weiteres Heraus-
heben verzichten und im übrigen auf das Werkchen selbst verweisen.
Auf schwankendem Boden bewegte sich der Verfasser mit seinen Aufstellungen über die
adelige Abkunft der bürgerlichen Familie Vogtherr als vorgeblicher Nachkommen der Herren-
V. Vogtsberg (Schloß Vogtsberg bei Plauen i. V.). Dr. Vogtherr scheint tatsächlich überzeugt von
der Echtheit einer Jahrhunderte lang weitergegebenen Überlieferung, die er, was menschlich wohl
begreiflich, nicht gerne über Bord werfen wollte. Allein der Versuch, den Vogtherrschen Stamm-
baum an jenes plötzlich vom Schauplatz der urkundlichen Geschichte abtretende Geschlecht zu
knüpfen, gewinnt kaum an Wahrscheinlichkeit durch den Nachweis, daß schon im 17. Jahrhundert
(das in solchen Dingen ebenso erfinderisch wie leichtgläubig war) Glieder der Familie mit diesen
Vorstellungen sich getragen haben. Ernsthafte Betrachtung muß sich vielmehr sagen, daß nicht
ein Fädlein wirklichen genealogischen Zusammenhangs das Diesseits geschichtlich begründeter
Aufstellungen und ein Jenseits familiengeschichtlicher Spekulationen verbindet.
Im übrigen verdient das fleißige Buch, das viel mehr bietet, als der Titel einer Familien-
chronik erwarten läßt, alles Lob. H. H.
WalKahrts-, Bruderschafts- und Weihe- Medaillen der gefttrsteten Grafschaft Tirol und Vor-
arlberg. Von A. MPachinger. Wien, 1908. Verlag Dr. Rud. Ludwig. XII und 69 Seiten,
gr. 8. Mit 4 Lichtdrucktafeln und 4 Abbildungen im Texte.
Wallfahrts-, Bruderschafts- und Gnaden- Medaillen des Herxogtums Saixburgs. Von A. M.
Pachinger. Wien, 1908. Vertag Dr. Rud. Ludwig. XIII und 61 Seiten, gr. 8. Mit 6 Licht-
drucktafeln.
Die beiden Arbeiten des bekannten Linzer Sammlers A. M. Pachinger wenden sich einem
Spezialgebiet zu, das bisher von den Medaillensammlem und -kennem wenig gepflegt wurde, und
sie zeigen, daß in der Tat die Weihmedaille, dies „jüngste Stiefkind der Numismatik", eine liebe-
vollere und eingehendere Behandlung verdient, als ihr bisher zuteil geworden ist
Kaum 50 Jahre sind vergangen, seit J. P. Beierlein mit seinen „Münzen der bayerischen
Klöster, Kirchen, Wallfahrtsorte" die wissenschaftliche Beschäftigung mit den religiösen Medaillen
als einen eigenen Zweig der Numismatik ins Leben rief und damit gleichzeitig eine reiche und nach-
haltige Anregung für die Sammlertätigkeit gab. In der Folge entwickelte sich eine, wenn auch
nicht umfassende, so doch immerhin wertvolle Spezialliteratur, aus der vornehmlich des Augs-
burgers J. M. Friesen egger treffliches Werk über die Ulrichskreuze hervorgehoben sei. A. M.
Pachinger, derzeit wohl der beste Kenner dieser Medaillengattung, ist, wohl indirekt, ein Schüler
Beierleins; er hat seine ihm aus einer bewunderungswürdigen Sammlertätigkeit erwachsenen
Kenntnisse durch eine interessante, später durch einen Nachtrag vervollständigte Abhandlung
über die Arbeiten von Peter und Paul Seel der Allgemeinheit zugänglich gemacht,^der rasch ein
umfassender Nachtrag zu den Werken Beierleins und seines Nachfolgers Friedrich Och über die
kirchlichen Medaillen Bayerns folgte. Aus seiner eigentlichen Domäne, der Weihmedaille der
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UTEKARISCflE BEiSPRECflUNGEN.
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Österreichischen Kronländer, gab er zuerst ein Bändchen ,»Wallfahrts- und Weihe-Münzen des
Erzherzogtums Österreich ob der Ems**, das 1904 erschien.
Wie aus den älteren Arbeiten Pachingers, so strömt auch aus den beiden vorliegenden Ab-
handlungen eine reiche Fülle neuen Materials; sie bieten trotz ihrer topographischen Begrenzung
einen überaus klaren und interessanten Überblick über eine Kulturerscheinung, deren Eigenart
Pachinger in den die Kataloge einleitenden und schließenden Worten trefflich gekennzeichnet
hat; es ist das kulturelle Moment, nicht das künstleris he -denn künstlerisch sind dies Erzeug-
nisse von wenigen Ausnahmen abgesehen, meist unbedeutend und unbefriedigend — , das den
Wert der Weihmungen ausmacht. Ebenso verdienen Pachingers äußerst prägnant und genaue
katalogisierende Beschr ibungen der einzelnen Stücke, nicht minder aber auch seine historisch-
topographischten Angaben alle Anerkennung. Auch die guten Reproduktionen in Originalgröße,
die den Wert der Bücher für vergleichende Studien erhöhen, seien rühmend erwähnt. Hoffent-
lich verwirklicht sich bald Pachingers Absicht, eine vollständige Zusammenstellung aller der-
artiger Medaillen von Österreich- Ungarn zu bringen. Dr. W. Josephi.
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NEUENTDECKTE ARBEITEN VON VEIT STOSS.
Von Dr. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ.
(Mit 2 Tafeln.)
1. Das Verkündigungsrelief in Langenzenn.
In der entwicklungsmäßigen Darstellung der künstlerischen Tätigkeit des Nürn-
berger Bildschnitzers Veit Stoß, wie sie Berthold Daun in seinen beiden Ar-
beiten über den Meister^) unternommen, klafft eine bislang noch nicht geschlossene
Lücke, welche den Zeitraum zwischen den Jahren 1507—08 und 1517—18, mithin
ein volles Dezennium umfaßt. Es war Daun nicht gelungen, für diese doch immerhin
beträchtliche Spanne Zeit geschichtlich beglaubigte, bezeichnete oder datierte Werke
des Künstlers nachzuweisen. Und doch spielen zehn Jahre in dem psychologischen
Fortschreiten eines bedeutenden Meisters eine Rolle, in Sonderheit aber bei Veit
Stoß, der namentlich in seiner späteren Schaffensperiode deutlich fühlbare starke
Wandlungen durchmachte. Sie beginnen beim Schwabacher Hochaltar und finden
ihren konkretesten Ausdruck in dem ehemaligen Hochaltar der oberen Pfarrkirche
zu Bamberg, der gleichzeitig ihren Abschluß bezeichnet. Diese Lücke mit einer
bezeichneten und datierten Arbeit ausfüllen, ist darum nicht gleichbedeutend mit
einer bloßen Erweiterung des bislang bekannten Denkmälerbestandes, sondern schließt
zugleich einen willkommenen Beitrag zur Klärung des Wesens der späteren
Kunst des Veit Stoß in sich. Wenn mir heute eine Vermehrung seines Werkes in
diesem Sinne möglich ist, so verdanke ich dies einer Entdeckung, die ich unlängst
bei einem Besuche der Stadtpfarrkirche zu Langenzenn in Mittelfranken machte.
Ich fand dort in der südöstlichen Ecke des nördlichen Seitenschiffes, eingefügt in
das größere Mittelstück eines der Wand vorgebauten, in der 2. Hälfte des 19. Jahr-
hunderts von J. Schiemer aus Nürnberg renovierten Sakramentshäuschens, ein in
Sandstein gearbeitetes Verkündigungsrelief, das mich auf den ersten Blick als der
Art des Veit Stoß auf das engste verwandt anmutete. Eine nähere Prüfung förderte
die Jahrzahl 1513 und schließlich auch das Zeichen des Meisters zutage.
Der heutige Standort des Reliefs ist nicht der ursprüngliche. Früher soll es
an einem der Rundpfeiler der Kirche seinen Platz gehabt haben. Seine Form fände
dadurch eine ungezwungene Erklärung, sitzt es doch nicht mit gerader Stirnfläche in
1) Berthold Daun, Beiträge zur Stoß- Forschung. Veit Stoß und seine Schule in Deutsch-
land, Polen und Ungarn, Leipzig, Verlag von Karl W. Hiersemann, 1903; Künstler-Mono-
graphien von H. Knackfuß, Bd. LXXXI: Veit Stoß von Berthold Daun, 1906. Ich bezeichne
der Kürze halber das erstgenannte Werk: Daun, Beiträge, das letztgenannte: Daun, Künstler-
Monographie.
MittAiluDgen aus dem german. Nationalrnnseum. 1908. 12
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NEÜENTDECKTE ARBEITEN VON VEIT STOSS.
der Mauer, sondern tritt es vielmehr als Abschnitt eines Kreissegments um 8,5 cm aus
der Wandflucht heraus, in Dreiviertelplastik aus einem 0,81 m hohen und 0,61 m
breiten Block grauen Sandsteins gearbeitet. Schon ein flüchtiger Blick lehrt, daß
es zu seiner Umrahmung nicht in organischer Beziehung steht. Diese hat die Form
eines spätgotischen Architekturaufbaues, der von Strebepfeilern begleitet und von
einem hohen Wimperg mit freiragenden Fialen beiderseits bekrönt wird. Der Scheitel
der Nische enthält unmittelbar oberhalb unseres Reliefs in plastischer Arbeit über
einem Kreuznimbus das Haupt Christi.
Die Reliefplatte wird durch ein in seinem oberen Teil freistehendes Säulchen
in zwei Hälften geteilt, die beide im flachen Rundbogen geschlossen sind. Die linke
ist durch das herabhängende Gewölbe als Innenraum charakterisiert, während die
rechte den Abschnitt unmittelbar vor dem Hause in sich begreift. Durch die zwie-
fache Anwendung des Rundbogens, der ja im rechten Teil ebenso gut hätte fehlen
können, dessen der Meister aber aus rein künstlerischen Gesichtspunkten bedurfte,
wurde eine äußerst harmonische Abrundung des Ganzen erzielt. Die Hälften sind
nicht gleich. Die linke übertrifft die rechte an Breite.
In der linken Hälfte nun, in dem als Zimmer gedachten Raum, kniet dicht
neben der abschließenden Laibung die Jungfrau Maria (Taf. IX). Sie ist dem Be-
schauer fast en face zugewandt. Ein um den Oberkörper enganschließendes, um die
Hüften energisch gegürtetes Gewand umhüllt den Körper. Über ihm lagert der
weite Mantel, der auf den Schultern glatt aufruht, um sich nach unten zu kühn ge-
drehten, jedoch großzügig angelegten Windungen zu entwickeln. Nach rechts hin
flutet er in der für Veit Stoß so bezeichnenden Art zunächst als stark plastisch heraus-
stehendes Gewandstück ohne weitere Gliederung herab, dann aber schwingt er sich
in lebhafter gebauschter S-Linie über den Boden hinweg nach dem Sockel des Mittel-
säulchens herüber. Ober dem Schoß tritt das Untergewand mit röhrenartigen Pa-
rallelfalten kräftig hervor, gezwungen durch die Einschnürung um die Hüfte. Das
oval geformte, etwas pausbäckige Antlitz ist über einem ausnehmend hohen Hals
geradeaus gerichtet. Leider ist es nicht ganz intakt auf uns gekommen. Vielleicht
hat es bei der letzten Renovation, bei der das Relief von dem über ihm lastenden
Farbanstrich befreit wuide, gelitten. Doch ist noch deutlich erkennbar, daß die
Augen in verhaltener Ergebung geschlossen, daß die auf einander gepreßten Lippen
durch leichtes Heraustreten betont sind, und daß das Kinn in feiner plastischer Run-
dung hervorgearbeitet ist. Das Haar ist in der Mitte gescheitelt und wallt in kork-
zieherartig gewundenen Strähnen zu beiden Seiten über die Schultern herab. Über
der rechten teilt es sich in zwei Strähnen, von denen die eine über der Brust, die
andere über der äußeren Körperlinie bis weit über die Hüften herabläuft.
Die vorgestreckte Linke hält mit stark abgespreiztem, zierlich geformtem
Daumen ein aufgeschlagenes Buch, auf dessen linker Hälfte die zum Arm im rechten
Winkel gestellte rechte Hand aufruht. Rechts von Maria liegt auf dem Betpult
neben der Fensterbrüstung ein dickleibiges, geschlossenes Buch.
Wie bereits bemerkt, steht das Trennungssäulchen in seinem oberen Teil frei.
Es dient hier zugleich als Begrenzungspfosten für das Fenster, durch das von rechts
her der Engel mit der frohen Botschaft hereinschwebt. Ich gebrauche das Wort
„hereinschwebt" mit Absicht; denn tatsächlich ist es dem Künstler gelungen.
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ.
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den Eindruck des freien Schwebens im Luftraum hervorzurufen. Alles ist an dem
Figürchen in nicht rastender, jedoch] nicht unruhiger Bewegung. Der Engel
hat sich gerade vom Himmel herabgelassen, um nun bei dem Gruß eben ein wenig
still zu verharren. Noch flattern, von der nach oben strebenden Luft bewegt, die
Enden des langen Gewandes empor. Wenn man so sagen will, tritt der Verkündigungs-
engel als Brustbild durch das Fenster in den Innenraum hinein, während sich der
übrige größere Teil seines Körpers noch draußen befindet. Das Trennungssäulchen
schließt mit der linken Schulter und dem linken Ellenbogen gerade ab. In dem
leider lädierten Antlitz — die Nase ist fast ganz abgeschlagen — liegt die Gebärde
des Sprechens, verstärkt durch die beteuernd erhobene Rechte. Der Mund ist leicht
geöffnet. Die oberen Augendeckel sind tief über die kugelig markierten Pupillen
herabgezogen. Das volle Lockenhaar, das über der Stirn von einem Kranz zusammen-
gehalten wird, weht, beiderseits reichlich abstehend, über den Rücken nach hinten
herab. Die Linke hält den schriftbandumwundenen Stab. Der Körper des Engels
ist von einem weiten, um die Hüften gegürteten Gewand umschlossen, das aber noch
um ein gut Teil über denselben hinausreicht. Um die Oberschenkel schmiegt es
sich, diese deutlich durchschimmern lassend, knapp an, dann folgt es der Biegung
des Kniees im rechten Winkel nach oben, um hier, wie vom Sturmwind getrieben,
durch nichts behindert emporzuwirbeln. ,In grandiosem Schwung weht es nach
links herauf, um dann zu der für Veit Stoß so bezeichnenden S-Linie umzubiegen.
Ich wiederhole: trotz des Stillstandes im Fluge atmet alles an diesem kleinen Figürchen
Leben und Bewegung. Von mächtigen Schwingen getragen, naht es durch das Fenster
der in Ergebung staunenden Jungfrau, die sich noch nicht zu fassen weiß. Selten
ist es Veit Stoß gelungen, das Wunder der Verkündigung so intim darzustellen, als es
hier geschehen ist; selten hat er tiefe Bewegung und seelische Erregtheit trotz aller
Freiheit im einzelnen in solch edler Mäßigung zum Ausdruck zu bringen gewußt
wie hier. Es ist offenbar, daß diese Arbeit für das Verständnis seines inneren
Wesens und damit seiner Kunst von Bedeutung ist.
Ein stummer Zeuge wohnt dem Vorgang bei, in frommer Scheu dem Wunder
zuschauend. Es ist die Stifterin, die als kleines Figürchen rechts unten kniet. Ihr
Antlitz ist nach dem Fenster emporgerichtet. Ein Kranz hält über der Stirn das
Haar zusammen, das in reichem Gelock weit über den Rücken herabflutet. Die Unter-
arme fehlen heute, doch deutet die ganze Haltung darauf hin, daß sie ursprünglich
mit betend zusammengelegten Händen erhoben waren, wie dies übrigens bei Stifter-
darstellungen traditionell ist. Der Körper ist von einem weiten Gewand umschlossen,
das mit den Unterarmen beiderseits emporgerafft ist. Zu den Füßen der Stifterin
lehnen zwei Wappenschilde, von denen das eine einen schreitenden Löwen mit er-
hobener rechter Vordertatze, das andere eine fünfteilige Rose in leichtem Relief zeigt.
Wir haben es also mit einer Angehörigen des Geschlechtes derer von Wildenfels zu
tun, über deren Wappen sich bei Wiguleus Hund, Bayrisch Stammenbuch I (1585),
S. 371 folgender Vermerk findet: „Führen jetzt ein quartiert Wappen, Nemlich zu
der Rosen ihrem alten Wappen ein weissen Löwen mit rother Zungen vnnd Klowen,
in schwartzem Feldt. Oben auff dem Helm auch denselben, Löwen in einer Krön
auffstehend". Und er fährt dann (S. 372) fort: „In eim alten Wappen Buch find
ich vnder den Fränckischen Herren: Wildenfelsz führen ein schwartzen Löwen mit
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NEÜENTDECKTE ARBEITEN VON VEIT STOSa
blawer Zungen vnd Kloen in gelbem Feldt, oben ein Stam von eim Paum, daran
zu Oberst ein schwartze Rosen mit eim gelben Putzn, vnd vier grünen Plätlen. Ich
vermeyn sey alles eins". Das alte Wappen war also eine Rose; und so finden wir
es bei Sibmacher 11, 25, woselbst sie sich schwarz gefärbt von weißem Untergrund
abhebt. Später wurde das Wappen vermehrt, und in diesem Zustand gibt es Sib-
macher I, 31 wieder. Es hat zwei Helmziere, links den „Paum, daran zu oberst ein
schwartze Rosen", rechts den halben weißen Löwen, der aus einer Krone aufsteht.
Die Stifterin unseres Reliefs führte bereits das vermehrte Wappen, das hier aber
nicht in seiner sonst gebräuchlichen Form im ganzen gegeben ist sondern auf zwei
Einzelschilden in seine Bestandteile zerlegt wurde. Es scheinen rein künstlerische
Gründe gewesen zu sein, die Veit Stoß bestimmt haben, sich dieser sonst wohl wenig
üblichen Darstellung eines Doppelwappens zu bedienen.
Wenn je eine Arbeit für Veit Stoß charakteristisch ist, so ist es diese. In allem,
in sämtlichen Details trägt sie die Merkmale seiner Kunst. Das Persönliche seines
Stiles tritt so greifbar zutage, daß sie auch ohne sein Zeichen als ein Werk seiner
Hand erklärt werden müßte. Man möchte sich füglich darüber wundern können,
daß sie bislang als ein solches nicht erkannt worden ist. Aber in der Kirche eines
von Kunstforschem nur selten besuchten Ortes und noch dazu hier an versteckter
Stelle befindlich, konnte sie leicht übersehen werden. Um so sicherer aber steht sie
heute als eine eigenhändige Schöpfung des Meisters fest, trägt sie doch unten am
Sockel des Trennungssäulchens sein Zeichen (Abb. 1). Aber sie ist — und das
ist eben besonders wichtig — auch datiert.
Abb. 1 u. 2. Meisterzeichen des Veit Stoß aoi Langenzenner Verkfindigungsrelief
und am Altar der oberen Pfarrkirche in Bamberg. Facsimile.
Wir haben es nicht mit einer Schöpfung monumentaler Art zu tun. Die Maße
sind bescheiden, die Figuren klein und zierlich. Es ist ein Werk mehr intimen Cha-
rakters. Alles ist ins Kleine gearbeitet, aber dabei beherrscht von der hohen Aus-
drucksfähigkeit eines tiefempfindenden Künstlers. Er operiert nicht mit frappieren-
den Überraschungen. Seine Komposition ist schlicht, aber dabei doch großzügig.
Mit flotter Hand sind die Details bearbeitet, jedoch zugleich mit einer Sorgfalt, die
sich eine peinliche Durchführung hat angelegen sein lassen. Nicht zu vergessen
ist bei alledem, daß es sich um eine Arbeit in rauhkörnigem Sandstein handelt, der
sich bekanntlich bei geringen Maßen nicht leicht so minutiös behandeln läßt als z. B.
Holz oder ein anderes glattes Steinmaterial. Daher ist es auch gekommen, daß diese
zierliche Arbeit nicht ganz unversehrt auf uns gekommen ist, und daß sie bei der
ihr jüngst zuteil gewordenen Reinigung in besonders feinen Partien hat leiden müssen.
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VON DB. FRITZ TRAUGOTT SCHULZ. 93
Wenn Berthold Daun (Künstler-Monographie S. 49) bei einem Vergleich zwischen
Adam Kraft und Veit Stoß sagt: „Stoß kannte nicht den Seelenfrieden; nur den
Sturm der Leidenschaft, der ihm so viel Unbequemlichkeit verursachte, wußte er
auf seine Gestalten zu übertragen", so lehrt das Langenzenner Verkündigungsrelief,
daß wir uns vor einer vollkommenen Verallgemeinerung dieser Aufstellung hüten müssen.
Etwas dramatische Bewegung und Leidenschaftlichkeit ist ja auch hier vorhanden.
Sie haftet dem Wesen des Meisters nun einmal an. Aber sie drängt sich gerade hier
nicht herausfordernd vor; vielmehr ist sie durch eine weise Mäßigung in Schranken
gehalten. Wohl lodert sie noch verhalten in Einzelheiten, aber sie bricht sich nicht
ungestüm Bahn. Man kann hier kaum von drastischen Gebärden, von bewegtem
Händespiel und übermäßiger Gefühlsäußerung reden. Bei aller Großartigkeit der
Konzeption ist doch die idyllische Ruhe des Vorgangs das am meisten hervorstechende
Element. Von der berauschenden Wirkung etwa des Krakauer Marienaltares finden
wir keine Spur. Abgeklärte Ruhe, edle Schlichtheit in Komposition und Einzel-
ausführung sind vielmehr für unser Relief bezeichnend. Die unruhige Gewandfülle
des Krakauer Altares ist einer großzügigen Klarheit gewichen. Die Linienführung
ist eine monumentale, die Szenerie fest in sich abgeschlossen. Eins aber ist auch
hier auffällig, das ist das Bestreben, durch gedrehte Falten die leeren Zwickelflächen
zu füllen. Allerdings geschieht auch dies in maßvoller Art, wobei, mittelst der scharf-
geschnittenen Randgliederung ein lebhafter Wechsel von Licht und Schatten her-
vorgerufen wird. Ein Meister von solch gewaltiger Persönlichkeit wird seine Eigen-
art nie ganz verleugnen. Durchgehende Züge bleiben trotz innerer Wandlungen
stets bestehen. So hat Veit Stoß, obwohl der Stein als Material dem Künstler in
seinem Ideenausdruck etwas Reserve auferlegt, auch hier die Technik des Holzbild-
ners in virtuos freier Art auf den Stein übertragen, mit mächtigen Erhöhungen und
Vertiefungen operierend. Die Stellung der rechten Hand der Maria, die nicht hält,
sondern zu drücken scheint, findet sich schon beim Grabmal des Erzbischofs Zbigniew
Olesnicki im Dom zu Gnesen, dessen Entstehungszeit von Daun um 1493 angenommen
wird. (Siehe die Abbildung auf S. 18 in der Künstler-Monographie.) Man könnte
weiter sprechen von dem Mund mit der kräftig markierten Unterlippe, dem voll-
gerundeten schlanken Hals und den tütenartigen Falten, welche Faktoren durch
Dauns verdienstvolle Forschungen ja alle als für Veit Stoß charakteristisch bekannt
sind. In einer Urkunde vom 1. Februar 1503 wird Veit Stoß „stainhauer oderpild-
schnitzer" genannt (Daun, Beiträge S. 12). Wo sich seine meisterhafte Technik so
sehr offenbart und seine ihm besonderen Eigenheiten so deutlich zutage treten wie
hier, müssen wir ihm unbedingt auch die eigenhändige Ausführung vindizieren.
Schwerlich würde er sonst sein Zeichen angebracht haben.
Als datierte Arbeit geht unserem Relief vorauf derSchwabacherHoch-
a 1 1 a r , der auf dem großen Bilde des seinen Mantel teilenden Martin auf dem rechten
feststehenden Flügel die Jahrzahl 1506 trägt. Nach wiederholter eingehender Prüfung
des Originals an Ort und Stelle muß ich den Ausführungen Dauns im großen und
ganzen beipflichten. Auch stimme ich mit ihm darin überein, daß das obere rechte Relief
der Auferstehung zu[|plump, zu schematisch^und in den Gewandfalten zu unmotiviert
ist, um vom Meister selbst herrühren zu können. Doch finde ich,]daß das linke' untere
Relief der Ausgießung des heiligen Geistes zu weitgehende Verwandtschaften mit
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94 NEUENTDECKTK ARBEITEN VON VEIT STOSS.
des Meisters persönlicher Art hat, um die Annahme der Beihilfe eines Gesellen oder
Schülers ganz rechtfertigen zu können. Die individualistische Behandlung der Köpfe
ist mir hier auch zu weit gediehen. Ich neige darum der Ansicht zu, daß auch dieses
Relief als eine eigenhändige Arbeit des Meisters anzusprechen sei. Überhaupt beruht
die künstlerische Bedeutung des Altares — ich rede hier nur von den Schnitzereien —
in den seitlichen Reliefdarstellungen. Das allerdings in der Auffassung der Zeit
wurzelnde, übermäßig Repräsentative, das übertrieben Steife und Gespreizte, die
im Vergleich zu der kalten, empfindungslosen Ruhe der Figuren viel zu weit ent-
wickelte Behandlung der Falten und Gewanddrapierung im Mittelschrein ist hier
einer verinnerlichten, zum Teil sogar idyllischen Ruhe in Bewegung und Ausdruck
e:ewichen. Man betrachte nur die stille häusliche Zufriedenheit des Eltempaares,
die mütterliche Glückseligkeit, die sich in den Mienen der Maria ausspricht, weiter
die mannigfach variierte, herzliche Teilnahme, die sich in den Antlitzen der um die
sterbende Gottesmutter versammelten Jünger kundgibt, weiter die freudig und
zugleich staunend erregten Gesichter auf dem Relief der Ausgießung des heiligen
Geistes und dann auch die weise Mäßigung in der Gewandbehandlung! Stoß ist
hier ein anderer als in den Figuren des Mittelschreins. Stürmisch wogten in ihm
auf- und niedergehende Gefühle. Er war im Kampf mit sich selbst. Er steht im
Begriff, das übermäßig Dramatische in seiner Kunst abzustreifen und sich von jetzt
ab mehr der Verinnerlichung in seelischer Beziehung zu befleißigen. Und gerade
hierin liegen die Keime seiner späteren Kunst, deren erste Frucht das Langenzenner
Verkündigungsrelief ist, und die schließlich ihren erhabensten Ausdruck in dem
imposanten Altar der oberen Pfarrkirche in Bamberg finden. Allerdings haben
die Schwabacher Reliefs letzterem das eine oder andere voraus. Man kann hier
nicht von einer unglaublich steifen Haltung der Hände und einer Bewegungslosig-
keit in der Körperhaltung (bei Maria und dem Engel) reden. Doch kann man das
in erhöhtem Maße von den Repräsentativfiguren des Schwabacher Mittelschreins.
Welch ein Abstand besteht z. B. zwischen der Maria dort und der Maria des Langen-
zenner Verkündigungsreliefs! Die Haltung und auch die innere Empfindung ist,
abgesehen von der gegenseitigen Körperstellung, nahezu die gleiche. Aber wie kon-
trastieren dennoch beide Figuren! Dort gleichgültiger, nichtssagender Gesichts-
ausdruck, die Mienen wenig ausgeprägt, der Hals unorganisch steif, der teilweise
zwar auch glatt herabfallende Mantel an den Enden unnatüriich gebauscht und be-
wegt. Hier dagegen eine edle Gelassenheit in allem, der Hals mit plastischer Run-
dung bei guter Verbindung mit dem Kinn, der Mantel leicht aufliegend, natürlich
herabflutend und an den Enden nur wenig bewegt. Einer gezwungenen Gespreizt-
heit dort steht hier eine fast klassisch zu nennende Ruhe und Natüriichkeit gegen-
über. Stoß hat den Gipfel seiner Kunst erreicht; es ist ihm die Verköiperung ureigen-
ster abgeklärter Empfindung gelungen. Man kann nicht sagen, daß der englische Gruß
in rein künstlerischer Hinsicht eine besonders wesentliche Weiterentwicklung in der
angedeuteten Richtung bezeichnet. Sehr übereinstimmend ist bei der Schwabacher
und Langenzenner Maria die prinzipielle Behandlung des Gewandes. Der Mantel
gleitet glatt über die rechte Schulter herab, schlängelt sich um den Arm herum, geht
dann in leichter Ausschwingung nach unten herab, um dann in einem bauschigen
Schwung nach oben zurückzukehren. Über der linken Körperhälfte fließt er in
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ.
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Form einer plastisch herausstehenden Decke herab, die sich unten in S-förmiges
Faltenwerk auflöst, das in beiden Fällen dem Zweck der Raumausfüllung dient.
Es sei mir gestattet, an dieser Stelle in Kürze auch auf den bekrönenden Auf-
satz des Schwabacher Hochaltares einzugehen. Daun hat sich nicht weiter mit ihm
beschäftigt. Wie mir scheint, rühren die Figuren im Aufsatz zum größeren Teil
von dem Gesellen oder Gehilfen des Meisters her, der das Auf erstehungsrelief geschaffen.
Auf einem zwiefachen Regenbogen thront Christus als Weltenrichter. Zu seinen
Seiten knieen Johannes und Maria. Zu äußerst rechts und links stehen zwei Engel
mit Posaunen und ausgebreiteten Schwingen. Vom bemerkt man vier nackte Figür-
chen von Auferstehenden und Verdammten. Oben im Aufsatz hat eine heilige Anna
selbdritt ihre Stelle. Ganz aber scheint der ausführende Künstler der Beihilfe des
.Meisters nicht entraten zu haben. Deutlich spricht sich dies in der Figur der Gottes-
mutter aus. Die starke Bewegtheit in den erwähnten Figürchen der Auferstehenden
und Verdammten läßt sogar an eigenhändige Ausführung durch Veit Stoß denken.
Übrigens irrt Daun, wenn er die Figur links unten in der Ecke des Reliefs des
Todes der Maria als schlafend auffaßt. In allem, namentlich in den krampfhaft
gefalteten Händen, spricht sich vielmehr der höchste Grad resignierter Trauer aus.
Die Augen sind auch nicht geschlossen, sondern geöffnet.
Ein Zeitraum von fast fünf Jahren verstreicht, ehe wir nächst dem Langen-
zenner Verkündigungsrelief wieder eine datierbare Arbeit des Meisters nachweisen
können. Es ist der englische Gruß in der Lorenzkirche zu Nürnberg, ein
Werk, dessen Entstehung in den Jahren 1517— 1518 durch eine Notiz in Anton Tuchers
Haushaltungsbuch bezeugt wird.*) Stoß arbeitete daran vom März 1517 bis zum
Juli 1518 und erhielt 426 fl. dafür. Am 15. Juli 1518 wurde es im Chor von St. Lorenz
aufgehängt.') Leider ist das Werk, das durch den monumentalen Aufbau seiner
Komposition und eine vorzügliche Technik ausgezeichnet ist, nicht unversehrt auf
uns gekommen.*) Nach mancheriei Wanderung im Jahre 1817 an seinen ursprüng-
lichen Platz zurückgekehrt, hatte es das Mißgeschick, wegen ungenügender Stärke
des Strickes, an dem es emporgezogen werden sollte und der infolge der Schwere
der Last zerriß, herabzufallen und auf dem Boden aufschlagend zu zerschellen. Zwar
wurde es wieder zusammengesetzt, doch erst nach 8 Jahren, nämlich im Jahre 1825.
Alles das mahnt hinsichtlich einer abschließenden Beurteilung und Benutzung dieser
Arbeit zu Detailforschungen etwas zur Vorsicht. Allein schon die künstlerisch durch-
aus unzulängliche Kupferstichwiedergabe in Doppelmayrs historischer Nachricht
von den Nümbergischen Mathematicis und Künstlern läßt erkennen, daß die Zer-
triimmerung eine sehr weitgehende gewesen sein muß, da nicht alle Figuren wieder
eingefügt worden sind. Doch soviel läßt sich feststellen : Veit Stoß ist seit dem Langen-
zenner Relief kein wesentlich anderer geworden. Die erhabene Ruhe dort, die nicht
durch übermäßige Gefühlsäußerungen gestört wird, findet sich auch hier. Alles ist
ins Große gekehrt. Die innerliche Erregung der Maria ist zwar herauszufühlen,
aber sie brii:ht sich nicht gewaltsam Bahn, da sie nur durch wenig Mittel äußerlich
2) vgl. Daun, Beiträge S. 8l.
3) Siehe ebendort.
4) vgl. hierzu meine Ausführungen in den Mitt. d. Vereins f. Gesch. d. St. Nümbeig.
1902, S. 186 — 189.
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96 NEÜENTDECKTE ARBEHEN VON VEIT STOSS.
zum Ausdruck gebracht ist: durch eine leichte Neigung des Kopfes und das Empor-
heben der rechten Hand, die sie der Brust nähert. Gerade in der Meisterung der
seelischen Bewegtheit, in der schlichten Verinnerlichung liegt die Stärke des eng-
lischen Grußes, und darin reiht er sich in psychologischer Beziehung folgerichtig an
das Langenzenner Relief an. Er ist ein weiteres Glied in der Kette der späteren
Kunst des Meisters. Wenn darum Daun eine wirklich tiefere Empfindung und seelische
Bewegtheit bei den Figuren des Engelsgrußes vermissen will, so glaube ich, daß er an
diesem Urteil im Hinblick auf das Langenzenner Relief und die mit diesem ange-
bahnte, von Daun übrigens bereits erkannte, anders geartete Entwickelung im Wesen
des Veit Stoß, sowie die Bedeutung, welche dem englischen Gruß innerhalb derselben
zukommt, jetzt nicht mehr ganz festhalten wird. Das Gewand zeichnet sich in beiden
Fällen durch die gleiche klare Anordnung aus, ohne im einzelnen von den üblichen
Übertreibungen des Meisters ganz frei zu sein. Sehr verwandt ist die Behandlung
des oval geformten Antlitzes und des Halses. Auch beim englischen Gruß ist das
Haar korkzieherartig gewellt und über der einen Schulter beiderseits geteilt. Die
schmale dürre Hand mit den langen Fingern kehrt ebenfalls wieder.
Der Zeit nach folgt auf den englischen Gruß die Kreuzigungsgruppe
über dem Hochaltar in der Sebalduskirche zu Nürnberg v. J. 1 520.
Es steht neuerdings fest, daß sie am 27. Juli dieses Jahres durch Nicklas Wickel,
d. h. unter der Aufsicht oder auf Betreiben und die Kosten des Nicklas Wickel, eines
Genannten des größeren Rats, aufgerichtet und von Veit Stoß gefertigt worden ist.*)
Wir können die Beobachtung machen, daß die vor und mit dem Langenzenner Ver-
kündigungsrelief angebahnte mehr großzügige Darstellungsart seelischer Vorgänge
sich auch hiei findet. Wenn Daun von einer herb übertriebenen Schmerzensäußerung
und wenig anziehenden Geziertheit der unter dem Kreuz trauernden Gestalten der
Maria und des Johannes spricht, wenn er ferner meint, daß sich das unruhige Gefält
des Mantels, den Maria trägt, mit der Gewandbildung im Bamberger Altar nicht
vergleichen läßt, so werden wir hieran wohl kaum mehr festhalten können. Im Prinzip
ähnelt sich die Auffassung und Einzelbehandlung der Sebalder Maria mit der des
Langenzenner Reliefs durchaus. Maria ist als monumentale Standfigur gegeben,
in gewaltigen Umrissen ist sie gezeichnet und das Wesen ihrer Beziehung zur Haupt-
figur ist in konkreter Art zum Ausdruck gebracht. Allerdings geht Veit Stoß hier
weiter wie in Langenzenn. Doch sind auch hier die ganzen Verhältnisse anders ge-
lagert. Er mußte in St. Sebald nach stärkerer Markierung streben. Und doch ist
nach meinem Dafürhalten eine allzu übermäßige Übertreibung nicht .eingetreten.
Das Gewand ist analog klar angeordnet. In fast geraden Linien fällt es herab, um
sich am Boden zu einer bescheidenen Spirale umzubiegen. Nur der Herabfall vom
linken Unterarm ist in mehr Bewegung aufgelöst. Doch finde ich hierin nichts ab-
normes. Auch beim Langenzenner Relief hat der Meister nicht ganz von seiner
sonstigen krausen Art lassen können, indem er die eine Mantelseite über den Boden
hinweg in kühnerem Schwung weiter entwickelte. Die Behandlung des Unterge-
wandes über dem Schoß ist die gleiche. Es tritt in vertikalen Röhrenfalten heraus;
5) vgl. Denkmalpflege 1904, S. 96 (J. Schmitz) u. 131 (Desgleichen), und darnach Daun,
Künstler-Monographie S. 76.
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VON DR. FRITZ TRAÜGOTT SCHULZ. 97
der gebeugte Obei schenke! ist ebenfalls entsprechend betont. Das scheinbare Über-
maß in der Schmerzensäußerung der Maria ist auf der korrespondierenden Seite
durch eine größere Ruhe in der Haltung des Johannes ausgeglichen. Auch bei der
Maria des Bamberger Altares findet sich in dem Gewand teilweise eine größere Be-
wegung im Gegensatz zu der sonst herrschenden Ruhe. Und gerade das ist, meine
ich, in dieser späteren Zeit für Veit Stoß charakteristisch. Der Langenzenner Marien-
t3T3us leuchtet auch bei der Gottesmutter der Sebalder Gruppe noch durch. Er
scheint in nichts wesentlich verändert. Nur hat Veit Stoß seinem inneren Drang
etwas mehr die Zügel schießen lassen; ganz vermochte er nie das stürmisch-jugend-
liche in seinem Wesen zu unterdrücken. Die Sebalder Maria wirkt nur aus der Feme
geziert. Aus der Nähe betrachtet, gewährt sie ein anderes Bild. Säße die S-Linie
am Mantel der Langenzenner Maria an anderer Stelle, so würde gewiß ein ähnlicher
Eindruck hervorgerufen werden wie bei der Sebalder Madonna.
Was nun den großen Altar in deroberen Pfarrkirchezu Bam-
berg betrifft, der das in Abb. 2 wiedergegebene Monogramm und die Jahrzahl
1523 trägt*), so ist seit der Fertigstellung des Langenzenner Verkündigungsreliefs
bereits ein volles Dezennium verstrichen, ein Zeitraum, der sich naturgemäß in einer
gewissen Verschiedenartigkeit beider Arbeiten kundgibt. Der Bamberger Altar er-
scheint als die ebenmäßige Weiterbildung des englischen Grußes in St. Lorenz, in
sich die ganzen Charakteristika der späten Kunstsprache des Meisters vereinend
Man beachte nur die grandios hingesetzten, gut durchmodellierten Gestalten, die
großzügige Gewandführung, die naturalistisch fein durchgebildeten vollen Antlitze,
die peinlich anatomische Behandlung der Hände, dann aber auch den vornehmen
Fluß in der Haltung der Figuren sowie das Starre in der Bewegung. Auch hier ist
der Meister nicht ganz frei geblieben von der ihm einmal eigenen Übertreibung im
Gefält, die sich hier und da bemerkbar macht, ohne indessen unangenehm störend
zu wirken. Was im Langenzenner Relief angebahnt wurde, schimmert deutlich
durch. Vor allem habe ich auf mancherlei Verwandtschaften hinzuweisen, welche
die Langenzenner Maria mit der Madonna im Bamberger Mittelschrein zeigt. Die
Körperhaltung ist ähnlich. Auch hier der ovale Kopftypus mit der hohen Stirn,
der Ergebenheit bekundende Augenniederschlag, der steile Nasenrücken, die plastisch
ausgeprägten Lippen und das wohlgerundete Kinn, dann die Teilung des geringelten
Haares beiderseits der Schulter, die langen dürren Hände, die infolge der Hüftein-
schnürung gebildeten röhrenartigen Falten über dem Schoß, und schließlich der
mächtig angelegte, nach rechts sich über den Boden entwickelnde Gewandbausch.
Diese Ähnlichkeiten lassen sich nicht verkennen, und so kann man recht wohl von
einer Weiterbildung des Langenzenner Madonnentypus am Bamberger Altar reden.
Die über den Unterarrh lang herabfallenden offenen Ovalfalten an der Figur der
Stifterin auf dem Langenzenner Relief finden sich auch am Baraberger Altar wieder,
nämlich an dem vom rechts stehenden Mohrenkönig auf der Darstellung der An-
betung der Weisen. Auch kehrt hier im Hintergrund links das Motiv der Säulen-
teilung mit einem Gewölbe zur Linken wieder. Berührungspunkte zwischen dem
6) vgl. auch den Katalog der historischen Ausstellung der Stadt Nürnberg auf der
Jubiläums- Landes- Ausstellung Nürnberg 1906, Nr. 8 mit Abbildung.
Mitteilongen aus dem german. NatioDalmoseum. 1906.
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98 NBUENTDBCKTE ARBEITEN VON VEIT STOSS.
Langenzenner Relief und dem Bamberger Altar sind also reichlich vorhanden.
Letzterer bildet eben den Höhepunkt und gleichzeitig den Abschluß in der Entwick-
lung, innerhalb deren jenes eine nicht unwichtige Rolle spielt. Es wird in einer künf-
tigen neuen Monographie des Veit Stoß nicht mit Stillschweigen übergangen werden
können. Hierauf vorzubereiten ist der Zweck seiner Veröffentlichung.
2. Die Reliefs der Verkündigung, Anbetung des Elternpaares und
Anbetung der Könige in Dormitz.
Der späteren Schaffensperiode des Veit Stoß, d. h. der Zeit, in welcher sich
sein unruhiges Temperament zu einer mehr verhaltenen Ruhe abgeklärt hat, gehören
auch drei in der Kirche zu Dormitz, Filial zu Neunkirchen am Brand, befindliche
Relieftafeln an, die in allem so sehr den Stil und die Art des Meisters an sich tragen,
daß ich dazu neige, auch sie als Werke seiner Hand anzusprechen. Zum allermindesten
sind sie unmittelbar unter seinen Augen, unter seiner steten Überwachung entstanden
und nach seinen Angaben ausgeführt. Leider sind sie nicht unbeschädigt auf uns
gekommen. Scheinbar Reste des ehemaligen Hochaltares, der in der 1. Hälfte des
18. Jahrhunderts (1724) dem noch jetzt vorhandenen weichen mußte, wurden sie seit-
lich beschnitten, um in ornamentierte Wulstrahmen jener Zeit eingepaßt zu werden.
Dabei wurden sie zugleich über neueren Untergrundbrettern aufgemacht. Die Ver-
kündigung mißt heute 93 cm in der Höhe und 73 cm in der Breite, die Anbetung
des Elternpaares 94 cm in der Höhe und 74 cm in der Breite, die Anbetung der Könige
95 cm in der Höhe und 74 cm in der Breite.
Ich beginne mit dem Relief der Verkündigung (Taf. X links). Zur Linken kniet
vor dem Betpult die Jungfrau, dem Beschauer fast zu Dreiviertel zugewandt. Das volle
pvale Antlitz ruht, wie bei Veit Stoß üblich, über einem kräftig gerundeten hohen
Hals. Das in der Mitte gescheitelte, korkzieherartig gewellte Haar teilt sich beider-
seits über der Schulter zu gerade herabgleitenden Strähnen. Es ist die Art, die wir
vom Schwabacher Hochaltar, dem Langenzenner Relief, vom Bamberger Altar,
von der hl. Anna selbdritt in St. Jakob zu Nürnberg und vom Verkündigungsrelief
im Kestnermuseum zu Hannover her kennen. Die Stirn ist hoch, die Augen sind
leicht geöffnet, die Brauen scharflinig markiert, die Nase gerade geschnitten, der
Mund plastisch herausgearbeitet, das Kinn zierlich gerundet. Die Linke ist wie zur
Abwehr erhoben, während die Rechte mit abgespreiztem Daumen auf dem aufge-
schlagenen Buch ruht. Die innere Fläche der Linken ist nach vorn gekehrt, die Finger
sind leicht gekrümmt, ähnlich wie wir es bei der Maria, die Botschaft empfangend,
in der Wolfgangskapelle zu St. Egidien in Nürnberg finden. (Siehe Daun, Künstler-
Monographie, Abb. 61). Während das eigentliche Untergewand den Körper knapp
umschließt, wirft sich der weitere Mantel in reicherem Gefält. Über der rechten
Schulter liegt er, wie auch sonst zumeist, glatt auf, alsdann schwingt er sich in charak-
teristisch geknittertem Bogen zum Betpult empor, das er überdeckt. Der übrige
Teil flutet zum Boden herab, woselbst er kleinere Bäusche bildet und am Ende in
kurzer S-Linie umgebogen ist. Das Motiv ist im Prinzip das gleiche wie bei der
Maria in der Wolfgangskapelle zu St. Egidien. Das gebeugte Knie tritt, wie meist,
sichtbar aus dem Gewand heraus. Die Art der Fältelung, die weichgebrochene Bogen-
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VON DR. FRITZ TRAÜQOTT SCHULZ.
99
linie, das Heraustreten der Falten in Form von Speerspitzen sind Dinge, die an den
unteren Seitenreliefs des Bamberger Altares zur Genüge vorkommen. Es wäre da-
rauf hinzuweisen, daß auch hier, wie beim Langenzenner Relief, die Ärmelenden
Manschetten vergleichbar glatt umsäumt sind. Von rechts her naht mit gebeugtem
Knie der Engel. Sein Antlitz, das freudiges Frohlocken verrät, ist der Jungfrau
zugewandt, der Mund mit dem Grübchen dem der Madonna vom Stoßhause oder
der Maria im Bamberger Anbetungsrelief ähnlich geformt. Die Rechte ist mit dem
Gestus der beteuernden Rede erhoben, während die Linke, die letzt des Szepters
entbehrt, mit der Neigung nach unten herabhängt. Unwillkürlich wird man, was
die Haltung der Hände und ihre Einzelausbildung betrifft, an die ganz ähnliche, fast
konforme Handhaltung Christi auf dem Relief der Krönung Mariae im Germanischen
Museum erinnert. (Siehe Daun, Künstler-Monographie, Abb. 56.) Die mit Fleiß
detaillierten Flügel stehen, ohne organisch mit dem Körper verwachsen zu sein, an
der Rückwand korrespondierend einander gegenüber. Ähnlich ist die Stellung der-
selben auf dem Verkündigungsrelief im Kestnermuseum zu Hannover (Daun, Künstler-
Monographie, Abb. 83) oder auf dem Relief der Verkündigung in der Egidenkirche
zu Nürnberg (Daun, Beiträge, Fig. 36). Auch auf dem Hannoverschen Verkündigungs-
relief schwebt über dem Haupte der Jungfrau die den heiligen Geist symbolisierende
Taube. Die Vorliebe des Veit Stoß für ornamentierte Mantelsäume spricht sich in
der von Kordeln begleiteten Rautengitterung aus, die rings am Mantelrande um-
läuft. Der Mantel wird über der Brust von einer Borte zusammengehalten. Über
dem Boden entwickelt er sich zu lebhafteren Falten und Bäuschen.
Antlitze und Hände sind mit Sorgfalt detailliert. Auch sonst weist die Technik
auf die geübte, sichere Hand eines tüchtigen Meisters hin. Das etwas Verhaltene
im Gefühlsausdruck, das mehr Intime in der Darstellung, die große Geschlossenheit
in der Komposition lassen die Nähe des Bamberger Altares verspüren. Noch nicht
in allem zeigt das Relief den Meister auf der Höhe, die er mit jenem erreicht. So
wird es zeitlich vor ihm anzusetzen sein. Etwa das Jahr 1520 mag das seiner
Entstehung sein, was dann auch für die übrigen gilt.
Die Fassung ist noch die alte. Die Antlitze zeigen noch jene zarte naturalistische
Abtönung, die der Meister selbst ihnen gegeben. Es ist nicht zu leugnen, daß hier-
durch der Eindruck viel an Zauber gewinnt. Kleinere Partieen der Fassung sind,
was nicht zu verwundern ist, abgesprungen.
Das Gleiche gilt von dem Relief der Anbetung des Elternpaares, das von
besonderem Liebreiz ist (Taf. X rechts). Die Besucher der historischen Ausstellung
der Stadt Nürnberg auf der 3. bayerischen Jubiläums-Landes- Ausstellung Nürnberg
1906 werden sich erinnern, daß ich es damals neben dem Relief der Anbetung der
heiligen drei Könige zur Darbietung gebracht hatte. (Siehe den Ausstellungs- Katalog
Nr. 37 mit Abbildung und Nr. 38). Ich datierte beide damals zu früh (um 1500). Wohl
war mir die Verwandtschaft mit der Art des Veit Stoß nicht entgangen, doch wagte ich
es damals noch nicht, die Reliefs ihm auch zuzuschreiben. Unwillkürlich wird
man bei dem Relief der Anbetung des Eltempaares an die gleiche Darstellung am
Schwabacher Hochaltar erinnert. Schon dort offenbarte sich des Meisters Freude
an der Schilderung und Ausmalung des häuslichen Glückes von Maria und Joseph.
Hier kommt sie in nicht minder gefühlvoller Art zum Ausdruck. Welch hohe Zu-
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100
NBÜENTDECKTB ARBEITBN TON VBIT ST08S.
friedenheit liegt in den Mienen der sich im Gebet über das am Boden liegende Kind
herabbeugenden Ctottesmutter! Wie freudig erregt erscheint Joseph in Gesichts-
ausdruck und Gebärden! Und betrachtet man die Darstellung genauer, so wird
man kaum noch einen Zweifel hegen, daß sie vom Meister selbst herrührt. Man
vergleiche nur die Maria mit der des Bamberger Mittelschreins ! Die dürren, in etwas
gezwungener Art herabgefalteten Hände begegnen auch hier. Motiv und Ausbildung
sind fast identisch. Wir fanden es übrigens ganz ähnlich schon an der gleichen Szene
des Schwabacher Hochaltares (Daun, Beiträge, Fig. 40) und haben es weiter zu kon-
statieren an der Maria der hl. Anna- Selbdritt- Gruppe in St. Jakob zu Nürnberg
(Katalog der histor. Ausstellung Nürnberg 1906, Abbildung zu Nr. 41). Dann kommt
der Schnitt des wiederum ovalen Antlitzes, das auch in Dormitz naturalistisch fein
durchgebildet ist. Der gleiche Augenniederschlag unter den scharf markierten
Brauen, die gleiche steilrückige, gerade Nase, die in derselben Art etwas hochgezogene
Oberlippe, das in verwandter Weise gerundete Kinn. Der hohe Hals entbehrt nicht
der Falten, die durch die Kopfneigung gebildet werden. Und vor allem kommt hin-
zu das Motiv des sich über den Boden hinrollenden Mantels, auf dem der Jesusknabe
liegt, und das schon am Schwabacher Hochaltar begegnete. Echt stoßisch sind
die Hände Josephs (vgl. das Verkündigungsrelief in Hannover, Daun, Künstler-Mono-
graphie, Abb. 83), und für die laschigen, im Dreieck einspringenden, leicht aufgebla-
senen Falten dürften sich hinreichend Belege am Bamberger Altar beibringen lassen.
Nur ein Veit Stoß vermag den Mantel so schwungvoll zu drapieren, wie es bei dem
der Maria geschehen ist. Schon an der Hüfte biegt er sich zur S-Linie um, und weiter
flutet er in gebogenem Bausch auf den Boden herab, wo er dem sich natürlich ge-
bärdenden Kinde als Ruhelager dient. Hinzu kommen die weichen Knitterungen,
die sich zwischen Mantelsaum und dem aus dem Gewand heraustretenden Knie
bilden. Im Prinzip ähnlich drapiert ist der Mantel Christi auf dem Krönungsrelief
im Germanischen Museum (Daun, Künstler-Monographie, Abb. 56). Wie auch sonst
bei Veit Stoß sind die Haare wiederum beiderseits über der Schulter geteilt. Außer-
ordentlich sprechend ist das Antlitz Josephs. In seinen Mienen, namentlich in dem
leicht geöffneten Munde, liegt der Ausdruck freudigen Staunens. Innerlich erregt
führt er die Hände zusammen, ähnlich wie die Jungfrau auf dem Verkündigungs-
relief im Kestnermuseum zu Hannover (Daun, Künstler-Monographie, Abb. 83).
Zwischen dem Eltempaar schauen genau wie auf der entsprechenden Darstellung
des Schwabacher Hochaltares die Köpfe von Ochse und Esel hervor Auch die Haus-
tiere nehmen an dem Elternglück stillen Anteil. Entschieden gehört dieses Relief
zu den tiefempfundensten Schilderungen des Meisters; ganz und gar ist es ein Bei-
spiel seiner zur Ruhe gemilderten späteren Art.
Hieran reiht sich in natürlicher Folge das Relief der Anbetung der
Könige (Abb. 1). Linker Hand sitzt, zu Dreiviertel nach rechts gewendet, Maria und
hält auf dem Schoß den nackten Jesusknaben, der zu dem zu seinen Füßen knieenden
Magier hinstrebt. Dieser faßt mit der Rechten sein linkes Ärmchen und küßt sein
Händchen, während er ihm mit der Linken ein Kästchen darbietet. Das Antlitz
der Maria gemahnt an das der Madonna vom Stoßhause (Daun, Künstler-Monographie,
Abb. 57). In beiden Fällen die volle ovale Form, die niedergeschlagenen Augen,
die gerade Nase, das kleine Kinn mit dem Grübchen und die beiderseits in gewellten
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VON DR. FRrrZ TRAUGOTT SCHULZ.
101
Flechten über den Schultern geteilten Haare. Ganz von der Feinheit des Antlitzes
der eben als Einzelfigur peinlicher durchgeführten Madonna vom Stoßhause ist ja
das Antlitz der Dormitzer Maria nicht. Aber eine große Verwandtschaft in den
Konturen und der plastischen Behandlungsart besteht. Antlitze, die sich vollkommen
mit einander decken, wird man bei einem genialen Künstler vergeblich suchen. Man
wird stets nur von Ähnlichkeiten oder Verwandtschaften bald im ganzen bald in
Details sprechen können ; denn für den gleichen Gegenstand ist er stets bestrebt eine
Abb. 1. Veit Stoß: Relief der Anbetung der Könige in Donnitz.
andere Form zu finden. Der Mantel ist wie bei der Madonna des Bamberger Mittel-
schreins von der Schulter herabgeglitten, biegt sich an der Hüfte ein und sendet von
dort strahlenförmig arrangierte, in der für den Meister charakteristischen Art ein-
geknickte Falten nach dem Schoß, dem Knie und nach unten hin aus. Diese Art
der Faltenanordnung finden wir auch sonst bei Veit Stoß. Ich erinnere z. B. an
die Madonna des Anbetungsreliefs am Bamberger Altar (Daun, Künstler-Monographie,
Abb. 76) oder an die Maria des Verkündigungsr
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102 NEÜENTDBCKTE ABBEITBN VON VEIT STOSa
(Daun, Künstler-Monographie, Abb. 83). Am Boden bildet der Saum die für Veit
Stoß so bezeichnende S-Linie, die hier, wie auch sonst zumeist, zugleich einen deko-
rativen Zweck hat. Beim Antlitz des vor dem Kinde knieenden Königs wird man
an das Antlitz Gott- Vaters auf dem Krönungsrelief im Gei manischen Museum (Daun,
Künstler-Monographie, Abb. 56) gemahnt. Hier wie dort der gleiche scharfe Schnitt
der Nase, der Backenknochen kräftig ausgeprägt, die Wange eingeschwungen. Auch
der lange Bart ist in gleicher Weise behandelt; oben schließen die Haare feiner und
enger zusammen, dann wellen sie sich in stärkeren Strähnen. Auf die naturalistisch
minutiöse Behandlung dieses prächtigen Greisenkopfes ist besonders hinzuweisen.
Auch mit dem Kopf des Hohepriesters auf dem Darstellungsrelief des Bamberger
Altares (Daun, Künstler-Monographie, Abb. 75) besteht einige Verwandtschaft.
Ganz ähnlich, fast übereinstimmend ist im Vergleich mit dem Bamberger Anbetungs-
relief die Behandlung des beim Knieen auf die Erde aufgestemmten linken Fußes.
Die Spitze ist energisch gekrümmt. Auch hier besteht die Fußbekleidung aus zwei
Teilen; der Sohle ist ein weicheres Stück aufgenäht, das sich oberhalb des Fußes
fortsetzt und sich dort infolge der Beinstellung in Falten wirft; die andere Stiefel-
hälfte ist glatt. Auch darf wohl auf die Verwandtschaft in der Ausprägung des Unter-
schenkels hingewiesen werden. Der Mantel ist aus reich damaszierterti Goldbrokat
gearbeitet und mit Hermelin besetzt, wie auch gefüttert. Um die Hüften wird
er von einem Ledergurt zusammengehalten. Es ist kein Zufall, daß auch sonst
noch Verwandtschaften mit dem Anbetungsrelief des Bamberger Altares bestehen.
Der zweite der Magier hält auch in Dormitz in der einen Hand ein pokalartiges Ge-
fäß, während die andere eben die Mütze vom Kopf genommen hat. Dabei ist die
Handhaltung die gleiche. Der Daumen faßt in den inneren Rand hinein. Die Kopf-
bedeckung wendet bei schräger Neigung dem Beschauer das Innere zu. Es ist die
Mütze, die auch sonst bei Veit Stoß vorkommt. Ich erinnere z. B. an das Darstellungs-
relief des Krakauer Altares (Daun, Künstler-Monographie, Abb. 9), wo Joseph sie
trägt. Der Kopf dieses Königs begegnet in ähnlicher Art auch bei anderen Arbeiten
des Meisters; man vergleiche z. B. den Kopf Josephs am Lusiner Triptychon (Daun,
Künstler-Monographie, Abb. 11), den Kopf des von links dritten Apostels in der
oberen Reihe des Reliefs des Todes der Maria in der Sammlung Streit (Daun, Bei-
träge, Fig. 19), den Kopf Josephs am Flügelrelief der Geburt vom Schwabacher
Altar (ebendort, Fig. 40) und den Kopf des Apostels links unten am Flügelrelief des
Todes der Maria am gleichen Ort (ebendort, Fig. 41). Der glattvergoldete Mantel
ist quer über die linke Schulter gelegt, so daß er in schräger Richtung über den Körper
herabflutet. Durch das Heraustreten des linken Unterarmes wird er emporgerafft,
so daß sich hier Gelegenheit zur Entwicklung von Falten und Bäuschen bietet.
Mitten im Hintergrund schaut mit dem Hompokal in der Hand der Mohrenkönig
heraus, der infolge seiner rückwärtigen Stellung nur in Viertelrelief gegeben
werden konnte. Mit den wulstigen Lippen, dem stark vortretenden Kinn, der ge-
drungenen Nase, den glotzigen Augen, der breiten Stirn und dem dichten Haar hat
er eine nicht geringe Verwandtschaft mit dem Mohrenkönig des Bamberger Anbetungs-
reliefs (Daun, Künstler-Monographie, Abb. 76). Nicht fehlt auch beim Dormitzer
Relief das quadratische Mauerwerk und der Blick auf die allerdings nur ganz apho-
ristisch angedeutete Gebirgslandschaft. Daß der Jesusknabe in beiden Fällen leb-
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VON DB. FRITZ TBAÜGOTT SCHULZ.
103
haft bewegt ist, soll auch nicht unerwähnt bleiben. Die Hände sämtlicher Figuren
zeichnen sich trotz des kleinen Maßstabes des Reliefs durch die Veit Stoß geläufige
sorgfältige Behandlung aus. Die Knöchel und die Adern sind wie immer der Natur
entsprechend ausgebildet. Das Antlitz des ältesten der Könige läßt an Peinlichkeit
der Detaillierung gewiß nichts zu wünschen übrig. Und alles das legt den Gedanken
der Annahme von einer eigenhändigen Schöpfung des Meisters sehr nahe. Die Fassung
ist die alte und im großen und ganzen gut erhalten. Leider ist durch das Beschneiden
der Mantel des knieenden Königs sowohl, wie der des Königs mit der Mütze stark
verkürzt worden, so daß der Endverlauf nicht mehr ersichtlich ist.
3. Das Relief der Geburt in Dormitz.
Noch ein viertes Relief befindet sich in der Kirche zu Dormitz, das nach Art
und äußerer Größe im Zusammenhang mit den drei vorigen betrachtet sein will. Es
ist eine Darstellung der Geburt (Abb. 2), welche 95 cm in der Höhe und 74 cm
in der Breite mißt. Auch dieses Relief ist seitlich durch Beschneiden verkürzt
worden. Wir haben uns das Verhältnis so zu denken, daß alle vier Tafeln als
Seitenflügel zusammengehörten und ehedem Bestandteile des vormaligen Hoch-
altares waren, der in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts (1724) durch den noch
jetzt vorhandenen ersetzt wurde. Ersterer muß von annehmbaren Dimensionen
gewesen sein. Es bildeten die Schnitzereien seinen gewichtigsten Teil. Während
die Flügel reliefiert waren, werden sich im Mittelschrein lebensgroße Vollfiguren be-
funden haben. Über den einzelnen Relieftafeln waren höchst wahrscheinlich ge-
schnitzte Rankenbaldachine angebracht.
Die Darstellungsart dieses Reliefs ist eine mehr realistische, d. h. wir haben
es mit einer Szene zu tun, die dem alltäglichen Leben entnommen ist. Zur Linken
sitzt, durch ein Kissen im Rücken gestützt, in dem über Eck in die Szene hinein-
gestellten Himmelbett Maria, mit beiden Händen das ganz umwickelte Kind ent-
gegennehmend, das ihr die Hebamme reicht. Wir werden hierbei an die entsprechende
Darstellung am rechten Seitenflügel des Bamberger Altares erinnert (Daun, Künstler-
Monographie, Abb. 74). Auch dort der vom gezaddelte Himmel und der von diesem
an der einen Seite in glatten Falten herabhängende Vorhang. Auch dort nimmt
Maria, das Haupt von einem Kopftuch umhüllt, sitzend im Bett das Kind entgegen.
Auch dort ist die hier damaszierte Ctoldbrokatdecke über ihrem Schoß nach vorn
umgeschlagen. Links neben dem Bett steht eine Fußbank und ein mit einer Läufer-
decke belegter Tisch, auf dem eine Schüssel, zwei Gläser und ein angeschnittener
Laib Brot bemerkt werden. Die Hebamme, eine schlanke Figur, hat die Ärmel
hoch aufgekrempelt, auch das Überkleid ist emporgeschürzt. Auf dem Haupt trägt
sie eine hohe gekrümmte Haube mit gerauteter (joldborte. Für alles das haben
wir Analogien auf dem erwähnten Bamberger Relief, wie auch die Gestalt als solche
mit jener, die der Maria dort das Kind reicht, Ähnlichkeit hat; ich meine den knapp
umschlossenen schlanken Oberkörper und das sich über dem Unterkörper breiter
dehnende und reich gefältelte massige Gewand, das dem Geschmack der Renaissance
angepaßt ist. Um die Hüfte trägt sie einen Riemen, an dem ein hübsches Täschchen
hängt. Man könnte hier erinnert werden an die Maria Magdalena auf dem Grab-
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104 NEÜENTDECKTK ARBEITEN VON VEIT STOS&
legungsrelief im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin (Daun, Künstler-Monographie,
Abb. 49), die auch am Hüftriemen ein Täschchen und ebenfalls die haubenförmige
Kopfbedeckung trägt, deren Gewand auch am Oberkörper eng anschließt, dagegen
nach unten zu weiter wird und sich in Falten legt. Vergleichsweise käme auch die
glattgewandete Frauenfigur auf der Darstellung des 9. und 10. Gebotes im Bayer.
Nationalmuseum zu München (Daun, Künstler-Monographie, Abb. 82) in Betracht.
Das Antlitz entbehrt nicht einer indiviaualisierenden Durchbildung. Vor der Heb-
Abb. 2. Veit Stoß: Relief der Geburt in Dormitz.
amme steht das Faß, in dem sie soeben das Kind gebadet. Eine Magd trägt als dritte
Person einen großen Krug mit heißem Wasser herbei, den sie aus Vorsicht mit unter
einem Tuche verborgenen Händen angefaßt hat. Ihre Haare sind unter einem gol-
denen Häubchen, das beiderseits die Ohren überdeckt, verborgen.
Ich konnte mich anfangs nicht dazu entschließen, dieses Relief ebenfalls
Veit Stoß zuzuschreiben. Wenn ich dies nun doch tue, so geschieht es auf Grund
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s't*V
VON DR. KRITZ TRAÜGOIT SCHULZ.
105
einer Correspondenz mit Berthold Daun, dem ich die Correktur dieser Abhand-
lung nebst dem Abbildungsmaterial zur Durchsicht übersandte. Ich dachte an-
fangs an eine Gesellenarbeit. Daun wies mich auf die gute Qualität des Reliefs
hin, und ich muß gestehen, daß diese die Annahme einer eigenhändigen Arbeit des
Meisters sehr wohl rechtfertigen kann. Hinzu kommen als weitere Beweggründe
die von mir aufgeführten Analogien mit anderen, durch Daun als stossisch nach-
gewiesenen Werken. Daun machte mich außerdem noch auf die gute Bewegung
der Hände und die Frau rechts im Hintergrunde aufmerksam, die für Veit Stoß
spricht. So dürfte es gerechtfertigt sein, wenn ich, Dauns Argumentationen bei-
pflichtend, auch dieses Relief als eine eigenhändige Arbeit des Veit Stoß erkläre,
die mit den im vorigen Abschnitt behandelten gleichzeitig ist.
Höchst wahrscheinlich gehörten als Rückseiten zu diesen Reliefs die beiden,
jetzt an der Emporenbrüstung angebrachten Tafelbilder, von denen das eine die Ver-
kündigung der frohen Botschaft durch den Engel an Joachim, das andere die Begeg-
nung Joachims und Anna unter der goldenen Pforte darstellt. Es sind Kopien nach
den entsprechenden Darstellungen in Dürers Marienleben. Sie bewegen sich im
Stil etwa des Wolf Traut und messen rund 74 cm in der Breite und rund 1,05 m in der
Höhe.
Q
Mitteilimgen aus dem german. Nationalmnseiim. 1908.
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BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER KUNST UND DES
KUNSTHANDWERKS IN NÜRNBERG 1532—42.
Aus dem sogenannten Schuld- und Rechnungsbuche Dr. Christoph Scheuris.
Gesammelt und veröffentUcht von HCINKICH HEERWAGEN.
A Is zweite Folge meiner Auszüge aus dem bunten Inhalt des Dr. Scheurlschen
J^\, Schuld- und Rechnungsbuche gebe ich nunmehr die schon früher^) in Aus-
sicht gestellte vollständige Sammlung aller der Einträge, die auf Kunst und
Künstler in jener Zeit Bezug nehmen.
Im Interesse der kunstgeschichtlichen Einzelforschung schien es wohl ange-
zeigt, diese in der Scheurl-Handschrift allenthalben zerstreuten und so und so oft
hinter Notizen gänzlich anderer Natur geradezu versteckten Belege zur Geschichte
der Kunst und des Kunsthandwerks der dreißiger und vierziger Jahre des großen
Jahrhunderts einmal sorgfältig zusammenzubringen und die möglichst übersichtliche
Gruppierung herzustellen, nach der das Durcheinander der Eintragungen verlangt.
Die nachfolgende Textwiedergabe, der eine von mir schon vor Jahren angelegte
Inhaltsübersicht zugrunde liegt, will nichts weiter sein als die Bereitstellung
eines Materials, dessen Mitteilung zwar keine besonderen Überraschungen bieten kann,
immerhin aber als Vereinigung quellenmäßiger Nachweise eine gewisse Beachtung
verdienen wird. Die Anmerkungen sollten auch nur die allernotwendigsten Erklärungen
und die nächstliegenden literarischen Hinweise aufnehmen. Die Heranziehung der
„Nürnberger Ratsverlässe" in der kommentierten Ausgabe von Th. Hampe*) ge-
bietet sich von selbst.
Eine nicht unwesentliche Ergänzung des noch etwas schattenhaften Bildes,
das wir aus den Niederschriften und Andeutungen des Scheurlbuches gewinnen,
wird, soweit diese die Arbeiten Labenwolfs und Melchior Baiers berühren, sich er-
geben, wenn erst einmal die von mir seit längerem vorbereitete Herausgabe des an-
sehnlichen Briefwechsels des Kardinals Bernhard von Cles, des in jeder Beziehung
größten in der Reihe der Tridentiner Bischöfe'), mit Dr. Christoph Scheurl sich hat
ermöglichen lassen.
Meister Albrecht Bildschnitzer und Maler.
Mai oder Juni 1536.
[f. 131a f.] Item als weilant meiner mutter bruder Steffan Tucher meinem
vattern als er gen hauß zogen ist 1482. einfreulein sambt einemhirsch-
khurn mit Scheurl und Tucher wappen, dofhur er 2 V2 fl. bezalt,
1) Vgl. Mitt 1906. s. 93 ff.
2) Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler im Zeitalter der Spätgotik und
Renaissance von Dr. Th. Hampe. 3 Bde. Wien, Graeser, und Leipzig, Teubner. 1904. 8.
3) 1514-39.
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BEITRÄGE Z. GESCHICHTE D. KUNST UND D. KONSTH AND WERKS IN NÜRNBERG 1532-42. 107
.ns haus geschenkt hat, welchs mir in der taylung worden ist, hat mir auch herr
Christof Kreß obrister haubtman, aller seliglich zu gedencken, ein starcks hirsch-
gwey geschenckt, welchs ich m aister Albrechtn pildschnitzern und
malern unsern nachbaurn vhassen und ein hubschs meisinchs*) weiblein
Übergulden lasn, mit Scheurl und Futterer*) wappen. dofur zalt ich im 4 fl. und
mayster Pangratzn Lawbnwolf, fhur 6 messen*) schenckiketn etc. — ®).
di beyde freulein sollen meine shün Jörg und Christof zu gedechtnüs irs anherrn
und vattern behalten.
Anmerkung Christian Scheurls [f. 131a, am unteren Rande]: „Dißen leichter hat
Christian Scheurl') von fr. Urs. Christ. Derrerin®) bekommen und I638 beydem
Scheurlhauß unter der vesten zu verbleiben gestiftet, neben S. conterfeyen."
Melchior Baier, Goldschmied»).
Arbeiten für Dr. Scheurl selbst und Übernahme der Lieferung eines silbernen Tafel-
geschirrs für den Kardinal Bernhard v. Cles zu Trient.
1532.
[f. 26b.] Item Melchior Bayr goltschmit in der pinntergassn sol mir
machen 2 lustige dople t^°) vhon 8 m dorauf zalt ich im. 25 fl. und mher
20 Joachimtaler und 4 Junii 33 fl. 4 | 28 ^ thut 80 fl.
Item dise zway dopplet, gleichs gewich ts, hochgeverbt und aus der masn wol
vergult, wegen sampt den woppenschiltn 12 m 2 lot 1 q. Sunabnt S. Lorenzn den
10 Augusti. zalt ich den 14 Augusti den rest. di m zu 13 fl. muntz, thut auser-
halb dcs q — 157 fl. 12 ß 6 h. Trankgelt fünf zweifer. der herr verleich mir gluck
dorzu.
di 4 wappen gamalirt wi di wappenstain lies mir Augustin Hirsch-
vogl zu freuntschaft umb 2V2 fl., kosten futer und seck 15|24^.
Thut in alles I6lfl. 2|2^.
und stet unten auf den fuesen herumb:
pone thesaurum tuum in preceptis altissimi & proderit tibi magis quam aurum,
eccl.^^) 29. und auf dem oben tail: Divitie salutis sapientia & scrientia & timor
domini, ipse est thesaurus eius Esa.^^) 33. und auf dem andern toplet: Beatus
4) messingene(s).
5) Dr. Christoph Scheurls Frau Katharina war eine Fütterer.
6) hier freier Raum gelassen.
7) Christian Scheurl (1601 -77). Enkel Christophs 111. und Urenkel von Dr. Christoph (11.).
Biederm. Tab. CCCCXLVl.
8) Ursula Dörrer, geb. Scheurl, 1597—1670, seit 1635 Gemahlin des I670 f Christoph
Dörrer von der Unterbürg. Ihr Vater Georg Scheurl, Pfleger zu Lichtenau (f 161 4) und der
Christians, Hans Christoph Scheurl (f 1632) waren Brüder. Vgl. Biederm. Tab. CCCCXLV,A
und DCX mit CCCCXLIV und CCCCXLVl.
9) t ^577. Über sein Leben und seine Arbeiten vgl. jetzt Th. Hampe, „Melchior Baier",
im II. Bde. des Allg. Lexikons der bildenden Künstler, hrsgg. v. U. Thieme und F. Becker, und
Nümb. Ratsverlässe 1, 426 Anm. 2.
10) Doppelbecher.
11) Ecclesiasticus (Jesus Sirach).
12) Esaias.
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108 BEITRÄGE Z. GESCHICHTE D. KUNST UND D. KUNSTHAND WERKS IN NÜRNBERG 1582-42.
vir qui timet dominum in mandatis, ^loria & divitie in domo eius psal. 3."^
und auf dem obem tail: Vade ergo & commede in leticia panem tuum & bibe
cum gaudio vinum tuum, quia deo placent opera tua. Eccles.**) 9.
Nov. 1533.
[f. 72b.] Noch bin ich schuldig gewesn Mathesn Jorian 300 fl., so er
mir aus freuntschaft gelihen hat 3 monat. di hat im V e n 1 0 zalt und do mit mein
hantschrift erlost und die noch behendig sol er mir widergeben etc.
Ich bin schuldig gewesn wechsigelt seinen schwehern, Conradtn New-
n e r n 243 fl- g- zu 16 patzn. do fhur hat er im zalt 259 fl. 4 ß —
Er hat Hannsen von Fridingen gelihen von meinem gelt und mir
verert 107 fl. 9V2 kr.
Darzu ist mir mein g. hr. Cardinal als schuldig 30 fl. 3 | 6 ^
thut alles 137fl. 4|16^
[Am Rand beigeschrieben:] Card, zu Trient 107 fl. 4 | 16 ^
mher zalt ich den 6 Januarii AI. P i r b 0 u m") 5fl.
März 1534
[f. 76b.] Item mir tt. [tradidit.^J m. gnedigster herr Cardinal zu Trient etc.
hinterstelligs rest 142 fl. 4 | 16 ^
hab ich seinen g. marschalk abgerechnt 1 Martii.
März oder April 1534.
[f. 81b.] Item ich bin schuldig meinem gnedigstn herm Cardinaln zu
Trient 2c. 819 fl. 12V« kr.
April 1534.
[f. 83b.] Item noch ist mir Hans von Fridingen marschalk an stat
meins gnedigsten herrn, selb drit dises monat schuldig wom, fhur mal, Schlaftrunk,
rauh futter, stal, mit und alle zerung, laut seiner hantschrift an datum 29 Aprilis
in 2 monatn zubezaln 41 fl.
Item auf gnedigst ansuchen meins gnedigstn herm Cardinaln etc. zu
Trient etc. hab ich den erstn Aprilis mein verschreybungen vhon Christofen
Fhurem und Kylian Reytwisem umb 5000 fl. r. Mathesn Jorian versetzt umb
4000 fl. und mich gegen im verschriben fhur meinen gnedigsten herm Cardinahi
von Trient k. der solich gelt zu bezalung seiner g. silbergeschirs entphangen
und braucht hat, im das sampt dem interesse als 7. p. c. auf primo octobris on
schaden zubezaln, laut meiner verschreybung der Copien vhorhanden ist, dogegn
sol mir auch widerumb mein gnedigster herr einen schadlosprief geben zc. Also das
ich seinen gnaden auf dise stundt vertraut hab sampt der kinder
gelt 6094 fl.
13) tatsächlich aber aus Psalt 111 (112). Vielleicht war die Zahl 111 für eine römische HI
gelesen worden.
14) Ecclesiastes („der Prediger").
15) als Alexius Pimpaum oder Meister Alexius 1532 und 33 in den Briefen des Kardinals
erscheinend. Vgl. über ihn Neudörfer, Nachrichten von Künstlern und Werkleuten, Edition-
Lochner (Quellenschriften X. Bd.) S. 183 ff. Doppelmayr, Historische Nachricht S. 193.
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VON HEINRICH HEERWAGEN. lOQ
April 1534.
[f. 84b.] Item den 30 Aprilis hab ich entphangen vhon Hansen Pettem buch-
truckern, Steffan Zeylern ringmachern, und Clara Mathes Alfockin Schellnmacherin
wittib, vormundern Alfocken erben, zu m. g. h. C a r d i n a 1 n zu Trient zc. nutz
und bezalung seiner g. silbergeschirs 600 fl. müntz.
Mai 1534.
[f. 85a.] Item adi 2 und adi 5 lih mir doctor Gregori Kreutzer dem g o 1 1-
schmidt fhurm. g. herm Cardinalnzu Trient ic 53 fl. müntz und 39 fl.
golt. vergab ich zu 68 kr. thun dise bede summa 97 fl. 12 kr.
und solich 97 fl. 12 kr. zalt ich doctor Krewtzem widerumb zu danck 21 Maij p.
Steffan Kemla in der schau.
1534.
[f. 88a. f.] und hat Niklas Lintzer den 8. Julii zu Prag entphangn
vhon m. g. herrn Cardinaln zu Trient ic. 553 fl-» so ich seiner f. g. hofmarschalckn
den letztn Aprilis aufbracht hab. 5 fl. fhur Interesse. 41 fl. des marschalcks zerung.
5 fl. fhur packeisn und sunenur. thut 604 fl. doran innen behaltn fhur Conradtn
Newners woppenprif: 16 fl. restat 588 fl. di sol er auch in ^ verwechseln und
Neusessem uberschickn, und bleibt mir mein gnedigster herr Cardinal zc. noch
p. resto schuldig fhur di 12 eßsilber 138 fl.
Ist alles zalt zu präg Niklasn Lintzem an meiner stat.
Item als ich meinem gnedigsten herm Cardinaln zu Trient 2c. auf meinen
glouben aufbracht hab bei Mathesn Jorian 4000 fl. primo octobris zubezaln sampt
140 fl. abnutzung hab ich seinen f. g. geschribn. Sunabnt S. Christofs, den 25 Julii.
diselben zu bezaln primo octob. oder primo Novemb. gar oder halb, und von dannen
in 3. 4. 5. oder 6. monatn. auch zu halben tailn, di gantzn suma. zu seiner g.
besten gelegnhait und wolgefallen, sampt der nutzung, nach marckzal allein das
mich sein f. g. irs gemuts zeitlich verstendig. domach habn zu richten.
August 1534.
[f. 89a.] Item als Niclas Linntzer vhon meinen g. herm Cardinaln zu
Trient zc. eingnomen hat vhon meint wegen fl. 726 hab ich im geschriben Amoltn
Hubnern zun. 5. krönen zubezaln, und solich gelt Sebastian Wolfen übergeben
und dorauf bezalt fl. 274. dise 1000 fl. sol er meinen pflegkindern verzinsen ein
jar lang mit 5 p. c. Actum 6 Augusti.
[f. 89a.] Item als ich fhur m. g. herrn Cardinaln zu Trient k. Mel-
chiorn Bayrn schuldig worden bin fl. 137 kr. 49, zalt ich im bar 7 Augusti
fl. 100. rest fl. 37 kr. 49,
di zalt ich im auf 20 Augusti.
Oktober 1534.
[f. 92b f.] Item als ich hiobn a. eh. 83. eingeschribn, das ich m. g. herrn
Cardinaln zu Trient ic. bei Mathesn Jorian 4000 fl. mit 7 zu verzinsn von
1. aprilis bis auf primo octob. aufbracht, und im 2 verschreibung umb 5000 fl
verpfendt und mich dofhur verschribn, und ich aber auf seiner g. ersuchen solich
summa, bis auf 1. aprilis ansthin zulasn bewilligt hab, wi mir dann s. f. g. den
18 sept. statlich zugeschribn hat auf di selben zeit gewislich bezalung zuthun, wo
es änderst nit ehr beschicht, und aber Jorian des halben tails bezalt wollen sein,
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1 10 BEITRÄGE Z. GESCHICHTE D. KUNST UND D. KÜNSTHANDWERKS IN NÜRNBERG 1582-4«.
hab ich in disen monat octob. verwisen und vergnügt hin und wider 4000 fl. haupt-
suma und 140 fl. interesse, und dodurch mein Schuldverschreibung erledigt und mein
2 verschreibung umb 5000 fl. widerumb zu meinen handen bracht und entphangn.
Item mir hat den 6. Novemb. Gastl Fugker von wegen hochgedachts m. g.
herrn Cardinaln k. zalt 140 fl. obgemelt interesse, dorumb ich quittirt hab.
Also bleibt mir mein gnedigster herr schuldig den ersten octob. 4000 fl. mit
7 zuverzinsen bis auf primo Aprilis, dorumb ich keinen schadlos noch schuldprif,
sonder hab seinen f. g. unterthenig getreuer wolmainung bioslich dorumb vertraut,
das eben gnung, ist es nit zu vhil.
März 1535.
[f. 99b.] Item doran hab ich entphangn vhon Hansn von Fridingen
auf Hohen kreen, Trentischen marschalk, am monat selb drit costgelt 41 fl
1535, 5. Juli,
[f. 105a.] Item ab ich den erstn Aprilis 1534. meinem gnedigsten herrn
Cardinaln zu Trient zc. auserhalb seiner f. g. Obligation, auf mein verschreibung
und verpfendung. 4000 fl. zu erledigung seiner g. silbergschirrs mit 7 zu-
verzinsn aufbracht bei Mathesn Jorian, auf 6. monat, und als er. 2000 . fl. primo
octob. zalt wolln sein, im die gantzn suma bezalt und hochgedachtm. m. g. herrn
6 monat, und volgent 3 monat vertraut und ansthin lasn hab, sein mir solich 4000 fl.
sambt dem interesse 9 monat und 75 fl. meiner kinder zinsgelt den erstn Martii
vertagt, bezalt durch die Fugker den. 5. Julii. anno gots geburt 1535. —
Thut — fl. 4285.
1536.
[f. 126b.] Item als ich Benedictn Prabant vhor einem jar 12 h o f-
b e c h e r vhon 10 m 15 lot 3 q wercksilber machen lasn und für di m 9 fl. 10 thut
104 fl. 7 ß zalt, hab ich diselben Melchiorn Bayrn zugestelt und 16 ander
pecher machen lasn, halten 13 lot 3 q 2 ^. Sein pesser dan di vorigen 1 q 2 ^
wegen all 16 . 12 m 10 lot 2 q 0 ^ wigt ainer 12 lot 3 q 1 'Si- di m umb 9 fl.
3 ort muntz. Thut 123 fl. 7 ß 11h ^/s doran entphangn obgemelten wert 104 fl.
7 ß rest ich 19 fl. 0 ß 11 h, mher 2 zweifer tranckgelts von 2 pechem zuverkoufn.
für 2 seck und tranckgelt.
Febr. 1536.
[f. 127a.]
M. Payr
C ardinals
trinkgeschirr ,
Item ichsolMelchiorBayrn goltschmidt für ain zw i-
fach sc he ur lein"), schickt ich m. g. h. von Trient etc. und
habs p. Niclasn Goswein meinen schwogern aus Wien entphangn —
thut 42fl. I8fi2h.
August 1536.
[f. 133b.] Item Adi 9 Augusti verkouft ich M e 1 c h i 0 r n B a y r n di andern
liberung nemlich 50 m 1 lot 2 q Thut fein 49 m 8 lot 0 q 1 ^ p 14 ß get ab zu pro-
birn und wegn 7 ß rest 473 fl. 6 ß. dovhon gebum meinem shun Christofn V* thut
118 fl. 6 ß 6 h So geburn gf Jheronimus etc. und Jorgn Neusessem 354 fl. 19 ß 6 h.
16) Dimin. von „die Scheur**, „Scheuren'*, etc. - Pokal, Becher. Schmeller, Bayer
Wörterb. II, 456 f.
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
111
Solche suma hab ich Neusessem sambt der zupuß und Holtschuher 615 fl als-
bald vergnügt.
Oktober u. Nov. 1536.
[f. 139a.] Melchiorn Bayrn goltschmidtn in der pinter-
g a s s e n hab ich berurt 33 fl. 6 1 11 ^ vhon meintwegen einnemen lasn zu behaltn,
auf rechnung, mir mit der zeit ein trinckgeschirr doraus zu machen.
Item ich kouft vhon im den 11. Nove. ein p e c h e r, den ich Gorgn schenckt,
wigt 11 lot 1 q 1 ^. di m p. 9 fl. zu freuntschaft — Thut 6fl. 7ß2^
[Nachtrag:] hab ims zalt den 9 Januarii 1538 p. Jorgn Neusessem.
September 1537.
[f. I60b.]
Solich 28 fl. hat Melchior Bayr vhon meint wegen entpfangen 15 octob
35 fl. 6 I 11 ^, vnd mir doran geben ein p e c h e r p. 6 fl. 7 ß 2 h. rest er mir wi
hioben eingeschriben ist a eh. 139 Thut 35fl. 3/ H^
[Nachtrag:] den pecher zalt ich im. 9. Januarij 1538.
Januar 1538.
[f. 173a.] Item als der frum fürst, m. g. herr herzog Jörg etc., alter ge-
wonheit nach, mir heur Martini abermaln 2 gute grose vhaß Kotschpergers^^), ge-
schickt, mit bevelh, das ain herm Anthoni Fugkem zu verordnen, [und] das ich»
ungeachtet das der furman dem ainen beim Potnstain den poden ausgefarn hat,
gethon, und seinen g. geschriben hab, quod sufficiat mihi gratia sua, das ich gar
keiner vergleichung beger und mich dits iar mit den 27 aimern Mainzischs weins mich
behelfen wol, hat sein f. d. aus fürstlicher milde mir dogegen verert und geschanckt
am tag Epiphanis^®) 50. neu Joachimstaler Thun zu 67 + 57 fl. 7 |, hab ich alspald
Melchiorn Payrn zugestelt, mir ein lustig, kunstlich tringk-
geschirr, mit meinsg. herrn pildnus, wappen und schritten
zu seiner f. g. gedechtnus doraus zu machen, deo gratias. Benedictus deus in donis suis.
1538, 9. Januar.
[f. 173b.] Item ich hab Melchiorn Bayrn goltschmidt, sein
rechnung lauter geschickt, den 9 Jan. und er b 1 e i b t m i r auf beschehene zalung.
aller ding netto s c h u 1 d i g 117 fl. 5 | minus 1 ^.^^)
mher schickt ich im für Hans Johenin pecher entphangen 10 fl. ich hab
mit im abgerechnt 7 Maij ic. mir 100 fl. 7 | 3 ^. er zalet für mich T r u n c k*®) für
17) Eine Weinsorte, die Christoph Scheurl wiederholt von den sächsischen Herzogen zum
Praesent erhält und die in der Korrespondenz der letzteren mit Dr. Scheurl (zw. 1531 und 1540;
vgl. Akten des Scheurl- Archivs Vc) demgemäß häufig genannt wird: ketschber most, ketzberger
wein; 1538. X. 15: kotzschberger mosts als gut er uns das jar gewachsen; 1540 X 31: ein fuder
kotzsberger neuen weins Reckwitzer gepirges. Offenbar handelt es sich um einhei-
misches Gewächs (ein Reckwitz liegt bei Wermsdorf und Grimma, im heutigen Kgr. Sachsen)
und nicht um den Weinbergsort Kotschberg, Kotschkiverch, in Steiermark, Kr. Marburg, bei
Radkersburg.
18) 6. Januar.
19) Vgl. „Meiner Pflegkinder Rechnung v. 1. Sept. 1537 bis auf 1 Martii 1538'* von Dr.
Scheurls Hand (Akten des Scheurl-Archivs 11 1, 10, auf S. 11): „Item ich hab beym Thucher 40 fl.
und beim Melchiorn Bayrn 117 fl. 4 f 29 ^ für silbergschir verordnt'*.
20) Lorenz Trunck, Goldschmied. S. weiterhin unter diesem Namen.
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1 12 BEITRÄGE Z, GESCHICHTE D. KUNST UND D. KÜNSTHAND WERKS IN NÜRNBERG 1582-40.
1 gurtl 17 Maii i6 fl.
ist alles zalt 5 Junii.
1538, 13. August.
[f. 183a.] fl. 28. die hab ich einnemen lassen MelchiorPayrin
goltschmidin.
1540, 1. September,
[f. 226a ff.]
Zwo gülden scheu rn.
Item ich hab im namen gots, mir und meinen lieben shunen Jörgen und Christofen,
mein wil got auch dobey zugedenken zwo vast wol übergult, kunstlich und lustig,
zwifach scheurn meinen goltschmidt Melchiorn Payrn machen
1 a s e n. di ain wigt. 6 m 1 1 lot 0 q 2 .5) . In dem ainen tail inwendig stet unsers heim
kaysers pildnus und dorumb geschriben: Caesar imperat. Carol. 5. Imperat. Augustus
ann. etat. XXXVI. Auswendig stet geschriben: Tu nwdicum habuisti, antequam
venirem ad te, et nunc dives. Gen. XXX.
In dem andern tail, ist der romischen kayserin pildnus loblich zugedencken,
mit diser umbschrift: Isabella Caroli Imperatoris uxor. und auswendig geschriben:
operib. manuum eius bene dixisti, et possessio eius crevit in terra Job. 1.
Die ander scheurn*^) wigt 6m12lotOqO^. In dem ainen tail, stet meins
frumen christenlichen fursten herzog Gorgen von Sachsen etc. gotseligen, fursichtige
pildnus, mit ainer herrlichen stirn und gwaltigen part, mit diser umbschrift : Semper
laus eius in ore meo. Etat. ann. LXVI. Auswendig aber verlaut die schritt: Dominus
autem benedixit novissimis Job, magis quam principio eins. Job XX XXII.
Im andern tail inwendig stet auch hochgedacbts christenlichen fursten pildnus,
aber seitlich, mit einem langen spitzigen part und diser umbschrift: Semper laus
eius in ore meo. Aber auswendig herumb verlautet die schritt: Substantie iniustorum
quasi fluvius siccabuntur. Eccl. 40. und auswendig in den 4 fuesen, hab ich machen
lasen, unser neu adenlich zwischiltig wappen, mit dem gekrönten turnershelm und
pfaenfedem, und einem anhangenden klaynen Futterer schiltlein und der jarzal
1 540. doruber. Dofhur zalt ich V i g i 1 i u s*^) i 1 1 u m i n i s t e n fl. g. 4. di wegen
alle viere 2 q 3 ^. Also das auser ( }) berurten abzug dise zwo scheurn von gutem
wercksilber vhon 14. lotten, und auf das reichlichst übergult, wegen 13 m 6 lot 1 q
3 ^. zalt ich Melchiorn Payrn zu freuntschaft für di m fl. 13 ß 10 thut grobe
muntz fl. 180 ß 18. h 6. Mer zalt ich für die 2 leine seck. ß 4 vnd für di zwey futter
mit grünem tuch ausgefuttert, und auswendigen gerissen woppen, Scheurl und Futrer,
und der jarzal 1540 fl. 2. und den goltschmidtgesellen zu tranckgelt ß 6.
Suma das mich dise bede wol übergulte kunstliche scheurn geschm. aller ding
thut fl. 187. ß 17 h 2 Thut aine fl. 93 ß 18 h 7.
Actum Nurmberg prima Sept. 1540. Manu propria. Benedictus deus in donis
suis, der verleih sein gnad, das mein Hb shun zu ehrn, frolich doraus trincken. &
dicat omnis populus Amen.
21) am Rande von späterer Hand beigeschrieben: „Carl Scheurl hat dise überkomen".
Carl Scheurl (1 566— 1625) war der dritte Sohn Christophs 1 1 1., somit ein Urenkel des D r. Christoph (I I^
22) Virgil Solis d. Ä.
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VON HEINRICH HEEBWAGEN. 113
1540, 1. Nov.
[f. 227b.] Item ich hab emphangen vhon meinem oheym Jacoben Tüchern
losungschreiber, meinen herrnsolt fl. 50 golt und geben Melchiorn Payrn
goltschmitp. 71 ^ thut fl. 59 i^ 3 h 4. an bezalung der zweyer scheuern.
Nov. 1540.
[f. 228b.]
Silbergschirr
Melchior Payr.
Item als hi oben a. eh. 226. geschriben stet, das ich 2 schon ubergult scheum
machen lasen, hab ich mit Melchiorn Payrn goltschmidt an der
p i n d e r g a s s e n am tag S. Andree^) gutlich abgerechnt. und im zalt für b e -
melt2scheurn wegen auf abzug 2 q 3 ^ der wappen 13 m 6 lot 1 q 3 ^, di
m p. 13 fl. 10 p thut fl. 180 ? 18 h 6. für 2 sack ß 4. für 3 kelchpecherlein
2 m 1 lot 1 q 1 ^, di m p- 10 fl. 10 ß fl. 21 ß 17 h 1. für ainen hofpecher,
den ich meinem gevattern Jörgen Götzen schencket, wigt 13 lot 0 q 2 ^ di mp.9 fl.
5 ß. thut 7 fl. 10 ß 3 h. fhur ein tutzet puchsboumer löffel zubeschlagen
mit ubergulten Stilen, jvegen 4 lot 1 q 2 ^, 1 lot p. 1 fl., thut 4 fl. 7 ß 6 h.
für einen abgössen Cardinal vonTrient, wigt 1 lot 2 q 1 .5), thut 15 ß, und
für 4 e s 1 0 f 1 , kouft er mir ins haus 5 ß 3 h. Thut alles fl. 215 ß 17 h 7.
Dez. 1540.
[f. 229b.] *
. . . Solich 40 fl sambt 7 ^ aufwechsls, 1 fl. g. minus 8 ^ schickt ich M e 1 c h i 0 r n
Payrn goltschmidt, und hab in domit aller dingk gar bezalt.
Jan. 1542.
[f. 252a.] Item Nicklas Goswein hat mir 21 Januärii vhon wegen Gabrieln
Tuchers zalt sein halb iar kostgelt vhon prima Julii bis prima Januärii fl. grob gelt 20.
di hab ich alsbald Melchiorn Payrn einnemen lasen, und im domit bezalt
den hintersteiligen rest, für das bedeckt trinckgschirlein,soermirzu dem
Maintzischen gemacht hath.
Benedikt Brabant.
1535.
[f. 98a.] Item als ich lange zeit zu hof bechern begerd und naigung ge-
tragn, hab ich mir dero mit rot Christofen Ploden, Benedict Prabannt zwelf
machen lasn zu 14 lot 2 q 2V3 ^ wegen all. 10 m 15 lot 3 q. di m umb 9 fl. 10 ß
grober muntz zalt ich suntag Letare Jherusalem. den 7 Martij 1535. thut —
104fl. 7ß.
der guttig herr got verleih mir und dem lieben shun Jörgen und unsem nach-
komen, mit seinem gotlichen segen und gnaden frolich doraus zu trinken. Bene-
dictio domini divites facit, nee sociabitur afflictio. prover. 10.
[f. 99b.] Item fhur 12 silbren hofbecher, sambt zweyen sacken
und futeraln 105 fl. 7 ß ")
23) 30. November.
24) Zur gleichen Sache nochmals Januar 1536 [f. 126b]. Siehe oben unter Melchior Baier.
Mitteilungen aus dem grerm&D. Nationalmuseum. 1906. lo
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114 BEITRÄGB Z. GESCHICHTE D.KUNST UND D. KUNSTHAND WERKS IN NÜRNBERG 1589-42.
Brachvogel, Hamischmacher.
1532.
[f. 23b.] Ich hab mit hulf mains schwogem Hannsn Johanns herm Jacoben
pischoffen zu Preslau ic.den Prachvogel auf 300 man hämisch
machen lasen und seinen f. g. zu S. Jorgentag") geschickt, und fhur den hinter-
stelligen rest 242 fl. 1 1 14 .5) benantem Johan verbürgt, den selben rest hat s. f. g.
durch Sebastian Wolf gar bezalt 3 Julii 1532.**)
Jörg Puchner» kandlgieser.
Febr. 1536.
[f. 127b.] genannt.
Jörg Dietherr d. J.» Münzmeister.
1532.
s. unten unter Lorenz Kellner.
Michel Felser, Kandelgießer.
August 1532.
[f. 6a.] Item ich zalt Micheln Felser kandlgiesem hinterdenparfusern
fhur 12glat schusseln, wegen 71 |., vhon saifenzin, den c umb 9V4 fl. und
vhom / ain zweifer, zu machen, den 17 Augusti thut 9fl. 3|20^.
Darunter steht, von Dr. Chr. Scheurls Hand später hinzugefügt, dieser Nachruf:
„Er starb im sterben 1533- Helf im got. Ein schon gerad man".
1532, 7. Nov. J
[f. 36a.] 7 Nov. zalt Micheln Feisem, kandlgiesern hinter S. Katherina, fhur j
6 welsch zine schussel und 4 zilich ^) schusseln von gutem saifen zin den c roch*®) umb
10^/8 fl., wegen 54 / '/4 zu 39 '3\ und ein welsch salzvhas dorein, thut 8 fl. 3 | 27 ^,
12 ^ trinckgelt, und schannckt die Anthonien Vento zu vergleichung etlicher ge-
schenck, sunderlich der inditien.
1532, 14. Nov.
[f. 38b.] Item den 14. Novemb. zalt Felsern kandlngiesem für 4 teglich eß-
schusseln und 4salzschusselein, wegen 14^/4 1, das | umb 39 ^, thut 19 | 4 ^.
Mathes Gebel, Bildschnitzer und Medailleur.*^)
Juli 1533.
[f. 64b.] Item ich hab maister Mathesn Gebein mich und mein weib
auf silbergroschn abconterfetten lassen und im dofhur zalt
25) 23. April. ^
26) Von Briefen des Bischofs Jakob von Salza zu Breslau (1520 — 39) an Scheurl - sie waren 1
zu Bologna „beieinander in studiis gewesen** (vgl.Knod, Deutsche Studenten in Bologna 1899, S. 476,
Nr. 3237) - sind erst solche ab 1532 im Scheurl- Archiv erhalten. [Akten Vd.] Der erste Brief,
d. d. 1532, 22. Aug., erinnert an einen einzelnen vom Bischof in Nürnberg bestellten Harnisch.
Das zweite Schreiben v. 19. Nov. 1532 kommt noch einmal auf die längst erfolgte „bezalung des |
letzten restes des hamuschgeldes" zurück.
27) zierlich?
28) roh. /
29) Diese Einträge hat inzwischen Th. Hampe zum Ausgang einer Studie gemacht: Bei- ,
trag „Zu Mathes Gebel" in der Festschrift, hrsgg. vom „Verein für Münzkunde in Nürnberg**. ... \
Nürnberg 1907, S. 37 ff. Vgl. auch Nürnberger Ratsverlässe, hrsgg. von Hampe, I, Nr. 2212 mit 1
Anm. 1.
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VON HEINRICH HEKRWAGEN.
115
4fl., der hat er 5 und meins brudern seligen 2grossen vhon
7 Joachim-thalern gemacht; dofhur zalt ich im 4 / 6 ^. den 11. Julii.
August 1533.
[f. 68a.] Ursula Seufrid Pfinzingin schenkt ich ainen meiner pildnusgroschn
7 augusti und Christina Jörg Neusesserin®®) ainen sampt 20 zuckerte leckkuchlein,
kostn 1 fl. 8 augusti. Ir bruder Caspar Mardroffer aß mit mir früe, 6. Augusti und
mein geschwey schanckt mir 1 silbren pisapfl im wert 1 fl. 7 Augusti.
Meister Heinrich» Bildhauer.
1532.
[f. 26a.] Item ich zalt maister Hainrichn pildhauem 6 decemb. 6 fl.
1533.
[f. 45a.] mher M. Hainrichn 4 fl.
Vgl. den vollständigen Auszug über die Visierungsarbeiten zu einem von Bern-
hard V. Cles, Kardinal und Bischof von Trient, geplanten Kunstbrunnen im folgenden
unter Pankraz Labenwolf.
Augustin Hirsvogel.
[f. 26b.] S. oben unter Melchior Baier.
Jakob Hofmann»') und Martin Kraft.»')
Juli 1540.
[f. 224a.]
Mersolt er [Gothart Konigk] mir antworten, fhur d i r i n g, so ich vhon Martin
Kraft, und Jacoben Hofman erkouft hab, fl. 100, auf rechnung, di Über-
maß werd ich ihn wol widerumb gut machen.
dovhon zalt ich alspald Martin Kraft durch sein Schwester Anna an zwelfem
fhur den gutten saphir fl. 37, und im zu trankgelt ß 10 26 Julii. Mer zalt ich J a c 0 b e n
Hofman für 1 2 r i n g 1 e i n fl. 54.
März 1542.
[f. 245b.] Item die k e 1 1 e n so ich Christof Furerin ins kindtpet irs jungen
shuns Christofen geschenkt hab, hat gewogen 11 fl. golt ein halb ort zu X 71 V« und
fl. 2 macherlon. zalt ich Jacoben Hofman zu 15 patzn fl. 15 ß 2 h 2.
Jörg Hutter, kandlgieser.
1536, 8. Aug.
[f. 133 b.] genannt.
1536, 5. Okt.
[f. 139a.]
Jörgen Huttern kandlgieserin hinterm tuchhaus.
1541, 22. Nov.
[f. 249a.] genannt.
30) Die Frau von Dr. Christofs Geschäftsfreunde Jörg Neusesser in Joachimsthal.
31) 1553. 22. Nov., verkauft Jacob Hofmann, Goldarbeiter, Bürger und des großem Rats
zu Nürnberg, an Endres örtel den Alt. sein Haus in der Breiten Gasse. Orig. Perg. Urk. des Frhrl.
V. Scheurrschen Familienarchivs. Das anhangende wenig beschädigte schöne Siegel des Aus-
stellers und Verkäufers zeigt im Schilde ein nach rechts springendes Roß, als Helmzier des Wappens
einen flugbereiten Vogel (Adler?) auf einem Dreiberg, Im übrigen s. Ratsverl. I, 363, Anm. 3.
32) Martin Kraft d. J. Vgl. Ratsverlässe I, Nr. 479 Anm. und Nr. 3515.
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116 BEITRÄGE Z. GESCHICHTE D.KUNST UND D. KUNSTHANDWERKS IN NÜRNBERG 1532-42.
Lorenz Kellner, Goldschmied.'')
1532.
[f. 22b.]
Katherina doctor Chri-
stof Schewrlin.
[am Rande:] Was ich meinem weib schuldig bin und ir unser shun Jörg zalen soll.
Es ist zugedenken, das ich meinem weib di prautketen so ich ir geben, und
ein ketlein, vhon trot, so si zu mir pracht, durch Hansen Lochingern umb 28 gülden,
mher iren silbren pater noster, so ich doch zu irer gürtl verpraucht, umb 7 gülden
und ir schlayr umb 18 ein halben gülden verkouft und dorzu vhon ir bei 12 gülden
so ir herzog Heinrich von Braunschweig zuletz gelasn, entlehnt, thut alles bis in 66 fl.
dogegen hab ich ir kouf t vhon Jorgn Ditherrn ungrisch golt, 25 \ 2 gülden,
schwer 6 lot, umb 35 fl. 1 ß, und reinisch golt, auch 6 lot, di m umb 72 fl. minus V*>
umb 26 fl. 18 ß 2 h, thut an müntz 67 fl. 5 1 4 ^, dovhon hab ich ir machen losen,
den Lorentzn Keiner untherm Ditherrn ain schone lustige zaum-
oder zuglketten, thut zwen dinst, dann man mag si kurtzer und praiter machen zu
ainem kelpentlein, wi ein glegte ketten, wigt 51 ung. gwicht, ich gab im zu machen
aus freuntschaft 2fl. 3 zweifer,
di hab ich meinem weib geschenkt, als si aus shuns Jörgen kindtpet gangen ist, doch
zu bezalung obgemelter und aller andrer schulden, den 28 Maii 1532.
Item ich hab naigung tragen, di ketten lasen lenger zu machen, und darzu
gelegt 10 gut ung. gülden, so ich den Tucherischen abverdint hab, 10 gut r[heinische]
gülden und 6 chronen, mher 5 fl. V* halb ungrisch halb reinisch, zalt ich zu 11 /, also
wigt di ketten 81 V* ungrisch gülden gwicht; so gab ich im vemer zu machen andert-
halben gülden. Also gestet mich di ketten im namen des herrn hundertzwelf fl. 3 |
2 ^ 27 Julii 1532. Benedictus deus.
Martin Kraft.
s. oben unter Jakobf Hof mann.
Pankraz Labenwolf'^)
und die Arbeiten zu einem Kunstbrunnen für den Kardinal
Bernhard v. Cles.
Aug. 1532.
[f. 6a.] Als mir h i v h o r 6 messen leuchterrorn an die wendt
vhon Peter Fischers testament geschankt sein, hab ich noch
6und12hanthaben und 61euchterdieim fhus hol sein machn lasn und
Pangratzn Lawbnwolf dorfhur bezalt 19 Augusti 5 fl
[f. 25b f.]
1532.
Cardinal vhon Trient.
Meinem gnedigstn herrn herrn Bernhardtn Cardinaln und
pischofen zu Trient k. überschickt ich di rechnung den 12 februarii und
stin g. sol mir p. resto thut 22 fl. 6 | 28 ^.
33) Vgl. a. Hampe, Nümb. Ratsverlässe, I. Bd., S. 305 Anm.
34) Vgl. die Literaturangabe bei Hampe, Ratsverlässe, I, 540 Anm.
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
117
Item ich zalt maister Pangrotzn Lawbenwolf rotgiesern
bei der schmelzhutten auf der arbalt der 5 par prantrutten, den 4 februarii 100 fl.
doran sol er mir auf beschehene rechnung thut 42 fl. 2 | 22 ^.
Hochgedachten m g herm Cardinaln, hab ich etliche andre dingk machen lasn
und verrichtet, thut in suma alles }20 fl. 8 patzn minus 1 ^ und hat mich sein f. g.
des rests nemlich 120 fl. 8 patzn minus 1 ^, zu Regnspurg den 4 Maij 1532, an Joachim-
thaler zu 16 patzn, zu dank entrichtet.
Meinem gnedigstn herrn CardinalnzuTrientic. hab ich gelihen, seiner
g. zeltmachern maister Jacoben Rennern, auf di 3 zeit 50 fl. und fhur
den stull, prunnenvisirung, milaun, und anders 26 Julii — thut 69 fl.
und fhur den andern lidren stul 4 fl. 73 fl.
doran entphangen den 16 Augusti 50 fl. restat 23 fl.
di hat mir auch zalt Hans vhon Fridingen, seiner g. hofmarschalck, den
27 Augusti, do ich seinen f. g. auf derselben Silbergeschirr, vhon M a t h e s n
J 0 r i a n aufbracht hab, auf 7 p. 3000 fl., und di s i 1 b e r s c h 1 ü s 1 [sie'] zu mir
gnomen und in mein eisnes truhelein gelegt, do man sie findet.
Ich hab seinen g. gelihen Erharten Schon fhur ein p r u n n e n v i s i-
r u n g den 27 Sept. ' Ifl. 4|6^
und 24 ^ trankgelt. —
Ich zalt Marg. Pirpowmin 24 Novemb. 8fl.
von der visirung tranckgelt 24.5)
Item ich zalt maister Hainrichn pildhauern6 dezemb. 6 fl.
Ich zalt im durch Mathesn 27. Janua. 6 fl
1533» 7. Januar,
[f. 45 a.] Item mein gnedigster herr CardinalzuTrientistmir schuldig
ut sup. eh. 26 15fl. 5|24A
Maistei Erhartn Schonfhur visirung 1 fl. 4|6^, für roln 40 \
mher M. Hainrichn 4 fl., Seinern trinkgelt 2 patzen visirung.
Juni 1533.
[f. 62a.] Item mir hat m. g. hr. C a r d i n a 1 zu T r i e n t etc. auf di
prunnenarbeit verordnt und haben mir di Fucker zalt den 26. Junii thut in
suma — auf mein Quittung 200 fl.
Sommer 1533.
[f. 62b f.] Item sunabent 28 Junii hat Pangraz Lawbnwolf, rot-
gisse r, m. g. h. von T r i e nt etc. prunnenin di wag gefhurt, hat gewegn
8 c 72 1 den c zu 18 fl. thut 150 fl. 19 ß 2 h.
dorauf zalt ich im des selben abents 100 fl. und in di wag zu fhuren und wegen
2|7^.
[f. 64a.] Item den 10 Julii schickt ich den prunnen wegk und
meinem g. herrn von T r i e n t und sein rechnung, bleibt mir sein f. g. schuldig
30 fl. 3 I 6 ^.
1533. 9. August,
[f. 68a.] Sunabent vigilia Laurentii, waren alle dingk lauter abzalt / in der
gantzn stat / dann so vhil den handl antrift, und ich het in vorrat 4 | 0 ^, und
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1 18 BEITRiGB Z. GBSCHICHTE D. KUNST UND D. KONSTHANDWERKS IN NÜRNBERG 1582-42.
mein wcib zur haußirung in 2 fl. Allein was ich schuldig Pangratzn
Lawbnwolf rotgiesern. 59 fl. 1 I 7 J5\, dogegn warn mir schuldig m. gi
herr von T r i e n t 2C. 30 fl. 3 | 6 ^ und di von Paßaw 50 fl
1533, 16. August,
[f. 69a.] Item ich hab den 16 augusti durch banden Wilhelmen Schmidma)rrs
von einem erbern rot zu Paßaw entphangen meinen jarsolt 50 fl. und alsbaldt ant-
wortn lasn Hansn Menseln seine gelihene 25 fl. und Pangr. Lawbnwolff
auch 25 fl restat ich im noch 34 fl. 1 / 7 .5). [am Rande ist das Wort „zalt" bei-
gefügt.]
1536.
[f. 131b.] s. 0. u. Meister Albrecht.
Berthold Peih, Goldschmied.
1538, 10. Januar,
[f. 173b.] Item ich hab entphangen») 2 st. No. 94. 106. Thut 30 m lott N.
gwicht. habe auch hi in der schau gewegn 30 m 4 lot 0 q. halten 15 lot 3 q 1 ^.
fein 29 m 14 lot, q1.5)verkouft Pertolt Pelh goltschmidt 8 fl. 16 ß thut p. 66
+ 263 fl. 1 ?. Thut zu 66 + 289 fl. 7 ? geburt Junckern Christoffen für sein M^ji m
120 fl. 2 h und der rest Newsessem thut 169 fl. 5 ß 10 h. Thut der unkost 6 fJ.
Hans Platner.'^).
Okt. 1537.
[f. I62a.] Item Hanns Platner hat mich abconterfeth, und mein
mutter selig verneuet, hab ich zusamen in 2 teffelein verfassen und be-
schlagn lassen, dofhur zalt ich Platnem für meins 2 fl. 4 | 6 ^ und für mein
mutter seligen und zu tranckgelt seinemshun4|6^.
[Hierzu Randbemerkung Christian') Scheurls: „NB. Diße beedte täffelein hab
ich D. J. S. { ?) Christian Scheurl 1638 im hauß der Scheurl zu verbleiben gestifftet."]»')
Erhart Schön.
[f. 26a, 45 a: s. 0. b. Pankraz Labenwolf.]
35) Als Anteil an der Bergwerksausbeute.
36) Vgl. Hampe, Nümb. Ratsverlässe I, S. 202 Anm. 1, Nr. 1323, 1872 und 2979, die Nach-
weise Mummenhoffs in den Mitt. d. V. f. Gesch. d. St. Nbg. H. 10, S. 63 Anm.
37) Von den erwähnten beiden Bildnissen wird das der Mutter, der Helena Christoph Scheurl,
geb. Tucher (1462-1516), ein 44,5 cm hohes und 30,5 cm breites Holztafelbild, dat. 1491» noch
heute im v. ScheurKschen Hause hier, Burgstraße 10, aufbewahrt. Die Dargestellte erscheint
mit gelöst herabwallenden Haaren, welche durch einen Perlenkranz zusammengehalten werden
und in graugrünem gemustertem Gewände (Dr. Fr. Tr. Schulz im Katalog der histor. Ausstell,
der Stadt Nürnberg auf der Jubiläums-Landes-Ausstellung Nürnberg 1906 unter Nr. 198, S. 77).
Auf der Rückseite der Tafel unten ist ein Pergamentstreifen aufgeklebt mit dieser Aufschrift:
„Helena Tucherin nascitur posthuma 24 Julii 1462 uxor Christ Scheurls. 2 Aug. 1480 Istum
parit 11 Novemb. I48l. amatque ardentiß. moritur 7 Junii 1516. vixit ann. 53- Mens. X. dies:
4 An. 1491. Actati 29.
1537 Ließ Christ: Scheurl Dtr. dißer alß seiner 1. Mutter sei. Ck)nterfei Durch Hans Plattner
mahler vemeuem vnd Christian Scheurl bedte 1638 ingleichen durch Leonh. . . . erle. (?)'*
Den letzten Namen vermag ich mit Sicherheit nicht zu entziffern. Vielleicht Leonh.
Heberle (1584—1656) ? Über den Verbleib des entsprechenden Bildnisses von Dr. Christoph
Scheurl hat sich bis jetzt nichts in Erfahrung bringen lassea
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
119
Virgil Solls d. L
[f. 226b: s. 0. b. Melchior Baier, Sept. 1540.]
Niklas Stör»''), Maler
1532, 18. Sept.
[f. 35a.] Mir schanckt mein maier Nicklas Stör ein schwarz ein-
gepunden wappenpuch den 18 Sept. im wert 1 fl.
(Lorenz) Trunck^), Goldschmied
1538.
[f. 173b.] s. o. b. Melchior Baier [1538, 9. Jan.].
[f. 177a.] Freitag 17 Maii kouft ich von Trunck goltschmidt, meinem
w e i b ein schmale sammate beschlagne gurtl, wigt das ubergult
beschlech l4Va lot. Thut alles grob gelt 16 fl.
Wolf Ulpeck, Münzmeister zu Schwabach (1528— 63) *<>).
März 1538.
[f. 175b.] Item der kinder 86 m 12 lot. Sein verkouft 19 Apl. Wolfen
Vlpeckn muntzmaistem zu.Schwobach p. 17 ß. Thut 820 fl. 2 ß 0 h. Thut Newsessers
Vio 82 fl.O / 2 h. der kinder unkost S^ji ß rest inen dise liberung Reminiscene
737 fl. 13 ß 4 h.
Peter Vischer.
[Aug. 1532.]
[f. 6a.] Als mir hivhor 6 messen leuchterrorn an di wendt vhon Peter
Fischers testament geschankt sein (s. 0. b. Pankraz Labenwolf.)
Michel Wolgemuts Frau.
[1532, 21. April]
In der Reihe der Nachbarsleute, denen Dr. Scheurl an dem Sonntag Jubilate,
da der kleine Jörg Scheurl „aus der wester"*^) gebadet wird, Met, Wein u. Brot
ins Haus schickt, ist auch der Name der „Malerin W 0 1 g m u 1 1 i n" mitauf-
geführt.
1532.
[f. 39a.] Ich bin schuldig worden me)mem schwoger Asmus Futtrer**)
fhur56abconterphet houptleut3fl. I8ß. —
38) Vgl. Hampe, Ratsverlässe I, S. 454, Anm. 2.
39) Vgl. Nürnberger Ratsverlässe 1, S. 245, Anm. 2.
40) Über Ulpeck vgl. Gebert in der Festschrift hrsgg. vom „Verein f. Münzkunde in Nürn-
berg". Nbg. 1907, S. 18, 31 und 32.
41) Bad, das den Allerkleinsten herkömmlicherweise am dritten Tage nach der Geburt
mit einer gewissen Feierlichkeit bereitet wurde. Eine befriedigende Erklärung des Wortes und
Begriffs sucht man auch bei Schmeller (11, 1043 i) vergeblich. In Ergänzung der Anmerkung 23,
Mitteilungen des German. Nationalmus. 1906, S. 98 (zu „Westerhaube") mögen noch diese Nach-
weise Platz finden: Vilmar, Idiotikon von Kurhessen (1868), Neue Ausg., Marburg und Leipzig
1883, S. 450 f.; Herm. v. Pfister, Mundartl. und stammheitl. Nachträge zu Vilmars Idiotikon von
Hessen. Marburg 1886, S. 334 und Herwig, Idiotismen aus Thüringen [aus der „Vogtei** bei Mühl-
hausen i.Thür.], Jahresbericht desstädt. Realgymnas. zu Eisleben 1893 (Programm Nr. 263), S. 31.
42) Erasmus Fütterer (f 1551), Bruder von Dr. Scheurls Frau Katharina.
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120
BEITRÄGE Z. GESCHICHTE D. KUNST UND D. KUNSTHANDWERKS IN NÜRNBERG r.32-42
1533.
[f. 48b.] Ich schanckt m. g. herm herzog Jorgn zu Sachsn 2C. eingepunden
etwovyl contrafetter pildnus groser herrn und houptleut zu
Maylandt*»).
1532.
[f. 14a.] Sunabent den 20. Julii schanckt Johann Puchner, burger aufm
Annaperg, meinem shun Jörgen, einen silbren lustgroschen, dorauf
der khuß Jude und der grus Joab künstlich geprecht sthin, wigt im wert, 18
Sil. g. mit wünschung das ine der herr got dovhor behüten solt, den wil ich im auf-
behalten und verwarn, domit er im bleib und er den fhindet.
1533. (1529.)
[f. 55b.] Hanns Schnot schankt im [dem einjährigen Söhnlein Doctor Christofs,
Jörg Scheurl] ainen peutpfennig, mit der Überschrift, des türken
belagerung der stat Wien, den 24 Septembris. 1529.
Juli 1533.
[f. 63b.] Sunabent. 5 Julii. schanckt mir mein g. herr pischof Jacob zu Bres-
lau 2C. ainen tripelducaten seiner gnaden pildnus thut
3 ungrisch fl.**)
Juli 1533.
[f. 64b u. 68a siehe oben unter Mathes Gebel.
November 1533.
[f. 73b.] Item mein bruderlicher freundt Jörg Neusesser hat den 7 Novemb.
meinem shun Jörgen zu seiner gedechtnus geschanckt, ein schone erzstufn und
43) An sich liegt es außerordentlich nahe an die Porträtgalerie des bekannten Italien. Huma-
nisten Paolo Giovio (Jovius, 1483-1552) zu denken. Vgl. Eugene Müntz, „Le mus6e de portraits
de Paul Jove", in deutscher Übersetzung u. d. T. „Die Porträtsammlung des Paulus Jovius" in
der Zeitschr. f. Bücherfreunde, Vlll. Jahrg. 1904/05, S. 120-127; Alfred Hagelstange, „Eine
Folge von Holzschnitt- Porträts der Visconti von Mailand"; Mitteil, des German. Nationalmus.,
Jahrg. 1904, S. 85-100; Franz Servaes, „Versunkene Kunstschätze"; Neue Freie Presse, Wien,
1905, Nr. 14508 V. 13. Januar.
Die allgemeine Anschauung aber erblickt die erste und älteste Reproduktion der Porträt-
galerie in den (immerhin nur eine Abteilung des gesamten Bildervorrats, nämlich die „Kriegs-
männer", wiedergebenden) Holzschnittillustrationen zu den von Robert Estienne in Paris ver-
egten „Vitae duodecim vicecomitum Mediolani principum" des Jovius. Diese „vitae" sind tatsächlich
erst 1549 erschienen und eine Briefstelle Giovios v. 14. Sept. 1548 (Müntz a. a. O. S. 123 und Hagel-
stange S. 87): „E volesse Dio, che di questa maniera si potessero intagliare tutte le immagini, che
io tengo al Museo, almanco quelle d'egli nomini famosi in guerra" scheint allerdings die Annahme
einer früheren Ausgabe von Reproduktionen nicht zu gestatten.
44) Bischof Jakob von Salza zu Breslau [1520—39] an Dr. Christof Scheurl, Akten des
Scheurl- Archivs Vd, 1533, 23. Junii: „Eur hausfraun schicken wir hiebei zu unserer gedechtnus
ein gülden nomisma oder conterfei unseres antlitz, dorin ir wol spuren werdt, ob
sichs deme, jene zeit zu Bononien vergleicht, und was vor ein differenz zwuschen der Jugend und
alter ist". (S. a. Knod, Deutsche Studenten in Bologna, 1899, S. 476 und Nr. 3237.)
Eine Porträtmedaille des Bischofs Jakob v. Breslau aus demselben Jahre 1533 ist nicht
bekannt. Dagegen wird bei Saurma, Schles. Münzen und Medaillen unter Nr. 17 eine goldne Por-
trätmedaille Jakobs V. Salza v. J. 1531 angeführt, von der Chr. Scheurl allenfalls 1533 ein Exemplar
erhalten haben konnte.
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
121
etlich rot^ulden stuf lein, gedigen Silber, aus der ainikeit, und 2silbren g. konig
Ludwigs und kongin Maria pildnus und dann graffen Steffan
und grafen Lorentzn Schlicken pildnus im wert 10 fl.
Dezember 1533-
[f. 73b.] Item mir hat herr Christof Kreß den 7. decemb. geschenckt
sein silbrene pildnu s**).
Oktober 1535.
[f. 108a.] Item domaln hat auch Jörg Neusesser meinem weib und shun
Christofn, seiner gevattern und poten über den gülden groschen Sa mari-
taner g. histori im wert 12V» fl- geschenckt ein lustig kunstlich verdeckt
silbergschirr, dorauf Herodiadis histori gestempft und
geschriben ist, wigt 2 m 12 lot 1 q, acht ich di m. per 15 fl. thut
40 fl. 10 ß 11 h
1535.
[f. 109b.] so hat Neusesser seiner gevattern geschenckt ainen M 0 y s e s
undSamaritaner gülden schaug. im wert 12V« fl und seinem poten
Christofen ein trinckgeschirr im wert 40 fl. 10 ß 11 h.
Oktober 1537.
[f. I6lb unten.] mer schenkt ich dem keiner zu Aschaffnburg, Lenhartn
Pertzn, einen schaugroschen könig von Ungern und seinen ge-
m a h e 1 im wert bei 13 ß.
Mai 1538.
[176b.] Item auf montag nach Jubilate 13 Maii hab ich entphangen ein gut
stuck weins von Aschafnburg, do mit und der gülden conterfetten pild-
nus mein gnedigsten herr Cardinal zu Mainz jc. mich dises jar
gnediglich verert hat**), gehalten 13 V» eimer . Schencket dem keiner zu Aschafn-
burg [Lücke zum künftigen Eintragen des Namens Leonhard Pertz, s. 0.] einen
schaupfenning.
September 1538.*')
[f. I85b.] Item als meine herm umb gemainer stat nutz willen, die kayser-
lichen purgk, das vhesten und Thirgaitner thor zu bevhestnen furgnomen, und den
31. Julii zu fronen angefangen, haben si den ersten stain legen lassen, den 3. Sep-
tembris, zwischen 2. und 3. gen tag als zu 3 uhrn des halben segers. 1538. des
selb stain was rund, und ausgehauen, wi etwan ein reibstain und bedeckt, worein
haben sie legen lasen
45) Medaille aus dem gleichen Jahr 1533: German. Museum Nr. 2535. in Bronze. Die-
selbe in Silber ausgeführt bei Imhof, Nümb. Münzcabinet 1. T., 2. Abt. (1782): Sammlung v. Kreß
2202. Vgl. nun auch Th. Hampe in der 0. g. Festschr., hrsgg. v. „Ver. f. Münzk. in Nbg." 1907, S. 44.
46) Vgl. auch Julius Cahn, „Die Medaillenporträts des Kardinals Albrecht v. Mainz, Markgr.
V. Brandenburg** in: Studien aus Kunst und Gesch., Friedrich Schneider zum siebzigsten Geburts-
tage gewidmet. Freiburg i. Br., Herder 1906, S. 161 - 167, wo sich indes kaum eine Medaille genannt
finden dürfte, die der Scheurl'schen Notiz entspräche.
47) am Rande: „Vesten pastey**. Der Bau der Bastei an der Veste zu Nürnberg geschah
durch Antonio di Vazuni (Vasani) in den Jahren 1538-1545-
Hitteilangeii ans dem gemum. Nationalmuseum. 1906. 16
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122 BEITRÄGE Z.GESCflICHrE-D. KUNST UND D. KÜNSTHANDWERKS IN NÜRNBERG 1538-42.
Medaille auf die Erbauung der Bastei an der Burg zu Nürnberg 1538 von Peter Fldtner.
Silbrengroschen*'*), mit ainem zwikopfigen gekrönten adler, in der
prust Castilien und Osterreich, dorunter die 2 Nur[n]berger wappen, und dozwischen
zu Unterst ein schritt: fundamentum salutis nostre Christus, auf der andern saiten:
Deo opt. max.
S. p. q. N.*^) muros arcis, non satis firmos, ad sustinendos hostiles impe-
tus, et iusta spatiorum adiectione, et multis subinde egestis ruderib. a fundamentis,
magna cum laude, erexit, ac novos fecit, Imp. Carol. V. ces. p. f. semp. Aug. rege
Hispan. Catholico, Archiduceque^") Aust. etc. et Ferdinan. fr. eius. rege item Rom.
Hung. et Bohem. Romanique Imp. successore etc. patrib. vero p. Christof Tetzelio.
Leonh. Tuchero et Sebald Pfinzingo. ann. M. D. XXX. VIII. men. Aug.
Item dinstag 10. Sept. haben meine herm, ain losung angesezt, in gwon*
licher form zu geben, zwischen dannen und Walburgis. 1539. die schwur ich dinstag
22 octobris und zalt sie.
Juli 1533.
[f. 64b.] Ich hab mir machen lasen 24 Julii 8 zine eßschussln, habn
gewegen 54 1, 67* | p. 1 fl. thut 8 fl. 5 | und kostn di woppen zustechn
8 zweifer.
48) folgt nun die Beschreibung der bek. Medaille Peter Flötners (P. F. gez.) auf die Erbauung
der Burgmauer in Nürnberg 1538. Vgl. Domanig, Peter Flötner als Plastiker und Medailleur.
1895. S. A. a. d. 16. Bd. des Jahrb. der kunsthist. Samml. des allerh. Kaiserh., S. 27, Nr. 1 ; Domanig,
Die deutsche Medaille in kunst- und kulturhist. Hinsicht. Wien 1907, Nr. 78; G. v. Bezold, Die
Medaillen Peter Flötners in der Festschr., hrsgg. v. V. f. Münzkunde in Nürnberg. Nürnberg
1907. S. 3 ff. und 7.
49) - senatus populusque Norimbergensis. - Am Rande steht: „Silbren muntz in die
pastey vergraben".
50) Medaille selbst: ARCHIDUCIQ.
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VON HEINRICH HEERWAGEN. 123
März 1534/35.
[f. 99b.] Item fhur 12 silbren hofbecher sambt zweyen secken und
futralen 105 fl. 7 ß.
[f. 99b.] Fhur 2 maylendische irdene hantpeck, 2 giskandl,
4 schaln, 2 salzvhaß, 11 teler mit Scheurl und Futerer woppen —
Q fl. 0 I 13 ^.
Oktober 1535.
[f. 108a.] Item domaln hat auch Jörg Neusesser meinem weib und shun
Christofn seiner gevattem und poten") über den gülden groschen, Samaritaner g.
histori im wert 12 V2 fl. geschenkt ein lustig kunstlich verdeckt silbergschirr
dorauf Herodiadis histori gestempft und geschriben ist, wigt 2 m 11 lot 1 q ach
ch di m p. 15 fl. thut 40fl. lOßll h.
1541, 4. August.,
[f. 236b.] Item herr Albrecht cardinal ertzpischot und kur-
für s t z u M a i n z 2C. hat mir Hansen Eberhawsen secretarien zuschreiben lasen,
sein churf. g. hab mein erpiten zu gnedigen gefallen angnomen, wol mein frummer
gast sein, ist also vhon Regnspurg dinstag 2 zu uns ein und donerstag 4 augusti
wider wegkzogen, hat vereret und zur letz gelasen . mir für mein person ein art-
lich bedeckt ubergult trinckgschirlein. wigt im 10 lot 2 q
2 ^ im wert.
1533.
Martins.
[f. 52a.] 7 Item mein liebste mhum Appolonia Tucherin het mit sundern be-
girden, meinen corallen rosnkrantz in irem sterben, am arm und verordnet mir
iren schwarzn pater noster, doran sie überaus gros petten erzeugt, m i t
ainem helfenpainen kreutzlein, so ir der alt Hanns Tucher, v h 0 m
heyligen lanndt pracht heth, mher ein helfenpainen crucifixtef-
felein, das ir mutter meiner anfrauen Elizabet H. Kreßin gewesn was und ein
fazoleth vhon irem weyler,^^) j^rzu gab mir frau Katherina Pyrchamerin di neu eptesin
vhon wegen irer verstorben mumen und prelatin frauen Clara Pirchamerin ein
helfenpainen todtn köpf in silber gefast.
April 1536.
[f. 129a.] Ich hab meinen Turckes ringk meinem schwogern Chri-
stofn Ploden zu Lübeck zu verkoufen zugestelt, hat mir den verrechnt umb 12 fl
und mit lennbet^^) gut gemacht.
1541, 4. August.
[f. 236b.] [Von Kurfürst Albrecht von Mainz geschenkt:] der doctorin
ein lustige scheinliche ketten auf den neuen form, wigt 12 fl. golt minus
[fehlt eine Zahl] fl. kost zu machen- [Lücke] und beiden hausgesinden, die ge-
speist sein, 6 fl. g. und 1 fl. patzn. benedictus deus.
51) Paten. Taufpaten.
52) Nonnenschleier vgl. Schmeller, Bayer. Wörterbuch II, 887.
53) Leinwand.
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124 BEITRÄGE Z. GESCHICHTE D. KUNST UND Ü. KONSl'HAND WERKS IN NÜRNBERG 1682^42.
1532.
[f. 6b.] Ich hab zalt meinem nachbom dem schreyner vhon meiner lieben
m u 1 1 e r seligen g w a n t k a 1 1 e r n**) so mir in der tailung worden ist, klayner
und auf di welschen art lustig, mit ainem f us, capitell, zweyen thurlein,
verporgen und andern Schubladen zu machen, zusampt dem alten schloß unnd
pannten, erstlich 4 j? 6 ^, fhur ainen Span oder scheit fledren holz, mher 2 fl. 4 |
6 ^, und der maisterin i | 6 ^ und dem geselln trankgelt 24 ^, den 17. Sep-
temb. 15)2.
Mher zalt ich dovhon zubeschlahtn, fhur zway Schlosser, panndt und ringken
ifl. 6|9^.
i533.
[f. 54a.] Item ich hab meinen fladren**) grosn kalther und 14 fl. geben fhur
den neuen grosen kalther auf di welschen manir, mit seuln
und oben mit dem umbgangk, kost zu beschlahen den 8 Julii — 4V« fl.
April 1533.
[f. 55a.] Item meinen ererbten grosen fledren kalther, den mir der ver-
logn Anthoni Schlaginhaufn schreyner welsch bekleiden
solt, und er herrn Christofn Tezeln obristen tosung herrn umb 8 fl. verkouft, hab
ich widerumb vhon im gelost und im mit sampt dem schabn und virnusn zalt
29 Martij thut in alles 10 fl.
März 15 34/35.
[f. 99b.] für sechs debich zu Antorf mit Scheurl und
Futterer woppen und diselben mit schetter und ringen zu umbneen
40 tl. 3 I 19 ^.
Zu Melchior Baier.
Von Theodor Hampe.
In dem im Erscheinen begriffenen zweiten Bande des von Ulrich Thieme und
Felix Becker herausgegebenen „Allgemeinen Lexikons der bildenden Künstler"
habe ich eingehender als es sonst bisher geschehen ist über Leben und Werke des
von Neudörfer gepriesenen Goldschmieds Melchior Baier gehandelt und daselbst
auch bereits sowohl auf die archivalischen Nachrichten, die Heinrich Heerwagen
in den diesen Zeilen vorangehenden Auszügen aus Dr. Christoph Scheurls sogen.
Schuld- und Rechnungsbuche veröffentlicht hat, als auch auf einige weitere Notizen
über den Künstler in des Nürnberger Patriziers Lienhard Tucher (1487—1568) Aus-
gabenbuch aus den Jahren 1545 bis 1551 kurz Bezug genommen. Ich gebe diese
letzteren Nachrichten im folgenden in extenso wieder, da sie, wenn sie auch nicht
von der Bedeutung sind wie die genauen Beschreibungen Melchior Baierscher Arbeiten
im Scheurlschen Buche, doch nicht unwesentlich zur Vervollständigung des Bildes,
das wir uns bisher von seiner Tätigkeit machen können, beitragen. Das betreffende
Ausgabenbuch befindet sich im Freiherrl. von Tucherschen Familienarchive, aus
54) kalter (ge-halter) = Schränk!
55) von Masernholz; vgl. Schmeller, I, 787.
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VON HEINRICH HEERWAGEN.
125
dessen reichen Beständen ich im Laufe der Zeit noch mancherlei Material zur
Kunst- und Kulturgeschichte namentlich des 16. Jahrqhnderts zu veröffentlichen
hoffe. Schon hier aber möchte ich Herrn Regierungsrat Christoph Freiherrn von
Tucher für die außerordentliche Liberalität, mit der er mir in den letzten Jahren
die Durchsicht der wichtigsten älteren Bestände des Tucherschen Archives gestattete,
meinen wärmsten Dank zum Ausdruck zubringen nicht verfehlen.
Die Melchior Baier betreffenden Aufzeichnungen beginnen im Jahre 1549
und laufen bis gegen den Schluß des Ausgabenbuches (1551), das keinerlei Pagi-
nierung aufweist, fort. Sehr zu bedauern bleibt, daß sich weder frühere noch
spätere Ausgabenbücher Lienhard Tuchers erhalten haben, die in der Ausführlich-
keit und Genauigkeit, mit der sie geführt sind, gewiß noch vielfach willkommenes
Licht auf das Leben und Schaffen einzelner Künstler geworfen und vermutlich auch
über die Tätigkeit Melchior Baiers in den letzten 26 Jahren seines Lebens, die
vorläufig noch in undurchdringliches Dunkel gehüllt sind, einigen Aufschluß
gewährt haben würden. Wie die Sachen liegen, bleibt der Eintrag Lienhard Tuchers
vom 24. März 1551 der späteste quellenmäßige Beleg für die Ausübung seiner Kunst
durch unseren aller Wahrscheinlichkeit nach erst im August 1577 verstorbenen
Meister.
Ich lasse nunmehr die auf ihn bezüglichen Auszüge folgen:
„Adi 24 Augusto [1549] hab in No. 80 [wohl die Bezeichnung des Fasses],
in einem drotfas, von hin auf Genff gesant 1 kistlen, dorin ein schön clainott, silb^r
vergult mit einem deckell, so mir der Melcher Pair hat gemacht; das wigt 2 m
15 lott 2 q und kost, zu 14 fl V* grobe montz 1 m, und 24 ^ drinckgelz, thut
als 42 fl. 8 ß.
Mer für das futter [Futteral] darzu bezalt 1 fl. 10 ß.
Solchs clainott soll von Lion gein Seragossa gesant wem und von wegen meins
suns Sixt dem Johan Zypero zu Seragossa geschenckt wem für 72 jar kostgellt,
das er im 48. jar [d. h. 1548] ist pei im gewest, und (itzt) pey dem Luys Petter
Vallegir zu Valludellit ist icz."
„Adi 2 Hottober [2. Oktober 1549] hab ich pey des Melcher Pair, golt-
schmydt, vor ezlichen wochen ein drinckgeschir bestellt von wegen meins suns Sixt
in Speingne zu verschencken von wegen eins kostgeltz; do ich mich aber ytzt ver-
mudt, es werd mit gelt bezalt werden, solchs will ich auf ein fürpaß not behalten.
Ist Silber und vergült, wigt 3 m 0 lot 1 q 1 ^ kost, zu 14 fl. 5 ß 1 m, und 24 ^
drinckgeltz, mer für 1 futter darzu bezalt 1 '/^ fl thut als . . . fl. 44 'S 5 .5) 6.
Hat dem Petter Vallegir gen Valludullit soln geschenckt werden", [also wohl anstatt
eines Kostgelds für ein weiteres halbes Jahr.]
„Adi 18 detto [18. November 154 9] hab ich vom Melcher Pair, goldt-
schmydt, ein nyderdrechtig**®) Silber vergult cleinet mit einer deck kauft, das wigt
56) Das Wort bedeutet hier offenbar soviel wie „niedrig**, „nicht hoch"; also war vielleicht
eine flache Schale mit Fuß im Gegensatz zu Pokalen, Bechern und dergl. gemeint.
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126 BEITRÄGE Z.GE8CHICH1E D. KUNST UND D. KUNbTHAND WERKS IN NÜRNBERG 15i2-42.
2 m 13 lot 0 q 3 ^, i m ZU 14 fl. 5 ß, i m mit grober montz zalt, thut sambt
24^ drinckgellt 40 fl. 7 ß
Mer za)+ ich für ein futter [Futteral] darzu, kost i fl. 10 ß
Suma 42 fl 17 ß."
„Adi 3 detto [3. Dezember 1549] zalt ich Melcher Pair von wopen in
Tuch[er] und Scheurln schilt in ein scheum zu machen 2 seh. Davon im zalt fürs
Silber 15 s. und vom machlon 1V2 fl. thut peds 2 fl. V*'*
Adi 19 Jullet [19. Juli 1550] hab ich in No. [Lücke] ein kistlen per Lion
auff Strospurg zu eingeschlagen, darin 1 Silber vergult cleinett, wigt 2 m 13 lot
0 q 3 ^, (kost) zu 14 fl. 7* ^ ni> von Melcher Pair kauft. Das soll von Lion aus
weitter in Speingne dem Luys Falger in ValladoUit zugesant und von wegen meins
suns Sixt, den er \'« jar in der kost gehalten hat, dafür geschenckt werden; das
kost fl. 40 s. 4
„Adi 24 marzo [24. M ä r z 1 5 5 1] zalt ich dem Melcher Pair, goltschmidt, für
9 silbere vergulte, aus und innen, auch an füessen, mygollen, schön und sauber
gemacht: die wegen suma 7 marck 6 s. 1 q. Die hab ich für 7 m 61ott, zu 14 fl.
5 ß 1 m, par zalt mit patzen troffener [?] in suma 105 fl. 1 ß 1 ^
Mer zu trinckgellt zalt 3 patzen 4 ß.
Hab solche aus guttem willen meiner lieben eewiittin*^) seiligen geschwisterett
zu einer gedechtnus ir jedem eins zugeschickt, von irn wegen zu gedechtnus zu
haben, nachdem sie mit in allen in gutter ainigkait ist gestanden ; und ist
auff jeden mygollen gestochen, wems gehört: erstlich eins herm Casper Nützell
dem eitern, mer eins der Schwester Angnes Hans Hegnerin, eins der Urssell Partolt
Heldin, ein der Cordulla Jörg Heldin, eins der junckfrau Karittas Nützlin, mer
dergleichen eins meinem lieben vetter Anthoni Tucher und eins der Ursella Paullus
Tucherin und 2 mygollen meins lieben aiden Jörgen Geuder zweyen tochtem mit
nomen jf. Luckrezia und Leonnora. Solche hat sie mir etzlich wochen vor irem
abgang bevolhen und gepetten, ir jeder etwas zu gedechtnus von im wegen zu
geben. Ausserhalb der peden töchter hat sie mir gegen nymandt ainichen bevelch
nit geben, noch waß derhalb an mich gemudt '*
Es wäre sehr zu wünschen, daß sich nach den Beschreibungen|bei Scheurl
oder den Angaben Tuchers noch die eine oder andere Goldschmiedearbeit Melchior
Balers — die im Auftrage Lienhard Tuchers gefertigten Stücke müßten außer dem
Nürnberger Beschauzeichen und Controllstich auch das aus M und B bestehende
Meisterzeichen Baiers, wie es die Ordnung von 1541 verlangte, tragen — etwa in
Saragossa, Valladolid etc. nachweisen lassen möchte. In der einschlägigen Literatur
sind meine Nachforschungen danach freilich bisher noch vergeblich gewesen.
57) Lienhard Tuchers zweite Frau Katharina geb. Nützel, mit der er sich 1522 vermählt
hatte, war am 13. Dezember 1550 gestorben.
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Lorenz Reinhold Spitzenpfeil, Zum Bauprojekt des Petriturmes In Kulmbach. Eine kultur-
historische Skizze. Mit einem Vorwort von Dr. Pauljohannes R6e und einem literarischen
Anhang. Kulmbach 1908. Druck und Verlag von Rieh. R e h m.
Das Interesse für Denkmalpflege und Heimatschutz, durch Wort und Schrift gefördert,
beginnt in weitere Kreise des Volkes zu dringen. Das ist gut und löblich, aber es hat auch seine
Kehrseite, es kann sich ein Übereifer im Konservieren einstellen, der die Bestrebungen der Denk-
malpfleger diskreditiert und der Denkmalpflege mehr schadet als nützt.
Ein Produkt solchen Übereifers, sicher in bestem Wollen, aber mit ungenügendem kritischem
Verständnis geschrieben, ist die Schrift von Spitzenpfeil, die sich mit dem Bauprojekt des
Petriturmes in Kulmbach beschäftigt. Es wäre kaum angezeigt, sie zu besprechen, wenn sie nicht
von P. J. R 6 e eingeführt und von Konrad Lange im Kunstwart gelobt und in ihrer Ten-
denz unterstützt worden wäre. Wir sind leider schon dahin gekommen, daß jeder, der gegen eine
bauliche Änderung an einem alten Gebäude Einspruch erhebt, der Unterstützung sicher sein kann,
ohne daß nach der Berechtigung des Einspruchs gefragt wird.
Es ist nötig, hier einmal einige prinzipielle Erörterungen zu geben, es ist auch nötig, ein-
mal die fortwährenden Verunglimpfungen der Kunst des 19- Jahrhunderts abzuweisen
Was die Schrift Spitzenpfeils charakterisiert, ist, daß er durchgehend mit Halb-
wahrheiten operiert und aus ihnen falsche Schlüsse zieht. Er beginnt mit einigen allgemeinen
Bemerkungen über die übertriebene Sucht, alte Bauwerke zu restaurieren und führt als Beleg
dafür, daß sie noch nicht überwunden ist, den Plan, den Petriturm in Kulmbach auszubauen an.
Er spricht seine Verwunderung darüber aus, daß dem angeklagten Turm noch kein Verteidiger
erstanden ist und übernimmt nun selbst die Verteidigung. Die Kirche in Kulmbach ist eine Hallen-
kirche mit hohem Dach. Ihr ist westlich ein Turm vorgelegt, dessen viereckiger Teil, in fünf Ge-
schosse gegliedert noch unter der Höhe des Kirchendaches bleibt. Auf diesem Unterbau erhebt
sich zurückspringend eine achteckige Glockenstube, die bis zum Dachfirst reicht und darüber
der Helm. Es ist nun die Absicht, an Stelle dieser Glockenstube einen höheren Aufbau des Turmes
zu stezen. Spitzenpfeil bekämpft diesen Plan und tritt für die Erhaltung des bestehenden
Zustandes ein. Er argumentiert so: Frühere Jahrhunderte, in welchen manches für die Kirche
geschehen ist und in welchen manche würdige Bauwerke in Kulmbach entstanden sind, haben an
der Glockenstube keinen Anstoß genommen. Die Kirche steht hoch, sie braucht aber keinen
hohen Turm. Der Turm fügt sich, so wie er ist, dem Stadtbild gut ein. Das Mißverhältnis
zwischen Kirchendach und Helm kommt nicht von allen Seiten zur Geltung. Die hohen Türme
entstammen meist dem 13. und 14. Jahrhundert, im 15. kam die Sitte, hohe Kirchtürme zu errichten,
mehr und mehr ab. „Die beginnende Renaissance und die Morgenluft der Reformation mögen die
innere Ursache gewesen sein, daß man nicht mehr in den Himmel hinein baute, ja sogar manche Türme
unvollendet ließ. Dann wäre die geringe Höhe des Petriturmes, diesich ja auch aus der örtlichen
Lage erklären läßt, ein Zeichen protestantischen Geistes, und eine protestantische Gemeinde des
20. Jahrhunderts— ich wiederhole das — sollte erst recht keine Veranlassung haben, einen Zeugen
jener Tage zu beseitigen. Für mich gibt es keine protestantiche oder katholische Turmform,
allein die auf Weltflucht hindeutende übermäßige Höhe eines Turmes hat mit wahrhaftem Prote-
stantismus nichts zu tun."
„Das zu Unrecht ergangene Urteil muß rückgängig gemacht werden; denn die dem
Turme angedichteten Mängel sind zum Teil überhaupt nicht, zum Teil nur in geringem Maße vor-
handen, zum Teil entpuppen sie sich bei gerechter Würdigung der Verhältnisse als Vorzüge."
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128 UTERARISGHB BESPRECHUNGEN.
Sehen wir nun den Turm an, so ist für jeden, der einigermaßen mit den Proportionen gotische!
Bauten vertraut ist, klar, daß die Glockenstube zu dem viereckigen Unterbau ebenso wie zu dem
Kirchenschiff in einem schreienden Mißverhältnis steht. Es ist gar nicht zu bezweifehi, daß der
Turm anders projektiert war und daß die Ausführung aus irgend einem Grunde, den wir nicht
kennen, unterbrochen und zu einem notdürftigen Abschluß gebracht worden ist. Hierin protestan-
tischen Geist erkennen zu wollen, ist Täuschung. Man meide doch solche an den Haaren herbei-
gezogene kulturhistorische Beziehungen. Daß im 15. Jahrhundert die Sitte, hohe Türme zu bauen,
abkam, ist eine neue Entdeckung. Ich war bisher der Meinung, gerade in der Spätgotik seien
Hunderte von hohen, ja einige der allerhöchsten Türme wie die von Straßburg, Antwerpen und
Landshut entstanden, doch ich bin nicht rechthaberisch und kann mich irren. Darin irre ich mich
aber nicht, daß ich behaupte, die unschöne Glockenstube steht zu dem sonst stattlichen Gebäude
außer Verhältnis und stört dessen Harmonie. Einem solchen Einwand baut Spitzenpfeil
mit der Behauptung vor, der Turm fügt sich dem Stadtbild gut ein. Auch das ist eine grundlose
Behauptung, man fragt, wenn man das große Dach der hochgelegenen Kirche sieht, unwillkürlich:
wo ist denn der Turm. Man hat das Gefühl, daß hier etwas fehlt. Daß aber durch eine richtig
proportionierte Erhöhung des Turmes das Stadtbild gefährdet werde, ist nicht zu befürchten,
denn es wird stets durch die Höhe mit der Plassenburg beherrscht, und so groß, daß er dagegen
ns Gewicht fallen könnte, wird der Turm ja nicht werden.
Die Angelegenheit ist eine Kirchturmfrage nicht allein im wörtlichen, sondern auch im
übertragenen Sinn. Die Kulmbacher mögen sie unter sich ausmachen, sollen aber weitere Kreise
damit nicht behelligen. Es ist für die Allgemeinheit sehr gleichgültig, ob der Turm erhöht wird
oder nicht, denn die Kirche ist schon seit lange so umgestaltet, daß sie als historisches Denkmjvl
kaum mehr in Betracht kommt.
Es heißt aber die Ziele der Denkmalpflege überspannen, wenn man ausnahmslos jeden alten
Bau als historisches Denkmal erklären und für alle Zeiten in seinem Bestand vom Jahre 1908 er-
halten will; das liefe darauf hinaus, daß vom Beginn des 20. Jahrhunderts an die Städte und
Dörfer Deutschlands mumifiziert würden. Ein solches Verfahren würde in kurzer Zeit eine Reaktion
hervorrufen, welche die sorgsam eingeleiteten Maßnahmen zum Schutze unserer Denkmäler auis
schwerste schädigen würde.
Die Denkmalpflege ist durchaus keine so einfache Sache, sie hat nur zu oft zu entscheiden
über zivilisatorische Interessen, welche einander entgegenstehen und welchen man nach beiden
Seiten eüie Berechtigung icht absprechen kann, und die Sachlage ist, selbst wo der Denkmal-
schutz gesetzlich geregelt ist, nicht immer so klar, daß eine unzweifelhafte Richtschnur für die
Entscheidung gegeben ist. Eine generelle Behandlung nach einem bestimmten Schema ist un-
zulässig. Jeder Fall muß für sich geprüft werden. Für Denkmäler von historischer und künst-
lerischer Bedeutung muß der sorgsamste Schutz und die konservativste Behandlung verlangt
werden. Sie dürfen nicht zum Spielball künstlerischer Launen werden.
Diese Erkenntnis darf als das feststehende, als das bleibende Resultat der Erwägungen und
Erörterungen über den Denkmalschutz betrachtet werden. Noch ist sie, wie wir alle wissen, nicht
allgemein durchgedrungen, aber die Pietät gegen die Denkmäler unserer Vorzeit ist doch im Zu-
nehmen. Soll diese Bewegung, deren Erstarken wir alle wünschen, nicht gehemmt und gelähmt
werden, so darf die überspannte Forderung unbedingten Schutzes auch für Bauten von geringer
Bedeutung nicht erhoben werden. Die Forderungen des Tages können modifiziert und einge-
schränkt, nicht aber aufgehoben werden. Versucht man dies, so werden sie sich Bahn brechen
an Stellen, wo man es nicht erwartet und nicht wünschen darf.
Sehen wir von den praktischen Forderungen ab, so hat die Denkmalpflege wissenschaft-
liche und künstlerische Interessen zu wahren und in Einklang zu bringen. Heute überwiegen die
wissenschaftlichen. Wir hoffen und wünschen, daß ihnen auch in Zukunft ihr Recht gewahrt
bleibe, aber wir haben keine Garantie dafür. Der beste Schutz ist, daß die Bestätigung künst-
lerischer Bestrebungen nicht völlig unterbunden wird. An Bauten, welche im Gebrauch stehen,
ist zu allen Zeiten geändert worden. Nicht nur aus praktischen Gründen, sondern auch aus ästhe-
tischen. Früher nahm man daran gar keinen Anstoß; wir fragen mit Recht, ob solche Eingriffe
berechtigt sind oder nicht. Wir werden sie hier abweisen, da beschränken, dort zulassen, aber
wir dürfen sie nicht a priori in allen Fällen als unzulässig erklären. Es ist verkehrt, zu glauben,
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UTERARISCHB B8SPRECHUN6EN. 129
das Alte sei schon als Altes zu schützen und der Erhaltung wert, oder es sei in allen Fällen so schön«
daß es keiner Verbesserung mehr fähig sei. In Kulmbach ist eine solche sehr wohl zu erreichen
und man kann dem Künstler freie Hand lassen, ohne daß historische oder ästhetische Interessen
verletzt werden.
Nun wird gesagt, wenn gebaut werden soll, so sei es denn, aber man baue wenigstens nicht
in gotischem, sondern in modernem Stil
Zur Begründung dieser Forderung wird behauptet, zu keiner (früheren) Zeit wußte man
etwas vom Ausbauen im Geist früherer Stilepochen. Auch diese Behauptung ist in ihrer Allge-
meinheit nicht richtig. Man hat allerdings in früheren Jahrhunderten nicht wie im 19. grund-
sätzlich und allgemein Anbauten und Ergänzungen an alten Gebäuden in deren Stilformen aus-
geführt aber es ist doch vorgekommen, und es ist viel häufiger vorgekommen, als wir glauben.
Die Gotik war noch lange Kcirhenstil, als die Renaissance schon längst herrschend war, des sind
viele Jesuitenkirchen Zeugnis und noch im 18. Jahrhundert wurde die Katharinenkirche in Frank-
furt gotisch gebaut Ein fast vollständiger Neubau aus dem 17. Jahrhundert ist die Kathedrale zu
Orleans. Die alte Kathedrale aus dem späten 13- und dem 14. Jahrhundert war 1567 von den Huge-
notten großenteils zerstört worden, der Neubau wurde 1601 begonnen und langsam weiter geführt
Das oberste Geschoß der Türme wurde erst 1790 gebaut. Der gotische Stil ist bis zuletzt fest-
gehalten und die Formen in der Art des 15. Jahrhunderts sehr rein. Der Bau selbst aber nimmt
nach Dimensionen und Proportionen eine sehr hohe Stelle in der gotischen Kunst ein.
Mit der Kathedrale von Orleans sind andere Ergänzungen und Wiederherstellungen nicht
zu vergleichen, aber sie sind zahlreich, namentlich in Frankreich. Schon im 14. Jahrhundert,
als die höchste Blütezeit der Gotik schon vorüber war, wurde in Lassay die teilweise von den Eng-
ländern zerstörte Kirche in genauem Anschluß an die erhaltenen Teile in romanischen Formen
ergänzt. Aus dem 17. Jahrhundert haben wir eine ganze Reihe von stilgemäßen Restau-
rationen. Ich führe nur einige Beispiele an.
Im Beginne des 17- Jahrhunderts wurde die Kirche Saint fetienne in Caen von dem Prior
Jean de Baillehache in Stand gesetzt. Der Bau war so verwahrlost daß man erst daran dachte»
di^n Chor ganz abzubrechen. Die Arbeiten wurden in dem Langhaus begonnen und nachdem
dieses glücklich vollendet war, faßte man Mut auch den Chor wieder herzustellen. Das Langhaus
ist aus dem 11. und 12. Jahrhundert, eines der Hauptbeispiele der romanischen Baukunst in de«*
Normandie, der Chor aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, eines der wichtigsten Denkmäler
der normannischen Frühgotik. Die Wiederherstellungsarbeiten sind mit der größten Genauigkeit
den Stilphasen der Erbauungszeiten angepaßt so daß nur eine sehr eindringende, auf schriftliche
Dokumente begründete Untersuchung ihren Umfang feststellen konnte.
Der Chor von Saint Nicolas zu Contances ist um 1620 ganz im Stil der normannischen Bauten
des 13. Jahrhunderts erbaut worden. Der Turm der Kirche zu Lasson ist im Ende des 16. Jahr*
hunderts erbaut. Man hat ihn für sein Werk des 13. gehalten, bis man die Grabinschrift des Pfarrers
fand, der ihn gebaut hat. Im nördlichen Flügel des Atruims von San Ambrogio zu MaUand sind
im 17. Jahrhundert Restaurationsarbeiten vorgenommen worden. Ich habe dieses Teile von
den alten erst unterschieden, als ich zum dritten oder vierten Male in San Ambrogio war. Die
Turm von S. Matthias in Trier weist Restaurationen in romanischen Formen aus dem 17. Jahr-
hundert auf. Große Teile der Kirche zu Andlau im Elsaß, die im [dreißigjährigen Kriege zerstört
worden waren, sind in der Frühzeit des 18. Jahrhunderts in rheinisch romanischen Formen auf-
gebaut worden.
Die Beispiele ließen sich leicht vermehren. Es stehen ihnen viel mehr gegenüber, welche im
Stil ihrer eigenen Zeit gehalten sind, gleichwohl beweisen sie unwiderleglich, daß das Gefühl für
die stilistische Einheit eines Bauwerkes schon in früheren Zeiten vorhanden war. Und warum
sollte es auch nicht vorhanden gewesen sein, es ist doch natürlich, ein Kunstwerk als eine homogene
Einheit zu betrachten. An Werken der Plastik und Malerei, an welchen Ergänzungen vorgenommen
werden dürfen — und sie müssen da vorgenommen werden, wo ein Werk nicht wissenschaftliches
Studienobjekt geworden ist sondern künstierischen Zwecken zu dienen hat — , hält man es für
selbstverständlich, daß sie sich dem Stil des Werkes genau anzupassen haben, man sollte ein gleiches
Verfahren bei Bauwerken wenigstens nicht prinzipiell abweisen. Das Verhältnis ist in der Archi-
tektur allerdings etwas anders; wenige Bauten sind so streng organisiert daß sie nicht Anbauten
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. 17
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130
UTBRARISCHB BBSPRBCHUN6EN.
vertrügen, und es ist gar nicht in Abrede zu stellen, daß solche, trotz stilistischer Differenzen, oft
mit großem^Glück ausgeführt worden sind. Aber das ist niemals Architektur im höchsten Sinne
sondern die Wirkung beruht auf dem malerischen Prinzip des Kontrastes.
Und damit kommen wir auf eine der Ursachen, welche in unseren Tagen zu der Forderung
geführt haben, Anbauten und Ausbauten sollen im Stil der Zeit ausgeführt werden. Eine malerisch
fühlende Zeit, wie unsere, freut sich des Reizes der Gegensätze, eine streng architektonisch fühlende
wird an ihm nur mäßige Befriedigung finden und die stilistische Einheit höher stellen.
Was nun die Stilfrage für An- und Ausbauten betrifft, so muß ich leider bekennen, daß ich
sie für eine untergeordnete halte. Mir kommt es nicht darauf an, in welchem Stil gebaut wird,
andern darauf, daß schön gebaut wird. Schön bauen kann man aber in jedem Stil Man k.^nn
auch in jedem Stil schlecht bauen, und die A^inung, ein Bau sei schon schön, wenn er modern ist,
ist ebenso verkehrt als die, jede alte Hütte müsse erhalten und jeder alte Hosenträger müsse in
ein Museum gesteckt werden.
Es wird mir nun entgegengehalten werden: schön bauen kann man in jedem Stil,
doch nur in der Zeit, in welcher er entsteht, nicht aber in späterer Repristination. Auch dieser
Behauptung kann ich nur bedingte Geltung zuerkennen. Kein Einsichtiger wird die Architektur
des 19. Jahrhunderts der des 12. oder 13. gleichstellen, aber sie hat doch Bedeutendes geleistet
und die Wurzeln der modernen Architektur reichen viel weiter in das 19. Jahrhundert hinein
als man glaubt Die Künstler, welche den modernen Stil geschaffen haben, haben mit Ernst und
großer künstlerischer Kraft gearbeitet. Man wird ihrem Wirken seine Hochachtung nicht ver-
sagen, man wird ihnen sogar zu Gute halten, wenn sie auf ihre Vorgänger mit Geringschätzung
herabblicken. Aber das Recht, das ich dem schaffenden Künstler, der einseitig ist und einseitig
sein muß, einräume, bestreite ich dem Kritiker, dessen Aufgabe es ist, ohne Voreingenommenheit
jeder künstlerischen Leistung gerecht zu werden. Die Herren haben ein kurzes Gedächtnis. Sie
haben bereits vergessen, daß sie mit derselben Oberzeugung, mit der sie heute die Moderne preisen
vor zwanzig und dreißig Jahren die deutsche Renaissance als die wahre nationale Kunst begrüßt
haben. Was wir damals hörten, waren Phrasen und was wir heute hören, sind Phrasen. Und eine
ganz verlogene Phrase ist die von der künstlerischen Impotenz des 19- Jahrhunderts und die, die
Künstler des 19. Jahrhunderts hätten nicht aus ihrem eigenen, sondern aus dem Gefühl früherer
Zeiten herausgeschaffen, oder nicht geschaffen, sondern kombiniert. Wer das Wesen der Baukunst
nur in den Detailformen sucht, der versteht nichts von Architektur, wer sie aber auf ihre kompo-
sitorischen Leistungen ansieht, wird auch im 19. Jahrhundert eine große Zahl hochbedeutender
Werke finden. Und wer sich die Mühe nimmt, die enorme künstlerische Arbeit zu studieren, welche
auf die großen Konkurrenzen der letzten fünfzig Jahre verwandt worden ist, der wird inne, daß
über alle Verschiedenheit des Details hinweg eine konsequente Entwicklung stattgefunden hat
Die Kunst des 19. Jahrhunderts hat da und dort, namentlich im Kirchenbau archaisiert, im ganzen
war ihr Verhältnis zur Kunst früherer Epochen wenig anders als das der Renaissance'^zur Antike.
In meiner Jugend gab es noch sehr gebildete Leute, welche behaupteten, die Renaissance sei kein
Stil, und die Kunst des Rococo wurde ganz allgemein als Verirrung und Unsinn bezeichnet ganz
wie heute die des 19. Jahrhunderts. Die Zeiten der Verkennun? jener sind endgültig vorbei,
auch für die Kunst des 19. Jahrhunderts wird der Tag kommen, da der Nebelndes Vorurteils weicht
und man klar sehen wird, daß und was sie bleibendes geschaffen hat
Kommen wir auf die Restaurationen zurück. Die abstrakte Forderung, ein Gebäude müsse
in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden, ist eine mißverstandene Folgerung aus der
romantischen Begeisterung für das Mittelalter. Was hier verwüstet worden ist ist mir besser be-
kannt als Vielen, denn ich habe mehr Kirchen analytisch untersucht als die meisten Menschen.
Es darf aber nicht verkannt werden, daß sehr viele Kirchen in trostlosem Zustande in das 19. Jahr,
hundert gekommen sind, daß Restaurationen nicht zu vermeiden waren, und neben vielen aus-
sichtslosen und verfehlten stehen auch nicht wenige, welche in künstler seh und archäologisch
tadelloser Weise durchgeführt sind. Nur Vorurteil wird das verkennen. Die historisch künst-
lerische Arbeit war nicht vergebens. Ob nun der Turm in Kulmbach ausgebaut wird oder nicht
ob er in modernen oder in gotischen Formen gebaut wird, ist, ich wiederhole es, eine Frage, über
welche sich weitere Kreise nicht zu beunruhigen brauchen. Das aber darf ausgesprochen werden :
Ein besseres Verhältnis zwischen Turm und Kirche ist für einen Architekten, der Gefühl für Pro-
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LTTERARISCHE BESPRECHUNGEN. 131
Portionen hat, nicht schwer zu erreichen, und femer: Es gibt Künstler, welche die historischen
Formen so weit beherrschen, daß sie mit ihnen sicher künstlerisch schalten können. Fällt einem
solchen die bescheidene Aufgabe zu, den Kulmbacher Turm auszubauen, so dirf man getrost er-
warten, daß er sie künstlerisch lösen wird.
Meine Ausführungen richten sich gegen Extravaganzen der Denkmalpflege. Im Interesse
ihrer gedeihlichen Entwicklung möchte ich wünschen, daß unbedeutende Fragen, wie die des Turm-
baues in Kulmbach nicht zu häufig in so agitatorischer Weise aufgebauscht werden. Ich will ja
die gute Absicht des Herrn Spitzenpfeil nicht bezweifeln, sollte er mir aber, was ich nicht
glaube, sein Stammbuch vorlegen, so würde ich ihm vielleicht hineinschreiben: Ne sutor supra
crepidam. B e z o 1 d-
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EIN SPÄTGOTISCHES CIBORIUM.
Von EDWIN REDSLOB.
(Neuerwerbung des Jahres 1908.)
(Mit 1 Tafel.)
Die Abteilung der kirchlichen Geräte des Germanischen Nationalmuseums
wurde im laufenden Jahre durch zwei hervorragende Werke vermehrt, welche
der zu München versteigerten Sammlung Franz Greb^) entstammen.
Die Herkunft des ersten Stückes, eines gotischen Ciboriums (K. G.
841), kann bis auf seinen ursprünglichen Bestimmungsort, die Pfarrkirche der am
Main gelegenen unterfränkischen Stadt Ochsenfurt, zarückverfolgt werden.
Über seinen Meister läßt sich nichts mehr ermitteln, da beide am Rande des Fußes
angebrachte Merkzeichen sich nur auf eine während des Spätrenaissance vorgenom-
mene Reparatur beziehen. Doch läßt sich als Entstehungszeit auf Grund stilistischer
Merkmale die Periode der Spätgotik, also der Zeitraum um 1500, mit voller
Bestimmtheit festlegen.
Das für den Altardienst zur Aufnahme der Hostie bestimmte Gefäß ist in 52 cm
Höhe als turmartig abschließender Deckelkelch aus vergoldetem Silber (Gewicht
1685 g) gebildet. Aus achtpaßförmigem, mit gepunzter Bordüre umrahmtem Fuß
entwickelt sich der achteckige, verjüngt aufsteigende Schaft. Ehe er sich nach oben
zur Aufnahme des Mittelstückes verbreitert, wird er von einem ringförmigen Wulst
umfaßt, dessen weit vorspringende sechs Knäufe als spitzgestellte Quadrate ge-
bildet sind, um in Minuskelschrift die Initialen des Namens Jhesus zu tragen. Der
untere und obere Ansatz des Ringes paßt sich achteckig der Grundform des
Schaftes an: die entstehenden Rechtecke sind unten abwechselnd mit der Rose und
dem Initial i, oben mit demselben, viermal zwischen dreipaßförmig aoschließenden
Fenstern wiederkehrenden Initial gefüllt. Die Verbindung von Schaft und Ring
wird unten durch ein Geflecht aus hängenden Kreuzesblumen, oben durch einen
zackenbekrönten Reif gewonnen.
Das eigentliche, zur Aufnahme der Hostienbüchse bestimmte Gefäß ist als
achteckiges Prisma gebildet. Am Steh- und Mündungsrand zeigt es das auch am
Schaftfuß verwandte Ornament: eine gepunzte Bordüre aus Kreisen, in welche
fünfzackige Sternchen eingeschlagen sind. Die einzelnen Schaftflächen sind durch
Säulen und gedrückte Kielbogen mit Krabben und Kreuzesblume nischenförmig
umrahmt und tragen auf kleinen Konsolen, die als Voluten über den Stehrand
greifen, acht gegossene Relieffiguren. Als Hauptdarstellung steht in der^Mitte
(ohne Konsole) Christus am Kreuz, dem sich, von links nach rechts aufgezählt
folgende Gestalten anschließen: die klagende Maria, Barbara, Katharina, Maria
mit Kind 2), Andreas, Christophorus, der klagende Johannes.
1) über die Sammlung Greb vgl. Zeitschrift des Münchener Altertumsvereins. N. F. XIII.
Das Ciborium ist im Auktionskatalog der Kunsthandlung Helbing, 19O8, als Nr. 165 be-
schrieben und auf Tafel VI abgebildet.
2) Im Katalog „die hg. Mutter Anna mit der kleinen Maria".
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134 eiN SPÄTGOTISCHES CIBORIUM.
Der über dem Gefäß in Form eines achteckigen Spitzhelms aufsteigende Deckel
trägt als Bekrönung auf profiliertem Knaufe das Kreuz mit zwei weiteren Figuren:
auf der Vorderseite den Gekreuzigten, auf der Rückseite den Heiligen Andreas.
Die Vorderseite des Kreuzes ist durch Verzierung der Balkenenden mit Rosetten
ausgezeichnet, die mugelige Türkise enthalten.
Im Innern des mit einem Scharnier versehenen Aufsatzes steht die runde,
außen und innen vergoldete Hostienbüchse. Diese zeigt am Steh- und Mündungs-
rand eine mit dem Punzen geschlagene Bordüre aus gleicharmigen Kreuzen, zwischen
Hostienbfichse des Ciboriams. (K. G. 841.)
deren Balken kleine dreizackige Blätter eingefügt sind. Die Bordüre des Deckel-
randes ist als Gitterwerk aus quergestellten Kreuzen gebildet. Die Öse für den
durch Einkerbungen verzierten Tragring entwickelt sich aus einer relief artig auf-
gesetzten, sechsblätterigen Rose.
« * «
Formensprache und Arbeitsart zeigen den freien Stii der ausgehenden Gotik,
der ein klares Betonen des konstruktiven Aufbaues und ein energisches Aufstreben
der Umrißlinie verlangt. Während die Ciborien des frühen fünfzehnten Jahr-
hunderts*) noch keine selbständige Form haben, indem «ie entweder me nachträg-
lich bekrönte Kelche oder wie überreich mit architektonischem Zierrat besetzte
Turmmodelle aussehen, hat unser Stück eine zweckentsprechende, einfache und
eigenartige Form. Darin ist es einem Speisekelch des Schweizer Landesmuseums
in Zürich vom Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts verwandt, der allerdings
wesentlich primitiver gestaltet ist. Das Ochsenfurter Ciborium ist reicher verziert
und schlanker durchgebildet.
3) Vgl. Otte, Handbuch der Kirchl. Kunst- Archäologie. 5- Aufl. 1883. S, 238—240.
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VON EDWIN REDSLOB.
135
Auf breitem Fuß wächst der Schaft in elastischer Verjüngung zur Höhe, der
Knauf springt kräftig heraus, die Silhouette bekommt durch den straff zur Höhe
schießenden Spitzhelm einen leichten Abschluß.
Die konstruktiv wichtigsten Teile sind durch technisch verschieden behandelte
Einzelomamentik hervorgehoben. Allerdings ist dieser Zierrat etwas primitiv aus-
geführt. Die mit dem Punzen geschlagenen, umrandenden Ornamentstreifen haben,
zumal bei der Hostienbüchse, eine wenig ausgesprochene, fast kleinliche Form. Die
Ziselierung am Knauf verrät eine unsicher zeichnende Hand. Am freiesten wirken
die gegossenen Kielbogen und Figuren am Gefäß, die offenbar unter Benutzung
vorrätiger Bleimodelle gearbeitet sind. Daß zum mindesten die zierlichen kleinen
Heiligenfigürchen für das Ciborium nicht neu erfunden wurden, läßt sich auf Grund
bestimmter Anhaltspunkte behaupten. Die Hände des Gekreuzigten nämlich mußten
bis zur Hälfte abgeschnitten werden, damit die Kreuzesarme in die Umrahmung
paßten. Auch wurde für die Herstellung der beiden weiblichen Heiligen dieselbe
Matrize benutzt und erst durch Beifügung der Attribute — Rad und Schwert für
Katharina, Turm für Barbara — wurden beide voneinander unterschieden.
Die Figuren des im Dachknauf aufgeschraubten Kreuzes haben keine stili-
stische Ähnlichkeit mit den schmalen, engfaltig gewandeten Gestalten des Mittel-
stückes. Sie sind in höherem und besser durchgebildetem Relief gearbeitet und
zeigen volle, untersetzte Formen. Christus ist ohne Dornenkrone dargestellt, er
neigt das Haupt stark auf die rechte Schulter, so daß die Haarlocken auf dieser
Seite weit hemiederfallen. Am wenigsten befriedigt die Andreasfigur der Rück-
seite Allem Anschein nach war das benutzte Gußmodell als Vorbild zu einem
Johannes der Kreuzigungsgruppe gedacht, denn der Heilige ist bartlos, hat den
Kopf schmerzvoll nach oben gewandt und beide Hände zur Klage geöffnet. Einzig
durch Beigabe der crux decussata ist er dann zum Andreas umgebildet worden.
Außer den beiden Figuren zeigt auch die Verzierungsart der Kreuzesenden
die Merkmale der nachgotischen Entstehung: die stark überfassenden, außen rosetten-
förmig abschließenden Kasten mit den mugelig geschliffenen Türkisen entstammen
dem siebzehnten Jahrhundert.
Aber wir haben neben stilistischen Gründen auch andere Anhaltspunkte für
die Annahme einer späteren Überarbeitung des Ciboriums. An seinem Fußende
steht nämlich das Beschauzeichen der Stadt Ochsenfurt und die M e i s t er-
Marken am Ciborinm. (K. G. 841.)
marke G L. Diese Marken können sich nicht auf die gotische Entstehungszeit
beziehen, müssen vielmehr als Zeichen der Reparatur angebracht sein, da sie in
völlig übereinstimmender Form auf zwei im Besitze der Stadt Ochsenfurt befind-
lichen, 1625 datierten Renaissancepokalen vorkommen.
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136 EIN SPÄTGOTISCHES CIBORIUM. VON EDWIN REDSLOB.
Beide Becher sind einander völlig je:leich: aus Silber getrieben und außen wie
innen feuervergoldet, zeigen sie auf hohem Kuppelfuß, getragen von dem in Form
einer dreihenkeligen Vase gebildeten Schafte, die als Becher gestaltete, reich mit
Maskarons in Rollwerk verzierte Cuppa und darauf einen profilierten Deckel, den
eine Landsknechtsfigur mit dem Wappen der Ochsenfurter Familie Röslein bekrönt.
Der auf Grund der Pokale um i62S in Ochsenfurt nachweisbare Goldschmied
G. L. muß also im Auftrag der dortigen Pfarrkirche das Ciborium innerhalb der
ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts repariert haben. Seine Reparatur hat
in Neuvergoldung des ganzen Stückes und in Neuherstellung der Deckelbekrönung
bestanden; vielleicht hat er auch die Rosette der Hostienbüchse angefertigt. Da
die Stadt Ochsenfurt in den Jahren 1631—1634 unter den Kämpfen des dreißig-
jährigen Krieges stark zu leiden hatte*), ist die Reparatur möglicherweise in den
dreißiger Jahren erfolgt.
Ob auch die Herstellung des Ciboriums in Ochsenfurt erfolgt war, läßt
sich nicht mehr feststellen. Immerhin macht sein Stilcharakter wahrscheinlich,
daß es von einem in der Zeit um 1500 handwerklich in einer kleineren Stadt arbeiten-
den Goldschmied herrührt, dessen Werk allerdings durch sein sicheres Verständnis
für eine architektonische Gesamtwirkung erhöhten Kunstwert erhält.
Für die Sammlungen des Germanischen Museums bedeutet die Erwerbung
des Stückes auch aus gegenständlichem Interesse eine wichtige Ergänzung: zu den
vorhandenen fünf Ciborien aus dem vierzehnten und frühen fünfzehnten Jahr-
hundert ^) gesellt sich mit ihm ein Werk, welches die anderen Stücke an Größe wie
an Kostbarkeit des Materiales bedeutend übertrifft und die freiere und leichtere
Ausgestaltung des turmförmigen Ciboriums zur Zeit der Spätgotik veranschaulicht.
4) Forster-Götz, Geographisch- Historisches Handbuch von Bayern, S. 707.
5) Die drei wichtigsten Stücke sind bereits publiziert Vgl. Anzeiger für Kunde der deut-
schen Vorzeit XVI, 1869, S. 130— 135: A. Essenwein. Einige Ciborien in der Sammlung
Kirchlicher Geräte, und den Katalog der Kirchlichen Gerätschaften, 187t, K. G. 143, 144 und 147»
sowie Tafel V— VII.
o 0 a -
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J. C STEINBACHER.
Ein Münchener Qoldschmied des achtzehnten Jahrhunderts.
Von EDWIJ1 REDSLOB.
(Mit 1 Tafel.)
A ußer dem Ochsenfurter Ciborium erwarb das Germanische Museum auf der
J^ Auktion Greb zu München ein zweites kirchliches Gerät, das sich diesmal einem
bestimmten Meister zuweisen läßt. Es handelt sich um eine Reliquienmonstranz,
die zwar im Katalog (Helbing) als „Augsburger Arbeit aus der zweiten Hälfte des
siebzehnten Jahrhunderts" aufgeführt war, deren Marken aber bezeugen, daß sie
ein Werk des Münchener Goldschmiedes Johann Christoph Stein-
bacher ist.
Über diesen Meister läßt sich ein reichliches Nachrichtenmaterial zusammen-
stellen, dessen archivalischen Teil wir einem in der Bibliothek des Germanischen
Nationalmuseums verwahrten Manuskript des ungedruckten, in den siebziger Jahren
des neunzehnten Jahrhunderts angelegten „Münchener Goldschmiede-
buches" des verstorbenen Dr. J A. Kuhn entnehmen.
Danach stammt Stainpacher aus Salzburg, wo er bei Rupert Höller Lehrling
war. Er wanderte nach München und wurde 1719 Meister der dortigen Goldschmiede-
zunft. Sein Leben läßt sich von da an auf Grund zahlreicher Einträge im Meisterbuch
bis zu seinem Todestag, den 19. Februar 1746, verfolgen. Als seine Lehrlinge
werden genannt: 1730 Joseph Brichler aus Schwäbisch-Gmünd, 1731 Niclas Stadler,
1737 Franz Dilles, 1742 Simon Desiderius Hölzl aus Freising. Seine bedeutendsten
Schüler waren seine beiden Stiefsöhne Joseph Friedrich und Johann
Benno Canzler. (Der erste 1 743 zünftig. Von ihm sind u. a. die im Bayerischen
Kunstinventar S. 1040 unter seinem und unter J. Benno Canzlers Namen ange-
führten Arbeiten der St. Michaels-Hofkirche zu München aus den Jahren 1769 und
1771, sowie das Tabernakel der St. Peters- Pfarrkirche vom Jahre 1756; der zweite
1745 zünftig, gest. 1773, bei Marc Rosenberg unter Nr. II61 u. 1162.)
Auf Grund dieser Angaben Kuhns, deren Richtigkeit uns von dem Spezial-
forscher über die Geschichte der Münchener Goldschmiedekunst, Herrn Max Franken -
burger, München, bestätigt wurde, erscheint es gesichert, daß nur ein Meister
des Namens J. C. Steinbacher anzunehmen ist, während Marc Rosenberg einen
älteren und einen jüngeren unterscheidet: Auch zeigen die neun auf Grund der
Merkzeichen zusammenstellbaren Werke deutlich das Stilgepräge derselben Zeit und
derselben Meisterhand.
Marc Rosenberg kannte zwei Stücke: die silbernen Beschläge des Münchener
Goldschmiedezunft-Buches und ein 1746 datiertes, weißsilbernes Schildchen an dem
zinnernen Zunftpokale der Kürschner, beide im Nationalmuseum zuMün-
Mitteilung^t^n aus dem german. Nationalniuseuin. 1908. 18
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138
J. C. STEINBACHER.
chen. Die Urkunde der Goldschmiedzunft, die außer den auf blauem Sammt
angebrachten Beschlägen auch eine mit Steinbachers Marke gezeichnete Siegelkapsel
aufweist, ist laut Mitteilung der Direktion des Münchener Nationalmuseums im
Jahre 1738 ausgestellt und damals wohl auch gebunden worden. Zu den sehr ein-
fach im strengeren Stil des frühen Rokoko gehaltenen Münchener Stücken gesellen
sich drei weitere, in den Kunstdenkmälern des Königreichs Bayern aufgeführte
Arbeiten: in der Pfarrkirche zu Einsbach eine 17)2 von Pfarrer Franz
Sales Schwaiger gestiftete Kreuzpartikel mit Band und Rankenwerk, Marke ^^
(Reg. Bez. Oberbayern, Unteramt Dachau, S. 288), dazu in der St. Michaels
Hofkirche zu München zwei silberne Meßkannen mit dem Zeichen "'s^
(Reg. Bez. Oberbayern, Stadt München, S. 1040), und in der Johann Nepo-
mukkirche zu München*) eine silbervergoldete, mit Edelsteinen und
.Perlen verzierte Sonnenmonstranz, deren Fuß die auf der Weltkugel stehende Figur
der Maria bildet.
Außerdem nennen wir auf Grund der Nachrichten des Herrn Max Franken-
burger noch folgende zwei Werke :St. Peterskirche zu München: Kelch,
silbervergoldet , Marke wie oben ^); München, Liebfrauenkirche.
Kelch, silbervergoldet, Marke wie oben.
Dieses Register können wir durch zwei weitere Stücke vervollständigen. Das
erste ist die als Nr. 173 iiri Katalog der Sammlung Franz Greb abge-
bildete und beschriebene Peliquienmonstranz, die dort unter dem Namen Stein-
wächter aufgeführt war ^). Das Stück zeigt die Münchener Marke mit der Jahres-
zahl 1741 und den Stempel Steinbachers. Es ist kupfervergoldet und mit silbernen
Beschlägen belegt. Auf breitem Sockel, der eine Pergamentmalerei des Schmerzens-
mannes aufnimmt, erhebt sich eine Kartusche, die als Umrahmung einer Reliquie
des Heiligen Longinus dient.
Als letztes Werk führen wir die Neuerwerbung des Germanischen
Nationalmuseums (K. G. 842) an, deren Bestimmung auf und der ab-
gebildeten Marken erfolgte.
©
Marken der Reliquienmonstranz (K. O. 842.)
Der Aufbau des Reliquiares setzt sich aus dem Sockelpostament und zwei
übereinander angebrachten Reliquienbehältern zusammen. Der aus vergoldetem
Kupfer gebildete, dreiseitige Sockel ruht vorn auf zwei silbervergoldeten Voluten-
1) Kunstdenkmale S. 1020 ohne Angabe der Marke.
2) Ernst Geiß, Geschichte der Stadtpfarrei St. Peter: an Joh. Kristoff Steinbacher
wurden für zwei neue silberne Kelche Hl fl. bezahlt.
3) Das Reliquiar befindet sich im Besitze der Kunsthandlung Helbing-München,
der wir für seine Einsendung zu Vergleichszwecken verpflichtet sind.
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VON EDWIN REDSLüß.
130
fußen, hinten auf einer Kugel. Seine Frontseite ist mit reichen Silberbeschlägen
montiert. Die seitlichen Beschläge bekleiden die abgeflachten, als tragende Voluten
gebildeten Kanten des Postamentes, die dazwischen ausgespannten Zierbänder dienen
als Umrahmung eines getriebenen und ziselierten Reliefs, das vor reicher Renais-
sance-Architektur die Gefangennahme Christi zur Darstellung bringt.
Auf diesem Postament erhebt sich ein kleiner, in Form einer Dreieckspyra-
mide gebildeter Sockel, der den oberen Aufbau trägt. Der Sockel wird verdeckt
von der figürlichen Hauptdarstellung des Reliquiars: drei frei gearbeiteten, silbernen
Putten mit vergoldeten Attributen, Flügeln und Gewandteilen. In der Mitte sitzt,
beide Arme zu dem hinter ihm befindlichen herzförmigen Reliquienschrein empor-
hebend, der Engel der Hoffnung mit dem Anker, zu seiner Rechten schwebt der
Engel des Glaubens' mit erhobenem Kelche, zu seiner Linken, das flammende Herz
zur Höhe haltend, der Engel der Liebe.
Über den Putten steht das vergoldete Herz Christi, darüber ragt, aus Flammen
zwischen Palmzweigen und abflattemden Bändern sich erhebend, das silberne, gold-
ornamentierte Kreuz empor. Das Herz trägt in der Mitte in silberner Umrahmung
eine kreuzförmige, mit Krystall geschlossene Öffnung, die als Behälter der Reliquie
bestimmt ist. Die Reliquie des zweiten Behälters wurde durch eine ähnliche, dies-
mal goldgefaßte Öffnung sichtbar gemacht.
Die Komposition entspricht der Geschmacksrichtung des Rokoko. Es ist
nicht beabsichtigt, die Funktionen der Einzelteile durch eine strenge Gliederung
des Aufbaues zu veranschaulichen; vielmehr soll durch eine elegante Verbindung
der Einzelheiten die Konstruktion möglichst verhüllt werden, damit das Gebilde
um so einheitlicher und zierlicher erscheint. Daher bleibt der Ansatz des oberen
Aufbaues hinter den Engelfiguren völlig versteckt; das Herz und in gleicher Weise
das über seinen Flammen aufsteigende Kreuz sollen wie schwebend erscheinen zwischen
beweglichen Putten, flatternden Bändern und züngelnden Flammen.
Somit stellt sich die Arbeit Steinbachers in ihrer temperamentvollen Leichtig-
keit als ein echtes Werk des frühen Rokoko dar, das sich im München Max Emanuels
und Karl Alberts zu schneller Blüte entfaltet hatte. Nach den Goldschmieden
Keßler und Oxner, die beide schon 1717 gestorben waren, blieb Steinbacher
der bedeutendste Vertreter der Münchener Zunft. Als solcher ist er seinen Auf-
trägen nach auch gewürdigt worden. Außer für die Zünfte und für die alte Frauen-
kirche hat er Geräte für zwei besonders typische Rokokoaltäre gearbeitet: für den
Altar der 1733 von den Gebrüdem Asam*) erbauten Johann Nepomukkirche und für
den 1734 errichteten Altar im neuerweiterten Chor der St. Peters-Pfarrkirche.
Seine Kunstrichtung wurde fortgesetzt von seinen beiden Stiefsöhnen J. B.
und J. F. Ganz 1er, mit denen die im 17. Jahrhundert vorbereitete Blüte des
Münchener Goldschmiedehandwerks ihren Abschluß fand.
4) Vgl. Ph. M. Halm, Die Asam.
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ÜBER ZWECK UND ENTSTEH UNOSZEIT DER. SOGEN.
PÜSTERICHE
Von r. M. FCLDHAUS. Ingenieur in PHICDCNAU.
Bald nach Eröffnung des Germanischen Nationalmuseums stiftete Kommis-
sionsrat Gustav Bertram aus Sondershausen den Abguß eines sogenannten
Püsterichs, der sich noch gegenwärtig in der Sammlung befindet. Da das Original
dieser Figur neuerdings in Sondershausen dem großen Publikum nicht mehr zugäng-
lich ist und da alle möglichen Meinungen über den Zweck derartiger Figuren auf-
getaucht sind, so gebe ich hier auf Grund einer bisher unbeachtet gebliebenen Stelle
des Albertus Magnus und einer andern bei Kysser von Eichstadt (1405) meine
Ansicht über den Zweck und die Entstehung dieser Figuren wieder.
Es hat, wie wir später noch sehen werden, wahrscheinlich mehrere Püsterich-
figuren gegeben. Die Sondershauser Figur wurde zwischen 1540— 50 in Schutt
der Ruinen der Rotenburg in einer verfallenen Kapelle aufgefunden. Sie stellt eine
knieende, nackte männliche Figur dar, deren aufgeblasene Backen besonders auf-
fallen. Die Lippen sind aufgeworfen, die Nase platt, die Haare zeigen die Tracht des
13. Jahrhunderts. Der Leib ist sehr stark, die Arme und Unterschenkel sehr schwach.
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Ober zweck ümd entstehu!iqszeit der soo. püsteriche. von m. feldhaus. 141
Die Figur kniet auf dem linken Bein, streckt das rechte Bein ein wenig vor, hält die
rechte Hand auf den Kopf und stützt die linke Hand auf das linke Knie. Drei Finger
der rechten Hand, ein Teil des linken Unterarms und beide Füße fehlen der Figur.
Den linken Unterarm ließ Kurfürst Moritz von Hessen-Kassel abschlagen, um die
Metalllegierung, an die sich die Sage geknüpft hatte, zu untersuchen. Woher die
übrigen Verstümmelungen rühren, weiß man nicht. Der Guß ist roh und die ganze
Figur infolge der vielen mit ihr angestellten Feuerexperimente fast schwarz. Nach
der Untersuchung von Klaproth (Schweiggers Neues Journal der Chemie,
1810, I, 4) besteht das Metall aus 916 Kupfer, 75 Zinn und 9 Blei. Die Höhe
mißt 57 cm. Gewicht 35,35 kg. Über den Ursprung der Sondershauser Figur ist
nichts weiteres bekannt. Die erste Nachricht über sie gibt der Metallurg Georg
F a b r i c i u s 1561. Er sagt, in Thüringen bewahre man in der Familie Dutgerode
(Tütcherode) ein gewisses Idol aus Erz, das man in den Fundamenten der Roten-
burg in einem unterirdischen Heiligtum gefunden habe. Man nenne es „Pustericius",
es habe die Statur eines Knaben, der die rechte Hand ans rechte Ohrläppchen,
die linke aufs linke Knie halte. Innen sei sie hohl und wenn man sie mit Wasser
fülle und mit Feuer umgebe, speie sie das Wasser unter großem Getöse wie Flam-
men über die Umstehenden (et aqua repletum atque igne circumdatum, cum ingenti
sonitu, aquam illam in astantes instar flammarum evomit). Diese kurze Beschreibung
des Fabricius trifft, wie wir noch sehen werden, das Richtige.
Nach Fabricius haben bis heute über 60 Schriftsteller sich mit dem Püsterich
befaßt. Die älteren findet man sämtlich zusammengestellt in dem Buch von Martin
Friedrich Rabe, „Der Püstrich zu Sondershausen, kein Götzenbild" (Berlin
1852). Rabe war pensionierter Kgl. Schloßbaumeister und Mitglied der Akademie
der Künste. Nachdem er sich in seiner Schrift in 204 Seiten eingehend über das
Aussehen, die Auffindung, den Namen, die Erlebnisse der Figur im Lauf der Jahr-
hunderte und über die Vermutungen des Zwecks verbreitet hat, spricht er seiner-
seits die Vermutung aus, der Püsterich sei ein Taufbeckenträger gewesen und erst
später habe ihn jemand zum Zwecke eines Dampfversuches angebohrt. Es ist auf-
fallend, daß man sich in Sondershausen heute an diese Vermutung so fest anklammert,
trotzdem die Annahme kunstgeschichtlich gar keine Wahrscheinlichkeit für sich hat
(Der Deutsche, Sondershausen, Nr. 209, 233, 1908).
Die früheren Anschauungen, was es mit dieser Figur für eine Bewandtnis habe,
sind von Rabe genau zusammengestellt worden:
1. ein von christlichen Geistlichen gebrauchtes Schreckbild zur Erlangung reich-
licher Gaben;
2. eine Gottheit der alten Deutschen;
3. ein Dampfgeschütz Kaisers Friedrich I. oder einiger Raubritter;
4. eine slavische Gottheit;
5. das Gefäß eines Branntweinbrenners oder eine Gießkanne.
Neuerdings hat H. v. F r e y d 0 r f in der Zeitschrift für Kulturgeschichte den
Püsterich zu einem Feuersignal der Rotenburg gemacht.
Am Ende dieser langen Liste von Verwendungsmöglichkeiten entbehrt es gewiß
nicht des Humors, wenn ich sage: Der Püsterich ist Deutschlands älteste Dampf-
maschine.
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142 t)BEH ZWECK UND ENTäTEHUNQSZFIT DER SOQ. PÜSTERICHE.
Der Beweis für meine Behauptung liegt in einer Stelle des Albertus Magnus,
in seiner Schrift „De meteoris". Albertus spricht von dem Erdbeben und versucht
ihre Wirkung durch einen Apparat anschaulich zu machen. Diesen beschreibt er
folgendermaßen (Alberti Magni Opera, Paris, Band 4, 1890 S. 634 Spalte 2): Man
nimmt ein starkes Gefäß aus Erz, das innen möglichst gewölbt sei und obai eine
kleine Öffnung, und eine andere wenig größere im Bauch hat, und das Gefäß habe
seine Füße so, daß sein Bauch die Erde nicht berührt. Es werde mit Wasser gefüllt
und nachher durch Holz kräftig verschlossen an jeder der beiden Öffnungen. Man
setzt es auf ein sehr starkes Feuer, dann entsteht Dampf im Gefäß, dessen Kraft
durch eine der beiden verschlossenen Öffnungen wieder hervorbricht. Bricht sie
oben hervor, so wirft sie das Wasser weit zerstreut über die umliegenden Stellen des
Feuers. Bricht sie unten hervor, dann spritzt sie das Wasser in das Feuer und
schleudert durch den Ungestüm des Dampfes Brände und Kohlen und heiße Asche
weit vom Feuer über die Umgebung. Man nennt deshalb auch ein solches Gefäß
gewöhnlich „sufflator" und pflegt es nach der Gestalt eines blasenden Mannes »zu
formen."
Die Kraft des gespannten Dampfes kannte Albertus Magnus aus den klassischen
Schriften des Philon von Byzanz, des Heron von Alexandrien und des Vitruv. Irgend
welchen Anhalt für die Form eines Dampfapparates in Gestalt eines blasenden Mannes
haben wir jedoch vor Albertus Magnus nicht. Soviel beweist sich unzweifelhaft aus
der Stelle des Albertus, daß man ähnliche Figuren wie die Sondershauser im 13. Jahr-
hundert zur Vornahme physikalischer Experimente kannte.
Es lassen sich hieraus aber auch die verschiedenen älteren Auffassungen über
den Zweck des Püsterichs erklären, denn dem großen Haufen mußte die Beschäftigung
mit der Untersuchung der Erdbeben antichristlich erscheinen. Fabricius, der die
Stelle des Albertus Magnus höchstwahrscheinlich gekannt hat, denn die Bücher des
Albertus waren viel gelesen und besonders für Mineralogen und Metallurgen von Wert,
spielt mit dem Wort „Idol** auf die gespensterhafte Verwendung des Dampf apparates
im Sinne der Volkssage an. Die gänzliche Unkenntnis der Naturwissenschaften bei
der großen Masse ließ den kleinen Dampfapparat später leicht zu einem großen
Dampfgeschütz werden. Daß man solche um jene Zeit kannte, geht aus einer Stelle
des Leonardo da Vinci (Manuskr. B, Blatt 33a) hervor, wo aufgezeichnet wird, daß
ein Ingenieur mit dem Beinamen Archimedes ein solches Dampf geschütz baute, mit
dem man eine Kugel von 52 Pfund auf etwa 500 m Entfernung schießen könne. Die
Annahmen, daß es sich bei der Püsterichfigur um einen Destillierapparat eines Brannt-
weinbrenners oder um eine Gießkanne handele, sind so albern und so unbegründet,
daß wir hier nicht näher darauf einzugehen brauchen. Ebensowenig ist die An-
nahme von V. Freydorf, der Püsterich sei ein Feuersignal gewesen, ernst zu nehmen,
denn aus einer daumengroßen Öffnung des Mundes der Figur kann man ein weit-
sichtbares Signal überhaupt nicht hervorleuchten lassen.
Zum geheimen Rüstzeug mittelalteriicher Ingenieure gehört allerdings ein
Feuer- Püster, der, meines Wissens zum ersten mal von Konrad Kyeser von Eich-
stätt in Cod. phil. 63 der Universitäts-Bibliothek in Göttingen im Jahre 1405 ab-
gebildet wurde. Die Handschriften mittelalterlicher Ingenieure sind noch zu wenig
erforscht, um hier ein Urteil wagen zu können, was dieser Feuerbläser bezweckte.
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VON M. FELDBAUS.
143
Tatsache ist, daß die vielen von Kyeser abhängigen Handschriften den Feuerpüster
bringen. Zum letzten Mal kenne ich ihn aus Cod. germ. fol. 94 der Königlichen
Bibliothek in Berlin aus dem Jahre 1540. Kyeser beschreibt seinen Püsterich also:
Ego sum Philoneus cupreus argenteus ipse
Aereus seu terreus, aureus vel fortis minerae
Vacuus non uro, sed repletus terebintho
Baccho vel ardenti, corpus meum applica foco
Nam calefactus ego igneas emitto scintillas
Per quas tu possis accendere quamcumque candelam.
Die Vorrichtung glich also im Prinzip unseren heutigen Lötlampen, sie ist
zum Anzünden von Kerzen höchst unbequem.
Rabe hat in seiner angeführten Schrift den alten Vermutungen — die immer
dadurch entstanden, daß man eine genügend alte Erklärung für den Zweck der Figur
nicht hatte — eine neue hinzugefügt: der Püsterich sei erst in späterer Zeit zu einem
Dampfbläser angebohrt worden, ehemals wäre er ein T a u f b e c k e n t r ä g e r ge-
wesen. Hierzu gibt Rabe die nachstehende Skizze.
Dieser Annahme, die neuerdings wieder in dem Werke von G. L u t z e „Aus
Sondershausens Vergangenheit" (1907, Bd. 2, S. 90) vertreten wird, widerspricht
aber fast alles. Zunächst widerspricht ihr die in Sondershausen bisher nicht bekannt
gewesene Stelle des Albertus Magnus. Dann aber auch die künstlerische Auffassung
der Figur und endlich das vorhandene Vergleichsmaterial. Die Haltung des Püsterichs
ist entschieden die eines blasenden Mannes. Der dicke Bauch, der kurze Hals, die
aufgeblähten Backen, die glotzenden Augen haben etwas herausforderndes und grotesk-
komisches. Beine und Arme, abgesehen von den oberen Teilen der Schenkel, sind
ganz nebensächlich behandelt. Das ist bei tragenden Figuren nicht der Fall. Man
sieht, daß es dem Verfertiger lediglich auf die Schaffung eines Hohlraumes ankam,
Beine und Arme konnte er deshalb nebensächlich behandeln. Taufbeckenträger,
z. B. am Hildesheimer Taufbecken, sind fein gegliedert, neigen den Kopf, um die
Last auf den Schultern aufzunehmen und haben ruhige, andächtige Mienen.
Neuerdings hat Dr. H. Toepf er in Sondershausen in den Mitteilungen des
Vereins für Erdkunde zu Halle (1903, S. 62) die Ansicht ausgesprochen, die Püsterich-
figur sei nicht, wie Rabe meint, einer von 4 Taufbeckenträgem, sondern sie habe
ein einzelnes Becken getragen. Dieser Auffassung widerspricht nun noch mehr als
der Auffassung von Rabe, denn wenn man sich ein Becken auf der Figur vorstellt,
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144 ÜBER ZWECf UND BNTSTEHUN6SZE1T DER SOG. PÜSTERICHE.
SO hat man unwillkürlich die Empfindung, als werfe die Figur ihre Last mit einem
energischen Ruck des Kopfes hinten herunter. Nicht einmal wenn eine tragende
Figur ihren ganzen Körper nach vorne übemeigt, wirft sie den Kopf dabei zurück,
viel weniger, wenn sie, wie die Sondershauser Figur, aufrecht kniet.
Es wird also gegen die Stelle des Albertus Magnus im Zusammenhang mit der
Püsterichfigur nichts einzuwenden sein. Daß Albertus von einer Figur spricht, die
eine Öffnung oben und eine zweite im Bauche hat, während der Sondershauser Püste-
rich eine Öffnung oben und die eine im Munde hat, tut nichts zur Sache. Es ist
gleichgültig, wo man die Löcher anbringt. Vom technischen Standpunkte aus, ist
die Sondershauser Anordnung entschieden die bessere, denn hier liegen beide Öff-
nungen, aus denen die Pflöcke herausfahren können, im Dampfraum. Bei Albertus
hingegen würde sich das zur Dampfbildung notwendige Wasser — wie er es ja auch
beschreibt — zum größten Teil entleeren, wenn der untere Pflock herausfahren würde,
und dadurch würde sich das Experiment schnell abkürzen.
Der einzige, einigermaßen stichhaltige Grund zur Annahme, der Püsterich sei
kein Dampfapparat gewesen, ist der, daß die verschiedenen Versuche, den Apparat
zur Dampfentwickelung zu bringen, mißlangen. Der Apparat faßt etwa 8 Liter
Wasser. Seine Heizfläche ist infolge der Form äußerst klein. Die Erwärmung ge-
staltet sich noch ungünstiger durch die verhältnismäßig große Abkühlungsfläche,
zu der ja auch Beine und Arme hinzuzurechnen sind. Der letzte Dampfversuch
mit der Figur wurde ums Jahr 1801 angestellt. Man füllte sie damals anstatt mit
Wasser mit Branntwein, Phosphor, Schwefel und Eisenspänen. Was diese Mischung
bezwecken sollte, ist nicht einzusehen. Auf jeden Fall mußte bei ihr, infolge der
geringeren Dichtigkeit der Füllung, die Dampfentwickelung eine geringere sein. Aus
einer Schrift des Prinzenerziehers, späteren Professors der Universität Gießen, I m-
manuel Weber „Schediasma historicum de Pustero" (1723) geht hervor, daß
die Dampfentwickelung, wenn man das Feuer tüchtig geschürt habe, so schnell er-
folge, daß die Pflöcke sehr bald herausgeflogen seien. Es ist also auch heute ohne
ein neues Experiment ohne weiteres selbstverständlich, daß die 8 Liter Wasser in
der Figur zur heftigen Dampfentwickelung kommen, soferti man den unteren Teil
mit einem genügend starken Feuer umgibt.
Nachbildungen des Sondershauser Püsterichs sind mehreremale hergestellt
worden. Schon im Jahre 1591 wünschte Herzog Wilhelm zu Hessen vom Grafen
Anton Heinrich von Schwarzburg, „das Vns mehrgedachter F'eusterich von E. L.
Bevehlhabem zu Sondershausen gefolgtt Vnd Vberschicktt werJen möge". In der
Regierungszeit des Fürsten Christian Wilhelm von Schwarzburg-Sondershausen
(1666—1720) sind zwei Nachbildungen aus Holz in natürlicher Größe an die Uni-
versitäten Leipzig und Gießen geschenkt worden. Keine der beiden Figuren ist dort
noch vorhanden. Dagegen besitzt die Deutsche Gesellschaft zur Erforschung vater-
ländischer Geschichte in Leipzig eine 20 cm hohe aus Gips geformte und schwarz
gestrichene Püsterichfigur, wie solche im Jahre 1812 von Sondershausen aus in den
Handel kamen. 1826 wurden 3 Original-Abgüsse der Figur in Gips gefertigt. Einer
davon befindet sich gegenwärtig im Museum für heimatliche Geschichte und Alter-
tumskunde der Provinz Sachsen in Halle, der andere im Schlesischen Museum zu
Breslau, der dritte im Germ. Museum in Nürnberg. Ein 10 cm hoher Bleiabguß des
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VON M. FELDHAÜS. 145
Püsterichs wurde in der in Sondershausen erscheinenden Zeitung „Der Deutsche"
vom 5. Februar 1906 besprochen. Aus dem 15. Jahrh. stammen Püstriche, die
im Louvre und im Museum Correr aufbewahrt werden.
Eine Püsterichfigur in ganz anderer Ausführung als die Sondershauser besitzt
das Wiener Hof -Museum. Ihre Entstehungszeit bedarf noch eingehender Unter-
suchungen. Die bronzene Figur stellt ein hockendes Männchen dar, das seine kleinen
Beinchen in gebogener Stellung nach vorne hält. Wiederum liegt die eine Hand auf
dem Kopf auf. Das Gesicht ist nicht so häßlich, wie bei der Sondershausener Figur,
der Ausdruck ist vielmehr ein lustiger. Der Kopf ist nach vorne ausgestreckt ge-
halten und mit einem eigentümlichen, spitzen Hut bekleidet. (Gewicht 3,3 kg.
Höhe 23,7 cm.) Abgebildet bei: Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern.
Daß sich in der Kirche zu Doberan in Mecklenburg ehemals ein Püsterich be-
funden habe, liest man bei Hermes „Sophiens Reise von Memel nach Sachsen" U
S. 461, Leipzig 1770: „Er bließ wie der Rüster in der Kirche zu Doberan." Doch
ergaben meine Nachforschungen, daß es sich in jener Stelle um eine jetzt nicht mehr
vorhandene Grabschrift handelt, die in der Kirche dem Bälgetreter Knust gesetzt
worden war:
Hier ruhet Reter Knust,
Gott zu Ehren hat er gepust
Bis er selbst den Rust bekam
Und ihm Gott den Rust benahm.
Durch Grimm's Wörterbuch ist diese Verwechslung wohl in die Welt gekommen,
denn dort stehen der Sondershauser Rüster und der Rüster Knust zusammen. Durch
Grimm wurde ich aber auf ein Gedicht aufmerksam, das den echten Rüsterich in die
klassische Literatur brachte. Als Goethe nämlich von dem Geistlichen Rustkuchen
heftig angegriffen wurde, schrieb er folgende Verse:
Rüster, grobes deutsches Wort!
Niemand — wohl erzogen —
Wird am reinanständigen Ort
Solchem Wort gewogen.
Rusterich, ein Götzenbild,
Gräßlich anzuschauen.
Rüstet über klar Gefild
Wust, Gestank und Grauen.
Will der Rüstrich nun gar
Rfaffenkuchen pusten.
Teufelsjungen — Küchenschar
Wird den Teich behusten.
-oQo-
MitteiluDgen aus dem Kliman. Nationalmuseuin. 1906. 19
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ÜBER EINE FORTSETZUNO VON NEUDÖRFERS „NACH-
RICHTEN« UND IHREN MUTMASSLICHEN VERFASSER, DEN
MALER LEONHARD HEBERLEIN (1584—1656).
Von Dr. TH. HAHPe.
I
Schon verschiedentlich habe ich in der letzten Zeit auf eine Handschrift hin-
gewiesen, die sich in dem im Germanischen Museum deponierten Freiherr!,
von Scheurl'schen Familienarchive befindet und sich zum guten Teil als eine Art
Fortsetzung von des alten Schreib- und Rechenmeisters Johann Neudörfers „Nach-
richten von nürnbergischen Künstlern und Werkleuten" darstellt. Die betreffende
Handschrift ist ein Teil eines größeren Konvoluts und liegt uns hier leider nicht in
der ursprünglichen Niederschrift, sondern nur in einer offenbar höchst mangelhaften
Abschrift vor, die namentlich eine Reihe deutlich erkennbarer Auslassungen auf-
weist. Da auch einige der übrigen in jenem Konvolut vereinigten Stücke in Beziehung
zu unserer Handschrift stehen und alle sich auf Kunst und Künstler beziehen, wie sie
denn wohl von einem Kunstliebhaber oder Sammler der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts
zusammengebracht und teilweise vielleicht sogar selbst geschrieben sind, so beginne
ich mit einer Aufzählung und kurzen Charakterisierung der einzelnen Bestandteile
des Konvoluts:
1. „Nahmen berühmter künstler, so von 150 und mehr jähren hero inn Nürn-
berg florirt haben", 1 Folioblatt von einer Hand des beginnenden 17. Jahrhunderts,
Aufzählung von Künstlern und Kunsthandwerkern zumeist des 16. Jahrhunderts,
beginnend mit „Martin Schön, mahler", schließend mit „Niclaus Nutschiteil, sonst
Niclaus auf der Seg genannt, der berühmte conterfey gemahlt". Da dies Verzeichnis
teilweise wörtlich mit unserer späteren Neudörfer- Fortsetzung übereinstimmt —
wir kommen im einzelnen darauf zurück — , so ist anzunehmen, daß es dem Verfasser
der Fortsetzung als Vorlage gedient hat. Auf die fast gleichlautende Fassung der
Notizen, die hier den Medailleuren Bolsterer und Deschler, wie auch dem „alten
Peter oder Adam Flettner" gewidmet sind, habe ich bereits in einer Besprechung
des Domanig'schen Werkes über die deutsche Medaille^) hingewiesen. Ich glaubte
aus dieser Übereinstimmung schließen zu dürfen, daß den Kunstfreunden um 1600
Peter Flötner noch wesentlich als Medailleur und Kleinplastiker gegolten habe.
2. „Specification deß gantzen Dürerischen drucks", 3 Folioblätter von der
in Nürnberger Archivalien des 17. Jahrhunderts ungeheuer häufig begegnenden
Hand des Paulus Grundherr (1611—1664), der, seit 16)7 „Registrator in der oberen
1) Vgl. Kunstchronik N. F. XIX (I907/8) Sg. 479-
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ÜBER EINE FORTS. V. NEÜDÖRFERS NACHRICHTEN etc. VON DR. Tfl. HAMPE. 147
Registratur" (des Rats), von 1651 ab „Amtmann im Leihhause", nach Biedermann*)
„ein gelehrter Herr, sonderheitlich aber in der Genealogie und Historie sehr wohl
erfahren gewesen, wie er denn der meisten Nürnbergisch Adelichen Geschlechter
Genealogien ausgearbeitet hat", vgl. Abb. 1 **). Das Verzeichnis ist sehr reich-
haltig und bietet manche interessante Benennungen einzelner Blätter in Dürers
graphischem Werk. Ich behalte mir vor, demnächst ausführlicher darauf zurückzu-
Abb. 1. Probe der Schrift Paulas Qnindherrs in der Größe des Originals
(vgl. Nr. 2 des Scheurlschen Konvoluts).
kommen ; vielleicht daß sich aus einem Vergleich mit anderen alten Manuskriptkata-
logen auch ergibt, ob Paulus Grundherr selbst dies Verzeichnis aufgestellt oder ob er
lediglich als Abschreiber fungiert hat. Das letztere ist zunächst das wahrscheinlichere.
2) Geschlechtsregister des hochadlichen Patriciats zu Nürnberg Tab. LXVII.
2a) Von der gleichen Hand befinden sich im Scheurlschen Familienarchive (Signatur
XIV. F. 26) genealogisch-biographische Aufzeichnungen über das nürnbergische Patriziat von
1592—1647- Der Schreiber derselben, der hier zugleich als Verfasser gelten darf, gibt sich
auf der letzten Seite des Faszikels durch den letzten Eintrag zu erkennen, welcher lautet:
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148 ÜBER EINE FOBTS. V.NEÜDÖRFEBS NACHRICHTEN ü. IHREN VERFASa HEBERLEIN 1694-166«.
). „Verzaichnuß der berühmten arbeiter und künstler, so Johann Neudörffer,
schulmaister, ao. 1547 soll zusamen getragen haben" samt der „Praefatio Neudörfferi",
15 Folioblätter, gleichfalls von Paulus Grundherr geschrieben. Diese Abschrift der
Nachrichten Neudörfers ist etwa von der mittleren Qualität jener Handschriften,
die von Lochner für seine Neudörfer-Ausgabe*) benuzt wurden. Genauer läßt sich
ihr Wert und ihre Einfügung in den Stammbaum der zahlreich vorhandenen Neu-
dörfer-Handschriften nicht bestimmen, solange eine eigentlich kritische Ausgabe
von Neudörfers Nachrichten noch nicht vorliegt, wie sie bei der Unsicherheit, die
man dem Lochnerschen Wortlaut gegenüber empfindet, zu einem immer dringenderen
Bedürfnis wird. Hat doch Lochner nicht einmal zwischen dem Text der von ihm
benutzten Handschriften und Campeschen Zusätzen überall klar geschieden.
4. „Matthis Quad von Kinckelbach Von Teutscher Nation Herrligkeit. Cap.:
Von den berühmbtten künstnem sonderlich aber mahlem und kupfferschneidem
Teutscher Nation". Dem Auszug aus dem genannten Werke Matthis Quads von
Kinckelbach (Cöln, Wilhelm Lutzenkirchen, 1609, S. 425 ff.) ist zunächst eine „Kurtze
erzehlung deß hochberühmten Albrecht Dürers herkommen und ruhmwürdigen
wercken" angefügt, die in ihrem ersten Teil auf Dürers Familienchronik zurückgeht
aber in der dritten Person gehalten ist und gelegentlich auch ein paar Zeilen aus
Neudörfers Nachrichten einflicht. Der mittlere Teil scheint aus guter Kenntnis
der Werke Dürers heraus einiges Selbständige zu bieten, während der Schluß wohl
zum guten Teil aus einer Version der Compilation des Hans Wilhelm Kreß geflossen
ist, die gleichfalls den bekannten ominösen Brief an Tscherte — „Extract eines Schrei-
bens de statu domestico Alberti Düreri et morte" heißt es in unserer Handschrift —
inseriert. Schließlich folgt noch eine wertlose Notiz über die „löbliche meistersing-
kunst", sowie über Hans Sachs und seine Dichtungen. Dieser ganze Teil unseres
Konvoluts umfaßt vier Folioblätter und ist gleichfalls durchweg von Paulus Grund-
herr geschrieben. Auf einzelne der Albrecht Dürer betreffenden Nachrichten wird
gelegentlich in anderem Zusammenhange zurückzukommen sein.
5. Quartblatt mit einer Notiz über Albrecht Dürers Tod und der schon aus
Aufzeichnungen Dr. Christoph Scheurls aus dessen Sterbejahre 1542*) bekannten
Nachricht, daß Dürers auf dem Johannis-Gottesacker zur Ruhe bestatteter Leich-
nam „von den künstlern wiederum außgegraben" worden sei, „sein angesicht abzu-
gießen". Geschrieben von einer Hand des 17. Jahrhunderts, doch nicht derjenigen
des Paulus Grundherr.
6. „Kunststück von Nürnberger maistern und zu Nürmberg verfertigt:
In arce regia Pragae e sublimi pendent quatuor candelabra ex aurichalco [Gold-
bronze] fabricata, magnitudine et opere illustria, Senatus Norimbergensis ad Caesa-
rem Ferdinandum honorarium munus. P[aulus] Henznerus, Itinerarfium Germa-
»,1647 4. Julii uxor mea optima duicissima clarißima Barbara, filia Dni Pauli Behem, in
Christo piÄ obiit, aet. 27**. Nach Biedermanns Geschlechtsregister Tab. LXVII war die betr.
Barbara die Gattin des oben genannten Paulus Grundherr. Dieser Nachweis ist Herrn
Dr. Heinrich Heerwagen zu verdanken.
3) Ouellenschriften für Kunstgeschichte Bd. X. Wien, 1875.
4) Vgl. Naumanns Archiv für die zeichnenden Künste IV (1858) S. 26.
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VON DB. TH. HAMPE.
149
nia«, Galliae, Angliae, Italiae] p. 412'^)". Notiz auf einem Folioblatt von der Hand
Paul Grundherrs.
7. „Künstler dießer Zeit", jene Handschrift oder jener Teil des Konvoluts,
der im Mittelpunkt unserer Betrachtung steht und im folgenden Abschnitt ausführlich
behandelt wird. Verfaßt nach einer bei „Wolf Aigen" (s. u.) hinzugefügten Jahres-
zahl 1655, auf 4 Folioblättem geschrieben von Paulus Grundherr.
8. Ein kurzer Lebensabriß des Malers Leonhard Heberlein, nicht unmittelbar
zum vorhergehenden Produkt gehörend; Folioblatt, geschrieben von P. Grundherr.
Vgl. den ni. Abschnitt dieses Aufsatzes.
9. Abhandlung über Nürnberg, seine vortreffliche Verwaltung, über die Blüte
von Kunst und Kunstgewerbe daselbst u. s. f., eine Kompilation aus den Werken
des Hieronymus Megiser (Theatrum machinarum), des Heberus („in libro servit.
Aegypt."), Jakob Bomitius, Walter Rivius, Eobanus Hesse, M. Paul Rentz („in
Güldenen Handwercksboden" fol. 149 ff. und 190), Konrad Celtis und Bodinus („lib. 6
c. 2 de Republ."), die in dieser Reihenfolge exzerpiert und zitiert werden. 2 Folio-
blätter, von der Hand Paul Grundherrs beschrieben.
10. „Catalogus civium aliorumque Norimbergae degentium aere lignoque sculp-
tarum imaginum. Item: Andere nürenbergische Sachen, die stat und landtschafft
betreffente. Nürnbergischer geschlechter und bürger wappen, wie selbige ietziger
zeit von unterschidlichen meistern theils in holz geschniten, theils in kupffer gestochen
zur band zu bekommen sint". 10 Folioblätter. Von einer Hand des 17. Jahrhunderts,
nicht derjenigen Paulus Grundherrs, geschrieben.
n.
Ich gebe hier zunächst den Text unserer kleinen Schriftquelle, d. h. der Nr. 7
des vorstehenden Verzeichnisses wieder und füge die nötigsten Anmerkungen hinzu:
„Künstler dießerZeit:
1. «) Der alte Heiden, so das geigenwerck erfunden'').
2. Hannß Praun hatt das kupffer auff die gülden arth wohl verarbeiten können
also daß man unter dem guten und seiner arbeit wenig unterschied hatt finden können.
Ist auch ein sonderiicher künstler in den gegoßenen spiegeln.®)
). Hannß Weser ist ein guter glaßschneider und hier der erste in dieser kunst
gewest*).
5) Nach Jöcher- Adelungs Gelehrten- Lexikon II. Supplementband (1787) Spalte 1929 f.
hatte Paul Hentzner seine Reise von 1596 bis 1600 gemacht. Die Reisebeschrclbung, der obige
Notiz entnommen is , erschien zuerst in Nürnberg 1612, eine 2. Auflage in Breslau 1617, mit
einigen Zusätzen von anderen 1629.
6) Diese Numerierung ist von mir hinzugefügt.
7) Gulden Nr. 38 (Edition Lochner S. 215) ähnlich.
8) Gulden Nr. 46 (ed. Lochner S. 219) fast gleichlautend.
9) Ahnlich Gulden Nr. 23 (ed. Lochner S. 204), wo er richtig „Weßler" heisst, aber in der
Oberschrift fälschlich als Goldschmied bezeichnet wird. Er gehört zu den zahlreichen Opfern,
die das große Sterbejahr 1632 in Nürnberg forderte. Das 33- Totenbuch im Kgl. Kreisarchiv
Nürnberg verzeichnet auf Bl. 58 seinen Tod zum 9. Oktober 1632 und gibt damit wohl den Tag
des Begräbnisses an. „Der ersam und kunstreich Hannß Weßler, glaßschneider, inn St. Egidi-
gaßcn" wird er hier genannt.
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150 ÜBER EINE FORTS. V. NEÜDÖRFERS NACHRICHTEN U. IHREN VERFASS. HEBERLEIN 1584-1656.
4. Dem hatt gefolgt Georg Schwanhart und sein söhn Heinrich, welche ihn
in der kunst weith übertroffen haben, wie dann der vatter deßwegen
bey kayßer (der Schluß dieses Absatzes fehlt)*®).
5. Peter Zick und seine zween söhn seind künstliche beintrechßler gewest, wie dann
der eine alß (Lücke) die Rom. Kayß. Mt. Ferdinanden Tertium in dieser kunst institu-
iret hatt und zwey jähr lang sich deßwegen am kayßerlichen hoff auffgehalten hatt ^')-
6. Jacob Heptner hatt dz geflammte hobeln in holtzarbaiten erfunden und
schöne arbeit davon gemacht'*).
7. (Lücke) Hoffler» ist ein künstlicher Wappensteinschneider gewest, hatt deß
königs Philippi IH. in Spanien völliges wappen in einen diamant geschnidten ^•).
8. (Lücke) Vogel, ein berühmter instrumentmacher^*).
9. Paulus Juvenell ist ein guter perspectivmahler gewest, hatt die großen stück
im schönen saal auff dem rathhauß gemacht**).
(Blatt 1b) iO. Georg Weyer, auch ein guter mahler, hatt die andern sachen
auff gedachtem saal gemahlet*«).
11. Michael Hehr, ein guter mahler und conterfähter *').
12. Dergleichen (Lücke) Creutzf eider, ist im conterfaiten be-
rühmt gewest*®).
10) Bei Gulden Nr. 28 (ed. Lochner S. 209 f.) ausführlicher, doch das Gesperrtgedruckte
hier wie im folgenden nicht bei Gulden. Das Fehlende ist nach Doppelmayr S. 232 etwa dahin
zu ergänzen, daß der Vater Georg Schwanhardt d. ä. wegen seiner Kunst bei Kaiser Ferdinand III.
in großer Gunst stehe. 1652 ging der ältere Georg Schw. nach Prag, 1653 ist er in Regensburg,
„allwo erstgedachter Kayser sich in Diamant-relsen von ihm informieren lies". Von dem jüngeren
Georg Schw., den Gulden gleichfalls erwähnt, ist in obiger Notiz noch nicht die Rede.
11) Ahnlich Gulden Nr. 31 (ed. Lochner S. 213). der indessen des Stammvaters der be-
rühmten Drechslerfamilie, Peter Zicks, keine Erwähnung tut, nur einen der drei Söhne Peters
des alt, Lorenz Z., hervorhebt. Mit dem Namen dieses letzteren ist auch die obige Lücke auszu-
füllen („alß" = nämlich). Peter Z. hinterließ übrigens, als er 1632 starb, nicht 2 sondern 3 Söhne:
Peter, Lorenz und Christoph. Vgl. Doppelmayr, Historische Nachricht etc. S. 297-
12) Etwas mehr bietet Gulden Nr. 32 (ed. Lochner S. 213), der ihn richtig „Hepner" nennt
Im 40. Totenbuch im Kgl. Kreisarchiv Nürnberg (1649—1653) Bl. 73 wird er als „ebenküstler"
also etwa Ebenholzkunstschreiner bezeichnet: „Der ersam und kunstreich Jacob Hepner.
ebenküstler, auff dem Neuen bau [jetzt Maximiliansplatz] f 5- Nov. 1649".
13) Gulden Nr. 27 bietet eine etwas erweiterte Fassung und nennt ihn Georg mit Vor-
namen. Bei Abfassung der obigen Notiz war H. offenbar bereits tot Ein „Hieronymus Höffler,
Wappensteinschneider in der Oberen schmidtgaßen", starb 1626. Die Totenbücher im Kgl. Kreis-
archiv Nürnberg verzeichnen ihn zum 8. August dieses Jahres und legen ihm das bei Künstlern
übliche Prädikat „ersam und kunstreich" bei.
14) Ebenso Gulden Nr. 41, der ihn Wolf mit Vornamen nennt
15) Bei Gulden Nr. 12 erweiterte Fassung.
16) Bei Gulden Nr. 13 kürzere Fassung ähnlichen Inhalts. Es kommt zwar -— in den 70er
Jahren des 16. Jahrhunderts — auch ein Maler Georg W., wie obigen Künstler auch Gulden
nennt, vor; indessen ist hier, wie aus dem Hinweis auf die dekorativen Malereien im kleinen
Rathaussaal hervorgeht vorzugsweise an den bekannteren Gabriel W. gedacht Dieser starb
nicht, wie Doppelmayr schreibt, „nach 1640", sondern 1632. Das 33- Totenbuch im Kreisarchiv
Nürnberg (Blatt 10) verzeichnet seinen Tod zum 17. September dieses Jahres: „der ersam und
kunstreich Gabriel Weyer, flachmahler, in der Peundtgaßen** heißt es daselbst
17) Ahnlich Gulden Nr. 16.
18) Johann — so ist die Lücke zu ergänzen — Creuzf eider fehlt bei Gulden. Totenbuch 32
Bl. 97: „Der ersam Johannes Creutzfelder, flachmahler, bey der Sonnen am Mülchmarckht 1 2. Juli
1632" (Tag der Bestattung). Doppelmayr S. 222 gibt irrtümlich „1636** als Todesjahr an.
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VON DR. TH. HAMPE.
151
1). Friedrich von Falckenburg, ist ein berühmter landschafftmahler gewest*»).
14. Hannß Hoffmann, so ein fleißiger mahler in mignatur und gummifarben
gewest, hatt dem Albrecht Dürer [es steht nur Dürers Monogramm da] so fleißig
nachcopirt also dz viel von seiner arbeit für dürerisch verhandelt worden ist; ist
endlich zu kayßer Rudolpho gekommen 2<*).
15. Die Troschel» sonderlich Hannß Troschel seind berühmte com-
pastenmacher gewest, also dz zu ihrer zeit sonderlich deß (Lücke) gleichen nicht
ist gefunden worden ^i).
16. Christoff Gammetzer ein künstlich und berühmter gold-
schmid gewest^^).
17. Dergleichen auch Hannß Betzold, der hatt dem kayßer Rudolff sein künst-
lich brunnenwerck renovirt, darzu auch dz hauß, darinnen anjetzo
Conrad Bayr wohnet von neuem erbaue t^»).
18. Abraham Graß, ein guter bildhauer, hatt die 4 monarchien am rathhauß,
wie auch die (Lücke) darauff zugerichtet 2*).
19. Nicht weniger ist der Georg Schweigger in dießer kunst auch sehr berühmt,
wie auch in meßing verschneiden und gießen, wie solches sein gemachtes crucifix,
wie auch kayß. Ferdinandi III. in meßing gegoßnes und
künstlich verschnidtenes brustbild zur gnüege bezeugen**^).
[Bl. 2a] 20. Hannß Graff, mahler, so dz rathhauß und schloß
ao. I520sollgemahlethabe n^*).
21. Matthes Zasinger» mahler; credo vixisse ISO 0^').
19) Ähnlich Gulden Nr. 10. Totenbuch 28 Bl. 69: „Der erbar unnd kunstreich Friederich
von Falckenburg am Bonersberg [dem heutigen Paniersplatz] 1 29- August I623** (Tag des Begräb-
nisses). Auffallend ist, daß, als im 31. Totenbuch Bl. 25 zum 29. September 1629 der Tod der
„tugentsamen frau Leonora, deß ersamen Fridrich von Falckhenburckh, mahlers, ehewürthin,
in der alten Ledergaßen" vermerkt wird, die Verstorbene nicht als Wittwe oder ihr Mann als „selig"
bezeichnet wird.
20) Fast genau der gleiche Wortlaut bei Gulden Nr. 7 (ed. Lochner S. 198).
21) Gulden Nr. 47 spricht nur von Hans T., der nach dem 23. Totenbuch im Kreisarchiv
Nürnberg Bl. 49 am 1. Juni 1612 begraben wurde („Hanns Dröschel, campastenmacher, gegen
den Freypäncken über'*).
22) Christoph Jamnitzer fehlt bei Gulden.
23) Bei Gulden Nr. 20 wesentlich andere Fassung.
24) Ähnlich Gulden Nr. 19. Die Lücke ist danach durch „camine" zu ergänzen,
welches Wort der Abschreiber, d. h. Paulus Grundherr, vermutlich nicht hat entziffern können.
25) Gulden Nr. 24, außerordentlich viel ausführlicher, erwähnt doch dessen „in Messing
gegossenes etc. Brustbild Kaiser Ferdinands" nicht. Vgl. aber Edition Lochner S. 321, wonach
Georg Schweigger 1656 offenbar für dieses Bildnis 600 Gulden erhielt. Gefertigt wird es schon
1655 worden sein, da sich unsere Handschrift, soweit es sich nicht um Zusätze — vgl. weiter unten
zu Nr. 33 — handelt, auf dieses Jahr bezieht. Vgl. Nr. 36 bei Wolf Aigen.
26) Fehlt aus naheliegenden Gründen bei Gulden, der ja lediglich Künstler seiner Zeit,
d. h. des 17. Jahrhunderts behandelt. Das Gleiche gilt von Nr. 21—30. Die Notizen sind
wohl aus Nr. 1 des Konvoluts, dem unsere Handschrift angehört (s. o.), übernommen, die
überall den gleichen Wortlaut bietet. Mit Georg Böheim ist ohne Zweifel der bekannte Augs-
burger Maler und Radierer (Georg Pecham, Peham 1 1604) gemeint. Wertvoll ist die Nachricht
über Hans Bolsterer, den bedeutenden Medailleur, der hier zum ersten Male in einem Künstler-
verzeichnis erscheint.
27) Vgl. die vorige Anmerkung.
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152 ÜBER EINS FORTS. V. NEUDÖR7BRS NACHRICHTEN U. IHREN VERFAS& HEBBRLEIN 1664-1666.
22. Erhard Schön, ein mahler. *^)
2). Albrecht (am Rande „alii Adam") Altdorffer, mahlerundkupffer-
stecher»').
24. Hannß Scheuffelein, m a h 1 e r>').
25. Paulas Lautensack, m a h I e r^^).
26. Danfei Hopffer, soschön in kupffergradir t«').
27. Hannß Brosamer, guter maier und kupffersteche r*').
28. Georg Bdheim, mahler und kupffersteche r").
29. N, (Lücke) Bolsterer, derkleinefiguren künstlichinholtz
und stein geschnitten^').
30. Nicias Nutschiedel, sonst Niclaus auff der Seg genannt,
der berühmte conterfaict gemahlet etc.*®).
)i. Johannes NeudSrffer und deßen söhn«*).
)2. (Lücke) Brechtel, berühmte Schreiber und rechenmaister*®).
(33. Bfiriau (.^), ein berühmter Steinmetz, feldmeßer etc.**).)
([Bl. 2b] 34. Ad. Olearius im 3. buch c. 1 der persischen raißbeschreibung:
Ao. 1636 hatt in der statt Mascau gearbeitet ein künstlicher wohlerf ahmer
maister in metallenen stück- und glockengießen, namen Hannß Faick, von Nürnberg
bürtig. Dieser hatt einen sonderlichen handgrieff, die stücke also zuzurichten, dz
man 26 ft eisen mitt 25 tt pulver sicher schießen kan, dardurch er in Holland so
berühmt worden, dz auch seiner in dem Meterano'«) holländischen druckes gedacht
würd").)
[Die 2 mittleren Viertel der Seite sind leer, auf dem unteren Viertel folgt dann:]
35. Leo Pninner, ein österreichischer (es war erst eine Lücke da,
in die dann dieses Wort hineingeschrieben wurde) von adel, wegen des
Worts gottes aus seinem vatterland vertrieben und alhier
indzzeughauß auffgenommenzu (Lücke). Hatt sehr künstlich in holz
und bein allerhand kleine figuren geschnidten, auch mitt kleinen schreiben in
seinem hohen altersich sonderlich bekant gemacht, dz seine werck
noch hin und wieder für sonderbahre rariteten auffgehebt und gezaiget werden«*).
27) Vgl. Anm. 26.
28) Desgleichen. Der Name des Nikolaus de Neufchatel genannt Lucidel wird auch sonst
gelegentlich in obiger Weise verballhornt.
29) Gulden behandelt den älteren Johann Neudörfer und seine beiden Söhne zu Eingang
seiner Fortsetzung ausführlich.
30) Gulden Nr. 3, über Stephan und Christoph Fabius Brechtel ungleich ausführlicher.
31) Diese Notiz ist durch andere Tinte als etwas späterer Einschub kenntlich, gleichfalls
von der Hand Grundherrs geschrieben und vermutlich auch von ihm hinzugefügt. Ich habe der-
gleichen spätere Zusätze zu dem eigentlichen Manuskript unserer Fortsetzung Neudörfers hier
wie im folgenden in runde Klammern gesetzt, auch in diesen Fällen, was sie etwa mehr als Gulden
bieten und was zumeist aus nicht allzu weit abliegender Literatur geflossen ist, nicht durch ge-
sperrten Druck hervorgehoben. Mit dem in Nr. 33 genannten Meister selbst, dessen Name nicht
sicher zu entziffern ist, vermag ich vorderhand keinerlei Begriff zu verbinden.
32) Latinisierung von „van Meteren** (t 1612).
33) Auch diese Notiz ist offenbar von Paulus Grundherr selbst eingeschoben, dagegen
leitet die folgende wohl wieder zu der vorauszusetzenden älteren Handschrift als Vorlage zurück.
34) Über Leo Pronner handelt Gulden Nr. 30 sehr ausführlich; der Abschnitt hat bei ihm
aber einen wesentlich anderen Wortlaut. Vgl. die gleichfalls sehr ausführlichen Ausführungen
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VON DR. Tfl. HAUPE.
153
[Bl. 3a] 36. Wolff Algen istmlttconzirndergeflecktenseiden-
wahren berühmt und seines gleichen weder in Italia noch
Teutschland dieser Zeit [Anmerkung dazu: „1655"] z u f i n d e n»*^).
37. Augostin Kottert, genannt Spaar, der in die schießrohr stem und rosen-
zueg mitt Verwunderung zu machen erfunden und stattlich zugericht hatt'*).
38. Christof Ritter, ein sehr künstlicher goldschmid und eisenschneider,
hat neben dem (Lücke) Schweicker, bildhauer, ein crucifixvonmeßing
gegoßen, wigt (Lücke). Dergleichenkunststückwirdschwer-
lich jemahls gesehenworden sein, sol P^) deß Veit Stoß cru-
cifix, sobeyS. Sebaldimchorstehetundfüreinsonderbar
kunststückgerühmtwürd, weith übertreffe n^%
39. Hannß Kautsch, ein künstlicher zirckelschmidt, so wegen seines wagens,
waßerkunst, auch kleinen wercks, darinnen er fast alle handwercker in ihrer für-
nembsten Verrichtung sich bewegend fürgestellet, fast berühmt und angesehen ist-
Wohnet in der Alten ledergaßen"*).
40. Ulrich Hoffmann, ein künstlicher Schreiber und reche n-
maister, so neben Andreas Gulden fast allein in Teutschland
auß der kunst zu schreiben bericht hatt, welcher Gulden
in mathematicis, sonderlich inventionibus optici s, auch
ätzen in meßing, stahl, kupffer, auch verkehrten schreiben mitt beeden bänden für-
trefflich, benebens sehr diensthafft ist. Wohnet in der Neuen
gaßen am waßer*®).
([Bl. 3b] 41. Peter Carl, ein künstlicher Zimmermann und baumaister, Hannß
Carl, zeugmaisters, vatter, hatt dergleichen gebeu vollbracht, daran alle andere ge-
zweiffeit, alß die flaischbrücken und deren künstlichs gewölb alhie, den saal zu
Haidelberg. Vide die ihme von Abraham Sculteto, hoffprediger zu Haidelberg,
gehaltene leichpredig**).)
42. Hannß Carl, zeugmaister alhier, so in der architectura und aller-
hand mathematicis artibus excelliret, et in erfindung aller-
Doppelmayrs (S. 218 f.) über ihn, die vielleicht auf eine Leichenrede als Quelle zurückgehen. Die
Lücke in obigem Text ist wohl durch (zu) „einem zeugleutnant" oder ähnlich zu ergänzen.
35) Nicht bei Gulden. Vgl. Thieme und Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden
Künstler I, 146. Was unter dem „conzim" — auch im Bürgerbuch wird er als „concirer" be-
zeichnet — zu verstehen ist, war bisher nicht sicher festzustellen. Im 41. Totenbuch im
Kgl. Kreisarchiv (1653—56) Bl. 169 fehlt leider jede Berufsbezeichnung: „Der erbar Wolffgang
Aigen der älter, am alten Milchmarkt [jetzt Albrecht Dürer- Platz] neben der Sonnen
t 31. Okt. I655. Seind vormundere gesetzt 4. Dez. i655f Ist ein testament verlesen worden
19. April 1656. Ist ein inventarii angezaigt worden 4. Martii 1659".
36) Ähnlich Gulden Nr. 42, der den Namen richtig „Kotter" schreibt.
37) D. h. wohl: nach Ansicht maßgebender Kunstkenner.
38) Gulden Nr. 21 weicht ganz ab. Nach Guldens Notiz zu Georg Schweigger (Nr. 24)
fällt der Guß des oben genannten Kruzifixes in das Jahr 1652.
39) Bei Gulden Nr. 43 anderer Wortlaut und ausführlichere Behandlung.
40) Gulden Nr. 4 und 5 ausführlicher, doch ganz abweichend.
41) Gulden Nr. 35 weicht völlig ab. Die ganze obige Notiz kennzeichnet sich übrigens
wiederum als späterer Einschub, der, vielleicht von dem Schreiber Paulus Grundherr selbst
verfaßt, offenbar aus der darin zitierten Leichenpredigt des Abraham Scultetus geflossen ist
Mitteilongen aus dem german Natiooalmuseum. 1906 20
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154 ÜBER EINE FORTS. V. NEÜDÖRFERS NACHRICHTEN U. IHREN VERFASS. HEBERLEIN 1684-1056.
band Instrumenten, zu dem bauweßen dienlich, sehr glück-
seelig. Sein kleines zeughauß gibt dießes manns fleiß,
verstand und wißenschafft gnuegsam zu erkennen*^).
43. Die Herold, büchsengießer, in dz vierte glied, wie auch
(Lücke) Low, so deßwegen nach Prag und Wien beruften
w 0 r d e n **).
44. (Lücke) Wurtzelbauer, ein künstlicher rothgießer**).
[Auch hier ist fast eine viertel Seite leer gelassen, offenbar um etwa weiter-
hin sich ergebende Lebensdaten Wurzelbauers einzutragen.]
(De musicis inquaerendum :
45. Hannß Staden, organist zu St. Sebald.
46. Teophilus Staden, organist zu St. Lorentzen.
47. Eraßmus Kindermann, organist zu St. Egidien, ein berühmter componist**)).
([Bl. 4a] 48. Geoi^ Christian Korcken, hatt ihme in Schweden, Holland und
Portugall eine große wißenschafft in mathematischen künsten, alß feldmeßen, forti-
fication, perspectiv, opticis und andern dergleichen künsten zu wegen gebracht und
deßwegen bey vielen außländischen einen sonderbahren rühm erworben, auch graffen
und freyherren zu discipeln gehabt**)).
[Die übrigen »/* der Seite sind leer.]
([Bl. 4b] 49. Georg*') Koberger ist umb dz jähr 1470 der erste buchdrucker
zu Nürnberg gewest, welcher viel stattliche volumina gedruckt, deren noch viel zu
finden, hatt auch ein groß vermögen damitt erworben*®)).
(50. Conrad Roritzer, baumeister deß baues an St. Lorentzen kirchen
ao. 1456 *»)).
(51. Maister Georg von DunckelspfihI, Zimmermann, hatt hier gelebt 1532.
De quo inquaerendum, quod cognomen ipsi fuerit. Vide et in Annal.*^) sub hoc
anno ").)
[i/i Seite leer.]
42) Gulden Nr. 36 weicht ganz ab. Die Notiz über „sein kleines zeughauß" bezieht sich
auf Hans Carls Sammlung von Modellen von Kriegswerkzeugen, Kanonen, Lafetten, doch auch
Zelten u. s. w., die sich jetzt im Germanischen Museum befindet. Diese Modelle sind wohl sämt-
lich von Hans Carl selbst verfertigt.
43) Fehlt bei Gulden. Vgl. Doppelmayr S. 301, 303- Leonhard — so ist die Lücke zu
ergänzen — Low war der Stiefvater des Balthasar und des Wolf Hieronymus Herold.
44) Benedikt Wurzelbauer fehlt bei Gulden.
45) Die Musiker (Nr. 45—47) fehlen bei Gulden. Die Notiz könnte gleichfalls späterer
Einschub sein, ebenso wie der ganze Rest des Manuskripts diesen Eindruck macht.
46) Nicht bei Gulden. Vgl. die vorige Anmerkung. Ich habe den berühmten Mann,
von dem übrigens nicht gesagt ist, daß er ein Nürnberger war oder in Nürnberg gewirkt hat,
bisher nicht nachzuweisen vermocht.
47) Lies: Anton.
48) Fehlt bei Gulden, da ihn schon Neudörfer (Edition Lochner S. 173) behandelt hatte.
Offenbar Zusatz zu der eigentlichen Handschrift der Fortsetzung von Neudörfers Nachrichten.
49) Fehlt bei Neudörfer und Gulden. Zusatz wie das Vorhergehende und Folgende.
50) Damit sind des Ratsschreibers Johann Müllners Annalen gemeint.
51) Georg Weber war schon von Neudörfer (Edition Lochner S. 79 f.) behandelt worden,
fehlt daher bei Gulden. Obige Notiz ist offenbar ein Zusatz wie Nr. 45—50 und Nr. 52.
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VON DR. TH. HAMPß. 155
(52. Vide Henrici Salmuth comment. in pancill. de rebus noviter repertls
c. 10, ubi de aquila lignea a Regiomontano confecta" **).)
* *
♦
Was unsere Quelle an neuen Nachrichten bietet, ist nicht von besonders großer
Bedeutung, wenn auch die Notizen über Georg Schweigger, Bolsterer, Leo Pronner,
Wolf Aigen, Christoph Ritter, Ulrich Hoffmann und Andreas Gulden, Hans Carl
und die Herold nicht des kunstgeschichtlichen Interesses entbehren. Aber der
eigentliche Wert der den obigen Aufzeichnungen zugrunde liegenden Handschrift,
die wir allerdings nur wie durch einen Schleier erkennen können, liegt doch, wie
wohl bereits aus unseren Anmerkungen hervorgeht, wesentlich nach einer anderen,
nämlich der quellenkritischen und quellengeschichtlichen Seite. Das Verhältnis zu
Andreas Gulden und seiner Fortsetzung von Neudörfers Nachrichten, dann auch
zu dem Schreiber Paulus Grundherr ist hier vor allem näher ins Auge zu fassen.
Eine ganze Reihe mehr oder minder wörtlicher Übereinstimmungen mit Gulden
legt zunächst die Frage nahe, ob wir es nicht einfach mit einer interpolierten
Handschrift der von letzterem verfaßten Fortsetzung zu tun haben. Wie mir
scheint, darf indessen diese Frage auf das bestimmteste verneint werden. Denn
diejenigen Teile des Manuskripts, die sich durch ihre gleichmäßige Schrift deutlich
als Abschrift einer teilweise schwer leserlichen, teilweise wohl auch selbst bereits
— z. B. bei manchen Vornamen — Lücken aufweisenden Vorlage kennzeichnen, sind
nach der oben angegebenen Datierung im Jahre 1655, keinenfalls später als 1655, ver-
faßt, über welchen Zeitpunkt auch keine der in diesen Teilen erwähnten Nachrichten
hinausweist. Gulden aber trug seine Notizen nicht vor 1663 zusammen, da er in der
Biographie seines Vorgängers Johann Neudörfer (f 12. November 15 63) sagt, daß dieser
„nunmehro über 100 Jahr todt" sei. Außerdem läßt auch die abweichende Fassung
des Passus über Andreas Gulden selbst in Guldens Fortsetzung und in unserer Hand-
schrift und die Diktion der Stelle auf einen anderen Verfasser als Gulden schließen,
wenn auch die Lobeserhebungen hinsichtlich der Schreibkunst Guldens und seiner
mathematischen und optischen Kenntnisse in jenem Zeitalter — man denke an die
Selbstbiographie Joachim Sandrarts — nicht gerade gegen den bekannten Fort-
setzer Neudörfers als Verfasser sprechen würden. Und so weisen noch verschiedene
weitere Einzelheiten, wie das Fehlen des alten Peter Zick bei Gulden, mit dem
dieser wohl keinen rechten Begriff verband, u. a. m., deutlich darauf hin, daß die
Hauptvorlage unserer Handschrift eine nicht von Gulden herrührende, seiner
Fortsetzung der Nachrichten Neudörfers etwa um ein Jahrzehnt vorausgehende
Aufzeichnung über nürnbergische Künstler des 17. Jahrhunderts war. Anderer-
seits aber lassen doch die zahlreichen Übereinstimmungen mit Guldens Fortsetzung
über das nahe Verhältnis der beiden Fassungen zu einander keinen Zweifel und
dieses Verhältnis kann demnach wohl nur so verstanden werden, daß unsere Hand-
schrift in ihrer ursprünglichen Gestalt eine der Haupt vorlagen, auch für Andreas
52) Auch dieses Zitat ist jedenfalls spätere Hinzufügung, wie die voraufgehenden Notizen.
Nach Jöchers Allgemeinem Gelehrten- Lexikon IV (1751) S. 70 bezog sich Heinrich Salmuths
des jüngeren Kommentar auf den „PanciroUum de rebus deperditis et recens inventis". Über
den von Regiomontanus angeblich konstruierten Adler ist schon mancherlei geschrieben worden.
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156 ÜBER EINS FORTS. V. NEUDÖRFERS NACHRICHTEN U. IHREN TERFASS. HEBERLBIN 1584-1666.
Gulden gebildet hat, wir das Archetypon also als eine wichtige Quelle für die Nürn-
berger Kunstgeschichte des i7. Jahrhunderts ansehen dürfen.
Wer mag nun der Verfasser dieses Archetypon gewesen sein und was ist in
der uns vorliegenden Handschrift der „Xünstler dieser Zeit" alles als nachträgliche
Zutat zu dem eigentlichen Text jener Quelle anzusehen und demgemäß auszu-
scheiden ? Was sich als solch späterer Zusatz teilweise schon durch die einen Ein-
schub anzeigende Schrift charakterisiert, ist in den Anmerkungen deutlich hervor-
gehoben und auch bei unserem Abdruck des gesamten Textes bereits in Klammem
gesetzt worden. Es sind zumeist Exzerpte aus der zeitgenössischen Literatur, wie
Olearius, Heinrich Salmuth, van Meteren u. a., die, wie wir wohl annehmen dürfen,
den Schreiber der Handschrift, den gelehrten und fleißigen Paulus Grundherr, zum
Urheber haben, den wir ja schon in einigen vorhergehenden Nummern des Konvoluts
als um die Zusammentragung von Notizen zur Nürnberger Kunstgeschichte eifrig
bemüht kennen lernen konnten. Aus dem ersten Produkt des Konvoluts sind auch
zweifellos die in der Fassung damit wörtlich übereinstimmenden Nummern 20 bis 30
der Handschrift geflossen, deren Einfügung wohl gleichfalls auf Paulus Grundherr
zurückzuführen ist. Er bekundet damit das deutliche Bestreben, die Nachrichten
Neudörfers (Produkt 3 des Konvoluts) zu ergänzen, denn gerade diese Meister des
16. Jahrhunderts, übrigens nur zum Teil Nürnberger, aber von dem Verfasser oder
Kompilator offenbar sämtlich für Nürnberger Künstler gehalten, fehlen bei Neudörfer.
Es bleiben die Nummern i— 19, 31, 32, 35—40 und 42—44 übrig, die sich,
wie bereits hervorgehoben, durch die gleichmäßige Schreibweise und die ähnliche
Art der sie durchsetzenden Auslassungen als eine zusammenhängende Einheit dar-
stellen und eben jene ursprüngliche Fortsetzung der Nachrichten Neudörfers aus
dem Jahre 1655 bilden, d. h. auf eine solche Fortsetzung als ihre Quelle zurück-
gehen. Denn daß sie etwa von Paulus Grundherr verfaßt sein sollten, ist wegen
einer bestimmten Gruppe von Auslassungen nicht nur unwahrscheinlich, sondern
darf sogar — zumal bei dem rein kompilatorischen Charakter der übrigen Tätigkeit
Grundherrs — geradezu als ausgeschlossen gelten. Das Fehlen insbesondere mancher
Vornamen wird freilich wohl bereits der Vorlage zur Last zu legen sein; aber Aus-
lassungen, wie wir sie bei Nr. 18 und 35 (vgl. die Anmerkungen 24 und 34) finden,
weisen deutlich nicht auf den Autor der Notizen, sondern lediglich auf einen Ab-
schreiber, der sich über einzelne offenbar schlecht leserliche Wörter und Stellen
seiner Vorlage nicht überall klar wurde und sie daher zunächst bis auf künftige
bessere Erleuchtung ausließ.
Wenn nun aber weder Andreas Gulden noch Paulus Grundherr als Verfasser
der unseren Nummern 1—19, 31, 32, 35—40 und 42—44 zugrunde liegenden Hand-
schrift einer Fortsetzung von Neudörfers Nachrichten angesehen werden dürfen,
wen können wir dann als diesen eigentlichen Quellenschriftsteller namhaft machen ?
Mit Sicherheit niemanden; und wir begeben uns daher in der Tat auf das Gebiet
der reinen Hypothese, ja verlegen uns beinahe aufs Raten, wenn wir den Namen des
Malers Leonhard Heberlein als den des mutmaßlichen Verfassers der Fortsetzung
nennen. Immerhin spricht wenigstens einiges für ihn. Zunächst die verhältnismäßig
eingehende Biographie des Mannes, die Paul Grundherr, der möglicherweise mit
ihm befreundet gewesen war und vielleicht Einsicht in seinen handschriftlichen Nach-
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VON DB. TH. HAMPK.
157
laß hatte nehmen dürfen, dem Manuskript der „Künstler dieser Zeit" beigefügt hat,
ähnlich wie nachmals Andreas Gulden sein Opusculum mit einer Biographie Johann
Neudörfers eröffnete. Der Grund zu ausführlicherer Behandlung ist in diesem Zu-
sammenhange sonst nicht leicht einzusehen. Außerdem ergibt sich aus der Lebens-
beschreibung Heberieins, daß der Künstler Anno 1654 „mit einem fluß überfallen
wurde" und am 26. Januar 1656 starb. Man könnte sich wohl denken, daß Leon-
hard Heberiein die unfreiwillige Muße, zu der ihn die Krankheit verdammte, ge-
legentlich zu Aufzeichnungen oder auch einem Diktat über die Künstler seiner Zeit,
eben dem Archetypon von 1655, benutzt habe. Irgendwelche Sicherheit ergibt sich
allerdings, wie gesagt, aus diesen Möglichkeiten und Anhaltspunkten nicht, und
gegen Heberiein als den Verfasser der ursprünglichen Fortsetzung von Neudörfers
Nachrichten scheint fast zu sprechen, daß Gulden, der doch jene früheren Aufzeich-
nungen seiner eigenen Arbeit zugrunde legte, in den wenigen Zeilen, die er Leon-
hard Heberiein widmete"), dessen Autorschaft oder literarischer Tätigkeit in keiner
Weise gedenkt. Allein diese Unteriassung könnte sich natüriich auch anders
z. B. aus der Unkenntnis Guldens und der Anonymität jener ihm als Quelle dienen-
den Handschrift erklären lassen.
in.
Zum Schluß gebe ich hier noch einige Nachrichten über Leben und Wirken
des Malers Leonhard Heberlein, dessen nähere Beziehung zu der aus Nr. 7 des
Scheurlschen Konvoluts herausgeschälten älteren Quellenschrift ich wahrscheinlich
gemacht zu haben glaube, und beginne mit dem Abdruck der oben zitierten Bio-
graphie des Künstlers, deren Verfasser nicht genannt ist. Möglich, daß der Schreiber,
Paulus Grundherr, selbst diese Daten etwa nach einer Leichenpredigt zusammen-
gestellt hat. Die Biographie hat folgenden Wortlaut :
„Leonhard Heberlein, Jobst Heberleins, bürgers und goldschmids zu Nürn-
berg**), söhn, war geboren ao. 1584 den 26. Novembr. und von seinen eitern zur
schul gehalten und in allen christlichen tugenden auff erzogen. Ao. 1600 ist er bey
Wolff Ritter, mahler und bürger zu Nürnberg, zur mahlerey auffgedingt worden
und nach erstandenen 4 lehr jähren noch 6 jähr darbey zugebracht. Anno 1610
hatt er sein meisterstück gemacht und darauff l6ll sich zu j[ungfrau] Margaretha,
Hannß Becken von Rotenburg tochter, verheurathet. Ao. I637 ist er von einem
E. Rath zu Nürnberg zum statt- und landschaff tmahler und ao. 1640 wegen seines
erbam wandeis zum Genannten deß Großem Raths erwehlet worden**). Hatt
53) Gulden Nr. IS (Edition Lochner S. 201).
54) Jobst Heberlein war 1575 unter erschwerenden Umständen Meister geworden. Das
Meisterbuch (in der Bibliothelc des Kunstgewerbemuseums in Berlin) berichtet darüber auf BL 41 a:
„adi 14. Martius a. 1575 hat Jobst Heberlen seine meisterstück angefangen zu machen
beim Caspar Widman.
Adi 23. Maius anno 1575 hadt der Jobst Heberlen [am Rande: „beim Holtwick*'] seinne
meisterstueck foer den feir geschuoraen gewissen [vor den vier Geschworenen gewiesen], ist midt
dem geschirlle und siegell nicht bestanden, mid den ring ist er aber bestanden.
[Bl. 41b] Adii 1575 jar den 16. Juni ist Jobst Heberlein zum andern mal pey den 4 ge-
schwom erschinen und das geschirla mit dem sigel gewisen und ist pestanden und hatt sein
mastergeltt in die losungstuben zaltt und pflichtt gethon".
55) Vgl. auch Joh. Ferd. Roths Verzeichnis aller Genannten des großem Rats (Nürnberg,
1802) S 125.
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158 ÜBER EINE FORTS. V. NBÜDÖRFERS NACHRICHTEN U. IHREN VERFASS. HEBERLEIN 1684-1656.
Gottes wortt gern gehört und christlich gelebt, ist darbey eines guten humors und
gesellschafft gewest, sich mitt jedermann friedlich begangen. In seiner kunst hatt
er sonderlich den preiß gehabt, dz es ihme in grotescen mahlen oder dergleichen
wunderlichen einfallen, welche an die gartenheußer und sommerlauben pflegen ge-
mahlet werden, keiner leicht bevor oder gleich gethan haben würd. An discipeln
von fümehmer leuth kindem hatt er allezeit eine zimbliche anzahl gehabt und bey
ihnen an seinem orth in unterrichten nicht ermangeln laßen, auch darunter unter-
schiedliche gehabt, welche, wo sie heften nachsetzen wollen, wohl etwas rühmliches
Abb. 2. Bildnis des Malers Leonliard Heberlein nacli einer anonymen Radierong.
(V» der Originalgröße).
würden verrichtet haben. Ao. 1654 ist er mitt einem fluß überfallen worden und
mitt solchen sich biß ao. 1656 den 26. jener betragen müßen, da er es seeliglich
geendet, nachdem er gelebt 71 jähr 2 monath 2 tage."
Die Angaben dieser kleinen Biographie werden teilweise bestätigt, teilweise
auch ergänzt vor allem durch die Aufzeichnungen Johann Hauers, die Hans Boesch
im Jahrgang 1899 dieser Zeitschrift S. 116 ff. veröffentlicht hat. Danach stellte
Heberleins Probestück, mit dem er am 2. August 1610 Meister wurde, eine Szene
aus der Passion dar, „wie der Herr Christus gebunden auf der Erden liegt", war er
von 1623—1627, 1633—37, 1642—47 und 1650—54 Vorgeher seines Handwerks»«)
56) Von seiner Tätigkeit als Vorgeher bieten die Nürnberger Ratsprotokolle ('m Kgl. Kreis-
archiv Nürnberg) ein Beispiel. Im Jahrg. 1624 25 Heft I Bl. 77a heißt es daselbst zum 20. April 1624:
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VON DR. TH. HAMPE.
159
und bildete im Laufe der Zeit eine größere Anzahl von Lehrlingen aus*'), was auf
eine ausgedehnte Tätigkeit, auf reichliche Beschäftigung schließen läßt. Als Todes-
datum wird hier der 27. Januar 1656 angegeben, während die Totenbücher im Kgl.
Kreisarchiv Nürnberg seinen Tod zum 30. Januar verzeichnen und damit wohl den
Tag des Begräbnisses nennen*®). Hier wird er auch offiziell als eines Rates „Stadt-
und Landschaftmaler" bezeichnet, während die Ratsprotokolle auffälligerweise von
seiner Ernennung zum Stadtmaler, die nach unserer Lebensbeschreibung im Jahre
1637 erfolgte, nichts erwähnen. Dagegen wird in den Verhandlungen des Rats vom
21. November I639 der Erwählung Leonhard Heberleins zum Gassenhauptmann
im Viertel bei St. Egidien gedacht und in den Jahren 1640 und 1648 ist dann weiter-
hin gelegentlich von seiner Tätigkeit als Gassenhauptmann die Rede*®). Im übrigen
hat sich, soweit ich sehe, das Andenken unseres Mannes in Urkunden oder offiziellen
Akten kaum erhalten, und auch von Quellenschriftsteilem erwähnt seiner abgesehen
von Johann Hauer nur. wie schon bemerkt, Andreas Gulden, der erzählt, daß er als
Stadtmaler im Jahre 1652 „das gemäl aussen an der Schau" renoviert habe, das
1514 von „Hanns Grossen" (lies: Hans Gräften) gemalt und bereits 1579 einmal
von Thomas Oelgast renoviert worden sei. Aus der späteren Literatur wäre etwa
noch das von Murr*®) glaubwürdig überlieferte Faktum anzuführen, daß der Stadt-
„ Jörg Rößlein, malersgesellen, welcher wider die vorgeher sich beschwert, das sie ihn nitt
für redlich halten wollen, aus ursach das er aus herrn graff Egon von Fürstenberg regiment da-
hinden gebliben, soll [77b] man gedachter vorgeher Jörg Gertners, Hannß Jörg Caesars, Hannsen
Hauers und Lienhard Heberleins gegenbericht verlesen und ime sagen, man könne ihn nit paßiren
lassen oder für redlich halten, er bringe dann von seinem haubtman ein ehrliche paßport.
H. C. Harßdörfer."
57) Nämlich Johann Rößner, Paulus Drechsel, Rudolf Geng, Hans Schmidt, Hans Leon-
hard Brechtel, Johann Kaltenprunner, Hans Jakob Luber und Hieronymus Franz Fuchs. —
Als Schüler Heberleins werden von Doppelmayr (Historische Nachricht S. 255 und 264) noch
die bekannten Maler Johann Andreas Graf (1637—1701), der Gatte der Sibylla Merian, und
Johann Murrer (1644—1713) genannt; ihrem Lebensalter nach kann es sich indessen bei beiden
höchstens um einen Elementarunterricht gehandelt haben.
58) 41. Totenbuch (1653/56) Blatt 187:
.,Der erbar und kunstreich Leonhard Heberlein, mahler und conter-
f e y e r, auch eines E. E. Raths alhier gewesener statt- und landschafftmahler
unter der vesten gegen Rosenbad über t 30. Jan. 16S6. Ist ein testament veriesen, darff nicht
inventirt werden. 9. Februarii ao. 1656."
59) [1639/40 VIII, 80a] 21. November 1639:
„An herrn Dr. Johann Neudörffers statt ist im virthl bey St. Egidien Leonhardt Heber-
lein, mahler, zum gassenhaubtmann erwehlt. J. Welser."
[1640/41 VI, 83a] 19. September 1640:
„Die sogenannte Sailer Anna von Elterßdorff, welche in Cari Grundherrn hauß sizet, soll
man in die canzley fordern, sie über Leonhard Heberieinß, gassenhaubtmanß, ansag zu red halten
und von ir vernemen, wer die zauberin sey, die sie wegen eines diebstalß zu raht gefragt, und
wo selbe anzutreffen; im fall sie mit der sprach nicht gerad herauß wil, sie behauren lassen,
dann gedachter [83bl zauberin nachtrachten und sie inß loch gehen laßen. Schöpffen." ^
[1648/49, IV, 40a] 8. J u 1 i 1 648 :
„Den weber (oder: Weber?) gegen M. Wondersieben über und die bauersleuth, so er bey
sich hat, soll man erfordern und über Leonhardt Heberleins, gaßenhauptman, ansag, das sie
die nachbarschafft in grose (40 b) gefahr setzen, umbstendig zu red halten, ihre sagen wider-
bringen, femer rathig zu werden. Feuerherren."
60) Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in Nürnberg (1778) S. 40.
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lÖO ÜBER EINE FORTS. V. NEUDORFBRS NACHRICHTEN 0. IHREN YERPASS. HSBBRIiEIN 1584-1656.
maier Leonhard Heberlein das Kruzifix des Veit Stoß, nachdem es Georg Schweigger,
„unser Lysippus", 1652 ausgebessert, übermalt habe. Im übrigen sind die spär-
lichen späteren Nachrichten (von Hüsgen, Meusel, Weyermann u. a.) über unseren
Meister so vage oder so schwer kontrollierbar, daß wir hier kaum darauf einzugehen
brauchen. Es gehört dazu u. a. die Mitteilung, daß Heberlein eine Zeitlang in Ulm
gelebt und gewirkt habe, was namentlich innerhalb des Zeitraums von 1610 bis 1623,
für den uns des Künstlers Anwesenheit in Nürnberg durch nichts sicher bezeugt
ist, ja nicht unmöglich wäre, aber auch bisher nicht nachgewiesen ist*^). Und Weyer-
mann, der uns diese Nachricht überliefert, führt auch ein paar Zeichnungen Heber-
leins an**), anstatt deren wir — vgl. Abb. 3 — als eine Probe seiner Kunst eine
Federzeichnung wiedergeben, die uns von der Verwaltung der fürstl. öttingenschen
Bibliothek in Maihingen zu diesem Zweck freundlichst zur Verfügung gestellt
wurde. Sie ist von 1616 datiert und mit vollem Namen bezeichnet und stellt,
skizzenhaft mit bräunlicher Tinte auf jetzt vergilbtes Papier gezeichnet, eine Art
Flußgott oder Wassergeist in halb sitzender, halb liegender Stellung dar, der in
der Linken eine Art Schaufel oder Ruder hält und sich mit dem rechten
Arm auf einen Delphin stützt. Das eine gewisse Routine verratende, aber im
übrigen ziemlich reizlose Blatt, das 16,5 cm breit und 14,8 cm hoch ist, kann
möglicherweise als Anhaltspunkt dafür dienen, wie wir uns die Grotesken, mit
denen Heberlein die „Gartenhäuser und Sommerlauben" geschmückt haben soll,
zu denken haben mögen. Einen eigentlichen Begriff von seiner Kunst vermittelt
es freilich keineswegs, und wir werden auch wohl darauf verzichten müssen, je zu
einer richtigen Vorstellung davon zu gelangen, denn, wie uns die kleine Bio-
graphie des Scheurlschen Konvoluts berichtet, war das Hauptfeld seiner künstle-
rischen Betätigung offenbar die Dekorationsmalerei, wohl zugleich Freskenmalerei,
die er an den ehemals zahlreich vorhandenen, jetzt aber so gut wie völlig ver-
schwundenen Gartenhäusern der reichen Nürnberger ausübte. Als „Stadt- und Land-
schaftsmaler" war er wohl hauptsächlich, wofür ja gleichfalls zuverlässige Zeug-
nisse beigebracht werden konnten, mit allerlei Renovierungsarbeiten, wie mit der
Erneuerung der Wandmalereien am Äußeren der Schau«'), betraut. Seines Probe-
stücks, eines Tafelgemäldes aus dem Gebiete der kirchlichen Malerei, ist gleich-
falls bereits gedacht worden, und nach der aus dem Totenbuch mitgeteilten Notiz
61) Albrecht Weyermann, Neue . . . Nachrichten von Gelehrten und Künstlern . . . aus . . .
Ulm (Ulm, 1829) S. 150.
62) Ebenda: „3- Eine Handzeichnung in der Wagnerischen Sammlung von 275 Stamm-
büchern in Ulm, die aber 1805 an die großherzogliche Bibliothek in Weimar verkauft worden.
4. Eine Tuschzeichnung: Der Tod besucht einen Alten, der am gedeclcten Tische sitzt In
Prälat von Schmids Sammlung.*' Bezüglich der Nr. 3 findet sich zwar nach freundlicher
Mitteilung des Vorstandes der Großherzoglichen Bibliothelc in Weimar „in Nr. 112 der
Wagnerschen Stammbüchersammlung eine handschriftliche Eintragung des Malers Leonh.
Heberlein auf Seite 19b, aber leider keine Zeichnung. Merkwürdigerweise ist im Register
des Buches der Name Heberlein ausgestrichen, was wohl darauf hindeuten könnte, daß
eine Zeichnung da war, obwohl eme solche in dem Verzeichnis der Zeichnungen, das dem
Buche vorsteht, nicht aufgeführt wird. Auch in den anderen Büchern der Sammlung
findet sich nichts auf Heberlein Bezügliches".
63) Vgl. darüber auch F. T. Schulz in diesen „Mitteilungen" Jahrg. 1908 S. 14 f.
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VON Da TH. HAUPB.
161
und der darin enthaltenen Bezeichnung „conterfeyer** muß er sich auch im
Pörträtfach betätigt haben. So könnten wohl auch die beiden Radierungen, die
L. Heberlein im 71. Jahre seines Alters darstellen, auf ein Selbstbildnis des Künstlers
zurückgehen. Beide sind in den Porträtsammlungen des Germanischen Museums
in mehreren Exemplaren vorhanden, die eine flotter und frischer hingesetzt, mehr
zeichnerisch gegeben, die andere in ängstlicherer Ausführung mehr bildmäßige Wir-
kung anstrebend, beide anon)rm und nicht leicht einem bestimmten Stecher zuzu-
teilen. Wir geben eine Reproduktion des ersteren der beiden Blätter diesem
Aufsatze bei (Abb. 2) zur Ergänzung des leider noch so lückenhaften Bildes, das
wir von dem Maler und möglicherweise auch Schriftsteller Leonhard Heberlein zu
entwerfen versucht haben. Bei der Schätzung, die er genoß, di'irfen wir ihn wohl
als einen der besten Maler des damaligen Nürnberg und bis zu einem gewissen Grade
auch als typisch für seine Zeit betrachten. Eben aus diesem Grunde wäre es zu
wünschen, wenn das Schaffen des Künstlers durch glückliche Funde weitere Auf-
hellung erfahren würde.
Abb. 3. Federzeichnung Leonhard Heberleins aus dem Jahre 1626 in der ffirstl.
öttingenschen Bibliothek zu Maihingen. (V» der Originalgröße).
MitteUuD^D aus dem germao. NatiooalinuBeain. 1906. 21
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
Nürnbergs Ursprung und Alter In den Darstellungen der Oeschlchtschreiber und im Licht
der Geschichte von Dr. E rn s t M um m e n h o f f. Archivrat. 8. VI und 141 SS. mit zwei Plänen.
Nürnberg, Verlag von J. L. Schräg. 1908.
Es gibt wohl wenig Städte, deren älteste Geschichte so sehr durch sagenhafte Erdich-
tungen und Erzählungen, durch historisch unmögliche Hypothesen und widersinnige Er-
klärungen von Gelehrten und Ungelehrten in dem Maße getrübt und entstellt worden ist als
die der Stadt Nürnberg, und man darf billig staunen, daß es nicht schon längst jemand unternahm,
mit dem vielen Schutt und Unrat, der sich auf diesem Gebiet die Jahrhunderte hindurch auf-
getürmt, aufzuräumen und endgültig glatte Bahn zu schaffen. Das ist nun geschehen, und zwar
durch einen Forscher, der wie kein zweiter zur Durchführung dieser Aufgabe berufen war, der
auf eine langjährige Beschäftigung gerade mit diesem schwierigen Gebiet zurückblickt, und der
weiterhin, durch nichts beirrt, nur auf das eine Ziel losging, an der Hand sicherer Gewährsstücke
die Wahrheit zu ergründen. Die vorliegende Arbeit bezeichnet einen Abschluß umfassender
Studien, und, was besonders wichtig ist, einen endgültigen Abschluß der ganzen Frage überhaupt.
Dies ist der Grund, weshalb auch wir es angesichts des regen Interesses, das sich an den Namen
Nürnbergs knüpft, nicht unterlassen wollen, auf dieses neueste Werk zur ältesten Geschichte
der ehemaligen freien Reichsstadt hinzuweisen.
Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der Schilderung des Ursprungs und der frühesten
Geschichte Nürnbergs in den Darstellungen der älteren und neueren Geschichtschreiber. Es
war wahrlich kein Vergnügen, sich durch die überreiche, im Zusammenhang kritisch noch nicht
gesichtete Stoffülle hindurchzuarbeiten, zumal das Material selbst oft recht spröde ist. Aber
die frische, aus natürlicher Anschauung hervorgewachsene Darstellungsart des Verfassers fesselt
uns so sehr, daß wir nichts von alledem empfinden. Wir erfahren zunächst, wer das Grundübel
des ganzen Wirrwarrs in der älteren Geschichte Nürnbergs gewesen. Es war Sigmund Meisterlin,
der als der Erste Nürnbergs Geschichte im Zusammenhang behandelte, und dessen haltlose Auf-
stellungen, die darin gipfeln, der Ursprung Nürnbergs sei auf Tiberius Claudius Nero zurückzu-
führen, von der Mehrzahl der späteren Chronisten als bare Münze kritiklos übernommen wurden.
Noch heute ist die Sage von einem Tempel der Diana auf der Burg, von dem andere zu berichten
wissen, noch nicht ganz ausgerottet. Wiederum andere lassen Nürnberg durch Noricus, den Sohn
des Herkules, gegründet sein. Merkwürdig genug ist es, daß selbst noch ein so ernster und ver-
dienter Lokalforscher wie Lochner sich der Möglichkeit einer Gründung Nürnbergs durch vor
Attila geflohene Noriker nicht ganz zu verschließen vermochte. Weiter hat man Nürnberg in dem
Segodunum oder Bergium des Ptolemäus oder aber in dem Bremberga des Kapitulars Karls des
Großen wiederfinden wollen. Auch Karl der Große und Bonifazius sind zu Nürnberg in Beziehung
gesetzt worden. Lustig spinnen einheimische und auswärtige Geschichtschreiber an diesen Legen-
den weiter. Derjenige, der am ehesten hätte berufen sein können, hier Wandel zu schaffen, wäre
der bekannte Annalist Johannes Müllner (1565—1634) gewesen. Aber er, der sonst für die histo-
rische Forschung der Nürnberger Geschichte einen solch außerordentlichen Fortschritt bezeichnet,
war noch zu befangen, um das wirre Lügengewebe zu zerreißen. So mußte der Anstoß dazu von
außerhalb kommen. Aber es mußte eine geraume Spanne Zeit vergehen, bis er endlich kam.
Der kgl. preußische Geheimrat Johann Peter Ludewig war der Erste, welcher den Mut besaß,
mit den alten Fabeleien zu brechen und der Annahme eines hohen Alters der Stadt entgegenzu-
treten. Von den Nürnbergischen Historikern wagte zuerst der Altdorfer Professor Johann Christian
Siebenkees, sich von der Tradition zu emanzipieren, indem er darauf hinwies, daß Nürnberg ur-
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LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.
163
kundlich erst im ll. Jahrhundert vorkomme. Es ist außerordentlich lehrreich, der Schilderung
zu folgen, die uns der Verfasser von der Entwicklung der Darstellung der ältesten Geschichte
Nürnbergs von der bloßen Sage bis zum Einsetzen objektiv historischer Forschung gibt.
War das erste Kapitel gewissermaßen eine reflektierende Zusammenfassung der Anschau-
ungen anderer über Nürnbergs Ursprung und Alter, so bringen uns die beiden folgenden Ab-
schnitte des Verfassers eigene Ansichten, die er sich durch eine gewissenhafte kritische Prüfung
all der einzelnen Fragen auf Grund einer methodischen Forschung an der Hand der Urkunden
und der ältesten Baudenkmäler gebildet. Nürnberg begegnet urkundlich zuerst im Jahre 1050.
Aber andere Orte der Gegend kommen weit früher vor. Aus einer Urkunde vom Jahre 1021 geht
hervor, daß es sich um bayrische Kolonien handelt, die in der Waldgegend nördlich von Nürn-
berg begründet worden waren. Diese Pertinenzien des großen Könighofes Uraha (Herzogen-
aurach) werden im Zusammenhang mit dem im Jahre 1007 neugegründeten Bistum Bamberg
genannt, mit dem eine erneute rege deutsche Pionierarbeit in den von Slaven bewohnten Gegenden
des Frankenlandes einsetzte. Nicht besiedelt aber von den Slaven blieb das damals weit umfang-
reichere Gebiet des späteren Reichswaldes, das sie auf der Westseite umgangen haben. Als Be-
weis hierfür bringt der Verfasser eine Urkunde des Bischofs Eberhard von Bamberg (1007—40)
bei, in der gesagt wird, daß die Pertinenzien des Hofes Herzogenaurach, welcher den Kanonikern
des Bistums Bamberg geschenkt wird, auf der anderen Seite der Pegnitz im Land und Gebiet
der Franken gelegen seien. Diese Bezeichnung hat nach Mummenhoff nur dann einen Sinn, wenn
man auf der schon früher besiedelten linken Seite des Flusses slavisches Land und slavische Be-
völkerung annimmt. Jahrzehnte waren unterdessen vergangen. Ein starker fränkischer Zuzug
hatte stattgefunden, und so war naturgemäß von einer ausschließlichen Geltung des bayrischen
Rechtes wie zu Anfang nicht mehr die Rede. Und was nun Nürnberg betrifft, so kann es, als dort
im Jahre 1050 Heinrich II. auf seinem Eigensitz die Fürsten von ganz Bayern versammelte, um
wegen der gegen die in die Ostmark eingefallenen Ungarn zu ergreifenden Maßregeln zu beschließen,
nicht plötzlich aus einem Nichts aus dem Erdboden gestampft worden sein. Es muß — und hierin
können wir dem Verfasser nur beipflichten — schon eine ansehnliche Größe gehabt haben. So
läßt sich gegen den Schluß, den Mummenhoff zieht, daß der Ausbau des Ortes zu einer Burg in
die Zeit von 1030—50 falle, nichts einwenden. Das zur Verfügung stehende historische Material
läßt eine andere Argumentation als diese nicht zu.
Der zweite Abschnitt war eine Untersuchung rein geschichtlicher Art. Das letzte Kapitel
wendet sich dem in dieser ganzen Frage gewichtigsten Baudenkmal, dem Ausgangspunkt Nürn-
bergs, der Burg zu, die sich auf einem markant aus der näheren und weiteren Umgebung heraus-
schneidenden Felsplateau erhebt. Gerade hier hat sich der Verfasser mit vielen irrigen Ansichten,
auch angesehener neuerer Geschichtschreiber, auseinander zu setzen. Er vermag sie sämtlich
als unbegründete Hypothesen zurückzuweisen. Anfangs stand auf dem Burgberg nur eine einzige
Burg, die auf dem ursprünglichen Köi^igshof erbaute Königsburg. Aber w 0 sie stand, darüber
sind die Ansichten sehr geteilt. Aus einer Urkunde vom Jahre 1270 geht mit Bestimmtheit her-
vor, daß die Burggrafen damals auf der Burg beim fünfeckigen Turm, der Burggrafenburg, und
nicht auf der Kaiserburg saßen. Essenwein nahm an, daß die in den Urkunden erwähnte Otmars-
kapelle sich auf der Kaiserburg befunden habe und mit der oberen der Doppelkapellen im Heiden-
turm identisch sei. Schlagend weist Mummenhoff die geschichtliche Unmöglichkeit dieser Hypo-
these nach, feststellend, daß die Otmarskapelle eins ist mit der Walburgiskapelle. Sie gehörte
den Burggrafen, als in deren Bereich gelegen sie im Jahre 1267 bezeichnet wird, und ging im Jahre
1427 mit dem Kauf der Burggrafenburg an den Rat der Stadt über. Später wußte man mit der
Bezeichnung Otmarskapelle nichts mehr anzufangen und übertrug diese ohne Bedenken auf die
obere Kapelle der Kaiserburg, deren Patron in Vergessenheit geraten war. In Ablaßbriefen aus
den Jahren 1471 und 79 wird ausdrücklich gesprochen von der Kapelle des hl. Otmar auf der vor-
deren Burg zu Nürnberg. Die vordere Burg war die der Burggrafen.
Essenwein sah dann weiter in der Doppelkapelle auf der Kaiserburg ein Mausoleum der
Burggrafen, das diese sich etwa von 1170—90 errichtet hätten. Mummenhoff macht dagegen
geltend, es sei urkundlich nicht nachzuweisen, daß die Burggrafen je auf der Kaiserburg gewohnt
hätten. Diese gehörte vielmehr den deutschen Königen, dem Reich. Er stellt es als ganz ausge-
schlossen hin, daß der eine Burggraf gleich zwei unmittelbar nebeneinander gelegene Burgen vom
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164
UTBRARISCHE BBSPREGHUN6EN.
Kaiser als Lehen empfangen und die größere verhältnismäßig spät habe aufgeben müssen. Urkund-
lich wird der Beweis erbracht daß die größere Burg im Westen stets Eigentum und Besitz der
Könige und Kaiser gewesen ist, während auf der Burggrafenburg von jeher der Sitz der Burg-
grafen war. Die Burggrafenburg war die erste und älteste Königsburg, die unter der Hut der
Burggrafen stand, welche bis um die Mitte des 12. Jahrhunderts die Bezeichnung „castellani''
führten. Als dann späterhin die Burggrafen Ihre Macht in bedenklicher Weise erweiterten, er-
baute sich der Kaiser als Stützpunkt für seine Bestrebungen zur Erhaltung des Reichsguts eine
eigene Burg, die er der Verwaltung eines besonderen Vogtes anvertraute, dessen Amt aber nicht
erblich war. Die Erbauung der Kaiserburg versetzt Mummenhoff in die zweite Hälfte des 12. Jahr-
hunderts, und zwar in die Zeit Kaiser Friedrichs I.
In dem fünfeckigen Turm sieht Mummenhoff nach Lage und Gestalt einen Wartturm.
Er steht an der gewichtigsten Stelle des ganzen Burgbergs, bildete den einzigen Zugang, von ihm
und von seiner Festigkeit hing das Schicksal jenes ab. Der fünfeckige Turm ist der Ausgangspunkt
der Nürnberger Burg. Im Anschluß an ihn entstand, wie aus Urkunden des 11. Jahrhunderts
zu schließen ist, zunächst die Burggrafenburg, die aber, wie im Gegensatz zu Essenwein festge-
stellt wird, nur von sehr beschränktem Umfang war. überhaupt läßt sich die Essenwein'schc
Rekonstruktion mit den tatsächlichen, den historisch-topographischen Verhältnissen nicht in
Einklang bringen.
Um den Gang seiner Darstellung nicht durch wichtige Einzeluntersuchungen in eigenem
Zusammenhang unübersichtlich zu machen, hatte der Verfasser davon abgesehen, über Johann
Müllners Annalen, über Lochners Meinungen über Alter und Ursprung Nürnbergs, über den fünf-
eckigen Turm und Graf Konrad von Dornberg Ausführlicheres zu bringen. Er tut dies nun in
Form von Exkursen, denen er einige für seine Untersuchungen besonders wichtige Urkunden im
Abdruck, zwei Ortsbeschreibungen vom Jahre 1492 und in einem eigenen Abschnitt die An-
merkungen und Erläuterungen anfügt. Daß er letztere für sich brachte und nicht in der zusammen-
hängenden Darstellung, gereicht der ganzen Arbeit entschieden zum Vorzug.
Das Werk ist der Stadt Nürnberg gewidmet, deren Geschichte dem Verfasser schon so
manch wertvollen Beitrag klärender Art zu verdanken hat. ~z.
Joseph Braun J. J. Die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten. Ein Beitrag zur Kultur-
und Kunstgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Erster Teil: Die Kirchen der ungeteilten
rheinischen und der niederrheinischen Ordensprovinz. Freiburg i. B. Herde r'sche Verlags-
handlung. 19O8. XII u. 276 S.
Seinem Buch über die belgischen Jesuitenkirchen, das ich im Jahrgang 1907 unserer Mit-
teilungen angezeigt habe, konnte der Verfasser schon nach einem Jahr den ersten Band eines Werkes
über die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten folgen lassen. Die Vorzüge, welche die Arbeit
über die belgischen Jesuitenkirchen auszeichnen, finden sich auch in dem neuen Werke, es beruht
auf gründlicher Kenntnis der Denkmäler und der historischen Nachrichten über dieselben. Die
Baugeschichte der einzelnen Kirchen wird bis in die ersten Anfänge verfolgt und bei vielen wird
die allmählige Entwicklung der Entwürfe an der Hand der in der Nationalbibliothek zu Paris be-
findlichen Sammlung von Plänen zu Jesuitenbauten verfolgt. Wichtige Nachrichten zur Künstler-
geschichte des ausgehenden 16. und des 17- und 18. Jahrhunderts werden gegeben. Die Bau-
beschreibungen und die stilistischen Analysen sind klar und sachlich, stets hat man das angenehme
Gefühl, auf festem Boden zu stehen. Das wichtige allgemeine Ergebnis ist, daß im nordwestlichen
Deutschland bis ins 18. Jahrhundert die Gotik der herrschende Kirchenstil war, nicht nur für die
Jesuitenkirchen, sondern ganz allgemein. „Die nichtjesuitischen Kirchen sind ebenso selbständige
Schöpfungen, wie die gotischen Jesuitenkirchen. Wie diese so verdanken auch sie ihren gotischen
Charakter lediglich dem Umstand, daß im Nordwesten Deutschlands für den Kirchenbau noch
immer der altheimische traditionelle Stil, die Gotik, maßgebend war, wenn auch mehr oder weniger
entartet und entstellt durch ungotische Zutaten."
Das steht fest, und so bedarf denn auch die Frage, ob die frühe Verbreitung des Barocks
in Süddeutschland, namentlich in Bayern und Österreich in den konfessionellen Verhältnissen
begründet ist, einer erneuten Prüfung. Wir hoffen, daß uns der gelehrte Verfasser in der Fort-
setzung seines Werkes die Lösung dieser Frage geben oder doch ihr näher bringen wird.
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UTEBARISCHE BESPRECHUNGEN. 165
Schon jetzt hat er uns im ersten Bande von B. D u h r , Geschichte der Jesuiten, in dem
von ihm bearbeiteten Kapitel über die Bauten (Bd. I S. 636 ff.) einiges Material für das 16. Jahr-
hundert gegeben. B e z 0 1 d.
Der schwäbische Schnltzaltar von Marie S c h u e 1 1 e. Mit 82 Lichtdrucktafeln in
Mappe. Studien zur deutschen Kunstgeschichte. 91- Heft. StraOburg, J. H. Ed. Heitz
(Heitz & Mündel) 1907.
Die vorliegende Arbeit hat sich die Aufgabe zum Ziel gesetzt, an der Hand der in Schwaben
erhaltenen Werke die Entwicklung des schwäbischen Altars darzustellen. Der Nachdruck ist
dabei auf die Plastik und auf den spezifisch schwäbischen Charakter gelegt. Berücksichtigt wird
nur das alte Stammland Schwaben: das heutige Württemberg in erster Linie, Hohenzollern und
die angrenzenden Striche von Baden und Bayern, soweit sich dort vollständig erhaltene Schnitz-
altäre finden lassen (S. 3)- Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Der erste bringt eine das ver-
streute Material in Gruppen zusammenfassende, systematische Betrachtung, der zweite ergänzt
ihn, indem er die Unterlagen für jene für sich darbietet, wobei die Einzelbeschreibungen durch
zahlreiche Abbildungen verdeutlicht werden. Es kann nicht geleugnet werden, daß ein solches
Unternehmen ein Bedürfnis war, werden doch dadurch festere Anschauungen gewonnen und neue
grundlegende Züge für eine einzelne bedeutende Lokalschule eruiert. Es bedurfte eines müh-
samen Fleißes und weitgehender SpezialStudien, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Die
Verfasserin hat es an alledem nicht fehlen lassen, und die Kunstwissenschaft wird ihr hierfür dank-
bar sein müssen. Jeder, der sich mit Einzelforschungen zur schwäbischen Plastik beschäftigt,
wird sich ihrer Arbeit als eines bequem und rasch orientierenden Führers gerne bedienen, und
so wird das Werk von bleibendem Wert sein. Es ist reich an guten Beobachtungen und bringt
manches schöne Stück an die Öffentlichkeit, das bislang nicht bekannt war. Nicht unwichtig
ist die Konstatierung, daß bei der Fertigstellung des schwäbischen Altares im allgemeinen eine
Arbeitsteilung zwischen Bildhauer und Maler stattgefunden hat, und daß auch die Fassung der
figü Hieben Teile meist durch Malerhand bewerkstelligt worden ist. In der Regel verhandelt die
Kirchpflege unmittelbar mit den verschiedenen Künstlern.
Dr. Fritz Traugott Schulz.
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Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1908
der
Mitteilangen ans dem germanischen Nationalmnsenm.
Seite
Hans Traut und der Pen ngsdörff er- Altar. Von Dr. Edwin Red sl ob. Mit 1 Tafel . 3
Beiträge zur Geschichte der Außenmalerei in Nürnberg. Von Dr. Fritz Traugott
Schulz. Mit 2 Tafeln. (Fortsetzung) 10
Deutsche Keramik im Germanischen Museum. Von Walter Stengel. Mit 4 Tafeln 22,62
Erhard Schön als Maler, Von Dr. Hans Stegmann. Mit 1 Tafel 49
Anmerkungen zur Hirschvogelfrage. Von Walter Stengel 78
Neuentdeckte Arbeiten von Veit Stoss. Von Dr. Fritz Traugott Schulz. Mit
2 Tafeln 89
Beiträge zur Geschichte der Kunst und des Kunsthandwerks in Nürnberg 1532 — 42.
Von Heinrich H.eerwagen 106
Ein spätgotisches Ciborium. Von Edwin Redslob. Mit 1 Tafel 133
J. C. Steinbacher. Von Edwin Redslob. Mit 1 Tafel 137
Ober Zweck und Entstehungszeit der sogen. Püsteriche. Von F. M. Feld haus, Ingenieur
in Friedenau 140
Über eine Fortsetzung von Neudörfers »Nachrichten« und ihren mutmaßlichen Ver-
fasser, den Maler Leonhard Heberiein (1584—1656). Von Dr. Th. Hampe 146
Literarische Besprechungen 44, 83, 127, 162
U. E. Sobald, K. B. Hofbuchdrucfcerei, fiGrnberg.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. Taf. I.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. Taf. 11.
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Die Schau in Nürnberg. Nach einer Zeichnung vom Ende des 16. Jahrh.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908.
Taf. III.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. Taf. IV.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. Taf. V.
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Mitteilungen aus dem gernian. Nationalmuseum. 1908. Taf. VI.
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Mitteilungen aus dem gennan. Nationalmuseum. 1908. Taf. VII.
H. G. 3491. H. O. 2766.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. Taf. VIII.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. Taf. IX.
Veit Stoß: Verkundigungsrelief in Langenzenn v. J. 1513.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908.
Taf. X.
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. Taf. XI.
Spitgotisches Ciborinm. (K. G. 841).
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Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1908. Taf. XII.
Reliqaienmonstranz von J. C Steinbacher. (K. O. 842.)
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