Tili: I. i'Aii. (,i- 1 r^- AUM-.r,\i i iHi^;.\in
Mitteilungen
AUS Dl'LM
Germanischen Nationalmuseum
HER AUSGEGEREN
VOM DiREC/rüRIU.M.
JAHRGANG 1897.
MIT ABBILDUNGEN.
NÜRNBERG, 1897,
VKRLAGSEIGENTl'^I DES CiERMAXISCIIEX ML'SELMS.
Wissenschaftliche Instrumente im
germanischen Museum.
as germanische Museum besitzt eine reichhaltige Sammlung von
wissenschaftlichen Instrumenten aus älterer Zeit, namentlich aus
dem 16. und 17. Jahrhundert. Die Alethoden der wissenschaftlichen
Beobachtung, wie die der 1 lerstellung der Instrumente haben sich im Laufe
des 18. und namentlich des 19. Jahrhunderts aufserordentlich vervollkommnet,
manches ältere Instrument ist ganz aufser Gebrauch gekommen, während
andere in mehr oder minder veränderter Form noch Anwendung finden.
Diese älteren Instrumente geben mancherlei Aufschlüsse über die Methoden
der wissenschaftlichen Beobachtung in früheren Jahrhunderten und sind nicht
selten auch durch ihre künstlerische Ausführung von Interesse. In letzterer
Hinsicht stehen die Instrumente aus vergold(;tem Messing von Praetorius
allen anderen voran. Diese Instrumente sind Eigentum der Stadt Nürnberg,
sie stammen gröfstenteils aus dem Nachlasse des Aegidius Aeyerer, eines
reichen Liebhabers, für welchen sie Praetorius gefertigt hat. 1675 wurden
sie von der Stadt Nürnberg erworben. Auch unter den übrigen Beständen
der Sammlung sind sehr schöne Instrumente.
Die Erfinder neuer Instrumente haben nicht selten in kleinen Traktaten
Beschreibun^^en und Anweisunt/en für den Gebrauch derselben (/e<reben. Oft
spricht aus diesen Traktaten die; naive Freude der Erfinder an ihren Erfin-
dungen und sie bekunden in ansprechender Weise den h^ifer, mit welchem
sie bestrebt sind, sie möglichst vollkommen und vielfach verwendbar zu machen.
Im Folgenden sollen einige Instrumente unserer Sammlung beschrieben
und abgebildet, und ihre Anwendung erläutert werden. Zui' Bestimmung der
historischen Stellung der Instrumente müssen zuweilen auch solche herange-
zogen werden, welche wir nicht besitzen. Ich halje dabei nicht den engeren
Kreis der Fachleute, denen ich als Laie kaum Neues sagen kann, sondern
den weiten Kreis der Leser der Mitteikmgen im Auge. Einige c^lementare
geometrische Ausführungen werden sich nicht vermeiden lassen; ich werde
suchen, sie m('>f{lichst all;^^emein verständlich zu halttm und hoffe, dafs das
Interesse des Gegenstandes dem Leser übei' etwaige SchwicM-igkeiten der Er-
klärung hinweghelfen wird.
I.
Die Mensula Praetoriana und das Winkelinstrument des
Andreas Albrecht.
,^Nuperri)ne eani ^Nori}nbrri^a»r »lihi dclei^i doDuoii perpctua})i tum
propter conmioditateni instru7)icntoru))i et nunxnur asti'oiioDi/corujn qiiihus
4
tota sidcralis itniititur discipliua, tioii propter uui^^rrsalem conversationem
faciliiis habi')idani cum sf!n//os/s lir/'s Hbicunijiic vitani dcgentibus, quod
locus illc pcrnidc ,juasi cr/itnoii I-.uropac proptcr cxcursuni nwrcatorum
habcatur. Ich liahi' mir jetzt Niirnt)^!«; zu nu-incni dauernden Wohnsitze
erwählt, sowohl weisen der Annehmlichkeit, die es durch Instrumente,
insonderluMt astronomische hieltet, auf welchen die gesammte Sternkunde
beruht, als auch wei^uMi des leichten Verkehrs mit den Gelehrten aller
I.ändiM-, da di(\ser Ort seines Handelsverkehrs wegen, gewissermafsen als der
Mittelpunkt lunopas gelttMi kann." So schrieb Regiomontanus am 4. Juli
1471 an den Mathematiker Cdnistian R(')der in Erfurt. Wenige Monate
vorlier war er aus dem Dienste des Ungarnkönigs Matthias Corvinus aus-
getreten und nach Xürnberg übergesiedelt. Er hatte das Glück in Bernhard
Walther einen gleichstrebenden h'reund zu finden , der seine Absichten in
freigebigster Weise f(')rderte. Walther bot ihm nicht nur die Möglichkeit
astronomische Instrumente zu fertigen und beteiligte sich an seinen Be-
obachtungen, sondern er errichtete sogar eine eigene Druckerei, in welcher
die litterarischen Arbeiten des Regiomontanus, für welche er ein umfassendes
Programm aufgestellt und von welchen er vieles schon ausgearbeitet hatte,
gedruckt werden sollten.
Nur vier Jahre weilte Regiomontanus in Nürnberg. 1475 W'urde er von
Sixtus IV. nach Rom berufen, um an der Verbesserung des Kalenders mit-
zuwirk(Mi und schon im folgenden Jahre starb er daselbst. Doch die An-
regtmgen, welche di(\ser mächtige Geist in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes
in Nürnberg ausübte waren nicht verloren; mehr denn hundert Jahre blieb
Xürnberg ein Mittelpimkt mathematischer Studien in Deutschland. Auch für
die Richtung diesen- Studien blieb sein Vorbild bestimmend, weniger die reine
als die angewandte Mathematik wurde in Nürnberg gepflegt, insonderheit
Astronomie, Geographie und Geometrie.
1492 f(M-tigte Martin P>ehaim seinen Globus. Ihm folgte in der Frühzeit
des 16. Jahrhunderts Johann Schöner, von dem noch mehrere Erdgloben
vorhanden sind.
1462 kam Johannes Praetorius aus loachimsthal nach Nürnberg. Während
seines ersti-n Aufenthaltes bis 1.569 beschäftigte er sich hauptsächlich mit der
Anfertigung astrononüscher Instrumente, pjn Teil derselben kam 1675 in
den Besitz der Stadt Nih-nberg und bc-findet sich jetzt in den Sammlungen
des germanischen Museums. In xergoldetem Kupfer ausgeführt erfreuen sie
das Auge des Mathematikers wie das des Kunstfreundes durch die Genaiüg-
keit ihrer Austührung und dui'ch die SchTinheit ihrer Erscheinung.
1569 \'(.'rli(;fs Praetorius Xürnberg. h'olgte aber 1576 einem Rufe an
die Xürnbi-igei- Eni\-ersitJit Alttlorf, wo er bis zu seinem Tode 1616 als Pro-
fess()r der Mathematik thätig war.
In seinen Schritten behandelte er algebraische und geometrische, sowie
astronomi.^che Probleme' und galj .Anleitungen zur ]'\;ldmerskunst. Merk-
würdigerweise hielt er in seinen iXnscliauungen \'om Weltgebäude an dem
System des Ptole:inaeus lest. \'g!. I^op5)elma\ r. historische Nachricht von den
nürnbergischen Mathematicis und Künstlern S. 88, wo mehrere Belegstellen
angeführt sind. Von den Schriften des Praetorius ist wenig veröffentlicht.
34 Bände in Manuscript übergab der Sohn seines Nachfolgcn-s Daniel Schwenter
der Universitätsbibliothek in Altdorf, von wo sie nach Aufhebung der Uni-
versität Altdorf in die Erlanger Universitätsbibliothek gelangten.
Praetorius hat sich nicht darauf beschränkt astronomische und andere
Instrumente in der überkommenen Weise anzufertigen, sondern er hat an
denselben allenthalben Verbesserungen angebracht und neue Instrumente er-
funden. Unter diesen letzteren hat der Alefstisch, die mensula Praetoriana
eine weite Verbreitung gefunden und ist, im Einzelnen verbessert, noch heute
im Gebrauch.
Das Verfahren der Landavifnahme*j war bis ins 16. und selbst ins
17. Jahrhundert ein ziemlich oberflächliches. Einzelne Hauptrichtj)unkte
wurden durch Winkelmessung mit dem Quadranten und der Bussole, Ent-
fernungen durch Messung mit Stab und Kette oder nur durch Abschreiten
das Zwischenliegende durch Schätzung bestimmt. Das Verfahren, nach wel-
chem unter Anderem die Apianische Landtafel von Bayern von 1566 her-
gestellt ist, gab recht brauchbare Ergebnisse, genügte aber doch höheren
Anforderungen an Genauigkeit nicht. Mit der Konstruktion des Mefstisches
führte Praetorius ein Aufnahmeverfahren ein, das eine weit gröfsere Genauig-
keit verbürgte und zugleich den Vorteil bot, dafs das verjüngte Bild der auf-
zunehmenden Objekte sofort auf dem Felde aufgezeichnet wurde.
Der Mefstisch des Praetorius wurde zum ersten Male beschrieben von
dessen Schüler und Nachfolger Daniel Schwenter im dritten Tractat der
Geometria practica nova 1618. Die umstehende Abbildung Figur 1 ist
diesem Tractat entnommen. Wir besitzen keinen jMefstisch von Praetorius,
und ich weifs auch nicht, ob überhaupt einer erhalten ist.
Der Mefstisch AB CD ist ein quadratisches Brett von 15 Zoll (37 ' - cm.)
Seitenlänge. In der einen Ecke A ist eine Ikissole E eingelassen. Von I
aus geht nach unten eine Schraube G H, mittels deren der Tisch auf das
Holz I K geschraubt wird, an welch letzteres bei M N und () die Stäbe des
Gestelles S T V angeschraubt werden. Damit ist der Tisch zum Aufstellen
fertig.
Zum Arbeiten sind noch verschiedene Instrumente erfordcu-lich. Zunächst
ein Diopterlineal W von 14 Zoll Länge, an dessen iMnem I^^nde a sich in
einem halbkreisförmigen Vorsprung ein kltMues Loch befindet, desscMi Mittel-
punkt in der Richtung der Kante a c Hegt, l^in gleiches Loch steht im
Abstand eines halben Fufses bei b. Die beiden L()cher sind so grofs, dafs
man eine feine Nadel hindurchstecken und so das Lineal auf der 'i'ischplatte
befestigen kann, e und f sind die -Absehen- (Diojjter), welche aufgeklappt
werden können. Die Länge ist in 100, 200 oder cMue andere Zahl von l^^iilen
geteilt. Dieses Instrument nennt Schwenter die i lauptr(;gel.
*) Vgl. Max Schmidt, mensula Praetoriana in der Z. f. Vermessunt^swe.sen 1893.
XXII. 269.
Drei Nc^licnrc^Ljoln, x y z, L,fl(Mchfalls mit Län<^umtcilun(^ können zu einem
reclit\\ink('li|L^(Mi DiiMc^ck zusaninu-ni^(\sicllt und, wie an der Figur zu sehen, an
einer Seite (.1er Tischijlatte anyt-sehraul^t werden, wenn Höhen gemessen
werden sollen.
l'',in weiteres Lineal h i mit einem ÜlcMlot, die Lotgahel dicmt dazu, den
Slan(J])UMl;t, \(>n d< m aus Ljemesscn wei-den soll, auf dic^ 'risch])!atte zu über-
t!a;_;eu, weil hici- die 1 lauitticed angelegt werdcMi nuifs.
Oie 1 iseliplatte Aii-d mittels einer Setzwage horizontal gestt^llt. Die
iihiigen auf l'"ig. ] a!)!;el)ildeten hisiiaimente .^ind \-on L^(M-inüerem ISelane.
— 7 —
Das Meisverfahren ist ein graphisches, und zwar wird unmittelbar auf
dem Felde ein verkleinertes Bild der aufzunehmenden Linien und Flächen
auf die mit Papier bespannte Mefstischplatte aufgezeichnet.
Es kann sich hier nicht darum handeln, die sehr mannigfaltige Ver-
wendbarkeit des Mefstisches allseitig zu erörtern, ein ganz einfaches Beispiel
mag genügen, einen Begriff von der Art und Weise der Aufnahmen zu geben.
Es soll der Abstand zweier Thürme Fig. 2 B — C, welcher nicht direkt
gemessen werden kann, bestimmt werden.
Die Messung mufs von zwei Standpunkten aus geschehen. Man nimmt
den ersten in einem passenden Abstände B o an, schlägt hier seinen Mefs-
tisch auf, überträgt den Punkt o mittelst der Lothgabel auf die Tischplatte
"S^v^'S^
Fig-. 2.
und befestigt hier die Hauptregel. Nun wird zunächst eine Standlinie ge-
wählt und auf dieser ein Stab aufgestellt in p. Dann wird mit dem Diopter
von o nach p visiert und auf dem Mefstisch mit der Regel die Linie o p
gezogen, desgleichen visiert man von o nach den Spitzen der Türme und zieht
die Linien ob und o c. Ist dies geschehen, so wird der Mefstisch von o entfernt
und in o ein Stab aufgestellt. Ferner wird auf der Standlinic ein passender
Abstand b n. hier 38 Ruten , abgemessen , desgleichen werden 38 kleine
Teile auf der Regel mit dem Zirkel abgegriffen und auf der Zeichnung der
Standlinie von o nach n aufgetragen. Der Tisch wird alsdann so aufgestellt,
dafs der Punkt n der Zeichnung senkrecht über n der wahren Standlinie zu
stehen kommt, die Regel wird in n befestigt und so gerichtet, dafs ihre
Kante mit n o der Zeichnung zusammenfällt. Die Regel bleibt auf n o liegen
S —
iinil der Tiscli wird solaiii^'c L(i'(lr(dit, bis (li(> ini erstem Standpunkte o auf-
^'('strllu- StaiiL^c im I>i(i])t('i in der iiclitii;cn Stcllun^f erscheint. Der Tisch
steht alsdann richlii;. Nun wird wiedtn- nach li und C visiert imd auf dem
Tisch mit der Kcm'l die Limen n b und n c ^U'zogen. Die Schnittpunkte b
und c mit den xun o aus i^u/oi^^enen Linien o b und o c ^eben in verjinigtein
Nhilsstabe den /Xbstand bt-ider 'liirme (hier 41 Ivuten). Mit diesen Operationen
ist aber nicht nur der /\l)stand H C, sondern auch (he Abstände o B und
n C bi'stiuimt .
Fiir. n.
Das Verfalu-en berulit, wie man sieht, darauf, dafs auf dem Mefstisch
eine der natürlichen ähnliche l-'i-^ur i^^cnvonnen wird.
Analo;; ist das \'(>rfahr(;n bei HTthenmessungen, wo mit rechtwinkehgen
Dreiecken (ipcriert wird.
J;as grnnrmische .Museum besitzt ein histrument (W. J. 1262), welches An-
dreas Albrccht irj2.'>, also wenige Jahre nach dtnn l'Irscheinen von Schwenters
Cjcomclna an-<gcl)cn hat und wcl(;hes als eine Kombination des Alelstisches
mit der I'cldiiK ■^s(■li)Ilss<,ll• ci-schcun. k'.s -estattc^t nicht, wie die mensula
l'rafnoriana, eine mmiittclbai-e giai)hische /Xulnahme von JMguren, sondern nur
eme solclu- \()n Waui.ciii. 1 )as .ViiM ia;^en dei" lMgur(-n geschah nachtr;iglich.
Die Platte besteht aus einem in Holz gebundenen Notizbuch, welchem eine
gedruckte Beschreibung und Gebrauchsanweisung beigebunden ist. Die Notiz-
blätter fehlen jetzt. Der Titel des Ruches lautet: Eygendliche Beschreibung
und Abrifs Eines sonderbaren nutzlich und nohtwendigen Mechanischen
Instruments, so auff ein Schreibtafel gerichtet, welche.'^ zum Feldmessen,
zum Vestung aufsstecken, zum höh- und tiefen messen, zum Land und
Wasser abwegen, desgleichen zur Perspectiv, gar füglich zu gebrauchen ist.
Fis- 4.
Durch Andreas Albrecht von Nürnberg an Tag geben. 1625. Dem Text
waren fünf Tafeln beigegeben, von w(;lchon in uns(M-em Exc-mplar die erste,
welche die Beschreibung erläuterte, fehlt. Doch läfst .sich aus dem Vergleiche
des gleichfalls unvollständigen Instrumentes mit der ISeschreihung eine Rekon-
struktion des Instrumentes vornehmen, wie in l'ig. 3 vcnsucht ist.
In den oberen Deckel E war eine Bussole A mit Angabe der vier Orte
der Weh eingelassen. An dieser war eine Regel B befestigt. Beide waren
fest verbunden und konnten gedreht werden.
• Mitteilungen aus dem german, Nationalmuseum. 1897, II.
— 10 —
Sic sind unii,'ct)(ii \(.n cinriii auf dem Deckel fl(\s Buch(\s bcfcsti^fton,
in 36(^ (irade i^fetciltcn Kicis C. der ;^deichfalls mit den vier Orten d(;r Welt
bezeichnet ist. l'nter dem Kreis und iiher ihn vorstellend ist eine kreis-
f()rmiL;e Schreil)tah'l I) hel'e^ti^t.
An die Seite des Ihiches. an welchcM' es aufijeschla^fc^n wird, ist eine
nii'ssiuL^'ene Rohre, 1" (\ anL^i'schrauht, welche^ um die Axe H drehbar ist.
Sie ist als I)i(ii>tcr einL^ericlUet, und es kann an ihi' ein in zweimal 90 (jrade
^'eti'ilter I lali)kreis mit einem l'tMulel befestiL;t wei'den.
An Stelle der 1 )i(ii)teir('ihre kann <Mn Lineal ijeschraubt werden, auf
widchem der XürnlxMj^fer Schuh in natürliclKM' Cir()fs(\ in ' :{ und in einer
weiteren W-rjünsiuni' verzeichnet ist.
Fi-. 5.
Mit einer Hülse, welche ab,f,u\schraubt werden konnte, wird das Instru-
ment auf ein Stativ aufi.(es(>tzt.
Das Instrument ist wie bemerkt, jc^tzt unvollständi.L,^ Die Russole A
mit der Rcl^cI I; und der Teilkreis C. fehlen, desj^leichen das Diopter F G.
Die Schreibtafel, KicideoTund auf I.eder ist schadhaft. An Stelle der fehlen-
den llu-sole i^t (ine solche aus dem IS. Jahrhundert ein^^esetzt. Sie ist nicht
drehbar. Auch das Lineal mit dem Lotmafs ist aus d(Mii LS. lahrhundert.
h"i^. 4 stellt das L^anze Instrument auf dem Stativ dar.
Seine Aiu'venduuL; ^(,11 an eini;^en einfachen lieispielen _i,u>zei,qt werden.
Wie bereits an.L,'<-(leutet, sind die AuhKihnu- auf dem Felde imd die [graphische
AutzeichmmL^' ^fetrennte ' )perationen.
[bekanntlich ist ein Dreieck in allen si/inen Stücken bestimmt, wenn
— 11 —
eine Seite und die beiden anliegenden Winkel bekannt sind. In dem ge-
gebenen Falle Fig. 5 ist also zunächst die Länge der Linie a b zu messen und
es wird diese Gröfse in das mit dem Instrument verbundene Notizbuch einge-
tragen. Dann wird das Instrument über dem Punkte a aufgestellt, mit dem
Diopter von a nach b visiert und die an der Hülse befindliche Schraube an-
gezogen, so dafs eine Drehung der Platte nicht mehr möglich ist. Hierauf
wird die Bussole mit der Regel B so gedrc^ht, dafs die Xordnadcl einspielt,
und diese Richtung auf der Schreibtafel D mit 1 bezc-ichnet.
Alsdann wird das Instrument soweit gedreht, dafs die Sehlinie des
Diopters die Richtung a c erhält, die Bussole wird wieder orientiert und die
Orientierung auf der Schreibtafel mit 2 verzeichnet.
Eine einfache Überlegung zeigt, dafs der Winkel der beiden Orien-
tierungen dem Winkel bac gleich ist. Völlig gleich ist er allerdings nur, wenn
die beiden Punkte, nach welchen visiert wird, gleich weit vom Standpunkte
entfernt sind. Denn wie die Fig. 5 zeigt, ist das Instrument mit einem Fehler
behaftet, der darin besteht, dafs die Sehaxe des Diopters sich nicht mit der
Drehungsaxe des Instrumentes kreuzt. Der in der Zeichnung sehr auffallende
Fehler wird indes dadurch wesentlich verringert, dafs die Abstände der Stand-
punkte und der zu bestimmenden Punkte im Verhältnis zu den Abmessungen
des Instrumentes in Wahrheit weit gröfsere sind als auf der Zeichnung; dann
dadurch, dafs die Winkeldifferenz immer auf d(n-selben Seite der Visierlinie
liegt. Der Fehler kann ganz vermieden werden, wenn man das Instrument
bei jeder Visierung dreht, so dafs das Diopter einmal rechts, das andere Mal
links von der Bussole steht und das Mittel aus beiden Visierungen nimmt,
oder wenn man in a und b statt des Instrumentes Visierstäbe aufstellt, es
sind aber dann für a und je zwei verschiedene Standpunkte des Instrumentes
erforderlich.
Die gleichen Operationen werden in b wiederholt und so der Winkel
a b c auf der Schrcibtafel verzeichnet und damit sind für die vorliegende
Aufgabe die Arbeiten auf dem Felde beendet. Das Aufzeichnen der Figur
geschieht zu Hause.
Das Instrument wird vom Stativ genommen und die Hülsi" abgeschraubt,
desgleichen das Diopter, an dessen Stelle nun das erwähnte Lineal bet<,\stigt
wird. Das so veränderte Instrument wird alsdann auf ein ZeMchenbrett ge-
legt, das während der Ausführung der Zeichnung \-ollstandig un\ errückt
lieg(;n bleiben mufs. Die Reihenfolge der Operation^-n ist hier die umge-
kehrte wie auf dem Felde. Um die Richtung der Standlinie a b zu bestimmen,
wird die Regel B auf die mit 1 bezeichnete Linie in der Schreibtafel I) ge-
stellt imd mm das ganze Instrument solange gedreht, bis die Xordnadel
einspielt, das Lineal hat alsdann die Richtung a b, welche auf dem Zeichen-
brett angezeichnet wird. Auf diesei' Linie wird die gemesscMie Länge a b in
der gewünscht(Mi Verjüngtmg aufgetragen. Weiti'r wird die Regel 1> aut die
Linie 2 der Schreibtafel D gestc:llt, in dem Punkte^ a des Zeichenbi'ettes eine
Nadel eingesteckt, das Instrument nüt dem Lineal an diese Nadel heran-
geschoben und um den Punkt a solange gedreht, bis die Xoidnadel einspielt.
— 12
Das Lineal hat alsdann dir Richtung a c, Durcli die ^deiche Operation in b
wird die Richtuni,' h c ^(d'undcMi und es ist tlaniit in dem vcrjünt^tcMi Alafsstabe,
der der ZtMchnunL^ zu (jruntU^ k^''li'Ut ist, der Abstand und die Lage des
Punktes c gi'gen a und b bestininit.
Die \di\\ das Instrument selbst zum Auftragen der Zeichnung zu b(;-
nützen, hat L(>\inus llulsius in einc-m Hussoleninstrument, das er Planimetra
nennt, schon gi'gen iCncU^ dc\s 16. Jahrliunderts verwirklicht und es darf an-
genomuKMi winden, dafs Albrecht die Planinu^tra des llulsius kannte;.
Wie das InstruuK^nt zur Atifnahme von l'dächen imd zu deren Auf-
zeichnung in verjüngtem ALafsstabe dient, so kann es auch umgekehrt zur
Absteckung von Plänen nach Zeichnungen benützt werden.
Es dient ferner zur Messung von Höhen. Soll die II(')he a b k"ig, 6 g(;-
messen werden, so wird das Instrument in einiger Pmtfernung aufgestellt. Man
visiert mit dem Diopter, an welchem nunmehr der Transporteur befestigt ist,
nach b und, ohne das Diopter zu verschieben, nach c. Dieser Punkt wird mit
Fig. 6.
einer Stange bezeichnet. Dann wird an dem Transporteur mittelst des Lot-
maises der Winkel X abgelesen, in welchem das Dioi)ter zur vertikalen steht,
und endlich wird der Abstand a c gemessen.
Um di(; Figur aufzuzeichnen,- wird der Transporteur vom Diopter ab-
genommen, und an Stelle des Pendels ein Lineal befestigt, dessen eine Kante
durch den Drehpunkt des Pendels geht.
PLs werden zunächst auf einem Reifsbrett zwei senkrecht sich kreuzende
Linien g(;zogen, das Lineal am Transporteur auf den Winkel X gestellt und
so an die; Vertikallinie angelegt, dann hat die Oberkante des Transporteurs
die Richtung b c, welche das Diopter auf dem Felde hatte. Zicdit man diese
Linie und mifst von ihrem Schnittpunkte mit der horizontalen auf diescM' in
verjüngtem Mafsstab(> die Länge a c al), errichtet in a ein(^ vertikale, so liegt
der Schnitt])unkt b diesei- letztertm mit der Linie b c b in der gesuchtc^n H(')ht;.
Mit ZW'CM AufnahuK'n kann auch eine Mühe, an deren P\ifs man nicht
gelangen kann, bestimmt werden. Ferner gestattet das mit dem Diopter
— 13 —
verbundene T.otmafs, das Instrument als Nivellierinstrunnent zu verwenden.
Endlich können durch die Kombination der Planaufnahme mit der Höhen-
aufnahme perspektivische Bilder von Gegenständen gewonnen werden. Die
Methode ist die der Zentralprojektion.
Die Genauigkeit, welche das Instrument gc>währlcistet, steht hinter der
des IMefstisches mit fester 1 lolzplatte und Kippregel oder Diopterlineal erheb-
lich zurück. Sein geringes Gewicht und seine wenigstens für den ersten
Teil der Arbeiten, die Aufnahme auf dem F(^lde, einfache Handhabung mögen
es für Fälle, in welchen keine grofse Genauigkeit und rasche Aufnahme ver-
langt wurden, empfohlen haben. Eine grofse Verbreitung hat es nicht ge-
funden und unser Alefstischchen wird wohl das einzig erhaltene Exemplar sein.
Schon 1617, also einige Jahre früher als Albrecht hat Johann Lörer,
Bürger und Kleinuhrenmacher zu Basel ein auf dem gleichen Grundgedanken
beruhendes Instrument zur zeichnerischen Aufnahme von Winkeln erfunden
und in einem Traktat : »Novum Instrumentum geometricum perfectum, das ist
voUkommner vnd grundlicher Bericht, alle Weite, Breite, Höhe und Tieffe,
mit sonderbarem Vortheil, als mit einem einzigen Instrument ohne Ziffer und
Rechnung gantz gewifs abzumessen« beschrieben.
Das Instrument besteht aus einer kreisförmigen, horizontal zu stellenden
Scheibe. Ein Eineal, dessen eine Kante durch das Centrum der Scheibe geht,
dreht sich um einen in der Mitte der Scheibe befindlichen Zapfen. Über dem
Lineal erhebt sich eine zweite vertikale Kreisscheibe. An dieser ist, gleich-
falls drehbar und das Centrum berührend, ein langes Diopterlineal angebracht,
dessen Sehaxe mit der Kante des Lineales parallel ist und mit der des unteren
Lineales in einer Vertikalebene liegt. Die Scheiben werden mit Papier be-
spannt , horizontale Winkel werden auf der horizontalen , vertikale auf der
vertikalen Scheibe verzeichnet.
In verbesserter Form war dieses Instrument noch um die Mitte des 18.
Jahrhunderts in Gebrauch. Die Winkelscheibe (plancJiette ronde) ist in dem
Traite de la constriiction et des principaux iisages des Instruments de "tuathe-
matique par N. Bion. 4""^ edition. Paris 1752. S. 123 beschrieben und
auf PI. XIV. abgebildet. Die Planchette ronde ist eine Metallscheibe von
etwa 1 Fufs Durchmesser. Der Rand ist in Grade geteilt. Bei 0", 360" und
1km 180" sind Diopter angebracht. Die Innenfläche ist verti(Tt, so dafs einige
Blätter Papier eingelegt werden kcinnen. In der Mitte erhebt sich ein Zapfen,
um welchen sich eine Regel dreht, deren Kante die Di'ehaxe schneidc-t. L'ber
der Regel befindet sich ein Fernrohr , dessen Sehaxe der Kante der Regel
parallel ist. Seitlich an d(M- Regel ist eine lUissole angc^bracht.
Wie man sieht, sind die Operationen mit di(\sen insti-umentiMi einfacluM-,
als mit dem Albrcxhtschen und zugleich ist durch (li(> konzt-ntrische Lage der
Visieraxe eine gr(")rsere GtMiauigk'cit gewähik'istt^t. \)'w Winkel wiM-den bei
jedem Standpunkte auf ein gesondertes lilatt gcveichnet. I^ie Instrumente
selbst könncm nicht zum Auftragen der ZcMchnung gebraucht werden.
Ahnliche lu-wägungen wie sie L()rer und Albrecht angestellt ha!)en. hattet
schon 1607 den schweizer Geometer Leonhard Zül)ler zu einer Umgestaltung
— 14 —
des McMstische^^- L^u'fiihrt. wolclir cv mit clcni Namen: Instrunientum Choro-
c;rnp}iicn»i lnveu-hnet. I )i(\se.s InstruiiuMit wurde später von Athanasius Kircher
verhi-ssi-rt. liei diesen Instrumenten tlreht sich der äufsere rechteckige Teil
der I'latte nnt dem l)i(»|)tt'r und der RegtM um (Mne mittlere runde Scheibe,
auf welche ^^eztMclunt wird. Letztere bleibt wie bei dem Albrecht'schen In-
strument fest o! ientieit. DagegcMi gestattet das Instrument die zeichnerische
Aufnahme dcM /u vernu\^stMiden Winkel und I'dächen auf dem Felde.
Lennhard Ziibler hat sein Instrument unter dem Titel; Fabrica usus In-
strumenti Cdnii-iigiai)hici , . . i^asel 1607, beschrieben.
Die Ik'schriMbung des Kircher'schen Alefstischchens Pantometrum findet
sicii in der (ieomt^tria i)ractica von P. Schott. Beide Instrumente beschreibt
auch lakob I.eu])(ild in seinem Theatrum arithmetico-geometricum Leipzig 1727.
Nim übe rg. Gustav von Bezold.
Richard von England.
o/fTik4^ n dem Wolkensteinischen Archiv des Museums befindet sich , auf
rVf '■^•'\V teinerem, ziemlich weifsi^m Pergament geschrieben, eine Lrkunde
,-,^^-^>V) \'om 5, April 1494, deren Aussteller im Eingang sich als Richard,
Herzog \'on York, Sohn und Erbe König Eduards W . von England bezeichnet
und sich unterschreibt als Rychard off england.
In derselben verspricht dieser Richard dem edlen und sehr mächtigen
Herrn Michael \-on Wolkenstein lur täglich bewiesene und fernerhin zu be-
weisende gute Gesinnung, sowit; für die heilsam(.'n, in der \"crfolgung seiner
AngelegenheitcMT ihm gewährten Ratschläge 1000 Goldgulden deutscher Wäh-
rung , die ihm selbst oder seinem rechtmäfsigen Vertreter ausgezahlt werden
sollen, sobald Richard in England die Anerkennung seines Geburtsrechtes
erlangt hat.
Die Urkunde lautet:
Xf)tum sit, quod nos, Ricardus, dux Eboraci , filius et heres metuen-
(Jissimi domini et patris nostri , Edwardi (.piarti , nuper regis Anglie et
h'rancie ac domini Hibcrnie, bonum et gratuitum obsequium per nobilem
et prei)C)tcntem \iruni, dominum Michaelem de Wolqui'stain, nobis in dies
multiplicittM' im])cnsiim vX im])osterum impendendum. in ministrando nobis
suum Sanum et salubic consilium circa n(>gocia nostra agenda, intime con-
.^iderantf^, conce^sinuis et per ])rcscntes Cf>ncedimus, quf)d. cum ad ins et
icctum nn^iruni ad (juod nati sumus in .Anglia diuina gratia adducti et
stabiüti fuei-iiiius, ^dhiiMiius seu solui faciemns ])re(lict(» .Michaeli aut suo
sutficicnti et ligittiniM in liac ])artt' atti irnato summam mille florenorum auri
de Alm.ania. ad quam (|ui(li-m sdlucionem modo i>t forma predictis hdelitei"
ficndam et pciimi)l(ndam obligamu.^ no-. tirmiler jicr i)resentes , signeto
no-^tio manuali signatas et ^igillo noxtro -.igillatas. Datum quinto die men-
sis /Xpiili^ anno douiini millesimo (luadringintesimo nonagesimo quarto.
Rvchard oft" england.
— 15 —
Das Siegel von dunklem Wachs hängt an; doch ist es am Rande so
beschädigt, dafs von der Umschrift nichts mehr zu entziffern ist. Dagegen
läfst das Wappen im zweiten und dritten Felde deutlich die drei Leoparden,
im ersten und vierten bei schärferer Prüfung die Lilien erkennen und ist
offenbar als das königliche Wappen aus der Zeit der Plantagenets, Lancaster
und York zu bezeichnen. Die Urkunde ist in klarer, leicht lesbarer Kanzlei-
schrift geschrieben, etwas verwäscht. Die eigenhändige Unterschrift Richards
zeigt feste, energische Züge. Dafs der Ort der Ausstellung nicht angegeben
ist, ist nicht störend und stimmt mit der Persönlichkeit des Ausstellers —
eines heimatlosen Prätendenten.
Denn wer ist dieser Richard von England , vorgeblicher Sohn König
Eduards IV. und Herzog von York.^ Ohne Zweifel niemand anders, als jener
Perkin Warbeck, dessen abenteuerliche Gestalt Schiller zu einem Drama an-
regte, wovon der Entwurf uns erhalten ist. Eine Zeitlang anerkannt in Flan-
dern, wo er in Brüssel am Hofe der Margarete von York lebte, landete er
seit 1495 wiederholt in England, Schottland und Irland. Er fand Aufnahme
bei dem jungen ritterlichen Jacolj IV. von Schottland, der im Jahre 1497 auch
Warbecks Schilderhebung in Cornwales durch einen bewaffneten Einfall in Eng-
land, der allerdings nicht zur Ausführung kam, unterstützen wollte^). Schiller
bringt in seiner Dichtung Warbeck mit dem echten Warwnck zusammen ; mit
diesem safs er, in Gefangenschaft geraten, thatsächlich im Tower und wurde,
als er ihn zu einem gemeinsamen Fluchtversuch verleitet hatte, 1499 mit ihm
hingerichtet.
Über Michael von Wolkenstein, den Empfänger der Urkunde, sei hier
bemerkt, dafs er seit 1499 als Hofmeister und Mitglied des von Kaiser
Maximilian eingesetzten Landesregiments hervortritt und beim Tode des
Kaisers Landhofmeister ist. Sein Leben verlief ruhiger, als das seines be-
rühmten Stammesgenossen Oswald. Die Thaten und Ereignisse, auf welche
unsere Urkunde hindeutet, fallen in die Zeit seiner Jugend.
Das Bindeglied zwischen ihm und »Richard von England« bildet sein
Landesherr Maximilian. Man vergleiche hierzu Ranke, Engl. Geschichte,
S. 101, der bei Schilderung der Schwierigkeiten, welche den Regierungsan-
fang Heinrichs VII. von England kennzeichnen, unter Anderem sagt: Noch
lebte die Witwe des Herzogs Karl von Burgund (jene oben erwähnte Mar-
garete), die es unerträglich fand, dafs das Haus York, aus dem sie stammte,
von seiner -triumphierenden Majestät« herabgestürzt worden sei. Bei ihr
fanden die flüchtigen Anhänger des Hauses York Aufnahme und Schutz : v(M1
ihr und ihrem Schwiegersohn Maximilian von Osterreich wurden die Präten-
denten ausgerüstet, welche Heinrich VU. die Krone streitig machten.
Wir denken später über Michael von Wolkenstein lungehenderes zu
bringen und begnügen uns hier mit dem Abdruck dieser Urkunde, die seine
Gestalt eigenartig einführt und auf den Anfang seiner Laufbahn ein roman-
tisches Licht wirft.
Nürnberg. Dr. R. Schmidt.
^) Ranke, Enirli.sche Geschichte, S. 99.
— 1 6 —
Ganerben. I.
*-i^>.
'^jTV^^n (iriniins \\'(>it(Ml)Uch 1m1. 1\', 1. S]). 1215 Icsrn wir unter ^Mncrbc:
rif'\V^i alul. ist bezeugt kanari);in, canluM-hcn, aber L,^liicklich auch die
r^^^-^j-^ ältere (It-stalt ij;c-aner\(), fiaukisch 9. jli., in einem capitularc der
K()nim' I.ud\vi;4 und Lothar (l'ertz uion. 3, 262), nachlier (Um- i^eaniMvo siner,
coluMes i^jus, abt'r auch schon i^Mncrvo siner, wie dann nihd. j^^anerbe, nmd.
i^ancrxe, also urspiiins^lich L^i-ana-erbo. Das bestäti^^t eine Form des 13. jh.
mit Umstcdlun^ der beiden Vorsätze ancf^^^erve.
Die ältere Form ^eanerbe wurde also frühzeitig in ganerbe zusammen-
gezogen. Nun lieifst es weiter bei Grimm, Sp. 1217 unter 3a: Dafs dies
gan. an dem die sjjätere Gelehrsamkeit wunderlich herumgc^deutet hat, schon
im 14. jahrh. und fri'iher \erdunkelt war, zeigen die wunderlichen var. im
Ssp. I, 17 bei Homeyer, z. B. als gan gönnt ausgelegt, wie die Uebersetzung
fa\orabiles heredcs zeigt, oder als gegen« nach generben u. ä., im Kaiser-
rechte 3, 10 gagenerben, auch als gahen eilen. . . Dagegen klingt das
Richtige nach in der Form geanerbet Parz. 330, 30 var., geanerbet sitzen
R. A. 482 anm. (vom J. 1326j, worin freilich anerbe, ancrben hineingefühlt
sein wird.^ Dann heifst es unter 3 b): Um so merkwürdiger ist daneben,
wie noch im Jahre 1267 das ge-an am Rhein lebendig gefühlt, ja in seiner
Stellung beweglich, flüssig erscheint. <' Das urkundliche Beispiel ist: si quid
questionis . . emerserit ab hiis qui uulgo anegeruen dicuntur, das Duplikat
der Urk. aber hat ganeruen.«
Angesichts dieser Ausführungen dürfte es interessieren, dafs noch w-eit
später als in den oben angeführten Beispielen v. J. 1267 und von 1326 das
Richtige nicht nur nachklingt oder lebendig gefühlt wird, sondern die ältere
Form geanerben thatsächlich noch vorkommt. Kürzlich [s. Anz. 1896. Nr. 6
S. 80 oben) ward von uns in einem gröfseren Komplex eine Urk., Orig. perg.
vom 25. Juli 1381 , ebenfalls aus der Rheingegend stammend, erworben,
welche in dem hier in Betracht kommenden Teil lautet:
Ich Daniel xon Muderspach wepener dun kunt allen luden die dissen
briet sehent oder horent lesen, daz ich mit gehencknisse minre kmherrn unde
mit gunst unde willen Diederiches mins bruder unde minre mage unde gean-
erbin han gewiedemet unde wiedemen Gretin min eliche husfrauwe mit
solichcm gude, als ich unde mine geanert)en han zu lene xon deme edeln
mime lieben junchcrn, junchern Ilcnnrichen greben zu Nassauwe, herrn zu Bil-
scheim nut namen dinizen Iniwen mit zinsen, mit zienden, mit iernie zugehore
besucht unde unbc^ucht, daz allcz halp ist minrt^ mage, minre giMnc-rben etc.
Und später heilet es noch einnial : So lian ich Daniel gebedin Diederichen
minen bruder unde mine geiuage, mine geanerbt;n.
X'ieiinal kommt also hiei- in iMner L'rk. \-om ). 1381 noch die l-'orm
geanerben \dr. 1 )agegen haben zwei, dei-selben Kollektion ang(-h()i'ende und
dem Inhalte nach mit diesei' Ui'k. in /iisamnienhang stehende, die r,anerben
\-r,n Wittenberg betrettende L'rkk. \ om ö. Sei)t. 1384 und \om 31. Dez. 1405
nur noch in wiedeiholtei- Nennung die h'orm ganerben.
Nürnberg. Dr. R. Schmidt.
17
Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom
Beginne des 18. Jahrhunderts.
(Mit 14 Tafeln.)
;n den Sammlungen des germanischen ^Museums nehmen die Abtei-
lungen, welche den deutschen Hausrat der Vergangenheit umfassen,
mit vollem Rechte einen sehr grofsen Teil der Räume ein, welche
dem Publikum allgemein zugänglich sind. Reichhaltige Serien von Möbeln sind
hier vereinigt mit umfangreichen und lehrreichen Sammlungen von kleineren
Geräten aller Art und aus allen möglichen Materialien, welche im Süden und
Norden, im Westen und Osten unseres Vaterlandes zu einer bestimmten Zeit
im Hause gebraucht wurden. Kostbare Teppiche und kunstvoll ausgeführte
goldne Pokale, reich geschnitzte Bettstellen und eingelegte Schränke , zierlich
getriebenes Eisenwerk und schön reliefiertes Zinngeschirr , bunt emaillierte
Gläser und farbig dekorierte Thonschüsseln bekunden , dafs alle Handwerke
im Dienste des Hauses standen und dafs alle miteinander wetteiferten, durch
formenschöne , zweckentsprechende und solide Geräte das Haus wohnlich zu
machen, es zu verschcinern und durch den Gesamteindruck, den sie hervor-
riefen, durch den Zauber, den dieser ausübte, die Bewohner des fiauses an
dieses zu fesseln.
Naturgemäfs gehört nur der kleinere Teil dem Mittelalter an , während
der weitaus gröfsere der späteren Zeit entstammt. Wenn es nun auch noch
keine besondere Schwierigkeiten macht , einzelne häusliche Denkmäler der
letzten Jahrhunderte zu erwerben , obgleich auch diese nachgerade anfangen
seltener zu werden, so ist es dagegen doch aufserordentlich schwierig, das
jMaterial zusammenzubringen , um das Gesamtbild eines Wohnraumes einer
bestimmten Zeit, einer bestimmten Gegend und einer bestimmten (jesc^llschafts-
klasse zu geben. Im germanischen Museum ist ja auch hiemit der Anfang
gemacht worden; aber die Versuche sind noch weit entfernt von der Lcxsung
dieser Aufgabe. Sie haben nur bestätigt, dafs es kaum m(')glich ist , solche
Gesamtbilder mit allen erforderlichen Einzelheiten und namentlich den \ielen
Kleinigkeiten, die dazu gehören, aufzustellen, da ja zeitlich und räumlich nicht
Zusammengehöriges, da Geräte des Baue-rn mit solchen der Patrizier nicht
nebeneinander verwendet werden dürfen.
Unter diesen Verhältnissen ist es freudig zu begrülscn, dafs das ger-
manische Museum eint; Hilfe bei L()sung dieser /Xutgabe durch die schtnuMi
PuppenhäuscM- erhaltiMi hat , die im Kl(Mnen das Inneri^ d(\s 1 laust's und aller
seiner Räume in grofser XWahrheitstrtnie wiederspit\g(^ln. In Deutschland sind
sie vorzugsw(Mse in Nürnberg und Augsburg gebräuchlich gewesen und so
kommt t\s, dafs das germanische Museum deren nn-hr als iigend eine anclei'c
Anstalt besitzt. Der Umstand, dafs ein solches l'uiJix'nliaus alle Räume tles
Hauses vom Keller bis zum Dachboden \(.)rführt . dafs fei'ner die l'upi)en-
häuser xerschitulenen Zeiten angeh()ren , bei manchen d\c l-'iniichtung und
Ausstattung auch später, dem damaligen Geschniacke t'ntspi'echend, geändert
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. III.
— I S —
wuihIi'II, (tIk)!!! den kultuihistoiisclKMi Wert, der den Pu])i)(>nhäu.scni als Mo-
dc'lU'ii alter Wohnhäuser innewohnt, j^'anz htuleutend.
Zu diMi l'anzi'lstücken und den Modellen kommt aber nocli ein dritter
k'aktor, dei' sehr wesentlich dazu beiträgt, dal's wir uns ein ^^etreues 15ild ein-
zelner Wohniäuuie dei' X'orzeit machen k<')nnen, Ucämlich die bildlichen Darstel-
lungen solchei', ili(,> in Miniatur- untl Tafelmalerei, in I landzcMchnun^f, in Kupfer-
stich und in Holzschnitt in nicht gerinj^^er Zahl auf uns i^U'kommen sind. So
wert \ olle Kunstwerke, so lehrreiche I^ilder sich darunter befmdcm, haben sie
doch den Nachteil, dals sie ebim nur einen I^laum eines Hauses wieder^fcben,
währi'nd wir iiber die übrigen Lokale keinen Aufschlufs erhalten und uns
deriMi l'^rschtMnunL,' verborgen bleibt.
Durch dic^ Güte des Herrn Geheimrat(;s, Direktors Dr. J. von Hefner-
Alteneck in !\binchen, des Nestors der deutschen Kulturhistoriker, ist dem
<,U'rmanischen Museum nun eine L^U'aphische Darstellung^ d(;s Innc^-n eines Wohn-
hauses zugt'kommen, die an dem erwähnten Mangel nicht leidet, die \iclmehr
gleich einem Dockenhause alle Räume \om Keller unter der Erde bis zu dem
Speicher unter dem das Haus bekrcnienden Dache enthält. Zu einer Zeit
schon, als das Interesse ffir die Kulturgeschichte; noch in tiefem Schlaf ver-
sunken war und man Diejenigen, welche solches zu erkennen gaben, für ver-
schrobene Köpfe, für Sonderlinge ansah, hat Geheimrat von Hefner-Alteneck,
den kulturschichtlich(Mi Wert dieser Darstellungen sofort erkennend , diese
Blätter erworben imd sie seinen wertvollen Sammlungen eingefügt. Nicht
ganz leicht wurde es ihm, sich von den reizenden Blättern, die ihm lieb ge-
worden, zu trennen; aber die Ansicht, dafs sie in dem deutschen kulturgeschicht-
lichen Zentralmuseum am Allerbesten aufgehoben, dafs sie hier am y)assendsten
Platze seien , machte ihm den Abschied weniger schwer. Wärmster
Dank sei ihm hiefür auch an dieser Stelle dargebracht! Auch uns haben
die Bildchen hoch erfreut; wir zweifeln nicht, dafs sie auch weiteren Kreisen
Genufs bereiten werden in einer Zeit , in welcher die Freude an der Väter
Werk allerf)rts eine sehr rege und stilvoll eingerichtete oder sogen, 'alt-
deutsche Zinnner zu besitzen, das Streben \c)n Tausenden und Abertausen-
d(Mi ist.
Die Serie besteht aus 14 einzc^lnen lilättchen , dit' mit der l'Tnler auf
Liclblichcs l'a])i(r sehr sauber, aber auch tlott gezeichnet und alle leicht an-
getuscht sind. Die Jahreszahl 1736 auf der Platte eines gufseisernen Ofens
in einem der \-orgeführten Zinnn(M- besagt wohl, wann die Zeichnungen ent-
standen. Das Kosti'im der l-'i-auen, namentlich ihre eigenartige Kopfbedeck-
ung mit den Schneppen auf der Stirne und an den Schläfen, verkündet,
dals die Iil;ittci- in /Xugsbui-g, in der Metropole des deutschcMi Kupferstiches
mi ].s. [aluhundeit, (>ntstanden sind. Die Hantierungen in vtM-schicuJenen
käuincn \cirat('n fernei' , dafs der Künstlei', und zwar ein Kupferstecher,
sein eigenes HaiLs gezi'ichnel hat, dafs er die i\äum(> vorführt, die ihm und
den Seinigen zu behaglichem /Xufenthalte gedient. Der Zeichner hat sich
leider ant k-eineni der llildchen genannt; wir werden auf die h'rage, wem sie
ihie l-'ntstehung /u wi'danken haben, am Schlüsse; dieser Mitteiluni>en
— 19 —
nochmals zurückkommen. Schon an dieser Stelle aber kann erwähnt werden,
dafs die Zeichnungen zur Vervielfältigung in Kupferstich bestimmt waren
und wohl auch in Kupfer gestochen wurden, da sie bis auf zwei Blätter
— die Waschküche und eine Flur — auf der Rückseite mit Röthel bestrichen
sind, mit dessen Hilfe man die Zeichnung auf die Kupferplatte zu übertragen
pflegte. Herr Geheimrat Dr. J. von Hefner-Alteneck, der so aufserordentlich
viel kennt und dem so viel durch die Hände gegangen, hat nur ein einziges
Mal einen Stich nach einer dieser Zeichnungen und zwar in der fürstlich
Öttingen- Wallerstein' sehen Sammlung zu Maihingen gefunden. Doch soll
der Stich eine sehr stümperhafte Arbeit sein und weit hinter der Original-
zeichnung zurückstehen. Mir ist noch keine Wiedergabe irgend eines
dieser Blätter zu Gesicht gekommen. Man sieht daraus wiederum, wie
viele der Kupferstiche und auch Holzschnitte , die in vergangenen lahr-
hunderten gefertigt wurden, im Laufe der Zeit spurlos verschwunden sind,
und welch grofse Mengen aus der Anfangszeit dieser Kunstübungen uns ver-
loren gegangen sein müssen, wenn schon Blätter aus dem 18. Jahrhundert
nicht mehr aufzutreiben sind.
Aus dem Charakter der Zeichnungen, aus der Ruhe und Behaglichkeit, die
sie atmen, geht hervor, dafs der Künstler seine Wohnung in aller Treue wie-
dergegeben und sich keinerlei »Verbesserungen« beflissen hat, die etwa die-
selbe vornehmer erscheinen lassen sollten , als sie in der That war. Er hat
keinerlei Künsteleien vorgenommen; die Zeichnungen sind, bis auf eine, wie
aus einem Gusse, die verschiedenen Interieurs harmonieren vollständig mit-
einander. Sie stellen das wohleingerichtete und gut ausgestattete Wohnhaus,
die gemütlichen Wohnräume eines nicht reichen, aber in angenehmen, ge-
ordneten Verhältnissen lebenden Bürgers dar, der — heute eine Seltenheit
in grölseren Städten — so glücklich war , mit seiner Familie ein Haus
allein bewohnen zu können. Acht deutscher Geist und vielleicht unbewufste
Freude an dem scheinen , traulichen Besitze spricht aus diesen mit grofser
Liebe ausgeführten Blättern. Des Künstlers Heim gehinte wohl zu jenen
Häusern, die Paul von Stetten d. J. im Auge hatte, als er 1765 von seiner
Vaterstadt Augsburg schrieb: >So ist unsere Stadt seit fünfzig Jahren aber-
mahls verschönert worden , und haben wir schon wenig Pallästc , so haben
wir doch bequem gebaute bürg(M-liche Häuser ')<.
Wir wollen nun die verschiedenen Räume des Hauses, ihre Einrichtung
und Ausstattung betrachten und als Erläuterung dasjenige mitteilen, was in
dem Werke >Die so kluge als künstliche von Arachne und l'enelope getreulich
unterwiesene Haufs-Halteriuv; (Nürnberg 1703-) übcM- die einzelnen Räume
eines Nürnberger Wohnhauses zu jencM- Zeit gesagt ist. Hei den \ic-len Be-
ziehungen, welche die beiden vornehmsten süddeutschen Reichsstädte zu cm-
ander hatten, und dem Umstände, dafs das Ihich und die; Zt-ichmmgen auch
zeitlich nicht weit auseinander stehen, kcHinen die Ausführungen d(\s ersteren
1) Erläntcrun^fcn tlcr in Kupfer (^'cstoclHiicn \'()r,stc>lliiii>^cn aus der Geschichte- der
Reich.sstadt Augsburg. Augsl_)urg 176.5 S. L'Oö.
2) BibHüthek de.s german. Museum.s Gs. 1228.
20
als Trxt zu ilcn Un/ttMcMi anL^i'schcn werden. Die Ni'irnber^HM- » I laufs-l lalterin
enthalt auf beinahe lOOO ( hiaitseitcn /Mies, was zu jener Zeit jnn<^e Mädchen
uikI ['"lautMi wisst-n sollten; ihi- Inhalt ist für die Kulttu-<4eschichte von beson-
derem Werte.
Der Hof (Taf. I).
Die ersti" der Darstellungen ist die einzige der Reihe, welche aus dem
1 lause luMausführt. Der liof, der sich liintcr demselben befindet imd zu ver-
sehiiMlent-n Aibeitc-n, die innerhalb des I lauses sich nicht «^ut ausführen lassen,
so zweckniäfsi^ i^ebraticht winden kann, ist von bescheidener Gröfse. Rechts
bc>L;tiMizt ihn die Rückseite des Wohnhatises, links die Akauer eines Xeben-
!4ebäudc\s, vorn eine Akauer mit einer Thüre m derselben, die wohl in eine
Xebeni;asse führt. Der 1 lof ist gepflastert mit Kieseln, wie sie aus dem
Schotter des Deckbettes ausgesucht werden. Viele der alten y\ugsburger
Strafsen zt-igen heute noch das gleiche Pflastermaterial. Am Rande des 1 lofes
läuft ein Belag von gröfseren Steinplatten. Der Brunnen am Hause, d(;r
das 'krink- imd Waschwasser liefert, ist einfachster Konstruktion, während
er in vornehmeren Häusern Nürnbergs, und sicher auch Augsburgs, eine
Zier(U^ des klofes war und in architektonischer Umrahmung plastische Dar-
stellimgen, häufig schcme Bronzegüsse z(Mgte. LetztcM'e sind leider zimi gröfsten
Teile der Sammehvut unseres Jahrhunderts zum Opfer gefallen.
Der Hof gab den Bewohnern des Hauses Gelegenheit, ihre Fretide an
der Natur zum Ausdrucke zu bringen. Er ist der Tummelplatz des Ge-
flügels, der Tauben und Hühner, der Enten und Truthühner. Die Akauer
mit der Thüre zeigt ein SpaliiM- mit Weinreben, ein schwacher Ersatz für den
Ikausgarten, der das Sehnen aller Stadtbewohner ist. Von Interesse ist, was
die Nürnberger Hauls-kkalterin ti. a. über den Ersatz der kleinen Hausgärten
schreibt (S. 738 f.), den sie> namentlich in Blumengerüsten sieht, die vor den
k'enstern angebracht und mit Kübeln und Blumentöpfen besetzt werden, die
mit allerley k]äumlein, Wurtzeln, Zwiebeln und Saam-werck anzufüllen sind,
Aiig und Geruch erg(')tzcn, tmd (kann man) also seine Vergnügung so gut
als in den schönsten Garten haben.'
Wir k(")nnen uns nicht versagen, hier noch mitztiteilen, was in dem be-
sagten W(M'ke über den Euxus gesagt wird, der zu jener ZtMt mit Blumen-
tiiplcn gctrieb(>n wurde und der so recht die 1^'reude imscM'er Vorfahren an
Ziel- und Schmuck bekundet: -Werden die h(')ltzerne Kübel oder \'i(M--eckichte
Kästen gemeiniglich zu mehrerer Zierde mit l)imden l^'arben l)eli(>biger massen
ang(_'stiiclH'n, mit zierliclien Laub-werck, oder wohl gar mit den Wappen defs
1 laufs-Pati-ons bemahlet, die; l\eife oder eiserne Ringe \ erguldet, die ertl(>ne
l!lumcn-'I r)ptfe sch(')n braun, grün, oder sonst nach GtTallen g(,'glaset und in dcis
1 'i])tiers Ofen gebiannt, ingleichen aucki an deroselbcm statt gantze (.'rdene oder
". on (jips ioi-niii'te und mit l'"arl)en bemahlte Brust-P)ilder aufgi\stt'llet, in deriMi
jeden Kopf man einen kleinen erdenen giMueinen Blumen-Tojjf mit BlunuMi
angeti'illct zu setzen l>fleget, und weil (Muige (]ew<ächse (-ini^s Pfahk\s oder
(jcländers \ on liimd-wcMck benothigt sind, als werden auch dieselbige mit eben
- 21 —
solcher Färb wie die Kübel oder Kästen bemahlet, und oben mit güldenen
Knöpffen gezieret.«
Der Herr im liefe mag wohl der Hausherr sein, der nach des Tages
Last und ?^Iühe hier etwas frische Luft sch(')})ft und sich mit seiner Frau
und einem Besuche aus der Nachbarschaft unterhält. Der Knabe und das
Mädchen erscheinen für ihr Alter merkwürdig gesetzt; sonst mögen w^ohl auch
sie sich in dem Hofe weidlich getummelt hab(;n.
Die Ausführung dieses Blattes steht hinter jener der übrigen Blätter
etwas zurück. Da auch das Papier nicht gelblich gc^färbt ist, sondern die
weifse Naturfarbe zeigt, so scheint (\s erst später der Serie angefügt und
von einem etwas weniger tüchtigen Künstler ausgeführt worden zu sein.
Vielleicht hat es seine nachträgliche Anfertigung dem Umstände zu ver-
danken, dafs dem Verleger die ungerade Zahl 13, welche die Innenräume
des Hauses ergaben, nicht pafstc und er durch Hinzufügung eines weiteren
Blattes, zu dem sicli der Vorwurf dann nur aulser dem Hause fand, eine
gerade Zahl erreichen wollte.
Der Keller (Taf. II).
>Nun gehen wir in den Keller. Selbiger je trockener er ist, schreibt
die Nürnberger Haufs-Halterin, je besser ist er, weil sonst alles darinnen ver-
stocket und gerne anlauftt: Fr soll versehen seyn beedes mit einen starcken
Wein- und Bier-Läger, und dann auch mit einen bequämen h()lzernen mit
frischen Stroh überdeckten Lager vor das Obst, mit einem Gläser-Bchälterlein,
oder kleinen Rei)()sitorio zu denen gebrannten Wassern, welche^ sich in dem
S})eifs-Gew()lb nicht allzu wol halten: man \erwahret in den Keller den Mssig,
man stellet darein so wohl das lange saure, als eingemachte Kumbus-'') und
klein-gehackte Ruben-Kraut. so man eines oder das andere im Haufs selb.st
eingemachet hat; wann man von l'"leisch-werck etwas eingesaltzen oder in
F.ssig eing(^beitz(;t im Vorrath hat, hält sichs im Keller in einen bedeckten
h()lzernen Wännlein gleichfalls am besten, und das Wild-])ret kan man
daselbst am längsten gut aufbehalten, fremde Weine in gläsernen Flaschen
oder Bouteillen, so man sie oben am Halfs wohl wM'macht, und in einen
Hauffen Sand (den man ohne dem auch in) Keller auf zu schütten gewohnet)
zu setzen pfleget, kan man lange ZtMt, ja wolil lahr und '\:v^c auf das beste
aufheben und gut erhalten; ingl(;ichen werdc-n dic^ l'onuM-anzen, Limonien,
h'cMgen. Lorbc^er und andere 15äumc\ so man Sommers-Zeit xor den Fenstern
oder auf denc>n /Mlonen zur Erg()tzung stehen hat, in dencMi Kellei'n sehr
wolü vor der Kälte bewahret und übcM-wintert ; doch nüissen zu solche^- Zeit
die Lutit- und Keller- L()cher mit Stroh odc'r Dumnumg') wohl \erstoi)iet und
■') l'hiT die Ziihercitun^f drs I\uml)iiS' , Komhus- odi r Ca] 'i)Us-Kraul vi^l. die Xürn-
IxT^'cr llaul's-I lallt rin S. '-'47 u, Srlimtllfi-- I-'roinniann üaytr, Wb. I. 'U."). wosellisl auch
f iuiii]K).st , (iuni])as, l\umi)as. Kumpost rtr. als ^kichhcdrulcnd aii;^et'ührl werden. Ks
unterscheidet sich vom Sauerkran.t dadurch, dals es, nach der I lauls-1 lalteiin. nicht wie
diesL's lein j^eschnitten . sondern das ■ I iäui itlein ■ nin' in \ier Stücke «geteilt imd diese in
einem fasse: niit haik Wc'in unil hall) Wasser ükeri^ossen wurtlcn.
■*; Dün^un^e, Dünger.
_ 22
MTwnlirt't \\i-i(l(Mi, (lafs der rauhe T.utTt nicht (^indringc, und den Gewächsen
Scliaden hiiuLje
l'nsiM' Kc'ller t-rwiMst sich als ein hohei' Kaum, der wohl auch ents])rech(Mid
trocken war. Duich eine \ tMi^'itti'rte runde ( )tTnun<^ im (jew(')lbe und ein \ier-
ecki^jes l-'ensti-r neben der rr(.'i)i)e lallt etwas TaL^eslicht herein. Weiter wird
der KellcM- durch zwei an IMeilern befestii^te Kerzt'ntrcäger erhellt, (he mit
Blenden \ ersehen sind, und c'\nc Lampe, die .auf einem xom Gew()ll)e herab-
häUL^enden \ icM-ecki_Lj(Mi l)rette bei tler 'l"re])i)e steht und diese erleucliten soll.
In den h'ässern sind die Vorräte an \\\>in , Bier und Mssi».,', welche früher
jede bessere l-'amilii' sich in (Umi Keller le<^ftt-. Drei Küfer sind mit diesen
^düssii,rl<^.ite^ beschäftiget. ]üner derselben liat sich beim Abziehen des Weines
etwas übernomnun; er hat einen stillen Winkel aufi^esucht , wird aber ohne
sein Wissen \on dem Hausherrn, der auf der Treppe steht, beobachtet.
Auf der Bank in der Mitte des Kellers lie<.(t neben dem LeuchtcM- ein Heber
und Werg für den Küfer; cmu Hammer tmd ein Trichter stehen auf dem
kleinen Bänkclien neben einem Kru<4e, in welchen der Küfer den Rest eines
Getränk(\s gitM'st. Links an der Wand sind zwischen den Pfeilern Lai^^er mit
Obst und zwei Käslaiben, von denen der eine ani^eschnitten ist. Auf dem
Lager an der rechten Seite befinden sich Schüsseln und Krüge, die einge-
beiztes h'leisch , eingekochtes Obst, bezw. Schnäi)se und ausländische Weine
enthalten m(")gen. Zu beiden Seiten sieht man auch Lager, die an Seilen von
dem Gewölbe herunterhängen , um die Speisevorräte vor dem Besuche von
Ratten und Mäusen zu schützen. Die linke Hänge scheint ebenfalls Käslaibe
zu bewahren, die rechte vielleicht Meisch, Eingemachtes u, s. w. I)\c stehen-
den Fässer unter der Trepjie enthalten (iie verschiedenen Sorten Kraut, wt'lche
zu den Wintervorräten gehr)rten. Heute wiu'de der Keller sicher auch noch
ein Quantum Kartoffeln bergen; damals waren aber die Tartuffeln noch
nicht sehr verbreitet, die man, wie .Alwin Schultz"') berichtet, mit BaumcU
einmachte und allerdings doch auch schon auf \erschiedene WiHse l)ereitete.
Geilt man die Tre[)pe d(\s Kellers hinauf, so gelangt man auf
die Flur iTaL 111).
in Süddeutschland xit-lfach auch Tt^nne gc-nannt Ihren einzigen Schmuck,
ihr ganze-^ ln\entar bildet ein Lüsterweibclien in k'orm einer Meerjungter, das
\<»n der Decke herabhängt. Dic^ Mur ist ein Durchgangsraum um in die
iibngen Käumlichk-eiten des 1 lau-.t's zu gelangen. ICin Cjang rechts führt in
den Ihit; eint' l-"i-au mit einem .Mädchen an der Hand kommt \-on demselben
herein. Letzleres h;ilt in dei' Hand einc^ Blume; im HintcM-grund sieht man
einen Baum, den <lie .\nsicht des Hofi's allerdings nicht aufzuweisen hat. dei-
abei- \ielleicht ruif der Seile stand, \(>n wehdier der Hof canfgenonunen wui'di-.
Der st.attliche Herr uut l'errücke untl Degen ist wulil der Be.^it/er dies Hauses,
dei' sich lebhatt mit seinei" Li'au unteihäll. Die 'Ireiijn' herab kommt c\n
.') .\!ll;i;4-'i 1 ic n ciiK r (hnl-^clKii l'raii /u AnlaiiL: des IS, lahrhunilcrts, Lt-ip/ij^,
h. Ilnv<'i Is'^ii. S, 1"M. l'nstrr AI il .ililuiv^c n sind 'nftiiclu: lllustralioiieii zu dieseni W'erl^e,
das V'.ir aücn |( iii.:ii. iii( si( li tiir die Zciv m die unsere 1 '»arstclluni^en lallen, interessieren.
li(.-'i< ns eiupleir:' u KiMUlell
— 23 -
Mann, der über seine Arme ^^ele^^t eine Partie Kupferstiche trcägt. Sie werden
in die unten stehende geöffnete Kiste, auf dcM-en Rand ebenfalls schon Stiche
Heften , verpackt und dann versendet werden. Es ist unglaublich , welche
Unmassen von Kupferstichen im vergangenen Jahrhunderte in Augsburg ge-
fertigt und in alle Länder exportiert wurden. Der Kunstwert derselben ist
meist ein nicht sehr grofser, doch befriedigten sie das künstlerische Bedürf-
ni,'? der grofsen Masse des Volkes vollauf. Ihr Preis wird ja wohl auch nicht
sehr hoch gewesen sein. Fiir die Gegenwart hat ein grofser Teil dieser Blätter
lediglich kulturgeschichtliches Interesse.
Die verschnih-ten Ballen neben der Kiste enthalten wohl Papier zum Drucke
bestimmt. Bei dem an der Wand stehenden Ballen hat der Zeichner oben
eine falsche Kontur gezogen, die er für den Stecher korrigiert hat. Die Kisten
und Ballen erinnern daran, dafs in der Flur allerlei Geschäfte besorgt wurden,
die man nicht gerne im Zimmer vornahm. Hier wurde Wäsche zusammen-
gelegt, Gemüse geputzt, die Kinder si)iclten, und im Sommer setzten sich
wohl die Frauen des Hauses mit ihrer Handarbeit in dic;scn kühlen Raum.
»P'ür uns Kinder, eine jiingcre Schwester und mich, erzählt Goethe''), war die
untere weitläufige Hausflur der liebste Raum , welche neben der Thüre ein
grofscs hölzernes Gitterwerk hatte, wodurch man unmittelbar mit der Strafse
und der freien Luft in Verbindung kam. l'2inen solchen Vogelbauer, mit dem
viele Häuser versehen waren, nannte man ein Geräms. Die P^-auen safsen
darin um zu nähen und zu stricken ; die Köchin las ihren Salat ; die Nach-
barinnen besprachen sich von daher miteinander.« Ein Geräms* hatten die
Augsl)urger Häuser zwar nicht , sonst aber wurde deren Plur zu gleichem
Zwecke benützt wie diejenige der P^-ankfurter.
Rechts vor dem an die Wand gelehnten l^rette ist Ih-ennholz aufge-
schichtet. Folgt man der Magd links, die einen Zuber oder Kübel, süddeutsch
Schaff, mit Wasser auf dem Kopfe trägt, so gelangt man in
die Waschküche (TaP IV).
I^ieselbe ist mit \iereckigen steinernen E^latten belegt; di(^ Decke ist getäfelt.
Aufser jener Thüre, zu welcher die Magd mit dem K.übel hereinkommt, welchen sie
inzwischen vom Kopf herunter genommen, hat die Waschküche, in Süddeutsch-
land auch Waschhaus genannt, noch zwei Thiu-cn; die eine führt in den Hof,
in den auch das grofse P'enster geht, zu dem ein MädcluMi hereinblickt, um
zu sehen, was in der Waschküche vorgeht. Wohin dic^ an(UM'e TIiüit führt,
kann nicht gesagt werden; in derselben ist ein (juckfcMisterclum mit runden,
in Blei gefafsten Scheiben, unter demsell)en r\u llrc^tt zum hinaufk'lappen, aut
welches die Hausfrau das Frühstück un.d andere MahlzeittMi für die Wäscht;-
rinnen gestellt haben mag. Denn nach Schultz') bc\s()rgt(MT das Waschen
6) Aus meinem Leben. Dichtunt^ und W'ahrlicit. 1. IJand. Oocthcs Werke.
(Weimar) 26. 15(1,, S. 12.
7) a. a. O. S. 1.51, \\oscll)st aucli die l^inricluun^ eines \,\'asclili;uises und (kr Ljan/e
Prozcf.s, der .sicli i)cim Reinigen der W;isclu; vom l^inw luchcn bis zum Auflu'hen in dem
Wäschckasten abspielte, ^eschiklerl ist.
_ 24 -
tn-somUMc WäsclicriniKMi , die, \vi(> i\s luMitc noch lihlicli ist, im Tnj^^clohn
arli(.'!ti't('n und \on (Kmi 1 )it'nstniä^(lc'n untcM-.stützt worden sein ni<')f(en. Von
cMncui eii,UMitüniliclicn ( iehtaiiclie dc-r Wäsclic-rinnen berichtet Schultz. Sie
hattcMi nänihch eint'U < Klin^t'-lunitel , offenbar c^deich jenen, che in dtMi Kirchen
i^t'biaueht werden, welchen si(> den VorbcM^ehenden xorhiclten, diese dabei
um ein l"rink^(dd zu liianntw ein ansjjrcxhend. Ihre nasse l)eschäfti<.(un^f mochte
sie für solchen besondcM's aufnahnud'ähi^ macJKMi. In unserem Aui^'sbur^^cr I lause
konnte ilieser l^nfu<.,f nicht ausgeübt werden, da (li(^ Waschküche verniniftii^fer
Weise auf den llof und nicht auf die Stralse L,ncn<^. Die I*'rau mit dem Kopf-
bunde, die den Dtxkel des einen Kessels in die IIr)lK> hebt um sich nach
der kochenilen Wäsche umzusehen, mag eine berufsmäfsige Wäscherin sein.
Die beiden W\aschkessel sind die Hauptausstattungsstücke d(;s Wasch-
hauses. L'ber ihnen behndet sich ein mächtiger Schlotmantel , auf dem die
verschiedensten Gegenstände; ein Fafs , cHnt^ Decke, eine Säge, ein Hobel,
ein Topf mit Teller und einem Kochlöffel, eine Pfanne, eine Schüssel, ein
Bilderrahmen und eine Ofengabel friedlich vereint ruhen. Die Waschküche
bildete also auch eine Art Rumpelkammer oder doch wenigstens den Auf-
bewahrungsort für verschiedene Gegenstände , welche eigentlich mit dem
W'aschen nichts zu thun hatten; z. B. auch für die rechts an der Wand leh-
nende Leiter, für das Sieb über der Thürc, imd auch für den Sack, der an
der Wand hängt, dessen Inhalt wir aber nicht kennen. Die Laterne, die
in der Mitte der Decke hängt und der Leuchter auf dem F'ensterbrctt. waren
sehr notwendige Gebrauchsgegenstände des Waschhauses, da man sicher da-
mals, wie noch vor 30 und 40 Jahren, gleich nach ?^Iitternacht zu waschen
anfieng.
In der Ecke neben der Thüre, die in den Garten führt, stehen einige
Stangen, die wohl zum Spreizen der Leine gedient haben, auf welcher die
Wäsche getrocknet wurde. Über der Thüre mit dem Guckfensterchen ist
ein W^andbord, vor derselben an der Decke ein IJängebrett, das leer ist, auf
welchem aber irgend welche Gegenstände, die man vor vierfüisigen Haus-
bewohnern schützen wollte, ihren Platz fanden. Und nun ist noch der ver-
schiedenen Kufen, Bottiche, Kübel, Schauer. Zuber, Gelten und Wannen,
die je nach der GrcMse, Ffirm und Gegt;nd diese abweichenden Namen führen,
zu gedenken. \"on welchen eine Kufe der Küfer in i\rbeit hat, der in unserem
(Jeutschen Vaterlande beinahe eben so viele \erschiedene Xamen hat, wie die
Geräte, welche er herstellt. D(M"in aufser dem Namen KiifiM' führt dieser
Handwerker auch noch den Namen lj()ttch(M-. Büttner, Kubier. Schäffler und
Fafsljinder. letzteren mit den L'ntcM-arten WeifsbindcM- . dic^ nur Gefälse aus
weichc'm Holze fertigen, Rotl)inder. die solche aus Rotbuchen, und Schwarz-
binder, die sf)!che aus kjchenholz herstellen.
Den grolsen kJotticii. dessen Reife ilcv KüUm- antreibt. bcMiützte man
zum I'jnweichen der Wäsche;, das Schr)pfkiil)elchen. das auf dem Tritte steht,
auf welchen sich die WTischerinnen stclKn, um nicht nasse k'ülse zu be-
kommen, zum Aus.sch()pten dei' Bottiche. iJaneben steht eine (ieltc'. dalunter
i-nic nicilrige Kult'; das da\oi' licL'ende Kiibelehen nul dem laUL'en Stiele
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- 25 —
diente zum Ausschöpfen von Gruben etc. Die an der Wand lehnende grofse
Wanne hat eine Vorrichtung zum Ablassen des Wassers, nämlich einen langen
Zapfen, der in der Röhre einer stärkeren Fafsdaube läuft und ein Abflufsloch
im Boden verschliefst, durch welches das Wasser abfliefst, sobald der Zapfen
in die Höhe gezogen wird. In der Wanne wird vorzugsweise das Fielen,
d. i. das Ausspülen der Wäsche, vorgenommen. Vielleicht hat diese Wanne
auch zum Baden, das Waschhaus auch als Badezimmer gedient. Unsere
Nürnberger »Haufs-Halterin« sagt nichts von einem Waschhaus, sondern be-
richtet in dem nachstehenden Texte über das Bad im Hause, dafs man zum
Waschen irgendwo im Hofe einen Kessel eingemauert hätte, also wohl im
Hofe wusch. Hiegegen fehlt dem Augsburger Hause das Bad. Es folgt
daher, da es möglich ist, dafs die Waschküche auch als Baderaum benützt
wurde, zur Ergänzung Dasjenige, was die > Haufs-Halterin < über das I^ad berichtet.
»Wo man ein Bad in den Häusern hat, findet man in den Ofen derselben einen
grossen küpfernen Kessel eingemauret, um das benöthigte Wasser darinnen
auf zu wärmen, welchen Kessel, wo man zum waschen nicht mit einen bc-
sondern dazu irgendwo in den Hof eingemauerten versehen, man hiezu eben-
falls gar wohl gebrauchen kan ; übrigens mufs das I^ad mit Bäncken inn-
geben und rings um mit Ploltz getäfelt seyn, damit die Kälte nicht durch
das Mauer-werck häufig eindringe, und man an einen Ort verbrenne, und an
den andern fast erfröhre.
Nechst deme gehören auch in das Bad ein messing- oder küpfernes
Laugen-Kesselein, den Kopf zu zwagen, ein und andere Bad-Wannen, hölzerne
Schäfflein und Gelten, so wohl zu kalten Wasser, das allzu heisse damit zu
temperiren und abzukühlen, als auch zu warmen Wasser, die l'üsse darein
zu setzen, wiewohl man gemeiniglich hiezu besondere aus Kupfer gemachte
tiefe Fufs-Becken hat, w-elche man hiezu gebrauchen, und jedes mal aus der
Küche hinab in das Bad zu tragen pfleget.«
Über das Waschen selbst verbreitet sich S. 483 ff. die Haufs-Halterin <
ausführlich; es liegt jedoch kein Grund vor, an dieser Stelle näher darauf
einzuijehen.
Über die Lage der bis jetzt besprochenen Räume kann wohl kein
Zweifel bestehen; anders ist es mit dem gröfseren Teil dt^- übrigen Räume.
Dafs der Bodenraum (Speicher) unter dem Dacln^ sich befindet, iind die zweite
Flur nicht ebenfalls im Erdgeschosse, sondern nui- in eintMU oIxmxmi (ieschosse
sein kann, nachdem die Flur des Erdgeschosses festgestellt weixlen konntiN wissen
wir ja. Wir dürfen auch wohl annehmen, dafs die Mägdc^kauuner und Wäsche-
kammer in dem oberen Stock-werke untergebracht sind, aber wie wir di(^ übrigiMi
I\.äume : das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, zwei zu Arlx'itslokaltMi \(M-wendete
gröfsere Zimmer, che Küchc^ und dic^ S})eisekamm(M-, \tM-leil(Mi soIKmi, welcluMii
Geschosse diese zuzuweisen sind, ist um so schwitM"igcM' zu cmtsclKMchMi , als
wir gar nicht wissen, wiexieU^ StockwerlvC das Haus unsei'es Künstlers übcM'-
hau])t hatte, l^ine alte NunmiericM'ung der l)lättei- auf dei' RückstMte gibt hicr-
Mitteilungen aus dem german, Nationalmuseum. 1897. IV.
26
\\\^c\■ ebenfalls kiMnc /Xuskunft. In^U'iclirn i^clx-n die I\äunu' sc'll).st, die Thürcn
und 1'\misIcm- dcisidbcMi nur L;(.Mini4t' /Vnhaltspunktc über die- La^^c der einzelnen
Räunu'. (\:\ s\c ja nicht aHe xon cintM' und derselben Seite (^^esehen , sondern
otkMibai' \on \ i-ischieck'nen Seiten aufgenommen sind. l^in vollständiges
dritti.'s (jeschols ist abt'r nicht wohl anzunehmen. Wir sind abc;r doch nicht
sicher, dats \\w ilas Kiclitii^i' s^etrotfen liab(>n, wenn wir das Wohnzimmer
imd das Schlat/immer in das kj-d^eschols, die beid(Mi £,n(')rseren Arbeitszimmer,
Kiiclu' und Speisekammer in das oben' Geschc )rs, die; .Ma<^fdkammer imd die
W'iischekammer in t-inem Aufbau auf die Mitte d(.\sselben verlegen.
l^Fürtsctzun<4 tol^t.j
Niirnbers». Hans Br>sch.
Wissenschaftliche Instrumente im
germanischen Museum.
II.
Das Quadratum geometricum.
j^ oll ein Grundstück aufu'cMiommen werden, so kann die Aufnahme
öfi^
kCi mit Stcäben imd der AIcMskettt^ ^wschehen, ebenso k()nnen Höhen
^iJ^:^^(|j in vielen Fcällen direkt gemessen werden, die Autnahme wird aber
sehr \ereinfacht, wenn die Messung' von Linien und Winkeln kombiniert wird.
Mit den bisher besprochenen Instrumenten werden die Winkel i^^raphisch
aufi^enommen und mit dem Mefsstich wird sot^ar sofort auf dem Felde ein
verkleincTtes Bild der aufzunehmenden Tdäche «gewonnen. Xel)en den Instru-
menten zur ^graphischen Aufnahme stehen solche zur Messinig der Winkel.
W'inkt'l werdtMi durch Kreisbr);4(.'n i^emessen, deren Mittelpunkt im Scheitel
der Winkel liegt. Hie Mafseinh(Mt ist der Grad, d(>r dreihundertundsechzigstc
eines Kreises, dieser wird in 60 Minuten und die Bogenminute wieder in 60
SekuncU'U geteilt. X(d)en dei- Teilung des Kreises in 360 " war in früheren
Zeiten ein(' solche in 24 Teile in (Gebrauch, welche man Stimden nannte und
noch In-ute wenden die MarkschcMdei" in den Bergwerken Instrumente mit
diesei- Teilung an. hjue Stunde entsi)i-icht einem Winkel \"on 15". Sie wird
wieder in X'iertel , Achtel und Sechzehntt'l geteilt, od(M- auch in 15 Teile,
was d<'r Teilung des Kreises in Cii'ade entspricht.
Hie Bestinmiung dei' Gr<")lst' cMUt-s Winkels kann al)er auch noch in der
Weise geschehen, dafs man ihn als Bestimmungsstück (MUes Hin-iecks, inson-
derheit eint-s r(;chtwinkeligen HrcMccks auffafst. Hie \'erhältnisst\ in welchen
die S(Mten des rechtwinkeligen Hi-eiecks untereinander stelun , hängen xon
dei' (ji-()lse der < lei' f lypotenusc anliegenden Winkel ab, und umLjekelii-t eigibt
sich die Cji-iilse dicsei' Winkel aus den l\rlationt;n dei' Seiteii. Man bezi'ichnet
dii'se kclationei"! als die ti'igonouietrischen k'unktionen. Sie müssen als bekamit
vorausgesetzt uerdtm, denn ihrt' lOntwickt'lung würcK- an dieser Stelk- zu W(;it
tiihren.
-- 27 —
Sämtlichen trigonometrischen Fimktionen ist es eigen, dafs einer gleichen
Zunahme eines Winkels nicht eine gleiche Zu- oder Abnahme der zugehörigen
Funktionen entspricht ; diese ändern sich vielmehr progressiv. Die Über-
tragung dieser Progressionen auf eine Scala ergibt deshalb ungleiche Teile und
ist selten ausgeführt worden, man hat vielmehr wie noch heute die Winkel
nach Graden gemessen und die Gröfse der Funktionen , seit Erfindung der
Logarithmen die letzteren aus den trigonometrischen Tafeln abgelesen.
Um aber eine gleichmäfsig fortschreitende Scala zu gewinnen, aus der
man durch eine einfache Proportionsrechnung Entfernungen und Reihen er-
mitteln kann, genügt es, ein rechtwinkeliges Dreieck mit beweglicher Hypo-
tenuse zu konstruieren und die beiden Katheden nach gleichem Alafsstabe zu
teilen. Auf einem solchen Instrumente kann man dadurch , dafs man die
Hypotenuse um den Endpunkt der einen Kathede dreht, ein dem zu messen-
den ähnliches Dreieck herstellen und erhält durch Messung einer Kathede des
aufzunehmenden Dreiecks die zum Ansätze einer Propositionsrechnung nötigen
Gröfsen. Eine W^inkelmessung nach Graden findet dabei nicht statt.
Diesen Gedanken hat schon Ptolemaeus der Konstruktion seines Trique-
trum 'zu Grunde gelegt. Das Triquetrum war aus drei Stäben zusammen-
gesetzt, einem senkrechten um dessen oberes Ende sich als zweiter der Vi-
sierstab drehte und einem dritten horizontalen mit Teilung versehenen , auf
welchem der Visierstab je nach seiner Elevation verschiedene Längen abschnitt.
Ein Zusammenhang zwischen diesem Instrumente und dem auf dem gleichen
Grundgedanken beruhenden geometrischen Quadrat ist zwar nicht nachweis-
bar, kann aber nicht unbedingt abgewiesen werden.
Die Zeit der Erfindung des geometrischen Quadrates konnte ich nicht
ermitteln. Es wird von einigen als Erfindung Georgs von Peurbach 1423 — 1461
betrachtet, ist aber älter. Die Scalen der umbra recta und der umbra versa
finden sich schon auf Astrolabien des 13. und 14. Jahrhunderts und kommen
noch auf Winkelinstrumenten des 18. Jahrhunderts vor. Ihre Hezeichnung als
umbra. Schatten, weist auf den gnomonischen Ursprung des Instrumentc^s hin.
Das geometrische Quadrat (quadratum geometricum) wurde namentlich
zur Messung von Höhen benutzt, fand aber auch zur Messung von horizontalen
Entfernungen sowie zu astronomischen Beobachtungen AnwcMidung.
Hs ist eine; quadratische Scheibe, auf welcher zwei zusammenstofsende
S(,nten in 12 oder in 100 gleiche Teile geteilt sind. Die l^^lungslinien gn^hen
vf)n d(M' gegenüberliegenden Ecke aus, trc-fien also unt(M' wrschiedenem
Winkel auf (Uc geteilten Strecken. Die beiden and(M-tMi SiMtc-n, welche stets
mit ihrer ganzen Länge- in Rcxhnung gt\'^tel]t wcMxitMi , krmntMi ungeteilt
bleiben. Die nebenstc^lumcU' k'igur 7. dcM- ocularis radicalis demonstratio
usus quadrantis von Le\inus Ilulsius aus GcMit, Nürnberg 1596, entnonmien,
\-eranschaulicht die Teilung dc\s Instrumentes. Sie ist hier eine d()ppelt(\ in
12 und in 100 Teile, die Tinlungslinien der unil)ra recta und dtM" umt)ra
vcM-sa gehen von der Ecke- a aus, die- Teihmg läuft xon 1) und el nach c.
Auf diesem Instrume-nte; sinel auch die- Se-ite;n a b unel a el in de)))pe]ter
Weise in 12 und in 100 Teile (>"e't(>ilt. Zut/Ie;ich (jeben die- Aufschritte-n an
2S
den Seiten ;in, was liei \ertikalei" Aufstt'llimL; des Instrumentes an jeder ScMle
al)L;eK\st'n wiid. Pas InstninuMit entli.ält aufser der Teilung des Ouadrates
ncicli einen in 9< > ( Irade L,U'teilten (juadranten. Zum Visieien mufs eini' um
den Punkt a ihclihare kc^Ljc'l ( I )i()i)teilineal), ans^ebracht werden, l-^ine solche
1\c\l;(.'1 ist jeddch nicht in alliMi h'älK'n vorhanden, ja sie (hu'ftc; , abj^esehen
\(in den Astrolaiiien nicht zur ursprimi^dicht'U I'jniichtuni( des histrunientes
Ljehoit haben, l'.s sind \iehnehr bei den meisten ältei'en bistrumenten an t'iner
i.\cr un;:^eteilten Seiten kleine Diopter auLjebracht ; so an einem kleinen Oua-
diat eintachster Ait vom jähre 1523, W. b 26. 10i</entum der Stadt Xürnbei"';,
Fi|.'. 7. i,»ua(lratiim treometrii-uni nach Lovinus Hulins.
an dem scheinen Instrument von Christo])h Schiefsler von 1596, W. |. \'M ,
l-'iL,'.9. so\\i(' auf dem i^U'ometi-ischen (Juadrat des braetorius \ on 1.571. W. |. 12.,
k.ii^entum der Stadt Nih■nbeI■L,^ Soll mit diescMi Insti'umenten (^femc^ssen wer-
den, so inuls das L;an/.c (juadrat so lanL;'e (^unlreht wei'den, bis die .Seite mit
den l)io])tern in dei- Richtung der X'isiti'linie >teht und die W-iL^un^ uird
durch ein Pendel, das in dei' der beilurii^ ^ei^'eniibeiliei^^enden !{cke auL^e-
hauft ist. anm'L;cben. \\'ähicn<l dii> Sc'iten des eistbes])i-( .dienen mit einer
KcL^el \ (i'^-ehenen bMiadrates bei den AlessunL;en horizontal und \'ertikal stehen,
i^t die noiinale .Stelliin;^ des (juadrates mit fest steinenden l)ioi)tern iiber b'.ck
und wird dasselbe t)ei den Messuns^en in positiver oder nei_;ati\(M' RichtiniL;
aus rlit'ser .Stelluno j^fedreht.
29
Bei den .Astrolabien ist reL^clniäfsii^' ein i^'eoinctrischcvs Quadrat auf der
Rückseite angebracht. Ks findet sich sclion auf einem alten arabischen
Instrumcmt unserer Saniniluni^ W". j. 35:1 Vii^uv 8 stellt ein Astrolabium aus
dem 15. JalirhundcMt W. I. 21, lüi^entum der vStadt Xürnbero-, dar. Die
Stellun^j des yVstrolabiums ist durch die Aufhäni^un^' an eincMii Rint^^ gegeben,
es kann deshalb das Pendel nicht zur Pn^stimmung eines Winkels benutzt
werden und es wird statt desselben ein P)io))terlineal angebracht, dessen Kante
durch den ^Mittelpunkt geht. Das (Juadrat ist auf den /\strolaf)ien gewöhnlich
zweimal in tnitgegengc;setzter Richtung aufgc^zeichnet.
S 9 10 (.10
Fiir. S. (Geometrisches (Juadrut auf i](.t Ixiu'kseite eines
Astrolabiuiiis aus dem 1^. .lahrliumii'i-t.
l'jne einfache Iberlegung Z(^igt, dafs die Teilung dei- umbra recta und
umb'/a versa aui den Kreis oder auf Polygone i'ibei tragen wei'den kann.
Schlägt man xom .Ausgangspunkte dei" Teilungslinien (MUen X'iertelski'eis,
\\(>lch(M- diese Pinien durchschneidet, so wii-(l diestM' in eine der I eilung cu\~
spr(X-hend(^ -Anzahl Non TiMlen geteilt, wt-lclu^ \-on beiden landen gegen die
)iagonale kpMner wtM'dcm. 1 )i(\s(> ,\rt dei' Teilung fincU'l sieh aul den
JUcadrantcMi, welche Ajiian löMo in seinem In^liiinuMitenbucli angibt und si(^
:ommt aut dem /Xnnuliis si)liaeri(Mis, sowie an! \ ielen W'inkcT'nstiaimentt'n \'oi".
'ig. 9 stellt ein Instrument \ on rhii>ti)pli Schielslei' in .\ugsburg vn 1596,
mit der l'beilragung (U-r ScalcMi dei- Pmbra rt-cta und Pmbra \ ei'sa auf den
Kreis. \V. 1. 137.
'AO
Wirft ein sriikrcchtcr (icLjcnstand seinen Schatten auf c'inr horizontale
Mäehe, so kann seine 1 iTihe (hnch ^h'sslln^ <ler I -äni^e des Schattens und
chireh che Hestinunun>^f des NcM^^un^sw inkels der SonnenstrahU^n ermittelt
werden, denn der ficj^enstand, die ( irnndtläclie und die Grenzlinie des
Schattens unisehliel'sen ein rechtwinkeliges DicMeck, \T)n welchem alsdann
eine Seitt' und die lieicU'U anlies^endt^n Winkel bekannt sind.
Zur X'ornahnu' dieser .Messunij winde das (^Geometrische Quadrat mit
feststehendtu Dioptern an dei- einc-n Seite ht-iuitzt und zwar anfänglich nicht
in der Weise, dals man durch die L()cher des l)io])t(MS nach dem Gipfel des
Gegenstandes \isicMte, sondern indem man es so Ian_L(e drehte, bis <Mn Sonnen-
strahl durch beide L()ch(M' hindurchfiel. War dies der Fall, so wurde durch
die beicien Kanten des Quadrates und durch das Bleilot ein rechtwinkeliges
Fit'. ;t. Instnnnent vmh Christoph Schi^fslrr in Aii^'sburtr. mit der (licii rairiiiiir ihr Sralni di^r liiihra ryi-ta
und Inihra v^ isu auf' drm Ki'i.is. W. .1. . .
I)rei(>ck begrenzt, das dem zu messenden ähnlich war. \\\ar der Gegc^istand
lu'iher, als die Länge des Schattens, so tu^l das Lot in die umbra recta und
die ganze Länge der ( juadratscMte entsjirach ilcv I l(>he dt's ( u'genstandes,
der Abschnitt aut der umbra recta der Limge des Schattens.
Ist z. li. l'"ig. 10 das Lot auf den 27) Teilstrich der in lOO Teile ge-
teilten Scala L;cfalien und Iiat ilcv Schatten 42 l-'iif-^ Länge, so liat man
folgende Proportion: 2,^i : 42 =r ]()(* : \, und .\, die \ \i\hc des Turmes ist
lOX ImiTs.
Steht (lagegtMi die Soune tiefer als i,^". so dals der Schatten längcM'
wird, als die 1 lr,he des ( iegenstandes , so fällt das Lot in die umbra \ ersa
imd in diesem l-'alle entspi-iclit die t-anze ( )uadratseitt: dei- Sch.attenlänL'i', der
31
Abschnitt auf der umbra versa der II(')l-ie. Fällt dcM- Faden auf 75 u. v. und
ist die Schattenlänge gleich 240 Fufs, so haben wir folgende Proportion :
100 : 240 = 75 : X und x ist 180 Fufs.
Diese Alessungsmethode erklärt die Ausdrücke umbra recta und umbra
versa. Bei beiden wird mit dem Schatten operiert, b'ällt das Lot in die
umbra recta, so entspricht der Abschnitt thatsächlich der Länge des
Schattens (umbra rectaj, fällt es in umbra versa, so entspricht er nicht der
Schattenlänge, sondern der M(')he, d.aher umbra \ersa.
Das Verfahren war nur bei Sonnen- oder Mondschein anwendbar. Es
mufste daher schon frülizeitig aucli das Visieren nach dem Gegenstande An-
w'endung finden. liiezu aber mufste es bequemer erscheinen, beim Visieren
nicht immer das ganze Instrument drehen zu müssen, und man brachte eine
drehbare Regel in dem Eckpunkte an, welcher den Scalen der umbra gegen-
b'ig'. In. lUilieiiiiiessung iiiirtels des Si'liattciis unter AiiwiMidiiiig di
si'eouK'trisclieii (.Quadrates oder des (,)iiadraiiteii.
Überliegt. Die Quadratseiten wurden alsdann, wie oben bemerkt, horizontal
und vertikal gestellt. Der Neigungswinkel der Ixegel war jetzt nicht mehr
von der Sonnenhöhe, sondern \on dem i\bstand(^ des Instrumentes und der
Höhe des Gc?genstandes abhängig. Um die I I(')ln^ richtig zu linden, muls die
Standlinie bis zu dem Punkte verlängert werden, in welchem sie von der
rückwärts \'c;rlängerten Visierlinie geschnitten wird, oder c\s nuifs, wenn sie
nur bis zum Standpunkte des Instrumentes gemessen wird, die Höhe des
letzteren der berechneten Hf')he zugezählt werden.
Zur Messung von k^ntfernungcMi gil)t Le\inus Ibilsius zunächst ein Ver-
fahren an, das auf die; Umkehr dei- H(")hcnnu'ssung hinausläuft und das aus
Fig. 11 B A T und B O \ ersicinlich ist. Ilii^lu'i wird statt der Grund-
linie; die H<")he B A beziehungsweis;^ 15 O mit di'iu Lot gemesstMi.
Ein zweites VerfahrcMT aus zwei Ständi'U ist aus diM-selbcMi h'igur er-
sichtlich, wo im 1 iintcM-gruncU' dic^ lireite (Mnc\s Fluss(\s gemesst'n wird. Zu
32
dieser Opt'ration uiid das Instrument hoiizontal auf dem Stah hefestJL^t und
so t^"(\stellt. dals dii' eine Kante vom ersten Standpunkte nach dem anzu-
messenden I'unkt i^eiicditet ist; ternei' wird mit der l\eL;el eine auf di(\ser
X'isierlinie senkreehtt' Standlinie al)\isiert und al)L;esteckt, .auf dieser ein
zwaater Standpunkt ("in^emessen und hier (kas histiument aufL;c'stcllt. Die
weiteren ( )peiationiMi sind i.\\c ^ieicht-n wie bei cUm' I l(")henm(;ssun_L;'.
\)cv (jiad ilcv ( uMiaui^keit (Um' .Messun,L;en mit diesem histrunuaite ist
kein schv hoher, (k)ch kann ein k'ünfliunch'itstel (k'r (jesamtscaka schon hei
nüifsiLj L;iofsen histrumenten mit ziemhchei- Siclierlieil L^eschätzt werden.
Obii^U's wird s^cMii'is^en, um einiai k)e_<4"riff zu i^c^hcai \on der liünriclitunL,^
d(>s i^eomctrischi'n Ouach-ates und von scaner \\;rw ('uduns^f in dca' h'ekhncMs-
s^s^-^-v*
Viu:- 11. Messuiiir von Jlöln-n iind Knt,lcriiinigt;ii mit di/in iritoiiK^trisclicii (Juiulrnt. Nach I,i"viiiiis lliilsiiis.
kunst. /\ut st:in(a- l^däche sind j4(w\(")linhcli noch vciscliieckaie Linicai zur üc-
stimmun^f der H<)he eka- (iestiine, dca- Sternstuuihai u. s. w. \ (M'zcMchnc^t,
worauf ich spätca- zurückkommen w(a-(k\
Distanzmesser (Tachometer).
ALan ncaint h(aite I )ist.anzmessei- solche histrunuaite , mit w ekdu-n (he
-ntfernun^ zweier Punkte \f)n cancan (h'esia- kunkte aus iiaan(\ss(ai \vei(kai
ann. .Akan benutzt zur \h\s,sun^ L[ew <")hnhc:h eine s(Mikreehte Standlinie und
a dieselbe ^CL^iaiiiber der zu messiai(kai kaiiL'e seht klein ist, halxai diese
— 33 —
Instrumente befriedigende Eri^ebnisse erst geliefert , seit die Messung kleiner
Winkel mittels Spiegeln oder Prismen sehr vervollkommt ist.
Im Grunde aber ist die Messung einer Entfernung mit dem geometrischen
Quadrat von zwei Standpunkten aus auch als Distanzmessung zu betrachten.
Da man es hiebei in der Hand hatte , den f)arallektischen Winkel nach Be-
lieben zu vergröfsern, konnten auch diese unvollkommenen Instrumente ziem-
lich befriedigende Resultate geben.
Nachdem man gelernt hatte , mit der Ähnlichkeit rechtwinkeliger Drei-
ecke zu operieren, lag der Gedanke um so Ucähcr Instrumente zu konstruieren,
welche gestatteten, der Messung ein beliebiges Dreieck zu Grunde zu legen.
FiK. 12. Ähnlich,; Dreiecke. CA. \\ «^ 0 DK. Nach l,c(.iih:ir(l Ziibl.-r.
als es in manchen Fällen unm(')glich sein konnte, eine Standlinic zu findt^n,
welche auf der einen Visierlinie senkrecht stand, ist es nämlich möglich mit
einem Instrumente (Fig. 12) das Dreieck CDE dem zu messenden Dreitxk
C A B ähnlich zu gestalten und ist auf den Seiten des kleinen Dreiecks ein
verjüngter Mafsstab angebracht, so kann man auf diesem sofort die Längen
der Seiten C A und B A ablesen, wc;nn C \i der Längi^ C B entsprechend
eingestellt ist.
Wir besitzen ein derartiges InstrumcMit (W. j. 1]5D aus dem ICnde des
16. Jahrhunderts (Fig. 13). k".s ist bc^zeichnet Joachiiii Kreiclt zu Wcyniar
anno 1599. Das Instrument bestecht aus drei Regeln. Dic^ eine feste
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897.
V.
— 34 —
kann mittels cinci- I liilsf auf (Miion Stab Ljt'stcckt werden, sie hat eine Länj^e
\cin 25 CHI, nahe an ihrem einen hjide an der Seite, an welcher sich die
Hülse befindet ist cm 1 laibkreis an^rebracht, der in zweimal 90 Grade <^u;teilt
ist. um den Mittelpunkt dreht sich eine zweite Rca^c] von der (gleichen
Läni;e wie die tM-sti-. luni^ dritte^ gleich ^jrolse , der zweiten symmetrische
Re^c^l ist über t-inem i^leichen Halbkreis angebracht und um dessen
Mittelpunkt drehbar. Sie kann mit einer Hülse (Schlitten) auf die Grund-
ret^H'l L,^esteckt und auf dic\ser verschoben werden. Über den Mittelpunkten
der HalbkrtMsc^ stehen drehbare Diopter und am l^ndpunkte jeder bewes^lichen
RcL^cl ist ein Korn, über welclies vom ztijL,u,'hörigen Diopter aus visiert wird.
J!t
Fig. l:i. l>ist;iiiznifsser von .Joachim Kreich aus Weimar 109*.).
i..jrm. Mus. W. .). 11.51.
Die Scalen sind mit einer Teilung vcrsehc^n, welche eine doppelte Nu.m-
m(!rierung trägt, die erste geht \"om Drehpunkte der Regeln aus und ist so
der sechzehnte Teil mit 1 und mit 16, bcvw. 2 : 32 u. s. f. bezi'ichnct. 1 : 16
Teile sind = 23 mm. V.s ist eine Teilung in i^^ufs und Ruten, letztere zu
16 l-'ufs in „'„,. Die zweite; Xunmierierung bezieht sich auf doppelt so grofse
Teile', also ,l_/, die Ziffern <S, 16, 24 u. s. w. stehen j(;weils um 8 kleine, be-
ziehungsw(Msc; 4 groise 1 eile \on der ersten Xummerierung ab und zwar, so
dals der lieginn um 4 hinter dc;n Drehpunkten zurückliegt. Der Gi'und dieser
X'ei'schiebung ist mir nicht klar geworden. Um di(> I.imgc; dei' Standlinie
i'iclitig bestiunm-n zu kcinnen , ist auf (kMii Schieber eine vom Drehpunkte
nach rechts lautende Teilung von 2.', Ruten in .,',^ aut'gebracht. Man muls also,
um das \erjüngte .Mafs der Standlinie zu erhalten, den Anfang d(;s Schiebers
35
auf einen Teilstrich der Hauptre^^el stellen , der um 24 Teile ^^egen die zu
fixierende Länge zurückliegt.
Das Instrument ist ungenau gearbeitet. Die Operationen mit demselben
sind einfach. Zur Erläuterung mag Fig. 15 dienen.
Ist der Abstand A C zu suchen so wird das Instrument in A auf-
gestellt und eine Standlinie angenommen, welche nach ihrer Richtung und
Länge so zu wählen ist, dafs beim Visieren eine Kreuzung der beweglichen
Regeln stattfindet. Auf diese Standlinie wird die Hauptregel eingestellt, die
bewegliche Regel a. c aber auf die Linie A. C. Sie mufs in dieser Stellung
Fig. 14. Instrument von Leonhard Zübler in Züricli. 161J.
unverriickt bleiben, h'erner wird der Schieber mit der zweiten beweglichcMi
Regel so gestellt, dafs a b in dem VcM-liältnis von .,1^ oder ,|,, zu A. 1! steht,
das Instrument in B aufgestellt und auf /\ zuriickvisiert und endlich die Rt-gel
b c auf f! C eingestellt. Die beid(>n beweglichcMi ivegcln sclunMtlen sich als-
dann in A[)ständen a c und 1) o, weicht^ den nali'nlichen .Abständen ])r(>por-
tional sind und es können diese \-on di-m Instrument sotort al)g(M(>s(Mi wiM'ilen.
Das Instrument verwirklicht einen cMufachen und prak-tisclicn (irund-
gedanken in ansprechenden- Weise und mochte in FälliMi, in welchen c\s auf
grofse Genauisjkeit nicht ankam, uutc Dienste leisten.
— 36 -
Dir Teilkreise bei a und b L;estatten c'mc Mc>ssiin,L,' der der 1 Iaui)tre^H>l
anlie^'enden Winkel und somit auch die Herechnun^^ des Winkels bei C.
VAn ähnliches Instrument hat Leonhard ZiibU-r in Zürich 1614 an^^e*,^eben
und in einem Traktat; Novum instrumcMitum ^eometricuni , das ist kurtzer
und _L,M-undtlicher Bericht, alle Weite, lircMte , I I()he und Tieffe mit sonder-
barem X'ortlieik kmistlichem und <,fe\vifs aucli von der Arithmetik unerfahrnen
abzumeisen* beschrieben.
Das Instrument {V\i^. 14) besteht aus einer Scheibe A B C D, welche
etwas mehr als einen Halbkreis umfafst. Der Umfang ist von dem Durch-
messer BAD ist in BSO Grade geteilt. Auf diese Scheibe sind zwei um
Fifr. 15. Messung,' mit den liistnimciiten von /übler iiml Kreich. Naoh L. Ziibler.
den Mitt(^lpunkt drehbare Regeln A E und y\ j angebracht, deren innere Kante
den .Mitt(;linmkt trifft. Die Regeln sind ihrt'r Länge nach in tausend Teile
geteilt, pjne weitere Reg(d I, welche mit dem Instrument niclit in fester
Verbindung steht, trägt die glcMche Teilung. Das InstrunuMit kann mittels
(Mner Bussr)lc mit Stimdent(Mlung orientiert werdi'U. l'ber dem Mitt(^li)unkt
ist ein nad(;lförmig(;s feststehendes Diopter M errichtet, über den Innenkanti'U
der drehbarem Regeln v(M-schi(;bbart> G und II. Am Dnde der Regel J ist ein
klein(\s Loch, mittels dessen sie auf die Diopternadc^ln aufgesteckt werden
kann. Das Instrument wird auf (MUen Stab L \-on 4' I I(")he autgesetzt.
Die Messung greiserer Lntfernungen geschieht aus zwei StändcMi Lig. 15.
DabcM wird in A die eine Regel auf die Standlinie eingestellt, die andere aul
37
den Gegenstand C. Die Rei(eln k(')nnen durch Klemm .schrauben festgestellt
werden. Vom Standpunkt B aus wu'd zurückvisiert, dann das Diopter an der
Standlinie parallelen Regel der Länge dieses Linie entsprechend gestellt und
nun das Diopter auf der anderen Regel so lange verschoben, bis es in die
Visierlinie B C zu stehen kommt. Seine Stellung gibt dann die Länge A C
in verjüngtem Alafsstab wieder.
Handelt es sich darum, den Abstand zweier unzugänglicher Punkte zu
bestimmen, so werden ihre Abstände von zwei zugänglichen Punkten in der
eben angegebenen Weise gemessen und zugleich die Winkel der Visierlinien.
Das Verfahren entspricht der Mclstischaufnahme Fig. 2, mit dem Unter-
Fig'. Ifi. Distanzmessiin^ a>is einem Stniido. Nach Leoiihard Ziibler. Itil t.
schiede, dafs die Linien und Winkel nicht gczeichn(-t, sondern durch die
Stellung der Regeln bestimmt werdi:n. Der gesuchte /Xbstand der zwei
Punkte^ wird mit der losen Regel |. gcMuessen.
Kleinere P2ntfernung(Mi kcninen mit dem Instrument von einem Stand
aus gemessen werden. Die; Figur 16 bedarf wohl keiner Frläutc-rung. Hei
Fntfernungen über 200' wird dcM- parallaklische Winkel zu klein und die
Messung ungenau. Der (jedanke ist dcM" gl(Mclie, der tlen ncMieren Distanz-
messern zu Grunde; lit;^^-
Leonhard Zübler hat in seiner giM)nietrischcn lüichsenmeisterei noch
ein zweites ähnliches Instrument angegi-ben (Fig. 17). Wii- be-sitzcMi cm
38
Kxenij)lnr dii\s(\s Instruincnti\s (W. I. 1143). wolchcs wahrscheinlich von
Zübler selbst L^efertiL,^ ist, denn es stimmt ziemlich <^fenau mit der Zeichnung
und Hesclireihuni; iibcM-ein, mit Ausnahme (Muer Teilung, welche auf unserem
l^xemi)lar fehlt, LcMder ist unser l^xiMuplar nicht vollständig, es fehlen die
Diopter, eine R(\g(^l und die Bussole.
Das Instrument als Winkelinstrument besteht aus zwei um einen Punkt
drehbaren Regeln. Die eine (N M) kann mittc^ls einer Stellschraube am
Stativ auf cMue bestimmte Richtung firiert werden, l^n dritter kürzerer Arm
1\
:^
Fi^^ 17. Winkfliiistnimiiit von Lconhaid Zühln- 1614,
virl. (liTin. Mus. W. J. 1113.
trägt an s(Mnem Ivnde eine Bussole. Auf diesem Arme bewegt sich ein
Schlitten, \-on dem aus zwei gleich lange lUige (Ouerstrc^ben) nach den
R(-gcln g(dien, an welchcMi sie in gKMchc-n Abständen \'om Drtdipunkt ange-
schraubt sind, doch so. dafs das ganze System xcrschiebbar bleibt.
Das Instrument wird als WinkelinstrumcMit wie- als Distanznu'sser in
der gleichem Weise Ixmützt, wie das xorhi-i-gidumde. VAnc direkte Messung
des Winkels der bt^dcm Reg(^ln ist bei unstM'em l^xemplar nicht m(')glich.
Nach Zübl(M-s ZcMchnung findet sie auf einei' auf dem dritten Arme ange-
brachten Scala durch die Stelluni/ des Schieb(.-rs statt. lune indirekte
— 39 —
Messung ist mittels der Bussole möglich. Auf dem dritten Arme; ist eine weitere
Scala , mittels deren die Regeln so gestellt werden können , dafs sie die
Winkel der regelmäfsigen Polygone vom Viereck bis zum Fünfzehneck an-
geben. Auch diese Scala fehlt bei unserem Instrument, dagegen trägt der
mittlere Arm an seinem Ende drei Kaliberscalen für Eisen, Blei und Stein
von 1 — 100 ^' für artilleristische Zwecke. Die Messung geschieht mit den
Spitzen der Regeln und der Schieber gibt das Kaliber an.
Die Bussole dient zur Orientierung des Instrumentes. Auf ihr kann
die Lage der festen Regel abgelesen werden, wenn das Instrument geschlossen,
also der Winkel N M R = 0 ist. Ist dann die bewegliche Regel auf einen
gewissen Punkt eingestellt, so kann der W'inkel der beiden Regeln mittels
der Bussole berechnet werden, denn sie hat sich von der ersten Stellung bei
geschlossenem Instrument um die Hälfte dieses Winkels gedreht.
Nürnberg. Gustav von Bczold.
Nürnberger Ratsverlässe Joachim Desehler
betreffend.
'^*"^9i.elegentlich einer Besprechung des neuen Werkes von Karl Domanig:
len des Erzhauses Österreich von Kaiser Friedrich III.
i^liv^'Fll Portraitmedailler
J^Ts^^^yt bis Kaiser Fran
•anz II. (Gilhofer und Ranschburg, Wien 1896) in Nr.
1 und 2 des gegenwärtigen Jahrgangs der Bayerischen Gewerbezeitung habe
ich u. a. ein paar neue urkundliche Nachrichten über den Nürnberger Klein-
künstler Joachim Deschier, der sich vor Allem als Medailleur — sein Zeichen
ist ein aus J und D zusammengesetztes Monogramm — ausgezeichnet hat,
aus den im Kreisarchiv Nürnberg verwahrten Ratsprotokollen mitgeteilt, näm-
Hch:
[1537, II, la] S. Mai 1537:
Joachim Teschler den Bildhawer zu Burgern vmbs gellt anneuKMi.
und
|1554, VII, 19a'| 24. September 1554:
Auff Joachim Tcschlers bitlichs ansuchen sol man seiner dochter zu
irer frumefs hochtzeit mit Wolffen Michel ain abenttennzlein vergönnen.
Hier folgen noch einige weitere auf Deschier oder Angehörige seiner
Familie bezügliche Ratsxerlässe, auf die ich im Laufe weiterer Studien über
Nürnberger Medailleure, Goldschmiede etc. gestofsen bin und mit denen die
Zahl der aus den Ratsj)rotokollcn zu g(nvinnen(U'n urkundlichcMi Nachrichtc^n
über unseren Künstler wohl als abgeschlossen gi'lten kann, dtmn zu Anfang
der sechziger Jahre siedelte Deschier dauernd nach Wien übcM'. Von hiteresse
sind diese Nachrichten unter anderm auch deswegen, weil wir aus ihnen cv-
fahren, dafs Joachim Deschier sich offenbar in zweite^- I\he mit der Künstler-
familie Glockendon verschwägert hatten Der mc^hrfach genannte^ Jörg Glocken-
don, dessen Wittwe er heiratete, kann nur der Sohn des llluniinisten Xiko-
— 40 —
laus (t 1534) sein, ilcv 1547, als Johann N(nid(')rf(-r seine Nachrichten von
Niu'nber*,fer Künstlern und Werkleuten schrieb , noch ani Leben war (ed.
Locliner S. 143). Die Tochter, die sich 1554 mit dem kechc^imeister (auch
tcutscher Schreiber wird er zuweilen i.,H'nannt) Wolf .Michel verheiratete,
stammte wohl aus Deschlers ersten Ehe, denn Michel wird nie direkt als
Schwager der jun<.,UMi Glockendone bezeichnet.
|1560, I, Abteilung 2, 9b | ii. Mai i^ißO:
Hannsen \nnd Gabrieln der Glockendhon gebrueder vnnd Irer Mit-
erben Suj)[)lication soll mann Joachim TeschlcMn ytzo zu Wien einschliessen,
vnnd schreiben, sich mit ersten hieher zuucMfugen vnnd die Erbschafft sach
mit seinen Sticfkynndern an ein ort zupringen oder vfs wenigst ein Vol-
mechtigen Anwaldt dartzu zuuiMordnen, damit die Supplicanten lennger nit
aufgehalten werden.
|1560, III, 33b] iO. Juli lo60:
Alls sich Hanns vnnd Gabriel dj Glokendhon wider Wolffen Michln
alls Irer Muter der Joachim Teschlerin seligen Testaments Executorn be-
clagt, wie er nit Inuentiern, noch mit Inen Ires Mutterlichen Erbs halben
abtheilen wolle, darauf sich dann gedachter Wolff Michl endtschuldigt, das
sein Mitexecutor gemelter Joachim Teschler nit alhie vnd er one desselben
beywesen den Inuentarium vnnd schulden nit richtig machen khönne, Ist
der hanndel herrn doctor [34a] Schurstaben vmb sein bedennckhen furge-
halten vnnd vff sein mundtlich referirts bedenkhen den clagenden glocken-
dhonen gesagt worden, Mann könn dem Wolff Michl vf\ sein gethane ent-
schuldigung nichts auflegen, Sie möchten aber Ir notturfft Inn einer schrift
verfasst Meinen herren vbergeben, die wolt mann dem Teschler zuschickhen,
vnd Ine vff einen bcMiannten Termin anheims eruordern , die sach richtig
zumachen, wo Inen aber der so lannge \ertzug beschwerlich, möchten sie
einen Anwaldt hindterlassen.
Hans und Gabriel Glockendon , die beiden schon volljährigen Söhne
Georgs des jüngeren, hatten also ihren Wohnsitz aufserhalb Nürnbergs.
[1560, IV, 46a] 7. Aug-usi 1560:
Welchergestalt Joachim Teschlern am Jüngsten geschrieben worden
sich hieher zustellen zur handt suchen vnd widerbringen.
|1560, XI, 22b] 4. Februar 1561:
Wolff Micheln Rechenmaister alls Vormunder Jörgen Glockendhons
seligen kynnder jd. h. also der noch unmündigen Stiefgeschwister seiner
Erau! auf sein bitt zulassen. seincM' i)flegkinder l^ehausung kauflich anzu-
nemen, doch \f ein \orgehenntls angloben, das sein furgebcMi die warheit
seye.
l'Linige sonstige DeschlcM's Schwiegersohn Wolf Michel betreffende Ver-
lässe haben für uns \i\v.r kein weiteres Interesse.
N ü r n 1) e r l^ ' 'i- ' • '^ 'ii 1' <'•
— 41 —
Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom
Beginne des 18. Jahrhunderts.
(Mit 14 Tafeln.)
(Fortsetzung:)
Das Wohnzimmer (Taf. V).
^^JijJj iii^ii anheimelnden Eindruck macht das Wohnzimmer, dessen Wände,
^|>^-^Y ausgenommen die Ecke, an welcher der Ofen steht, bis zu zwei Drittel
Vi^-idl^ ihrer Höhe mit einfachem, aber hübschem Täfelwerk \erkleidet sind.
Sehr praktisch sind die mit demselben organisch verbundenen Sitze unter
den Fensterbögen. Die Fenster befincUni sich in tiefen, runden Bögen, sind
aber rechteckig. Sie zeigen runde Scheiben in Blei gefafst, unten in jedem
der beiden Flügel je ein kleines viereckiges Fensterchen, das für gcw('")hnlich
zum Hinaussehen gebraucht wurde, um nicht immer die ganzen, grofsen Flü-
gel aufmachen zu müssen. Um deren vollständige Öffnung zu erm<")glichen,
ist das Gesims des Täfelwerkes an der Stelle, wo es an das h'cMister anstehst,
abgeschrägt.
Betrachtet man die Einrichtung des Zimmers, so fällt vor allem der
mächtige Ofen auf. Er steht mit seinen zwei dünnen, aus gewundenem Stab-
eisen gebildeten h'üfsen auf einem, von hölzernem Rahmen umgebenen Pflaster.
Der untere Teil , der Feuerkasten , der von aufsen geheizt wird und noch
keinen Rost hat, wird durch Platten von Gufseisen gel)ildet, die hinten auf
einem gemauerten Vorsprung an der Wand aufstehen. Die Seitenplatten zeig(Mi
in Relief ornamentiertes Rankenwerk, die vordere den Doppeladler, darübtM-
die Kaiserkrone. Den Aufbau, der in seinem untern Teil t;ine Ofenr(')ln-e mit
Thüre enthält, hat man sich aus schönen, grün glasierten, mit Nischen, Gehängen
und anderem Ornamentwerk verzierten Thonkacheln hergestc;llt zu denken.
Sehr stattlich ist die ornamentale Bekrönung des Ofens, welche etwas an die
üjjpige, phantastische Ornamentik der grofsartigen Cjfen des Augsburger Rat-
hauses erinnert. Um den oberen Teil des Ofens geht eine Hänge, welclii^
durch vier eiserne, von der Decke hcrabgehende, ins Rcxhteck gestc-llte Stäbe
g(!l)ildet wird, durch dercMi Öffnungen runde Stangen geschoben sind, (lii> an
den Enden einen eichelf()rmigen Knauf haben. Auf dieser H;lnge wärmte man
im Winter die Kleidungsstücke, die man anzi(dien wollte, und trocknete sie,
W(>nn sie vom Regen und Schnee durchnäfst worden waren; die Hausfrau hängte
wohl auch einen Teil der wcifsen Wäsche hier nach (Unn .Mangen auf, bevor
sie in den Schränken aufgehoben wurde.
Neben, res}), hinter dem Ohm sch( int noch ein kleines Schränkchen zu
stehen; man siecht von ihm nur den Fufs , den' eine Schublade (Mithält. /\n
der hinteren Wand steht neben der Thüre, (Umxmi Rahmen mehrfaclu^ \\m-
kr()pfung(,m zeigt, ein Aufsatzschrank. \)cä untere T(m1 (U;ssc>lben hesttdit
aus zwei h2tagen, von dencMi JcmF; zwcm Thürclien hat, ilie mit geonu'ti-ischen
P'iguren, wohl durch aufgesetzt«.; profilierte LeistcMi hergestellt, geziert sind.
Der Atifsatz enthält unt(Mi vier Scluibladen , dai"ül)er zwei offene, mit eirn'm
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. VI.
42
Drnanu'iit i;("kr()nU' l'\'ichc'r, in welchen laudier, untt>n solche «^n-cifseren, oben
solche kleineren h'oiniatt's, stehen. X'ielkMcht I)ir;_;t auch der unlere Teil des
Schlankes HücIkm', wohl vorzugsweise solche niil Kui)ferstichen , die dem
Künstler, der tlit'ses Haus bewohnte, Motive für seine Arbeiten lieferten, wenn
er sie nicht i^leich direkt nach^estochen hat, was damals in Aui^sburf^ ja Hott
betrieben wurde. Der H(icher\ orrat im bür_L;t'rlichc;n Mause zu Au^^sbiU'L,» war
aulserdem zu jeniM" Zeit ein stdir bescheidener. Stetten ^) berichtet aus der
Zeit nach dem dreifsigjährigen Kriege: -HingX'gen las kein junges Frauen-
zimmer etwas anderes als geistliche Bücher und dv.n Calender.' Auch in der
Zeit, in der unsere Bilder entstanden, wird es in Bezug auf die literarischen
Bedürfnisse des anderen Geschlechtes noch nicht viel anders gewesen sein,
denn von den Romanen, welche Alwin Schultz'') aufführt, werden wohl nicht
sehr viele in das bürgerliche Maus gewandert sein. Die Aufserimg des Ab-
raham a. Sta. Clara über die müssigen Weiljsbilder, welche \erliebte Bücher
lesen, wird auch die Meinung \ieler ehrsamen Büi'ger Augsburgs gewesen sein.
Die Nürnberger Haufs-I Ialterin< , welche die Töchter in allen möglichen
Künsten und Arbeiten unterrichtet, sagt von der Lektüre der Akädchen gar
nichts, und trotz ausführlicher Beschreibung aller Käume des Hauses, erwähnt
sie \ün Büchern und ihrer Aufbewahrung nicht das Mindeste; dagegtm äufsert
sie sich über das Studium der Töchter, also über eine Frage, die in der
Gegenwart brennend gewonlen ist, in nicht uninteressanter Weise, weshalb
die kleine Abschweifung, welche durch die betreffende Stelle hervorgerufen
wird, entschuldigt werden möge. Sie schreibt :
•Betreffend nun auch das Studiren der Weibs-Personen, so ist die Frage
ob ihnen solches zu zulassen.' solche aber ist schon hin und wieder von den
Gelehrten theils mit Ja, theils mit Nein beantwortet worden, meines Frachtims
aber ist der Ausspruch mit einen mercklichen Unterschied zu machen: Dann
es ist nicht zu laugnen, dafs man gar leicht einen zimlichen Catalogum von
gelehrten Frauenzimmer, so sich hier und dar gefunden, und eine in diesem
die andcM'e in einem andern Studio rühmlich floriret habe, anführen kcnme ;
wann nun ihnen der liebe GDtt solche Gabe gleich den ]\Ianns-Pei-s()nen ver-
liehen, warum sollen si(> sich clcM'selben nicht gel)rauchen dürlTen.' allein man
muls hierihi'U eine unterscheid wie schon erw(~hnet machen, und auf den
Stand und das \\."rm(')ge solcher l\;rsone sehen; In den bürgeiiichen Stand
einc^ iochter zum Studiren anhalten wollen, t'rfordert ein grosses Capital, da-
von sie ihre Unterhaltung Fel)ens-Iang zu suchen wisse, dann wegen ihrer
Studi(;n, sonderlich, wo sie nicht mit ungcMUeiner Sclu'»nluMt zugleich begabt,
wird so leicht kein anständiger reichei- k'reyer sich einlindt'U , indeme die
meinste nu-hr auf Geld und eine kluge 1 laufshalterin scIkmi , welches ilmen
auch in solchem Stand nutzer ist, als wan eint' dei-gleiche gelehrte k'rau den
gantzen Tag ü\)cv den Büchern sitzet, die sch()nsle Sonnettt\ Madrigal und
C)den verft'rtiget; Zu deme wird sie auch mit alk-n ihre Fleifs und Studiren
nicht \iel gewinnen, weil sie gleich den Manns-l'ersonen nicht zu r)f1'entlichen
8j ;i. a. O. S. H):i.
9) a. a. O. S. l,'!;i.
...._ 43 - -
Aemptern gezogen werden kan ; sind nun die Mittel nicht sonders grofs, inufs
sie zu all ihrer Wissenschaftt Hunger und Kummer leiden, und wäre ihr besser
gewesen, andere dem Weiblichen Geschlecht wohl anständige Künste, zumal
die Wissenschafft einem Haufshalten wohl vorzustehen erlernet zu haben :
Hohen Stands-Personen aber stehet das Studiren weit besser an , als welche
nicht nöthig haben sich in Nahrungs-Sorgen zu verwickeln, noch niit Haus-
Geschäfften umzugehen, sondern dazu ihre Hofmeisterinnen, Kammer- und
Kuchen-Bediente haben, welchen solches oblieget, daher können sie auch den
von GOTT ihnen verliehenen hohen Geist, desto freyer empor schwingen,
und sowohl in der Edlen Poesi und Wohlredenheit, als auch in Historischen
und Politischen Staats-Wissenschafftcm ihre Vergnügung und sich zu^^perfec-
tioniren suchen, zumal sie an grosser Herrn Höfen tausenderley Gelegenheit
haben, solches nutzlich anzuwenden.« —
Nun wieder zurück zu unserem Zimmer. Rechts von dem Bücherschranke
hängt an der Wand ein Waschapparat, bestehend aus einem hübsch ornamen-
tierten Rahmen, in dessen Füllung ein wohl aus Zinn gefertigter ei- oder eichel-
f()rmiger Wasserbehälter mit einem Hahnen hängt, aus welchem das Wasser in
das darunter befindliche Becken fliefst , welches auf einer mit dem Rahmen
organisch verbundenen Console steht. Das Waschschränkchen ist soweit oben
an der Wand angel)racht, dafs man es nur benützen konnte, wenn man sich
auf einen Stuhl stellte, was man sicher nicht that. Vielleicht hat es der Künstler
etwas hinaufgerückt, damit das schöne Möbel, das in der Gegenwart wieder so
viele Freunde gefunden hat, durch den davor stehenden Knecht nicht verdeckt
wird. Vielleicht war das Geräte aber damals schon aufser Gebrauch gestellt
und durch ein tragbares Gestell ersetzt worden. Denn die »Haufs-Halterin«
scin-eibt darübc^r bereits vom Jahr 1703: Gleiche F^eschaffenheit (d. h. dafs es
mehr zum Schein als zum Nutzen dient) hat es auch mit denen aus Zinn ge-
gossenen, und in einen besondern oftenen Schrank eingefassten Idand-Fässern
und Giefs-ilehältern, welche noch von den werthen Alten herrühren, heut zu
Tage aber auf eine gantz andere Art, iintl zwar ins gemein die Hand-becki-n
in l'\)rm einer auf Kugeln ruhenden Muschel, der Aufgufs aber wie ein Wall-
fisch, oder wie es sonst beliebt, gemachet, und auf cm besonderes Gestelle,
so man mit dem daran abhängenden Iland-tuch hin und her tragen kan. gc>-
stellet werden.« Die Annahme, dafs das Augsburger Waschschränkchen schon
anti([uiert war, dürfte der Mangel eines Handtuches f:»ekräftigen. Die ohr-
muschelf()rmigen Verzierungen an den Seitc^nteilen des Rahmens deuten auch
auf eine früliere Entstehung des Möbels, etwa auf die Zeit um 1630 -1660 hin.
In der Ecke links von der Tliüre steht ein Tischchen mit sechseckiger
Platte und geschweiften Bein(Mi, auf dc^mselben (>ine \'ast- mit l)lumenstraufs. An
den bcM(len [Meilern zwischen dcu Fernstem und am Tische^ siecht uian StiihK^ mit
hoher i .c-hne, deren Sitz ebenso wie der dic^ beiden I .ehncMipfosten \ iMbindcndt^Tcil
mit Eed(M- überzogen gewc\sen sein düiften. Dic^ IMosten d(,\s am Irische stehi>n-
diMi Stuhk\s sind nicht gerade wie die beiiUMi andern, sonckM'n untcMi mit einiM"
Krümnumg xersehcn. Der Tisch ist \T)n einfacher Alt; die schräggestellten
Immuc sind sjewunden und durch einen ziemlich breiten Untersatz zum Auf-
',4 —
strllcn i\cr ViW'sc xcrlnimU-n. Die Tischplatte liat (Miicn zwisclicn zwei LcMstcn
sich hcwcL^U'ntlcn Schubkasten, der etwas herausL^t'/o^en ist. VAn sehr an-
spruclisloser th'eihcMniLjiM- Stuhl xor dem Dfen mit «gedrechselter Lehne und
ein Sessel nebcMi d(Mn ( )fen , auf dem der ( jrofsvater sitzt, \ ervollst.ändi^fen
tlas i^nolse Mol)iliai- des Wohnzimmers. Das h'ulshcän kellen vor dem (jrols-
\ater und der Stock in seiner Linken lassen \cM-mutcn , dals der alte I Unr
von l'odagra L^n'plas^t wird. \Melleicht haben ihm t^^iite Friumde eine Auf-
nahmsurkunde in den ()r(len der Podai^risten zugesendet, womit man zu
jener Zeit Leidende di(\ser Art gerne neckte.
Sieht man sich nach den kleinen i'^inrichtungsgc^genständen und dem
Zimmerschmuck um , die dem Raimi erst ein wohnliches Gepräge \'erleihen,
so fallen vor allem die zahlreichen Bikler auf, welche ringsum auf dem Ge-
simse der Wandtäfelung stehen. kls sind wohl eingerahmte Ku])ferstiche,
vielleicht auch die Vorlagen zu solchen : Zeichnungen und Gemälde. Zu er-
kiMinen ist nur das Bild über dem Grofsvater, das ein Kreuz mit einem Kranz
darstellt, imd da.sjenige in der ersten k'ensternische mit dem P^ildnisse eines
Herrn. An demselben Pfeiler hängt schräg über dem Gesimse ein Sj)iegel
mit reichgeschnitztem Rahmen, der noch tlem 17. lahrhundert angehören
dürfte. An dvv Wand neben der 'Phüre hängt ein I hit (Dreispilz i und eine
'Paschenuhr, hinter dem Grofsxater ein Akmtel und ein rundes geflochtenes
K()rbchen.
Von den IJewohnern des Zinnners ist des GrolsN'aters bereits gedacht
worden; auch den Kncxdit haben wir erwähnt, der einen geiVillten Korl) her-
einträgt. Neben ihm steht ein S])innrocken. Alwin Schultz'") sclnxMbt: im
Hause beschäftigte sich dit' Dame, ihr Hauswest;n in Ordnung zu halten. Noch
war das Spinnen eine sehr gc^schätzte Arbc-it; in keinem Hause t\'hlte der
Spinnrocken, Dem widerspricht nun die Xürnb(M-ger 1 laufs-l lalterin etwas,
indem sie l)erichtet ' ' ) : Auf das Spinnen haben unsere in (jott ruhende
Alte sehr viel gehalten, so gar, dafs sie fast durchgehends alle junge 'P()chtcM-
dazu angehalten sjjinnen zu lernen, unter dem Vorwand, es sey v'mc Schande,
wann nicht eine jedt^ 'Pochter ihren Vater ein PIcmd gc\sponnen habe . . .
heut zu 'Pag aber ist es nur allein eine Arbeit vor die Mägde und alte Weiber,
welche andern X'errichtungen nicht mehr wohl vorstehen können.
In der .Mitte des Zimmers sitzt im be(]uemen Hausanzug auf einem Schemel
die fleilsige Plausfrau und wick(>lt Garn oder Wolle \-om (jarnwickcM, in Si'ul-
deutschland Haspel genannt, auf einen Knäuel. Das tiache, get1ocht(.-ne Ki'n'b-
chen mit der Leinwand zu ihrcM' Linken, harrt auch ihrer flinken Hand. Am
'i'ische, mit dem Kücken gegen das Licht, sitzt der 1 liM'r des Hauses, auch
in bequemem Hausanzug; er zeichnet wohl, da ein Tuschschälchen xor ihm
steht. Dann hat das Zimmer auch noch einige \ie)-füfsigt' Ijcwohnei" : die
Katze, dir sich unter dem Ofen einen wainien I'latz luM-ausgesucht liat. und
den Hund, der untei' dem Stuhl ni'ben dem 'lisch hervorsieht. /\n der Decke
endlich hängt (in X'ogelbauer, in dem ein gefied(;rt(.M- Sänger stnne lustigen
^<>' a. a. D. S. IS'J.
1 r S. 471 ,
— 45 —
Weisen ertönen läfst. Wie' sc^hr man damals es lic>bt(> , Sin<(vö^^el zu halten,
bekundet der Umstand, dafs auch in den beiden anderen Zimmern sich Vo^^el-
bauer befinden und die Xiirnberger »Haufs-I lalterin den singendem Vögeln,
>\Yclche man in Häusern zu halten pfleget , einen ganzen Abschnitt widmet'-).
Nachstehend folgt die lunUntung desselben, welche die Freude verrät, mit
welchen man an diesen kleinen I Iausg(;nossen hing.
»Die V(')gc;! s(dien einige lieber in der Schüssel als im Kefig , andere
aber wählen vielmehr das Gegentheil, in deme sie sich an ihren angenehmen
Gesang ergötzen, und defswegen das gantze Jahr durch ernähren, ob sie schon
solcher ihrer Lust nur kurtze Zeit genüsen, in deme die wenigste das gantze
Jahr durch singen, sondern die mehreste nur etliche Monat, doch gleichwohl
findet man allhier gar wenige^ Häuser, worinnen nicht einige solcher singen-
den Vögel anzutrelTen , welche wir am füglichsten in dre\'erley Sorten ein-
theilen , nemlich in kleine, mittelmässige und grofse , oder in zwizerende,
j)feiffende und singende; ja es ist sich nicht wenig zu verwundern, dafs auch
einige derselben so gelernig seyn, dafs ob sie schon von Natur einen wilden
und unlauttm Laut von sich gebcni, doch gleich wol es so weit bringen, dafs
sie gewiese Melodien, i\rien und Lieder pfeiffen, auch so nett und artig nach-
ahmen lernen, dafs ein Unwissender behaubten sollte, sie würden auf einem
Klagcdlet oder andern Instrument geblasen: Andere ahmen so gar menschliche
Stinnne in so ferne nach, dafs sie gewiese Worte und Iveden auf das deut-
lichste nachsi)rechen und ausreden lerncni; diejenige aber, so zu diesc^n beeden
inigeschickt, wissen sich durch allerhand andere Lust- und Gaukel-Possen
angenehm und beliebt zu machen, in denen Häusern gedultet zu werden, und
ihre Kost und /Xzung zu \erdienen. Nun ist auch diese gar unterschiedlich,
gleichwie auch die Gesang-V()gc>l imtc'rschiedliche Arten von Ivefigen erfor-
dern, wann man sie zum Singen in denen Häusern halten will, weil aber dieses
untl jenes nicht allen bekannt, als wollen wir nebst der kurtzen Beschreibung
eines jeden X'ogels solcln\s zugleich berichten.
Dann folgt die Aufzählung und Beschreibung der cMuzelnen Vögel, ihrer
l'jgenschaften, Nahrung und Ik^liandlung. Ls werden angeführt als kleinere
singc'ucU- V(')gel: die Ahnst«, Kohl-VcMse, IMau-VcMst', Kobel-Meise, Zogel-Meise,
i\Ieisen-M(')nche, Zeislein, Hänfling, Linck, Blut-Linck oder Gimi)eL Distel-
Linck oder Stigelitz , lirnmerling imd Rothkehlein; als andere wohlsingende
\^"igel klein(M-er Art: L(M-che, Nachtigall inid Ganarien- Vogel ; als singtMide
\'r)gel unltlerer (u-(')fsc«: Wachtel, Krumm-Sehuabel , Vistier, Di'oschel und
Amschel ; als \'<")gel gr(')fs(M'er Art: I letzt^ odcM' Atzel, Slaar untl Papagei. /\us-
tührlich wird namentlich die Zucht der Kanaricni\()gel und ihre Abi'ichtung zu
allerlei KunststückcMi behandelt. —
Der lu^schreibung dieses .Augsburger Wohnzininu^'s folgt am In^sten zum
Schlüsse noch Dasjenige, was die" Niirnbei'gx'r 1 laufs-1 lalterin über das Nürn-
bcM'gcn- nutteilt. TeilwcMse slinnnt es mit der wiedergegebtMUMi .Abbildunt;,
teilweise mit jtMien tlcr folgenden beidcMi anderen Zinuuer ; doch fehlt es
selbst\-ersländlich nicht an kleinen AbwtMchungen. Sit« schreibl :
TJ) S. S')'( IT,
46 -
'l)i(" Wohn-stuln' (M-fordcrt zum wcMiis^stcn zwccmi, oder wann si{> weit,
drcy Irische, d.'uon der iMnt^ etwas i^nofs, und i\cv SpiMls-tisch ^cüKMinct wird,
wimI man darauf läßlich zu speisen pflet^c^t, t^s hat si^lbii^iM' s^tmuMnii^licli olxm
^c\L,UMi d(M' Tlüir über seine vStelle, inlcv aber wann es der l'latz lei<let, in der
Mitte des Zimmers; der and(M"(" 1 isch wird etwas abwärts l(("l,fen die 'Idiüre
zu i^festcdli^t, und dc\n Stuben- oder RannncM-mensclien, odcM' wie man sie hier
nennet, der lx\schHeserin, darauf zu neben, zu b(\L(eln, oder and(Me (I(M<^fleiclien
ArbcMt zu M-rrieliten eini;eraum(^t. Wo drc^y d'ische in der Stube; sti;h(m,
werden die beede kleinere^ «^emeiniL^lich an die Wand also i^u\stellet, dafs der
eine, wie i^edacht, etwas abwärts, auf einer, der andere af)er liinaufwärts, an
der andern Seiten nahe an tlcnn r\;nster zu stellen kommest, und der Frau
zu Diensten bleibet , welche so sie dabey sitzet , zus^UmcIi eincMi Icutseeli^en
pros])cct auf den Platz oder die Strasse haben kan : und weil solche Tische
dann und wann beschwerlich, findet man hier in den meinsten Wohnstuben
nechst am k\Mister kleine Hani^-Tischlein an<j;emachet , welche man nach Be-
lieben aufstellen und niederlassen, odei" s^ar ablu^bt-n und t^antz hinweg nehmcm
kan. Zu solchen Tischen werden wenii^^stens ein halb Dutzend Stühle und
zween Sessel erfordert, deren jenc^ vor die, so mit bey Tisch spcMsen , oder
sonst in der Stube eine sitzende Arbeit zu verrichtc-n haben, diese aber vor
die Hcrrschaftt, und andere Bekannte auiser dem Haufs, wann sie ihie liinkehr
nehmen, dienen.
In denen meisten Wohn-stub(Mi allhier findet man ein mit den Täfel-
werck fest-eingemachtes Wand- und k\aul-l)ett, vielleicht von faullentzcMi also
benamset, welches hoch aufgebettet, und mit (;iner säubern Decke überdecket,
worauf zum Raubten ein grosses gantz dickes und starres Kissen ang(d(dinet
ist , entweder wcifs bczieget , und mit einem schön-genehetcMi Blumen-Strich
oder Borten verbremet, oder aber auf den' untern Seite Ledern, auf der obern
aber mit bunten Genehe gezieret, so allcrU^y Daub- imd Blumen-wcMck, auch
(')ffters des Haufs-Patrons Wappen vorstellet , und werden di(\se kiettem gar
selten abgcraumct und ge^brauchet, sondern dicMicn mcdir zum Schein als zum
Nutzen.' (Was an dieser Stelle über das Waschschränkchen gi^sagt ist, wurde
schon weiter vorn mitgeteilt.)
'Ausser dcmc gehören auch in eine Wohn-stube cmu oder zwey wohl-
versperrte k]ehält(M-lein , wt^lche man bey uns fast alkmthalben in di(^ Wand
schon eingemachet findet, in deren (Mn(\s mrm den d'isch-ZcMig, in das andere
aber die llaufs-Ahitter ihri^ zu denen andcM-n ZinuncMU und IkdiältiMU in [lan-
den halxiide Schlüssel, imd das zur täglicluMi /\usgal)i' betiT)! higtc^ (ield zu
verschlies(Mi und zu vcM-wahrcu ])flegt>t.
Den Auff)ntz defs Wohn-ziuuners bc-treflend, so bestehest selbiger \-or
allen in einen feinen Spiegel, welcher gemeiniglich g(\gen die Thür üIxm', und
zwar etwas schreg, auf ziei'lichcni von Messing g(Mli-(diet(>n, oilcv aus Zinn ge-
gossenen Schrauben! ruhend , g(\stellet wird , damit der Staub nicht so s(du'
darein falle, und man sieh ,'uich <lesto besser darimicm b(\s])it>g(-ln und be-
schulen k(')nn(>: Die Tische solKm mit scheinen T(^pi)iehen überdecket, und
die b\,'nster mit V^)rhängen wn-se^hen seyn. Die^ (jesiinsc- plli'get man ge-
-^ 47 -
meini^flich mit Mahl(M"ey(M"i zu belehnen , manchmal Pyramiden , verguldete
Kugeln, antiquische von Holtz geschnittene, oder nur von Gips gegossene
Brust-Bilder, auch wohl von Porcellain gemachte grosse Schalen darzwischen
zu stellen und aufzulehnen, wie es nemlich einen jeden beliebt , und dessen
Zustand und vermengen leidet. Das vornehmste aber ist die Reinlichkeit, dafs
man nemlich das W'ohn-Zinuner so wohl als die andere sauber halte, durch
die Mägde täglich auskehren, auch zu gewiesen Zeiten reinigen und säubern
lasse, damit es nicht so wohl einer Wohnung der Schweine als vernünfTtigen
Menschen gleiche.« —
Man geht wohl nicht irre , wenn man annimmt , dafs die Thüre des
Wohnzimmers in
das Schlafzimmer (Taf. VI)
führt. Nimmt man an, dafs dieses von der entgegengesetzten Seite wie das
Wohnzimmer dargestellt ist, so decken sich die Thüren dieser beiden Räume
vollkommen. Auch in der Gegenwart liebt man es noch , dieselben neben-
einander zu haben, damit das nicht heizbare Schlafzimmer im Winter etwas
von der Wärme des Wohnzimmers abbekonnrit. Das Schlafzimmer ist ge-
täfelt wie das Wohnzimmer ; es hat auch dieselben Fenster. Doch ist ein
Flügel des einen durch ein Drahtgitter ersetzt worden, das den Zutritt frischer
Luft gestattet, den Insekten aber den Eingang verwehrt. Die Decke zeigt
ein grofses Feld, das wohl durch Stuckarbeit hergestellt ist, der Fufsboden
quadratischen Bodenbelag, der aber kaum als steinern angesprochen werden darf.
Das ffau})tstück des Schlafzimmers ist, wie sich von selbst versteht, das Ehe-
bett, ein grofses zweischläferiges Bett mit einem Himmel, der zu Füfsen von
zwei gewundenen Säulen, zu Köpfen von dem Kopfende getragen wird, das
architektonisch aufgebaut mit Säulen und Bogenstellungen versehen ist. Es
ist hier wohl am Platze mitzuteilen, was die »Haufs-Halterin« über die Betten
sagt, über welche sie sich, als über sehr wichtige Möbel, folgendermafsen aus-
führlicli ergeht :
-Wir wollen hingegen sagen von den h(')lzernen Betten , als welche
dermahlen am meinsten im Gebrauch sind, selbige werden gar selten von
gemeinen Floltz gemacht, ohne diejenige, so vor das Gesind gehören, sondern
gemeiniglich von Eichen, und Nufs-baumen, oder von schwartz-gebeitzten, je
zuweilen mit schönen Brasilien, oder auch wohl Plben-IIoltz, eingeleget, manch-
mal nur mit Leisten-werck , inid h'illungen , je zuweilen mit zierlichen Laub,
P'rüchten, Festinen, und Säulen, oder wohl gar mit Bildern und andern häuf-
figen Schnitzwerck, gezieret: man findet auch kostbare Betten, so zwar nur
von gemeinen Holtz gemachet, aber mit stattlichen Gezeug überzogen sind,
so mit den Tapezereyen defs Zimmers ül)erein kommen.
Die Ehe u.nd Sechswochen-Bette sind mit cnnen auf artiggewundenen
Seulen ruhenden Zelt versehen, so entwediM- mit rauer Leinwat ül:)t"rzogen,
und beedes in- und auswendig zierlich gemahk:t , oder mit TattMid oder an-
dcvn Gezeug überkleidet, und mit derglcicluMi Vorhängen umgebt'U , an ilcn
„ 4.S —
vier Fxken sic^hc^t man <">frtcis i^UHlrc-JK^tc^ Si)it/.<Mi oder Kugeln von Holtz, oder
auch, nach 1 IcydniscluM- und dem /MtcMthum abt^ebor^ter Art gemachte und
mit zierHchen h'edei-büschen l)est(>ckte IMumen-Trjpfe zur Zierde stehen: So
wol an diesen, als andern Galanterie- und Prani^-lU^tten, sind die bifs auf die
Erde abhängende Vorhcänge unten an den Saum herum . an gewiesen Orten
mit Bley versidiiMi, und also eingerichtet, dals sie von der darinnen ruhenden
Pers(Mi, mit einen einigen Zug rings herum gantz oder halb aufgezogen, und
wie es beliebt, also bcvestiget, endlich aber wieder nic>dergelasscn werden
k(')nnen , wc^lches dann nicht nur sehr be(|uem , sondern auch gar wol und
zierlich in die Augen fallet. Wie die and(;rn Arten dtM" Ijetten beschaffen,
ist bey dero Benennung schon guten theils angezeiget worden , und hi(;r zu
wiederholen unnöthig.
Was nun in so mancherley Arten der Bette geleget werde , sind mit
einem Wort, Polster und Kissen: Es sind aber selbe entweder von Eeder
gemachet , und werden sonderlich zu denen Wand-Faul und Stuben-Betten
gebrauchet , bevorab gerne in denen Studier-Stuben gefunden , um sich nur
so gleich hin mit den Kleidern darauf zu steuern , und einer kurtzen Ruhe
zu gcnüssen. Oder von Barchent, und die, so etwas kostbarer, linder und
subtiler, von Bomesin ^'M gemachet, und mit leinenen weissen, oder auch blau
und weifs-zierlich gemodelten Tuch und Kölnisch'^ , oder die feinere Betten mit
zarter Leinwat überzogen, auch auf der Seiten mit bunden l'affend oder Atlafs
verbremet, die Zügen aber selbst mit artigen Blumen und Eaub-werck in ein
enges Gestrick genehet, so man hier zu Land Striche nennet, oder mit ge-
wirckten Borten und Spitzen gezieret.
Aller Orten werden die Betten nicht auf einerley Art zugerichtet, son-
dern an den meinsten Orten nur ein w-enig auseinander getheiltes Stroh unten
in das Span-bett eingeleget, mit einer Matratze, oder mit Watt, Baum- oder
Schecr-wolle angefüUet- und abgeneheten Decke, und diese wieder mit einen
Leylachen überdecket, unter den Kopf ein Polster und Ilaubt-kissen gclcget,
und zur Ober-deckc wiederum eine Matratze , mit einen übergeschlagenen
Leylachen aufgebreitet : Hier zu Nürnberg aber und an dencm meinsten Orten
Teutsches Landes wird das Stroh ordentlich, und zwar sehr fest zusammen
gehefftet, in einen oder zween nach der Länge und Breite dcfs Bettes abge-
messene Flache, und einer Spannen dicke zwilchenc , oder von blau- und
weissen Köllnisch verfertigte Säcke eingefüllet, und auf den Bxxlen der I^ett-
statt geleget, ein oder auch wol zwey gute wohl angefüllte Unter-betten darauf
gebettet, beedes ein Haubt- und k'ufs-PoIster etwas schr(\g angelehnet, alsdann
ein Leylachen cingebreitet, und zwar so, dafs der k^uls-rolster daruntcM', der
Haubt Pcjlster aber darauf zu liegen komme, die Kopf-kissen schTin lioch auf-
gestellet, und das Deck-betten, woran noch einige ein übiM-schlagenes Lcylach
hefften, aufgelegt. Diese letztere Art der IjettcMi ist weit wärmer als die erste,
auch \iel linder und sänfftei' darauf zu ruhen als auf jenen, wie Wdl dii.' Ge-
i:')! d. i. ISaumwolle, v<^l. Schmcllcr-l-'roni!:: üW'l). [. '_'.'!').
14! auch K(')lisch, Golisch, eine wcifs und blau oder wcifs und ml ucstreiltc odir
m- würfelte Art Leinwand .Schm.-Fr. lUVP.. 1. SO:^.
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- _ 49 -
wonhcit \ ic^] thut, und diese Betten denen Fremden anfän^^lich " fremd vor-
kommen , jedoch aber von eini^^en bald gewohnet und überaus sehr gelobet
worden : Die Krancke bedienen sich bey uns etwas leichterer und nicht so
schwer-angefüUter Deck-betten, auch sind \iele gewohnet, zur heifsen Sommer-
zeit die Deck-betten gar hinweg zu legen, und an deren statt sich mit einer
ALatratze oder zierlich abgcneheten Decke zu bedecken.
Die ALaterie, womit die Kissen angefüUet werden, sind entweder Watt,
P)aum- oder Scheerwolle, und meinst zu denen Galanterie-Iietten gebräuchlich;
die cärmcre Leute bedienen sich allerley Vogel-Federn, von welchen man vor-
gibt, dafs man darauf nicht ersterben kcmne, welches aber ein falscher Wahn,
und vielleicht daher rühren mag, dafs die arme Nothleidendc; aus Mangel ge-
nügsamer Febens-Mittel nach und nach sich abzuzehren , auszuschmachten,-
und auf ihren Sterb-Bettlein freylich lang zu liegen pflegen , bifs sie nach
GOttes heiligen Willen , die ausgestandene Trübsalen dieser Zeit , mit der
Fremde der seeligen Ew^igkcnt \ erwechseln : hisgemein aber sind die Federn
\C)n den Gänsen zu den Betten die gebräuchlichste, wiewol auch grosse Herren
sich solcher von denen Schwanen bedienen.' —
Auffallend ist bei uns(M-cr Bettstatt, dafs die Vorhänge fehlen ; man geht
wolil nicht fehl, wenn man annimmt, dafs sie der Künstler nur deshalf) weg-
gelassen hat , damit die Partie cJes Zimmers hinter der Bettstelle nicht ver-
deckt wird. An der dem Beschauer zugekehrten Fangseite des Bettes steht
ein Kasten, der eben so lang ist wie dieses und als Tritt diente, um in die
hochaufgetih-mten Kissen, den Stolz der Hausfrau, zu gelangen. Benötigte
man doch nach der "Flaufs-Halterin« zu einem Nürnl)erger ]^2ehebett 125 Pfund
h^edern zu zwei Unterbetten , einem Kopfpolster und einem Fufspolster und
30 Pfund Federstaub zum Deckbett, zu zwei Kopfkissen und zwei 'Bauch-
Küfslein-, also zusammen 155 Pfund PY^dern für ein zweischläfriges Bett!
Der Tritt war wohl zugleich Truhe, diente aber auch als Sitzbank. Die zwei
'Passem, die auf ihm stehen, dürften das Frühstück für Mann und k'rau ent-
haltcm haben. Zu hYifsen des ISettes steht ein Schränkchen in der Ilöhe des
Fufscmdes derselben. Solche Schränke sind namentlich auch in Ulm in Gc-
brauch gewesen, wo sie den Namen -k^ifsnet« oder Fufsnetkasten- führen.
Das Schränkchen hat an den Seiten eiserne, bewegliche Griffe, um es leicht
von einc>m Ort zum andern transportieren zu kcninen. Ms diente zum Aufbe-
wahren der Bettwäsche und zum y\ufF;gen der einzc^lnen lU^ttteile beim Machen
des Bettes. l>ei dem GriiTe hängt ein Kehrwisch. Die Platte, die auf dem
Schränkchen sttdit und an der sich der Junge mit dem Messer zu schaffcMi
macht, enthält Wdht einen 'l\;il (k;s l'^rühstückes.
NebcMi der liettstatt steht ein grofser Schrank mit drei SäukMi , an der
hintercMi Wand ein etwas kleinerer, der dagegen reich xcMvieil ist. lOr dürtle.
wie schon die gf)tischen süddcnitschen Scliränke zweigt'scliDssig sc-in ; zwei
Reihen Säulen mit Gebälktm st(>lum je auf einem Sockel übereinandei'. l)ie
Thüren enthalten architc-ktonisch gc^gliedcMte NiscluMi. \'or allem abei' fällt die
reiche luT-rcHiung d(\s Schrank(\^ ins /\ugc>, die früher wohl dic^ meisten Schränke^
hattiMi, die :\\)cy h(')chst selten auf di(^ Cjegcmwart gekonuutMi ist Der Schi'ank
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum, 1897. VII.
r>()
dürfte ein Krl)sti'ick !^(nvcs(M"i sein, da er noch in die Mitte des 17. Jahrhun-
derts zu setzen ist. W'ic^ man sielit, besteht das Mobiliar des Sclilafzinmiors
neben dem Ivht^bette haui)tsächlich .aus Schiiinken. \-'.s stimmt dies auch mit
ilen AusTührunLien der 1 lauls-l lalterin ■ über (He ICinriclituns^' der Schlafzimmer
überein, dit> b(,'richti-t : jn die Schlaf-kanuner t;eh(')ret das IChi^-lx^tt , samt
einen ludialter ' ■') zu dem alltäij;iichen weissen (iezeu^, vor «.^u-ofs und kleine,
in allerley l''ällen zu ^febraucluMi , auch pf1ei^u>n \i(de ihre bestt- Sachen von
Silber-Cjeschmeid, Kleinodien etc. in eincnii gleichfalls hiezu s^ehririL^^en, wohl-
verschlossenen Schrank, so man defsweL^'cn den Silber-üehalttM- zu nennen
l)llei4"ct, in dieser Kammer zu verwahren, weil man solchen allhicM- stets vor
Augen hat, und nicht so leicht ohnvermerckt enUfnet werden kan, als t'twan
in einen andern Zimmer, darein man selten zu kommen i)fle((et: ICs ,i,Hdi(')ret
auch in diese Kammer ein kleines Artzney-Schrjinklein , damit man selbiges
auf ereignenden k'all zur Hand halxMi, und daraus, was der zu Händen gestossenc
Zufall erfordert, hervor langen m(")ge; zuxc'u'derst aber soll auch ein Nacht-
stuhl vorhanden seyn , sonderlich so das gew()hnliche r)rt etwas weit davon
entlegen und entfernet ist.<'
Ob das letztere Geräte vorhanden ist oder nicht, kann nicht mit Ge-
wifsheit entschieden werden. Vielleicht ist es das Stück rechts im V^order-
grunde, auf welchem die hölzcM-ne Büste: mit der Perrücke des 1 lausherrn steht.
Das Mobiliar vervollständigen noch zwei Tische: ein kleiner mit geschweiften
Beinen nel)en der Thüre , auf welchem zwei Gläser stehen, welche Toilette-
Artikel enthalten — das eine wohl Puder, da an der Wand darüber eine Pu-
dercjiiaste hängt — und ein grofser einfacher Tisch an der Wand zwischen
den beiden P'enstern, der gekreuzte kleine, einen Tritt zum Aufstellen der
Vükc hat und gedeckt ist. Auf ihm stehen ein Leuchter mit Licht und
einige Gebetbücher, die dem Ehepaare beim Niederlegen und Aufstehen zur
Verrichtung der häuslichen Andacht dienten. Der Herr des Hauses, der seine
Strümpfe anzieht, sitzt auf einem dreibeinigen Schemel; ein solcher dürfte
auch der Frau als Sitzgelegc^nheit dienen. I-Lifrigst mit dem Auftrennen einer
Naht beschäftigt, iibersieht sie das Hinidchen, das \()r ihr sitzt und aufwartet.
/\uf dem Gesimse der \\' andtäfelung stellen ausschliefslich Bilder. k)as neigen
der Thüre ist ein Sinnbild der .Auferstehung: aus einem Totenkopfe wächst
eine BluuK^ heraus. Die zwei kleinen danel)en stellen k'iguren dar, das am
Pfeiler zwischen den ]'\,'nstern einen Herrn vor einem \^)rhange stehend, also
wohl ein I'orträt, das in der Fensternische ein tanzendes l'aar. Neben der
Puder(.iuaste hängt die Hausmütze (oder Schlat'mütze .- 1 des Herrn, weitei' vorn
dessen Rock. Schliefslich ist noch der (jlocke zu gedenken, die in der ersten
l'\-nsternisclu; angebracht ist imd den Bewohnern des Hauses Kunde" von
Denjenigen gibt, cht: Linlafs in dasselbe begehren.
Wenn nun auch wede;r die I lauls-llalterin in ihrer Beschreilnuig (Jes
Schlafzinimei's e:int' Waschgelegenheit erwähnt, noch unsi'n- Abbildung eine
solche zeigt, so ist trotzem doch wohl anzunehmen, dals c;ine solche diesem
15i ij, i. Srhr;uik.
— 51 -
Räume nicht felilte. Sic ma^ an der Wand Platz ^fcfundc;n haben , die auf
der Abbildung nicht sichtbar ist.
Begibt man sich in das obere Geschofs , so kommt man zunächst wie-
derum in einen
Vorplatz (Taf. VII),
von dem aus Thüren in die übrigen Räume des oberen Geschosses und eine
Treppe in den von uns angenommenen Aufbau führt. Dieselbe herab kommt
ein Knecht, der auf den Schultern einen Sack trägt. Der Vorplatz ist wie-
derum sehr einfacher Art. Die Wände getüncht, der Boden mit viereckigen
Platten, wohl aus Solnhofer Stein belegt, nur die Rahmen der Thüren sind
etwas reich profiliert. Ein Kronleuchter oder Lüsterweibchen ist nicht vor-
handen, sondern nur ein Wandarm. Aufserdem besteht die Ausstattung der
obern P'lur nur noch aus einem runden Tischchen mit gedrehtem Fufs , auf
und neben welchem einiges Geschirr steht, und einem Gemälde über der
Zimmerthüre rechts, welche ein Stillleben, Hut, Kanne, Glas und Früchte
darstellt. Eine Magd mit Besen, Kübel, Kehrwisch und Schaufel macht den
Vorplatz rein. Im Hintergrund rechts in einer offenen Thür hat ein Mann
ein Buch in der Hand, links trägt ein Mann Holz, wahrscheinlich in die Küche,
wie später dargethan werden wird. Ein Hündchen zeugt von der grofsen
Vorliebe damaliger Zeit für Tiere.
Über der Thüre links befindet sich ein länglich rundes Fenster mit ver-
bleiten runden Scheiben , ein sogenanntes Och.senauge , das von dem Lichte
des Zimmers etwas an den Vorplatz abgeben soll. Ein ebensolches Ochsen-
auge hat über der Thüre
das Wohn- und Arbeitszimmer (Tafel VIII).
Man kann also annehmen , dafs dieses Zimmer an den vorstehend be-
schriebenen Vorplatz stöfst. Ms ist gleichfalls mit Wandtäfelung versehen, wie
die übrigen Zimmer, und nur die Wand, an welcher der Ofen steht, ist in
üblicher Weise von solchcM" frei. Dei- Fufsboden ist quer gebrettert, die Decke
(jucM" getäfelt. Die PY-nster zeigen dieselbe Form und Gröfse wie diejenigen
in dem erstbeschriebenen Zimmer, die Fensternischen sind mit Bänken ver-
sehen. Das erste Fenster hat eine grofse Blende von Papier oder Leinwand,
die das Licht däm[)ft, welches auf die Platte fällt, an welcher der Kupfer-
stecher arbeitet. Die Platte liegt auf dem Titsche am h'enster, nc^bcn ihr stecht
ein Spiegc;!, welcher die; Wirlage im negativen Sinne wic-dergibt , in dem sic^
auch gc\st()ch(Mi wird, damit das IJild beim Abdrucke wieder in positi\eui
Sinnc> konmit. Dabei lic^gen Stichel und ein Lineal \mi\ stt>ht ein T()i)fchen
mit (-iner l-\>der. Der Tisch selbst hat breite , aus P)i-(>ttern ausgi\schnittenc^
Fülse, die nach aufsen und iimen ein durch aufgesetzte* Leisten geliiKKnes
r(xhteckiges Vc](\ enthalten. Sie sind durcli iMuen St(\^' und unten elurch
einen Fufstritt x'erbunden. Dcm- Tiscli stand auf dit-se Art wohl si^hr fest,
was dcM- Künstler im InhM'esse seiner Ai'beittMi wünschen nnüste. Dii* 1 isch-
platle hat durch .Abschrägung der locken c]nc achteckige Form (M'halten.
1-jii zwriU'i' Tisch mit i^cspri-iztcn, Licdichtcn iH-incn, die ebenfalls duich
cim-n iMilstiitt verbunden sind, stcdU rechts in der ICcke; ein dritter links an
der Thür. Dieser hat L^cki-euzte, durch tMiien Stes^ und [''ufstritte \-erlnind(^ne
iMilse. l"r ist L^edeckt ; auf ihm steht eine Kanne, c\uc l'lasche , wohl ans
Zinn, mid ein lu-cher. Ztmi Mobiliar ;^ft>h(")r(>n ferner eine IJank , die an der
Wand im llinttM-^runde entlani^" läuft, drei Stühle mil hohen Lcdmen, wie sie
auch im W'ohnzinuncM- sich finden und im I lintergrtmde ein von diesen ab-
weichcMuler Stuhl mit SiMtenlehn(>n. NelxMi diesem Stuhl, auf den Ofen zu,
steht t-in wit-^enähnliches (?) (lestellc>, von (K'm cMne I)(xke herabhängen und
auf d(Mn ein Kiubchen mit Wäsche sich befindet. Der Ofen stimmt in Auf-
bau, OrnanuMit imd Material vollständig^ mit jenem d(\s Wohnzimmers überein;
auch er ist mit einer Hänsle mi\<.(c^ben. Hinter dt-m Aufsatz des Ofens steht
einc^ Kanrn' imd hängen zwcn Würste.
Weiter sind zu erwähnen drei Schemel verschiedener k\)riTi; auf zweien
dc-rselben sitzen Knaben , xon dencm dcM- cdne eifrig mit Zeichnen auf einer
Tafel beschäftigt ist, die er auf dem Knieen hält. Neben ihm steht auf dem
Fufsboden cm Schälchen mit darauf liegendem Pinsel. Der andere^ Knabe,
dcv stMue Külse auf ein k'ufsbänkchen stützt , blättert in dem auf seinem
Schofse liegenden Buche und blickt auf die Zeichnung mit der Darstellung
iMues Mannes, die auf dcMii kleinen Pulte liegt, der vor ihm steht. Dieses
nette M<')bel hat imten drei grofse und oben zwei kUdne Schubladen. Die
Knaben sind wohl keine Lehrlinge des Kuj)ferstechers, sondern Schüler, denen
er Cnterricht im Zeichm-n gibt. Bestärkt werden wir in dieser Annahme
durch die Sanduhr, die auf dem dritten der Schemel steht; wenn sie abge-
laufen, war die Zeichenstunde vorüber, die Schüler entfernten sich, um \iel-
k-icht anderen Platz zu machen. An der Thüre selbst sttdit, die Kechte auf
den Drücker des scheinen Schlosses legend, der Herr des I lauses, eine statt-
liche Figur, in seinem Galaanzug. Der ALantel, den er an hat, sagt, dafs er
im In'gritTe ist , auszug(dien. In der Pinken hält er cnne Rolle. Auch in
diesem Zimmer fehlt es nicht an Tieren. Am erstbeschriebenc>n Tische sitzt
der Hund bei seinem Frefsnai)f, im Hintergründe sieht man zwei Katzen, von
welchem eine munter unter dem Ofen hervorspringt, an der PVxke hängt ein
Vogelbauer.
Noch ist der übrigen Stücke zum Schnuicke des Zimmers zu gedenken.
In stattlicher Anzalil sind die eingerahmten Bikler \(M'tret(Mi , die' au.f elem
(iesimse' der 'I'äfedimg stehen. In deM" e'rste'n Nische' sieht man e'inen Baum,
am Pfeile-r elaime'be-n den gekreuzigten Heilanel, am näclisten Pfedler hängt in ver-
zieitcm Rahmen (;in schräg gestellter Spie'ge'l. Die Darstellungeii eler Bilder
im Hintergründe' lassen sich nicht genau feststelle-n. ?Nel)e'n de-r Thiire' hängt
^chi'äg eine' Landschaft mit grejlse'm Hause', auf die- Thüre se'lbst ist e-in Blatt
ant^enagelt mit e-iner weiblichem T'igur in Zeichnung ode^- Stich. .Auf den
liänken liegen und stelu'ii Büche;r, wolil K.upferwerke', an eleiAVand im Hiiitei'-
L;i"unde hängen zwei LTjcke, eine' Pei'rücke' unel ein DreTspitz. Das Hörn, das
ddi't ebenfalls Platz gefunden, läfst de-n wackeiii Meiste')- auch als Freund der
edlen Lrau .Musica ei'kenne'U.
— 53 -
Von Wichti<,>kcit für die Orientierung^ in diescMn Haust- ist das vier-
eckige Fenster mit den rundem ein<(ebkMten Scheiben. Es führt nämlich in
die Küche, ck^r Tisch mit seinen Gefäfsen, der davor steht, wird dadurch als
Anrichte oder Servirtisch leL^itimiert.
(Fortsctzun^f k)l<ft.)
N ü r n b e r i^. Hans B ö seh.
Zwei Handzeichnungen des Wolf Huber im
Germanisehen Museum.
>en Anlafs zu folgenden Zeilen gab das unter Nr. 1 abgebildete Blatt,
(1 Idz. 2430) das bisher unter den unbekannten Meistern eingereiht
war, und das ich, auf Grund stilistischen Vergleichs, dem Passauer
Meister Wolf Huber zuschreibe. Am nächsten steht ihm die unter Nr. 2
abgel)ildete HandziMchnung (Hdz. 161 I, die auch \\\ Schmidt, dcM" gcMiain-ste
KenntM- imd h'ntdecker VV. HubiM's . laut handschiiftliclKM" Xotiz unstM'cm
Meister zuschreibt.
Das erste l)latt gibt uns d(Mi hjnblick in c\n TliälclKMi , das c\n von
Bäumen umg(-bent'r Fach durchzieht. l'JU Haus, sovvii- wc-itcM' im Hinter-
grund eine Bur<>^ auf einem kleinen Himel rapen aus den Bäumen. Den
54
I lintciL:! und nimmt iiufsti-ii^cmlcs I Icx-liLjchii l^c ein. \ )\c Z(Mchnun_<^f ist, von
1520 datiert, tlott ausi^cfühit mit l)l;hilicli lassender l''eder. Sie stannnt aus
diMH iiltesti-n llestand des Museums, da sie noeli die Autsels'sche Marke tr.ä^^t.
\)\c andere /A'iehnuni,^ (Ai)l). 2) trä^t ehentalls die alte Autsefs'sche
Mark(> und stimmt in Technik und Ausführuni; mit dem erstt'n ISlatl stark iiher-
ein. Nui' Iniden wir nc^hen der bläulichen 'idnte noch einen l)i-<'"uinlichen Ton,
in dem auf ilcv unteren .Abbildunij die ll;iuserLiiu|)[)e links, die- l!ur<^f rechts
sowic^ ein Teil dcv li;iunn' in der Mitte L;eiialten sind. In der obeicn /\1)-
teilnu!^ ist bi'äunlich <4ezeichnet di(; iWir^^rujJi'e rechts, sowie der am I\ande
rt"chts ansteiiii'nde 1 liiu^T Diese beidiMi 1 landzeichnun^en bilden mit dt;n
übi'iLjen im Museum befindlichen dc^sselben Meister eine hübsche Serie, die
einen lehrreichen hanblick in die Kunst I lubers L;ibt , dies(-s herxorra^t-nden
1 ,an(Nchaftszeichners. l'"s seien eiwiilint die 1 .519 ilat iei-te l-\'dci-zeichnunL; ln!_;ob
stat , eine lh"ichtii( aber ^(\s(duckt un'l ch.'irakteristisch gezeichnete .Silhouette
lies .Stadtbildes i I Idz. 2'M'>\\ , ternii' ll.iiiuist udien ;iiit i'otbr.aun L;etrjntem P.ipii-r
in i_;ell) und \\('ii's ^ehTihter |-"edcrzeichnunL; i 1 Idz. b7< i), Ljanz in dei' \\"eisc Alt-
doiMer'-. aber wdhl auch \dn 1 lubcr heiiiihrciid. auch .Schmidts .Xuloi'ität nei^it
^ich diesei- .Annahme zu i und endlich die ciitziickend feine bedcrzeicdinunii,
W, II. 1510 den .Mon(ls( i' darstellend i I Idz. ISi, eine der l)(>deiitendsten
und kiinstlerisch lier\ orraijcndsten 1 .andschait.-^zeichnunijen aus dem .XnfaUL^
— 55 —
des 16. Jahrhunderts (abgebildet bei Eye nntl Falke, Kunst und Leben der
Vorzeit 1868, 11 75) bereits unserem Meister zuj^^eschrieben. Wolf Huber war
uns bis vor wenigen JahrcMi nur bekannt durch seine im P. Behaim'schen
Manuskript von 1618 erwähntem Holzschnitte (vgl. Bartsch VII 485 Pass.
I 230. III 305. Wessely Repertor. VI 6]) W. Schmidt hat zuerst (Repertor.
XI 358) die teilweise datierten und geistreichen k'ederzeichnungen zu Budapest,
München, Nürnberg, Erlangen, Dresden und Berlin besprochen. Er hat die
früher dem Altdorfer zugeschrielxmen Platter herausgehoben und in ihrer Eigen-
art charakterisiert.
Weiterhin hat er das Werk des Meisters erweitert, er hat ihm den früher
Grünewald zugeteilten Christus am Krc;uze xon 1503 in Schieissheim zuge-
schrieben und endlich ein Altargemälde m der Pfarrkirche zu Feldkirch in
Voralberg, eine auch urkundlich bezeugte Beweinung Christi, bezeichnet W.
II. MDXXI, entdeckt (Kunstchronik N. F. IV. Sp. 46. Repert. XVI. 148).
Was mm unsen^ beiden oben mitgeteilten 1 landzeichnungen l)etrifft, so
glaul)e ich mit ukmucm- Zuschrcnbung an W^ Iluber der allgemeinen Aner-
kennung sicher zu sein. Aufserc; und innc^re Gründe s])rechen dafür. Das-
sell)e Naturgefühl, dieselbcMi stilistischen Eigenheiten, die Zeichnung der Berg-
konturen, die Behandlung des Baumschlages, die Strichelung der Schatten,
die auch von Schmidt ht,'r\()rgehol)en(.> zungenf(")rmig(,> Bildung des Ufers«
erscheinen mir aufserordentlich charakteristisch für Huber. Was das Datum
des 2. Blattes betrifft, so ist es, an und für sich undeutlich, in der Repro-
duktion noch etwas verunglückt. Ich lese es aber für 1510. Ist dieses Datum
recht, dann ist es für die Kunstweise Hubers immerhin sehr wichtig, da es
den auf dem ersten Blatte von 1520 ausgebildeten reifen Stil bereits im Jahre
1510 aufweilst.
Nürnberg. Dr. Edmund Braun.
Wissenschaftliche Instrumente im
germanischen Museum.
IV.
Bussoleinstrumente zu Winkelmessungen.
(M d(;n bisher betrachteten Instrumenten wurde die Gr(")fse (Um- Winkel
entwculer auf graphiscluMn Wege bestinuut, oder dadurch, dafs sie
als Ik'standteile \ on I)rcMi'ck(Mi behandelt wurden. Die InstrunuMite
fiir die letztertMi Aufnahuu'n waren zum reil mit (jradbogXMi oder Scalen
versehen, welche eine Messung clor Winkel nach (jraden ei'm(')glichten. Diese
Art dcv .Messung ist die \ crljreitt^ste. Die neucMcMi Instrumente, sowohl die
Theodolite, als die Si>ic,\gelscxtanten, erm(')glichen (MUcmi sehr hohen (ji-ad von
Genauigkeit tler Messung. Hier haben wir t>s mit älteren InstruuuMiten zu thun.
Winkel kcnmen entwedei- einfach nach ihrei" (jrrifse gemessen werdcMi
odvr CS k-ann zuglrich dii^ E-'\ge ihrei' Sc-henkel gegcMi eine« Ix-stimmte 1 lim-
nr)
nit'lsiichtuni; bestimmt weiden. Als solche wiid allgemein die Süd-Xord-
riehtuiiL; an;^eiiommeii, welche jedeizeit (hirch iWc Mai^netnadel <Tkannt werden
kann. l-"reilich sti-lU sich die Nonhiadel nicht aut (k'n Nordpol der hada.xe,
sondein auf den mai^netischen Nordpol ein, sie Liil>t also nicht unmittelbar
die Kichtuni.^' dei- l-adnuM'idiane , sondern die der ma^netiscdien Meridiane;
(li'iin der niai^MU'lische Noi'd]>ol tiilll bekanntlieh nicht nnt dem l-jdpol zu-
samnuMi. Man nt'nnt die /Abweichung.; der magnetischen .Meridiane von den
ideographischen die 1 )i-klination. l)ie excentiische I^aL;e des ma^n('tischen
Nordi)oles bedinj^t, dals diese Deklination bii' < Arte unier verschiedeneidSreitc^
oder Läni^e eint' \ i'i"schi(,'(k"ne ist. l'beidit's ist die Lai^e des ma^'netischen Nord-
poles keine testi', sonelern wechselt in lan^^^'n l'eiioden, so dals die l)eclination für
einen bestimmti'U Ort keine konstante ist. Sie wav beispi(ds\\ eise für Paris
im Jahre 1 5S() = 11" :i()' (•.stlich, 163:S = 0", LS14 = 22" 34' westlich und
nimmt seit dieser Zeit wieder ab. y\ufser dieser sa(xularcn yXndcM'uni,' der
Deklination macht die Nadel noch tätlich periodische Schwankuni^cn von
etwa (S RoL^aMiminuten. lAidlich treten zuweilen mai^nt'tische St(>riingen ein,
welche pl(")tzliclu^ Anderuni^en im Stande der Maqnc^tnadel mit sich brin^^en.
Alle diese Schwankun^fcn betMUträchti^en die (jcnauii^keit der auf der An-
wendung der Magnetnadel beruhenden Instrumente, welche man allgemein
als Bussolen-lnstrunuMitc bezeichntd.
Die Bussole, die I^üchse, in welcher sich die auf einer Stütze balancierte
Magnetnadel befindet, ist mit einem entweder nach (jraden odei- nach Stunden
geteilten Kreis verseilen. /\uf ihr(.M- (jrundscheii)e sind die I laupthimmels-
richtungen, gew<')hnlich auch die: Deklination, angegel)en und Süd oder Nord
fallen zumeist auf den 0 360" der Kreisteilung. In fester X'erbindung mit
der Bussole steht ein Dioi)ter, dessen Visierlinie entwed(M- die Drehungsaxe
der Bussole bezw. der Magnetnadel schneid(;t oder seitlich an ihr \ orüber-
geführt ist. Die Visierlinie ist einer der 1 lauptrichtungen der Kreisteilung
S. N. oder O. W. parallel
Dit- Winkelmessung geschieht in der Weise, dafs das Instrument im
Scheitel des Winkels aufgestellt und erst auf den tdnen, dann auf den
andercMT Winkelschenkel eingestellt wii'd. Bei dit'S(Mi lAnstellungen wird das
Diopter und damit der Xullpunkt der Kreisteilung aus dcv Meridianrichtung
herausgedrcdit, während die Nadel im magnetischen Meridian --tehen bU-ibt
und die fji"()fse des Winkels anzeigt, um welc-hen das I )iopter gedreht wurde.
l)ie Difterenz zweier /\l)lesungen ents])richt der (ü-rifsr (U's zu mt'ssendi-n
Winkels.
Idntache Bussoleninsti'umente wai'cn schon im 10. |ahi"luind(Ml , \iellei(du
ruich schon biiher, in AnwtMidun^. l'.inen solchen l-'eldmessei-kompafs be-
schieibt Paul l'tinzing in seiner .Ah'thodus geoinetric.i ].">'JN, deren < ha^inal-
hoIzstr)ckc das germanische Museum bewalu't ' i. Das Instianuent ( k ig. B^)
besteht aus ciivm in einem (]uadi"atisciien llolzstock- \ < in 1 3 ' _■ cm St-iten-
länge eingelassenen Kompafs nut Stunden und \']ertelsl undenteihing , an
iirii'lxn im l\at;ili i^; der I 1« il/sst Tick
■li lllltel- \r.
4:!.'
— 57 —
dessen einer Seite ein verjünc^ter Mafsstab angebracht ist. Dieser Kompafs
wird in ein Kästchen von \ii Fufs Länt^e so ein^^esetzt, dafs dessen Lang-
seiten der Südnordlinie des Kompafs parallel sind. Der Kompafs wird mit
einem Schiebedeckel bedeckt, auf welchem ein Notizblatt befestigt werden
kann. An der Seite des Kästchens ist eine drehbare Regel angebracht.
Pfinzings Traktat ist besonders dadurch von Bedeutung, dafs er einen
genauen Einblick in die Methode der Landaufnahme im 16. Jahrhundert ge-
währt. Er gibt an, wie die Ak\ssungen zu Fufs, zu Pferd und zu Wagen
ausgeführt werden und erläutert seine Ausführungen durch anschauliche Bilder.
Die Winkelmessungen werden alle aus freier Hand, d. h. ohne dafs das
Instrument auf ein Stativ gesetzt wird, vorgenommen, die Entfernungen
werden abgeschritten.
Der Feldmesser (Fig. 19), welcher eine Fläche aufnehmen will, stellt
sich an einem Endpunkt derselben auf, setzt den Kompafs an die Brust, er-
hebt die Regel und visiert nach dem nächsten Eckpunkt, hier einem Baum,
in der Weise, dafs die Regel, der Stift, auf dem sie, wenn sie geschlossen
ist, ruht, und der Baum in eine Linie kommen. Ist die Richtung einvisiert,
Fi«,'. 18. Fcldbussole von Paul rfinzini:
so sieht man nach der Stunde, welche die Nordnadel angibt und notiert diesc^
auf dem Notizblatt. Dann wird der Abstand der beiden Punkte alogeschritten.
In dieser Weise wird das ganze Grundstück Umschriften. Das Verfahren zu
Rofs ist das gleiche, bei Berechnung der Entfernungen werden die Schritte^
des rechten Vorderfufses gezählt. Der Schritt des Pferdes mufs gleich zwei
Schritten des Mannes sein, denn nicht alle WY^ge k'Hinen zu Pferd gemacht
werden, und der Reiter mufs alsdann absteigen und dic^ h^ntfcrnung abschreiten.
Man muis also ein Pferd verwenden, dessen Schritt sich dem des Mannc\s
vergleicht. Am Schlufs dieses Kapitels benun'kt Pfmzing allerdings, dafs
man bei keinem Feldmesser finden wird, dafs sie gänzlich auf den Schritt
gangen, ob sie schon bisweilen der .Meinung gewc^sen, so fallen sie doch
wieder auf ihre Ruthen, Schnur odtu' Grad und messen das Land nach der
Elle aus. Darum sind ihre Wege so scIuvcm- und unannchmlicli gewesen,
dafs ihrer viele darüber müde gtnvorden und ganz davon gelassen. <
Das Ergebnis der ersten Aufnahme sind die IIaupt])unkte und Linien
des aufzunehmenden Land(\s. Sind sie auf dem PapicM" (>ing(>tragt'n, so wird
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. VIII.
— 58 —
das Land c-in z\V('it(>s mal uni<^an((('n oder umritten und Gründe, Berufe,
Wälder, Deuter u. s. w. von der Hand und nach dem y\uL(en.scliein darein
L^t'risst-n. l'unkte, an welclie man nicht S4elant^en kann, oder solche, -da es
sich niclit gebühren will. L^ar liin zu reiten oder zu s^elu^n,*' wie ein hohes
(jtMicht, weiiK'U, wenn es auf L^rcjfsere (jenauis^kiMt ankonmit, mit dem Kompafs
tlurcli Messuni^ aus zwei Ständen bestinnnt.
\)\c Messuni4 mit einem W'as^uMi ist zu\erlässi^^er, als die zu Fufs oder
zu rferd. weil dcv Umfang;' des Rades stets vollkommen konstant bleil)t. Die
Fi;r. l',t. Laiiilaiifiiuhiiit.' mit ili-r F(l(lbu>si)le von I'aiil l'fiiizint.
Uni(lreluinL;(.'n des I\ad(>s werden durch einen Ijewe_L^un<{szähler, der auch als
Schrittzählei- für .Mann und R(jfs dienen kann, (gezählt. Im übrii^en ist das
Verfahren das L^knche wie zu Fufs oder zu Rofs.
Man sieht, dafs di(> Anff)rderunL(en an rlie Genauigkeit der AufnahmcMi
nf)ch S(;hr weit hinter denieni<^'en unst-rer Zeit zurückstanden. Die Aufnahmen
PfmzinLjs von den Nürnberger Pflei^^ämtern. der(;n mehi-ere im kt^i. Kreisarchiv
zu Xüi'nberL; xcrwahrt werden, bewcHscm indes, dafs das l{ri_;ebnis keineswe^^s
so mans^elhaft war, als wii' erwarten. Auch hätte sich die Methode nicht bis
zum Schluls des 16. Jahihunderts, also in eine Zeit, da sowohl genauere
— 59 —
Winkelinstrumente, als auch der Mefstisch schon in An\vendun,f( waren, er-
halten können, wenn ihre Ergebnisse allzusc^hr hinter den mit jenen histru-
menten erreichten zurückgeblieben wären.
Zum Auftragen der Aufnahmen verwendet Pfinzing entweder das Kom-
pafskästchen selbst oder ein besonderes Instrument, das mit einem Stunden-
kreis und Zeiger versehen an eine Reifsschiene angeschraubt werden konnte.
Genauere Ergebnisse lieferte die Aufnahme , wenn das Instrument auf
ein Stativ gesetzt und der Abstand der verschiedenen Standpunkte gemessen
wurde. So hat sich der Feldmesserkompafs oder die Eeldbussole in wenig
veränderter Form bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Wir besitzen einen Feld-
messerkompafs von Quillet in Paris aus den' zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts (W. J. 1049.)
Das Instrument besteht aus einem hölzernem Kästchen von 16 cm Seiten-
länge, in welches eine Magnetnadel von 106 mm Fänge eingesetzt ist. Der
Limbus ist von links nach rechts laufend in 360" geteilt. Auf der Grund-
fläche der Bussole befindet sich ein zweiter Teilkreis , der von Süden und
Norden aus in 4 Quadranten mit Gradteilung geteilt ist. Die Orientierung
geschieht nach dem magnetischen INIeridian. An der Ostseite ist ein Diopter
Fig-. 20. Planimetra nach Levinus Hulsius.
angebracht. Mittels einer Plülse mit Kugelgelenk kann das Instrument auf
ein Stativ gesteckt werden.
Hat sich die einfachste Form den- Feldbussole lang(> erhaltcm, so werdcMi
doch schon im Ausgange des 16. und in der Frühzeit des 17. Jahrhunderts
VcM-suche zu Umgestaltungen und Verbesserungen gcnuacht. Das Wink'el-
instrument des Andreas Albrcxht von 1625 ist im Grunde ein Hussoleninstru-
ment , ein anderes , auf welches ich bei der Besprechung jenes hingtnvic-sen
habe ist die Planimetra, welche Levinus Hulsius aus (]cnt gt\g(m l^ndc d(\s
16. Jahrhunderts konstruiert und 1603 in dem ersten Traktat dcv meclianiscln'n
Instrumente beschrieben hat. Das Instrument Planimetra (Fig. 20) ist eine
hall)runde Scheibe aus Holz oder Messing von 1 2 Zoll DurclmiesscM-, in \V(-lche
cnn Kompafs eing(^setzt ist. An d(mi I^urchmesser ist cm Fiin'al D 1'^ aus
Messing von 1 Fufs Länge, in 12 Zoll und diest^ in je 5 (lerstenköi-ner geteilt
und an diesem ein zweites um die Schraube? L drehbares Lineal 1. K. befestigt,
welches statt eines Diopters zum Absehen dient.
Zu denn Instrument gehiut ein Stab \(»n 4 Vu\s Läng(\ w(4chcM- unti-n
mit eintM- t>isernen Spitze, oben mit einem kleinen ürettchen MMsclu-n ist.
60
Uc\ der Aufnahnic wirtl dtM- Stab in die Erde L(e.st(xkt und das InstiiuiKMit
auf das I^ix-ttclicn i^idoi^n, womit (\s zur Aufnahnu' fertig' ist.
Vm dit' Planiiurtra aucli zur Mcssuni,' xon I I(")hrn verwenden zu kcinnen,
ist auf tler Rückseite ein L^^eonietrisclies Quadrat angebracht und dcM' Unifan^^
(k's HalbkrcMses in (}ra(k> i^^etcMlt, von ck-r Mitte nach links 0 — 90, nacli rechts
360 270, Wird nun ckas Instrument in vertikakn- l\ichtuni{ an ck-m Stab
beft.\sti_L;t, so kcumen mittels des Lotmafses auf dem Quadrat I kihen bestinunt,
untl es kann durch H(>obachtunL,^ der Stellung* des Lötens auf dem geteilten
Umfang nivelliert, sowie die Höhe der Gestirne über dem Horizont abgelesen
werden.
Die Operationen zur Messung von horizontalen Winkeln sind di(>selben
wie bei anderen Feldbussolcn. Auch zum Auftragen der Zeichnung kann di(;
Fiy. 21. Feldnierskoiiipars aus der Frülizeit des 18. .lahrhuiiddits. W. .1. 172.
Planimetra benützt werden. Hulsius beschreibt aber unter dem Nanum In-
ductorium auch ein Zulegeinstrument , das (k;m des Paul Pfinzing nachge-
gebild(.'t ist.
Es leuchtet sofort (mu, dafs auch die Planimetra noch c\n ziemlich un-
vollkommenes InstruuKMit war, mit welchem eine grofsc^ Genauigkeit nicht er-
zielt werden konnte. k]!in Mangel ist der, dafs sie keinen festcMi , mit dem
Scheitel des Winkels zusammenfallenden Drehpunkt hat, ein anderer, der
auch den obc^n beschriidn-nen h'eldbussolen genunn ist , dafs die Visierlinie
exzentrisch liegt, d.h. dafs sie sich mit der Drcdiungsaxe d(M- Magnetnadel
nicht kreuzt. Die ('beistände^ welche die (exzentrische Eag(^ der VisitM'axe
zur k\)lge hat, sind schon bei 15esprechung des VVinkelinstruuu'nt(\s des y\n-
dreas Albrecdit er(»rt(n1 worden.
61
Diesen Übelständen wurde in der Fol^^c^ ahi^eholfen. Das germanische
Museum besitzt einen Feldmesserivompafs aus der Frühzeit des 18. Jahrhun-
derts W. J. 172 (Fig. 21). Auf einer rechteckigen Alessingplatte, welche mit
einer Hülse auf ein Stativ gesteckt werdcm konnte, ist eine Bussole von 10 cm
cäufserem Durchmesser mit eini'r Magnetnadel von 6' 2 cm Länge befestigt. Der
Teilkrcns ist in 360 (jlrade geteilt. HruchteiU; von solchen kcmnen noch bis
auf ungefähr ein Viertel eines Grades geschätzt werden.
Seitlich ist ein Halbkreis von FS cm. Durchmesser angebracht, an welchem
sich zwei Diopter befinden. Das eine dient zur Messung von horizontalen
Wink(^ln und seine Axe kreuzt die mit dcv Drehungsaxe des Instrumentes zu-
sammcnfalU^nde Axe der Bussole. Das andere steht über dem Halbkreis und
seine Sehaxe ist dem Durchmesser desselben parallel, es wird bei H(')hen-
messungen angewandt.
Der Flalbkreis ist mit einem Lotmafse versehen und von der Mitte aus
nach beiden Seiten in 90 Grade geteilt. Eine zweite Teilung nimmt von dem
Fig. 22. llängekoiuiKifs von .Viidreiis Wolf in München, zwritu JliUl'te des 18. .laliiliiindri-ls
W. J. 845.
Nullpunkt aus nach beiden Seiten einen Winkel von 76 Grad ein. Diesc^ Tei-
lung (in 40 Teile) ist eine Übertragung der Teilung des geometrischen Qua-
drates auf den Kreis.
Ein zweites Instrument W. J. 845 (1^'ig. 22), bei welchem die Ablesung
gleichfalls unmittelbar an der Bussole \orgcMiommen wird, ist ein Hängc^kom-
pafs, wie solche in den Bergwerken Inmützt werden. Das InstrunnMit ist xon
Andreas Wolf in München wohl in dcM" zweiten Hälfte dc>s 18. Jahrhunderts
gefertigt. Die Ihissole ist in zwei Ringen aulgehängt und stellt sich von st'lbst
horizontal. Der äufsere Ring ist \'om I lorizont aus in 4 Quadranten zu je
90" geteilt. Die Bussole^ trägt StundcMiteilung von 0—24. jcule StmiiU- ist
in 8 Teile geteilt.
Die Messung mit d(Mn 1 längc-kompafs wird in di-r VWmsc- xorgiMiommtMi,
dafs Schnüre in der Richtung der \Vink(4sch(Mikc4 ausg(\si)annt wc-rden, imd
dafs das Instrument an diese Schnüre^ L^ehänut wird. Die DitU'renz der Ab-
-- 62 -
I('^iinL;c-n (MLjilit dir riicMsc des Winkels. UniL,U'k(dirt kann ('in(> bcstimintc
Kichtim^ aliL;istt'(kt wcnhMi, wenn man die Schnur an cincnn Fixpunkte hc-
li'stiL;!, das Instiuiucnl autliäuLjt uml das freie k!nde der Sclinur solauL^e hin-
und liertx-wc's^t , bis die Nadel auf die vorlierhestinimte Richtun^^ einspielt.
1 )ie luissele kann aus den Kinnen lierausi(en<iuunen und in cMue mit Dioptern
xcrseluMU^ l'latte, wehdie wiedcM' auf t'iner s4r<')iscM t-n recht(xkiL(i>n Platte ruht,
eiuL^elasscMi wenU'n. /\uf der (ilxM-en Platte ist um die Oftnun^' für die I-)Uss()le
t'in Kreis eins^e/eichnet, i\cy von der X'isierlinie .aus in Ouadranten zu 90"
i^ettalt ist.
Das Instrument kann in di(\ser k'orm auf einer Fläch(> helfend zur Winkel-
uiessunL^f, sowie' zum /\uftrai.,U'n der gemessenen Winkel (als so^^enanntes Zu-
let.,U'zeuj4) lienützt werdtMi.
VÄn cähnliches Instrument mit Stundentcnlun^, von 1668 ist unvollständig,
es ft'hlt die 1 Län^H'\-orrichtunt(.
(Fortsctzunt^ folfjt.)
NürnberL^ Gustav von Bezold.
Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom
Beginne des 18. Jahrhunderts.
(Mit 14 Tafeln.)
(Fortsetzun«^.)
Die Küche (Taf. IX).
fC¥r?>w-^ic t^n-ofse i^'eräumigc; Küche zeigt rechts das \iercckigc Fenster mit
J')\^h^y^ den runden verbleiten Scheiben, welches in das soeben besprochene
]^^3^^tt^ Wohn-, auch P^fs- und Arbeitszimmer führt. Der Boden kst mit
([uadratischen Steini)latten gepflastert, die I3eck(^ getcäfelt, die W^ände sind
wohl als weifs oder gelljlich getüncht anzusehen. Aufser dem erwähnten
kleinen P'enstcr, das in das Zimmer führt, hat die Küche noch zwei gröfsere,
von denen aber das (nne hall) vermauert ist, so dafs dieser Raum für seine
Cir<")fse eigentlich nicht sehr viel Licht hat. f3as wichtigste Stück der Küchen-
einrichtung ist der gemauerte Herd mit seinem mächtigen Alantel , durch
welchen der Rauch abzieht. Gar lustig brennt das Ferner, um die Speise,
die sich in der Pfanne befindet, welche der Pfannenhalter an der Wand trägt,
/.]\ bereiten. Auf dem Herd befindet sich an der Wand ein gemauerter Auf-
satz, der wohl zur Bereitung \'on Backwerk dient. Ivs scheint, dafs ein
eisei-ucs l\(ihr den Rauch aus dem Ofen, der im Zinuner nebe-n dem mehr-
ei-\\;dmten l-'enster steht, in den Schlot leitet. Auf (U:r Herdplatte liegt eine
eiserne Zange, in dem flogen untei' dem Heide Brennholz. L^m den Schlot-
inantel gehen zwei hrilzerne R.'ihmchen, auf welchen allerlei fjeschirr steht.
Das grc'.lste .Möbel der Küche ist der .an der gegenüber lic^genden Wand
stehende ni(^diige einkiche Schrank mit zwei grofsen Mügi'ltliiiren , dessen
l'.eken abgeschrägt sind. in dit;sem Schrank wirtl wohl besseres Gc'schirr,
— 63 —
das man nicht alle Tag benützte, aufbewahrt worden sein. An der dem Be-
schauer zugekehrten schmalen Seite des Schrankes hängt ein rechteckiger
eiserner Rost mit vier Füfsen und hölzernem Handgriffe, der zum Braten der
Bratwürste gedient haben dürfte. Auf dem Schranke stehen, an die Wand
gelehnt, einige runde Platten mit Handgriffen, einige kleinere Platten ohne
solche, dann eine viereckige Pfanne, ferner einige kannenähnliche Gefäfse
ohne Henkel, ein Hafen, ein Krug und wie es scheint, eine ovale zinnerne
Wärmflasche, wie sie in Süddeutschland heute noch in Gebrauch ist.
Neben dem Fenster, das in das Zimmer führt, steht ein Anrichtetisch,
auf dem in friedlichem Vereine eine zinnerne Schraubenkanne, ein Becher
und ein Blasebalg sich befinden. Unter demselben stehen auf dem Brette
zwei kupferne Kannen, ein Krüglein und noch einige Gefäfse, auf dem Fufs-
boden ein Kehrichtfafs und eine Mausfalle. An der P\ifswand der Anrichte
hängt ein Hammer und eine Bürste; in dem Winkel, den dieselbe bildet,
lehnen Besen und Schaufel, für welche die Nürnberger »Haufs-Halterin,« wie
nachstehend zu ersehen ist, besondere Behälter anführt. In der andern Ecke
lehnt die Ofengabel, nnt welcher Töpfe in das Feuer gestellt oder aus dem-
selben geholt wurden. An Mobiliar ist noch zu erwähnen ein grofser Geflügel-
käfig, der nicht unbelebt ist, und eine ziemliche grofse Bank mit geschweiften
Beinen, auf welcher — ein seltener Gast in der Küche — ein Mann mit
einer Tabakspfeife in der Linken, den linken P'ufs auf einen viereckigen Klotz
gestützt, sitzt. Was hat dieser Mann in der Küche zu thun.^^ Vielleicht hat
er sich eine Kohle auf den Tabak seiner Pfeife gelegt und ruht nur einen
Augenblick aus. Die Küche ist kein Aufenthalt für Männer. Nach Alwin
Schultz ^'^) bindet die Köchin dem Manne, der sich unbefugt eindrängt, die
Küchenschürze — in Augsburg Küchen-Fürfleck, in Nürnberg Küchenfleck
genannt — um, und er mufste sich mit einem Trinkgeld loskaufen. Ebenso
machten es die Scheuerweiber, die den Mann, der in ihr Bereich kam, mit
Stroh banden. Der Korbmacher, der weiter hinten einen Korb ausbessert,
hatte ein solches Verfahren nicht zu befürchten ; seine Arbeit gab ihm ein
Recht zum Aufenthalt in der Küche. Die dritte Person, die sich hier befindet,
ist die Köchin, die im Hintergrunde, am Gofsstein (Ausgufs) vor dem Küchen-
fenster, mit dem Spülen (Scheuern) des Geschirres beschäftigt ist. Zu ihrer
Rechten steht ein hölzerner Kübel, zu ihrer Einken stehen zwei Fässer; vor
ihr läuft zwischen den zwei Fenstern eine Bank, bezw. ein schmaler Tisch.
An dem Pfeiler zwischen den zwei Fenstern hängt oben ein Bund Lichter (.?),
darunter zwei Schüsseln mit Griften, \ielleicht Spülschüsscln ; an dem zuge-
mauerten Teile des linken Fensters ist ein L()ffelrahm mit acht Löft'eln ver-
schiedener Art.
Betrachtet man das übrige Geschirr, mit dem dic^ Küche ausgcM'üstet ist,
so sind zunächst an der Wand, die mit dem Zimmer gemeinschaftlich ist,
vier Pfannen mit langen Stielte, wohl aus Messing, anzuführen. Darunter
hängen eine Lichtputzscheere und zwei L(>uchter aus Messing oder Kujjfer
16) ;i. a. O. S, 14<) und 14().
— 64 —
mit Kcr/cn. tMn SpülhacUMn (Sclu'ucrlapjx-n) und c\nv ijrofso Spülschüsscl,
dir in der Gc^UMiwart miMst aus IMccli ist. Auf dem Schlotmantel habt;n
Häfen \H'rsclii(,'dentM- Gr(')fse, 'ric'_i,U'l, Krü^e mit Deckeln und anderes mehr
Platz tfefuntlen. Cber dem Schranke^ rechts finden sich zwei Reihen von
/inniMuen 'l\Ml(Mn, Schüsseln und Platten und einige kupferne Backformen,
darül)er ein Satz von acht th(")ncrnen, gewundenen Krügen, wahrscheinlich
dunkelblau glasiert, mit Deckeln. Daneben stehen wieder zwei zinnerne
Tiegel mit Deckel und noch ein Deckelkrug. Ganz oben hängen verschiedene
Lebensmittel: einige Schinken, ein ballonartiger Korb mit unbekanntem Inhalt,
ein 1 läse und zwei Bündel kleineres Geflügel , wahrscheinlich Feldhühner.
Ihnen schliefsen sich noch drei Schüsseln mit Plandgriffen an, jenen beiden
gleich, welche an dem Fensterpfeiler hängen.
So hübsch die Küche ausgestattet ist, so würde die Köchin, welche
anfangen wollte zu kochen und zu backen, doch recht viel vermissen; es
konnten eben die Kleinigkeiten, welche zur Ausstattung einer Küche gehören,
nicht alle auf der Zeichnung angebracht werden. Was man damals aber zur
PZinrichtung einer Küche für notwendig erachtete, sagt ausführlich die Nürn-
berger Uaus-Halterin«, die zum Schlüsse der nachstehenden Mitteilung auch
der Prangküchen gedenkt, die in Nürnbergs bessern Häusern der Stolz der
Hausfrauen war. Sie schreibt über die Küchen: »Von einer wohl-gebauten
Küche wird vornemlich erfordert, dafs sie nicht allzu weit von der Efs-Stube
entfernet seye, damit nicht im Winter das Essen, wann es so weit getragen
werden mufs, kalt auf den Tisch gebracht werde, sie soll weit und hell seyn,
rings um mit niedern Behältern umgeben, und einen kleinen Kämmerlein zu
Besen, Spiel-standen und dergleichen Gezeug versehen seyn, einen grossen
und breiten Herd, weiten und wohl-geführten Schlot, so nicht rauchet, und
zu Aufhäng- und Dörrung des Fleisches dienliche Eisen, wie auch sowohl
um den Schlot innwendig einen hölzernen Rechen die Häfen daran zu hangen,
als auch auswendig und an allen Wänden kleine Rähmlein haben, allerley
Zien-Geräthe darauf zu stellen, oder die Pfannen auf zu machen, nicht w'eniger
hier und dar verzierte Schrauben, die so zicncn- als kupferne Becken und
Näpfe daran zu hängen.
Das Zien-werck bestehet aus Hand-beckcn, und dazu gehörigen Auf-
güssen, allerley Gattungen von grofs- und kleinen, flach- und tiefen Schüsseln,
Bratens Dellern , gemeinen und nach jetziger neuerfundenen Art mit Ein-
giessung warmen Wassers, sehr bequemen Wärm-Dellern, Wann- und andern
zu manchcrley Gebrauch insgemein dienlichen Becken, Fisch- und Schwanck-
Kesseln, aus Kannen, Krügen und Flaschen, unterschiedlicher Art Leuchtern,
Schüssel -Ringen. Saltz-P'ässern , Pasteten -Tiegt>ln, Pasteten -Blechen, Thee-
Kann(>n etc. etc.
Von .Messing hat man in der Küche grofs- und kleine Mörser mit
ihren Pistillen und Stämijfeln , Leuchter und Putz - schet-ren oder Liecht-
--chneutzen, Kessel und Pfannen, (jlut- und Wärm-Pfmuen.
Von Kujjfer, Wasser- Häfeii, Sch(")pf- IkU'c-n, einwendig wohl v(M-zient(>
Kdclid läfen und Stiitzeu, Schwanck- und KüliLKessel . samt (Umhmi tlazu ge-
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— 65 —
hörigen Schwanck - Brettern , Fleisch -Schäffern, Seyer, Salat -Sieblein, Spiel-
Ständen. Butten und Stüzcn, Brat-Pfannen, Meel-Kübelein, Mülterlein, Kohl-
und Glut -Pfannen, Bett -Wärmer, Dorten- Pfannen, Schärtlein zu kleinen Pa-
stetlein und allerleyBach-werck, grofs-und kleine Becken, sonderlich auf Muschel
Art getriebene Becken, die so genannten Gogel-hopfen darinnen zu bachen,
Schüsseln , und dergleichen , welches alles einwendig wohl verzinnet ist. Zu
geschweigen, dafs die meinste Ausgufs in denenen mehresten hiesigen Häusern
aus Kupfer bestehen.
Das Eiserne Kuchen-Gerät he ebenfalls zu benennen, sind selbiges
die Bräter oder Braten-wender, und entweder hier zu Land Feder-Bräter, oder
Zug- und Gewicht-Bräter , samt denen dazu gehörigen , wie auch allerley
Arten von Hand-Spifsen also genannt, weil man sie mit der Hand umdrehet;
theils Orten werden auch die Bräter von Hunden umgetrieben: Man hat von
Eisen-werck in denen Küchen beedes Brat-Pfannen und gemeine Pfannen, Glut-
oder Kohl-Pfannen , Schüssel-Ringe , gemeine und aufgebogene Stirzen zum
abbräunen, Rost, tiefe Traif-Löffel, löcherichte Faim-Löffel, flache löcherichte
Bach-Löffel, Fisch-Reisten, Hack-messer, Fleisch-parten, Bratwürst-Zänglein,
Fisch-Schäufelin, Schmaltz-stecher,Spick-Nadel, Leuchter und Liecht-schneutzen,
Feuer-zeug, Feuer-Zangen, Feuer-Hacken, Pfannen-Knechte, Dreyfufs, Ofen-
Gabeln, Ofen-Schäuffclein.
Von Holz-werck Koch-Löftel, ein Hack-bret, Dellcr, samt dem dazu
gehörigen Gestell, tiefe Schüsseln, allerley Fleisch- uud Fisch-Bretter, Mülter-
lein. Gewürtz-Büchsen , Spül-Standen , Schäffer, Ständlein, ein Kehrig-fa(s,
Kehr-wisch und Kehrig-Schaufel samt einen Ofenrohr: Allhier in Nürnl)erg
haben theils Frauen eine grosse Freude mit besondern Prang-Kuch en ,
darinnen niemal gekochet, sondern das Gerethe nur allein zur Zierde und
Gepräng aufgestellet wird, da siehet man nichts von Eisen noch Holtz,
sondern es mufs alles von Zinn und Messing schimmern und gläntzen, auch
sogar der Besen-stiel und das Kehrig-fafs von Zinn gemachet seyn, ob man
nun davon nicht füglicl sagen möchte: Wozu dienet dieser kostbare Unrath.i^
lasse ich andere davon urtheilen.«
Auf unserer Darstellung der Küche befindet sich links, neben dem halb-
gemauerten Fenster, eine Thüre, die offenbar in die
Speisekammer (Taf. X)
führt, deren rechts befindliche halb geöfthete Thüre mit der 11üire in der
Küche zusammenfällt.
Die Speisekammer macht einen rcxht angenc-hmen ]{indruck; der wohl
ausgestattete Raum läfst auf gute Yermög(Mis\ eiiiältnisse und eine tüchtige
fürsichtige Hausfrau schliefsen. Gar stattlich prästMitiert sie sich in dem-
selben. Hier ist ihr wohl. P2ifrig ist sie — unterstützt von ihre)- Tochter —
bedacht, die Vorräte zu ergänzen und dafür zu sorgen, dafs ik>r richtige
ZcMtpunkt hiefür nicht \(U'säunit wercU^
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. IX.
-- 66 -
Durch zwei l'\nist(M- in (1(m- Art der übris^uMi fällt Liclit in di(^ Speise,
der(M"i [''urslxulcn urid Decke s^ehrettert ist. Dinks vorn steht ein Kasten mit
ScIiubladiMi, wi'lclu" Iliilsenfrüchte und Mehl I)t;rL,^(-n. An der vordem Seite
desselht-n hautet ein Netz und cmu Jiratspiefs. Auf cUmii Kasten sind Scnfen-
stiicke auf^eschlichtc^t und steht c'mc Platte mit 1^'ischen (r). An der Wand
liäUi^iMT zwei W'iirste und zwei SäckchtMi, welche^ wohl Kräuter enthalten. In
di'm darüber bi'tindlichen \Vandschränkclu;n mit Doppelthiuen bewahrt die l*"rau
des 1 lauses wahrscheinlich (jewürze , iMUL^emachte und j.,fetrocknete l''rüchte
um! antlere Ljute SacluMi , durch w(dche sie ihren Speisen (M'höhten Wohlge-
schmack zu verleihen weifs. An der Seite häns^t ein Reibeisen; auf dem
Scliranke steht eine Schüsse;! mit Krug und ein Haspel zur Abnahme des
Garnes xom Spinnrad. Darüber hängt an der Wand eine eiserne Bratpfanne.
Gar stattlich erscheint n(>ben diesen Schränken ein grofses Repositorium,
welches unten das Kssigfafs, daneben ein anderes Fäfschen und einen augen-
blicklich nicht benutzten Hühnerstall enthält, während in den vier ober Bor-
den grofse Schüsseln und [Matten aus Zinn und buntbemalter Fayene, mäch-
tige Krüge und Kannen stehen, welche nur bei festlichen Gelegenheiten diesen
Raum \erlassen, um die Tafel zu zieren. Auch ein Mörser, Tiegel mit Deckel,
Töpfe u. a. sind hier aufgestellt. An der Seite hängt ein Eimer, wahrschein-
lich aus Kupfer . vielleicht fih' Fische. Zwischen den beiden Fenstern ist in
die Wand ein Schränkchen eingelassen , in welchem Gläser , darunter solche
in Römerform, sich befinden. Unter dem Schränkchen hängt wiederum ein
gestricktes Xetz und steht ein Brett , an die Wand gelehnt. Links davon
stellt ein Bratspiefs, rechts ein Tritt mit vier Stufen, um zu den hochstehen-
den oder hängenden Gegenständen gelangen zu können.
An der rechten W^and hängt an dem Pfeiler neben der Thüre ein Seiher
— wohl aus Kupfer — mit langem Stiele. Die übrige T>änge der Wand
nimmt eine Anrichte ein. Unter der Platte derselben hängt zunächst ein
Salzfafs, dann findet sich ein sehr grofser llaf(.;n aus gebranntem Thon und
zwei hölzerne Kübel, welche Butter und Schmalz enthalten dürften. An der
Seitenwand der Anrichte hängen cMue runde Pfanne mit Stiel und ein eiserner
rechteckiger Rost, l'ber der Platte hängt vnn der Decke an eiserner Kette
eine ziemlich grofse Wage; heral), um das (jewicht der angekauften Vorräte
j)rüfen und (Jie zur Bereitung der Speisen notwendigen Mengen al)wiegen zu
kcjnnen. Auf der Anrichte stehen Cj(n\ichte, die Spitze eines Zuckerhutes,
eine angeschnittene runde; Scheibe (Käse; od(.M- Salz) und ein Krug mit Henkel
und Ausgufsröhre. Auf den Rahmcm über der Anrichte stehen Krüge verschie-
dener h\)i-m, wahrsclieinlich für P'ruchtsäfte, Ole u. s. w. Finks davon hängen
zwe'i runde Platten, rt'chts ein 'J'richter mit langem Stiele und ein Lichter-
krtrbchen, sowie zwi'i Pjüschel Unschlittlichter, daiiilx-r zwei geflochtene Körbe
verschiede'uer Form, Schliefslich ist noch zu ei-wähnen, ein getl(.)chtt:ner seich-
ter r(.-chteckiger Korb, der nebst einer Schüssel auf einer Bank vor der P'rau
des Haus(;s steht, ein hülischer rundcM' Tisch, der eigentlich besser in ein
Zimmer jjalst. mit einem Korb \-oll Früchte, einer Krume und einem nmden
llolzteller mit zwe! uuiudgerecht gemachten BriUchen und oben an der Deck(>
^ 67 ^-
ein an drei Ketten hängender kronleuchtcrartiger eiserner Kranz, welcher ein
halbes Dutzend sicher delikater Schinken trägt.
Die Nürnberger »Haufs-Halterin« ergeht sich in sehr ausführlicher und
lehrreicher Weise über die Speisekammer. Sie hält neben der Speisekam-
mer eigentlich noch ein Speisegewölbe für notwendig, > wiewol die Unbequem-
lichkeit der Häuser offtermals eine kluge Haus-Mutter nöthigct, aus beeden
eines zu machen, oder wohl gar einen besondern S})cifs-Behalter verfertigen
zu lassen.« Ihre weiteren Ausführungen, die öfter mit unseren Darstellungen
übereinstimmen, lauten folgendermafsen :
»In der Speifs-Kammer, welche nebst der Küchen, und den gewöhnlichen
Wohn-Zimmern , auf einer Ebene scyn solle , wird der kleinere , in dem Gc-
wölb aber der gröffere Vorrath aufbehalten : Zu solchem Ende siehet man in
denen Speifs-Kammern eine gewiese Anzahl Schubladen mit allerley Zugemüfs,
von Einsen , gantzen und gcrendelten Erbsen , gekncuten oder abgebälgten
Hirfs zum kochen, gantzen Hirfs und Wicken zu Mästung der Tauben, Weitzen
vor die Hüner, Heydel, Grob- und Klarer Gersten, Reifs, Schönen Mecl und
Mettel-Meel, allerley dürren Obst, als Zwetschgen, Aepfcl- und Birn-Schnitzen,
wie auch mit Saltz ctc angefüUet : Ingleichen etliche noch andere Schubladen,
zu denen Unschlicht-Eiechtern.
Es gehören herein etliche zinnerne oder auch nur höltzerne Büchsen,
zu den gestossenen Zucker und gemahlenen Gewürtz , als Ingwer , Pfeffer,
Negelein , Cordomomen , Saffran, Nuscaten-blüh , deren letztere nicht viel auf
einmal gcstossen werden solle ; die Muscaten-Nüsse und das Zimmet im Vor-
rat gar nicht, wiewol man sie gleich wol in dergleichen Büchsen annoch gantz
in die Speifs-Kammer zur Hand zu stellen gewohnet ist.
Nebst denen zinnernen Gewürtz-Büchsen, hat man auch in den Speifs-
Kammern zinnerne, oder in Ermanglung derselben, erdene Butter-Tigel , so
wol zur frischen Koch- als auch eingesaltzenen Butter, wiewol diese letztere
in i;rdcnen Geschirren weit besser aufgehoben wird : So soll man auch von
frischen Schmaltz und guten Baum-Oel allezeit etwas in der Speifs-Kammer
bei Händen haben , damit man nicht defshalben jedesmal in das Speifs-Ge-
wölb oder den Keller zu lauffen gcncithigt seyc : Und weil di(^ Speifs-Kammern
auf den Seiten gemeiniglich um und um mit Rähmlein \ ersehen, als pfleget
man sie mit allerley Gattungen , grofs- und kleinen , tief- und flachen aus
Porzellainen gemachten Schalen , zu luancherley (jcbrauch zu besetzen , und
die noch übrige leere Wand mit allerley Sorten \on l\(")rbcn zu behängen.
Auf den Gesimsen stehet die Saife in xicreckichtc^ Stücke geschnitten
aufgestellet , damit sie desto besser ertrocken, wie auch etliche Schachteln,
voll gedörrten Maurachen oder Morgeln, (Champignon, aufgetrockneten Spargel
und Artischocken-Kernen, diirren 1 liefen oder I lagen-butten , \\\'ixeln. Prü-
nellen oder auf dergleicluMi Art zugtM-ichteten geschc-lten Pllauinen und Zwetsch-
gen, dürren Eorbc>er(;n, MajcM'an, Salbe\', Rosiuai-in, dann unel wann zu aller-
ley Brühen und Sosen zu gebrauchen; die ülMige noch \i:cvc Simse werden
mit Zucker-hüten besetzet:
- 68 —
Vhcv dieses alles L(eh()ret noch in eine Speifs-Kaninicr, ein t^utes Schnitt-
Messer, das Gewürtz und antlere harte MateriaHcm damit zu schneidern, eine
Gewiirtz-Mühl , s^rols- und kleine Walcher-h(')lzer , Pasteten- und Raviolen-
Rädlein, ht^lzerne Spritzen, mit ihren dazu gehcuii^fcn StcM-n, wie auch allerley
Mcklel und l'\)rmen zu unterschiedlichen Bachwerck, vor allem ahc;r ein(.> gute
Waai^f und richtit^es \voh!-abi4eeigt(\s Gewicht.
Das Speirs-(jew(')lb umls von allen diesen jetzt-heschriebenen, mit cMuen
weit gr()ss(Mn Vorrath , und noch mit vielen andern Sachen dazu versehen
seyn : und solchem nach die fleissi^^c Maufs-Alutter ausrechnen, was sie das
lahr über beyläuffig von diesem und jenem zu verbrauchen n(")thig habe, und
so dann im X^^rruth zu rechter Zeit , wann es gut und wohlfeil , nicht aber
annoch rar und teuer ist, einkauffen lassen.
Was das Zugemüfs betrifft , (dafs wir bey der in der Speifs - Kammer
gehaltenen Ordnung bleiben) gehöret solches samt dem Mehl nicht hierein
in das Speifs-Gewölb, weil man gar selten so trockene Gewölber findet, da-
rinnen sie sich nicht patzen, anlauffen, und so dann einen widrigen Geschmack
anziehen sollten : sondern an einen trockenen Ort , in eine Neben-Kammer,
oder aber in einen besondern Verschlag oben auf den Boden , w(jhin man
auch das in grossen mit Schlössern verwahrten Stübichen oder \'ers];)errten
Truhen befindliche dörre Obst setzen, und als einen guten und nützlichen
Vorrath aufbehalten kan.
Haubtsächlich aber gehören in das Speifs-Gewölb etliche Scheiben mit
Saltz, welche man aber nicht so blofs auf den Erd-boden, sondern auf ein
paar Scheiter-Holtz stellen solle, dafs sie unten hohl stehen, und das Saltz
nicht flüssend werde und ausrinne. Die Unschlicht-Liechter soll man Centner-
weifs, sonderlich wo ein aus vielen freuten bestehendes Haushalten ist, bey
Händen haben, und so wol dicke, mittelmässige als dinne fein sortirt, in einen
alten Schranck, oder \or den Mäusen wohl-verwahrten Küsten aufbehalten.
Das Gewürtz gehöret in Schachteln oder Säcke, und mufs man sonder-
lich den Saffran wohl verwahren, zu w'elchen viel verständige Frauen etliche
kleine Zwiebeln zu legen gewohnet sind, und glauben, dadurch zu verhindern,
dafs er nicht so stark verrieche; ich bin aber versichert, dafs die Zwiebeln
allein wenig helffen würden, wann man nicht den Saffran erstlich in einer
trockenen Rinds-Blase oder ledernen xestverbundenen Sack, und so dann in
einer bl(;ycrnen Büchse oder geheben Schachtel zugknch \erwahrete.
Der Zucker gehöret nicht weniger in versperrte Küsten oder Fässer,
weil der Katzen Lecker-ljifslein, die gefrässige Mäuse, selbigen sehr gefähr
sind, uncJ die Hüte so künstlich auszuhöhlen wissen, dafs das blaue Papic^-
mit s(-incn ]'\ad(_'n umbunden, un\errucket stehen l)leil.)ct, nicht änderst als ob
der Zucker annoch unversehret darinnen bc^findlich wäre: Das luaum-Oel
wird in zinnernen weitem, und iriit dazu geh<>rigen Deckeln versehcmen vStän-
d.cin, das frisclic ausgelassene Schmaltz aber am bestem in besonderen aus
k.iclicn-I loltz giiiiachten, und mit Raifen \'on dem Bettiger oder ISüttnen- wohl-
gcl)und(-nen Kübcdn und k^äfslcMn aufbehalten. Der Ihitter-Vorrath hingegen.
so wol der frischen als gesaltzenen , gehciret besser im Keller, wiewol ich
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denen keinen Fehler beizumessen gesonnen bin , so sie mit in den Speits-
Gewölb aufzubehalten gewohnet sind: Eben dieses verstehet sich auch von
denen, so in Saltz-Wasser als Essig eingemachten Gurcken und Kümmerlingen,
Cappern, Oliven, Kühn-Schroten oder Genister-Spröfslein, Spargel, Artischocken,
Wegwarten, Stachelbeeren, Rothen Rüben etc
Hieher gehören auch allerley in Zucker eingemachte Sachen und Säffte
welche in starcken und weiten Zucker-Gläsern, oder aber steinernen Tiegeln
aufbehalten, und entweder nebst denen vorbenannten in Essig eingemachten
Früchten, in einen besonders dazu zugerichteten Behalter verschlossenen, oder
aber in gewiese Repositoria ordentlich mit angcklebt(Mi Zetteln, was in jeder
Büchse enthalten seye, aufgestellet werden, damit man nicht lange nach einem
und dem andern zu suchen habe.
Insonderheit werden in dem Speifs-Gewölb aufgehoben allerley Fisch-
Waaren, als marinirte und eingemachte Fische, oder, nach dem es an der
Zeit ist, Pricken oder Neunaugen, Heringe, so frischer, als gesaltzen- und
geräucherter Lax, Picklinge, Plateifs und Halbfische, Stockfische, Laperdon etc.
Oben an der Höhe defs Speifs-Gewölbes findet man gemeinlich grosse
eingemauerte eiserne Hacken und Ringe, zu dem Ende, dafs man an selbige
hölzerne, mit groben Tuch überzogene Gehäuse, um Käse, Butter, und andere
dergleichen Sachen , vor den Mäusen und Ratzen zu verwahren , anhängen
könne, oder auch runde weite um und um mit krumm-aufgcbogenen Hacken
versehene Fleisch - Ringe , das gedörrte und aufgeträgte Fleisch , Zungen,
Schincken etc. daran zu hangen : Wo man das Brod im Hause zu bachen
gewohnet , hat man in den Speifs-Gewölb auch eine besondere Brod-Hänge,
worauf man die Laibe zu legen , nach und nach hinauf zu tragen und zu
essen pfleget. '<
Wie aus diesen Mitteilungen zu ersehen, erfüllt in unserem Hause der
Keller manche jener Aufgaben, welche nach der »Haufs-Halterin« dem Speise-
gewölbe obliegen. Die Häuser hatten ebensowenig wie heutzutage schablonen-
hafte Einrichtungen; man mufste sich wie in der Gegenwait eben nacli der
Decke strecken und nach den Räumen, die zu Gebote standen, richten und
diese so gut und zweckmäfsig als möglich ausnützen.
Im oberen Stocke dürfte auch das dritte Zimmer des Hauses seinen Platz
gehabt haben, das wohl als
Arbeitszimmer (Taf. XI)
zu bezeichnen ist, wenn es wohl auch zu Wohnzwecken benützt worden sein
mag. Es hat links drei grofse hY^nster in gleichtM' Form und Gr("')fsc\ wie sie
auch die anderen Zimmer zeigen, rechts zwei Thüren und ober der tMuen ein
Fenster in Ochsenaugenform. Zwei ebensolche h\'nster Mntlcn sich im I Un-
tergrund auf der Schmalseite des Zimmers. Wohin die Thüren und h'enster
führen, kann nicht bestimmt werden. Die Wände sind wiederum bis zu Zwei-
drittelhöhe getäfelt, die hölzerne Decke zeigt tjuadralische Kassetten.
Mit M(')beln ist das Zimmer nicht besondtM's reich ausgestattet; es ist des-
halb viel Platz vorhanden, um sich frei bewc^gen zu können. An dem ersten
— 70 —
Ftmstcr ist ein Konsoltiscli mit ,t,K\sch weiften Füfsen an der Brüstung befestigt.
Auf der (quadratisch gemusterten 'l'ischdecke steht eine zweihenkehgc Vase mit
Bhimenstraufs, ein (jlas und ein Becher, sowie eine IMatte mit OI)st, daneben
Hegt cMU Ah\sser. Vielleicht sind es die Reste eines Frühstückes, bei dem
auch die Kanne und die Schüssel mit dem Getlügelbraten, welche das schlanke
MädcluMi zur Thüre hinausträgt und nach welclier der Hund seine begehr-
lichen ]-)lickt^ wirft , eine Rolle gespielt. An den ersten Tisch stöfst ein
zweiter, gr()rserer , v'm einfacher Arbeitstisch mit sechs Beinen und grofser
Platte. \'or ihm sitzt auf einem Sessel, der g(;schweifte Füfse hat, in nach-
lässiger Haltung und im Ilauskostüm unser Künstler; er stützt sein Haupt
auf die Rechte und scheint sich von den Anstrengungen des Frühstückes zu
erholen. Das Fenster vor ihm ist mit einer Blende, wohl aus Papier, ver-
sehen; auf dem Tische liegt die Platte, an welcher er arbeitet, steht der
Sjiiegel, welche das Bild, das er sticht, im gegenteiligen Sinne widergibt, liegt
ein (Grabstichel und steht eine Büchse mit Arbeitsgeräte.
Zwei Sessel, gleich jenem, auf dem der Kupferstecher sitzt , stehen an
der Wand zwischen den beiden Thüren. In der Mitte der hinteren Vi^and
hat der Ofen Platz gefunden. Fr hat einen auf gedrehten Füfsen ruhenden
Untersatz aus gufseisernen Platten , deren vordere den Reichsadk.-r und die
Jahreszahl 1736 enthält, welche wohl die Zeit angibt, in der die Zeichnungen
ausgeführt worden sind. Der hohe viereckige Aufsatz mit seiner Bekrönung
ist aus glasierten Thonkacheln aufgebaut. Links vom Ofen steht eine I^ank
(.') mit Wänden an den Seiten und am Rücken, ein etwas eigentümliches
!\Iöbel ! Auf ihm liegt eine Zeichnung oder ein Stich mit Darstellung eines
Waldes. Rechts befindet sich ein Aufsatzschrank, wohl schwarz poliert, dessen
unterer Teil mit Schubladen verschen ist, während der Aufsatz zwei Flügel-
thüren zeigt , hinter welchen sich kleine Schublädchen , vielleicht mit ge-
schnitzten, eingelegten oder gemalten Kopfwänden bergen. Solche Schränke
waren eine Spezialität der Augsburger Kunsthandwerker. Gekrönt wird der
Aufsatz durch die in Holz geschnitzte lebendige Figur eines Amors , der
triumphierend in der erhobenen Rechten den verwundenden Pfeil hält. Neben
dem Schrank ist ein Reilsl)rett an die Wand gekdmt.
lüemit ist der Bi\stand des Zinuners an gröfseren Möbeln erschöpft.
Von der Decke herab hängen die imvcrmeidlichen beiden Vogelbauer aus
Draht. Auf dem Gesims des Täfelwcrkes am ersten Fenster hängt schief
wiederum der S[)iegc] in reicliem, mit Voluten geziertem Rahmen. Von tler
an der Wand hängenden Geige, der Perrücke und dem Rock, sowie einigen
Büchern auf dem Täfelgesims neben deiu Ofen abgesehen, besteht der übrige
Inhalt des Zinuiiers aus eingerahmten Ijildern, wohl gemalten, teilweise wohl
auch Kupfcr.sticlien oder den Vorlagen für di(>sc^lb(>n. Fnter dem Spiegel und
in der erst(;n h'ensternischt; hängt je ein männliches ISrustbild , am zweiten
Pfeiler wolil auch ein PjiUJnis, tlarüber auf dem (jcsims ein Bild, das Vater
und Sohn darstellen dürfte. Auf chnn Täfelwerk zv.ischen Fenster und Oten
und zwi'-chen den beirlen Thüren stehe'U \"ier zusanuneng(;h(')rige Landschatten,
die \ielleicht die \ier Jahreszeiten versinnbildlichen, l'ber der Thüre haben
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drei Bildchen Platz gefunden , von denen das mittlere einen sitzenden Amor
darstellt; flankiert werden diese Bilder durch zweihenkelige Vasen mit Blumen.
Neben der Thüre steht eine Staffelei mit dem Bildnis eines Geistlichen. Solche
stachen die Kupferstecher mit Vorliebe; da jeder das Bild seines Beichtvaters
haben wollte , so war die Herstellung solcher Portraits ein einträgliches Ge-
schäft. Von dem in Nürnberg sehr beliebten Prediger zu St. Sobald Joh.
Mich. Dilherr z. B. zählt G. W. Panzer in seinem Verzeichnis von Nürn-
bergischen Portraiten (Nürnberg 1790j gegen 40 verschiedene gestochene Por-
traits auf. Als letztes Stück des reichen künstlerischen Schmuckes dieses
Zimmers, der natürlich durch den Beruf seines Bewohners veranlafst ist , sei
noch die heilige Familie auf dem Täfelwerke über der Staffelei erwähnt.
Zum Schlüsse sei noch der dritten Person, die sich in diesem Zimmer
aufhält , des I^ehrlings mit der Zipfelmütze gedacht , der aus der auf dem
Fufsboden stehenden Schublade Stiche herausnimmt , auch schon herausge-
nommen hat, wie die daneben auf dem Boden liegenden Blätter darthun.
Dieses Zimmer ist das letzte des Hauses , das von der Herrschaft
bewohnt wurde. Eine Prunk- oder Prachtstube , oder wie sie in der Gegen-
wart heifst, eine »gute« oder »schöne Stube« hatte das Haus vernünftiger
Weise nicht. Es war eben ein einfaches bürgerliches. Den Häusern der
reichen Kaufleute und der Patrizier durfte aber eine solche nicht fehlen.
Wie diese eingerichtet und ausgestattet waren , welche Anforderungen man
stellte, sagt wieder ausführlich die Nürnberger »Haufs-Halterin«, die anschliefsend
hieran auch die Säle der Vornehmen beschreibt. Sie berichtet:
»Die Prang- und Audientz-Stuben sind hier zu Fand gebräuchlicher
als die Säle, und rings um die Wände derselben mit wohl-ausgearbeit(;ten
aus Flader- oder andern schönen Holtz gemachten Täfel-werck umgeben, die
Ober-decke oder das Tillwerck , mit zierlichen nach der Geometrie ausge-
theilten Füllungen, ebenfalls von fioltz bereitet, in deren Mitte ein mit \ielen
Schenckeln und Armen prangender messinger Cronen-Feuchter hanget. Die
Thür ist mit schönen jezuweilen hier und dar vergüldeten und blau-überlauffenen
eisernen I^anden und kostbaren Schlössern beschlagen, man siehet in diesen
Zimmern einen steinernen aus zierlichen Bilderwerck formirten, und (.ebenfalls
theils Orten vergüldeten Ofen, eine Stufen-weifs aufgeführte und mit kostbar-
geschnittenen Gläsern besetzte Credentz ; gegen der Thür über hänget ein
grosser Spiegel, in eine entweder in Silber oder von Bildschnitzer Arbeit sehr
wohl geschnittene, und mit Planier- oder Glantz-Gold belegte Rahm gefasset ;
theils Orten, wann es der I^latz leidet, ]>flcget man zween dergleichen Spiegt^l
neben einander aufzuhängen , und zwischen bereden nur c'mc.n wenigen Platz
zu lassen. Der Tisch wird mitten in das Zimmer gesteliet, mit einen bifs auf
die Erde, oder auch etwas weniges davon abhängenden bundtm Ti>i)j)ich be-
decket, ein zierlicher von Silber, oder Porcellein verfertigt(M- Plunien - Krug
mit schönen von Seiden oder Feinwat gemachten lUumcMi bc^steckel . darauf
gesetzet, dergleichen Blumen aus Italien sehr \iele vcM'schickt't, auch einigen
von allhiesigen curiosen Frauen untl Jungfrauen s(» tleissig, accurat, und dem
T.rbcii-ähnlich nach i,foniach(^t worden, dafs sie auch die Khigeste und Scharf-
sicliti^stt' betroLjcMi, welclie sie vor recht-natürhch an^u^selien haben: Dieser
l'isch wiitl wt-ni^stcms mit einem halben Duzend Sessehi umsetzet, oder so
deroselben z\V()h'te sind, also einL^ethcnlet, dafs auf jcxler Seiten an der Wand
sechse zu stehen kommen: Die Gesimse sind mit kostbaren von guten Meistcnn
gemahlten Schildereycn und Tafeln gezieret, mit zierlich aus lloltz geschnit-
tenen und schc'm \ergiildeten Bildern , Pyramiden , oder grossen von guten
Porcellain gemachten Schalen untermischet: ja es wird an manclie dergleichen
Stube und deren Aufbutz viel Geld gewendet, welches aber die Verständigere
nicht billigen, sondern vor rathsamer lialten, nicht gar so viel an den Haufs-
rath zu hängen, weil man solches Geld weit nützlicher anlegen , nutzen und
gebrauchen kan :
Die Säle sind von diesen Prang-Stuben darinnen unterschieden, dafs
die Oberdecke entweder durch und durch gemahlct, oder von Stuccador-Arbeit
gantz überzogen, oder auch so, dafs nur die mittlere P'üUung, bifsweilcn auch
noch eine und die andere aus sch(')ner Gemählden, das übrige aber aus Schnee-
weisser solcher Gips-Arbeit bestehe; die Wände sind ebenfalls nicht getäfelt,
sondern entweder mit Tapezereyen und Spagliern ^'') überkleidct, oder doch auf
solche Art bemahlet; der P\ifs-boden mufs nicht gebrettert, sondern entweder
ge()stert''^), oder mit Marmor, oder wenigstens mit gebackenen Steinen beleget,
und zierlich mit Farben angestrichen seyn: Es gehöret auch kein Ofen, wie
schön er auch immer seyn mag, in einen Saal, welches bey uns an vielen Orten
ein grosser Fehler ist, sondern an deren Stelle ein zierlich-aufgeführter Camin
mit seinen Feuer-Böcken , Zangen und Schir-hacken , welche mit messingen
Hand-heben und Zieraten versehen: Die Gemähide, weil keine Gesimse vor-
handen, werden an die Wände über die Tapezereyen aufgehangen, und also
vertheilet, dafs neben jedes derselben auf beeden Seiten zween schöne Wand-
Leuchter, bei hohen Personen von Silber, bei geringern aber von Gold-färbigen
Messing gemacht, an der Wand bevestiget zu stehen kommen. Da hingegen
die in denen Stuben an der Decke abhängende Cronen-Leuchter hier keinen
Platz finden : bleut zu Tage pfleget man in einen Saal vier grosse Spiegeln
auf zu hängen, und so zu vertheilen, dafs der eine, so die Thür sich nicht
gerade mitten im Zimmer öffnet, in die Mitte defs Saals, zwischen den P'enstern,
imd der andere; diesen gerade gegen über , der dritte oben rechter, und der
vierdte unten linker Hand, zu hangen komme: so aber die Thür auf die Mitte
defs Zimmers gerad zutrifft, gebrauchet man nur drey grosse Spiegel, deren
der (,'rste gegen selbige über, der andere an der obern , der dritte; aber an
der untern Seite; defs Saals aufgehänget wird , damit man alles , was in d(;n
Zimm(;r ist, aller Orten darinnen sehen und wahrnehmen könne. <^
In den \ornehmen Häusern, in welchen man einen Saal hatte, stand
der h'rau des Hauses auch ein besonderes To i lettenzi nimer zur Verfügung;
]/) Spaliere, Si)()licrc nannte man nacli Alwin Scluilz a. a. O. S. 129 halbseidene
und halbleinene gestreifte Tai)eten, die al)cr auch als Susics bezeichnet wurden.
iSj von {".strich, dem ^eitHaste:rten J''ufsl)<)dcn, also so viel wie <4ei)Mastcrt.
— 73 —
dem Aiigsburger Haus mangelt natürlich auch dieses. Die Nürnberger »Hauls-
halterin« aber schreibt darüber:
»In hohen Ständen haben die Frauen ihr besonderes Aufbuz-Zimmer
und Cabinet, selbiges soll von Rechts wegen ebenfalls ausspagliret ^■') seyn, und
also eingerichtet, dafs gegen der Thür zu ein kleiner Altar mit einem Crucifix
und zweyen silbernen Leuchtern, samt einen davor-stehenden Bet-schämel,
ihre Andacht dabey zu verrichten, zukomme, auf beeden Seiten aber, so es
die Grösse des Zimmers leidet , zwey kleine mit schönen bifs zur Erde ab-
hängenden Teppichen bedeckte Tischlein, und über jeden derselben ein grosser
Spiegel hangen, das eine soll mit einen zierlichen Schreib-Tisch besetzet seyn,
und nechst dabey eine schöne Sack- oder andere Galanterie-Uhr liegen, oder aber
an der Wand eine runde Scheiben-Uhr hangen : Auf das andere kleine Tisch-
lein gehöret der Nacht-Zeug, bestehend in einen Tabulet-Spiegel , den man
auf den Tisch vor sich stellen kan, einen wohl-ausgezierten Küstlein, worinnen
ein Kamm und Bürste mit Silber beschlagen, samt einer guten Scheer zum
Haar-schneiden, eine silberne Buder-Schachtel, dergleichen Haar-Nadeln, unter-
schiedliche wohlriechende Essenzen, ein und anderes kleines silbernes Hand-
Leuchterlein , etliche so silberne als porcellainene Schällein , zu mancherley
Gebrauch, etc. etc. befindlich : Nebst der Thür, oder so nur ein Tischlein im
Zimmer, stehet gegen selbigen über an der Wand ein kleines Galanterie-
Bettlein, mit einen schönen Teppich bedecket, ingleichen auch ein oder zwey
Paar Sesseln : Ist es aber nur ein Cabinet und der Platz klein , mufs man
hierinnen menagiren und alles so genau zusammenrichten, als es immer möglich.«
Und noch einer Stube , die in den Häusern der bevorzugten Stände
nicht fehlen durfte, ist zu gedenken: der Kinderstube. Auch diese fehlt
dem bescheidenen Augsburger Kupferstecherhause. Die Nürnberger »Haufs-
Halterin« läfst sich aber auch hierüber und zwar folgendermafsen vernehmen:
>>Wo Kinder sind, wird ihnen, so es änderst die Gelegenheit und die
Mittel der Eltern leyden , nicht nur eine , sondern wol gar zwo besondere
Mägde zur Pflege und Wartung zugeeignet , sondern auch eine absonderliche
Stube eingegeben, so man daher auch die Kinder-Stube zu nennen gewohnet ist.
Diese mufs fürnemlich mit einen oder zweyen Betten vor die Mägde,
wie auch mit so viel kleinen Betten als der Kinder sind, versehen seyn; in-
gleichen einen Tisch, die Kinder daran zu setzen, auch so sie noch gar klein,
darauf zu wickeln : Es gehöret darein eine Lauff-Banck, worinnen sie gehen
lernen, welche man hin und her tragen kan, und weit besser sind als die vor
Alters gebräuchliche Lauff-Wagen , weil sich die Kinder darinnen , wann sie
im Lauff kommen, nicht helffen, noch selbige aufhalten können, sondern offt
nicht ohne grosse Gefahr sich zu verrencken , mit fort gezeschet werden,
welches aber in denen Lauff-Bänckcn nicht zu besorgen: Es gehchet dart;in
ein zinnern Becken, dergleichen Wasser-Häfelein , und Schwämme, wie auch
Kamm und Bürsten die Kinder daraus zu waschen , auch damit zu reinigen
und zu säubern, dafs sie nicht in Unflat xcrderbcn , kranck und ungesund
werden, ein besonderes kleines Nacht-Stühlein, um sich darauf zu erleichtern,
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum, 1897. X.
— 74 —
ein kleiner Schranck, das weisse Kinder-Gezeug in guter Ordnung, was diesem
und jenem gt-lKue, zusanunen zu k'gen, und darinnen aufzuheben; nebst deme
soll man auch aUerley Spiel-gezeug bey der Hand haben , um sie damit zu
stillen.«
(Schlufs folgt.)
Nürnberg. Hans Bf) seh.
Deutsche Bauernstühle.
r^T'^^J s ist eine genügend bekannte Thatsache, dafs nicht nur in Sitten
yyl^ ^'"^"^ Gebräuchen, sondern auch in der Ausübung ihrer künstlerischen
£1a Bedürfnisse, im weitesten Sinne des Wortes, die Landbevölkerung
allerwärts länger und liebevoller an dem Althergebrachten festhielt, als das
raschlebige Volk unserer Städte. Die stets über das gestrige hinausstreben-
den Stilwandlungen in der grofsen Kunst berühren nur mit den äufsersten,
leise auslaufenden Ringen ihrer Wellen diesen Boden, auf dem die Bauweise
und die ganze Anlage des Wohnhauses, die bunte Bemalung und das Schnitz-
werk an Truhe und Kasten, Schnitt und Farbe der Kleidung ohne den Ein-
flufs des Modegeschmacks und der städtischen Kunstübung sich konservativ
erhalten, um so mehr, als den Bedürfnissen des Landvolkes eigene Bauern-
handwerker, z.B. Landschneider und Landschreiner in Nürnberg dienten, deren
zünftige Abgeschlossenheit das Eindringen des Städtergeschmacks erschweren
mufste.
Wenn wir von der höchst selbständigen, oft zu hervorragender Schön-
heit gelangenden Blumenornamentik absehen, stellt sich die bäuerliche Kunst
dar als eine merkwürdige Mischung altererbter einheimischer Formen, die wir
in den Werkstätten der städtischen Handwerker nirgends finden, und ver-
späteten verflachten Reminiszensen an die bekannten Formen des städtischen
Kunstgewerbes. Primitive Schlichtheit und bequeme Brauchbarkeit auch bei
schwerfälligen Formen , kennzeichnet das Mobiliar des Bauernhauses ; der
Verzicht auf reiche Reliefschnitzerci, auf Furniere und Intarsien, dagegen eine
ausgesprochene Neigung zu bunter Bemalung und zur Anwendung von Flach-
schnitzerei ist ihm mit wenigen Ausnahmen eigen. Fast jeder Gau des
deutschen Landes, in dem einige W^ohlhabenheit einem selbständigen Bauern-
stand über die einfachsten Tagesbedürfnisse hinauszugehen gestattet, hat in
dieser W^eise seine eigenen Formen gebildet und bis in unser Jahrhundert
bewahrt. Heute, wo diese eigenartigen Stücke schon fast überall modernen
l^'abrikarbeiten d(;n Platz geräumt haben, ist es an der Zeit, das Beste dieser
im Verschwinden begriffenen Ijauernkunst als lehrreichen Typus deutschen
Volksgeschmacks aufzubewahren.
IJie drei Typen deutscher I^auernstühle, die wir aus den IJeständen des
germanischen Museums hier mitt(;ilen, sind in ihrer l^igcnait charakteristisch
für drei verschiedene Landstriche, in denen sie bis zur Alitte tuiseres Jahr-
hundL-rts in 'U'ofser Zahl zu finden waren. Gemeinsam ist ihnen ein kräftiger,
75 -
breiter Bau mit zahlreichen Ouersprossen, die Vorliebe für reichUche Ver-
wendung gedrehter Sprossen als zierliche Füllung der Arm- und Rückenlehne
und ein leuchtender einfarbiger Anstrich bald in hellem Blau , bald in kräf-
tigem Rot.
Der erste, der Stuhl der Mette Eggers von 1793, stammt aus den
hamburgischen Vierlanden. Seine vierkantigen gespreizten Beine sind bis auf
die Stellen, wo sie mit den Querhölzern verzapft sind, abgcfast; die flache
Schnitzerei der geraden Rücklehne zeigt einen gekrönten Doppeladler um-
geben von flauen Ranken von bäurischem Rococo und grofsen Blumen. Zier-
lich gedrechselte Stäbe füllen die Öffnung unter der Rücklehne und tragen
die ebenfalls gedrehten Armlehnen ; den Sitz bildet ein Geflecht von starken
Fitr. 1. A'ierländcr Haucrnstuhl von 1793.
gespaltenen Weidenruten in zwei Farben. Der hohe, etwas nach rückwärts
sich lehnende Stuhl der J. Ahlheit Zumfelde von 1798 gibt dagt^gen den
Ty])us des Bauernstuhles, wie er im hanno\crschen Altenlande üblich war.
Pfosten und Sprossen sind alle reich gedreht, doch weicher, ohne jene schart
absetzenden Profile der Vierländer Art. Die Armlehncni bilden bet]uein ge-
schweifte Bretter; das Kopfende der hohcMi Rücklehne zeigt ausgc-sägtes
Ornament, dessen Mittelstück ein Taubenpaai' bildet, das nie fclilentU: Symbol
ehelicher Liebe. Den nach vorne stark breiter werdenden Sitz l)ildet ein
— 76 —
Brett, auf dcni ein I*'eclerkissen meist mit ^()b(;]inarti<^H>r Weherei von hlumen-
umrahmten Bibelszenen zu liegen kam.
\i\n (lerartii^es Prunkkissen — denn fiir den alltäj^lichcMi Gebrauch waren
sie sicht-r einfacher ausj^eführt aus ck;m Jalirc; 1722 stammend, besitzt das
Museum; es trä^^t auf blau-griinem Grunde eine Gru[)pe von gezierten Kostüm-
tiguren umgeben von einem Blumenkranz, eine Szen(!, die sich bei näherem
ZusehcMi als die Begegnung Jakobs mit Rebekka am Brunnen darstellt.
¥\g. 2. Ilcimbachcr und .Vltonliüulor Hauonistuhl.
Während man dem schwarzwäldcM- IJaucM-nstuhl z. 1). iiiit siMuer hi'ibsch
ausgeschweiften Rückenlehne, dem lirc^ttsitz ohne; Ou(M-h(")lz(M- und Arm-
hdmen mit zicmliclnM- Bestimmtheit die Herkunft von der süddeutschtm
Stuhlform d(;s s])ätern 16. Jahrhunderts ansehcMi kann, ist t\s besonders bei
d(m b(;iden friesischen Arbeiten, die wir el)<;n kennen lerntcm, schwer, über
die Abstammung ihrer Stilformen eine M<:inung sich zu bilden. Sicher sind
die Rococozuthaten im Schnitzwcrk nur äiifserlich und unwesentlich; da^^egen
erinnert die reiche Verwendung gedrehter Stäbe und die damit verbundene
farbige Behandlung merkwürdig an jene eigenartigen Möbelzeichnungen, die
uns von Bettgestellen und Stühlen des 12. Jahrhunderts in den Zeichnungen
zum Lustgarten der Herrad von Landsberg und in den Miniaturen eines Psal-
teriums des 10. Jahrhunderts in der K. Bibliothek zu Stuttgart bekannt sind.
Fig-. 3. .Maria (V!) aul' reicliciii 'l'lirdiisesst'l.
Auch dieses Mobiliar bestand nur aus gedrehten Pfosten ganz in der Art des Alten-
länder Stuhls mit abwechselnd rot und gelb cxUm" ähnlich gestrichenen RingtMi und
mit dazwischen eingefügten Füllbrettern '), also einc^ Hauweise;, dic^ sich \-on \'i(,>]let
le Ducs Rekonstruktionen der frühmittelalterlichen Zimmereinrichtung sehr
1) vgl. Ilefner-AIteneck. Trachten, Kun.stwcrkc u. GcräLschaftcii Dd. I. 26. oO, uL'.
- 78 —
weit unterscheidet. Und durcli einen L^lückliclien Zufall ist uns sogar unter
den Schätzen des t^ernianischen Museums t;in Ihronsesscl dieser Art erhalten,
den wir uns nicht \ersaL(en können, hier zum Vergleiciie wiederzugeben: Ein
annähernd ziuerlässiges Bild jener um das Endi; dc;s 12. Jahrhunderts irgend-
wo in Deutschland üblichen Stuhlform mufs die kleine, etwas beschädigte
Holzskuli)tur geben; ob sie wirklich aus iirol stammt, ol) sie die Madonna
oder S. Anna darstellen wollte, bleibt für vms belanglos. Gedrehte Pfosten und
vielfach profilierte gedrehte Stäbe als Füllglieder finden wir hier wieder, auch
hier in abwechselnder bunter Bemalung von rot, weifs und gelb -). Man wird
aus dieser auffallenden Ähnlichkeit, für deren Einzelheiten die Abbildungen
sprechen mögen, den Schlufs ziehen dürfen, dafs die friesischen Bauernstühle
in ihrem Charakter einiges von der mittelalterlichen Möbeltechnik mit ihrer
V^orliebe für Drechslerarbeit bewahrt haben, in Formen, die seit dem 15. Jahrh.
zum mindesten aus dem städtischen Kunstgewerbe verschwunden sind. Aller-
dings wird man dabei berücksichtigen müssen, dafs mit der Drehbank und
ihrer Technik die Formen für Pfosten und Sprossen der Stühle nicht wesent-
lich anders im 18. Jahrhundert gebildet werden konnten, als sie der romanische
Thron und die Zeichnungen schon aus dem 10. und 12. überlieferten.
Ganz anders, aber nicht minder originell als bequem ist der aus dem
Rheingau stammende Ileimbacher Stuhl gebaut. Auch er trägt die Jahreszahl
1798 und die Anfangsbuchstaben vom Namen seines Besitzers an der Rück-
lehne; der dreieckig geschnittene Brettsitz ruht auf drei festen gedrehten
Pfosten, von denen der hintere sich als Träger einer kleinen geschweiften
Rücklehne nach oben fortsetzt, während die vorderen in der Höhe der halb-
rund gebogenen, aus einem dünnen Brett geschnittenen Seitenlehne endigen.
Eine solide Behäbigkeit ist der Vorzug dieses Möbels , in dessen Art das
Museum noch ein zweites Stück mit dreieckigem Sitz und kleiner Rücklehne
aber gedrehten Stangen als Armlehnen besitzt.
So wenig man wird behaupten können , dafs die Einzelformen dieses
Ileimbacher Stuhls an gotische Stilformen gemahnen, so hat doch die Art,
wie die Konstruktion der Pfosten und Eehncn zu Tage liegt, ohne Zuthaten
und zwecklose Zierrate etwas entschieden gotisches, und auch rein äufserlich
genommen, gibt es für die Bauart dieses Möbels aus der Zeit des gotischen
Stils auffallend verwandte Gebilde : Der dreieckige Brettsitz und die niedere
Lehne, die im Bogen um die drei stützenden Pfosten geführt ist, kehren ge-
nau so wieder an einem gotischen Stuhle des 16. Jahrhunderts, den das
Museuiu aus rheinisch-westfälischem Boden erwarb. Drei mit geringer Pro-
filierung geschnitzte Säulen werden verbunden durch ein aus ICichenbrettern
aiisg(.'schnittcnes Gitterwerk, das hier die Stelle? der Oucrsprossen vertritt,
und auf welches der Sitz aufgelegt ist. Die P)ildung der RückleluK^ des Ileim-
bacher Stuhls geschieht dagegen wieder in iXnlehnung rm das Motiv des
romanischen Thiones h'ig. 3, wcMin auch zweckentsprcxluMid beciuemer; das
ganze; Mr^hel schmückt ein dunkelroter einfarbiger Anstrich.
2) A. von Kssenwcin hat im jahr^an^ 18U1 dieser Mitteilungen der inlcre.ssanten
I-'i^ur liereils eine eingehende Hesiireehim^' gewidmet (S. 51 ff.j.
— 79 —
Bei der grofsen Aufmerksamkeit, die unsere Zeit gerade den Volksalter-
tümern und der Volkskunst zuwendet, liegt meines Wissens nicht selten der
Gedanke zu Grunde , als sei hier im Schnitt und in der Farbenwahl der
Kleidung, im Hausbau, in Gebräuchen und Benennungen etwas stammhaftes
altgermanisches erhalten, was sich als Merkmal des Stammcharakters z. B.
der Alemannen oder Friesen betrachten liefse, und was eben deshalb erhalten
und gepflegt zu werden in hohem Mafse verdiene. Ich glaube vielmehr, man
sollte um eine unanfechtbare Grundlage für eine wissenschaftliche Bearbei-
tung dieser Volksaltertümer zu ermöglichen , von einem etwas skeptischeren
Standpunkt ausgehen und zunächst historisch sichten: Für eine Ge seh ich te
der oder jener Volkstracht, des oder jenes Bauernhaustypus läfst sich heute
weit leichter greifbares Material zusammenstellen , als für ihre Ätiologie , die
wohl noch längere Zeit für wissenschaftliche Betrachtung \erschleiert liegen
wird.
Nürnberg. K. Schaefer.
'j
Ausrüstung einer Wagenburg im 15. Jahrhundert.
i^,^^J^\ n dem um die ]\Iitte des 15. Jahrhunderts geschriebenen Codex 637
^ (^'1^4?%. des im Germanischen Museum deponierten Freiherrl. von Löffel-
^cSNJ^ holzschen Familienarchives findet sich auf Blatt 356 eine kurze
Wagenburgordnung , die von den bisher bekannten ') in manchen Punkten
abweicht und daher hier wiedergegeben sein möge. Die Erwähnung der
Ketzer in dieser Aufzeichnung läfst vermuten , dafs es sich um eine kriege-
rische Unternehmung gegen die Hussiten gehandelt habe, die bekanntlich in
der neuen, erfolgreichen Verwendung beweglicher Wagenburgen die Lehr-
meister ihrer Nachbarn gewesen waren -).
Der Abdruck der Ordnung erfolgt diplomatisch genau; nur die Inter-
punktion ist von mir hinzugefügt.
[Bl. 356a Spalte 1] »Item zw einem streitbagen gchorn sechs schützen
vnd zw iglichem ambrust vier schock pfeyl , zwen man mit hantjjuchscn, zw
itlicher vierschok kugelich vnd puluers gnug, vier man mit hacken, vier man
mit drischelen, zwu hacken, zwu schaufeien, zwu keylhauen oder grabscheyt.
Item zw itlichem wagen vier starcker hengst ; welcher aber nicht starke
pferde hat, der nem sunst sechs, doch das itlicher wagen zwein furman hab
gewappent.
Item dy schaufeien , grabscheit vnd hacken durffen nicht sunder Knvt
[bedarf Ol nicht besonderer Le7tte\, Sunder, wirt man ir bedirtien , so nym))t
man sy, [wo man sy] wolt, aufs dem hauffen, do lewt gnug werden.
Summa zw einem wagen XVIIl person , dy sich von dem wagcMi nit
fwgen sollen, es sey dan mit des hauptmans gcheifs.
1) V<j!. namentlich J. Würdin^cr, Kriegsgeschichte von l?aycrn, l^Vanken, IMalz und
Schwaben von i:>47 bis böUö. 11. Hand. München 1.86S S. :i77 ff., da/u Anzeiger für Kuntle
der deutschen Vorzeit XIX (1872) S)). L'S.'UT,, 341 ff; Max Jilhns, Handbuch einer (leschichte
des Kriegswesens. Leipzig 188(i S. 'MM ff
2j Vgl. Jahns a. a. O. S. 'M4.
— 80 —
Item siilcluM- starker wa^en sol sein in fas.sani^f.s weifs (?) mit holtzen leyttern
i^etarrast [verbarrikadiert] vom felde zwyschen den leittern vnd vnder den
leittern mit <,'uten han^^enden bretern an stark(>nn weyden oder ketten.
Item pey itlichem wa^'en siillen ketten sein, dy selben zw winden, ob
ez not sein.
|2. Si)alte.] Item albe<^' zw funff werfen sol sein ein stein piichs, f^enant
iiaufnicz, vnd zw itlicher ein schogk stein zwm mynsten vnd puluers ^mu^,
vnd zw der selben puchsen vnd zw iren stein müfs man ein wesundern wa^en
haben.
Item man mufs auch auff den selben wa^en kein speifs le^^cn , Sunder
ein stat dor auff lassen, dor ein man den lewten wurff stein leget.
Item wafs vbriger lewt sein vber bestellunge wegen , dy sullen alle ire
were haben vnd thun noch geheifs des hauptmans.
Item vil sach vnd westellunge mag man dor zw thun , dy do nicht zw
schriben, Sunder nach gclegenheit der lewte vnd ordenung aufs zw richten
sind, als man das dann vor äugen sehen werdet.
Item ee man zw feit aufs zeucht, das dann alle obgeschriben stuke be-
reit sind.
Item zw allen obgeschriben sachen sullen leute aufs erkoren sein , die
alle dinge wesehen werden vnd ordiniren, das daz volkumclich zw gec.
Item es sol vnder dem volk ein sulch ordenung sein, daz ye zehen man
einen hauptman haben vnd hundert einen vnd tausent auch einen vnd [Bl.
356b 1. Spalte] also ymmer für sich wifs auf den ober.sten hauptman, als
man dann lewte gnug haben wirt, dy solche sache vnd schikung wol ordi-
niren können, vnd das ye ein hauptman auf den ander sehe, als dan gebon-
heit ist.
Item man sol vndersteen, das alle huldunge ab sein werde.
Item das yder man uf sey mit sein selbs leybe.
Item wer aber von alter oder von krankheyt wegen nicht ziehen muge
der mag einen andern an sein stat bestellen.
Item wer sich in den obgeschriben sachen vngehorsam finden Hesse, zu
des leybe vnd gut solt man greiffen , alfs zw einem zw leger vnd helffcr der
ketzer on alle genade.
Item das man gereissig volk zw rosse aufbringe. So man meyst müg,
vnd das man dem fufs\-olk auch gereyssig lewte in der wagen bürge zw
schiken sol.
Item auch sullen die fursten , herren vnd fttet grofs vnd klein buchsen
\-nd ander zeugk mit in bringen, so sy meist mugen.
Item als man vnfsn herren aufs der schlesingen zw sagen sol, wy starck
yderman helfen sol, ist notturfft, dafs vnfser herre sein treftelich potschaft
\2. Siialte; zw allen landen vnd stetten thun vnd yn weuelhc , suIcIk^ zw sa-
gung auf zw ncmen , es sol auch nymant wifs(Mi , waz dy summe ist solcher
macht, dann dy, dy dar zw geschickt ,^int . dy das auch vnfscM'm hrrrcn \()n
stund an \crkundt:n sullen.-
X ü rn b e r g. 'l'h- H.
— 81 —
Wissenschaftliche Instrumente im
germanischen Museum.
(Fortsetzung.)
V. Scheibeninstrumente, Graphometra.
ussoleinstrumente, bei welchen die Ablesung unmittelbar durch die
Beobachtung des Standes der Magnetnadel geschieht, sind stets an
kleine Dimensionen gebunden und gewähren, abgesehen von ihren
sonstigen Mängeln schon aus diesem Grunde nur eine geringe Genauigkeit.
Es leuchtet ein, dafs die Genauigkeit der Teilung solange man die modernen
Hilfsmittel nicht kannte , mit der Gröfse des Teilkreises zunimmt , dafs also
grofse Instrumente eine genauere Beobachtung ermöglichen als kleine.
Grofse Kreise oder Teile von solchen, Quadranten waren in der Astro-
nomie schon von Ptolomäus angewandt worden ; die Beobachtungen wurden
mit Diopterregeln vorgenommen. Tycho Brahes Mauerquadranten, wie seine
grofsen beweglichen Azimuthaiquadranten waren bei einem Radius von fünf
Ellen in Grade, Minuten und Sechstelminuten geteilt, so dafs die kleinste Tei-
lung einem Winkel von 10" entsprach und die Hälfte dieses Winkels , also
5" noch geschätzt werden konnte. Mit der Abnahme der Dimensionen nahm
aber auch die Genauigkeit rasch ab, selbst wenn Nonnianische Kreise die
Teilung des Limbus ergänzten. Vgl. Tychonis Brahe , Astronomiae instau-
ratae mechanica. Noribergae apud Levinum Hulsium. Anno MDCII. 2 ^.
Es lag nahe , Instrumente mit Teilkreis und beweglicher Diopterregel
(Alhidade) auch in der Feldmefskunst anzuwenden. Die älteren Autoren be-
zeichnen solche Instrumente als Scheiben Instrumente oder Graphometra.
Da bei Aufnahmen im Gelände sowohl spitze als stumpfe Winkel zu messen
sind, ist der Quadrant nicht die geeignete Form für das Scheibeninstrument,
es fanden vielmehr Halbkreise oder Vollkreise Verwendung und die Instru-
mente wurden danach, nicht sehr korrekt, als halbe und ganze Scheiben-
instrumente bezeichnet.
Den Zeitpunkt ihrer ersten Einführung konnte ich nicht genau ermitteln.
Nach freundlicher Mitteilung des Direktors des Conservatoire des arts et
metiers zu Paris, Herrn Oberst Eaussedat gibt Daufrie, tailleur des monnaies
de Franc 1598 die Beschreibung eines von ihm erfundenen Graphometrons
mit einer festen und einer beweglichen Regel. Dies ist die älteste bis jetzt
bekannte Beschreibung eines Scheibeninstrumentes. Das Instrument selbst
war aber schon früher bekannt. Wir besitzen ein zu geometrischen, astro-
nomischen und gnomonischen Zwecken verwendbares Instrument von Praetorius
W. 1. 13 aus dem Jahre 1568. welches unter anderem auch die Teilkreise
und Diopter der Scheibenin.strumente enthält. Aus dem Ende des 16. Jahr-
hunderts haben wir eine sogen. Eisenscheibe W. J. 1033, und die fniher be-
sprochenen Distanzmesser von Joachim Kreich und Leonhard Zübler, welche
auch mit Teilkreisen verschen waren beweisen , dafs Scheibeninj^trumente zu
Ende des 16. Jahrhunderts in Gebrauch waren.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XI.
— 82
Die ScluMbi-ninstriniKMitc; hostelicn aus ciiKnii Teilkreis mit cintn- dem
Anfang,' lier Teilunj^ iMitsprechcntlcn festen , und einer um den Mittelpunkt
diehbaren Dioptene^el , deren Sehaxe di(; Diehunj^saxe scjineidet. Beiiuts
Messun^f eines Winkels wird das Instrument im Scheitel des Winkels so auf-
^u\stellt, dals die Scheibe nK)i^dichst horizontal steht, k'.s wird dann die fest-
stelu'udi" l)ioi)terre^u>l auf den c>inen Schenkel einvisiert und das Instrument
fest^^estc^llt. Weiter wird das bewe<4liche Diopter solange gedreht, bis es die
Richtuni,' des anderen Schenkels hat. Die Ablesung des Punktes, welchen
die bewegliche Regel in dieser Stellung auf dem Teilkreis berührt , gibt die
(jr()fse des Winkels unmittelbar an. Ist mit dem Instrument eine Bussole
verbunden, so läi'st sich, da die feste Regel entweder parallel oder senkrecht
zur Südnordrichtung steht, ohne Mühe auch die Himmelsrichtung der Visier-
linien bestimmen. Hei Aufnahme von Polygonen wird beim zweiten und den
folgenden Standpunkten die feste Regel auf den jeweils vorhergehenden Punkt
eingestellt imd mit der beweglichen auf den folgenden visiert. Aufserdem
sind die Längen der Seiten zu messen.
Ältere Instrumente, welche mit Bussolen versehen sind, sind nicht selten
auch zum Auftragen der Aufnahmen eingerichtet. Später fand das Auftragen
gewöhnlich mittels des Transporteurs statt.
Fig. 28.
Fig. 24.
Bei der Teilung der Kreise wird im Allgemeinen nicht über halbe Grade
hinausgegangen, soferne die Teilung auf den äufsersten Kreis beschränkt wird.
Will man kleinere Teile von Giaden mefsbar machen , so werden mehrere
Kreise und zwischen diescMi Transxersalen von Grad zu Grad gezogen, welche
gestatten, noch W^inkel von 10 — 6 Minuten zu messen. Das Prinzip ist das
der Transversalmafsstäbt,'. Will man einen Abstand a-b (Fig. 23) in eine
Anzahl , gleiche Teile teilen , so zieht man in gleichen Abständen Parallele
\on gleicher Länge und verbindet den linken h^.ndpunkt dcM- unteren mit dem
rechten der oberen Parallele durch eine (jerade, diese schneidet alsdann auf
den z\visch(Miliegenden Parallelen Teile ab, welche auf die (Grundlinie projicirt,
diese in gleiche 'Peile teilen.
Bei l'bertragung dieses Teilungsprinzipes auf den Kreis ergeben sich
freilich, wenn die Abstände dcv Parallelkreise gleich und dit; Trans\-ersalen
gerade sind, unglciclu^ Teile, \gl. Fig. 24 1, doch ist der Fehlen-, weMin die
Teikmg nicht auf einen grcilseren Sector wie hier, sondern nur auf 1 " aus-
gedehnt ist (;in s(ihr geringen" und wurde g(,'W(Jhnlich \ernachlälsigt. Line
richtige Teilung lälst sich auf zwei Wegen eri-eich(;n, entweder indem man
83
bei gleichen Abständen der Parallelkreise die Transversale krümmt, oder indem
man bei gerader Transversale die Abstände der Parallelkreise ungleich macht,
vgl. Fig. 24, II und III. Ersteres Verfahren gibt Bion in seinem Traite de la
construction . . . des instrumens de mathematique, Paris 1752, S. 127 und
PI. XIV an, das andere ist bei mehreren unserer Instrumente angewendet.
Das Bestreben der alten Instrumentenmacher , eine möglichst vielseitige
Anwendbarkeit der Instrumente zu ermöglichen führte dahin , dafs entweder
auf dem Limbus oder auf der Scheibe noch andere Teilungen angebracht
wurden.
\^w-^^<
Fig. 2."). (lanzeÄ Sclieibciiiiistruineiit vom Hefriim lirs 17. .lahrhuiidrrts.
W. .1. 1231.
Das germanische Museum bc;sitzt neun Sch(MlHMiinstnimente tcMJs mit
Vollkreis, teils mit Halbkreis, aus dem 17. und 18. Jahrhundert und eines
mit P'ernrohr aus dem 19. Jahrhundert.
Das älte.ste (Fig. 25) ist ein ganz(\s Scheibeninstrument, W. J. 122],
aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Das Instrument stammt aus der Samm-
lung Spitzer (La collection Sjiitzer Tom. V. }>. 81. Nr. ].> Der Kreis hat einen
Durchmesser von 19 "nun und ist in halbe Grade geteilt, eine schätzungsweise
84 -
Bestiiniiuinj^ von 't Graden ^ 15' ist noch ohne Mühe auszuführen. Am
oberen Teil des Kreises ist eine zweite Teihm^f an^^ebracht , welclie der Ein-
teilunj.:^ des Kreises in rej^^fehiiälsii^e FolyL,^oni> \-oni ViiM-eck bis zum Zwölfeck
entsjiricht. Die Scheibi? selbst ist durchbrochen. In den Zwischenraum zwi-
schen dem Limbus und der mittleren Scheibe ist ein doppeltes s^^eometrisches
Quadrat einL^'eschrieben, dessen Seiten in 60 Teile ^fet(;ilt sind. An den Enden
des Haujitdiuchmessers 0 360" — 180" stehen feste Abseilen (Diopter). Die
bewegliche Regel trug ehemals eine HussoK;.
Dem Hauptdurchmesser parallel ist eine Kegc-l mit dem Kreis in fester
Verbindung. Das Instrument konnte also mit Verwendung der Bussole auch
zum zeichnerischen Auftragen der Aufnahmen gebraucht werden.
An die Scheibe ist unten eine mit einem horizontalen Gelenk versehene
Hülse angeschraubt, mittels deren die Scheibe auf das Stativ aufgesetzt wurde.
Das Gelenk ermöglicht, die Scheibe in senkrechte Stellung zu bringen, was
nötig war, wenn Höhen nach Graden oder mit dem geometrischen Quadrat
gemessen werden sollten.
Aufser zum ^Messen oder zum Abstecken vr)n horizontalen Winkeln war
das Instrument also auch zum Höhenmessen und endlich zuiti Abstecken
von regelmäfsigen Polygonen, wie sie namentlich im h'estungsbau vorkamen,
verw-endbar.
Ein halbes Scheibeninstrument, W. J. 265, bezeichnet: Michael Scheffelt
Uhu fecit An. lyoS, hat gleichfalls eine Teilung zum Abstecken von Poly-
gonen. Die Diopter sind zum Umlegen eingerichtet. Ihre Träger sowie die
Füllung der inneren Scheibenfläche sind mit schcnien durchbrochenen und
gravierten Ornamenten geziert.
Ein hervorragend schönes Instrument, W. j. 250 ist in Fig. 26 darge-
stellt. Es ist l)ezeichnet: Franciscits Ficbig vie fecit und ist aus der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der Durchmesser des KrcMses beträgt 314 mm.
Der Limbus, auf welchem verschiedene Teilungen angebracht sind, hat eine
Breite von 36 mm, innerhalb desselben ist die Fläche ausgeschnitten , nur
vier Stege laufen nach dem mittleren Kreis. Die 1-Lnden der Stege sind mit
durchbrochenen Rankenornamenten verziert. Auf dem mittleren Kreis ist eine
Bussole befestigt, um welche sich die bewegliche Regel dreht. An den vier
Enden der Hauptdurchmesser der Scheibe, wie an den lüidcm der beweglichen
Regel sind Diopter angebracht.
Der Limbus trägt drei Teilungen. Der äufsere Kreis ist in 360" und
diese in je sechs Teile geteilt, so dafs eine dirt^kte Ablesung auf zehn Bogen-
minut(;n m(',g]ich ist. Bei genauer Ijeobachtung kann man Schätzungsweise
auf 5' kommen. Die Teilung ist von rechts nach links und \<in links nach
rechts numeriert und zwar stehen die Anfänge bt-idei- Numerierungen um 15"
von einanrler ab. Dies rührt daher, dafs die Ablesung nicht in der \"isier-
linie der beweglichen Diojjicr sondern an den Kanten di'r Kegel geschieht,
w(,'lche auf die Pjreite des Limtjus eine radiale Richtung habcMi und um 7 ' •_> "
vc)n der X'isierlinie abstehen.
85
Der innere Kreis ist in den vier Quadranten mit einer Skala zu Höhen-
messungen, einer Übertragung des geometrischen Quadrates auf den Kreis
versehen, jeder Quadrant ist in zweimal Hundert, gegen die Alitte abnehmende
Teile geteilt. Auch hier ist die Teilung gegen die Axe der festen Diopter
um7\L>" nach rechts verschoben. Zwischen diesen beiden Teilungen ist, auf
die vier Quadranten verteilt die Gröfsc der trigonometrischen Funktionen
Sinus, Tangente, Secante und Sagitta := Sinus \ersus in der Weise dargestellt,
dafs man von jedem Bogen aus die Gröfse der ihm entsprechenden Funktion
ablesen kann. Hiebei ist eine Teilung des Radius in 1000 Teile zu Grunde
gelegt.
Fig 26. Gaiizps S<',h('ibeninstrument von Fraiiciscus Ficbiir.
17. Jahrhundert 2. H. W. .1. 25fi.
Das Instrument ist zunächst zu Winkelmessungen !)(\stimmt , es kann
aber auch zur Messung von H()hen und horizontalen Längen, sowie zu deren
trigonometrischer IJerechnung xerwenck^t werden.
Die Ausführung des Instrumentes ist iMue \ ortrt^Tliche , sowohl das in
technischer wie in dekorativer Hinsicht.
Fin kleines hübsch gearl)eitet(^s halbes Scheibeninstrument W. J. 1266
\on nur 7 '.- cm Durchmesser, bezeichnet /Xnthon Sneew , aus dem 17. Jahr-
hundert, hat eine Teilung in halbe Grade und auf dem inneren Rande des
Limbus eine Scala zur Hcihenmessung igeometrisches Quatlral aui den Kreis
— 86 —
iibertra^u'n). Auf dem Drc^hpunktc* cl(>r hcwcj^flichcn Re^'cl ist, mit ihr drehbar,
eine Bussole ans^ebracht.
l^ei der Mehrzahl unsercM" Instiumente ist eine Teihm^ der einzelnen
Grade durcli TransNersalen, ^nnv()hnhch in sechs Teile zu 10', zuweilen in zehn
Teile zu 6' ani^ei^u^ben. Hier sei zunächst das ^'anze Scheibeninstrument W.
j. 1263, Vi\i. 27 erwähnt, dessen Limbus eine 'l'ransversalteilun<^f mit gleichen
Abständ(Mi in Sc^chstelsgiade (10') trägt. Auf dem Instrument ist ein do])peltes
geometrisches Ouadrat angebracht. I)(ni Haujjtdurchmessern entsprechen
Diopter, selbstverständlich ist auch die bewegliche Regel mit einem solchen
versehen. Über dem Zentrum ist eine feststehc;nde Bussole angebracht.
Fig. 27. Ganzes Sch.'ibotiinstrumetit. 18. Jahrluindert. W. .). 1263.
Die Scheibe ist mit durchbrochenem Ranktmornament geziert , das,
prächtig gezeichnet, den Raum in vortrefflicher Weise ausfüllt. Leider ent-
si)richt die Sorgfalt der Teilung nicht ganz dem künstlerischen Werte des
sch(")ncn Instrumentes.
Das Instrument hat noch sc'in altes Stativ mit Kugelgelenk, auf welches
es mittels einer Hülse aufgesetzt wird. Die halben Scheibeninstrumente W.
). 2,")] aus dem 17. Jahrhundert und W. j. 1220 von Bulterfield in Paris (aus
der Sammlung Spitzer Nr. 2769) sowie W. j. 967 von (diapotot aus Paris
aus dc;m 1<S. Jahrhundert haben TranswMsalteilung der einzelnen Grade mit
aefjuidistantcn Kreisen. Bei den beiden ersteren sind die Grade in sechs, bei
letzterem in zehn Teile geteilt.
87 —
Ein halbes Scheibeninstrument von J. G. Ebersberger in Nürnberg 1729,
W. J. 252, Fig. 28, hat Transversalteilung mit ungleichen Abständen der
Kreise, so dafs die Teilung vollkommen korrekt ist. Es ist einfach, aber sorg-
fältig gearbeitet.
Das Visieren mit Dioptern erfordert eine grofse Accommodationsfähig-
keit des Auges, welche nicht jedem Auge eigen ist, man hat deshalb schon
zu Anfang des 18. Jahrhunderts an Stelle der Diopter h'ernrohre mit Faden-
kreuz gesetzt. Abbildungen derartiger Instrumente mit einem festen und
einem drehbaren Fernrohr finden sich schon in der ersten Auflage von Bions
Traite, übersetzt von Doppelmcyer. 1712. Tab. XIII und XIV, ersteres eine
sog. Planchette ronde (vgl. Seite 13), letzteres ein halbes Scheibeninstrument.
Ein Instrument aus der Spätzeit des 18. oder dem Beginn des 19. Jahrhun-
derts besitzt das germanische Museum (W. J. 631). Der Limbus i.st in ganze,
halbe und vierteis Grade geteilt, innerhalb desselben ist die Fläche der Scheibe
Fig. 28. Halbes Srhiiiboiiiiistruinent von .). G. Ebersperger in Nürnberg-. 172'.».
etwas vertieft, so dafs ein Zeichnungsblatt eingelegt werden kann. Auf die
Mitte kann eine Kippregel mit Fernrohr aufgeschraubt werden. An der Kipp-
regel ist ein Nonius befestigt, an welchem 30 Teile 29 V'iertelsgraden des
Limbus gleich sind. Das Instrument kann also zur Messung wie zur Auf-
zeichnung von horizontalen Winkeln benützt werden. Leider ist es so defekt,
dafs ich hier von einer Beschreibung absehen nuils.
Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dafs die Scheibeninstrumente
auch zur Messung vertikaler Winkel benutzt wurden; die Scheibe nuifste als-
dann vertikal gestellt werden, was mittels einer horizontalen Axe oder mittels
eines Kugelgelenkes möglich war. Diese Umstellung der Scheibe licfs sich
vermeiden, wenn man das bewegliche Diopter so einrichtete . dals es nicht
nur in horizontaler, sondern auch in vertikaler Richtung gedreht werden konnte
und wenn zugleich eine Ablesung des Winkels der vertikalen Drehung mög-
lich war.
SS
Audi solche^ Iiistninientc waren schon im 16. jahrhundcMt im Gebrauch.
Ich erinnere an da.s h^in^^an^s erwähnte Univer.sahn.strument von Praetoriu.s
au.s dem Jahre 156S. Ferner ^eh(')rt hierher die Ei.sen.scheibe (Markscheide-
instrument) W. ). 1033 Fi^^ 29 und der Aufsatz einer solchen W. J. 1149.
Beide sind in ihrer Konstruktion nah(^zu iek^itisch , (\s ^enüt^t also die Be-
schreibun^,' des vollstcändi^reren. V(.,d. auch das Instrument von Lörcr S. 13.
Dieses trä^^t die Bezeichnung W. P. Der Stil der Ornamente und die
Schrift weisen auf das Ende des 16. Jahrhunderts und ein Zulegein.strument
desselben Meisters trägt die Jahreszahl 1599. Den Namen des Meisters konnte
ich nicht ermitteln, dagegen ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dafs sich sein
Bildnis im germanischen Museum befindet. Dieses Bildnis hängt in der sog.
Kostümgallerie unter Nr. 652. Es ist von Hieronymus von Kessel im Jahre
1613 gemalt (Eigentum der kgl. bayerischen Staats-Gemäldcsammlung N. Inv.
5546) und stellt eine Familie in bih-gerlicher Tracht , Mann , P'rau und zwei
Kinder dar. Der Mann hält in der linken Hand das vielleicht von ihm erfundene
Fig. 29. Eisenscheibi; von W. P. Um 1600.
Zulegeinstrument mit der Bezeichnung F. W. 1591. Die Tracht ist deutsch
und die Anhänger, welche sämtliche Familienglieder tragen, besagen, dafs die
Familie der katholischen Konfession angeh(")rt. Die Provenienz des Bildes ist
nicht bekannt.
Die geometrischen Instrumente erfahren für die Anwc;ndung in der Mark-
scheid(;kunst, der auf den Bergbau angewandten Mefskunst, gewisse Umgestal-
tungen , welche hauptsächlich dadurch bedingt sind , dafs in vielen Fällen
längere Visicriinien, wie sie die Anwendung von Dio])tern oder Fernrohren
erfordert, nicht gegeben sind. Schon bcM diM' Besi)rechung des ! längekompafs
habe' ich (Mwähnt, dafs das Streichen d(;r Linien durch g(;spannte Schnüre
angegeben wiid. Von Alters her ist in der .Markscheid(^kunst die Teilung des
Kreises in 24 Stundcm üblich. Auch für die Richtung der Linien sind beson-
dere d(M- übrigen Feldniefskunst fremde Ausdrücke* in Gebrauch geblieb(Mi.
hjne horizontale Liiüe heifst s(')hlig, eine vertikale seiger und eine* schiel an-
— 89 —
steinende donlegi^. Die Projektion einer donlegi^^en Linie auf eine horizontale
Fläche wird als ihre Sohle, die auf eine vertikale Fläche als Seigerteuffe be-
zeichnet.
Das Instrument Fig. 29 besteht aus einer horizontalen Scheibe und aus
einem, um eine in deren Mittelpunkte errichtete, vertikale Axe drehbaren
Aufsatz. Das Instrument konnte auf ein Stativ oder eine andere Unterlage
geschraubt werden. Die horizontale Scheibe hat einen Durchmesser von
176 mm; sie ist aus Birnbaumholz, auf ihrer oberen Fläche ist der Limbus
und das füllende Ornament, auf dei- unteren die Bezeichnung W. P. aus Bein
eingelegt. Der Limbus ist in 24 vStunden und jede Stunde in acht Teile ge-
teilt. Die Numerierung der Stunden läuft von links nach rechts wie bei der
Uhr. in die Scheibe sind zwei Bussolen eingelassen , deren IMittagslinie von
den Stunden 0 24 nach 12 geht. Die freibleibende Fläche ist mit derbem
Blattornament gefüllt. Die (Gravierungen auf den weifsen Flächen sind mit
schwarzer und roter Farbe eingerieben.
Ein Dorn, der sich in der Mitte der Scheibe erhebt, trägt den drehbaren
Aufsatz. Statt des Diopters, das in den Gruben keine Anwendung fand, ist
ein Richtscheit (Arm) angebracht , das mit einem horizontalen Gelenk und
einem Zeiger versehen ist und vorn in einen Hacken ausläuft, in welchen die
die Richtung der Linien bezeichnende Schnur eingehängt wird. Das Gelenk
des Richtscheites , welches eine Drehung des vorderen Teiles in xertikaler
Richtung gestattet , steht im Mittelpunkt eines V'ertikalkreises. Die beiden
äufseren Quadranten dieses Kreises sind von der söhligen Stellung des Richt-
scheites aus in je 12 Stunden und jede Stunde in acht Teile geteilt. Der
Winkel einer Stunde umfafst also nicht 15" wie auf der söhligen Scheibe',
sondern niir l^i. Ich weifs nicht ob diese Art der Teilung allgemein verbreitet
war; bei dem Aufsatz einer Eisenscheibe \V. J. 1149 findet sie sich ebenfalls.
In späterer Zeit wurde, auch wenn das Streichen der Linien in Stunden an-
gegeben wurde, ihre Donlege (Neigung) nach Graden gemessen.
Aufser dem Richtscheit und dem Teilkreis ist an dem Aufsatz ein Zeiger
angebracht, der die Stellung des Richtscheites auf der söhligen Scheibe an-
zeigt und endlich ein Lotmafs zum Zweck der genauen Aufstellung des In-
strumentes.
War das Instrument S(')hlig und nach der Mittagslinie aufgestellt, so dafs
sich sein Mittelpunkt über einer, oder über dem Schnittpunkte zweier Linien
stand, wurde die Mefsschnur in den 1 lacken des Richtscheites eingehängt und
angespannt, so dafs sie der Richtung der zu bc^stinunenden Linie parallel war,
so stellte" sich der Aufsatz in eine Vcn-tikalebene ein, welche duixh den Dorn
und die Schnur bezw. die Linie gelegt wai- und (k'r untere Zeiger gab aut
der EisenschcMbe den Winkel der Linie gegen die Mittagslinie, der ZcMger am
Richtscheit die Donlegc^ dei" Linie an. liei Messung \()n Winkeln mulsten
die Differenzen der /AblesungcMi gesuehl we-idcn.
lun geometrisches Instrument ähnliclKM" Konstruktion aus dc>m IS. Jahr-
hundert, besitzt das geinianische Museum untei' W. j. 166, k'ig. 'M). Auf
cMuer horizontalen Scheibe xon 13,2 cm DuichmesscM", dercMi Limt)us in ganze
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XII.
90
Grade <^u-tcilt ist\ ist konzentrisch eine kl('in(M-e drchharc SchcMbc anf^cbraclit.
Aul" ilit'scM- ScheÜH* (.-rhcbt sich (Mn Gc-stell , das eine um eine horizontale
Axe ih-ehbare 1 )i()i)terre<4el untl einen mit dieser aus einem Stücke ^beschnit-
tenen I laibkreis trä^ft. Der I Iall)kreis ist von der Mitte an nach beiden ScMten
in 90" ^'eteilt. h^in Lot, welclies an der Axe Ix;festi(^t war, jetzt aber fehlt,
spielte^ bcM horizontaler Stellun<,f der Re<,U'l auf den Null])unkt der Teilung ein
und i,^ab, wenn das I^iopter um die horizontak^ Axe «gedreht wurde, dessen
NiMgunij l^'cgen den Horizont an. Zum Zweckt' der Messung vtjn llorizontal-
Fifr. 31». Iiistr iiiiuit 7iii Mis-^in.' \ n li ii/ iitil n un 1 \ itikaieii Winkeln
1^. Jahihiindut, W . J. U,h.
winkeln ist an der dr(dibaren Scheibe in d(>r Richtung der Dioptt^-rt^gel ein
Stift angebracht, welcher auf denn Limbus (Um- fcvsten Scheibe die Stellung
der Visierlini(; angibt. Die Differenz der Ablesungen ergibt die (jrr)fse des
Winkels.
An der festen 1 iorizf)ntalscheibe ist, parallel zu dcv Idnie 0 — ],S() der
Tt'ilung eine; Diopleri-egel angebracht, {\s konnte also, wenn diese auf (Jen
(;inen, und die (Ji-chbarc auf den anderen W'inkelschtMikel eing(\stellt war, die
(jr()lse des Winkc'ls auf dei' 1 lorizontalscheibe auch uiunittt-lbar ab<relesen wcv-
— 91 —
den. Die Ablesung ist mit einem kleinen, aus der Exzentricität der Visier-
linien herrührenden Fehler behaftet.
Die S[)angen auf der drehbaren Scheibe trugen ehemals eine Bussole.
Das Instrument ist kein einfaches Scheibeninstrument mehr, sondern es
ist im Prinzip ein Theodolit, allerdings von einfachster PV)rm und Konstruk-
tion und der Weg von ihm bis zu den äufserst vollkommenen Instrumenten
unserer Zeit ist ein weiter, aber die Grundgedanken des Theodolits sind in
unserem Instrumente schon verwirklicht.
Unsere Sammlung besitzt keine Instrumente, welche die allmälige Aus-
bildung des Theodolites veranschaulichen, lünige derartige Instrumente sind
in der fürstlich Wallerstein'schen Sammlung in Alaihingen, andere im Museum
l'ridericianum in Kassel, auch in den geodätischen Sammlungen der technischen
Hochschulen, in den Beständen der topographischen Bureaus, der Kataster-
bureaus u. s. w. dürfte sich manches Material zur h^ntwick(?lungsgeschichte des
Theodoliten, des vollkommensten geodätischen Winkelinstrumentes finden.
(Fortsetzung fol<;t.)
Nürnberg. Gustav von Bezold.
^^/K*^ Is das sowohl kunstgesc
/'.\/^^V^^ samste Stück der zu
Der Zeugdruck mit der heiligen Anna, der
Jungfrau Maria und Seraphim (aus der Samm-
lung Forrer, jetzt im Germanischen Museum)
und einige altkölnische Handzeichnungen.
(Mit einer Lichtdrucktafel.)
schichtlich, wie auch rein künstlerisch bedeut-
v^/.w«- .ncti,...;.v ^L^.^iv vav^x x,i. Anfang des Jahres 1895 vom Germanischen
^-iv^i >*=>-. Museum erworbenen Dr. R. ForrcM-'schen Zeugdrucksammhmg, mit
deren Katalogisieiung der Unterzeichnete zur Zeit beschäftigt ist, darf ohne
Zweifel der ungebleichte Leinenstoff gelten, dessen schwarz aufgedruckte Dar-
stellung unstu-e Textabbildung in Li der Originalgr(')fse wiedergibt M-
Rcxhts sehen wir die heilige Mutter Anna in cm faltenreiches Gewand
gehüllt auf einer Bank sitzend, den linken Fufs auf (Muen hTifsschemel von
d(^r vorauszusetzenden Länge der l)ank gesetzt. Ihr zur S(Mte stecht die
jugendlichiN kaum dem Kindesalter entwachscme .Maria, sich lc>rnl)egierig über
c'mc SchriftrolU; beugend, die sie mit beiden Händen hrilt und die aufgcM-ollt
üb('r (Umi Schofs der Mutter bis auf die Kn\c hinabfällt. Die heilige^ Anna
weist mit denn Zcngefingcn' der rechten Hand offenbar auf Noten zu Anfang
des Schriftbandes hin, und der weiter folgi-nde Text der Rolle: gloria
laus deo< -) zeigt uns, clafs es der Gesang zu Lob und Preis des H(')chsttMT
11 Herr Dr. Forrer war so liebenswürdig', vnis tias ("liehe für diesen Auisatz wie
für den Gewebekatalo^f zur \'erfü<,UTn^ zu stellen,
2) Das letzte Wort verkehrt geschnitten. V;4l. auch Forrer, Die Zeuj^tlrucke der
byzantinischen, romanischen, ^'otischen und späteren Kunstcjioche n. Stralsbur;^ IS'M S. L'S.
— 92 —
ist, worin ilit- Mutter die Tochter unterrichtet. Sie wird darin \(»n fünf als
\'(")j4el nut l-'.ni^udskopfen i^^fcstaltetiMi Seraj)liini unt(M-stützt. (he hinter der Jung-
frau Maria, ihr lieiht; . heiH^. licihij sinkend, den Kaum erfüllen. Dieser
wird ül)erw(ill)t \ on dici laotischen Baldachinen, \-on denen der inittlert',
breiten' und auch wohl xorspiins^i'nd L,fedachte wiederum in drei 'I'eile (geteilt
ist. Dil' mit Krabben und Kicuzblumen Ljeschnu'ickten Wimpers^c derselben
ra^en \ov einer Arkadenreilic emjjor, die \(.n einem X'ierpafsfries überh()ht
wird, worauf das Ganze mit einer Bekrömm^ xon Blumen abschliefst.
T«:#T4»2ft:«r«%^i<^^^^^^%4
Nit-derrheinisi'lier (kölnischer) Zi,-ii?i]ni''k. 15. .lahrhiindert.
Diese Darstellung erscheint hell auf dunl^lem, mit gotischtmi Distel- und
Kankenwerk ^u-mustertcm Grunde und wiederhc)lte sich zum mindesten nach
oben hin n'jch einmal. Von diesei' Wiederholung^ scheidet sie eine 12 mm
breite \'ieii)arsbf)rdüre, und eine ebensolche IJordüre bildet auch nach unten
hin den Abschlufs, (jerade der Umstand, dafs wir es q'cwissermafsen nur
mit der hjnheit einer Must('runL; zu thun haben, verdunkelt uns den Zweck,
zu d('m unsei" Ze-ULjdruck ui'sjJi'ünL^'lich hei'L,'estellt sein ma;^. Handelte es
sich nui- um cinc^n einmaligen Abdruck des Models, um einen Bilddruck, so
wären wii' wr)hl ehei' b(,'rechtiL^t, eine X^irlaj^e \'i\v Stickerei darin zu erblicken,
wie solche nachweislich nicht selten durch ModehJruck heruesti'llt wordim
— 93 —
sind'^). Wie die Sache liej^t. scheint mir indessen diese Vermutung,' Forrers ')
nur wenig WahrsclieinHchkeit für sich zu haben, um so weniger, als die sorg-
fältige und elegante Zeichnung doch wohl \errät . dafs dieselbe sich selbst
Zweck war. Die eigentlichem Stickereixorlagen in Zeugdruck sind zumeist
weit gröber. In späterer Zeit werden dabei auch wohl die verschiedenen
Sticharten zugleich mitangedeutet . wie das z. P). bei dem \on Forrer (Die
Zeugdrucke Taf. LVI) rejjroduzierten Zeugdruck, der, im wesentlichen genau
nach der Darstellung des Titelblatts von Dürers MaricMilebcMi , die Madonna
mit dem Kinde zeigt und sich jetzt ebenfalls im Germanischen Museum be-
findet, der k^all ist. Fher möchte ich noch bei unserem Zc:ugdruck mit der
heil. Anna, der Jungfrau Maria und den Seraphim an die aus einer doppeltcMi
Reihe gleicher Darstellungen bestehende breite Finfassung einc?s auch im
übrigen auf einfache Art mit stilisierten Mohn[){lanz(Mi , Distelzweigen oder
dergl. gemusterten kirchlichen Vf)rhanges zur Abkleidung eines Kaumes (vgl.
die zur Fastenzeit vor dem Altar aufgehängten Hungertücher etc.) od(M-
als Wandbehang denken. Alinliche Doppelborten zu solchem Zweck — die
Darstelkmgen in der Kegel freilich nicht xon so ansehnlichen Abmessungen
— finden sich unter den Geweben des 14. und 15. Jahrhunderts nicht selten.
k^benso schwc-r, wie über die urs])rüngliche Bestimmung läfst sich über
r)rt untl Zeit der I'^ntstehung des in Rede stehenden Zeugdrucks nach diesem
allein selbst Sicheres aussagen. Die Nachrichten über s(nne Provenienz be-
schränken sich darauf, dafs er in einer Kirche bei luiskirchen gefunden wurde.
Wie dieser k\mdort. sf) mufste auch das häufige Vorkonuuen alter Zeugdrucke
namentlich in den ärmeren Kirchen der (hegenden xon K(")ln , Düsseldorf,
Aachen u. s. w. xon vornherein dazu führen, den h'abrikationsort unseres Zeug-
drucks in die Landschaften um den XiedcM-rhein oder die angrenzenden (je-
biete zu \erlegen, und die auf dtm k^ntstehungsort gtMichtete Frage hat denn
aucli bisher nur gelautet und kann in der That wohl nui' lautt-n : nieüer-
rheinisch-kölniscli oder franz(')sisch-burgundisch .'
Die Ansicht, dafs der Zeugdruck xielleicht burgundischen Ursprungs sei.
gründet sich vornehmlich auf einem Urteile \V. F. Schreil)ers , wonach die
Auffassung der Seraphim als Vogelgestalten auf l-'rankreich weiscMi soU'i. Ich
kann die Richtigkeit dieser l-)ehau])tung nicht kontrolicM-en , da es mir hic/.u
an dem n(")tigen ikonographischen Vergleichsmaterial fehlt. Was ich im Original
oder in Al)bildungen an Seraphimdarstellungen kennc> , steht mit alleiniger
Ausnahme der wtnter untcMi zu bes])rcchenden Mandzt-ichnung den l-.ngels-
gestalten des Zeugdrucks — denn mit eigentlichem Seraphim, d\c nach Je-
saias 6, 2 drei Paar hdügel liabcMi müfstcMi und für die aulscM'dem eine tc^il-
weise X'erdeckung dc\s (jesichts charakterist iscli ist, haben wii" es hier nicht
mehr zu thun — \()llig fern, vnid auch ( )skar WultT in seiner \ cidiensllichen
3) Vgl. namentlich Ivs.scnwcin im .Anziimr liir Kumlr der (Untscln'ii X'or/rit IST'J
Sp. '245, Lippmann, Über die Ani';inL;e der l'(iinT<chiieideknnst und des lülddiucks, im
Rcpcrtorium für Kun.stwi.s.sen.schaft 1 il87(ii S. L'17. Forrer a. a. O. .b. '_") u. a. m,
4) a. a. O.
5) Forrer a. a. ü. S. 28,
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DissiTtation CluTuhini , TliroiK^ und Seraphim. Ik()n()gra])hi(' der ersten
lüijL,^elshierarchie in der cliristlicluMi Kunst (1. Teil Altenbur^ 1894) erwähnt
oder hinschreibt niclUs AhnHches, olis^diMch er zahh-eiche Typen bespricht und
abbiUli^t, S. 6.S tV. alle ihm bekannten Sera])hdarstellun(^fen bis zum 14. Jahr-
hundert aufzählt und kui/ charakterisiert und S. 72 ff. auch der si)äteren Um-
wandluni^j; namentlich der Seraphimty])en ein besonderes Kapitel widmet. Nur
/u zwei unter den dort behandelten 1^'ällen bemerkt Wulff, dafs man den
Ijndruck dcv Vos.;el_L(estalt erhalte, weil die hdü^fcl fast L^anz oder ganz unter-
halb des Ko})fes angeordnet sind«, nämlich bei der Darstellung zweier Vier-
tliigUn- auf einem rohen Frescogemälde des 13. Jahrhunderts in Xederizy bei
Nowgorod und bei zwei ähnlichen k'iguren auf der hirzthiir der Kathech-ale
von Susdal iGoux ernement Wladimir i, die trotz der Übereinstimmung in der
Technik mit den Thiu-en von S. Paokj und des Domes xon Amalfi erst eine
Stiftung des 16. Jahrhunderts zu sein scheine''). Beide Werke östlicher Kunst-
iibimg k(')nnen, welches auch immer ihre \'orbilder gewesen sein mr)gen, für
unser Stück gcwifs in keiner Weise zur \"ergleichtmg in Betracht kommen.
Ich mufs also die Frage , ob sicli etwa aus der Art der Seraphimdarstellung
ein Kriterium fin- die Herkunft unseres Zeugdrucks ergibt, auf sich beruhen
lassen.
Dagegen hätten wohl auch andere ikonograjihische Gründe für die Ansicht,
dafs die Darstellung der franz(')sischen Kunsts|)häre angehören und entsprossen
sein möge, beigebracht werden können. Zunächst k()nnte man versucht sein,
es aus dem Gegenstand der Darstellung selbst zu schliefsen. Denn seitdem 1378
der öffentliche Kultus der heil. Anna, der im christlichen Orient Ixn'eits früh-
zeitig geblüht, auch im Abendlande Eingang gefunden hatte, indem Papst Ur-
ban VI. ihn den Engländern gestattete, scheint sich anfangs Frankreich dem-
selben mit weit gröfserem Eifer hingegeben zu haben, als Deutschland, wo erst
gegen das Ende des 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts mit dem mäch-
tigen Aufschwung, den zu Ausgang des Mittelalters noch einmal der Marien-
kultus nahm, namentlich infolge der Bemühungen des Abtes Trithemius auch
die Verehrung der Mutter Anna allgemeiner gcnvorden zu sein scheint '). Schon
die \(M-hältnismäfsig häufige Dai'stellung der heiligen Anna als Hau])tperson in
Werken der franz(')sischen Kunst vor der Mitte des 15. Jaln"hunderts gegenüber
dem seltenen W^rkomnuMT dcM'selbtm auf dcnitschem lioden spricht ohne Zweifel
dafür. Auch die auf unserem Zeugdruck dargestellte^ Szene : die heil. .An.na ihre
1 ochter .Maria unterweisend, begegnt't uns in k'rankreich f)ereits im 14. lahr-
hundert. z. li. als Schnitzerei am Chorgestühl der Kathedrale zu Amiens ""l.
Die Szene findet in dei' Fegende der heiligen Anna keine Stütze, ja es galt
sogar als unorthodox, anzunehnu^i, dafs d\c heilige lungfrau, die ja seit und
\f)r ihrer (jeburt mit allen Gabeln des heiligen Geistes reichlich ausgestattet
61 Oskar Wultf ;l a. O. S. SD.i
7 \'^l, 1- . l'aik f)ic VcrchruiiL; üer heiligen .Anna nn X\'. lahrliundcrl in 1 )cr Ka-
tholik lA'ill. 1 1S7S S. i,'i\\. Der Vci lasser fbalk hat vor allem die dcutsclun Verhält-
nisse im Au^'e.
S,! l-vlas.si.schcr ^kulptui cn.scdialz ^,'r. 77,
— 95 —
war, von irgend jeniandcnn unterrichtet zu werden brauchte ''). Daher ist
diese DarsteHung, die wenit^^er dem religicjsen als einem rein menschlichen
Empfinden entsprang, im Mittelalter nicht gerade häufig. Aus Deutschland
wüfste ich im Augenblick kaum eine; zu nennen , denn eine gotische IIolz-
skulptur der Kirche zu Kirchlinde in Westfalen, dic^ man nach dem Licht-
druck in den Bau- und Kunstdenkmälern \on Westfalen (Kreis Dortmund-
Land Tafel 24 Xr. 4) ohne Zweifel als eine solche Darstellung ansprechen
würde, wird in dem genannten Inventar als -Selbdritt- mit dem Zusatz -Jesus
verstümmelt <' — von Ergänzungen sagt der Text indessen nichts — bezeichet,
und eine gleichfalls in Westfalen, in einem Codex der Esterhazy'schen Bi-
bliothek auf dem Schlosse zu Xordkirchen befindliche Miniaturmalerei, die eben-
falls unsere Szene zum Gegenstand hat ■ — vgl. Die Bau- und Kunstdenkmäler
des Kreises Lüdinghausen l~af. 75 — scheint mir zu starke flandrische Ein-
flüsse zu verraten, lun als spezifisch deutsche Kunst in Anspruch genommen
werden zu können; sie steht möglicherweise in näheren oder entfernteren l^e-
ziehungen zu den Heures« der Anne de l>retagne, aus deren reichem Minia-
turenschmuck Dibdin und nach ihm Guenebault die reiz\'olle Darstellung
-Sainte Anne instruisant sa fillc' besonders her\orheben '"). — immerhin sieht
man schon aus diesen Anführungen deutlich, dafs nicht erst, wie in den
meisten ikonographischen Handbüchern zu lesen steht, die Neuzeit, nicht erst
Murillo , Rubens u. s. w. das anziehende Motiv in das Bereich ihres künst-
lerischen Schaffens gezogen haben, sondern dafs die Darstellung bereits dem
späteren Mittelalter eigen war , Erankreich offenbar früher als Deutschland.
Ebenso scheint in der Baldachinarchitektur unseres Zeugdrucks das kräftige
Betonen der Horizontale eher auf Erankreich als auf Deutschland hinzuweisen.
Aber gerade hinsichtlich dieser Architektur brauchten wir , auch wenn
wir den deutschen Niederrhein bezw. K.öln als Entstehungsort des Zeugdrucks
annehmen würden, nach einem Vorbilde nicht weit zu suchen. Die Wand-
malereien im Chor des Kölner Doms, das Leben der Maria (schon mit zwei
Szenen aus der V'orgeschichte), sowie die LegendcMi der heil, drei Kcniige,
des Papstes Silvester imd der Apostel Petrus und Paulus darstellend, weisen
als Umrahmung für die einzelnen Hauptbilder eine scdir ähnliche, nui- reicher
durchbrochene Architektur auf, die teilweise ebenfalls mit Ai-kadenreihen
hinter den Wimpergen und einem Drcipafsfries (anstatt des X^ierpafsfrieses
unseres Zeugdruckes), freilich noch mit anschliefsendem Dach und loekrcnien-
der Zackenreihe nach oben hin abschlic;fst ' ')■ J^i *'>^ macht sieht nicht ein-
mal ein durch die verschiedene Enstehungszeit l)edingter StiluntcM-schied be-
9) B. Eckl . Die Madonna als (ic<4cn.stanii chri.sllichcr Kvinstmalcrci und Skulptur,
Brixcn 188.'], S. 06.
]()! r)il)din, Voyaycs en France 1, Ih-I .\nm. A.; L.-J. duc iirhaulf , Dictionnaire icono-
>^rai)hi([uc des monumcnts de ranli(|uitc chrcliennc: et du nioyeu ,i;4c (Paris lS4;it 1, <i4.
11.) Die Kopien und Durchzeichnun^en, die Ostcruald seinerzeit von dm Malereien
im Chor des K(')lner Dom.s ^eferti^^t hat und die .sich jetzt iin k^l. Ivunstj^ew erhemuseuni
in l'erlin bclinden , konnte ich durch das rreuniHiche hnt^c ;^'enkoninien der X'erwaltun^
de.s Kun.st^cuerheinuseums zu v(M-lie^ender l'ntersucliun|4 im (urmanischen Museum Ik -
luilzen.
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sondtTs ^^rltrnd . ohi^tliMcli docli die Malereien des Kölner Domchors ohne
Zweite! aus tlen /wanzii^er oder dreilsif^fer Jahren des 14. Jahrhunderts stanmien
- die Weihe des ("hors erfol^^le schon 1322 , während wir als die ICpoche,
in welcluM- unser ZeuL,ulruck iMilstanden ist. zunächst einmal die ^anze Zeit-
si)anni' von 1 oVS bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts im Aul,u; behalten wollen.
Alk- in nach der Architektur würde man den Zeu^^druck \ielleicht um einige
Jahrzehnte früher datieren.
In i^deicher Weise aber k<')nnten jene anderen ikonographischen Beson-
derheiten — mit stilkritischen I^rwägungen kcjmmen wir infolge des Mangels
an Vergleichsmaterial der gleichen Technik und Zeit bei unserem Zeugdrucke
nicht \-om Fleck — nicht sowohl auf franzcKsischen Ursprung als nur auf fran-
z()sisch-l)urgundische Einflüsse deuten, wie sie sich ja in der Kunstübung der
i\heinlande während des Mittelalters so häufig und zahlreich geltend gemacht
haben. Und so äufsert bereits R. Forrer (Die Zeugdrucke S. 2<S f.), dafs
trotz der oben zitierten Meinung Schreibers bei der Herkunft des Stoffes
aus jener Kirche bei Fuskirchen > immerhin auch der Gedanke an eine am
Niederrhein unter burgundischem Finflufs entstandene Arbeit nicht, ganz aus-
geschlossen sein möchte, und in seinem neuesten W^erk (Die Kunst des
Zeugdrucks vom Mittelalter bis zur Emjjirezeit. Stral^sburg 1898 S. 26) nennt
er schon etwas bestinimter , wenn auch noch immer zweifelnd , die Kölner
Gegend als den Entstehungsort des bedeutsamen Stückes '-).
Diese Ansicht Forrers glaube ich wesentlich unterstützen zu können
durch einen Vergleich des Zeugdrucks mit einer kleinen Reihe von Hand-
zeichungen, die das Kupferstichkabinet des Germanischen Museums bewahrt
(Hz. 37 und 38). Eine derselben, die als die Rückseite zweier anderer be-
handelt war und aus diesem Grunde bisher so gut wie unbeachtet ge-
blieben ist , weist nämlich fast genau die gleiche Darstellung wie unser
Zeugdruck auf, nur dafs, da es sich überhaupt nur um eine Skizze handelt,
die Architektur und der letzte der fünf Seraphim fehlt, zu einer Musterung
des Hintergrundes erst lUichtige Ansätze gemacht sind und die ganze Szene
überdies im Gegensinne erscheint. Unsere Eichtdrucktafel giebt an erster
Stelle diese Seite und Darstellung des betreffenden Blättchens (Hz. 38) in
Originalgr(')fse wieder. Ein X'ergleich mit der Textillustration zeigt, wie
Zeugdruck und Handzeichnung sogar in Einzelheiten übereinstimmen. Die
Haltung der heiligc-n Anna und der FaltcMiwurf ihres Gewandes, Haltung und
Et'bcnsalter der Maria, die beidemale — abweichend \-on anderen Dar-
stellungen und noch mehr abweichend von der Fegende, wonach die heilige
lungfrau kaum drei Jahre alt bereits \'on ihrt'U l^ltcM'n dem Dienste des
T(;mi)cls geweiht wurde — als i'twa 12- bis 14 jährig dargi'stellt ist. die An-
ordntmg de!" \ier Hände, die tatzenai'tige lüldung dei- h'üfse bezw. Hände der
Seraphim, von denen IxMdemale einer die Schriftrolle unten halten hiltt, die
Behandlung des lockigen Haares der l'",ngel, ia 1 laltimg und Ausdruck ihrer
\'J Dn.s zuhtzt zuierti W'eik ist zur /i it dn ich dies srhreihe, wohl nerh kaum
er^ehicncn. Mir l,i^ ein zum 'l\ul uurh liainlsclirillliches l'",\emiilar davon vor. das Herr
I)r l'orrer die j- rcundlielikeit hatte, zur cinstw eiliifeu iknutzuniJ zu senden.
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- 97 —
Köpfe sind hier wie dort fast völlig die gleichen, fn einigen Punkten kann
die Handzeichnung gewissermafsen als Kommentar für den Zeugdruck dienen.
Man erkennt z. R. aus ihr er.st mit Deutlichkeit, dafs die je mit einer Art
Auge endigenden Schwung- und Schwanzfedern der Seraphim — nur der
letzte, fünfte, der in der Handzeichnung fehlt, ist damit nicht in derselben
Weise bedacht worden -- Pfauenfedern bedeuten sollen : ein sehr an-
sprechender, wahrhaft künstlerischer Auffassung entspringender Ersatz für
die zahlreichen Augen, die, eine frühe Entlehnung vom Cherub, sonst meist,
etwa als goldene Flecken, das Gefieder der Seraphim zu bedecken oder auch,
in Reihen gestellt, bandartig, wenig sinnvoll zu umsäumen pflegen. Dem
allen gegenüber können die bestehenden Unterschiede , dafs in der Hand-
zeichnung die Heiligenscheine fehlen, auf dem Zeugdruck der vierte der
Seraphim, wie es scheint, eine geschlossene Schriftrolle in der Rechten
hält etc. — die wichtigeren Abweichungen wurden ja bereits angegeben —
nicht eben schwer ins Gewicht fallen ; es wird zugegeben werden müssen,
dafs zwischen Zeugdruck und Handzeichnung sehr nahe Beziehungen ob-
walten. Ja man wird sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen
dürfen, dafs beide aller Wahrscheinlichkeit nach bezüglich des Ortes — von
Zeit und Werkstatt sehen wir hier noch ab — der gleichen Herkunft sind,
dafs also, wenn sich für unsere Handzeichnung der Entstehungsort nach-
weisen liefse, er auch für den Zeugdruck nachgewiesen wäre.
Allerdings hat ein unwiderleglich sicherer Nachweis in Fällen wie dem
vorliegenden seine grofsen Schwierigkeiten, grenzt, wenn dem Forscher nicht
ein günstiger Zufall, ein glücklicher Fund zu Hilfe kommt, sogar ans Un-
mögliche. Immerhin mufste es, da die nahe Verwandtschaft des Zeugdrucks
mit der besprochenen und infolgedessen auch mit einigen weiteren Hand-
zeichnungen desselben Meisters als ausgemacht gelten konnte, in hohem Grade
lockend und lohnend erscheinen, nun auch in die weitere Untersuchung ein-
zutreten, der Entstehung, der Schule dieser Handzeichnungen, die überdies
nicht unbedeutende künstlerische Qualitäten aufweisen, genauer nachzugehen,
selbst auf die Gefahr hin, keine sicheren Resultate zu erzielen, sondern etwa
nur einen Wahrscheinlichkeitsnachweis zu erbringen. Diesen wenigstens
glaube ich, wie ich der Entwicklung vorgreifend schon hier bemerke, im
Folgenden führen zu können. Vielleicht dafs Andere, denen der Kunstkreis,
um welchen es sich hier handelt, mit seinen originalen Denkmälern örtlich
näher liegt, weiter zu gelangen, die Wahrscheinlichkeit zur Gewilsheit zu er-
heben, im Stande sind.
Demselben Meister, der die bereits ln\sprochene I landzeichnung skizzen-
haft, aber doch nicht ohne manche h\^inheiten in der Ausführung tMitwarf,
geh()ren nun zunächst die beiden Zeichnungen an, welche die andere Seite
des Blättchens einnehmen und auf unscM-er Lichtdrucktafel an zwcmIcm' Stelle
wiedergegeben sind. Dic> IScMiutzung einc^s und d(\sselben Blattt\s und die
Gleichheit in Stil und Ausführung man vei-glcMcln^ z. 1). Hikhmg und Aus-
druck des Gesichtes der heiligen Anna mit den Gesichtszügen der zweiten von
dc^n beiden I'rauengestalten — lassen darüber (Muen ZwiMfc^l nicht aufkonmien.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XIII.
'JN
Die cisti' ilci l-"i;_;urcn stellt sich un^ als eine höchst nicrkwüi-dii^c Wt-
niischimL: \ fi-scliicdciici- ikonoi^raphischcr Typen dar, für die ich keine
/Xnaldi^it' hcilninL^cn kann. Ivs ist olVcnhar die juni^drau Maria, die, das
lockiL^c llaupt ein wcnii; nach rechts xor^enei^t, in \vi;ittM\ taltema'icher Cje-
wanihniL^ luhiL; dasteht. Aus ihrem Scholse nur mit dem Oheikrii"))cr hei'-
\(inaL;end ist m kleiner ( li^staltuni; der ;^()ttliche Sohn sichtbar. In .älmHcher
W'erse findet man. wohl l»ei 1 )arstellunL;en der 1 leimsuchun^" (^fele^eiitlich die
l, 'oiiception anL^edeutet. doch mit dem wesentlichen L'nterschiede. dals dann
n\L;elm;it'>iL^ sowohl hei .Maria wie bei der hdisabeth die edle Leibesfrucht in
kindlichei- IhlduiiL; i'rscheint, während wir hiei" den 1 leiland am 1-nde seiner
l'jl(iser!aufl)ahn dar^e'stellt sehen. I)as tote Haupt ist zur Seite ijesunken,
die /iii^e des 1 )iilderantlitzes sind xon Schmerz \crz()<j;en, (iie durchbohrten
1 kinde liefen ki'euzweis i'ibereinandcr. Ivs ist di;'selbe k)arstellun^, die uns
])■ i d.en X'esperbildern . dei' ISewcinun;^ oder Pietä <^fcläufii^ ist. (jKdchwohl
kommen Kumniei- und Schmerz in dem (iesichte unsr'rer Madonna nicht zum
\"o]K'n .Ausdruck. Ist sie doch, wie die Krone deutlich zei^t, nicht vXwd als
schmerzliche Mutter i^edacht, sondern \ielmehr als über alles irdische Weh
erha!)ene ! lim.melsk()ni;^in (larl;(^stellt. Ms ist hier also der Versuch ^s^cmacht,
die dri'i betleutsamstc.-n .Momente aus der (beschichte der allerseli^Ljstcn lung-
trau in einem Ijilde, in e i m-r k'iLjur zu \ i'ix'ini^en. Maj^ man di^'sen Ver-
such wdhl^ei^lückt nennen, den (jedankcMi selbst wird man nicht als besonders
L^U'schmackvoll bezeichnen k('>nnen. Der Kimstler liat hi^'r mit dem dog-
UKitisch gebildeten, tromm-gläubigen Christen nicht Schritt gehalten.
Weit mehr mutet uns die letzte Darstellung unscMws ISlattes, die noch
zu l)esprechen bleibt, an. diejenige der Madonna mit dem Kinde. Die frei-
lich allzu schlanke und kräftige (jestalt der heiligen inn-tVau ist ganz in ein
taltc'nreiches (ji'wand gelüiUt, das nur das (jesicht, die rechte Hand und eine
h'ufsspitze unbedeckt läfst. Das L hristuskind, das sie auf dem rechten,
etwas steif gelialtenen Arm trägt, schmiegt seinen K.oj)f an das (jesicht der
.Mutt(M- und liebko-t sie auch mit dem rechten Händchen, während sich
beii '!(■!■ l.ipiien im Ku^se begegnen. 'Trotz der angedeuteten Mängel der
/eichnunL.; \ err;it diicselbe do;;h eine nicht zu unterschätzeniJe künstlerische
Kiaft. Da-- sinnig und natürlicii zum /Ausdruck gebrachte Motiv di-r Lieb-
ko^uuL; und die feinen, seeleiv. ollen (jesichter von Muttir und Kind zt-ugen
\ ou '1 iete der hjnpfindung . der kaitenw uid und der weiche bluls des (je-
wandes, das offenbai' als ein WollenstolV gedacht ist, zeiL;e'n deutlich eine
gute 1 lioliaclitun- unij tüchtige .Schulung an. \'on der hjgenart seines
Denf;en^ und seiner .Auttassung \\ai'en bereits die \ orboprochenen bt^iden
1 landzindmungen unsei'es Meisters ein Zeugnis.
.\Is ^'(dnen Kiin.-tlei- lernen wir ihn auch .-'us der letzten der hiei' zu
Ite-^pneliendtii I Iandzi-itdmunL;en kennen, deien /.u-eh(nigkeit zu jenen
ani'.ei'en bi leit-^ duieh i!as gleiche l'apier, die i^leiclie d Cchnik' umi die gleiche
l'roMniiuz so -Mt wn Ni(diei- l;i stellt wii'd. k.s ist der Heiland in \oller
\'ordeian-^ii:ht und ganzer i''igur daigestellt, die Ivechtt^ segnend erhoben, in
d'i Linken di.' .-sie^/ ^fahne. 1 bei- d( m Lnlei mwv ande träüt er um die
_ 99 —
Schultern einen weiten Mantel, der auf der Brust durch eine kleine rauten-
förmige Agraffe oder 1 feftel zusammengehalten wird und zu seinen Füfsen
beiderseits fast symmetrisch am Boden schleppt, sich rechts noch einmal um-
schlagend. Wir werden auf dieses Motiv im weiteren Verlaufe unserer
Untersuchung zurückkommen müssen. Ähnliches hätten wir übrigens bereits
bei der Maria als Himmelskönigin zu beobachten Gelegenheit gehabt. Auch
dort schlep[)t ein Zijjfel des Gewandes am Boden. Das langgelockte Haupt
des Erlösers umgiebt ein kreuzführender Nimbus , wie ein solcher auch das
Köpfchen des Christusknaben auf der an dritter Stelle besprochenen Hand-
zeichnung umstrahlt. Das Antlitz soll Hoheit und Milde widerspiegeln,
doch haben leider die Augen eher einen schalkhaften Ausdruck erhalten, der
die bedeutende Wirkung des Blattes etwas beeinträchtigt. Die Stellung be-
zeichnet oifenbar di(^ erste Phase der Auferstehungsgeschichte: der Heiland
hat soeben glorreich das Grab verlassen. In ganz ähnlicher Weise ist der
Auferstandene namentlich in später(;r Zeit häufig dargestellt worden.
Treten wir nun der I'rage nach Nam' und Art unserer Zeichnungen
näher, so ist zunächst zu sagen, dafs uns, wie so häufig in solchen knallen,
die Überlieferung v()llig im Stich läfst. Das kleine Aufsefs'sche Wappen,
das beide Blätter tragen, zeigt nur an, dafs sie zum ältesten Bestände der
Kupferstichsammlung des Germanischen ^Museums gehören. Im geschriebenen
Kataloge werden sie als »altkölnische Schule des 14. Jahrhunderts« bezeich-
net, ob aus anderen, gewisseren als stilkritischen Gründen, läfst sich nicht
sagen. Ein Vermerk, woher sie etwa vom Ereiherrn von Aufsefs erworben
wurden, findet sich nicht beigefügt.
Etwa.s bessere Ausbeute gewährt die P)ctrachtung der Äufserlichkeiten.
Im geschriebenen Kataloge wercJen die Blätter Federzeichnungen genannt.
Trotz der feinen Strichlagen mancher Partien scheinen <\s dennoch Pinsel-
zeichnungen zu sein. Oder man müfste ein Zusammenwirken \()n Eeder und
Pins(d annehmen wollen, denn mit der Eeder allein wären so sanfte Ab-
schattierungen und L bc^-gänge kaum m<')glich gewesen. Auch der ZcMchner,
der, bereits in den fünfziger Jahren, für das Bilderre])ertoriu]u des Ger-
manischen Museums sorgfältige Kopien sowohl der Pliiumelskcniigin wie der
AEidonna mit dem Kinde und des auferstandenen Christus angefertigt hat,
b(>diente sich offenbar hierbei des Pinsels. Di(^ Earbe c;rscheint tiefschwarz,
nicht, wi(^ auf unserer Eichtdrucktafel, mit eincnu Stich ins I:]räunliche. Als
(hund diente ein starkes, hie und da leicht wolkiges Papier mit v.cMter
Ripi)ung, die auch iiu Eichtdruck zu erkennen ist: 11 Ivi]i[)en =1 29 nun, ICs
geht dahcM- nicht wohl an. das Papier seinem- l^itstehung nach später als in
die achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts zu setzen. \'on Stegen ist in d(^i'
Rippung ims(M-(M- Blätter nichts zu entdecken, dagegcMi weist das hier in Eicht-
(iruck reproduzicM'te Blatt in einer l-xk'e ein alleidings nur zum kleincM-en '1 eil
erhaltcMies \Yass(M-zeichen auf. Dieses W;)sserzeicli(Mi-Bruchstück sieht aus
wie (^in durch drei helle EiniiMi in \ier ziemlich gleiche, etwa 3 — 7 nun l)r(Mt(^
Teile geteiltes I'^'agment eines Radc\s mit cMuer dünnen S])cMclie. Ich liai)e
es in der mir zugänglichen einschlägigen Eitteralin- (Kirchnc.M-, Keinz, PiE
1 00 -
(]uc\ u '>. w. ) nicht idcntitl/icrcn l<()nn(Mi. \\n nächsten konniit ihm etwa
(las 1)01 Kcinz Die \\'asserz(Mch(Mi tles XIW JahihundtMts in Handschriften
der k. bayei'. llof- und Staatsbibliotlu'k in den Ahhandlunj^en der k. bayer.
Akademie ^\cv Wissenschaften 1. ("1. XX. Bd. 111. /\ht. .MiinchtMi 1X96) iinter
Xr. 60 abijebiKlete und beschriebene^ Wasserzeichen des 14. Jahrhunderts
I dessen l'rinenienz übrigens dunkel bleibt), doch blicht unser Radfra^nnent
auf der einen Seite deutlich mit eincM'. wie es scheint, (.^febi'ochenen Linie ab,
worauf die ivipiu-n sich tortsetzen.
(jemäfs der l'j'fahrunii; mm, dafs sowohl KlcKStcM' wie Werkstätten sich
bei dem re^en I'apicM'-KlcMnhandi^l damalii^er Zeiten in der Rei^el nicht mit
^n-(')1'seren l'a])ier\()rräten fiii' län^er(- Zeit zu \-ersehen ptle^^tiMi. dürfen wir wohl
aus der beschriebenen Art lies fapieri^s schliefsen, dafs auch die I landzeich-
nunj^iMi in iUmi achtzis^cr, spätestens neimziger jähren des 14. Jahrhunderts
entstanden sind. Sic früher als 1378 zu datieren, ijeht schon aus dem oben
mehrfach an^fezo<.,^enen Grunde nicht gut an.
Die ikonograj)hischcn Besonderheiten unserer Zeichmmgen sind bereits
ausführlich dargelegt worden. l''in- die weitere Untersuchung ergiebt sich
aus ihnen nicht eben \iel. jedoch luag schon hier auf die Ähnlichkeit, die
zwischen imserer Madf)nna ir.it dmn Kinde imd der sog. Madonna mit der
Hohnenl^lüte im K()lner Musinuu hinsichtlich des sonst nicht gerade häufig
vorkommenden Gestus der Liebkosung obwaltet, hingewiesen sein. Zur eigent-
lichen Führerin aber müssen wir nunmehr die Stilkritik wälilen und an ihrer PLand
namentlich die h'ragc nach dem Entstehungsort zu beantworten versuchen.
Wir können auch da wohl, schon wegen der nahen Verwandtschaft der
Handzeichnungen mit dem Z(;ugdruck, \"on vornherein die frühere Beschränkung
eintreten lassen und wiederum lediglich fragen: niederrheinisch-kölnisch oder
franz(")sisch-l)urgundisch.- Die erwähnte Ik-zeichnung der Blätter als -altkölnische
Schule legt es nahe, diese .Möglichkeit in erster Linie zu c>rwägen, jene Be-
Z(Mchnung, die aller Wahrscheinliclikeit nach aus dem allgemeinen Charakter
der Zeichnungen, einem sicherlich nicht zu unterschätzenden Faktor, ent-
sj)rang, zu\'f)rderst näher auf ihren Wert zu prüfen.
Auf di(; Zeit, in ilcr die noch streng stilisierten, ernsten Wandmalereien
im KTjJner Domchor vermutlich durch die her\'orragendsten Kräfte unter den
zeitgen()ssischen l\(")lm'r Künstl(M-n geschat'fen wurden, folgt in (jer Geschichte
der kTilnischen MaK-rei jene l-]i)oche, welcher Mei.ster Wilhelm, der beste Maler
in allen deutschen Landen , wie ihn der Limbui"ger Chronist nennt, ihr Ge-
l>räge gegebtm haben mufs. Leider hat (\^ bisher nicht gelingen wollen, ein
Bild \on der ICigenart dieses Meistcn's zu gi^winnen. Wir k(")nnen ihm zur
Zeit noch k'cin Werk mit einiger Sicherheit oder auch nur Wahrsclunnlich-
l;{Mt zuschi-eiben , wie denn Denkmäler der Kolner Malerei aus lenei' ICpoche
iiberhaupt nui' .-iurserst späi'lich erhalten sind. AK'ister Wilht'lm stai'l) 137S;
xcine Kunst und sein Stil kTiunte also für uns ohnehin zur X'ergieichung nicht
in Betracht kommen.
Aber auch die folgenden j-jitwicklungsphasen tler Kolner .Malei'ei liegen
noch sehr im Dunkeln. Firmenicli-i\ichai-tz, der sich m neuester Zeit durch
~ 101 —
zahlreiche Studien unbestrcibarc Verdienste um die Erforschung der alt-
kölnischen Malerei erworben hat — freilich mufste seine Thätic^^keit nament-
lich für die älteste Zeit zunächst mehr im Xied(M-reifsen, denn im Aufbauen
bestehen — , knüpft bei der Betrachtung^ der Kölner Malerei in den Jahr-
zehnten nach Meister Wilhelms Tod, die dann von der Kunst des Meisters
der Madonna mit der Bohnenblüte abgelöst wird und die für uns hier von
ganz besonderem Interesse ist, an die sicher datierten Miniaturmalereien der
Privilegien-, Statuten- und Memorabilienbücher der Universität Köln an, die
von verschiedenen Händen herrühren '•'). Sie stammen sämtlich aus den neun-
ziger Jahren des 14. lahrhunderts und legen in der That Zeugnis dafür
ab, dafs erst um diese Zeit der alte starre Stil des Mittelalters der für die
spätere kölnische Malerei so bezeichnenden innigen, milden und indi\"iduellen
Auffassung zu weichen beginnt, freilich müssen wir hinzufügen : in der Buch-
malerei. Ob nicht für dit; Wand- und Tafc'lmalerei , soweit letztere damals
schon existierte^, der Umschwung etwas weiter zurückdatic^rt und nicht doch
vielleicht dem weitberühmten Meister Wilhelm kein ganz unwesentlichtM' An-
teil daran zugeschrieben werden dürfte, was Firmenich-Richartz durchaus in
Abrede stellt '■*), kann hier nicht näher untersucht werden. Gegenwärtig zu
halten hat man sich dabei jedenfalls, dafs die grofse Malerei zu jener Z(Mt
wohl mit der Bildschnitzerei nicht aber mit der von Mcnichen oder beson-
deren Illuminatoren geübten Miniaturmalerei Seite an Seite und gleichen
Schrittes marschierte, grofse Neuerungen und Stilwandlungen stets \on jener
ausgegangen sind, während der Buchmalerei in der Regel ein konservativerer
Zug anhaftet, alte Tradition in ihr länger fortwirkt. Das wird auch bei der
I)eurteilung des Verhältnisses unserer Zeichnungen zu jenen Miniaturen in
Anschlag zu bringen sein.
Unter letzteren verraten nur die in dem Privilegien-, I^d- und Statuten-
buch von 1392 eine wirkliche Künstlerhand, wcmn auch nicht, wie h'irmenich-
Richartz mcnnt, einen -Künstler allerersten Ranges . Xur diese stehen auch
bereits \"öllig auf dem Boden des neuen Stiles, für dc>n überschlanke Zierlich-
keit der Gestalten und minnigliche Zartheit der P2mpfindung so charak-
teristisch sind, während die Miniaturen der anderen I]ücher bei handwerks-
mäfsigercM- Ausführung noch mehr oder weniger in den IJahnen dcM' älteren,
strengeren, gebundeneren Kunstweise \erharren. Dennoch läfst sich sowohl
bei diesem, wie bt'i jenen eine ganze Reihe sicherlich nicht zufällig zu unseM'en
Handzeichnungen stinuncMider Zügc^ aufzeig(Mi. So ist d\c. Zeichnimg imd
Haltung des Kejrpers des Gekreuzigten in (Umu Statutenbuch xon i;!92'-'i
1,'^ V<4l. I''innc:nich-Richartz , ?*Icist(T Wilhelm. l-'.in(j Studie' zur dcsohicliu- der
altkriluischcu Malerei, in der Zeilschril't für chrisiliclie Kunst i\' ilS'tli .<)). 'JöO (. Dic;-
j(;nii^cn vier Statutenhücher, welche jetzt da.s .Stadtarchiv zu Kciln in \'er\\ ahruu;^ hat,
nämlich das I'rivile^nen-, Kid- und Statutenliut'h der l'niversiiat von l.'l't^ \r. I ■, das
Statutenbuch der medizini.schen l'akultjit von l,'!').'! Nr. 7i. das Privilegien-, Statuten- und
jMemorahilienliuch von lH<)ö iXr. 'Ji und das l'rivilej^ienliuch der .Nrti.steutakultat von i:f')S
(Nr. 4), habe ich dank dem liebenswürdigen l-]nt!_;e!^eukonnnen der Verwaltung des Kölner
Stadtarchivs im ( lermanischen Museum benützen können,
14i a, a. O, S}). 'J5L' f. Irt) Reproduziert in dem mehrfach an^ezui^fenen Aufsatz
von I'innenich-Kichartz Sp. 24M.
— 102 —
fast l;imi;hi tue Ljlciclif . wir \)c\ der Darstclluni^' des Schmerzensmannes auf
dei- oben an /wcitcf Stelle hesproclienen 1 landzeiclinun^ , und zei^t sich der
weiche^ fa^t antikisc-]ie I-'altenlhils der ("lewandunL; des ICni^uds Matthaei in
ckMUselbeii l'>uehe'') mit der W'ietkML^abe (.\cv CK'wandunL,^ ims(M"er Madf)nna
mit dem Kinde auf das nächste \-er\\\UKlt. Im Ausdruck der Gesichter frei-
lich und nauuntlieh in dei' lü-handluni; des I laares L,daubt man noch wesent-
liche Abweichungen zu eikennen. W'iUu'end insbesondere das KTtpfchen des
lüiLjels — iibei- die liehandlunL^ der Kippte des 1 leilandes , der Maria oder
des loh,amK\s aui diMU KreuziiLjun^sbilde des Buches kann man leider weL,'en
der mauLielhaften kj-haltun*^ nur schwi^' urteilen — <hu'cliaus dem bekanntc'n
ry]>us des .M(-isteis des .Münchener X'eronikabildes etc. entspricht , nimmt
man doch Anstand, die Kr)pt"e, wie si(; unsere I Iandzeichnun<4en aufw(,'isen, mit
iiüdein wie die X'eionika i Kataloo der Gemäldesaumilun<^f der k^^d. cälteren Pina-
kothek Nr. 1 I den Klai-enaltar, die Madonna mit der fjohnenblüte, (im K<)lner
Museum I, d\c .Madonna mit den h2rbsenblüten oder St. Katharina und St. Elisa-
beth (Katalog der im (jermanischem Museum befindlichen Genicälde Nr. 7, 88
und 89 1 und so \ielen andei-en iiber t'inen ijrofsen Teil Xiederdeutschlands
\erbreiteten , kurz mit der ehemals fälschlich Typus Meister Wilhelms l,U"-
nannten Stilrichtuni^ und Ausdrucksweise direkt in Parallele zu setzen. Dabei
machen jedoch die Zeichnun^^^Mi nicht so sehr den h'dndruck ^(röfserer l'nreife
--- h(')clistens die häufi:,; nach den inneren Au_L,U'nwinkeln hin verschobcMien
Pupillen könnten an die Pro])lietenbilder aus denn I lansasaale des Kctlner Rat-
hauses erinnern, mit deren strenger Art sie im übrigen nichts mehr zu thun
haben - als den von Erzeugnissen einer anderen selbständigen und eigen-
artigen Künstlerindividualität. M(>glich allerdings, dafs diesen" Eindruck durch
die X'erschiedenheit der Ausführung — der vielfarbigen (aemälde und Minia-
turen einerseits, der (dnfaxh in Schwarz ausgeführten 1 landzeichnungen an-
dererseits — wescmtlich bedingt ist oder doch \ erstarkt wird. Unsere Blätter
mit autlu:ntischen K()lner Mandzeichnungen aus der W'eniJe des 14. Jahrhun-
derts vergk-ichen zu kcuinen, habe ich bisher keine Gelegenheit gehabt.
Auch die Miniatui'en dei' anderen K()lner üniwM'sitätsbücher bieten bei
einem Vergleich mit unseren ZeichnungcMi im Allgemeinen wie im HesoncJeren
manclies .Analoge. I)a hnden wir bei deui lohannes des Kreuzigungsl)ildes.
W(;lches das Privilegitmbuch (Um' Artistenfakultät von 1 39.S schmückt, wie bei
unsere!' Madonna mit dem Kinde den wohlgelungenen X'ersuch gemacht, durch
ent^pi'echende weiche \'erti-( ibung der I.ichtei' und Schatten den sanften Plufs
und baltenwurf eines wollenen < )bergewandes w ie(ieizugel)en . wie wir das
jUmlich auch bei K'ilnei' Tafel! )ild{M-n und W'ei-ken dei- Kr)lner I'lastik aus (Kmu
letzten \ ieitel des 14. jaluhundei-ts beobachten kTinnen; man xci'gleiche z. !!.
die G<\\andung des heil. |i liiannes auf dem \ on Schnütgen im 11. lahi'gange
d.ei- Zeitschiift fin- ch.ri-tliche Kun>t il8,s9i Sji. 137 lV. publizierten und be-
sprochenen altk-o!r,i^e!ien Tafelgemälde aus daui Kr)lnei- .Museum. — Ganz
t lesoni l<i- häufig bege;^net uns sodann in den Miniaturen die.ser Enivcrsitäts-
biicher das ob(n näihei- beschiTTenc^ Moti\- dcvs am Hoden schle])pendt'n, sich
\>>j Rcpr(jilu/ii n Llieiiila.
— 103 —
in der Regel noch einmal umschlagenden Gewandzipfels, zuweihm bei ein und
derselben Figur doppelt in fast symmetrischer Anordnung wie bei dem seg-
nenden Heiland unserer Handzeichnung(>n ; man \ ergleiche hierzu namentlich
den Engel des Matthäus in dem Statutenbuch der medizinischen Fakultät
von 1393, die Madonna auf dem erwähnten Kreuzigungsbilde des Buches von
1398'') .Maria und Johannes auf dem Krc'uzigungsbilde des Privilegien-, Sta-
tuten- und Memorabilienbuchs von 1395. Die unteren Teile der Figuren,
des Ilauptbildes in dem Privilegien-, Eid- und Statutenbuche von 1392 sind
leider durch das Auflegen der Finger bcn der Eidesleistung bis zur Unkennt-
lichkeit verdorben. Dafs es sich hierbei in der That um eine specifisch
kölnische Eigentümlichkeit aus dem 1^2nde des 14. lahrhundcrts handelt,
scheinen auch andere k()lnische Arbeiten jener Zeit , wie beispielsweise die
beiden in der Zeitschrift für christliche Kunst Vll (1894j Sp. 23 ff. von Schnüt-
gen veröftentlichten altkölnischen Madonnenbildchen in durchsichtigem Email
u. a. m. zur Genüge darzuthun. Schon im benachbarten Westfalen wie an-
dererseits in der gleichzeitigen französiscli-burgundischen Kunst kommt es, so-
weit ich sehe, in dieser Ausprägung kaimi vor.
Es könnte leicht noch eine Reihe weiterer Übereinstimmungen zwischen
unseren Handzeichnungen und den .Miniaturen der Universitätsbücher oder
anderen Werken kölnischer Kunstthätigkeit aus der VV'ende des Jahrhunderts
namhaft gemacht werden. Die angeführten wichtigeren Parallelen genügen
indessen, um die nahe Verwandtschaft beider Grin)pen zu erweisen. Und
da nun der Nachweis ähnlich naher Beziehungen zur französischen Kunst oder
niederländisch-burgundischen Schule auf erhebliche Schwierigkeiten st()fst —
nur die kräftig-schlanke Gestalt der Madonna mit dem Kinde scheint auch
hier burgundische Einflüsse zu verraten, erinnert unwillkürlich ein wenig an
(^laus Sluters Madonna vom Portal dcM- Karthause zu Dijon — , so werden
wir wohl unbedenklich unsere Handzeichnungen, in Übereinstimmung mit
dem handschriftlichen Katalog, als Eeistung eines bedeutend angelegten
Kölner Meisters aus der Wende des 14. Jahrhunderts ans})rec]ien dürfen.
Damit neigt sich aber auch hinsichtlich des Zeugdrucks, \'on dcAn
unsere Untersuchung ausging und dei' im Mittelpunkt derselben steht, das
Zünglein der Wage zu Gunsten Kr)lns, und es l)liel)e nun nur noch zu er-
wägen, in welcher Zeit dieses bedeutende Stiick daselbst entstandi-n sein mag.
Auch darüber sind bisher die .Meinungen geteilt; die lunen m()chten
als iMitstehungszeit des Zeugdrucks den Anfang des 15. Jahi'hunderts, Andere
di(^ Zeit um 1440 in y\nspruch nehmcni.'^) Die h^ntscheidung darüber, welche
von diesen beiden Ansichten der Wahrheit am nächsten kommt, würde ohne
Zweifel ganz wesentlich erleichtert werden, wenn sicli das Verhältnis, in dem
der Zeugdruck imd die an erster Stelle besprochene 1 landzeichnung zu ein-
ander stehen, näher bestimmen Heise. KcMinte man nachweisem, tlals die
Zeichnung ein k^ntwurf zu dem betreffenden ZfUgdruckniodel g(>wc\sen sei, so
dürfte; man sicherlich die hLntstehungszeiten l)cMder nicht allzu weit ausein-
t7) Rcpro(lul<tiün l)ci Firmcnich-Richartz a. a. O Sp. '24'-).
18) Ycr^l. f'orrer, f)ic Zcumlrvicl<:e etc., S. 2')
104 —
antlcni'ickcn, niürsli- sich \iclnu-hi- notwendig,' zur ersten (Um- Ixidcn Ansichten
hekenniMi. W'äi'e aber jenc^ Z(Mchniin^ etwa die Skizze zu einem jetzt unter-
_Lii\i4an_i,UM-ien oder wiscIioIKmumi Tatel- odvv W'and^femälde, \()n dem dann erst
der Modelzi'ichncM' die Darstellung; entlehnt hcätte, so läL,*e zu so früher
Datieruui^ des Zt'U^drucks nicht die L^leiche X()ti,<^ani^' xor. Mcmu subjektives
F^mpfintien — um sichere Anhaltspunkte^ kann es sicli kaum noch handeln —
neit^ft melir der l(>tzteren Auffassung zu. Es kommt dafi'ir u. a. dc-r durchaus
statuarische CharaktcM" der in den drei anderen Mandz(nchnun^»en zur Dar-
stelluni,f _i,ud-)rachten l-'iL^urcMi in Betracht, die wahrsclieinlich auf (Mne Aus-
führunt^f in Holz berechnet waren. Davon weicht allcrdini^s die Darstellung
der heilit^en Anna mit der Junj^^frau Maria und den vier Sera])him erheblich
ab. Sie war oline Zweifel eher auf eine malerische Wiedergabe^ als auf eine
Ausführung in Relief oder gar als plastische Gruppe berechnet. Die Hand-
zeichnungen entstammen also augenscheinlich einer ansehnlichen, namentlich
mit der Herstellung von Altären, Heiligenfiguren, bemalten Reliquien-
schreinen u. s. w. beschäftigten Maler- und Ijildschnitzerwerkstatt, und dafs
man bei einem solchen Betriebe nebenher auch Zeit gefunden habe, Vor-
zeichnungen für den Zeugdruck zu fertigen, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Vermutlich war diese Arbeit Sache der Zeugdrucker und Modelstecher selbst
oder blieb den Formschneidern für den Holzschnitt, den Wappen- und Brief-
malern etc. überlassen.
Trotzdem aber möchte ich, auch wenn es sich so verhalten sollte, was
schwer mit Sicherheit zu entscheiden sein dürfte , den Zeugdruck zeitlich
nicht allzu weit von unseren Handzeichnimgen fortrücken, vielmehr annehmen,
dafs die originelle und wirkungs\olle neue Darstellung einen feinsinnigen
Künstler unter den Zeugdruckern alsbald zur Nachahmung gereizt habe.
Stilistische Gründe stehen einer solchen Annahme, nach der wir also die Ent-
stehung unseres Zeugdrucks etwa in das erste Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts
zu setzen hätten, meines Erachtens nicht entgegen, sowenig sich allerdings
aus der Art der Darstellung des Zeugdrucks selbst triftige Gründe gegen
eine spätere Entstehung desselben beibringen lassen.
Doch wir sind damit unversehens auf das (Gebiet der reinen 1 lypothese
gelangt, in das wir nicht weiter xordringen wollen. Die l''rage nach dem
Namen \-on Zeichner odtn- Ztnigdruckcr bleibt^ unberührt, und nicht minder
die Frage, welche Stellung dem ]\I(Mster unserer Handzeichnungen innerhalb
der Geschichte der altki'jlnischen Malerei t^twa zuzuweisen sein mcichte. Bei
einem Vergleiche; mit d(;m gesamten \'orratc> an DenkmäkM-n der k(")lnischen
Kunst aus dem Juitle (U\s 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts, der Zeit des
i'bergangs \om alten zu (;inem neuen Stil, wüixie sich ohne Zweitid noch
manches nicht Uninteressante für die ZtMchnungen u.nd ihre kunstgeschicht-
liche Bedeutung ergelxMi, Vüv uns wart'U sit' hier zunächst nur Mittel zum
Zw(;ck.
N ü r n 1) e r g. 1" h. I I a m p e.
Ein Brief des Abtes Heinrieh von Herrenalb
aus dem Jahre 1429.
^as erst kürzlich in den H(;sitz des .Museums gelan_i(te Pergament-
Original ist nicht ganz xollständig. Pls ist unten be\schnitten , so
dafs die Siegel fehlen, und an der linken Kante den Rand herunter,
so dafs zu Anfang jeder Zeik^ sich (nne Lücke befindet. Obwohl es sich
jedesmal nur um wenige Worte handeln kann , so sind diese Lück(>n doch
nicht leicht zu ergänz(m und erschweren das Verständnis des Inhalts. Das
Äufsere des Dokuments läfst darauf schliefsen, dafs es als Hucheinband \ cm-
wendet worden ist.
Das Schreiben ist gerichtet an den Abt von Citeaux und die übrigen
ehrwürdigen Äbte und \'isitatortm (diffmitores), die zum jährlichen General-
konvent des Ordens in (Mteaux (aput Cystercium) x'cn'sammelt sind. Abt
Heinrich, der ordnungsgemäfs zur Teilnahme; \erpflichtet ist (Zeile 4: ex ordine
obligor etc.), entschuldigt sich, dafs er wegen grofser und schwerer Geschäfte,
die seinem Kloster obliegen, nicht kommcni fcönne. h^s handelt sich, wic^
aus Zeile 5 und 6 hervorgcdit , um einen auf den nächst bevorstehenden
8. Septeml)er (prejximum festum nativitatis Maric^j angesetzten Schiedstag zur
Beilegung von Streitigkeiten zwischen dem Abt Meinrich und seinem Kloster
einerseits und einem anderen Kloster andcn-erseits. Die k'eststelhmg dieses
zweiten Klosters kann nur aus der einmaligen, am Anfang der sechsten Zeile
durch eine Lücke unterbrochenen Bezeichnung den- W^ortc et monasterio . . .
Albe ex parte altera erfolgen. Da als der Name dieses feindlichcMi Klosters
ebenfalls Alba genannt wird, und dieses zugleich in Gegensatz zu meo mona-
sterio Ilerrenalb gesetzt ist, so kann wohl nur an Frauenalb gedacht werden,
welches als benachbartes Klo.ster auch ganz gut pafst, obschon auffällig bleibt,
dafs es nicht ausdrücklich Alba dominarum genannt wird; die Lücke scheint,
der Wortstellung nach zu urteilen, kaum das Wort dominarum enthalten zu
haben , da dominarum doch hinter Albe stehen mufste. Als Schiedsrichter
in dem Streit wird der Graf Bernhard v. ld)erstein namhaft gemacht. Der
Abt Heinrich kann sich jetzt kein(\sfalls entfernem , unel er beM-uft sich
auf (las Zeuignis eMues aneJeren .Abte^s, le)hannes mit Xanie'U , dem die Sache'
bekannt se'i und den- ihn, wie e:r hoffe-, durch wahrhentsgetre'uen Ben-icht ent-
schuldigen we'reje. Welchem Klosten- der .Abt Je)hanne's \ e)rge;standeni hat, ist
nicht ersichtlich, ela dcv Name' eies Kle)sters ge;raeie' in eleu Anfang de'r Liicke'
von Zeile 8 fällt. Abe'r noch e'inen zweMteni 'lag, eicn e'r be'suchen nnifs,
gibt y\l)t Heinrich als emtschulelige'nden Gi-und scine's Xichtcrsclu'inens auf
dem Ke)n\-e'nt zu Citeaux an. Nach Zeile 9 hat auf W'ranlassung eler h^dlen
ve)n Ryetpur ele'i' .Markgraf \e)n [iade'U die\sen Tag ange'setzt, be'i euin es sich
ohne Zweifel ebenfalls um eie'U Austrag \'on Streiligkeite-n, hie;r \\e)hl zwischen
ele'm Kloster unel den genannte'U l'^dle'U, haneleln uirel. Wir sehen, die' Lage'
eies Kle)ste'rs ist In^drängt. Abe'r ne)ch Anele'ics ke)mmt hinzu. Auf de'Ui
Kloster lasten gfe)fse Schulelen (pre>])te'i' magna sarcin,i eJebitejrmn i unei de'i
Al)t sie'ht sich (Ze'ile' 12) zu denn unangeniehnu'n (Aeständnis ge'n()tigt, elaf'- er
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XIV.
1 06 —
kainii bei seinri- Anwesenheit im Kloster im Stande wäre, die Gläubi^ei' zu
befriedigten und zu besänftigen, und — wie die Lücke wohl er^^änzt werck^n
kann — zu \ ci h i ndcM-n s dal's sie soj^ar di(^ Güter des Klosters in Besitz
nehmen i Zeile 13). Wie \icdmehr würden sie in seiner Abwesenheit dies
ohne Zweifel zum ^nofsen Schaden des Klosters zu thun nicht unterlassen !
Die Gründe des Abtes, wie man sieht, sind triftii^s und beweglich klagt er
in Zeili^ 14 und 15: Da Derartiges, wie das Erwähnte-, und Anderes ach!
täglich \c)rfällt, so bin ich gezwungen Eure Gnaden mit gebeugten Knieen
anzutiidien , dafs ihr mir gestattet, vom Generalkapitel zurückzubleiben,
was auch meinem Konvent nötig und \ernünftig erscheint wegen verschiedener
Geschäfte und Gel'ahren.« Er fährt dann fort (Zeile 16); »Es (Teignet sich s(;
Vieles, was abhängig ist und hervorsprofst ') aus den verkehrt gewordenen
(oder zurückgeschobenen, rückwärts gerichteten) Zeiten," a retroactis temporibus,
und nachdem er in seinem eigenen geringen Namen und zugleich in dtmi
seines Konventes die besten Segenswünsche ausgedrückt hat, bittet er zum
Schlufs noch einmal , man möge alles Vorausgegangene für wahr und not-
wendig halten.
Ein Bild des Zerfalles der Klöster ! Hader mit den Nachbarn, trotz der
Güter Schulden ! Die drückendsten Verhältnisse in einem der Cisterzienser-
klöster, die sich sonst gerade durch wirtschaftliche Blüte, Kultivirung des
Landes, durch gute Ökonomie auszeichneten. Über die Abhaltung der Ge-
neral-Kapitel sagt R. Dohme-i: -> Alljährlich an einem bestimmten Termine
haben sich die Vorsteher sämtlicher Ordensstiftungen in der gemeinsamen
Alutterabtei unter dem Vorsitze des dortigen Abtes zu \ersammeln. Das
Richterkollegium bestand aus den Abten der fünf ersten Klöster, deren jeder
noch vier .Definitoren' hinzuwählte, mithin im Ganzen aus 25 Personen. Jeder
Abt war verpflichtet, auf diesen Versammlungen zu erscheinen, nur schwere
Krankheit entschuldigte, oder bei weiterer Verbreitung des Ordens zu grofse
Entfernung seines Wohnsitzes von Citeaux. In letzterem Falle aber sollte
Jeder doch wenigstens alle drei lahre einmal erscheinen. < Weiter unten heifst
es dann: -Ereilich mochte sich im Lauf(; der Zeiten eine laxere Befolgung
des Gesetzes gcdtend machen, und oft \erhinderten die bürgerlichen Unruhen
und Kriege geradezu die Abhaltung der Kapitel, so dafs Unterbrechungen bis
zu 20 Jahren eintrettm mufsten.« Für diese Darlegung gcnvährt das Schreiben
des Abtes Heinrich eine ebenfalls die Zeit charakterisierende Illustration.
Drei Stellen in der Urkunde beziehen sich auf die Erage der Besiege-
lung. Zeile 5: sigillum generosi domini Bernhardi comitis de k'berstein prae-
fixi michi etc., Zeile 16: attestante hoc sigillo sucj hie flnaliter coapjxmso, und
endlich Zeile 19: sigilla nostra praesentibus sunt appensa. Dit- beeiden ersten
Stellen sind lückenhaft. Jedenfalls ist anzunehmen, dafs Graf lUM"nhard sein
Siegel mit an den Brief gehängt hat, um die; Aussagen des Abt(>s zu bekräf-
1; 'le])(jn(icnri;t und pullulancia kann auch als .Apposition zu nc<^'ocia und jiericula
ijf-h'iren. je nachdem f\\e b(icl^(; zu Anfang von Zeile Id au.szufiillen ist.
2i R. Dcjhmc. Die Kirchen des Cistcrcicnser-Ordens in Deutschland, Berlin, 186.S.
S. 22 u, 2,3.
— 107 —
tigen. Sein Siegel hing wohl an erster Stelle ; darauf könnte praefixi deuten,
obschon wahrscheinlicher ist, dafs das praefixi in demselben grammatischen
Sinn angewendet ist, wie in den Worten Zeile 8 : Alius quoque dies michi
praefixus est. Die zweite^ Stelle Zeile 16 spricht ebenfalls von einem zum
Zeugnis am Schlui's mitangehängten Siegel, doch Icäfst sich wegen der Lücke
die grammatische Konstruktion nicht genau erkennen. Es kann der Konvent
gemeint sein, dann würde man zwei Ablativi absoluti anncdimen können, und
also ergänzen und interpungiren : attestante hoc, sigillo suo hie finaliter coap-
penso, conventu: indem der Konvent dies bezeugt, dadurch, dafs sein Siegel hier
am Schlufs mit angehängt ist. Einfach wäre die Sache, wenn man attestanti
(Dativ) lesen kcmnte, dann wäre attestanti als Apposition zu meo conventui
in Zeile 15 zu beziehen, und die Übersetzung würd(> lauten: es erscheint
auch meinem Konvent nötig, welcher dies bezeugt, indem er sein Siegel zum
Schlufs mitangehängt hat. Doch müfste man dann einen Schreibfehler an-
nehmen, da deutlich attestante dasteht. Es kann sich auch die Stelle wieder-
um auf den Grafen [Bernhard beziehen, doch ist dies weniger wahrscheinlich,
da er zum zweiten Male kaum in dieser Form eingc;führt wäre. Sehr wohl
kann man aber an eine andere, wegen der Lücke nicht erkennbare Person
denken. Die letzte Stelle, Zeile 19, ist wohl ganz klar. Sigilla nostra sind
wohl auf das Siegel des Abtes und das des Konventes zu beziehen, da cnne
derartige I3esiegelung ja dem Herkommen entspricht und sich in vielen Ur-
kunden findet. Es sind also entweder 3 oder 4 Siegel an der Urkunde ge-
wesen, drei, das des Grafen Bernhard, das des Abtes und da.sjcnige des Kon-
ventes, oder vier, nämlich die Siegel der genannten drei Personen und das-
jenige einer vierten nicht erkennbaren Person, auf welche sich die Worte in
Zeile 16 beziehen.
Über das zur schwäbischen Pro\inz des Cisterzienser-Ordens gehörige
Kloster Herrenalb zitier(" ich zum Schlufs noch die Notiz aus E. Schnell, Die
oberdeutsche Provinz des Cistercienser-Ordens , S. 235: 1 lerrenalb , alba do-
minorum, früher Filial von Neuburg, später von SaUnn, in der Dir)zese Speyer
gelegen, wurde 1148 von dem Grafen Berthold \ on h^berstein und seiner
(lemahlin Utta gestiftet.
Es folgt nun die genaue Wied(;rgabe des Dokuments, indem wir die
Schreibart buchstäblich beibehalten und unsererseits nur die Interpunktion
hinzufügen.
Excusaciü domini abbatis de all)a s])ir(>nsis diocesis.
(1) . . . US et dominis, domino dignissimo abbati C'ystiM'cii c(?t('risquc^ venera-
bilibus dominis abbatibus et diffinitoribus xniucrsis (2) . . . aput Üystcrciuni
in dei nomine congregatis frattu' lleinricus, huniilis abbas nionasterii in Alba
dicti ordinis Spirensis dyocesis (^3) . . . dam obedicncie pi'cMnptitudintmi om-
nibus et singulis exhibendam cum rcnierencia et honore subiectis. (juia ad
capitulum generale (4) . . . ex ordine obligor ad {)resens \t-nire non \aleo
propter magna et ardua negocia meo monast(Mio incumbentia })raesertim (5) . . .
Sigillum trenerosi domini üernhardi coniitis de. l^bcrstt^in i)ra('ri.\i niiclii et
— lOS -
mco monastcMici ex i)art(' \na et nionastcrio (6) . . . Allx' ^> ex parte altera
circa proximuni testuiii natiuitatis gloriose \irgini.s Marie tamqiiam arbitris*)
a nobis ex utra(]U(^ parte electi (7) ... ine ab eo \lluinf)d(j ab.senture j)()ssum.
Sicut eciaiu hoc iiotuiii est venerabili patii et doniino lohanni abbati iiiona-
sterii (8) . . quem .spero m(^ excii.sare erga ve.stras pat(>rnitate.s relacione
\eii(-lica. .\iiiis quoque dies itenini niichi j)raefixus est (9) ... dus \)cv
illiistrcMii principem doniinum Marchioneni de IJaden'') ex parte nobiliuni de
Ryetpui' quem eque minus \aleo (10) . . . uersaliter sin^ulis et sigillatim '')
\ niuersis humiliter et obnixe sui)plico dictis patribus abbatibus et specialiter
ditfini . . (11) . . . dictorum impefliinentorum facto et re ita s(^ habc^ncium
ut praemissum est necnon i)ro])ter magna sarcina') debitorum circa \. . (12)
. . . beni persoluendoriim me habeant (^xcusatum. Cum enim presens exi-
stens non uel \ix \aleo comi)escer(.> ac si^dare creditores (13) . . . ut et occu-
pent bona monasterii, quantomagis in absencia inei hoc sine; dubio cum magno
tlampno non obmitterent. lliis (14) . . . s praemissis nee non et aliis cotti-
die heu incidentibus cogor \estris paternitatibus supplicare genibus prouolutis,
quatenus (15) . . . atis remanere a capitulo generali, quod et mc^o conuentui
videtur esse neccssariuni et racionabile propter diuersa negocia et pericula
(16) . . . incidunt dependencia quodammodo et puUulancia aretroactis '*) tem-
poribus. attestante hoc sigillo suo hie finaliter coappenso (17) . . . conuentus
erga omnipotentem deum et vestras j)aternitates legales quantum suppetit nostra
paruitas votis onmibus (18' creri, suscipientes in animas et conscien-
cias n(\stras'') omnia praemissa esse \(M'a et necessaria. In quorum onmium
praemissorum (19i . . . iom sigilla nostra praesentibus sunt appensa. Datum
in nostro monasteric; praetacto , ipso die decollacionis sancti Johannis'") (20)
. . . millesimo quadringentesimo vicesimo nono.
3j Frauenalb.
4i Es steht deutlich arbitris da; man erwartet arbitri als Genitiv, homogen Bern-
hard! und electi; jctlenfalls hat der Schreiber den Genetiv im Sinne (,'chabt. Das Mönchs-
latL-in zei^'t sich auch z. H. Zeile 8 : (jucm spero me excusare.
!^} Es ist Mark(,'raf Bernhard I. l'i;i79--1431), der nach dem Tode seines Bruders
Rudolf YII (s^est. l,'591i die <^'anze Mark^rafschaft allein beherrschte und nach einer thäti<4en,
inhaltreichcn Regierung allgemein l>etrauert starb, ("ber ihn als F()rderer der Werke
des Friedens, als welcher er hier erscheint, sagt Fr. v. Weech , Badische Geschichte,
S, .5S; Die Kirchen unii Klöster seines Landes durften sich seines Schutzes und seiner
P'reigebigkeit rühmen; dem Kloster Frauenalb gab er schon l.'^96 eine neue, bisherige
Mifsstände beseitigende Ordnung; unter seiner Mitwirkung wurden 14(i3 die' in den Kriegs-
läuften zerstörten Klostergebäude von Herrenalb wiedc-r aufgeluaut und befestigt, die
Benediktinerabtei Gottesaue beabsichtigte-' er mit der im Jahre 14L'3 erwirkten Ge-
nehmigung des Paiistes in ein Kartäuserkloster umzuwandeln und beschenkte , als sich
dies Vorhaben nicht ausführen liefs , das verarmte (iotteshaus mit namhaften Summen,
dem Kloster ^chuarzach erteilte er 143ii einen Freibrief, welcher die bisher ihm zu-
stehenden Di( nste und (jefälle der Klosterleiite dem Kloster überliefs.
u) g'eieh singulatim.
7, müfst( i^ropter magnas sarcinas heifsen, Schreiber tiimmt ein Wort sarcinnm an.
S) in eint 111 Wort geschrieben, gleich a retroactis.
9 ' Man uiu'de nestras erwarten; aber es steht deutlich nostras da.
1(1; 2'», August.
X ii ]■ n b e r o. R, Sc li m i d t.
— 109 —
Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom
Beginne des 18. Jahrhunderts.
(Mit 14 Tafeln.)
(Schlufs.)
Die Wäsche- und Kleiderkammer (Taf. XII).
lenn nicht noch im oberen Geschosse , so dürfte sich die in der
Überschrift j^^enannte Kammer, in dem Aufbaue befinden, welcher
in der Einleitung für das beschriebene Haus angenommen wurde.
Zwei verhältnismäfsig kleine Fenster, deren geringe Gröfse und Tiefe für ein
höheres Stockwerk sprechen , geben dem ziemlich grofsen Räume nur spär-
liches Licht, welches das Oberlicht über der einzigen Thüre dieses Raumes
zu verbessern bestimmt ist. Die Decke ist Stuckarbeit, der Fufsboden ge-
brettert, die Wände mit Nischenbögen wohl einfach weifs oder gelb getüncht.
Der Bestimmung des Raumes entsprechend ist die Ausstattung eine sehr ein-
fache; sie besteht beinahe lediglich aus Wäsche- und Kleiderschränken.
Der doppelthürige Schrank direkt neben der einzigen Thür der Kammer
zeigt ein von drei runden Säulen, welche halb heraustreten und hübsche Ka-
pitale haben , getragenes Gebälke. Im Fufse befinden sich ein oder zwei
Schubladen. In diesem Schranke wurden die Kleider aufbewahrt ; auf welche
Weise man hiebei verfuhr, wird weiter unten nach der Nürnberger »Haufs-
Halterin« dargethan werden. Oben auf dem Schranke stehen einige runde
Papp- oder Holzschachteln, welche bemalt oder mit Buntpapier überzogen ge-
wesen sein und Hüte und Hauben der Frauen des Hauses bewahren dürften.
An der Seite des Schrankes hängt eine Tafel, welche wohl zum Aufschreiben
der Vorräte diente.
An der gegenüber liegenden Wand der Kammer stehen zwei Schränke,
alle beide bedeutend einfacherer Art wie der vorstehend beschriebene. Der
vordere zeigt architektonischen Aufl^au. An der Stelle der halbrunden Säulen
des erstbeschriebenen Schrankes finden sich einfache glatte Pfeiler. Er hat
auf einem Untersatze mit zwei Schubladen, zwei Kästen, jeder mit Doppel-
thüren und an den Seiten eiserne Handgriffe, um sie im Falle einer Umstellung
oder eines Umzuges oder bei h^euersgefahr bccjuem tiansportieren zu können.
Die Thüren haben einfache, wohl durch aufgesetzte Leisten gebildete Füllungen.
Auf dem niedrigen Gesimse steht ein flacher Giebel, der in der Mitte auf
der Fortsetzung des durchgehenden Pfeilers eine Vase enthält wie sie etwas
kleiner, auch zu beiden Seiten des (liebels auf dt;n Seitenpfeilern stehen.
Oben auf dem Schranke stecht ein längliches Kästchen, wenn es sich hier
nicht etwa um cnnen Aufsatz handelt, der zum daraufst(^llen von Gc\genständen
diente. Die eine Thüre des oberen Kastens ist ger)ftnet, man siecht, dafs der
letztere durch zwei wagrechte Bi-etter in drei l-^ächer geteilt ist , \ on d(Mien
die beiden unteren mit Wäsche gefüllt sind. Es dient der Schrank also zur
Aufbewahrung der letzteren.
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XV.
- no
X(^btMi di(\seni Wäschcsclirank steht ein zweiter, der tiDch einfacherer
Art ist. l-^r hat auch einen Untersatz mit Schul )lad(^ auf dtmi der doppel-
thürigi^ ein<^esch()ssi!_;(' Schrank mit tälinhcher einfacher, architektonischer Gli(;-
diMuni^^ \vi(^ dcv \ oibeschriebent;, steht. Das Gesims ist jedoch kräfti^^er ent-
wickelt ; es wird ebenfalls durch einen Gii^iel <,fekr<')nt , d(M- über die «^anze
Breite des Schiankes ^udit und ohne Urne ist. Das McUx;) ist wohl als Klei-
derschrank anzusprechen.
Was sich sonst noch an M(")beln in diesem ivaume In^hndet, dient alles
mehr odt-r weni^u;r dem Zwecke desselben. In der Mitte steht ein grofser
Tisch mit geschwcnften, durch einen Steg verl)undenen k'i'ifsen; er ist mit
einem Tischtuche bedeckt, auf welchem einige kleine Stöfse Wäsche liegen.
\'or dem Tische steht eine l-]ank (oder Truhenbank.'), welche wohl zum
darauflegen der Wäsche, wenige^" zum daraufsteige n l)eim Einräumen derselben
in die Schränke diente. Zu diesem Zwcxke ward vielmehr vorzugsweise die
dreistufige h()lzerne Trej)pe xcrwtMidet, w(>lche xor dem Schrank, dessen eine
obere Thüre geöffnet ist, steht. X'or dieser Treppe steht ein flacher vier-
eckiger Korb, welcher di(^ frisch gewasch(>ne Wäsche birgt, welche di(^ dar-
über gebückte Frau in den Schrank einzuräumen beabsichtigt. Eine weitere
Partie Wäsche, die unterzubringen ist, befindet sich auf einem Brett, das auf
zwei Querleisten auf dem Boden liegt.
Aufser der erwähnten Frau befinden sich noch zwei weibliche Wiesen
in dieser Kammer. Nahe der offenen Thüre steht die stattliche Hausfrau
und sagt dem vor ihr stehenden Töchterchen, in welcher Weise sich diese
bei dem Einräumen der Wäsche fjeteiligen soll. J'rühzeitig mufs das Mädchen
mithelfen, um selbst einmal eine tüchtige Hausfrau zu werden.
Auch \'or dem zweiten Schranke rechts steht ein Korb , diesmal ein
runder, mit Wäsche. Zwischen den beiden Fenstern hängt ein viereckiger
Spiegel , dessen Rahmen eine geschnitzte Bekr(')nung hat ; die Frauen des
Hauses wollten doch gleich schon hier oben sehen, wie sie dies oder jenes
Stück kleide. Unter dem Spiegel steht ein \icrbeiniger Stuhl mit geschnitzter
Dehne und herzförmigem Ausschnitt zum Anfassen, ein heute I']auernstuhl
genanntes M(")bel. In der Ecke rrchts leimt ein Brett zum lüigeln oder Plätten
(Jer Wäsche , links steht ein Mr.ljcl , das zwischen Schemel und Bank die
Mitte hält; auf ihm steht mit vic-reckigenn Untersatz ein auf gewimdener Säule
ruhcmJes KlTippelkissen, (Jas hier untergebracht WcU-, wenn die l^rauen es nicht
zur Arbeit beuf^tigten.
Die Xürnberger Haufs-Halteriiv kennt nur eine Kleiderkammer; die
Wäsche wurde nach ihr, soweit (,\s kiettzeug war, im Schlafzimmer aufbewahrt,
im ül)rigen schweigt sie sich darüb(M' aus. Es ist dalun" wohl nur \-ergessen
\vr)i-d('n zu erwähnen, dafs Wäsche auch in dei' Klciderkammer zu finden ist.
Ubei' letztei'e belichtet die Nürnl)erger Hauls-HaUcrin k'olgendes:
Was in di(,' Kleider-Kammer g(_'h(")re , ist aus deren Benennung leicht
abzunehmeii, nenilicli ein und amlere J-iehälter, die kehren- und andtMe saubere
Kleidei-, so man nicht täglich an zu tragen pfleget, darinnen aufzuheben, vor
denen Schaben, .Staub uncJ andern Uni-einigkeiten zu \e!"\\ahren. und in guten
- 111 —
Stand vor Verderbnis und Schaden zu erhalten. Es ist aber hier billig an-
zumercken, dafs die lange Kleider beedes der Mann- als Weibs-Personen besser
hangen als liegen, daher dann, wie die gemeine Behälter mit Fächern inn-
wendig unterschieden und abgeteilet sind , was beliebt , darauf zu legen , so
haben die Kleider- Schräncke solche nicht, ohne etwan nur zu öberst ein
einiges Fach, da sie hingegen mit Schrauben verschen, besagte lange Kleider
daran zu hängen ; Zu den Mandeln sind besondere Mandelhöltzer an den hin-
tersten Bret vest angemachet, darüber man selbige schlagen , und so dann
mit einen reinen Tuch überdecken kan; Zu den Weiber-Röcken aber und bey
uns sogenannten Schürtzcn, hat man besondere runde mit Ralfen umbundene,
oben etwas enge, und so dann immer zu erweiterte Stöcke, welche man oben
an eine Schraube, und also einen oder mehr Röcke über einander daran her-
um hänget, auf welche sie unverkripptilt ihre Falten auf das schönste behalten.
Sehr wohl ist es gethan, wann man diese Behälter und Schräncke also ein-
richtet , dafs sie auf beeden Seiten mit starcken gegen einander in gerader
Linie übc^rstehenden Fältzen versehen werden , worein man nach Belieben
hiezu gerichtete schcm glatt gehobelte Bretter schieben, und also einen gemeinen
Behalter mit Fächern daraus machen kan; so man aber besagte Bretter ent-
weder alle, oder nur etliche nach Befinden heraus ziehet, auch zu einem Klei-
der-Behalter dienet: So man einen Cberflufs von ungerichteten Betten hat,
kann man selbige auch herein in diese Kammer stellen, ob sie schon ihre
Benennung von den Kleidern, so darinnen aufbehalten, hauptsächlich erhalten. <;
in gleicher Stockwerkhöhe mit diesem Räume dürfte sich die
Magdkammer (Taf. XII l)
befinden. Dieselbe hat in der Anlage grofse Ähnlichkeit mit der Kleider-
kammer. Auch sie hat nur an der schmalen Seite zwei nicht sehr grofse
Fenster und auf der linken Seite eine Thüre, aber eine einfachere, ohne Ober-
licht. Dann sind die Langseiten der Wände nicht getüncht , sondern mit
einfachem , aus Rahmen gebildetem Täfelwerk versehen. In gleiclier Weise
ist die Decke ausgeführt, der h\ifsboden aber scheint gepflastert zu sein, was
für eine Schlafkammer bei unserem rauhen Klima allerdings nicht sehr an-
genehm war.
Das Hauptmöblement dieser Kammer bilden die beiden Bettstellen, die
sehr einfacher Art sind, keinc^n Himmel haben, daher einer besonderen Be-
schreibung wohl nicht bedürfen. Der Kopfteil des im Hintergründe stehen-
den Bettes wächst aber doch ziemlich in die H()he und ist von einem Giebel
gekrcmt. Vielleicht darf aus dieser Verschiedenheit geschlossen werden, dafs
in dieser besseren I^ettstatt das Töchterchen des Hauses zu ruhen pllegte.
Denn es war damals noch wie im 16. Jahrhundert Sitte die Mädchen, wc^nn
sie gröfser waren, Nachts in der Magdkammer, die Knaben bei den Dienern
unterzubringen. .Man mufs bei den letzteren nicht gleich an Hausknechte und
Hausdiener denken, es wiu-den als Diener auch die Buchhalter, Kassiere u.s.w.
bezeichne!, die in einem Kaufmannshause thätig waren imcl daselbst, wie all-
gemein üblich, auch Wohnung und Essen hatten. Die Nürnberger Itauis-
- 112 —
Ilaltfiin sai4t hicMiibcr : W'.inn d\c Kinder das siebende^ und achtt^ jalir er-
reichet halxMi, })fle_L(et man sie aus dies(M" Kinder-Stube JKTaus, und entweder
die Eltern zu sich des Tages in die Wohn-stube , und des Nachts in die
Schlaf-kanuiier zu nehmen, oder so es S(')hne, zu den I^cnlienten, so es aber
Töchter, zu dcM- Heschhesserin imd Mägden in (He Kammer zu legen, und
schon allgemach zu ernsthattten Sachen und etwas nutzliches zu erlernen, an
zu gewehnen.
Es spricht für ein sch(")nes Verhältnis zwischen Herrschaft und DicMier-
personal, dafs erstere kein Bedenken hatte, den in ihrem Dienste Stcdienden
das Liebste anzuvertrauen, was sie hatte: ihre Kinder; heute sind solch(> Ver-
hältnisse wohl nur Ausnahmen. Zwischen der Bt-ttstatt der Magd und der
Wand steht eine Bank, ohne Eehne, welche wohl beim Auskleiden diente imd
auf welche Nachts die Kleider gelegt wurden. ]{ine soIcIk; Bank mag wohl
auch bei dem Bette der Tochter des Hauses stehen. Unter dem Mägdebett
steht ein hölzerner Kasten, liegt umgekehrt, mit den Eiifscm nach obcm, ein
hölzerner Fufsschemel, und stehen vorne zwei Paar Schuhe, die der Sitte der
Zeit entsprechend, hohe Absätze haben. Ein Geräte, das schon auf Holz-
schnitten des 15. Jahrhunderts unter dem Bette sich befindet, f(?hlt hier.
Gegenüber dem Mägdebett steht an der anderen Seitenwand des Zimmers
ein einfacher, niedrigen-, doppelthüriger Schrank mit durch Leisten gebildeten
Füllungen. In ihm bewahrte die !\Iagd ihre Kleider und Wäsche , sowie
sonstigen Habseligkeiten auf. Auf diesem Schranke stehen zunächst zwei
Büchlein, also wohl Gebetbücher, darneben ein Haubenstock mit einem Augs-
burger Schneppenhäubchen mit je einer Schne[)pe in Mitte der Stirn und an
den Schläfen. Der auf dem Schrank stehende Kasten hat einen Schubdeckel;
vielleicht birgt er Hüte oder Hauben und wird in ihm sonst das Schneppen-
häubchen aufbewahrt, das jetzt vor ihm steht. Auf dem Kasten befinden sich
ein Becher und eine Schale , neben demselben steht ein kleiner einfacher
Spiegel, der durch eine bewegliche Spreize auf der Rückwand schräg gestellt
ist. Er ist das wichtigste Stück der Toilettenartikel der Magd des Hauses;
der Spiegel mit viereckigem Rahmen, der zwischen den beiden k'enstern hängt,
gehört wohl der Tochter des Hauses. Unter letzterem steht ein einfaches
Tischchen mit Becher und Schale, wohl das Waschzeug der Tochter.
Zu dem Mobiliar gehört ferner noch ein dreibeiniger niedriger Stuhl mit
rundem Sitze (jhne Lehne, wie sie noch niedriger die Schuhmacher gel)rauchen.
Auf ihm liegen zwei Kämme und eine; Ilürste \x)n pins(Martigr^r Form zu
Händen des daneben stehenden Mädchens, welche dei' vor ihr sitzenden statt-
lichen Frau das Haar fiicht. Letztere sitzt wohl auf einem gleichen Stuhle
Das dritte weibliche Wesen, das diese Kammer belebt, hängt bei der linken
l^cke des Zimmers einen viereckigen gefiochtcnen Korb auf. Längs des
Magdbettes ist ein einfaches Wandbrett in ziemlicher 1 1(')1k- angebracht, aut
welchem Wäsche liegt und eine kugelf(')rmig(^ |-"raueniiuitze ( Pelzhaube .- 1 steht.
Darunter hängt vAn h'ranenrock, daneben an der Wand einige Beutel oder Netze
mit unbekanntem Inhalt i schmutziger Wäsche.-). An der Wand gegenüber ober
dem niedrigen Schrank liegen über einer Stange, welche an zwei Stricken \<in der
- 113 —
Decke herabhängt, einige Hemden, und Schnüre, daneben eine Bettjacke (?).
Eine ebensolche dürfte über dem Kopfteil des Tochterbettes hängen.
Die Nürnberger >Haufs-IIalterin« äufsert sich über diesen Raum folgen-
dermafsen : vNach deme man viele Mägde hat, nach deme mufs man auch viele
Better in der Mägde-Kammer haben, ingleichen auch vor die T()chter, so viel
nemlich derselben bereits aus der Kinder-stube heraus genommen , bei den
Mägden in der Kammer ihre Lieger-statt haben sollen, wiewohl es öffters ge-
schiehet , dafs ihrer zwo in einen etwas grössern Bett beysammen schlafen ;
wann es die Gelegenheit defs Zimmers zulasset, ist es nicht übel gethan, wann
auch in diesen ein und anderer Schranck und behalter stehet, so den Mägden
eingeraumet wird, ihre Kleider, weisses Gezeug und andere Zugehör darinnen
aufzuheben und zu verwahren: Es mufs aber diese Kammer also angeordnet
werden, dafs sie dem Schlaf-Gemach der Diener nicht zu nahe gelegen seye,
damit nicht die Gelegenheit Schälcke mache , und Feuer und Stroh , so es
einander zu nahe kommet, brenne.«
Mit dieser Kammer sind die Wohnräume unseres Hauses alle vorgeführt.
Sie mochten für eine einfache bürgerliche Familie ja weitaus genügen. Die
Nürnberger -Haufs-Halterin« kennt aufser den weiteren Zimmern, die schon
oben beschrieben worden sind, auch noch eine Gastkammer, die dem Augs-
l)urger Hause fehlt. Wie aus der nachfolgenden Beschreibung aber hervor-
geht, wahr auch diese sehr einfacher Art. Ks wird darüber gemeldet:
»Zur Gast -Kammer soll man vor andern ein schönes helles und rein-
liches wohl-angelegenes Zimmer erwehlen , mit etlichen wohl-zugerichteten
Betten, auch wann das Span- und Holtz-w'erck darnach beschaffen, selbige so
wohl als die Fenster mit Vorhängen behängen, mit einigen Stühlen oder Ses-
seln, um sich derselben beym an- und ab-kleiden zu bedienen, besetzen, und
die W^and mit etlichen Schrauben versehen, damit man die Kleider daran
aufhängen kcmne, zumahl aber die Nacht-Geschirr hinein zu setzen, weil den
Fremden defs Hauses Gelegenheit imwissend, nicht vergessen.
Die Nürnberger »Haufs-Halterin< sagt zum Schlüsse ihrer Ausführungen,
dafs diese nur ein Leitfaden sein sollen, dafs es aber Jedem seilest überlassen
bleiben müsse, mit wieviel Wohnräumen er sich behelfen und wie er dieselben
einrichten und ausstatten wolle. Sie schreibt: ICs ist aber hietx^y wohl zu
erinnern, dafs diese Beschreibung und Auszierung der Gemächer nicht eben
nothwendig also seyn miisse ; dann wer nicht so \-\c\ Zimmer hat, und haben
kan, mufs sich wohl mit wenigem behelffen, zu deme stehen jc^Umu frey, solche
nach Gefallen köstlicher und schicklichcM- aus zu zieren , denen so nicht bey
Mitteln, bleibet es schon selbsten gewehrc^, solclu-s nach zu ahmen; ich ge-
schweige, dafs nicht jederman Lust zu so unnützen (jcpräng und vielen Haus-
rath Belieben habe, welche wir selbsten vor klug achten, jcnloch das \'er-
langen einiger Liebhaber zu stillen, und gegenwärtiges Werk, d(\^to xollkom-
mener zu machen, haben wir diese Ijeschreibung hier als ein nach Belieben
zu änderndes Modell xorstelliL^ machen wollen,-
— 114 -
Wenn nun .uich die W'ohntäume des Au<4shui"j^U'r I lauscs aufL;eführt
sind, s(i bleibt dcicli noch, als letzter, ein Kaum zu beschreiben:
der Boden ( Taf. XIV),
in manchen Ciet^enden unseres VatcMlandes auch Sjjcicher i^enannt. Die Treppe,
die an der Wand der .MaL;dkanum-r zum Boden empor führt, kann nicht die-
jenige sein, die in den abgebildeten Bodenraum mimdet, da sie eben an der
St'ite des Bodens gelegen sein mülste. Wohin man auf dieser 'rre[)i)e kommt,
kann nicht gesagt werdtm , da ein zweiter Bodenraum nicht dargestellt ist.
Die Xinnberger Haufs-Halterin teilt über den Boden sehr prosaisch mit:
.Ausser diesen nun sehr \veitläufig-beschri(>benen Zimmern, hat man auch
eines Wösch-Bodens und einer Holz-Lage n(')thig, jener soll mit Stangen oder
Stricken behangen seyn . um die Wösch darauf zu trocknen; diese aber so
\ erwahret, und beschaffen, dafs sie raumig seye , eine gute Anzahl Holtz im
V'orrath einzukauffen und zusammen zu legen , anbey gewölbt oder doch
wenigstens ausser dem Gesicht, damit es \()r den h^euer und bösen Leuten
sicher, nicht so bald höchst- verderblichen Schäden erleiden möge.«
Poetischer hat der Künstler unserer Zeichnungen die Sache aufgefafst,
er stellt den B(;den nicht als drockenraum für die Wäsche, sondern als Tum-
melplatz fih" die Kinder bei schlechtem Wetter dar, welches den yAufenthalt
im Freien nicht gestattet. Line schon ziemlich erwachsene Tochter schaukelt
sich, ein Bruder sitzt auf einer Kiste und betreibt das unglückselige Flöten-
spieb , um die Ohren der Litern nicht zu beleidigen, zwei andere Knaben aber
halten Rat, was sie nun miteinandcM- anstellen wollen. Eine r^Iagd mit einem
Kleinen auf dem Arm sieht zu und übt wohl so eine Art Oberaufsicht aus,
die hier, fern \on den hdtern . doch notwendig ist. Der getreue Hund des
Hauses ist auch gern da, wo es munter und lustig zugeht. Über die Aus-
stattung ist wf)hl kein Wort zu V(M-lieren , nur auf das \'esperbrot , das auf
einem Läfschen sich l)(;findet, sei noch aufmerksam gemacht.
Den Kindern ist dieser Boden sehr ans Herz gewachsen; hier werden
alle mr'jglichen S[)iel(^ ausgeführt und der jugendlichen Phantasie, die hiebei
zur Cicjltung kommt, wiid durch d'w Litern kein Dämpfer auferlegt. Der
Schreiber dies(>r Zeikcn hat auf (U'm Boden des elterlichen Hauses selbst ein-
mal bei dei' .Aufführung der l'reziosa mitgewirkt, die natürlich wimderschön-
\erlief und Akteure^ wie Zuschauer hochentzückte . D(M- Dichter in Nürn-
berger Mundart, |(jh. Wolfg. Weikert (y LS,^)6), erzählt in einem seiner besten
fjedichtc Die Ritterburg. Vju |ugendschwank '■') wie er mit anderen ISuben
den Holzstofs auf dem liodcn zur Ritterburg machte, die schliefslich zu wanken
anfieng.
Mit ahmaul knn^t nici Kitterhur^
.■\n r)art von Ucl)cr^ w iclU,
Su (lafs in Au(;'n^(;ttcsblick
1'') j{»h. W'oU^, Wcikcrts Aus;^! w ;ilillc dcdichlr in Xürnlurm-r Mundart. Hiraus-
'jciiclK n und mit t incm L;ranimatisrlu-n .Abriis und Glosar versehen. \'(m I)r, CTtMir«^ Karl
Irominann. Nürnljcrg 1S57, S. .5.5 ff.
— 115 —
Der Hulzstaufs äff es ligt :
Der Kunz ligt afTn Adelbert
Zammbrochen ist des Ritterschwert
Und alli thenna heul'n.
Die Mutter häirt des Poltern ah
Bis nunter in die Stub'n.
Glabst's, Moh, dau stürzt der Hulzstaufs ei r
Wos Teuf'l is dau drub'n !
Die Boub'n senn's, dau wett' i draf!
Döi Galingstrick' ! Warft, laufst mi naf!« —
Sie fiöigt ner su die Stöig'n,
Und bricht halt öiz in Bud'n nei ;
Die Ritter und die Knapp'n,
Den woll'n g'schwind die St()ig'n noh -
In an, den thout s' dertapp'n,
Und dachtelt'n röcht tüchti oh,
Xou wörft s'n goar die Stöig'n noh ;
D()s is der Thurnwart g'wös'n.
Mei gouter Ritter Adelbert,
Oiz kummt on den der Reiha,
Denn knapp derblickt s' ihr Schnöierbrust,
Su thout s' ah Zeter schreia,
Und nau föllt s' über'n Ritter her
Und tascht'n ober kreuz a quer, —
Der heult und schreit erbärmli.
Der Ritter Kunz will hint'n weck,
Den thout s' grod no dergratsch'n, —
Äff den haut s' lang a Schneid scho g'hat:
Den langt s'öiz Fetz'n-Watsch'n,
Nau peitscht s'n no die Stöig'n noh, —
Der heult und schreit Komordio ;
Z'letzt tlanna alli Knapp'n.«
In ähnlicher Weise mögen sich auch die Augsburger Kinder in diesem
Hause die Zeit atif dem Boden vertrieben und allerlei lustige Geschichten auf-
geführt haben, nicht immer gerade zum Vergnügen der heitern.
Dem in der Einleitung gegebenen Versprechen, am Schlüsse^ dieser Mit-
teilungen auf die Frage, welchem Künstler die Bilder ihre h^ntstehung \ er-
danken, ziu'ückzukonmien , sei hiemit entsproclKm. LeidcM" kann aber nur
gesagt werden, dal's es nicht m<")glich war, über den ZcMchner di(.'ser Blätter
Klarheit zu gewinnen. Dic^ Zahl der Augsburger Künstler und KupfcM'stecher
war im vorigen ]ahrhundert so grofs, ein grofsci" Teil dei'selben hat so wcMiig
Individuelles, c\s ist ihnen vielmehr gr()fst('nteils so etwas (j(>meinschaftliclu\s
eigen, dafs es nicht möglich ist, aus dem ("hara!<t(M- (Um- ZcMclmungen aut den
Künstler zu schliefsen. Ks muis d(;shalb dic\s(; i''rag(> zunächst ungt^I<)st liIcubtMi,
da es doch keinen Zweck hat, lU^liauptungiMi aufzustellen, füv welche eini'
H(nveisführung nicht möglich ist.
— 116 —
Au^fsburcjs Ri'uLjer haben einten ^rofsen Sinn für Häuslichkeit gehabt ;
es sa_i,'en dies nicht nur die mit so grofser Liel)e aus^^eführten Zeichnungen,
es geht cHi's auch aus anderen eigenartigen Sch(')i)fungen liervor, di(> in Augs-
burg im \()rigen Jahrhundert entstanden sind. Man fertigte nämhch die Dar-
stelhmg des eigenen Hauses in der Art, dafs man Bilderb(')gen kaufte, welche
Ansichten von Zimmern, Hausgeräten, Menschen und Tieren enthielten, diese
ausschnitt und die Ausschnitte zu einem Bilde zusammenklebte, welches irgend
einen Raum des Hauses wiedergeben sollte. Auf diese Art und Weise stellte
man das ganze Haus vom Keller bis zum Boden dar, ja man führte sogar
die verschiedenen Wände der Zimmer vor , vergafs auch das Aufsere des
Hauses und selbst den geheimen Ort nicht, dessen Thüre und Deckel, wie
alle dargestellten Thüren, auch die der Schränke, so dafs man deren Inhalt
sehen konnte, beweglich waren. Und wenn die Bilderbogen das notwendige
Material nicht vollständig lieferten , so half man sich dadurch , dafs man
das P^ehlende durch Zeichnungen ergänzte. Von dieser Art Darstellungen,
die kulturgeschichtlich recht merkwürdige I3ilder liefern , ist uns ein starker
Band im [Privatbesitz in einem Städtchen Württembergs und hier in Nürnberg
der Rest eines solchen , der aber nur aus der äufseren Ansicht des Hauses,
der Küche und der Speisekammer besteht, bekannt. Sicher existieren noch
mehr von diesen Büchern, von welchen aber doch wohl die meisten im Laufe
der Jahre den Weg aller Bilderbücher gegangen sind, denn als solche sind
diese Werke anzusehen.
Eine ähnliche Reihe Darstellungen wie die wieder gegebenen Bilder ist
in Augsburg noch in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts erschienen und
zwar in der Herzberg'schen Kunsthandlung. Die Folge führt den Titel:
Zwölf Blätter Kinder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung«.
Das erste Heft dieses Werkes war für Mädchen bestimmt. Es führt wie die
veröffentlichte Serie alle Räume des Hauses vor, die natürlich im Stile jener
Zeit, der Biedermeierzeit gehalten und auch ausgestattet sind. Sie sind ganz
gut gezeichnet , wenn auch die Interieurs in ihrer Erscheinung weit hinter
den hier mitgeteilten zurückbleiben. Das zweite Heft enthält die Darstellung
verschiedener Handwerke; es war den Knaben gewidmet. Der Stecher oder
Zeichner ist nicht genannt. Ein Teil dieser Stiche ist in dem in hiesigem
Privatbesitze bc^findlichen Bande enthalten , in welchem sich die drei übrig
gebliebenen Darstellungen der älteren Serie befinden. —
Heutzutage fehlt es durchaus nicht an Bildern der jetzigen Wohnungs-
rämne , gibt es ja sogar besondere Zeitschriften, die sich ausschliefslich mit
der Ver()ffcntlichung solcher befassen. Aber lange wird man bei diesen suchen
dürfen, bis man ein so abgerundet harmonisches, auf keinerlei Effekt berech-
net(;s, einfaches, aber darum um so anziehenderes und anheimelnderes Innere
wieder findet, bis man ein für die Zeit der Darstelkmg so charakteristisches
Bild eines bürgci-lichen Hauses wiederum zu sehen kriegt, als wie es unsere
Handzeichnungen vor Augen führen.
N ü r n b e r <f . H a n s B ö seh.
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117
Geheimmittelindustrie im 18. Jahrhundert.
VP^^*^ alt wie die Heilkunde ist auch der Geheimmittelschwindel und ihn
durch den Lauf der Jahrhunderte, bis zum heutigen Tage, wo er
noch unentwegt sein Wesen treibt, zu verfolgen, gehört zu den kultur-
gesichtlich interessantesten Kapiteln der Geschichte der Medizin. Besondere
Blüte hatte bekanntlich der Charlatanismus und die Quacksalberei im 16. und
17. Jahrhundert gezeitigt. Mit Recht hat Hermann Peters in seinem trefflichen
Buche »Aus pharmazeutischer Vorzeit in Wort und Bild« in dem einschlägigen
Kapitel (II. Bd. 225 ff.) darauf hingewiesen, welch' wichtige Stellung in der
Quacksalberei die Reklame der angeblichen Heilmittel durch den Buchdruck
fast vom Auftreten desselben an gespielt, wie gerade wie in unseren Tagen
die Presse oder, was sie damals vertrat, als erste und wichtigste Helfershelferin
der nichtzünftigen Heilkünstler angerufen wurde. Vereinzelte Anpreisungen
von Heilmitteln jeder Art haben sich in gröfserer Zahl bis in unsere Zeit erhalten.
Über die Verwendung dieser als Flugblätter gedruckten Reklamen gibt ein
auch von Peters mitgeteiltes (a. a. O. S. 228 ff.) Gutachten des Nürnberger
Arztes und medizinischen Schriftstellers Dr. Joachim Cammermeister Aufschlufs,
welches am 27. Dezember 1571 dem Nürnberger Rate überreicht Bedenken,
welcher gestalt in einem wolgeordneten Regiment es mit den Aerzten und
Artzneien sambt allen anderen darzu notwendigen Stücken möcht geordnet
und gehalten werden« betitelt und in seinem fünften Teil »den frembden
Leuten, die sich allerlei Artzneiens unterstehen wollten« gewidmet ist. Darin
heifst es: >Zum dritten lassen sie getruckte, herrliche, offne Zettel, die voller
brechtiger Zusagung der Gesundheit , und das mehrers thail mit anderer
Arzt Verkleinerung und Verachtung gesteh und gemeiniglich voller Unwahr-
heit sein, an allen Orten anschlagen, welche ihre besten Lockvögel sein, damit
sie das Gelt von den Leuten bringen, und ziehen hernach davon.« Mit dem
Aufkommen der Zeitungen kam die Verwendung als Plakat wohl nicht mehr
so ausschliefslich zur Verwendung, die Anpreisungen wurden genau wie heute
den Zeitungen als Beilage beigegeben, soweit sie nicht etwa beim Verkauf
als Gebrauchsanweisung und etwa am Verkaufsort selbst an die anwesende
Menge verteilt wurden. Über den in ersterer Weise getriebenen Unfug gibt
wieder ein Nürnberger Ratsverlafs aus dem Jahre 1720 Auskunft (Peters a.
a. O. S. 250): Wegen der medicinischcn Tractätlein, Thee-Kräuter und anderer
dergleichen Dinge, welche denen Medicis und Apotheckern zum Nachtheil
bisshcro öftters an die hiesige Wochcnzt'itungen getruckt worden, dem Herrn
Zeitimgs-Censori, dergleichen Dinge auf denen Zeitungen durchgehends nicht
mehr stehcm zu lassen, zu bedenken. Denen Zeitungsdruckern aber btn einer
nahmhaften Geldstraff das Verbot zu thun, nicht das Geringste mt^hr von
solcherlei Diiigen ohne spezielle Erlaubnis ihren Zeitungen mit anzufügen.«
Geholfen hat dies Verbot aber wob! nur wenig.
Die nicht unbedeutende Zahl von marktschreierischen auf Geheimmittel
bezüglichen Einzelblättern vom 16. bis zmn 19. Jahrb., welche das germanische
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XVI.
— 118 —
Museum besitzt, konnte vor einiger Zeit um eine kleine Sammkmg, die schon
im IS. lahrhundert angek^gt und zusammengebundi-n wurde, vermehrt werden.
Diese BIätt(M- gewinnen dackirch besonderes Interesse, dafs sie zum grofsten
Teil sicher, wahrscheinlich aber Alle von demsc^lben Händler, der das Geschäft
ziemlich im (jrofsen betrieben zu haben scheint , herrühren. Es sind im
ganzen 26 BlätttM-, xon dtMien 17 das »Signet im heutigen Sinne die Schutz-
marke oder das Warenzeichen eines gewissen Lorentz HlumenhötTer tragen.
Dasselbe , bestehend aus einem Wa])pen mit zwei gekreuzten Fackeln und
zwei Flügen mit einem Stern in der Mitte als Helmzicr, ist an die Spitze des
Druckes gestellt, im Text wird ganz wie heute darauf hingewiesen, dafs jede
Packung mit diesem Signet versehen oder petschiert" sein mufs, während
am Schlufs sich der Verkäufer in folgender Weise nennt: -Diese Medica-
nienta sind in Leipziger Mefs-Zeiten bey Lorentz IMum(;nhört'er von ffamburg
in seinem Gewölbe zu bekommen. Während die Mehrzahl der Blätter mit
der Anpreisung eines Mittels dessen Geschichte und Gebrauchsanweisung
enthält , ist auf einem derselben eine Art Warenliste zusammengestellt , die
wir hier folgen lassen.
L
Der Welt-berühmte Uiiivcrsal-l^&h&n^ baisam , welcher nach Ost- und
Westindien geschickt wird, und bey allen Menschen gute W^ürckung erweiset,
indem er die gantze Natur stärcket , und die mehresten Kranckheiten ver-
treibet. In der Taubheit, und im schwachen Gesichte erweiset er geschwinde
Hülfte , denn er stärcket alle Lebens-Geister, und wird er fleissig gebraucht,
wird man wie neu gebohren.
2.
Eine herrliche Essentia Mineralis , die v,"eislich viele Mühe und Arbeit
erfordert, ehe sie verfertiget wird: Sie widerstehet dem Krebs, er mag offen
oder verborgen seyn , denn sie reiniget das Geblüt ungemein, welches ihr
nicht leicht ein Medicament nachthun wird. Imgleichen ist es gut für Schwangere,
denn es verhütet aborttini , oder unzeitige Gebührten. Wie es denn auch
geschwinde I lülffe erweiset, denen Unfruchtbahren , bei welchen der Uterus
oder die Mutter stark verschleimt, oder \'erkältet wird.
3.
Essentia Vegctabiiis. Es bestehet die Würckung dieser herrlichen
Medizin in einer stärckenden Krafft des Magens, und aller andern Teile, in
allen Fiel)ern, in allen Hau])t-Schmertzen. in allem Durchlauft", in der rothen
und weif'^en Ruhr, in der Colica, wie auch in Mutter-lSeschwerung , im Er-
brechen des Magens, ja in allen Schmertzen des Leibes, also Stein-Beschwe-
rung ec. Im Sootbrcmnen gibt diese Artzney geschwinde Hülffe.
4.
luiglisches Cordial. Dieses macht das Gc'blüt flüchtig, und erhält es
in einer guten Circulation. , nimmt allen kalten Schleim von der Brust hin-
— 119 —
weg ; und machet daselbst Lufft , indem es das sich verstopffende Geäder in
der Lunge wiederum eröffnet; ist gut für die Lungensüchtigen, und sicher in
allen Fiebern zu gebrauchen, e. g. in hectischen, hitzigen und kalten Fiebern,
welches recht zu bewundern ist.
5.
Ein fürtreflich Elixier Vitac , oder l^ehans-Elixir , welches schon mehr
als 100. Jahr im Gebrauch gewesen, auch seine Würckung ganz erwiesen hat.
Es eröfnet den Leib gelinde, führet die Galle und dem Schleim aus dem
Magen und Gedärmen, befördert die haemorhoides, oder güldene Ader wie auch
bey dem Frauenzimmer die incnses, und ist ein gewünschtes Hülffs-Mittel für
den Magen, der die Speisen nicht gut verdauen kann.
6.
Eine bewährte Stern- Tinctur , welche den Stein in den Nieren und in
der Blasen zermalmet, falls das Uebel nicht gar zu alt ist; indem es die scharffe
Materie gelinde durch den Urin abführet, auch die Schmertzen und alle Zu-
fälle vertreibet, dass nicht leicht ein böser Zufall dazu kommen kann.
7.
Ein Sauer-Brunnen, welches ein recht himmlisches Medicament, so alles
Podagra, Gicht und Wassersucht gänzlich ausrottet ; vertreibet die Geschwulst
aus denen Füssen, wie auch das erschreckliche Hertzklopffen. Inngleichen
wiederstehet dieser Sauer-Brunn dem Zittern der Glieder, nimmt die grosse
Hitze aus dem Geblüte und ist gut wieder die Blutstürtzung; denn dieses
Medicament leidet durchaus keine Ünreinigkeit bey dem Menschen. Wieder
den weissen Fluss ist es ein gewisses Hülffsmittel : wie auch gegen die Go-
norrhaea Benigna, oder Samen-Fluss , da sonst andere Mcdicavienta nichts
ausrichten können : Doch hilft dieses gewiss.
8.
Pulver contra, epilepsiavi. Es sind viele gewesen , die dieses niahnn
haben curiren wollen, aber es hat ihnen niemahls geglücket. Dieses kan ich
mit gutem Gewissen sagen, dass es mir nie fehl geschlagen, und habe ich
noch erst kürtzlich eine vornehme Dame glücklich mit diesem Pulver curiret,
und ein jeder der es gebrauchen wird, der ward es rühmen müssen. In einer
Schachtel ist ein halb Loth.
9.
Panacea Antipyretica. Diese Pa.nacea dienet in allen verdriesslichcn
Kranckheiten , sonderlich in der Ft';-/z^.9-Kranckheit : Wer dieses Medicament
fleissig gebrauchet, hat nicht viel andere nöthig.
10.
Das l^nglisch rothe Gold-Pulver, welches dienet das Gedächtniss /u
stärckt>n; Schlag und Schwindel ist es sehr diensam; inngleichen für schwangere
Frauen, wenn sie sich etwa erschrecket oder geärgert haben : Es stärcket die
— 120 —
Frucht, wenn es \]c\ssh^ L,'ebraucht wird, auch hat man sich nicht zu be-
fürchten . dass das Kind mit der schweren Noth sollte behafftet werden , da
dieses Wunder-Pulver ein recht universal dawieder ist. In Blattern und
Massi'ln ist es unschätzbar.
11.
Ein Gesundheits-Thee, welcher seiner herrlichen Wirkim^ halber von
allen Mt'uschen gepriMset wird, indem er alle; I^rüche des Leibes nimmt, sie
möi^en Nahmen haben, \\'\e sie wollen. Wieder die Schwindsucht, wie auch
Wassersucht, ist er sehr '•^\\\ zu <,'ebrauchen : Wieder den weissen Muss der
Weil)er, wie auch wieder den Saamenlluss der Männer, ist es sehr diensam,
und hat in diesen Kranckheiten nicht leicht seines gleichen.
12.
Essentia iniracnlosa. Ein herrliches Mittel das verlohrne Gehör wieder
zu bringen, welches an vielen versucht, und jederzeit für gut befunden wor-
den. W^ieder das Sausen und Brausen der Ohren hat es, seiner geschwinden
Hülffe wegen, nicht seines gleichen. Es wird anders nicht alss äusserlich
gebraucht.
13.
Hauf)t- und ¥\\\ss- Esseftz wieder Kopff-Schmertzen , Ohren -Sausen,
Scharbock und dergleichen. In denen daraus herrührenden Zahn -Wehtagen
ist es ein gewünschtes Mittel.
14.
Ein grün Augen-W^asser , welches nunmehro in der gantzen Welt be-
rühmt, indem es alle Augen-Mängel curirt, die Fellen von den Augen gäntz-
lich hinwegnimmt, auch trübe und Hiessende Augen in kurtzer Zeit gut machet.
15.
Ein Fluss- und Glieder-.Sy^m/z^j-, äusserlich zu gebrauchen in Lähmungen,
in grofsen Geschwulsten, starcken Flüssen, sich darmit gewaschen, hilttt wun-
derbahr.
16.
Ein Mund- und Zahn-Lattwerge, die alle Mund-I^'äule hinwegnimmt, die
Zähne weiss, wie auch die wackelnde fest machet ; imgleichen maclit sie das
Zahnfleisch wachsend. Für Leute, die starck aus dem Munde riechen, ist es
sehr diensam zu gebrauchen.
17.
l--.in Sch(')nheits\vasser. Dieses nimmt alle .Mängel der Haut weg, und
machet dieselbe fein und weiss, \erhütet auch das Schi-umpffen der Haut.
Wer sich fleissig damit waschet, wird solche zarte 1 laut bekommen, wie er
nie gehabt hat. Die I lolder-Sprossen curirt es auch mit der Zeit.
121 —
Das rechte aufrichtiL,^^ Olciun Talci , oder Schönheits - Gel , welches
keine Unreinigkeit der Haut leidet, und gut wieder die Pocken-Gruben zu
gebrauchen ist.
Von den hier mitgeteilten Geheimmitteln finden diejenigen unter Nr. 2,
8, 10, 12, 13 — 17 noch auf Einzelblättern eingehende Erörterung, aufserdem,
ebenfalls mit dem Signet und der Adresse Lorentz Blumenhöfer gezeichnet,
sind noch vorhanden: Eine Schönheitspomade und eine Tacken Salbe oder
Unguentum Haemorrhodialis (sie). Die zweite Reihe von Reclameblättern,
welche den Namen des Verfertigers oder Verkäufers nicht trägt, bezieht sich
auf folgende IVIittel. 1. Cordial Royale oder das in Engelland so sehr be-
rühmte Königliche Cordial. 2. Das Englische Printzliche Cordial. (In erster
Linie ist es gegen das Podagra bestimmt, seine Vielseitigkeit geht aber aus
dem folgenden Schlufs der Reclame hervor : Und auf eben diese Art wird
diese Medizin von denen gebraucht welche mit den Blasen- oder Lenden-
Stein , Schaarbock , Schwind- und Wasser - Sucht Colica und Reissen im
Leibe und mit einem schwachen / überladenen und verderbten Magen iii-
conimodiret sein so wohl Manns als Frauens.
Diese Medizin ist auch absonderlich den Frauenzimmern in ihren Be-
schwerungen und indispositionen ein gewisses revicdium.) 3. Englisches Cor-
dial. Vor den Husten und Verkältung Schwind- und Lungensucht. 4. Vor
die Haemorrhoides oder sogenannte Tacken. 5. Englische Median. Vor die
Colicq und Reissen im Leibe. Die eben genannten fünf lassen durch ihre
typographische Ausstattung und die Ähnlichkeit der Sprache erkennen , dafs
sie einem und demselben Geheimmittclgeschäft entstammen. Ebenso geh(')ren
die drei letzten, welche einen »güldenen Englischen L()ffel-Kraut S})iritus-,
den »weissen h^nglischen Löffelkraut Spiritus« und nochmals ein »Englisches
Cordial" behandeln, zusammen. Vielleicht aber, und das ist ziemlich wahr-
scheinlich, haben wir es mit Anzeigen derselben »Firma« nur aus verschie-
denen Zeiten zu thun.
Vf)n der zum Teil ergötzlichen Art dieser Reklamen mögen die nach-
folgenden Proben Zeugnis geben.
Rechter Gebrauch und wahrer Nutzen
der
ESSENTIAE MINERALIS
Was für ein gesegnetes Medicanient und was für eine (jutthat es sey,
welche doch billig der Gnade GOttes zuzuschreiben , wenn gegen den Krebs
endlich ein Mittel gefunden worden, um diese Pein-bringendc Kranckheit da-
mit auszurotten, wird niemand der \on solcher incommodiret , in Abrede
seyn. Es haben sich zwar schon xor vielen lahrcn viele gclehito Männer
die Mühe gegeben, etwas zu erfinden, womit diese crnellc Kranckheit mochte
ausgerottet werden, es ist abcM- vergc^bens g(nvesen : jedennoch hat <\cx liebe
GOtt selbst ein Mittel dargegeben , denen armen Menschen zum nutzbaren
— 122 —
iincl heilsamen Gel>rauch, wofür dann sein Ileilii^'ei- Nahine gelobet und ge-
priesen sey. Zwai alle Kranekheiten , sie mi')gen Nahmen haben wie wollen,
sind beschweriieh. doch i'ibertrit'tt fast der Krebs sie insgesamt. Man erwege
nur Vors erste, was tür eine entsetzliche Pein die mit dieser Plage belegten
Menschen ausstehen müssen : ingleichen wenn der Krebs offen ist , was für
einen entsetzlichen (iestanck sie sodann riechc^n müss(>n : gewisslich eine solche
Plage, dass jedermann mit dergleicluMi (ie])lagten billig Mitl(Mden haben muss.
PiescMi prt\shattten l'iMsonen nun zur Hülffe und zum Trost, ist dieses Me-
(licajih'iit ausgefundrn worden, und wird aus lauter Mineralien gemachet,
welclu^s wahrlich \i(l(^ Mühe imd Arbeit erfordert. Dass es aber gewiss und
wahrhafftig unter G()ttlichen Heystand und Segen die Menschen davon befreyt,
davon k(')nnen 4 Standespersonen, welche glücklich durch dieses Medicament
vom Krebs-Schaden curiret worden, Zeugen seyn, wann nur nicht das schlimmste
wäre, das die L(nite es niemals haben wollen, dass solches öftentlich kund
werde ; vielmehr wird man \'on ihnen gebeten , man soll es doch niemand
sagen; welches aber nicht recht ist, sintemal man GOttes Güte, der den Segen
zu ein soliches Mcdicauicnt verleihet, billig ])reissen muss: woran aber leider
der wenigste gedenket , wann er erst wieder gesund , und muss man öffters
von vielen erfahren, dass die Perle unter die Säue geworffen worden.
Hierauf folgt eine sehr umständliche Gebrauchsanw(Msung, der sich die
folgende nicht unintcn-essante Definierung des Krebses anschliefst:
Denn der Krebs bestehet aus lautcM' kleinen lebendigen Würmern: Je-
doch sind sie so gross nicht, dass man sie äusserlich sogleich sehen kann,
sondern sie müssen durch ein Microscopiruii oder Vergrösserungs-Glass wahr-
genommen werden, und wer cnricitx sein will, der nehme nur ein klein
Kliergen, da Materie drinnen ist, und lese die Haut umbin r ab, und lege es
auf einen Ijogen schwartz Papier an der warmen Lufft , so wird es keine
X'icrthel Stunde dauren, der Bogen Papier wird überall voll solcher kleinen
lebendigen Würmern seyn, aber so klein, dass sie nicht anders, als durch ein
Vergrösserungs-Glass gesehen werden können. •> Der Schlufs heilst: -Wann
nun dieselben (die Würmer) insgesamt getödtet sind, glcich\\ie es durch meine
Medicin geschieht, so wird der Patient durch die Gnade GOttes frisch und
gesund. Es sollen sich billig alle Menschen dieses edle Medicament an-
schaffen: Denn es praeservirt und bewahret einen für dergleichen anstecken-
d('n gifftigen Kranekheiten, wenn man alle Monath ein oder zweymal davon
einnimmt: und \ ersichere ich alsdann dass keiner von solcher erschrecklichen
Kranckheit kan inficirt odcM- angesteckt werden. Als weiteres Beispiel mag
das \"'jrhältnismäfsig kurz gefafste lilatt über ein grünes Augenwasser dienen.
litscJircihniif^ des ^c^nintz nicht zu rerhessernden
grünen Augen-Wassers, welches von einem Mcniche ist erfimden worden, der
mehr als tausend iJi-esshatfte Pei-sonen , die stockblind gewesen, durch die
(jnade (jC )ttc,s '-ehcnd g'^niacht hat. Ivs nimmt dieses vortreffliche Augen-
Wasser alle Pelle der ,\ugen, .sie nu'igcn so alt seyn, wie sie; wollcm. hinweg,
und mi'issen sie dafür weichen; ingleichen dient es fürtretlich zur Heilung
— 123 —
der fliessend- und trleffenden Augen; nicht weniger deren Röthe und über-
mässige Hitze hinwegzunehmen. Für Augen die da blöde sind , oder blöde
werden wollen, ist es ein gewünschtes Hülffs-Mittel. So kan auch nichts
bessers und heilsamers gebraucht werden für das starcke Jucken und Beissen
in den Augen, wie auch, wann die Augen alle Nächte sich zusammen backen,
als eben dieses unverbesserliche Augenwasser. Es sind noch nicht viele
Wochen verstrichen, cJass eine Frau, die 4. Jahr von dem Staar blind gewesen,
hierdurch wieder sehend worden : ingleichen zwjey kleine Kinder , die des
Tages Licht nicht sehen können , hatt GOtt gleichfalls durch dieses Mittel
geholffen.
Was nun den Gebrauch anlangt, so muss man demjenigen, der gantz
blind ist, des Abends und Morgens 3. Tropffen lauwarm eintripfFen; welcher
aber ein Fell auf den Augen hat , alle Abend und Morgen einen Tropffen,
oder auch wohl zwey , nachdem es die Noth erfordert , und nach dem das
Fell hart oder weich ist. Hat einer blöde Augen, der kann sich bei Schlaffen-
gehen mit dem Finger etwas hineinwischen. Für alte Feute ist es sehr nütz-
lich zu gebrauchen, denn es stärcket die Augen gantz fürtrefflich : und dienet
zur Nachricht , dass ich es nicht um des schnöden Gewinstes willen ver-
kauffe, sondern nur zu dem Ende, meinem Nächsten dadurch zu dienen;
sintemal es mir selber fast so viel kostet, als ich davor bekomme.
NB. Es kan wol 20. biss 30 Jahr daurcn, und verdirbet nicht, kan
auch nur alle Jahr einmal gemacht werden.-
Diese Beispiele geben von der Art der Anpreisung einen guten Begriff,
die charakteristischsten Mittel indessen sind nach dem beigegebenen Text
etwa die »Essentia vegetabilis«.
Aus der Art und Weise wie die Anpreisungen verfafst sind , die das
unverkenntliche Bestreben zeigten , den Schein der Wissenschaftlichkeit zu
wahren — die zahlreichen termini technici der damaligen Medizin und die
verhältnismäfsig geschickte Stilisierung mögen als Ijcleg angeführt sein —
läfst sich die Vermutung herleiten, dafs entweder hier in Lorentz Blumen-
höfter ein zünftiger Apotheker vorliegt, der sich auf die Geheimmittelherstt;l-
lung im Grofsen geworfen hatte, oder dafs, wie es ja heute noch häufig ge-
schieht, aus schnöder Gewinnsucht wissenschaftlich gebildete Arzte sich dazu
hergaben, diesem Geheimmittelschwindel ihre Ilülfci zu leihen. Es dürfte um
die Einträglichkeit des Geschäftes zu erweisen, schliefslich nicht uninteressant
sein, die Preise (üniger der empfohlenen Mittel mitzuteilen, die leider nur bei
einzelnen derselben vermerkt sind. Der abführende SaucM'brunnen < kostet
»ein Fläschgen, worinnen sich 600 Tropffen befinden, 3. Rthlr. und wird man
keine Medicin finden, die so klein tropfft, als eben diese.
Vom Tulvis Ei)ilepticum beläutt sich der PrcMs für -ein Gläsgen wor-
innen sich ein halb Eoth befindc-t 2. Reichsthaler.- Der Flufs- und Glieder-
spiritus kostet »eine Flasche worinnen ein halb Pfund oben auf nüt des
Alttoris gewöhnlichen I^etschafft versiegelt nebst dem ge(Ii-uckt(Mi Bericht
1. Rthlr.'
- 1 24 —
1 .('ider ist auf dtMi Blättern k(Mnc> Zeitan^fabe, wann sie (^'ednickt sind,
docli düiften alle Umstände auf die erste I lälfte des achtzehnten Jahrhunderts
verweisen.
jvs ist jetlenfalls lehrreich zu sehen , wie vor anderthalb fahrhunderten
in ilic\stM- Materie i^enau mit denselben Mitt(;ln gearbeitet wurde, die L(-icht-
^däubii^keit und den (jeldbeutel der Kranken auszubeuten! wie in modernster
Zeit. Wir lirauchen nur die heuti^^e Ta^respresse zur iland zu nehmen, um
den beweis dafür zu finden. Das Jahrhundert der Aufklärung bewegt sich
hier auf demselben boden, wie das dunkelste; Mittelalter. Ob es je anders
werden wirtl.- Schwerlich; die Devise unter der die Quacksalberei nach wie
vor reichliche Ernte hält, heifst eben: Die Dummen werden nicht alle.
Nürnberg. Hans Stegmann.
Das Baumeisterbuch des Wolf Jakob Stromer.
Kr,
'»■ ^r
.NT i"" ^^'' 2^''t ^^^ uneingeschränkten Virtuosentums in der Architektur,
c>^*,l^V)f in den letzten Jahrzehnten des gotischen Baustils, begannen die
n^^_e>"»> deutschen Steinmetzen das Zeichnen sozusagen als Selbstzweck
zu betreiben; wenigstens werden wir es nicht für Zufall halten wollen, dafs
aus der vorhergehenden Zeit uns auf deutschem Boden weder ein Theoretiker
der Baukun.st, noch auch Architekturzeichnungen in gröfserer Zahl bekannt
sind. Es lag wohl auch an der eigenartigen Entwickelung des einst so klaren
willkürlosen gotischen Baustils zu phantastisch reichen spielenden Schnörkel-
formen, dafs man mehr erfand und entwarf, als ausführte; die vielgestaltige
Ereiheit in der Kombination von Streben , Fialen und Mafswerk , die fast
keinen konstruktiven Sinn mehr besafsen, verlockte zur Erfindung immer
neuer Zierwerke; zahlreiche Entwürfe zu Sakramentshäuschen, Taufbecken
und Kapellenl)auten zur Aufnahme eines Sarkophags oder des Corpus Christi
sind {jeweise dafür. Wenn man sie mit dem ernsten systematischen Denken
der italienischen Theoretiker der Frührenaissance vergleichen wollte , halbem
auch solche Auslassungen wie das Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit von
.Math. Roritzer, oder die Unterweisungen des H. Schmuttermayer, diesen selben
(Tiarakter oberfiächlicher Spielereien.
Als dann die wälschen Säulenordnungen und Gebälke zur i\Iode wurden,
war es die Schar der Architekturzeichner, die ihnen dii^sseits der Al})en zu
rascher W'rbrcitung half und anderseits den ausschliefslich dekorativen,
spielendem (Charakter der ersten dtnitschen RenaissanctTormen verursachte ;
willkommener Tunuuelplatz für phantasie\olle Erfindungen war diesen Zeichnern
die Ijaukunst und wenige von ihnen aufser dem genialen klaren Kopfe II. llol-
beins konnten sich rühiuen, metgliche . ausführbare Architekturen gezeichnet
zu haben. Und während des ganzen ITi. lahrh. bleibt dieser miorganiche
dekorative Charakter, aus dessen Gebilden man die phantastisch schaffende,
gegen Material und Konstruktion gleich rücksichtslose Hand des ZeichntM-s
— 125 —
herausfühlt , mehr oder minder die Eigenheit der deutschen Renaissance ;
denn erst gegen das Jahr 1600 wächst der itaUenische Gedanke von dem
gesetzmäfsigen einheitlichen Bauorganismus des neuen Stils sich langsam aus;
Architekturzeichner wie der Maler und Formschneider Heinrich Vogther von
Strafsburg, der Holländer Vredemann de Vries, Wendel Dieterlin begnügen
sich alle noch mit dem freien Erfinden lustiger Alotive für alle möglichen
Zierglieder unbekümmert um die Ausführbarkeit, also mehr Anregung als
Vorbild gebend für den Baumeister. Hand in Hand mit diesem Wechsel der
Geschmacksgrundsätze vervollkommnet sich auch bis zum Ende des Jahr-
hunderts der Renaissance erst die klare, gesonderte Vorstc^llung von Grund-
rifs, geometrischem Aufrifs und perspektivischer Ansicht, ihrerseits wieder
im Zusammenhang mit der von Praetorius ausgehenden Vervollkommnung
der Feldmefskunst und der dazu dienlichen Instrumente.
Das ist ungefähr der Boden, auf dem die Zeichnungen eines künstlerisch
wie kulturgeschichtlich höchst merkwürdigen Buches entstanden , des Bau-
meister-Buches von Wolf Jakob Stromer. Der mächtige Querfolioband , den
bisher nur W\ Lübke in der Einleitung seiner deutschen Renaissance kurz
besi)rochen hat , ist der wissenschaftlichen Benützung nunmehr zugänglich
gemacht worden, nachdem die Freiherrliche Familie von Stromer das wert-
volle Vermächtnis eines kunstsinnigen Vorfahren in dankenswerter Liberalität
dem Germanischen Museum unter Eigentumsvorbehalt übergeben hat.
Schon zur Zeit als man den schönen Brunnen baute, war ein Mitglied
des alten Nürnberger rathsfähigen Geschlechts der Stromer Stadtbaumeister
gewesen; der uns hier angeht, Wolf Jakob Stromer, war 1561 gebi^ren, mit
etwa 30 Jahren in den Rat gekommen und verwaltete da mehrere Jahre
hindurch das Baumeisteramt.
Die Baumeister der alten Reichsstadt Nürnberg waren nicht etwa Archi-
tekten vom Fach, Werkmeister, die selbst mit Hand anlegten beim Bau,
sondern wie in anderen Städteverfassungen eine Kommission von Bauherrn
waren sie zur Verwaltung des städtischen Bauamts verordnet; Mitglieder des
engeren Rats hatten sie das Referat in allen Bausachen und führten die Ober-
aufsicht über die Werkleute auf der Peunt (dem Stadtbauhof), den Stein-
metz-, den Maurer- und den Zimmermeister samt ihren Gesellen. Künstler waren
demnach die Stadtbaumeister keineswegs ; wohl aber dürfen wir annehmen,
dafs sie Männer von ausgezeichnetem Kunstsinn unter ihren Amtsgenossen
waren, vielleicht gelegentlich auch Dilettanten. Denn Männer von künstler-
ischer Begabung, die sich auch selbst thätig versuchtc-n, sind unter dem
Nürnberger Patriziat des 16. Jahrhunderts nicht all zu selten. Dafs Wolf
Jakob Stromer einige von den Blättern seines Baumeisterbuches selbst gc;-
zeichnet habe, haben wir trotzdem keine Veranlassung anzunc^hmen.
Da gab es bald Konkurrenzentwürfe für ein städtisches Gebäude, eine
Brücke oder ein Stadtthor zu prüfen , bald dem Rat die sachverständige Er-
läuterung zu einem Bauprojekt zu geben, bald unter einer grol'sc^n Zahl von
Bewerbern, die ihre Visierungen oder Modelle eingeschickt hatten, einen
tüchtigen Werkmeister ausfindig zu machen. Gerade in di'v Y.ch um dit-
Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XVII.
— 126 —
Wende des 16. zum 17. Jahrhundert bericliten uns die Ratsverläs.se nicht
selten \itn SteinnietzcMi, di(^ sich durcli ein<^esandte Zeichnungen, Stadtansichten
oder GebäudcH-ntwürie , hiMui Rat in empfehlende Erinnerung zu bringen
suchen, und \i»m Rathausbau wissen wir ja, wie viele; Konkurrenzen und
F^ntwürfe ucHil; waren, Ins die heutit^e Renaissancefassade fertii( stand. Da
war c\s naheliem'nd i{enu_^ , dafs der StadtbaumeistcM" , durch dessen Hände
alles das i^ieuij, auf den Gedanken kam, Skizzen und Entwürfe derart zu
t'ineiu Sammel!)ande zu vereinigen.
So entsand das Baumeisterbuch, ein stattlicher Lederband, dessen 248
l-\)lioblätter s^icjfstcMi Eormats teils aufgeklebte, t(Mls auf das vorzügliche Nürn-
bergiM- Papier gleich aufgezeichnete Eederzeichnungen enthalten.
Den anfcänglichen Grundstock für diese Sammhmg bildete vielleicht die
grofse Menge tler Entwürfe für den Neubau der Eleischbrücke 1596 — 98.
Das war damals eine Aufsehen machende Angelegenheit; an Stelle der 1595
vom 1 lochwasser unterspülten und baufällig gewordenen alten sollt«; eine
stattliche neue Brücke von einem einzigen Bogen errichtet werden, so etwas
wie der ponte Rialto, den mancher der Ratsherrn schon mit Bewunderung
betrachtet hatte. Wie an beiden Seiten Strafsenanschüttungen zu machen
seien , wie der Pfahlrost in die Pegnitz zu legen , wie das Lehrgerüst aufzu-
schlagen und darüber der flache Brückenbogen zu wölben sei, all das ist da
mit Durchschnitten, Perspektiven und Aufrissen gezeichnet; auch einige nicht
zur Ausführung gekommene Entw'ürfe mit reichen Mafswerkgeländern mit
Obelisken und allerlei Bildhauerarbeit befinden sich darunter.
Eine etwas kleinere Folge von Blättern enthält Visierungen von Brunnen,
die zum Teil allerdings nur ein papierenes Dasein erlebten. Interssant sind
darunter zwei verschollene Arbeiten von dem IMeister des Tugendbrunnens,
dem Rotgiefser Benedikt Wurzelbauer : die eine, auch aus einem gleichzeitigen
Kupferstich bekannt, zeigt den in Dieterlins Art sehr phantastisch kompo-
nierten Xeptunsbrunnen , der auf Bestellung des Dänenkönigs nach Kopen-
hagen kam ; knieende Vollfiguren von Schützen im Zeitkostüm auf dem Rande
des Brunn enbcckeiis lassen aus Büchse und Pfeil Wasserstrahlen nach der
-Mitte springen, wo der Meergott auf hohem Postament sich erhebt. Eine
zweite, sonst bisher nicht bekannte Arbeit mit der Bronzegruppe von Venus
und Amor ward 1599 in der gleichen Werkstätte gefertigt und anscheinend
nach Prag gc;licfert, wo sie verschollen ist. Eine merkwürdig antiquarische
Idee gibt (;in anderes Blatt mit einer Skizze , wie der Schöne Brunnen auf
(U'm Markt zn Nürnberg im 15. Jahrhundert ausgesehen habe, ein Phantasie-
gcbilde, das weder in künstlerischer noch in geschichtlicher Hinsicht glaub-
haft ist. Jedenfalls l)ilden diese Blätter für die reiz\'olle Phantastik, mit der
die l-rfindungsgab(> der deutschen Künstler von Dürer an bis auf Dieterlin
das ganze; 16. Jahrhundcn-t hindurch ihre Brunnengru{)pen ersann, interessante
Beiträge.
Als die kunstgeschichtlich wertvollste Partie des Buches müssen wir
aber die l*'assa(]en(;ntwürfe und Ansichten im Stil der deutschen Hochrenais-
sance ncnn(;n. hjui^e^ davon sind wohl unter (U;m Eindruck der Pellerhaus-
— 127 —
architektur entstanden: mächtig vortretende, grofse Quader, schwere Pilaster
und Voluten, vielstöckige Giebel, auf deren Stufen gelegentlich ganz natur-
wahr gezeichnete Tierfiguren sitzen. Dals nach einer dieser Skizzen ein Bau-
werk ausgeführt worden sei, ist mir unwahrscheinlich; dagegen erkennen wir
unter diesen Blättern eine ziemliche Anzahl Ansichten namhafter, noch heute
erhaltener Renaissancebauten: so einen wunderbar gezeichneten Durchschnitt
des ehemaligen Lusthauses am Schlofsplatz zu Stuttgart, eine Fassadenansicht
des alten Schlosses Gottesau bei Karlsruhe , den Turmunterbau der kürzlich
durch Feuersbrunst zerstörten Kreuzkirche zu IDresden, also Gebäude, die eben
damals entstanden waren und lernbegierigen jungen Architekten wohl Stoff
zum Studium bieten konnten.
Für die Kunsttopographie des alten Nürnberg insbesondere finden wir
in dem Baumeisterbuch naturgemäfs eine ganze Reihe von wertvollen Blättern.
Wie das Gebäude der städtischen Schau auf S. Sebalds Kirchhof mit seinem
gotischen Giebelaufbau nach Maus Beheims Entwurf aussah, und wie dann
zu Stromers Zeit ein Stockwerk mit Fenstersäulen und Zahnschnittgesims und
mit Mafswerkfüllungen unter den Fensterbänken aufgesetzt wurde ; wie der
Markt mit seinen rings umlaufenden Verkaufslauben und der Gebäudekomplex
des heutigen Rathauses um das Jahr 1600 sich ausnahm; die Burg und ihre
Bastionirung nach Norden hin — all das isl hier im damaligen Zustand auf-
genommen. Auch einen sehr gewissenhaft ausgeführten Stadtplan von Nürnberg,
zahlreiche ^laschinen, Hebevorrichtungen und Räderwerke enthält das Buch,
dessen Einleitung einige unbedeutende allegorische Kompositionen bilden,
während am Schlüsse einige Kuriositäten , ein Giraffe , die Mifsgeburt einer
Ente, ein seltsamer Fisch abgebildet sind. Dazwischen finden wir dann wieder
theoretische Zeichnungen zum Festungsbauwesen, Pläne zu einem Fort, das,
obwohl im Jahre 1592 erdacht, doch schon die Hauptzüge des Vauban'schen
Systems erkennen lälst ; ein Kaspar Schwabe, kurbrandenburgischer Baumeister,
der in Crailsheim und 1 leidenheim ansäfsig war, nennt sich als ihr Verfertiger.
Wer die übrigen in der Art der Ausführung ebenso wie an künstlerischem
Werte verschiedenartigen Blätter gezeichnet habe, wie viele Hände dabei thätig
gewesen sind, läfst sich kaum entscheiden; aufser dem Monogramm I.W. und
1. H.W., das vielleicht auf Jacob Wolf, den Steinmetzmeister des städtischen
Bauhofs, den Vater des nachmaligen Rathauserbauers zu beziehen ist, ist keine
Künstlersignatur in dem Buche zu finden. Jedenfalls sind auch die unsig-
nierten Blätter viel zu sicher in der Perspektive und im Federstrich, als dafs
man sie einem Dilettanten zuschreiben dürfte. Dem Stadtbaumeister Wolf
Jacob Stromer bleibt das Verdienst, diesen in der Geschichte der deutschen
Baukunst einzigartigen Prachtband gesammelt und angelegt zu haben.
Nürnberg. Dr. K. Schaefer.
Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1897
der
3Iitteilinis>en aus dem J4eriiiaiiiseheii Nationalmuseum.
Seite
Wissenschaftliche Instrumente im germanischen Museum, von Gustav
von Bezüld 3, 26, 55, 81
Richard von England, von Dr. R. Schmidt 14
Ganerl)en I.. von Dr. R. Schmidt 16
Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom Beginne des 18. Jahrhun-
derts, von Hans Bosch 17, 41, 62, 109
Nürnberger Ratsverlässe Joachim Deschler betreffend, von Dr. Theodor
Hampe 39
Zwei Handzeichnungen des Wolf Huber im germanischen Museum , von
Dr. Edmund Braun 53
Deutsche Bauernstühle, von Dr. KarlSchaefer 74
Ausrüstung einer W^agenburg im 15. Jahrhundert, von Dr. Theodor
Hampe 79
Der Zeugdruck mit der heiligen Anna, der Jungfrau Maria und Seraphim
(aus der Sammlung Eorrer, jetzt im germanischen ^luseum)
und einige altkölnische Handzeichnungen, von Dr. Theodor
Hampe 91
Ein Brief des Abtes Heinrich von Herrenalb aus dem Jahre 1429 , von
Dr. R. Schmidt 105
Geheimmittelindustrie im 18. Jahrhundert, von Dr. Hans Stegmann . 117
Das Pjaumeistcrbuch des Wolf fakob Stromer, von Dr. Karl Schaefer 124
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