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Full text of "Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum"

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Tili:  I.  i'Aii.  (,i- 1  r^-  AUM-.r,\i  i  iHi^;.\in 


Mitteilungen 


AUS  Dl'LM 


Germanischen  Nationalmuseum 


HER AUSGEGEREN 


VOM    DiREC/rüRIU.M. 


JAHRGANG  1897. 

MIT    ABBILDUNGEN. 


NÜRNBERG,  1897, 

VKRLAGSEIGENTl'^I   DES  CiERMAXISCIIEX  ML'SELMS. 


Wissenschaftliche  Instrumente   im 
germanischen  Museum. 

as  germanische  Museum  besitzt  eine  reichhaltige  Sammlung  von 
wissenschaftlichen  Instrumenten  aus  älterer  Zeit,  namentlich  aus 
dem  16.  und  17.  Jahrhundert.  Die  Alethoden  der  wissenschaftlichen 
Beobachtung,  wie  die  der  1  lerstellung  der  Instrumente  haben  sich  im  Laufe 
des  18.  und  namentlich  des  19.  Jahrhunderts  aufserordentlich  vervollkommnet, 
manches  ältere  Instrument  ist  ganz  aufser  Gebrauch  gekommen,  während 
andere  in  mehr  oder  minder  veränderter  Form  noch  Anwendung  finden. 
Diese  älteren  Instrumente  geben  mancherlei  Aufschlüsse  über  die  Methoden 
der  wissenschaftlichen  Beobachtung  in  früheren  Jahrhunderten  und  sind  nicht 
selten  auch  durch  ihre  künstlerische  Ausführung  von  Interesse.  In  letzterer 
Hinsicht  stehen  die  Instrumente  aus  vergold(;tem  Messing  von  Praetorius 
allen  anderen  voran.  Diese  Instrumente  sind  Eigentum  der  Stadt  Nürnberg, 
sie  stammen  gröfstenteils  aus  dem  Nachlasse  des  Aegidius  Aeyerer,  eines 
reichen  Liebhabers,  für  welchen  sie  Praetorius  gefertigt  hat.  1675  wurden 
sie  von  der  Stadt  Nürnberg  erworben.  Auch  unter  den  übrigen  Beständen 
der  Sammlung  sind  sehr  schöne  Instrumente. 

Die  Erfinder  neuer  Instrumente  haben  nicht  selten  in  kleinen  Traktaten 
Beschreibun^^en  und  Anweisunt/en  für  den  Gebrauch  derselben  (/e<reben.  Oft 
spricht  aus  diesen  Traktaten  die;  naive  Freude  der  Erfinder  an  ihren  Erfin- 
dungen und  sie  bekunden  in  ansprechender  Weise  den  h^ifer,  mit  welchem 
sie  bestrebt  sind,  sie  möglichst  vollkommen  und  vielfach  verwendbar  zu  machen. 
Im  Folgenden  sollen  einige  Instrumente  unserer  Sammlung  beschrieben 
und  abgebildet,  und  ihre  Anwendung  erläutert  werden.  Zui'  Bestimmung  der 
historischen  Stellung  der  Instrumente  müssen  zuweilen  auch  solche  herange- 
zogen werden,  welche  wir  nicht  besitzen.  Ich  halje  dabei  nicht  den  engeren 
Kreis  der  Fachleute,  denen  ich  als  Laie  kaum  Neues  sagen  kann,  sondern 
den  weiten  Kreis  der  Leser  der  Mitteikmgen  im  Auge.  Einige  c^lementare 
geometrische  Ausführungen  werden  sich  nicht  vermeiden  lassen;  ich  werde 
suchen,  sie  m('>f{lichst  all;^^emein  verständlich  zu  halttm  und  hoffe,  dafs  das 
Interesse  des  Gegenstandes  dem  Leser  übei'  etwaige  SchwicM-igkeiten  der  Er- 
klärung hinweghelfen  wird. 

I. 
Die  Mensula  Praetoriana  und  das  Winkelinstrument  des 

Andreas  Albrecht. 

,^Nuperri)ne   eani   ^Nori}nbrri^a»r    »lihi    dclei^i   doDuoii  perpctua})i    tum 
propter    conmioditateni    instru7)icntoru))i    et    nunxnur    asti'oiioDi/corujn    qiiihus 


4 

tota  sidcralis  itniititur  discipliua,  tioii  propter  uui^^rrsalem  conversationem 
faciliiis  habi')idani  cum  sf!n//os/s  lir/'s  Hbicunijiic  vitani  dcgentibus,  quod 
locus  illc  pcrnidc  ,juasi  cr/itnoii  I-.uropac  proptcr  cxcursuni  nwrcatorum 
habcatur.  Ich  liahi'  mir  jetzt  Niirnt)^!«;  zu  nu-incni  dauernden  Wohnsitze 
erwählt,  sowohl  weisen  der  Annehmlichkeit,  die  es  durch  Instrumente, 
insonderluMt  astronomische  hieltet,  auf  welchen  die  gesammte  Sternkunde 
beruht,  als  auch  wei^uMi  des  leichten  Verkehrs  mit  den  Gelehrten  aller 
I.ändiM-,  da  di(\ser  Ort  seines  Handelsverkehrs  wegen,  gewissermafsen  als  der 
Mittelpunkt  lunopas  gelttMi  kann."  So  schrieb  Regiomontanus  am  4.  Juli 
1471  an  den  Mathematiker  Cdnistian  R(')der  in  Erfurt.  Wenige  Monate 
vorlier  war  er  aus  dem  Dienste  des  Ungarnkönigs  Matthias  Corvinus  aus- 
getreten und  nach  Xürnberg  übergesiedelt.  Er  hatte  das  Glück  in  Bernhard 
Walther  einen  gleichstrebenden  h'reund  zu  finden ,  der  seine  Absichten  in 
freigebigster  Weise  f(')rderte.  Walther  bot  ihm  nicht  nur  die  Möglichkeit 
astronomische  Instrumente  zu  fertigen  und  beteiligte  sich  an  seinen  Be- 
obachtungen, sondern  er  errichtete  sogar  eine  eigene  Druckerei,  in  welcher 
die  litterarischen  Arbeiten  des  Regiomontanus,  für  welche  er  ein  umfassendes 
Programm  aufgestellt  und  von  welchen  er  vieles  schon  ausgearbeitet  hatte, 
gedruckt  werden  sollten. 

Nur  vier  Jahre  weilte  Regiomontanus  in  Nürnberg.  1475  W'urde  er  von 
Sixtus  IV.  nach  Rom  berufen,  um  an  der  Verbesserung  des  Kalenders  mit- 
zuwirk(Mi  und  schon  im  folgenden  Jahre  starb  er  daselbst.  Doch  die  An- 
regtmgen,  welche  di(\ser  mächtige  Geist  in  der  kurzen  Zeit  seines  Aufenthaltes 
in  Nürnberg  ausübte  waren  nicht  verloren;  mehr  denn  hundert  Jahre  blieb 
Xürnberg  ein  Mittelpimkt  mathematischer  Studien  in  Deutschland.  Auch  für 
die  Richtung  diesen-  Studien  blieb  sein  Vorbild  bestimmend,  weniger  die  reine 
als  die  angewandte  Mathematik  wurde  in  Nürnberg  gepflegt,  insonderheit 
Astronomie,   Geographie  und   Geometrie. 

1492  f(M-tigte  Martin  P>ehaim  seinen  Globus.  Ihm  folgte  in  der  Frühzeit 
des  16.  Jahrhunderts  Johann  Schöner,  von  dem  noch  mehrere  Erdgloben 
vorhanden   sind. 

1462  kam  Johannes  Praetorius  aus  loachimsthal  nach  Nürnberg.  Während 
seines  ersti-n  Aufenthaltes  bis  1.569  beschäftigte  er  sich  hauptsächlich  mit  der 
Anfertigung  astrononüscher  Instrumente,  pjn  Teil  derselben  kam  1675  in 
den  Besitz  der  Stadt  Nih-nberg  und  bc-findet  sich  jetzt  in  den  Sammlungen 
des  germanischen  Museums.  In  xergoldetem  Kupfer  ausgeführt  erfreuen  sie 
das  Auge  des  Mathematikers  wie  das  des  Kunstfreundes  durch  die  Genaiüg- 
keit   ihrer    Austührung   und   dui'ch    die   SchTinheit   ihrer   Erscheinung. 

1569  \'(.'rli(;fs  Praetorius  Xürnberg.  h'olgte  aber  1576  einem  Rufe  an 
die  Xürnbi-igei-  Eni\-ersitJit  Alttlorf,  wo  er  bis  zu  seinem  Tode  1616  als  Pro- 
fess()r   der    Mathematik    thätig    war. 

In  seinen  Schritten  behandelte  er  algebraische  und  geometrische,  sowie 
astronomi.^che  Probleme'  und  galj  .Anleitungen  zur  ]'\;ldmerskunst.  Merk- 
würdigerweise hielt  er  in  seinen  iXnscliauungen  \'om  Weltgebäude  an  dem 
System  des    Ptole:inaeus  lest.      \'g!.   I^op5)elma\  r.  historische  Nachricht  von  den 


nürnbergischen  Mathematicis  und  Künstlern  S.  88,  wo  mehrere  Belegstellen 
angeführt  sind.  Von  den  Schriften  des  Praetorius  ist  wenig  veröffentlicht. 
34  Bände  in  Manuscript  übergab  der  Sohn  seines  Nachfolgcn-s  Daniel  Schwenter 
der  Universitätsbibliothek  in  Altdorf,  von  wo  sie  nach  Aufhebung  der  Uni- 
versität Altdorf  in  die  Erlanger  Universitätsbibliothek  gelangten. 

Praetorius  hat  sich  nicht  darauf  beschränkt  astronomische  und  andere 
Instrumente  in  der  überkommenen  Weise  anzufertigen,  sondern  er  hat  an 
denselben  allenthalben  Verbesserungen  angebracht  und  neue  Instrumente  er- 
funden. Unter  diesen  letzteren  hat  der  Alefstisch,  die  mensula  Praetoriana 
eine  weite  Verbreitung  gefunden  und  ist,  im  Einzelnen  verbessert,  noch  heute 
im  Gebrauch. 

Das  Verfahren  der  Landavifnahme*j  war  bis  ins  16.  und  selbst  ins 
17.  Jahrhundert  ein  ziemlich  oberflächliches.  Einzelne  Hauptrichtj)unkte 
wurden  durch  Winkelmessung  mit  dem  Quadranten  und  der  Bussole,  Ent- 
fernungen durch  Messung  mit  Stab  und  Kette  oder  nur  durch  Abschreiten 
das  Zwischenliegende  durch  Schätzung  bestimmt.  Das  Verfahren,  nach  wel- 
chem unter  Anderem  die  Apianische  Landtafel  von  Bayern  von  1566  her- 
gestellt ist,  gab  recht  brauchbare  Ergebnisse,  genügte  aber  doch  höheren 
Anforderungen  an  Genauigkeit  nicht.  Mit  der  Konstruktion  des  Mefstisches 
führte  Praetorius  ein  Aufnahmeverfahren  ein,  das  eine  weit  gröfsere  Genauig- 
keit verbürgte  und  zugleich  den  Vorteil  bot,  dafs  das  verjüngte  Bild  der  auf- 
zunehmenden Objekte  sofort  auf  dem  Felde  aufgezeichnet  wurde. 

Der  Mefstisch  des  Praetorius  wurde  zum  ersten  Male  beschrieben  von 
dessen  Schüler  und  Nachfolger  Daniel  Schwenter  im  dritten  Tractat  der 
Geometria  practica  nova  1618.  Die  umstehende  Abbildung  Figur  1  ist 
diesem  Tractat  entnommen.  Wir  besitzen  keinen  jMefstisch  von  Praetorius, 
und  ich  weifs  auch  nicht,  ob   überhaupt  einer  erhalten  ist. 

Der  Mefstisch  AB  CD  ist  ein  quadratisches  Brett  von  15  Zoll  (37  '  -  cm.) 
Seitenlänge.  In  der  einen  Ecke  A  ist  eine  Ikissole  E  eingelassen.  Von  I 
aus  geht  nach  unten  eine  Schraube  G  H,  mittels  deren  der  Tisch  auf  das 
Holz  I  K  geschraubt  wird,  an  welch  letzteres  bei  M  N  und  ()  die  Stäbe  des 
Gestelles  S  T  V  angeschraubt  werden.  Damit  ist  der  Tisch  zum  Aufstellen 
fertig. 

Zum  Arbeiten  sind  noch  verschiedene  Instrumente  erfordcu-lich.  Zunächst 
ein  Diopterlineal  W  von  14  Zoll  Länge,  an  dessen  iMnem  I^^nde  a  sich  in 
einem  halbkreisförmigen  Vorsprung  ein  kltMues  Loch  befindet,  desscMi  Mittel- 
punkt in  der  Richtung  der  Kante  a  c  Hegt,  l^in  gleiches  Loch  steht  im 
Abstand  eines  halben  Fufses  bei  b.  Die  beiden  L()cher  sind  so  grofs,  dafs 
man  eine  feine  Nadel  hindurchstecken  und  so  das  Lineal  auf  der  'i'ischplatte 
befestigen  kann,  e  und  f  sind  die  -Absehen-  (Diojjter),  welche  aufgeklappt 
werden  können.  Die  Länge  ist  in  100,  200  oder  cMue  andere  Zahl  von  l^^iilen 
geteilt.      Dieses  Instrument  nennt  Schwenter  die   i  lauptr(;gel. 


*)  Vgl.  Max  Schmidt,    mensula    Praetoriana    in    der    Z.    f.  Vermessunt^swe.sen    1893. 
XXII.  269. 


Drei  Nc^licnrc^Ljoln,  x  y  z,  L,fl(Mchfalls  mit  Län<^umtcilun(^  können  zu  einem 
reclit\\ink('li|L^(Mi  DiiMc^ck  zusaninu-ni^(\sicllt  und,  wie  an  der  Figur  zu  sehen,  an 
einer  Seite  (.1er  Tischijlatte  anyt-sehraul^t  werden,  wenn  Höhen  gemessen 
werden   sollen. 


l'',in  weiteres  Lineal  h  i  mit  einem  ÜlcMlot,  die  Lotgahel  dicmt  dazu,  den 
Slan(J])UMl;t,  \(>n  d< m  aus  Ljemesscn  wei-den  soll,  auf  dic^  'risch])!atte  zu  über- 
t!a;_;eu,    weil    hici-   die    1  lauitticed    angelegt    werdcMi    nuifs. 

Oie  1  iseliplatte  Aii-d  mittels  einer  Setzwage  horizontal  gestt^llt.  Die 
iihiigen   auf    l'"ig.    ]    a!)!;el)ildeten    hisiiaimente   .^ind    \-on   L^(M-inüerem    ISelane. 


—     7     — 

Das  Meisverfahren  ist  ein  graphisches,  und  zwar  wird  unmittelbar  auf 
dem  Felde  ein  verkleinertes  Bild  der  aufzunehmenden  Linien  und  Flächen 
auf  die  mit  Papier  bespannte  Mefstischplatte  aufgezeichnet. 

Es  kann  sich  hier  nicht  darum  handeln,  die  sehr  mannigfaltige  Ver- 
wendbarkeit des  Mefstisches  allseitig  zu  erörtern,  ein  ganz  einfaches  Beispiel 
mag  genügen,  einen  Begriff  von  der  Art  und  Weise  der  Aufnahmen  zu  geben. 

Es  soll  der  Abstand  zweier  Thürme  Fig.  2  B — C,  welcher  nicht  direkt 
gemessen  werden  kann,  bestimmt  werden. 

Die  Messung  mufs  von  zwei  Standpunkten  aus  geschehen.  Man  nimmt 
den  ersten  in  einem  passenden  Abstände  B  o  an,  schlägt  hier  seinen  Mefs- 
tisch  auf,  überträgt  den  Punkt  o  mittelst    der  Lothgabel   auf   die   Tischplatte 


"S^v^'S^ 


Fig-.  2. 


und  befestigt  hier  die  Hauptregel.  Nun  wird  zunächst  eine  Standlinie  ge- 
wählt und  auf  dieser  ein  Stab  aufgestellt  in  p.  Dann  wird  mit  dem  Diopter 
von  o  nach  p  visiert  und  auf  dem  Mefstisch  mit  der  Regel  die  Linie  o  p 
gezogen,  desgleichen  visiert  man  von  o  nach  den  Spitzen  der  Türme  und  zieht 
die  Linien  ob  und  o  c.  Ist  dies  geschehen,  so  wird  der  Mefstisch  von  o  entfernt 
und  in  o  ein  Stab  aufgestellt.  Ferner  wird  auf  der  Standlinic  ein  passender 
Abstand  b  n.  hier  38  Ruten ,  abgemessen  ,  desgleichen  werden  38  kleine 
Teile  auf  der  Regel  mit  dem  Zirkel  abgegriffen  und  auf  der  Zeichnung  der 
Standlinie  von  o  nach  n  aufgetragen.  Der  Tisch  wird  alsdann  so  aufgestellt, 
dafs  der  Punkt  n  der  Zeichnung  senkrecht  über  n  der  wahren  Standlinie  zu 
stehen  kommt,  die  Regel  wird  in  n  befestigt  und  so  gerichtet,  dafs  ihre 
Kante  mit  n  o   der  Zeichnung  zusammenfällt.     Die  Regel   bleibt  auf  n  o  liegen 


S      — 


iinil  der  Tiscli  wird  solaiii^'c  L(i'(lr(dit,  bis  (li(>  ini  erstem  Standpunkte  o  auf- 
^'('strllu-  StaiiL^c  im  I>i(i])t('i  in  der  iiclitii;cn  Stcllun^f  erscheint.  Der  Tisch 
steht  alsdann  richlii;.  Nun  wird  wiedtn-  nach  li  und  C  visiert  imd  auf  dem 
Tisch  mit  der  Kcm'l  die  Limen  n  b  und  n  c  ^U'zogen.  Die  Schnittpunkte  b 
und  c  mit  den  xun  o  aus  i^u/oi^^enen  Linien  o  b  und  o  c  ^eben  in  verjinigtein 
Nhilsstabe  den  /Xbstand  bt-ider  'liirme  (hier  41  Ivuten).  Mit  diesen  Operationen 
ist  aber  nicht  nur  der  /\l)stand  H  C,  sondern  auch  (he  Abstände  o  B  und 
n  C  bi'stiuimt . 


Fiir.  n. 

Das  Verfalu-en  berulit,  wie  man  sieht,  darauf,  dafs  auf  dem  Mefstisch 
eine   der   natürlichen   ähnliche    l-'i-^ur   i^^cnvonnen   wird. 

Analo;;  ist  das  \'(>rfahr(;n  bei  HTthenmessungen,  wo  mit  rechtwinkehgen 
Dreiecken    (ipcriert    wird. 

J;as  grnnrmische  .Museum  besitzt  ein  histrument  (W.  J.  1262),  welches  An- 
dreas Albrccht  irj2.'>,  also  wenige  Jahre  nach  dtnn  l'Irscheinen  von  Schwenters 
Cjcomclna  an-<gcl)cn  hat  und  wcl(;hes  als  eine  Kombination  des  Alelstisches 
mit  der  I'cldiiK ■^s(■li)Ilss<,ll•  ci-schcun.  k'.s  -estattc^t  nicht,  wie  die  mensula 
l'rafnoriana,  eine  mmiittclbai-e  giai)hische  /Xulnahme  von  JMguren,  sondern  nur 
eme  solclu-  \()n    Waui.ciii.      1  )as    .ViiM  ia;^en    dei"    lMgur(-n    geschah    nachtr;iglich. 


Die  Platte  besteht  aus  einem  in  Holz  gebundenen  Notizbuch,  welchem  eine 
gedruckte  Beschreibung  und  Gebrauchsanweisung  beigebunden  ist.  Die  Notiz- 
blätter fehlen  jetzt.  Der  Titel  des  Ruches  lautet:  Eygendliche  Beschreibung 
und  Abrifs  Eines  sonderbaren  nutzlich  und  nohtwendigen  Mechanischen 
Instruments,  so  auff  ein  Schreibtafel  gerichtet,  welche.'^  zum  Feldmessen, 
zum  Vestung  aufsstecken,  zum  höh-  und  tiefen  messen,  zum  Land  und 
Wasser  abwegen,   desgleichen   zur   Perspectiv,    gar  füglich  zu   gebrauchen  ist. 


Fis-  4. 


Durch  Andreas  Albrecht  von  Nürnberg  an  Tag  geben.  1625.  Dem  Text 
waren  fünf  Tafeln  beigegeben,  von  w(;lchon  in  uns(M-em  Exc-mplar  die  erste, 
welche  die  Beschreibung  erläuterte,  fehlt.  Doch  läfst  .sich  aus  dem  Vergleiche 
des  gleichfalls  unvollständigen  Instrumentes  mit  der  ISeschreihung  eine  Rekon- 
struktion des  Instrumentes   vornehmen,  wie  in  l'ig.   3  vcnsucht   ist. 

In   den  oberen  Deckel  E  war  eine  Bussole   A  mit  Angabe  der  vier  Orte 
der  Weh   eingelassen.     An  dieser    war    eine   Regel  B  befestigt.     Beide    waren 
fest   verbunden  und  konnten  gedreht  werden. 
•     Mitteilungen  aus  dem  german,  Nationalmuseum.     1897,  II. 


—      10      — 

Sic  sind  unii,'ct)(ii  \(.n  cinriii  auf  dem  Deckel  fl(\s  Buch(\s  bcfcsti^fton, 
in  36(^  (irade  i^fetciltcn  Kicis  C.  der  ;^deichfalls  mit  den  vier  Orten  d(;r  Welt 
bezeichnet  ist.  l'nter  dem  Kreis  und  iiher  ihn  vorstellend  ist  eine  kreis- 
f()rmiL;e   Schreil)tah'l    I)    hel'e^ti^t. 

An  die  Seite  des  Ihiches.  an  welchcM'  es  aufijeschla^fc^n  wird,  ist  eine 
nii'ssiuL^'ene  Rohre,  1"  (\  anL^i'schrauht,  welche^  um  die  Axe  H  drehbar  ist. 
Sie  ist  als  I)i(ii>tcr  einL^ericlUet,  und  es  kann  an  ihi'  ein  in  zweimal  90  (jrade 
^'eti'ilter    I  lali)kreis    mit    einem    l'tMulel   befestiL;t    wei'den. 

An  Stelle  der  1  )i(ii)teir('ihre  kann  <Mn  Lineal  ijeschraubt  werden,  auf 
widchem  der  XürnlxMj^fer  Schuh  in  natürliclKM'  Cir()fs(\  in  '  :{  und  in  einer 
weiteren   W-rjünsiuni'    verzeichnet   ist. 


Fi-.  5. 


Mit  einer  Hülse,  welche  ab,f,u\schraubt  werden  konnte,  wird  das  Instru- 
ment  auf  ein   Stativ   aufi.(es(>tzt. 

Das  Instrument  ist  wie  bemerkt,  jc^tzt  unvollständi.L,^  Die  Russole  A 
mit  der  Rcl^cI  I;  und  der  Teilkreis  C.  fehlen,  desj^leichen  das  Diopter  F  G. 
Die  Schreibtafel,  KicideoTund  auf  I.eder  ist  schadhaft.  An  Stelle  der  fehlen- 
den llu-sole  i^t  (ine  solche  aus  dem  IS.  Jahrhundert  ein^^esetzt.  Sie  ist  nicht 
drehbar.  Auch  das  Lineal  mit  dem  Lotmafs  ist  aus  d(Mii  LS.  lahrhundert. 
h"i^.   4   stellt   das   L^anze    Instrument    auf  dem   Stativ   dar. 

Seine  Aiu'venduuL;  ^(,11  an  eini;^en  einfachen  lieispielen  _i,u>zei,qt  werden. 
Wie  bereits  an.L,'<-(leutet,  sind  die  AuhKihnu-  auf  dem  Felde  imd  die  [graphische 
AutzeichmmL^'   ^fetrennte   '  )perationen. 

[bekanntlich    ist    ein    Dreieck    in    allen    si/inen    Stücken    bestimmt,    wenn 


—    11    — 

eine  Seite  und  die  beiden  anliegenden  Winkel  bekannt  sind.  In  dem  ge- 
gebenen Falle  Fig.  5  ist  also  zunächst  die  Länge  der  Linie  a  b  zu  messen  und 
es  wird  diese  Gröfse  in  das  mit  dem  Instrument  verbundene  Notizbuch  einge- 
tragen. Dann  wird  das  Instrument  über  dem  Punkte  a  aufgestellt,  mit  dem 
Diopter  von  a  nach  b  visiert  und  die  an  der  Hülse  befindliche  Schraube  an- 
gezogen, so  dafs  eine  Drehung  der  Platte  nicht  mehr  möglich  ist.  Hierauf 
wird  die  Bussole  mit  der  Regel  B  so  gedrc^ht,  dafs  die  Xordnadcl  einspielt, 
und  diese  Richtung  auf  der  Schreibtafel  D  mit   1   bezc-ichnet. 

Alsdann  wird  das  Instrument  soweit  gedreht,  dafs  die  Sehlinie  des 
Diopters  die  Richtung  a  c  erhält,  die  Bussole  wird  wieder  orientiert  und  die 
Orientierung  auf  der  Schreibtafel  mit  2   verzeichnet. 

Eine  einfache  Überlegung  zeigt,  dafs  der  Winkel  der  beiden  Orien- 
tierungen dem  Winkel  bac  gleich  ist.  Völlig  gleich  ist  er  allerdings  nur,  wenn 
die  beiden  Punkte,  nach  welchen  visiert  wird,  gleich  weit  vom  Standpunkte 
entfernt  sind.  Denn  wie  die  Fig.  5  zeigt,  ist  das  Instrument  mit  einem  Fehler 
behaftet,  der  darin  besteht,  dafs  die  Sehaxe  des  Diopters  sich  nicht  mit  der 
Drehungsaxe  des  Instrumentes  kreuzt.  Der  in  der  Zeichnung  sehr  auffallende 
Fehler  wird  indes  dadurch  wesentlich  verringert,  dafs  die  Abstände  der  Stand- 
punkte und  der  zu  bestimmenden  Punkte  im  Verhältnis  zu  den  Abmessungen 
des  Instrumentes  in  Wahrheit  weit  gröfsere  sind  als  auf  der  Zeichnung;  dann 
dadurch,  dafs  die  Winkeldifferenz  immer  auf  d(n-selben  Seite  der  Visierlinie 
liegt.  Der  Fehler  kann  ganz  vermieden  werden,  wenn  man  das  Instrument 
bei  jeder  Visierung  dreht,  so  dafs  das  Diopter  einmal  rechts,  das  andere  Mal 
links  von  der  Bussole  steht  und  das  Mittel  aus  beiden  Visierungen  nimmt, 
oder  wenn  man  in  a  und  b  statt  des  Instrumentes  Visierstäbe  aufstellt,  es 
sind  aber  dann  für  a  und  je  zwei  verschiedene  Standpunkte  des  Instrumentes 
erforderlich. 

Die  gleichen  Operationen  werden  in  b  wiederholt  und  so  der  Winkel 
a  b  c  auf  der  Schrcibtafel  verzeichnet  und  damit  sind  für  die  vorliegende 
Aufgabe  die  Arbeiten  auf  dem  Felde  beendet.  Das  Aufzeichnen  der  Figur 
geschieht  zu   Hause. 

Das  Instrument  wird  vom  Stativ  genommen  und  die  Hülsi"  abgeschraubt, 
desgleichen  das  Diopter,  an  dessen  Stelle  nun  das  erwähnte  Lineal  bet<,\stigt 
wird.  Das  so  veränderte  Instrument  wird  alsdann  auf  ein  ZeMchenbrett  ge- 
legt, das  während  der  Ausführung  der  Zeichnung  \-ollstandig  un\  errückt 
lieg(;n  bleiben  mufs.  Die  Reihenfolge  der  Operation^-n  ist  hier  die  umge- 
kehrte wie  auf  dem  Felde.  Um  die  Richtung  der  Standlinie  a  b  zu  bestimmen, 
wird  die  Regel  B  auf  die  mit  1  bezeichnete  Linie  in  der  Schreibtafel  I)  ge- 
stellt imd  mm  das  ganze  Instrument  solange  gedreht,  bis  die  Xordnadel 
einspielt,  das  Lineal  hat  alsdann  die  Richtung  a  b,  welche  auf  dem  Zeichen- 
brett angezeichnet  wird.  Auf  diesei'  Linie  wird  die  gemesscMie  Länge  a  b  in 
der  gewünscht(Mi  Verjüngtmg  aufgetragen.  Weiti'r  wird  die  Regel  1>  aut  die 
Linie  2  der  Schreibtafel  D  gestc:llt,  in  dem  Punkte^  a  des  Zeichenbi'ettes  eine 
Nadel  eingesteckt,  das  Instrument  nüt  dem  Lineal  an  diese  Nadel  heran- 
geschoben und   um   den  Punkt  a  solange  gedreht,   bis  die  Xoidnadel  einspielt. 


—      12 


Das  Lineal  hat  alsdann  dir  Richtung  a  c,  Durcli  die  ^deiche  Operation  in  b 
wird  die  Richtuni,'  h  c  ^(d'undcMi  und  es  ist  tlaniit  in  dem  vcrjünt^tcMi  Alafsstabe, 
der  der  ZtMchnunL^  zu  (jruntU^  k^''li'Ut  ist,  der  Abstand  und  die  Lage  des 
Punktes   c   gi'gen   a   und   b   bestininit. 

Die  \di\\  das  Instrument  selbst  zum  Auftragen  der  Zeichnung  zu  b(;- 
nützen,  hat  L(>\inus  llulsius  in  einc-m  Hussoleninstrument,  das  er  Planimetra 
nennt,  schon  gi'gen  iCncU^  dc\s  16.  Jahrliunderts  verwirklicht  und  es  darf  an- 
genomuKMi   winden,  dafs   Albrecht  die  Planinu^tra  des   llulsius  kannte;. 

Wie  das  InstruuK^nt  zur  Atifnahme  von  l'dächen  imd  zu  deren  Auf- 
zeichnung in  verjüngtem  ALafsstabe  dient,  so  kann  es  auch  umgekehrt  zur 
Absteckung  von   Plänen  nach  Zeichnungen  benützt  werden. 

Es  dient  ferner  zur  Messung  von  Höhen.  Soll  die  II(')he  a  b  k"ig,  6  g(;- 
messen  werden,  so  wird  das  Instrument  in  einiger  Pmtfernung  aufgestellt.  Man 
visiert  mit  dem  Diopter,  an  welchem  nunmehr  der  Transporteur  befestigt  ist, 
nach  b  und,  ohne  das  Diopter  zu  verschieben,  nach  c.     Dieser  Punkt  wird  mit 


Fig.  6. 


einer  Stange  bezeichnet.  Dann  wird  an  dem  Transporteur  mittelst  des  Lot- 
maises der  Winkel  X  abgelesen,  in  welchem  das  Dioi)ter  zur  vertikalen  steht, 
und  endlich  wird  der  Abstand  a  c  gemessen. 

Um  di(;  Figur  aufzuzeichnen,-  wird  der  Transporteur  vom  Diopter  ab- 
genommen, und  an  Stelle  des  Pendels  ein  Lineal  befestigt,  dessen  eine  Kante 
durch  den  Drehpunkt  des  Pendels  geht. 

PLs  werden  zunächst  auf  einem  Reifsbrett  zwei  senkrecht  sich  kreuzende 
Linien  g(;zogen,  das  Lineal  am  Transporteur  auf  den  Winkel  X  gestellt  und 
so  an  die;  Vertikallinie  angelegt,  dann  hat  die  Oberkante  des  Transporteurs 
die  Richtung  b  c,  welche  das  Diopter  auf  dem  Felde  hatte.  Zicdit  man  diese 
Linie  und  mifst  von  ihrem  Schnittpunkte  mit  der  horizontalen  auf  diescM'  in 
verjüngtem  Mafsstab(>  die  Länge  a  c  al),  errichtet  in  a  ein(^  vertikale,  so  liegt 
der  Schnitt])unkt  b  diesei-  letztertm  mit  der  Linie  b  c  b  in  der  gesuchtc^n  H(')ht;. 

Mit  ZW'CM  AufnahuK'n  kann  auch  eine  Mühe,  an  deren  P\ifs  man  nicht 
gelangen    kann,    bestimmt    werden.       Ferner    gestattet    das    mit    dem    Diopter 


—     13     — 

verbundene  T.otmafs,  das  Instrument  als  Nivellierinstrunnent  zu  verwenden. 
Endlich  können  durch  die  Kombination  der  Planaufnahme  mit  der  Höhen- 
aufnahme perspektivische  Bilder  von  Gegenständen  gewonnen  werden.  Die 
Methode  ist  die  der  Zentralprojektion. 

Die  Genauigkeit,  welche  das  Instrument  gc>währlcistet,  steht  hinter  der 
des  IMefstisches  mit  fester  1  lolzplatte  und  Kippregel  oder  Diopterlineal  erheb- 
lich zurück.  Sein  geringes  Gewicht  und  seine  wenigstens  für  den  ersten 
Teil  der  Arbeiten,  die  Aufnahme  auf  dem  F(^lde,  einfache  Handhabung  mögen 
es  für  Fälle,  in  welchen  keine  grofse  Genauigkeit  und  rasche  Aufnahme  ver- 
langt wurden,  empfohlen  haben.  Eine  grofse  Verbreitung  hat  es  nicht  ge- 
funden und  unser  Alefstischchen  wird  wohl  das  einzig  erhaltene  Exemplar  sein. 

Schon  1617,  also  einige  Jahre  früher  als  Albrecht  hat  Johann  Lörer, 
Bürger  und  Kleinuhrenmacher  zu  Basel  ein  auf  dem  gleichen  Grundgedanken 
beruhendes  Instrument  zur  zeichnerischen  Aufnahme  von  Winkeln  erfunden 
und  in  einem  Traktat :  »Novum  Instrumentum  geometricum  perfectum,  das  ist 
voUkommner  vnd  grundlicher  Bericht,  alle  Weite,  Breite,  Höhe  und  Tieffe, 
mit  sonderbarem  Vortheil,  als  mit  einem  einzigen  Instrument  ohne  Ziffer  und 
Rechnung  gantz  gewifs  abzumessen«   beschrieben. 

Das  Instrument  besteht  aus  einer  kreisförmigen,  horizontal  zu  stellenden 
Scheibe.  Ein  Eineal,  dessen  eine  Kante  durch  das  Centrum  der  Scheibe  geht, 
dreht  sich  um  einen  in  der  Mitte  der  Scheibe  befindlichen  Zapfen.  Über  dem 
Lineal  erhebt  sich  eine  zweite  vertikale  Kreisscheibe.  An  dieser  ist,  gleich- 
falls drehbar  und  das  Centrum  berührend,  ein  langes  Diopterlineal  angebracht, 
dessen  Sehaxe  mit  der  Kante  des  Lineales  parallel  ist  und  mit  der  des  unteren 
Lineales  in  einer  Vertikalebene  liegt.  Die  Scheiben  werden  mit  Papier  be- 
spannt ,  horizontale  Winkel  werden  auf  der  horizontalen ,  vertikale  auf  der 
vertikalen  Scheibe  verzeichnet. 

In  verbesserter  Form  war  dieses  Instrument  noch  um  die  Mitte  des  18. 
Jahrhunderts  in  Gebrauch.  Die  Winkelscheibe  (plancJiette  ronde)  ist  in  dem 
Traite  de  la  constriiction  et  des  principaux  iisages  des  Instruments  de  "tuathe- 
matique  par  N.  Bion.  4""^  edition.  Paris  1752.  S.  123  beschrieben  und 
auf  PI.  XIV.  abgebildet.  Die  Planchette  ronde  ist  eine  Metallscheibe  von 
etwa  1  Fufs  Durchmesser.  Der  Rand  ist  in  Grade  geteilt.  Bei  0",  360"  und 
1km  180"  sind  Diopter  angebracht.  Die  Innenfläche  ist  verti(Tt,  so  dafs  einige 
Blätter  Papier  eingelegt  werden  kcinnen.  In  der  Mitte  erhebt  sich  ein  Zapfen, 
um  welchen  sich  eine  Regel  dreht,  deren  Kante  die  Di'ehaxe  schneidc-t.  L'ber 
der  Regel  befindet  sich  ein  Fernrohr ,  dessen  Sehaxe  der  Kante  der  Regel 
parallel   ist.     Seitlich   an  d(M-  Regel   ist   eine   lUissole  angc^bracht. 

Wie  man  sieht,  sind  die  Operationen  mit  di(\sen  insti-umentiMi  einfacluM-, 
als  mit  dem  Albrcxhtschen  und  zugleich  ist  durch  (li(>  konzt-ntrische  Lage  der 
Visieraxe  eine  gr(")rsere  GtMiauigk'cit  gewähik'istt^t.  \)'w  Winkel  wiM-den  bei 
jedem  Standpunkte  auf  ein  gesondertes  lilatt  gcveichnet.  I^ie  Instrumente 
selbst    könncm   nicht   zum    Auftragen    der   ZcMchnung   gebraucht   werden. 

Ahnliche  lu-wägungen  wie  sie  L()rer  und  Albrecht  angestellt  ha!)en.  hattet 
schon   1607   den   schweizer  Geometer  Leonhard   Zül)ler  zu   einer  Umgestaltung 


—      14     — 

des  McMstische^^-  L^u'fiihrt.  wolclir  cv  mit  clcni  Namen:  Instrunientum  Choro- 
c;rnp}iicn»i  lnveu-hnet.  I  )i(\se.s  InstruiiuMit  wurde  später  von  Athanasius  Kircher 
verhi-ssi-rt.  liei  diesen  Instrumenten  tlreht  sich  der  äufsere  rechteckige  Teil 
der  I'latte  nnt  dem  l)i(»|)tt'r  und  der  RegtM  um  (Mne  mittlere  runde  Scheibe, 
auf  welche  ^^eztMclunt  wird.  Letztere  bleibt  wie  bei  dem  Albrecht'schen  In- 
strument fest  o!  ientieit.  DagegcMi  gestattet  das  Instrument  die  zeichnerische 
Aufnahme  dcM    /u   vernu\^stMiden   Winkel   und   I'dächen  auf  dem  Felde. 

Lennhard  Ziibler  hat  sein  Instrument  unter  dem  Titel;  Fabrica  usus  In- 
strumenti   Cdnii-iigiai)hici  ,   .   .   i^asel   1607,  beschrieben. 

Die  Ik'schriMbung  des  Kircher'schen  Alefstischchens  Pantometrum  findet 
sicii  in  der  (ieomt^tria  i)ractica  von  P.  Schott.  Beide  Instrumente  beschreibt 
auch  lakob  I.eu])(ild  in  seinem  Theatrum  arithmetico-geometricum  Leipzig  1727. 

Nim  übe  rg.  Gustav  von  Bezold. 


Richard  von  England. 


o/fTik4^  n  dem  Wolkensteinischen  Archiv    des  Museums    befindet   sich ,    auf 


rVf  '■^•'\V    teinerem,   ziemlich   weifsi^m   Pergament  geschrieben,  eine   Lrkunde 
,-,^^-^>V)    \'om  5,   April   1494,  deren  Aussteller  im  Eingang   sich  als  Richard, 
Herzog  \'on  York,  Sohn  und  Erbe  König  Eduards  W .   von  England  bezeichnet 
und   sich   unterschreibt  als  Rychard  off  england. 

In  derselben  verspricht  dieser  Richard  dem  edlen  und  sehr  mächtigen 
Herrn  Michael  \-on  Wolkenstein  lur  täglich  bewiesene  und  fernerhin  zu  be- 
weisende gute  Gesinnung,  sowit;  für  die  heilsam(.'n,  in  der  \"crfolgung  seiner 
AngelegenheitcMT  ihm  gewährten  Ratschläge  1000  Goldgulden  deutscher  Wäh- 
rung ,  die  ihm  selbst  oder  seinem  rechtmäfsigen  Vertreter  ausgezahlt  werden 
sollen,  sobald  Richard  in  England  die  Anerkennung  seines  Geburtsrechtes 
erlangt   hat. 

Die   Urkunde  lautet: 

Xf)tum  sit,  quod  nos,  Ricardus,  dux  Eboraci ,  filius  et  heres  metuen- 
(Jissimi  domini  et  patris  nostri  ,  Edwardi  (.piarti ,  nuper  regis  Anglie  et 
h'rancie  ac  domini  Hibcrnie,  bonum  et  gratuitum  obsequium  per  nobilem 
et  prei)C)tcntem  \iruni,  dominum  Michaelem  de  Wolqui'stain,  nobis  in  dies 
multiplicittM'  im])cnsiim  vX  im])osterum  impendendum.  in  ministrando  nobis 
suum  Sanum  et  salubic  consilium  circa  n(>gocia  nostra  agenda,  intime  con- 
.^iderantf^,  conce^sinuis  et  per  ])rcscntes  Cf>ncedimus,  quf)d.  cum  ad  ins  et 
icctum  nn^iruni  ad  (juod  nati  sumus  in  .Anglia  diuina  gratia  adducti  et 
stabiüti  fuei-iiiius,  ^dhiiMiius  seu  solui  faciemns  ])re(lict(»  .Michaeli  aut  suo 
sutficicnti  et  ligittiniM  in  liac  ])artt'  atti  irnato  summam  mille  florenorum  auri 
de  Alm.ania.  ad  quam  (|ui(li-m  sdlucionem  modo  i>t  forma  predictis  hdelitei" 
ficndam  et  pciimi)l(ndam  obligamu.^  no-.  tirmiler  jicr  i)resentes ,  signeto 
no-^tio  manuali  signatas  et  ^igillo  noxtro  -.igillatas.  Datum  quinto  die  men- 
sis   /Xpiili^   anno   douiini   millesimo   (luadringintesimo   nonagesimo   quarto. 

Rvchard   oft"  england. 


—     15     — 

Das  Siegel  von  dunklem  Wachs  hängt  an;  doch  ist  es  am  Rande  so 
beschädigt,  dafs  von  der  Umschrift  nichts  mehr  zu  entziffern  ist.  Dagegen 
läfst  das  Wappen  im  zweiten  und  dritten  Felde  deutlich  die  drei  Leoparden, 
im  ersten  und  vierten  bei  schärferer  Prüfung  die  Lilien  erkennen  und  ist 
offenbar  als  das  königliche  Wappen  aus  der  Zeit  der  Plantagenets,  Lancaster 
und  York  zu  bezeichnen.  Die  Urkunde  ist  in  klarer,  leicht  lesbarer  Kanzlei- 
schrift geschrieben,  etwas  verwäscht.  Die  eigenhändige  Unterschrift  Richards 
zeigt  feste,  energische  Züge.  Dafs  der  Ort  der  Ausstellung  nicht  angegeben 
ist,  ist  nicht  störend  und  stimmt  mit  der  Persönlichkeit  des  Ausstellers  — 
eines  heimatlosen  Prätendenten. 

Denn  wer  ist  dieser  Richard  von  England ,  vorgeblicher  Sohn  König 
Eduards  IV.  und  Herzog  von  York.^  Ohne  Zweifel  niemand  anders,  als  jener 
Perkin  Warbeck,  dessen  abenteuerliche  Gestalt  Schiller  zu  einem  Drama  an- 
regte, wovon  der  Entwurf  uns  erhalten  ist.  Eine  Zeitlang  anerkannt  in  Flan- 
dern, wo  er  in  Brüssel  am  Hofe  der  Margarete  von  York  lebte,  landete  er 
seit  1495  wiederholt  in  England,  Schottland  und  Irland.  Er  fand  Aufnahme 
bei  dem  jungen  ritterlichen  Jacolj  IV.  von  Schottland,  der  im  Jahre  1497  auch 
Warbecks  Schilderhebung  in  Cornwales  durch  einen  bewaffneten  Einfall  in  Eng- 
land, der  allerdings  nicht  zur  Ausführung  kam,  unterstützen  wollte^).  Schiller 
bringt  in  seiner  Dichtung  Warbeck  mit  dem  echten  Warwnck  zusammen ;  mit 
diesem  safs  er,  in  Gefangenschaft  geraten,  thatsächlich  im  Tower  und  wurde, 
als  er  ihn  zu  einem  gemeinsamen  Fluchtversuch  verleitet  hatte,  1499  mit  ihm 
hingerichtet. 

Über  Michael  von  Wolkenstein,  den  Empfänger  der  Urkunde,  sei  hier 
bemerkt,  dafs  er  seit  1499  als  Hofmeister  und  Mitglied  des  von  Kaiser 
Maximilian  eingesetzten  Landesregiments  hervortritt  und  beim  Tode  des 
Kaisers  Landhofmeister  ist.  Sein  Leben  verlief  ruhiger,  als  das  seines  be- 
rühmten Stammesgenossen  Oswald.  Die  Thaten  und  Ereignisse,  auf  welche 
unsere  Urkunde  hindeutet,  fallen  in  die  Zeit  seiner  Jugend. 

Das  Bindeglied  zwischen  ihm  und  »Richard  von  England«  bildet  sein 
Landesherr  Maximilian.  Man  vergleiche  hierzu  Ranke,  Engl.  Geschichte, 
S.  101,  der  bei  Schilderung  der  Schwierigkeiten,  welche  den  Regierungsan- 
fang Heinrichs  VII.  von  England  kennzeichnen,  unter  Anderem  sagt:  Noch 
lebte  die  Witwe  des  Herzogs  Karl  von  Burgund  (jene  oben  erwähnte  Mar- 
garete), die  es  unerträglich  fand,  dafs  das  Haus  York,  aus  dem  sie  stammte, 
von  seiner  -triumphierenden  Majestät«  herabgestürzt  worden  sei.  Bei  ihr 
fanden  die  flüchtigen  Anhänger  des  Hauses  York  Aufnahme  und  Schutz :  v(M1 
ihr  und  ihrem  Schwiegersohn  Maximilian  von  Osterreich  wurden  die  Präten- 
denten ausgerüstet,   welche   Heinrich   VU.   die  Krone  streitig  machten. 

Wir  denken  später  über  Michael  von  Wolkenstein  lungehenderes  zu 
bringen  und  begnügen  uns  hier  mit  dem  Abdruck  dieser  Urkunde,  die  seine 
Gestalt  eigenartig  einführt  und  auf  den  Anfang  seiner  Laufbahn  ein  roman- 
tisches  Licht  wirft. 

Nürnberg.  Dr.   R.  Schmidt. 

^)  Ranke,   Enirli.sche  Geschichte,  S.  99. 


—      1 6     — 

Ganerben.  I. 


*-i^>. 


'^jTV^^n  (iriniins  \\'(>it(Ml)Uch  1m1.  1\',  1.  S]).  1215  Icsrn  wir  unter  ^Mncrbc: 
rif'\V^i  alul.  ist  bezeugt  kanari);in,  canluM-hcn,  aber  L,^liicklich  auch  die 
r^^^-^j-^  ältere  (It-stalt  ij;c-aner\(),  fiaukisch  9.  jli.,  in  einem  capitularc  der 
K()nim'  I.ud\vi;4  und  Lothar  (l'ertz  uion.  3,  262),  nachlier  (Um-  i^eaniMvo  siner, 
coluMes  i^jus,  abt'r  auch  schon  i^Mncrvo  siner,  wie  dann  nihd.  j^^anerbe,  nmd. 
i^ancrxe,  also  urspiiins^lich  L^i-ana-erbo.  Das  bestäti^^t  eine  Form  des  13.  jh. 
mit   Umstcdlun^   der  beiden   Vorsätze  ancf^^^erve. 

Die  ältere  Form  ^eanerbe  wurde  also  frühzeitig  in  ganerbe  zusammen- 
gezogen. Nun  lieifst  es  weiter  bei  Grimm,  Sp.  1217  unter  3a:  Dafs  dies 
gan.  an  dem  die  sjjätere  Gelehrsamkeit  wunderlich  herumgc^deutet  hat,  schon 
im  14.  jahrh.  und  fri'iher  \erdunkelt  war,  zeigen  die  wunderlichen  var.  im 
Ssp.  I,  17  bei  Homeyer,  z.  B.  als  gan  gönnt  ausgelegt,  wie  die  Uebersetzung 
fa\orabiles  heredcs  zeigt,  oder  als  gegen«  nach  generben  u.  ä.,  im  Kaiser- 
rechte 3,  10  gagenerben,  auch  als  gahen  eilen.  .  .  Dagegen  klingt  das 
Richtige  nach  in  der  Form  geanerbet  Parz.  330,  30  var.,  geanerbet  sitzen 
R.  A.  482  anm.  (vom  J.  1326j,  worin  freilich  anerbe,  ancrben  hineingefühlt 
sein  wird.^  Dann  heifst  es  unter  3  b):  Um  so  merkwürdiger  ist  daneben, 
wie  noch  im  Jahre  1267  das  ge-an  am  Rhein  lebendig  gefühlt,  ja  in  seiner 
Stellung  beweglich,  flüssig  erscheint. <'  Das  urkundliche  Beispiel  ist:  si  quid 
questionis  .  .  emerserit  ab  hiis  qui  uulgo  anegeruen  dicuntur,  das  Duplikat 
der  Urk.  aber  hat  ganeruen.« 

Angesichts  dieser  Ausführungen  dürfte  es  interessieren,  dafs  noch  w-eit 
später  als  in  den  oben  angeführten  Beispielen  v.  J.  1267  und  von  1326  das 
Richtige  nicht  nur  nachklingt  oder  lebendig  gefühlt  wird,  sondern  die  ältere 
Form  geanerben  thatsächlich  noch  vorkommt.  Kürzlich  [s.  Anz.  1896.  Nr.  6 
S.  80  oben)  ward  von  uns  in  einem  gröfseren  Komplex  eine  Urk.,  Orig.  perg. 
vom  25.  Juli  1381 ,  ebenfalls  aus  der  Rheingegend  stammend,  erworben, 
welche   in   dem   hier  in   Betracht  kommenden  Teil  lautet: 

Ich  Daniel  xon  Muderspach  wepener  dun  kunt  allen  luden  die  dissen 
briet  sehent  oder  horent  lesen,  daz  ich  mit  gehencknisse  minre  kmherrn  unde 
mit  gunst  unde  willen  Diederiches  mins  bruder  unde  minre  mage  unde  gean- 
erbin  han  gewiedemet  unde  wiedemen  Gretin  min  eliche  husfrauwe  mit 
solichcm  gude,  als  ich  unde  mine  geanert)en  han  zu  lene  xon  deme  edeln 
mime  lieben  junchcrn,  junchern  Ilcnnrichen  greben  zu  Nassauwe,  herrn  zu  Bil- 
scheim  nut  namen  dinizen  Iniwen  mit  zinsen,  mit  zienden,  mit  iernie  zugehore 
besucht  unde  unbc^ucht,  daz  allcz  halp  ist  minrt^  mage,  minre  giMnc-rben  etc. 
Und  später  heilet  es  noch  einnial :  So  lian  ich  Daniel  gebedin  Diederichen 
minen    bruder   unde   mine   geiuage,   mine   geanerbt;n. 

X'ieiinal  kommt  also  hiei-  in  iMner  L'rk.  \-om  ).  1381  noch  die  l-'orm 
geanerben  \dr.  1  )agegen  haben  zwei,  dei-selben  Kollektion  ang(-h()i'ende  und 
dem  Inhalte  nach  mit  diesei'  Ui'k.  in  /iisamnienhang  stehende,  die  r,anerben 
\-r,n  Wittenberg  betrettende  L'rkk.  \  om  ö.  Sei)t.  1384  und  \om  31.  Dez.  1405 
nur   noch    in    wiedeiholtei-    Nennung   die    h'orm   ganerben. 

Nürnberg.  Dr.   R.   Schmidt. 


17 


Ein  süddeutsches  bürgerliches  Wohnhaus  vom 
Beginne  des  18.  Jahrhunderts. 

(Mit   14  Tafeln.) 

;n  den  Sammlungen  des  germanischen  ^Museums  nehmen  die  Abtei- 
lungen, welche  den  deutschen  Hausrat  der  Vergangenheit  umfassen, 
mit  vollem  Rechte  einen  sehr  grofsen  Teil  der  Räume  ein,  welche 
dem  Publikum  allgemein  zugänglich  sind.  Reichhaltige  Serien  von  Möbeln  sind 
hier  vereinigt  mit  umfangreichen  und  lehrreichen  Sammlungen  von  kleineren 
Geräten  aller  Art  und  aus  allen  möglichen  Materialien,  welche  im  Süden  und 
Norden,  im  Westen  und  Osten  unseres  Vaterlandes  zu  einer  bestimmten  Zeit 
im  Hause  gebraucht  wurden.  Kostbare  Teppiche  und  kunstvoll  ausgeführte 
goldne  Pokale,  reich  geschnitzte  Bettstellen  und  eingelegte  Schränke ,  zierlich 
getriebenes  Eisenwerk  und  schön  reliefiertes  Zinngeschirr ,  bunt  emaillierte 
Gläser  und  farbig  dekorierte  Thonschüsseln  bekunden ,  dafs  alle  Handwerke 
im  Dienste  des  Hauses  standen  und  dafs  alle  miteinander  wetteiferten,  durch 
formenschöne ,  zweckentsprechende  und  solide  Geräte  das  Haus  wohnlich  zu 
machen,  es  zu  verschcinern  und  durch  den  Gesamteindruck,  den  sie  hervor- 
riefen, durch  den  Zauber,  den  dieser  ausübte,  die  Bewohner  des  fiauses  an 
dieses  zu  fesseln. 

Naturgemäfs  gehört  nur  der  kleinere  Teil  dem  Mittelalter  an ,  während 
der  weitaus  gröfsere  der  späteren  Zeit  entstammt.  Wenn  es  nun  auch  noch 
keine  besondere  Schwierigkeiten  macht ,  einzelne  häusliche  Denkmäler  der 
letzten  Jahrhunderte  zu  erwerben ,  obgleich  auch  diese  nachgerade  anfangen 
seltener  zu  werden,  so  ist  es  dagegen  doch  aufserordentlich  schwierig,  das 
jMaterial  zusammenzubringen ,  um  das  Gesamtbild  eines  Wohnraumes  einer 
bestimmten  Zeit,  einer  bestimmten  Gegend  und  einer  bestimmten  (jesc^llschafts- 
klasse  zu  geben.  Im  germanischen  Museum  ist  ja  auch  hiemit  der  Anfang 
gemacht  worden;  aber  die  Versuche  sind  noch  weit  entfernt  von  der  Lcxsung 
dieser  Aufgabe.  Sie  haben  nur  bestätigt,  dafs  es  kaum  m(')glich  ist  ,  solche 
Gesamtbilder  mit  allen  erforderlichen  Einzelheiten  und  namentlich  den  \ielen 
Kleinigkeiten,  die  dazu  gehören,  aufzustellen,  da  ja  zeitlich  und  räumlich  nicht 
Zusammengehöriges,  da  Geräte  des  Baue-rn  mit  solchen  der  Patrizier  nicht 
nebeneinander  verwendet  werden  dürfen. 

Unter  diesen  Verhältnissen  ist  es  freudig  zu  begrülscn,  dafs  das  ger- 
manische Museum  eint;  Hilfe  bei  L()sung  dieser  /Xutgabe  durch  die  schtnuMi 
PuppenhäuscM-  erhaltiMi  hat  ,  die  im  Kl(Mnen  das  Inneri^  d(\s  1  laust's  und  aller 
seiner  Räume  in  grofser  XWahrheitstrtnie  wiederspit\g(^ln.  In  Deutschland  sind 
sie  vorzugsw(Mse  in  Nürnberg  und  Augsburg  gebräuchlich  gewesen  und  so 
kommt  t\s,  dafs  das  germanische  Museum  deren  nn-hr  als  iigend  eine  anclei'c 
Anstalt  besitzt.  Der  Umstand,  dafs  ein  solches  l'uiJix'nliaus  alle  Räume  tles 
Hauses  vom  Keller  bis  zum  Dachboden  \(.)rführt  .  dafs  fei'ner  die  l'upi)en- 
häuser  xerschitulenen  Zeiten  angeh()ren ,  bei  manchen  d\c  l-'iniichtung  und 
Ausstattung  auch    später,   dem   damaligen  Geschniacke   t'ntspi'echend,   geändert 

Mitteilungen   aus   dem  german.   Nationalmuseum.     1897.  III. 


—      I S      — 

wuihIi'II,  (tIk)!!!  den  kultuihistoiisclKMi  Wert,  der  den  Pu])i)(>nhäu.scni  als  Mo- 
dc'lU'ii   alter   Wohnhäuser   innewohnt,   j^'anz   htuleutend. 

Zu  diMi  l'anzi'lstücken  und  den  Modellen  kommt  aber  nocli  ein  dritter 
k'aktor,  dei'  sehr  wesentlich  dazu  beiträgt,  dal's  wir  uns  ein  ^^etreues  15ild  ein- 
zelner Wohniäuuie  dei'  X'orzeit  machen  k<')nnen,  Ucämlich  die  bildlichen  Darstel- 
lungen solchei',  ili(,>  in  Miniatur-  untl  Tafelmalerei,  in  I  landzcMchnun^f,  in  Kupfer- 
stich und  in  Holzschnitt  in  nicht  gerinj^^er  Zahl  auf  uns  i^U'kommen  sind.  So 
wert \ olle  Kunstwerke,  so  lehrreiche  I^ilder  sich  darunter  befmdcm,  haben  sie 
doch  den  Nachteil,  dals  sie  ebim  nur  einen  I^laum  eines  Hauses  wieder^fcben, 
währi'nd  wir  iiber  die  übrigen  Lokale  keinen  Aufschlufs  erhalten  und  uns 
deriMi   l'^rschtMnunL,'   verborgen  bleibt. 

Durch  dic^  Güte  des  Herrn  Geheimrat(;s,  Direktors  Dr.  J.  von  Hefner- 
Alteneck  in  !\binchen,  des  Nestors  der  deutschen  Kulturhistoriker,  ist  dem 
<,U'rmanischen  Museum  nun  eine  L^U'aphische  Darstellung^  d(;s  Innc^-n  eines  Wohn- 
hauses zugt'kommen,  die  an  dem  erwähnten  Mangel  nicht  leidet,  die  \iclmehr 
gleich  einem  Dockenhause  alle  Räume  \om  Keller  unter  der  Erde  bis  zu  dem 
Speicher  unter  dem  das  Haus  bekrcnienden  Dache  enthält.  Zu  einer  Zeit 
schon,  als  das  Interesse  ffir  die  Kulturgeschichte;  noch  in  tiefem  Schlaf  ver- 
sunken war  und  man  Diejenigen,  welche  solches  zu  erkennen  gaben,  für  ver- 
schrobene Köpfe,  für  Sonderlinge  ansah,  hat  Geheimrat  von  Hefner-Alteneck, 
den  kulturschichtlich(Mi  Wert  dieser  Darstellungen  sofort  erkennend ,  diese 
Blätter  erworben  imd  sie  seinen  wertvollen  Sammlungen  eingefügt.  Nicht 
ganz  leicht  wurde  es  ihm,  sich  von  den  reizenden  Blättern,  die  ihm  lieb  ge- 
worden, zu  trennen;  aber  die  Ansicht,  dafs  sie  in  dem  deutschen  kulturgeschicht- 
lichen Zentralmuseum  am  Allerbesten  aufgehoben,  dafs  sie  hier  am  y)assendsten 
Platze  seien  ,  machte  ihm  den  Abschied  weniger  schwer.  Wärmster 
Dank  sei  ihm  hiefür  auch  an  dieser  Stelle  dargebracht!  Auch  uns  haben 
die  Bildchen  hoch  erfreut;  wir  zweifeln  nicht,  dafs  sie  auch  weiteren  Kreisen 
Genufs  bereiten  werden  in  einer  Zeit ,  in  welcher  die  Freude  an  der  Väter 
Werk  allerf)rts  eine  sehr  rege  und  stilvoll  eingerichtete  oder  sogen,  'alt- 
deutsche Zinnner  zu  besitzen,  das  Streben  \c)n  Tausenden  und  Abertausen- 
d(Mi   ist. 

Die  Serie  besteht  aus  14  einzc^lnen  lilättchen ,  dit'  mit  der  l'Tnler  auf 
Liclblichcs  l'a])i(r  sehr  sauber,  aber  auch  tlott  gezeichnet  und  alle  leicht  an- 
getuscht sind.  Die  Jahreszahl  1736  auf  der  Platte  eines  gufseisernen  Ofens 
in  einem  der  \-orgeführten  Zinnn(M-  besagt  wohl,  wann  die  Zeichnungen  ent- 
standen. Das  Kosti'im  der  l-'i-auen,  namentlich  ihre  eigenartige  Kopfbedeck- 
ung mit  den  Schneppen  auf  der  Stirne  und  an  den  Schläfen,  verkündet, 
dals  die  Iil;ittci-  in  /Xugsbui-g,  in  der  Metropole  des  deutschcMi  Kupferstiches 
mi  ].s.  [aluhundeit,  (>ntstanden  sind.  Die  Hantierungen  in  vtM-schicuJenen 
käuincn  \cirat('n  fernei' ,  dafs  der  Künstlei',  und  zwar  ein  Kupferstecher, 
sein  eigenes  HaiLs  gezi'ichnel  hat,  dafs  er  die  i\äum(>  vorführt,  die  ihm  und 
den  Seinigen  zu  behaglichem  /Xufenthalte  gedient.  Der  Zeichner  hat  sich 
leider  ant  k-eineni  der  llildchen  genannt;  wir  werden  auf  die  h'rage,  wem  sie 
ihie     l-'ntstehung     /u      wi'danken      haben,     am     Schlüsse;     dieser     Mitteiluni>en 


—     19     — 

nochmals  zurückkommen.  Schon  an  dieser  Stelle  aber  kann  erwähnt  werden, 
dafs  die  Zeichnungen  zur  Vervielfältigung  in  Kupferstich  bestimmt  waren 
und  wohl  auch  in  Kupfer  gestochen  wurden,  da  sie  bis  auf  zwei  Blätter 
—  die  Waschküche  und  eine  Flur  —  auf  der  Rückseite  mit  Röthel  bestrichen 
sind,  mit  dessen  Hilfe  man  die  Zeichnung  auf  die  Kupferplatte  zu  übertragen 
pflegte.  Herr  Geheimrat  Dr.  J.  von  Hefner-Alteneck,  der  so  aufserordentlich 
viel  kennt  und  dem  so  viel  durch  die  Hände  gegangen,  hat  nur  ein  einziges 
Mal  einen  Stich  nach  einer  dieser  Zeichnungen  und  zwar  in  der  fürstlich 
Öttingen- Wallerstein' sehen  Sammlung  zu  Maihingen  gefunden.  Doch  soll 
der  Stich  eine  sehr  stümperhafte  Arbeit  sein  und  weit  hinter  der  Original- 
zeichnung zurückstehen.  Mir  ist  noch  keine  Wiedergabe  irgend  eines 
dieser  Blätter  zu  Gesicht  gekommen.  Man  sieht  daraus  wiederum,  wie 
viele  der  Kupferstiche  und  auch  Holzschnitte ,  die  in  vergangenen  lahr- 
hunderten  gefertigt  wurden,  im  Laufe  der  Zeit  spurlos  verschwunden  sind, 
und  welch  grofse  Mengen  aus  der  Anfangszeit  dieser  Kunstübungen  uns  ver- 
loren gegangen  sein  müssen,  wenn  schon  Blätter  aus  dem  18.  Jahrhundert 
nicht  mehr  aufzutreiben  sind. 

Aus  dem  Charakter  der  Zeichnungen,  aus  der  Ruhe  und  Behaglichkeit,  die 
sie  atmen,  geht  hervor,  dafs  der  Künstler  seine  Wohnung  in  aller  Treue  wie- 
dergegeben und  sich  keinerlei  »Verbesserungen«  beflissen  hat,  die  etwa  die- 
selbe vornehmer  erscheinen  lassen  sollten ,  als  sie  in  der  That  war.  Er  hat 
keinerlei  Künsteleien  vorgenommen;  die  Zeichnungen  sind,  bis  auf  eine,  wie 
aus  einem  Gusse,  die  verschiedenen  Interieurs  harmonieren  vollständig  mit- 
einander. Sie  stellen  das  wohleingerichtete  und  gut  ausgestattete  Wohnhaus, 
die  gemütlichen  Wohnräume  eines  nicht  reichen,  aber  in  angenehmen,  ge- 
ordneten Verhältnissen  lebenden  Bürgers  dar,  der  —  heute  eine  Seltenheit 
in  grölseren  Städten  —  so  glücklich  war ,  mit  seiner  Familie  ein  Haus 
allein  bewohnen  zu  können.  Acht  deutscher  Geist  und  vielleicht  unbewufste 
Freude  an  dem  scheinen ,  traulichen  Besitze  spricht  aus  diesen  mit  grofser 
Liebe  ausgeführten  Blättern.  Des  Künstlers  Heim  gehinte  wohl  zu  jenen 
Häusern,  die  Paul  von  Stetten  d.  J.  im  Auge  hatte,  als  er  1765  von  seiner 
Vaterstadt  Augsburg  schrieb:  >So  ist  unsere  Stadt  seit  fünfzig  Jahren  aber- 
mahls  verschönert  worden ,  und  haben  wir  schon  wenig  Pallästc ,  so  haben 
wir  doch  bequem   gebaute  bürg(M-liche  Häuser ')<. 

Wir  wollen  nun  die  verschiedenen  Räume  des  Hauses,  ihre  Einrichtung 
und  Ausstattung  betrachten  und  als  Erläuterung  dasjenige  mitteilen,  was  in 
dem  Werke  >Die  so  kluge  als  künstliche  von  Arachne  und  l'enelope  getreulich 
unterwiesene  Haufs-Halteriuv;  (Nürnberg  1703-)  übcM-  die  einzelnen  Räume 
eines  Nürnberger  Wohnhauses  zu  jencM-  Zeit  gesagt  ist.  Hei  den  \ic-len  Be- 
ziehungen, welche  die  beiden  vornehmsten  süddeutschen  Reichsstädte  zu  cm- 
ander  hatten,  und  dem  Umstände,  dafs  das  Ihich  und  die;  Zt-ichmmgen  auch 
zeitlich  nicht  weit  auseinander  stehen,  kcHinen  die  Ausführungen  d(\s  ersteren 

1)  Erläntcrun^fcn  tlcr  in  Kupfer  (^'cstoclHiicn  \'()r,stc>lliiii>^cn  aus  der  Geschichte-  der 
Reich.sstadt   Augsburg.     Augsl_)urg  176.5  S.   L'Oö. 

2)  BibHüthek  de.s  german.  Museum.s  Gs.    1228. 


20 

als   Trxt  zu  ilcn  Un/ttMcMi  anL^i'schcn  werden.     Die  Ni'irnber^HM-  » I  laufs-l  lalterin 
enthalt   auf  beinahe  lOOO  (  hiaitseitcn   /Mies,  was  zu  jener  Zeit  jnn<^e  Mädchen 
uikI  ['"lautMi   wisst-n   sollten;   ihi-  Inhalt  ist   für  die   Kulttu-<4eschichte  von  beson- 
derem   Werte. 

Der  Hof  (Taf.   I). 

Die  ersti"  der  Darstellungen  ist  die  einzige  der  Reihe,  welche  aus  dem 
1  lause  luMausführt.  Der  liof,  der  sich  liintcr  demselben  befindet  imd  zu  ver- 
sehiiMlent-n  Aibeitc-n,  die  innerhalb  des  I  lauses  sich  nicht  «^ut  ausführen  lassen, 
so  zweckniäfsi^  i^ebraticht  winden  kann,  ist  von  bescheidener  Gröfse.  Rechts 
bc>L;tiMizt  ihn  die  Rückseite  des  Wohnhatises,  links  die  Akauer  eines  Xeben- 
!4ebäudc\s,  vorn  eine  Akauer  mit  einer  Thüre  m  derselben,  die  wohl  in  eine 
Xebeni;asse  führt.  Der  1  lof  ist  gepflastert  mit  Kieseln,  wie  sie  aus  dem 
Schotter  des  Deckbettes  ausgesucht  werden.  Viele  der  alten  y\ugsburger 
Strafsen  zt-igen  heute  noch  das  gleiche  Pflastermaterial.  Am  Rande  des  1  lofes 
läuft  ein  Belag  von  gröfseren  Steinplatten.  Der  Brunnen  am  Hause,  d(;r 
das  'krink-  imd  Waschwasser  liefert,  ist  einfachster  Konstruktion,  während 
er  in  vornehmeren  Häusern  Nürnbergs,  und  sicher  auch  Augsburgs,  eine 
Zier(U^  des  klofes  war  und  in  architektonischer  Umrahmung  plastische  Dar- 
stellimgen,  häufig  schcme  Bronzegüsse  z(Mgte.  LetztcM'e  sind  leider  zimi  gröfsten 
Teile  der  Sammehvut  unseres  Jahrhunderts  zum   Opfer  gefallen. 

Der  Hof  gab  den  Bewohnern  des  Hauses  Gelegenheit,  ihre  Fretide  an 
der  Natur  zum  Ausdrucke  zu  bringen.  Er  ist  der  Tummelplatz  des  Ge- 
flügels, der  Tauben  und  Hühner,  der  Enten  und  Truthühner.  Die  Akauer 
mit  der  Thüre  zeigt  ein  SpaliiM-  mit  Weinreben,  ein  schwacher  Ersatz  für  den 
Ikausgarten,  der  das  Sehnen  aller  Stadtbewohner  ist.  Von  Interesse  ist,  was 
die  Nürnberger  Hauls-kkalterin  ti.  a.  über  den  Ersatz  der  kleinen  Hausgärten 
schreibt  (S.  738  f.),  den  sie>  namentlich  in  Blumengerüsten  sieht,  die  vor  den 
k'enstern  angebracht  und  mit  Kübeln  und  Blumentöpfen  besetzt  werden,  die 
mit  allerley  k]äumlein,  Wurtzeln,  Zwiebeln  und  Saam-werck  anzufüllen  sind, 
Aiig  und  Geruch  erg(')tzcn,  tmd  (kann  man)  also  seine  Vergnügung  so  gut 
als   in   den   schönsten   Garten  haben.' 

Wir  k(")nnen  uns  nicht  versagen,  hier  noch  mitztiteilen,  was  in  dem  be- 
sagten W(M'ke  über  den  Euxus  gesagt  wird,  der  zu  jener  ZtMt  mit  Blumen- 
tiiplcn  gctrieb(>n  wurde  und  der  so  recht  die  1^'reude  imscM'er  Vorfahren  an 
Ziel-  und  Schmuck  bekundet:  -Werden  die  h(')ltzerne  Kübel  oder  \'i(M--eckichte 
Kästen  gemeiniglich  zu  mehrerer  Zierde  mit  l)imden  l^'arben  l)eli(>biger  massen 
ang(_'stiiclH'n,  mit  zierliclien  Laub-werck,  oder  wohl  gar  mit  den  Wappen  defs 
1  laufs-Pati-ons  bemahlet,  die;  l\eife  oder  eiserne  Ringe  \  erguldet,  die  ertl(>ne 
l!lumcn-'I  r)ptfe  sch(')n  braun,  grün,  oder  sonst  nach  GtTallen  g(,'glaset  und  in  dcis 
1 'i])tiers  Ofen  gebiannt,  ingleichen  aucki  an  deroselbcm  statt  gantze  (.'rdene  oder 
".  on  (jips  ioi-niii'te  und  mit  l'"arl)en  bemahlte  Brust-P)ilder  aufgi\stt'llet,  in  deriMi 
jeden  Kopf  man  einen  kleinen  erdenen  giMueinen  Blumen-Tojjf  mit  BlunuMi 
angeti'illct  zu  setzen  l>fleget,  und  weil  (Muige  (]ew<ächse  (-ini^s  Pfahk\s  oder 
(jcländers  \  on  liimd-wcMck  benothigt  sind,  als  werden  auch  dieselbige  mit  eben 


-       21      — 

solcher  Färb  wie  die  Kübel  oder  Kästen  bemahlet,  und  oben  mit  güldenen 
Knöpffen  gezieret.« 

Der  Herr  im  liefe  mag  wohl  der  Hausherr  sein,  der  nach  des  Tages 
Last  und  ?^Iühe  hier  etwas  frische  Luft  sch(')})ft  und  sich  mit  seiner  Frau 
und  einem  Besuche  aus  der  Nachbarschaft  unterhält.  Der  Knabe  und  das 
Mädchen  erscheinen  für  ihr  Alter  merkwürdig  gesetzt;  sonst  mögen  w^ohl  auch 
sie  sich  in  dem   Hofe  weidlich  getummelt  hab(;n. 

Die  Ausführung  dieses  Blattes  steht  hinter  jener  der  übrigen  Blätter 
etwas  zurück.  Da  auch  das  Papier  nicht  gelblich  gc^färbt  ist,  sondern  die 
weifse  Naturfarbe  zeigt,  so  scheint  (\s  erst  später  der  Serie  angefügt  und 
von  einem  etwas  weniger  tüchtigen  Künstler  ausgeführt  worden  zu  sein. 
Vielleicht  hat  es  seine  nachträgliche  Anfertigung  dem  Umstände  zu  ver- 
danken, dafs  dem  Verleger  die  ungerade  Zahl  13,  welche  die  Innenräume 
des  Hauses  ergaben,  nicht  pafstc  und  er  durch  Hinzufügung  eines  weiteren 
Blattes,  zu  dem  sicli  der  Vorwurf  dann  nur  aulser  dem  Hause  fand,  eine 
gerade  Zahl  erreichen  wollte. 

Der   Keller  (Taf.   II). 

>Nun  gehen  wir  in  den  Keller.  Selbiger  je  trockener  er  ist,  schreibt 
die  Nürnberger  Haufs-Halterin,  je  besser  ist  er,  weil  sonst  alles  darinnen  ver- 
stocket und  gerne  anlauftt:  Fr  soll  versehen  seyn  beedes  mit  einen  starcken 
Wein-  und  Bier-Läger,  und  dann  auch  mit  einen  bequämen  h()lzernen  mit 
frischen  Stroh  überdeckten  Lager  vor  das  Obst,  mit  einem  Gläser-Bchälterlein, 
oder  kleinen  Rei)()sitorio  zu  denen  gebrannten  Wassern,  welche^  sich  in  dem 
S})eifs-Gew()lb  nicht  allzu  wol  halten:  man  \erwahret  in  den  Keller  den  Mssig, 
man  stellet  darein  so  wohl  das  lange  saure,  als  eingemachte  Kumbus-'')  und 
klein-gehackte  Ruben-Kraut.  so  man  eines  oder  das  andere  im  Haufs  selb.st 
eingemachet  hat;  wann  man  von  l'"leisch-werck  etwas  eingesaltzen  oder  in 
F.ssig  eing(^beitz(;t  im  Vorrath  hat,  hält  sichs  im  Keller  in  einen  bedeckten 
h()lzernen  Wännlein  gleichfalls  am  besten,  und  das  Wild-])ret  kan  man 
daselbst  am  längsten  gut  aufbehalten,  fremde  Weine  in  gläsernen  Flaschen 
oder  Bouteillen,  so  man  sie  oben  am  Halfs  wohl  wM'macht,  und  in  einen 
Hauffen  Sand  (den  man  ohne  dem  auch  in)  Keller  auf  zu  schütten  gewohnet) 
zu  setzen  pfleget,  kan  man  lange  ZtMt,  ja  wolil  lahr  und  '\:v^c  auf  das  beste 
aufheben  und  gut  erhalten;  ingl(;ichen  werdc-n  dic^  l'onuM-anzen,  Limonien, 
h'cMgen.  Lorbc^er  und  andere  15äumc\  so  man  Sommers-Zeit  xor  den  Fenstern 
oder  auf  denc>n  /Mlonen  zur  Erg()tzung  stehen  hat,  in  dencMi  Kellei'n  sehr 
wolü  vor  der  Kälte  bewahret  und  übcM-wintert  ;  doch  nüissen  zu  solche^-  Zeit 
die    Lutit-   und    Keller- L()cher   mit  Stroh  odc'r  Dumnumg')    wohl  \erstoi)iet  und 

■')  l'hiT  die  Ziihercitun^f  drs  I\uml)iiS'  ,  Komhus-  odi  r  Ca] 'i)Us-Kraul  vi^l.  die  Xürn- 
IxT^'cr  llaul's-I  lallt  rin  S.  '-'47  u,  Srlimtllfi-- I-'roinniann  üaytr,  Wb.  I.  'U.").  wosellisl  auch 
f iuiii]K).st  ,  (iuni])as,  l\umi)as.  Kumpost  rtr.  als  ^kichhcdrulcnd  aii;^et'ührl  werden.  Ks 
unterscheidet  sich  vom  Sauerkran.t  dadurch,  dals  es,  nach  der  I  lauls-1  lalteiin.  nicht  wie 
diesL's  lein  j^eschnitten  .  sondern  das  ■  I  iäui  itlein  ■  nin'  in  \ier  Stücke  «geteilt  imd  diese  in 
einem    fasse:   niit   haik  Wc'in   unil   hall)   Wasser  ükeri^ossen   wurtlcn. 

■*;   Dün^un^e,  Dünger. 


_      22     

MTwnlirt't  \\i-i(l(Mi,  (lafs  der  rauhe  T.utTt  nicht  (^indringc,  und  den  Gewächsen 
Scliaden   hiiuLje 

l'nsiM'  Kc'ller  t-rwiMst  sich  als  ein  hohei'  Kaum,  der  wohl  auch  ents])rech(Mid 
trocken  war.  Duich  eine  \  tMi^'itti'rte  runde  ( )tTnun<^  im  (jew(')lbe  und  ein  \ier- 
ecki^jes  l-'ensti-r  neben  der  rr(.'i)i)e  lallt  etwas  TaL^eslicht  herein.  Weiter  wird 
der  KellcM-  durch  zwei  an  IMeilern  befestii^te  Kerzt'ntrcäger  erhellt,  (he  mit 
Blenden  \  ersehen  sind,  und  c'\nc  Lampe,  die  .auf  einem  xom  Gew()ll)e  herab- 
häUL^enden  \  icM-ecki_Lj(Mi  l)rette  bei  tler  'l"re])i)e  steht  und  diese  erleucliten  soll. 
In  den  h'ässern  sind  die  Vorräte  an  \\\>in ,  Bier  und  Mssi».,',  welche  früher 
jede  bessere  l-'amilii'  sich  in  (Umi  Keller  le<^ftt-.  Drei  Küfer  sind  mit  diesen 
^düssii,rl<^.ite^  beschäftiget.  ]üner  derselben  liat  sich  beim  Abziehen  des  Weines 
etwas  übernomnun;  er  hat  einen  stillen  Winkel  aufi^esucht ,  wird  aber  ohne 
sein  Wissen  \on  dem  Hausherrn,  der  auf  der  Treppe  steht,  beobachtet. 
Auf  der  Bank  in  der  Mitte  des  Kellers  lie<.(t  neben  dem  LeuchtcM-  ein  Heber 
und  Werg  für  den  Küfer;  cmu  Hammer  tmd  ein  Trichter  stehen  auf  dem 
kleinen  Bänkclien  neben  einem  Kru<4e,  in  welchen  der  Küfer  den  Rest  eines 
Getränk(\s  gitM'st.  Links  an  der  Wand  sind  zwischen  den  Pfeilern  Lai^^er  mit 
Obst  und  zwei  Käslaiben,  von  denen  der  eine  ani^eschnitten  ist.  Auf  dem 
Lager  an  der  rechten  Seite  befinden  sich  Schüsseln  und  Krüge,  die  einge- 
beiztes h'leisch  ,  eingekochtes  Obst,  bezw.  Schnäi)se  und  ausländische  Weine 
enthalten  m(")gen.  Zu  beiden  Seiten  sieht  man  auch  Lager,  die  an  Seilen  von 
dem  Gewölbe  herunterhängen  ,  um  die  Speisevorräte  vor  dem  Besuche  von 
Ratten  und  Mäusen  zu  schützen.  Die  linke  Hänge  scheint  ebenfalls  Käslaibe 
zu  bewahren,  die  rechte  vielleicht  Meisch,  Eingemachtes  u,  s.  w.  I)\c  stehen- 
den Fässer  unter  der  Trepjie  enthalten  (iie  verschiedenen  Sorten  Kraut,  wt'lche 
zu  den  Wintervorräten  gehr)rten.  Heute  wiu'de  der  Keller  sicher  auch  noch 
ein  Quantum  Kartoffeln  bergen;  damals  waren  aber  die  Tartuffeln  noch 
nicht  sehr  verbreitet,  die  man,  wie  .Alwin  Schultz"')  berichtet,  mit  BaumcU 
einmachte   und  allerdings  doch   auch  schon   auf  \erschiedene  WiHse   l)ereitete. 

Geilt   man   die  Tre[)pe   d(\s   Kellers   hinauf,   so  gelangt   man  auf 

die  Flur  iTaL   111). 

in  Süddeutschland  xit-lfach  auch  Tt^nne  gc-nannt  Ihren  einzigen  Schmuck, 
ihr  ganze-^  ln\entar  bildet  ein  Lüsterweibclien  in  k'orm  einer  Meerjungter,  das 
\<»n  der  Decke  herabhängt.  Dic^  Mur  ist  ein  Durchgangsraum  um  in  die 
iibngen  Käumlichk-eiten  des  1  lau-.t's  zu  gelangen.  ICin  Cjang  rechts  führt  in 
den  Ihit;  eint'  l-"i-au  mit  einem  .Mädchen  an  der  Hand  kommt  \-on  demselben 
herein.  Letzleres  h;ilt  in  dei'  Hand  einc^  Blume;  im  HintcM-grund  sieht  man 
einen  Baum,  den  <lie  .\nsicht  des  Hofi's  allerdings  nicht  aufzuweisen  hat.  dei- 
abei-  \ielleicht  ruif  der  Seile  stand,  \(>n  wehdier  der  Hof  canfgenonunen  wui'di-. 
Der  st.attliche  Herr  uut  l'errücke  untl  Degen  ist  wulil  der  Be.^it/er  dies  Hauses, 
dei'  sich  lebhatt  mit  seinei"  Li'au  unteihäll.  Die  'Ireiijn'  herab  kommt  c\n 
.')  .\!ll;i;4-'i  1  ic  n  ciiK  r  (hnl-^clKii  l'raii  /u  AnlaiiL:  des  IS,  lahrhunilcrts,  Lt-ip/ij^, 
h.  Ilnv<'i  Is'^ii.  S,  1"M.  l'nstrr  AI  il  .ililuiv^c  n  sind  'nftiiclu:  lllustralioiieii  zu  dieseni  W'erl^e, 
das  V'.ir  aücn  |(  iii.:ii.  iii(  si(  li  tiir  die  Zciv  m  die  unsere  1 '»arstclluni^en  lallen,  interessieren. 
li(.-'i<  ns    eiupleir:'  u    KiMUlell 


—     23       - 

Mann,  der  über  seine  Arme  ^^ele^^t  eine  Partie  Kupferstiche  trcägt.  Sie  werden 
in  die  unten  stehende  geöffnete  Kiste,  auf  dcM-en  Rand  ebenfalls  schon  Stiche 
Heften ,  verpackt  und  dann  versendet  werden.  Es  ist  unglaublich  ,  welche 
Unmassen  von  Kupferstichen  im  vergangenen  Jahrhunderte  in  Augsburg  ge- 
fertigt und  in  alle  Länder  exportiert  wurden.  Der  Kunstwert  derselben  ist 
meist  ein  nicht  sehr  grofser,  doch  befriedigten  sie  das  künstlerische  Bedürf- 
ni,'?  der  grofsen  Masse  des  Volkes  vollauf.  Ihr  Preis  wird  ja  wohl  auch  nicht 
sehr  hoch  gewesen  sein.  Fiir  die  Gegenwart  hat  ein  grofser  Teil  dieser  Blätter 
lediglich  kulturgeschichtliches   Interesse. 

Die  verschnih-ten  Ballen  neben  der  Kiste  enthalten  wohl  Papier  zum  Drucke 
bestimmt.  Bei  dem  an  der  Wand  stehenden  Ballen  hat  der  Zeichner  oben 
eine  falsche  Kontur  gezogen,  die  er  für  den  Stecher  korrigiert  hat.  Die  Kisten 
und  Ballen  erinnern  daran,  dafs  in  der  Flur  allerlei  Geschäfte  besorgt  wurden, 
die  man  nicht  gerne  im  Zimmer  vornahm.  Hier  wurde  Wäsche  zusammen- 
gelegt, Gemüse  geputzt,  die  Kinder  si)iclten,  und  im  Sommer  setzten  sich 
wohl  die  Frauen  des  Hauses  mit  ihrer  Handarbeit  in  dic;scn  kühlen  Raum. 
»P'ür  uns  Kinder,  eine  jiingcre  Schwester  und  mich,  erzählt  Goethe''),  war  die 
untere  weitläufige  Hausflur  der  liebste  Raum ,  welche  neben  der  Thüre  ein 
grofscs  hölzernes  Gitterwerk  hatte,  wodurch  man  unmittelbar  mit  der  Strafse 
und  der  freien  Luft  in  Verbindung  kam.  l'2inen  solchen  Vogelbauer,  mit  dem 
viele  Häuser  versehen  waren,  nannte  man  ein  Geräms.  Die  P^-auen  safsen 
darin  um  zu  nähen  und  zu  stricken  ;  die  Köchin  las  ihren  Salat ;  die  Nach- 
barinnen besprachen  sich  von  daher  miteinander.«  Ein  Geräms*  hatten  die 
Augsl)urger  Häuser  zwar  nicht ,  sonst  aber  wurde  deren  Plur  zu  gleichem 
Zwecke  benützt  wie  diejenige  der  P^-ankfurter. 

Rechts  vor  dem  an  die  Wand  gelehnten  l^rette  ist  Ih-ennholz  aufge- 
schichtet. Folgt  man  der  Magd  links,  die  einen  Zuber  oder  Kübel,  süddeutsch 
Schaff,   mit  Wasser  auf  dem  Kopfe  trägt,  so  gelangt  man   in 

die  Waschküche  (TaP   IV). 

I^ieselbe  ist  mit  \iereckigen  steinernen  E^latten  belegt;  di(^  Decke  ist  getäfelt. 
Aufser  jener  Thüre,  zu  welcher  die  Magd  mit  dem  K.übel  hereinkommt,  welchen  sie 
inzwischen  vom  Kopf  herunter  genommen,  hat  die  Waschküche,  in  Süddeutsch- 
land auch  Waschhaus  genannt,  noch  zwei  Thiu-cn;  die  eine  führt  in  den  Hof, 
in  den  auch  das  grofse  P'enster  geht,  zu  dem  ein  MädcluMi  hereinblickt,  um 
zu  sehen,  was  in  der  Waschküche  vorgeht.  Wohin  dic^  an(UM'e  TIiüit  führt, 
kann  nicht  gesagt  werden;  in  derselben  ist  ein  (juckfcMisterclum  mit  runden, 
in  Blei  gefafsten  Scheiben,  unter  demsell)en  r\u  llrc^tt  zum  hinaufk'lappen,  aut 
welches  die  Hausfrau  das  Frühstück  un.d  andere  MahlzeittMi  für  die  Wäscht;- 
rinnen    gestellt    haben    mag.      Denn    nach    Schultz')    bc\s()rgt(MT    das   Waschen 

6)  Aus  meinem  Leben.  Dichtunt^  und  W'ahrlicit.  1.  IJand.  Oocthcs  Werke. 
(Weimar)  26.   15(1,,  S.   12. 

7)  a.  a.  O.  S.  1.51,  \\oscll)st  aucli  die  l^inricluun^  eines  \,\'asclili;uises  und  (kr  Ljan/e 
Prozcf.s,  der  .sicli  i)cim  Reinigen  der  W;isclu;  vom  l^inw  luchcn  bis  zum  Auflu'hen  in  dem 
Wäschckasten   abspielte,   ^eschiklerl   ist. 


_     24      - 

tn-somUMc  WäsclicriniKMi ,  die,  \vi(>  i\s  luMitc  noch  lihlicli  ist,  im  Tnj^^clohn 
arli(.'!ti't('n  und  \on  (Kmi  1  )it'nstniä^(lc'n  untcM-.stützt  worden  sein  ni<')f(en.  Von 
cMncui  eii,UMitüniliclicn  ( iehtaiiclie  dc-r  Wäsclic-rinnen  berichtet  Schultz.  Sie 
hattcMi  nänihch  eint'U  <  Klin^t'-lunitel  ,  offenbar  c^deich  jenen,  che  in  dtMi  Kirchen 
i^t'biaueht  werden,  welchen  si(>  den  VorbcM^ehenden  xorhiclten,  diese  dabei 
um  ein  l"rink^(dd  zu  liianntw ein  ansjjrcxhend.  Ihre  nasse  l)eschäfti<.(un^f  mochte 
sie  für  solchen  besondcM's  aufnahnud'ähi^  macJKMi.  In  unserem  Aui^'sbur^^cr  I  lause 
konnte  ilieser  l^nfu<.,f  nicht  ausgeübt  werden,  da  (li(^  Waschküche  verniniftii^fer 
Weise  auf  den  llof  und  nicht  auf  die  Stralse  L,ncn<^.  Die  I*'rau  mit  dem  Kopf- 
bunde, die  den  Dtxkel  des  einen  Kessels  in  die  IIr)lK>  hebt  um  sich  nach 
der  kochenilen   Wäsche  umzusehen,    mag  eine  berufsmäfsige   Wäscherin   sein. 

Die  beiden  W\aschkessel  sind  die  Hauptausstattungsstücke  d(;s  Wasch- 
hauses. L'ber  ihnen  behndet  sich  ein  mächtiger  Schlotmantel ,  auf  dem  die 
verschiedensten  Gegenstände;  ein  Fafs ,  cHnt^  Decke,  eine  Säge,  ein  Hobel, 
ein  Topf  mit  Teller  und  einem  Kochlöffel,  eine  Pfanne,  eine  Schüssel,  ein 
Bilderrahmen  und  eine  Ofengabel  friedlich  vereint  ruhen.  Die  Waschküche 
bildete  also  auch  eine  Art  Rumpelkammer  oder  doch  wenigstens  den  Auf- 
bewahrungsort für  verschiedene  Gegenstände ,  welche  eigentlich  mit  dem 
W'aschen  nichts  zu  thun  hatten;  z.  B.  auch  für  die  rechts  an  der  Wand  leh- 
nende Leiter,  für  das  Sieb  über  der  Thürc,  imd  auch  für  den  Sack,  der  an 
der  Wand  hängt,  dessen  Inhalt  wir  aber  nicht  kennen.  Die  Laterne,  die 
in  der  Mitte  der  Decke  hängt  und  der  Leuchter  auf  dem  F'ensterbrctt.  waren 
sehr  notwendige  Gebrauchsgegenstände  des  Waschhauses,  da  man  sicher  da- 
mals, wie  noch  vor  30  und  40  Jahren,  gleich  nach  ?^Iitternacht  zu  waschen 
anfieng. 

In  der  Ecke  neben  der  Thüre,  die  in  den  Garten  führt,  stehen  einige 
Stangen,  die  wohl  zum  Spreizen  der  Leine  gedient  haben,  auf  welcher  die 
Wäsche  getrocknet  wurde.  Über  der  Thüre  mit  dem  Guckfensterchen  ist 
ein  W^andbord,  vor  derselben  an  der  Decke  ein  IJängebrett,  das  leer  ist,  auf 
welchem  aber  irgend  welche  Gegenstände,  die  man  vor  vierfüisigen  Haus- 
bewohnern schützen  wollte,  ihren  Platz  fanden.  Und  nun  ist  noch  der  ver- 
schiedenen Kufen,  Bottiche,  Kübel,  Schauer.  Zuber,  Gelten  und  Wannen, 
die  je  nach  der  GrcMse,  Ffirm  und  Gegt;nd  diese  abweichenden  Namen  führen, 
zu  gedenken.  \"on  welchen  eine  Kufe  der  Küfer  in  i\rbeit  hat,  der  in  unserem 
(Jeutschen  Vaterlande  beinahe  eben  so  viele  \erschiedene  Xamen  hat,  wie  die 
Geräte,  welche  er  herstellt.  D(M"in  aufser  dem  Namen  KiifiM'  führt  dieser 
Handwerker  auch  noch  den  Namen  lj()ttch(M-.  Büttner,  Kubier.  Schäffler  und 
Fafsljinder.  letzteren  mit  den  L'ntcM-arten  WeifsbindcM- .  dic^  nur  Gefälse  aus 
weichc'm  Holze  fertigen,  Rotl)inder.  die  solche  aus  Rotbuchen,  und  Schwarz- 
binder,  die   sf)!che   aus    kjchenholz   herstellen. 

Den  grolsen  kJotticii.  dessen  Reife  ilcv  KüUm-  antreibt.  bcMiützte  man 
zum  I'jnweichen  der  Wäsche;,  das  Schr)pfkiil)elchen.  das  auf  dem  Tritte  steht, 
auf  welchen  sich  die  WTischerinnen  stclKn,  um  nicht  nasse  k'ülse  zu  be- 
kommen, zum  Aus.sch()pten  dei'  Bottiche.  iJaneben  steht  eine  (ieltc'.  dalunter 
i-nic     nicilrige     Kult';     das     da\oi'    licL'ende     Kiibelehen     nul    dem    laUL'en    Stiele 


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-      25     — 

diente  zum  Ausschöpfen  von  Gruben  etc.  Die  an  der  Wand  lehnende  grofse 
Wanne  hat  eine  Vorrichtung  zum  Ablassen  des  Wassers,  nämlich  einen  langen 
Zapfen,  der  in  der  Röhre  einer  stärkeren  Fafsdaube  läuft  und  ein  Abflufsloch 
im  Boden  verschliefst,  durch  welches  das  Wasser  abfliefst,  sobald  der  Zapfen 
in  die  Höhe  gezogen  wird.  In  der  Wanne  wird  vorzugsweise  das  Fielen, 
d.  i.  das  Ausspülen  der  Wäsche,  vorgenommen.  Vielleicht  hat  diese  Wanne 
auch  zum  Baden,  das  Waschhaus  auch  als  Badezimmer  gedient.  Unsere 
Nürnberger  »Haufs-Halterin«  sagt  nichts  von  einem  Waschhaus,  sondern  be- 
richtet in  dem  nachstehenden  Texte  über  das  Bad  im  Hause,  dafs  man  zum 
Waschen  irgendwo  im  Hofe  einen  Kessel  eingemauert  hätte,  also  wohl  im 
Hofe  wusch.  Hiegegen  fehlt  dem  Augsburger  Hause  das  Bad.  Es  folgt 
daher,  da  es  möglich  ist,  dafs  die  Waschküche  auch  als  Baderaum  benützt 
wurde,  zur  Ergänzung  Dasjenige,  was  die  >  Haufs-Halterin  <  über  das  I^ad  berichtet. 
»Wo  man  ein  Bad  in  den  Häusern  hat,  findet  man  in  den  Ofen  derselben  einen 
grossen  küpfernen  Kessel  eingemauret,  um  das  benöthigte  Wasser  darinnen 
auf  zu  wärmen,  welchen  Kessel,  wo  man  zum  waschen  nicht  mit  einen  bc- 
sondern  dazu  irgendwo  in  den  Hof  eingemauerten  versehen,  man  hiezu  eben- 
falls gar  wohl  gebrauchen  kan ;  übrigens  mufs  das  I^ad  mit  Bäncken  inn- 
geben  und  rings  um  mit  Ploltz  getäfelt  seyn,  damit  die  Kälte  nicht  durch 
das  Mauer-werck  häufig  eindringe,  und  man  an  einen  Ort  verbrenne,  und  an 
den  andern  fast  erfröhre. 

Nechst  deme  gehören  auch  in  das  Bad  ein  messing-  oder  küpfernes 
Laugen-Kesselein,  den  Kopf  zu  zwagen,  ein  und  andere  Bad-Wannen,  hölzerne 
Schäfflein  und  Gelten,  so  wohl  zu  kalten  Wasser,  das  allzu  heisse  damit  zu 
temperiren  und  abzukühlen,  als  auch  zu  warmen  Wasser,  die  l'üsse  darein 
zu  setzen,  wiewohl  man  gemeiniglich  hiezu  besondere  aus  Kupfer  gemachte 
tiefe  Fufs-Becken  hat,  w-elche  man  hiezu  gebrauchen,  und  jedes  mal  aus  der 
Küche  hinab  in  das  Bad  zu  tragen  pfleget.« 

Über  das  Waschen  selbst  verbreitet  sich  S.  483  ff.  die     Haufs-Halterin < 
ausführlich;    es    liegt  jedoch    kein  Grund    vor,    an    dieser  Stelle  näher  darauf 
einzuijehen. 


Über  die  Lage  der  bis  jetzt  besprochenen  Räume  kann  wohl  kein 
Zweifel  bestehen;  anders  ist  es  mit  dem  gröfseren  Teil  dt^-  übrigen  Räume. 
Dafs  der  Bodenraum  (Speicher)  unter  dem  Dacln^  sich  befindet,  iind  die  zweite 
Flur  nicht  ebenfalls  im  Erdgeschosse,  sondern  nui-  in  eintMU  oIxmxmi  (ieschosse 
sein  kann,  nachdem  die  Flur  des  Erdgeschosses  festgestellt  weixlen  konntiN  wissen 
wir  ja.  Wir  dürfen  auch  wohl  annehmen,  dafs  die  Mägdc^kauuner  und  Wäsche- 
kammer in  dem  oberen  Stock-werke  untergebracht  sind,  aber  wie  wir  di(^  übrigiMi 
I\.äume :  das  Wohnzimmer,  das  Schlafzimmer,  zwei  zu  Arlx'itslokaltMi  \(M-wendete 
gröfsere  Zimmer,  che  Küchc^  und  dic^  S})eisekamm(M-,  \tM-leil(Mi  soIKmi,  welcluMii 
Geschosse  diese  zuzuweisen  sind,  ist  um  so  schwitM"igcM'  zu  cmtsclKMchMi ,  als 
wir  gar  nicht  wissen,  wiexieU^  StockwerlvC  das  Haus  unsei'es  Künstlers  übcM'- 
hau])t   hatte,     l^ine  alte  NunmiericM'ung  der  l)lättei-  auf  dei'  RückstMte   gibt    hicr- 

Mitteilungen  aus  dem  german,   Nationalmuseum.     1897.  IV. 


26 

\\\^c\■  ebenfalls  kiMnc  /Xuskunft.  In^U'iclirn  i^clx-n  die  I\äunu'  sc'll).st,  die  Thürcn 
und  1'\misIcm-  dcisidbcMi  nur  L;(.Mini4t'  /Vnhaltspunktc  über  die-  La^^c  der  einzelnen 
Räunu'.  (\:\  s\c  ja  nicht  aHe  xon  cintM'  und  derselben  Seite  (^^esehen ,  sondern 
otkMibai'  \on  \  i-ischieck'nen  Seiten  aufgenommen  sind.  l^in  vollständiges 
dritti.'s  (jeschols  ist  abt'r  nicht  wohl  anzunehmen.  Wir  sind  abc;r  doch  nicht 
sicher,  dats  \\w  ilas  Kiclitii^i'  s^etrotfen  liab(>n,  wenn  wir  das  Wohnzimmer 
imd  das  Schlat/immer  in  das  kj-d^eschols,  die  beid(Mi  £,n(')rseren  Arbeitszimmer, 
Kiiclu'  und  Speisekammer  in  das  oben'  Geschc )rs,  die;  .Ma<^fdkammer  imd  die 
W'iischekammer   in   t-inem    Aufbau   auf  die   Mitte   d(.\sselben    verlegen. 

l^Fürtsctzun<4  tol^t.j 
Niirnbers».  Hans   Br>sch. 


Wissenschaftliche   Instrumente   im 
germanischen  Museum. 

II. 

Das  Quadratum  geometricum. 


j^  oll  ein   Grundstück    aufu'cMiommen    werden,    so    kann    die   Aufnahme 


öfi^ 


kCi  mit  Stcäben  imd  der  AIcMskettt^  ^wschehen,  ebenso  k()nnen  Höhen 
^iJ^:^^(|j  in  vielen  Fcällen  direkt  gemessen  werden,  die  Autnahme  wird  aber 
sehr  \ereinfacht,   wenn  die  Messung'   von  Linien  und  Winkeln  kombiniert  wird. 

Mit  den  bisher  besprochenen  Instrumenten  werden  die  Winkel  i^^raphisch 
aufi^enommen  und  mit  dem  Mefsstich  wird  sot^ar  sofort  auf  dem  Felde  ein 
verkleincTtes  Bild  der  aufzunehmenden  Tdäche  «gewonnen.  Xel)en  den  Instru- 
menten  zur  ^graphischen   Aufnahme   stehen   solche  zur  Messinig  der   Winkel. 

W'inkt'l  werdtMi  durch  Kreisbr);4(.'n  i^emessen,  deren  Mittelpunkt  im  Scheitel 
der  Winkel  liegt.  Hie  Mafseinh(Mt  ist  der  Grad,  d(>r  dreihundertundsechzigstc 
eines  Kreises,  dieser  wird  in  60  Minuten  und  die  Bogenminute  wieder  in  60 
SekuncU'U  geteilt.  X(d)en  dei-  Teilung  des  Kreises  in  360  "  war  in  früheren 
Zeiten  ein('  solche  in  24  Teile  in  (Gebrauch,  welche  man  Stimden  nannte  und 
noch  In-ute  wenden  die  MarkschcMdei"  in  den  Bergwerken  Instrumente  mit 
diesei-  Teilung  an.  hjue  Stunde  entsi)i-icht  einem  Winkel  \"on  15".  Sie  wird 
wieder  in  X'iertel ,  Achtel  und  Sechzehntt'l  geteilt,  od(M-  auch  in  15  Teile, 
was   d<'r   Teilung    des    Kreises    in    Cii'ade   entspricht. 

Hie  Bestinmiung  dei'  Gr<")lst'  cMUt-s  Winkels  kann  al)er  auch  noch  in  der 
Weise  geschehen,  dafs  man  ihn  als  Bestimmungsstück  (MUes  Hin-iecks,  inson- 
derheit eint-s  r(;chtwinkeligen  HrcMccks  auffafst.  Hie  \'erhältnisst\  in  welchen 
die  S(Mten  des  rechtwinkeligen  Hi-eiecks  untereinander  stelun  ,  hängen  xon 
dei'  (ji-()lse  der  <  lei'  f  lypotenusc  anliegenden  Winkel  ab,  und  umLjekelii-t  eigibt 
sich  die  Cji-iilse  dicsei'  Winkel  aus  den  l\rlationt;n  dei'  Seiteii.  Man  bezi'ichnet 
dii'se  kclationei"!  als  die  ti'igonouietrischen  k'unktionen.  Sie  müssen  als  bekamit 
vorausgesetzt  uerdtm,  denn  ihrt'  lOntwickt'lung  würcK-  an  dieser  Stelk-  zu  W(;it 
tiihren. 


--      27     — 

Sämtlichen  trigonometrischen  Fimktionen  ist  es  eigen,  dafs  einer  gleichen 
Zunahme  eines  Winkels  nicht  eine  gleiche  Zu-  oder  Abnahme  der  zugehörigen 
Funktionen  entspricht ;  diese  ändern  sich  vielmehr  progressiv.  Die  Über- 
tragung dieser  Progressionen  auf  eine  Scala  ergibt  deshalb  ungleiche  Teile  und 
ist  selten  ausgeführt  worden,  man  hat  vielmehr  wie  noch  heute  die  Winkel 
nach  Graden  gemessen  und  die  Gröfse  der  Funktionen ,  seit  Erfindung  der 
Logarithmen  die  letzteren  aus  den  trigonometrischen  Tafeln  abgelesen. 

Um  aber  eine  gleichmäfsig  fortschreitende  Scala  zu  gewinnen,  aus  der 
man  durch  eine  einfache  Proportionsrechnung  Entfernungen  und  Reihen  er- 
mitteln kann,  genügt  es,  ein  rechtwinkeliges  Dreieck  mit  beweglicher  Hypo- 
tenuse zu  konstruieren  und  die  beiden  Katheden  nach  gleichem  Alafsstabe  zu 
teilen.  Auf  einem  solchen  Instrumente  kann  man  dadurch ,  dafs  man  die 
Hypotenuse  um  den  Endpunkt  der  einen  Kathede  dreht,  ein  dem  zu  messen- 
den ähnliches  Dreieck  herstellen  und  erhält  durch  Messung  einer  Kathede  des 
aufzunehmenden  Dreiecks  die  zum  Ansätze  einer  Propositionsrechnung  nötigen 
Gröfsen.     Eine  W^inkelmessung  nach  Graden  findet  dabei  nicht  statt. 

Diesen  Gedanken  hat  schon  Ptolemaeus  der  Konstruktion  seines  Trique- 
trum  'zu  Grunde  gelegt.  Das  Triquetrum  war  aus  drei  Stäben  zusammen- 
gesetzt, einem  senkrechten  um  dessen  oberes  Ende  sich  als  zweiter  der  Vi- 
sierstab drehte  und  einem  dritten  horizontalen  mit  Teilung  versehenen ,  auf 
welchem  der  Visierstab  je  nach  seiner  Elevation  verschiedene  Längen  abschnitt. 
Ein  Zusammenhang  zwischen  diesem  Instrumente  und  dem  auf  dem  gleichen 
Grundgedanken  beruhenden  geometrischen  Quadrat  ist  zwar  nicht  nachweis- 
bar, kann  aber  nicht  unbedingt  abgewiesen  werden. 

Die  Zeit  der  Erfindung  des  geometrischen  Quadrates  konnte  ich  nicht 
ermitteln.  Es  wird  von  einigen  als  Erfindung  Georgs  von  Peurbach  1423 — 1461 
betrachtet,  ist  aber  älter.  Die  Scalen  der  umbra  recta  und  der  umbra  versa 
finden  sich  schon  auf  Astrolabien  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  und  kommen 
noch  auf  Winkelinstrumenten  des  18.  Jahrhunderts  vor.  Ihre  Hezeichnung  als 
umbra.  Schatten,  weist  auf  den  gnomonischen  Ursprung  des  Instrumentc^s  hin. 

Das  geometrische  Quadrat  (quadratum  geometricum)  wurde  namentlich 
zur  Messung  von  Höhen  benutzt,  fand  aber  auch  zur  Messung  von  horizontalen 
Entfernungen  sowie  zu  astronomischen  Beobachtungen  AnwcMidung. 

Hs  ist  eine;  quadratische  Scheibe,  auf  welcher  zwei  zusammenstofsende 
S(,nten  in  12  oder  in  100  gleiche  Teile  geteilt  sind.  Die  l^^lungslinien  gn^hen 
vf)n  d(M'  gegenüberliegenden  Ecke  aus,  trc-fien  also  unt(M'  wrschiedenem 
Winkel  auf  (Uc  geteilten  Strecken.  Die  beiden  and(M-tMi  SiMtc-n,  welche  stets 
mit  ihrer  ganzen  Länge-  in  Rcxhnung  gt\'^tel]t  wcMxitMi  ,  krmntMi  ungeteilt 
bleiben.  Die  nebenstc^lumcU'  k'igur  7.  dcM-  ocularis  radicalis  demonstratio 
usus  quadrantis  von  Le\inus  Ilulsius  aus  GcMit,  Nürnberg  1596,  entnonmien, 
\-eranschaulicht  die  Teilung  dc\s  Instrumentes.  Sie  ist  hier  eine  d()ppelt(\  in 
12  und  in  100  Teile,  die  Tinlungslinien  der  unil)ra  recta  und  dtM"  umt)ra 
vcM-sa  gehen  von  der  Ecke-  a  aus,  die-  Teihmg  läuft  xon  1)  und  el  nach  c. 
Auf  diesem  Instrume-nte;  sinel  auch  die-  Se-ite;n  a  b  unel  a  el  in  de)))pe]ter 
Weise   in    12  und   in    100  Teile    (>"e't(>ilt.      Zut/Ie;ich    (jeben    die-   Aufschritte-n   an 


2S 


den  Seiten  ;in,  was  liei  \ertikalei"  Aufstt'llimL;  des  Instrumentes  an  jeder  ScMle 
al)L;eK\st'n  wiid.  Pas  InstninuMit  entli.ält  aufser  der  Teilung  des  Ouadrates 
ncicli  einen  in  9<  >  (  Irade  L,U'teilten  (juadranten.  Zum  Visieien  mufs  eini'  um 
den  Punkt  a  ihclihare  kc^Ljc'l  ( I  )i()i)teilineal),  ans^ebracht  werden,  l-^ine  solche 
1\c\l;(.'1  ist  jeddch  nicht  in  alliMi  h'älK'n  vorhanden,  ja  sie  (hu'ftc;  ,  abj^esehen 
\(in  den  Astrolaiiien  nicht  zur  ursprimi^dicht'U  I'jniichtuni(  des  histrunientes 
Ljehoit  haben,  l'.s  sind  \iehnehr  bei  den  meisten  ältei'en  bistrumenten  an  t'iner 
i.\cr  un;:^eteilten  Seiten  kleine  Diopter  auLjebracht ;  so  an  einem  kleinen  Oua- 
diat    eintachster  Ait    vom    jähre   1523,  W.  b  26.    10i</entum  der  Stadt  Xürnbei"';, 


Fi|.'.  7.    i,»ua(lratiim  treometrii-uni  nach  Lovinus  Hulins. 


an  dem  scheinen  Instrument  von  Christo])h  Schiefsler  von  1596,  W.  |.  \'M , 
l-'iL,'.9.  so\\i('  auf  dem  i^U'ometi-ischen  (Juadrat  des  braetorius  \  on  1.571.  W.  |.  12., 
k.ii^entum  der  Stadt  Nih■nbeI■L,^  Soll  mit  diescMi  Insti'umenten  (^femc^ssen  wer- 
den, so  inuls  das  L;an/.c  (juadrat  so  lanL;'e  (^unlreht  wei'den,  bis  die  .Seite  mit 
den  l)io])tern  in  dei-  Richtung  der  X'isiti'linie  >teht  und  die  W-iL^un^  uird 
durch  ein  Pendel,  das  in  dei'  der  beilurii^  ^ei^'eniibeiliei^^enden  !{cke  auL^e- 
hauft  ist.  anm'L;cben.  \\'ähicn<l  dii>  Sc'iten  des  eistbes])i-(  .dienen  mit  einer 
KcL^el  \  (i'^-ehenen  bMiadrates  bei  den  AlessunL;en  horizontal  und  \'ertikal  stehen, 
i^t  die  noiinale  .Stelliin;^  des  (juadrates  mit  fest  steinenden  l)ioi)tern  iiber  b'.ck 
und  wird  dasselbe  t)ei  den  Messuns^en  in  positiver  oder  nei_;ati\(M'  RichtiniL; 
aus    rlit'ser   .Stelluno    j^fedreht. 


29 


Bei  den  .Astrolabien  ist  reL^clniäfsii^'  ein  i^'eoinctrischcvs  Quadrat  auf  der 
Rückseite  angebracht.  Ks  findet  sich  sclion  auf  einem  alten  arabischen 
Instrumcmt  unserer  Saniniluni^  W".  j.  35:1  Vii^uv  8  stellt  ein  Astrolabium  aus 
dem  15.  JalirhundcMt  W.  I.  21,  lüi^entum  der  vStadt  Xürnbero-,  dar.  Die 
Stellun^j  des  yVstrolabiums  ist  durch  die  Aufhäni^un^'  an  eincMii  Rint^^  gegeben, 
es  kann  deshalb  das  Pendel  nicht  zur  Pn^stimmung  eines  Winkels  benutzt 
werden  und  es  wird  statt  desselben  ein  P)io))terlineal  angebracht,  dessen  Kante 
durch  den  ^Mittelpunkt  geht.  Das  (Juadrat  ist  auf  den  /\strolaf)ien  gewöhnlich 
zweimal   in  tnitgegengc;setzter   Richtung  aufgc^zeichnet. 


S  9  10  (.10 


Fiir.  S.     (Geometrisches  (Juadrut  auf  i](.t  Ixiu'kseite  eines 
Astrolabiuiiis  aus  dem  1^.  .lahrliumii'i-t. 


l'jne   einfache   Iberlegung   Z(^igt,   dafs    die   Teilung    dei-   umbra   recta   und 

umb'/a     versa     aui     den     Kreis     oder    auf    Polygone     i'ibei  tragen     wei'den     kann. 

Schlägt     man     xom     .Ausgangspunkte    dei"     Teilungslinien     (MUen     X'iertelski'eis, 

\\(>lch(M-   diese    Pinien    durchschneidet,    so   wii-(l    diestM'    in    eine    der    I  eilung  cu\~ 

spr(X-hend(^    -Anzahl    Non    TiMlen   geteilt,     wt-lclu^    \-on    beiden     landen   gegen    die 

)iagonale     kpMner     wtM'dcm.       1  )i(\s(>     ,\rt     dei'      Teilung     fincU'l     sieh     aul     den 

JUcadrantcMi,    welche   Ajiian    löMo    in    seinem    In^liiinuMitenbucli    angibt    und   si(^ 

:ommt  aut  dem   /Xnnuliis  si)liaeri(Mis,  sowie  an!   \  ielen   W'inkcT'nstiaimentt'n  \'oi". 

'ig.    9    stellt    ein    Instrument    \  on    rhii>ti)pli    Schielslei'    in    .\ugsburg    vn    1596, 

mit    der    l'beilragung   (U-r   ScalcMi    dei-    Pmbra    rt-cta    und    Pmbra   \  ei'sa   auf    den 

Kreis.      \V.    1.    137. 


'AO 


Wirft  ein  sriikrcchtcr  (icLjcnstand  seinen  Schatten  auf  c'inr  horizontale 
Mäehe,  so  kann  seine  1  iTihe  (hnch  ^h'sslln^  <ler  I -äni^e  des  Schattens  und 
chireh  che  Hestinunun>^f  des  NcM^^un^sw  inkels  der  SonnenstrahU^n  ermittelt 
werden,  denn  der  ficj^enstand,  die  ( irnndtläclie  und  die  Grenzlinie  des 
Schattens  unisehliel'sen  ein  rechtwinkeliges  DicMeck,  \T)n  welchem  alsdann 
eine   Seitt'    und   die   lieicU'U   anlies^endt^n    Winkel   bekannt   sind. 

Zur  X'ornahnu'  dieser  .Messunij  winde  das  (^Geometrische  Quadrat  mit 
feststehendtu  Dioptern  an  dei-  einc-n  Seite  ht-iuitzt  und  zwar  anfänglich  nicht 
in  der  Weise,  dals  man  durch  die  L()cher  des  l)io])t(MS  nach  dem  Gipfel  des 
Gegenstandes  \isicMte,  sondern  indem  man  es  so  Ian_L(e  drehte,  bis  <Mn  Sonnen- 
strahl durch  beide  L()ch(M'  hindurchfiel.  War  dies  der  Fall,  so  wurde  durch 
die  beicien   Kanten  des   Quadrates    und    durch   das  Bleilot  ein  rechtwinkeliges 


Fit'.  ;t.    Instnnnent  vmh  Christoph  Schi^fslrr  in  Aii^'sburtr.  mit  der  (licii  rairiiiiir  ihr  Sralni  di^r  liiihra  ryi-ta 
und  Inihra  v^  isu  auf' drm  Ki'i.is.    W.  .1.  .  . 


I)rei(>ck  begrenzt,  das  dem  zu  messenden  ähnlich  war.  \\\ar  der  Gegc^istand 
lu'iher,  als  die  Länge  des  Schattens,  so  tu^l  das  Lot  in  die  umbra  recta  und 
die  ganze  Länge  der  ( juadratscMte  entsjirach  ilcv  I  l(>he  dt's  ( u'genstandes, 
der   Abschnitt    aut    der   umbra   recta    der    Limge   des   Schattens. 

Ist  z.  li.  l'"ig.  10  das  Lot  auf  den  27)  Teilstrich  der  in  lOO  Teile  ge- 
teilten Scala  L;cfalien  und  Iiat  ilcv  Schatten  42  l-'iif-^  Länge,  so  liat  man 
folgende  Proportion:  2,^i  :  42  =r  ]()(*  :  \,  und  .\,  die  \  \i\hc  des  Turmes  ist 
lOX    ImiTs. 

Steht  (lagegtMi  die  Soune  tiefer  als  i,^".  so  dals  der  Schatten  längcM' 
wird,  als  die  1  lr,he  des  ( iegenstandes  ,  so  fällt  das  Lot  in  die  umbra  \  ersa 
imd    in   diesem    l-'alle   entspi-iclit    die  t-anze  (  )uadratseitt:  dei-  Sch.attenlänL'i',   der 


31 


Abschnitt  auf  der  umbra  versa  der  II(')l-ie.  Fällt  dcM-  Faden  auf  75  u.  v.  und 
ist  die  Schattenlänge  gleich  240  Fufs,  so  haben  wir  folgende  Proportion  : 
100  :  240  =  75  :  X  und  x  ist   180  Fufs. 

Diese  Alessungsmethode  erklärt  die  Ausdrücke  umbra  recta  und  umbra 
versa.  Bei  beiden  wird  mit  dem  Schatten  operiert,  b'ällt  das  Lot  in  die 
umbra  recta,  so  entspricht  der  Abschnitt  thatsächlich  der  Länge  des 
Schattens  (umbra  rectaj,  fällt  es  in  umbra  versa,  so  entspricht  er  nicht  der 
Schattenlänge,  sondern  der  M(')he,  d.aher  umbra  \ersa. 

Das  Verfahren  war  nur  bei  Sonnen-  oder  Mondschein  anwendbar.  Es 
mufste  daher  schon  frülizeitig  aucli  das  Visieren  nach  dem  Gegenstande  An- 
w'endung  finden.  liiezu  aber  mufste  es  bequemer  erscheinen,  beim  Visieren 
nicht  immer  das  ganze  Instrument  drehen  zu  müssen,  und  man  brachte  eine 
drehbare  Regel  in  dem  Eckpunkte  an,   welcher  den  Scalen  der  umbra  gegen- 


b'ig'.  In.    lUilieiiiiiessung  iiiirtels  des  Si'liattciis  unter  AiiwiMidiiiig  di 
si'eouK'trisclieii  (.Quadrates  oder  des  (,)iiadraiiteii. 


Überliegt.  Die  Quadratseiten  wurden  alsdann,  wie  oben  bemerkt,  horizontal 
und  vertikal  gestellt.  Der  Neigungswinkel  der  Ixegel  war  jetzt  nicht  mehr 
von  der  Sonnenhöhe,  sondern  \on  dem  i\bstand(^  des  Instrumentes  und  der 
Höhe  des  Gc?genstandes  abhängig.  Um  die  I  I(')ln^  richtig  zu  linden,  muls  die 
Standlinie  bis  zu  dem  Punkte  verlängert  werden,  in  welchem  sie  von  der 
rückwärts  \'c;rlängerten  Visierlinie  geschnitten  wird,  oder  c\s  nuifs,  wenn  sie 
nur  bis  zum  Standpunkte  des  Instrumentes  gemessen  wird,  die  Höhe  des 
letzteren  der  berechneten   Hf')he  zugezählt  werden. 

Zur  Messung  von  k^ntfernungcMi  gil)t  Le\inus  Ibilsius  zunächst  ein  Ver- 
fahren an,  das  auf  die;  Umkehr  dei-  H(")hcnnu'ssung  hinausläuft  und  das  aus 
Fig.  11  B  A  T  und  B  O  \  ersicinlich  ist.  Ilii^lu'i  wird  statt  der  Grund- 
linie;  die  H<")he   B   A  beziehungsweis;^    15   O   mit   di'iu    Lot   gemesstMi. 

Ein  zweites  VerfahrcMT  aus  zwei  Ständi'U  ist  aus  diM-selbcMi  h'igur  er- 
sichtlich,   wo    im    1  iintcM-gruncU'    dic^    lireite   (Mnc\s    Fluss(\s   gemesst'n    wird.      Zu 


32 


dieser  Opt'ration  uiid  das  Instrument  hoiizontal  auf  dem  Stah  hefestJL^t  und 
so  t^"(\stellt.  dals  dii'  eine  Kante  vom  ersten  Standpunkte  nach  dem  anzu- 
messenden I'unkt  i^eiicditet  ist;  ternei'  wird  mit  der  l\eL;el  eine  auf  di(\ser 
X'isierlinie  senkreehtt'  Standlinie  al)\isiert  und  al)L;esteckt,  .auf  dieser  ein 
zwaater  Standpunkt  ("in^emessen  und  hier  (kas  histiument  aufL;c'stcllt.  Die 
weiteren   (  )peiationiMi   sind   i.\\c   ^ieicht-n    wie   bei    cUm'    I  l(")henm(;ssun_L;'. 

\)cv  (jiad  ilcv  ( uMiaui^keit  (Um'  .Messun,L;en  mit  diesem  histrunuaite  ist 
kein  schv  hoher,  (k)ch  kann  ein  k'ünfliunch'itstel  (k'r  (jesamtscaka  schon  hei 
nüifsiLj   L;iofsen    histrumenten   mit   ziemhchei-  Siclierlieil   L^eschätzt   werden. 

Obii^U's  wird  s^cMii'is^en,  um  einiai  k)e_<4"riff  zu  i^c^hcai  \on  der  liünriclitunL,^ 
d(>s   i^eomctrischi'n   Ouach-ates   und    von    scaner   \\;rw  ('uduns^f    in    dca'   h'ekhncMs- 


s^s^-^-v* 


Viu:-  11.     Messuiiir  von  Jlöln-n  iind   Knt,lcriiinigt;ii  mit  di/in  iritoiiK^trisclicii  (Juiulrnt.    Nach  I,i"viiiiis  lliilsiiis. 

kunst.  /\ut  st:in(a-  l^däche  sind  j4(w\(")linhcli  noch  vciscliieckaie  Linicai  zur  üc- 
stimmun^f  der  H<)he  eka-  (iestiine,  dca-  Sternstuuihai  u.  s.  w.  \  (M'zcMchnc^t, 
worauf  ich   spätca-   zurückkommen    w(a-(k\ 


Distanzmesser  (Tachometer). 

ALan  ncaint  h(aite  I  )ist.anzmessei-  solche  histrunuaite ,  mit  w  ekdu-n  (he 
-ntfernun^  zweier  Punkte  \f)n  cancan  (h'esia-  kunkte  aus  iiaan(\ss(ai  \vei(kai 
ann.  .Akan  benutzt  zur  \h\s,sun^  L[ew  <")hnhc:h  eine  s(Mikreehte  Standlinie  und 
a    dieselbe   ^CL^iaiiiber   der    zu    messiai(kai    kaiiL'e    seht    klein    ist,     halxai    diese 


—     33     — 

Instrumente  befriedigende  Eri^ebnisse  erst  geliefert ,  seit  die  Messung  kleiner 
Winkel  mittels  Spiegeln  oder  Prismen  sehr  vervollkommt  ist. 

Im  Grunde  aber  ist  die  Messung  einer  Entfernung  mit  dem  geometrischen 
Quadrat  von  zwei  Standpunkten  aus  auch  als  Distanzmessung  zu  betrachten. 
Da  man  es  hiebei  in  der  Hand  hatte ,  den  f)arallektischen  Winkel  nach  Be- 
lieben zu  vergröfsern,  konnten  auch  diese  unvollkommenen  Instrumente  ziem- 
lich befriedigende  Resultate  geben. 

Nachdem  man  gelernt  hatte ,  mit  der  Ähnlichkeit  rechtwinkeliger  Drei- 
ecke zu  operieren,  lag  der  Gedanke  um  so  Ucähcr  Instrumente  zu  konstruieren, 
welche  gestatteten,    der  Messung  ein  beliebiges  Dreieck  zu  Grunde  zu  legen. 


FiK.  12.     Ähnlich,;  Dreiecke.     CA.  \\  «^  0  DK.     Nach  l,c(.iih:ir(l  Ziibl.-r. 


als  es  in  manchen  Fällen  unm(')glich  sein  konnte,  eine  Standlinic  zu  findt^n, 
welche  auf  der  einen  Visierlinie  senkrecht  stand,  ist  es  nämlich  möglich  mit 
einem  Instrumente  (Fig.  12)  das  Dreieck  CDE  dem  zu  messenden  Dreitxk 
C  A  B  ähnlich  zu  gestalten  und  ist  auf  den  Seiten  des  kleinen  Dreiecks  ein 
verjüngter  Mafsstab  angebracht,  so  kann  man  auf  diesem  sofort  die  Längen 
der  Seiten  C  A  und  B  A  ablesen,  wc;nn  C  \i  der  Längi^  C  B  entsprechend 
eingestellt  ist. 

Wir  besitzen  ein  derartiges  InstrumcMit  (W.  j.  1]5D  aus  dem  ICnde  des 
16.  Jahrhunderts  (Fig.  13).  k".s  ist  bc^zeichnet  Joachiiii  Kreiclt  zu  Wcyniar 
anno     1599.       Das     Instrument    bestecht     aus     drei     Regeln.       Dic^     eine    feste 


Mitteilungen  aus  dem  german.   Nationalmuseum.     1897. 


V. 


—     34     — 

kann  mittels  cinci-  I  liilsf  auf  (Miion  Stab  Ljt'stcckt  werden,  sie  hat  eine  Länj^e 
\cin  25  CHI,  nahe  an  ihrem  einen  hjide  an  der  Seite,  an  welcher  sich  die 
Hülse  befindet  ist  cm  1  laibkreis  an^rebracht,  der  in  zweimal  90  Grade  <^u;teilt 
ist.  um  den  Mittelpunkt  dreht  sich  eine  zweite  Rca^c]  von  der  (gleichen 
Läni;e  wie  die  tM-sti-.  luni^  dritte^  gleich  ^jrolse  ,  der  zweiten  symmetrische 
Re^c^l  ist  über  t-inem  i^leichen  Halbkreis  angebracht  und  um  dessen 
Mittelpunkt  drehbar.  Sie  kann  mit  einer  Hülse  (Schlitten)  auf  die  Grund- 
ret^H'l  L,^esteckt  und  auf  dic\ser  verschoben  werden.  Über  den  Mittelpunkten 
der  HalbkrtMsc^  stehen  drehbare  Diopter  und  am  l^ndpunkte  jeder  bewes^lichen 
RcL^cl   ist  ein    Korn,    über  welclies   vom   ztijL,u,'hörigen   Diopter  aus   visiert   wird. 


J!t 


Fig.  l:i.     l>ist;iiiznifsser  von  .Joachim  Kreich  aus  Weimar  109*.). 
i..jrm.  Mus.     W.  .).  11.51. 


Die  Scalen  sind  mit  einer  Teilung  vcrsehc^n,  welche  eine  doppelte  Nu.m- 
m(!rierung  trägt,  die  erste  geht  \"om  Drehpunkte  der  Regeln  aus  und  ist  so 
der  sechzehnte  Teil  mit  1  und  mit  16,  bcvw.  2  :  32  u.  s.  f.  bezi'ichnct.  1  :  16 
Teile  sind  =  23  mm.  V.s  ist  eine  Teilung  in  i^^ufs  und  Ruten,  letztere  zu 
16  l-'ufs  in  „'„,.  Die  zweite;  Xunmierierung  bezieht  sich  auf  doppelt  so  grofse 
Teile',  also  ,l_/,  die  Ziffern  <S,  16,  24  u.  s.  w.  stehen  j(;weils  um  8  kleine,  be- 
ziehungsw(Msc;  4  groise  1  eile  \on  der  ersten  Xummerierung  ab  und  zwar,  so 
dals  der  lieginn  um  4  hinter  dc;n  Drehpunkten  zurückliegt.  Der  Gi'und  dieser 
X'ei'schiebung  ist  mir  nicht  klar  geworden.  Um  di(>  I.imgc;  dei'  Standlinie 
i'iclitig  bestiunm-n  zu  kcinnen  ,  ist  auf  (kMii  Schieber  eine  vom  Drehpunkte 
nach  rechts  lautende  Teilung  von  2.',  Ruten  in  .,',^  aut'gebracht.  Man  muls  also, 
um    das    \erjüngte   .Mafs   der  Standlinie   zu   erhalten,   den  Anfang   d(;s  Schiebers 


35 


auf  einen  Teilstrich  der  Hauptre^^el  stellen  ,  der  um  24  Teile  ^^egen  die  zu 
fixierende  Länge  zurückliegt. 

Das  Instrument  ist  ungenau  gearbeitet.  Die  Operationen  mit  demselben 
sind  einfach.     Zur  Erläuterung  mag  Fig.   15   dienen. 

Ist  der  Abstand  A  C  zu  suchen  so  wird  das  Instrument  in  A  auf- 
gestellt und  eine  Standlinie  angenommen,  welche  nach  ihrer  Richtung  und 
Länge  so  zu  wählen  ist,  dafs  beim  Visieren  eine  Kreuzung  der  beweglichen 
Regeln  stattfindet.  Auf  diese  Standlinie  wird  die  Hauptregel  eingestellt,  die 
bewegliche  Regel  a.  c  aber  auf  die  Linie  A.   C.     Sie  mufs  in  dieser  Stellung 


Fig.  14.     Instrument  von  Leonhard  Zübler  in  Züricli.  161J. 

unverriickt  bleiben,  h'erner  wird  der  Schieber  mit  der  zweiten  beweglichcMi 
Regel  so  gestellt,  dafs  a  b  in  dem  VcM-liältnis  von  .,1^  oder  ,|,,  zu  A.  1!  steht, 
das  Instrument  in  B  aufgestellt  und  auf  /\  zuriickvisiert  und  endlich  die  Rt-gel 
b  c  auf  f!  C  eingestellt.  Die  beid(>n  beweglichcMi  ivegcln  sclunMtlen  sich  als- 
dann in  A[)ständen  a  c  und  1)  o,  weicht^  den  nali'nlichen  .Abständen  ])r(>por- 
tional  sind  und  es  können  diese  \-on  di-m  Instrument  sotort  al)g(M(>s(Mi  wiM'ilen. 
Das  Instrument  verwirklicht  einen  cMufachen  und  prak-tisclicn  (irund- 
gedanken  in  ansprechenden-  Weise  und  mochte  in  FälliMi,  in  welchen  c\s  auf 
grofse   Genauisjkeit   nicht   ankam,   uutc   Dienste   leisten. 


—     36       - 

Dir  Teilkreise  bei  a  und  b  L;estatten  c'mc  Mc>ssiin,L,'  der  der  1  Iaui)tre^H>l 
anlie^'enden    Winkel   und   somit   auch   die    Herechnun^^   des   Winkels   bei   C. 

VAn  ähnliches  Instrument  hat  Leonhard  ZiibU-r  in  Zürich  1614  an^^e*,^eben 
und  in  einem  Traktat;  Novum  instrumcMitum  ^eometricuni  ,  das  ist  kurtzer 
und  _L,M-undtlicher  Bericht,  alle  Weite,  lircMte ,  I  I()he  und  Tieffe  mit  sonder- 
barem X'ortlieik  kmistlichem  und  <,fe\vifs  aucli  von  der  Arithmetik  unerfahrnen 
abzumeisen*    beschrieben. 

Das  Instrument  {V\i^.  14)  besteht  aus  einer  Scheibe  A  B  C  D,  welche 
etwas  mehr  als  einen  Halbkreis  umfafst.  Der  Umfang  ist  von  dem  Durch- 
messer BAD  ist  in   BSO  Grade   geteilt.     Auf    diese  Scheibe    sind    zwei    um 


Fifr.  15.     Messung,'  mit  den  liistnimciiten  von  /übler  iiml   Kreich.     Naoh  L.  Ziibler. 

den  Mitt(^lpunkt  drehbare  Regeln  A  E  und  y\  j  angebracht,  deren  innere  Kante 
den  .Mitt(;linmkt  trifft.  Die  Regeln  sind  ihrt'r  Länge  nach  in  tausend  Teile 
geteilt,  pjne  weitere  Reg(d  I,  welche  mit  dem  Instrument  niclit  in  fester 
Verbindung  steht,  trägt  die  glcMche  Teilung.  Das  InstrunuMit  kann  mittels 
(Mner  Bussr)lc  mit  Stimdent(Mlung  orientiert  werdi'U.  l'ber  dem  Mitt(^li)unkt 
ist  ein  nad(;lförmig(;s  feststehendes  Diopter  M  errichtet,  über  den  Innenkanti'U 
der  drehbarem  Regeln  v(M-schi(;bbart>  G  und  II.  Am  Dnde  der  Regel  J  ist  ein 
klein(\s  Loch,  mittels  dessen  sie  auf  die  Diopternadc^ln  aufgesteckt  werden 
kann.      Das    Instrument    wird   auf  (MUen   Stab   L   \-on   4'    I  I(")he   autgesetzt. 

Die  Messung   greiserer  Lntfernungen   geschieht  aus  zwei  StändcMi  Lig.  15. 
DabcM    wird    in   A    die   eine    Regel   auf  die  Standlinie  eingestellt,   die   andere   aul 


37 


den  Gegenstand  C.  Die  Rei(eln  k(')nnen  durch  Klemm  .schrauben  festgestellt 
werden.  Vom  Standpunkt  B  aus  wu'd  zurückvisiert,  dann  das  Diopter  an  der 
Standlinie  parallelen  Regel  der  Länge  dieses  Linie  entsprechend  gestellt  und 
nun  das  Diopter  auf  der  anderen  Regel  so  lange  verschoben,  bis  es  in  die 
Visierlinie  B  C  zu  stehen  kommt.  Seine  Stellung  gibt  dann  die  Länge  A  C 
in  verjüngtem  Alafsstab  wieder. 

Handelt  es  sich  darum,  den  Abstand  zweier  unzugänglicher  Punkte  zu 
bestimmen,  so  werden  ihre  Abstände  von  zwei  zugänglichen  Punkten  in  der 
eben  angegebenen  Weise  gemessen  und  zugleich  die  Winkel  der  Visierlinien. 
Das  Verfahren    entspricht    der    Mclstischaufnahme    Fig.  2,    mit    dem  Unter- 


Fig'.  Ifi.     Distanzmessiin^  a>is  einem  Stniido.    Nach  Leoiihard  Ziibler.    Itil  t. 


schiede,  dafs  die  Linien  und  Winkel  nicht  gczeichn(-t,  sondern  durch  die 
Stellung  der  Regeln  bestimmt  werdi:n.  Der  gesuchte  /Xbstand  der  zwei 
Punkte^   wird   mit   der  losen   Regel    |.  gcMuessen. 

Kleinere  P2ntfernung(Mi  kcninen  mit  dem  Instrument  von  einem  Stand 
aus  gemessen  werden.  Die;  Figur  16  bedarf  wohl  keiner  Frläutc-rung.  Hei 
Fntfernungen  über  200'  wird  dcM-  parallaklische  Winkel  zu  klein  und  die 
Messung  ungenau.  Der  (jedanke  ist  dcM"  gl(Mclie,  der  tlen  ncMieren  Distanz- 
messern zu  Grunde;  lit;^^- 

Leonhard  Zübler  hat  in  seiner  giM)nietrischcn  lüichsenmeisterei  noch 
ein     zweites    ähnliches    Instrument     angegi-ben    (Fig.    17).      Wii-     be-sitzcMi    cm 


38 


Kxenij)lnr  dii\s(\s  Instruincnti\s  (W.  I.  1143).  wolchcs  wahrscheinlich  von 
Zübler  selbst  L^efertiL,^  ist,  denn  es  stimmt  ziemlich  <^fenau  mit  der  Zeichnung 
und  Hesclireihuni;  iibcM-ein,  mit  Ausnahme  (Muer  Teilung,  welche  auf  unserem 
l^xemi)lar  fehlt,  LcMder  ist  unser  l^xiMuplar  nicht  vollständig,  es  fehlen  die 
Diopter,  eine  R(\g(^l  und  die   Bussole. 

Das  Instrument  als  Winkelinstrument  besteht  aus  zwei  um  einen  Punkt 
drehbaren  Regeln.  Die  eine  (N  M)  kann  mittc^ls  einer  Stellschraube  am 
Stativ  auf  cMue  bestimmte  Richtung  firiert   werden,     l^n   dritter  kürzerer  Arm 


1\ 


:^ 


Fi^^  17.     Winkfliiistnimiiit  von  Lconhaid  Zühln-  1614, 
virl.  (liTin.  Mus.  W.  J.  1113. 


trägt  an  s(Mnem  Ivnde  eine  Bussole.  Auf  diesem  Arme  bewegt  sich  ein 
Schlitten,  \-on  dem  aus  zwei  gleich  lange  lUige  (Ouerstrc^ben)  nach  den 
R(-gcln  g(dien,  an  welchcMi  sie  in  gKMchc-n  Abständen  \'om  Drtdipunkt  ange- 
schraubt  sind,   doch    so.   dafs   das   ganze   System    xcrschiebbar   bleibt. 

Das  Instrument  wird  als  WinkelinstrumcMit  wie-  als  Distanznu'sser  in 
der  gleichem  Weise  Ixmützt,  wie  das  xorhi-i-gidumde.  VAnc  direkte  Messung 
des  Winkels  der  bt^dcm  Reg(^ln  ist  bei  unstM'em  l^xemplar  nicht  m(')glich. 
Nach  Zübl(M-s  ZcMchnung  findet  sie  auf  einei'  auf  dem  dritten  Arme  ange- 
brachten    Scala     durch     die     Stelluni/     des     Schieb(.-rs     statt.       lune     indirekte 


—     39     — 

Messung  ist  mittels  der  Bussole  möglich.  Auf  dem  dritten  Arme;  ist  eine  weitere 
Scala ,  mittels  deren  die  Regeln  so  gestellt  werden  können ,  dafs  sie  die 
Winkel  der  regelmäfsigen  Polygone  vom  Viereck  bis  zum  Fünfzehneck  an- 
geben. Auch  diese  Scala  fehlt  bei  unserem  Instrument,  dagegen  trägt  der 
mittlere  Arm  an  seinem  Ende  drei  Kaliberscalen  für  Eisen,  Blei  und  Stein 
von  1  — 100  ^'  für  artilleristische  Zwecke.  Die  Messung  geschieht  mit  den 
Spitzen  der  Regeln  und   der  Schieber  gibt  das  Kaliber  an. 

Die  Bussole  dient  zur  Orientierung  des  Instrumentes.  Auf  ihr  kann 
die  Lage  der  festen  Regel  abgelesen  werden,  wenn  das  Instrument  geschlossen, 
also  der  Winkel  N  M  R  =  0  ist.  Ist  dann  die  bewegliche  Regel  auf  einen 
gewissen  Punkt  eingestellt,  so  kann  der  W'inkel  der  beiden  Regeln  mittels 
der  Bussole  berechnet  werden,  denn  sie  hat  sich  von  der  ersten  Stellung  bei 
geschlossenem  Instrument  um  die  Hälfte  dieses  Winkels  gedreht. 

Nürnberg.  Gustav  von  Bczold. 


Nürnberger  Ratsverlässe  Joachim  Desehler 

betreffend. 

'^*"^9i.elegentlich  einer  Besprechung  des  neuen  Werkes  von  Karl  Domanig: 
len  des  Erzhauses  Österreich   von  Kaiser  Friedrich  III. 


i^liv^'Fll   Portraitmedailler 
J^Ts^^^yt  bis  Kaiser  Fran 


•anz  II.  (Gilhofer  und  Ranschburg,  Wien  1896)  in  Nr. 
1  und  2  des  gegenwärtigen  Jahrgangs  der  Bayerischen  Gewerbezeitung  habe 
ich  u.  a.  ein  paar  neue  urkundliche  Nachrichten  über  den  Nürnberger  Klein- 
künstler Joachim  Deschier,  der  sich  vor  Allem  als  Medailleur  —  sein  Zeichen 
ist  ein  aus  J  und  D  zusammengesetztes  Monogramm  —  ausgezeichnet  hat, 
aus  den  im  Kreisarchiv  Nürnberg  verwahrten  Ratsprotokollen  mitgeteilt,  näm- 
Hch: 

[1537,  II,  la]  S.  Mai  1537: 
Joachim  Teschler  den  Bildhawer  zu  Burgern  vmbs  gellt  anneuKMi. 

und 
|1554,  VII,   19a'|  24.  September   1554: 
Auff  Joachim  Tcschlers  bitlichs    ansuchen   sol  man  seiner  dochter  zu 
irer  frumefs  hochtzeit  mit  Wolffen  Michel  ain  abenttennzlein   vergönnen. 
Hier  folgen    noch    einige  weitere    auf  Deschier    oder  Angehörige    seiner 
Familie  bezügliche  Ratsxerlässe,    auf  die  ich   im    Laufe  weiterer  Studien    über 
Nürnberger   Medailleure,    Goldschmiede  etc.  gestofsen   bin   und   mit   denen   die 
Zahl   der  aus  den  Ratsj)rotokollcn    zu    g(nvinnen(U'n  urkundlichcMi   Nachrichtc^n 
über  unseren   Künstler  wohl  als  abgeschlossen   gi'lten  kann,    dtmn    zu   Anfang 
der  sechziger  Jahre  siedelte  Deschier  dauernd  nach  Wien   übcM'.    Von  hiteresse 
sind  diese  Nachrichten   unter  anderm  auch   deswegen,   weil   wir  aus  ihnen   cv- 
fahren,  dafs  Joachim  Deschier  sich   offenbar  in   zweite^-  I\he   mit   der  Künstler- 
familie Glockendon  verschwägert  hatten    Der  mc^hrfach  genannte^  Jörg  Glocken- 
don,  dessen   Wittwe   er   heiratete,    kann    nur   der  Sohn    des    llluniinisten    Xiko- 


—     40     — 

laus  (t  1534)  sein,  ilcv  1547,  als  Johann  N(nid(')rf(-r  seine  Nachrichten  von 
Niu'nber*,fer  Künstlern  und  Werkleuten  schrieb  ,  noch  ani  Leben  war  (ed. 
Locliner  S.  143).  Die  Tochter,  die  sich  1554  mit  dem  kechc^imeister  (auch 
tcutscher  Schreiber  wird  er  zuweilen  i.,H'nannt)  Wolf  .Michel  verheiratete, 
stammte  wohl  aus  Deschlers  ersten  Ehe,  denn  Michel  wird  nie  direkt  als 
Schwager  der  jun<.,UMi   Glockendone  bezeichnet. 

|1560,  I,  Abteilung  2,  9b |  ii.  Mai  i^ißO: 
Hannsen  \nnd  Gabrieln  der  Glockendhon  gebrueder  vnnd  Irer  Mit- 
erben Suj)[)lication  soll  mann  Joachim  TeschlcMn  ytzo  zu  Wien  einschliessen, 
vnnd  schreiben,  sich  mit  ersten  hieher  zuucMfugen  vnnd  die  Erbschafft  sach 
mit  seinen  Sticfkynndern  an  ein  ort  zupringen  oder  vfs  wenigst  ein  Vol- 
mechtigen  Anwaldt  dartzu  zuuiMordnen,  damit  die  Supplicanten  lennger  nit 
aufgehalten  werden. 

|1560,  III,  33b]  iO.  Juli  lo60: 
Alls  sich  Hanns  vnnd  Gabriel  dj  Glokendhon  wider  Wolffen  Michln 
alls  Irer  Muter  der  Joachim  Teschlerin  seligen  Testaments  Executorn  be- 
clagt,  wie  er  nit  Inuentiern,  noch  mit  Inen  Ires  Mutterlichen  Erbs  halben 
abtheilen  wolle,  darauf  sich  dann  gedachter  Wolff  Michl  endtschuldigt,  das 
sein  Mitexecutor  gemelter  Joachim  Teschler  nit  alhie  vnd  er  one  desselben 
beywesen  den  Inuentarium  vnnd  schulden  nit  richtig  machen  khönne,  Ist 
der  hanndel  herrn  doctor  [34a]  Schurstaben  vmb  sein  bedennckhen  furge- 
halten  vnnd  vff  sein  mundtlich  referirts  bedenkhen  den  clagenden  glocken- 
dhonen  gesagt  worden,  Mann  könn  dem  Wolff  Michl  vf\  sein  gethane  ent- 
schuldigung  nichts  auflegen,  Sie  möchten  aber  Ir  notturfft  Inn  einer  schrift 
verfasst  Meinen  herren  vbergeben,  die  wolt  mann  dem  Teschler  zuschickhen, 
vnd  Ine  vff  einen  bcMiannten  Termin  anheims  eruordern ,  die  sach  richtig 
zumachen,  wo  Inen  aber  der  so  lannge  \ertzug  beschwerlich,  möchten  sie 
einen  Anwaldt  hindterlassen. 

Hans    und    Gabriel  Glockendon ,    die    beiden    schon    volljährigen    Söhne 
Georgs  des  jüngeren,   hatten  also  ihren   Wohnsitz  aufserhalb   Nürnbergs. 

[1560,  IV,  46a]    7.  Aug-usi  1560: 
Welchergestalt  Joachim  Teschlern    am  Jüngsten    geschrieben    worden 
sich   hieher  zustellen  zur  handt   suchen   vnd  widerbringen. 

|1560,  XI,  22b]  4.  Februar  1561: 
Wolff  Micheln  Rechenmaister  alls  Vormunder  Jörgen  Glockendhons 
seligen  kynnder  jd.  h.  also  der  noch  unmündigen  Stiefgeschwister  seiner 
Erau!  auf  sein  bitt  zulassen.  seincM'  i)flegkinder  l^ehausung  kauflich  anzu- 
nemen,  doch  \f  ein  \orgehenntls  angloben,  das  sein  furgebcMi  die  warheit 
seye. 

l'Linige   sonstige    DeschlcM's  Schwiegersohn    Wolf  Michel   betreffende  Ver- 
lässe  haben    für   uns   \i\v.r   kein   weiteres    Interesse. 

N  ü  r  n  1)  e  r  l^  '   'i-    '  •  '^  'ii  1'  <'• 


—     41     — 

Ein  süddeutsches  bürgerliches  Wohnhaus  vom 
Beginne  des  18.  Jahrhunderts. 

(Mit  14  Tafeln.) 

(Fortsetzung:) 

Das  Wohnzimmer  (Taf.  V). 

^^JijJj  iii^ii  anheimelnden  Eindruck  macht  das  Wohnzimmer,  dessen  Wände, 
^|>^-^Y  ausgenommen  die  Ecke,  an  welcher  der  Ofen  steht,  bis  zu  zwei  Drittel 
Vi^-idl^  ihrer  Höhe  mit  einfachem,  aber  hübschem  Täfelwerk  \erkleidet  sind. 
Sehr  praktisch  sind  die  mit  demselben  organisch  verbundenen  Sitze  unter 
den  Fensterbögen.  Die  Fenster  befincUni  sich  in  tiefen,  runden  Bögen,  sind 
aber  rechteckig.  Sie  zeigen  runde  Scheiben  in  Blei  gefafst,  unten  in  jedem 
der  beiden  Flügel  je  ein  kleines  viereckiges  Fensterchen,  das  für  gcw('")hnlich 
zum  Hinaussehen  gebraucht  wurde,  um  nicht  immer  die  ganzen,  grofsen  Flü- 
gel aufmachen  zu  müssen.  Um  deren  vollständige  Öffnung  zu  erm<")glichen, 
ist  das  Gesims  des  Täfelwerkes  an  der  Stelle,  wo  es  an  das  h'cMister  anstehst, 
abgeschrägt. 

Betrachtet  man  die  Einrichtung  des  Zimmers,  so  fällt  vor  allem  der 
mächtige  Ofen  auf.  Er  steht  mit  seinen  zwei  dünnen,  aus  gewundenem  Stab- 
eisen gebildeten  h'üfsen  auf  einem,  von  hölzernem  Rahmen  umgebenen  Pflaster. 
Der  untere  Teil ,  der  Feuerkasten ,  der  von  aufsen  geheizt  wird  und  noch 
keinen  Rost  hat,  wird  durch  Platten  von  Gufseisen  gel)ildet,  die  hinten  auf 
einem  gemauerten  Vorsprung  an  der  Wand  aufstehen.  Die  Seitenplatten  zeig(Mi 
in  Relief  ornamentiertes  Rankenwerk,  die  vordere  den  Doppeladler,  darübtM- 
die  Kaiserkrone.  Den  Aufbau,  der  in  seinem  untern  Teil  t;ine  Ofenr(')ln-e  mit 
Thüre  enthält,  hat  man  sich  aus  schönen,  grün  glasierten,  mit  Nischen,  Gehängen 
und  anderem  Ornamentwerk  verzierten  Thonkacheln  hergestc;llt  zu  denken. 
Sehr  stattlich  ist  die  ornamentale  Bekrönung  des  Ofens,  welche  etwas  an  die 
üjjpige,  phantastische  Ornamentik  der  grofsartigen  Cjfen  des  Augsburger  Rat- 
hauses erinnert.  Um  den  oberen  Teil  des  Ofens  geht  eine  Hänge,  welclii^ 
durch  vier  eiserne,  von  der  Decke  hcrabgehende,  ins  Rcxhteck  gestc-llte  Stäbe 
g(!l)ildet  wird,  durch  dercMi  Öffnungen  runde  Stangen  geschoben  sind,  (lii>  an 
den  Enden  einen  eichelf()rmigen  Knauf  haben.  Auf  dieser  H;lnge  wärmte  man 
im  Winter  die  Kleidungsstücke,  die  man  anzi(dien  wollte,  und  trocknete  sie, 
W(>nn  sie  vom  Regen  und  Schnee  durchnäfst  worden  waren;  die  Hausfrau  hängte 
wohl  auch  einen  Teil  der  wcifsen  Wäsche  hier  nach  (Unn  .Mangen  auf,  bevor 
sie   in  den  Schränken  aufgehoben   wurde. 

Neben,  res}),  hinter  dem  Ohm  sch(  int  noch  ein  kleines  Schränkchen  zu 
stehen;  man  siecht  von  ihm  nur  den  Fufs ,  den'  eine  Schublade  (Mithält.  /\n 
der  hinteren  Wand  steht  neben  der  Thüre,  (Umxmi  Rahmen  mehrfaclu^  \\m- 
kr()pfung(,m  zeigt,  ein  Aufsatzschrank.  \)cä  untere  T(m1  (U;ssc>lben  hesttdit 
aus  zwei  h2tagen,  von  dencMi  JcmF;  zwcm  Thürclien  hat,  ilie  mit  geonu'ti-ischen 
P'iguren,  wohl  durch  aufgesetzt«.;  profilierte  LeistcMi  hergestellt,  geziert  sind. 
Der  Atifsatz   enthält   unt(Mi   vier  Scluibladen  ,    dai"ül)er   zwei   offene,    mit    eirn'm 

Mitteilungen  aus  dem  german.   Nationalmuseum.      1897.  VI. 


42 


Drnanu'iit  i;("kr()nU'  l'\'ichc'r,  in  welchen  laudier,  untt>n  solche  «^n-cifseren,  oben 
solche  kleineren  h'oiniatt's,  stehen.  X'ielkMcht  I)ir;_;t  auch  der  unlere  Teil  des 
Schlankes  HücIkm',  wohl  vorzugsweise  solche  niil  Kui)ferstichen  ,  die  dem 
Künstler,  der  tlit'ses  Haus  bewohnte,  Motive  für  seine  Arbeiten  lieferten,  wenn 
er  sie  nicht  i^leich  direkt  nach^estochen  hat,  was  damals  in  Aui^sburf^  ja  Hott 
betrieben  wurde.  Der  H(icher\ orrat  im  bür_L;t'rlichc;n  Mause  zu  Au^^sbiU'L,»  war 
aulserdem  zu  jeniM"  Zeit  ein  stdir  bescheidener.  Stetten  ^)  berichtet  aus  der 
Zeit  nach  dem  dreifsigjährigen  Kriege:  -HingX'gen  las  kein  junges  Frauen- 
zimmer etwas  anderes  als  geistliche  Bücher  und  dv.n  Calender.'  Auch  in  der 
Zeit,  in  der  unsere  Bilder  entstanden,  wird  es  in  Bezug  auf  die  literarischen 
Bedürfnisse  des  anderen  Geschlechtes  noch  nicht  viel  anders  gewesen  sein, 
denn  von  den  Romanen,  welche  Alwin  Schultz'')  aufführt,  werden  wohl  nicht 
sehr  viele  in  das  bürgerliche  Maus  gewandert  sein.  Die  Aufserimg  des  Ab- 
raham a.  Sta.  Clara  über  die  müssigen  Weiljsbilder,  welche  \erliebte  Bücher 
lesen,   wird  auch  die  Meinung  \ieler  ehrsamen  Büi'ger  Augsburgs  gewesen  sein. 

Die  Nürnberger  Haufs-I  Ialterin<  ,  welche  die  Töchter  in  allen  möglichen 
Künsten  und  Arbeiten  unterrichtet,  sagt  von  der  Lektüre  der  Akädchen  gar 
nichts,  und  trotz  ausführlicher  Beschreibung  aller  Käume  des  Hauses,  erwähnt 
sie  \ün  Büchern  und  ihrer  Aufbewahrung  nicht  das  Mindeste;  dagegtm  äufsert 
sie  sich  über  das  Studium  der  Töchter,  also  über  eine  Frage,  die  in  der 
Gegenwart  brennend  gewonlen  ist,  in  nicht  uninteressanter  Weise,  weshalb 
die  kleine  Abschweifung,  welche  durch  die  betreffende  Stelle  hervorgerufen 
wird,   entschuldigt  werden  möge.      Sie   schreibt : 

•Betreffend  nun  auch  das  Studiren  der  Weibs-Personen,  so  ist  die  Frage 
ob  ihnen  solches  zu  zulassen.'  solche  aber  ist  schon  hin  und  wieder  von  den 
Gelehrten  theils  mit  Ja,  theils  mit  Nein  beantwortet  worden,  meines  Frachtims 
aber  ist  der  Ausspruch  mit  einen  mercklichen  Unterschied  zu  machen:  Dann 
es  ist  nicht  zu  laugnen,  dafs  man  gar  leicht  einen  zimlichen  Catalogum  von 
gelehrten  Frauenzimmer,  so  sich  hier  und  dar  gefunden,  und  eine  in  diesem 
die  andcM'e  in  einem  andern  Studio  rühmlich  floriret  habe,  anführen  kcnme ; 
wann  nun  ihnen  der  liebe  GDtt  solche  Gabe  gleich  den  ]\Ianns-Pei-s()nen  ver- 
liehen, warum  sollen  si(>  sich  clcM'selben  nicht  gel)rauchen  dürlTen.'  allein  man 
muls  hierihi'U  eine  unterscheid  wie  schon  erw(~hnet  machen,  und  auf  den 
Stand  und  das  \\."rm(')ge  solcher  l\;rsone  sehen;  In  den  bürgeiiichen  Stand 
einc^  iochter  zum  Studiren  anhalten  wollen,  t'rfordert  ein  grosses  Capital,  da- 
von sie  ihre  Unterhaltung  Fel)ens-Iang  zu  suchen  wisse,  dann  wegen  ihrer 
Studi(;n,  sonderlich,  wo  sie  nicht  mit  ungcMUeiner  Sclu'»nluMt  zugleich  begabt, 
wird  so  leicht  kein  anständiger  reichei-  k'reyer  sich  einlindt'U  ,  indeme  die 
meinste  nu-hr  auf  Geld  und  eine  kluge  1  laufshalterin  scIkmi  ,  welches  ilmen 
auch  in  solchem  Stand  nutzer  ist,  als  wan  eint'  dei-gleiche  gelehrte  k'rau  den 
gantzen  Tag  ü\)cv  den  Büchern  sitzet,  die  sch()nsle  Sonnettt\  Madrigal  und 
C)den  verft'rtiget;  Zu  deme  wird  sie  auch  mit  alk-n  ihre  Fleifs  und  Studiren 
nicht  \iel   gewinnen,   weil   sie   gleich    den  Manns-l'ersonen   nicht    zu   r)f1'entlichen 

8j   ;i.   a.   O.   S.    H):i. 
9)   a.   a.   O.   S.    l,'!;i. 


...._      43      -  - 

Aemptern  gezogen  werden  kan ;  sind  nun  die  Mittel  nicht  sonders  grofs,  inufs 
sie  zu  all  ihrer  Wissenschaftt  Hunger  und  Kummer  leiden,  und  wäre  ihr  besser 
gewesen,  andere  dem  Weiblichen  Geschlecht  wohl  anständige  Künste,  zumal 
die  Wissenschafft  einem  Haufshalten  wohl  vorzustehen  erlernet  zu  haben : 
Hohen  Stands-Personen  aber  stehet  das  Studiren  weit  besser  an ,  als  welche 
nicht  nöthig  haben  sich  in  Nahrungs-Sorgen  zu  verwickeln,  noch  niit  Haus- 
Geschäfften  umzugehen,  sondern  dazu  ihre  Hofmeisterinnen,  Kammer-  und 
Kuchen-Bediente  haben,  welchen  solches  oblieget,  daher  können  sie  auch  den 
von  GOTT  ihnen  verliehenen  hohen  Geist,  desto  freyer  empor  schwingen, 
und  sowohl  in  der  Edlen  Poesi  und  Wohlredenheit,  als  auch  in  Historischen 
und  Politischen  Staats-Wissenschafftcm  ihre  Vergnügung  und  sich  zu^^perfec- 
tioniren  suchen,  zumal  sie  an  grosser  Herrn  Höfen  tausenderley  Gelegenheit 
haben,  solches  nutzlich  anzuwenden.«   — 

Nun  wieder  zurück  zu  unserem  Zimmer.  Rechts  von  dem  Bücherschranke 
hängt  an  der  Wand  ein  Waschapparat,  bestehend  aus  einem  hübsch  ornamen- 
tierten Rahmen,  in  dessen  Füllung  ein  wohl  aus  Zinn  gefertigter  ei-  oder  eichel- 
f()rmiger  Wasserbehälter  mit  einem  Hahnen  hängt,  aus  welchem  das  Wasser  in 
das  darunter  befindliche  Becken  fliefst ,  welches  auf  einer  mit  dem  Rahmen 
organisch  verbundenen  Console  steht.  Das  Waschschränkchen  ist  soweit  oben 
an  der  Wand  angel)racht,  dafs  man  es  nur  benützen  konnte,  wenn  man  sich 
auf  einen  Stuhl  stellte,  was  man  sicher  nicht  that.  Vielleicht  hat  es  der  Künstler 
etwas  hinaufgerückt,  damit  das  schöne  Möbel,  das  in  der  Gegenwart  wieder  so 
viele  Freunde  gefunden  hat,  durch  den  davor  stehenden  Knecht  nicht  verdeckt 
wird.  Vielleicht  war  das  Geräte  aber  damals  schon  aufser  Gebrauch  gestellt 
und  durch  ein  tragbares  Gestell  ersetzt  worden.  Denn  die  »Haufs-Halterin« 
scin-eibt  darübc^r  bereits  vom  Jahr  1703:  Gleiche  F^eschaffenheit  (d.  h.  dafs  es 
mehr  zum  Schein  als  zum  Nutzen  dient)  hat  es  auch  mit  denen  aus  Zinn  ge- 
gossenen, und  in  einen  besondern  oftenen  Schrank  eingefassten  Idand-Fässern 
und  Giefs-ilehältern,  welche  noch  von  den  werthen  Alten  herrühren,  heut  zu 
Tage  aber  auf  eine  gantz  andere  Art,  iintl  zwar  ins  gemein  die  Hand-becki-n 
in  l'\)rm  einer  auf  Kugeln  ruhenden  Muschel,  der  Aufgufs  aber  wie  ein  Wall- 
fisch, oder  wie  es  sonst  beliebt,  gemachet,  und  auf  cm  besonderes  Gestelle, 
so  man  mit  dem  daran  abhängenden  Iland-tuch  hin  und  her  tragen  kan.  gc>- 
stellet  werden.«  Die  Annahme,  dafs  das  Augsburger  Waschschränkchen  schon 
anti([uiert  war,  dürfte  der  Mangel  eines  Handtuches  f:»ekräftigen.  Die  ohr- 
muschelf()rmigen  Verzierungen  an  den  Seitc^nteilen  des  Rahmens  deuten  auch 
auf  eine  früliere  Entstehung  des  Möbels,   etwa  auf  die  Zeit  um  1630    -1660  hin. 

In  der  Ecke  links  von  der  Tliüre  steht  ein  Tischchen  mit  sechseckiger 
Platte  und  geschweiften  Bein(Mi,  auf  dc^mselben  (>ine  \'ast-  mit  l)lumenstraufs.  An 
den  bcM(len  [Meilern  zwischen  dcu  Fernstem  und  am  Tische^  siecht  uian  StiihK^  mit 
hoher  i  .c-hne,  deren  Sitz  ebenso  wie  der  dic^  beiden  I  .ehncMipfosten  \  iMbindcndt^Tcil 
mit  Eed(M-  überzogen  gewc\sen  sein  düiften.  Dic^  IMosten  d(,\s  am  Irische  stehi>n- 
diMi  Stuhk\s  sind  nicht  gerade  wie  die  beiiUMi  andern,  sonckM'n  untcMi  mit  einiM" 
Krümnumg  xersehcn.  Der  Tisch  ist  \T)n  einfacher  Alt;  die  schräggestellten 
Immuc   sind    sjewunden    und  durch    einen   ziemlich   breiten  Untersatz  zum   Auf- 


',4      — 

strllcn  i\cr  ViW'sc  xcrlnimU-n.  Die  Tischplatte  liat  (Miicn  zwisclicn  zwei  LcMstcn 
sich  hcwcL^U'ntlcn  Schubkasten,  der  etwas  herausL^t'/o^en  ist.  VAn  sehr  an- 
spruclisloser  th'eihcMniLjiM-  Stuhl  xor  dem  Dfen  mit  «gedrechselter  Lehne  und 
ein  Sessel  nebcMi  d(Mn  ( )fen ,  auf  dem  der  ( jrofsvater  sitzt,  \  ervollst.ändi^fen 
tlas  i^nolse  Mol)iliai-  des  Wohnzimmers.  Das  h'ulshcän kellen  vor  dem  (jrols- 
\ater  und  der  Stock  in  seiner  Linken  lassen  \cM-mutcn  ,  dals  der  alte  I  Unr 
von  l'odagra  L^n'plas^t  wird.  \Melleicht  haben  ihm  t^^iite  Friumde  eine  Auf- 
nahmsurkunde in  den  ()r(len  der  Podai^risten  zugesendet,  womit  man  zu 
jener   Zeit    Leidende   di(\ser   Art   gerne   neckte. 

Sieht  man  sich  nach  den  kleinen  i'^inrichtungsgc^genständen  und  dem 
Zimmerschmuck  um ,  die  dem  Raimi  erst  ein  wohnliches  Gepräge  \'erleihen, 
so  fallen  vor  allem  die  zahlreichen  Bikler  auf,  welche  ringsum  auf  dem  Ge- 
simse der  Wandtäfelung  stehen.  kls  sind  wohl  eingerahmte  Ku])ferstiche, 
vielleicht  auch  die  Vorlagen  zu  solchen :  Zeichnungen  und  Gemälde.  Zu  er- 
kiMinen  ist  nur  das  Bild  über  dem  Grofsvater,  das  ein  Kreuz  mit  einem  Kranz 
darstellt,  imd  da.sjenige  in  der  ersten  k'ensternische  mit  dem  P^ildnisse  eines 
Herrn.  An  demselben  Pfeiler  hängt  schräg  über  dem  Gesimse  ein  Sj)iegel 
mit  reichgeschnitztem  Rahmen,  der  noch  tlem  17.  lahrhundert  angehören 
dürfte.  An  dvv  Wand  neben  der  'Phüre  hängt  ein  I  hit  (Dreispilz  i  und  eine 
'Paschenuhr,  hinter  dem  Grofsxater  ein  Akmtel  und  ein  rundes  geflochtenes 
K()rbchen. 

Von  den  IJewohnern  des  Zinnners  ist  des  GrolsN'aters  bereits  gedacht 
worden;  auch  den  Kncxdit  haben  wir  erwähnt,  der  einen  geiVillten  Korl)  her- 
einträgt. Neben  ihm  steht  ein  S])innrocken.  Alwin  Schultz'")  sclnxMbt:  im 
Hause  beschäftigte  sich  dit' Dame,  ihr  Hauswest;n  in  Ordnung  zu  halten.  Noch 
war  das  Spinnen  eine  sehr  gc^schätzte  Arbc-it;  in  keinem  Hause  t\'hlte  der 
Spinnrocken,  Dem  widerspricht  nun  die  Xürnb(M-ger  1  laufs-l  lalterin  etwas, 
indem  sie  l)erichtet  ' ' ) :  Auf  das  Spinnen  haben  unsere  in  (jott  ruhende 
Alte  sehr  viel  gehalten,  so  gar,  dafs  sie  fast  durchgehends  alle  junge  'P()chtcM- 
dazu  angehalten  sjjinnen  zu  lernen,  unter  dem  Vorwand,  es  sey  v'mc  Schande, 
wann  nicht  eine  jedt^  'Pochter  ihren  Vater  ein  PIcmd  gc\sponnen  habe  .  .  . 
heut  zu  'Pag  aber  ist  es  nur  allein  eine  Arbeit  vor  die  Mägde  und  alte  Weiber, 
welche  andern   X'errichtungen   nicht   mehr  wohl  vorstehen  können. 

In  der  .Mitte  des  Zimmers  sitzt  im  be(]uemen  Hausanzug  auf  einem  Schemel 
die  fleilsige  Plausfrau  und  wick(>lt  Garn  oder  Wolle  \-om  (jarnwickcM,  in  Si'ul- 
deutschland  Haspel  genannt,  auf  einen  Knäuel.  Das  tiache,  get1ocht(.-ne  Ki'n'b- 
chen  mit  der  Leinwand  zu  ihrcM'  Linken,  harrt  auch  ihrer  flinken  Hand.  Am 
'i'ische,  mit  dem  Kücken  gegen  das  Licht,  sitzt  der  1  liM'r  des  Hauses,  auch 
in  bequemem  Hausanzug;  er  zeichnet  wohl,  da  ein  Tuschschälchen  xor  ihm 
steht.  Dann  hat  das  Zimmer  auch  noch  einige  \ie)-füfsigt'  Ijcwohnei" :  die 
Katze,  dir  sich  unter  dem  Ofen  einen  wainien  I'latz  luM-ausgesucht  liat.  und 
den  Hund,  der  untei'  dem  Stuhl  ni'ben  dem  'lisch  hervorsieht.  /\n  der  Decke 
endlich    hängt   (in    X'ogelbauer,     in   dem    ein   gefied(;rt(.M-  Sänger    stnne    lustigen 

^<>'  a.  a.  D.  S.   IS'J. 
1  r   S.   471  , 


—     45     — 

Weisen  ertönen  läfst.  Wie'  sc^hr  man  damals  es  lic>bt(> ,  Sin<(vö^^el  zu  halten, 
bekundet  der  Umstand,  dafs  auch  in  den  beiden  anderen  Zimmern  sich  Vo^^el- 
bauer  befinden  und  die  Xiirnberger  »Haufs-I  lalterin  den  singendem  Vögeln, 
>\Yclche  man  in  Häusern  zu  halten  pfleget  ,  einen  ganzen  Abschnitt  widmet'-). 
Nachstehend  folgt  die  lunUntung  desselben,  welche  die  Freude  verrät,  mit 
welchen   man  an  diesen  kleinen   I  Iausg(;nossen  hing. 

»Die  V(')gc;!  s(dien  einige  lieber  in  der  Schüssel  als  im  Kefig ,  andere 
aber  wählen  vielmehr  das  Gegentheil,  in  deme  sie  sich  an  ihren  angenehmen 
Gesang  ergötzen,  und  defswegen  das  gantze  Jahr  durch  ernähren,  ob  sie  schon 
solcher  ihrer  Lust  nur  kurtze  Zeit  genüsen,  in  deme  die  wenigste  das  gantze 
Jahr  durch  singen,  sondern  die  mehreste  nur  etliche  Monat,  doch  gleichwohl 
findet  man  allhier  gar  wenige^  Häuser,  worinnen  nicht  einige  solcher  singen- 
den Vögel  anzutrelTen ,  welche  wir  am  füglichsten  in  dre\'erley  Sorten  ein- 
theilen ,  nemlich  in  kleine,  mittelmässige  und  grofse ,  oder  in  zwizerende, 
j)feiffende  und  singende;  ja  es  ist  sich  nicht  wenig  zu  verwundern,  dafs  auch 
einige  derselben  so  gelernig  seyn,  dafs  ob  sie  schon  von  Natur  einen  wilden 
und  unlauttm  Laut  von  sich  gebcni,  doch  gleich wol  es  so  weit  bringen,  dafs 
sie  gewiese  Melodien,  i\rien  und  Lieder  pfeiffen,  auch  so  nett  und  artig  nach- 
ahmen lernen,  dafs  ein  Unwissender  behaubten  sollte,  sie  würden  auf  einem 
Klagcdlet  oder  andern  Instrument  geblasen:  Andere  ahmen  so  gar  menschliche 
Stinnne  in  so  ferne  nach,  dafs  sie  gewiese  Worte  und  Iveden  auf  das  deut- 
lichste nachsi)rechen  und  ausreden  lerncni;  diejenige  aber,  so  zu  diesc^n  beeden 
inigeschickt,  wissen  sich  durch  allerhand  andere  Lust-  und  Gaukel-Possen 
angenehm  und  beliebt  zu  machen,  in  denen  Häusern  gedultet  zu  werden,  und 
ihre  Kost  und  /Xzung  zu  \erdienen.  Nun  ist  auch  diese  gar  unterschiedlich, 
gleichwie  auch  die  Gesang-V()gc>l  imtc'rschiedliche  Arten  von  Ivefigen  erfor- 
dern, wann  man  sie  zum  Singen  in  denen  Häusern  halten  will,  weil  aber  dieses 
untl  jenes  nicht  allen  bekannt,  als  wollen  wir  nebst  der  kurtzen  Beschreibung 
eines  jeden    X'ogels   solcln\s   zugleich   berichten. 

Dann  folgt  die  Aufzählung  und  Beschreibung  der  cMuzelnen  Vögel,  ihrer 
l'jgenschaften,  Nahrung  und  Ik^liandlung.  Ls  werden  angeführt  als  kleinere 
singc'ucU-  V(')gel:  die  Ahnst«,  Kohl-VcMse,  IMau-VcMst',  Kobel-Meise,  Zogel-Meise, 
i\Ieisen-M(')nche,  Zeislein,  Hänfling,  Linck,  Blut-Linck  oder  Gimi)eL  Distel- 
Linck  oder  Stigelitz ,  lirnmerling  imd  Rothkehlein;  als  andere  wohlsingende 
\^"igel  klein(M-er  Art:  L(M-che,  Nachtigall  inid  Ganarien- Vogel ;  als  singtMide 
\'r)gel  unltlerer  (u-(')fsc«:  Wachtel,  Krumm-Sehuabel ,  Vistier,  Di'oschel  und 
Amschel ;  als  \'<")gel  gr(')fs(M'er  Art:  I  letzt^  odcM'  Atzel,  Slaar  untl  Papagei.  /\us- 
tührlich  wird  namentlich  die  Zucht  der  Kanaricni\()gel  und  ihre  Abi'ichtung  zu 
allerlei    KunststückcMi    behandelt.   — 

Der  lu^schreibung  dieses  .Augsburger  Wohnzininu^'s  folgt  am  In^sten  zum 
Schlüsse  noch  Dasjenige,  was  die"  Niirnbei'gx'r  1  laufs-1  lalterin  über  das  Nürn- 
bcM'gcn-  nutteilt.  TeilwcMse  slinnnt  es  mit  der  wiedergegebtMUMi  .Abbildunt;, 
teilweise  mit  jtMien  tlcr  folgenden  beidcMi  anderen  Zinuuer ;  doch  fehlt  es 
selbst\-ersländlich    nicht    an   kleinen    AbwtMchungen.      Sit«   schreibl  : 

TJ)   S.    S')'(  IT, 


46      - 

'l)i("  Wohn-stuln'  (M-fordcrt  zum  wcMiis^stcn  zwccmi,  oder  wann  si{>  weit, 
drcy  Irische,  d.'uon  der  iMnt^  etwas  i^nofs,  und  i\cv  SpiMls-tisch  ^cüKMinct  wird, 
wimI  man  darauf  läßlich  zu  speisen  pflet^c^t,  t^s  hat  si^lbii^iM'  s^tmuMnii^licli  olxm 
^c\L,UMi  d(M'  Tlüir  über  seine  vStelle,  inlcv  aber  wann  es  der  l'latz  lei<let,  in  der 
Mitte  des  Zimmers;  der  and(M"("  1  isch  wird  etwas  abwärts  l(("l,fen  die  'Idiüre 
zu  i^festcdli^t,  und  dc\n  Stuben-  oder  RannncM-mensclien,  odcM'  wie  man  sie  hier 
nennet,  der  lx\schHeserin,  darauf  zu  neben,  zu  b(\L(eln,  oder  and(Me  (I(M<^fleiclien 
ArbcMt  zu  M-rrieliten  eini;eraum(^t.  Wo  drc^y  d'ische  in  der  Stube;  sti;h(m, 
werden  die  beede  kleinere^  «^emeiniL^lich  an  die  Wand  also  i^u\stellet,  dafs  der 
eine,  wie  i^edacht,  etwas  abwärts,  auf  einer,  der  andere  af)er  liinaufwärts,  an 
der  andern  Seiten  nahe  an  tlcnn  r\;nster  zu  stellen  kommest,  und  der  Frau 
zu  Diensten  bleibet ,  welche  so  sie  dabey  sitzet ,  zus^UmcIi  eincMi  Icutseeli^en 
pros])cct  auf  den  Platz  oder  die  Strasse  haben  kan :  und  weil  solche  Tische 
dann  und  wann  beschwerlich,  findet  man  hier  in  den  meinsten  Wohnstuben 
nechst  am  k\Mister  kleine  Hani^-Tischlein  an<j;emachet ,  welche  man  nach  Be- 
lieben aufstellen  und  niederlassen,  odei"  s^ar  ablu^bt-n  und  t^antz  hinweg  nehmcm 
kan.  Zu  solchen  Tischen  werden  wenii^^stens  ein  halb  Dutzend  Stühle  und 
zween  Sessel  erfordert,  deren  jenc^  vor  die,  so  mit  bey  Tisch  spcMsen ,  oder 
sonst  in  der  Stube  eine  sitzende  Arbeit  zu  verrichtc-n  haben,  diese  aber  vor 
die  Hcrrschaftt,  und  andere  Bekannte  auiser  dem  Haufs,  wann  sie  ihie  liinkehr 
nehmen,  dienen. 

In  denen  meisten  Wohn-stub(Mi  allhier  findet  man  ein  mit  den  Täfel- 
werck  fest-eingemachtes  Wand-  und  k\aul-l)ett,  vielleicht  von  faullentzcMi  also 
benamset,  welches  hoch  aufgebettet,  und  mit  (;iner  säubern  Decke  überdecket, 
worauf  zum  Raubten  ein  grosses  gantz  dickes  und  starres  Kissen  ang(d(dinet 
ist ,  entweder  wcifs  bczieget ,  und  mit  einem  schön-genehetcMi  Blumen-Strich 
oder  Borten  verbremet,  oder  aber  auf  den'  untern  Seite  Ledern,  auf  der  obern 
aber  mit  bunten  Genehe  gezieret,  so  allcrU^y  Daub-  imd  Blumen-wcMck,  auch 
(')ffters  des  Haufs-Patrons  Wappen  vorstellet ,  und  werden  di(\se  kiettem  gar 
selten  abgcraumct  und  ge^brauchet,  sondern  dicMicn  mcdir  zum  Schein  als  zum 
Nutzen.'  (Was  an  dieser  Stelle  über  das  Waschschränkchen  gi^sagt  ist,  wurde 
schon   weiter   vorn  mitgeteilt.) 

'Ausser  dcmc  gehören  auch  in  eine  Wohn-stube  cmu  oder  zwey  wohl- 
versperrte k]ehält(M-lein ,  wt^lche  man  bey  uns  fast  alkmthalben  in  di(^  Wand 
schon  eingemachet  findet,  in  deren  (Mn(\s  mrm  den  d'isch-ZcMig,  in  das  andere 
aber  die  llaufs-Ahitter  ihri^  zu  denen  andcM-n  ZinuncMU  und  IkdiältiMU  in  [lan- 
den halxiide  Schlüssel,  imd  das  zur  täglicluMi  /\usgal)i'  betiT)! higtc^  (ield  zu 
verschlies(Mi   und   zu   vcM-wahrcu   ])flegt>t. 

Den  Auff)ntz  defs  Wohn-ziuuners  bc-treflend,  so  bestehest  selbiger  \-or 
allen  in  einen  feinen  Spiegel,  welcher  gemeiniglich  g(\gen  die  Thür  üIxm',  und 
zwar  etwas  schreg,  auf  ziei'lichcni  von  Messing  g(Mli-(diet(>n,  oilcv  aus  Zinn  ge- 
gossenen Schrauben!  ruhend  ,  g(\stellet  wird  ,  damit  der  Staub  nicht  so  s(du' 
darein  falle,  und  man  sieh  ,'uich  <lesto  besser  darimicm  b(\s])it>g(-ln  und  be- 
schulen k(')nn(>:  Die  Tische  solKm  mit  scheinen  T(^pi)iehen  überdecket,  und 
die    b\,'nster    mit    V^)rhängen     wn-se^hen    seyn.      Die^    (jesiinsc-    plli'get     man    ge- 


-^     47     - 

meini^flich  mit  Mahl(M"ey(M"i  zu  belehnen  ,  manchmal  Pyramiden ,  verguldete 
Kugeln,  antiquische  von  Holtz  geschnittene,  oder  nur  von  Gips  gegossene 
Brust-Bilder,  auch  wohl  von  Porcellain  gemachte  grosse  Schalen  darzwischen 
zu  stellen  und  aufzulehnen,  wie  es  nemlich  einen  jeden  beliebt ,  und  dessen 
Zustand  und  vermengen  leidet.  Das  vornehmste  aber  ist  die  Reinlichkeit,  dafs 
man  nemlich  das  W'ohn-Zinuner  so  wohl  als  die  andere  sauber  halte,  durch 
die  Mägde  täglich  auskehren,  auch  zu  gewiesen  Zeiten  reinigen  und  säubern 
lasse,  damit  es  nicht  so  wohl  einer  Wohnung  der  Schweine  als  vernünfTtigen 
Menschen  gleiche.«   — 

Man  geht  wohl  nicht  irre ,  wenn  man  annimmt ,  dafs  die  Thüre  des 
Wohnzimmers  in 

das  Schlafzimmer  (Taf.  VI) 

führt.  Nimmt  man  an,  dafs  dieses  von  der  entgegengesetzten  Seite  wie  das 
Wohnzimmer  dargestellt  ist,  so  decken  sich  die  Thüren  dieser  beiden  Räume 
vollkommen.  Auch  in  der  Gegenwart  liebt  man  es  noch ,  dieselben  neben- 
einander zu  haben,  damit  das  nicht  heizbare  Schlafzimmer  im  Winter  etwas 
von  der  Wärme  des  Wohnzimmers  abbekonnrit.  Das  Schlafzimmer  ist  ge- 
täfelt wie  das  Wohnzimmer ;  es  hat  auch  dieselben  Fenster.  Doch  ist  ein 
Flügel  des  einen  durch  ein  Drahtgitter  ersetzt  worden,  das  den  Zutritt  frischer 
Luft  gestattet,  den  Insekten  aber  den  Eingang  verwehrt.  Die  Decke  zeigt 
ein  grofses  Feld,  das  wohl  durch  Stuckarbeit  hergestellt  ist,  der  Fufsboden 
quadratischen  Bodenbelag,  der  aber  kaum  als  steinern  angesprochen  werden  darf. 
Das  ffau})tstück  des  Schlafzimmers  ist,  wie  sich  von  selbst  versteht,  das  Ehe- 
bett, ein  grofses  zweischläferiges  Bett  mit  einem  Himmel,  der  zu  Füfsen  von 
zwei  gewundenen  Säulen,  zu  Köpfen  von  dem  Kopfende  getragen  wird,  das 
architektonisch  aufgebaut  mit  Säulen  und  Bogenstellungen  versehen  ist.  Es 
ist  hier  wohl  am  Platze  mitzuteilen,  was  die  »Haufs-Halterin«  über  die  Betten 
sagt,  über  welche  sie  sich,  als  über  sehr  wichtige  Möbel,  folgendermafsen  aus- 
führlicli  ergeht : 

-Wir  wollen  hingegen  sagen  von  den  h(')lzernen  Betten ,  als  welche 
dermahlen  am  meinsten  im  Gebrauch  sind,  selbige  werden  gar  selten  von 
gemeinen  Floltz  gemacht,  ohne  diejenige,  so  vor  das  Gesind  gehören,  sondern 
gemeiniglich  von  Eichen,  und  Nufs-baumen,  oder  von  schwartz-gebeitzten,  je 
zuweilen  mit  schönen  Brasilien,  oder  auch  wohl  Plben-IIoltz,  eingeleget,  manch- 
mal nur  mit  Leisten-werck ,  inid  h'illungen  ,  je  zuweilen  mit  zierlichen  Laub, 
P'rüchten,  Festinen,  und  Säulen,  oder  wohl  gar  mit  Bildern  und  andern  häuf- 
figen  Schnitzwerck,  gezieret:  man  findet  auch  kostbare  Betten,  so  zwar  nur 
von  gemeinen  Holtz  gemachet,  aber  mit  stattlichen  Gezeug  überzogen  sind, 
so  mit  den  Tapezereyen  defs  Zimmers  ül)erein   kommen. 

Die  Ehe  u.nd  Sechswochen-Bette  sind  mit  cnnen  auf  artiggewundenen 
Seulen  ruhenden  Zelt  versehen,  so  entwediM-  mit  rauer  Leinwat  ül:)t"rzogen, 
und  beedes  in-  und  auswendig  zierlich  gemahk:t ,  oder  mit  TattMid  oder  an- 
dcvn   Gezeug   überkleidet,    und   mit    derglcicluMi    Vorhängen   umgebt'U ,    an   ilcn 


„      4.S     — 

vier  Fxken  sic^hc^t  man  <">frtcis  i^UHlrc-JK^tc^  Si)it/.<Mi  oder  Kugeln  von  Holtz,  oder 
auch,  nach  1  IcydniscluM-  und  dem  /MtcMthum  abt^ebor^ter  Art  gemachte  und 
mit  zierHchen  h'edei-büschen  l)est(>ckte  IMumen-Trjpfe  zur  Zierde  stehen:  So 
wol  an  diesen,  als  andern  Galanterie-  und  Prani^-lU^tten,  sind  die  bifs  auf  die 
Erde  abhängende  Vorhcänge  unten  an  den  Saum  herum  .  an  gewiesen  Orten 
mit  Bley  versidiiMi,  und  also  eingerichtet,  dals  sie  von  der  darinnen  ruhenden 
Pers(Mi,  mit  einen  einigen  Zug  rings  herum  gantz  oder  halb  aufgezogen,  und 
wie  es  beliebt,  also  bcvestiget,  endlich  aber  wieder  nic>dergelasscn  werden 
k(')nnen  ,  wc^lches  dann  nicht  nur  sehr  be(|uem  ,  sondern  auch  gar  wol  und 
zierlich  in  die  Augen  fallet.  Wie  die  and(;rn  Arten  dtM"  Ijetten  beschaffen, 
ist  bey  dero  Benennung  schon  guten  theils  angezeiget  worden  ,  und  hi(;r  zu 
wiederholen  unnöthig. 

Was  nun  in  so  mancherley  Arten  der  Bette  geleget  werde ,  sind  mit 
einem  Wort,  Polster  und  Kissen:  Es  sind  aber  selbe  entweder  von  Eeder 
gemachet ,  und  werden  sonderlich  zu  denen  Wand-Faul  und  Stuben-Betten 
gebrauchet ,  bevorab  gerne  in  denen  Studier-Stuben  gefunden  ,  um  sich  nur 
so  gleich  hin  mit  den  Kleidern  darauf  zu  steuern  ,  und  einer  kurtzen  Ruhe 
zu  gcnüssen.  Oder  von  Barchent,  und  die,  so  etwas  kostbarer,  linder  und 
subtiler,  von  Bomesin  ^'M  gemachet,  und  mit  leinenen  weissen,  oder  auch  blau 
und  weifs-zierlich  gemodelten  Tuch  und  Kölnisch'^  ,  oder  die  feinere  Betten  mit 
zarter  Leinwat  überzogen,  auch  auf  der  Seiten  mit  bunden  l'affend  oder  Atlafs 
verbremet,  die  Zügen  aber  selbst  mit  artigen  Blumen  und  Eaub-werck  in  ein 
enges  Gestrick  genehet,  so  man  hier  zu  Land  Striche  nennet,  oder  mit  ge- 
wirckten  Borten  und  Spitzen  gezieret. 

Aller  Orten  werden  die  Betten  nicht  auf  einerley  Art  zugerichtet,  son- 
dern an  den  meinsten  Orten  nur  ein  w-enig  auseinander  getheiltes  Stroh  unten 
in  das  Span-bett  eingeleget,  mit  einer  Matratze,  oder  mit  Watt,  Baum-  oder 
Schecr-wolle  angefüUet-  und  abgeneheten  Decke,  und  diese  wieder  mit  einen 
Leylachen  überdecket,  unter  den  Kopf  ein  Polster  und  Ilaubt-kissen  gclcget, 
und  zur  Ober-deckc  wiederum  eine  Matratze ,  mit  einen  übergeschlagenen 
Leylachen  aufgebreitet :  Hier  zu  Nürnberg  aber  und  an  dencm  meinsten  Orten 
Teutsches  Landes  wird  das  Stroh  ordentlich,  und  zwar  sehr  fest  zusammen 
gehefftet,  in  einen  oder  zween  nach  der  Länge  und  Breite  dcfs  Bettes  abge- 
messene Flache,  und  einer  Spannen  dicke  zwilchenc  ,  oder  von  blau-  und 
weissen  Köllnisch  verfertigte  Säcke  eingefüllet,  und  auf  den  Bxxlen  der  I^ett- 
statt  geleget,  ein  oder  auch  wol  zwey  gute  wohl  angefüllte  Unter-betten  darauf 
gebettet,  beedes  ein  Haubt-  und  k'ufs-PoIster  etwas  schr(\g  angelehnet,  alsdann 
ein  Leylachen  cingebreitet,  und  zwar  so,  dafs  der  k^uls-rolster  daruntcM',  der 
Haubt  Pcjlster  aber  darauf  zu  liegen  komme,  die  Kopf-kissen  schTin  lioch  auf- 
gestellet,  und  das  Deck-betten,  woran  noch  einige  ein  übiM-schlagenes  Lcylach 
hefften,  aufgelegt.  Diese  letztere  Art  der  IjettcMi  ist  weit  wärmer  als  die  erste, 
auch   \iel   linder   und   sänfftei'   darauf  zu   ruhen    als   auf  jenen,    wie   Wdl   dii.'   Ge- 

i:')!  d.   i.    ISaumwolle,   v<^l.    Schmcllcr-l-'roni!::     üW'l).   [.   '_'.'!'). 

14!  auch  K(')lisch,  Golisch,  eine  wcifs  und  blau  oder  wcifs  und  ml  ucstreiltc  odir 
m- würfelte   Art  Leinwand   .Schm.-Fr.    lUVP..    1.   SO:^. 


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wonhcit  \  ic^]  thut,  und  diese  Betten  denen  Fremden  anfän^^lich "  fremd  vor- 
kommen ,  jedoch  aber  von  eini^^en  bald  gewohnet  und  überaus  sehr  gelobet 
worden  :  Die  Krancke  bedienen  sich  bey  uns  etwas  leichterer  und  nicht  so 
schwer-angefüUter  Deck-betten,  auch  sind  \iele  gewohnet,  zur  heifsen  Sommer- 
zeit die  Deck-betten  gar  hinweg  zu  legen,  und  an  deren  statt  sich  mit  einer 
ALatratze  oder  zierlich   abgcneheten  Decke  zu  bedecken. 

Die  ALaterie,  womit  die  Kissen  angefüUet  werden,  sind  entweder  Watt, 
P)aum- oder  Scheerwolle,  und  meinst  zu  denen  Galanterie-Iietten  gebräuchlich; 
die  cärmcre  Leute  bedienen  sich  allerley  Vogel-Federn,  von  welchen  man  vor- 
gibt, dafs  man  darauf  nicht  ersterben  kcmne,  welches  aber  ein  falscher  Wahn, 
und  vielleicht  daher  rühren  mag,  dafs  die  arme  Nothleidendc;  aus  Mangel  ge- 
nügsamer Febens-Mittel  nach  und  nach  sich  abzuzehren ,  auszuschmachten,- 
und  auf  ihren  Sterb-Bettlein  freylich  lang  zu  liegen  pflegen ,  bifs  sie  nach 
GOttes  heiligen  Willen ,  die  ausgestandene  Trübsalen  dieser  Zeit ,  mit  der 
Fremde  der  seeligen  Ew^igkcnt  \  erwechseln :  hisgemein  aber  sind  die  Federn 
\C)n  den  Gänsen  zu  den  Betten  die  gebräuchlichste,  wiewol  auch  grosse  Herren 
sich   solcher  von  denen  Schwanen  bedienen.'    — 

Auffallend  ist  bei  uns(M-cr  Bettstatt,  dafs  die  Vorhänge  fehlen ;  man  geht 
wolil  nicht  fehl,  wenn  man  annimmt,  dafs  sie  der  Künstler  nur  deshalf)  weg- 
gelassen hat ,  damit  die  Partie  cJes  Zimmers  hinter  der  Bettstelle  nicht  ver- 
deckt wird.  An  der  dem  Beschauer  zugekehrten  Fangseite  des  Bettes  steht 
ein  Kasten,  der  eben  so  lang  ist  wie  dieses  und  als  Tritt  diente,  um  in  die 
hochaufgetih-mten  Kissen,  den  Stolz  der  Hausfrau,  zu  gelangen.  Benötigte 
man  doch  nach  der  "Flaufs-Halterin«  zu  einem  Nürnl)erger  ]^2ehebett  125  Pfund 
h^edern  zu  zwei  Unterbetten  ,  einem  Kopfpolster  und  einem  Fufspolster  und 
30  Pfund  Federstaub  zum  Deckbett,  zu  zwei  Kopfkissen  und  zwei  'Bauch- 
Küfslein-,  also  zusammen  155  Pfund  PY^dern  für  ein  zweischläfriges  Bett! 
Der  Tritt  war  wohl  zugleich  Truhe,  diente  aber  auch  als  Sitzbank.  Die  zwei 
'Passem,  die  auf  ihm  stehen,  dürften  das  Frühstück  für  Mann  und  k'rau  ent- 
haltcm  haben.  Zu  hYifsen  des  ISettes  steht  ein  Schränkchen  in  der  Ilöhe  des 
Fufscmdes  derselben.  Solche  Schränke  sind  namentlich  auch  in  Ulm  in  Gc- 
brauch  gewesen,  wo  sie  den  Namen  -k^ifsnet«  oder  Fufsnetkasten-  führen. 
Das  Schränkchen  hat  an  den  Seiten  eiserne,  bewegliche  Griffe,  um  es  leicht 
von  einc>m  Ort  zum  andern  transportieren  zu  kcninen.  Ms  diente  zum  Aufbe- 
wahren der  Bettwäsche  und  zum  y\ufF;gen  der  einzc^lnen  lU^ttteile  beim  Machen 
des  Bettes.  l>ei  dem  GriiTe  hängt  ein  Kehrwisch.  Die  Platte,  die  auf  dem 
Schränkchen  sttdit  und  an  der  sich  der  Junge  mit  dem  Messer  zu  schaffcMi 
macht,   enthält   Wdht   einen   'l\;il   (k;s   l'^rühstückes. 

NebcMi  der  liettstatt  steht  ein  grofser  Schrank  mit  drei  SäukMi  ,  an  der 
hintercMi  Wand  ein  etwas  kleinerer,  der  dagegen  reich  xcMvieil  ist.  lOr  dürtle. 
wie  schon  die  gf)tischen  süddcnitschen  Scliränke  zweigt'scliDssig  sc-in  ;  zwei 
Reihen  Säulen  mit  Gebälktm  st(>lum  je  auf  einem  Sockel  übereinandei'.  l)ie 
Thüren  enthalten  architc-ktonisch  gc^gliedcMte  NiscluMi.  \'or  allem  abei'  fällt  die 
reiche  luT-rcHiung  d(\s  Schrank(\^  ins  /\ugc>,  die  früher  wohl  dic^  meisten  Schränke^ 
hattiMi,   die   :\\)cy  h(')chst  selten  auf  di(^  Cjegcmwart  gekonuutMi  ist      Der  Schi'ank 

Mitteilungen   aus   dem  german.   Nationalmuseum,     1897.  VII. 


r>() 

dürfte  ein  Krl)sti'ick  !^(nvcs(M"i  sein,  da  er  noch  in  die  Mitte  des  17.  Jahrhun- 
derts zu  setzen  ist.  W'ic^  man  sielit,  besteht  das  Mobiliar  des  Sclilafzinmiors 
neben  dem  Ivht^bette  haui)tsächlich  .aus  Schiiinken.  \-'.s  stimmt  dies  auch  mit 
ilen  AusTührunLien  der  1  lauls-l  lalterin  ■  über  (He  ICinriclituns^'  der  Schlafzimmer 
überein,  dit>  b(,'richti-t  :  jn  die  Schlaf-kanuner  t;eh(')ret  das  IChi^-lx^tt  ,  samt 
einen  ludialter  '  ■')  zu  dem  alltäij;iichen  weissen  (iezeu^,  vor  «.^u-ofs  und  kleine, 
in  allerley  l''ällen  zu  ^febraucluMi ,  auch  pf1ei^u>n  \i(de  ihre  bestt-  Sachen  von 
Silber-Cjeschmeid,  Kleinodien  etc.  in  eincnii  gleichfalls  hiezu  s^ehririL^^en,  wohl- 
verschlossenen Schrank,  so  man  defsweL^'cn  den  Silber-üehalttM-  zu  nennen 
l)llei4"ct,  in  dieser  Kammer  zu  verwahren,  weil  man  solchen  allhicM-  stets  vor 
Augen  hat,  und  nicht  so  leicht  ohnvermerckt  enUfnet  werden  kan,  als  t'twan 
in  einen  andern  Zimmer,  darein  man  selten  zu  kommen  i)fle((et:  ICs  ,i,Hdi(')ret 
auch  in  diese  Kammer  ein  kleines  Artzney-Schrjinklein ,  damit  man  selbiges 
auf  ereignenden  k'all  zur  Hand  halxMi,  und  daraus,  was  der  zu  Händen  gestossenc 
Zufall  erfordert,  hervor  langen  m(")ge;  zuxc'u'derst  aber  soll  auch  ein  Nacht- 
stuhl vorhanden  seyn  ,  sonderlich  so  das  gew()hnliche  r)rt  etwas  weit  davon 
entlegen  und  entfernet  ist.<' 

Ob  das  letztere  Geräte  vorhanden  ist  oder  nicht,  kann  nicht  mit  Ge- 
wifsheit  entschieden  werden.  Vielleicht  ist  es  das  Stück  rechts  im  V^order- 
grunde,  auf  welchem  die  hölzcM-ne  Büste:  mit  der  Perrücke  des  1  lausherrn  steht. 
Das  Mobiliar  vervollständigen  noch  zwei  Tische:  ein  kleiner  mit  geschweiften 
Beinen  nel)en  der  Thüre ,  auf  welchem  zwei  Gläser  stehen,  welche  Toilette- 
Artikel  enthalten  —  das  eine  wohl  Puder,  da  an  der  Wand  darüber  eine  Pu- 
dercjiiaste  hängt  —  und  ein  grofser  einfacher  Tisch  an  der  Wand  zwischen 
den  beiden  P'enstern,  der  gekreuzte  kleine,  einen  Tritt  zum  Aufstellen  der 
Vükc  hat  und  gedeckt  ist.  Auf  ihm  stehen  ein  Leuchter  mit  Licht  und 
einige  Gebetbücher,  die  dem  Ehepaare  beim  Niederlegen  und  Aufstehen  zur 
Verrichtung  der  häuslichen  Andacht  dienten.  Der  Herr  des  Hauses,  der  seine 
Strümpfe  anzieht,  sitzt  auf  einem  dreibeinigen  Schemel;  ein  solcher  dürfte 
auch  der  Frau  als  Sitzgelegc^nheit  dienen.  I-Lifrigst  mit  dem  Auftrennen  einer 
Naht  beschäftigt,  iibersieht  sie  das  Hinidchen,  das  \()r  ihr  sitzt  und  aufwartet. 
/\uf  dem  Gesimse  der  \\' andtäfelung  stellen  ausschliefslich  Bilder.  k)as  neigen 
der  Thüre  ist  ein  Sinnbild  der  .Auferstehung:  aus  einem  Totenkopfe  wächst 
eine  BluuK^  heraus.  Die  zwei  kleinen  danel)en  stellen  k'iguren  dar,  das  am 
Pfeiler  zwischen  den  ]'\,'nstern  einen  Herrn  vor  einem  \^)rhange  stehend,  also 
wohl  ein  I'orträt,  das  in  der  Fensternische  ein  tanzendes  l'aar.  Neben  der 
Puder(.iuaste  hängt  die  Hausmütze  (oder  Schlat'mütze .- 1  des  Herrn,  weitei'  vorn 
dessen  Rock.  Schliefslich  ist  noch  der  (jlocke  zu  gedenken,  die  in  der  ersten 
l'\-nsternisclu;  angebracht  ist  imd  den  Bewohnern  des  Hauses  Kunde"  von 
Denjenigen   gibt,   cht:   Linlafs   in   dasselbe   begehren. 

Wenn  nun  auch  wede;r  die  I  lauls-llalterin  in  ihrer  Beschreilnuig  (Jes 
Schlafzinimei's  e:int'  Waschgelegenheit  erwähnt,  noch  unsi'n-  Abbildung  eine 
solche   zeigt,   so   ist   trotzem   doch    wohl   anzunehmen,   dals   c;ine   solche   diesem 

15i  ij,   i.   Srhr;uik. 


—     51       - 

Räume  nicht   felilte.      Sic  ma^  an  der  Wand  Platz   ^fcfundc;n  haben  ,    die    auf 
der  Abbildung  nicht  sichtbar  ist. 

Begibt  man  sich  in  das  obere  Geschofs ,  so  kommt  man  zunächst  wie- 
derum in  einen 

Vorplatz  (Taf.  VII), 
von  dem  aus  Thüren  in  die  übrigen  Räume  des  oberen  Geschosses  und  eine 
Treppe  in  den  von  uns  angenommenen  Aufbau  führt.  Dieselbe  herab  kommt 
ein  Knecht,  der  auf  den  Schultern  einen  Sack  trägt.  Der  Vorplatz  ist  wie- 
derum sehr  einfacher  Art.  Die  Wände  getüncht,  der  Boden  mit  viereckigen 
Platten,  wohl  aus  Solnhofer  Stein  belegt,  nur  die  Rahmen  der  Thüren  sind 
etwas  reich  profiliert.  Ein  Kronleuchter  oder  Lüsterweibchen  ist  nicht  vor- 
handen, sondern  nur  ein  Wandarm.  Aufserdem  besteht  die  Ausstattung  der 
obern  P'lur  nur  noch  aus  einem  runden  Tischchen  mit  gedrehtem  Fufs  ,  auf 
und  neben  welchem  einiges  Geschirr  steht,  und  einem  Gemälde  über  der 
Zimmerthüre  rechts,  welche  ein  Stillleben,  Hut,  Kanne,  Glas  und  Früchte 
darstellt.  Eine  Magd  mit  Besen,  Kübel,  Kehrwisch  und  Schaufel  macht  den 
Vorplatz  rein.  Im  Hintergrund  rechts  in  einer  offenen  Thür  hat  ein  Mann 
ein  Buch  in  der  Hand,  links  trägt  ein  Mann  Holz,  wahrscheinlich  in  die  Küche, 
wie  später  dargethan  werden  wird.  Ein  Hündchen  zeugt  von  der  grofsen 
Vorliebe  damaliger  Zeit  für  Tiere. 

Über  der  Thüre  links  befindet  sich  ein  länglich  rundes  Fenster  mit  ver- 
bleiten runden  Scheiben ,  ein  sogenanntes  Och.senauge ,  das  von  dem  Lichte 
des  Zimmers  etwas  an  den  Vorplatz  abgeben  soll.  Ein  ebensolches  Ochsen- 
auge hat  über  der  Thüre 

das  Wohn-  und  Arbeitszimmer  (Tafel  VIII). 

Man  kann  also  annehmen ,  dafs  dieses  Zimmer  an  den  vorstehend  be- 
schriebenen Vorplatz  stöfst.  Ms  ist  gleichfalls  mit  Wandtäfelung  versehen,  wie 
die  übrigen  Zimmer,  und  nur  die  Wand,  an  welcher  der  Ofen  steht,  ist  in 
üblicher  Weise  von  solchcM"  frei.  Dei-  Fufsboden  ist  quer  gebrettert,  die  Decke 
(jucM"  getäfelt.  Die  PY-nster  zeigen  dieselbe  Form  und  Gröfse  wie  diejenigen 
in  dem  erstbeschriebenen  Zimmer,  die  Fensternischen  sind  mit  Bänken  ver- 
sehen. Das  erste  Fenster  hat  eine  grofse  Blende  von  Papier  oder  Leinwand, 
die  das  Licht  däm[)ft,  welches  auf  die  Platte  fällt,  an  welcher  der  Kupfer- 
stecher arbeitet.  Die  Platte  liegt  auf  dem  Titsche  am  h'enster,  nc^bcn  ihr  stecht 
ein  Spiegc;!,  welcher  die;  Wirlage  im  negativen  Sinne  wic-dergibt ,  in  dem  sic^ 
auch  gc\st()ch(Mi  wird,  damit  das  IJild  beim  Abdrucke  wieder  in  positi\eui 
Sinnc>  konmit.  Dabei  lic^gen  Stichel  und  ein  Lineal  \mi\  stt>ht  ein  T()i)fchen 
mit  (-iner  l-\>der.  Der  Tisch  selbst  hat  breite  ,  aus  P)i-(>ttern  ausgi\schnittenc^ 
Fülse,  die  nach  aufsen  und  iimen  ein  durch  aufgesetzte*  Leisten  geliiKKnes 
r(xhteckiges  Vc](\  enthalten.  Sie  sind  durcli  iMuen  St(\^'  und  unten  elurch 
einen  Fufstritt  x'erbunden.  Dcm-  Tiscli  stand  auf  dit-se  Art  wohl  si^hr  fest, 
was  dcM-  Künstler  im  InhM'esse  seiner  Ai'beittMi  wünschen  nnüste.  Dii*  1  isch- 
platle   hat   durch    .Abschrägung   der    locken   c]nc   achteckige    Form   (M'halten. 


1-jii  zwriU'i'  Tisch  mit  i^cspri-iztcn,  Licdichtcn  iH-incn,  die  ebenfalls  duich 
cim-n  iMilstiitt  verbunden  sind,  stcdU  rechts  in  der  ICcke;  ein  dritter  links  an 
der  Thür.  Dieser  hat  L^cki-euzte,  durch  tMiien  Stes^  und  [''ufstritte  \-erlnind(^ne 
iMilse.  l"r  ist  L^edeckt  ;  auf  ihm  steht  eine  Kanne,  c\uc  l'lasche  ,  wohl  ans 
Zinn,  mid  ein  lu-cher.  Ztmi  Mobiliar  ;^ft>h(")r(>n  ferner  eine  IJank  ,  die  an  der 
Wand  im  llinttM-^runde  entlani^"  läuft,  drei  Stühle  mil  hohen  Lcdmen,  wie  sie 
auch  im  W'ohnzinuncM-  sich  finden  und  im  I  lintergrtmde  ein  von  diesen  ab- 
weichcMuler  Stuhl  mit  SiMtenlehn(>n.  NelxMi  diesem  Stuhl,  auf  den  Ofen  zu, 
steht  t-in  wit-^enähnliches  (?)  (lestellc>,  von  (K'm  cMne  I)(xke  herabhängen  und 
auf  d(Mn  ein  Kiubchen  mit  Wäsche  sich  befindet.  Der  Ofen  stimmt  in  Auf- 
bau, OrnanuMit  imd  Material  vollständig^  mit  jenem  d(\s  Wohnzimmers  überein; 
auch  er  ist  mit  einer  Hänsle  mi\<.(c^ben.  Hinter  dt-m  Aufsatz  des  Ofens  steht 
einc^   Kanrn'  imd   hängen  zwcn   Würste. 

Weiter  sind  zu  erwähnen  drei  Schemel  verschiedener  k\)riTi;  auf  zweien 
dc-rselben  sitzen  Knaben  ,  xon  dencm  dcM-  cdne  eifrig  mit  Zeichnen  auf  einer 
Tafel  beschäftigt  ist,  die  er  auf  dem  Knieen  hält.  Neben  ihm  steht  auf  dem 
Fufsboden  cm  Schälchen  mit  darauf  liegendem  Pinsel.  Der  andere^  Knabe, 
dcv  stMue  Külse  auf  ein  k'ufsbänkchen  stützt ,  blättert  in  dem  auf  seinem 
Schofse  liegenden  Buche  und  blickt  auf  die  Zeichnung  mit  der  Darstellung 
iMues  Mannes,  die  auf  dcMii  kleinen  Pulte  liegt,  der  vor  ihm  steht.  Dieses 
nette  M<')bel  hat  imten  drei  grofse  und  oben  zwei  kUdne  Schubladen.  Die 
Knaben  sind  wohl  keine  Lehrlinge  des  Kuj)ferstechers,  sondern  Schüler,  denen 
er  Cnterricht  im  Zeichm-n  gibt.  Bestärkt  werden  wir  in  dieser  Annahme 
durch  die  Sanduhr,  die  auf  dem  dritten  der  Schemel  steht;  wenn  sie  abge- 
laufen, war  die  Zeichenstunde  vorüber,  die  Schüler  entfernten  sich,  um  \iel- 
k-icht  anderen  Platz  zu  machen.  An  der  Thüre  selbst  sttdit,  die  Kechte  auf 
den  Drücker  des  scheinen  Schlosses  legend,  der  Herr  des  I  lauses,  eine  statt- 
liche Figur,  in  seinem  Galaanzug.  Der  ALantel,  den  er  an  hat,  sagt,  dafs  er 
im  In'gritTe  ist  ,  auszug(dien.  In  der  Pinken  hält  er  cnne  Rolle.  Auch  in 
diesem  Zimmer  fehlt  es  nicht  an  Tieren.  Am  erstbeschriebenc>n  Tische  sitzt 
der  Hund  bei  seinem  Frefsnai)f,  im  Hintergründe  sieht  man  zwei  Katzen,  von 
welchem  eine  munter  unter  dem  Ofen  hervorspringt,  an  der  PVxke  hängt  ein 
Vogelbauer. 

Noch  ist  der  übrigen  Stücke  zum  Schnuicke  des  Zimmers  zu  gedenken. 
In  stattlicher  Anzalil  sind  die  eingerahmten  Bikler  \(M'tret(Mi  ,  die'  au.f  elem 
(iesimse'  der  'I'äfedimg  stehen.  In  deM"  e'rste'n  Nische'  sieht  man  e'inen  Baum, 
am  Pfeile-r  elaime'be-n  den  gekreuzigten  Heilanel,  am  näclisten  Pfedler  hängt  in  ver- 
zieitcm  Rahmen  (;in  schräg  gestellter  Spie'ge'l.  Die  Darstellungeii  eler  Bilder 
im  Hintergründe'  lassen  sich  nicht  genau  feststelle-n.  ?Nel)e'n  de-r  Thiire'  hängt 
^chi'äg  eine'  Landschaft  mit  grejlse'm  Hause',  auf  die-  Thüre  se'lbst  ist  e-in  Blatt 
ant^enagelt  mit  e-iner  weiblichem  T'igur  in  Zeichnung  ode^-  Stich.  .Auf  den 
liänken  liegen  und  stelu'ii  Büche;r,  wolil  K.upferwerke',  an  eleiAVand  im  Hiiitei'- 
L;i"unde  hängen  zwei  LTjcke,  eine'  Pei'rücke'  unel  ein  DreTspitz.  Das  Hörn,  das 
ddi't  ebenfalls  Platz  gefunden,  läfst  de-n  wackeiii  Meiste')-  auch  als  Freund  der 
edlen    Lrau  .Musica  ei'kenne'U. 


—     53     - 

Von  Wichti<,>kcit  für  die  Orientierung^  in  diescMn  Haust-  ist  das  vier- 
eckige Fenster  mit  den  rundem  ein<(ebkMten  Scheiben.  Es  führt  nämlich  in 
die  Küche,  ck^r  Tisch  mit  seinen  Gefäfsen,  der  davor  steht,  wird  dadurch  als 
Anrichte  oder  Servirtisch  leL^itimiert. 

(Fortsctzun^f  k)l<ft.) 

N  ü  r  n  b  e  r  i^.  Hans  B ö seh. 


Zwei  Handzeichnungen  des  Wolf  Huber  im 
Germanisehen  Museum. 

>en  Anlafs  zu   folgenden  Zeilen   gab  das  unter  Nr.  1   abgebildete  Blatt, 
(1  Idz.   2430)  das  bisher  unter  den  unbekannten  Meistern  eingereiht 
war,  und  das  ich,  auf  Grund  stilistischen  Vergleichs,  dem   Passauer 
Meister  Wolf  Huber    zuschreibe.      Am    nächsten    steht    ihm    die    unter   Nr.   2 


abgel)ildete  HandziMchnung  (Hdz.  161  I,  die  auch  \\\  Schmidt,  dcM"  gcMiain-ste 
KenntM-  imd  h'ntdecker  VV.  HubiM's  .  laut  handschiiftliclKM"  Xotiz  unstM'cm 
Meister  zuschreibt. 

Das  erste  l)latt  gibt  uns  d(Mi  hjnblick  in  c\n  TliälclKMi ,  das  c\n  von 
Bäumen  umg(-bent'r  Fach  durchzieht.  l'JU  Haus,  sovvii-  wc-itcM'  im  Hinter- 
grund   eine    Bur<>^    auf    einem    kleinen    Himel    rapen    aus    den    Bäumen.      Den 


54 


I  lintciL:!  und  nimmt  iiufsti-ii^cmlcs  I  Icx-liLjchii  l^c  ein.  \  )\c  Z(Mchnun_<^f  ist,  von 
1520  datiert,  tlott  ausi^cfühit  mit  l)l;hilicli  lassender  l''eder.  Sie  stannnt  aus 
diMH  iiltesti-n  llestand  des  Museums,  da  sie  noeli  die  Autsels'sche  Marke  tr.ä^^t. 
\)\c  andere  /A'iehnuni,^  (Ai)l).  2)  trä^t  ehentalls  die  alte  Autsefs'sche 
Mark(>  und  stimmt  in  Technik  und  Ausführuni;  mit  dem  erstt'n  ISlatl  stark  iiher- 
ein.  Nui'  Iniden  wir  nc^hen  der  bläulichen  'idnte  noch  einen  l)i-<'"uinlichen  Ton, 
in  dem  auf  ilcv  unteren  .Abbildunij  die  ll;iuserLiiu|)[)e  links,  die-  l!ur<^f  rechts 
sowic^  ein  Teil  dcv  li;iunn'  in  der  Mitte  L;eiialten  sind.  In  der  obeicn  /\1)- 
teilnu!^  ist  bi'äunlich  <4ezeichnet  di(;  iWir^^rujJi'e  rechts,  sowie  der  am  I\ande 
rt"chts   ansteiiii'nde    1  liiu^T       Diese    beidiMi     1  landzeichnun^en    bilden    mit    dt;n 


übi'iLjen  im  Museum  befindlichen  dc^sselben  Meister  eine  hübsche  Serie,  die 
einen  lehrreichen  hanblick  in  die  Kunst  I  lubers  L;ibt  ,  dies(-s  herxorra^t-nden 
1  ,an(Nchaftszeichners.  l'"s  seien  eiwiilint  die  1 .519  ilat iei-te  l-\'dci-zeichnunL;  ln!_;ob 
stat  ,  eine  lh"ichtii(  aber  ^(\s(duckt  un'l  ch.'irakteristisch  gezeichnete  .Silhouette 
lies  .Stadtbildes  i  I  Idz.  2'M'>\\  ,  ternii'  ll.iiiuist  udien  ;iiit  i'otbr.aun  L;etrjntem  P.ipii-r 
in  i_;ell)  und  \\('ii's  ^ehTihter  |-"edcrzeichnunL;  i  1  Idz.  b7<  i),  Ljanz  in  dei'  \\"eisc  Alt- 
doiMer'-.  aber  wdhl  auch  \dn  1  lubcr  heiiiihrciid.  auch  .Schmidts  .Xuloi'ität  nei^it 
^ich  diesei-  .Annahme  zu  i  und  endlich  die  ciitziickend  feine  bedcrzeicdinunii, 
W,  II.  1510  den  .Mon(ls(  i'  darstellend  i  I  Idz.  ISi,  eine  der  l)(>deiitendsten 
und     kiinstlerisch     lier\  orraijcndsten    1  .andschait.-^zeichnunijen    aus   dem    .XnfaUL^ 


—     55     — 

des  16.  Jahrhunderts  (abgebildet  bei  Eye  nntl  Falke,  Kunst  und  Leben  der 
Vorzeit  1868,  11  75)  bereits  unserem  Meister  zuj^^eschrieben.  Wolf  Huber  war 
uns  bis  vor  wenigen  JahrcMi  nur  bekannt  durch  seine  im  P.  Behaim'schen 
Manuskript  von  1618  erwähntem  Holzschnitte  (vgl.  Bartsch  VII  485  Pass. 
I  230.  III  305.  Wessely  Repertor.  VI  6])  W.  Schmidt  hat  zuerst  (Repertor. 
XI  358)  die  teilweise  datierten  und  geistreichen  k'ederzeichnungen  zu  Budapest, 
München,  Nürnberg,  Erlangen,  Dresden  und  Berlin  besprochen.  Er  hat  die 
früher  dem  Altdorfer  zugeschrielxmen  Platter  herausgehoben  und  in  ihrer  Eigen- 
art  charakterisiert. 

Weiterhin  hat  er  das  Werk  des  Meisters  erweitert,  er  hat  ihm  den  früher 
Grünewald  zugeteilten  Christus  am  Krc;uze  xon  1503  in  Schieissheim  zuge- 
schrieben und  endlich  ein  Altargemälde  m  der  Pfarrkirche  zu  Feldkirch  in 
Voralberg,  eine  auch  urkundlich  bezeugte  Beweinung  Christi,  bezeichnet  W. 
II.   MDXXI,  entdeckt   (Kunstchronik   N.   F.   IV.     Sp.   46.   Repert.  XVI.    148). 

Was  mm  unsen^  beiden  oben  mitgeteilten  1  landzeichnungen  l)etrifft,  so 
glaul)e  ich  mit  ukmucm-  Zuschrcnbung  an  W^  Iluber  der  allgemeinen  Aner- 
kennung sicher  zu  sein.  Aufserc;  und  innc^re  Gründe  s])rechen  dafür.  Das- 
sell)e  Naturgefühl,  dieselbcMi  stilistischen  Eigenheiten,  die  Zeichnung  der  Berg- 
konturen, die  Behandlung  des  Baumschlages,  die  Strichelung  der  Schatten, 
die  auch  von  Schmidt  ht,'r\()rgehol)en(.>  zungenf(")rmig(,>  Bildung  des  Ufers« 
erscheinen  mir  aufserordentlich  charakteristisch  für  Huber.  Was  das  Datum 
des  2.  Blattes  betrifft,  so  ist  es,  an  und  für  sich  undeutlich,  in  der  Repro- 
duktion noch  etwas  verunglückt.  Ich  lese  es  aber  für  1510.  Ist  dieses  Datum 
recht,  dann  ist  es  für  die  Kunstweise  Hubers  immerhin  sehr  wichtig,  da  es 
den  auf  dem  ersten  Blatte  von  1520  ausgebildeten  reifen  Stil  bereits  im  Jahre 
1510  aufweilst. 

Nürnberg.  Dr.   Edmund    Braun. 


Wissenschaftliche   Instrumente   im 
germanischen  Museum. 

IV. 
Bussoleinstrumente  zu  Winkelmessungen. 

(M  d(;n  bisher  betrachteten  Instrumenten  wurde  die  Gr(")fse  (Um-  Winkel 
entwculer  auf  graphiscluMn  Wege  bestinuut,  oder  dadurch,  dafs  sie 
als  Ik'standteile  \  on  I)rcMi'ck(Mi  behandelt  wurden.  Die  InstrunuMite 
fiir  die  letztertMi  Aufnahuu'n  waren  zum  reil  mit  (jradbogXMi  oder  Scalen 
versehen,  welche  eine  Messung  clor  Winkel  nach  (jraden  ei'm(')glichten.  Diese 
Art  dcv  .Messung  ist  die  \ crljreitt^ste.  Die  neucMcMi  Instrumente,  sowohl  die 
Theodolite,  als  die  Si>ic,\gelscxtanten,  erm(')glichen  (MUcmi  sehr  hohen  (ji-ad  von 
Genauigkeit  tler  Messung.  Hier  haben  wir  t>s  mit  älteren  InstruuuMiten  zu  thun. 
Winkel  kcnmen  entwedei-  einfach  nach  ihrei"  (jrrifse  gemessen  werdcMi 
odvr    CS    k-ann    zuglrich    dii^    E-'\ge    ihrei'   Sc-henkel   gegcMi   eine«   Ix-stimmte    1  lim- 


nr) 


nit'lsiichtuni;  bestimmt  weiden.  Als  solche  wiid  allgemein  die  Süd-Xord- 
riehtuiiL;  an;^eiiommeii,  welche  jedeizeit  (hirch  iWc  Mai^netnadel  <Tkannt  werden 
kann.  l-"reilich  sti-lU  sich  die  Nonhiadel  nicht  aut  (k'n  Nordpol  der  hada.xe, 
sondein  auf  den  mai^netischen  Nordpol  ein,  sie  Liil>t  also  nicht  unmittelbar 
die  Kichtuni.^'  dei-  l-adnuM'idiane ,  sondern  die  der  ma^netiscdien  Meridiane; 
(li'iin  der  niai^MU'lische  Noi'd]>ol  tiilll  bekanntlieh  nicht  nnt  dem  l-jdpol  zu- 
samnuMi.  Man  nt'nnt  die  /Abweichung.;  der  magnetischen  .Meridiane  von  den 
ideographischen  die  1  )i-klination.  l)ie  excentiische  I^aL;e  des  ma^n('tischen 
Nordi)oles  bedinj^t,  dals  diese  Deklination  bii'  < Arte  unier  verschiedeneidSreitc^ 
oder  Läni^e  eint'  \  i'i"schi(,'(k"ne  ist.  l'beidit's  ist  die  Lai^e  des  ma^'netischen  Nord- 
poles  keine  testi',  sonelern  wechselt  in  lan^^^'n  l'eiioden,  so  dals  die  l)eclination  für 
einen  bestimmti'U  Ort  keine  konstante  ist.  Sie  wav  beispi(ds\\  eise  für  Paris 
im  Jahre  1 5S()  =  11"  :i()'  (•.stlich,  163:S  =  0",  LS14  =  22"  34'  westlich  und 
nimmt  seit  dieser  Zeit  wieder  ab.  y\ufser  dieser  sa(xularcn  yXndcM'uni,'  der 
Deklination  macht  die  Nadel  noch  tätlich  periodische  Schwankuni^cn  von 
etwa  (S  RoL^aMiminuten.  lAidlich  treten  zuweilen  mai^nt'tische  St(>riingen  ein, 
welche  pl(")tzliclu^  Anderuni^en  im  Stande  der  Maqnc^tnadel  mit  sich  brin^^en. 
Alle  diese  Schwankun^fcn  betMUträchti^en  die  (jcnauii^keit  der  auf  der  An- 
wendung der  Magnetnadel  beruhenden  Instrumente,  welche  man  allgemein 
als   Bussolen-lnstrunuMitc  bezeichntd. 

Die  Bussole,  die  I^üchse,  in  welcher  sich  die  auf  einer  Stütze  balancierte 
Magnetnadel  befindet,  ist  mit  einem  entweder  nach  (jraden  odei-  nach  Stunden 
geteilten  Kreis  verseilen.  /\uf  ihr(.M-  (jrundscheii)e  sind  die  I  laupthimmels- 
richtungen,  gew<')hnlich  auch  die:  Deklination,  angegel)en  und  Süd  oder  Nord 
fallen  zumeist  auf  den  0  360"  der  Kreisteilung.  In  fester  X'erbindung  mit 
der  Bussole  steht  ein  Dioi)ter,  dessen  Visierlinie  entwed(M-  die  Drehungsaxe 
der  Bussole  bezw.  der  Magnetnadel  schneid(;t  oder  seitlich  an  ihr  \  orüber- 
geführt  ist.  Die  Visierlinie  ist  einer  der  1  lauptrichtungen  der  Kreisteilung 
S.  N.   oder  O.  W.   parallel 

Dit-  Winkelmessung  geschieht  in  der  Weise,  dafs  das  Instrument  im 
Scheitel  des  Winkels  aufgestellt  und  erst  auf  den  tdnen,  dann  auf  den 
andercMT  Winkelschenkel  eingestellt  wii'd.  Bei  dit'S(Mi  lAnstellungen  wird  das 
Diopter  und  damit  der  Xullpunkt  der  Kreisteilung  aus  dcv  Meridianrichtung 
herausgedrcdit,  während  die  Nadel  im  magnetischen  Meridian  --tehen  bU-ibt 
und  die  fji"()fse  des  Winkels  anzeigt,  um  welc-hen  das  I  )iopter  gedreht  wurde. 
l)ie  Difterenz  zweier  /\l)lesungen  ents])richt  der  (ü-rifsr  (U's  zu  mt'ssendi-n 
Winkels. 

Idntache  Bussoleninsti'umente  wai'cn  schon  im  10.  |ahi"luind(Ml ,  \iellei(du 
ruich  schon  biiher,  in  AnwtMidun^.  l'.inen  solchen  l-'eldmessei-kompafs  be- 
schieibt  Paul  l'tinzing  in  seiner  .Ah'thodus  geoinetric.i  ].">'JN,  deren  <  ha^inal- 
hoIzstr)ckc  das  germanische  Museum  bewalu't  '  i.  Das  Instianuent  ( k  ig.  B^) 
besteht  aus  ciivm  in  einem  (]uadi"atisciien  llolzstock-  \  <  in  1 3 '  _■  cm  St-iten- 
länge     eingelassenen     Kompafs    nut     Stunden     und     \']ertelsl  undenteihing  ,     an 


iirii'lxn  im  l\at;ili  i^;  der  I  1«  il/sst  Tick 


■li   lllltel-  \r. 


4:!.' 


—     57     — 

dessen  einer  Seite  ein  verjünc^ter  Mafsstab  angebracht  ist.  Dieser  Kompafs 
wird  in  ein  Kästchen  von  \ii  Fufs  Länt^e  so  ein^^esetzt,  dafs  dessen  Lang- 
seiten der  Südnordlinie  des  Kompafs  parallel  sind.  Der  Kompafs  wird  mit 
einem  Schiebedeckel  bedeckt,  auf  welchem  ein  Notizblatt  befestigt  werden 
kann.     An  der  Seite  des  Kästchens  ist  eine  drehbare  Regel  angebracht. 

Pfinzings  Traktat  ist  besonders  dadurch  von  Bedeutung,  dafs  er  einen 
genauen  Einblick  in  die  Methode  der  Landaufnahme  im  16.  Jahrhundert  ge- 
währt. Er  gibt  an,  wie  die  Ak\ssungen  zu  Fufs,  zu  Pferd  und  zu  Wagen 
ausgeführt  werden  und  erläutert  seine  Ausführungen  durch  anschauliche  Bilder. 

Die  Winkelmessungen  werden  alle  aus  freier  Hand,  d.  h.  ohne  dafs  das 
Instrument  auf  ein  Stativ  gesetzt  wird,  vorgenommen,  die  Entfernungen 
werden  abgeschritten. 

Der  Feldmesser  (Fig.  19),  welcher  eine  Fläche  aufnehmen  will,  stellt 
sich  an  einem  Endpunkt  derselben  auf,  setzt  den  Kompafs  an  die  Brust,  er- 
hebt die  Regel  und  visiert  nach  dem  nächsten  Eckpunkt,  hier  einem  Baum, 
in  der  Weise,  dafs  die  Regel,  der  Stift,  auf  dem  sie,  wenn  sie  geschlossen 
ist,  ruht,  und  der  Baum  in  eine  Linie  kommen.     Ist    die  Richtung  einvisiert, 


Fi«,'.  18.    Fcldbussole  von  Paul  rfinzini: 


so  sieht  man  nach  der  Stunde,  welche  die  Nordnadel  angibt  und  notiert  diesc^ 
auf  dem  Notizblatt.  Dann  wird  der  Abstand  der  beiden  Punkte  alogeschritten. 
In  dieser  Weise  wird  das  ganze  Grundstück  Umschriften.  Das  Verfahren  zu 
Rofs  ist  das  gleiche,  bei  Berechnung  der  Entfernungen  werden  die  Schritte^ 
des  rechten  Vorderfufses  gezählt.  Der  Schritt  des  Pferdes  mufs  gleich  zwei 
Schritten  des  Mannes  sein,  denn  nicht  alle  WY^ge  k'Hinen  zu  Pferd  gemacht 
werden,  und  der  Reiter  mufs  alsdann  absteigen  und  dic^  h^ntfcrnung  abschreiten. 
Man  muis  also  ein  Pferd  verwenden,  dessen  Schritt  sich  dem  des  Mannc\s 
vergleicht.  Am  Schlufs  dieses  Kapitels  benun'kt  Pfmzing  allerdings,  dafs 
man  bei  keinem  Feldmesser  finden  wird,  dafs  sie  gänzlich  auf  den  Schritt 
gangen,  ob  sie  schon  bisweilen  der  .Meinung  gewc^sen,  so  fallen  sie  doch 
wieder  auf  ihre  Ruthen,  Schnur  odtu'  Grad  und  messen  das  Land  nach  der 
Elle  aus.  Darum  sind  ihre  Wege  so  scIuvcm-  und  unannchmlicli  gewesen, 
dafs  ihrer  viele   darüber  müde  gtnvorden   und  ganz  davon  gelassen. < 

Das  Ergebnis    der    ersten   Aufnahme    sind    die   IIaupt])unkte    und   Linien 
des  aufzunehmenden   Land(\s.     Sind   sie  auf  dem   PapicM"  (>ing(>tragt'n,   so   wird 

Mitteilungen  aus  dem  german.   Nationalmuseum.     1897.  VIII. 


—     58     — 

das  Land  c-in  z\V('it(>s  mal  uni<^an((('n  oder  umritten  und  Gründe,  Berufe, 
Wälder,  Deuter  u.  s.  w.  von  der  Hand  und  nach  dem  y\uL(en.scliein  darein 
L^t'risst-n.  l'unkte,  an  welclie  man  nicht  S4elant^en  kann,  oder  solche,  -da  es 
sich  niclit  gebühren  will.  L^ar  liin  zu  reiten  oder  zu  s^elu^n,*'  wie  ein  hohes 
(jtMicht,  weiiK'U,  wenn  es  auf  L^rcjfsere  (jenauis^kiMt  ankonmit,  mit  dem  Kompafs 
tlurcli   Messuni^   aus  zwei  Ständen   bestinnnt. 

\)\c   Messuni4    mit  einem   W'as^uMi    ist    zu\erlässi^^er,    als  die  zu  Fufs  oder 
zu   rferd.   weil   dcv   Umfang;'   des  Rades   stets  vollkommen  konstant  bleil)t.     Die 


Fi;r.  l',t.     Laiiilaiifiiuhiiit.'  mit  ili-r  F(l(lbu>si)le  von  I'aiil   l'fiiizint. 


Uni(lreluinL;(.'n  des  I\ad(>s  werden  durch  einen  Ijewe_L^un<{szähler,  der  auch  als 
Schrittzählei-  für  .Mann  und  R(jfs  dienen  kann,  (gezählt.  Im  übrii^en  ist  das 
Verfahren  das  L^knche   wie  zu  Fufs  oder  zu   Rofs. 

Man  sieht,  dafs  di(>  Anff)rderunL(en  an  rlie  Genauigkeit  der  AufnahmcMi 
nf)ch  S(;hr  weit  hinter  denieni<^'en  unst-rer  Zeit  zurückstanden.  Die  Aufnahmen 
PfmzinLjs  von  den  Nürnberger  Pflei^^ämtern.  der(;n  mehi-ere  im  kt^i.  Kreisarchiv 
zu  Xüi'nberL;  xcrwahrt  werden,  bewcHscm  indes,  dafs  das  l{ri_;ebnis  keineswe^^s 
so  mans^elhaft  war,  als  wii'  erwarten.  Auch  hätte  sich  die  Methode  nicht  bis 
zum    Schluls    des    16.   Jahihunderts,    also     in    eine    Zeit,     da    sowohl    genauere 


—     59     — 

Winkelinstrumente,  als  auch  der  Mefstisch  schon  in  An\vendun,f(  waren,  er- 
halten können,  wenn  ihre  Ergebnisse  allzusc^hr  hinter  den  mit  jenen  histru- 
menten  erreichten  zurückgeblieben  wären. 

Zum  Auftragen  der  Aufnahmen  verwendet  Pfinzing  entweder  das  Kom- 
pafskästchen  selbst  oder  ein  besonderes  Instrument,  das  mit  einem  Stunden- 
kreis und  Zeiger  versehen  an  eine  Reifsschiene  angeschraubt  werden  konnte. 

Genauere  Ergebnisse  lieferte  die  Aufnahme ,  wenn  das  Instrument  auf 
ein  Stativ  gesetzt  und  der  Abstand  der  verschiedenen  Standpunkte  gemessen 
wurde.  So  hat  sich  der  Feldmesserkompafs  oder  die  Eeldbussole  in  wenig 
veränderter  Form  bis  ins  19.  Jahrhundert  erhalten.  Wir  besitzen  einen  Feld- 
messerkompafs von  Quillet  in  Paris  aus  den'  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts (W.  J.   1049.) 

Das  Instrument  besteht  aus  einem  hölzernem  Kästchen  von  16  cm  Seiten- 
länge, in  welches  eine  Magnetnadel  von  106  mm  Fänge  eingesetzt  ist.  Der 
Limbus  ist  von  links  nach  rechts  laufend  in  360"  geteilt.  Auf  der  Grund- 
fläche der  Bussole  befindet  sich  ein  zweiter  Teilkreis ,  der  von  Süden  und 
Norden  aus  in  4  Quadranten  mit  Gradteilung  geteilt  ist.  Die  Orientierung 
geschieht  nach  dem  magnetischen  INIeridian.    An  der  Ostseite  ist  ein  Diopter 


Fig-.  20.    Planimetra  nach  Levinus  Hulsius. 


angebracht.  Mittels  einer  Plülse  mit  Kugelgelenk  kann  das  Instrument  auf 
ein  Stativ  gesteckt  werden. 

Hat  sich  die  einfachste  Form  den-  Feldbussole  lang(>  erhaltcm,  so  werdcMi 
doch  schon  im  Ausgange  des  16.  und  in  der  Frühzeit  des  17.  Jahrhunderts 
VcM-suche  zu  Umgestaltungen  und  Verbesserungen  gcnuacht.  Das  Wink'el- 
instrument  des  Andreas  Albrcxht  von  1625  ist  im  Grunde  ein  Hussoleninstru- 
ment ,  ein  anderes ,  auf  welches  ich  bei  der  Besprechung  jenes  hingtnvic-sen 
habe  ist  die  Planimetra,  welche  Levinus  Hulsius  aus  (]cnt  gt\g(m  l^ndc  d(\s 
16.  Jahrhunderts  konstruiert  und  1603  in  dem  ersten  Traktat  dcv  meclianiscln'n 
Instrumente  beschrieben  hat.  Das  Instrument  Planimetra  (Fig.  20)  ist  eine 
hall)runde  Scheibe  aus  Holz  oder  Messing  von  1  2  Zoll  DurclmiesscM-,  in  \V(-lche 
cnn  Kompafs  eing(^setzt  ist.  An  d(mi  I^urchmesser  ist  cm  Fiin'al  D  1'^  aus 
Messing  von  1  Fufs  Länge,  in  12  Zoll  und  diest^  in  je  5  (lerstenköi-ner  geteilt 
und  an  diesem  ein  zweites  um  die  Schraube?  L  drehbares  Lineal  1.  K.  befestigt, 
welches   statt   eines  Diopters  zum  Absehen  dient. 

Zu  denn  Instrument  gehiut  ein  Stab  \(»n  4  Vu\s  Läng(\  w(4chcM-  unti-n 
mit   eintM-   t>isernen   Spitze,    oben    mit    einem    kleinen    ürettchen     MMsclu-n    ist. 


60 


Uc\  der  Aufnahnic  wirtl  dtM-  Stab  in  die  Erde  L(e.st(xkt  und  das  InstiiuiKMit 
auf  das  I^ix-ttclicn  i^idoi^n,   womit   (\s  zur   Aufnahnu'   fertig'  ist. 

Vm  dit'  Planiiurtra  aucli  zur  Mcssuni,'  xon  I  I(")hrn  verwenden  zu  kcinnen, 
ist  auf  tler  Rückseite  ein  L^^eonietrisclies  Quadrat  angebracht  und  dcM'  Unifan^^ 
(k's  HalbkrcMses  in  (}ra(k>  i^^etcMlt,  von  ck-r  Mitte  nach  links  0 — 90,  nacli  rechts 
360  270,  Wird  nun  ckas  Instrument  in  vertikakn-  l\ichtuni{  an  ck-m  Stab 
beft.\sti_L;t,  so  kcumen  mittels  des  Lotmafses  auf  dem  Quadrat  I  kihen  bestinunt, 
untl  es  kann  durch  H(>obachtunL,^  der  Stellung*  des  Lötens  auf  dem  geteilten 
Umfang  nivelliert,  sowie  die  Höhe  der  Gestirne  über  dem  Horizont  abgelesen 
werden. 

Die  Operationen  zur  Messung  von  horizontalen  Winkeln  sind  di(>selben 
wie  bei  anderen  Feldbussolcn.    Auch  zum  Auftragen  der  Zeichnung  kann  di(; 


Fiy.  21.    Feldnierskoiiipars  aus  der  Frülizeit  des  18.  .lahrhuiiddits.     W.  .1.  172. 

Planimetra  benützt  werden.  Hulsius  beschreibt  aber  unter  dem  Nanum  In- 
ductorium  auch  ein  Zulegeinstrument ,  das  (k;m  des  Paul  Pfinzing  nachge- 
gebild(.'t  ist. 

Es  leuchtet  sofort  (mu,  dafs  auch  die  Planimetra  noch  c\n  ziemlich  un- 
vollkommenes InstruuKMit  war,  mit  welchem  eine  grofsc^  Genauigkeit  nicht  er- 
zielt werden  konnte.  k]!in  Mangel  ist  der,  dafs  sie  keinen  festcMi  ,  mit  dem 
Scheitel  des  Winkels  zusammenfallenden  Drehpunkt  hat,  ein  anderer,  der 
auch  den  obc^n  beschriidn-nen  h'eldbussolen  genunn  ist  ,  dafs  die  Visierlinie 
exzentrisch  liegt,  d.h.  dafs  sie  sich  mit  der  Drcdiungsaxe  d(M-  Magnetnadel 
nicht  kreuzt.  Die  ('beistände^  welche  die  (exzentrische  Eag(^  der  VisitM'axe 
zur  k\)lge  hat,  sind  schon  bei  15esprechung  des  VVinkelinstruuu'nt(\s  des  y\n- 
dreas   Albrecdit   er(»rt(n1    worden. 


61 


Diesen  Übelständen  wurde  in  der  Fol^^c^  ahi^eholfen.  Das  germanische 
Museum  besitzt  einen  Feldmesserivompafs  aus  der  Frühzeit  des  18.  Jahrhun- 
derts W.  J.  172  (Fig.  21).  Auf  einer  rechteckigen  Alessingplatte,  welche  mit 
einer  Hülse  auf  ein  Stativ  gesteckt  werdcm  konnte,  ist  eine  Bussole  von  10  cm 
cäufserem  Durchmesser  mit  eini'r  Magnetnadel  von  6'  2  cm  Länge  befestigt.  Der 
Teilkrcns  ist  in  360  (jlrade  geteilt.  HruchteiU;  von  solchen  kcmnen  noch  bis 
auf  ungefähr  ein  Viertel  eines  Grades  geschätzt   werden. 

Seitlich  ist  ein  Halbkreis  von  FS  cm.  Durchmesser  angebracht,  an  welchem 
sich  zwei  Diopter  befinden.  Das  eine  dient  zur  Messung  von  horizontalen 
Wink(^ln  und  seine  Axe  kreuzt  die  mit  dcv  Drehungsaxe  des  Instrumentes  zu- 
sammcnfalU^nde  Axe  der  Bussole.  Das  andere  steht  über  dem  Halbkreis  und 
seine  Sehaxe  ist  dem  Durchmesser  desselben  parallel,  es  wird  bei  H(')hen- 
messungen  angewandt. 

Der  Flalbkreis  ist  mit  einem  Lotmafse  versehen  und  von  der  Mitte  aus 
nach  beiden  Seiten  in  90  Grade  geteilt.    Eine  zweite  Teilung  nimmt  von  dem 


Fig.  22.    llängekoiuiKifs  von  .Viidreiis  Wolf  in  München,  zwritu  JliUl'te  des  18.  .laliiliiindri-ls 

W.  J.  845. 


Nullpunkt  aus  nach  beiden  Seiten  einen  Winkel  von  76  Grad  ein.  Diesc^  Tei- 
lung (in  40  Teile)  ist  eine  Übertragung  der  Teilung  des  geometrischen  Qua- 
drates auf  den  Kreis. 

Ein  zweites  Instrument  W.  J.  845  (1^'ig.  22),  bei  welchem  die  Ablesung 
gleichfalls  unmittelbar  an  der  Bussole  \orgcMiommen  wird,  ist  ein  Hängc^kom- 
pafs,  wie  solche  in  den  Bergwerken  Inmützt  werden.  Das  InstrunnMit  ist  xon 
Andreas  Wolf  in  München  wohl  in  dcM"  zweiten  Hälfte  dc>s  18.  Jahrhunderts 
gefertigt.  Die  Ihissole  ist  in  zwei  Ringen  aulgehängt  und  stellt  sich  von  st'lbst 
horizontal.  Der  äufsere  Ring  ist  \'om  I  lorizont  aus  in  4  Quadranten  zu  je 
90"  geteilt.  Die  Bussole^  trägt  StundcMiteilung  von  0—24.  jcule  StmiiU-  ist 
in  8  Teile  geteilt. 

Die  Messung  mit  d(Mn  1  längc-kompafs  wird  in  di-r  VWmsc-  xorgiMiommtMi, 
dafs  Schnüre  in  der  Richtung  der  \Vink(4sch(Mikc4  ausg(\si)annt  wc-rden,  imd 
dafs   das    Instrument    an  diese   Schnüre^    L^ehänut    wird.      Die   DitU'renz   der   Ab- 


--     62       - 

I('^iinL;c-n  (MLjilit  dir  riicMsc  des  Winkels.  UniL,U'k(dirt  kann  ('in(>  bcstimintc 
Kichtim^  aliL;istt'(kt  wcnhMi,  wenn  man  die  Schnur  an  cincnn  Fixpunkte  hc- 
li'stiL;!,  das  Instiuiucnl  autliäuLjt  uml  das  freie  k!nde  der  Sclinur  solauL^e  hin- 
und  liertx-wc's^t  ,  bis  die  Nadel  auf  die  vorlierhestinimte  Richtun^^  einspielt. 
1  )ie  luissele  kann  aus  den  Kinnen  lierausi(en<iuunen  und  in  cMue  mit  Dioptern 
xcrseluMU^  l'latte,  wehdie  wiedcM'  auf  t'iner  s4r<')iscM  t-n  recht(xkiL(i>n  Platte  ruht, 
eiuL^elasscMi  wenU'n.  /\uf  der  (ilxM-en  Platte  ist  um  die  Oftnun^'  für  die  I-)Uss()le 
t'in  Kreis  eins^e/eichnet,  i\cy  von  der  X'isierlinie  .aus  in  Ouadranten  zu  90" 
i^ettalt    ist. 

Das  Instrument  kann  in  di(\ser  k'orm  auf  einer  Fläch(>  helfend  zur  Winkel- 
uiessunL^f,  sowie'  zum  /\uftrai.,U'n  der  gemessenen  Winkel  (als  so^^enanntes  Zu- 
let.,U'zeuj4)   lienützt   werdtMi. 

VÄn  cähnliches  Instrument  mit  Stundentcnlun^,  von  1668  ist  unvollständig, 
es   ft'hlt   die   1  Län^H'\-orrichtunt(. 

(Fortsctzunt^  folfjt.) 

NürnberL^  Gustav   von  Bezold. 


Ein  süddeutsches  bürgerliches  Wohnhaus  vom 
Beginne  des  18.  Jahrhunderts. 

(Mit   14  Tafeln.) 
(Fortsetzun«^.) 

Die  Küche  (Taf.   IX). 

fC¥r?>w-^ic  t^n-ofse  i^'eräumigc;  Küche  zeigt  rechts  das  \iercckigc  Fenster  mit 
J')\^h^y^  den  runden  verbleiten  Scheiben,  welches  in  das  soeben  besprochene 
]^^3^^tt^  Wohn-,  auch  P^fs-  und  Arbeitszimmer  führt.  Der  Boden  kst  mit 
([uadratischen  Steini)latten  gepflastert,  die  I3eck(^  getcäfelt,  die  W^ände  sind 
wohl  als  weifs  oder  gelljlich  getüncht  anzusehen.  Aufser  dem  erwähnten 
kleinen  P'enstcr,  das  in  das  Zimmer  führt,  hat  die  Küche  noch  zwei  gröfsere, 
von  denen  aber  das  (nne  hall)  vermauert  ist,  so  dafs  dieser  Raum  für  seine 
Cir<")fse  eigentlich  nicht  sehr  viel  Licht  hat.  f3as  wichtigste  Stück  der  Küchen- 
einrichtung ist  der  gemauerte  Herd  mit  seinem  mächtigen  Alantel  ,  durch 
welchen  der  Rauch  abzieht.  Gar  lustig  brennt  das  Ferner,  um  die  Speise, 
die  sich  in  der  Pfanne  befindet,  welche  der  Pfannenhalter  an  der  Wand  trägt, 
/.]\  bereiten.  Auf  dem  Herd  befindet  sich  an  der  Wand  ein  gemauerter  Auf- 
satz, der  wohl  zur  Bereitung  \'on  Backwerk  dient.  Ivs  scheint,  dafs  ein 
eisei-ucs  l\(ihr  den  Rauch  aus  dem  Ofen,  der  im  Zinuner  nebe-n  dem  mehr- 
ei-\\;dmten  l-'enster  steht,  in  den  Schlot  leitet.  Auf  (U:r  Herdplatte  liegt  eine 
eiserne  Zange,  in  dem  flogen  untei'  dem  Heide  Brennholz.  L^m  den  Schlot- 
inantel   gehen    zwei    hrilzerne    R.'ihmchen,   auf  welchen   allerlei    fjeschirr   steht. 

Das  grc'.lste  .Möbel  der  Küche  ist  der  .an  der  gegenüber  lic^genden  Wand 
stehende  ni(^diige  einkiche  Schrank  mit  zwei  grofsen  Mügi'ltliiiren ,  dessen 
l'.eken    abgeschrägt    sind.       in    dit;sem    Schrank    wirtl    wohl    besseres    Gc'schirr, 


—     63     — 

das  man  nicht  alle  Tag  benützte,  aufbewahrt  worden  sein.  An  der  dem  Be- 
schauer zugekehrten  schmalen  Seite  des  Schrankes  hängt  ein  rechteckiger 
eiserner  Rost  mit  vier  Füfsen  und  hölzernem  Handgriffe,  der  zum  Braten  der 
Bratwürste  gedient  haben  dürfte.  Auf  dem  Schranke  stehen,  an  die  Wand 
gelehnt,  einige  runde  Platten  mit  Handgriffen,  einige  kleinere  Platten  ohne 
solche,  dann  eine  viereckige  Pfanne,  ferner  einige  kannenähnliche  Gefäfse 
ohne  Henkel,  ein  Hafen,  ein  Krug  und  wie  es  scheint,  eine  ovale  zinnerne 
Wärmflasche,  wie  sie  in  Süddeutschland  heute  noch  in  Gebrauch  ist. 

Neben  dem  Fenster,  das  in  das  Zimmer  führt,  steht  ein  Anrichtetisch, 
auf  dem  in  friedlichem  Vereine  eine  zinnerne  Schraubenkanne,  ein  Becher 
und  ein  Blasebalg  sich  befinden.  Unter  demselben  stehen  auf  dem  Brette 
zwei  kupferne  Kannen,  ein  Krüglein  und  noch  einige  Gefäfse,  auf  dem  Fufs- 
boden  ein  Kehrichtfafs  und  eine  Mausfalle.  An  der  P\ifswand  der  Anrichte 
hängt  ein  Hammer  und  eine  Bürste;  in  dem  Winkel,  den  dieselbe  bildet, 
lehnen  Besen  und  Schaufel,  für  welche  die  Nürnberger  »Haufs-Halterin,«  wie 
nachstehend  zu  ersehen  ist,  besondere  Behälter  anführt.  In  der  andern  Ecke 
lehnt  die  Ofengabel,  nnt  welcher  Töpfe  in  das  Feuer  gestellt  oder  aus  dem- 
selben geholt  wurden.  An  Mobiliar  ist  noch  zu  erwähnen  ein  grofser  Geflügel- 
käfig, der  nicht  unbelebt  ist,  und  eine  ziemliche  grofse  Bank  mit  geschweiften 
Beinen,  auf  welcher  —  ein  seltener  Gast  in  der  Küche  —  ein  Mann  mit 
einer  Tabakspfeife  in  der  Linken,  den  linken  P'ufs  auf  einen  viereckigen  Klotz 
gestützt,  sitzt.  Was  hat  dieser  Mann  in  der  Küche  zu  thun.^^  Vielleicht  hat 
er  sich  eine  Kohle  auf  den  Tabak  seiner  Pfeife  gelegt  und  ruht  nur  einen 
Augenblick  aus.  Die  Küche  ist  kein  Aufenthalt  für  Männer.  Nach  Alwin 
Schultz  ^'^)  bindet  die  Köchin  dem  Manne,  der  sich  unbefugt  eindrängt,  die 
Küchenschürze  —  in  Augsburg  Küchen-Fürfleck,  in  Nürnberg  Küchenfleck 
genannt  —  um,  und  er  mufste  sich  mit  einem  Trinkgeld  loskaufen.  Ebenso 
machten  es  die  Scheuerweiber,  die  den  Mann,  der  in  ihr  Bereich  kam,  mit 
Stroh  banden.  Der  Korbmacher,  der  weiter  hinten  einen  Korb  ausbessert, 
hatte  ein  solches  Verfahren  nicht  zu  befürchten ;  seine  Arbeit  gab  ihm  ein 
Recht  zum  Aufenthalt  in  der  Küche.  Die  dritte  Person,  die  sich  hier  befindet, 
ist  die  Köchin,  die  im  Hintergrunde,  am  Gofsstein  (Ausgufs)  vor  dem  Küchen- 
fenster, mit  dem  Spülen  (Scheuern)  des  Geschirres  beschäftigt  ist.  Zu  ihrer 
Rechten  steht  ein  hölzerner  Kübel,  zu  ihrer  Einken  stehen  zwei  Fässer;  vor 
ihr  läuft  zwischen  den  zwei  Fenstern  eine  Bank,  bezw.  ein  schmaler  Tisch. 
An  dem  Pfeiler  zwischen  den  zwei  Fenstern  hängt  oben  ein  Bund  Lichter  (.?), 
darunter  zwei  Schüsseln  mit  Griften,  \ielleicht  Spülschüsscln ;  an  dem  zuge- 
mauerten Teile  des  linken  Fensters  ist  ein  L()ffelrahm  mit  acht  Löft'eln  ver- 
schiedener Art. 

Betrachtet  man  das  übrige  Geschirr,  mit  dem  dic^  Küche  ausgcM'üstet  ist, 
so  sind  zunächst  an  der  Wand,  die  mit  dem  Zimmer  gemeinschaftlich  ist, 
vier  Pfannen  mit  langen  Stielte,  wohl  aus  Messing,  anzuführen.  Darunter 
hängen  eine   Lichtputzscheere    und    zwei    L(>uchter    aus  Messing    oder    Kujjfer 

16)  ;i.   a.   O.   S,    14<)  und    14(). 


—     64     — 

mit  Kcr/cn.  tMn  SpülhacUMn  (Sclu'ucrlapjx-n)  und  c\nv  ijrofso  Spülschüsscl, 
dir  in  der  Gc^UMiwart  miMst  aus  IMccli  ist.  Auf  dem  Schlotmantel  habt;n 
Häfen  \H'rsclii(,'dentM-  Gr(')fse,  'ric'_i,U'l,  Krü^e  mit  Deckeln  und  anderes  mehr 
Platz  tfefuntlen.  Cber  dem  Schranke^  rechts  finden  sich  zwei  Reihen  von 
/inniMuen  'l\Ml(Mn,  Schüsseln  und  Platten  und  einige  kupferne  Backformen, 
darül)er  ein  Satz  von  acht  th(")ncrnen,  gewundenen  Krügen,  wahrscheinlich 
dunkelblau  glasiert,  mit  Deckeln.  Daneben  stehen  wieder  zwei  zinnerne 
Tiegel  mit  Deckel  und  noch  ein  Deckelkrug.  Ganz  oben  hängen  verschiedene 
Lebensmittel:  einige  Schinken,  ein  ballonartiger  Korb  mit  unbekanntem  Inhalt, 
ein  1  läse  und  zwei  Bündel  kleineres  Geflügel ,  wahrscheinlich  Feldhühner. 
Ihnen  schliefsen  sich  noch  drei  Schüsseln  mit  Plandgriffen  an,  jenen  beiden 
gleich,  welche  an  dem  Fensterpfeiler  hängen. 

So  hübsch  die  Küche  ausgestattet  ist,  so  würde  die  Köchin,  welche 
anfangen  wollte  zu  kochen  und  zu  backen,  doch  recht  viel  vermissen;  es 
konnten  eben  die  Kleinigkeiten,  welche  zur  Ausstattung  einer  Küche  gehören, 
nicht  alle  auf  der  Zeichnung  angebracht  werden.  Was  man  damals  aber  zur 
PZinrichtung  einer  Küche  für  notwendig  erachtete,  sagt  ausführlich  die  Nürn- 
berger Uaus-Halterin«,  die  zum  Schlüsse  der  nachstehenden  Mitteilung  auch 
der  Prangküchen  gedenkt,  die  in  Nürnbergs  bessern  Häusern  der  Stolz  der 
Hausfrauen  war.  Sie  schreibt  über  die  Küchen:  »Von  einer  wohl-gebauten 
Küche  wird  vornemlich  erfordert,  dafs  sie  nicht  allzu  weit  von  der  Efs-Stube 
entfernet  seye,  damit  nicht  im  Winter  das  Essen,  wann  es  so  weit  getragen 
werden  mufs,  kalt  auf  den  Tisch  gebracht  werde,  sie  soll  weit  und  hell  seyn, 
rings  um  mit  niedern  Behältern  umgeben,  und  einen  kleinen  Kämmerlein  zu 
Besen,  Spiel-standen  und  dergleichen  Gezeug  versehen  seyn,  einen  grossen 
und  breiten  Herd,  weiten  und  wohl-geführten  Schlot,  so  nicht  rauchet,  und 
zu  Aufhäng-  und  Dörrung  des  Fleisches  dienliche  Eisen,  wie  auch  sowohl 
um  den  Schlot  innwendig  einen  hölzernen  Rechen  die  Häfen  daran  zu  hangen, 
als  auch  auswendig  und  an  allen  Wänden  kleine  Rähmlein  haben,  allerley 
Zien-Geräthe  darauf  zu  stellen,  oder  die  Pfannen  auf  zu  machen,  nicht  w'eniger 
hier  und  dar  verzierte  Schrauben,  die  so  zicncn-  als  kupferne  Becken  und 
Näpfe  daran  zu  hängen. 

Das  Zien-werck  bestehet  aus  Hand-beckcn,  und  dazu  gehörigen  Auf- 
güssen, allerley  Gattungen  von  grofs-  und  kleinen,  flach-  und  tiefen  Schüsseln, 
Bratens  Dellern ,  gemeinen  und  nach  jetziger  neuerfundenen  Art  mit  Ein- 
giessung  warmen  Wassers,  sehr  bequemen  Wärm-Dellern,  Wann-  und  andern 
zu  manchcrley  Gebrauch  insgemein  dienlichen  Becken,  Fisch-  und  Schwanck- 
Kesseln,  aus  Kannen,  Krügen  und  Flaschen,  unterschiedlicher  Art  Leuchtern, 
Schüssel -Ringen.  Saltz-P'ässern  ,  Pasteten -Tiegt>ln,  Pasteten -Blechen,  Thee- 
Kann(>n  etc.  etc. 

Von  .Messing  hat  man  in  der  Küche  grofs-  und  kleine  Mörser  mit 
ihren  Pistillen  und  Stämijfeln  ,  Leuchter  und  Putz  -  schet-ren  oder  Liecht- 
--chneutzen,    Kessel   und   Pfannen,   (jlut-  und   Wärm-Pfmuen. 

Von  Kujjfer,  Wasser- Häfeii,  Sch(")pf- IkU'c-n,  einwendig  wohl  v(M-zient(> 
Kdclid  läfen    und   Stiitzeu,   Schwanck-   und    KüliLKessel .   samt   (Umhmi   tlazu   ge- 


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—     65     — 

hörigen  Schwanck  -  Brettern ,  Fleisch -Schäffern,  Seyer,  Salat -Sieblein,  Spiel- 
Ständen.  Butten  und  Stüzcn,  Brat-Pfannen,  Meel-Kübelein,  Mülterlein,  Kohl- 
und  Glut -Pfannen,  Bett -Wärmer,  Dorten- Pfannen,  Schärtlein  zu  kleinen  Pa- 
stetlein und  allerleyBach-werck,  grofs-und  kleine  Becken,  sonderlich  auf  Muschel 
Art  getriebene  Becken,  die  so  genannten  Gogel-hopfen  darinnen  zu  bachen, 
Schüsseln ,  und  dergleichen ,  welches  alles  einwendig  wohl  verzinnet  ist.  Zu 
geschweigen,  dafs  die  meinste  Ausgufs  in  denenen  mehresten  hiesigen  Häusern 
aus  Kupfer  bestehen. 

Das  Eiserne  Kuchen-Gerät  he  ebenfalls  zu  benennen,  sind  selbiges 
die  Bräter  oder  Braten-wender,  und  entweder  hier  zu  Land  Feder-Bräter,  oder 
Zug-  und  Gewicht-Bräter ,  samt  denen  dazu  gehörigen ,  wie  auch  allerley 
Arten  von  Hand-Spifsen  also  genannt,  weil  man  sie  mit  der  Hand  umdrehet; 
theils  Orten  werden  auch  die  Bräter  von  Hunden  umgetrieben:  Man  hat  von 
Eisen-werck  in  denen  Küchen  beedes  Brat-Pfannen  und  gemeine  Pfannen,  Glut- 
oder Kohl-Pfannen ,  Schüssel-Ringe ,  gemeine  und  aufgebogene  Stirzen  zum 
abbräunen,  Rost,  tiefe  Traif-Löffel,  löcherichte  Faim-Löffel,  flache  löcherichte 
Bach-Löffel,  Fisch-Reisten,  Hack-messer,  Fleisch-parten,  Bratwürst-Zänglein, 
Fisch-Schäufelin,  Schmaltz-stecher,Spick-Nadel,  Leuchter  und  Liecht-schneutzen, 
Feuer-zeug,  Feuer-Zangen,  Feuer-Hacken,  Pfannen-Knechte,  Dreyfufs,  Ofen- 
Gabeln,  Ofen-Schäuffclein. 

Von  Holz-werck  Koch-Löftel,  ein  Hack-bret,  Dellcr,  samt  dem  dazu 
gehörigen  Gestell,  tiefe  Schüsseln,  allerley  Fleisch-  uud  Fisch-Bretter,  Mülter- 
lein. Gewürtz-Büchsen ,  Spül-Standen ,  Schäffer,  Ständlein,  ein  Kehrig-fa(s, 
Kehr-wisch  und  Kehrig-Schaufel  samt  einen  Ofenrohr:  Allhier  in  Nürnl)erg 
haben  theils  Frauen  eine  grosse  Freude  mit  besondern  Prang-Kuch  en , 
darinnen  niemal  gekochet,  sondern  das  Gerethe  nur  allein  zur  Zierde  und 
Gepräng  aufgestellet  wird,  da  siehet  man  nichts  von  Eisen  noch  Holtz, 
sondern  es  mufs  alles  von  Zinn  und  Messing  schimmern  und  gläntzen,  auch 
sogar  der  Besen-stiel  und  das  Kehrig-fafs  von  Zinn  gemachet  seyn,  ob  man 
nun  davon  nicht  füglicl  sagen  möchte:  Wozu  dienet  dieser  kostbare  Unrath.i^ 
lasse  ich  andere  davon  urtheilen.« 

Auf  unserer  Darstellung  der  Küche  befindet  sich  links,  neben  dem  halb- 
gemauerten Fenster,  eine  Thüre,  die  offenbar  in  die 

Speisekammer  (Taf.  X) 
führt,    deren    rechts  befindliche    halb    geöfthete  Thüre    mit  der  11üire   in   der 
Küche  zusammenfällt. 

Die  Speisekammer  macht  einen  rcxht  angenc-hmen  ]{indruck;  der  wohl 
ausgestattete  Raum  läfst  auf  gute  Yermög(Mis\  eiiiältnisse  und  eine  tüchtige 
fürsichtige  Hausfrau  schliefsen.  Gar  stattlich  prästMitiert  sie  sich  in  dem- 
selben. Hier  ist  ihr  wohl.  P2ifrig  ist  sie  —  unterstützt  von  ihre)-  Tochter  — 
bedacht,  die  Vorräte  zu  ergänzen  und  dafür  zu  sorgen,  dafs  ik>r  richtige 
ZcMtpunkt   hiefür  nicht   \(U'säunit  wercU^ 

Mitteilungen  aus  dem  german.  Nationalmuseum.     1897.  IX. 


--     66      - 

Durch  zwei  l'\nist(M-  in  (1(m-  Art  der  übris^uMi  fällt  Liclit  in  di(^  Speise, 
der(M"i  [''urslxulcn  urid  Decke  s^ehrettert  ist.  Dinks  vorn  steht  ein  Kasten  mit 
ScIiubladiMi,  wi'lclu"  Iliilsenfrüchte  und  Mehl  I)t;rL,^(-n.  An  der  vordem  Seite 
desselht-n  hautet  ein  Netz  und  cmu  Jiratspiefs.  Auf  cUmii  Kasten  sind  Scnfen- 
stiicke  auf^eschlichtc^t  und  steht  c'mc  Platte  mit  1^'ischen  (r).  An  der  Wand 
liäUi^iMT  zwei  W'iirste  und  zwei  SäckchtMi,  welche^  wohl  Kräuter  enthalten.  In 
di'm  darüber  bi'tindlichen  \Vandschränkclu;n  mit  Doppelthiuen  bewahrt  die  l*"rau 
des  1  lauses  wahrscheinlich  (jewürze  ,  iMUL^emachte  und  j.,fetrocknete  l''rüchte 
um!  antlere  Ljute  SacluMi ,  durch  w(dche  sie  ihren  Speisen  (M'höhten  Wohlge- 
schmack zu  verleihen  weifs.  An  der  Seite  häns^t  ein  Reibeisen;  auf  dem 
Scliranke  steht  eine  Schüsse;!  mit  Krug  und  ein  Haspel  zur  Abnahme  des 
Garnes  xom  Spinnrad.     Darüber  hängt  an  der  Wand  eine  eiserne  Bratpfanne. 

Gar  stattlich  erscheint  n(>ben  diesen  Schränken  ein  grofses  Repositorium, 
welches  unten  das  Kssigfafs,  daneben  ein  anderes  Fäfschen  und  einen  augen- 
blicklich nicht  benutzten  Hühnerstall  enthält,  während  in  den  vier  ober  Bor- 
den grofse  Schüsseln  und  [Matten  aus  Zinn  und  buntbemalter  Fayene,  mäch- 
tige Krüge  und  Kannen  stehen,  welche  nur  bei  festlichen  Gelegenheiten  diesen 
Raum  \erlassen,  um  die  Tafel  zu  zieren.  Auch  ein  Mörser,  Tiegel  mit  Deckel, 
Töpfe  u.  a.  sind  hier  aufgestellt.  An  der  Seite  hängt  ein  Eimer,  wahrschein- 
lich aus  Kupfer .  vielleicht  fih'  Fische.  Zwischen  den  beiden  Fenstern  ist  in 
die  Wand  ein  Schränkchen  eingelassen ,  in  welchem  Gläser ,  darunter  solche 
in  Römerform,  sich  befinden.  Unter  dem  Schränkchen  hängt  wiederum  ein 
gestricktes  Xetz  und  steht  ein  Brett ,  an  die  Wand  gelehnt.  Links  davon 
stellt  ein  Bratspiefs,  rechts  ein  Tritt  mit  vier  Stufen,  um  zu  den  hochstehen- 
den oder  hängenden  Gegenständen  gelangen  zu  können. 

An  der  rechten  W^and  hängt  an  dem  Pfeiler  neben  der  Thüre  ein  Seiher 
—  wohl  aus  Kupfer  —  mit  langem  Stiele.  Die  übrige  T>änge  der  Wand 
nimmt  eine  Anrichte  ein.  Unter  der  Platte  derselben  hängt  zunächst  ein 
Salzfafs,  dann  findet  sich  ein  sehr  grofser  llaf(.;n  aus  gebranntem  Thon  und 
zwei  hölzerne  Kübel,  welche  Butter  und  Schmalz  enthalten  dürften.  An  der 
Seitenwand  der  Anrichte  hängen  cMue  runde  Pfanne  mit  Stiel  und  ein  eiserner 
rechteckiger  Rost,  l'ber  der  Platte  hängt  vnn  der  Decke  an  eiserner  Kette 
eine  ziemlich  grofse  Wage;  heral),  um  das  (jewicht  der  angekauften  Vorräte 
j)rüfen  und  (Jie  zur  Bereitung  der  Speisen  notwendigen  Mengen  al)wiegen  zu 
kcjnnen.  Auf  der  Anrichte  stehen  Cj(n\ichte,  die  Spitze  eines  Zuckerhutes, 
eine  angeschnittene  runde;  Scheibe  (Käse;  od(.M- Salz)  und  ein  Krug  mit  Henkel 
und  Ausgufsröhre.  Auf  den  Rahmcm  über  der  Anrichte  stehen  Krüge  verschie- 
dener h\)i-m,  wahrsclieinlich  für  P'ruchtsäfte,  Ole  u.  s.  w.  Finks  davon  hängen 
zwe'i  runde  Platten,  rt'chts  ein  'J'richter  mit  langem  Stiele  und  ein  Lichter- 
krtrbchen,  sowie  zwi'i  Pjüschel  Unschlittlichter,  daiiilx-r  zwei  geflochtene  Körbe 
verschiede'uer  Form,  Schliefslich  ist  noch  zu  ei-wähnen,  ein  getl(.)chtt:ner  seich- 
ter r(.-chteckiger  Korb,  der  nebst  einer  Schüssel  auf  einer  Bank  vor  der  P'rau 
des  Haus(;s  steht,  ein  hülischer  rundcM'  Tisch,  der  eigentlich  besser  in  ein 
Zimmer  jjalst.  mit  einem  Korb  \-oll  Früchte,  einer  Krume  und  einem  nmden 
llolzteller  mit  zwe!  uuiudgerecht   gemachten  BriUchen  und  oben  an    der   Deck(> 


^     67     ^- 

ein  an  drei  Ketten  hängender  kronleuchtcrartiger  eiserner  Kranz,  welcher  ein 
halbes  Dutzend  sicher  delikater  Schinken  trägt. 

Die  Nürnberger  »Haufs-Halterin«  ergeht  sich  in  sehr  ausführlicher  und 
lehrreicher  Weise  über  die  Speisekammer.  Sie  hält  neben  der  Speisekam- 
mer eigentlich  noch  ein  Speisegewölbe  für  notwendig,  >  wiewol  die  Unbequem- 
lichkeit der  Häuser  offtermals  eine  kluge  Haus-Mutter  nöthigct,  aus  beeden 
eines  zu  machen,  oder  wohl  gar  einen  besondern  S})cifs-Behalter  verfertigen 
zu  lassen.«  Ihre  weiteren  Ausführungen,  die  öfter  mit  unseren  Darstellungen 
übereinstimmen,  lauten  folgendermafsen : 

»In  der  Speifs-Kammer,  welche  nebst  der  Küchen,  und  den  gewöhnlichen 
Wohn-Zimmern ,  auf  einer  Ebene  scyn  solle  ,  wird  der  kleinere  ,  in  dem  Gc- 
wölb  aber  der  gröffere  Vorrath  aufbehalten :  Zu  solchem  Ende  siehet  man  in 
denen  Speifs-Kammern  eine  gewiese  Anzahl  Schubladen  mit  allerley  Zugemüfs, 
von  Einsen ,  gantzen  und  gcrendelten  Erbsen ,  gekncuten  oder  abgebälgten 
Hirfs  zum  kochen,  gantzen  Hirfs  und  Wicken  zu  Mästung  der  Tauben,  Weitzen 
vor  die  Hüner,  Heydel,  Grob-  und  Klarer  Gersten,  Reifs,  Schönen  Mecl  und 
Mettel-Meel,  allerley  dürren  Obst,  als  Zwetschgen,  Aepfcl-  und  Birn-Schnitzen, 
wie  auch  mit  Saltz  ctc  angefüUet :  Ingleichen  etliche  noch  andere  Schubladen, 
zu  denen  Unschlicht-Eiechtern. 

Es  gehören  herein  etliche  zinnerne  oder  auch  nur  höltzerne  Büchsen, 
zu  den  gestossenen  Zucker  und  gemahlenen  Gewürtz ,  als  Ingwer ,  Pfeffer, 
Negelein ,  Cordomomen ,  Saffran,  Nuscaten-blüh ,  deren  letztere  nicht  viel  auf 
einmal  gcstossen  werden  solle  ;  die  Muscaten-Nüsse  und  das  Zimmet  im  Vor- 
rat gar  nicht,  wiewol  man  sie  gleich wol  in  dergleichen  Büchsen  annoch  gantz 
in  die  Speifs-Kammer  zur  Hand  zu  stellen  gewohnet  ist. 

Nebst  denen  zinnernen  Gewürtz-Büchsen,  hat  man  auch  in  den  Speifs- 
Kammern  zinnerne,  oder  in  Ermanglung  derselben,  erdene  Butter-Tigel ,  so 
wol  zur  frischen  Koch-  als  auch  eingesaltzenen  Butter,  wiewol  diese  letztere 
in  i;rdcnen  Geschirren  weit  besser  aufgehoben  wird :  So  soll  man  auch  von 
frischen  Schmaltz  und  guten  Baum-Oel  allezeit  etwas  in  der  Speifs-Kammer 
bei  Händen  haben ,  damit  man  nicht  defshalben  jedesmal  in  das  Speifs-Ge- 
wölb  oder  den  Keller  zu  lauffen  gcncithigt  seyc  :  Und  weil  di(^  Speifs-Kammern 
auf  den  Seiten  gemeiniglich  um  und  um  mit  Rähmlein  \ ersehen,  als  pfleget 
man  sie  mit  allerley  Gattungen ,  grofs-  und  kleinen ,  tief-  und  flachen  aus 
Porzellainen  gemachten  Schalen ,  zu  luancherley  (jcbrauch  zu  besetzen ,  und 
die  noch   übrige   leere  Wand   mit  allerley  Sorten   \on   l\(")rbcn   zu  behängen. 

Auf  den  Gesimsen  stehet  die  Saife  in  xicreckichtc^  Stücke  geschnitten 
aufgestellet ,  damit  sie  desto  besser  ertrocken,  wie  auch  etliche  Schachteln, 
voll  gedörrten  Maurachen  oder  Morgeln,  (Champignon,  aufgetrockneten  Spargel 
und  Artischocken-Kernen,  diirren  1  liefen  oder  I  lagen-butten  ,  \\\'ixeln.  Prü- 
nellen  oder  auf  dergleicluMi  Art  zugtM-ichteten  geschc-lten  Pllauinen  und  Zwetsch- 
gen, dürren  Eorbc>er(;n,  MajcM'an,  Salbe\',  Rosiuai-in,  dann  unel  wann  zu  aller- 
ley Brühen  und  Sosen  zu  gebrauchen;  die  ülMige  noch  \i:cvc  Simse  werden 
mit  Zucker-hüten   besetzet: 


-     68     — 

Vhcv  dieses  alles  L(eh()ret  noch  in  eine  Speifs-Kaninicr,  ein  t^utes  Schnitt- 
Messer,  das  Gewürtz  und  antlere  harte  MateriaHcm  damit  zu  schneidern,  eine 
Gewiirtz-Mühl  ,  s^rols-  und  kleine  Walcher-h(')lzer ,  Pasteten-  und  Raviolen- 
Rädlein,  ht^lzerne  Spritzen,  mit  ihren  dazu  gehcuii^fcn  StcM-n,  wie  auch  allerley 
Mcklel  und  l'\)rmen  zu  unterschiedlichen  Bachwerck,  vor  allem  ahc;r  ein(.>  gute 
Waai^f  und   richtit^es   \voh!-abi4eeigt(\s   Gewicht. 

Das  Speirs-(jew(')lb  umls  von  allen  diesen  jetzt-heschriebenen,  mit  cMuen 
weit  gr()ss(Mn  Vorrath  ,  und  noch  mit  vielen  andern  Sachen  dazu  versehen 
seyn :  und  solchem  nach  die  fleissi^^c  Maufs-Alutter  ausrechnen,  was  sie  das 
lahr  über  beyläuffig  von  diesem  und  jenem  zu  verbrauchen  n(")thig  habe,  und 
so  dann  im  X^^rruth  zu  rechter  Zeit ,  wann  es  gut  und  wohlfeil ,  nicht  aber 
annoch   rar  und  teuer  ist,  einkauffen  lassen. 

Was  das  Zugemüfs  betrifft ,  (dafs  wir  bey  der  in  der  Speifs  -  Kammer 
gehaltenen  Ordnung  bleiben)  gehöret  solches  samt  dem  Mehl  nicht  hierein 
in  das  Speifs-Gewölb,  weil  man  gar  selten  so  trockene  Gewölber  findet,  da- 
rinnen sie  sich  nicht  patzen,  anlauffen,  und  so  dann  einen  widrigen  Geschmack 
anziehen  sollten :  sondern  an  einen  trockenen  Ort ,  in  eine  Neben-Kammer, 
oder  aber  in  einen  besondern  Verschlag  oben  auf  den  Boden ,  w(jhin  man 
auch  das  in  grossen  mit  Schlössern  verwahrten  Stübichen  oder  \'ers];)errten 
Truhen  befindliche  dörre  Obst  setzen,  und  als  einen  guten  und  nützlichen 
Vorrath  aufbehalten  kan. 

Haubtsächlich  aber  gehören  in  das  Speifs-Gewölb  etliche  Scheiben  mit 
Saltz,  welche  man  aber  nicht  so  blofs  auf  den  Erd-boden,  sondern  auf  ein 
paar  Scheiter-Holtz  stellen  solle,  dafs  sie  unten  hohl  stehen,  und  das  Saltz 
nicht  flüssend  werde  und  ausrinne.  Die  Unschlicht-Liechter  soll  man  Centner- 
weifs,  sonderlich  wo  ein  aus  vielen  freuten  bestehendes  Haushalten  ist,  bey 
Händen  haben,  und  so  wol  dicke,  mittelmässige  als  dinne  fein  sortirt,  in  einen 
alten  Schranck,  oder  \or  den  Mäusen  wohl-verwahrten  Küsten  aufbehalten. 

Das  Gewürtz  gehöret  in  Schachteln  oder  Säcke,  und  mufs  man  sonder- 
lich den  Saffran  wohl  verwahren,  zu  w'elchen  viel  verständige  Frauen  etliche 
kleine  Zwiebeln  zu  legen  gewohnet  sind,  und  glauben,  dadurch  zu  verhindern, 
dafs  er  nicht  so  stark  verrieche;  ich  bin  aber  versichert,  dafs  die  Zwiebeln 
allein  wenig  helffen  würden,  wann  man  nicht  den  Saffran  erstlich  in  einer 
trockenen  Rinds-Blase  oder  ledernen  xestverbundenen  Sack,  und  so  dann  in 
einer  bl(;ycrnen   Büchse  oder  geheben  Schachtel  zugknch   \erwahrete. 

Der  Zucker  gehöret  nicht  weniger  in  versperrte  Küsten  oder  Fässer, 
weil  der  Katzen  Lecker-ljifslein,  die  gefrässige  Mäuse,  selbigen  sehr  gefähr 
sind,  uncJ  die  Hüte  so  künstlich  auszuhöhlen  wissen,  dafs  das  blaue  Papic^- 
mit  s(-incn  ]'\ad(_'n  umbunden,  un\errucket  stehen  l)leil.)ct,  nicht  änderst  als  ob 
der  Zucker  annoch  unversehret  darinnen  bc^findlich  wäre:  Das  luaum-Oel 
wird  in  zinnernen  weitem,  und  iriit  dazu  geh<>rigen  Deckeln  versehcmen  vStän- 
d.cin,  das  frisclic  ausgelassene  Schmaltz  aber  am  bestem  in  besonderen  aus 
k.iclicn-I  loltz  giiiiachten,  und  mit  Raifen  \'on  dem  Bettiger  oder  ISüttnen-  wohl- 
gcl)und(-nen  Kübcdn  und  k^äfslcMn  aufbehalten.  Der  Ihitter-Vorrath  hingegen. 
so   wol    der  frischen    als  gesaltzenen ,    gehciret    besser    im   Keller,    wiewol  ich 


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denen  keinen  Fehler  beizumessen  gesonnen  bin ,  so  sie  mit  in  den  Speits- 
Gewölb  aufzubehalten  gewohnet  sind:  Eben  dieses  verstehet  sich  auch  von 
denen,  so  in  Saltz-Wasser  als  Essig  eingemachten  Gurcken  und  Kümmerlingen, 
Cappern,  Oliven,  Kühn-Schroten  oder  Genister-Spröfslein,  Spargel,  Artischocken, 
Wegwarten,  Stachelbeeren,  Rothen  Rüben  etc 

Hieher  gehören  auch  allerley  in  Zucker  eingemachte  Sachen  und  Säffte 

welche  in  starcken  und  weiten  Zucker-Gläsern,  oder  aber  steinernen  Tiegeln 
aufbehalten,  und  entweder  nebst  denen  vorbenannten  in  Essig  eingemachten 
Früchten,  in  einen  besonders  dazu  zugerichteten  Behalter  verschlossenen,  oder 
aber  in  gewiese  Repositoria  ordentlich  mit  angcklebt(Mi  Zetteln,  was  in  jeder 
Büchse  enthalten  seye,  aufgestellet  werden,  damit  man  nicht  lange  nach  einem 
und  dem  andern  zu  suchen  habe. 

Insonderheit  werden  in  dem  Speifs-Gewölb  aufgehoben  allerley  Fisch- 
Waaren,  als  marinirte  und  eingemachte  Fische,  oder,  nach  dem  es  an  der 
Zeit  ist,  Pricken  oder  Neunaugen,  Heringe,  so  frischer,  als  gesaltzen-  und 
geräucherter  Lax,  Picklinge,  Plateifs  und  Halbfische,  Stockfische,  Laperdon  etc. 

Oben  an  der  Höhe  defs  Speifs-Gewölbes  findet  man  gemeinlich  grosse 
eingemauerte  eiserne  Hacken  und  Ringe,  zu  dem  Ende,  dafs  man  an  selbige 
hölzerne,  mit  groben  Tuch  überzogene  Gehäuse,  um  Käse,  Butter,  und  andere 
dergleichen  Sachen ,  vor  den  Mäusen  und  Ratzen  zu  verwahren ,  anhängen 
könne,  oder  auch  runde  weite  um  und  um  mit  krumm-aufgcbogenen  Hacken 
versehene  Fleisch  -  Ringe ,  das  gedörrte  und  aufgeträgte  Fleisch ,  Zungen, 
Schincken  etc.  daran  zu  hangen :  Wo  man  das  Brod  im  Hause  zu  bachen 
gewohnet ,  hat  man  in  den  Speifs-Gewölb  auch  eine  besondere  Brod-Hänge, 
worauf  man  die  Laibe  zu  legen ,  nach  und  nach  hinauf  zu  tragen  und  zu 
essen  pfleget. '< 

Wie  aus  diesen  Mitteilungen  zu  ersehen,  erfüllt  in  unserem  Hause  der 
Keller  manche  jener  Aufgaben,  welche  nach  der  »Haufs-Halterin«  dem  Speise- 
gewölbe obliegen.  Die  Häuser  hatten  ebensowenig  wie  heutzutage  schablonen- 
hafte Einrichtungen;  man  mufste  sich  wie  in  der  Gegenwait  eben  nacli  der 
Decke  strecken  und  nach  den  Räumen,  die  zu  Gebote  standen,  richten  und 
diese  so  gut  und  zweckmäfsig  als  möglich  ausnützen. 

Im  oberen  Stocke  dürfte  auch  das  dritte  Zimmer  des  Hauses  seinen  Platz 
gehabt  haben,   das   wohl  als 

Arbeitszimmer  (Taf.  XI) 
zu  bezeichnen  ist,  wenn  es  wohl  auch  zu  Wohnzwecken  benützt  worden  sein 
mag.  Es  hat  links  drei  grofse  hY^nster  in  gleichtM'  Form  und  Gr("')fsc\  wie  sie 
auch  die  anderen  Zimmer  zeigen,  rechts  zwei  Thüren  und  ober  der  tMuen  ein 
Fenster  in  Ochsenaugenform.  Zwei  ebensolche  h\'nster  Mntlcn  sich  im  I  Un- 
tergrund auf  der  Schmalseite  des  Zimmers.  Wohin  die  Thüren  und  h'enster 
führen,  kann  nicht  bestimmt  werden.  Die  Wände  sind  wiederum  bis  zu  Zwei- 
drittelhöhe getäfelt,   die   hölzerne   Decke   zeigt   tjuadralische   Kassetten. 

Mit  M(')beln  ist  das  Zimmer  nicht  besondtM's  reich  ausgestattet;  es  ist  des- 
halb viel  Platz  vorhanden,   um  sich   frei  bewc^gen   zu  können.     An   dem  ersten 


—     70     — 

Ftmstcr  ist  ein  Konsoltiscli  mit  ,t,K\sch weiften  Füfsen  an  der  Brüstung  befestigt. 
Auf  der  (quadratisch  gemusterten  'l'ischdecke  steht  eine  zweihenkehgc  Vase  mit 
Bhimenstraufs,  ein  (jlas  und  ein  Becher,  sowie  eine  IMatte  mit  OI)st,  daneben 
Hegt  cMU  Ah\sser.  Vielleicht  sind  es  die  Reste  eines  Frühstückes,  bei  dem 
auch  die  Kanne  und  die  Schüssel  mit  dem  Getlügelbraten,  welche  das  schlanke 
MädcluMi  zur  Thüre  hinausträgt  und  nach  welclier  der  Hund  seine  begehr- 
lichen ]-)lickt^  wirft  ,  eine  Rolle  gespielt.  An  den  ersten  Tisch  stöfst  ein 
zweiter,  gr()rserer ,  v'm  einfacher  Arbeitstisch  mit  sechs  Beinen  und  grofser 
Platte.  \'or  ihm  sitzt  auf  einem  Sessel,  der  g(;schweifte  Füfse  hat,  in  nach- 
lässiger Haltung  und  im  Ilauskostüm  unser  Künstler;  er  stützt  sein  Haupt 
auf  die  Rechte  und  scheint  sich  von  den  Anstrengungen  des  Frühstückes  zu 
erholen.  Das  Fenster  vor  ihm  ist  mit  einer  Blende,  wohl  aus  Papier,  ver- 
sehen; auf  dem  Tische  liegt  die  Platte,  an  welcher  er  arbeitet,  steht  der 
Sjiiegel,  welche  das  Bild,  das  er  sticht,  im  gegenteiligen  Sinne  widergibt,  liegt 
ein   (Grabstichel  und   steht  eine  Büchse  mit  Arbeitsgeräte. 

Zwei  Sessel,  gleich  jenem,  auf  dem  der  Kupferstecher  sitzt ,  stehen  an 
der  Wand  zwischen  den  beiden  Thüren.  In  der  Mitte  der  hinteren  Vi^and 
hat  der  Ofen  Platz  gefunden.  Fr  hat  einen  auf  gedrehten  Füfsen  ruhenden 
Untersatz  aus  gufseisernen  Platten  ,  deren  vordere  den  Reichsadk.-r  und  die 
Jahreszahl  1736  enthält,  welche  wohl  die  Zeit  angibt,  in  der  die  Zeichnungen 
ausgeführt  worden  sind.  Der  hohe  viereckige  Aufsatz  mit  seiner  Bekrönung 
ist  aus  glasierten  Thonkacheln  aufgebaut.  Links  vom  Ofen  steht  eine  I^ank 
(.')  mit  Wänden  an  den  Seiten  und  am  Rücken,  ein  etwas  eigentümliches 
!\Iöbel !  Auf  ihm  liegt  eine  Zeichnung  oder  ein  Stich  mit  Darstellung  eines 
Waldes.  Rechts  befindet  sich  ein  Aufsatzschrank,  wohl  schwarz  poliert,  dessen 
unterer  Teil  mit  Schubladen  verschen  ist,  während  der  Aufsatz  zwei  Flügel- 
thüren  zeigt ,  hinter  welchen  sich  kleine  Schublädchen ,  vielleicht  mit  ge- 
schnitzten, eingelegten  oder  gemalten  Kopfwänden  bergen.  Solche  Schränke 
waren  eine  Spezialität  der  Augsburger  Kunsthandwerker.  Gekrönt  wird  der 
Aufsatz  durch  die  in  Holz  geschnitzte  lebendige  Figur  eines  Amors ,  der 
triumphierend  in  der  erhobenen  Rechten  den  verwundenden  Pfeil  hält.  Neben 
dem  Schrank   ist  ein   Reilsl)rett  an   die   Wand  gekdmt. 

lüemit  ist  der  Bi\stand  des  Zinuners  an  gröfseren  Möbeln  erschöpft. 
Von  der  Decke  herab  hängen  die  imvcrmeidlichen  beiden  Vogelbauer  aus 
Draht.  Auf  dem  Gesims  des  Täfelwcrkes  am  ersten  Fenster  hängt  schief 
wiederum  der  S[)iegc]  in  reicliem,  mit  Voluten  geziertem  Rahmen.  Von  tler 
an  der  Wand  hängenden  Geige,  der  Perrücke  und  dem  Rock,  sowie  einigen 
Büchern  auf  dem  Täfelgesims  neben  deiu  Ofen  abgesehen,  besteht  der  übrige 
Inhalt  des  Zinuiiers  aus  eingerahmten  Ijildern,  wohl  gemalten,  teilweise  wohl 
auch  Kupfcr.sticlien  oder  den  Vorlagen  für  di(>sc^lb(>n.  Fnter  dem  Spiegel  und 
in  der  erst(;n  h'ensternischt;  hängt  je  ein  männliches  ISrustbild  ,  am  zweiten 
Pfeiler  wolil  auch  ein  PjiUJnis,  tlarüber  auf  dem  (jcsims  ein  Bild,  das  Vater 
und  Sohn  darstellen  dürfte.  Auf  chnn  Täfelwerk  zv.ischen  Fenster  und  Oten 
und  zwi'-chen  den  beirlen  Thüren  stehe'U  \"ier  zusanuneng(;h(')rige  Landschatten, 
die   \ielleicht   die   \ier  Jahreszeiten   versinnbildlichen,      l'ber  der  Thüre    haben 


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drei  Bildchen  Platz  gefunden ,  von  denen  das  mittlere  einen  sitzenden  Amor 
darstellt;  flankiert  werden  diese  Bilder  durch  zweihenkelige  Vasen  mit  Blumen. 
Neben  der  Thüre  steht  eine  Staffelei  mit  dem  Bildnis  eines  Geistlichen.  Solche 
stachen  die  Kupferstecher  mit  Vorliebe;  da  jeder  das  Bild  seines  Beichtvaters 
haben  wollte  ,  so  war  die  Herstellung  solcher  Portraits  ein  einträgliches  Ge- 
schäft. Von  dem  in  Nürnberg  sehr  beliebten  Prediger  zu  St.  Sobald  Joh. 
Mich.  Dilherr  z.  B.  zählt  G.  W.  Panzer  in  seinem  Verzeichnis  von  Nürn- 
bergischen Portraiten  (Nürnberg  1790j  gegen  40  verschiedene  gestochene  Por- 
traits auf.  Als  letztes  Stück  des  reichen  künstlerischen  Schmuckes  dieses 
Zimmers,  der  natürlich  durch  den  Beruf  seines  Bewohners  veranlafst  ist ,  sei 
noch  die  heilige  Familie  auf  dem  Täfelwerke  über  der  Staffelei  erwähnt. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  der  dritten  Person,  die  sich  in  diesem  Zimmer 
aufhält ,  des  I^ehrlings  mit  der  Zipfelmütze  gedacht ,  der  aus  der  auf  dem 
Fufsboden  stehenden  Schublade  Stiche  herausnimmt ,  auch  schon  herausge- 
nommen hat,  wie  die  daneben  auf  dem  Boden  liegenden  Blätter  darthun. 

Dieses  Zimmer  ist  das  letzte  des  Hauses ,  das  von  der  Herrschaft 
bewohnt  wurde.  Eine  Prunk-  oder  Prachtstube ,  oder  wie  sie  in  der  Gegen- 
wart heifst,  eine  »gute«  oder  »schöne  Stube«  hatte  das  Haus  vernünftiger 
Weise  nicht.  Es  war  eben  ein  einfaches  bürgerliches.  Den  Häusern  der 
reichen  Kaufleute  und  der  Patrizier  durfte  aber  eine  solche  nicht  fehlen. 
Wie  diese  eingerichtet  und  ausgestattet  waren  ,  welche  Anforderungen  man 
stellte,  sagt  wieder  ausführlich  die  Nürnberger  »Haufs-Halterin«,  die  anschliefsend 
hieran  auch  die  Säle  der  Vornehmen  beschreibt.     Sie  berichtet: 

»Die  Prang-  und  Audientz-Stuben  sind  hier  zu  Fand  gebräuchlicher 
als  die  Säle,  und  rings  um  die  Wände  derselben  mit  wohl-ausgearbeit(;ten 
aus  Flader-  oder  andern  schönen  Holtz  gemachten  Täfel-werck  umgeben,  die 
Ober-decke  oder  das  Tillwerck ,  mit  zierlichen  nach  der  Geometrie  ausge- 
theilten  Füllungen,  ebenfalls  von  fioltz  bereitet,  in  deren  Mitte  ein  mit  \ielen 
Schenckeln  und  Armen  prangender  messinger  Cronen-Feuchter  hanget.  Die 
Thür  ist  mit  schönen  jezuweilen  hier  und  dar  vergüldeten  und  blau-überlauffenen 
eisernen  I^anden  und  kostbaren  Schlössern  beschlagen,  man  siehet  in  diesen 
Zimmern  einen  steinernen  aus  zierlichen  Bilderwerck  formirten,  und  (.ebenfalls 
theils  Orten  vergüldeten  Ofen,  eine  Stufen-weifs  aufgeführte  und  mit  kostbar- 
geschnittenen Gläsern  besetzte  Credentz ;  gegen  der  Thür  über  hänget  ein 
grosser  Spiegel,  in  eine  entweder  in  Silber  oder  von  Bildschnitzer  Arbeit  sehr 
wohl  geschnittene,  und  mit  Planier-  oder  Glantz-Gold  belegte  Rahm  gefasset ; 
theils  Orten,  wann  es  der  I^latz  leidet,  ]>flcget  man  zween  dergleichen  Spiegt^l 
neben  einander  aufzuhängen  ,  und  zwischen  bereden  nur  c'mc.n  wenigen  Platz 
zu  lassen.  Der  Tisch  wird  mitten  in  das  Zimmer  gesteliet,  mit  einen  bifs  auf 
die  Erde,  oder  auch  etwas  weniges  davon  abhängenden  bundtm  Ti>i)j)ich  be- 
decket, ein  zierlicher  von  Silber,  oder  Porcellein  verfertigt(M-  Plunien  -  Krug 
mit  schönen  von  Seiden  oder  Feinwat  gemachten  lUumcMi  bc^steckel  .  darauf 
gesetzet,  dergleichen  Blumen  aus  Italien  sehr  \iele  vcM'schickt't,  auch  einigen 
von  allhiesigen   curiosen   Frauen   untl  Jungfrauen  s(»   tleissig,  accurat,   und   dem 


T.rbcii-ähnlich  nach  i,foniach(^t  worden,  dafs  sie  auch  die  Khigeste  und  Scharf- 
sicliti^stt'  betroLjcMi,  welclie  sie  vor  recht-natürhch  an^u^selien  haben:  Dieser 
l'isch  wiitl  wt-ni^stcms  mit  einem  halben  Duzend  Sessehi  umsetzet,  oder  so 
deroselben  z\V()h'te  sind,  also  einL^ethcnlet,  dafs  auf  jcxler  Seiten  an  der  Wand 
sechse  zu  stehen  kommen:  Die  Gesimse  sind  mit  kostbaren  von  guten  Meistcnn 
gemahlten  Schildereycn  und  Tafeln  gezieret,  mit  zierlich  aus  lloltz  geschnit- 
tenen und  schc'm  \ergiildeten  Bildern ,  Pyramiden  ,  oder  grossen  von  guten 
Porcellain  gemachten  Schalen  untermischet:  ja  es  wird  an  manclie  dergleichen 
Stube  und  deren  Aufbutz  viel  Geld  gewendet,  welches  aber  die  Verständigere 
nicht  billigen,  sondern  vor  rathsamer  lialten,  nicht  gar  so  viel  an  den  Haufs- 
rath  zu  hängen,  weil  man  solches  Geld  weit  nützlicher  anlegen  ,  nutzen  und 
gebrauchen  kan  : 

Die  Säle  sind  von  diesen  Prang-Stuben  darinnen  unterschieden,  dafs 
die  Oberdecke  entweder  durch  und  durch  gemahlct,  oder  von  Stuccador-Arbeit 
gantz  überzogen,  oder  auch  so,  dafs  nur  die  mittlere  P'üUung,  bifsweilcn  auch 
noch  eine  und  die  andere  aus  sch(')ner  Gemählden,  das  übrige  aber  aus  Schnee- 
weisser  solcher  Gips-Arbeit  bestehe;  die  Wände  sind  ebenfalls  nicht  getäfelt, 
sondern  entweder  mit  Tapezereyen  und  Spagliern  ^'')  überkleidct,  oder  doch  auf 
solche  Art  bemahlet;  der  P\ifs-boden  mufs  nicht  gebrettert,  sondern  entweder 
ge()stert''^),  oder  mit  Marmor,  oder  wenigstens  mit  gebackenen  Steinen  beleget, 
und  zierlich  mit  Farben  angestrichen  seyn:  Es  gehöret  auch  kein  Ofen,  wie 
schön  er  auch  immer  seyn  mag,  in  einen  Saal,  welches  bey  uns  an  vielen  Orten 
ein  grosser  Fehler  ist,  sondern  an  deren  Stelle  ein  zierlich-aufgeführter  Camin 
mit  seinen  Feuer-Böcken ,  Zangen  und  Schir-hacken ,  welche  mit  messingen 
Hand-heben  und  Zieraten  versehen:  Die  Gemähide,  weil  keine  Gesimse  vor- 
handen, werden  an  die  Wände  über  die  Tapezereyen  aufgehangen,  und  also 
vertheilet,  dafs  neben  jedes  derselben  auf  beeden  Seiten  zween  schöne  Wand- 
Leuchter,  bei  hohen  Personen  von  Silber,  bei  geringern  aber  von  Gold-färbigen 
Messing  gemacht,  an  der  Wand  bevestiget  zu  stehen  kommen.  Da  hingegen 
die  in  denen  Stuben  an  der  Decke  abhängende  Cronen-Leuchter  hier  keinen 
Platz  finden :  bleut  zu  Tage  pfleget  man  in  einen  Saal  vier  grosse  Spiegeln 
auf  zu  hängen,  und  so  zu  vertheilen,  dafs  der  eine,  so  die  Thür  sich  nicht 
gerade  mitten  im  Zimmer  öffnet,  in  die  Mitte  defs  Saals,  zwischen  den  P'enstern, 
imd  der  andere;  diesen  gerade  gegen  über ,  der  dritte  oben  rechter,  und  der 
vierdte  unten  linker  Hand,  zu  hangen  komme:  so  aber  die  Thür  auf  die  Mitte 
defs  Zimmers  gerad  zutrifft,  gebrauchet  man  nur  drey  grosse  Spiegel,  deren 
der  (,'rste  gegen  selbige  über,  der  andere  an  der  obern ,  der  dritte;  aber  an 
der  untern  Seite;  defs  Saals  aufgehänget  wird  ,  damit  man  alles ,  was  in  d(;n 
Zimm(;r  ist,   aller  Orten  darinnen   sehen  und  wahrnehmen   könne. <^ 

In   den   \ornehmen   Häusern,    in    welchen    man   einen  Saal   hatte,    stand 
der  h'rau  des  Hauses  auch   ein  besonderes  To  i  lettenzi  nimer  zur  Verfügung; 

]/)  Spaliere,    Si)()licrc    nannte  man  nacli  Alwin  Scluilz  a.  a.  O.  S.    129  halbseidene 
und  halbleinene  gestreifte  Tai)eten,  die  al)cr  auch  als  Susics  bezeichnet  wurden. 
iSj   von    {".strich,   dem   ^eitHaste:rten  J''ufsl)<)dcn,  also  so   viel   wie  <4ei)Mastcrt. 


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dem  Aiigsburger  Haus  mangelt  natürlich  auch  dieses.  Die  Nürnberger  »Hauls- 
halterin«   aber  schreibt  darüber: 

»In  hohen  Ständen  haben  die  Frauen  ihr  besonderes  Aufbuz-Zimmer 
und  Cabinet,  selbiges  soll  von  Rechts  wegen  ebenfalls  ausspagliret  ^■')  seyn,  und 
also  eingerichtet,  dafs  gegen  der  Thür  zu  ein  kleiner  Altar  mit  einem  Crucifix 
und  zweyen  silbernen  Leuchtern,  samt  einen  davor-stehenden  Bet-schämel, 
ihre  Andacht  dabey  zu  verrichten,  zukomme,  auf  beeden  Seiten  aber,  so  es 
die  Grösse  des  Zimmers  leidet ,  zwey  kleine  mit  schönen  bifs  zur  Erde  ab- 
hängenden Teppichen  bedeckte  Tischlein,  und  über  jeden  derselben  ein  grosser 
Spiegel  hangen,  das  eine  soll  mit  einen  zierlichen  Schreib-Tisch  besetzet  seyn, 
und  nechst  dabey  eine  schöne  Sack-  oder  andere  Galanterie-Uhr  liegen,  oder  aber 
an  der  Wand  eine  runde  Scheiben-Uhr  hangen  :  Auf  das  andere  kleine  Tisch- 
lein gehöret  der  Nacht-Zeug,  bestehend  in  einen  Tabulet-Spiegel ,  den  man 
auf  den  Tisch  vor  sich  stellen  kan,  einen  wohl-ausgezierten  Küstlein,  worinnen 
ein  Kamm  und  Bürste  mit  Silber  beschlagen,  samt  einer  guten  Scheer  zum 
Haar-schneiden,  eine  silberne  Buder-Schachtel,  dergleichen  Haar-Nadeln,  unter- 
schiedliche wohlriechende  Essenzen,  ein  und  anderes  kleines  silbernes  Hand- 
Leuchterlein  ,  etliche  so  silberne  als  porcellainene  Schällein ,  zu  mancherley 
Gebrauch,  etc.  etc.  befindlich  :  Nebst  der  Thür,  oder  so  nur  ein  Tischlein  im 
Zimmer,  stehet  gegen  selbigen  über  an  der  Wand  ein  kleines  Galanterie- 
Bettlein,  mit  einen  schönen  Teppich  bedecket,  ingleichen  auch  ein  oder  zwey 
Paar  Sesseln :  Ist  es  aber  nur  ein  Cabinet  und  der  Platz  klein ,  mufs  man 
hierinnen  menagiren  und  alles  so  genau  zusammenrichten,  als  es  immer  möglich.« 

Und  noch  einer  Stube ,  die  in  den  Häusern  der  bevorzugten  Stände 
nicht  fehlen  durfte,  ist  zu  gedenken:  der  Kinderstube.  Auch  diese  fehlt 
dem  bescheidenen  Augsburger  Kupferstecherhause.  Die  Nürnberger  »Haufs- 
Halterin«   läfst  sich  aber  auch  hierüber  und  zwar  folgendermafsen  vernehmen: 

>>Wo  Kinder  sind,  wird  ihnen,  so  es  änderst  die  Gelegenheit  und  die 
Mittel  der  Eltern  leyden ,  nicht  nur  eine ,  sondern  wol  gar  zwo  besondere 
Mägde  zur  Pflege  und  Wartung  zugeeignet ,  sondern  auch  eine  absonderliche 
Stube  eingegeben,  so  man  daher  auch  die  Kinder-Stube  zu  nennen  gewohnet  ist. 

Diese  mufs  fürnemlich  mit  einen  oder  zweyen  Betten  vor  die  Mägde, 
wie  auch  mit  so  viel  kleinen  Betten  als  der  Kinder  sind,  versehen  seyn;  in- 
gleichen einen  Tisch,  die  Kinder  daran  zu  setzen,  auch  so  sie  noch  gar  klein, 
darauf  zu  wickeln  :  Es  gehöret  darein  eine  Lauff-Banck,  worinnen  sie  gehen 
lernen,  welche  man  hin  und  her  tragen  kan,  und  weit  besser  sind  als  die  vor 
Alters  gebräuchliche  Lauff-Wagen  ,  weil  sich  die  Kinder  darinnen ,  wann  sie 
im  Lauff  kommen,  nicht  helffen,  noch  selbige  aufhalten  können,  sondern  offt 
nicht  ohne  grosse  Gefahr  sich  zu  verrencken ,  mit  fort  gezeschet  werden, 
welches  aber  in  denen  Lauff-Bänckcn  nicht  zu  besorgen:  Es  gehchet  dart;in 
ein  zinnern  Becken,  dergleichen  Wasser-Häfelein ,  und  Schwämme,  wie  auch 
Kamm  und  Bürsten  die  Kinder  daraus  zu  waschen ,  auch  damit  zu  reinigen 
und  zu  säubern,  dafs  sie  nicht  in  Unflat  xcrderbcn ,  kranck  und  ungesund 
werden,  ein  besonderes  kleines  Nacht-Stühlein,   um  sich  darauf  zu  erleichtern, 

Mitteilungen  aus  dem  german.   Nationalmuseum,     1897.  X. 


—     74     — 

ein  kleiner  Schranck,  das  weisse  Kinder-Gezeug  in  guter  Ordnung,  was  diesem 

und  jenem  gt-lKue,  zusanunen  zu  k'gen,  und  darinnen  aufzuheben;   nebst  deme 

soll  man  auch  aUerley  Spiel-gezeug    bey  der  Hand  haben ,    um    sie    damit    zu 

stillen.« 

(Schlufs  folgt.) 

Nürnberg.  Hans  Bf) seh. 


Deutsche  Bauernstühle. 

r^T'^^J  s  ist  eine  genügend  bekannte  Thatsache,  dafs  nicht  nur  in  Sitten 
yyl^  ^'"^"^  Gebräuchen,  sondern  auch  in  der  Ausübung  ihrer  künstlerischen 
£1a  Bedürfnisse,  im  weitesten  Sinne  des  Wortes,  die  Landbevölkerung 
allerwärts  länger  und  liebevoller  an  dem  Althergebrachten  festhielt,  als  das 
raschlebige  Volk  unserer  Städte.  Die  stets  über  das  gestrige  hinausstreben- 
den Stilwandlungen  in  der  grofsen  Kunst  berühren  nur  mit  den  äufsersten, 
leise  auslaufenden  Ringen  ihrer  Wellen  diesen  Boden,  auf  dem  die  Bauweise 
und  die  ganze  Anlage  des  Wohnhauses,  die  bunte  Bemalung  und  das  Schnitz- 
werk an  Truhe  und  Kasten,  Schnitt  und  Farbe  der  Kleidung  ohne  den  Ein- 
flufs  des  Modegeschmacks  und  der  städtischen  Kunstübung  sich  konservativ 
erhalten,  um  so  mehr,  als  den  Bedürfnissen  des  Landvolkes  eigene  Bauern- 
handwerker, z.B.  Landschneider  und  Landschreiner  in  Nürnberg  dienten,  deren 
zünftige  Abgeschlossenheit  das  Eindringen  des  Städtergeschmacks  erschweren 
mufste. 

Wenn  wir  von  der  höchst  selbständigen,  oft  zu  hervorragender  Schön- 
heit gelangenden  Blumenornamentik  absehen,  stellt  sich  die  bäuerliche  Kunst 
dar  als  eine  merkwürdige  Mischung  altererbter  einheimischer  Formen,  die  wir 
in  den  Werkstätten  der  städtischen  Handwerker  nirgends  finden,  und  ver- 
späteten verflachten  Reminiszensen  an  die  bekannten  Formen  des  städtischen 
Kunstgewerbes.  Primitive  Schlichtheit  und  bequeme  Brauchbarkeit  auch  bei 
schwerfälligen  Formen ,  kennzeichnet  das  Mobiliar  des  Bauernhauses ;  der 
Verzicht  auf  reiche  Reliefschnitzerci,  auf  Furniere  und  Intarsien,  dagegen  eine 
ausgesprochene  Neigung  zu  bunter  Bemalung  und  zur  Anwendung  von  Flach- 
schnitzerei ist  ihm  mit  wenigen  Ausnahmen  eigen.  Fast  jeder  Gau  des 
deutschen  Landes,  in  dem  einige  W^ohlhabenheit  einem  selbständigen  Bauern- 
stand über  die  einfachsten  Tagesbedürfnisse  hinauszugehen  gestattet,  hat  in 
dieser  W^eise  seine  eigenen  Formen  gebildet  und  bis  in  unser  Jahrhundert 
bewahrt.  Heute,  wo  diese  eigenartigen  Stücke  schon  fast  überall  modernen 
l^'abrikarbeiten  d(;n  Platz  geräumt  haben,  ist  es  an  der  Zeit,  das  Beste  dieser 
im  Verschwinden  begriffenen  Ijauernkunst  als  lehrreichen  Typus  deutschen 
Volksgeschmacks  aufzubewahren. 

IJie  drei  Typen  deutscher  I^auernstühle,  die  wir  aus  den  IJeständen  des 
germanischen  Museums  hier  mitt(;ilen,  sind  in  ihrer  l^igcnait  charakteristisch 
für  drei  verschiedene  Landstriche,  in  denen  sie  bis  zur  Alitte  tuiseres  Jahr- 
hundL-rts  in  'U'ofser  Zahl   zu  finden  waren.     Gemeinsam   ist  ihnen  ein  kräftiger, 


75     - 


breiter  Bau  mit  zahlreichen  Ouersprossen,  die  Vorliebe  für  reichUche  Ver- 
wendung gedrehter  Sprossen  als  zierliche  Füllung  der  Arm-  und  Rückenlehne 
und  ein  leuchtender  einfarbiger  Anstrich  bald  in  hellem  Blau ,  bald  in  kräf- 
tigem Rot. 

Der  erste,  der  Stuhl  der  Mette  Eggers  von  1793,  stammt  aus  den 
hamburgischen  Vierlanden.  Seine  vierkantigen  gespreizten  Beine  sind  bis  auf 
die  Stellen,  wo  sie  mit  den  Querhölzern  verzapft  sind,  abgcfast;  die  flache 
Schnitzerei  der  geraden  Rücklehne  zeigt  einen  gekrönten  Doppeladler  um- 
geben von  flauen  Ranken  von  bäurischem  Rococo  und  grofsen  Blumen.  Zier- 
lich gedrechselte  Stäbe  füllen  die  Öffnung  unter  der  Rücklehne  und  tragen 
die  ebenfalls  gedrehten  Armlehnen ;  den  Sitz  bildet  ein  Geflecht  von  starken 


Fitr.  1.    A'ierländcr  Haucrnstuhl  von  1793. 


gespaltenen  Weidenruten  in  zwei  Farben.  Der  hohe,  etwas  nach  rückwärts 
sich  lehnende  Stuhl  der  J.  Ahlheit  Zumfelde  von  1798  gibt  dagt^gen  den 
Ty])us  des  Bauernstuhles,  wie  er  im  hanno\crschen  Altenlande  üblich  war. 
Pfosten  und  Sprossen  sind  alle  reich  gedreht,  doch  weicher,  ohne  jene  schart 
absetzenden  Profile  der  Vierländer  Art.  Die  Armlehncni  bilden  bet]uein  ge- 
schweifte Bretter;  das  Kopfende  der  hohcMi  Rücklehne  zeigt  ausgc-sägtes 
Ornament,  dessen  Mittelstück  ein  Taubenpaai'  bildet,  das  nie  fclilentU:  Symbol 
ehelicher    Liebe.      Den    nach    vorne    stark    breiter    werdenden    Sitz    l)ildet    ein 


—     76     — 

Brett,  auf  dcni   ein  I*'eclerkissen  meist  mit  ^()b(;]inarti<^H>r  Weherei  von  hlumen- 
umrahmten  Bibelszenen  zu  liegen  kam. 

\i\n  (lerartii^es  Prunkkissen  —  denn  fiir  den  alltäj^lichcMi  Gebrauch  waren 
sie  sicht-r  einfacher  ausj^eführt  aus  ck;m  Jalirc;  1722  stammend,  besitzt  das 
Museum;  es  trä^^t  auf  blau-griinem  Grunde  eine  Gru[)pe  von  gezierten  Kostüm- 
tiguren  umgeben  von  einem  Blumenkranz,  eine  Szen(!,  die  sich  bei  näherem 
ZusehcMi  als  die  Begegnung  Jakobs  mit  Rebekka  am  Brunnen  darstellt. 


¥\g.  2.    Ilcimbachcr  und  .Vltonliüulor  Hauonistuhl. 


Während  man  dem  schwarzwäldcM-  IJaucM-nstuhl  z.  1).  iiiit  siMuer  hi'ibsch 
ausgeschweiften  Rückenlehne,  dem  lirc^ttsitz  ohne;  Ou(M-h(")lz(M-  und  Arm- 
hdmen  mit  zicmliclnM-  Bestimmtheit  die  Herkunft  von  der  süddeutschtm 
Stuhlform  d(;s  s])ätern  16.  Jahrhunderts  ansehcMi  kann,  ist  t\s  besonders  bei 
d(m  b(;iden  friesischen  Arbeiten,  die  wir  el)<;n  kennen  lerntcm,  schwer,  über 
die   Abstammung   ihrer  Stilformen    eine   M<:inung   sich   zu  bilden.     Sicher  sind 


die  Rococozuthaten  im  Schnitzwcrk  nur  äiifserlich  und  unwesentlich;  da^^egen 
erinnert  die  reiche  Verwendung  gedrehter  Stäbe  und  die  damit  verbundene 
farbige  Behandlung  merkwürdig  an  jene  eigenartigen  Möbelzeichnungen,  die 
uns  von  Bettgestellen  und  Stühlen  des  12.  Jahrhunderts  in  den  Zeichnungen 
zum  Lustgarten  der  Herrad  von  Landsberg  und  in  den  Miniaturen  eines  Psal- 
teriums  des   10.  Jahrhunderts  in  der  K.  Bibliothek  zu  Stuttgart  bekannt  sind. 


Fig-.  3.     .Maria  (V!)  aul'  reicliciii  'l'lirdiisesst'l. 

Auch  dieses  Mobiliar  bestand  nur  aus  gedrehten  Pfosten  ganz  in  der  Art  des  Alten- 
länder Stuhls  mit  abwechselnd  rot  und  gelb  cxUm"  ähnlich  gestrichenen  RingtMi  und 
mit  dazwischen  eingefügten  Füllbrettern  '),  also  einc^  Hauweise;,  dic^  sich  \-on  \'i(,>]let 
le    Ducs    Rekonstruktionen    der    frühmittelalterlichen    Zimmereinrichtung   sehr 


1)  vgl.  Ilefner-AIteneck.     Trachten,  Kun.stwcrkc  u.  GcräLschaftcii   Dd.  I.  26.  oO,  uL'. 


-      78     — 

weit  unterscheidet.  Und  durcli  einen  L^lückliclien  Zufall  ist  uns  sogar  unter 
den  Schätzen  des  t^ernianischen  Museums  t;in  Ihronsesscl  dieser  Art  erhalten, 
den  wir  uns  nicht  \ersaL(en  können,  hier  zum  Vergleiciie  wiederzugeben:  Ein 
annähernd  ziuerlässiges  Bild  jener  um  das  Endi;  dc;s  12.  Jahrhunderts  irgend- 
wo in  Deutschland  üblichen  Stuhlform  mufs  die  kleine,  etwas  beschädigte 
Holzskuli)tur  geben;  ob  sie  wirklich  aus  iirol  stammt,  ol)  sie  die  Madonna 
oder  S.  Anna  darstellen  wollte,  bleibt  für  vms  belanglos.  Gedrehte  Pfosten  und 
vielfach  profilierte  gedrehte  Stäbe  als  Füllglieder  finden  wir  hier  wieder,  auch 
hier  in  abwechselnder  bunter  Bemalung  von  rot,  weifs  und  gelb  -).  Man  wird 
aus  dieser  auffallenden  Ähnlichkeit,  für  deren  Einzelheiten  die  Abbildungen 
sprechen  mögen,  den  Schlufs  ziehen  dürfen,  dafs  die  friesischen  Bauernstühle 
in  ihrem  Charakter  einiges  von  der  mittelalterlichen  Möbeltechnik  mit  ihrer 
V^orliebe  für  Drechslerarbeit  bewahrt  haben,  in  Formen,  die  seit  dem  15.  Jahrh. 
zum  mindesten  aus  dem  städtischen  Kunstgewerbe  verschwunden  sind.  Aller- 
dings wird  man  dabei  berücksichtigen  müssen,  dafs  mit  der  Drehbank  und 
ihrer  Technik  die  Formen  für  Pfosten  und  Sprossen  der  Stühle  nicht  wesent- 
lich anders  im  18.  Jahrhundert  gebildet  werden  konnten,  als  sie  der  romanische 
Thron  und  die  Zeichnungen  schon  aus  dem   10.  und   12.  überlieferten. 

Ganz  anders,  aber  nicht  minder  originell  als  bequem  ist  der  aus  dem 
Rheingau  stammende  Ileimbacher  Stuhl  gebaut.  Auch  er  trägt  die  Jahreszahl 
1798  und  die  Anfangsbuchstaben  vom  Namen  seines  Besitzers  an  der  Rück- 
lehne; der  dreieckig  geschnittene  Brettsitz  ruht  auf  drei  festen  gedrehten 
Pfosten,  von  denen  der  hintere  sich  als  Träger  einer  kleinen  geschweiften 
Rücklehne  nach  oben  fortsetzt,  während  die  vorderen  in  der  Höhe  der  halb- 
rund gebogenen,  aus  einem  dünnen  Brett  geschnittenen  Seitenlehne  endigen. 
Eine  solide  Behäbigkeit  ist  der  Vorzug  dieses  Möbels ,  in  dessen  Art  das 
Museum  noch  ein  zweites  Stück  mit  dreieckigem  Sitz  und  kleiner  Rücklehne 
aber  gedrehten  Stangen  als  Armlehnen  besitzt. 

So  wenig  man  wird  behaupten  können ,  dafs  die  Einzelformen  dieses 
Ileimbacher  Stuhls  an  gotische  Stilformen  gemahnen,  so  hat  doch  die  Art, 
wie  die  Konstruktion  der  Pfosten  und  Eehncn  zu  Tage  liegt,  ohne  Zuthaten 
und  zwecklose  Zierrate  etwas  entschieden  gotisches,  und  auch  rein  äufserlich 
genommen,  gibt  es  für  die  Bauart  dieses  Möbels  aus  der  Zeit  des  gotischen 
Stils  auffallend  verwandte  Gebilde :  Der  dreieckige  Brettsitz  und  die  niedere 
Lehne,  die  im  Bogen  um  die  drei  stützenden  Pfosten  geführt  ist,  kehren  ge- 
nau so  wieder  an  einem  gotischen  Stuhle  des  16.  Jahrhunderts,  den  das 
Museuiu  aus  rheinisch-westfälischem  Boden  erwarb.  Drei  mit  geringer  Pro- 
filierung geschnitzte  Säulen  werden  verbunden  durch  ein  aus  ICichenbrettern 
aiisg(.'schnittcnes  Gitterwerk,  das  hier  die  Stelle?  der  Oucrsprossen  vertritt, 
und  auf  welches  der  Sitz  aufgelegt  ist.  Die  P)ildung  der  RückleluK^  des  Ileim- 
bacher Stuhls  geschieht  dagegen  wieder  in  iXnlehnung  rm  das  Motiv  des 
romanischen  Thiones  h'ig.  3,  wcMin  auch  zweckentsprcxluMid  beciuemer;  das 
ganze;    Mr^hel    schmückt    ein   dunkelroter   einfarbiger   Anstrich. 

2)  A.  von  Kssenwcin  hat  im  jahr^an^  18U1  dieser  Mitteilungen  der  inlcre.ssanten 
I-'i^ur  liereils  eine   eingehende   Hesiireehim^'  gewidmet  (S.  51  ff.j. 


—     79     — 

Bei  der  grofsen  Aufmerksamkeit,  die  unsere  Zeit  gerade  den  Volksalter- 
tümern und  der  Volkskunst  zuwendet,  liegt  meines  Wissens  nicht  selten  der 
Gedanke  zu  Grunde ,  als  sei  hier  im  Schnitt  und  in  der  Farbenwahl  der 
Kleidung,  im  Hausbau,  in  Gebräuchen  und  Benennungen  etwas  stammhaftes 
altgermanisches  erhalten,  was  sich  als  Merkmal  des  Stammcharakters  z.  B. 
der  Alemannen  oder  Friesen  betrachten  liefse,  und  was  eben  deshalb  erhalten 
und  gepflegt  zu  werden  in  hohem  Mafse  verdiene.  Ich  glaube  vielmehr,  man 
sollte  um  eine  unanfechtbare  Grundlage  für  eine  wissenschaftliche  Bearbei- 
tung dieser  Volksaltertümer  zu  ermöglichen  ,  von  einem  etwas  skeptischeren 
Standpunkt  ausgehen  und  zunächst  historisch  sichten:  Für  eine  Ge seh  ich  te 
der  oder  jener  Volkstracht,  des  oder  jenes  Bauernhaustypus  läfst  sich  heute 
weit  leichter  greifbares  Material  zusammenstellen ,  als  für  ihre  Ätiologie ,  die 
wohl  noch  längere  Zeit  für  wissenschaftliche  Betrachtung  \erschleiert  liegen 
wird. 

Nürnberg.  K.  Schaefer. 


'j 


Ausrüstung  einer  Wagenburg  im  15.  Jahrhundert. 

i^,^^J^\  n  dem  um  die  ]\Iitte  des  15.  Jahrhunderts  geschriebenen  Codex  637 
^  (^'1^4?%.  des  im  Germanischen  Museum  deponierten  Freiherrl.  von  Löffel- 
^cSNJ^  holzschen  Familienarchives  findet  sich  auf  Blatt  356  eine  kurze 
Wagenburgordnung ,  die  von  den  bisher  bekannten ')  in  manchen  Punkten 
abweicht  und  daher  hier  wiedergegeben  sein  möge.  Die  Erwähnung  der 
Ketzer  in  dieser  Aufzeichnung  läfst  vermuten ,  dafs  es  sich  um  eine  kriege- 
rische Unternehmung  gegen  die  Hussiten  gehandelt  habe,  die  bekanntlich  in 
der  neuen,  erfolgreichen  Verwendung  beweglicher  Wagenburgen  die  Lehr- 
meister ihrer  Nachbarn  gewesen  waren  -). 

Der  Abdruck  der  Ordnung  erfolgt  diplomatisch  genau;  nur  die  Inter- 
punktion ist  von  mir  hinzugefügt. 

[Bl.  356a  Spalte  1]  »Item  zw  einem  streitbagen  gchorn  sechs  schützen 
vnd  zw  iglichem  ambrust  vier  schock  pfeyl ,  zwen  man  mit  hantjjuchscn,  zw 
itlicher  vierschok  kugelich  vnd  puluers  gnug,  vier  man  mit  hacken,  vier  man 
mit  drischelen,  zwu  hacken,  zwu   schaufeien,  zwu  keylhauen  oder  grabscheyt. 

Item  zw  itlichem  wagen  vier  starcker  hengst ;  welcher  aber  nicht  starke 
pferde  hat,  der  nem  sunst  sechs,  doch  das  itlicher  wagen  zwein  furman  hab 
gewappent. 

Item  dy  schaufeien ,  grabscheit  vnd  hacken  durffen  nicht  sunder  Knvt 
[bedarf Ol  nicht  besonderer  Le7tte\,  Sunder,  wirt  man  ir  bedirtien  ,  so  nym))t 
man  sy,   [wo   man  sy]  wolt,  aufs  dem   hauffen,  do  lewt  gnug  werden. 

Summa  zw  einem  wagen  XVIIl  person  ,  dy  sich  von  dem  wagcMi  nit 
fwgen  sollen,  es  sey  dan  mit  des  hauptmans  gcheifs. 

1)  V<j!.  namentlich  J.  Würdin^cr,  Kriegsgeschichte  von  l?aycrn,  l^Vanken,  IMalz  und 
Schwaben  von  i:>47  bis  böUö.  11.  Hand.  München  1.86S  S.  :i77  ff.,  da/u  Anzeiger  für  Kuntle 
der  deutschen  Vorzeit  XIX  (1872)  S)).  L'S.'UT,,  341  ff;  Max  Jilhns,  Handbuch  einer  (leschichte 
des  Kriegswesens.     Leipzig   188(i  S.  'MM  ff 

2j  Vgl.  Jahns  a.  a.  O.   S.  'M4. 


—     80     — 

Item  siilcluM-  starker  wa^en  sol  sein  in  fas.sani^f.s  weifs  (?)  mit  holtzen  leyttern 
i^etarrast  [verbarrikadiert]  vom  felde  zwyschen  den  leittern  vnd  vnder  den 
leittern   mit   <,'uten   han^^enden   bretern  an   stark(>nn  weyden   oder  ketten. 

Item  pey  itlichem  wa^'en  siillen  ketten  sein,  dy  selben  zw  winden,  ob 
ez  not  sein. 

|2.  Si)alte.]  Item  albe<^'  zw  funff  werfen  sol  sein  ein  stein  piichs,  f^enant 
iiaufnicz,  vnd  zw  itlicher  ein  schogk  stein  zwm  mynsten  vnd  puluers  ^mu^, 
vnd  zw  der  selben  puchsen  vnd  zw  iren  stein  müfs  man  ein  wesundern  wa^en 
haben. 

Item  man  mufs  auch  auff  den  selben  wa^en  kein  speifs  le^^cn ,  Sunder 
ein  stat  dor  auff  lassen,   dor  ein  man  den  lewten  wurff  stein  leget. 

Item  wafs  vbriger  lewt  sein  vber  bestellunge  wegen ,  dy  sullen  alle  ire 
were  haben  vnd  thun  noch  geheifs  des  hauptmans. 

Item  vil  sach  vnd  westellunge  mag  man  dor  zw  thun ,  dy  do  nicht  zw 
schriben,  Sunder  nach  gclegenheit  der  lewte  vnd  ordenung  aufs  zw  richten 
sind,  als  man  das  dann  vor  äugen  sehen  werdet. 

Item  ee  man  zw  feit  aufs  zeucht,  das  dann  alle  obgeschriben  stuke  be- 
reit sind. 

Item  zw  allen  obgeschriben  sachen  sullen  leute  aufs  erkoren  sein ,  die 
alle  dinge  wesehen  werden  vnd  ordiniren,  das  daz  volkumclich  zw  gec. 

Item  es  sol  vnder  dem  volk  ein  sulch  ordenung  sein,  daz  ye  zehen  man 
einen  hauptman  haben  vnd  hundert  einen  vnd  tausent  auch  einen  vnd  [Bl. 
356b  1.  Spalte]  also  ymmer  für  sich  wifs  auf  den  ober.sten  hauptman,  als 
man  dann  lewte  gnug  haben  wirt,  dy  solche  sache  vnd  schikung  wol  ordi- 
niren können,  vnd  das  ye  ein  hauptman  auf  den  ander  sehe,  als  dan  gebon- 
heit  ist. 

Item  man  sol  vndersteen,  das  alle  huldunge  ab  sein  werde. 

Item  das  yder  man  uf  sey  mit  sein  selbs  leybe. 

Item  wer  aber  von  alter  oder  von  krankheyt  wegen  nicht  ziehen  muge 
der  mag  einen  andern  an  sein  stat  bestellen. 

Item  wer  sich  in  den  obgeschriben  sachen  vngehorsam  finden  Hesse,  zu 
des  leybe  vnd  gut  solt  man  greiffen ,  alfs  zw  einem  zw  leger  vnd  helffcr  der 
ketzer  on  alle  genade. 

Item  das  man  gereissig  volk  zw  rosse  aufbringe.  So  man  meyst  müg, 
vnd  das  man  dem  fufs\-olk  auch  gereyssig  lewte  in  der  wagen  bürge  zw 
schiken  sol. 

Item  auch  sullen  die  fursten ,  herren  vnd  fttet  grofs  vnd  klein  buchsen 
\-nd  ander  zeugk   mit   in  bringen,   so  sy  meist   mugen. 

Item  als  man  vnfsn  herren  aufs  der  schlesingen  zw  sagen  sol,  wy  starck 
yderman  helfen  sol,  ist  notturfft,  dafs  vnfser  herre  sein  treftelich  potschaft 
\2.  Siialte;  zw  allen  landen  vnd  stetten  thun  vnd  yn  weuelhc ,  suIcIk^  zw  sa- 
gung auf  zw  ncmen  ,  es  sol  auch  nymant  wifs(Mi ,  waz  dy  summe  ist  solcher 
macht,  dann  dy,  dy  dar  zw  geschickt  ,^int .  dy  das  auch  vnfscM'm  hrrrcn  \()n 
stund  an   \crkundt:n   sullen.- 

X  ü  rn  b  e  r  g.  'l'h-    H. 


—     81      — 

Wissenschaftliche  Instrumente   im 
germanischen  Museum. 

(Fortsetzung.) 

V.  Scheibeninstrumente,  Graphometra. 

ussoleinstrumente,  bei  welchen  die  Ablesung  unmittelbar  durch  die 
Beobachtung  des  Standes  der  Magnetnadel  geschieht,  sind  stets  an 
kleine  Dimensionen  gebunden  und  gewähren,  abgesehen  von  ihren 
sonstigen  Mängeln  schon  aus  diesem  Grunde  nur  eine  geringe  Genauigkeit. 
Es  leuchtet  ein,  dafs  die  Genauigkeit  der  Teilung  solange  man  die  modernen 
Hilfsmittel  nicht  kannte ,  mit  der  Gröfse  des  Teilkreises  zunimmt ,  dafs  also 
grofse  Instrumente  eine  genauere  Beobachtung  ermöglichen  als  kleine. 

Grofse  Kreise  oder  Teile  von  solchen,  Quadranten  waren  in  der  Astro- 
nomie schon  von  Ptolomäus  angewandt  worden ;  die  Beobachtungen  wurden 
mit  Diopterregeln  vorgenommen.  Tycho  Brahes  Mauerquadranten,  wie  seine 
grofsen  beweglichen  Azimuthaiquadranten  waren  bei  einem  Radius  von  fünf 
Ellen  in  Grade,  Minuten  und  Sechstelminuten  geteilt,  so  dafs  die  kleinste  Tei- 
lung einem  Winkel  von  10"  entsprach  und  die  Hälfte  dieses  Winkels ,  also 
5"  noch  geschätzt  werden  konnte.  Mit  der  Abnahme  der  Dimensionen  nahm 
aber  auch  die  Genauigkeit  rasch  ab,  selbst  wenn  Nonnianische  Kreise  die 
Teilung  des  Limbus  ergänzten.  Vgl.  Tychonis  Brahe ,  Astronomiae  instau- 
ratae  mechanica.     Noribergae  apud  Levinum   Hulsium.     Anno  MDCII.  2  ^. 

Es  lag  nahe ,  Instrumente  mit  Teilkreis  und  beweglicher  Diopterregel 
(Alhidade)  auch  in  der  Feldmefskunst  anzuwenden.  Die  älteren  Autoren  be- 
zeichnen solche  Instrumente  als  Scheiben  Instrumente  oder  Graphometra. 
Da  bei  Aufnahmen  im  Gelände  sowohl  spitze  als  stumpfe  Winkel  zu  messen 
sind,  ist  der  Quadrant  nicht  die  geeignete  Form  für  das  Scheibeninstrument, 
es  fanden  vielmehr  Halbkreise  oder  Vollkreise  Verwendung  und  die  Instru- 
mente wurden  danach,  nicht  sehr  korrekt,  als  halbe  und  ganze  Scheiben- 
instrumente bezeichnet. 

Den  Zeitpunkt  ihrer  ersten  Einführung  konnte  ich  nicht  genau  ermitteln. 
Nach  freundlicher  Mitteilung  des  Direktors  des  Conservatoire  des  arts  et 
metiers  zu  Paris,  Herrn  Oberst  Eaussedat  gibt  Daufrie,  tailleur  des  monnaies 
de  Franc  1598  die  Beschreibung  eines  von  ihm  erfundenen  Graphometrons 
mit  einer  festen  und  einer  beweglichen  Regel.  Dies  ist  die  älteste  bis  jetzt 
bekannte  Beschreibung  eines  Scheibeninstrumentes.  Das  Instrument  selbst 
war  aber  schon  früher  bekannt.  Wir  besitzen  ein  zu  geometrischen,  astro- 
nomischen und  gnomonischen  Zwecken  verwendbares  Instrument  von  Praetorius 
W.  1.  13  aus  dem  Jahre  1568.  welches  unter  anderem  auch  die  Teilkreise 
und  Diopter  der  Scheibenin.strumente  enthält.  Aus  dem  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts haben  wir  eine  sogen.  Eisenscheibe  W.  J.  1033,  und  die  fniher  be- 
sprochenen Distanzmesser  von  Joachim  Kreich  und  Leonhard  Zübler,  welche 
auch  mit  Teilkreisen  verschen  waren  beweisen  ,  dafs  Scheibeninj^trumente  zu 
Ende  des    16.  Jahrhunderts   in   Gebrauch    waren. 

Mitteilungen   aus  dem  german.   Nationalmuseum.      1897.  XI. 


—     82 


Die  ScluMbi-ninstriniKMitc;  hostelicn  aus  ciiKnii  Teilkreis  mit  cintn-  dem 
Anfang,'  lier  Teilunj^  iMitsprechcntlcn  festen ,  und  einer  um  den  Mittelpunkt 
diehbaren  Dioptene^el ,  deren  Sehaxe  di(;  Diehunj^saxe  scjineidet.  Beiiuts 
Messun^f  eines  Winkels  wird  das  Instrument  im  Scheitel  des  Winkels  so  auf- 
^u\stellt,  dals  die  Scheibe  nK)i^dichst  horizontal  steht,  k'.s  wird  dann  die  fest- 
stelu'udi"  l)ioi)terre^u>l  auf  den  c>inen  Schenkel  einvisiert  und  das  Instrument 
fest^^estc^llt.  Weiter  wird  das  bewe<4liche  Diopter  solange  gedreht,  bis  es  die 
Richtuni,'  des  anderen  Schenkels  hat.  Die  Ablesung  des  Punktes,  welchen 
die  bewegliche  Regel  in  dieser  Stellung  auf  dem  Teilkreis  berührt ,  gibt  die 
(jr()fse  des  Winkels  unmittelbar  an.  Ist  mit  dem  Instrument  eine  Bussole 
verbunden,  so  läi'st  sich,  da  die  feste  Regel  entweder  parallel  oder  senkrecht 
zur  Südnordrichtung  steht,  ohne  Mühe  auch  die  Himmelsrichtung  der  Visier- 
linien bestimmen.  Hei  Aufnahme  von  Polygonen  wird  beim  zweiten  und  den 
folgenden  Standpunkten  die  feste  Regel  auf  den  jeweils  vorhergehenden  Punkt 
eingestellt  imd  mit  der  beweglichen  auf  den  folgenden  visiert.  Aufserdem 
sind  die  Längen  der  Seiten  zu  messen. 

Ältere  Instrumente,  welche  mit  Bussolen  versehen  sind,  sind  nicht  selten 
auch  zum  Auftragen  der  Aufnahmen  eingerichtet.  Später  fand  das  Auftragen 
gewöhnlich  mittels  des  Transporteurs  statt. 


Fig.  28. 


Fig.  24. 


Bei  der  Teilung  der  Kreise  wird  im  Allgemeinen  nicht  über  halbe  Grade 
hinausgegangen,  soferne  die  Teilung  auf  den  äufsersten  Kreis  beschränkt  wird. 
Will  man  kleinere  Teile  von  Giaden  mefsbar  machen  ,  so  werden  mehrere 
Kreise  und  zwischen  diescMi  Transxersalen  von  Grad  zu  Grad  gezogen,  welche 
gestatten,  noch  W^inkel  von  10 — 6  Minuten  zu  messen.  Das  Prinzip  ist  das 
der  Transversalmafsstäbt,'.  Will  man  einen  Abstand  a-b  (Fig.  23)  in  eine 
Anzahl ,  gleiche  Teile  teilen ,  so  zieht  man  in  gleichen  Abständen  Parallele 
\on  gleicher  Länge  und  verbindet  den  linken  h^.ndpunkt  dcM-  unteren  mit  dem 
rechten  der  oberen  Parallele  durch  eine  (jerade,  diese  schneidet  alsdann  auf 
den  z\visch(Miliegenden  Parallelen  Teile  ab,  welche  auf  die  (Grundlinie  projicirt, 
diese   in   gleiche   'Peile   teilen. 

Bei  l'bertragung  dieses  Teilungsprinzipes  auf  den  Kreis  ergeben  sich 
freilich,  wenn  die  Abstände  dcv  Parallelkreise  gleich  und  dit;  Trans\-ersalen 
gerade  sind,  unglciclu^  Teile,  \gl.  Fig.  24  1,  doch  ist  der  Fehlen-,  weMin  die 
Teikmg  nicht  auf  einen  grcilseren  Sector  wie  hier,  sondern  nur  auf  1  "  aus- 
gedehnt ist  (;in  s(ihr  geringen"  und  wurde  g(,'W(Jhnlich  \ernachlälsigt.  Line 
richtige   Teilung   lälst    sich    auf  zwei    Wegen    eri-eich(;n,    entweder    indem     man 


83 


bei  gleichen  Abständen  der  Parallelkreise  die  Transversale  krümmt,  oder  indem 
man  bei  gerader  Transversale  die  Abstände  der  Parallelkreise  ungleich  macht, 
vgl.  Fig.  24,  II  und  III.  Ersteres  Verfahren  gibt  Bion  in  seinem  Traite  de  la 
construction  .  .  .  des  instrumens  de  mathematique,  Paris  1752,  S.  127  und 
PI.  XIV  an,  das  andere  ist  bei  mehreren  unserer  Instrumente  angewendet. 

Das  Bestreben  der  alten  Instrumentenmacher ,  eine  möglichst  vielseitige 
Anwendbarkeit  der  Instrumente  zu  ermöglichen  führte  dahin  ,  dafs  entweder 
auf  dem  Limbus  oder  auf  der  Scheibe  noch  andere  Teilungen  angebracht 
wurden. 


\^w-^^< 


Fig.  2.").    (lanzeÄ  Sclieibciiiiistruineiit  vom  Hefriim  lirs  17.  .lahrhuiidrrts. 
W.  .1.  1231. 


Das  germanische  Museum  bc;sitzt  neun  Sch(MlHMiinstnimente  tcMJs  mit 
Vollkreis,  teils  mit  Halbkreis,  aus  dem  17.  und  18.  Jahrhundert  und  eines 
mit  P'ernrohr  aus  dem    19.  Jahrhundert. 

Das  älte.ste  (Fig.  25)  ist  ein  ganz(\s  Scheibeninstrument,  W.  J.  122], 
aus  dem  Beginn  des  17.  Jahrhunderts.  Das  Instrument  stammt  aus  der  Samm- 
lung Spitzer  (La  collection  Sjiitzer  Tom.  V.  }>.  81.  Nr.  ].>  Der  Kreis  hat  einen 
Durchmesser  von  19  "nun  und  ist  in  halbe  Grade  geteilt,   eine  schätzungsweise 


84       - 

Bestiiniiuinj^  von  't  Graden  ^  15'  ist  noch  ohne  Mühe  auszuführen.  Am 
oberen  Teil  des  Kreises  ist  eine  zweite  Teihm^f  an^^ebracht ,  welclie  der  Ein- 
teilunj.:^  des  Kreises  in  rej^^fehiiälsii^e  FolyL,^oni>  \-oni  ViiM-eck  bis  zum  Zwölfeck 
entsjiricht.  Die  Scheibi?  selbst  ist  durchbrochen.  In  den  Zwischenraum  zwi- 
schen dem  Limbus  und  der  mittleren  Scheibe  ist  ein  doppeltes  s^^eometrisches 
Quadrat  einL^'eschrieben,  dessen  Seiten  in  60  Teile  ^fet(;ilt  sind.  An  den  Enden 
des  Haujitdiuchmessers  0  360" — 180"  stehen  feste  Abseilen  (Diopter).  Die 
bewegliche   Regel   trug  ehemals  eine   HussoK;. 

Dem  Hauptdurchmesser  parallel  ist  eine  Kegc-l  mit  dem  Kreis  in  fester 
Verbindung.  Das  Instrument  konnte  also  mit  Verwendung  der  Bussole  auch 
zum  zeichnerischen  Auftragen  der  Aufnahmen  gebraucht   werden. 

An  die  Scheibe  ist  unten  eine  mit  einem  horizontalen  Gelenk  versehene 
Hülse  angeschraubt,  mittels  deren  die  Scheibe  auf  das  Stativ  aufgesetzt  wurde. 
Das  Gelenk  ermöglicht,  die  Scheibe  in  senkrechte  Stellung  zu  bringen,  was 
nötig  war,  wenn  Höhen  nach  Graden  oder  mit  dem  geometrischen  Quadrat 
gemessen  werden  sollten. 

Aufser  zum  ^Messen  oder  zum  Abstecken  vr)n  horizontalen  Winkeln  war 
das  Instrument  also  auch  zum  Höhenmessen  und  endlich  zuiti  Abstecken 
von  regelmäfsigen  Polygonen,  wie  sie  namentlich  im  h'estungsbau  vorkamen, 
verw-endbar. 

Ein  halbes  Scheibeninstrument,  W.  J.  265,  bezeichnet:  Michael  Scheffelt 
Uhu  fecit  An.  lyoS,  hat  gleichfalls  eine  Teilung  zum  Abstecken  von  Poly- 
gonen. Die  Diopter  sind  zum  Umlegen  eingerichtet.  Ihre  Träger  sowie  die 
Füllung  der  inneren  Scheibenfläche  sind  mit  schcnien  durchbrochenen  und 
gravierten   Ornamenten  geziert. 

Ein  hervorragend  schönes  Instrument,  W.  j.  250  ist  in  Fig.  26  darge- 
stellt. Es  ist  l)ezeichnet:  Franciscits  Ficbig  vie  fecit  und  ist  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Der  Durchmesser  des  KrcMses  beträgt  314  mm. 
Der  Limbus,  auf  welchem  verschiedene  Teilungen  angebracht  sind,  hat  eine 
Breite  von  36  mm,  innerhalb  desselben  ist  die  Fläche  ausgeschnitten ,  nur 
vier  Stege  laufen  nach  dem  mittleren  Kreis.  Die  1-Lnden  der  Stege  sind  mit 
durchbrochenen  Rankenornamenten  verziert.  Auf  dem  mittleren  Kreis  ist  eine 
Bussole  befestigt,  um  welche  sich  die  bewegliche  Regel  dreht.  An  den  vier 
Enden  der  Hauptdurchmesser  der  Scheibe,  wie  an  den  lüidcm  der  beweglichen 
Regel   sind  Diopter  angebracht. 

Der  Limbus  trägt  drei  Teilungen.  Der  äufsere  Kreis  ist  in  360"  und 
diese  in  je  sechs  Teile  geteilt,  so  dafs  eine  dirt^kte  Ablesung  auf  zehn  Bogen- 
minut(;n  m(',g]ich  ist.  Bei  genauer  Ijeobachtung  kann  man  Schätzungsweise 
auf  5'  kommen.  Die  Teilung  ist  von  rechts  nach  links  und  \<in  links  nach 
rechts  numeriert  und  zwar  stehen  die  Anfänge  bt-idei-  Numerierungen  um  15" 
von  einanrler  ab.  Dies  rührt  daher,  dafs  die  Ablesung  nicht  in  der  \"isier- 
linie  der  beweglichen  Diojjicr  sondern  an  den  Kanten  di'r  Kegel  geschieht, 
w(,'lche  auf  die  Pjreite  des  Limtjus  eine  radiale  Richtung  habcMi  und  um  7 '  •_>  " 
vc)n   der   X'isierlinie  abstehen. 


85 


Der  innere  Kreis  ist  in  den  vier  Quadranten  mit  einer  Skala  zu  Höhen- 
messungen, einer  Übertragung  des  geometrischen  Quadrates  auf  den  Kreis 
versehen,  jeder  Quadrant  ist  in  zweimal  Hundert,  gegen  die  Alitte  abnehmende 
Teile  geteilt.  Auch  hier  ist  die  Teilung  gegen  die  Axe  der  festen  Diopter 
um7\L>"  nach  rechts  verschoben.  Zwischen  diesen  beiden  Teilungen  ist,  auf 
die  vier  Quadranten  verteilt  die  Gröfsc  der  trigonometrischen  Funktionen 
Sinus,  Tangente,  Secante  und  Sagitta  :=  Sinus  \ersus  in  der  Weise  dargestellt, 
dafs  man  von  jedem  Bogen  aus  die  Gröfse  der  ihm  entsprechenden  Funktion 
ablesen  kann.  Hiebei  ist  eine  Teilung  des  Radius  in  1000  Teile  zu  Grunde 
gelegt. 


Fig   26.    Gaiizps  S<',h('ibeninstrument  von  Fraiiciscus  Ficbiir. 
17.  Jahrhundert  2.  H.     W.  .1.  25fi. 


Das  Instrument  ist  zunächst  zu  Winkelmessungen  !)(\stimmt ,  es  kann 
aber  auch  zur  Messung  von  H()hen  und  horizontalen  Längen,  sowie  zu  deren 
trigonometrischer   IJerechnung  xerwenck^t   werden. 

Die  Ausführung  des  Instrumentes  ist  iMue  \ ortrt^Tliche  ,  sowohl  das  in 
technischer  wie  in   dekorativer   Hinsicht. 

Fin  kleines  hübsch  gearl)eitet(^s  halbes  Scheibeninstrument  W.  J.  1266 
\on  nur  7 '.- cm  Durchmesser,  bezeichnet  /Xnthon  Sneew  ,  aus  dem  17.  Jahr- 
hundert, hat  eine  Teilung  in  halbe  Grade  und  auf  dem  inneren  Rande  des 
Limbus   eine   Scala   zur   Hcihenmessung   igeometrisches   Quatlral   aui    den  Kreis 


—     86     — 


iibertra^u'n).    Auf  dem  Drc^hpunktc*  cl(>r  hcwcj^flichcn  Re^'cl  ist,   mit  ihr  drehbar, 
eine   Bussole  ans^ebracht. 

l^ei  der  Mehrzahl  unsercM"  Instiumente  ist  eine  Teihm^  der  einzelnen 
Grade  durcli  TransNersalen,  ^nnv()hnhch  in  sechs  Teile  zu  10',  zuweilen  in  zehn 
Teile  zu  6'  ani^ei^u^ben.  Hier  sei  zunächst  das  ^'anze  Scheibeninstrument  W. 
j.  1263,  Vi\i.  27  erwähnt,  dessen  Limbus  eine  'l'ransversalteilun<^f  mit  gleichen 
Abständ(Mi  in  Sc^chstelsgiade  (10')  trägt.  Auf  dem  Instrument  ist  ein  do])peltes 
geometrisches  Ouadrat  angebracht.  I)(ni  Haujjtdurchmessern  entsprechen 
Diopter,  selbstverständlich  ist  auch  die  bewegliche  Regel  mit  einem  solchen 
versehen.      Über  dem  Zentrum   ist  eine   feststehc;nde  Bussole  angebracht. 


Fig.  27.    Ganzes  Sch.'ibotiinstrumetit.     18.  Jahrluindert.    W.  .).  1263. 

Die  Scheibe  ist  mit  durchbrochenem  Ranktmornament  geziert  ,  das, 
prächtig  gezeichnet,  den  Raum  in  vortrefflicher  Weise  ausfüllt.  Leider  ent- 
si)richt  die  Sorgfalt  der  Teilung  nicht  ganz  dem  künstlerischen  Werte  des 
sch(")ncn   Instrumentes. 

Das  Instrument  hat  noch  sc'in  altes  Stativ  mit  Kugelgelenk,  auf  welches 
es  mittels  einer  Hülse  aufgesetzt  wird.  Die  halben  Scheibeninstrumente  W. 
).  2,")]  aus  dem  17.  Jahrhundert  und  W.  j.  1220  von  Bulterfield  in  Paris  (aus 
der  Sammlung  Spitzer  Nr.  2769)  sowie  W.  j.  967  von  (diapotot  aus  Paris 
aus  dc;m  1<S.  Jahrhundert  haben  TranswMsalteilung  der  einzelnen  Grade  mit 
aefjuidistantcn  Kreisen.  Bei  den  beiden  ersteren  sind  die  Grade  in  sechs,  bei 
letzterem    in   zehn   Teile   geteilt. 


87     — 


Ein  halbes  Scheibeninstrument  von  J.  G.  Ebersberger  in  Nürnberg  1729, 
W.  J.  252,  Fig.  28,  hat  Transversalteilung  mit  ungleichen  Abständen  der 
Kreise,  so  dafs  die  Teilung  vollkommen  korrekt  ist.  Es  ist  einfach,  aber  sorg- 
fältig gearbeitet. 

Das  Visieren  mit  Dioptern  erfordert  eine  grofse  Accommodationsfähig- 
keit  des  Auges,  welche  nicht  jedem  Auge  eigen  ist,  man  hat  deshalb  schon 
zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  an  Stelle  der  Diopter  h'ernrohre  mit  Faden- 
kreuz gesetzt.  Abbildungen  derartiger  Instrumente  mit  einem  festen  und 
einem  drehbaren  Fernrohr  finden  sich  schon  in  der  ersten  Auflage  von  Bions 
Traite,  übersetzt  von  Doppelmcyer.  1712.  Tab.  XIII  und  XIV,  ersteres  eine 
sog.  Planchette  ronde  (vgl.  Seite  13),  letzteres  ein  halbes  Scheibeninstrument. 
Ein  Instrument  aus  der  Spätzeit  des  18.  oder  dem  Beginn  des  19.  Jahrhun- 
derts besitzt  das  germanische  Museum  (W.  J.  631).  Der  Limbus  i.st  in  ganze, 
halbe  und  vierteis  Grade  geteilt,  innerhalb  desselben  ist  die  Fläche  der  Scheibe 


Fig.  28.    Halbes  Srhiiiboiiiiistruinent  von  .).  G.  Ebersperger  in  Nürnberg-.    172'.». 

etwas  vertieft,  so  dafs  ein  Zeichnungsblatt  eingelegt  werden  kann.  Auf  die 
Mitte  kann  eine  Kippregel  mit  Fernrohr  aufgeschraubt  werden.  An  der  Kipp- 
regel ist  ein  Nonius  befestigt,  an  welchem  30  Teile  29  V'iertelsgraden  des 
Limbus  gleich  sind.  Das  Instrument  kann  also  zur  Messung  wie  zur  Auf- 
zeichnung von  horizontalen  Winkeln  benützt  werden.  Leider  ist  es  so  defekt, 
dafs  ich  hier  von  einer  Beschreibung  absehen  nuils. 

Ich  habe  mehrfach  darauf  hingewiesen,  dafs  die  Scheibeninstrumente 
auch  zur  Messung  vertikaler  Winkel  benutzt  wurden;  die  Scheibe  nuifste  als- 
dann vertikal  gestellt  werden,  was  mittels  einer  horizontalen  Axe  oder  mittels 
eines  Kugelgelenkes  möglich  war.  Diese  Umstellung  der  Scheibe  licfs  sich 
vermeiden,  wenn  man  das  bewegliche  Diopter  so  einrichtete  .  dals  es  nicht 
nur  in  horizontaler,  sondern  auch  in  vertikaler  Richtung  gedreht  werden  konnte 
und  wenn  zugleich  eine  Ablesung  des  Winkels  der  vertikalen  Drehung  mög- 
lich  war. 


SS 


Audi  solche^  Iiistninientc  waren  schon  im  16.  jahrhundcMt  im  Gebrauch. 
Ich  erinnere  an  da.s  h^in^^an^s  erwähnte  Univer.sahn.strument  von  Praetoriu.s 
au.s  dem  Jahre  156S.  Ferner  ^eh(')rt  hierher  die  Ei.sen.scheibe  (Markscheide- 
instrument) W.  ).  1033  Fi^^  29  und  der  Aufsatz  einer  solchen  W.  J.  1149. 
Beide  sind  in  ihrer  Konstruktion  nah(^zu  iek^itisch  ,  (\s  ^enüt^t  also  die  Be- 
schreibun^,'  des   vollstcändi^reren.      V(.,d.   auch   das   Instrument    von    Lörcr  S.    13. 

Dieses  trä^^t  die  Bezeichnung  W.  P.  Der  Stil  der  Ornamente  und  die 
Schrift  weisen  auf  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts  und  ein  Zulegein.strument 
desselben  Meisters  trägt  die  Jahreszahl  1599.  Den  Namen  des  Meisters  konnte 
ich  nicht  ermitteln,  dagegen  ist  es  nicht  ganz  unwahrscheinlich,  dafs  sich  sein 
Bildnis  im  germanischen  Museum  befindet.  Dieses  Bildnis  hängt  in  der  sog. 
Kostümgallerie  unter  Nr.  652.  Es  ist  von  Hieronymus  von  Kessel  im  Jahre 
1613  gemalt  (Eigentum  der  kgl.  bayerischen  Staats-Gemäldcsammlung  N.  Inv. 
5546)  und  stellt  eine  Familie  in  bih-gerlicher  Tracht ,  Mann ,  P'rau  und  zwei 
Kinder  dar.     Der  Mann  hält  in  der  linken  Hand  das  vielleicht  von  ihm  erfundene 


Fig.  29.    Eisenscheibi;  von  W.  P.    Um  1600. 

Zulegeinstrument  mit  der  Bezeichnung  F.  W.  1591.  Die  Tracht  ist  deutsch 
und  die  Anhänger,  welche  sämtliche  Familienglieder  tragen,  besagen,  dafs  die 
Familie  der  katholischen  Konfession  angeh(")rt.  Die  Provenienz  des  Bildes  ist 
nicht  bekannt. 

Die  geometrischen  Instrumente  erfahren  für  die  Anwc;ndung  in  der  Mark- 
scheid(;kunst,  der  auf  den  Bergbau  angewandten  Mefskunst,  gewisse  Umgestal- 
tungen ,  welche  hauptsächlich  dadurch  bedingt  sind  ,  dafs  in  vielen  Fällen 
längere  Visicriinien,  wie  sie  die  Anwendung  von  Dio])tern  oder  Fernrohren 
erfordert,  nicht  gegeben  sind.  Schon  bcM  diM'  Besi)rechung  des  !  längekompafs 
habe'  ich  (Mwähnt,  dafs  das  Streichen  d(;r  Linien  durch  g(;spannte  Schnüre 
angegeben  wiid.  Von  Alters  her  ist  in  der  .Markscheid(^kunst  die  Teilung  des 
Kreises  in  24  Stundcm  üblich.  Auch  für  die  Richtung  der  Linien  sind  beson- 
dere d(M-  übrigen  Feldniefskunst  fremde  Ausdrücke*  in  Gebrauch  geblieb(Mi. 
hjne   horizontale    Liiüe   heifst   s(')hlig,   eine    vertikale   seiger   und   eine*   schiel   an- 


—     89     — 

steinende  donlegi^.  Die  Projektion  einer  donlegi^^en  Linie  auf  eine  horizontale 
Fläche  wird  als  ihre  Sohle,  die  auf  eine  vertikale  Fläche  als  Seigerteuffe  be- 
zeichnet. 

Das  Instrument  Fig.  29  besteht  aus  einer  horizontalen  Scheibe  und  aus 
einem,  um  eine  in  deren  Mittelpunkte  errichtete,  vertikale  Axe  drehbaren 
Aufsatz.  Das  Instrument  konnte  auf  ein  Stativ  oder  eine  andere  Unterlage 
geschraubt  werden.  Die  horizontale  Scheibe  hat  einen  Durchmesser  von 
176  mm;  sie  ist  aus  Birnbaumholz,  auf  ihrer  oberen  Fläche  ist  der  Limbus 
und  das  füllende  Ornament,  auf  dei-  unteren  die  Bezeichnung  W.  P.  aus  Bein 
eingelegt.  Der  Limbus  ist  in  24  vStunden  und  jede  Stunde  in  acht  Teile  ge- 
teilt. Die  Numerierung  der  Stunden  läuft  von  links  nach  rechts  wie  bei  der 
Uhr.  in  die  Scheibe  sind  zwei  Bussolen  eingelassen ,  deren  IMittagslinie  von 
den  Stunden  0  24  nach  12  geht.  Die  freibleibende  Fläche  ist  mit  derbem 
Blattornament  gefüllt.  Die  (Gravierungen  auf  den  weifsen  Flächen  sind  mit 
schwarzer  und  roter  Farbe  eingerieben. 

Ein  Dorn,  der  sich  in  der  Mitte  der  Scheibe  erhebt,  trägt  den  drehbaren 
Aufsatz.  Statt  des  Diopters,  das  in  den  Gruben  keine  Anwendung  fand,  ist 
ein  Richtscheit  (Arm)  angebracht ,  das  mit  einem  horizontalen  Gelenk  und 
einem  Zeiger  versehen  ist  und  vorn  in  einen  Hacken  ausläuft,  in  welchen  die 
die  Richtung  der  Linien  bezeichnende  Schnur  eingehängt  wird.  Das  Gelenk 
des  Richtscheites ,  welches  eine  Drehung  des  vorderen  Teiles  in  xertikaler 
Richtung  gestattet ,  steht  im  Mittelpunkt  eines  V'ertikalkreises.  Die  beiden 
äufseren  Quadranten  dieses  Kreises  sind  von  der  söhligen  Stellung  des  Richt- 
scheites aus  in  je  12  Stunden  und  jede  Stunde  in  acht  Teile  geteilt.  Der 
Winkel  einer  Stunde  umfafst  also  nicht  15"  wie  auf  der  söhligen  Scheibe', 
sondern  niir  l^i.  Ich  weifs  nicht  ob  diese  Art  der  Teilung  allgemein  verbreitet 
war;  bei  dem  Aufsatz  einer  Eisenscheibe  \V.  J.  1149  findet  sie  sich  ebenfalls. 
In  späterer  Zeit  wurde,  auch  wenn  das  Streichen  der  Linien  in  Stunden  an- 
gegeben wurde,   ihre  Donlege  (Neigung)  nach   Graden  gemessen. 

Aufser  dem  Richtscheit  und  dem  Teilkreis  ist  an  dem  Aufsatz  ein  Zeiger 
angebracht,  der  die  Stellung  des  Richtscheites  auf  der  söhligen  Scheibe  an- 
zeigt und  endlich  ein  Lotmafs  zum  Zweck  der  genauen  Aufstellung  des  In- 
strumentes. 

War  das  Instrument  S(')hlig  und  nach  der  Mittagslinie  aufgestellt,  so  dafs 
sich  sein  Mittelpunkt  über  einer,  oder  über  dem  Schnittpunkte  zweier  Linien 
stand,  wurde  die  Mefsschnur  in  den  1  lacken  des  Richtscheites  eingehängt  und 
angespannt,  so  dafs  sie  der  Richtung  der  zu  bc^stinunenden  Linie  parallel  war, 
so  stellte"  sich  der  Aufsatz  in  eine  Vcn-tikalebene  ein,  welche  duixh  den  Dorn 
und  die  Schnur  bezw.  die  Linie  gelegt  wai-  und  (k'r  untere  Zeiger  gab  aut 
der  EisenschcMbe  den  Winkel  der  Linie  gegen  die  Mittagslinie,  der  ZcMger  am 
Richtscheit  die  Donlegc^  dei"  Linie  an.  liei  Messung  \()n  Winkeln  mulsten 
die   Differenzen   der   /AblesungcMi   gesuehl    we-idcn. 

lun  geometrisches  Instrument  ähnliclKM"  Konstruktion  aus  dc>m  IS.  Jahr- 
hundert, besitzt  das  geinianische  Museum  untei'  W.  j.  166,  k'ig.  'M).  Auf 
cMuer   horizontalen  Scheibe  xon    13,2  cm   DuichmesscM",   dercMi    Limt)us   in   ganze 

Mitteilungen   aus   dem  german.   Nationalmuseum.     1897.  XII. 


90 


Grade  <^u-tcilt  ist\  ist  konzentrisch  eine  kl('in(M-e  drchharc  SchcMbc  anf^cbraclit. 
Aul"  ilit'scM-  ScheÜH*  (.-rhcbt  sich  (Mn  Gc-stell ,  das  eine  um  eine  horizontale 
Axe  ih-ehbare  1  )i()i)terre<4el  untl  einen  mit  dieser  aus  einem  Stücke  ^beschnit- 
tenen I  laibkreis  trä^ft.  Der  I  Iall)kreis  ist  von  der  Mitte  an  nach  beiden  ScMten 
in  90"  ^'eteilt.  h^in  Lot,  welclies  an  der  Axe  Ix;festi(^t  war,  jetzt  aber  fehlt, 
spielte^  bcM  horizontaler  Stellun<,f  der  Re<,U'l  auf  den  Null])unkt  der  Teilung  ein 
und  i,^ab,  wenn  das  I^iopter  um  die  horizontak^  Axe  «gedreht  wurde,  dessen 
NiMgunij  l^'cgen  den    Horizont   an.     Zum  Zweckt'  der  Messung   vtjn   llorizontal- 


Fifr.  31».     Iiistr  iiiiuit  7iii    Mis-^in.'  \    n  li   ii/  iitil  n  un  1  \    itikaieii  Winkeln 
1^.  Jahihiindut,  W .  J.  U,h. 


winkeln  ist  an  der  dr(dibaren  Scheibe  in  d(>r  Richtung  der  Dioptt^-rt^gel  ein 
Stift  angebracht,  welcher  auf  denn  Limbus  (Um-  fcvsten  Scheibe  die  Stellung 
der  Visierlini(;  angibt.  Die  Differenz  der  Ablesungen  ergibt  die  (jrr)fse  des 
Winkels. 

An  der  festen  1  iorizf)ntalscheibe  ist,  parallel  zu  dcv  Idnie  0 — ],S()  der 
Tt'ilung  eine;  Diopleri-egel  angebracht,  {\s  konnte  also,  wenn  diese  auf  (Jen 
(;inen,  und  die  (Ji-chbarc  auf  den  anderen  W'inkelschtMikel  eing(\stellt  war,  die 
(jr()lse  des  Winkc'ls  auf  dei'  1  lorizontalscheibe  auch   uiunittt-lbar   ab<relesen  wcv- 


—     91     — 

den.     Die   Ablesung  ist  mit  einem   kleinen,    aus  der  Exzentricität  der  Visier- 
linien herrührenden  Fehler  behaftet. 

Die  S[)angen  auf  der  drehbaren  Scheibe    trugen    ehemals    eine  Bussole. 

Das  Instrument  ist  kein  einfaches  Scheibeninstrument  mehr,  sondern  es 
ist  im  Prinzip  ein  Theodolit,  allerdings  von  einfachster  PV)rm  und  Konstruk- 
tion und  der  Weg  von  ihm  bis  zu  den  äufserst  vollkommenen  Instrumenten 
unserer  Zeit  ist  ein  weiter,  aber  die  Grundgedanken  des  Theodolits  sind  in 
unserem  Instrumente  schon   verwirklicht. 

Unsere  Sammlung  besitzt  keine  Instrumente,  welche  die  allmälige  Aus- 
bildung des  Theodolites  veranschaulichen,  lünige  derartige  Instrumente  sind 
in  der  fürstlich  Wallerstein'schen  Sammlung  in  Alaihingen,  andere  im  Museum 
l'ridericianum  in  Kassel,  auch  in  den  geodätischen  Sammlungen  der  technischen 
Hochschulen,  in  den  Beständen  der  topographischen  Bureaus,  der  Kataster- 
bureaus u.  s.  w.  dürfte  sich  manches  Material  zur  h^ntwick(?lungsgeschichte  des 
Theodoliten,  des  vollkommensten  geodätischen  Winkelinstrumentes  finden. 

(Fortsetzung  fol<;t.) 

Nürnberg.  Gustav  von  Bezold. 


^^/K*^  Is  das  sowohl  kunstgesc 
/'.\/^^V^^    samste  Stück    der    zu 


Der  Zeugdruck  mit  der  heiligen  Anna,  der 
Jungfrau  Maria  und  Seraphim  (aus  der  Samm- 
lung Forrer,  jetzt  im  Germanischen  Museum) 

und  einige  altkölnische  Handzeichnungen. 

(Mit  einer  Lichtdrucktafel.) 

schichtlich,  wie  auch  rein  künstlerisch  bedeut- 
v^/.w«-  .ncti,...;.v  ^L^.^iv  vav^x  x,i.  Anfang  des  Jahres  1895  vom  Germanischen 
^-iv^i >*=>-.  Museum  erworbenen  Dr.  R.  ForrcM-'schen  Zeugdrucksammhmg,  mit 
deren  Katalogisieiung  der  Unterzeichnete  zur  Zeit  beschäftigt  ist,  darf  ohne 
Zweifel  der  ungebleichte  Leinenstoff  gelten,  dessen  schwarz  aufgedruckte  Dar- 
stellung unstu-e  Textabbildung  in    Li   der  Originalgr(')fse   wiedergibt  M- 

Rcxhts  sehen  wir  die  heilige  Mutter  Anna  in  cm  faltenreiches  Gewand 
gehüllt  auf  einer  Bank  sitzend,  den  linken  Fufs  auf  (Muen  hTifsschemel  von 
d(^r  vorauszusetzenden  Länge  der  l)ank  gesetzt.  Ihr  zur  S(Mte  stecht  die 
jugendlichiN  kaum  dem  Kindesalter  entwachscme  .Maria,  sich  lc>rnl)egierig  über 
c'mc  SchriftrolU;  beugend,  die  sie  mit  beiden  Händen  hrilt  und  die  aufgcM-ollt 
üb('r  (Umi  Schofs  der  Mutter  bis  auf  die  Kn\c  hinabfällt.  Die  heilige^  Anna 
weist  mit  denn  Zcngefingcn'  der  rechten  Hand  offenbar  auf  Noten  zu  Anfang 
des  Schriftbandes  hin,  und  der  weiter  folgi-nde  Text  der  Rolle:  gloria 
laus   deo<  -)   zeigt   uns,    clafs    es   der   Gesang    zu    Lob   und   Preis   des    H(')chsttMT 

11  Herr  Dr.  Forrer  war  so  liebenswürdig',  vnis  tias  ("liehe  für  diesen  Auisatz  wie 
für  den  Gewebekatalo^f  zur  \'erfü<,UTn^  zu   stellen, 

2)  Das  letzte  Wort  verkehrt  geschnitten.  V;4l.  auch  Forrer,  Die  Zeuj^tlrucke  der 
byzantinischen,   romanischen,  ^'otischen  und  späteren  Kunstcjioche  n.    Stralsbur;^  IS'M  S.  L'S. 


—     92     — 

ist,  worin  ilit-  Mutter  die  Tochter  unterrichtet.  Sie  wird  darin  \(»n  fünf  als 
\'(")j4el  nut  l-'.ni^udskopfen  i^^fcstaltetiMi  Seraj)liini  unt(M-stützt.  (he  hinter  der  Jung- 
frau Maria,  ihr  lieiht;  .  heiH^.  licihij  sinkend,  den  Kaum  erfüllen.  Dieser 
wird  ül)erw(ill)t  \  on  dici  laotischen  Baldachinen,  \-on  denen  der  inittlert', 
breiten'  und  auch  wohl  xorspiins^i'nd  L,fedachte  wiederum  in  drei  'I'eile  (geteilt 
ist.  Dil'  mit  Krabben  und  Kicuzblumen  Ljeschnu'ickten  Wimpers^c  derselben 
ra^en  \ov  einer  Arkadenreilic  emjjor,  die  \(.n  einem  X'ierpafsfries  überh()ht 
wird,   worauf  das  Ganze  mit   einer  Bekrömm^   xon   Blumen  abschliefst. 


T«:#T4»2ft:«r«%^i<^^^^^^%4 


Nit-derrheinisi'lier  (kölnischer)  Zi,-ii?i]ni''k.    15.  .lahrhiindert. 


Diese  Darstellung  erscheint  hell  auf  dunl^lem,  mit  gotischtmi  Distel-  und 
Kankenwerk  ^u-mustertcm  Grunde  und  wiederhc)lte  sich  zum  mindesten  nach 
oben  hin  n'jch  einmal.  Von  diesei'  Wiederholung^  scheidet  sie  eine  12  mm 
breite  \'ieii)arsbf)rdüre,  und  eine  ebensolche  IJordüre  bildet  auch  nach  unten 
hin  den  Abschlufs,  (jerade  der  Umstand,  dafs  wir  es  q'cwissermafsen  nur 
mit  der  hjnheit  einer  Must('runL;  zu  thun  haben,  verdunkelt  uns  den  Zweck, 
zu  d('m  unsei"  Ze-ULjdruck  ui'sjJi'ünL^'lich  hei'L,'estellt  sein  ma;^.  Handelte  es 
sich  nui-  um  cinc^n  einmaligen  Abdruck  des  Models,  um  einen  Bilddruck,  so 
wären  wii'  wr)hl  ehei'  b(,'rechtiL^t,  eine  X^irlaj^e  \'i\v  Stickerei  darin  zu  erblicken, 
wie    solche    nachweislich    nicht     selten    durch    ModehJruck     heruesti'llt     wordim 


—     93     — 

sind'^).  Wie  die  Sache  liej^t.  scheint  mir  indessen  diese  Vermutung,' Forrers ') 
nur  wenig  WahrsclieinHchkeit  für  sich  zu  haben,  um  so  weniger,  als  die  sorg- 
fältige und  elegante  Zeichnung  doch  wohl  \errät .  dafs  dieselbe  sich  selbst 
Zweck  war.  Die  eigentlichem  Stickereixorlagen  in  Zeugdruck  sind  zumeist 
weit  gröber.  In  späterer  Zeit  werden  dabei  auch  wohl  die  verschiedenen 
Sticharten  zugleich  mitangedeutet  .  wie  das  z.  P).  bei  dem  \on  Forrer  (Die 
Zeugdrucke  Taf.  LVI)  rejjroduzierten  Zeugdruck,  der,  im  wesentlichen  genau 
nach  der  Darstellung  des  Titelblatts  von  Dürers  MaricMilebcMi  ,  die  Madonna 
mit  dem  Kinde  zeigt  und  sich  jetzt  ebenfalls  im  Germanischen  Museum  be- 
findet, der  k^all  ist.  Fher  möchte  ich  noch  bei  unserem  Zc:ugdruck  mit  der 
heil.  Anna,  der  Jungfrau  Maria  und  den  Seraphim  an  die  aus  einer  doppeltcMi 
Reihe  gleicher  Darstellungen  bestehende  breite  Finfassung  einc?s  auch  im 
übrigen  auf  einfache  Art  mit  stilisierten  Mohn[){lanz(Mi  ,  Distelzweigen  oder 
dergl.  gemusterten  kirchlichen  Vf)rhanges  zur  Abkleidung  eines  Kaumes  (vgl. 
die  zur  Fastenzeit  vor  dem  Altar  aufgehängten  Hungertücher  etc.)  od(M- 
als  Wandbehang  denken.  Alinliche  Doppelborten  zu  solchem  Zweck  —  die 
Darstelkmgen  in  der  Kegel  freilich  nicht  xon  so  ansehnlichen  Abmessungen 
—  finden   sich   unter  den  Geweben   des   14.  und  15.  Jahrhunderts  nicht  selten. 

k^benso  schwc-r,  wie  über  die  urs])rüngliche  Bestimmung  läfst  sich  über 
r)rt  untl  Zeit  der  I'^ntstehung  des  in  Rede  stehenden  Zeugdrucks  nach  diesem 
allein  selbst  Sicheres  aussagen.  Die  Nachrichten  über  s(nne  Provenienz  be- 
schränken sich  darauf,  dafs  er  in  einer  Kirche  bei  luiskirchen  gefunden  wurde. 
Wie  dieser  k\mdort.  sf)  mufste  auch  das  häufige  Vorkonuuen  alter  Zeugdrucke 
namentlich  in  den  ärmeren  Kirchen  der  (hegenden  xon  K(")ln  ,  Düsseldorf, 
Aachen  u.  s.  w.  xon  vornherein  dazu  führen,  den  h'abrikationsort  unseres  Zeug- 
drucks in  die  Landschaften  um  den  XiedcM-rhein  oder  die  angrenzenden  (je- 
biete  zu  \erlegen,  und  die  auf  dtm  k^ntstehungsort  gtMichtete  Frage  hat  denn 
aucli  bisher  nur  gelautet  und  kann  in  der  That  wohl  nui'  lautt-n :  nieüer- 
rheinisch-kölniscli   oder   franz(')sisch-burgundisch  .' 

Die  Ansicht,  dafs  der  Zeugdruck  xielleicht  burgundischen  Ursprungs  sei. 
gründet  sich  vornehmlich  auf  einem  Urteile  \V.  F.  Schreil)ers  ,  wonach  die 
Auffassung  der  Seraphim  als  Vogelgestalten  auf  l-'rankreich  weiscMi  soU'i.  Ich 
kann  die  Richtigkeit  dieser  l-)ehau])tung  nicht  kontrolicM-en ,  da  es  mir  hic/.u 
an  dem  n(")tigen  ikonographischen  Vergleichsmaterial  fehlt.  Was  ich  im  Original 
oder  in  Al)bildungen  an  Seraphimdarstellungen  kennc>  ,  steht  mit  alleiniger 
Ausnahme  der  wtnter  untcMi  zu  bes])rcchenden  Mandzt-ichnung  den  l-.ngels- 
gestalten  des  Zeugdrucks  —  denn  mit  eigentlichem  Seraphim,  d\c  nach  Je- 
saias  6,  2  drei  Paar  hdügel  liabcMi  müfstcMi  und  für  die  aulscM'dem  eine  tc^il- 
weise  X'erdeckung  dc\s  (jesichts  charakterist iscli  ist,  haben  wii"  es  hier  nicht 
mehr  zu   thun  —  \()llig   fern,   vnid   auch    (  )skar   WultT  in    seiner   \ cidiensllichen 

3)  Vgl.  namentlich  Ivs.scnwcin  im  .Anziimr  liir  Kumlr  der  (Untscln'ii  X'or/rit  IST'J 
Sp.  '245,  Lippmann,  Über  die  Ani';inL;e  der  l'(iinT<chiieideknnst  und  des  lülddiucks,  im 
Rcpcrtorium   für  Kun.stwi.s.sen.schaft    1   il87(ii   S.    L'17.   Forrer  a.   a.   O.   .b.   '_")   u.   a.   m, 

4)  a.  a.  O. 

5)  Forrer  a.   a.   ü.   S.   28, 


-     94     — 

DissiTtation  CluTuhini  ,  TliroiK^  und  Seraphim.  Ik()n()gra])hi('  der  ersten 
lüijL,^elshierarchie  in  der  cliristlicluMi  Kunst  (1.  Teil  Altenbur^  1894)  erwähnt 
oder  hinschreibt  niclUs  AhnHches,  olis^diMch  er  zahh-eiche  Typen  bespricht  und 
abbiUli^t,  S.  6.S  tV.  alle  ihm  bekannten  Sera])hdarstellun(^fen  bis  zum  14.  Jahr- 
hundert aufzählt  und  kui/  charakterisiert  und  S.  72  ff.  auch  der  si)äteren  Um- 
wandluni^j;  namentlich  der  Seraphimty])en  ein  besonderes  Kapitel  widmet.  Nur 
/u  zwei  unter  den  dort  behandelten  1^'ällen  bemerkt  Wulff,  dafs  man  den 
Ijndruck  dcv  Vos.;el_L(estalt  erhalte,  weil  die  hdü^fcl  fast  L^anz  oder  ganz  unter- 
halb des  Ko})fes  angeordnet  sind«,  nämlich  bei  der  Darstellung  zweier  Vier- 
tliigUn-  auf  einem  rohen  Frescogemälde  des  13.  Jahrhunderts  in  Xederizy  bei 
Nowgorod  und  bei  zwei  ähnlichen  k'iguren  auf  der  hirzthiir  der  Kathech-ale 
von  Susdal  iGoux  ernement  Wladimir  i,  die  trotz  der  Übereinstimmung  in  der 
Technik  mit  den  Thiu-en  von  S.  Paokj  und  des  Domes  xon  Amalfi  erst  eine 
Stiftung  des  16.  Jahrhunderts  zu  sein  scheine'').  Beide  Werke  östlicher  Kunst- 
iibimg  k(')nnen,  welches  auch  immer  ihre  \'orbilder  gewesen  sein  mr)gen,  für 
unser  Stück  gcwifs  in  keiner  Weise  zur  \"ergleichtmg  in  Betracht  kommen. 
Ich  mufs  also  die  Frage ,  ob  sicli  etwa  aus  der  Art  der  Seraphimdarstellung 
ein  Kriterium  fin-  die  Herkunft  unseres  Zeugdrucks  ergibt,  auf  sich  beruhen 
lassen. 

Dagegen  hätten  wohl  auch  andere  ikonograjihische  Gründe  für  die  Ansicht, 
dafs  die  Darstellung  der  franz(')sischen  Kunsts|)häre  angehören  und  entsprossen 
sein  möge,  beigebracht  werden  können.  Zunächst  k()nnte  man  versucht  sein, 
es  aus  dem  Gegenstand  der  Darstellung  selbst  zu  schliefsen.  Denn  seitdem  1378 
der  öffentliche  Kultus  der  heil.  Anna,  der  im  christlichen  Orient  Ixn'eits  früh- 
zeitig geblüht,  auch  im  Abendlande  Eingang  gefunden  hatte,  indem  Papst  Ur- 
ban  VI.  ihn  den  Engländern  gestattete,  scheint  sich  anfangs  Frankreich  dem- 
selben mit  weit  gröfserem  Eifer  hingegeben  zu  haben,  als  Deutschland,  wo  erst 
gegen  das  Ende  des  15.  und  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  mit  dem  mäch- 
tigen Aufschwung,  den  zu  Ausgang  des  Mittelalters  noch  einmal  der  Marien- 
kultus nahm,  namentlich  infolge  der  Bemühungen  des  Abtes  Trithemius  auch 
die  Verehrung  der  Mutter  Anna  allgemeiner  gcnvorden  zu  sein  scheint ').  Schon 
die  \(M-hältnismäfsig  häufige  Dai'stellung  der  heiligen  Anna  als  Hau])tperson  in 
Werken  der  franz(')sischen  Kunst  vor  der  Mitte  des  15.  Jaln"hunderts  gegenüber 
dem  seltenen  W^rkomnuMT  dcM'selbtm  auf  dcnitschem  lioden  spricht  ohne  Zweifel 
dafür.  Auch  die  auf  unserem  Zeugdruck  dargestellte^  Szene  :  die  heil.  .An.na  ihre 
1  ochter  .Maria  unterweisend,  begegnt't  uns  in  k'rankreich  f)ereits  im  14.  lahr- 
hundert.  z.  li.  als  Schnitzerei  am  Chorgestühl  der  Kathedrale  zu  Amiens  ""l. 
Die  Szene  findet  in  dei'  Fegende  der  heiligen  Anna  keine  Stütze,  ja  es  galt 
sogar  als  unorthodox,  anzunehnu^i,  dafs  d\c  heilige  lungfrau,  die  ja  seit  und 
\f)r   ihrer   (jeburt    mit   allen    Gabeln   des    heiligen    Geistes    reichlich   ausgestattet 

61  Oskar   Wultf  ;l   a.   O.   S.   SD.i 

7  \'^l,  1- .  l'aik  f)ic  VcrchruiiL;  üer  heiligen  .Anna  nn  X\'.  lahrliundcrl  in  1  )cr  Ka- 
tholik lA'ill.  1  1S7S  S.  i,'i\\.  Der  Vci  lasser  fbalk  hat  vor  allem  die  dcutsclun  Verhält- 
nisse  im   Au^'e. 

S,!    l-vlas.si.schcr   ^kulptui  cn.scdialz  ^,'r.    77, 


—     95     — 

war,  von  irgend  jeniandcnn  unterrichtet  zu  werden  brauchte  '').  Daher  ist 
diese  DarsteHung,  die  wenit^^er  dem  religicjsen  als  einem  rein  menschlichen 
Empfinden  entsprang,  im  Mittelalter  nicht  gerade  häufig.  Aus  Deutschland 
wüfste  ich  im  Augenblick  kaum  eine;  zu  nennen  ,  denn  eine  gotische  IIolz- 
skulptur  der  Kirche  zu  Kirchlinde  in  Westfalen,  dic^  man  nach  dem  Licht- 
druck in  den  Bau-  und  Kunstdenkmälern  \on  Westfalen  (Kreis  Dortmund- 
Land  Tafel  24  Xr.  4)  ohne  Zweifel  als  eine  solche  Darstellung  ansprechen 
würde,  wird  in  dem  genannten  Inventar  als  -Selbdritt-  mit  dem  Zusatz  -Jesus 
verstümmelt <'  —  von  Ergänzungen  sagt  der  Text  indessen  nichts  —  bezeichet, 
und  eine  gleichfalls  in  Westfalen,  in  einem  Codex  der  Esterhazy'schen  Bi- 
bliothek auf  dem  Schlosse  zu  Xordkirchen  befindliche  Miniaturmalerei,  die  eben- 
falls unsere  Szene  zum  Gegenstand  hat  ■ —  vgl.  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler 
des  Kreises  Lüdinghausen  l~af.  75  —  scheint  mir  zu  starke  flandrische  Ein- 
flüsse zu  verraten,  lun  als  spezifisch  deutsche  Kunst  in  Anspruch  genommen 
werden  zu  können;  sie  steht  möglicherweise  in  näheren  oder  entfernteren  l^e- 
ziehungen  zu  den  Heures«  der  Anne  de  l>retagne,  aus  deren  reichem  Minia- 
turenschmuck Dibdin  und  nach  ihm  Guenebault  die  reiz\'olle  Darstellung 
-Sainte  Anne  instruisant  sa  fillc'  besonders  her\orheben '").  —  immerhin  sieht 
man  schon  aus  diesen  Anführungen  deutlich,  dafs  nicht  erst,  wie  in  den 
meisten  ikonographischen  Handbüchern  zu  lesen  steht,  die  Neuzeit,  nicht  erst 
Murillo ,  Rubens  u.  s.  w.  das  anziehende  Motiv  in  das  Bereich  ihres  künst- 
lerischen Schaffens  gezogen  haben,  sondern  dafs  die  Darstellung  bereits  dem 
späteren  Mittelalter  eigen  war ,  Erankreich  offenbar  früher  als  Deutschland. 
Ebenso  scheint  in  der  Baldachinarchitektur  unseres  Zeugdrucks  das  kräftige 
Betonen  der  Horizontale  eher  auf  Erankreich  als  auf  Deutschland  hinzuweisen. 
Aber  gerade  hinsichtlich  dieser  Architektur  brauchten  wir ,  auch  wenn 
wir  den  deutschen  Niederrhein  bezw.  K.öln  als  Entstehungsort  des  Zeugdrucks 
annehmen  würden,  nach  einem  Vorbilde  nicht  weit  zu  suchen.  Die  Wand- 
malereien im  Chor  des  Kölner  Doms,  das  Leben  der  Maria  (schon  mit  zwei 
Szenen  aus  der  V'orgeschichte),  sowie  die  LegendcMi  der  heil,  drei  Kcniige, 
des  Papstes  Silvester  imd  der  Apostel  Petrus  und  Paulus  darstellend,  weisen 
als  Umrahmung  für  die  einzelnen  Hauptbilder  eine  scdir  ähnliche,  nui-  reicher 
durchbrochene  Architektur  auf,  die  teilweise  ebenfalls  mit  Ai-kadenreihen 
hinter  den  Wimpergen  und  einem  Drcipafsfries  (anstatt  des  X^ierpafsfrieses 
unseres  Zeugdruckes),  freilich  noch  mit  anschliefsendem  Dach  und  loekrcnien- 
der  Zackenreihe  nach  oben  hin  abschlic;fst  ' ')■  J^i  *'>^  macht  sieht  nicht  ein- 
mal  ein  durch    die   verschiedene  Enstehungszeit    l)edingter  StiluntcM-schied   be- 

9)  B.  Eckl  .  Die  Madonna  als  (ic<4cn.stanii  chri.sllichcr  Kvinstmalcrci  und  Skulptur, 
Brixcn   188.'],  S.  06. 

]()!  r)il)din,  Voyaycs  en  France  1,  Ih-I  .\nm.  A.;  L.-J.  duc  iirhaulf ,  Dictionnaire  icono- 
>^rai)hi([uc    des    monumcnts  de  ranli(|uitc    chrcliennc:  et   du   nioyeu   ,i;4c    (Paris    lS4;it   1,  <i4. 

11.)  Die  Kopien  und  Durchzeichnun^en,  die  Ostcruald  seinerzeit  von  dm  Malereien 
im  Chor  des  K(')lner  Dom.s  ^eferti^^t  hat  und  die  .sich  jetzt  iin  k^l.  Ivunstj^ew  erhemuseuni 
in  l'erlin  bclinden  ,  konnte  ich  durch  das  rreuniHiche  hnt^c  ;^'enkoninien  der  X'erwaltun^ 
de.s  Kun.st^cuerheinuseums  zu  v(M-lie^ender  l'ntersucliun|4  im  (urmanischen  Museum  Ik - 
luilzen. 


—     96     — 

sondtTs  ^^rltrnd  .  ohi^tliMcli  docli  die  Malereien  des  Kölner  Domchors  ohne 
Zweite!  aus  tlen  /wanzii^er  oder  dreilsif^fer  Jahren  des  14.  Jahrhunderts  stanmien 
-  die  Weihe  des  ("hors  erfol^^le  schon  1322  ,  während  wir  als  die  ICpoche, 
in  welcluM-  unser  ZeuL,ulruck  iMilstanden  ist.  zunächst  einmal  die  ^anze  Zeit- 
si)anni'  von  1  oVS  bis  zur  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  im  Aul,u;  behalten  wollen. 
Alk- in  nach  der  Architektur  würde  man  den  Zeu^^druck  \ielleicht  um  einige 
Jahrzehnte   früher  datieren. 

In  i^deicher  Weise  aber  k<')nnten  jene  anderen  ikonographischen  Beson- 
derheiten —  mit  stilkritischen  I^rwägungen  kcjmmen  wir  infolge  des  Mangels 
an  Vergleichsmaterial  der  gleichen  Technik  und  Zeit  bei  unserem  Zeugdrucke 
nicht  \-om  Fleck  —  nicht  sowohl  auf  franzcKsischen  Ursprung  als  nur  auf  fran- 
z()sisch-l)urgundische  Einflüsse  deuten,  wie  sie  sich  ja  in  der  Kunstübung  der 
i\heinlande  während  des  Mittelalters  so  häufig  und  zahlreich  geltend  gemacht 
haben.  Und  so  äufsert  bereits  R.  Forrer  (Die  Zeugdrucke  S.  2<S  f.),  dafs 
trotz  der  oben  zitierten  Meinung  Schreibers  bei  der  Herkunft  des  Stoffes 
aus  jener  Kirche  bei  Fuskirchen  > immerhin  auch  der  Gedanke  an  eine  am 
Niederrhein  unter  burgundischem  Finflufs  entstandene  Arbeit  nicht, ganz  aus- 
geschlossen sein  möchte,  und  in  seinem  neuesten  W^erk  (Die  Kunst  des 
Zeugdrucks  vom  Mittelalter  bis  zur  Emjjirezeit.  Stral^sburg  1898  S.  26)  nennt 
er  schon  etwas  bestinimter ,  wenn  auch  noch  immer  zweifelnd ,  die  Kölner 
Gegend  als  den  Entstehungsort  des  bedeutsamen  Stückes  '-). 

Diese  Ansicht  Forrers  glaube  ich  wesentlich  unterstützen  zu  können 
durch  einen  Vergleich  des  Zeugdrucks  mit  einer  kleinen  Reihe  von  Hand- 
zeichungen,  die  das  Kupferstichkabinet  des  Germanischen  Museums  bewahrt 
(Hz.  37  und  38).  Eine  derselben,  die  als  die  Rückseite  zweier  anderer  be- 
handelt war  und  aus  diesem  Grunde  bisher  so  gut  wie  unbeachtet  ge- 
blieben ist  ,  weist  nämlich  fast  genau  die  gleiche  Darstellung  wie  unser 
Zeugdruck  auf,  nur  dafs,  da  es  sich  überhaupt  nur  um  eine  Skizze  handelt, 
die  Architektur  und  der  letzte  der  fünf  Seraphim  fehlt,  zu  einer  Musterung 
des  Hintergrundes  erst  lUichtige  Ansätze  gemacht  sind  und  die  ganze  Szene 
überdies  im  Gegensinne  erscheint.  Unsere  Eichtdrucktafel  giebt  an  erster 
Stelle  diese  Seite  und  Darstellung  des  betreffenden  Blättchens  (Hz.  38)  in 
Originalgr(')fse  wieder.  Ein  X'ergleich  mit  der  Textillustration  zeigt,  wie 
Zeugdruck  und  Handzeichnung  sogar  in  Einzelheiten  übereinstimmen.  Die 
Haltung  der  heiligc-n  Anna  und  der  FaltcMiwurf  ihres  Gewandes,  Haltung  und 
Et'bcnsalter  der  Maria,  die  beidemale  —  abweichend  \-on  anderen  Dar- 
stellungen und  noch  mehr  abweichend  von  der  Fegende,  wonach  die  heilige 
lungfrau  kaum  drei  Jahre  alt  bereits  \'on  ihrt'U  l^ltcM'n  dem  Dienste  des 
T(;mi)cls  geweiht  wurde  —  als  i'twa  12-  bis  14  jährig  dargi'stellt  ist.  die  An- 
ordntmg  de!"  \ier  Hände,  die  tatzenai'tige  lüldung  dei-  h'üfse  bezw.  Hände  der 
Seraphim,  von  denen  IxMdemale  einer  die  Schriftrolle  unten  halten  hiltt,  die 
Behandlung   des    lockigen    Haares    der   l'",ngel,    ia    1  laltimg    und   Ausdruck    ihrer 

\'J  Dn.s  zuhtzt  zuierti  W'eik  ist  zur  /i  it  dn  ich  dies  srhreihe,  wohl  nerh  kaum 
er^ehicncn.  Mir  l,i^  ein  zum  'l\ul  uurh  liainlsclirillliches  l'",\emiilar  davon  vor.  das  Herr 
I)r     l'orrer  die    j- rcundlielikeit   hatte,   zur  cinstw  eiliifeu    iknutzuniJ   zu   senden. 


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-      97     — 

Köpfe  sind  hier  wie  dort  fast  völlig  die  gleichen,  fn  einigen  Punkten  kann 
die  Handzeichnung  gewissermafsen  als  Kommentar  für  den  Zeugdruck  dienen. 
Man  erkennt  z.  R.  aus  ihr  er.st  mit  Deutlichkeit,  dafs  die  je  mit  einer  Art 
Auge  endigenden  Schwung-  und  Schwanzfedern  der  Seraphim  —  nur  der 
letzte,  fünfte,  der  in  der  Handzeichnung  fehlt,  ist  damit  nicht  in  derselben 
Weise  bedacht  worden  --  Pfauenfedern  bedeuten  sollen  :  ein  sehr  an- 
sprechender, wahrhaft  künstlerischer  Auffassung  entspringender  Ersatz  für 
die  zahlreichen  Augen,  die,  eine  frühe  Entlehnung  vom  Cherub,  sonst  meist, 
etwa  als  goldene  Flecken,  das  Gefieder  der  Seraphim  zu  bedecken  oder  auch, 
in  Reihen  gestellt,  bandartig,  wenig  sinnvoll  zu  umsäumen  pflegen.  Dem 
allen  gegenüber  können  die  bestehenden  Unterschiede ,  dafs  in  der  Hand- 
zeichnung die  Heiligenscheine  fehlen,  auf  dem  Zeugdruck  der  vierte  der 
Seraphim,  wie  es  scheint,  eine  geschlossene  Schriftrolle  in  der  Rechten 
hält  etc.  —  die  wichtigeren  Abweichungen  wurden  ja  bereits  angegeben  — 
nicht  eben  schwer  ins  Gewicht  fallen ;  es  wird  zugegeben  werden  müssen, 
dafs  zwischen  Zeugdruck  und  Handzeichnung  sehr  nahe  Beziehungen  ob- 
walten. Ja  man  wird  sogar  noch  einen  Schritt  weiter  gehen  und  sagen 
dürfen,  dafs  beide  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bezüglich  des  Ortes  —  von 
Zeit  und  Werkstatt  sehen  wir  hier  noch  ab  —  der  gleichen  Herkunft  sind, 
dafs  also,  wenn  sich  für  unsere  Handzeichnung  der  Entstehungsort  nach- 
weisen liefse,  er  auch  für  den  Zeugdruck  nachgewiesen  wäre. 

Allerdings  hat  ein  unwiderleglich  sicherer  Nachweis  in  Fällen  wie  dem 
vorliegenden  seine  grofsen  Schwierigkeiten,  grenzt,  wenn  dem  Forscher  nicht 
ein  günstiger  Zufall,  ein  glücklicher  Fund  zu  Hilfe  kommt,  sogar  ans  Un- 
mögliche. Immerhin  mufste  es,  da  die  nahe  Verwandtschaft  des  Zeugdrucks 
mit  der  besprochenen  und  infolgedessen  auch  mit  einigen  weiteren  Hand- 
zeichnungen desselben  Meisters  als  ausgemacht  gelten  konnte,  in  hohem  Grade 
lockend  und  lohnend  erscheinen,  nun  auch  in  die  weitere  Untersuchung  ein- 
zutreten, der  Entstehung,  der  Schule  dieser  Handzeichnungen,  die  überdies 
nicht  unbedeutende  künstlerische  Qualitäten  aufweisen,  genauer  nachzugehen, 
selbst  auf  die  Gefahr  hin,  keine  sicheren  Resultate  zu  erzielen,  sondern  etwa 
nur  einen  Wahrscheinlichkeitsnachweis  zu  erbringen.  Diesen  wenigstens 
glaube  ich,  wie  ich  der  Entwicklung  vorgreifend  schon  hier  bemerke,  im 
Folgenden  führen  zu  können.  Vielleicht  dafs  Andere,  denen  der  Kunstkreis, 
um  welchen  es  sich  hier  handelt,  mit  seinen  originalen  Denkmälern  örtlich 
näher  liegt,  weiter  zu  gelangen,  die  Wahrscheinlichkeit  zur  Gewilsheit  zu  er- 
heben,  im   Stande  sind. 

Demselben  Meister,  der  die  bereits  ln\sprochene  I  landzeichnung  skizzen- 
haft, aber  doch  nicht  ohne  manche  h\^inheiten  in  der  Ausführung  tMitwarf, 
geh()ren  nun  zunächst  die  beiden  Zeichnungen  an,  welche  die  andere  Seite 
des  Blättchens  einnehmen  und  auf  unscM-er  Lichtdrucktafel  an  zwcmIcm'  Stelle 
wiedergegeben  sind.  Dic>  IScMiutzung  einc^s  und  d(\sselben  Blattt\s  und  die 
Gleichheit  in  Stil  und  Ausführung  man   vei-glcMcln^  z.  1).  Hikhmg  und  Aus- 

druck des  Gesichtes  der  heiligen  Anna  mit  den  Gesichtszügen  der  zweiten  von 
dc^n  beiden  I'rauengestalten  —  lassen    darüber  (Muen  ZwiMfc^l   nicht   aufkonmien. 

Mitteilungen  aus   dem  german.   Nationalmuseum.     1897.  XIII. 


'JN 


Die  cisti'  ilci  l-"i;_;urcn  stellt  sich  un^  als  eine  höchst  nicrkwüi-dii^c  Wt- 
niischimL:  \  fi-scliicdciici-  ikonoi^raphischcr  Typen  dar,  für  die  ich  keine 
/Xnaldi^it'  hcilninL^cn  kann.  Ivs  ist  olVcnhar  die  juni^drau  Maria,  die,  das 
lockiL^c  llaupt  ein  wcnii;  nach  rechts  xor^enei^t,  in  \vi;ittM\  taltema'icher  Cje- 
wanihniL^  luhiL;  dasteht.  Aus  ihrem  Scholse  nur  mit  dem  Oheikrii"))cr  hei'- 
\(inaL;end  ist  m  kleiner  ( li^staltuni;  der  ;^()ttliche  Sohn  sichtbar.  In  .älmHcher 
W'erse  findet  man.  wohl  l»ei  1  )arstellunL;en  der  1  leimsuchun^"  (^fele^eiitlich  die 
l, 'oiiception  anL^edeutet.  doch  mit  dem  wesentlichen  L'nterschiede.  dals  dann 
n\L;elm;it'>iL^  sowohl  hei  .Maria  wie  bei  der  hdisabeth  die  edle  Leibesfrucht  in 
kindlichei-  IhlduiiL;  i'rscheint,  während  wir  hiei"  den  1  leiland  am  1-nde  seiner 
l'jl(iser!aufl)ahn  dar^e'stellt  sehen.  I)as  tote  Haupt  ist  zur  Seite  ijesunken, 
die  /iii^e  des  1  )iilderantlitzes  sind  xon  Schmerz  \crz()<j;en,  (iie  durchbohrten 
1  kinde  liefen  ki'euzweis  i'ibereinandcr.  Ivs  ist  di;'selbe  k)arstellun^,  die  uns 
])■  i  d.en  X'esperbildern .  dei'  ISewcinun;^  oder  Pietä  <^fcläufii^  ist.  (jKdchwohl 
kommen  Kumniei-  und  Schmerz  in  dem  (iesichte  unsr'rer  Madonna  nicht  zum 
\"o]K'n  .Ausdruck.  Ist  sie  doch,  wie  die  Krone  deutlich  zei^t,  nicht  vXwd  als 
schmerzliche  Mutter  i^edacht,  sondern  \ielmehr  als  über  alles  irdische  Weh 
erha!)ene  !  lim.melsk()ni;^in  (larl;(^stellt.  Ms  ist  hier  also  der  Versuch  ^s^cmacht, 
die  dri'i  betleutsamstc.-n  .Momente  aus  der  (beschichte  der  allerseli^Ljstcn  lung- 
trau  in  einem  Ijilde,  in  e  i  m-r  k'iLjur  zu  \  i'ix'ini^en.  Maj^  man  di^'sen  Ver- 
such wdhl^ei^lückt  nennen,  den  (jedankcMi  selbst  wird  man  nicht  als  besonders 
L^U'schmackvoll  bezeichnen  k('>nnen.  Der  Kimstler  liat  hi^'r  mit  dem  dog- 
UKitisch   gebildeten,    tromm-gläubigen   Christen   nicht   Schritt   gehalten. 

Weit  mehr  mutet  uns  die  letzte  Darstellung  unscMws  ISlattes,  die  noch 
zu  l)esprechen  bleibt,  an.  diejenige  der  Madonna  mit  dem  Kinde.  Die  frei- 
lich allzu  schlanke  und  kräftige  (jestalt  der  heiligen  inn-tVau  ist  ganz  in  ein 
taltc'nreiches  (ji'wand  gelüiUt,  das  nur  das  (jesicht,  die  rechte  Hand  und  eine 
h'ufsspitze  unbedeckt  läfst.  Das  L  hristuskind,  das  sie  auf  dem  rechten, 
etwas  steif  gelialtenen  Arm  trägt,  schmiegt  seinen  K.oj)f  an  das  (jesicht  der 
.Mutt(M-  und  liebko-t  sie  auch  mit  dem  rechten  Händchen,  während  sich 
beii '!(■!■  l.ipiien  im  Ku^se  begegnen.  'Trotz  der  angedeuteten  Mängel  der 
/eichnunL.;  \  err;it  diicselbe  do;;h  eine  nicht  zu  unterschätzeniJe  künstlerische 
Kiaft.  Da--  sinnig  und  natürlicii  zum  /Ausdruck  gebrachte  Motiv  di-r  Lieb- 
ko^uuL;  und  die  feinen,  seeleiv.  ollen  (jesichter  von  Muttir  und  Kind  zt-ugen 
\  ou  '1  iete  der  hjnpfindung .  der  kaitenw  uid  und  der  weiche  bluls  des  (je- 
wandes,  das  offenbai'  als  ein  WollenstolV  gedacht  ist,  zeiL;e'n  deutlich  eine 
gute  1  lioliaclitun-  unij  tüchtige  .Schulung  an.  \'on  der  hjgenart  seines 
Denf;en^  und  seiner  .Auttassung  \\ai'en  bereits  die  \ orboprochenen  bt^iden 
1  landzindmungen    unsei'es   Meisters   ein   Zeugnis. 

.\Is  ^'(dnen  Kiin.-tlei-  lernen  wir  ihn  auch  .-'us  der  letzten  der  hiei'  zu 
Ite-^pneliendtii  I  Iandzi-itdmunL;en  kennen,  deien  /.u-eh(nigkeit  zu  jenen 
ani'.ei'en  bi  leit-^  duieh  i!as  gleiche  l'apier,  die  i^leiclie  d Cchnik'  umi  die  gleiche 
l'roMniiuz  so  -Mt  wn  Ni(diei-  l;i  stellt  wii'd.  k.s  ist  der  Heiland  in  \oller 
\'ordeian-^ii:ht  und  ganzer  i''igur  daigestellt,  die  Ivechtt^  segnend  erhoben,  in 
d'i     Linken     di.'    .-sie^/  ^fahne.       1   bei-    d(  m     Lnlei  mwv  ande     träüt     er     um     die 


_     99     — 

Schultern  einen  weiten  Mantel,  der  auf  der  Brust  durch  eine  kleine  rauten- 
förmige Agraffe  oder  1  feftel  zusammengehalten  wird  und  zu  seinen  Füfsen 
beiderseits  fast  symmetrisch  am  Boden  schleppt,  sich  rechts  noch  einmal  um- 
schlagend. Wir  werden  auf  dieses  Motiv  im  weiteren  Verlaufe  unserer 
Untersuchung  zurückkommen  müssen.  Ähnliches  hätten  wir  übrigens  bereits 
bei  der  Maria  als  Himmelskönigin  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt.  Auch 
dort  schlep[)t  ein  Zijjfel  des  Gewandes  am  Boden.  Das  langgelockte  Haupt 
des  Erlösers  umgiebt  ein  kreuzführender  Nimbus ,  wie  ein  solcher  auch  das 
Köpfchen  des  Christusknaben  auf  der  an  dritter  Stelle  besprochenen  Hand- 
zeichnung umstrahlt.  Das  Antlitz  soll  Hoheit  und  Milde  widerspiegeln, 
doch  haben  leider  die  Augen  eher  einen  schalkhaften  Ausdruck  erhalten,  der 
die  bedeutende  Wirkung  des  Blattes  etwas  beeinträchtigt.  Die  Stellung  be- 
zeichnet oifenbar  di(^  erste  Phase  der  Auferstehungsgeschichte:  der  Heiland 
hat  soeben  glorreich  das  Grab  verlassen.  In  ganz  ähnlicher  Weise  ist  der 
Auferstandene  namentlich   in   später(;r  Zeit   häufig  dargestellt  worden. 

Treten  wir  nun  der  I'rage  nach  Nam'  und  Art  unserer  Zeichnungen 
näher,  so  ist  zunächst  zu  sagen,  dafs  uns,  wie  so  häufig  in  solchen  knallen, 
die  Überlieferung  v()llig  im  Stich  läfst.  Das  kleine  Aufsefs'sche  Wappen, 
das  beide  Blätter  tragen,  zeigt  nur  an,  dafs  sie  zum  ältesten  Bestände  der 
Kupferstichsammlung  des  Germanischen  ^Museums  gehören.  Im  geschriebenen 
Kataloge  werden  sie  als  »altkölnische  Schule  des  14.  Jahrhunderts«  bezeich- 
net, ob  aus  anderen,  gewisseren  als  stilkritischen  Gründen,  läfst  sich  nicht 
sagen.  Ein  Vermerk,  woher  sie  etwa  vom  Ereiherrn  von  Aufsefs  erworben 
wurden,   findet  sich  nicht  beigefügt. 

Etwa.s  bessere  Ausbeute  gewährt  die  P)ctrachtung  der  Äufserlichkeiten. 
Im  geschriebenen  Kataloge  wercJen  die  Blätter  Federzeichnungen  genannt. 
Trotz  der  feinen  Strichlagen  mancher  Partien  scheinen  <\s  dennoch  Pinsel- 
zeichnungen zu  sein.  Oder  man  müfste  ein  Zusammenwirken  \()n  Eeder  und 
Pins(d  annehmen  wollen,  denn  mit  der  Eeder  allein  wären  so  sanfte  Ab- 
schattierungen  und  L  bc^-gänge  kaum  m<')glich  gewesen.  Auch  der  ZcMchner, 
der,  bereits  in  den  fünfziger  Jahren,  für  das  Bilderre])ertoriu]u  des  Ger- 
manischen Museums  sorgfältige  Kopien  sowohl  der  Pliiumelskcniigin  wie  der 
AEidonna  mit  dem  Kinde  und  des  auferstandenen  Christus  angefertigt  hat, 
b(>diente  sich  offenbar  hierbei  des  Pinsels.  Di(^  Earbe  c;rscheint  tiefschwarz, 
nicht,  wi(^  auf  unserer  Eichtdrucktafel,  mit  eincnu  Stich  ins  I:]räunliche.  Als 
(hund  diente  ein  starkes,  hie  und  da  leicht  wolkiges  Papier  mit  v.cMter 
Ripi)ung,  die  auch  iiu  Eichtdruck  zu  erkennen  ist:  11  Ivi]i[)en  =1 29  nun,  ICs 
geht  dahcM-  nicht  wohl  an.  das  Papier  seinem-  l^itstehung  nach  später  als  in 
die  achtziger  Jahre  des  14.  Jahrhunderts  zu  setzen.  \'on  Stegen  ist  in  d(^i' 
Rippung  ims(M-(M-  Blätter  nichts  zu  entdecken,  dagegcMi  weist  das  hier  in  Eicht- 
(iruck  reproduzicM'te  Blatt  in  einer  l-xk'e  ein  alleidings  nur  zum  kleincM-en  '1  eil 
erhaltcMies  \Yass(M-zeichen  auf.  Dieses  W;)sserzeicli(Mi-Bruchstück  sieht  aus 
wie  (^in  durch  drei  helle  EiniiMi  in  \ier  ziemlich  gleiche,  etwa  3 — 7  nun  l)r(Mt(^ 
Teile  geteiltes  I'^'agment  eines  Radc\s  mit  cMuer  dünnen  S])cMclie.  Ich  liai)e 
es    in    der    mir    zugänglichen     einschlägigen     Eitteralin-  (Kirchnc.M-,    Keinz,    PiE 


1 00       - 

(]uc\  u  '>.  w. )  nicht  idcntitl/icrcn  l<()nn(Mi.  \\n  nächsten  konniit  ihm  etwa 
(las  1)01  Kcinz  Die  \\'asserz(Mch(Mi  tles  XIW  JahihundtMts  in  Handschriften 
der  k.  bayei'.  llof-  und  Staatsbibliotlu'k  in  den  Ahhandlunj^en  der  k.  bayer. 
Akademie  ^\cv  Wissenschaften  1.  ("1.  XX.  Bd.  111.  /\ht.  .MiinchtMi  1X96)  iinter 
Xr.  60  abijebiKlete  und  beschriebene^  Wasserzeichen  des  14.  Jahrhunderts 
I  dessen  l'rinenienz  übrigens  dunkel  bleibt),  doch  blicht  unser  Radfra^nnent 
auf  der  einen  Seite  deutlich  mit  eincM'.  wie  es  scheint,  (.^febi'ochenen  Linie  ab, 
worauf  die    ivipiu-n   sich    tortsetzen. 

(jemäfs  der  l'j'fahrunii;  mm,  dafs  sowohl  KlcKStcM'  wie  Werkstätten  sich 
bei  dem  re^en  I'apicM'-KlcMnhandi^l  damalii^er  Zeiten  in  der  Rei^el  nicht  mit 
^n-(')1'seren  l'a])ier\()rräten  fiii'  län^er(-  Zeit  zu  \-ersehen  ptle^^tiMi.  dürfen  wir  wohl 
aus  der  beschriebenen  Art  lies  fapieri^s  schliefsen,  dafs  auch  die  I  landzeich- 
nunj^iMi  in  iUmi  achtzis^cr,  spätestens  neimziger  jähren  des  14.  Jahrhunderts 
entstanden  sind.  Sic  früher  als  1378  zu  datieren,  ijeht  schon  aus  dem  oben 
mehrfach   an^fezo<.,^enen   Grunde  nicht  gut  an. 

Die  ikonograj)hischcn  Besonderheiten  unserer  Zeichmmgen  sind  bereits 
ausführlich  dargelegt  worden.  l''in-  die  weitere  Untersuchung  ergiebt  sich 
aus  ihnen  nicht  eben  \iel.  jedoch  luag  schon  hier  auf  die  Ähnlichkeit,  die 
zwischen  imserer  Madf)nna  ir.it  dmn  Kinde  imd  der  sog.  Madonna  mit  der 
Hohnenl^lüte  im  K()lner  Musinuu  hinsichtlich  des  sonst  nicht  gerade  häufig 
vorkommenden  Gestus  der  Liebkosung  obwaltet,  hingewiesen  sein.  Zur  eigent- 
lichen Führerin  aber  müssen  wir  nunmehr  die  Stilkritik  wälilen  und  an  ihrer  PLand 
namentlich   die   h'ragc  nach   dem  Entstehungsort  zu  beantworten   versuchen. 

Wir  können  auch  da  wohl,  schon  wegen  der  nahen  Verwandtschaft  der 
Handzeichnungen  mit  dem  Z(;ugdruck,  \"on  vornherein  die  frühere  Beschränkung 
eintreten  lassen  und  wiederum  lediglich  fragen:  niederrheinisch-kölnisch  oder 
franz(")sisch-l)urgundisch.-  Die  erwähnte  Ik-zeichnung  der  Blätter  als  -altkölnische 
Schule  legt  es  nahe,  diese  .Möglichkeit  in  erster  Linie  zu  c>rwägen,  jene  Be- 
Z(Mchnung,  die  aller  Wahrscheinliclikeit  nach  aus  dem  allgemeinen  Charakter 
der  Zeichnungen,  einem  sicherlich  nicht  zu  unterschätzenden  Faktor,  ent- 
sj)rang,   zu\'f)rderst  näher  auf  ihren   Wert  zu   prüfen. 

Auf  di(;  Zeit,  in  ilcr  die  noch  streng  stilisierten,  ernsten  Wandmalereien 
im  KTjJner  Domchor  vermutlich  durch  die  her\'orragendsten  Kräfte  unter  den 
zeitgen()ssischen  l\(")lm'r  Künstl(M-n  geschat'fen  wurden,  folgt  in  (jer  Geschichte 
der  kTilnischen  MaK-rei  jene  l-]i)oche,  welcher  Mei.ster  Wilhelm,  der  beste  Maler 
in  allen  deutschen  Landen  ,  wie  ihn  der  Limbui"ger  Chronist  nennt,  ihr  Ge- 
l>räge  gegebtm  haben  mufs.  Leider  hat  (\^  bisher  nicht  gelingen  wollen,  ein 
Bild  \on  der  ICigenart  dieses  Meistcn's  zu  gi^winnen.  Wir  k(")nnen  ihm  zur 
Zeit  noch  k'cin  Werk  mit  einiger  Sicherheit  oder  auch  nur  Wahrsclunnlich- 
l;{Mt  zuschi-eiben ,  wie  denn  Denkmäler  der  Kolner  Malerei  aus  lenei'  ICpoche 
iiberhaupt  nui'  .-iurserst  späi'lich  erhalten  sind.  AK'ister  Wilht'lm  stai'l)  137S; 
xcine  Kunst  und  sein  Stil  kTiunte  also  für  uns  ohnehin  zur  X'ergieichung  nicht 
in    Betracht    kommen. 

Aber  auch  die  folgenden  j-jitwicklungsphasen  tler  Kolner  .Malei'ei  liegen 
noch    sehr    im    Dunkeln.      Firmenicli-i\ichai-tz,   der   sich    m    neuester   Zeit    durch 


~     101      — 

zahlreiche  Studien  unbestrcibarc  Verdienste  um  die  Erforschung  der  alt- 
kölnischen Malerei  erworben  hat  —  freilich  mufste  seine  Thätic^^keit  nament- 
lich für  die  älteste  Zeit  zunächst  mehr  im  Xied(M-reifsen,  denn  im  Aufbauen 
bestehen  — ,  knüpft  bei  der  Betrachtung^  der  Kölner  Malerei  in  den  Jahr- 
zehnten nach  Meister  Wilhelms  Tod,  die  dann  von  der  Kunst  des  Meisters 
der  Madonna  mit  der  Bohnenblüte  abgelöst  wird  und  die  für  uns  hier  von 
ganz  besonderem  Interesse  ist,  an  die  sicher  datierten  Miniaturmalereien  der 
Privilegien-,  Statuten-  und  Memorabilienbücher  der  Universität  Köln  an,  die 
von  verschiedenen  Händen  herrühren  '•').  Sie  stammen  sämtlich  aus  den  neun- 
ziger Jahren  des  14.  lahrhunderts  und  legen  in  der  That  Zeugnis  dafür 
ab,  dafs  erst  um  diese  Zeit  der  alte  starre  Stil  des  Mittelalters  der  für  die 
spätere  kölnische  Malerei  so  bezeichnenden  innigen,  milden  und  indi\"iduellen 
Auffassung  zu  weichen  beginnt,  freilich  müssen  wir  hinzufügen  :  in  der  Buch- 
malerei. Ob  nicht  für  dit;  Wand-  und  Tafc'lmalerei ,  soweit  letztere  damals 
schon  existierte^,  der  Umschwung  etwas  weiter  zurückdatic^rt  und  nicht  doch 
vielleicht  dem  weitberühmten  Meister  Wilhelm  kein  ganz  unwesentlichtM'  An- 
teil daran  zugeschrieben  werden  dürfte,  was  Firmenich-Richartz  durchaus  in 
Abrede  stellt  '■*),  kann  hier  nicht  näher  untersucht  werden.  Gegenwärtig  zu 
halten  hat  man  sich  dabei  jedenfalls,  dafs  die  grofse  Malerei  zu  jener  Z(Mt 
wohl  mit  der  Bildschnitzerei  nicht  aber  mit  der  von  Mcnichen  oder  beson- 
deren Illuminatoren  geübten  Miniaturmalerei  Seite  an  Seite  und  gleichen 
Schrittes  marschierte,  grofse  Neuerungen  und  Stilwandlungen  stets  \on  jener 
ausgegangen  sind,  während  der  Buchmalerei  in  der  Regel  ein  konservativerer 
Zug  anhaftet,  alte  Tradition  in  ihr  länger  fortwirkt.  Das  wird  auch  bei  der 
I)eurteilung  des  Verhältnisses  unserer  Zeichnungen  zu  jenen  Miniaturen  in 
Anschlag  zu   bringen  sein. 

Unter  letzteren  verraten  nur  die  in  dem  Privilegien-,  I^d-  und  Statuten- 
buch von  1392  eine  wirkliche  Künstlerhand,  wcmn  auch  nicht,  wie  h'irmenich- 
Richartz  mcnnt,  einen  -Künstler  allerersten  Ranges  .  Xur  diese  stehen  auch 
bereits  \"öllig  auf  dem  Boden  des  neuen  Stiles,  für  dc>n  überschlanke  Zierlich- 
keit der  Gestalten  und  minnigliche  Zartheit  der  P2mpfindung  so  charak- 
teristisch sind,  während  die  Miniaturen  der  anderen  I]ücher  bei  handwerks- 
mäfsigercM-  Ausführung  noch  mehr  oder  weniger  in  den  IJahnen  dcM'  älteren, 
strengeren,  gebundeneren  Kunstweise  \erharren.  Dennoch  läfst  sich  sowohl 
bei  diesem,  wie  bt'i  jenen  eine  ganze  Reihe  sicherlich  nicht  zufällig  zu  unseM'en 
Handzeichnungen  stinuncMider  Zügc^  aufzeig(Mi.  So  ist  d\c.  Zeichnimg  imd 
Haltung    des    Kejrpers     des    Gekreuzigten    in    (Umu    Statutenbuch    xon    i;!92'-'i 

1,'^  V<4l.  I''innc:nich-Richartz  ,  ?*Icist(T  Wilhelm.  l-'.in(j  Studie'  zur  dcsohicliu-  der 
altkriluischcu  Malerei,  in  der  Zeilschril't  für  chrisiliclie  Kunst  i\'  ilS'tli  .<)).  'JöO  (.  Dic;- 
j(;nii^cn  vier  Statutenhücher,  welche  jetzt  da.s  .Stadtarchiv  zu  Kciln  in  \'er\\  ahruu;^  hat, 
nämlich  das  I'rivile^nen-,  Kid-  und  Statutenliut'h  der  l'niversiiat  von  l.'l't^  \r.  I  ■,  das 
Statutenbuch  der  medizini.schen  l'akultjit  von  l,'!').'!  Nr.  7i.  das  Privilegien-,  Statuten-  und 
jMemorahilienliuch  von  lH<)ö  iXr.  'Ji  und  das  l'rivilej^ienliuch  der  .Nrti.steutakultat  von  i:f')S 
(Nr.  4),  habe  ich  dank  dem  liebenswürdigen  l-]nt!_;e!^eukonnnen  der  Verwaltung  des  Kölner 
Stadtarchivs  im  ( lermanischen   Museum   benützen   können, 

14i  a,   a.   O,   S}).   'J5L' f.  Irt)   Reproduziert   in   dem   mehrfach   an^ezui^fenen   Aufsatz 

von   I'innenich-Kichartz   Sp.   24M. 


—      102      — 

fast  l;imi;hi  tue  Ljlciclif .  wir  \)c\  der  Darstclluni^'  des  Schmerzensmannes  auf 
dei-  oben  an  /wcitcf  Stelle  hesproclienen  1  landzeiclinun^ ,  und  zei^t  sich  der 
weiche^  fa^t  antikisc-]ie  I-'altenlhils  der  ("lewandunL;  des  ICni^uds  Matthaei  in 
ckMUselbeii  l'>uehe'')  mit  der  W'ietkML^abe  (.\cv  CK'wandunL,^  ims(M"er  Madf)nna 
mit  dem  Kinde  auf  das  nächste  \-er\\\UKlt.  Im  Ausdruck  der  Gesichter  frei- 
lich und  nauuntlieh  in  dei'  lü-handluni;  des  I  laares  L,daubt  man  noch  wesent- 
liche Abweichungen  zu  eikennen.  W'iUu'end  insbesondere  das  KTtpfchen  des 
lüiLjels  —  iibei-  die  liehandlunL^  der  Kippte  des  1  leilandes  ,  der  Maria  oder 
des  loh,amK\s  aui  diMU  KreuziiLjun^sbilde  des  Buches  kann  man  leider  weL,'en 
der  mauLielhaften  kj-haltun*^  nur  schwi^'  urteilen  —  <hu'cliaus  dem  bekanntc'n 
ry]>us  des  .M(-isteis  des  .Münchener  X'eronikabildes  etc.  entspricht  ,  nimmt 
man  doch  Anstand,  die  Kr)pt"e,  wie  si(;  unsere  I  Iandzeichnun<4en  aufw(,'isen,  mit 
iiüdein  wie  die  X'eionika  i  Kataloo  der  Gemäldesaumilun<^f  der  k^^d.  cälteren  Pina- 
kothek Nr.  1  I  den  Klai-enaltar,  die  Madonna  mit  der  fjohnenblüte,  (im  K<)lner 
Museum  I,  d\c  .Madonna  mit  den  h2rbsenblüten  oder  St.  Katharina  und  St.  Elisa- 
beth (Katalog  der  im  (jermanischem  Museum  befindlichen  Genicälde  Nr.  7,  88 
und  89 1  und  so  \ielen  andei-en  iiber  t'inen  ijrofsen  Teil  Xiederdeutschlands 
\erbreiteten  ,  kurz  mit  der  ehemals  fälschlich  Typus  Meister  Wilhelms  l,U"- 
nannten  Stilrichtuni^  und  Ausdrucksweise  direkt  in  Parallele  zu  setzen.  Dabei 
machen  jedoch  die  Zeichnun^^^Mi  nicht  so  sehr  den  h'dndruck  ^(röfserer  l'nreife 
---  h(')clistens  die  häufi:,;  nach  den  inneren  Au_L,U'nwinkeln  hin  verschobcMien 
Pupillen  könnten  an  die  Pro])lietenbilder  aus  denn  I  lansasaale  des  Kctlner  Rat- 
hauses erinnern,  mit  deren  strenger  Art  sie  im  übrigen  nichts  mehr  zu  thun 
haben  -  als  den  von  Erzeugnissen  einer  anderen  selbständigen  und  eigen- 
artigen Künstlerindividualität.  M(>glich  allerdings,  dafs  diesen"  Eindruck  durch 
die  X'erschiedenheit  der  Ausführung  —  der  vielfarbigen  (aemälde  und  Minia- 
turen einerseits,  der  (dnfaxh  in  Schwarz  ausgeführten  1  landzeichnungen  an- 
dererseits —  wescmtlich  bedingt  ist  oder  doch  \ erstarkt  wird.  Unsere  Blätter 
mit  autlu:ntischen  K()lner  Mandzeichnungen  aus  der  W'eniJe  des  14.  Jahrhun- 
derts  vergk-ichen   zu   kcuinen,   habe   ich   bisher  keine   Gelegenheit  gehabt. 

Auch  die  Miniatui'en  dei'  anderen  K()lner  üniwM'sitätsbücher  bieten  bei 
einem  Vergleich  mit  unseren  ZeichnungcMi  im  Allgemeinen  wie  im  HesoncJeren 
manclies  .Analoge.  I)a  hnden  wir  bei  deui  lohannes  des  Kreuzigungsl)ildes. 
W(;lches  das  Privilegitmbuch  (Um'  Artistenfakultät  von  1 39.S  schmückt,  wie  bei 
unsere!'  Madonna  mit  dem  Kinde  den  wohlgelungenen  X'ersuch  gemacht,  durch 
ent^pi'echende  weiche  \'erti-(  ibung  der  I.ichtei'  und  Schatten  den  sanften  Plufs 
und  baltenwurf  eines  wollenen  <  )bergewandes  w  ie(ieizugel)en  .  wie  wir  das 
jUmlich  auch  bei  K'ilnei'  Tafel! )ild{M-n  und  W'ei-ken  dei-  Kr)lner  I'lastik  aus  (Kmu 
letzten  \  ieitel  des  14.  jaluhundei-ts  beobachten  kTinnen;  man  xci'gleiche  z.  !!. 
die  G<\\andung  des  heil.  |i  liiannes  auf  dem  \  on  Schnütgen  im  11.  lahi'gange 
d.ei-  Zeitschiift  fin-  ch.ri-tliche  Kun>t  il8,s9i  Sji.  137  lV.  publizierten  und  be- 
sprochenen altk-o!r,i^e!ien  Tafelgemälde  aus  daui  Kr)lnei-  .Museum.  —  Ganz 
t  lesoni  l<i-  häufig  bege;^net  uns  sodann  in  den  Miniaturen  die.ser  Enivcrsitäts- 
biicher   das  ob(n   näihei-   beschiTTenc^  Moti\-   dcvs   am   Hoden  schle])pendt'n,   sich 

\>>j   Rcpr(jilu/ii  n   Llieiiila. 


—     103     — 

in  der  Regel  noch  einmal  umschlagenden  Gewandzipfels,  zuweihm  bei  ein  und 
derselben  Figur  doppelt  in  fast  symmetrischer  Anordnung  wie  bei  dem  seg- 
nenden Heiland  unserer  Handzeichnung(>n ;  man  \  ergleiche  hierzu  namentlich 
den  Engel  des  Matthäus  in  dem  Statutenbuch  der  medizinischen  Fakultät 
von  1393,  die  Madonna  auf  dem  erwähnten  Kreuzigungsbilde  des  Buches  von 
1398'')  .Maria  und  Johannes  auf  dem  Krc'uzigungsbilde  des  Privilegien-,  Sta- 
tuten- und  Memorabilienbuchs  von  1395.  Die  unteren  Teile  der  Figuren, 
des  Ilauptbildes  in  dem  Privilegien-,  Eid-  und  Statutenbuche  von  1392  sind 
leider  durch  das  Auflegen  der  Finger  bcn  der  Eidesleistung  bis  zur  Unkennt- 
lichkeit verdorben.  Dafs  es  sich  hierbei  in  der  That  um  eine  specifisch 
kölnische  Eigentümlichkeit  aus  dem  1^2nde  des  14.  lahrhundcrts  handelt, 
scheinen  auch  andere  k()lnische  Arbeiten  jener  Zeit  ,  wie  beispielsweise  die 
beiden  in  der  Zeitschrift  für  christliche  Kunst  Vll  (1894j  Sp.  23  ff.  von  Schnüt- 
gen  veröftentlichten  altkölnischen  Madonnenbildchen  in  durchsichtigem  Email 
u.  a.  m.  zur  Genüge  darzuthun.  Schon  im  benachbarten  Westfalen  wie  an- 
dererseits in  der  gleichzeitigen  französiscli-burgundischen  Kunst  kommt  es,  so- 
weit ich  sehe,   in  dieser  Ausprägung  kaimi   vor. 

Es  könnte  leicht  noch  eine  Reihe  weiterer  Übereinstimmungen  zwischen 
unseren  Handzeichnungen  und  den  .Miniaturen  der  Universitätsbücher  oder 
anderen  Werken  kölnischer  Kunstthätigkeit  aus  der  VV'ende  des  Jahrhunderts 
namhaft  gemacht  werden.  Die  angeführten  wichtigeren  Parallelen  genügen 
indessen,  um  die  nahe  Verwandtschaft  beider  Grin)pen  zu  erweisen.  Und 
da  nun  der  Nachweis  ähnlich  naher  Beziehungen  zur  französischen  Kunst  oder 
niederländisch-burgundischen  Schule  auf  erhebliche  Schwierigkeiten  st()fst  — 
nur  die  kräftig-schlanke  Gestalt  der  Madonna  mit  dem  Kinde  scheint  auch 
hier  burgundische  Einflüsse  zu  verraten,  erinnert  unwillkürlich  ein  wenig  an 
(^laus  Sluters  Madonna  vom  Portal  dcM-  Karthause  zu  Dijon  — ,  so  werden 
wir  wohl  unbedenklich  unsere  Handzeichnungen,  in  Übereinstimmung  mit 
dem  handschriftlichen  Katalog,  als  Eeistung  eines  bedeutend  angelegten 
Kölner  Meisters  aus  der   Wende  des    14.  Jahrhunderts  ans})rec]ien   dürfen. 

Damit  neigt  sich  aber  auch  hinsichtlich  des  Zeugdrucks,  \'on  dcAn 
unsere  Untersuchung  ausging  und  dei'  im  Mittelpunkt  derselben  steht,  das 
Zünglein  der  Wage  zu  Gunsten  Kr)lns,  und  es  l)liel)e  nun  nur  noch  zu  er- 
wägen,  in  welcher  Zeit  dieses  bedeutende  Stiick  daselbst  entstandi-n  sein  mag. 

Auch  darüber  sind  bisher  die  .Meinungen  geteilt;  die  lunen  m()chten 
als  iMitstehungszeit  des  Zeugdrucks  den  Anfang  des  15.  Jahi'hunderts,  Andere 
di(^  Zeit  um  1440  in  y\nspruch  nehmcni.'^)  Die  h^ntscheidung  darüber,  welche 
von  diesen  beiden  Ansichten  der  Wahrheit  am  nächsten  kommt,  würde  ohne 
Zweifel  ganz  wesentlich  erleichtert  werden,  wenn  sicli  das  Verhältnis,  in  dem 
der  Zeugdruck  imd  die  an  erster  Stelle  besprochene  1  landzeichnung  zu  ein- 
ander stehen,  näher  bestimmen  Heise.  KcMinte  man  nachweisem,  tlals  die 
Zeichnung  ein  k^ntwurf  zu  dem  betreffenden  ZfUgdruckniodel  g(>wc\sen  sei,  so 
dürfte;    man    sicherlich    die    hLntstehungszeiten    l)cMder    nicht    allzu   weit   ausein- 

t7)  Rcpro(lul<tiün  l)ci  Firmcnich-Richartz  a.  a.   O    Sp.   '24'-). 
18)  Ycr^l.    f'orrer,   f)ic   Zcumlrvicl<:e  etc.,   S.   2') 


104      — 

antlcni'ickcn,  niürsli-  sich  \iclnu-hi-  notwendig,'  zur  ersten  (Um-  Ixidcn  Ansichten 
hekenniMi.  W'äi'e  aber  jenc^  Z(Mchniin^  etwa  die  Skizze  zu  einem  jetzt  unter- 
_Lii\i4an_i,UM-ien  oder  wiscIioIKmumi  Tatel-  odvv  W'and^femälde,  \()n  dem  dann  erst 
der  Modelzi'ichncM'  die  Darstellung;  entlehnt  hcätte,  so  läL,*e  zu  so  früher 
Datieruui^  des  Zt'U^drucks  nicht  die  L^leiche  X()ti,<^ani^'  xor.  Mcmu  subjektives 
F^mpfintien  —  um  sichere  Anhaltspunkte^  kann  es  sicli  kaum  noch  handeln  — 
neit^ft  melir  der  l(>tzteren  Auffassung  zu.  Es  kommt  dafi'ir  u.  a.  dc-r  durchaus 
statuarische  CharaktcM"  der  in  den  drei  anderen  Mandz(nchnun^»en  zur  Dar- 
stelluni,f  _i,ud-)rachten  l-'iL^urcMi  in  Betracht,  die  wahrsclieinlich  auf  (Mne  Aus- 
führunt^f  in  Holz  berechnet  waren.  Davon  weicht  allcrdini^s  die  Darstellung 
der  heilit^en  Anna  mit  der  Junj^^frau  Maria  und  den  vier  Sera])him  erheblich 
ab.  Sie  war  oline  Zweifel  eher  auf  eine  malerische  Wiedergabe^  als  auf  eine 
Ausführung  in  Relief  oder  gar  als  plastische  Gruppe  berechnet.  Die  Hand- 
zeichnungen entstammen  also  augenscheinlich  einer  ansehnlichen,  namentlich 
mit  der  Herstellung  von  Altären,  Heiligenfiguren,  bemalten  Reliquien- 
schreinen u.  s.  w.  beschäftigten  Maler-  und  Ijildschnitzerwerkstatt,  und  dafs 
man  bei  einem  solchen  Betriebe  nebenher  auch  Zeit  gefunden  habe,  Vor- 
zeichnungen für  den  Zeugdruck  zu  fertigen,  ist  nicht  sehr  wahrscheinlich. 
Vermutlich  war  diese  Arbeit  Sache  der  Zeugdrucker  und  Modelstecher  selbst 
oder  blieb  den  Formschneidern  für  den  Holzschnitt,  den  Wappen-  und  Brief- 
malern  etc.   überlassen. 

Trotzdem  aber  möchte  ich,  auch  wenn  es  sich  so  verhalten  sollte,  was 
schwer  mit  Sicherheit  zu  entscheiden  sein  dürfte ,  den  Zeugdruck  zeitlich 
nicht  allzu  weit  von  unseren  Handzeichnimgen  fortrücken,  vielmehr  annehmen, 
dafs  die  originelle  und  wirkungs\olle  neue  Darstellung  einen  feinsinnigen 
Künstler  unter  den  Zeugdruckern  alsbald  zur  Nachahmung  gereizt  habe. 
Stilistische  Gründe  stehen  einer  solchen  Annahme,  nach  der  wir  also  die  Ent- 
stehung unseres  Zeugdrucks  etwa  in  das  erste  Jahrzehnt  des  15.  Jahrhunderts 
zu  setzen  hätten,  meines  Erachtens  nicht  entgegen,  sowenig  sich  allerdings 
aus  der  Art  der  Darstellung  des  Zeugdrucks  selbst  triftige  Gründe  gegen 
eine   spätere  Entstehung  desselben  beibringen  lassen. 

Doch  wir  sind  damit  unversehens  auf  das  (Gebiet  der  reinen  1  lypothese 
gelangt,  in  das  wir  nicht  weiter  xordringen  wollen.  Die  l''rage  nach  dem 
Namen  \-on  Zeichner  odtn-  Ztnigdruckcr  bleibt^  unberührt,  und  nicht  minder 
die  Frage,  welche  Stellung  dem  ]\I(Mster  unserer  Handzeichnungen  innerhalb 
der  Geschichte  der  altki'jlnischen  Malerei  t^twa  zuzuweisen  sein  mcichte.  Bei 
einem  Vergleiche;  mit  d(;m  gesamten  \'orratc>  an  DenkmäkM-n  der  k(")lnischen 
Kunst  aus  dem  Juitle  (U\s  14.  und  Anfang  des  15.  Jahrhunderts,  der  Zeit  des 
i'bergangs  \om  alten  zu  (;inem  neuen  Stil,  wüixie  sich  ohne  Zweitid  noch 
manches  nicht  Uninteressante  für  die  ZtMchnungen  u.nd  ihre  kunstgeschicht- 
liche Bedeutung  ergelxMi,  Vüv  uns  wart'U  sit'  hier  zunächst  nur  Mittel  zum 
Zw(;ck. 

N  ü  r  n  1)  e  r  g.  1"  h.    I  I  a  m  p  e. 


Ein  Brief  des  Abtes  Heinrieh  von  Herrenalb 
aus  dem  Jahre  1429. 

^as  erst  kürzlich  in  den  H(;sitz  des  .Museums  gelan_i(te  Pergament- 
Original  ist  nicht  ganz  xollständig.  Pls  ist  unten  be\schnitten ,  so 
dafs  die  Siegel  fehlen,  und  an  der  linken  Kante  den  Rand  herunter, 
so  dafs  zu  Anfang  jeder  Zeik^  sich  (nne  Lücke  befindet.  Obwohl  es  sich 
jedesmal  nur  um  wenige  Worte  handeln  kann ,  so  sind  diese  Lück(>n  doch 
nicht  leicht  zu  ergänz(m  und  erschweren  das  Verständnis  des  Inhalts.  Das 
Äufsere  des  Dokuments  läfst  darauf  schliefsen,  dafs  es  als  Hucheinband  \  cm- 
wendet  worden  ist. 

Das  Schreiben  ist  gerichtet  an  den  Abt  von  Citeaux  und  die  übrigen 
ehrwürdigen  Äbte  und  \'isitatortm  (diffmitores),  die  zum  jährlichen  General- 
konvent des  Ordens  in  (Mteaux  (aput  Cystercium)  x'cn'sammelt  sind.  Abt 
Heinrich,  der  ordnungsgemäfs  zur  Teilnahme;  \erpflichtet  ist  (Zeile  4:  ex  ordine 
obligor  etc.),  entschuldigt  sich,  dafs  er  wegen  grofser  und  schwerer  Geschäfte, 
die  seinem  Kloster  obliegen,  nicht  kommcni  fcönne.  h^s  handelt  sich,  wic^ 
aus  Zeile  5  und  6  hervorgcdit ,  um  einen  auf  den  nächst  bevorstehenden 
8.  Septeml)er  (prejximum  festum  nativitatis  Maric^j  angesetzten  Schiedstag  zur 
Beilegung  von  Streitigkeiten  zwischen  dem  Abt  Meinrich  und  seinem  Kloster 
einerseits  und  einem  anderen  Kloster  andcn-erseits.  Die  k'eststelhmg  dieses 
zweiten  Klosters  kann  nur  aus  der  einmaligen,  am  Anfang  der  sechsten  Zeile 
durch  eine  Lücke  unterbrochenen  Bezeichnung  den-  W^ortc  et  monasterio  .  .  . 
Albe  ex  parte  altera  erfolgen.  Da  als  der  Name  dieses  feindlichcMi  Klosters 
ebenfalls  Alba  genannt  wird,  und  dieses  zugleich  in  Gegensatz  zu  meo  mona- 
sterio Ilerrenalb  gesetzt  ist,  so  kann  wohl  nur  an  Frauenalb  gedacht  werden, 
welches  als  benachbartes  Klo.ster  auch  ganz  gut  pafst,  obschon  auffällig  bleibt, 
dafs  es  nicht  ausdrücklich  Alba  dominarum  genannt  wird;  die  Lücke  scheint, 
der  Wortstellung  nach  zu  urteilen,  kaum  das  Wort  dominarum  enthalten  zu 
haben ,  da  dominarum  doch  hinter  Albe  stehen  mufste.  Als  Schiedsrichter 
in  dem  Streit  wird  der  Graf  Bernhard  v.  ld)erstein  namhaft  gemacht.  Der 
Abt  Heinrich  kann  sich  jetzt  kein(\sfalls  entfernem  ,  unel  er  beM-uft  sich 
auf  (las  Zeuignis  eMues  aneJeren  .Abte^s,  le)hannes  mit  Xanie'U ,  dem  die  Sache' 
bekannt  se'i  und  den-  ihn,  wie  e:r  hoffe-,  durch  wahrhentsgetre'uen  Ben-icht  ent- 
schuldigen we'reje.  Welchem  Klosten-  der  .Abt  Je)hanne's  \  e)rge;standeni  hat,  ist 
nicht  ersichtlich,  ela  dcv  Name'  eies  Kle)sters  ge;raeie'  in  eleu  Anfang  de'r  Liicke' 
von  Zeile  8  fällt.  Abe'r  noch  e'inen  zweMteni  'lag,  eicn  e'r  be'suchen  nnifs, 
gibt  y\l)t  Heinrich  als  emtschulelige'nden  Gi-und  scine's  Xichtcrsclu'inens  auf 
dem  Ke)n\-e'nt  zu  Citeaux  an.  Nach  Zeile  9  hat  auf  W'ranlassung  eler  h^dlen 
ve)n  Ryetpur  ele'i'  .Markgraf  \e)n  [iade'U  die\sen  Tag  ange'setzt,  be'i  euin  es  sich 
ohne  Zweifel  ebenfalls  um  eie'U  Austrag  \'on  Streiligkeite-n,  hie;r  \\e)hl  zwischen 
ele'm  Kloster  unel  den  genannte'U  l'^dle'U,  haneleln  uirel.  Wir  sehen,  die'  Lage' 
eies  Kle)ste'rs  ist  In^drängt.  Abe'r  ne)ch  Anele'ics  ke)mmt  hinzu.  Auf  de'Ui 
Kloster  lasten  gfe)fse  Schulelen  (pre>])te'i'  magna  sarcin,i  eJebitejrmn  i  unei  de'i 
Al)t   sie'ht   sich  (Ze'ile'   12)   zu   denn    unangeniehnu'n    (Aeständnis   ge'n()tigt,   elaf'-   er 

Mitteilungen   aus   dem   german.   Nationalmuseum.     1897.  XIV. 


1 06     — 

kainii  bei  seinri-  Anwesenheit  im  Kloster  im  Stande  wäre,  die  Gläubi^ei'  zu 
befriedigten  und  zu  besänftigen,  und  —  wie  die  Lücke  wohl  er^^änzt  werck^n 
kann  —  zu  \ ci  h  i  ndcM-n  s  dal's  sie  soj^ar  di(^  Güter  des  Klosters  in  Besitz 
nehmen  i  Zeile  13).  Wie  \icdmehr  würden  sie  in  seiner  Abwesenheit  dies 
ohne  Zweifel  zum  ^nofsen  Schaden  des  Klosters  zu  thun  nicht  unterlassen  ! 
Die  Gründe  des  Abtes,  wie  man  sieht,  sind  triftii^s  und  beweglich  klagt  er 
in  Zeili^  14  und  15:  Da  Derartiges,  wie  das  Erwähnte-,  und  Anderes  ach! 
täglich  \c)rfällt,  so  bin  ich  gezwungen  Eure  Gnaden  mit  gebeugten  Knieen 
anzutiidien ,  dafs  ihr  mir  gestattet,  vom  Generalkapitel  zurückzubleiben, 
was  auch  meinem  Konvent  nötig  und  \ernünftig  erscheint  wegen  verschiedener 
Geschäfte  und  Gel'ahren.«  Er  fährt  dann  fort  (Zeile  16);  »Es  (Teignet  sich  s(; 
Vieles,  was  abhängig  ist  und  hervorsprofst  ')  aus  den  verkehrt  gewordenen 
(oder  zurückgeschobenen,  rückwärts  gerichteten)  Zeiten,"  a  retroactis  temporibus, 
und  nachdem  er  in  seinem  eigenen  geringen  Namen  und  zugleich  in  dtmi 
seines  Konventes  die  besten  Segenswünsche  ausgedrückt  hat,  bittet  er  zum 
Schlufs  noch  einmal ,  man  möge  alles  Vorausgegangene  für  wahr  und  not- 
wendig halten. 

Ein  Bild  des  Zerfalles  der  Klöster  !  Hader  mit  den  Nachbarn,  trotz  der 
Güter  Schulden !  Die  drückendsten  Verhältnisse  in  einem  der  Cisterzienser- 
klöster,  die  sich  sonst  gerade  durch  wirtschaftliche  Blüte,  Kultivirung  des 
Landes,  durch  gute  Ökonomie  auszeichneten.  Über  die  Abhaltung  der  Ge- 
neral-Kapitel sagt  R.  Dohme-i:  -> Alljährlich  an  einem  bestimmten  Termine 
haben  sich  die  Vorsteher  sämtlicher  Ordensstiftungen  in  der  gemeinsamen 
Alutterabtei  unter  dem  Vorsitze  des  dortigen  Abtes  zu  \ersammeln.  Das 
Richterkollegium  bestand  aus  den  Abten  der  fünf  ersten  Klöster,  deren  jeder 
noch  vier  .Definitoren'  hinzuwählte,  mithin  im  Ganzen  aus  25  Personen.  Jeder 
Abt  war  verpflichtet,  auf  diesen  Versammlungen  zu  erscheinen,  nur  schwere 
Krankheit  entschuldigte,  oder  bei  weiterer  Verbreitung  des  Ordens  zu  grofse 
Entfernung  seines  Wohnsitzes  von  Citeaux.  In  letzterem  Falle  aber  sollte 
Jeder  doch  wenigstens  alle  drei  lahre  einmal  erscheinen.  <  Weiter  unten  heifst 
es  dann:  -Ereilich  mochte  sich  im  Lauf(;  der  Zeiten  eine  laxere  Befolgung 
des  Gesetzes  gcdtend  machen,  und  oft  \erhinderten  die  bürgerlichen  Unruhen 
und  Kriege  geradezu  die  Abhaltung  der  Kapitel,  so  dafs  Unterbrechungen  bis 
zu  20  Jahren  eintrettm  mufsten.«  Für  diese  Darlegung  gcnvährt  das  Schreiben 
des  Abtes   Heinrich   eine   ebenfalls   die  Zeit  charakterisierende   Illustration. 

Drei  Stellen  in  der  Urkunde  beziehen  sich  auf  die  Erage  der  Besiege- 
lung.  Zeile  5:  sigillum  generosi  domini  Bernhardi  comitis  de  k'berstein  prae- 
fixi  michi  etc.,  Zeile  16:  attestante  hoc  sigillo  sucj  hie  flnaliter  coapjxmso,  und 
endlich  Zeile  19:  sigilla  nostra  praesentibus  sunt  appensa.  Dit-  beeiden  ersten 
Stellen  sind  lückenhaft.  Jedenfalls  ist  anzunehmen,  dafs  Graf  lUM"nhard  sein 
Siegel   mit   an   den    Brief  gehängt   hat,   um   die;  Aussagen   des  Abt(>s   zu   bekräf- 

1;  'le])(jn(icnri;t  und  pullulancia  kann  auch  als  .Apposition  zu  nc<^'ocia  und  jiericula 
ijf-h'iren.  je   nachdem   f\\e   b(icl^(;   zu   Anfang   von   Zeile    Id  au.szufiillen   ist. 

2i  R.  Dcjhmc.  Die  Kirchen  des  Cistcrcicnser-Ordens  in  Deutschland,  Berlin,  186.S. 
S.   22   u,   2,3. 


—      107     — 

tigen.  Sein  Siegel  hing  wohl  an  erster  Stelle ;  darauf  könnte  praefixi  deuten, 
obschon  wahrscheinlicher  ist,  dafs  das  praefixi  in  demselben  grammatischen 
Sinn  angewendet  ist,  wie  in  den  Worten  Zeile  8  :  Alius  quoque  dies  michi 
praefixus  est.  Die  zweite^  Stelle  Zeile  16  spricht  ebenfalls  von  einem  zum 
Zeugnis  am  Schlui's  mitangehängten  Siegel,  doch  Icäfst  sich  wegen  der  Lücke 
die  grammatische  Konstruktion  nicht  genau  erkennen.  Es  kann  der  Konvent 
gemeint  sein,  dann  würde  man  zwei  Ablativi  absoluti  anncdimen  können,  und 
also  ergänzen  und  interpungiren  :  attestante  hoc,  sigillo  suo  hie  finaliter  coap- 
penso,  conventu:  indem  der  Konvent  dies  bezeugt,  dadurch,  dafs  sein  Siegel  hier 
am  Schlufs  mit  angehängt  ist.  Einfach  wäre  die  Sache,  wenn  man  attestanti 
(Dativ)  lesen  kcmnte,  dann  wäre  attestanti  als  Apposition  zu  meo  conventui 
in  Zeile  15  zu  beziehen,  und  die  Übersetzung  würd(>  lauten:  es  erscheint 
auch  meinem  Konvent  nötig,  welcher  dies  bezeugt,  indem  er  sein  Siegel  zum 
Schlufs  mitangehängt  hat.  Doch  müfste  man  dann  einen  Schreibfehler  an- 
nehmen, da  deutlich  attestante  dasteht.  Es  kann  sich  auch  die  Stelle  wieder- 
um auf  den  Grafen  [Bernhard  beziehen,  doch  ist  dies  weniger  wahrscheinlich, 
da  er  zum  zweiten  Male  kaum  in  dieser  Form  eingc;führt  wäre.  Sehr  wohl 
kann  man  aber  an  eine  andere,  wegen  der  Lücke  nicht  erkennbare  Person 
denken.  Die  letzte  Stelle,  Zeile  19,  ist  wohl  ganz  klar.  Sigilla  nostra  sind 
wohl  auf  das  Siegel  des  Abtes  und  das  des  Konventes  zu  beziehen,  da  cnne 
derartige  I3esiegelung  ja  dem  Herkommen  entspricht  und  sich  in  vielen  Ur- 
kunden findet.  Es  sind  also  entweder  3  oder  4  Siegel  an  der  Urkunde  ge- 
wesen, drei,  das  des  Grafen  Bernhard,  das  des  Abtes  und  da.sjcnige  des  Kon- 
ventes,  oder  vier,  nämlich  die  Siegel  der  genannten  drei  Personen  und  das- 
jenige einer  vierten  nicht  erkennbaren  Person,  auf  welche  sich  die  Worte  in 
Zeile   16  beziehen. 

Über  das  zur  schwäbischen  Pro\inz  des  Cisterzienser-Ordens  gehörige 
Kloster  Herrenalb  zitier("  ich  zum  Schlufs  noch  die  Notiz  aus  E.  Schnell,  Die 
oberdeutsche  Provinz  des  Cistercienser-Ordens ,  S.  235:  1  lerrenalb ,  alba  do- 
minorum,  früher  Filial  von  Neuburg,  später  von  SaUnn,  in  der  Dir)zese  Speyer 
gelegen,  wurde  1148  von  dem  Grafen  Berthold  \  on  h^berstein  und  seiner 
(lemahlin  Utta  gestiftet. 

Es  folgt  nun  die  genaue  Wied(;rgabe  des  Dokuments,  indem  wir  die 
Schreibart  buchstäblich  beibehalten  und  unsererseits  nur  die  Interpunktion 
hinzufügen. 

Excusaciü  domini  abbatis  de  all)a  s])ir(>nsis  diocesis. 
(1)  .  .  .  US  et  dominis,  domino  dignissimo  abbati  C'ystiM'cii  c(?t('risquc^  venera- 
bilibus  dominis  abbatibus  et  diffinitoribus  xniucrsis  (2)  .  .  .  aput  Üystcrciuni 
in  dei  nomine  congregatis  frattu'  lleinricus,  huniilis  abbas  nionasterii  in  Alba 
dicti  ordinis  Spirensis  dyocesis  (^3)  .  .  .  dam  obedicncie  pi'cMnptitudintmi  om- 
nibus  et  singulis  exhibendam  cum  rcnierencia  et  honore  subiectis.  (juia  ad 
capitulum  generale  (4)  .  .  .  ex  ordine  obligor  ad  {)resens  \t-nire  non  \aleo 
propter  magna  et  ardua  negocia  meo  monast(Mio  incumbentia  })raesertim  (5)  .  .  . 
Sigillum   trenerosi    domini    üernhardi    coniitis    de.    l^bcrstt^in    i)ra('ri.\i    niiclii    et 


—      lOS        - 

mco  monastcMici  ex  i)art('  \na  et  nionastcrio  (6)  .  .  .  Allx'  ^>  ex  parte  altera 
circa  proximuni  testuiii  natiuitatis  gloriose  \irgini.s  Marie  tamqiiam  arbitris*) 
a  nobis  ex  utra(]U(^  parte  electi  (7)  ...  ine  ab  eo  \lluinf)d(j  ab.senture  j)()ssum. 
Sicut  eciaiu  hoc  iiotuiii  est  venerabili  patii  et  doniino  lohanni  abbati  iiiona- 
sterii  (8)  .  .  quem  .spero  m(^  excii.sare  erga  ve.stras  pat(>rnitate.s  relacione 
\eii(-lica.  .\iiiis  quoque  dies  itenini  niichi  j)raefixus  est  (9)  ...  dus  \)cv 
illiistrcMii  principem  doniinum  Marchioneni  de  IJaden'')  ex  parte  nobiliuni  de 
Ryetpui'  quem  eque  minus  \aleo  (10)  .  .  .  uersaliter  sin^ulis  et  sigillatim '') 
\  niuersis  humiliter  et  obnixe  sui)plico  dictis  patribus  abbatibus  et  specialiter 
ditfini  .  .  (11)  .  .  .  dictorum  impefliinentorum  facto  et  re  ita  s(^  habc^ncium 
ut  praemissum  est  necnon  i)ro])ter  magna  sarcina')  debitorum  circa  \.  .  (12) 
.  .  .  beni  persoluendoriim  me  habeant  (^xcusatum.  Cum  enim  presens  exi- 
stens  non  uel  \ix  \aleo  comi)escer(.>  ac  si^dare  creditores  (13)  .  .  .  ut  et  occu- 
pent  bona  monasterii,  quantomagis  in  absencia  inei  hoc  sine;  dubio  cum  magno 
tlampno  non  obmitterent.  lliis  (14)  .  .  .  s  praemissis  nee  non  et  aliis  cotti- 
die  heu  incidentibus  cogor  \estris  paternitatibus  supplicare  genibus  prouolutis, 
quatenus  (15)  .  .  .  atis  remanere  a  capitulo  generali,  quod  et  mc^o  conuentui 
videtur  esse  neccssariuni  et  racionabile  propter  diuersa  negocia  et  pericula 
(16)  .  .  .  incidunt  dependencia  quodammodo  et  puUulancia  aretroactis '*)  tem- 
poribus.  attestante  hoc  sigillo  suo  hie  finaliter  coappenso  (17)  .  .  .  conuentus 
erga  omnipotentem  deum  et  vestras  j)aternitates  legales  quantum  suppetit  nostra 

paruitas   votis  onmibus  (18' creri,   suscipientes  in  animas  et  conscien- 

cias  n(\stras'')  omnia  praemissa  esse  \(M'a  et  necessaria.  In  quorum  onmium 
praemissorum  (19i  .  .  .  iom  sigilla  nostra  praesentibus  sunt  appensa.  Datum 
in  nostro  monasteric;  praetacto ,  ipso  die  decollacionis  sancti  Johannis'")  (20) 
.   .   .   millesimo  quadringentesimo  vicesimo  nono. 

3j  Frauenalb. 

4i  Es  steht  deutlich  arbitris  da;  man  erwartet  arbitri  als  Genitiv,  homogen  Bern- 
hard! und  electi;  jctlenfalls  hat  der  Schreiber  den  Genetiv  im  Sinne  (,'chabt.  Das  Mönchs- 
latL-in  zei^'t  sich   auch  z.   H.  Zeile  8  :  (jucm  spero  me  excusare. 

!^}  Es  ist  Mark(,'raf  Bernhard  I.  l'i;i79--1431),  der  nach  dem  Tode  seines  Bruders 
Rudolf  YII  (s^est.  l,'591i  die  <^'anze  Mark^rafschaft  allein  beherrschte  und  nach  einer  thäti<4en, 
inhaltreichcn  Regierung  allgemein  l>etrauert  starb,  ("ber  ihn  als  F()rderer  der  Werke 
des  Friedens,  als  welcher  er  hier  erscheint,  sagt  Fr.  v.  Weech  ,  Badische  Geschichte, 
S,  .5S;  Die  Kirchen  unii  Klöster  seines  Landes  durften  sich  seines  Schutzes  und  seiner 
P'reigebigkeit  rühmen;  dem  Kloster  Frauenalb  gab  er  schon  l.'^96  eine  neue,  bisherige 
Mifsstände  beseitigende  Ordnung;  unter  seiner  Mitwirkung  wurden  14(i3  die'  in  den  Kriegs- 
läuften  zerstörten  Klostergebäude  von  Herrenalb  wiedc-r  aufgeluaut  und  befestigt,  die 
Benediktinerabtei  Gottesaue  beabsichtigte-'  er  mit  der  im  Jahre  14L'3  erwirkten  Ge- 
nehmigung des  Paiistes  in  ein  Kartäuserkloster  umzuwandeln  und  beschenkte  ,  als  sich 
dies  Vorhaben  nicht  ausführen  liefs ,  das  verarmte  (iotteshaus  mit  namhaften  Summen, 
dem  Kloster  ^chuarzach  erteilte  er  143ii  einen  Freibrief,  welcher  die  bisher  ihm  zu- 
stehenden  Di(  nste   und   (jefälle   der  Klosterleiite  dem   Kloster  überliefs. 

u)   g'eieh   singulatim. 

7,   müfst(    i^ropter  magnas  sarcinas  heifsen,    Schreiber  tiimmt  ein  Wort  sarcinnm  an. 

S)  in   eint  111    Wort    geschrieben,   gleich   a   retroactis. 

9 '  Man    uiu'de    nestras  erwarten;   aber  es  steht   deutlich   nostras  da. 
1(1;  2'»,    August. 

X  ii  ]■  n  b  e  r  o.  R,   Sc  li  m  i  d  t. 


—     109     — 

Ein  süddeutsches  bürgerliches  Wohnhaus  vom 
Beginne  des  18.  Jahrhunderts. 

(Mit   14  Tafeln.) 

(Schlufs.) 

Die  Wäsche-  und  Kleiderkammer  (Taf.  XII). 

lenn  nicht  noch  im  oberen  Geschosse ,  so  dürfte  sich  die  in  der 
Überschrift  j^^enannte  Kammer,  in  dem  Aufbaue  befinden,  welcher 
in  der  Einleitung  für  das  beschriebene  Haus  angenommen  wurde. 
Zwei  verhältnismäfsig  kleine  Fenster,  deren  geringe  Gröfse  und  Tiefe  für  ein 
höheres  Stockwerk  sprechen ,  geben  dem  ziemlich  grofsen  Räume  nur  spär- 
liches Licht,  welches  das  Oberlicht  über  der  einzigen  Thüre  dieses  Raumes 
zu  verbessern  bestimmt  ist.  Die  Decke  ist  Stuckarbeit,  der  Fufsboden  ge- 
brettert,  die  Wände  mit  Nischenbögen  wohl  einfach  weifs  oder  gelb  getüncht. 
Der  Bestimmung  des  Raumes  entsprechend  ist  die  Ausstattung  eine  sehr  ein- 
fache; sie  besteht  beinahe  lediglich  aus  Wäsche-  und  Kleiderschränken. 

Der  doppelthürige  Schrank  direkt  neben  der  einzigen  Thür  der  Kammer 
zeigt  ein  von  drei  runden  Säulen,  welche  halb  heraustreten  und  hübsche  Ka- 
pitale haben ,  getragenes  Gebälke.  Im  Fufse  befinden  sich  ein  oder  zwei 
Schubladen.  In  diesem  Schranke  wurden  die  Kleider  aufbewahrt ;  auf  welche 
Weise  man  hiebei  verfuhr,  wird  weiter  unten  nach  der  Nürnberger  »Haufs- 
Halterin«  dargethan  werden.  Oben  auf  dem  Schranke  stehen  einige  runde 
Papp-  oder  Holzschachteln,  welche  bemalt  oder  mit  Buntpapier  überzogen  ge- 
wesen sein  und  Hüte  und  Hauben  der  Frauen  des  Hauses  bewahren  dürften. 
An  der  Seite  des  Schrankes  hängt  eine  Tafel,  welche  wohl  zum  Aufschreiben 
der  Vorräte  diente. 

An  der  gegenüber  liegenden  Wand  der  Kammer  stehen  zwei  Schränke, 
alle  beide  bedeutend  einfacherer  Art  wie  der  vorstehend  beschriebene.  Der 
vordere  zeigt  architektonischen  Aufl^au.  An  der  Stelle  der  halbrunden  Säulen 
des  erstbeschriebenen  Schrankes  finden  sich  einfache  glatte  Pfeiler.  Er  hat 
auf  einem  Untersatze  mit  zwei  Schubladen,  zwei  Kästen,  jeder  mit  Doppel- 
thüren  und  an  den  Seiten  eiserne  Handgriffe,  um  sie  im  Falle  einer  Umstellung 
oder  eines  Umzuges  oder  bei  h^euersgefahr  bccjuem  tiansportieren  zu  können. 
Die  Thüren  haben  einfache,  wohl  durch  aufgesetzte  Leisten  gebildete  Füllungen. 
Auf  dem  niedrigen  Gesimse  steht  ein  flacher  Giebel,  der  in  der  Mitte  auf 
der  Fortsetzung  des  durchgehenden  Pfeilers  eine  Vase  enthält  wie  sie  etwas 
kleiner,  auch  zu  beiden  Seiten  des  (liebels  auf  dt;n  Seitenpfeilern  stehen. 
Oben  auf  dem  Schranke  stecht  ein  längliches  Kästchen,  wenn  es  sich  hier 
nicht  etwa  um  cnnen  Aufsatz  handelt,  der  zum  daraufst(^llen  von  Gc\genständen 
diente.  Die  eine  Thüre  des  oberen  Kastens  ist  ger)ftnet,  man  siecht,  dafs  der 
letztere  durch  zwei  wagrechte  Bi-etter  in  drei  l-^ächer  geteilt  ist ,  \  on  d(Mien 
die  beiden  unteren  mit  Wäsche  gefüllt  sind.  Es  dient  der  Schrank  also  zur 
Aufbewahrung  der  letzteren. 

Mitteilungen   aus   dem  german.   Nationalmuseum.     1897.  XV. 


-    no 

X(^btMi  di(\seni  Wäschcsclirank  steht  ein  zweiter,  der  tiDch  einfacherer 
Art  ist.  l-^r  hat  auch  einen  Untersatz  mit  Schul )lad(^  auf  dtmi  der  doppel- 
thürigi^  ein<^esch()ssi!_;('  Schrank  mit  tälinhcher  einfacher,  architektonischer  Gli(;- 
diMuni^^  \vi(^  dcv  \ oibeschriebent;,  steht.  Das  Gesims  ist  jedoch  kräfti^^er  ent- 
wickelt ;  es  wird  ebenfalls  durch  einen  Gii^iel  <,fekr<')nt  ,  d(M-  über  die  «^anze 
Breite  des  Schiankes  ^udit  und  ohne  Urne  ist.  Das  McUx;)  ist  wohl  als  Klei- 
derschrank  anzusprechen. 

Was  sich  sonst  noch  an  M(")beln  in  diesem  ivaume  In^hndet,  dient  alles 
mehr  odt-r  weni^u;r  dem  Zwecke  desselben.  In  der  Mitte  steht  ein  grofser 
Tisch  mit  geschwcnften,  durch  einen  Steg  verl)undenen  k'i'ifsen;  er  ist  mit 
einem  Tischtuche  bedeckt,  auf  welchem  einige  kleine  Stöfse  Wäsche  liegen. 
\'or  dem  Tische  steht  eine  l-]ank  (oder  Truhenbank.'),  welche  wohl  zum 
darauflegen  der  Wäsche,  wenige^"  zum  daraufsteige  n  l)eim  Einräumen  derselben 
in  die  Schränke  diente.  Zu  diesem  Zwcxke  ward  vielmehr  vorzugsweise  die 
dreistufige  h()lzerne  Trej)pe  xcrwtMidet,  w(>lche  xor  dem  Schrank,  dessen  eine 
obere  Thüre  geöffnet  ist,  steht.  X'or  dieser  Treppe  steht  ein  flacher  vier- 
eckiger Korb,  welcher  di(^  frisch  gewasch(>ne  Wäsche  birgt,  welche  di(^  dar- 
über gebückte  Frau  in  den  Schrank  einzuräumen  beabsichtigt.  Eine  weitere 
Partie  Wäsche,  die  unterzubringen  ist,  befindet  sich  auf  einem  Brett,  das  auf 
zwei  Querleisten  auf  dem  Boden  liegt. 

Aufser  der  erwähnten  Frau  befinden  sich  noch  zwei  weibliche  Wiesen 
in  dieser  Kammer.  Nahe  der  offenen  Thüre  steht  die  stattliche  Hausfrau 
und  sagt  dem  vor  ihr  stehenden  Töchterchen,  in  welcher  Weise  sich  diese 
bei  dem  Einräumen  der  Wäsche  fjeteiligen  soll.  J'rühzeitig  mufs  das  Mädchen 
mithelfen,   um   selbst   einmal  eine  tüchtige   Hausfrau  zu   werden. 

Auch  \'or  dem  zweiten  Schranke  rechts  steht  ein  Korb  ,  diesmal  ein 
runder,  mit  Wäsche.  Zwischen  den  beiden  Fenstern  hängt  ein  viereckiger 
Spiegel ,  dessen  Rahmen  eine  geschnitzte  Bekr(')nung  hat ;  die  Frauen  des 
Hauses  wollten  doch  gleich  schon  hier  oben  sehen,  wie  sie  dies  oder  jenes 
Stück  kleide.  Unter  dem  Spiegel  steht  ein  \icrbeiniger  Stuhl  mit  geschnitzter 
Dehne  und  herzförmigem  Ausschnitt  zum  Anfassen,  ein  heute  I']auernstuhl 
genanntes  M(")bel.  In  der  Ecke  rrchts  leimt  ein  Brett  zum  lüigeln  oder  Plätten 
(Jer  Wäsche ,  links  steht  ein  Mr.ljcl  ,  das  zwischen  Schemel  und  Bank  die 
Mitte  hält;  auf  ihm  steht  mit  vic-reckigenn  Untersatz  ein  auf  gewimdener  Säule 
ruhcmJes  KlTippelkissen,  (Jas  hier  untergebracht  WcU-,  wenn  die  l^rauen  es  nicht 
zur   Arbeit   beuf^tigten. 

Die  Xürnberger  Haufs-Halteriiv  kennt  nur  eine  Kleiderkammer;  die 
Wäsche  wurde  nach  ihr,  soweit  (,\s  kiettzeug  war,  im  Schlafzimmer  aufbewahrt, 
im  ül)rigen  schweigt  sie  sich  darüb(M'  aus.  Es  ist  dalun"  wohl  nur  \-ergessen 
\vr)i-d('n  zu  erwähnen,  dafs  Wäsche  auch  in  dei'  Klciderkammer  zu  finden  ist. 
Ubei'   letztei'e   belichtet   die    Nürnl)erger      Hauls-HaUcrin      k'olgendes: 

Was  in  di(,'  Kleider-Kammer  g(_'h(")re ,  ist  aus  deren  Benennung  leicht 
abzunehmeii,  nenilicli  ein  und  amlere  J-iehälter,  die  kehren-  und  andtMe  saubere 
Kleidei-,  so  man  nicht  täglich  an  zu  tragen  pfleget,  darinnen  aufzuheben,  vor 
denen  Schaben,   .Staub   uncJ   andern  Uni-einigkeiten   zu  \e!"\\ahren.   und   in   guten 


-    111    — 

Stand  vor  Verderbnis  und  Schaden  zu  erhalten.  Es  ist  aber  hier  billig  an- 
zumercken,  dafs  die  lange  Kleider  beedes  der  Mann-  als  Weibs-Personen  besser 
hangen  als  liegen,  daher  dann,  wie  die  gemeine  Behälter  mit  Fächern  inn- 
wendig  unterschieden  und  abgeteilet  sind ,  was  beliebt ,  darauf  zu  legen ,  so 
haben  die  Kleider- Schräncke  solche  nicht,  ohne  etwan  nur  zu  öberst  ein 
einiges  Fach,  da  sie  hingegen  mit  Schrauben  verschen,  besagte  lange  Kleider 
daran  zu  hängen ;  Zu  den  Mandeln  sind  besondere  Mandelhöltzer  an  den  hin- 
tersten Bret  vest  angemachet,  darüber  man  selbige  schlagen ,  und  so  dann 
mit  einen  reinen  Tuch  überdecken  kan;  Zu  den  Weiber-Röcken  aber  und  bey 
uns  sogenannten  Schürtzcn,  hat  man  besondere  runde  mit  Ralfen  umbundene, 
oben  etwas  enge,  und  so  dann  immer  zu  erweiterte  Stöcke,  welche  man  oben 
an  eine  Schraube,  und  also  einen  oder  mehr  Röcke  über  einander  daran  her- 
um hänget,  auf  welche  sie  unverkripptilt  ihre  Falten  auf  das  schönste  behalten. 
Sehr  wohl  ist  es  gethan,  wann  man  diese  Behälter  und  Schräncke  also  ein- 
richtet ,  dafs  sie  auf  beeden  Seiten  mit  starcken  gegen  einander  in  gerader 
Linie  übc^rstehenden  Fältzen  versehen  werden ,  worein  man  nach  Belieben 
hiezu  gerichtete  schcm  glatt  gehobelte  Bretter  schieben,  und  also  einen  gemeinen 
Behalter  mit  Fächern  daraus  machen  kan;  so  man  aber  besagte  Bretter  ent- 
weder alle,  oder  nur  etliche  nach  Befinden  heraus  ziehet,  auch  zu  einem  Klei- 
der-Behalter dienet:  So  man  einen  Cberflufs  von  ungerichteten  Betten  hat, 
kann  man  selbige  auch  herein  in  diese  Kammer  stellen,  ob  sie  schon  ihre 
Benennung  von  den  Kleidern,  so  darinnen  aufbehalten,  hauptsächlich  erhalten.  <; 
in  gleicher  Stockwerkhöhe  mit  diesem  Räume  dürfte  sich  die 

Magdkammer  (Taf.  XII  l) 
befinden.  Dieselbe  hat  in  der  Anlage  grofse  Ähnlichkeit  mit  der  Kleider- 
kammer. Auch  sie  hat  nur  an  der  schmalen  Seite  zwei  nicht  sehr  grofse 
Fenster  und  auf  der  linken  Seite  eine  Thüre,  aber  eine  einfachere,  ohne  Ober- 
licht. Dann  sind  die  Langseiten  der  Wände  nicht  getüncht ,  sondern  mit 
einfachem ,  aus  Rahmen  gebildetem  Täfelwerk  versehen.  In  gleiclier  Weise 
ist  die  Decke  ausgeführt,  der  h\ifsboden  aber  scheint  gepflastert  zu  sein,  was 
für  eine  Schlafkammer  bei  unserem  rauhen  Klima  allerdings  nicht  sehr  an- 
genehm war. 

Das  Hauptmöblement  dieser  Kammer  bilden  die  beiden  Bettstellen,  die 
sehr  einfacher  Art  sind,  keinc^n  Himmel  haben,  daher  einer  besonderen  Be- 
schreibung wohl  nicht  bedürfen.  Der  Kopfteil  des  im  Hintergründe  stehen- 
den Bettes  wächst  aber  doch  ziemlich  in  die  H()he  und  ist  von  einem  Giebel 
gekrcmt.  Vielleicht  darf  aus  dieser  Verschiedenheit  geschlossen  werden,  dafs 
in  dieser  besseren  I^ettstatt  das  Töchterchen  des  Hauses  zu  ruhen  pllegte. 
Denn  es  war  damals  noch  wie  im  16.  Jahrhundert  Sitte  die  Mädchen,  wc^nn 
sie  gröfser  waren,  Nachts  in  der  Magdkammer,  die  Knaben  bei  den  Dienern 
unterzubringen.  .Man  mufs  bei  den  letzteren  nicht  gleich  an  Hausknechte  und 
Hausdiener  denken,  es  wiu-den  als  Diener  auch  die  Buchhalter,  Kassiere  u.s.w. 
bezeichne!,  die  in  einem  Kaufmannshause  thätig  waren  imcl  daselbst,  wie  all- 
gemein  üblich,    auch   Wohnung    und  Essen    hatten.     Die   Nürnberger     Itauis- 


-      112      — 

Ilaltfiin  sai4t  hicMiibcr :  W'.inn  d\c  Kinder  das  siebende^  und  achtt^  jalir  er- 
reichet halxMi,  })fle_L(et  man  sie  aus  dies(M"  Kinder-Stube  JKTaus,  und  entweder 
die  Eltern  zu  sich  des  Tages  in  die  Wohn-stube ,  und  des  Nachts  in  die 
Schlaf-kanuiier  zu  nehmen,  oder  so  es  S(')hne,  zu  den  I^cnlienten,  so  es  aber 
Töchter,  zu  dcM-  Heschhesserin  imd  Mägden  in  (He  Kammer  zu  legen,  und 
schon  allgemach  zu  ernsthattten  Sachen  und  etwas  nutzliches  zu  erlernen,  an 
zu  gewehnen. 

Es  spricht  für  ein  sch(")nes  Verhältnis  zwischen  Herrschaft  und  DicMier- 
personal,  dafs  erstere  kein  Bedenken  hatte,  den  in  ihrem  Dienste  Stcdienden 
das  Liebste  anzuvertrauen,  was  sie  hatte:  ihre  Kinder;  heute  sind  solch(>  Ver- 
hältnisse wohl  nur  Ausnahmen.  Zwischen  der  Bt-ttstatt  der  Magd  und  der 
Wand  steht  eine  Bank,  ohne  Eehne,  welche  wohl  beim  Auskleiden  diente  imd 
auf  welche  Nachts  die  Kleider  gelegt  wurden.  ]{ine  soIcIk;  Bank  mag  wohl 
auch  bei  dem  Bette  der  Tochter  des  Hauses  stehen.  Unter  dem  Mägdebett 
steht  ein  hölzerner  Kasten,  liegt  umgekehrt,  mit  den  Eiifscm  nach  obcm,  ein 
hölzerner  Fufsschemel,  und  stehen  vorne  zwei  Paar  Schuhe,  die  der  Sitte  der 
Zeit  entsprechend,  hohe  Absätze  haben.  Ein  Geräte,  das  schon  auf  Holz- 
schnitten des  15.  Jahrhunderts  unter  dem  Bette  sich  befindet,  f(?hlt  hier. 
Gegenüber  dem  Mägdebett  steht  an  der  anderen  Seitenwand  des  Zimmers 
ein  einfacher,  niedrigen-,  doppelthüriger  Schrank  mit  durch  Leisten  gebildeten 
Füllungen.  In  ihm  bewahrte  die  !\Iagd  ihre  Kleider  und  Wäsche  ,  sowie 
sonstigen  Habseligkeiten  auf.  Auf  diesem  Schranke  stehen  zunächst  zwei 
Büchlein,  also  wohl  Gebetbücher,  darneben  ein  Haubenstock  mit  einem  Augs- 
burger Schneppenhäubchen  mit  je  einer  Schne[)pe  in  Mitte  der  Stirn  und  an 
den  Schläfen.  Der  auf  dem  Schrank  stehende  Kasten  hat  einen  Schubdeckel; 
vielleicht  birgt  er  Hüte  oder  Hauben  und  wird  in  ihm  sonst  das  Schneppen- 
häubchen aufbewahrt,  das  jetzt  vor  ihm  steht.  Auf  dem  Kasten  befinden  sich 
ein  Becher  und  eine  Schale ,  neben  demselben  steht  ein  kleiner  einfacher 
Spiegel,  der  durch  eine  bewegliche  Spreize  auf  der  Rückwand  schräg  gestellt 
ist.  Er  ist  das  wichtigste  Stück  der  Toilettenartikel  der  Magd  des  Hauses; 
der  Spiegel  mit  viereckigem  Rahmen,  der  zwischen  den  beiden  k'enstern  hängt, 
gehört  wohl  der  Tochter  des  Hauses.  Unter  letzterem  steht  ein  einfaches 
Tischchen   mit  Becher  und  Schale,   wohl   das  Waschzeug  der   Tochter. 

Zu  dem  Mobiliar  gehört  ferner  noch  ein  dreibeiniger  niedriger  Stuhl  mit 
rundem  Sitze  (jhne  Lehne,  wie  sie  noch  niedriger  die  Schuhmacher  gel)rauchen. 
Auf  ihm  liegen  zwei  Kämme  und  eine;  Ilürste  \x)n  pins(Martigr^r  Form  zu 
Händen  des  daneben  stehenden  Mädchens,  welche  dei'  vor  ihr  sitzenden  statt- 
lichen Frau  das  Haar  fiicht.  Letztere  sitzt  wohl  auf  einem  gleichen  Stuhle 
Das  dritte  weibliche  Wesen,  das  diese  Kammer  belebt,  hängt  bei  der  linken 
l^cke  des  Zimmers  einen  viereckigen  gefiochtcnen  Korb  auf.  Längs  des 
Magdbettes  ist  ein  einfaches  Wandbrett  in  ziemlicher  1  1(')1k-  angebracht,  aut 
welchem  Wäsche  liegt  und  eine  kugelf(')rmig(^  |-"raueniiuitze  (  Pelzhaube .- 1  steht. 
Darunter  hängt  vAn  h'ranenrock,  daneben  an  der  Wand  einige  Beutel  oder  Netze 
mit  unbekanntem  Inhalt  i  schmutziger  Wäsche.-).  An  der  Wand  gegenüber  ober 
dem  niedrigen  Schrank  liegen  über  einer  Stange,  welche  an  zwei  Stricken  \<in  der 


-     113     — 

Decke   herabhängt,   einige   Hemden,   und  Schnüre,   daneben  eine  Bettjacke  (?). 
Eine  ebensolche  dürfte  über  dem  Kopfteil  des  Tochterbettes  hängen. 

Die  Nürnberger  >Haufs-IIalterin«  äufsert  sich  über  diesen  Raum  folgen- 
dermafsen  :  vNach  deme  man  viele  Mägde  hat,  nach  deme  mufs  man  auch  viele 
Better  in  der  Mägde-Kammer  haben,  ingleichen  auch  vor  die  T()chter,  so  viel 
nemlich  derselben  bereits  aus  der  Kinder-stube  heraus  genommen ,  bei  den 
Mägden  in  der  Kammer  ihre  Lieger-statt  haben  sollen,  wiewohl  es  öffters  ge- 
schiehet ,  dafs  ihrer  zwo  in  einen  etwas  grössern  Bett  beysammen  schlafen ; 
wann  es  die  Gelegenheit  defs  Zimmers  zulasset,  ist  es  nicht  übel  gethan,  wann 
auch  in  diesen  ein  und  anderer  Schranck  und  behalter  stehet,  so  den  Mägden 
eingeraumet  wird,  ihre  Kleider,  weisses  Gezeug  und  andere  Zugehör  darinnen 
aufzuheben  und  zu  verwahren:  Es  mufs  aber  diese  Kammer  also  angeordnet 
werden,  dafs  sie  dem  Schlaf-Gemach  der  Diener  nicht  zu  nahe  gelegen  seye, 
damit  nicht  die  Gelegenheit  Schälcke  mache ,  und  Feuer  und  Stroh  ,  so  es 
einander  zu  nahe  kommet,  brenne.« 

Mit  dieser  Kammer  sind  die  Wohnräume  unseres  Hauses  alle  vorgeführt. 
Sie  mochten  für  eine  einfache  bürgerliche  Familie  ja  weitaus  genügen.  Die 
Nürnberger  -Haufs-Halterin«  kennt  aufser  den  weiteren  Zimmern,  die  schon 
oben  beschrieben  worden  sind,  auch  noch  eine  Gastkammer,  die  dem  Augs- 
l)urger  Hause  fehlt.  Wie  aus  der  nachfolgenden  Beschreibung  aber  hervor- 
geht, wahr  auch   diese  sehr  einfacher  Art.      Ks  wird  darüber  gemeldet: 

»Zur  Gast -Kammer  soll  man  vor  andern  ein  schönes  helles  und  rein- 
liches wohl-angelegenes  Zimmer  erwehlen ,  mit  etlichen  wohl-zugerichteten 
Betten,  auch  wann  das  Span-  und  Holtz-w'erck  darnach  beschaffen,  selbige  so 
wohl  als  die  Fenster  mit  Vorhängen  behängen,  mit  einigen  Stühlen  oder  Ses- 
seln, um  sich  derselben  beym  an-  und  ab-kleiden  zu  bedienen,  besetzen,  und 
die  W^and  mit  etlichen  Schrauben  versehen,  damit  man  die  Kleider  daran 
aufhängen  kcmne,  zumahl  aber  die  Nacht-Geschirr  hinein  zu  setzen,  weil  den 
Fremden   defs  Hauses  Gelegenheit  imwissend,   nicht  vergessen. 

Die  Nürnberger  »Haufs-Halterin<  sagt  zum  Schlüsse  ihrer  Ausführungen, 
dafs  diese  nur  ein  Leitfaden  sein  sollen,  dafs  es  aber  Jedem  seilest  überlassen 
bleiben  müsse,  mit  wieviel  Wohnräumen  er  sich  behelfen  und  wie  er  dieselben 
einrichten  und  ausstatten  wolle.  Sie  schreibt:  ICs  ist  aber  hietx^y  wohl  zu 
erinnern,  dafs  diese  Beschreibung  und  Auszierung  der  Gemächer  nicht  eben 
nothwendig  also  seyn  miisse ;  dann  wer  nicht  so  \-\c\  Zimmer  hat,  und  haben 
kan,  mufs  sich  wohl  mit  wenigem  behelffen,  zu  deme  stehen  jc^Umu  frey,  solche 
nach  Gefallen  köstlicher  und  schicklichcM-  aus  zu  zieren  ,  denen  so  nicht  bey 
Mitteln,  bleibet  es  schon  selbsten  gewehrc^,  solclu-s  nach  zu  ahmen;  ich  ge- 
schweige, dafs  nicht  jederman  Lust  zu  so  unnützen  (jcpräng  und  vielen  Haus- 
rath  Belieben  habe,  welche  wir  selbsten  vor  klug  achten,  jcnloch  das  \'er- 
langen  einiger  Liebhaber  zu  stillen,  und  gegenwärtiges  Werk,  d(\^to  xollkom- 
mener  zu  machen,  haben  wir  diese  Ijeschreibung  hier  als  ein  nach  Belieben 
zu  änderndes  Modell  xorstelliL^  machen   wollen,- 


—      114      - 

Wenn  nun  .uich  die  W'ohntäume  des  Au<4shui"j^U'r  I  lauscs  aufL;eführt 
sind,   s(i  bleibt  dcicli   noch,  als   letzter,   ein    Kaum   zu   beschreiben: 

der  Boden  (  Taf.  XIV), 
in  manchen  Ciet^enden  unseres  VatcMlandes  auch  Sjjcicher  i^enannt.  Die  Treppe, 
die  an  der  Wand  der  .MaL;dkanum-r  zum  Boden  empor  führt,  kann  nicht  die- 
jenige sein,  die  in  den  abgebildeten  Bodenraum  mimdet,  da  sie  eben  an  der 
St'ite  des  Bodens  gelegen  sein  mülste.  Wohin  man  auf  dieser  'rre[)i)e  kommt, 
kann  nicht  gesagt  werdtm ,  da  ein  zweiter  Bodenraum  nicht  dargestellt  ist. 
Die  Xinnberger  Haufs-Halterin  teilt  über  den  Boden  sehr  prosaisch  mit: 
.Ausser  diesen  nun  sehr  \veitläufig-beschri(>benen  Zimmern,  hat  man  auch 
eines  Wösch-Bodens  und  einer  Holz-Lage  n(')thig,  jener  soll  mit  Stangen  oder 
Stricken  behangen  seyn .  um  die  Wösch  darauf  zu  trocknen;  diese  aber  so 
\  erwahret,  und  beschaffen,  dafs  sie  raumig  seye ,  eine  gute  Anzahl  Holtz  im 
V'orrath  einzukauffen  und  zusammen  zu  legen ,  anbey  gewölbt  oder  doch 
wenigstens  ausser  dem  Gesicht,  damit  es  \()r  den  h^euer  und  bösen  Leuten 
sicher,  nicht   so  bald   höchst- verderblichen   Schäden  erleiden   möge.« 

Poetischer  hat  der  Künstler  unserer  Zeichnungen  die  Sache  aufgefafst, 
er  stellt  den  B(;den  nicht  als  drockenraum  für  die  Wäsche,  sondern  als  Tum- 
melplatz fih"  die  Kinder  bei  schlechtem  Wetter  dar,  welches  den  yAufenthalt 
im  Freien  nicht  gestattet.  Line  schon  ziemlich  erwachsene  Tochter  schaukelt 
sich,  ein  Bruder  sitzt  auf  einer  Kiste  und  betreibt  das  unglückselige  Flöten- 
spieb  ,  um  die  Ohren  der  Litern  nicht  zu  beleidigen,  zwei  andere  Knaben  aber 
halten  Rat,  was  sie  nun  miteinandcM-  anstellen  wollen.  Eine  r^Iagd  mit  einem 
Kleinen  auf  dem  Arm  sieht  zu  und  übt  wohl  so  eine  Art  Oberaufsicht  aus, 
die  hier,  fern  \on  den  hdtern .  doch  notwendig  ist.  Der  getreue  Hund  des 
Hauses  ist  auch  gern  da,  wo  es  munter  und  lustig  zugeht.  Über  die  Aus- 
stattung ist  wf)hl  kein  Wort  zu  V(M-lieren ,  nur  auf  das  \'esperbrot  ,  das  auf 
einem   Läfschen   sich   l)(;findet,   sei   noch   aufmerksam  gemacht. 

Den  Kindern  ist  dieser  Boden  sehr  ans  Herz  gewachsen;  hier  werden 
alle  mr'jglichen  S[)iel(^  ausgeführt  und  der  jugendlichen  Phantasie,  die  hiebei 
zur  Cicjltung  kommt,  wiid  durch  d'w  Litern  kein  Dämpfer  auferlegt.  Der 
Schreiber  dies(>r  Zeikcn  hat  auf  (U'm  Boden  des  elterlichen  Hauses  selbst  ein- 
mal bei  dei'  .Aufführung  der  l'reziosa  mitgewirkt,  die  natürlich  wimderschön- 
\erlief  und  Akteure^  wie  Zuschauer  hochentzückte  .  D(M-  Dichter  in  Nürn- 
berger Mundart,  |(jh.  Wolfg.  Weikert  (y  LS,^)6),  erzählt  in  einem  seiner  besten 
fjedichtc  Die  Ritterburg.  Vju  |ugendschwank  '■')  wie  er  mit  anderen  ISuben 
den  Holzstofs  auf  dem  liodcn  zur  Ritterburg  machte,  die  schliefslich  zu  wanken 
anfieng. 

Mit   ahmaul   knn^t   nici    Kitterhur^ 
.■\n   r)art   von   Ucl)cr^  w  iclU, 
Su   (lafs  in   Au(;'n^(;ttcsblick 

1'')  j{»h.  W'oU^,  Wcikcrts  Aus;^!  w  ;ilillc  dcdichlr  in  Xürnlurm-r  Mundart.  Hiraus- 
'jciiclK  n  und  mit  t  incm  L;ranimatisrlu-n  .Abriis  und  Glosar  versehen.  \'(m  I)r,  CTtMir«^  Karl 
Irominann.      Nürnljcrg    1S57,   S.   .5.5  ff. 


—     115     — 

Der  Hulzstaufs  äff  es  ligt : 
Der  Kunz  ligt  afTn  Adelbert 
Zammbrochen  ist  des  Ritterschwert 
Und  alli  thenna  heul'n. 

Die  Mutter  häirt  des  Poltern  ah 

Bis  nunter  in  die  Stub'n. 

Glabst's,  Moh,  dau  stürzt  der  Hulzstaufs  ei  r 

Wos  Teuf'l  is  dau  drub'n  ! 

Die  Boub'n  senn's,  dau  wett'  i  draf! 

Döi  Galingstrick' !  Warft,  laufst  mi  naf!«    — 

Sie  fiöigt  ner  su  die  Stöig'n, 

Und  bricht  halt  öiz  in  Bud'n  nei ; 

Die  Ritter  und  die  Knapp'n, 

Den  woll'n  g'schwind  die  St()ig'n  noh    - 

In  an,  den  thout  s'  dertapp'n, 

Und  dachtelt'n  röcht  tüchti  oh, 

Xou  wörft  s'n  goar  die  Stöig'n  noh  ; 

D()s  is  der  Thurnwart  g'wös'n. 

Mei  gouter  Ritter  Adelbert, 

Oiz  kummt  on  den  der  Reiha, 

Denn  knapp  derblickt  s'  ihr  Schnöierbrust, 

Su  thout  s'  ah  Zeter  schreia, 

Und  nau  föllt  s'  über'n  Ritter  her 

Und  tascht'n   ober  kreuz  a  quer,   — 

Der  heult  und  schreit  erbärmli. 

Der  Ritter  Kunz  will  hint'n  weck, 

Den  thout  s'  grod  no  dergratsch'n,  — 

Äff  den  haut  s'  lang  a  Schneid  scho  g'hat: 

Den  langt  s'öiz  Fetz'n-Watsch'n, 

Nau  peitscht  s'n  no  die  Stöig'n  noh,  — 

Der  heult  und  schreit  Komordio ; 

Z'letzt  tlanna  alli  Knapp'n.« 

In  ähnlicher  Weise  mögen  sich  auch  die  Augsburger  Kinder  in  diesem 
Hause  die  Zeit  atif  dem  Boden  vertrieben  und  allerlei  lustige  Geschichten  auf- 
geführt  haben,  nicht  immer  gerade  zum  Vergnügen  der  heitern. 

Dem  in  der  Einleitung  gegebenen  Versprechen,  am  Schlüsse^  dieser  Mit- 
teilungen auf  die  Frage,  welchem  Künstler  die  Bilder  ihre  h^ntstehung  \  er- 
danken,  ziu'ückzukonmien ,  sei  hiemit  entsproclKm.  LeidcM"  kann  aber  nur 
gesagt  werden,  dal's  es  nicht  m<")glich  war,  über  den  ZcMchner  di(.'ser  Blätter 
Klarheit  zu  gewinnen.  Dic^  Zahl  der  Augsburger  Künstler  und  KupfcM'stecher 
war  im  vorigen  ]ahrhundert  so  grofs,  ein  grofsci"  Teil  dei'selben  hat  so  wcMiig 
Individuelles,  c\s  ist  ihnen  vielmehr  gr()fst('nteils  so  etwas  (j(>meinschaftliclu\s 
eigen,  dafs  es  nicht  möglich  ist,  aus  dem  ("hara!<t(M-  (Um- ZcMclmungen  aut  den 
Künstler  zu  schliefsen.  Ks  muis  d(;shalb  dic\s(;  i''rag(>  zunächst  ungt^I<)st  liIcubtMi, 
da  es  doch  keinen  Zweck  hat,  lU^liauptungiMi  aufzustellen,  füv  welche  eini' 
H(nveisführung   nicht   möglich    ist. 


—      116     — 

Au^fsburcjs  Ri'uLjer  haben  einten  ^rofsen  Sinn  für  Häuslichkeit  gehabt ; 
es  sa_i,'en  dies  nicht  nur  die  mit  so  grofser  Liel)e  aus^^eführten  Zeichnungen, 
es  geht  cHi's  auch  aus  anderen  eigenartigen  Sch(')i)fungen  liervor,  di(>  in  Augs- 
burg im  \()rigen  Jahrhundert  entstanden  sind.  Man  fertigte  nämhch  die  Dar- 
stelhmg  des  eigenen  Hauses  in  der  Art,  dafs  man  Bilderb(')gen  kaufte,  welche 
Ansichten  von  Zimmern,  Hausgeräten,  Menschen  und  Tieren  enthielten,  diese 
ausschnitt  und  die  Ausschnitte  zu  einem  Bilde  zusammenklebte,  welches  irgend 
einen  Raum  des  Hauses  wiedergeben  sollte.  Auf  diese  Art  und  Weise  stellte 
man  das  ganze  Haus  vom  Keller  bis  zum  Boden  dar,  ja  man  führte  sogar 
die  verschiedenen  Wände  der  Zimmer  vor ,  vergafs  auch  das  Aufsere  des 
Hauses  und  selbst  den  geheimen  Ort  nicht,  dessen  Thüre  und  Deckel,  wie 
alle  dargestellten  Thüren,  auch  die  der  Schränke,  so  dafs  man  deren  Inhalt 
sehen  konnte,  beweglich  waren.  Und  wenn  die  Bilderbogen  das  notwendige 
Material  nicht  vollständig  lieferten ,  so  half  man  sich  dadurch ,  dafs  man 
das  P^ehlende  durch  Zeichnungen  ergänzte.  Von  dieser  Art  Darstellungen, 
die  kulturgeschichtlich  recht  merkwürdige  I3ilder  liefern ,  ist  uns  ein  starker 
Band  im  [Privatbesitz  in  einem  Städtchen  Württembergs  und  hier  in  Nürnberg 
der  Rest  eines  solchen ,  der  aber  nur  aus  der  äufseren  Ansicht  des  Hauses, 
der  Küche  und  der  Speisekammer  besteht,  bekannt.  Sicher  existieren  noch 
mehr  von  diesen  Büchern,  von  welchen  aber  doch  wohl  die  meisten  im  Laufe 
der  Jahre  den  Weg  aller  Bilderbücher  gegangen  sind,  denn  als  solche  sind 
diese  Werke  anzusehen. 

Eine  ähnliche  Reihe  Darstellungen  wie  die  wieder  gegebenen  Bilder  ist 
in  Augsburg  noch  in  den  20er  Jahren  unseres  Jahrhunderts  erschienen  und 
zwar  in  der  Herzberg'schen  Kunsthandlung.  Die  Folge  führt  den  Titel: 
Zwölf  Blätter  Kinder-Bilder  zur  Unterhaltung  und  mündlichen  Belehrung«. 
Das  erste  Heft  dieses  Werkes  war  für  Mädchen  bestimmt.  Es  führt  wie  die 
veröffentlichte  Serie  alle  Räume  des  Hauses  vor,  die  natürlich  im  Stile  jener 
Zeit,  der  Biedermeierzeit  gehalten  und  auch  ausgestattet  sind.  Sie  sind  ganz 
gut  gezeichnet ,  wenn  auch  die  Interieurs  in  ihrer  Erscheinung  weit  hinter 
den  hier  mitgeteilten  zurückbleiben.  Das  zweite  Heft  enthält  die  Darstellung 
verschiedener  Handwerke;  es  war  den  Knaben  gewidmet.  Der  Stecher  oder 
Zeichner  ist  nicht  genannt.  Ein  Teil  dieser  Stiche  ist  in  dem  in  hiesigem 
Privatbesitze  bc^findlichen  Bande  enthalten ,  in  welchem  sich  die  drei  übrig 
gebliebenen  Darstellungen  der  älteren  Serie  befinden.   — 

Heutzutage  fehlt  es  durchaus  nicht  an  Bildern  der  jetzigen  Wohnungs- 
rämne ,  gibt  es  ja  sogar  besondere  Zeitschriften,  die  sich  ausschliefslich  mit 
der  Ver()ffcntlichung  solcher  befassen.  Aber  lange  wird  man  bei  diesen  suchen 
dürfen,  bis  man  ein  so  abgerundet  harmonisches,  auf  keinerlei  Effekt  berech- 
net(;s,  einfaches,  aber  darum  um  so  anziehenderes  und  anheimelnderes  Innere 
wieder  findet,  bis  man  ein  für  die  Zeit  der  Darstelkmg  so  charakteristisches 
Bild  eines  bürgci-lichen  Hauses  wiederum  zu  sehen  kriegt,  als  wie  es  unsere 
Handzeichnungen   vor  Augen   führen. 

N  ü  r  n  b  e  r  <f .  H a n  s   B  ö seh. 


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117 


Geheimmittelindustrie  im  18.  Jahrhundert. 

VP^^*^  alt  wie  die  Heilkunde  ist  auch  der  Geheimmittelschwindel  und  ihn 
durch  den  Lauf  der  Jahrhunderte,  bis  zum  heutigen  Tage,  wo  er 
noch  unentwegt  sein  Wesen  treibt,  zu  verfolgen,  gehört  zu  den  kultur- 
gesichtlich  interessantesten  Kapiteln  der  Geschichte  der  Medizin.  Besondere 
Blüte  hatte  bekanntlich  der  Charlatanismus  und  die  Quacksalberei  im  16.  und 
17.  Jahrhundert  gezeitigt.  Mit  Recht  hat  Hermann  Peters  in  seinem  trefflichen 
Buche  »Aus  pharmazeutischer  Vorzeit  in  Wort  und  Bild«  in  dem  einschlägigen 
Kapitel  (II.  Bd.  225  ff.)  darauf  hingewiesen,  welch'  wichtige  Stellung  in  der 
Quacksalberei  die  Reklame  der  angeblichen  Heilmittel  durch  den  Buchdruck 
fast  vom  Auftreten  desselben  an  gespielt,  wie  gerade  wie  in  unseren  Tagen 
die  Presse  oder,  was  sie  damals  vertrat,  als  erste  und  wichtigste  Helfershelferin 
der  nichtzünftigen  Heilkünstler  angerufen  wurde.  Vereinzelte  Anpreisungen 
von  Heilmitteln  jeder  Art  haben  sich  in  gröfserer  Zahl  bis  in  unsere  Zeit  erhalten. 
Über  die  Verwendung  dieser  als  Flugblätter  gedruckten  Reklamen  gibt  ein 
auch  von  Peters  mitgeteiltes  (a.  a.  O.  S.  228  ff.)  Gutachten  des  Nürnberger 
Arztes  und  medizinischen  Schriftstellers  Dr.  Joachim  Cammermeister  Aufschlufs, 
welches  am  27.  Dezember  1571  dem  Nürnberger  Rate  überreicht  Bedenken, 
welcher  gestalt  in  einem  wolgeordneten  Regiment  es  mit  den  Aerzten  und 
Artzneien  sambt  allen  anderen  darzu  notwendigen  Stücken  möcht  geordnet 
und  gehalten  werden«  betitelt  und  in  seinem  fünften  Teil  »den  frembden 
Leuten,  die  sich  allerlei  Artzneiens  unterstehen  wollten«  gewidmet  ist.  Darin 
heifst  es:  >Zum  dritten  lassen  sie  getruckte,  herrliche,  offne  Zettel,  die  voller 
brechtiger  Zusagung  der  Gesundheit ,  und  das  mehrers  thail  mit  anderer 
Arzt  Verkleinerung  und  Verachtung  gesteh  und  gemeiniglich  voller  Unwahr- 
heit sein,  an  allen  Orten  anschlagen,  welche  ihre  besten  Lockvögel  sein,  damit 
sie  das  Gelt  von  den  Leuten  bringen,  und  ziehen  hernach  davon.«  Mit  dem 
Aufkommen  der  Zeitungen  kam  die  Verwendung  als  Plakat  wohl  nicht  mehr 
so  ausschliefslich  zur  Verwendung,  die  Anpreisungen  wurden  genau  wie  heute 
den  Zeitungen  als  Beilage  beigegeben,  soweit  sie  nicht  etwa  beim  Verkauf 
als  Gebrauchsanweisung  und  etwa  am  Verkaufsort  selbst  an  die  anwesende 
Menge  verteilt  wurden.  Über  den  in  ersterer  Weise  getriebenen  Unfug  gibt 
wieder  ein  Nürnberger  Ratsverlafs  aus  dem  Jahre  1720  Auskunft  (Peters  a. 
a.  O.  S.  250):  Wegen  der  medicinischcn  Tractätlein,  Thee-Kräuter  und  anderer 
dergleichen  Dinge,  welche  denen  Medicis  und  Apotheckern  zum  Nachtheil 
bisshcro  öftters  an  die  hiesige  Wochcnzt'itungen  getruckt  worden,  dem  Herrn 
Zeitimgs-Censori,  dergleichen  Dinge  auf  denen  Zeitungen  durchgehends  nicht 
mehr  stehcm  zu  lassen,  zu  bedenken.  Denen  Zeitungsdruckern  aber  btn  einer 
nahmhaften  Geldstraff  das  Verbot  zu  thun,  nicht  das  Geringste  mt^hr  von 
solcherlei  Diiigen  ohne  spezielle  Erlaubnis  ihren  Zeitungen  mit  anzufügen.« 
Geholfen  hat   dies  Verbot  aber   wob!   nur   wenig. 

Die  nicht  unbedeutende  Zahl   von  marktschreierischen  auf  Geheimmittel 
bezüglichen  Einzelblättern  vom  16.  bis  zmn  19.  Jahrb.,  welche  das  germanische 

Mitteilungen  aus  dem  german.   Nationalmuseum.     1897.  XVI. 


—     118     — 

Museum  besitzt,  konnte  vor  einiger  Zeit  um  eine  kleine  Sammkmg,  die  schon 
im  IS.  lahrhundert  angek^gt  und  zusammengebundi-n  wurde,  vermehrt  werden. 
Diese  BIätt(M-  gewinnen  dackirch  besonderes  Interesse,  dafs  sie  zum  grofsten 
Teil  sicher,  wahrscheinlich  aber  Alle  von  demsc^lben  Händler,  der  das  Geschäft 
ziemlich  im  (jrofsen  betrieben  zu  haben  scheint ,  herrühren.  Es  sind  im 
ganzen  26  BlätttM-,  xon  dtMien  17  das  »Signet  im  heutigen  Sinne  die  Schutz- 
marke oder  das  Warenzeichen  eines  gewissen  Lorentz  HlumenhötTer  tragen. 
Dasselbe ,  bestehend  aus  einem  Wa])pen  mit  zwei  gekreuzten  Fackeln  und 
zwei  Flügen  mit  einem  Stern  in  der  Mitte  als  Helmzicr,  ist  an  die  Spitze  des 
Druckes  gestellt,  im  Text  wird  ganz  wie  heute  darauf  hingewiesen,  dafs  jede 
Packung  mit  diesem  Signet  versehen  oder  petschiert"  sein  mufs,  während 
am  Schlufs  sich  der  Verkäufer  in  folgender  Weise  nennt:  -Diese  Medica- 
nienta  sind  in  Leipziger  Mefs-Zeiten  bey  Lorentz  IMum(;nhört'er  von  ffamburg 
in  seinem  Gewölbe  zu  bekommen.  Während  die  Mehrzahl  der  Blätter  mit 
der  Anpreisung  eines  Mittels  dessen  Geschichte  und  Gebrauchsanweisung 
enthält ,  ist  auf  einem  derselben  eine  Art  Warenliste  zusammengestellt ,  die 
wir  hier  folgen  lassen. 

L 

Der  Welt-berühmte  Uiiivcrsal-l^&h&n^  baisam ,  welcher  nach  Ost-  und 
Westindien  geschickt  wird,  und  bey  allen  Menschen  gute  W^ürckung  erweiset, 
indem  er  die  gantze  Natur  stärcket ,  und  die  mehresten  Kranckheiten  ver- 
treibet. In  der  Taubheit,  und  im  schwachen  Gesichte  erweiset  er  geschwinde 
Hülfte ,  denn  er  stärcket  alle  Lebens-Geister,  und  wird  er  fleissig  gebraucht, 
wird  man  wie  neu  gebohren. 

2. 

Eine  herrliche  Essentia  Mineralis ,  die  v,"eislich  viele  Mühe  und  Arbeit 
erfordert,  ehe  sie  verfertiget  wird:  Sie  widerstehet  dem  Krebs,  er  mag  offen 
oder  verborgen  seyn ,  denn  sie  reiniget  das  Geblüt  ungemein,  welches  ihr 
nicht  leicht  ein  Medicament  nachthun  wird.  Imgleichen  ist  es  gut  für  Schwangere, 
denn  es  verhütet  aborttini ,  oder  unzeitige  Gebührten.  Wie  es  denn  auch 
geschwinde  I  lülffe  erweiset,  denen  Unfruchtbahren  ,  bei  welchen  der  Uterus 
oder   die   Mutter   stark   verschleimt,   oder   \'erkältet   wird. 

3. 

Essentia  Vegctabiiis.  Es  bestehet  die  Würckung  dieser  herrlichen 
Medizin  in  einer  stärckenden  Krafft  des  Magens,  und  aller  andern  Teile,  in 
allen  Fiel)ern,  in  allen  Hau])t-Schmertzen.  in  allem  Durchlauft",  in  der  rothen 
und  weif'^en  Ruhr,  in  der  Colica,  wie  auch  in  Mutter-lSeschwerung ,  im  Er- 
brechen des  Magens,  ja  in  allen  Schmertzen  des  Leibes,  also  Stein-Beschwe- 
rung ec.      Im  Sootbrcmnen  gibt   diese   Artzney  geschwinde   Hülffe. 

4. 

luiglisches  Cordial.  Dieses  macht  das  Gc'blüt  flüchtig,  und  erhält  es 
in   einer    guten   Circulation. ,    nimmt    allen    kalten  Schleim    von    der    Brust    hin- 


—     119     — 

weg ;  und  machet  daselbst  Lufft ,  indem  es  das  sich  verstopffende  Geäder  in 
der  Lunge  wiederum  eröffnet;  ist  gut  für  die  Lungensüchtigen,  und  sicher  in 
allen  Fiebern  zu  gebrauchen,  e.  g.  in  hectischen,  hitzigen  und  kalten  Fiebern, 
welches  recht  zu  bewundern  ist. 

5. 
Ein  fürtreflich  Elixier  Vitac ,  oder  l^ehans-Elixir ,  welches  schon  mehr 
als  100.  Jahr  im  Gebrauch  gewesen,  auch  seine  Würckung  ganz  erwiesen  hat. 
Es  eröfnet  den  Leib  gelinde,  führet  die  Galle  und  dem  Schleim  aus  dem 
Magen  und  Gedärmen,  befördert  die  haemorhoides,  oder  güldene  Ader  wie  auch 
bey  dem  Frauenzimmer  die  incnses,  und  ist  ein  gewünschtes  Hülffs-Mittel  für 
den  Magen,  der  die  Speisen  nicht  gut  verdauen  kann. 

6. 

Eine  bewährte  Stern- Tinctur ,  welche  den  Stein  in  den  Nieren  und  in 
der  Blasen  zermalmet,  falls  das  Uebel  nicht  gar  zu  alt  ist;  indem  es  die  scharffe 
Materie  gelinde  durch  den  Urin  abführet,  auch  die  Schmertzen  und  alle  Zu- 
fälle vertreibet,  dass  nicht  leicht  ein  böser  Zufall  dazu  kommen  kann. 

7. 
Ein  Sauer-Brunnen,  welches  ein  recht  himmlisches  Medicament,  so  alles 
Podagra,  Gicht  und  Wassersucht  gänzlich  ausrottet ;  vertreibet  die  Geschwulst 
aus  denen  Füssen,  wie  auch  das  erschreckliche  Hertzklopffen.  Inngleichen 
wiederstehet  dieser  Sauer-Brunn  dem  Zittern  der  Glieder,  nimmt  die  grosse 
Hitze  aus  dem  Geblüte  und  ist  gut  wieder  die  Blutstürtzung;  denn  dieses 
Medicament  leidet  durchaus  keine  Ünreinigkeit  bey  dem  Menschen.  Wieder 
den  weissen  Fluss  ist  es  ein  gewisses  Hülffsmittel :  wie  auch  gegen  die  Go- 
norrhaea  Benigna,  oder  Samen-Fluss ,  da  sonst  andere  Mcdicavienta  nichts 
ausrichten  können  :  Doch  hilft  dieses  gewiss. 

8. 

Pulver  contra,  epilepsiavi.  Es  sind  viele  gewesen ,  die  dieses  niahnn 
haben  curiren  wollen,  aber  es  hat  ihnen  niemahls  geglücket.  Dieses  kan  ich 
mit  gutem  Gewissen  sagen,  dass  es  mir  nie  fehl  geschlagen,  und  habe  ich 
noch  erst  kürtzlich  eine  vornehme  Dame  glücklich  mit  diesem  Pulver  curiret, 
und  ein  jeder  der  es  gebrauchen  wird,  der  ward  es  rühmen  müssen.  In  einer 
Schachtel  ist  ein  halb  Loth. 

9. 

Panacea  Antipyretica.  Diese  Pa.nacea  dienet  in  allen  verdriesslichcn 
Kranckheiten ,  sonderlich  in  der  Ft';-/z^.9-Kranckheit  :  Wer  dieses  Medicament 
fleissig  gebrauchet,  hat  nicht  viel  andere  nöthig. 

10. 

Das  l^nglisch  rothe  Gold-Pulver,  welches  dienet  das  Gedächtniss  /u 
stärckt>n;  Schlag  und  Schwindel  ist  es  sehr  diensam;  inngleichen  für  schwangere 
Frauen,  wenn  sie  sich  etwa  erschrecket  oder  geärgert   haben :  Es  stärcket  die 


—     120     — 

Frucht,  wenn  es  \]c\ssh^  L,'ebraucht  wird,  auch  hat  man  sich  nicht  zu  be- 
fürchten .  dass  das  Kind  mit  der  schweren  Noth  sollte  behafftet  werden ,  da 
dieses  Wunder-Pulver  ein  recht  universal  dawieder  ist.  In  Blattern  und 
Massi'ln   ist   es   unschätzbar. 

11. 

Ein  Gesundheits-Thee,  welcher  seiner  herrlichen  Wirkim^  halber  von 
allen  Mt'uschen  gepriMset  wird,  indem  er  alle;  I^rüche  des  Leibes  nimmt,  sie 
möi^en  Nahmen  haben,  \\'\e  sie  wollen.  Wieder  die  Schwindsucht,  wie  auch 
Wassersucht,  ist  er  sehr  '•^\\\  zu  <,'ebrauchen  :  Wieder  den  weissen  Muss  der 
Weil)er,  wie  auch  wieder  den  Saamenlluss  der  Männer,  ist  es  sehr  diensam, 
und  hat   in  diesen  Kranckheiten   nicht  leicht  seines  gleichen. 

12. 

Essentia  iniracnlosa.  Ein  herrliches  Mittel  das  verlohrne  Gehör  wieder 
zu  bringen,  welches  an  vielen  versucht,  und  jederzeit  für  gut  befunden  wor- 
den. W^ieder  das  Sausen  und  Brausen  der  Ohren  hat  es,  seiner  geschwinden 
Hülffe  wegen,  nicht  seines  gleichen.  Es  wird  anders  nicht  alss  äusserlich 
gebraucht. 

13. 

Hauf)t-  und  ¥\\\ss-  Esseftz  wieder  Kopff-Schmertzen ,  Ohren -Sausen, 
Scharbock  und  dergleichen.  In  denen  daraus  herrührenden  Zahn -Wehtagen 
ist  es  ein  gewünschtes  Mittel. 

14. 

Ein  grün  Augen-W^asser ,  welches  nunmehro  in  der  gantzen  Welt  be- 
rühmt, indem  es  alle  Augen-Mängel  curirt,  die  Fellen  von  den  Augen  gäntz- 
lich  hinwegnimmt,  auch  trübe  und  Hiessende  Augen  in  kurtzer  Zeit  gut  machet. 

15. 
Ein  Fluss-  und  Glieder-.Sy^m/z^j-,  äusserlich  zu  gebrauchen  in  Lähmungen, 
in  grofsen  Geschwulsten,   starcken  Flüssen,   sich   darmit  gewaschen,   hilttt  wun- 
derbahr. 

16. 
Ein   Mund-  und   Zahn-Lattwerge,   die    alle  Mund-I^'äule  hinwegnimmt,  die 
Zähne   weiss,  wie  auch   die  wackelnde   fest   machet ;   imgleichen  maclit   sie   das 
Zahnfleisch   wachsend.     Für  Leute,   die   starck   aus  dem  Munde  riechen,   ist  es 
sehr  diensam   zu  gebrauchen. 

17. 

l--.in  Sch(')nheits\vasser.  Dieses  nimmt  alle  .Mängel  der  Haut  weg,  und 
machet  dieselbe  fein  und  weiss,  \erhütet  auch  das  Schi-umpffen  der  Haut. 
Wer  sich  fleissig  damit  waschet,  wird  solche  zarte  1  laut  bekommen,  wie  er 
nie  gehabt   hat.      Die   I  lolder-Sprossen   curirt   es  auch   mit   der  Zeit. 


121     — 


Das  rechte  aufrichtiL,^^  Olciun  Talci ,  oder  Schönheits  -  Gel  ,  welches 
keine  Unreinigkeit  der  Haut  leidet,  und  gut  wieder  die  Pocken-Gruben  zu 
gebrauchen  ist. 

Von  den  hier  mitgeteilten  Geheimmitteln  finden  diejenigen  unter  Nr.  2, 
8,  10,  12,  13 — 17  noch  auf  Einzelblättern  eingehende  Erörterung,  aufserdem, 
ebenfalls  mit  dem  Signet  und  der  Adresse  Lorentz  Blumenhöfer  gezeichnet, 
sind  noch  vorhanden:  Eine  Schönheitspomade  und  eine  Tacken  Salbe  oder 
Unguentum  Haemorrhodialis  (sie).  Die  zweite  Reihe  von  Reclameblättern, 
welche  den  Namen  des  Verfertigers  oder  Verkäufers  nicht  trägt,  bezieht  sich 
auf  folgende  IVIittel.  1.  Cordial  Royale  oder  das  in  Engelland  so  sehr  be- 
rühmte Königliche  Cordial.  2.  Das  Englische  Printzliche  Cordial.  (In  erster 
Linie  ist  es  gegen  das  Podagra  bestimmt,  seine  Vielseitigkeit  geht  aber  aus 
dem  folgenden  Schlufs  der  Reclame  hervor  :  Und  auf  eben  diese  Art  wird 
diese  Medizin  von  denen  gebraucht  welche  mit  den  Blasen-  oder  Lenden- 
Stein  ,  Schaarbock  ,  Schwind-  und  Wasser  -  Sucht  Colica  und  Reissen  im 
Leibe  und  mit  einem  schwachen  /  überladenen  und  verderbten  Magen  iii- 
conimodiret  sein    so  wohl  Manns  als  Frauens. 

Diese  Medizin  ist  auch  absonderlich  den  Frauenzimmern  in  ihren  Be- 
schwerungen und  indispositionen  ein  gewisses  revicdium.)  3.  Englisches  Cor- 
dial. Vor  den  Husten  und  Verkältung  Schwind-  und  Lungensucht.  4.  Vor 
die  Haemorrhoides  oder  sogenannte  Tacken.  5.  Englische  Median.  Vor  die 
Colicq  und  Reissen  im  Leibe.  Die  eben  genannten  fünf  lassen  durch  ihre 
typographische  Ausstattung  und  die  Ähnlichkeit  der  Sprache  erkennen ,  dafs 
sie  einem  und  demselben  Geheimmittclgeschäft  entstammen.  Ebenso  geh(')ren 
die  drei  letzten,  welche  einen  »güldenen  Englischen  L()ffel-Kraut  S})iritus-, 
den  »weissen  h^nglischen  Löffelkraut  Spiritus«  und  nochmals  ein  »Englisches 
Cordial"  behandeln,  zusammen.  Vielleicht  aber,  und  das  ist  ziemlich  wahr- 
scheinlich, haben  wir  es  mit  Anzeigen  derselben  »Firma«  nur  aus  verschie- 
denen Zeiten  zu  thun. 

Vf)n  der  zum  Teil  ergötzlichen  Art  dieser  Reklamen  mögen  die  nach- 
folgenden Proben  Zeugnis  geben. 

Rechter  Gebrauch  und  wahrer  Nutzen 
der 
ESSENTIAE  MINERALIS 
Was    für  ein  gesegnetes  Medicanient  und    was    für  eine   (jutthat   es   sey, 
welche  doch  billig  der  Gnade   GOttes  zuzuschreiben ,   wenn  gegen   den   Krebs 
endlich  ein  Mittel  gefunden  worden,    um   diese   Pein-bringendc  Kranckheit   da- 
mit   auszurotten,    wird    niemand    der    \on    solcher    incommodiret ,    in    Abrede 
seyn.     Es   haben    sich    zwar  schon    xor    vielen    lahrcn    viele    gclehito   Männer 
die  Mühe  gegeben,  etwas  zu  erfinden,   womit   diese  crnellc  Kranckheit   mochte 
ausgerottet  werden,  es   ist  abcM-  vergc^bens  g(nvesen  :    jedennoch   hat   <\cx  liebe 
GOtt  selbst  ein   Mittel    dargegeben ,    denen    armen  Menschen    zum    nutzbaren 


—      122     — 

iincl  heilsamen  Gel>rauch,  wofür  dann  sein  Ileilii^'ei-  Nahine  gelobet  und  ge- 
priesen sey.  Zwai  alle  Kranekheiten ,  sie  mi')gen  Nahmen  haben  wie  wollen, 
sind  beschweriieh.  doch  i'ibertrit'tt  fast  der  Krebs  sie  insgesamt.  Man  erwege 
nur  Vors  erste,  was  tür  eine  entsetzliche  Pein  die  mit  dieser  Plage  belegten 
Menschen  ausstehen  müssen :  ingleichen  wenn  der  Krebs  offen  ist ,  was  für 
einen  entsetzlichen  (iestanck  sie  sodann  riechc^n  müss(>n  :  gewisslich  eine  solche 
Plage,  dass  jedermann  mit  dergleicluMi  (ie])lagten  billig  Mitl(Mden  haben  muss. 
PiescMi  prt\shattten  l'iMsonen  nun  zur  Hülffe  und  zum  Trost,  ist  dieses  Me- 
(licajih'iit  ausgefundrn  worden,  und  wird  aus  lauter  Mineralien  gemachet, 
welclu^s  wahrlich  \i(l(^  Mühe  imd  Arbeit  erfordert.  Dass  es  aber  gewiss  und 
wahrhafftig  unter  G()ttlichen  Heystand  und  Segen  die  Menschen  davon  befreyt, 
davon  k(')nnen  4  Standespersonen,  welche  glücklich  durch  dieses  Medicament 
vom  Krebs-Schaden  curiret  worden,  Zeugen  seyn,  wann  nur  nicht  das  schlimmste 
wäre,  das  die  L(nite  es  niemals  haben  wollen,  dass  solches  öftentlich  kund 
werde ;  vielmehr  wird  man  \'on  ihnen  gebeten ,  man  soll  es  doch  niemand 
sagen;  welches  aber  nicht  recht  ist,  sintemal  man  GOttes  Güte,  der  den  Segen 
zu  ein  soliches  Mcdicauicnt  verleihet,  billig  ])reissen  muss:  woran  aber  leider 
der  wenigste  gedenket ,  wann  er  erst  wieder  gesund ,  und  muss  man  öffters 
von   vielen   erfahren,  dass  die   Perle  unter  die  Säue  geworffen  worden. 

Hierauf  folgt  eine   sehr  umständliche  Gebrauchsanw(Msung,  der  sich  die 
folgende  nicht   unintcn-essante  Definierung  des  Krebses  anschliefst: 

Denn  der  Krebs  bestehet  aus  lautcM'  kleinen  lebendigen  Würmern:  Je- 
doch sind  sie  so  gross  nicht,  dass  man  sie  äusserlich  sogleich  sehen  kann, 
sondern  sie  müssen  durch  ein  Microscopiruii  oder  Vergrösserungs-Glass  wahr- 
genommen werden,  und  wer  cnricitx  sein  will,  der  nehme  nur  ein  klein 
Kliergen,  da  Materie  drinnen  ist,  und  lese  die  Haut  umbin  r  ab,  und  lege  es 
auf  einen  Ijogen  schwartz  Papier  an  der  warmen  Lufft ,  so  wird  es  keine 
X'icrthel  Stunde  dauren,  der  Bogen  Papier  wird  überall  voll  solcher  kleinen 
lebendigen  Würmern  seyn,  aber  so  klein,  dass  sie  nicht  anders,  als  durch  ein 
Vergrösserungs-Glass  gesehen  werden  können. •>  Der  Schlufs  heilst:  -Wann 
nun  dieselben  (die  Würmer)  insgesamt  getödtet  sind,  glcich\\ie  es  durch  meine 
Medicin  geschieht,  so  wird  der  Patient  durch  die  Gnade  GOttes  frisch  und 
gesund.  Es  sollen  sich  billig  alle  Menschen  dieses  edle  Medicament  an- 
schaffen: Denn  es  praeservirt  und  bewahret  einen  für  dergleichen  anstecken- 
d('n  gifftigen  Kranekheiten,  wenn  man  alle  Monath  ein  oder  zweymal  davon 
einnimmt:  und  \ ersichere  ich  alsdann  dass  keiner  von  solcher  erschrecklichen 
Kranckheit  kan  inficirt  odcM-  angesteckt  werden.  Als  weiteres  Beispiel  mag 
das   \"'jrhältnismäfsig  kurz  gefafste  lilatt  über  ein  grünes  Augenwasser  dienen. 

litscJircihniif^  des  ^c^nintz  nicht  zu  rerhessernden 
grünen  Augen-Wassers,  welches  von  einem  Mcniche  ist  erfimden  worden,  der 
mehr  als  tausend  iJi-esshatfte  Pei-sonen ,  die  stockblind  gewesen,  durch  die 
(jnade  (jC  )ttc,s  '-ehcnd  g'^niacht  hat.  Ivs  nimmt  dieses  vortreffliche  Augen- 
Wasser  alle  Pelle  der  ,\ugen,  .sie  nu'igcn  so  alt  seyn,  wie  sie;  wollcm.  hinweg, 
und   mi'issen    sie    dafür   weichen;    ingleichen    dient    es     fürtretlich    zur   Heilung 


—     123     — 

der  fliessend-  und  trleffenden  Augen;  nicht  weniger  deren  Röthe  und  über- 
mässige Hitze  hinwegzunehmen.  Für  Augen  die  da  blöde  sind ,  oder  blöde 
werden  wollen,  ist  es  ein  gewünschtes  Hülffs-Mittel.  So  kan  auch  nichts 
bessers  und  heilsamers  gebraucht  werden  für  das  starcke  Jucken  und  Beissen 
in  den  Augen,  wie  auch,  wann  die  Augen  alle  Nächte  sich  zusammen  backen, 
als  eben  dieses  unverbesserliche  Augenwasser.  Es  sind  noch  nicht  viele 
Wochen  verstrichen,  cJass  eine  Frau,  die  4.  Jahr  von  dem  Staar  blind  gewesen, 
hierdurch  wieder  sehend  worden :  ingleichen  zwjey  kleine  Kinder ,  die  des 
Tages  Licht  nicht  sehen  können ,  hatt  GOtt  gleichfalls  durch  dieses  Mittel 
geholffen. 

Was  nun  den  Gebrauch  anlangt,  so  muss  man  demjenigen,  der  gantz 
blind  ist,  des  Abends  und  Morgens  3.  Tropffen  lauwarm  eintripfFen;  welcher 
aber  ein  Fell  auf  den  Augen  hat ,  alle  Abend  und  Morgen  einen  Tropffen, 
oder  auch  wohl  zwey ,  nachdem  es  die  Noth  erfordert ,  und  nach  dem  das 
Fell  hart  oder  weich  ist.  Hat  einer  blöde  Augen,  der  kann  sich  bei  Schlaffen- 
gehen mit  dem  Finger  etwas  hineinwischen.  Für  alte  Feute  ist  es  sehr  nütz- 
lich zu  gebrauchen,  denn  es  stärcket  die  Augen  gantz  fürtrefflich :  und  dienet 
zur  Nachricht ,  dass  ich  es  nicht  um  des  schnöden  Gewinstes  willen  ver- 
kauffe,  sondern  nur  zu  dem  Ende,  meinem  Nächsten  dadurch  zu  dienen; 
sintemal  es  mir  selber  fast  so  viel  kostet,  als  ich  davor  bekomme. 

NB.  Es  kan  wol  20.  biss  30  Jahr  daurcn,  und  verdirbet  nicht,  kan 
auch  nur  alle  Jahr  einmal  gemacht  werden.- 

Diese  Beispiele  geben  von  der  Art  der  Anpreisung  einen  guten  Begriff, 
die  charakteristischsten  Mittel  indessen  sind  nach  dem  beigegebenen  Text 
etwa  die   »Essentia  vegetabilis«. 

Aus  der  Art  und  Weise  wie  die  Anpreisungen  verfafst  sind  ,  die  das 
unverkenntliche  Bestreben  zeigten ,  den  Schein  der  Wissenschaftlichkeit  zu 
wahren  —  die  zahlreichen  termini  technici  der  damaligen  Medizin  und  die 
verhältnismäfsig  geschickte  Stilisierung  mögen  als  Ijcleg  angeführt  sein  — 
läfst  sich  die  Vermutung  herleiten,  dafs  entweder  hier  in  Lorentz  Blumen- 
höfter  ein  zünftiger  Apotheker  vorliegt,  der  sich  auf  die  Geheimmittelherstt;l- 
lung  im  Grofsen  geworfen  hatte,  oder  dafs,  wie  es  ja  heute  noch  häufig  ge- 
schieht, aus  schnöder  Gewinnsucht  wissenschaftlich  gebildete  Arzte  sich  dazu 
hergaben,  diesem  Geheimmittelschwindel  ihre  Ilülfci  zu  leihen.  Es  dürfte  um 
die  Einträglichkeit  des  Geschäftes  zu  erweisen,  schliefslich  nicht  uninteressant 
sein,  die  Preise  (üniger  der  empfohlenen  Mittel  mitzuteilen,  die  leider  nur  bei 
einzelnen  derselben  vermerkt  sind.  Der  abführende  SaucM'brunnen <  kostet 
»ein  Fläschgen,  worinnen  sich  600  Tropffen  befinden,  3.  Rthlr.  und  wird  man 
keine  Medicin  finden,  die  so  klein  tropfft,  als  eben   diese. 

Vom    Tulvis  Ei)ilepticum      beläutt  sich   der   PrcMs  für    -ein   Gläsgen   wor- 
innen sich   ein  halb   Eoth  befindc-t  2.   Reichsthaler.-      Der  Flufs-  und   Glieder- 
spiritus kostet    »eine  Flasche      worinnen    ein   halb   Pfund      oben    auf    nüt  des 
Alttoris   gewöhnlichen    I^etschafft    versiegelt     nebst    dem    ge(Ii-uckt(Mi  Bericht 
1.  Rthlr.' 


-     1 24     — 

1  .('ider  ist  auf  dtMi  Blättern  k(Mnc>  Zeitan^fabe,  wann  sie  (^'ednickt  sind, 
docli  düiften  alle  Umstände  auf  die  erste  I  lälfte  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
verweisen. 

jvs  ist  jetlenfalls  lehrreich  zu  sehen  ,  wie  vor  anderthalb  fahrhunderten 
in  ilic\stM-  Materie  i^enau  mit  denselben  Mitt(;ln  gearbeitet  wurde,  die  L(-icht- 
^däubii^keit  und  den  (jeldbeutel  der  Kranken  auszubeuten!  wie  in  modernster 
Zeit.  Wir  lirauchen  nur  die  heuti^^e  Ta^respresse  zur  iland  zu  nehmen,  um 
den  beweis  dafür  zu  finden.  Das  Jahrhundert  der  Aufklärung  bewegt  sich 
hier  auf  demselben  boden,  wie  das  dunkelste;  Mittelalter.  Ob  es  je  anders 
werden  wirtl.-  Schwerlich;  die  Devise  unter  der  die  Quacksalberei  nach  wie 
vor  reichliche  Ernte  hält,   heifst  eben:  Die  Dummen   werden  nicht  alle. 

Nürnberg.  Hans  Stegmann. 


Das  Baumeisterbuch  des  Wolf  Jakob  Stromer. 


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.NT  i""  ^^''  2^''t  ^^^  uneingeschränkten  Virtuosentums  in  der  Architektur, 
c>^*,l^V)f  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  gotischen  Baustils,  begannen  die 
n^^_e>"»>  deutschen  Steinmetzen  das  Zeichnen  sozusagen  als  Selbstzweck 
zu  betreiben;  wenigstens  werden  wir  es  nicht  für  Zufall  halten  wollen,  dafs 
aus  der  vorhergehenden  Zeit  uns  auf  deutschem  Boden  weder  ein  Theoretiker 
der  Baukun.st,  noch  auch  Architekturzeichnungen  in  gröfserer  Zahl  bekannt 
sind.  Es  lag  wohl  auch  an  der  eigenartigen  Entwickelung  des  einst  so  klaren 
willkürlosen  gotischen  Baustils  zu  phantastisch  reichen  spielenden  Schnörkel- 
formen, dafs  man  mehr  erfand  und  entwarf,  als  ausführte;  die  vielgestaltige 
Ereiheit  in  der  Kombination  von  Streben ,  Fialen  und  Mafswerk ,  die  fast 
keinen  konstruktiven  Sinn  mehr  besafsen,  verlockte  zur  Erfindung  immer 
neuer  Zierwerke;  zahlreiche  Entwürfe  zu  Sakramentshäuschen,  Taufbecken 
und  Kapellenl)auten  zur  Aufnahme  eines  Sarkophags  oder  des  Corpus  Christi 
sind  {jeweise  dafür.  Wenn  man  sie  mit  dem  ernsten  systematischen  Denken 
der  italienischen  Theoretiker  der  Frührenaissance  vergleichen  wollte ,  halbem 
auch  solche  Auslassungen  wie  das  Büchlein  von  der  Fialen  Gerechtigkeit  von 
.Math.  Roritzer,  oder  die  Unterweisungen  des  H.  Schmuttermayer,  diesen  selben 
(Tiarakter  oberfiächlicher  Spielereien. 

Als  dann  die  wälschen  Säulenordnungen  und  Gebälke  zur  i\Iode  wurden, 
war  es  die  Schar  der  Architekturzeichner,  die  ihnen  dii^sseits  der  Al})en  zu 
rascher  W'rbrcitung  half  und  anderseits  den  ausschliefslich  dekorativen, 
spielendem  (Charakter  der  ersten  dtnitschen  RenaissanctTormen  verursachte ; 
willkommener  Tunuuelplatz  für  phantasie\olle  Erfindungen  war  diesen  Zeichnern 
die  Ijaukunst  und  wenige  von  ihnen  aufser  dem  genialen  klaren  Kopfe  II.  llol- 
beins  konnten  sich  rühiuen,  metgliche .  ausführbare  Architekturen  gezeichnet 
zu  haben.  Und  während  des  ganzen  ITi.  lahrh.  bleibt  dieser  miorganiche 
dekorative  Charakter,  aus  dessen  Gebilden  man  die  phantastisch  schaffende, 
gegen   Material    und    Konstruktion    gleich    rücksichtslose   Hand    des  ZeichntM-s 


—     125     — 

herausfühlt ,  mehr  oder  minder  die  Eigenheit  der  deutschen  Renaissance ; 
denn  erst  gegen  das  Jahr  1600  wächst  der  itaUenische  Gedanke  von  dem 
gesetzmäfsigen  einheitlichen  Bauorganismus  des  neuen  Stils  sich  langsam  aus; 
Architekturzeichner  wie  der  Maler  und  Formschneider  Heinrich  Vogther  von 
Strafsburg,  der  Holländer  Vredemann  de  Vries,  Wendel  Dieterlin  begnügen 
sich  alle  noch  mit  dem  freien  Erfinden  lustiger  Alotive  für  alle  möglichen 
Zierglieder  unbekümmert  um  die  Ausführbarkeit,  also  mehr  Anregung  als 
Vorbild  gebend  für  den  Baumeister.  Hand  in  Hand  mit  diesem  Wechsel  der 
Geschmacksgrundsätze  vervollkommnet  sich  auch  bis  zum  Ende  des  Jahr- 
hunderts der  Renaissance  erst  die  klare,  gesonderte  Vorstc^llung  von  Grund- 
rifs,  geometrischem  Aufrifs  und  perspektivischer  Ansicht,  ihrerseits  wieder 
im  Zusammenhang  mit  der  von  Praetorius  ausgehenden  Vervollkommnung 
der  Feldmefskunst  und  der  dazu  dienlichen  Instrumente. 

Das  ist  ungefähr  der  Boden,  auf  dem  die  Zeichnungen  eines  künstlerisch 
wie  kulturgeschichtlich  höchst  merkwürdigen  Buches  entstanden ,  des  Bau- 
meister-Buches von  Wolf  Jakob  Stromer.  Der  mächtige  Querfolioband ,  den 
bisher  nur  W\  Lübke  in  der  Einleitung  seiner  deutschen  Renaissance  kurz 
besi)rochen  hat ,  ist  der  wissenschaftlichen  Benützung  nunmehr  zugänglich 
gemacht  worden,  nachdem  die  Freiherrliche  Familie  von  Stromer  das  wert- 
volle Vermächtnis  eines  kunstsinnigen  Vorfahren  in  dankenswerter  Liberalität 
dem  Germanischen  Museum  unter  Eigentumsvorbehalt  übergeben  hat. 

Schon  zur  Zeit  als  man  den  schönen  Brunnen  baute,  war  ein  Mitglied 
des  alten  Nürnberger  rathsfähigen  Geschlechts  der  Stromer  Stadtbaumeister 
gewesen;  der  uns  hier  angeht,  Wolf  Jakob  Stromer,  war  1561  gebi^ren,  mit 
etwa  30  Jahren  in  den  Rat  gekommen  und  verwaltete  da  mehrere  Jahre 
hindurch   das  Baumeisteramt. 

Die  Baumeister  der  alten  Reichsstadt  Nürnberg  waren  nicht  etwa  Archi- 
tekten vom  Fach,  Werkmeister,  die  selbst  mit  Hand  anlegten  beim  Bau, 
sondern  wie  in  anderen  Städteverfassungen  eine  Kommission  von  Bauherrn 
waren  sie  zur  Verwaltung  des  städtischen  Bauamts  verordnet;  Mitglieder  des 
engeren  Rats  hatten  sie  das  Referat  in  allen  Bausachen  und  führten  die  Ober- 
aufsicht über  die  Werkleute  auf  der  Peunt  (dem  Stadtbauhof),  den  Stein- 
metz-, den  Maurer-  und  den  Zimmermeister  samt  ihren  Gesellen.  Künstler  waren 
demnach  die  Stadtbaumeister  keineswegs ;  wohl  aber  dürfen  wir  annehmen, 
dafs  sie  Männer  von  ausgezeichnetem  Kunstsinn  unter  ihren  Amtsgenossen 
waren,  vielleicht  gelegentlich  auch  Dilettanten.  Denn  Männer  von  künstler- 
ischer Begabung,  die  sich  auch  selbst  thätig  versuchtc-n,  sind  unter  dem 
Nürnberger  Patriziat  des  16.  Jahrhunderts  nicht  all  zu  selten.  Dafs  Wolf 
Jakob  Stromer  einige  von  den  Blättern  seines  Baumeisterbuches  selbst  gc;- 
zeichnet  habe,  haben  wir  trotzdem  keine  Veranlassung  anzunc^hmen. 

Da  gab  es  bald  Konkurrenzentwürfe  für  ein  städtisches  Gebäude,  eine 
Brücke  oder  ein  Stadtthor  zu  prüfen ,  bald  dem  Rat  die  sachverständige  Er- 
läuterung zu  einem  Bauprojekt  zu  geben,  bald  unter  einer  grol'sc^n  Zahl  von 
Bewerbern,  die  ihre  Visierungen  oder  Modelle  eingeschickt  hatten,  einen 
tüchtigen  Werkmeister    ausfindig    zu    machen.      Gerade    in    di'v  Y.ch     um    dit- 

Mitteilungen  aus   dem  german.   Nationalmuseum.     1897.  XVII. 


—     126     — 

Wende  des  16.  zum  17.  Jahrhundert  bericliten  uns  die  Ratsverläs.se  nicht 
selten  \itn  SteinnietzcMi,  di(^  sich  durcli  ein<^esandte  Zeichnungen,  Stadtansichten 
oder  GebäudcH-ntwürie ,  hiMui  Rat  in  empfehlende  Erinnerung  zu  bringen 
suchen,  und  \i»m  Rathausbau  wissen  wir  ja,  wie  viele;  Konkurrenzen  und 
F^ntwürfe  ucHil;  waren,  Ins  die  heutit^e  Renaissancefassade  fertii(  stand.  Da 
war  c\s  naheliem'nd  i{enu_^ ,  dafs  der  StadtbaumeistcM" ,  durch  dessen  Hände 
alles  das  i^ieuij,  auf  den  Gedanken  kam,  Skizzen  und  Entwürfe  derart  zu 
t'ineiu  Sammel!)ande   zu   vereinigen. 

So  entsand  das  Baumeisterbuch,  ein  stattlicher  Lederband,  dessen  248 
l-\)lioblätter  s^icjfstcMi  Eormats  teils  aufgeklebte,  t(Mls  auf  das  vorzügliche  Nürn- 
bergiM-  Papier  gleich   aufgezeichnete  Eederzeichnungen  enthalten. 

Den  anfcänglichen  Grundstock  für  diese  Sammhmg  bildete  vielleicht  die 
grofse  Menge  tler  Entwürfe  für  den  Neubau  der  Eleischbrücke  1596 — 98. 
Das  war  damals  eine  Aufsehen  machende  Angelegenheit;  an  Stelle  der  1595 
vom  1  lochwasser  unterspülten  und  baufällig  gewordenen  alten  sollt«;  eine 
stattliche  neue  Brücke  von  einem  einzigen  Bogen  errichtet  werden,  so  etwas 
wie  der  ponte  Rialto,  den  mancher  der  Ratsherrn  schon  mit  Bewunderung 
betrachtet  hatte.  Wie  an  beiden  Seiten  Strafsenanschüttungen  zu  machen 
seien ,  wie  der  Pfahlrost  in  die  Pegnitz  zu  legen ,  wie  das  Lehrgerüst  aufzu- 
schlagen und  darüber  der  flache  Brückenbogen  zu  wölben  sei,  all  das  ist  da 
mit  Durchschnitten,  Perspektiven  und  Aufrissen  gezeichnet;  auch  einige  nicht 
zur  Ausführung  gekommene  Entw'ürfe  mit  reichen  Mafswerkgeländern  mit 
Obelisken  und  allerlei  Bildhauerarbeit  befinden  sich  darunter. 

Eine  etwas  kleinere  Folge  von  Blättern  enthält  Visierungen  von  Brunnen, 
die  zum  Teil  allerdings  nur  ein  papierenes  Dasein  erlebten.  Interssant  sind 
darunter  zwei  verschollene  Arbeiten  von  dem  IMeister  des  Tugendbrunnens, 
dem  Rotgiefser  Benedikt  Wurzelbauer :  die  eine,  auch  aus  einem  gleichzeitigen 
Kupferstich  bekannt,  zeigt  den  in  Dieterlins  Art  sehr  phantastisch  kompo- 
nierten Xeptunsbrunnen ,  der  auf  Bestellung  des  Dänenkönigs  nach  Kopen- 
hagen kam ;  knieende  Vollfiguren  von  Schützen  im  Zeitkostüm  auf  dem  Rande 
des  Brunn enbcckeiis  lassen  aus  Büchse  und  Pfeil  Wasserstrahlen  nach  der 
-Mitte  springen,  wo  der  Meergott  auf  hohem  Postament  sich  erhebt.  Eine 
zweite,  sonst  bisher  nicht  bekannte  Arbeit  mit  der  Bronzegruppe  von  Venus 
und  Amor  ward  1599  in  der  gleichen  Werkstätte  gefertigt  und  anscheinend 
nach  Prag  gc;licfert,  wo  sie  verschollen  ist.  Eine  merkwürdig  antiquarische 
Idee  gibt  (;in  anderes  Blatt  mit  einer  Skizze ,  wie  der  Schöne  Brunnen  auf 
(U'm  Markt  zn  Nürnberg  im  15.  Jahrhundert  ausgesehen  habe,  ein  Phantasie- 
gcbilde,  das  weder  in  künstlerischer  noch  in  geschichtlicher  Hinsicht  glaub- 
haft ist.  Jedenfalls  l)ilden  diese  Blätter  für  die  reiz\'olle  Phantastik,  mit  der 
die  l-rfindungsgab(>  der  deutschen  Künstler  von  Dürer  an  bis  auf  Dieterlin 
das  ganze;  16.  Jahrhundcn-t  hindurch  ihre  Brunnengru{)pen  ersann,  interessante 
Beiträge. 

Als  die  kunstgeschichtlich  wertvollste  Partie  des  Buches  müssen  wir 
aber  die  l*'assa(]en(;ntwürfe  und  Ansichten  im  Stil  der  deutschen  Hochrenais- 
sance  ncnn(;n.      hjui^e^  davon   sind  wohl    unter  (U;m   Eindruck    der  Pellerhaus- 


—     127     — 

architektur  entstanden:  mächtig  vortretende,  grofse  Quader,  schwere  Pilaster 
und  Voluten,  vielstöckige  Giebel,  auf  deren  Stufen  gelegentlich  ganz  natur- 
wahr gezeichnete  Tierfiguren  sitzen.  Dals  nach  einer  dieser  Skizzen  ein  Bau- 
werk ausgeführt  worden  sei,  ist  mir  unwahrscheinlich;  dagegen  erkennen  wir 
unter  diesen  Blättern  eine  ziemliche  Anzahl  Ansichten  namhafter,  noch  heute 
erhaltener  Renaissancebauten:  so  einen  wunderbar  gezeichneten  Durchschnitt 
des  ehemaligen  Lusthauses  am  Schlofsplatz  zu  Stuttgart,  eine  Fassadenansicht 
des  alten  Schlosses  Gottesau  bei  Karlsruhe ,  den  Turmunterbau  der  kürzlich 
durch  Feuersbrunst  zerstörten  Kreuzkirche  zu  IDresden,  also  Gebäude,  die  eben 
damals  entstanden  waren  und  lernbegierigen  jungen  Architekten  wohl  Stoff 
zum  Studium  bieten  konnten. 

Für  die  Kunsttopographie  des  alten  Nürnberg  insbesondere  finden  wir 
in  dem  Baumeisterbuch  naturgemäfs  eine  ganze  Reihe  von  wertvollen  Blättern. 
Wie  das  Gebäude  der  städtischen  Schau  auf  S.  Sebalds  Kirchhof  mit  seinem 
gotischen  Giebelaufbau  nach  Maus  Beheims  Entwurf  aussah,  und  wie  dann 
zu  Stromers  Zeit  ein  Stockwerk  mit  Fenstersäulen  und  Zahnschnittgesims  und 
mit  Mafswerkfüllungen  unter  den  Fensterbänken  aufgesetzt  wurde  ;  wie  der 
Markt  mit  seinen  rings  umlaufenden  Verkaufslauben  und  der  Gebäudekomplex 
des  heutigen  Rathauses  um  das  Jahr  1600  sich  ausnahm;  die  Burg  und  ihre 
Bastionirung  nach  Norden  hin  —  all  das  isl  hier  im  damaligen  Zustand  auf- 
genommen. Auch  einen  sehr  gewissenhaft  ausgeführten  Stadtplan  von  Nürnberg, 
zahlreiche  ^laschinen,  Hebevorrichtungen  und  Räderwerke  enthält  das  Buch, 
dessen  Einleitung  einige  unbedeutende  allegorische  Kompositionen  bilden, 
während  am  Schlüsse  einige  Kuriositäten  ,  ein  Giraffe  ,  die  Mifsgeburt  einer 
Ente,  ein  seltsamer  Fisch  abgebildet  sind.  Dazwischen  finden  wir  dann  wieder 
theoretische  Zeichnungen  zum  Festungsbauwesen,  Pläne  zu  einem  Fort,  das, 
obwohl  im  Jahre  1592  erdacht,  doch  schon  die  Hauptzüge  des  Vauban'schen 
Systems  erkennen  lälst ;  ein  Kaspar  Schwabe,  kurbrandenburgischer  Baumeister, 
der  in  Crailsheim  und  1  leidenheim  ansäfsig  war,  nennt  sich  als  ihr  Verfertiger. 

Wer  die  übrigen  in  der  Art  der  Ausführung  ebenso  wie  an  künstlerischem 
Werte  verschiedenartigen  Blätter  gezeichnet  habe,  wie  viele  Hände  dabei  thätig 
gewesen  sind,  läfst  sich  kaum  entscheiden;  aufser  dem  Monogramm  I.W.  und 
1.  H.W.,  das  vielleicht  auf  Jacob  Wolf,  den  Steinmetzmeister  des  städtischen 
Bauhofs,  den  Vater  des  nachmaligen  Rathauserbauers  zu  beziehen  ist,  ist  keine 
Künstlersignatur  in  dem  Buche  zu  finden.  Jedenfalls  sind  auch  die  unsig- 
nierten  Blätter  viel  zu  sicher  in  der  Perspektive  und  im  Federstrich,  als  dafs 
man  sie  einem  Dilettanten  zuschreiben  dürfte.  Dem  Stadtbaumeister  Wolf 
Jacob  Stromer  bleibt  das  Verdienst,  diesen  in  der  Geschichte  der  deutschen 
Baukunst   einzigartigen   Prachtband  gesammelt  und  angelegt  zu  haben. 

Nürnberg.  Dr.  K.  Schaefer. 


Inhaltsverzeichnis  zum  Jahrgang  1897 

der 

3Iitteilinis>en  aus  dem  J4eriiiaiiiseheii  Nationalmuseum. 


Seite 
Wissenschaftliche  Instrumente   im    germanischen    Museum,    von    Gustav 

von  Bezüld 3,  26,  55,  81 

Richard  von  England,  von  Dr.  R.  Schmidt 14 

Ganerl)en  I..   von  Dr.  R.  Schmidt 16 

Ein  süddeutsches  bürgerliches  Wohnhaus  vom  Beginne  des  18.  Jahrhun- 
derts, von  Hans  Bosch 17,  41,  62,  109 

Nürnberger  Ratsverlässe  Joachim  Deschler  betreffend,  von  Dr.  Theodor 

Hampe 39 

Zwei  Handzeichnungen    des  Wolf  Huber   im    germanischen  Museum ,    von 

Dr.   Edmund  Braun 53 

Deutsche  Bauernstühle,  von  Dr.  KarlSchaefer 74 

Ausrüstung    einer   W^agenburg    im    15.    Jahrhundert,    von    Dr.    Theodor 

Hampe 79 

Der  Zeugdruck  mit  der  heiligen  Anna,  der  Jungfrau  Maria  und  Seraphim 
(aus  der  Sammlung  Eorrer,  jetzt  im  germanischen  ^luseum) 
und  einige  altkölnische  Handzeichnungen,  von  Dr.  Theodor 

Hampe 91 

Ein  Brief   des  Abtes  Heinrich    von  Herrenalb    aus    dem  Jahre    1429 ,    von 

Dr.  R.  Schmidt 105 

Geheimmittelindustrie  im   18.  Jahrhundert,  von  Dr.  Hans  Stegmann     .  117 

Das  Pjaumeistcrbuch  des  Wolf  fakob  Stromer,  von  Dr.  Karl  Schaefer  124 


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