niitteilungin
des
Deutschen Pionkr'Verms
von
Philadelphia.
Olarl l^ermaun Soppf.
iaa bvbU allgf mm? ©urttfwt tit Norbammka.
Sin? gfplatttp öeutarl?? iS^iiubltk tu Amerika.
Au^ufit Srörktif r.
Jfrtpönrli Karl (HmUil^nn,
O^ufltati Körner.
^^3 rs^peiundztüanzigstes H^ft, 1911.
T534-
Vi3
UNIVERSITY ,
PENNSYLVANIA
LIBRARIES
3T3.03
T53^ j
University of Pennsylvania Library
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WW
Mitteilungen
des
Deutschen Pionier -Vereins von Philadelphia*
Dreiundzwanzigstes Heft, 1911.
5Dtr ÜCnnurttliumni brr iFrriii^ötmil^u
im 3<xl)vt Ißrß.
Von C. F. I luch.
Die deutschen Auswandeicr. die vor dem Jahre 1815 nach
Amerika kamen, verheszen mit nur wenig- Ausnahmen die alte Hei-
mat wegen der dort bestehenden missliclien X'erhältnisse, wozu auch
die X^erfolgung- der nicht gesetzlich anerkannten christlichen Sekten
gehörte; für bürgerliche P'reiheit im heutigen Sinne hatten sie noch
kein X'erstiindnis. Als aber nach Abschüttelung der napoleonischen
Fremdherrschaft. Jung- Deutschland sich in seinen Erwartungen
eines geeinigten freien Deutschlands getäuscht sah. und seine Frei-
heitsbestrebungen \ erfolgung und Kerkerhaft nach sich zogen,
kamen viele gebildete, freiheitbegeisterte Männer mit hohen republi-
kanischen Idealen, zum TeW als Flüchtlinge, nach Amerika, beson-
ders geschah das nach dem Jahre 1848 infolge der Unterdrückung
der damaligen revolutionären iJewegung.
Diese letzteren Ankömmlinge wurden gewöhnlich die Achtund-
vierziger genannt. Anfangs beabsichtigten manche von ihnen, von
hieraus einen neuen Revolutionsausbruch, nicht blosz in Deutsch-
land, sondern auch in anderen Teilen Europas zu fördern, und im
Fall des Cielingens dorthin zurückzukehren. :Man gründete patri-
otische und demokratische X'ereine, Hecker-. Freiheits- und Revolu-
tionsvereine, hielt Konventionen und stiftete lUnide zur Unter-
stützung der europäischen Freiheitsbestrebungen.
Als \^orort des Revolutionsbundes berief Philadelphia einen
Kongress nach Wheeling. der im September 1852 abgehalten wurde.
Der Name des P.undes wurde (k)rt in „X'olksbund für die alte und
neue Welt" umgeändert, da sein Zweck die Ausbreitung der Repu-
blik über die ganze zivilisierte Welt sein sollte. Er erliesz einen
Aufruf der n'iit folgenden Worten schloss : ..Der amerikanische
Kontinent durch.schneidet den Ozean wie Italien das Mittelmeer,
und wie das alte Rom den Kreis der Länder überschaute, die jenes
Binnenmeer begränzten. s.. lassen die \ereinii;ten Staaten der neuen
Welt ihre Augen auf die Weltgestade schweifen. Das l niversaF
1
?53<4 / 23
reich der Zukunft geliört ilinen. Das Reich nicht der Eroberung
und Unterjochung, nicht des Herkommens, nicht der nationalen
Reibungen und des Hasses, sondern der Verbrüderung, der Gleich-
heit und Freiheit. Wir beschwören es, seine Bestimmung zu vollen-
den und aus \'ielen Eine Welt zu schaffen."
Die Achtundvierziger entdeckten jedoch bald, dass die Aussich
ten auf neue Umwälzungen in Europa immer geringer wurden.
Auch ihr Ideal von einer Musterrepublik sahen sie in den Vereinig-
ten Staaten nicht verwirklicht, vielmehr fanden sie hier die Neger-
sklaverei, eine den Sklavenhaltern dienstbare Regierung, die Frem-
denhasserpartei der Knownothings, Sonntagszwang, Temperenz-
fanatismus und andere Ueschränkungen der bürgerlichen Freiheit.
Sie erkannten nicht, dass freiheitliche \'erfassungen und Gesetze
allein nicht genügen, um dem \'olke ., Freiheit, Bildung und Wohl-
stand" zu sichern, wenn seine Mehrheit nicht die sittliche Bildung
und Einsicht besitzt, um sie wirksam und ausführbar zu machen.
Pöbelaufläufe mit Lynchgerichten, Stimmenkauf bei den Wahlen
des Volkes und Käuflichkeit der von ihm gewählten Gesetzgeber
und Beamten, blinde Anhänglichkeit an die durch professionelle
Politiker beherrschten Parteien, anstatt Selbstprüfung und unabhän-
giges Stimmen, Beraubung des Volkes und der Staatskassen durch
Vergebung schwindelhafter Kontrakte an jene Politiker und ihre
Freunde und Anhänger, sowie deren Begünstigung bei Besetzung
von Aemtern ; alles dies zeugt nicht von einsichtsvoller Bürger-
tugend.
Unter solchen Umständen gab es in der neuen Heimat ein weites
Feld für Reformen, und die für gesellschaftliche und staatliche
Ideale schwärmenden Achtundvierziger suchten nun ihre radikal-
demokratischen Grundsätze hier zu verwirklichen. Sie waren zu-
nächst gegen die Sklaverei und schlössen sich zu deren Abschaffung
der jungen republikanischen Partei an. Sie bekämpften jede Be-
schränkung der persönlichen und geistigen Freiheit, befürworteten
sozialistische und kommunistische Einrichtungen und manche
schwärmten sogar für einen idealen Anarchismus. Sie gründeten
Arbeitervereine, Turngemeinden, Freimännervereine, freie Gemein-
den, Freidenkervereine usw., und diese bildeten wieder Bünde, hiel-
ten Tagsatzungen und entwarfen Platformen.
So hielt der Bund der deutschen freien Gemeinden vom 5. bis
zum 7. Juni 1874 in Sank City, Wis., seine dritte Tagsatzung, bei
der auch der Turnerbund vertreten war. Es wurde dort beschlossen,
die nächste Tagsatzung in Philadelphia im Jahre 1876 abzuhalten,
und in Verbindung damit eine allgemeine Konvention aller Liberalen
zu berufen, um wo möglich eine umfassendere und wirksamere Or-
ganisation aller liberalen Elemente unter den Deutschen herbeizu-
führen. Der Bundesvorort Milwaukee erliesz demgemäsz als die
Zeit herannahte folgenden
Aufruf 2ur Kunurution hn 3rt'u}tB\m\ttn in 5Pllilaörl;il)ia.
Die Jubelfeier des hundertjährigen Bestehens unserer Republik
wird in der groszartigcn Weltausstellung zu Philadelphia der Mit-
2
weit die Erfolge des jungen, aber kühnen und energischen Gewerb-
fleiszes Amerikas zeigen. \ on allen Staaten der Union werden voll
Erwartung und in gehobener Stimmung die Bewohner dorthin zu-
sammenströmen. Welch bessere Gelegenheit könnte es nun geben
als diese, um auch dem neu aufstrebenden radikalen amerikanischen
Geiste einen Sammelpunkt und einen weltkundigen Ausdruck zu
verleihen? Hier sollten die durch das weite Gebiet der Vereinigten
Staaten zerstreuten freigesinnten Menschen sich zusammenfinden,
um die gemeinsamen Grundsätze öffentlich und feierlich auszuspre-
chen, und vor allem auch zu einer bleibenden Organisation den
Grundstein zu legen.
Ein Jahrhundert weit, und zwar ein Jahrhundert der freiesten
Selbstentwicklung eines A'olkes, ist der Zeiger an der Weltenuhr vor-
gerückt. Die Grundsätze der Unabhängigkeitserklärung und der
\>rfassung, welche von den damaligen Radikalen auf der fortge-
schrittensten Höhe der Zeit verkündet wurden, sind einer Ergän-
zung, einer Fortentwicklung, einer \erl3esserung bedürftig gewor-
den. Die X'ersammlung der heutigen Radikalen aus allen Teilen der
Republik, welche in konsequenter Durchführung der früheren be-
währten Grundsätze auf den Standpunkt der Souveränität der Men-
schennatur, auf den Standpunkt des freien Menschentums sich stellt,
und gegen jegliches Sektentum und jede Offenbarungsreligion Front
macht, hat da^s Recht und die Pflicht, dem neuen Zeitgeiste Ausdruck
zu geben und ihrerseits für das kommende Jahrhundert eine Leuchte
der fortgeschrittensten Ciesinnung aufzustellen. Auch die so not-
wendige Organisation der Freigesinnten, ein noch imgelöstes Pro-
blem, wird, wenn je, im Feuer der Anregung und Begeisterung
einer solchen Zusammenkunft zustande gebracht werden. Aus ihrem
fruchtbringenden Boden kann ein mächtiger neuer Leben.sbaum für
dieses \olk erwachsen, zum Schutze der wahren Freiheit, zum Trutze
für deren Gegner, und in der Zukunft reiche Früchte tragen.
Aus diesen Beweggründen hat schon die letzte Tagsatzung der
freien Gemeinden und Freidenkervereine Nordamerikas vor zwei
Jahren zu Sank City beschlossen, ihre nächste Versammlung in das
Jahr loi der Republik (1876) nach Philadelphia zu verlegen und hat
zugleich ihren \'orort beauftragt, an alle freisinnigen A^ereine, freie
Gemeinden, Freidenkervereine, Turner-, Sänger-, Bildungsvereine,
und welche Vereine sonst auf dem Standpunkte der freien X'ernunft
und Wissenschaft stehen, sowie an alle einzelnen freigesinnten Män-
ner und Frauen die Einladung ergehen zu lassen, zur Beschickung
und Beteiligung an der allgemeinen Konvention, welche an die Tag-
satzung sich anschlieszt und an welche auch die Konvention der
englischredenden Freisinnigen sich anreihen wird.
Der unterzeichnete \"orort entledigt sich hiermit seiner Aufgabe
und ist überzeugt, dass seine Worte bei allen tatkräftigen Gesin-
nungsgenossen Anklang finden. Tue ein jeder seine Pflicht und
mögen alle kleinlichen Bedenken verschwinden, damit die grosze
Feier ein ihr würdiges Geschlecht finde.
Die Tagsatzung des Bundes der deutschen freien Gemeinden
N. A. wird am 26. und 27. Juni stattfinden. Die allgemeine Konven-
3
tion der Radikalen am 28., 2(). und 30. Juni. Die Konvention der
Englischredenden nimmt am i. Juli iliren Anfang. In der Konven-
tionswoche, und \ielleicht einige Zeit vorher und nachher, werden
täglich \'orträge der anerkanntesten radikalen Redner stattfinden.
Die Anmeldungen der Delegaten und Teilnehmer, denen die freie
Gemeinde von I'hiladelphia. soweit ihre Kräfte reichen, ihre Gast-
freundschaft zuteil werden lässt. geschieht entweder heim Lokal-
komitee. Office der deutschen freien Gemeinde, Philadelphia, oder
heim \'ororte, J. E. Louis, IMilwaukee. Wis.
Sip ®agsat2mi9 ^^^ IBunöfs örr frfint (Srmriiiörtt.
über die schon in der im elften Hefte der Mitteilungen enthaltenen
Abhandlung. ..Die freireligiöse Bewegung unter den Deutschame-
rikanern", kurz berichtet wurde, kam zur bestimmten Zeit zusam-
men. Das Ergebnis der \'erhandlungen war eine teilweise Aende-
rung der X'erfassung des Hundes, der den Namen .,Bund der freien
Gemeinden und Freidenkervereine von Nordamerika" erhielt.
Auszerdem wu.rde noch eine Reihe von Beschlüssen über prinzipielle
Fragen angenommen und schlieszlich Philadelphia zum Bundesvor-
orte erkoren. Das von diesem ernannte Exekutivkomitee wählte C. F.
Huch zum Vorsitzer und Alexander Loos zum Sekretär. Als Er-
gänzung des früher Berichteten folgen hier
i3if ;iriu2tjiipUru ^IrarljUiüsr.
Das P.uch der Xatur und Geschichte ist die alleinige Quelle,
aus welcher die \'ernunft alles notwendige und nützliche und das
Menschenleben veredelnde und verschönernde Wissen und Können,
alle Sitten- und Staatsgesetze und gesellschaftlichen Einrichtungen
schöpft.
Das allseitige (leibliche, geistige und gemütliche) Wohlbefin-
den, die irdische Glückseligkeit ist unser höchstes Gut.
Die allgemeine Freiheit, die allgemeine Bildung, der allgemeine
Wohlstand sind der Weg zum höchsten Gut.
Die demokratische Re])ublik. in welcher die Gleichheit der Men-
schenrechte ohne Unterschied der Abstammung und des Geschlechtes
und das Prinzip der gemeinsamen Interessen ( Unentgeltlichkeit des
gesamten öffentlichen Unterrichts bis zu den Hochschulen hinauf,
Lnentgeltlichkeit der Lehrmittel und nach IJenötigung selbst des
leiblichen l'nterhalts für die schulpflichtigen Kinder unbemittelter
Eltern, um die völlige Xutznieszung der Schule allen möglich zu
machen) gewährleistet werden, bahnt sicher allen Menschen und Völ-
kern jenen ^^'eg.
Wir halten dafür, dass nur derjenige fähig sein solle, ein Bür-
ger der \"ereinigten Staaten zu werden, sei er im Auslande oder
Inlande geboren, welcher der ITntertanenschaft unter irgend einen
fremden Gebieter, und zwar den Papst in Rom nnt inbegrift'en, in
politischen Dingen förmlich entsagt und die Souveränität des X'olkes
der X'ereinigten Staaten ohne Rückhalt anerkennt.
Dagegen soll andererseits das volle Hürgerreclit und Stinmi-
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recht keinem \ eniünftiyen. \(_)lljähi"igen Menschen versagt sein,
ohne l'nterschicd der J\asse. Ilantfarbe oder des (iesclilechts.
Die jetzt noch bestehende \ erniengnng von staathchen und
kirchhchcn Dingen ist vollständig aufzuheben, so dass der Staat die
kirchlichen Gemeinschaften nicht ferner bevorzuge durch Steuer-
befreiung des Kircheneigentums, wodurch alle liürger. welcher Mei-
nung sie auch angehören mögen, sowie selbst Witwen und Waisen
genötigt werden, mit ihrem X'ermögen zur Anliäufung der Reich-
tümer der Kirche beizutragen.
Ebenso soll der Staat sich aller kirchlichen Dienstleistungen und
Formen entschlagen, als da sind die Anstellung von Kaplänen für
den Kongress, die Legislaturen, die Armee, die Gefängnisse und
sonstige öffentliche Anstalten, sowie der Gebrauch kirchliclier Eides-
formeln.
Und endlich gebührt dem Staate ebensowenig, in das kirch-
liche Gebiet überzugreifen durch Anordnung von 15usz- und JJet-
tagen. von Dank.sagungstagen imd durch Aufrechterhaltung von
Sabbathgeboten.
Der wahrhaft demokratische Ausbau der Verfassung der \'er-
einigten Staaten verlangt, dass dieselbe von allen monarchischen
und freiheitsgefährlichen Ueberresten, insbesondere von der jetzigen
Präsidentschaft, dem mit Recht sogenannten ,. Königtum im Frack",
gereinigt und die Geschäfte dieses Amtes einem \'ollziehungsaus-
schusse des Kongresses übertragen werden.
Dass ferner Mittel und Wege geschaffen werden, damit ptlicht-
vergessene, wortbrüchige und sonstige korrupte Heamte und Gesetz-
geber, und zwar vom niedersten bis zum höchsten, von den Wählern
sofort können abberufen, prozessiert und bestraft werden.
Dass endlich auch ein jeder Bürger es für seine Pflicht halte,
sich an den öffentlichen Angelegenheiten seiner engeren wie seiner
weiteren Heimat durch Ausübung des Wahlrechts und der öffent-
lichen Kontrolle zu beteiligen.
Bei den unaufhörlichen groszen Kriegen unter den .zivilisierten
A'ölkern, durch welche nicht blosz eines oder das andere, sondern
durch welche alle leiden, und bei der nahen Kriegesgefahr, in welche
während der letzten Jahre ein geringfügiger Umstand wiederholt
unseren eigenen Staat zu bringen drohte, halten wir es für geboten,
stets wieder den Ruf nach einem ständigen Friedensgerichte unter
den Nationen ertönen zu lassen, und die Bundesregierung der A^er-
einigten Staaten aufzufordern, zunächst mit den übrigen Republiken
des Erdkreises, als deren mächtigste, einen Friedensbund mit ober-
stem Bundesgericht ins Leben zu rufen.
Indem wir den Privatschulen vollen Spielraum lassen, halten
wir fest an dem System der öffentlichen Freischulen, und begrüszen
jede \'erbesserung derselben — so auch diejenige, welche durch Er-
richtung eines deutsch-amerikanischen Lehrerseminars bezweckt
werden soll — mit Freuden.
Wir verlangen aber ferner, dass ein republikanischer Staat, der
seine Unabhängigkeit imd Freiheit auf den gesunden Menschenver-
stand, auf die Selbstherrschaft der menschlichen \'eriumfl und auf
5
die Gesetze der Natur gründet, wie die L'nabhängigkeitserklärung
sagt, auch in seinen öffentlichen Schulen eine dieser Grundlage ent-
sprechende freie und begeisterte republikanische Gesinnung lehre,
was bis jetzt noch nicht der Fall ist.
Wir betrachten es deshalb andererseits für ein Vergehen gegen
den ganzen Geist unseres Staatswesens, sowie gegen die Bildungs-
stufe der Gegenwart, wenn in der öffentlichen Schule die Bibel ge-
lesen wird, oder alte Religionsvorstellungen gelehrt werden, oder
dieselbe gar priesterlichem Einflüsse überliefert wird.
Wie die geistige Ausbildung, so gehört zur Freiheit und Wohl-
fahrt des Menschen ein hinreichender Grad von ökonomischer Selb-
ständigkeit und äuszerem Besitztum. Die soziale Ungleichheit,
welche sich mehr und mehr in der heutigen Gesellschaft geltend
macht, indem einerseits überreiche und sogar steuerfreie Korpora-
tionen, sowie einzelne Privatbesitzer eine allzugrosze, die Korrup-
tion befördernde Macht ausüben, während sie die Masse des arbei-
tenden \'olkes in immer gröszere Armut und Abhängigkeit hinab-
drücken — bildet auch eine drohende Gefahr für die politische
Cdeichbcrechtigung und für den Bestand der Republik überhaupt.
Wir halten es daher für die Pflicht eines jeden Bürgers, mit
allen konstitutionellen Mitteln solche Einrichtungen zu erstreben,
durch welche jeder nützlichen Arbeit ihr gebührender Lohn und ein
menschenwürdiges, hinreichend unabhängiges Dasein zuteil, die An-
häufung übergroszen Reichtums in den Blanden einzelner aber ver-
mieden werde.
Der zweite Paragraph der geänderten \ erfassung lautete: Als
leitenden Grundsatz, dessen Anerkennung er von allen seinen Glie-
dern fordert, erklärt der lUmd ..die freie Sell)stbestimmung gemäsz
der fortschreitenden X'ernunft und Wissenschaft auf allen Gebieten
des Lebens." Dazu bezeichnete der dritte Paragraph als den Zweck
des Bundes ,,die gegenseitige Förderung aller seiner Mitglieder in
der \'erwirklichung des eben angegebenen leitenden (h-undsatzes
und die V'ei'lireitung desselben in immer weiteren Kreisen der ihn
umgebenden Welt."
leder X'erein, der sich mit obigem Grundsatz und Zweck des
Bundes einverstanden erklärte, konnte dem Bunde beitreten. Auch
einzelne Personen, die an Orten wohnten, wo kein Bundesverein be-
stand, konnten Mitglieder werden.
i3ie iKtmupnlton örr ißaötkaUnt
tagte vom 28. bis zum 30. Juni und erwählte W. Burchard au^
Washington zum Vorsitzer. Durch Abgeordnete waren vertreten
zehn freie Gemeinden, der Bund der freien Gemeinden als solcher.
vier Freidenkervereine, der Verein zur A'erbreitung radikaler Prin-
zipien, sechs radikal-demokratische \ ereine, sechs Turnvereine, der
nordamerikanische Turnerbund als solcher, die sozial-demokratische
Arbeiterpartei und drei Vereine allgemein liberaler Tendenz. Auszer-
dem beteiligten sich zehn keinen bestimmten \'ereine vertretende
Personen an den Verhandlungen. Oertlich waren vertreten : May-
ville, Detroit, New Britain, New York, Baltimore, Washington, Mil-
6
waiikee, Rockville, Boston, Indianapolis. Elizal)eth, Chicago. Evans-
ville. Germania, Newark und l^hiladelphia.
Trotz der Verschiedenheit des Standpunktes der Abgeordneten,
die sie in Beziehung auf ihre Parteistellung einnahmen, waren doch
alle Anwesenden augenscheinlich von dem aufrichtigsten und ernst-
haftesten Wunsche der Herbeiführung einer Einigung durchdrun-
gen. Dies ergab sich durchweg im Laufe der zum Teil stürmischen
Verhandlungen aufs deutlichste durch die von allen Seiten bewiesene
Bereitwilligkeit zur Aufgabe individueller Ansichten im Interesse
des erstrebten Zieles. Nur in einem einzigen Falle überwog die An-
hänglichkeit an einen besonderen Standpunkt jene Bereitwilligkeit,
als der \'ertreter des Bundes der Freidenker zu New York, auf
Grund bestimmter Instruktionen, als solcher ausschied, aber erklärte,
als individuelles Mitglied der Konvention sich noch ferner an den
X'erhandlungen beteiligen zu wollen. Die Konvention hatte nämlich
mit überwiegender Mehrheit einen von jenem Bunde eingereichten
Antrag verworfen, der folgende Stelle enthielt : ,,Wir erstreben Be-
seitigung der bisherigen ausbeuterischen Produktionsweise durch
Umwandlung der sogenannten Lohnarbeit in eine allgemeine ko-
operative und Uebergang aller Produktionsmittel, als da sind:
Grund und Boden, Rohprodukte, Alaschinen usw. an den Staat."
Es wurden der Konvention von den freien Gemeinden von
Sank County, Milwaukee, Philadelphia, und von dem X^erein zur
Verbreitung radikaler Prinzipien \^orlagen unterbreitet. Auch eine
in Heinzens Pionier am lo. Mai 1876 veröffentlichte Platform der
radikal-demokratischen Partei lag vor, an die sich hauptsächlich die
Verhandlungen knüpften. Sie wurde nach Einfügung einer Reihe
von Zusätzen, welche die auf die soziale Reform gerichteten For-
derungen der Partei genauer bezeichneten, angenommen. Zur
Durchführung der in ihr niedergelegten Grundsätze beschloss dann
die Konvention die Bildung eines Bundes der Radikalen und entwarf
für ihn eine \ erfassung, die er, zusammen mit der Platform, in
deutscher und englischer Sprache mit folgendem Aufrufe veröf-
fentlichte.
An allr uial|rpn iFrntuö? hta JffortHrljritts.
Das Werk, für welches der Bundesvorort der Freien Gemeinden
von Nordamerika alle freiheitlich strebenden Deutschen zu einer
Konvention auf den 28., 29. und 30. Juni im Jubeljahr der Republik
nach Philadelphia berufen hatte, ist gelungen.
Die Freien Gemeinden, der Verein zur \^erbreitung radikaler
Prinzipien, die Freidenker- und Turnvereine, sowie die sozial-demo-
kratische Partei und andere freisinnige \'ereine hatten von Nord
und Süd, von Ost und West ihre \'ertreter gesendet, um eine \'er-
ständigung über die brennendsten Fragen der Zeit herbeizuführen
und die Gleichstrebenden in eine organische \'erbindung zu bringen.
Palliativmittel reichen nicht aus ; Radikalmittel sollen angew^en-
det werden, um die Republik am Leben zu erhalten und zu einer
jMusterrepublik für alle X'ölker der Erde zu erheben.
Die Trennung der Kirche vom Staate soll folgerichtig und voll-
ständig durchgeführt werden;
7
der ..König im I'rack" einer einfachen gesetzvollziehenden ]^>e-
hörde,
das Zweikammersystem dem Einkammersystem.
die indirekte Demokratie der direkten weichen.
Die öffentliche Schule, auf vernünftig sittliche (irundlage ge-
stellt, soll Rej^uhlikaner erziehen.
Das zweite Jahrhundert der Republik soll nachholen, was das
erste versäumt hat :
Es soll die eine Hälfte des Menschengeschlechts in politischer
Hinsicht der anderen völlig" gleichstellen ;
es soll die I\ci)uhlik, die Freiheit und das (llück allen gewähr-
leisten.
Einer solchen (W'fentlichen ErkUirung harren die Freunde des
Fortschrittes am Jubeltage der Republik:
Flier ist sie !
Reiht Euch uns an .'
fMiiladelphia. den 4. Juli 1876.
Im Auftrage der Konvention der freiheitlich strebenden Deut-
schen von Nordamerika :
Eduard Schroeter. Karl Heinzen. Alexander Loos.
jpialfürm örs iSuuörs ön* Eaöiluüru mnt 5^oriiamrrika.
lEtnlritimg.
Die nordamerikanische Republik ist beim Eintritt in das zweite
Jahrhundert ihres Bestehens ebenso wenig berechtigt, stolz auf
ihren gegenwärtigen Zustand zu sein, wie sie Ursache hat. beruhigt
in ihre Zukunft zu blicken.
Sie rühmt sich der besten \'erfassung und hat unter ihr die
gröszte politische Korruption und X^erwirrung grosz gezogen ; sie
besitzt die reichsten materiellen Hülfsmittel. welche allen ihren Bür-
gern eine genügende E-xistenz sichern könnten, aber sie dienen mehr,
die Reichen zu bereichern, als die IJedürftigen zu versorgen; sie
setzt Staat und Kirche vereinigt in Tätigkeit für die Herrschaft der
Religion, und unter dieser Herrschaft ist das Land erfüllt von Heu-
chelei, Betrug und Gewalttat.
Kann der Weg zur Aenderung dieser Zustände der nämliche
sein, der zu ihrem Entstehen geführt hat ? Können die bisherigen
Grundsätze, die bisherigen Parteien, die bisherigen Einrichtungen
die Besserimg sichern?
Was auf dem bisherigen Wege versucht werden mag. kann höch-
stens auf täuschende I'alliativmittel, nicht auf wirkliche Heilmittel
hinauskommen. Eine gründliche und dauernde Besserung ist nur
von einem entschiedenen Zurückgreifen auf die unumstöszlichen
\\'ahrheiten der \'ernunft, auf die natürlichen Menschenrechte und
auf die Fundamental-Cirundsätze eines wahrhaft republikanischen
Lebens zu hoffen.
\'on dieser Ueberzeugung durchdrungen, haben am 28. Juni
dieses Gedenkjahres ( iSjf)) die deutschen Radikalen und ihre \'er-
eine in Philadelphia eine Konvention abgehalten zu dem Zweck, sich
8
über die riruiidsätze zu verständigten, welche ihnen als Richtschnur
beim Mitstreben nach besseren Zuständen dienen können und welche
sie. mit ihren gleich,yesinnten amerikanischen Mit1)ürgern zu einer
Organisation vereinigt, durch Agitation. F^arteibildun,^^ und Gesetz-
f^ebung" in der Unionspolitik, iiu staatlichen und im Gemeindeleben,
je nach Gelegenheit und l'edürfnis zur Geltung zu bringen sich be-
streben werden.
Nicht im Glauben und in der Autorität, welche die gedanken-
lose Gewohnheit als ihre Leitsterne betrachtet, sondern allein in
der denkenden \'ernunft und der forschenden Wissenschaft sind die
Quellen der b'rkeiuitnis zu finden, welche ^^'ahrheit, Recht und Hu-
manität, die einzigen haltbaren Cirundlagen aller menschlichen Ent-
wickelung und gesellschaftlichen Einrichtungen, ergründet und fest-
stellt. Alles Bestehende, das von diesen Grundsätzen abweicht,
führt notwendig zum Unheil und bedarf der Aenderung'. Auf
diesen Grundlagen hat alles Fortschrittsstreben und alle Reform
zu fuszen ; auf ihnen fuszt auch die vor hundert Jahren erlassene
Unabhängigkeitserklänuig'. welche allen Menschen das f^lciclic Recht
auf Leben, Freiheit und Glück zuerkennt, sowie die Einleitung zur
Konstitution dieses Landes, welche als deren Zweck die Sicherung
der Gerechtig'keit und die Frcbung der allf/cmcincn \\'^ohlfahrt vor-
anstellt.
Diese feierlichen, als leitende Grundsätze gleichsam am Ein-
gangstor dieser Re])ublik eingegrabenen Erklärungen, mit welchen
alle humane Denker und wahre Republikaner übereinstimmen, dür-
fen, wenn das \"olk den ihm drohenden Gefahren entgehen soll,
nicht länger tote ^^'orte und leere Redensarten bleiben, sie müssen
in allen Gebieten des staatlichen Lebens zur \\^ahrheit gemacht wer-
den. Zur Anstrebung- dieses Ziels laden die Radikalen alle gleich-
gesinnten Bürger der Republik ein. sich mit ihnen zur Durchführung
der Grundsätze und Forderungen zu vereinigen, welche in der fol-
genden Platform zusammengestellt sind. Wenn auch diese Grund-
sätze und Forderung'en nicht gleichzeitig und auf einmal zur Gel-
tung zu bringen sind, so verlangt doch eine rationelle und weiter
blickende Anschauung der politischen und gesellschaftlichen Ent-
wicklung, sie zusammen unter eine L'ebersicht zu bringen, um eine
zeitige und allseitige Erwägung der hau])tsächlichsten Reformbe-
dürfnisse zu veranlassen.
jpialfornt.
A. ^fnlittarltr JFraiiiPn.
\'olk. Nation und Union bilden ]:)olitisch einen Begriff und ein
unteilbares Ganzes, mit welchem kein Separatrecht einzelner Staaten
oder Abteilungen in Widerspruch treten darf. ,, Staatensouveräni-
tät" würde nichts Anderes bedeuten, als vorbehaltene Zerstückelung
dieses Ganzen, Sezession und Bürgerkrieg.
Die Einheit des A'olkes. wie die \'erwirklichung der demokrati-
schen Idee, ist nur denkbar bei völliger Gleichheit der Rechte aller
Bürger. Noch weniger als Flautfarbe, Herkunft oder Besitz: kann
9
der Unterschied des Geschlechts irgend einen Unterschied der
menschHchen Rechte begründen.
Die Souveränität des \'olks ist unveräuszerHch und kann so
wenig- im legislativen wie im exekutiven Gebiet auf seine Repräsen-
tanten oder Beamten übergehen. Wie Alles für das Volk, so soll
auch Alles durch das \'olk geschehen. Deshalb hat sich dasselbe die
beständige und direkte Unabhängigkeit und \'erantwortlichkeit derer
zu sichern, welche es mit der \\'ahrnehmung seiner Interessen be-
traut. Zu diesem Zweck muss es sich das Recht vorbehalten, die-
selben bei mangelhafter Pflichterfüllung jederzeit von ihrem Posten
zu entfernen und zur X^erantwortung zu ziehen, unter Vorkehrungen
imd r)edingungen. welche Missbrauch zu verhüten geeignet sind.
Zugleich muss es sich das \^orschlagsrecht vorbehalten und die
Gültigkeit aller wichtigen durch die Legislatoren erlassenen Gesetze
von seiner nachträglichen Zustimmung abhängig machen.
Komplizierte V^ertretung und künstliche Gewaltenteilung, den
Staatseinrichtungen der alten Welt entlehnt, sind verderbliche Hin-
dernisse wahrer Demokratie und Förderungsmittel reaktionärer
Tendenzen. Das Volk bedarf für seine Gesetzgebung und Verwal-
tung nur einer einzigen Kammer verantwortlicher und rückberuf-
barer Agenten, welche ihre Beschlüsse durch eine, von ihr aus dem
ganzen \'olke gewählte und ihr direkt verantwortliche Exekutiv-
oder Verwaltungs-Kommission ausführen lässt. Senat wie Präsi-
dentschaft, beides Kopien monarchischer Einrichtungen, sind als
undemokratisch und unrepublikanisch abzuschaffen. Die Präsident-
schaft ist die Hauptquelle aller amtlichen wie Parteikorruption.
Das Recht der Einzelstaaten, Gesetze zu erlassen, oder Anord-
nungen zu treffen, welche mit dem Geist der Unionsverfassung in
Widerspruch treten, namentlich solche, welche sich auf die Press-
freiheit, die religiösen Angelegenheiten und das Versammlungsrecht
beziehen, ist vollständig aufzuheben.
Ebenso sind die \'erschiedcnheiten der Rechte und Gesetze in
den verschiedenen Staaten durch allgemein gültige Normen in allen
wesentlichen Punkten von Bundes wegen zu beseitigen.
Unbeschränkte Wahlfreiheit, vor allem Einführung des Rechts
der Wähler, Kandidaten auch auszerhalb ihres Distrikts zu wählen.
Keine Temperenzgesetze ! Sie sind fruchtlose Zwangsmittel
gegen diejenigen, gegen welche sie gerichtet sind, imd beleidigende
Beschränkungen der persönlichen Ereiheit derjenigen, welche ihrer
nicht bedürfen.
Rechtliche Gleichstellung der naturalisierten Bürger mit den
eingeborenen im Auslande. Entgegenstehende Verträge sind aufzu-
heben.
Festsetzung des Sonntags ziu^ Abhaltung der Wahlen und
\"olksabstimmungen.
M. i'üHialr uuö ükmtomiarljr Jfragnt.
Die moderne Nationalökonomie steht, wie jedes andere Gebiet
.des politischen und sozialen Lebens, unter der Kontrolle der allge-
meinen Gerechtigkeit.
10
Die auf humanen und ethischen Grundsätzen basierte Republik
hat das Freibeutertum der .Manchesterleute ebenso entschieden zu-,
rückzuweisen, wie die barbarischen Theorien der Malthusianer.
Auch kann ihre Bestimmung sich nicht darauf beschränken, den
Mechanismus der politischen Tätigkeit im Gange zu erhalten und
Sicherheitspolizei zu üben zwischen sich frei bekämpfenden Inte-
ressen und Leidenschaften. Sie hat vielmehr die positive Aufgabe,
nach Möglichkeit allen ihren Bürgern die \¥ohltaten der Kultur,
bestehend in geistiger Ausbildung, freier Betätigung ihrer Fähig-
keiten und Erlangung der materiellen Erfordernisse einer mensch-
lichen Existenz, zuzuwenden, imd kann die Erreichung dieses Ziels
ebenso w^enig dem blinden Zufall wie dem Kampf des Schwächeren
mit deiu Stärkeren überlassen. Kommunistische ITopien so wenig
wie künstliche Klassengegensätze begünstigend, soll sie die Kluft
auszufüllen streben, welche zwischen dem Ueberfluss und der Not
besteht; sie soll daher insofern in das Erwerbsleben eingreifen, als
sie. den Schwachen schützend, den Starken beschränkend und im
allgemeinen ausgleichend, eine \>rnüttlerin der Gerechtigkeit für
alle zu werden sucht.
Als Büttel zu diesem Zweck sind zunächst folgende anzusehen :
Schutz der Arbeit gegen x\usbeutung- durch den Besitz, Siche-
rung ihres wirklichen Ertrages und Förderung von Arbeiterassozia-
tionen. Gröszere Abkürzung der Arbeitszeit.
Freie \'erl)in(lung der Arbeiter zur W'alnning ihrer Interessen.
Sanitärischer Schutz der Staatsangehörigen durch Kontrollie-
rung der Fabriken, Nahrungsmittel und Wohnungen. Statistische
Ermittelung der Arbeiterverhältnisse dm'ch den Staat.
\'erbot gegen Ausbeutung der Kinderarbeit zu industriellen
Zwecken.
Einstellung aller weiteren Landschenkungen und \'erkäufe an
einzelne wie an Korporationen. Die öffentlichen Ländereien müssen
unveräuszerlich im Besitz des X'olkes bleiben und nur wirklichen
Bebauern unter sichernden Bedingungen und gegen billige Pacht-
steuer zur Benutzung übergeben werden. LTnterstützung von An-
* Siedlungen Unbenüttelter durch öffentliche IMittel mit Vorbehalt der
Rückerstattung. Rückkauf aller bis zu einem bestimmten Zeitpunkt
nicht kultivierten Ländereien für den ursprünglichen \'erkaufspreis.
L'^nentgeltlicher, den Mittellosen durch, öffentliche Beihülfe zu
ermöglichender Unterricht für jeden in allen durch Staats- oder
Gemeindemittel unterstützten Lehranstalten.
Progressi\e Einkommen- und Erbschaftssteuer, mit Steuerfrei-
heit für das zum LTuterhalt einer Familie erforderliche ^Minimum.
Abschaffung aller Monopole.
Gründliche Reformen der Rechtspflege. Kostenfreie Justiz.
Anbahnung- des Freilumdels und Abschaft'ung aller indirekten
Steuern.
Alleinige liefugnis der Lnidusverwaltung zur Emittierung von
Papiergeld und gesetzliche ("deichstellung desselben mit Metallgeld.
II
Der religiöse Glaube wie der Unglaube ist Sache des individuellen
geistigen und moralischen Bedürfnisses, das der individuellen Bil-
dung und Einsicht entspricht. Er ist der geistigen Entwicklung zu
überlassen, welche durch die freie Lehre und Diskussion in Wort
und Sclirift vermittelt wird. Seiner ganzen Natur nach entzieht er
sich aller gewaltsamen Einwirkung und Kontrolle. Der Staat hat
sich daher weder verbietend noch gebietend in seine Domäne imd
Entwicklung einzumischen und sich aller Gesetze. Einrichtungen
und Anordnungen zu enthalten, welche dem Glauben oder Unglau-
ben dienen oder Zwang antun. Alle solche Gesetze, Einrichtungen
und Anor(hiimgen sind ebenso tyrannische wie vernunftwidrige,
zugleich dem Geist der Konstitution direkt widersprechende und
möglichst bald durch ein besonderes Konstitutionsamendement zu
verbietende EingrifiFe in die persönlichen Rechte und die Gewissens-
freiheit der verschieden gläubigen und verschieden denkenden Bür-
ger. Zu diesen Eingriffen gehören namentlich folgende :
Die Einführung der 15ibel in die öffentlichen Schulen, welche
durch einen walirhaft wissenschaftlichen Unterricht durch kompe-
tente Lehrer und die Lehre von den menschlichen Rechten und
Pflichten im Sinne der Unabhängigkeitserklärung ersetzt werden
sollte, damit der Ji^'gend die Fähigkeit des unabhängigen Denkens,
st)wie der Geist des wahren Re])ublikanismus und Patriotismus bei-
gebracht werde ;
das Gebot der Sonntagsfeier ;
die Befreiung des Kircheneigentums von Steuern ;
die Anstellung von Kaplänen für den Kongress. die Legisla-
turen, die Armee imd Elotte, die Gefängnisse und sonstige, durch
öffentliche Steuern erhaltene Institute ;
die Anordnung von religiösen Eest- und Fasttagen durch den
Präsidenten und die Staatsgouverneure ;
die Forderung einer Ablegung des Eides auf die Bibel, oder
überhaupt in irgend einer religiösen Form ;
die Berücksichtigung religiöser Anschauungen bei der Besetzung
von Aemtern, oder bei offizieller Schätzung der individuellen Mo-
ralität ;
die Unterstützung religiöser Tendenzen oder Institute durch
staatliche ]\Iittel oder Manifestationen ;
das Prägen oder Drucken religiöser Formeln auf Münzen und
Dokumenten.
Das einzige dem Staat zustehende Recht in religiösen Dingen
ist dasjenige der Selbstverteidigung durch Einschreiten gegen reli-
giöse Organisationen, w-elche einen Staat im Staate bilden und durch
ihre Tendenz und Macht die Freiheit gefährden, namentlich gegen
diejenigen, welche dem Befehl einer auswärtigen Autorität gehor-
chen.
Die von der Konvention angenommene A'erfassung des Bun-
des der Radikalen er fuhr sehr bald \ve>eutliche Ab.-mdcrungen,
12
Einer ihrer Bestininiungen geniäsz wurde die freie denieinde \()n
Alilwaukee zum Bundesvororte für die Zeit bis zur nächsten lUui-
desversanimlung- gewählt, die ihrerseits die fünf MitgHeder des
Bundesvorstandes aus den verschiedenen radikalen X'ereinen Mil-
waukees w-ählte. IVäsident des Vorstandes wurde \\". Frankfurth
und Sekretär Henrich Ende. Die Wahl des Sekretärs erregte jedoch
Anstosz, weil er entschieden kommunistische Tendenzen an den
Tag gelegt hatte, und da er sie auch nach seiner Wahl zu vertreten
fortfuhr, so entspann sich ein heftiger, leider durch Persönlichkeiten
verbitterter Streit in der radikalen Presse, in welchem die Glieder
des Bundes mehr oder weniger entschieden Partei nahmen und wel-
cher schlieszlich zu einer wirklichen Spaltung innerhalb desselben
führte. Nachdem jedoch der erwähnte Sekretär sich zuletzt hatte
bestimmen lassen zu resignieren, und später auch die übrigen Mit-
glieder des Bundesvorstandes ihr Amt einem provisorischen, aus
fünf unparteiischen Personen bestehenden Bundesvorstand über-
tragen hatten, gelang es diesem, eine X'ersöhnung der beiden Par-
teien herbeizuführen, in die der Bund sich getrennt hatte, und zwar
hauptsächlich durch die Vorlage einer umgeänderten X'erfassung,
deren Annahme durch schriftliche Abstimmung der Bundesglieder
erfolgte.
Die ursprüngliche \'erfassung erklärte, ebenso wie die des Bun-
des der freien Gemeinden, als leitenden Grundsatz: „Die freie
Selbstbestimmung gemäsz der fortschreitenden X'ernunft und Wis-
senschaft auf allen Gebieten des Lebens." In der neuen X^erfassung
war dieser Satz fortgelassen, aber als Zweck, ähnlich wie in der ur-
sprünglichen, angegeben : ., Zweck des Bundes ist die praktische
Durchführung der in der jeweiligen Platform enthaltenen Grurid-
sätze und Forderungen durch die organisierte Wirksamkeit seiner
Mitglieder."
Mitglied des Bundes konnte jede Person werden, ohne Unter-
schied des Geschlechts, und jeder tatsächlich organisierte X'erein,
wenn sie den ersten Jahresbeitrag einsandten, sich mit den in der
Platform ausgesprochenen Grundsätzen und der \'erfassung ein-
verstanden erklärten und dem Bundesvorstände nebst dieser Erklä-
rung ihren Beitritt anmeldeten oder durch ein Bundesmitglied an-
melden lieszen. Als Bundesbeitrag zahlte jedes einzelne Mitglied,
das keinem Biuidesvereine angehörte, jährlich mindestens einen Dol
lar, und jeder nur zu einer Stimme berechtigte Bundesverein jähr-
lich mindestens fünf Dollars, und für jede weitere Stimiue min-
destens noch einen Dollar.
Der geschäftsführende Teil des Bundesvorstandes bestand, wäe
in der früheren A'erfassung, aus fünf Mitgliedern, doch war ihm nun
noch eine Plülfsabteilung von sechs Mitgliedern zugefügt, die an
verschiedenen Orten wohnten. Im Laufe jedes vierten Jahres
musste eine Bundesversammlung stattfinden. Der Freidenker, der
auch als Turnzeitung erschien, und dessen Schriftleiter Carl Her-
mann Boppe war, wurde zum Organ des Bundes erklärt.
Seine Tätigkeit bestand hauptsächlich in der \'erbreitung seiner
Grundsätze durch den Freidenker und durch radikale Flugschriften,
darunter eine Denkschrift an den Kongress in Bezug auf die Ah-
scliafifung der Präsidentschaft. Auch erhesz kurz nach Gründung
des Bundes der N'orstand durch seinen Sekretär H. Ende einen Auf-
ruf ,,an alle Freigesinnten Nordamerikas", in dem er sie zum An-
schluss aufforderte und ihnen den leitenden Grundsatz und die haupt-
sächlichsten Forderungen der Platform mitteilte.
Der Bund agitierte besonders für die Abschaffung der Präsi-
dentschaft, indem sein Vorstand zu diesem Zwecke Flugblätter aus-
sandte und 1876 Ratschläge zur Ausfüllung der Stimmzettel für die
damalige Präsidentenwahl erteilte. Sie sollten die Ueberschrift ha-
ben: „Radical Democracy. Electors for the State at large", mit
dem Namen des Electors des jeweiligen Distrikts und den Namen
solcher Kandidaten für den Kongress, die Legislatur und das
County, auf welche sich die betreft'enden Staats- und Lokalorgani-
sationen der Radikalen Demokratie vereinigten. Duch wurden bei
dieser Wahl die bescheidensten Erwartungen enttäuscht.
Im Jahre 1884 war C. H. Hoppe A'orsitzer und Carl Ringer pro-
tokollierender Sekretär des ]:Umdesvorstandes, und die von Boppe
verfasste Propagandaschrift für die Wahl schloss mit dem Satze:
,.Also weg mit der Präsidentschaft und ihrem monarchischen An-
hängsel, dem Kabinet. Ahme man der Schweiz nach und schaffe
man eine reine Exekutivgewalt, in Form einer Kollegialbehörde,
deren Mitglieder zugleich den einzelnen Geschäftsabteilungen vor-
stehen. Den monarchischen Präsidenten verwandle man in einen
einfachen Vorsitzenden und ])eschränke seine Amtsdauer als Vor-
sitzender auf ein Jahr. iM-st dann ist die monarchische Spitze ge-
brochen und das Fahrwasser der Repu1)lik sicher erreicht."
Uebrigens hatte Karl lleinzen. der bewährteste und verdienst-
volle Vorkämpfer des deutschamerikanischen Radikalismus schon
seit vielen Jahren in seiner Zeitung, dem Pionier, die Präsidentschaft
als unrepiiblikanisch bekämpft.
Im August 1879 fand die zweite 'bagsatzung des Bundes in
Philadelphia unter dem A'orsitze Karl Schmemanns statt. Die Ver-
handlungen betrafen hauptsächlich eine Aenderung der Platform.
wofür drei Vorlagen in IJctracht kamen, eine von der geschäftsfüh-
renden Abteilung des lUindes. eine von Karl Heinzen und eine dritte
von der Arlieiterpartci. Die erste, die nur eine weitere Ausführung
der bestehenden Platform war, 'diente als Grundlage der Beratungen
und wurde mit nur einigen unwesentlichen Abänderungen angenom-
men. Da sie jedc'Ch l)ei der Ura])stimmung mit geringer Mehrheit
\-erworfen wurde, so blicl) die ur-^prüngliche Platform m Kraft.
Es wurde unter anderem dann noch liesclilossen. ein Agitations-
komitee zu bilden und als de?;sen Sitz Indianai~)olis liezeichnet, ferner
dass der Bund der Rarlikalen mit Freuden die Annahme radikaler
Prinzi])ien von seiten der Turner begrüszt, auch ein Zusammengehen
bei Wahlen mit den Sozialisten nach vorheriger Einigung über ein
gemeinschaftliches Programm befürwortet.
Milwaukee wurde wieder zum A'orort bestimmt. Ferner wur-
den gewählt für die Geschäftsführende Vorstandsabteilung : C. Her-
mann Boppe, C. DörHinger, G. Eyssen, Maximilian Groszmann und
14
(-1,-1 Rinoer und für die 1 lülfsabtciluno-: h Schröter von Sank
City W s^ Karl Hen..en von Boston, Karl Schn.en.ann von 1 etroU.
H Lieber'von Indianapolis. Karl P.orm von Philadelphia und F. E.
Schmitt von Elizabeth, N. J.
berecht -un- der Frauen, sowohl was das Stimmrecht als die Wähl-
barst zu \emtern betrifft, bereits in sechs Staaten anerkannt woi-
d n ^ImUch m Wyoming, Colorado, ^^' .^^'^^^^^^^^^
Tal fornien und steht bei anderen in Aussicht. Auch die KucKoe
m barke t der X'olksvertre.er in den gesetzgebenden VersammUm-
g 1 1 nd der vom \-olke gewählten Beamten be, "«X' n' hträel e
* r-1, 1 \'^,-cr^VilQo-Qrprht (Initiative) und die nacntragucne
ittiSmtdes Vdk'^^^^^^^^^^^ (Referendum) habeii
Anh^" gewonnen und sind m einigen Staaten eingeführt worden
Im ia ive und Referendum, als Zusätze zur Staatsverfassung, zuerst
n Süd Dakota am 8 Novai.ber 1898 durch \^olksabstimmung In
llefcht ^tte ^^^^^^^^ die Grundsätze des Sozialismus ^ erbrei tung
befunden besonders unter den Englischamerikanern, und Sozialisten
befi^en sich gegenwärtig bereits als \'olksvertreter "^j, I-ongre s,
in Staa"seesetz%bungen und in amtlichen Stellungen Ferner sind
Cesetze frlasse?. wofden, oder in Aussicht, zur \ erbessermig der
LSe dertrbefter, zur Beschränkung der Monopole und zum Schutze
des Volles gegen Ausbeutung durch Korporationen Noch ande e
ReformfordSrungen haben Anhänger gewonnen und Aussicht aut
Wrw^klkW Bei manchen scheint es treilich zweifelhaft ob
1 unteto Gegenwärtigen Umständen das allgemeine Beste for-
dern "^rden und erst di? Erfahrung muss darm die Lehrmeistern
seTn Wenn alles für und durch das Volk geschehen so 1. so .t da
^rnndsätzhch wohl berechtigt, aber um seine \\ ohlf ahrt aut diese
f\W zu fördern, müsste die Masse des Volkes, wie schon vorhin
WprkJwurde de nötige Einsicht, Urteilskraft und Burgertugend
be'tzen Xe welche freiheitliche Einrichtungen allein nur geringen
WetlXn Leider ist das Volk in seiner Mehrheit zu dieser Hohe
menschlicher Vollkommenheit und sittlicher Bildung noch nicht foit-
geschritten.
scheidene Anzahl von Radikalen bewies durch die Tat, dass sie die
Wichtigkeit einer rührigen Propaganda erkannt hatten und, um sie
zu crniöghchen, vor kleinen Opfern nicht zurückscheuten.
Aelmliche Erfahrungen machte auch der Bund der Radikalen.
dessen Mitgliederzahl an \'ereinen und einzelnen Personen verhält-
nismäszig gering war, und hei seiner losen Organisation stand ein
gleiches Schicksal auch für ihn in Aussicht. Bei dem Freidenker-
kongress in St. Louis im Oktoher 1904 war er nicht vertreten. Seine
Prinzipien hat aber der Turnerbund schon seit seiner Gründung
(1850) befürwortet. Bei der in Cleveland im Mai 1878 abgehalte-
nen Tagsatzung ward der Freidenker zum Organ des Turnerbundes
erwählt, und eine lange Reihe von Beschlüssen gefasst, die unter
dem Titel ..Prinzipielle Beschlüsse" der Platform des Bundes ange-
fügt wurden. .Sie fanden jedoch keine allgemeine Anerkennung
durch die Turner, und die Teilnahme an der Urabstimmung über ihre
Annahme war nur gering. Obgleich sie .später einige Abänderungen
erlitten, so stimmten sie jedoch im Jahre 1900 noch in allem We-
sentlichen, sogar groszenteils wörtlich, mit der Platform des Bundes
der Radikalen überein, so dass damals der Turnerbund als Vertreter
der deutschamerikanischen radikalen Demokratie zu betrachten war.
lip Konupntiou öpr IGibfralni
fand vom i. bis zum 4. Juli statt und war zahlreich besucht. Sie
organisierten sich unter dem Xamen National Liberal League, fass-
ten eine Reihe Beschlüsse, protestierten gegen das Schlieszen der
Weltausstellung an Sonntagen und erlieszen eine ..Patriotische
Adresse an das \ olk der X'ereinigten Staaten", in der sie ein ..Re-
ligious Freedom Amendment" zu der N'erfassung der Vereinigten
Staaten befürworteten. Die Hauptpunkte der von ihnen angenom-
menen A'erfassung folgen hier in deutscher Uebersetzung :
..In Anljetracht. dass die Verfassung der \'ereinigten Staaten,
von Anfang bis ans Ende, dem (iciste wie dem lUichstaben nach auf
dem Grundsatze der vollständigen Trennung von Staat und Kirche
beruht, und dass der \ ertrag mit Tripolis, welcher von Georg
W ashington unterzeichnet ist und einen Teil des höchsten Gesetzes
dieses Landes bildet, ausdrücklich erklärt, ,.dass die Regierung der
\'ereinigten Staaten in keiner A\'eise die christliche Religion zur
(irundlage hat" :
in Anbetracht ferner, dass trotz dieser Tatsachen sowohl in der
A'erwaltung der Nationalregierung, wie in der \"erwaltung und in
den X'erfassungen der einzelnen Staaten noch vielfache X'ermischun-
gen von Staat und Kirche aufrecht erhalten werden, wodurch der
Geist der \'erfassung der Vereinigten Staaten und jene glorreiche
Ueberlieferung verletzt wird, nach welcher dieses Land ausschliesz-
lich den natürlichen Menschenrechten geweiht ist ;
in Anbetracht endlich, dass die Wohlfahrt und der Frieden der
Republik, wie die Sicherung der unbedingten Religionsfreiheit ihrer
Bürger und die kostbarsten Interessen der Zivilisation es gleich-
mäszig erfordern, dass alle politischen und erziehlichen Einrich-
tungen des Ivandes, welche durch allgemeine Besteuerung erhalten
16
werden, auf das gewissenshaftesle mit dem (jeiste des Staatsgrund-
gesetzes in Einklang stehen müssen :
bilden wir. die Mitglieder des Kongresses der Liberalen, wel-
cher bei Gelegenheit der Jubelfeier vom i. bis zum 4. Juli 1876 zu
Philadelphia zusammengetreten ist, hiermit eine dauernde Organi-
sation und nehmen die folgende \'erfassung an :
Art. 1. Der Name dieser \'ereinigung soll The National Liberal
League sein.
Art. 2. Zweck und Ziel dieser A'ereinigung ist die Durchfüh-
rung der gänzlichen Trennung von Kirche und Staat, damit Gleich-
berechtigung in der Religion, wahre Sittlichkeit in der Politik und
Freiheit, Tugend und Brüderlichkeit im gesamten menschlichen Le-
ben fest begründet, beschützt und für alle Zeit erhalten bleiben
mögen.
Art. 3. Als ^Mittel zur Erreichung dieses Zweckes stellt die
National Liberal League die folgenden Maszregeln auf. zu deren
Befürwortung und X'erwirklichung sie sich verpflichtet :
1. Die Durchsetzung der Annahme emes Amendements zur
Verfassung der X'ereinigten Staaten, wodurch die völlige Säkulari-
sation der Regierung in allen ihren Zweigen und Einrichtungen ge-
währleistet und jedem amerikanischen Bürger der volle Genuss un-
bedingter Religionsfreiheit, ohne irgend welche Belästigung, Be-
schränkung oder bürgerliche und politische Entrechtung gesichert
wird.
2. Die gleichmäszige Besteuerung des Kirchengutes ; die Ab-
schaffung religiösen Unterrichts und gottesdienstlicher Uebungen
in den öffentlichen Schulen : die ^\'iderrufung aller Zwangsgesetze
in Bezug auf die Beobachtung des Sonntags als eines Sabbaths; das
Aufhören von Geldbewilligungen aus öffentlichen Mitteln für reli-
giöse Einrichtungen und Zwecke irgend welcher Art ; die Abschaf-
fung aller Kaplanstellen, die vom Staate besoldet werden ; die Er-
setzung des gerichtlichen Eides durch die einfache Wahrheitsaus-
sage, unter Beibehaltung der bisherigen Strafen für Meineid ; das
\'erbot der Ansetzung religiöser Fast-, Fest- und Feiertage durch
die öffentliche Gewalt; die Anerkennung der reinmenschlichen Sitt-
lichkeit und der allgemeinen Wohlfahrt und der Gerechtigkeit gegen
alle, sowie aller anderen Maszregeln, welche für die Durchführung
der gänzlichen Trennung von Kirche und Staat notwendig sind.
3. Die Beförderung der Bildung und \^ervielfältigung von
Liberal Leagues, als örtlichen Zweigvereinen, durch das Land hin.
im Einklänge mit den Bestimmungen dieser A'erfassung, damit eine
einheitliche und tatkräftige Agitation für die Annahme des Religious
Freedom Amendment und für die Verwirklichung der oben aufge-
führten Reformmaszregeln ins Werk gesetzt werde.
4. Die durch das persönliche und materielle Zusammenwirken
der Freigesinnten des ganzen Landes zu ermöglichende, gericht-
liche \'erteidigung eines jeden amerikanischen Bürgers, dem die
volle Gleichberechtigung in religiöser Hinsicht versagt wird, oder
der um seiner oft'en bekannten religiösen Ansichten willen irgend
welche Unterdrückung erleidet."
17
Anszerdem wurde noch die Errichtung eines Liberal Lecture
Bureau empfohlen, durch dessen \'ermittelung aller Orten Vorträgt
und \ orlesungen im Interesse und zur Förderung der Bestrebunger
der League veranstaltet werden sollten. Die übrigen Artikel ent-
hielten die näheren Bestimmungen über die Organisation selbst, über
die Pflichten der IJeamten. über die Regelung der Wirksamkeit der
örtlichen Zweigvereine und dergleichen mehr.
Francis E. Abbott von Boston wurde zum Präsidenten und R.
H. Ranney von Boston zum Sekretär gewählt. Unter den Vize-
präsidenten befanden sich F. Schünemann-Pott. San Francisco,
Rabbi B. Felsenthal, 'Chicago, James Lick, San Francisco, Karl
Heinzen, Boston. Rabbi Isaac M. Wise, Cincinnati, und Moritz
Ellinger, New York.
Die von Abbott herausgegebene Zeitung The Index war das
Organ der National Liberal League. Als ihre Fortsetzung besteht
gegenwärtig die American Secular Union und Freethought Federa-
tion, deren Organ ,,The Truth Seeker, a Freethought and Agnostic
Newspaper", in New York ist.
(Quellen: Geschichtliche Mitteilungen über die Deutschen
Freien Gemeinden von Nord-Amerika. Blätter für freies religiöses
Leben. Der Freidenker. Eine Flugschrift der National Liberal
League. Festzeitung für das 28. Turnfest des Nordamerikanischen
Turnerbundes 1900. \'erschiedene Rundschreiben imd Hefte der
Freisinnigen \>reinigungen. )
Carl Hermann Boppe wurde am 21. Juni 1842 in Zug in der
Schweiz geboren. Sein \'ater, ein höherer Verwaltungsbeamter,
wurde bald darauf nach Baden im Kanton Aargau versetzt und
schlug seinen Wohnsitz in dem nahegelegenen Wettingen auf. Hier
verlebte der junge Flermann glückliche Jugendjahre und erhielt eine
vorzügliche häusliche Erziehung und eine tüchtige Schulbildung, die
ihn befähigte nach Absolvierung der Volksschule in die Kantons-
schule in Aargau einzutreten, wo er sich auf das Studium der Rechts-
wissenschaft vorbereitete. In der Kantonsschule bildete er sich zum
tüchtigen Turner aus und war im Kadettenkorps einer der belieb-
testen und schlagfertigsten Unteroffiziere.
Ehe er sich zum Eintritt in die Universität rüstete, ging er auf
einige Zeit in die französische Schweiz, um sich in der französischen
Sprache zu vervollkommnen. Da zwang ihn ein ernstes Augenlei-
den, allen weiteren Studien zu entsagen. Das machte auf den jun-
gen, strebsamen Alann einen niederschmetternden Eindruck, da er
gezwungen war, sich einen neuen Berufskreis zu schaffen. Im Jahre
1861 entschloss er sich, der wiederholten Einladung seines Onkels,
der in Newark, N. J., eine Brauerei besasz, Folge zu leisten, und
kam nach Amerika, wo er als Buchhalter in das Geschäft seines
18
Onkels eintrat. Dem hochstrebenden Geiste konnte aber der nüch-
terne W'irknni^skreis nicln Licnügen, nnd als im Jahre 1872 zur Zeit
der Greeley-Kampagne in Newark che Post, eine unabhängige, radi-
kale deutsche Zeitung, ins Leben gerufen wurde, übertrugen ihm
die Aktionäre die redaktionelle Leitung des Blattes, die er, obgleich
Neuling im Berufe der Journalistik, mit groszem Geschick führte.
In den bürgerlichen Kreisen Xewarks stieg sein Ansehen, und sein
Enthusiasmus für alle Fragen der freisinnigen Jugenderziehung,
sowie seine hervorragende Beredtsamkeit, machten ihn so beliebt,
dass ihn der freisinnige deutsche Schulverein zu seinem Präsidenten
wählte. Als Ende 1875 die Post einging, übernahm er die Redaktion
der Freien Presse in Elizabeth.
Auf dem Freidenkerkongress, der im Jahre 1876 während der
Weltausstellung in Philadelphia abgehalten wurde und zur Gründung
des Bundes der Radikalen führte, machte Boppe die persönliche Be-
kanntschaft von Karl LIeinzen, der den jungen Mann nach jeder
Richtung auszeichnete, und für den Boppe bis zu seinem Tode be-
geisterte Hochachtung hatte. Im Januar 1877 folgte Boppe dem
Ruf nach Milwaukee und übernahm die Redaktion des Freidenkers,
mit welchem später der Heinzen'sche Pionier verschmolzen wurde.
Als 1878 die Tagsatzung des Nordamerikanischen Turnerbundes den
Freidenker, seiner ausgesprochen freisinnigen und radikalen Ten-
denz wegen, zum Organ des Bundes wählte, übernahm er auch die
Leitung des turnerischen Teils, worin er anfangs von Maximilian
Groszmann, später von dem verstorl)enen Heinrich Köhler und dann
von Heinrich Huhn unterstützt wurde.
In turnerischen Kreisen machte sich bald sein hoher Einfluss
geltend. Seit 1878 war er auf allen Bundestagsatzungen der lei-
tende Geist und der treue Eckhardt des radikalen Fortschrittes.
Die Verschmelzung des Turnlehrerseminars mit dem Nationalen
Deutschamerikanischen Lehrerseminar, sowie der Bau der Bundes-
turnhalle waren sein Werk. Seit 1881 war er Präsident des Turn-
lehrerseminars, mit Ausnahme der Jahre 1890 und 1891, während
das Seminar seinen Sitz in Indianapolis hatte. In freigemeindlichen
Kreisen war er ebenfalls unermüdlich tätig, und an der Entwick-
lung des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerseminars, in des-
sen Direktorium er lange Jahre eine maszgebende Rolle spielte, nahm
er energischen Anteil. Für vernunftgemäsze Erziehung der Jugend
trat er überall mit Enthusiasmus ein. Die Erhaltung und \^erbrei-
tung deutscher Sprache und Lebensanschauung war ihm ein Her-
zensbedürfnis; ebenso schwärmte er für deutsche Kunst, besonders
für Theater und :\Iusik. als der beiden mächtigsten Kulturmittel
deutscher Sitte, Sprache und Gewohnheiten.
Auch in der Freien (iemeinde von Milwaukee und im Bund der
Radikalen nahm er eine hervorragende Stelle ein. und im öffentli-
chen und gesellschaftlichen Leben tauchte keine Frage auf, welche
auf durchdringende fortschrittliche Reformen auf politischem, sozi-
alem und religiösem Gebiete abzielte, die in ihm nicht einen ener-
gischen und entschiedenen Befürworter hatte. Zwar wurde er in
seinem idealen Streiken oft verketzert und verhöhnt. Wie jeder, der
19
sich voll und ganz in den Dienst des Fortschrittes stellt, so blieb auch
er nicht von böswilligen \ erfolgungen und \'erdächtigungen ver-
schont, aber er liesz sich dadurch nicht irremachen, und sein Wirken
im Dienste des Fortschrittes war kein fruchtloses. Was er dem
Turnerbunde war, was er im Interesse der Aufklärung und der frei-
sinnigen Jugenderziehung- getan, gehört der Geschichte an. und die
Lücke, welche sein Tod in die Reihen der Fortschrittsarmee ge-
rissen, wird noch lange schmerzlich gefühlt Averden.
Am 25. Mai i88() vermählte er sich mit Fräulein Magdalena
Schiesz, die bis dahin als Lehrerin an einer öffentlichen Schule tätig
gewesen war. Seine Ehe war eine äuszerst glückliche, da beide Gat-
ten von den gleiciien Llealen beseelt waren und sicli gegenseitig in
harmonischer W'eise ergänzten.
Boppe starb am 12. Januar 1899. den meisten unerwartet, da
man hoffte, dass sich seine Krankheit zum Besseren wenden werde.
Die höchst eindrucksvolle Leichenfeier fand am Sonntag dem 15.
Januar in dem Turnsaale der Bundesturnhalle statt, unter äuszerst
zahlreicher Beteiligung, zu der sich auch viele Leidtragende von
auswärts eingefunden hatten. Die Gedächtnisrede hielt sein lang-
jähriger Kollege und ^Mitarbeiter Heinrich Huhn, dem noch andere
mit Worten der X'erehnmg und Anerkennung folgten, worauf zum
Schluss der fast endlose Leichenzug sich nach dem Krematorium
auf dem Friedhofe von Forrest Home bewegte, wo am nächsten
Tage die Verbrennung vorgenommen wurde.
(Quelle: Der Freidenker vom 22. Januar i8<)9.)
IBaa f rHtf allg^ mrtnp Surnfrst
in ö^n HfmntgtPit ^taatrn umt Nnr^amnika.
Die am 15. Mai 1849 gegründete Philadelphia Turngemeinde
feierte am 2. Juni 185 1 das Fest ihrer Fahnenweihe, und die begei-
sterte Teilnahme, die das gesamte Deutschtum diesem Feste ent-
gegengebracht hatte, erregte bei vielen den lebhaftesten Wunsch,
die Turngemeinde möge ein allgemeines Turnfest des am 4. und
5. Oktober 1850 in Philadelphia gegründeten Turnerbundes veran-
stalten, von dem man erwartete, dass es grosze L'nterstützung hnden
und erfolgreich sein werde.
Die Turngemeinde beschloss deshalb, sämtliche Turner von
Nordamerika zu einem solchen Feste einzuladen. Ein Festaus-
schuss wurde ernannt, ein Festplatz gesichert und am 7. August
folgendes Einladungsschreiben an alle Turnvereine des Landes ge-
sandt :
,, Erstes Allgemeines Turnfest in Nordamerika, gehalten am
29. und 30. September 1851 in Philadelphia.
Die Turngemeinde zu Philadelphia hat beschlossen, den 29. und
30. September d. J. ein allgemeines Turnfest zu veranstalten, wozu
30
sämtliche bekannte Turnvereine eingeladen sind und teilweise ihre
Zusage, die Feier des Festes durch ihre Gegenwart zu ehren, bereits
gegeben haben. Das Fest wird aus folgenden Hauptabteilungen
bestehen :
Samstag, den 2'.. und Sonntag, den 28. September. Empfang
der fremden Turner. Montag, den 2(). Se])tember. früh 7 l'hr. Zug
der Turner durch die Hauptstraszen der Stadt und dann zur Fest-
feier im Freien auf Lemon Hill.
Die Festfeier besteht in Schauturnen. Abhalten von Reden be-
züglich des Turnwesens, und in geselligen Unterhaltungen, welche
zum \'ergnügen und zur \'erhrüderung der verschiedenen \'ereine
dienen.
Dienstag, den 30. Sei)tember. Zug sämtlicher Turner in das
Stadthaus und Independence Square, dann Turnfahrt. Zum Schluss
des Festes Ball.
Alle auswärtigen Turner sind Gäste der hiesigen X'ereine und
deren Freunde. Es wird aufs beste gesorgt werden, um ilmen den
Aufenthalt dahier während des Festes so angenehm als möglich zu
machen.
Für den Ausschuss : H. Leonhardt. Sekretär."
Da der im Vorjahre gegründete Turnerbund, trotz aller An-
strengungen, sich immer noch nicht genügende Geltung hatte ver-
schaffen können, so berief der vorläufige Bundesvorort zu New
York, in \>rbindung mit dem Feste, eine Turnertagsatzung, die am
I. und 2. Oktober zusammenkam.
Die Turnvereine des Landes hatten ihr :\[.)glichstes getan, der
Einladung Folge zu leisten. Ihre Beteiligung hatten zugesagt der
Turnverein und der Soziale Turnverein \-on New York, der Turn-
verein von Boston, der Soziale Turn\erein von Baltimore und die
Turnvereine von Newark und Readine. Etwa 6oo Turner nahmen
teil am Feste, darunter Gottfried Kinkel, (nistav Struve und Papa
Schlöft'el. Das Deutschtum Philadelphias hatte alles aufgeboten,
den Gästen den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen, und
verlief denn auch das Fest in glänzender Weise.
Dem Programm gemäsz wurden die fremden Turner am Sams-
tag dem 2-]. September in der South Militarv FI all, dem Haupt-
quartiere des Festes, groszartig empfangen. Der Sonntag war zur
Erholung und beliebigen Unterhaltung bestimmt, sowie zum Em-
pfange später eintreffender Gäste.
km Montag versammelten sich die Turner schon früh im
Flauptquartiere, lieszen ihre Hörner ertönen, scharten sich um ihre
Banner und. vom Jubelrufe der Philadelphier begrüszt, zogen die
Weiszjacken. wie man die Turner damals nannte, durch einige
Hauptstraszen der Stadt nach dem am schönen Schuylkill gelegenen
Festplatze Lemon ?Till. An der Spitze marschierten die Philadel-
phier. nach ihnen kamen die Baltimorer. militärisch in Riegen ge-
teilt, dann die New Yorker, voran der Riese Saladin mit der mach-
tigen blutroten Fahne. Newarker. Readinger und die Philadelphier
Sänger. Die einfache Kleidung, schöne Haltung und das kernhafte,
gesunde und frische Aussehen der Turner erregten allgemeinen
Beifall, ' '
31
Auf dem festlich geschmückten Lemon Hill angelangt, begann
das Schauturnen, wobei der Turnwart Louis Sostmann von der
Philadelphia Turngemeinde die Leitung übernahm, dem überhaupt
allerseits bereitwillig Folge geleistet wurde. Die Vereine von New
York. Baltimore und Philadelphia wetteiferten in olympischen Spie-
len und manchem wackeren Turner wurden Hochs von der versam-
melten Menge gespendet. Ein Turner von Baltimore erklomm die
etwa siebenzig Fusz hohe Kletterstange und pflanzte unter allge-
meinem Jubel und Jauchzen die Flagge der \'ereinigten Staaten auf,
während die Musikbande Ilail Columbia und Starspangled Banner
spielte.
Als die Reden begannen, bildeten die Turner und (jäste einen
Halbkreis, und der erste Sprecher der Turngemeinde, Gustav R.
Bechler, hiesz dann die Festteilnehmer in herzlichen Worten will-
kommen. Ihm folgten noch in kurzen Ansprachen die Flerren Ginal
von Philadelphia, Ludvigh vtm naliimore. Stein und Sigismund
Kaufmaiui, der Bundessprecher, beide von New York. Scheibel von
Brooklyn, und zum Schluss Gottfried Kinkel, der die Turner er-
mahnte, immer und immer für die schöne Sache der Turnerei ein-
zutreten und nie und nimmer die Mission der Turner Amerikas zu
vergessen. Sie sind berufen, den Stamm des Erlösungsheeres von
der Knechtschaft zu bilden. Er stellte dann einen weiteren Pionier
der Turnerei, einen alten Freund namens Solomon aus Cincinnati,
den Nestor der deutschen Turner in Amerika, den Turnern vor. Er
war seit 1830 in diesem Lande und schon seit 1809 zu den Turnern
zu ziUilen. Im Jahre 181 f) hatte er als der erste Turnerapostel
Deutschland bereist, und wurde wegen seiner Tätigkeit von der
Despotie in den Kerker gesteckt, von v>^o aus er später nach Amerika
entwich. Eine von ihm gehaltene Ansprache fand allgemeinen Bei-
fall.
Es herrschte auf dem Festplatze ein fröhliches, gemütliches
Treiben, bis etwa um sechs Lhr abends in Reihen von vier der
Rückmarsch zur Stadt angetreten wurde. Der Abend wurde teils
im Hauptquartier, teils in befreundeten Kreisen bei gemütlicher
Kneiperei verbracht. Man muss. wie Franz Arnold bemerkt, Phila-
delphia kennen, tun sich ein Bild der dortigen Gemütlichkeit vorzu-
stellen. Der dicke Georg (Manger). Engel und Wolf, L. Schmidt,
Brurein, Bergner. Goll und andere hatten die durstigen Turner ein-
geladen, und die Philadelphier Gesangvereine verschönerten den ge-
nussreichen Abend.
Am Dienstag ^Morgen um acht Uhr wurde vor dem Hauptquar-
tier Aufstellung zur Parade genommen, worauf der Zug zur Unab-
hängigkeitshalle marschierte. Die Fahnen in der Mitte, stellten die
Turner sich dort im Flalbkreis auf und die Musikbande spielte Hail
Columbia. Nachdem der Mayor Charles Gilpin die Turner dann
begrüszt hatte, hielt der Sprecher der Turngemeinde, Gustav R.
I'echler, eine kurze Ansprache, und ihm folgte Sigismund Kauf-
mann von Ne\^■ ^'ork. der zeitweilige Spreclier des Bundes. Unter
den üblichen Hochs und Gut-Heils wurde wieder Aufstellung ge-
nommen, un<l der Zug begab sich nun nach (leni South-Straszen-
Werft am Delaware, von wo mit dem Dam}) f er naeh Red Rank,
einem zu jener Zeit g;esuchten A'ergnügungsorte, ein Ausflug ge-
macht wurde, von dem die Turner jedoch schon um drei Uhr nach-
mittags zurückkehrten.
Zum Schkisse des Festes faud abends ein groszer Ball im Chi-
nesischen Museum statt, der glänzend verlief und zum Erdrücken
voll besucht war. Während des Abends wurden im Saale einige ath-
letische Kunststücke aufgeführt. Pyramiden gestellt und Turner-
chöre gesungen.
Obgleich damit das eigentliche Turnfest endete, so war die Tag-
satzung am Mittwoch und Donnerstag noch mit der Beratung der
lUmdesangelegenheiten l)eschäftigt. Die übrigen Turner benutzten
aber diese beiden Tage zu fröhlichen, geselligen Unterhaltungen und
besuchten die Felsenkeller, da sie, wie schon erwähnt wurde, zahl-
reiche Einladungen erhalten hatten. Bei diesen gemütlichen Zu-
sammenkünften trugen Beter Krämer von Philadelphia, Weber von
New York und Knauer \-on Baltimore mit köstlichem Humor uikI
gesundem ATutterwitz viel zur Erheiterung l)ei.
Endlich nahte der Freitag, der Tag der '^l'rennung. Erst zogen
die Baltimorer heim. Bir wackerer Gesangverein schmetterte nocli
vom Schifife herab das schöne Lied ,, Blitzende Speere'" den Gelei-
tenden entgegen. Tags darauf verlieszen die New Yorker die Stallt
der Bruderliebe.
\\^ähren(l der letzten Tage hatten d'e Delegaten für die Tag-
satzung mit Eifer ihre Geschäfte geordnet und für künftiges Jahr
zwei Turnfeste, in Cincinnati und in üaltiniore angeordnet.
(Hauptquelle: Dr. Geo. H. L. Haars Aufsatz in der Festzeitung
des 28. Turnfestes des Nordamerikanischen Turnerbundes.)
C. F. Huch.
itp 0^röd|td|t? nntt ^i^pimxtm hmUtixm iSi^^ublik
in Amrrtka.
Nach ungedruckten Quellen.
"Ban Prnfpssur Sr. il^rrman 2iaupt.
Nach dem Zusammenbruche der französischen Fremdherrschaft
hatte der allgemeine leidenschaftliche AVunsch nach Erhaltung und
Stärkung der im groszen Befreiungskriege bewährten nationalen
Eigenart einen gröszeren Kreis von Patrioten im westlichen Mittel-
deutschland zu enger geistiger Bundesgenossenschaft zusammenge-
führt. In Ausführung eines von Christian Gottfried Körner und
E. M. Arndt ausgesprochenen Gedankens bildete sich in den Land-
schaften am INIittelrhein und unteren Main eine Reihe von ,, Deut-
schen Gesellschaften", die es sich zum Ziele setzten, deutsche Art,
Zucht und Fn'nnmigkeit zu i)llegen, und der besonders in den frü-
heren Kheinbundslaalen noch fortbestehenden Hinneigung zn fran
23
zösischer Sprache und (^eistesart entge.^enzuarbciton. Je weniger
die \ erhancllungen des Wiener Kongresses dazu angetan waren, die
im Kreise Arndts und seiner Gesinnungsgenossen auf die Neuge-
staltung Deutschlands gesetzten Hoffnungen zu verwirklichen, in
desto entschiedenere Gegnerschaft wurden die in jenen Gesellschaf-
ten vereinigten Deutschgesinnten gegen die leitenden Mächte de-
Kongresses, namentlich gegen Üesterreich, gedrängt. Als seit dem
Ende des Jahres 1814 der Gegensatz zwischen Oester reich und
Preuszen sich in der Art verschärfte, dass die Möglichkeit eines
kriegerischen Zusammenstoszes recht nahe gerückt schien, da reifte
im Schosze jener Gesellschaften der l'lan zur Gründung eines gro-
szen Geheimbundes, der sich über ganz Deutschland erstrecken und
die Einigung Deutschlands unter Preuszens Führung zu seinem
Wahlspruche machen sollte. Unmittelbar nach der Begründung des
Bundes ist dessen Leiter, Justizrat Karl lloft'mann in R(")delheim. mit
dem Fürsten FTardenberg in X'erliindung getreten, der die I^läne
in vollem Umfange billigte und seine Ausbreitung in Süd- und Mit-
teldeutschland eifrig förderte. Die unglückliche Wendung der preu-
szischen Politik nach dem Abschlüsse der ..PTeiligen Allianz" hat
jedoch den intimen A'erbindungen des preuszischen Staatskanzlers
mit dem Hoft'mann'schen Geheimbunde ein jähes Ende bereitet.
Als es im Herbst 181 5 zu der von Berlin aus angeordneten Auf-
lösung des Bundes kommen sollte, zeigte es sich aber auch, dass die
Geister, die man .zur Stärkung von Preuszens Stellung gerufen,
nicht alsbald wieder zu bannen waren. Tn dem Augenblicke, in dem
Preuszen seiner nationalen Aufgabe luid zugleich dem Konstitu-
tionalismus sich zu versagen schien, sehen wir einen guten Teil der
Mitglieder jenes ( ieheimbundes in leidenschaftlicher Verbitterung
einer radikalen demokratischen Richtung sich zuwenden, für die
der Keim in der politischen Stimmung dieses von den Ideen der
französischen Revolution tiefgehend beeinflussten Kreises ohnehin
vorhanden war. Am schärfsten spitzte sich die Gegnerschaft gegen
die durch die Deutsche Bundesakte geschaffenen politischen Zu-
stände Deutschlands in dem Kreise der Gieszener ..Schwarzen" zu,
die mit jener Gruppe radikaler Politiker, namentlich den beiden
Brüdern Wilhelm und Ludwig Snell, dem Advokaten Karl Heinrich
Hofmann aus Darmstadt und dem Butzbacher Konrektor Weidig
enge Beziehungen unterhielten. In den von den Führern der Giesze-
ner ., Schwarzen", den Brüdern August und Karl Folien, im Jahre
t8i8 entworfenen ..Grundzügen für eine künftige Reichsverfas-
sung" wurde geradezu grundsätzlich jede Anknüpfung an das his-
torisch Gegebene abgelehnt : das einzige Heil wurde vielmehr in der
Verwirklichung der Theorien des ..Contrat social" und von der
Durchsetzung der republikanischen Staatsform erwartet. Das war
die Antwort der heiszblütigen Jugend auf die Festsetzung der Deut-
schen Bimdesakte. ..der unwürdigsten A'erfassung die ie einem
groszen Kulturvolk von eingeborenen Herrschern auferlegt wor-
den war."
Am 23. März 18x9 ist der in den weitesten akademischen Krei-
sen als Werkzeug des russischen Despotismus verhasste August von
Kotzebue unter dem Dolche des Jena'schen Burschenschafters Sand
24
gefallen. Karl Folien und seine .,L nbedingten" erwarteten damals
mit Zuversicht, dass diese Tat das Zeichen zu einer allgemeinen
\'olkserhebung und zur Aufrichtung des deutsch-christlichen l-'rei-
staates geben werde. Um so grausamer war die Enttäuschung der
„Schwarzen" und ihrer älteren \'erbündeten, als es sich zeigte, dass
die breiten \^olksmassen nach wie vor in vollständiger Apathie ver-
harrten. xAls dann im Gefolge tler Karlsbader Beschlüsse die Kne-
belung der Presse, die Unterdrückung der akademischen Freiheit
und die X'erfolgung der hervorragendsten Patrioten durch die
Mainzer Untersuchungskommission ohne Widerspruch der \'olks-
kreise im ganzen Bundesgebiete vor sich ging, da konnte auch Karl
Pollens eiserner Starrsinn sich der Erkenntnis nicht länger ver-
schlieszen, dass seine und seiner Gesinnungsgenossen Rolle in
Deutschland ausgespielt sei.
Ein merkwürdiges Zeugnis dafür besitzen wir in einer unter
den Papieren von Follens X'ertrauten. dem Wetzlarer Gymnasial-
direktor Ludwig Snell. beschlagnahmten Denkschrift, die uns mit
Follens Plan bekannt macht, durch die gemeinsame Auswanderung
der deutschen Demokraten nach Nordamerika die Grundlage für
die Bildung eines Deutschen Idealstaates auf dem Boden der Neuen
Welt zu schaffen. \"on düsterer Resignation diktiert, stellt die Ein-
leitung di-eser zu Ende des Jahres 1819 verfassten Denkschrift fest,
dass eine Gesundung der deutschen \>rhältnisse in absehbarer Zeit
nicht zu erhoft'en sei: „Statt X'olkseinheit und allgemeiner gleicher
Freiheit ist uns X'olkszerstückelung und allgemeine gleiche Knecht-
schaft geworden. Ackerbau und (iewerbe sind durch übermäszige
Steuern und Mauten niedergedrückt, die Geistesfreiheit ist nahezu
vernichtet ; Unabhängigkeit der Gerichte, Sicherheit des Einzelnen,
alle Rechte des Menschen und des Bürgers werden verhöhnt, und
dieser ganze Inhalt des gemeinen Elends, das durch die Bundestags-
beschlüsse vom September vollendet worden, wird durch eine Form
zusammengehalten, die nur zur Unterdrückung jeder innerhalb der-
selben aufkeimenden Freiheit wirken wird." Steht somit fest, dass
das Schicksal des X'aterlandes vom Lichte zur Finsternis und zum
allgemeinen \'erderben sich abgewendet hat, so kann doch dieses Ver-
hängnis den deutschen Patrioten weder im Glauben an sein \'olk
wankend machen noch in seinem Entschlüsse, ,,das Urbild der
Menschheit im eigenen X'olke zu retten und aufrecht zu erhalten."
Da nun aber ein Wirken zum wahren Wohle des X'aterlandes auf
deutschem Boden unmöglich gemacht worden, so gilt es, im Aus-
lande eine Freistätte zu suchen, für die nur die nordamerikanischen
Freistaaten in Betracht kommen können.
An die Gründung einer „alle Zweige des Wissens umfassenden
deutschen Bildungsanstalt" in Amerika knüpft Folien die weitest-
gehenden Hoffnungen. Sie soll erstlich den politisch \>rfolgten
eine Zuflucht gewähren, ferner unter den Deutschamerikanern die
Liebe zu ihrer vaterländischen Art, Sprache und Bildung stärken
und dadurch der Erhaltung des Deutschtums dienen. Wenn es fer-
ner Folien als die höchste Aufgabe des amerikanischen Gemein-
wesens gilt, die Idee der Freiheit und Gleichheit in reinster Form zu
25
verwirklichen, so muss „von Deutschland, als dem Mittelpunkte der
ganzen neueren Bildung, auch für Amerika der tiefe geistige Gehalt
ausgehen, der allein die Grundlage seines VVeltstrebens ausmachen
kann." Aus diesem Grunde wünscht denn Folien auch, dass der
nach Amerika auswandernden , .Lehrergemeinde" sich auch andere
deutsche Auswanderer anschlieszen und für die Zwecke der ,,teut-
schen Bildungsanstalt" tätig sind. ,,Auf diese Weise kann es ge-
lingen, die Teutschen in Nordamerika zu einem auf dem Kongresse
vertretenen Staat zu verbinden, der ein Vorbild für das Mutterland
und in vielfacher Beziehung für seine Befreiung wichtig werden
kann." Die Begründung und Erhaltung der geplanten deutschen
Volkshochschule sollte von vornherein durch eigene Mittel sicher
gestellt werden, deren Gewinnung Pollens Denkschrift in erster
Linie dienen wollte. Als Mitglieder der ,, Lehrergemeinde" waren
auszer Karl Folien und seine Genossen aus dem Kreise der ,, Schwar-
zen" wohl zunächst die um ihrer freisinnigen Haltung willen von
ihren Lehrstühlen verdrängten Universitätslehrer, wie Oken, Fries
und de Wette, und die Brüder Wilhelm und Ludwig Snell in Aus-
sicht genommen.
Im Gieszener Kreise rüstete man sich zu Beginn des Jahres
1820 schon ernstlich zur Reise in die Neue Welt. Ein unter den
Papieren eines der ..Schwarzen" gefundenes Gedicht gibt den Em-
pfindungen, die Follens Freunde damals erfüllten, stimmungsvollen
Ausdruck. Wenigstens die Schlusstrophe dieses ..Abschiedes vom
Vaterlande" sei hier mitgeteilt :
„Ein neues Vaterland geh' ich zu finden.
Wo Vater Franklins frische Seele baute.
Die münd'ge Welt der eignen Kraft vertraute.
Der Freiheit junges Licht sich will entzünden!
Da drüben wächst sie auf zur jungen Eiche.
Wir bringen Zunder zu den regen Flammen,
Zum neuen Kreuzzug, zum gelobten Reiche.
Rom ist, wo freie Römer stehn zusammen !"
Wenige Tage, nachdem Karl Folien seine Denkschrift an Lud-
wig Snell in Wetzlar bekannt gegeben hatte, wurde diese am 9. Ja-
nuar 1820 bei Snells Verhaftung mit dessen übrigen Papieren be-
schlagnahmt. Karl Folien, der in Gieszen über die Verfasserschaft
der Denkschrift vernommen werden sollte, ergrifl^ die Flucht und
fand gleich zahlreichen anderen freisinnigen deutschen Gelehrten
ein Asyl in der Schweiz, wo er an der Baseler Universität von 1821
bis 1824 als Lektor der Rechtswissenschaft wirkte. Als Oesterreich
und Preuszen wegen seiner neuen politischen Umtriebe 1824 von
der Schweiz die Auslieferung Follens forderten, flüchtete er nach
Nordamerika und ist hier durch seine glänzenden Vorlesungen über
deutsche Literatur für die Einbürgerung deutscher Wissenschaft
und Dichtung in den amerikanischen Kreisen in erfolgreichster
Weise tätig gewesen.
Während Karl Folien, soweit wir sehen, auf den Plan einer
deutschen Massenauswanderung nach Amerika nicht mehr zurück-
36
kam, nahm im Jahre 1833, als abermals jede Aussicht auf eine frei-
heitliche Gestaltung der deutschen \'erhältnisse geschwunden schien,
Karl Pollens jüngerer Bruder Paul, damals ein vielbeschäftigter, in
Gieszen hochangesehener Advokat, jenen Gedanken wieder auf.
Eine von den drei ehemaligen Gieszener , .Schwarzen", dem Pfarrer
Friedrich IMünch, dem Advokaten Ch. von Burig, Paul Folien, sowie
des letzteren Schwager, Universitätsprofessor Vogt (dem Vater
Karl Vogts) unterzeichnete Denkschrift vom Jahre 1833 gab der
Ueberzeugung Ausdruck, ,,dass uns die Verhältnisse in Deutschland
weder jetzt noch für die Zukunft gestatten, die Anforderungen, die
wir als Menschen und Staatsbürger für uns und unsere Kinder an
das Leben machen müssen, zu befriedigen", und dass ,,nur ein
Leben, wie es in den freien Staaten Nordamerikas möglich ist, uns
und unseren Kindern genügen könne."
Die geplante „Auswanderung im Groszen" sollte die tüchtigen
deutschen Elemente zusammenhalten und in Nordamerika ein echt
volkstümliches Leben, ein von Kastengeist, Standesdünkel und dem
Zwange kleinlicher Modesucht und Verwöhnung freies, auf den
wahren Geist des Christentums gegründetes, verjüngtes Teutschland
erstehen lassen. Das Ziel der Auswanderung sollte das damals noch
nicht staatlich organisierte Territorium Arkansas sein. An die erste,
von Münch und Paul Folien geführte Auswanderungsgesellschaft,
die 1834 in einer Stärke von etwa fünfhundert Köpfen abging, soll-
ten sich alljährlich neue deutsche Kolonien anschlieszen, bis diese
endlich als ein eigener deutscher Freistaat an die Union angegliedert
werden könnten. Die Verfassung der ersten Kolonie war im voraus
bis ins Einzelne festgelegt ; namentlich war die Haltung von Sklaven
bei Strafe der Ausschlieszung verboten. Der deutschamerikanische
Muster-Freistaat sollte, so hoffte man, auch auf die freiheitliche
.Entwicklung des alten Vaterlandes eine wohltätige Rückwirkung
ausüben.
Das mit so hochfliegendem Idealismus ins Werk gesetzte Un-
ternehmen schlug infolge unzweckmäsziger \'orbereitung und un-
glücklicher Zwischenfälle fehl. Paul Folien sah seine Auswanderer-
schar, von der er in Unfrieden geschieden, sich nach allen Rich-
tungen hin zerstreuen und hatte eine Reihe weiterer schmerzlicher
Enttäuschungen erlebt, als er 1844 auf seiner Farm in Missouri dem
Tropenfieber erlag. Friedrich Münch, zu dem sich bald auch sein
jüngerer Bruder Georg, gleichfalls ein alter Gieszener „Schwarzer",
gesellt hatte, kämpfte sich tapfer durch. In hartem Ringen in der
Wildnis von Warren County am Missouri gelangte er zu Wohl-
stand und Ansehen, wurde zum Staatssenator gewählt, wirkte in
erfolgreicher Weise für die Sklavenemanzipation und entfaltete da-
neben eine ungemein rührige literarische Tätigkeit. Als einer der
volkstümlichsten und angesehensten Vertreter der alten Generation
des Deutschamerikanertums hat sich der tapfere Pionier den Un-
abhängigkeitssinn und den Idealismus seiner stürmischen Jugendzeit
bis ins hohe Greisenalter und bis zu seinem Tode (1881) bewahrt.
(Quelle: Der Freidenker vom 11. August 1907.)
27
August Srürkurr.
Zu den Männern, die sich eifrig bemühten, die Cjrundsätze der
repubhkanischen Partei unter den Deutschen i'hiladelphias zu ver-
breiten, und 1856 und 1860 ihre Unterstützung Fremonts und Lin-
cühis bei den Präsidentenwahlen zu gewinnen, gehört auch August
Brückner. Er wurde am 27. Alai 1828 in W'ürzburg geboren. Seine
Familie gehörte dem Judentume an, doch scheint der freisinnige und
unabhängige Geist seines \'aters ihn schon frühzeitig atif die Bahn
der geistigen Freiheit hinübergeleitet zu haben. Fme sorgfältige
Schulerziehung, eigener Bildungsdrang und die Erfahrung des Le-
bens machten ihn bald, seinen Jahren weit voraus, zum reifen, klaren
und praktisch tüchtigen Mann. Er war Kaufmann und hatte als
solcher durch Fleisz und Eifer sich in Philadelphia bald eine ge-
sicherte und für die Zukunft vielversprechende Stellung erworben.
Aber das sonst in diesem Lande alles verschlingende „Geschäft" war
nicht im stände, ihn von der Teilnahme an den höheren Interessen
des Lebens abzuziehen. \'or allen Dingen gab er sich ganz und gar
den Bestrebungen der freien (Gemeinde zu eigen und er hat der
Philadelphier Gemeinde von ihrer (Gründung an als einfaches Mit-
glied, als Schriftführer, als Schatzmeister, als Mzepräsident und
Präsident mit einem Eifer und einer Treue ohne (^deichen gedient.
Er wurde auch mehremale zum Präsidenten der Gemeinde-Lieder-
tafel, der jetzigen Harmonie, gewählt und war 1857 einer ihrer
Delegaten beim siebenten allgemeinen Sängerfeste in Philadelphia.
Auch bei jedem sonstigen gemeinnützigen Unternehmen war er
stets mit in den ersten Reihen beteiligt, so dass er sich die allge-
meinste Anerkennung und Achtung erwarb.
Als der Bürgerkrieg ausbrach und der Norden sich zum Kampfe
für die Erhaltung der Union rüstete, schloss Brückner sich zunächst
der von der Liedertafel der freien Gemeinde gebildeten Schützen-
kompanie der Home-Garde, den Freemen's Rifles. an und ward von
ihr zum Leutnant gewählt, trat aber später als Hauptmann unter
(Oberst Koltes in das y;^. Regmient der Freiwilligen Pennsylvaniens.
Was ihm an kriegerischer Erfahrung abging, ersetzte er bald durch
eisernen Fleisz und gewissenhafte Berufstreue, so dass er von seinen
Obern geschätzt, von seinen Kameraden geachtet, von seinen Leuten
geliebt ward. Es gab kein braveres Herz in der deutschen Division.
Er machte mit ihr den ganzen Feldzug mit. und war eben von den
Offizieren seines Regiments zum Major gewählt worden, als der
Rückzug von Rappahanok began, der mit den blutigen Schlachten bei
Manassas oder Bull Run endigte. Hier ist er am 30. Aug. 1862, dem
zweiten Schlachttage, an der Spitze seines Regiments, fast gleichzei-
tig mit seinem Obersten Koltes, der die Brigade befehligte, durch
eine feindliche Kugel gefallen. Er starb wie ein Held, seiner Ueber-
zeugung getreu, und selbst im Tode noch mehr um das Schicksal
seiner Leute, als um sein eigenes Ende bekümmert.
G. F. Huch.
28
(guatati KHrnrr.
(lustav Körner wurde am 20. November 1809 als Sohn eines
wohlliabendcn 1 Buchhändlers in ]'"rankfurt am Main geboren und
bezog, nach gründlicher X'orbildung, im Jahre 1830 die Universität
in Jena, wo er sich dem Studium der Rechtswissenschaft widmete
und es auf den Universitäten in München und Heidelberg fortsetzte.
Zur Zeit, als in Deutschland die \'erfolgung gegen die freiheitsbe-
geisterten Studentenverbindungen und Burschenschaften ins Werk
gesetzt wurde, ward auch er in Untersuchungshaft gezogen und
erst nach vier Monaten wegen Mangel an Beweisen wieder in Frei-
heit gesetzt. Im Jahre 1832 beendete er seine Studien und liesz sich
als Rechtsanwalt in seiner ^'aterstadt nieder. Die freiheitsfeindli-
chen Maszregeln des deutschen Bundestages hatten am 3. April 1833
einen Aufstand der nach Freiheit und Einheit strebenden Bürger
Frankfurts zur Folge, an dem auch Körner sich beteiligte und bei
dem Sturm auf die Haupt wache verwundet wurde. Doch gelang
es ihm. sich durch rechtzeitige Flucht der \'erfolgung und langer
schwerer Gefangenschaft zu entziehen. Fr ging mit anderen Ge-
sinnungsgenossen nach Amerika und siedelte sich im Juli 1833 in
Belleville, 111., an, das bis zu seinem Tode seine Heimat blieb. Um
sich eine genauere Kenntnis amerikanischer Rechtsformen zu sichern
und auch in der englischen Sprache sich zu vervollkommnen, bezog
er die Rechtsschule in Lexington. Ky., wo er zwei Jahre blieb und
dann die Praxis als Rechtsanwalt in Belleville aufnahm. Er erwarb
sich bald ein hohes Ansehen als Rechtskundiger und eine ausgedehnte
Klientel, deren Interessen er mit groszem Scharfsinn und in fähig-
ster Weise vertrat. Im Jahre 1838 veröfif entlichte er ein wertvolles
Handbuch in deutscher Sprache, in w^elchem er die bestehenden Ge-
setze mit erläuternden Anmerkungen zum Verständnis seiner deut-
schen Mitbürger brachte. A'on 1842 bis 1843 war er Mitglied der
Staatsgesetzgebung von Illinois; von 1845 '^'^ ^^S^ ^^''^'' s'' Mitglied
des obersten Gerichtshofes des Staates, und von 1853 bis 1857 \"ize-
gouverneur. \\'ie alle vor dem Jahre 1848 in dieses Land eingewan-
derte Deutsche schloss auch er sich der demokratischen Partei an.
Als ausgesprochener Gegner der Sklaverei sagte er ihr jedoch, als
sie sich zum willenlosen Werkzeug der südlichen Sklavenhalter
machte. \^alet und trat im Jahre 1856 in die Reihen der republika-
nischen Partei. Als im Jahre i86t die Rebellion ausbrach, organi-
sierte er das 43. Freiwilligen-Regiment von Illinois, das ihm zu
Ehren den Namen Körner-Regiment erhielt, und trat dann mit dem
Range eines Obersten in den Stab von General Fremont, als Judge
Advocate. Nach Fremonts A^ersetzung auf den östlichen Kriegs-
schauplatz wurde er dem Stabe Hallecks zugeteilt, aber schwankende
Gesundheit zwang ihn bald darauf, aus dem Militärdienst auszu-
scheiden. Im Jahre 1862 ernannte ihn Lincoln zum Gesandten in
S])anien. welchen Posten er zwei und ein halbes lahr in vorzügli-
cher Weise bekleidete. Seine Erfahrungen und Erlebnisse in Spa-
29
nien schilderte er in hübscher Form in einem Büchlein, das viele
Leser fand. Im Jahre 1870 wurde er zum Präsidenten der ersten
staatlichen Eisenbahnkommission von Illinois ernannt.
Als die republikanische Partei sich immer mehr als eine kor-
rupte Beutepartei entwickelte, sagte er sich auch von dieser los und
schloss sich der liberalen Bewegung an, die im Jahre 1872 Greeley
als Gegenkandidat von Grant für die Präsidentschaft ins Feld stellte
und namentlich unter den Deutschen groszen Anhang fand. Zu
jener Zeit machte Körner einen Ausspruch, der sich bald zum
Schlagwort für die ganze Wahlkampagne gestaltete. Auf die Frage,
für wen er stimmen würde, sagte er: , .Zwischen Grant und Greeley,
allemal für Greeley." Er selbst wurde in dieser Kampagne von den
Liberalen zum Gouvernenrskandidaten ernannt, unterlag aber in der
Wahl. Von der Zeit an zog er sich aus dem öffentlichen politischen
Leben zurück, lieh aber in nationalen Wahlen der demokratischen
Partei seine Unterstützung, obschon auch gegen diese sich Selb-
ständigkeit im L'rteile wahrend. Er widmete sich nun wieder der
Rechtspflege und war namentlich in Fragen des konstitutionellen
Rechtes eine hervorragende Autorität. In seinen Muszestunden wid-
mete er sich schriftstellerischen Arbeiten. So lieferte er anfangs
der achtziger Jahre einen wertvollen Beitrag zur Geschichte des
Deutschamerikanertums nüt seinem Buche: ,.Das deutsche Element
in den Vereinigten Staaten von 1818 bis 1848." Auch als ^litarbei-
ter an hervorragenden deutschen und englischen Zeitschriften war er
tätig, und alle seine Arbeiten zeichneten sich durch einen klassischen
Styl, durch scharfsinnige Ausführung und durch klares objektives
Urteil aus. Als Lieblingsthema behandelte er die politischen Vor-
gänge in Europa und Amerika und die Kritik über diese Fragen
behandelnde literarische Erscheinungen der Neuzeit. In seinem
Nachlass befand sich das ^Manuskript seiner persönlichen Denk-
würdigkeiten, die vor kurzem in Buchform erschienen sind.
Unter seinen engeren Alitbürgern stand er in höchster Achtung.
Diese gab sich am 15. Juni 1886, als er mit seiner (Gattin, die ihm
bald darauf durch den Tod entrissen wurde, das goldene Hochzeits-
fest feierte, in glänzenden Ovationen kund.
Er starb am 9. April 1896. und seine Leichenfeier, die am Sonn-
tag dem 12. April stattfand, war höchst eindrucksvoll und imposant.
Mit ihm schied aus einem an Ehren und Anerkennung reichen
Leben einer der hervorragendsten \'ertreter des Deutschtums in
unserer Republik, einer jener kernigen deutschen IVIänner, die in
diesem Lande die schwere Pionierarbeit für die fortschrittliche Ent-
wickelung des \"olkes übernommen haben und trotz aller Hinder-
nisse und Schwierigkeiten bis zu ihrem Lebensende fortsetzten. Sie
zu ehren und ihr Andenken wach zu halten und auf kommende
Generationen fortzupanzen, ist die Pflicht ihrer Zeitgenossen. Gustav
Körner war einer der besten jener Vorkämpfer des Fortschritts,
und die Ideale, für die er schon in Deutschalnd stritt imd kämpfte,
litt und verfolgt wurde, hat er bis in sein hohes Alter treu bewahrt.
Ein treuer Bürger unserer Repifljlik mid Anierikaner in seinem
30
ganzen Fühlen und aus voller Ueberzeugung. blieb er doch deutsch
in seinem ganzen Wesen. In allen seinen Handlungen gab sich die
angeborene deutsche Redlichkeit, deutsche Ueberzeugungstreue und
peinliche Gewissenhaftigkeit kund, und das sicherte ihm die Anhäng-
lichkeit seiner Stammesgenossen und die hohe Achtung seiner ame-
rikanischen Mitbürger.
(Quelle: Der Freidenker vom 19. April 1896.)
Jrt^itrtrlt Karl (EaBtrll^un.
Friedrich Karl Castelhun wurde im Jahre 1828 am 27. Februar
in Nordheim bei Worms geboren, absolvierte mit Glanz das darm-
hessische Gymnasium in Bensheim an der Bergstrasze und kam 1847
mit seinen Eltern (der \'ater war Arzt) nach Illinois. Er widmete
sich in Cleveland und Ann Arbor dem Studium der Medizin und ver-
vollständigte später seine Studien durch mehrjährigen Aufenthalt an
den Universitäten von Würzburg, Wien. Prag und Berlin. Er liesz
sich nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten als praktischer
Arzt in St. Louis nieder, wo er eine segensreiche Tätigkeit ent-
wickelte.
Im Jahre 1872 stattete er seinen in San Francisco lebenden Ge-
schwistern, dem Rechtsanwalt F. J. Castelhun und der Lehrerin
Fräulein Marie Castelhun einen Besuch ab, und war von der herrli-
chen Natur Californiens so bezaubert, dass er im Jahre 1875 dorthin
übersiedelte und sich der ärztlichen Praxis widmete. Im Jahre
darauf starb ihm ein hoffnungsvoller Sohn, und dies veranlasste ihn,
mit seiner Familie nach St. Louis zurückzukehren. Allein die Sehn-
sucht nach dem Lande des Weins urid der Blumen bestimmte ihn,
mit seinen Angehörigen wieder nach San Francisco zu übersiedeln,
wo er bis zu seinem Tode als Arzt und Schriftsteller tätig war.
Zum siebenzigsten Geburtstage des Dichters, am 27. Februar
1898, wurde ihm von einer Anzahl der hervorragendsten Vertreter
des Deutschtums von San Francisco eine glänzende Ehrenbezeigung
m der Form eines feierlichen Kommerses dargebracht, und bei dieser
Gelegenheit der greise, aber geistig und körperlich durchaus rüstige
Dichter in Poesie und Prosa gefeiert.
Er starb am i. November 1905. In ihm verlor das fortschritt-
lich gesinnte Deutschtum einen der offenherzigsten, zielbewusstesten
Kämpfer für Recht, Wahrheit und Freiheit, und einen der begab-
testen, feinfühligsten und begeistertsten Dichter, der die nachste-
henden herrlichen Worte an seine Kinder und die Kinder aller Deut-
schen in diesem Lande richtete :
31
Pflegt die deutsche Sprache,
He,^^t das deutsche Wort;
Denn der (jeist der X'äter
Lebt darinnen fort.
Der so viel des Ciroszcn
Schon der Weh j^eschenkt.
Der so viel des Schönen
Ihr ins Herz gesenkt.
Was ein Lessing dacluc,
\\ as ein (ioethe sang.
Immer wird's behalten
Seinen guten Klang.
Und gedenk' ich Schillers.
I Wird das Herz mir warm;
! Schiller zu ersetzen.
, Ist die Welt zu arm.
Teuer, meine Kinder,
Sei luis dieses Land ;
Doch an Deutschland knüpfet
Ins der Sprache l'and.
Wahrt der Heimat l'Irbe,
Wahrt es euch zum II eil;
Xoch den Knkelkindern
\\ crd' es ganz zuteil.
Wenn dereinst entfallen
.Mir der Wanderstab,
Wenn ich längst schon ruhe
In dem kühlen Grab.
Was die (nuist der Muse
Freundlich mir beschied.
Ehrt es, meine Kinder,
Hhrt das deutsche Lied!
Pflegt die deutsche Sprache.
Hegt das deutsche Wort ;
Denn der Geist der \'äter
Lebt darinnen fort.
Der so viel des Groszen
Schon der \\'elt geschenkt.
Der so viel des Schönen
Ihr ins Herz gesenkt.
(Quelle: Der Freidenker vom u. November i<p5 und vom
22. Oktober 191 1.)
3 1198 05100 1944
N/inö/G51DG/n4MX
I
DEMCO
PAMPHLET BINDER
Gray Pressboard
3 1198 05100 1944
N/lnä/05lDD/n^^x