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Full text of "Mitteilungen des Deutschen Pionier-vereins von Philadelphia : die Enstehung und Entwickelung der Sängerfeste in den Nordöstlichen Staaten"

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niitteilungin 

des 

Deutschen  Pionkr'Verms 

von 

Philadelphia. 


Olarl  l^ermaun  Soppf. 

iaa  bvbU  allgf mm?  ©urttfwt  tit  Norbammka. 

Sin?  gfplatttp  öeutarl??  iS^iiubltk  tu  Amerika. 

Au^ufit  Srörktif r. 

Jfrtpönrli  Karl  (HmUil^nn, 

O^ufltati  Körner. 


^^3  rs^peiundztüanzigstes  H^ft,  1911. 

T534- 

Vi3 


UNIVERSITY  , 

PENNSYLVANIA 
LIBRARIES 


3T3.03 
T53^  j 


University  of  Pennsylvania  Library 
Circulation  Department 

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WW 


Mitteilungen 

des 

Deutschen  Pionier -Vereins  von  Philadelphia* 


Dreiundzwanzigstes  Heft,  1911. 


5Dtr  ÜCnnurttliumni  brr  iFrriii^ötmil^u 
im  3<xl)vt  Ißrß. 

Von  C.  F.  I  luch. 


Die  deutschen  Auswandeicr.  die  vor  dem  Jahre  1815  nach 
Amerika  kamen,  verheszen  mit  nur  wenig-  Ausnahmen  die  alte  Hei- 
mat wegen  der  dort  bestehenden  missliclien  X'erhältnisse,  wozu  auch 
die  X^erfolgung-  der  nicht  gesetzlich  anerkannten  christlichen  Sekten 
gehörte;  für  bürgerliche  P'reiheit  im  heutigen  Sinne  hatten  sie  noch 
kein  X'erstiindnis.  Als  aber  nach  Abschüttelung  der  napoleonischen 
Fremdherrschaft.  Jung- Deutschland  sich  in  seinen  Erwartungen 
eines  geeinigten  freien  Deutschlands  getäuscht  sah.  und  seine  Frei- 
heitsbestrebungen \  erfolgung  und  Kerkerhaft  nach  sich  zogen, 
kamen  viele  gebildete,  freiheitbegeisterte  Männer  mit  hohen  republi- 
kanischen Idealen,  zum  TeW  als  Flüchtlinge,  nach  Amerika,  beson- 
ders geschah  das  nach  dem  Jahre  1848  infolge  der  Unterdrückung 
der  damaligen  revolutionären  iJewegung. 

Diese  letzteren  Ankömmlinge  wurden  gewöhnlich  die  Achtund- 
vierziger genannt.  Anfangs  beabsichtigten  manche  von  ihnen,  von 
hieraus  einen  neuen  Revolutionsausbruch,  nicht  blosz  in  Deutsch- 
land, sondern  auch  in  anderen  Teilen  Europas  zu  fördern,  und  im 
Fall  des  Cielingens  dorthin  zurückzukehren.  :Man  gründete  patri- 
otische und  demokratische  X'ereine,  Hecker-.  Freiheits-  und  Revolu- 
tionsvereine, hielt  Konventionen  und  stiftete  lUnide  zur  Unter- 
stützung der  europäischen  Freiheitsbestrebungen. 

Als  \^orort  des  Revolutionsbundes  berief  Philadelphia  einen 
Kongress  nach  Wheeling.  der  im  September  1852  abgehalten  wurde. 
Der  Name  des  P.undes  wurde  (k)rt  in  „X'olksbund  für  die  alte  und 
neue  Welt"  umgeändert,  da  sein  Zweck  die  Ausbreitung  der  Repu- 
blik über  die  ganze  zivilisierte  Welt  sein  sollte.  Er  erliesz  einen 
Aufruf  der  n'iit  folgenden  Worten  schloss :  ..Der  amerikanische 
Kontinent  durch.schneidet  den  Ozean  wie  Italien  das  Mittelmeer, 
und  wie  das  alte  Rom  den  Kreis  der  Länder  überschaute,  die  jenes 
Binnenmeer  begränzten.  s..  lassen  die  \ereinii;ten  Staaten  der  neuen 
Welt  ihre  Augen  auf  die  Weltgestade  schweifen.     Das  l  niversaF 

1 

?53<4        /  23 


reich  der  Zukunft  geliört  ilinen.  Das  Reich  nicht  der  Eroberung 
und  Unterjochung,  nicht  des  Herkommens,  nicht  der  nationalen 
Reibungen  und  des  Hasses,  sondern  der  Verbrüderung,  der  Gleich- 
heit und  Freiheit.  Wir  beschwören  es,  seine  Bestimmung  zu  vollen- 
den und  aus  \'ielen  Eine  Welt  zu  schaffen." 

Die  Achtundvierziger  entdeckten  jedoch  bald,  dass  die  Aussich 
ten  auf  neue  Umwälzungen  in  Europa  immer  geringer  wurden. 
Auch  ihr  Ideal  von  einer  Musterrepublik  sahen  sie  in  den  Vereinig- 
ten Staaten  nicht  verwirklicht,  vielmehr  fanden  sie  hier  die  Neger- 
sklaverei, eine  den  Sklavenhaltern  dienstbare  Regierung,  die  Frem- 
denhasserpartei der  Knownothings,  Sonntagszwang,  Temperenz- 
fanatismus  und  andere  Ueschränkungen  der  bürgerlichen  Freiheit. 
Sie  erkannten  nicht,  dass  freiheitliche  \'erfassungen  und  Gesetze 
allein  nicht  genügen,  um  dem  \'olke  ., Freiheit,  Bildung  und  Wohl- 
stand" zu  sichern,  wenn  seine  Mehrheit  nicht  die  sittliche  Bildung 
und  Einsicht  besitzt,  um  sie  wirksam  und  ausführbar  zu  machen. 
Pöbelaufläufe  mit  Lynchgerichten,  Stimmenkauf  bei  den  Wahlen 
des  Volkes  und  Käuflichkeit  der  von  ihm  gewählten  Gesetzgeber 
und  Beamten,  blinde  Anhänglichkeit  an  die  durch  professionelle 
Politiker  beherrschten  Parteien,  anstatt  Selbstprüfung  und  unabhän- 
giges Stimmen,  Beraubung  des  Volkes  und  der  Staatskassen  durch 
Vergebung  schwindelhafter  Kontrakte  an  jene  Politiker  und  ihre 
Freunde  und  Anhänger,  sowie  deren  Begünstigung  bei  Besetzung 
von  Aemtern ;  alles  dies  zeugt  nicht  von  einsichtsvoller  Bürger- 
tugend. 

Unter  solchen  Umständen  gab  es  in  der  neuen  Heimat  ein  weites 
Feld  für  Reformen,  und  die  für  gesellschaftliche  und  staatliche 
Ideale  schwärmenden  Achtundvierziger  suchten  nun  ihre  radikal- 
demokratischen Grundsätze  hier  zu  verwirklichen.  Sie  waren  zu- 
nächst gegen  die  Sklaverei  und  schlössen  sich  zu  deren  Abschaffung 
der  jungen  republikanischen  Partei  an.  Sie  bekämpften  jede  Be- 
schränkung der  persönlichen  und  geistigen  Freiheit,  befürworteten 
sozialistische  und  kommunistische  Einrichtungen  und  manche 
schwärmten  sogar  für  einen  idealen  Anarchismus.  Sie  gründeten 
Arbeitervereine,  Turngemeinden,  Freimännervereine,  freie  Gemein- 
den, Freidenkervereine  usw.,  und  diese  bildeten  wieder  Bünde,  hiel- 
ten Tagsatzungen  und  entwarfen   Platformen. 

So  hielt  der  Bund  der  deutschen  freien  Gemeinden  vom  5.  bis 
zum  7.  Juni  1874  in  Sank  City,  Wis.,  seine  dritte  Tagsatzung,  bei 
der  auch  der  Turnerbund  vertreten  war.  Es  wurde  dort  beschlossen, 
die  nächste  Tagsatzung  in  Philadelphia  im  Jahre  1876  abzuhalten, 
und  in  Verbindung  damit  eine  allgemeine  Konvention  aller  Liberalen 
zu  berufen,  um  wo  möglich  eine  umfassendere  und  wirksamere  Or- 
ganisation aller  liberalen  Elemente  unter  den  Deutschen  herbeizu- 
führen. Der  Bundesvorort  Milwaukee  erliesz  demgemäsz  als  die 
Zeit  herannahte  folgenden 

Aufruf  2ur  Kunurution  hn  3rt'u}tB\m\ttn  in  5Pllilaörl;il)ia. 

Die  Jubelfeier  des  hundertjährigen  Bestehens  unserer  Republik 
wird  in  der  groszartigcn  Weltausstellung  zu  Philadelphia  der  Mit- 

2 


weit  die  Erfolge  des  jungen,  aber  kühnen  und  energischen  Gewerb- 
fleiszes  Amerikas  zeigen.  \  on  allen  Staaten  der  Union  werden  voll 
Erwartung  und  in  gehobener  Stimmung  die  Bewohner  dorthin  zu- 
sammenströmen. Welch  bessere  Gelegenheit  könnte  es  nun  geben 
als  diese,  um  auch  dem  neu  aufstrebenden  radikalen  amerikanischen 
Geiste  einen  Sammelpunkt  und  einen  weltkundigen  Ausdruck  zu 
verleihen?  Hier  sollten  die  durch  das  weite  Gebiet  der  Vereinigten 
Staaten  zerstreuten  freigesinnten  Menschen  sich  zusammenfinden, 
um  die  gemeinsamen  Grundsätze  öffentlich  und  feierlich  auszuspre- 
chen, und  vor  allem  auch  zu  einer  bleibenden  Organisation  den 
Grundstein  zu  legen. 

Ein  Jahrhundert  weit,  und  zwar  ein  Jahrhundert  der  freiesten 
Selbstentwicklung  eines  A'olkes,  ist  der  Zeiger  an  der  Weltenuhr  vor- 
gerückt. Die  Grundsätze  der  Unabhängigkeitserklärung  und  der 
\>rfassung,  welche  von  den  damaligen  Radikalen  auf  der  fortge- 
schrittensten Höhe  der  Zeit  verkündet  wurden,  sind  einer  Ergän- 
zung, einer  Fortentwicklung,  einer  \erl3esserung  bedürftig  gewor- 
den. Die  X'ersammlung  der  heutigen  Radikalen  aus  allen  Teilen  der 
Republik,  welche  in  konsequenter  Durchführung  der  früheren  be- 
währten Grundsätze  auf  den  Standpunkt  der  Souveränität  der  Men- 
schennatur, auf  den  Standpunkt  des  freien  Menschentums  sich  stellt, 
und  gegen  jegliches  Sektentum  und  jede  Offenbarungsreligion  Front 
macht,  hat  da^s  Recht  und  die  Pflicht,  dem  neuen  Zeitgeiste  Ausdruck 
zu  geben  und  ihrerseits  für  das  kommende  Jahrhundert  eine  Leuchte 
der  fortgeschrittensten  Ciesinnung  aufzustellen.  Auch  die  so  not- 
wendige Organisation  der  Freigesinnten,  ein  noch  imgelöstes  Pro- 
blem, wird,  wenn  je,  im  Feuer  der  Anregung  und  Begeisterung 
einer  solchen  Zusammenkunft  zustande  gebracht  werden.  Aus  ihrem 
fruchtbringenden  Boden  kann  ein  mächtiger  neuer  Leben.sbaum  für 
dieses  \olk  erwachsen,  zum  Schutze  der  wahren  Freiheit,  zum  Trutze 
für  deren  Gegner,  und  in  der  Zukunft  reiche  Früchte  tragen. 

Aus  diesen  Beweggründen  hat  schon  die  letzte  Tagsatzung  der 
freien  Gemeinden  und  Freidenkervereine  Nordamerikas  vor  zwei 
Jahren  zu  Sank  City  beschlossen,  ihre  nächste  Versammlung  in  das 
Jahr  loi  der  Republik  (1876)  nach  Philadelphia  zu  verlegen  und  hat 
zugleich  ihren  \'orort  beauftragt,  an  alle  freisinnigen  A^ereine,  freie 
Gemeinden,  Freidenkervereine,  Turner-,  Sänger-,  Bildungsvereine, 
und  welche  Vereine  sonst  auf  dem  Standpunkte  der  freien  X'ernunft 
und  Wissenschaft  stehen,  sowie  an  alle  einzelnen  freigesinnten  Män- 
ner und  Frauen  die  Einladung  ergehen  zu  lassen,  zur  Beschickung 
und  Beteiligung  an  der  allgemeinen  Konvention,  welche  an  die  Tag- 
satzung sich  anschlieszt  und  an  welche  auch  die  Konvention  der 
englischredenden    Freisinnigen    sich   anreihen   wird. 

Der  unterzeichnete  \"orort  entledigt  sich  hiermit  seiner  Aufgabe 
und  ist  überzeugt,  dass  seine  Worte  bei  allen  tatkräftigen  Gesin- 
nungsgenossen Anklang  finden.  Tue  ein  jeder  seine  Pflicht  und 
mögen  alle  kleinlichen  Bedenken  verschwinden,  damit  die  grosze 
Feier  ein  ihr  würdiges  Geschlecht  finde. 

Die  Tagsatzung  des  Bundes  der  deutschen  freien  Gemeinden 
N.  A.  wird  am  26.  und  27.  Juni  stattfinden.    Die  allgemeine  Konven- 

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tion  der  Radikalen  am  28.,  2().  und  30.  Juni.  Die  Konvention  der 
Englischredenden  nimmt  am  i.  Juli  iliren  Anfang.  In  der  Konven- 
tionswoche, und  \ielleicht  einige  Zeit  vorher  und  nachher,  werden 
täglich  \'orträge  der  anerkanntesten  radikalen  Redner  stattfinden. 
Die  Anmeldungen  der  Delegaten  und  Teilnehmer,  denen  die  freie 
Gemeinde  von  I'hiladelphia.  soweit  ihre  Kräfte  reichen,  ihre  Gast- 
freundschaft zuteil  werden  lässt.  geschieht  entweder  heim  Lokal- 
komitee. Office  der  deutschen  freien  Gemeinde,  Philadelphia,  oder 
heim  \'ororte,  J.  E.  Louis,  IMilwaukee.  Wis. 

Sip  ®agsat2mi9  ^^^  IBunöfs  örr  frfint  (Srmriiiörtt. 

über  die  schon  in  der  im  elften  Hefte  der  Mitteilungen  enthaltenen 
Abhandlung.  ..Die  freireligiöse  Bewegung  unter  den  Deutschame- 
rikanern", kurz  berichtet  wurde,  kam  zur  bestimmten  Zeit  zusam- 
men. Das  Ergebnis  der  \'erhandlungen  war  eine  teilweise  Aende- 
rung  der  X'erfassung  des  Hundes,  der  den  Namen  .,Bund  der  freien 
Gemeinden  und  Freidenkervereine  von  Nordamerika"  erhielt. 
Auszerdem  wu.rde  noch  eine  Reihe  von  Beschlüssen  über  prinzipielle 
Fragen  angenommen  und  schlieszlich  Philadelphia  zum  Bundesvor- 
orte erkoren.  Das  von  diesem  ernannte  Exekutivkomitee  wählte  C.  F. 
Huch  zum  Vorsitzer  und  Alexander  Loos  zum  Sekretär.  Als  Er- 
gänzung des  früher  Berichteten  folgen  hier 

i3if  ;iriu2tjiipUru  ^IrarljUiüsr. 

Das  P.uch  der  Xatur  und  Geschichte  ist  die  alleinige  Quelle, 
aus  welcher  die  \'ernunft  alles  notwendige  und  nützliche  und  das 
Menschenleben  veredelnde  und  verschönernde  Wissen  und  Können, 
alle  Sitten-  und  Staatsgesetze  und  gesellschaftlichen  Einrichtungen 
schöpft. 

Das  allseitige  (leibliche,  geistige  und  gemütliche)  Wohlbefin- 
den, die  irdische  Glückseligkeit  ist  unser  höchstes  Gut. 

Die  allgemeine  Freiheit,  die  allgemeine  Bildung,  der  allgemeine 
Wohlstand  sind  der  Weg  zum  höchsten  Gut. 

Die  demokratische  Re])ublik.  in  welcher  die  Gleichheit  der  Men- 
schenrechte ohne  Unterschied  der  Abstammung  und  des  Geschlechtes 
und  das  Prinzip  der  gemeinsamen  Interessen  ( Unentgeltlichkeit  des 
gesamten  öffentlichen  Unterrichts  bis  zu  den  Hochschulen  hinauf, 
Lnentgeltlichkeit  der  Lehrmittel  und  nach  IJenötigung  selbst  des 
leiblichen  l'nterhalts  für  die  schulpflichtigen  Kinder  unbemittelter 
Eltern,  um  die  völlige  Xutznieszung  der  Schule  allen  möglich  zu 
machen)  gewährleistet  werden,  bahnt  sicher  allen  Menschen  und  Völ- 
kern jenen  ^^'eg. 

Wir  halten  dafür,  dass  nur  derjenige  fähig  sein  solle,  ein  Bür- 
ger der  \"ereinigten  Staaten  zu  werden,  sei  er  im  Auslande  oder 
Inlande  geboren,  welcher  der  ITntertanenschaft  unter  irgend  einen 
fremden  Gebieter,  und  zwar  den  Papst  in  Rom  nnt  inbegrift'en,  in 
politischen  Dingen  förmlich  entsagt  und  die  Souveränität  des  X'olkes 
der  X'ereinigten   Staaten  ohne   Rückhalt  anerkennt. 

Dagegen  soll  andererseits  das  volle   Hürgerreclit   und   Stinmi- 

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recht  keinem  \  eniünftiyen.  \(_)lljähi"igen  Menschen  versagt  sein, 
ohne  l'nterschicd  der  J\asse.    Ilantfarbe  oder  des  (iesclilechts. 

Die  jetzt  noch  bestehende  \  erniengnng  von  staathchen  und 
kirchhchcn  Dingen  ist  vollständig  aufzuheben,  so  dass  der  Staat  die 
kirchlichen  Gemeinschaften  nicht  ferner  bevorzuge  durch  Steuer- 
befreiung des  Kircheneigentums,  wodurch  alle  liürger.  welcher  Mei- 
nung sie  auch  angehören  mögen,  sowie  selbst  Witwen  und  Waisen 
genötigt  werden,  mit  ihrem  X'ermögen  zur  Anliäufung  der  Reich- 
tümer der  Kirche  beizutragen. 

Ebenso  soll  der  Staat  sich  aller  kirchlichen  Dienstleistungen  und 
Formen  entschlagen,  als  da  sind  die  Anstellung  von  Kaplänen  für 
den  Kongress,  die  Legislaturen,  die  Armee,  die  Gefängnisse  und 
sonstige  öffentliche  Anstalten,  sowie  der  Gebrauch  kirchliclier  Eides- 
formeln. 

Und  endlich  gebührt  dem  Staate  ebensowenig,  in  das  kirch- 
liche Gebiet  überzugreifen  durch  Anordnung  von  15usz-  und  JJet- 
tagen.  von  Dank.sagungstagen  imd  durch  Aufrechterhaltung  von 
Sabbathgeboten. 

Der  wahrhaft  demokratische  Ausbau  der  Verfassung  der  \'er- 
einigten  Staaten  verlangt,  dass  dieselbe  von  allen  monarchischen 
und  freiheitsgefährlichen  Ueberresten,  insbesondere  von  der  jetzigen 
Präsidentschaft,  dem  mit  Recht  sogenannten  ,. Königtum  im  Frack", 
gereinigt  und  die  Geschäfte  dieses  Amtes  einem  \'ollziehungsaus- 
schusse  des  Kongresses  übertragen  werden. 

Dass  ferner  Mittel  und  Wege  geschaffen  werden,  damit  ptlicht- 
vergessene,  wortbrüchige  und  sonstige  korrupte  Heamte  und  Gesetz- 
geber, und  zwar  vom  niedersten  bis  zum  höchsten,  von  den  Wählern 
sofort  können  abberufen,  prozessiert  und  bestraft  werden. 

Dass  endlich  auch  ein  jeder  Bürger  es  für  seine  Pflicht  halte, 
sich  an  den  öffentlichen  Angelegenheiten  seiner  engeren  wie  seiner 
weiteren  Heimat  durch  Ausübung  des  Wahlrechts  und  der  öffent- 
lichen Kontrolle  zu  beteiligen. 

Bei  den  unaufhörlichen  groszen  Kriegen  unter  den  .zivilisierten 
A'ölkern,  durch  welche  nicht  blosz  eines  oder  das  andere,  sondern 
durch  welche  alle  leiden,  und  bei  der  nahen  Kriegesgefahr,  in  welche 
während  der  letzten  Jahre  ein  geringfügiger  Umstand  wiederholt 
unseren  eigenen  Staat  zu  bringen  drohte,  halten  wir  es  für  geboten, 
stets  wieder  den  Ruf  nach  einem  ständigen  Friedensgerichte  unter 
den  Nationen  ertönen  zu  lassen,  und  die  Bundesregierung  der  A^er- 
einigten  Staaten  aufzufordern,  zunächst  mit  den  übrigen  Republiken 
des  Erdkreises,  als  deren  mächtigste,  einen  Friedensbund  mit  ober- 
stem Bundesgericht  ins  Leben  zu  rufen. 

Indem  wir  den  Privatschulen  vollen  Spielraum  lassen,  halten 
wir  fest  an  dem  System  der  öffentlichen  Freischulen,  und  begrüszen 
jede  \'erbesserung  derselben  —  so  auch  diejenige,  welche  durch  Er- 
richtung eines  deutsch-amerikanischen  Lehrerseminars  bezweckt 
werden  soll  —  mit  Freuden. 

Wir  verlangen  aber  ferner,  dass  ein  republikanischer  Staat,  der 
seine  Unabhängigkeit  imd  Freiheit  auf  den  gesunden  Menschenver- 
stand, auf  die  Selbstherrschaft  der  menschlichen  \'eriumfl  und  auf 

5 


die  Gesetze  der  Natur  gründet,  wie  die  L'nabhängigkeitserklärung 
sagt,  auch  in  seinen  öffentlichen  Schulen  eine  dieser  Grundlage  ent- 
sprechende freie  und  begeisterte  republikanische  Gesinnung  lehre, 
was  bis  jetzt  noch  nicht  der  Fall  ist. 

Wir  betrachten  es  deshalb  andererseits  für  ein  Vergehen  gegen 
den  ganzen  Geist  unseres  Staatswesens,  sowie  gegen  die  Bildungs- 
stufe der  Gegenwart,  wenn  in  der  öffentlichen  Schule  die  Bibel  ge- 
lesen wird,  oder  alte  Religionsvorstellungen  gelehrt  werden,  oder 
dieselbe  gar  priesterlichem  Einflüsse  überliefert  wird. 

Wie  die  geistige  Ausbildung,  so  gehört  zur  Freiheit  und  Wohl- 
fahrt des  Menschen  ein  hinreichender  Grad  von  ökonomischer  Selb- 
ständigkeit und  äuszerem  Besitztum.  Die  soziale  Ungleichheit, 
welche  sich  mehr  und  mehr  in  der  heutigen  Gesellschaft  geltend 
macht,  indem  einerseits  überreiche  und  sogar  steuerfreie  Korpora- 
tionen, sowie  einzelne  Privatbesitzer  eine  allzugrosze,  die  Korrup- 
tion befördernde  Macht  ausüben,  während  sie  die  Masse  des  arbei- 
tenden \'olkes  in  immer  gröszere  Armut  und  Abhängigkeit  hinab- 
drücken —  bildet  auch  eine  drohende  Gefahr  für  die  politische 
Cdeichbcrechtigung  und  für  den  Bestand  der  Republik  überhaupt. 

Wir  halten  es  daher  für  die  Pflicht  eines  jeden  Bürgers,  mit 
allen  konstitutionellen  Mitteln  solche  Einrichtungen  zu  erstreben, 
durch  welche  jeder  nützlichen  Arbeit  ihr  gebührender  Lohn  und  ein 
menschenwürdiges,  hinreichend  unabhängiges  Dasein  zuteil,  die  An- 
häufung übergroszen  Reichtums  in  den  Blanden  einzelner  aber  ver- 
mieden werde. 

Der  zweite  Paragraph  der  geänderten  \  erfassung  lautete:  Als 
leitenden  Grundsatz,  dessen  Anerkennung  er  von  allen  seinen  Glie- 
dern fordert,  erklärt  der  lUmd  ..die  freie  Sell)stbestimmung  gemäsz 
der  fortschreitenden  X'ernunft  und  Wissenschaft  auf  allen  Gebieten 
des  Lebens."  Dazu  bezeichnete  der  dritte  Paragraph  als  den  Zweck 
des  Bundes  ,,die  gegenseitige  Förderung  aller  seiner  Mitglieder  in 
der  \'erwirklichung  des  eben  angegebenen  leitenden  (h-undsatzes 
und  die  V'ei'lireitung  desselben  in  immer  weiteren  Kreisen  der  ihn 
umgebenden  Welt." 

leder  X'erein,  der  sich  mit  obigem  Grundsatz  und  Zweck  des 
Bundes  einverstanden  erklärte,  konnte  dem  Bunde  beitreten.  Auch 
einzelne  Personen,  die  an  Orten  wohnten,  wo  kein  Bundesverein  be- 
stand, konnten  Mitglieder  werden. 

i3ie  iKtmupnlton  örr  ißaötkaUnt 

tagte  vom  28.  bis  zum  30.  Juni  und  erwählte  W.  Burchard  au^ 
Washington  zum  Vorsitzer.  Durch  Abgeordnete  waren  vertreten 
zehn  freie  Gemeinden,  der  Bund  der  freien  Gemeinden  als  solcher. 
vier  Freidenkervereine,  der  Verein  zur  A'erbreitung  radikaler  Prin- 
zipien, sechs  radikal-demokratische  \  ereine,  sechs  Turnvereine,  der 
nordamerikanische  Turnerbund  als  solcher,  die  sozial-demokratische 
Arbeiterpartei  und  drei  Vereine  allgemein  liberaler  Tendenz.  Auszer- 
dem  beteiligten  sich  zehn  keinen  bestimmten  \'ereine  vertretende 
Personen  an  den  Verhandlungen.  Oertlich  waren  vertreten :  May- 
ville,  Detroit,  New  Britain,  New  York,  Baltimore,  Washington,  Mil- 

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waiikee,  Rockville,  Boston,  Indianapolis.  Elizal)eth,  Chicago.  Evans- 
ville.  Germania,  Newark  und  l^hiladelphia. 

Trotz  der  Verschiedenheit  des  Standpunktes  der  Abgeordneten, 
die  sie  in  Beziehung  auf  ihre  Parteistellung  einnahmen,  waren  doch 
alle  Anwesenden  augenscheinlich  von  dem  aufrichtigsten  und  ernst- 
haftesten Wunsche  der  Herbeiführung  einer  Einigung  durchdrun- 
gen. Dies  ergab  sich  durchweg  im  Laufe  der  zum  Teil  stürmischen 
Verhandlungen  aufs  deutlichste  durch  die  von  allen  Seiten  bewiesene 
Bereitwilligkeit  zur  Aufgabe  individueller  Ansichten  im  Interesse 
des  erstrebten  Zieles.  Nur  in  einem  einzigen  Falle  überwog  die  An- 
hänglichkeit an  einen  besonderen  Standpunkt  jene  Bereitwilligkeit, 
als  der  \'ertreter  des  Bundes  der  Freidenker  zu  New  York,  auf 
Grund  bestimmter  Instruktionen,  als  solcher  ausschied,  aber  erklärte, 
als  individuelles  Mitglied  der  Konvention  sich  noch  ferner  an  den 
X'erhandlungen  beteiligen  zu  wollen.  Die  Konvention  hatte  nämlich 
mit  überwiegender  Mehrheit  einen  von  jenem  Bunde  eingereichten 
Antrag  verworfen,  der  folgende  Stelle  enthielt :  ,,Wir  erstreben  Be- 
seitigung der  bisherigen  ausbeuterischen  Produktionsweise  durch 
Umwandlung  der  sogenannten  Lohnarbeit  in  eine  allgemeine  ko- 
operative und  Uebergang  aller  Produktionsmittel,  als  da  sind: 
Grund  und  Boden,  Rohprodukte,  Alaschinen  usw.  an  den  Staat." 

Es  wurden  der  Konvention  von  den  freien  Gemeinden  von 
Sank  County,  Milwaukee,  Philadelphia,  und  von  dem  X^erein  zur 
Verbreitung  radikaler  Prinzipien  \^orlagen  unterbreitet.  Auch  eine 
in  Heinzens  Pionier  am  lo.  Mai  1876  veröffentlichte  Platform  der 
radikal-demokratischen  Partei  lag  vor,  an  die  sich  hauptsächlich  die 
Verhandlungen  knüpften.  Sie  wurde  nach  Einfügung  einer  Reihe 
von  Zusätzen,  welche  die  auf  die  soziale  Reform  gerichteten  For- 
derungen der  Partei  genauer  bezeichneten,  angenommen.  Zur 
Durchführung  der  in  ihr  niedergelegten  Grundsätze  beschloss  dann 
die  Konvention  die  Bildung  eines  Bundes  der  Radikalen  und  entwarf 
für  ihn  eine  \  erfassung,  die  er,  zusammen  mit  der  Platform,  in 
deutscher  und  englischer  Sprache  mit  folgendem  Aufrufe  veröf- 
fentlichte. 

An  allr  uial|rpn  iFrntuö?  hta  JffortHrljritts. 

Das  Werk,  für  welches  der  Bundesvorort  der  Freien  Gemeinden 
von  Nordamerika  alle  freiheitlich  strebenden  Deutschen  zu  einer 
Konvention  auf  den  28.,  29.  und  30.  Juni  im  Jubeljahr  der  Republik 
nach  Philadelphia  berufen  hatte,  ist  gelungen. 

Die  Freien  Gemeinden,  der  Verein  zur  \^erbreitung  radikaler 
Prinzipien,  die  Freidenker-  und  Turnvereine,  sowie  die  sozial-demo- 
kratische Partei  und  andere  freisinnige  \'ereine  hatten  von  Nord 
und  Süd,  von  Ost  und  West  ihre  \'ertreter  gesendet,  um  eine  \'er- 
ständigung  über  die  brennendsten  Fragen  der  Zeit  herbeizuführen 
und  die  Gleichstrebenden  in  eine  organische  \'erbindung  zu  bringen. 

Palliativmittel  reichen  nicht  aus ;  Radikalmittel  sollen  angew^en- 
det  werden,  um  die  Republik  am  Leben  zu  erhalten  und  zu  einer 
jMusterrepublik  für  alle  X'ölker  der  Erde  zu  erheben. 

Die  Trennung  der  Kirche  vom  Staate  soll  folgerichtig  und  voll- 
ständig durchgeführt  werden; 

7 


der  ..König  im  I'rack"  einer  einfachen  gesetzvollziehenden  ]^>e- 
hörde, 

das  Zweikammersystem  dem  Einkammersystem. 

die  indirekte  Demokratie  der  direkten  weichen. 

Die  öffentliche  Schule,  auf  vernünftig  sittliche  (irundlage  ge- 
stellt, soll  Rej^uhlikaner  erziehen. 

Das  zweite  Jahrhundert  der  Republik  soll  nachholen,  was  das 
erste  versäumt  hat : 

Es  soll  die  eine  Hälfte  des  Menschengeschlechts  in  politischer 
Hinsicht  der  anderen  völlig"  gleichstellen  ; 

es  soll  die  I\ci)uhlik,  die  Freiheit  und  das  (llück  allen  gewähr- 
leisten. 

Einer  solchen  (W'fentlichen   ErkUirung  harren  die   Freunde  des 
Fortschrittes   am   Jubeltage   der    Republik: 
Flier  ist  sie ! 
Reiht  Euch   uns  an .' 

fMiiladelphia.  den  4.  Juli   1876. 

Im  Auftrage  der  Konvention  der  freiheitlich  strebenden  Deut- 
schen von  Nordamerika  : 

Eduard  Schroeter.       Karl  Heinzen.       Alexander  Loos. 

jpialfürm  örs  iSuuörs  ön*  Eaöiluüru  mnt  5^oriiamrrika. 

lEtnlritimg. 

Die  nordamerikanische  Republik  ist  beim  Eintritt  in  das  zweite 
Jahrhundert  ihres  Bestehens  ebenso  wenig  berechtigt,  stolz  auf 
ihren  gegenwärtigen  Zustand  zu  sein,  wie  sie  Ursache  hat.  beruhigt 
in  ihre  Zukunft  zu  blicken. 

Sie  rühmt  sich  der  besten  \'erfassung  und  hat  unter  ihr  die 
gröszte  politische  Korruption  und  X^erwirrung  grosz  gezogen ;  sie 
besitzt  die  reichsten  materiellen  Hülfsmittel.  welche  allen  ihren  Bür- 
gern eine  genügende  E-xistenz  sichern  könnten,  aber  sie  dienen  mehr, 
die  Reichen  zu  bereichern,  als  die  IJedürftigen  zu  versorgen;  sie 
setzt  Staat  und  Kirche  vereinigt  in  Tätigkeit  für  die  Herrschaft  der 
Religion,  und  unter  dieser  Herrschaft  ist  das  Land  erfüllt  von  Heu- 
chelei, Betrug  und  Gewalttat. 

Kann  der  Weg  zur  Aenderung  dieser  Zustände  der  nämliche 
sein,  der  zu  ihrem  Entstehen  geführt  hat  ?  Können  die  bisherigen 
Grundsätze,  die  bisherigen  Parteien,  die  bisherigen  Einrichtungen 
die  Besserimg  sichern? 

Was  auf  dem  bisherigen  Wege  versucht  werden  mag.  kann  höch- 
stens auf  täuschende  I'alliativmittel,  nicht  auf  wirkliche  Heilmittel 
hinauskommen.  Eine  gründliche  und  dauernde  Besserung  ist  nur 
von  einem  entschiedenen  Zurückgreifen  auf  die  unumstöszlichen 
\\'ahrheiten  der  \'ernunft,  auf  die  natürlichen  Menschenrechte  und 
auf  die  Fundamental-Cirundsätze  eines  wahrhaft  republikanischen 
Lebens  zu  hoffen. 

\'on  dieser  Ueberzeugung  durchdrungen,  haben  am  28.  Juni 
dieses  Gedenkjahres  (  iSjf))  die  deutschen  Radikalen  und  ihre  \'er- 
eine  in  Philadelphia  eine  Konvention  abgehalten  zu  dem  Zweck,  sich 

8 


über  die  riruiidsätze  zu  verständigten,  welche  ihnen  als  Richtschnur 
beim  Mitstreben  nach  besseren  Zuständen  dienen  können  und  welche 
sie.  mit  ihren  gleich,yesinnten  amerikanischen  Mit1)ürgern  zu  einer 
Organisation  vereinigt,  durch  Agitation.  F^arteibildun,^^  und  Gesetz- 
f^ebung"  in  der  Unionspolitik,  iiu  staatlichen  und  im  Gemeindeleben, 
je  nach  Gelegenheit  und  l'edürfnis  zur  Geltung  zu  bringen  sich  be- 
streben werden. 

Nicht  im  Glauben  und  in  der  Autorität,  welche  die  gedanken- 
lose Gewohnheit  als  ihre  Leitsterne  betrachtet,  sondern  allein  in 
der  denkenden  \'ernunft  und  der  forschenden  Wissenschaft  sind  die 
Quellen  der  b'rkeiuitnis  zu  finden,  welche  ^^'ahrheit,  Recht  und  Hu- 
manität, die  einzigen  haltbaren  Cirundlagen  aller  menschlichen  Ent- 
wickelung  und  gesellschaftlichen  Einrichtungen,  ergründet  und  fest- 
stellt. Alles  Bestehende,  das  von  diesen  Grundsätzen  abweicht, 
führt  notwendig  zum  Unheil  und  bedarf  der  Aenderung'.  Auf 
diesen  Grundlagen  hat  alles  Fortschrittsstreben  und  alle  Reform 
zu  fuszen  ;  auf  ihnen  fuszt  auch  die  vor  hundert  Jahren  erlassene 
Unabhängigkeitserklänuig'.  welche  allen  Menschen  das  f^lciclic  Recht 
auf  Leben,  Freiheit  und  Glück  zuerkennt,  sowie  die  Einleitung  zur 
Konstitution  dieses  Landes,  welche  als  deren  Zweck  die  Sicherung 
der  Gerechtig'keit  und  die  Frcbung  der  allf/cmcincn  \\'^ohlfahrt  vor- 
anstellt. 

Diese  feierlichen,  als  leitende  Grundsätze  gleichsam  am  Ein- 
gangstor dieser  Re])ublik  eingegrabenen  Erklärungen,  mit  welchen 
alle  humane  Denker  und  wahre  Republikaner  übereinstimmen,  dür- 
fen, wenn  das  \"olk  den  ihm  drohenden  Gefahren  entgehen  soll, 
nicht  länger  tote  ^^'orte  und  leere  Redensarten  bleiben,  sie  müssen 
in  allen  Gebieten  des  staatlichen  Lebens  zur  \\^ahrheit  gemacht  wer- 
den. Zur  Anstrebung-  dieses  Ziels  laden  die  Radikalen  alle  gleich- 
gesinnten  Bürger  der  Republik  ein.  sich  mit  ihnen  zur  Durchführung 
der  Grundsätze  und  Forderungen  zu  vereinigen,  welche  in  der  fol- 
genden Platform  zusammengestellt  sind.  Wenn  auch  diese  Grund- 
sätze und  Forderung'en  nicht  gleichzeitig  und  auf  einmal  zur  Gel- 
tung zu  bringen  sind,  so  verlangt  doch  eine  rationelle  und  weiter 
blickende  Anschauung  der  politischen  und  gesellschaftlichen  Ent- 
wicklung, sie  zusammen  unter  eine  L'ebersicht  zu  bringen,  um  eine 
zeitige  und  allseitige  Erwägung  der  hau])tsächlichsten  Reformbe- 
dürfnisse zu  veranlassen. 

jpialfornt. 

A.     ^fnlittarltr  JFraiiiPn. 

\'olk.  Nation  und  Union  bilden  ]:)olitisch  einen  Begriff  und  ein 
unteilbares  Ganzes,  mit  welchem  kein  Separatrecht  einzelner  Staaten 
oder  Abteilungen  in  Widerspruch  treten  darf.  ,, Staatensouveräni- 
tät" würde  nichts  Anderes  bedeuten,  als  vorbehaltene  Zerstückelung 
dieses  Ganzen,  Sezession  und  Bürgerkrieg. 

Die  Einheit  des  A'olkes.  wie  die  \'erwirklichung  der  demokrati- 
schen Idee,  ist  nur  denkbar  bei  völliger  Gleichheit  der  Rechte  aller 
Bürger.     Noch  weniger  als  Flautfarbe,  Herkunft  oder  Besitz:  kann 

9 


der  Unterschied  des  Geschlechts  irgend  einen  Unterschied  der 
menschHchen  Rechte  begründen. 

Die  Souveränität  des  \'olks  ist  unveräuszerHch  und  kann  so 
wenig-  im  legislativen  wie  im  exekutiven  Gebiet  auf  seine  Repräsen- 
tanten oder  Beamten  übergehen.  Wie  Alles  für  das  Volk,  so  soll 
auch  Alles  durch  das  \'olk  geschehen.  Deshalb  hat  sich  dasselbe  die 
beständige  und  direkte  Unabhängigkeit  und  \'erantwortlichkeit  derer 
zu  sichern,  welche  es  mit  der  \\'ahrnehmung  seiner  Interessen  be- 
traut. Zu  diesem  Zweck  muss  es  sich  das  Recht  vorbehalten,  die- 
selben bei  mangelhafter  Pflichterfüllung  jederzeit  von  ihrem  Posten 
zu  entfernen  und  zur  X^erantwortung  zu  ziehen,  unter  Vorkehrungen 
imd  r)edingungen.  welche  Missbrauch  zu  verhüten  geeignet  sind. 
Zugleich  muss  es  sich  das  \^orschlagsrecht  vorbehalten  und  die 
Gültigkeit  aller  wichtigen  durch  die  Legislatoren  erlassenen  Gesetze 
von  seiner  nachträglichen  Zustimmung  abhängig  machen. 

Komplizierte  V^ertretung  und  künstliche  Gewaltenteilung,  den 
Staatseinrichtungen  der  alten  Welt  entlehnt,  sind  verderbliche  Hin- 
dernisse wahrer  Demokratie  und  Förderungsmittel  reaktionärer 
Tendenzen.  Das  Volk  bedarf  für  seine  Gesetzgebung  und  Verwal- 
tung nur  einer  einzigen  Kammer  verantwortlicher  und  rückberuf- 
barer  Agenten,  welche  ihre  Beschlüsse  durch  eine,  von  ihr  aus  dem 
ganzen  \'olke  gewählte  und  ihr  direkt  verantwortliche  Exekutiv- 
oder Verwaltungs-Kommission  ausführen  lässt.  Senat  wie  Präsi- 
dentschaft, beides  Kopien  monarchischer  Einrichtungen,  sind  als 
undemokratisch  und  unrepublikanisch  abzuschaffen.  Die  Präsident- 
schaft ist  die  Hauptquelle  aller  amtlichen  wie  Parteikorruption. 

Das  Recht  der  Einzelstaaten,  Gesetze  zu  erlassen,  oder  Anord- 
nungen zu  treffen,  welche  mit  dem  Geist  der  Unionsverfassung  in 
Widerspruch  treten,  namentlich  solche,  welche  sich  auf  die  Press- 
freiheit, die  religiösen  Angelegenheiten  und  das  Versammlungsrecht 
beziehen,  ist  vollständig  aufzuheben. 

Ebenso  sind  die  \'erschiedcnheiten  der  Rechte  und  Gesetze  in 
den  verschiedenen  Staaten  durch  allgemein  gültige  Normen  in  allen 
wesentlichen  Punkten  von  Bundes  wegen  zu  beseitigen. 

Unbeschränkte  Wahlfreiheit,  vor  allem  Einführung  des  Rechts 
der  Wähler,  Kandidaten  auch  auszerhalb  ihres  Distrikts  zu  wählen. 

Keine  Temperenzgesetze !  Sie  sind  fruchtlose  Zwangsmittel 
gegen  diejenigen,  gegen  welche  sie  gerichtet  sind,  imd  beleidigende 
Beschränkungen  der  persönlichen  Ereiheit  derjenigen,  welche  ihrer 
nicht  bedürfen. 

Rechtliche  Gleichstellung  der  naturalisierten  Bürger  mit  den 
eingeborenen  im  Auslande.  Entgegenstehende  Verträge  sind  aufzu- 
heben. 

Festsetzung  des  Sonntags  ziu^  Abhaltung  der  Wahlen  und 
\"olksabstimmungen. 

M.    i'üHialr  uuö  ükmtomiarljr  Jfragnt. 

Die  moderne  Nationalökonomie  steht,  wie  jedes  andere  Gebiet 
.des  politischen  und  sozialen  Lebens,  unter  der  Kontrolle  der  allge- 
meinen Gerechtigkeit. 

10 


Die  auf  humanen  und  ethischen  Grundsätzen  basierte  Republik 
hat  das  Freibeutertum  der  .Manchesterleute  ebenso  entschieden  zu-, 
rückzuweisen,  wie  die  barbarischen  Theorien  der  Malthusianer. 
Auch  kann  ihre  Bestimmung  sich  nicht  darauf  beschränken,  den 
Mechanismus  der  politischen  Tätigkeit  im  Gange  zu  erhalten  und 
Sicherheitspolizei  zu  üben  zwischen  sich  frei  bekämpfenden  Inte- 
ressen und  Leidenschaften.  Sie  hat  vielmehr  die  positive  Aufgabe, 
nach  Möglichkeit  allen  ihren  Bürgern  die  \¥ohltaten  der  Kultur, 
bestehend  in  geistiger  Ausbildung,  freier  Betätigung  ihrer  Fähig- 
keiten und  Erlangung  der  materiellen  Erfordernisse  einer  mensch- 
lichen Existenz,  zuzuwenden,  imd  kann  die  Erreichung  dieses  Ziels 
ebenso  w^enig  dem  blinden  Zufall  wie  dem  Kampf  des  Schwächeren 
mit  deiu  Stärkeren  überlassen.  Kommunistische  ITopien  so  wenig 
wie  künstliche  Klassengegensätze  begünstigend,  soll  sie  die  Kluft 
auszufüllen  streben,  welche  zwischen  dem  Ueberfluss  und  der  Not 
besteht;  sie  soll  daher  insofern  in  das  Erwerbsleben  eingreifen,  als 
sie.  den  Schwachen  schützend,  den  Starken  beschränkend  und  im 
allgemeinen  ausgleichend,  eine  \>rnüttlerin  der  Gerechtigkeit  für 
alle  zu  werden  sucht. 

Als  Büttel  zu  diesem  Zweck  sind  zunächst  folgende  anzusehen : 

Schutz  der  Arbeit  gegen  x\usbeutung-  durch  den  Besitz,  Siche- 
rung ihres  wirklichen  Ertrages  und  Förderung  von  Arbeiterassozia- 
tionen.    Gröszere  Abkürzung  der  Arbeitszeit. 

Freie  \'erl)in(lung  der  Arbeiter  zur  W'alnning  ihrer  Interessen. 

Sanitärischer  Schutz  der  Staatsangehörigen  durch  Kontrollie- 
rung der  Fabriken,  Nahrungsmittel  und  Wohnungen.  Statistische 
Ermittelung  der  Arbeiterverhältnisse  dm'ch  den  Staat. 

\'erbot  gegen  Ausbeutung  der  Kinderarbeit  zu  industriellen 
Zwecken. 

Einstellung  aller  weiteren  Landschenkungen  und  \'erkäufe  an 
einzelne  wie  an  Korporationen.  Die  öffentlichen  Ländereien  müssen 
unveräuszerlich  im  Besitz  des  X'olkes  bleiben  und  nur  wirklichen 
Bebauern  unter  sichernden  Bedingungen  und  gegen  billige  Pacht- 
steuer zur  Benutzung  übergeben  werden.  LTnterstützung  von  An- 
*  Siedlungen  Unbenüttelter  durch  öffentliche  IMittel  mit  Vorbehalt  der 
Rückerstattung.  Rückkauf  aller  bis  zu  einem  bestimmten  Zeitpunkt 
nicht  kultivierten  Ländereien  für  den  ursprünglichen  \'erkaufspreis. 

L'^nentgeltlicher,  den  Mittellosen  durch,  öffentliche  Beihülfe  zu 
ermöglichender  Unterricht  für  jeden  in  allen  durch  Staats-  oder 
Gemeindemittel  unterstützten  Lehranstalten. 

Progressi\e  Einkommen-  und  Erbschaftssteuer,  mit  Steuerfrei- 
heit für  das  zum  LTuterhalt  einer  Familie  erforderliche  ^Minimum. 

Abschaffung  aller  Monopole. 

Gründliche  Reformen  der  Rechtspflege.     Kostenfreie  Justiz. 

Anbahnung-  des  Freilumdels  und  Abschaft'ung  aller  indirekten 
Steuern. 

Alleinige  liefugnis  der  Lnidusverwaltung  zur  Emittierung  von 
Papiergeld  und  gesetzliche  ("deichstellung  desselben  mit  Metallgeld. 

II 


Der  religiöse  Glaube  wie  der  Unglaube  ist  Sache  des  individuellen 
geistigen  und  moralischen  Bedürfnisses,  das  der  individuellen  Bil- 
dung und  Einsicht  entspricht.  Er  ist  der  geistigen  Entwicklung  zu 
überlassen,  welche  durch  die  freie  Lehre  und  Diskussion  in  Wort 
und  Sclirift  vermittelt  wird.  Seiner  ganzen  Natur  nach  entzieht  er 
sich  aller  gewaltsamen  Einwirkung  und  Kontrolle.  Der  Staat  hat 
sich  daher  weder  verbietend  noch  gebietend  in  seine  Domäne  imd 
Entwicklung  einzumischen  und  sich  aller  Gesetze.  Einrichtungen 
und  Anordnungen  zu  enthalten,  welche  dem  Glauben  oder  Unglau- 
ben dienen  oder  Zwang  antun.  Alle  solche  Gesetze,  Einrichtungen 
und  Anor(hiimgen  sind  ebenso  tyrannische  wie  vernunftwidrige, 
zugleich  dem  Geist  der  Konstitution  direkt  widersprechende  und 
möglichst  bald  durch  ein  besonderes  Konstitutionsamendement  zu 
verbietende  EingrifiFe  in  die  persönlichen  Rechte  und  die  Gewissens- 
freiheit der  verschieden  gläubigen  und  verschieden  denkenden  Bür- 
ger.    Zu  diesen  Eingriffen  gehören  namentlich  folgende : 

Die  Einführung  der  15ibel  in  die  öffentlichen  Schulen,  welche 
durch  einen  walirhaft  wissenschaftlichen  Unterricht  durch  kompe- 
tente Lehrer  und  die  Lehre  von  den  menschlichen  Rechten  und 
Pflichten  im  Sinne  der  Unabhängigkeitserklärung  ersetzt  werden 
sollte,  damit  der  Ji^'gend  die  Fähigkeit  des  unabhängigen  Denkens, 
st)wie  der  Geist  des  wahren  Re])ublikanismus  und  Patriotismus  bei- 
gebracht werde ; 

das  Gebot  der  Sonntagsfeier ; 

die  Befreiung  des  Kircheneigentums  von  Steuern ; 

die  Anstellung  von  Kaplänen  für  den  Kongress.  die  Legisla- 
turen, die  Armee  imd  Elotte,  die  Gefängnisse  und  sonstige,  durch 
öffentliche   Steuern   erhaltene  Institute ; 

die  Anordnung  von  religiösen  Eest-  und  Fasttagen  durch  den 
Präsidenten  und  die  Staatsgouverneure ; 

die  Forderung  einer  Ablegung  des  Eides  auf  die  Bibel,  oder 
überhaupt  in  irgend  einer  religiösen  Form  ; 

die  Berücksichtigung  religiöser  Anschauungen  bei  der  Besetzung 
von  Aemtern,  oder  bei  offizieller  Schätzung  der  individuellen  Mo- 
ralität ; 

die  Unterstützung  religiöser  Tendenzen  oder  Institute  durch 
staatliche  ]\Iittel  oder  Manifestationen ; 

das  Prägen  oder  Drucken  religiöser  Formeln  auf  Münzen  und 
Dokumenten. 

Das  einzige  dem  Staat  zustehende  Recht  in  religiösen  Dingen 
ist  dasjenige  der  Selbstverteidigung  durch  Einschreiten  gegen  reli- 
giöse Organisationen,  w-elche  einen  Staat  im  Staate  bilden  und  durch 
ihre  Tendenz  und  Macht  die  Freiheit  gefährden,  namentlich  gegen 
diejenigen,  welche  dem  Befehl  einer  auswärtigen  Autorität  gehor- 
chen. 

Die  von  der  Konvention  angenommene  A'erfassung  des  Bun- 
des   der    Radikalen    er  fuhr    sehr    bald    \ve>eutliche    Ab.-mdcrungen, 

12 


Einer  ihrer  Bestininiungen  geniäsz  wurde  die  freie  denieinde  \()n 
Alilwaukee  zum  Bundesvororte  für  die  Zeit  bis  zur  nächsten  lUui- 
desversanimlung-  gewählt,  die  ihrerseits  die  fünf  MitgHeder  des 
Bundesvorstandes  aus  den  verschiedenen  radikalen  X'ereinen  Mil- 
waukees  w-ählte.  IVäsident  des  Vorstandes  wurde  \\".  Frankfurth 
und  Sekretär  Henrich  Ende.  Die  Wahl  des  Sekretärs  erregte  jedoch 
Anstosz,  weil  er  entschieden  kommunistische  Tendenzen  an  den 
Tag  gelegt  hatte,  und  da  er  sie  auch  nach  seiner  Wahl  zu  vertreten 
fortfuhr,  so  entspann  sich  ein  heftiger,  leider  durch  Persönlichkeiten 
verbitterter  Streit  in  der  radikalen  Presse,  in  welchem  die  Glieder 
des  Bundes  mehr  oder  weniger  entschieden  Partei  nahmen  und  wel- 
cher schlieszlich  zu  einer  wirklichen  Spaltung  innerhalb  desselben 
führte.  Nachdem  jedoch  der  erwähnte  Sekretär  sich  zuletzt  hatte 
bestimmen  lassen  zu  resignieren,  und  später  auch  die  übrigen  Mit- 
glieder des  Bundesvorstandes  ihr  Amt  einem  provisorischen,  aus 
fünf  unparteiischen  Personen  bestehenden  Bundesvorstand  über- 
tragen hatten,  gelang  es  diesem,  eine  X'ersöhnung  der  beiden  Par- 
teien herbeizuführen,  in  die  der  Bund  sich  getrennt  hatte,  und  zwar 
hauptsächlich  durch  die  Vorlage  einer  umgeänderten  X'erfassung, 
deren  Annahme  durch  schriftliche  Abstimmung  der  Bundesglieder 
erfolgte. 

Die  ursprüngliche  \'erfassung  erklärte,  ebenso  wie  die  des  Bun- 
des der  freien  Gemeinden,  als  leitenden  Grundsatz:  „Die  freie 
Selbstbestimmung  gemäsz  der  fortschreitenden  X'ernunft  und  Wis- 
senschaft auf  allen  Gebieten  des  Lebens."  In  der  neuen  X^erfassung 
war  dieser  Satz  fortgelassen,  aber  als  Zweck,  ähnlich  wie  in  der  ur- 
sprünglichen, angegeben :  ., Zweck  des  Bundes  ist  die  praktische 
Durchführung  der  in  der  jeweiligen  Platform  enthaltenen  Grurid- 
sätze  und  Forderungen  durch  die  organisierte  Wirksamkeit  seiner 
Mitglieder." 

Mitglied  des  Bundes  konnte  jede  Person  werden,  ohne  Unter- 
schied des  Geschlechts,  und  jeder  tatsächlich  organisierte  X'erein, 
wenn  sie  den  ersten  Jahresbeitrag  einsandten,  sich  mit  den  in  der 
Platform  ausgesprochenen  Grundsätzen  und  der  \'erfassung  ein- 
verstanden erklärten  und  dem  Bundesvorstände  nebst  dieser  Erklä- 
rung ihren  Beitritt  anmeldeten  oder  durch  ein  Bundesmitglied  an- 
melden lieszen.  Als  Bundesbeitrag  zahlte  jedes  einzelne  Mitglied, 
das  keinem  Biuidesvereine  angehörte,  jährlich  mindestens  einen  Dol 
lar,  und  jeder  nur  zu  einer  Stimme  berechtigte  Bundesverein  jähr- 
lich mindestens  fünf  Dollars,  und  für  jede  weitere  Stimiue  min- 
destens noch  einen  Dollar. 

Der  geschäftsführende  Teil  des  Bundesvorstandes  bestand,  wäe 
in  der  früheren  A'erfassung,  aus  fünf  Mitgliedern,  doch  war  ihm  nun 
noch  eine  Plülfsabteilung  von  sechs  Mitgliedern  zugefügt,  die  an 
verschiedenen  Orten  wohnten.  Im  Laufe  jedes  vierten  Jahres 
musste  eine  Bundesversammlung  stattfinden.  Der  Freidenker,  der 
auch  als  Turnzeitung  erschien,  und  dessen  Schriftleiter  Carl  Her- 
mann Boppe  war,  wurde  zum  Organ  des  Bundes  erklärt. 

Seine  Tätigkeit  bestand  hauptsächlich  in  der  \'erbreitung  seiner 
Grundsätze  durch  den  Freidenker  und  durch  radikale  Flugschriften, 


darunter  eine  Denkschrift  an  den  Kongress  in  Bezug  auf  die  Ah- 
scliafifung  der  Präsidentschaft.  Auch  erhesz  kurz  nach  Gründung 
des  Bundes  der  N'orstand  durch  seinen  Sekretär  H.  Ende  einen  Auf- 
ruf ,,an  alle  Freigesinnten  Nordamerikas",  in  dem  er  sie  zum  An- 
schluss  aufforderte  und  ihnen  den  leitenden  Grundsatz  und  die  haupt- 
sächlichsten Forderungen  der  Platform  mitteilte. 

Der  Bund  agitierte  besonders  für  die  Abschaffung  der  Präsi- 
dentschaft, indem  sein  Vorstand  zu  diesem  Zwecke  Flugblätter  aus- 
sandte und  1876  Ratschläge  zur  Ausfüllung  der  Stimmzettel  für  die 
damalige  Präsidentenwahl  erteilte.  Sie  sollten  die  Ueberschrift  ha- 
ben:  „Radical  Democracy.  Electors  for  the  State  at  large",  mit 
dem  Namen  des  Electors  des  jeweiligen  Distrikts  und  den  Namen 
solcher  Kandidaten  für  den  Kongress,  die  Legislatur  und  das 
County,  auf  welche  sich  die  betreft'enden  Staats-  und  Lokalorgani- 
sationen der  Radikalen  Demokratie  vereinigten.  Duch  wurden  bei 
dieser  Wahl  die  bescheidensten  Erwartungen  enttäuscht. 

Im  Jahre  1884  war  C.  H.  Hoppe  A'orsitzer  und  Carl  Ringer  pro- 
tokollierender Sekretär  des  ]:Umdesvorstandes,  und  die  von  Boppe 
verfasste  Propagandaschrift  für  die  Wahl  schloss  mit  dem  Satze: 
,.Also  weg  mit  der  Präsidentschaft  und  ihrem  monarchischen  An- 
hängsel, dem  Kabinet.  Ahme  man  der  Schweiz  nach  und  schaffe 
man  eine  reine  Exekutivgewalt,  in  Form  einer  Kollegialbehörde, 
deren  Mitglieder  zugleich  den  einzelnen  Geschäftsabteilungen  vor- 
stehen. Den  monarchischen  Präsidenten  verwandle  man  in  einen 
einfachen  Vorsitzenden  und  ])eschränke  seine  Amtsdauer  als  Vor- 
sitzender auf  ein  Jahr.  iM-st  dann  ist  die  monarchische  Spitze  ge- 
brochen und  das  Fahrwasser  der  Repu1)lik  sicher  erreicht." 

Uebrigens  hatte  Karl  lleinzen.  der  bewährteste  und  verdienst- 
volle Vorkämpfer  des  deutschamerikanischen  Radikalismus  schon 
seit  vielen  Jahren  in  seiner  Zeitung,  dem  Pionier,  die  Präsidentschaft 
als  unrepiiblikanisch  bekämpft. 

Im  August  1879  fand  die  zweite  'bagsatzung  des  Bundes  in 
Philadelphia  unter  dem  A'orsitze  Karl  Schmemanns  statt.  Die  Ver- 
handlungen betrafen  hauptsächlich  eine  Aenderung  der  Platform. 
wofür  drei  Vorlagen  in  IJctracht  kamen,  eine  von  der  geschäftsfüh- 
renden Abteilung  des  lUindes.  eine  von  Karl  Heinzen  und  eine  dritte 
von  der  Arlieiterpartci.  Die  erste,  die  nur  eine  weitere  Ausführung 
der  bestehenden  Platform  war,  'diente  als  Grundlage  der  Beratungen 
und  wurde  mit  nur  einigen  unwesentlichen  Abänderungen  angenom- 
men. Da  sie  jedc'Ch  l)ei  der  Ura])stimmung  mit  geringer  Mehrheit 
\-erworfen  wurde,  so  blicl)  die  ur-^prüngliche  Platform  m   Kraft. 

Es  wurde  unter  anderem  dann  noch  liesclilossen.  ein  Agitations- 
komitee zu  bilden  und  als  de?;sen  Sitz  Indianai~)olis  liezeichnet,  ferner 
dass  der  Bund  der  Rarlikalen  mit  Freuden  die  Annahme  radikaler 
Prinzi])ien  von  seiten  der  Turner  begrüszt,  auch  ein  Zusammengehen 
bei  Wahlen  mit  den  Sozialisten  nach  vorheriger  Einigung  über  ein 
gemeinschaftliches  Programm  befürwortet. 

Milwaukee  wurde  wieder  zum  A'orort  bestimmt.  Ferner  wur- 
den gewählt  für  die  Geschäftsführende  Vorstandsabteilung :  C.  Her- 
mann Boppe,  C.  DörHinger,  G.  Eyssen,  Maximilian  Groszmann  und 

14 


(-1,-1  Rinoer  und  für  die  1  lülfsabtciluno-:  h  Schröter  von  Sank 
City  W  s^  Karl  Hen..en  von  Boston,  Karl  Schn.en.ann  von  1  etroU. 
H  Lieber'von  Indianapolis.  Karl  P.orm  von  Philadelphia  und  F.  E. 
Schmitt  von  Elizabeth,  N.  J. 

berecht -un-  der  Frauen,  sowohl  was  das  Stimmrecht  als  die  Wähl- 
barst zu  \emtern  betrifft,  bereits  in  sechs  Staaten  anerkannt  woi- 
d  n  ^ImUch  m  Wyoming,  Colorado,  ^^' .^^'^^^^^^^^^ 
Tal  fornien   und  steht  bei  anderen  in  Aussicht.     Auch  die  KucKoe 
m  barke  t  der  X'olksvertre.er  in  den  gesetzgebenden  VersammUm- 

g   1 1  nd  der  vom  \-olke  gewählten  Beamten  be,  "«X'  n'    hträel      e 
*  r-1,  1       \'^,-cr^VilQo-Qrprht    (Initiative)    und   die   nacntragucne 

ittiSmtdes  Vdk'^^^^^^^^^^^  (Referendum)  habeii 

Anh^"     gewonnen  und  sind  m  einigen  Staaten  eingeführt  worden 
Im  ia  ive  und  Referendum,  als  Zusätze  zur  Staatsverfassung,  zuerst 
n  Süd  Dakota  am  8    Novai.ber  1898  durch  \^olksabstimmung      In 
llefcht  ^tte  ^^^^^^^^     die  Grundsätze  des  Sozialismus  ^  erbrei tung 
befunden  besonders  unter  den  Englischamerikanern,  und  Sozialisten 
befi^en  sich  gegenwärtig  bereits  als  \'olksvertreter  "^j,  I-ongre  s, 
in  Staa"seesetz%bungen  und  in  amtlichen  Stellungen      Ferner  sind 
Cesetze  frlasse?.  wofden,  oder  in  Aussicht,   zur   \  erbessermig  der 
LSe  dertrbefter,  zur  Beschränkung  der  Monopole  und  zum  Schutze 
des  Volles  gegen  Ausbeutung  durch  Korporationen      Noch  ande  e 
ReformfordSrungen  haben  Anhänger  gewonnen  und  Aussicht  aut 
Wrw^klkW      Bei   manchen   scheint  es   treilich   zweifelhaft    ob 
1  unteto  Gegenwärtigen  Umständen  das  allgemeine  Beste  for- 
dern "^rden    und  erst  di?  Erfahrung  muss  darm  die  Lehrmeistern 
seTn     Wenn  alles  für  und  durch  das  Volk  geschehen  so  1.  so    .t  da 
^rnndsätzhch  wohl  berechtigt,  aber  um  seine  \\  ohlf ahrt  aut  diese 
f\W  zu  fördern,  müsste  die  Masse  des  Volkes,  wie  schon  vorhin 
WprkJwurde    de  nötige  Einsicht,  Urteilskraft  und  Burgertugend 
be'tzen  Xe  welche  freiheitliche  Einrichtungen  allein  nur  geringen 
WetlXn     Leider  ist  das  Volk  in  seiner  Mehrheit  zu  dieser  Hohe 
menschlicher  Vollkommenheit  und  sittlicher  Bildung  noch  nicht  foit- 


geschritten. 


scheidene  Anzahl  von  Radikalen  bewies  durch  die  Tat,  dass  sie  die 


Wichtigkeit  einer  rührigen  Propaganda  erkannt  hatten  und,  um  sie 
zu  crniöghchen,  vor  kleinen  Opfern  nicht  zurückscheuten. 

Aelmliche  Erfahrungen  machte  auch  der  Bund  der  Radikalen. 
dessen  Mitgliederzahl  an  \'ereinen  und  einzelnen  Personen  verhält- 
nismäszig  gering  war,  und  hei  seiner  losen  Organisation  stand  ein 
gleiches  Schicksal  auch  für  ihn  in  Aussicht.  Bei  dem  Freidenker- 
kongress  in  St.  Louis  im  Oktoher  1904  war  er  nicht  vertreten.  Seine 
Prinzipien  hat  aber  der  Turnerbund  schon  seit  seiner  Gründung 
(1850)  befürwortet.  Bei  der  in  Cleveland  im  Mai  1878  abgehalte- 
nen Tagsatzung  ward  der  Freidenker  zum  Organ  des  Turnerbundes 
erwählt,  und  eine  lange  Reihe  von  Beschlüssen  gefasst,  die  unter 
dem  Titel  ..Prinzipielle  Beschlüsse"  der  Platform  des  Bundes  ange- 
fügt wurden.  .Sie  fanden  jedoch  keine  allgemeine  Anerkennung 
durch  die  Turner,  und  die  Teilnahme  an  der  Urabstimmung  über  ihre 
Annahme  war  nur  gering.  Obgleich  sie  .später  einige  Abänderungen 
erlitten,  so  stimmten  sie  jedoch  im  Jahre  1900  noch  in  allem  We- 
sentlichen, sogar  groszenteils  wörtlich,  mit  der  Platform  des  Bundes 
der  Radikalen  überein,  so  dass  damals  der  Turnerbund  als  Vertreter 
der  deutschamerikanischen  radikalen  Demokratie  zu  betrachten  war. 

lip  Konupntiou  öpr  IGibfralni 

fand  vom  i.  bis  zum  4.  Juli  statt  und  war  zahlreich  besucht.  Sie 
organisierten  sich  unter  dem  Xamen  National  Liberal  League,  fass- 
ten  eine  Reihe  Beschlüsse,  protestierten  gegen  das  Schlieszen  der 
Weltausstellung  an  Sonntagen  und  erlieszen  eine  ..Patriotische 
Adresse  an  das  \  olk  der  X'ereinigten  Staaten",  in  der  sie  ein  ..Re- 
ligious  Freedom  Amendment"  zu  der  N'erfassung  der  Vereinigten 
Staaten  befürworteten.  Die  Hauptpunkte  der  von  ihnen  angenom- 
menen A'erfassung  folgen  hier  in  deutscher  Uebersetzung : 

..In  Anljetracht.  dass  die  Verfassung  der  \'ereinigten  Staaten, 
von  Anfang  bis  ans  Ende,  dem  (iciste  wie  dem  lUichstaben  nach  auf 
dem  Grundsatze  der  vollständigen  Trennung  von  Staat  und  Kirche 
beruht,  und  dass  der  \  ertrag  mit  Tripolis,  welcher  von  Georg 
W  ashington  unterzeichnet  ist  und  einen  Teil  des  höchsten  Gesetzes 
dieses  Landes  bildet,  ausdrücklich  erklärt,  ,.dass  die  Regierung  der 
\'ereinigten  Staaten  in  keiner  A\'eise  die  christliche  Religion  zur 
(irundlage  hat"  : 

in  Anbetracht  ferner,  dass  trotz  dieser  Tatsachen  sowohl  in  der 
A'erwaltung  der  Nationalregierung,  wie  in  der  \"erwaltung  und  in 
den  X'erfassungen  der  einzelnen  Staaten  noch  vielfache  X'ermischun- 
gen  von  Staat  und  Kirche  aufrecht  erhalten  werden,  wodurch  der 
Geist  der  \'erfassung  der  Vereinigten  Staaten  und  jene  glorreiche 
Ueberlieferung  verletzt  wird,  nach  welcher  dieses  Land  ausschliesz- 
lich  den  natürlichen  Menschenrechten  geweiht  ist ; 

in  Anbetracht  endlich,  dass  die  Wohlfahrt  und  der  Frieden  der 
Republik,  wie  die  Sicherung  der  unbedingten  Religionsfreiheit  ihrer 
Bürger  und  die  kostbarsten  Interessen  der  Zivilisation  es  gleich- 
mäszig  erfordern,  dass  alle  politischen  und  erziehlichen  Einrich- 
tungen des  Ivandes,  welche  durch  allgemeine  Besteuerung  erhalten 

16 


werden,  auf  das  gewissenshaftesle  mit  dem  (jeiste  des  Staatsgrund- 
gesetzes in  Einklang  stehen  müssen : 

bilden  wir.  die  Mitglieder  des  Kongresses  der  Liberalen,  wel- 
cher bei  Gelegenheit  der  Jubelfeier  vom  i.  bis  zum  4.  Juli  1876  zu 
Philadelphia  zusammengetreten  ist,  hiermit  eine  dauernde  Organi- 
sation und  nehmen  die  folgende  \'erfassung  an  : 

Art.  1.  Der  Name  dieser  \'ereinigung  soll  The  National  Liberal 
League  sein. 

Art.  2.  Zweck  und  Ziel  dieser  A'ereinigung  ist  die  Durchfüh- 
rung der  gänzlichen  Trennung  von  Kirche  und  Staat,  damit  Gleich- 
berechtigung in  der  Religion,  wahre  Sittlichkeit  in  der  Politik  und 
Freiheit,  Tugend  und  Brüderlichkeit  im  gesamten  menschlichen  Le- 
ben fest  begründet,  beschützt  und  für  alle  Zeit  erhalten  bleiben 
mögen. 

Art.  3.  Als  ^Mittel  zur  Erreichung  dieses  Zweckes  stellt  die 
National  Liberal  League  die  folgenden  Maszregeln  auf.  zu  deren 
Befürwortung  und   X'erwirklichung  sie  sich  verpflichtet : 

1.  Die  Durchsetzung  der  Annahme  emes  Amendements  zur 
Verfassung  der  X'ereinigten  Staaten,  wodurch  die  völlige  Säkulari- 
sation der  Regierung  in  allen  ihren  Zweigen  und  Einrichtungen  ge- 
währleistet und  jedem  amerikanischen  Bürger  der  volle  Genuss  un- 
bedingter Religionsfreiheit,  ohne  irgend  welche  Belästigung,  Be- 
schränkung oder  bürgerliche  und  politische  Entrechtung  gesichert 
wird. 

2.  Die  gleichmäszige  Besteuerung  des  Kirchengutes ;  die  Ab- 
schaffung religiösen  Unterrichts  und  gottesdienstlicher  Uebungen 
in  den  öffentlichen  Schulen  :  die  ^\'iderrufung  aller  Zwangsgesetze 
in  Bezug  auf  die  Beobachtung  des  Sonntags  als  eines  Sabbaths;  das 
Aufhören  von  Geldbewilligungen  aus  öffentlichen  Mitteln  für  reli- 
giöse Einrichtungen  und  Zwecke  irgend  welcher  Art ;  die  Abschaf- 
fung aller  Kaplanstellen,  die  vom  Staate  besoldet  werden ;  die  Er- 
setzung des  gerichtlichen  Eides  durch  die  einfache  Wahrheitsaus- 
sage, unter  Beibehaltung  der  bisherigen  Strafen  für  Meineid ;  das 
\'erbot  der  Ansetzung  religiöser  Fast-,  Fest-  und  Feiertage  durch 
die  öffentliche  Gewalt;  die  Anerkennung  der  reinmenschlichen  Sitt- 
lichkeit und  der  allgemeinen  Wohlfahrt  und  der  Gerechtigkeit  gegen 
alle,  sowie  aller  anderen  Maszregeln,  welche  für  die  Durchführung 
der  gänzlichen  Trennung  von  Kirche  und  Staat  notwendig  sind. 

3.  Die  Beförderung  der  Bildung  und  \^ervielfältigung  von 
Liberal  Leagues,  als  örtlichen  Zweigvereinen,  durch  das  Land  hin. 
im  Einklänge  mit  den  Bestimmungen  dieser  A'erfassung,  damit  eine 
einheitliche  und  tatkräftige  Agitation  für  die  Annahme  des  Religious 
Freedom  Amendment  und  für  die  Verwirklichung  der  oben  aufge- 
führten Reformmaszregeln  ins  Werk  gesetzt  werde. 

4.  Die  durch  das  persönliche  und  materielle  Zusammenwirken 
der  Freigesinnten  des  ganzen  Landes  zu  ermöglichende,  gericht- 
liche \'erteidigung  eines  jeden  amerikanischen  Bürgers,  dem  die 
volle  Gleichberechtigung  in  religiöser  Hinsicht  versagt  wird,  oder 
der  um  seiner  oft'en  bekannten  religiösen  Ansichten  willen  irgend 
welche   Unterdrückung  erleidet." 

17 


Anszerdem  wurde  noch  die  Errichtung  eines  Liberal  Lecture 
Bureau  empfohlen,  durch  dessen  \'ermittelung  aller  Orten  Vorträgt 
und  \  orlesungen  im  Interesse  und  zur  Förderung  der  Bestrebunger 
der  League  veranstaltet  werden  sollten.  Die  übrigen  Artikel  ent- 
hielten die  näheren  Bestimmungen  über  die  Organisation  selbst,  über 
die  Pflichten  der  IJeamten.  über  die  Regelung  der  Wirksamkeit  der 
örtlichen   Zweigvereine   und   dergleichen   mehr. 

Francis  E.  Abbott  von  Boston  wurde  zum  Präsidenten  und  R. 
H.  Ranney  von  Boston  zum  Sekretär  gewählt.  Unter  den  Vize- 
präsidenten befanden  sich  F.  Schünemann-Pott.  San  Francisco, 
Rabbi  B.  Felsenthal,  'Chicago,  James  Lick,  San  Francisco,  Karl 
Heinzen,  Boston.  Rabbi  Isaac  M.  Wise,  Cincinnati,  und  Moritz 
Ellinger,  New  York. 

Die  von  Abbott  herausgegebene  Zeitung  The  Index  war  das 
Organ  der  National  Liberal  League.  Als  ihre  Fortsetzung  besteht 
gegenwärtig  die  American  Secular  Union  und  Freethought  Federa- 
tion,  deren  Organ  ,,The  Truth  Seeker,  a  Freethought  and  Agnostic 
Newspaper",  in  New  York  ist. 

(Quellen:  Geschichtliche  Mitteilungen  über  die  Deutschen 
Freien  Gemeinden  von  Nord-Amerika.  Blätter  für  freies  religiöses 
Leben.  Der  Freidenker.  Eine  Flugschrift  der  National  Liberal 
League.  Festzeitung  für  das  28.  Turnfest  des  Nordamerikanischen 
Turnerbundes  1900.  \'erschiedene  Rundschreiben  imd  Hefte  der 
Freisinnigen  \>reinigungen. ) 


Carl  Hermann  Boppe  wurde  am  21.  Juni  1842  in  Zug  in  der 
Schweiz  geboren.  Sein  \'ater,  ein  höherer  Verwaltungsbeamter, 
wurde  bald  darauf  nach  Baden  im  Kanton  Aargau  versetzt  und 
schlug  seinen  Wohnsitz  in  dem  nahegelegenen  Wettingen  auf.  Hier 
verlebte  der  junge  Flermann  glückliche  Jugendjahre  und  erhielt  eine 
vorzügliche  häusliche  Erziehung  und  eine  tüchtige  Schulbildung,  die 
ihn  befähigte  nach  Absolvierung  der  Volksschule  in  die  Kantons- 
schule in  Aargau  einzutreten,  wo  er  sich  auf  das  Studium  der  Rechts- 
wissenschaft vorbereitete.  In  der  Kantonsschule  bildete  er  sich  zum 
tüchtigen  Turner  aus  und  war  im  Kadettenkorps  einer  der  belieb- 
testen und  schlagfertigsten  Unteroffiziere. 

Ehe  er  sich  zum  Eintritt  in  die  Universität  rüstete,  ging  er  auf 
einige  Zeit  in  die  französische  Schweiz,  um  sich  in  der  französischen 
Sprache  zu  vervollkommnen.  Da  zwang  ihn  ein  ernstes  Augenlei- 
den, allen  weiteren  Studien  zu  entsagen.  Das  machte  auf  den  jun- 
gen, strebsamen  Alann  einen  niederschmetternden  Eindruck,  da  er 
gezwungen  war,  sich  einen  neuen  Berufskreis  zu  schaffen.  Im  Jahre 
1861  entschloss  er  sich,  der  wiederholten  Einladung  seines  Onkels, 
der  in  Newark,  N.  J.,  eine  Brauerei  besasz,  Folge  zu  leisten,  und 
kam  nach  Amerika,   wo  er  als  Buchhalter  in  das   Geschäft  seines 

18 


Onkels  eintrat.  Dem  hochstrebenden  Geiste  konnte  aber  der  nüch- 
terne W'irknni^skreis  nicln  Licnügen,  nnd  als  im  Jahre  1872  zur  Zeit 
der  Greeley-Kampagne  in  Newark  che  Post,  eine  unabhängige,  radi- 
kale deutsche  Zeitung,  ins  Leben  gerufen  wurde,  übertrugen  ihm 
die  Aktionäre  die  redaktionelle  Leitung  des  Blattes,  die  er,  obgleich 
Neuling  im  Berufe  der  Journalistik,  mit  groszem  Geschick  führte. 
In  den  bürgerlichen  Kreisen  Xewarks  stieg  sein  Ansehen,  und  sein 
Enthusiasmus  für  alle  Fragen  der  freisinnigen  Jugenderziehung, 
sowie  seine  hervorragende  Beredtsamkeit,  machten  ihn  so  beliebt, 
dass  ihn  der  freisinnige  deutsche  Schulverein  zu  seinem  Präsidenten 
wählte.  Als  Ende  1875  die  Post  einging,  übernahm  er  die  Redaktion 
der  Freien  Presse  in  Elizabeth. 

Auf  dem  Freidenkerkongress,  der  im  Jahre  1876  während  der 
Weltausstellung  in  Philadelphia  abgehalten  wurde  und  zur  Gründung 
des  Bundes  der  Radikalen  führte,  machte  Boppe  die  persönliche  Be- 
kanntschaft von  Karl  LIeinzen,  der  den  jungen  Mann  nach  jeder 
Richtung  auszeichnete,  und  für  den  Boppe  bis  zu  seinem  Tode  be- 
geisterte Hochachtung  hatte.  Im  Januar  1877  folgte  Boppe  dem 
Ruf  nach  Milwaukee  und  übernahm  die  Redaktion  des  Freidenkers, 
mit  welchem  später  der  Heinzen'sche  Pionier  verschmolzen  wurde. 
Als  1878  die  Tagsatzung  des  Nordamerikanischen  Turnerbundes  den 
Freidenker,  seiner  ausgesprochen  freisinnigen  und  radikalen  Ten- 
denz wegen,  zum  Organ  des  Bundes  wählte,  übernahm  er  auch  die 
Leitung  des  turnerischen  Teils,  worin  er  anfangs  von  Maximilian 
Groszmann,  später  von  dem  verstorl)enen  Heinrich  Köhler  und  dann 
von  Heinrich  Huhn  unterstützt  wurde. 

In  turnerischen  Kreisen  machte  sich  bald  sein  hoher  Einfluss 
geltend.  Seit  1878  war  er  auf  allen  Bundestagsatzungen  der  lei- 
tende Geist  und  der  treue  Eckhardt  des  radikalen  Fortschrittes. 
Die  Verschmelzung  des  Turnlehrerseminars  mit  dem  Nationalen 
Deutschamerikanischen  Lehrerseminar,  sowie  der  Bau  der  Bundes- 
turnhalle waren  sein  Werk.  Seit  1881  war  er  Präsident  des  Turn- 
lehrerseminars, mit  Ausnahme  der  Jahre  1890  und  1891,  während 
das  Seminar  seinen  Sitz  in  Indianapolis  hatte.  In  freigemeindlichen 
Kreisen  war  er  ebenfalls  unermüdlich  tätig,  und  an  der  Entwick- 
lung des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerseminars,  in  des- 
sen Direktorium  er  lange  Jahre  eine  maszgebende  Rolle  spielte,  nahm 
er  energischen  Anteil.  Für  vernunftgemäsze  Erziehung  der  Jugend 
trat  er  überall  mit  Enthusiasmus  ein.  Die  Erhaltung  und  \^erbrei- 
tung  deutscher  Sprache  und  Lebensanschauung  war  ihm  ein  Her- 
zensbedürfnis;  ebenso  schwärmte  er  für  deutsche  Kunst,  besonders 
für  Theater  und  :\Iusik.  als  der  beiden  mächtigsten  Kulturmittel 
deutscher  Sitte,  Sprache  und  Gewohnheiten. 

Auch  in  der  Freien  (iemeinde  von  Milwaukee  und  im  Bund  der 
Radikalen  nahm  er  eine  hervorragende  Stelle  ein.  und  im  öffentli- 
chen und  gesellschaftlichen  Leben  tauchte  keine  Frage  auf,  welche 
auf  durchdringende  fortschrittliche  Reformen  auf  politischem,  sozi- 
alem und  religiösem  Gebiete  abzielte,  die  in  ihm  nicht  einen  ener- 
gischen und  entschiedenen  Befürworter  hatte.  Zwar  wurde  er  in 
seinem  idealen  Streiken  oft  verketzert  und  verhöhnt.    Wie  jeder,  der 

19 


sich  voll  und  ganz  in  den  Dienst  des  Fortschrittes  stellt,  so  blieb  auch 
er  nicht  von  böswilligen  \  erfolgungen  und  \'erdächtigungen  ver- 
schont, aber  er  liesz  sich  dadurch  nicht  irremachen,  und  sein  Wirken 
im  Dienste  des  Fortschrittes  war  kein  fruchtloses.  Was  er  dem 
Turnerbunde  war,  was  er  im  Interesse  der  Aufklärung  und  der  frei- 
sinnigen Jugenderziehung-  getan,  gehört  der  Geschichte  an.  und  die 
Lücke,  welche  sein  Tod  in  die  Reihen  der  Fortschrittsarmee  ge- 
rissen, wird  noch  lange  schmerzlich  gefühlt  Averden. 

Am  25.  Mai  i88()  vermählte  er  sich  mit  Fräulein  Magdalena 
Schiesz,  die  bis  dahin  als  Lehrerin  an  einer  öffentlichen  Schule  tätig 
gewesen  war.  Seine  Ehe  war  eine  äuszerst  glückliche,  da  beide  Gat- 
ten von  den  gleiciien  Llealen  beseelt  waren  und  sicli  gegenseitig  in 
harmonischer  W'eise  ergänzten. 

Boppe  starb  am  12.  Januar  1899.  den  meisten  unerwartet,  da 
man  hoffte,  dass  sich  seine  Krankheit  zum  Besseren  wenden  werde. 
Die  höchst  eindrucksvolle  Leichenfeier  fand  am  Sonntag  dem  15. 
Januar  in  dem  Turnsaale  der  Bundesturnhalle  statt,  unter  äuszerst 
zahlreicher  Beteiligung,  zu  der  sich  auch  viele  Leidtragende  von 
auswärts  eingefunden  hatten.  Die  Gedächtnisrede  hielt  sein  lang- 
jähriger Kollege  und  ^Mitarbeiter  Heinrich  Huhn,  dem  noch  andere 
mit  Worten  der  X'erehnmg  und  Anerkennung  folgten,  worauf  zum 
Schluss  der  fast  endlose  Leichenzug  sich  nach  dem  Krematorium 
auf  dem  Friedhofe  von  Forrest  Home  bewegte,  wo  am  nächsten 
Tage  die  Verbrennung  vorgenommen  wurde. 

(Quelle:    Der  Freidenker  vom  22.  Januar   i8<)9.) 


IBaa  f rHtf  allg^ mrtnp  Surnfrst 
in  ö^n  HfmntgtPit  ^taatrn  umt  Nnr^amnika. 


Die  am  15.  Mai  1849  gegründete  Philadelphia  Turngemeinde 
feierte  am  2.  Juni  185 1  das  Fest  ihrer  Fahnenweihe,  und  die  begei- 
sterte Teilnahme,  die  das  gesamte  Deutschtum  diesem  Feste  ent- 
gegengebracht hatte,  erregte  bei  vielen  den  lebhaftesten  Wunsch, 
die  Turngemeinde  möge  ein  allgemeines  Turnfest  des  am  4.  und 
5.  Oktober  1850  in  Philadelphia  gegründeten  Turnerbundes  veran- 
stalten, von  dem  man  erwartete,  dass  es  grosze  L'nterstützung  hnden 
und  erfolgreich  sein  werde. 

Die  Turngemeinde  beschloss  deshalb,  sämtliche  Turner  von 
Nordamerika  zu  einem  solchen  Feste  einzuladen.  Ein  Festaus- 
schuss  wurde  ernannt,  ein  Festplatz  gesichert  und  am  7.  August 
folgendes  Einladungsschreiben  an  alle  Turnvereine  des  Landes  ge- 
sandt : 

,, Erstes   Allgemeines   Turnfest   in    Nordamerika,    gehalten    am 

29.  und  30.  September  1851  in  Philadelphia. 
Die  Turngemeinde  zu  Philadelphia  hat  beschlossen,  den  29.  und 
30.  September  d.  J.  ein  allgemeines  Turnfest  zu  veranstalten,  wozu 

30 


sämtliche  bekannte  Turnvereine  eingeladen  sind  und  teilweise  ihre 
Zusage,  die  Feier  des  Festes  durch  ihre  Gegenwart  zu  ehren,  bereits 
gegeben  haben.  Das  Fest  wird  aus  folgenden  Hauptabteilungen 
bestehen : 

Samstag,  den  2'..  und  Sonntag,  den  28.  September.  Empfang 
der  fremden  Turner.  Montag,  den  2().  Se])tember.  früh  7  l'hr.  Zug 
der  Turner  durch  die  Hauptstraszen  der  Stadt  und  dann  zur  Fest- 
feier im  Freien  auf  Lemon  Hill. 

Die  Festfeier  besteht  in  Schauturnen.  Abhalten  von  Reden  be- 
züglich des  Turnwesens,  und  in  geselligen  Unterhaltungen,  welche 
zum  \'ergnügen  und  zur  \'erhrüderung  der  verschiedenen  \'ereine 
dienen. 

Dienstag,  den  30.  Sei)tember.  Zug  sämtlicher  Turner  in  das 
Stadthaus  und  Independence  Square,  dann  Turnfahrt.  Zum  Schluss 
des  Festes  Ball. 

Alle  auswärtigen  Turner  sind  Gäste  der  hiesigen  X'ereine  und 
deren  Freunde.  Es  wird  aufs  beste  gesorgt  werden,  um  ilmen  den 
Aufenthalt  dahier  während  des  Festes  so  angenehm  als  möglich  zu 
machen. 

Für  den  Ausschuss :    H.   Leonhardt.   Sekretär." 

Da  der  im  Vorjahre  gegründete  Turnerbund,  trotz  aller  An- 
strengungen, sich  immer  noch  nicht  genügende  Geltung  hatte  ver- 
schaffen können,  so  berief  der  vorläufige  Bundesvorort  zu  New 
York,  in  \>rbindung  mit  dem  Feste,  eine  Turnertagsatzung,  die  am 
I.  und  2.  Oktober  zusammenkam. 

Die  Turnvereine  des  Landes  hatten  ihr  :\[.)glichstes  getan,  der 
Einladung  Folge  zu  leisten.  Ihre  Beteiligung  hatten  zugesagt  der 
Turnverein  und  der  Soziale  Turnverein  \-on  New  York,  der  Turn- 
verein von  Boston,  der  Soziale  Turn\erein  von  Baltimore  und  die 
Turnvereine  von  Newark  und  Readine.  Etwa  6oo  Turner  nahmen 
teil  am  Feste,  darunter  Gottfried  Kinkel,  (nistav  Struve  und  Papa 
Schlöft'el.  Das  Deutschtum  Philadelphias  hatte  alles  aufgeboten, 
den  Gästen  den  Aufenthalt  so  angenehm  als  möglich  zu  machen,  und 
verlief  denn  auch  das  Fest  in  glänzender  Weise. 

Dem  Programm  gemäsz  wurden  die  fremden  Turner  am  Sams- 
tag dem  2-].  September  in  der  South  Militarv  FI  all,  dem  Haupt- 
quartiere des  Festes,  groszartig  empfangen.  Der  Sonntag  war  zur 
Erholung  und  beliebigen  Unterhaltung  bestimmt,  sowie  zum  Em- 
pfange später  eintreffender  Gäste. 

km  Montag  versammelten  sich  die  Turner  schon  früh  im 
Flauptquartiere,  lieszen  ihre  Hörner  ertönen,  scharten  sich  um  ihre 
Banner  und.  vom  Jubelrufe  der  Philadelphier  begrüszt,  zogen  die 
Weiszjacken.  wie  man  die  Turner  damals  nannte,  durch  einige 
Hauptstraszen  der  Stadt  nach  dem  am  schönen  Schuylkill  gelegenen 
Festplatze  Lemon  ?Till.  An  der  Spitze  marschierten  die  Philadel- 
phier. nach  ihnen  kamen  die  Baltimorer.  militärisch  in  Riegen  ge- 
teilt, dann  die  New  Yorker,  voran  der  Riese  Saladin  mit  der  mach- 
tigen blutroten  Fahne.  Newarker.  Readinger  und  die  Philadelphier 
Sänger.  Die  einfache  Kleidung,  schöne  Haltung  und  das  kernhafte, 
gesunde  und  frische  Aussehen  der  Turner  erregten  allgemeinen 
Beifall,  '  ' 

31 


Auf  dem  festlich  geschmückten  Lemon  Hill  angelangt,  begann 
das  Schauturnen,  wobei  der  Turnwart  Louis  Sostmann  von  der 
Philadelphia  Turngemeinde  die  Leitung  übernahm,  dem  überhaupt 
allerseits  bereitwillig  Folge  geleistet  wurde.  Die  Vereine  von  New 
York.  Baltimore  und  Philadelphia  wetteiferten  in  olympischen  Spie- 
len und  manchem  wackeren  Turner  wurden  Hochs  von  der  versam- 
melten Menge  gespendet.  Ein  Turner  von  Baltimore  erklomm  die 
etwa  siebenzig  Fusz  hohe  Kletterstange  und  pflanzte  unter  allge- 
meinem Jubel  und  Jauchzen  die  Flagge  der  \'ereinigten  Staaten  auf, 
während  die  Musikbande  Ilail  Columbia  und  Starspangled  Banner 
spielte. 

Als  die  Reden  begannen,  bildeten  die  Turner  und  (jäste  einen 
Halbkreis,  und  der  erste  Sprecher  der  Turngemeinde,  Gustav  R. 
Bechler,  hiesz  dann  die  Festteilnehmer  in  herzlichen  Worten  will- 
kommen. Ihm  folgten  noch  in  kurzen  Ansprachen  die  Flerren  Ginal 
von  Philadelphia,  Ludvigh  vtm  naliimore.  Stein  und  Sigismund 
Kaufmaiui,  der  Bundessprecher,  beide  von  New  York.  Scheibel  von 
Brooklyn,  und  zum  Schluss  Gottfried  Kinkel,  der  die  Turner  er- 
mahnte, immer  und  immer  für  die  schöne  Sache  der  Turnerei  ein- 
zutreten und  nie  und  nimmer  die  Mission  der  Turner  Amerikas  zu 
vergessen.  Sie  sind  berufen,  den  Stamm  des  Erlösungsheeres  von 
der  Knechtschaft  zu  bilden.  Er  stellte  dann  einen  weiteren  Pionier 
der  Turnerei,  einen  alten  Freund  namens  Solomon  aus  Cincinnati, 
den  Nestor  der  deutschen  Turner  in  Amerika,  den  Turnern  vor.  Er 
war  seit  1830  in  diesem  Lande  und  schon  seit  1809  zu  den  Turnern 
zu  ziUilen.  Im  Jahre  181  f)  hatte  er  als  der  erste  Turnerapostel 
Deutschland  bereist,  und  wurde  wegen  seiner  Tätigkeit  von  der 
Despotie  in  den  Kerker  gesteckt,  von  v>^o  aus  er  später  nach  Amerika 
entwich.  Eine  von  ihm  gehaltene  Ansprache  fand  allgemeinen  Bei- 
fall. 

Es  herrschte  auf  dem  Festplatze  ein  fröhliches,  gemütliches 
Treiben,  bis  etwa  um  sechs  Lhr  abends  in  Reihen  von  vier  der 
Rückmarsch  zur  Stadt  angetreten  wurde.  Der  Abend  wurde  teils 
im  Hauptquartier,  teils  in  befreundeten  Kreisen  bei  gemütlicher 
Kneiperei  verbracht.  Man  muss.  wie  Franz  Arnold  bemerkt,  Phila- 
delphia kennen,  tun  sich  ein  Bild  der  dortigen  Gemütlichkeit  vorzu- 
stellen. Der  dicke  Georg  (Manger).  Engel  und  Wolf,  L.  Schmidt, 
Brurein,  Bergner.  Goll  und  andere  hatten  die  durstigen  Turner  ein- 
geladen, und  die  Philadelphier  Gesangvereine  verschönerten  den  ge- 
nussreichen Abend. 

Am  Dienstag  ^Morgen  um  acht  Uhr  wurde  vor  dem  Hauptquar- 
tier Aufstellung  zur  Parade  genommen,  worauf  der  Zug  zur  Unab- 
hängigkeitshalle marschierte.  Die  Fahnen  in  der  Mitte,  stellten  die 
Turner  sich  dort  im  Flalbkreis  auf  und  die  Musikbande  spielte  Hail 
Columbia.  Nachdem  der  Mayor  Charles  Gilpin  die  Turner  dann 
begrüszt  hatte,  hielt  der  Sprecher  der  Turngemeinde,  Gustav  R. 
I'echler,  eine  kurze  Ansprache,  und  ihm  folgte  Sigismund  Kauf- 
mann von  Ne\^■  ^'ork.  der  zeitweilige  Spreclier  des  Bundes.  Unter 
den  üblichen  Hochs  und  Gut-Heils  wurde  wieder  Aufstellung  ge- 
nommen, un<l   der  Zug  begab   sich  nun   nach   (leni    South-Straszen- 


Werft  am  Delaware,  von  wo  mit  dem  Dam}) f er  naeh  Red  Rank, 
einem  zu  jener  Zeit  g;esuchten  A'ergnügungsorte,  ein  Ausflug  ge- 
macht wurde,  von  dem  die  Turner  jedoch  schon  um  drei  Uhr  nach- 
mittags zurückkehrten. 

Zum  Schkisse  des  Festes  faud  abends  ein  groszer  Ball  im  Chi- 
nesischen Museum  statt,  der  glänzend  verlief  und  zum  Erdrücken 
voll  besucht  war.  Während  des  Abends  wurden  im  Saale  einige  ath- 
letische Kunststücke  aufgeführt.  Pyramiden  gestellt  und  Turner- 
chöre gesungen. 

Obgleich  damit  das  eigentliche  Turnfest  endete,  so  war  die  Tag- 
satzung am  Mittwoch  und  Donnerstag  noch  mit  der  Beratung  der 
lUmdesangelegenheiten  l)eschäftigt.  Die  übrigen  Turner  benutzten 
aber  diese  beiden  Tage  zu  fröhlichen,  geselligen  Unterhaltungen  und 
besuchten  die  Felsenkeller,  da  sie,  wie  schon  erwähnt  wurde,  zahl- 
reiche Einladungen  erhalten  hatten.  Bei  diesen  gemütlichen  Zu- 
sammenkünften trugen  Beter  Krämer  von  Philadelphia,  Weber  von 
New  York  und  Knauer  \-on  Baltimore  mit  köstlichem  Humor  uikI 
gesundem  ATutterwitz  viel  zur  Erheiterung  l)ei. 

Endlich  nahte  der  Freitag,  der  Tag  der  '^l'rennung.  Erst  zogen 
die  Baltimorer  heim.  Bir  wackerer  Gesangverein  schmetterte  nocli 
vom  Schifife  herab  das  schöne  Lied  ,, Blitzende  Speere'"  den  Gelei- 
tenden entgegen.  Tags  darauf  verlieszen  die  New  Yorker  die  Stallt 
der  Bruderliebe. 

\\^ähren(l  der  letzten  Tage  hatten  d'e  Delegaten  für  die  Tag- 
satzung mit  Eifer  ihre  Geschäfte  geordnet  und  für  künftiges  Jahr 
zwei  Turnfeste,  in  Cincinnati  und  in   üaltiniore  angeordnet. 

(Hauptquelle:  Dr.  Geo.  H.  L.  Haars  Aufsatz  in  der  Festzeitung 
des  28.  Turnfestes  des  Nordamerikanischen  Turnerbundes.) 

C.  F.  Huch. 


itp  0^röd|td|t?  nntt  ^i^pimxtm  hmUtixm  iSi^^ublik 

in  Amrrtka. 

Nach    ungedruckten    Quellen. 
"Ban  Prnfpssur  Sr.  il^rrman  2iaupt. 


Nach  dem  Zusammenbruche  der  französischen  Fremdherrschaft 
hatte  der  allgemeine  leidenschaftliche  AVunsch  nach  Erhaltung  und 
Stärkung  der  im  groszen  Befreiungskriege  bewährten  nationalen 
Eigenart  einen  gröszeren  Kreis  von  Patrioten  im  westlichen  Mittel- 
deutschland zu  enger  geistiger  Bundesgenossenschaft  zusammenge- 
führt. In  Ausführung  eines  von  Christian  Gottfried  Körner  und 
E.  M.  Arndt  ausgesprochenen  Gedankens  bildete  sich  in  den  Land- 
schaften am  INIittelrhein  und  unteren  Main  eine  Reihe  von  ,, Deut- 
schen Gesellschaften",  die  es  sich  zum  Ziele  setzten,  deutsche  Art, 
Zucht  und  Fn'nnmigkeit  zu  i)llegen,  und  der  besonders  in  den  frü- 
heren Kheinbundslaalen  noch  fortbestehenden  Hinneigung  zn  fran 

23 


zösischer  Sprache  und  (^eistesart  entge.^enzuarbciton.  Je  weniger 
die  \  erhancllungen  des  Wiener  Kongresses  dazu  angetan  waren,  die 
im  Kreise  Arndts  und  seiner  Gesinnungsgenossen  auf  die  Neuge- 
staltung Deutschlands  gesetzten  Hoffnungen  zu  verwirklichen,  in 
desto  entschiedenere  Gegnerschaft  wurden  die  in  jenen  Gesellschaf- 
ten vereinigten  Deutschgesinnten  gegen  die  leitenden  Mächte  de- 
Kongresses, namentlich  gegen  Üesterreich,  gedrängt.  Als  seit  dem 
Ende  des  Jahres  1814  der  Gegensatz  zwischen  Oester reich  und 
Preuszen  sich  in  der  Art  verschärfte,  dass  die  Möglichkeit  eines 
kriegerischen  Zusammenstoszes  recht  nahe  gerückt  schien,  da  reifte 
im  Schosze  jener  Gesellschaften  der  l'lan  zur  Gründung  eines  gro- 
szen  Geheimbundes,  der  sich  über  ganz  Deutschland  erstrecken  und 
die  Einigung  Deutschlands  unter  Preuszens  Führung  zu  seinem 
Wahlspruche  machen  sollte.  Unmittelbar  nach  der  Begründung  des 
Bundes  ist  dessen  Leiter,  Justizrat  Karl  lloft'mann  in  R(")delheim.  mit 
dem  Fürsten  FTardenberg  in  X'erliindung  getreten,  der  die  I^läne 
in  vollem  Umfange  billigte  und  seine  Ausbreitung  in  Süd-  und  Mit- 
teldeutschland eifrig  förderte.  Die  unglückliche  Wendung  der  preu- 
szischen  Politik  nach  dem  Abschlüsse  der  ..PTeiligen  Allianz"  hat 
jedoch  den  intimen  A'erbindungen  des  preuszischen  Staatskanzlers 
mit  dem  Hoft'mann'schen  Geheimbunde  ein  jähes  Ende  bereitet. 

Als  es  im  Herbst  181 5  zu  der  von  Berlin  aus  angeordneten  Auf- 
lösung des  Bundes  kommen  sollte,  zeigte  es  sich  aber  auch,  dass  die 
Geister,  die  man  .zur  Stärkung  von  Preuszens  Stellung  gerufen, 
nicht  alsbald  wieder  zu  bannen  waren.  Tn  dem  Augenblicke,  in  dem 
Preuszen  seiner  nationalen  Aufgabe  luid  zugleich  dem  Konstitu- 
tionalismus sich  zu  versagen  schien,  sehen  wir  einen  guten  Teil  der 
Mitglieder  jenes  ( ieheimbundes  in  leidenschaftlicher  Verbitterung 
einer  radikalen  demokratischen  Richtung  sich  zuwenden,  für  die 
der  Keim  in  der  politischen  Stimmung  dieses  von  den  Ideen  der 
französischen  Revolution  tiefgehend  beeinflussten  Kreises  ohnehin 
vorhanden  war.  Am  schärfsten  spitzte  sich  die  Gegnerschaft  gegen 
die  durch  die  Deutsche  Bundesakte  geschaffenen  politischen  Zu- 
stände Deutschlands  in  dem  Kreise  der  Gieszener  ..Schwarzen"  zu, 
die  mit  jener  Gruppe  radikaler  Politiker,  namentlich  den  beiden 
Brüdern  Wilhelm  und  Ludwig  Snell,  dem  Advokaten  Karl  Heinrich 
Hofmann  aus  Darmstadt  und  dem  Butzbacher  Konrektor  Weidig 
enge  Beziehungen  unterhielten.  In  den  von  den  Führern  der  Giesze- 
ner ., Schwarzen",  den  Brüdern  August  und  Karl  Folien,  im  Jahre 
t8i8  entworfenen  ..Grundzügen  für  eine  künftige  Reichsverfas- 
sung" wurde  geradezu  grundsätzlich  jede  Anknüpfung  an  das  his- 
torisch Gegebene  abgelehnt :  das  einzige  Heil  wurde  vielmehr  in  der 
Verwirklichung  der  Theorien  des  ..Contrat  social"  und  von  der 
Durchsetzung  der  republikanischen  Staatsform  erwartet.  Das  war 
die  Antwort  der  heiszblütigen  Jugend  auf  die  Festsetzung  der  Deut- 
schen Bimdesakte.  ..der  unwürdigsten  A'erfassung  die  ie  einem 
groszen  Kulturvolk  von  eingeborenen  Herrschern  auferlegt  wor- 
den war." 

Am  23.  März  18x9  ist  der  in  den  weitesten  akademischen  Krei- 
sen als  Werkzeug  des  russischen  Despotismus  verhasste  August  von 
Kotzebue  unter  dem  Dolche  des  Jena'schen  Burschenschafters  Sand 

24 


gefallen.  Karl  Folien  und  seine  .,L  nbedingten"  erwarteten  damals 
mit  Zuversicht,  dass  diese  Tat  das  Zeichen  zu  einer  allgemeinen 
\'olkserhebung  und  zur  Aufrichtung  des  deutsch-christlichen  l-'rei- 
staates  geben  werde.  Um  so  grausamer  war  die  Enttäuschung  der 
„Schwarzen"  und  ihrer  älteren  \'erbündeten,  als  es  sich  zeigte,  dass 
die  breiten  \^olksmassen  nach  wie  vor  in  vollständiger  Apathie  ver- 
harrten. xAls  dann  im  Gefolge  tler  Karlsbader  Beschlüsse  die  Kne- 
belung der  Presse,  die  Unterdrückung  der  akademischen  Freiheit 
und  die  X'erfolgung  der  hervorragendsten  Patrioten  durch  die 
Mainzer  Untersuchungskommission  ohne  Widerspruch  der  \'olks- 
kreise  im  ganzen  Bundesgebiete  vor  sich  ging,  da  konnte  auch  Karl 
Pollens  eiserner  Starrsinn  sich  der  Erkenntnis  nicht  länger  ver- 
schlieszen,  dass  seine  und  seiner  Gesinnungsgenossen  Rolle  in 
Deutschland  ausgespielt  sei. 

Ein  merkwürdiges  Zeugnis  dafür  besitzen  wir  in  einer  unter 
den  Papieren  von  Follens  X'ertrauten.  dem  Wetzlarer  Gymnasial- 
direktor Ludwig  Snell.  beschlagnahmten  Denkschrift,  die  uns  mit 
Follens  Plan  bekannt  macht,  durch  die  gemeinsame  Auswanderung 
der  deutschen  Demokraten  nach  Nordamerika  die  Grundlage  für 
die  Bildung  eines  Deutschen  Idealstaates  auf  dem  Boden  der  Neuen 
Welt  zu  schaffen.  \"on  düsterer  Resignation  diktiert,  stellt  die  Ein- 
leitung di-eser  zu  Ende  des  Jahres  1819  verfassten  Denkschrift  fest, 
dass  eine  Gesundung  der  deutschen  \>rhältnisse  in  absehbarer  Zeit 
nicht  zu  erhoft'en  sei:  „Statt  X'olkseinheit  und  allgemeiner  gleicher 
Freiheit  ist  uns  X'olkszerstückelung  und  allgemeine  gleiche  Knecht- 
schaft geworden.  Ackerbau  und  (iewerbe  sind  durch  übermäszige 
Steuern  und  Mauten  niedergedrückt,  die  Geistesfreiheit  ist  nahezu 
vernichtet ;  Unabhängigkeit  der  Gerichte,  Sicherheit  des  Einzelnen, 
alle  Rechte  des  Menschen  und  des  Bürgers  werden  verhöhnt,  und 
dieser  ganze  Inhalt  des  gemeinen  Elends,  das  durch  die  Bundestags- 
beschlüsse vom  September  vollendet  worden,  wird  durch  eine  Form 
zusammengehalten,  die  nur  zur  Unterdrückung  jeder  innerhalb  der- 
selben aufkeimenden  Freiheit  wirken  wird."  Steht  somit  fest,  dass 
das  Schicksal  des  X'aterlandes  vom  Lichte  zur  Finsternis  und  zum 
allgemeinen  \'erderben  sich  abgewendet  hat,  so  kann  doch  dieses  Ver- 
hängnis den  deutschen  Patrioten  weder  im  Glauben  an  sein  \'olk 
wankend  machen  noch  in  seinem  Entschlüsse,  ,,das  Urbild  der 
Menschheit  im  eigenen  X'olke  zu  retten  und  aufrecht  zu  erhalten." 
Da  nun  aber  ein  Wirken  zum  wahren  Wohle  des  X'aterlandes  auf 
deutschem  Boden  unmöglich  gemacht  worden,  so  gilt  es,  im  Aus- 
lande eine  Freistätte  zu  suchen,  für  die  nur  die  nordamerikanischen 
Freistaaten  in  Betracht  kommen  können. 

An  die  Gründung  einer  „alle  Zweige  des  Wissens  umfassenden 
deutschen  Bildungsanstalt"  in  Amerika  knüpft  Folien  die  weitest- 
gehenden Hoffnungen.  Sie  soll  erstlich  den  politisch  \>rfolgten 
eine  Zuflucht  gewähren,  ferner  unter  den  Deutschamerikanern  die 
Liebe  zu  ihrer  vaterländischen  Art,  Sprache  und  Bildung  stärken 
und  dadurch  der  Erhaltung  des  Deutschtums  dienen.  Wenn  es  fer- 
ner Folien  als  die  höchste  Aufgabe  des  amerikanischen  Gemein- 
wesens gilt,  die  Idee  der  Freiheit  und  Gleichheit  in  reinster  Form  zu 

25 


verwirklichen,  so  muss  „von  Deutschland,  als  dem  Mittelpunkte  der 
ganzen  neueren  Bildung,  auch  für  Amerika  der  tiefe  geistige  Gehalt 
ausgehen,  der  allein  die  Grundlage  seines  VVeltstrebens  ausmachen 
kann."  Aus  diesem  Grunde  wünscht  denn  Folien  auch,  dass  der 
nach  Amerika  auswandernden  , .Lehrergemeinde"  sich  auch  andere 
deutsche  Auswanderer  anschlieszen  und  für  die  Zwecke  der  ,,teut- 
schen  Bildungsanstalt"  tätig  sind.  ,,Auf  diese  Weise  kann  es  ge- 
lingen, die  Teutschen  in  Nordamerika  zu  einem  auf  dem  Kongresse 
vertretenen  Staat  zu  verbinden,  der  ein  Vorbild  für  das  Mutterland 
und  in  vielfacher  Beziehung  für  seine  Befreiung  wichtig  werden 
kann."  Die  Begründung  und  Erhaltung  der  geplanten  deutschen 
Volkshochschule  sollte  von  vornherein  durch  eigene  Mittel  sicher 
gestellt  werden,  deren  Gewinnung  Pollens  Denkschrift  in  erster 
Linie  dienen  wollte.  Als  Mitglieder  der  ,, Lehrergemeinde"  waren 
auszer  Karl  Folien  und  seine  Genossen  aus  dem  Kreise  der  ,, Schwar- 
zen" wohl  zunächst  die  um  ihrer  freisinnigen  Haltung  willen  von 
ihren  Lehrstühlen  verdrängten  Universitätslehrer,  wie  Oken,  Fries 
und  de  Wette,  und  die  Brüder  Wilhelm  und  Ludwig  Snell  in  Aus- 
sicht genommen. 

Im  Gieszener  Kreise  rüstete  man  sich  zu  Beginn  des  Jahres 
1820  schon  ernstlich  zur  Reise  in  die  Neue  Welt.  Ein  unter  den 
Papieren  eines  der  ..Schwarzen"  gefundenes  Gedicht  gibt  den  Em- 
pfindungen, die  Follens  Freunde  damals  erfüllten,  stimmungsvollen 
Ausdruck.  Wenigstens  die  Schlusstrophe  dieses  ..Abschiedes  vom 
Vaterlande"  sei  hier  mitgeteilt : 

„Ein  neues  Vaterland  geh'  ich  zu  finden. 
Wo  Vater  Franklins  frische  Seele  baute. 
Die  münd'ge  Welt  der  eignen  Kraft  vertraute. 
Der  Freiheit  junges  Licht  sich  will  entzünden! 
Da  drüben  wächst  sie  auf  zur  jungen  Eiche. 
Wir  bringen  Zunder  zu  den  regen  Flammen, 
Zum  neuen  Kreuzzug,  zum  gelobten  Reiche. 
Rom  ist,  wo  freie  Römer  stehn  zusammen !" 

Wenige  Tage,  nachdem  Karl  Folien  seine  Denkschrift  an  Lud- 
wig Snell  in  Wetzlar  bekannt  gegeben  hatte,  wurde  diese  am  9.  Ja- 
nuar 1820  bei  Snells  Verhaftung  mit  dessen  übrigen  Papieren  be- 
schlagnahmt. Karl  Folien,  der  in  Gieszen  über  die  Verfasserschaft 
der  Denkschrift  vernommen  werden  sollte,  ergrifl^  die  Flucht  und 
fand  gleich  zahlreichen  anderen  freisinnigen  deutschen  Gelehrten 
ein  Asyl  in  der  Schweiz,  wo  er  an  der  Baseler  Universität  von  1821 
bis  1824  als  Lektor  der  Rechtswissenschaft  wirkte.  Als  Oesterreich 
und  Preuszen  wegen  seiner  neuen  politischen  Umtriebe  1824  von 
der  Schweiz  die  Auslieferung  Follens  forderten,  flüchtete  er  nach 
Nordamerika  und  ist  hier  durch  seine  glänzenden  Vorlesungen  über 
deutsche  Literatur  für  die  Einbürgerung  deutscher  Wissenschaft 
und  Dichtung  in  den  amerikanischen  Kreisen  in  erfolgreichster 
Weise  tätig  gewesen. 

Während  Karl  Folien,  soweit  wir  sehen,  auf  den  Plan  einer 
deutschen  Massenauswanderung  nach  Amerika  nicht  mehr  zurück- 

36 


kam,  nahm  im  Jahre  1833,  als  abermals  jede  Aussicht  auf  eine  frei- 
heitliche Gestaltung  der  deutschen  \'erhältnisse  geschwunden  schien, 
Karl  Pollens  jüngerer  Bruder  Paul,  damals  ein  vielbeschäftigter,  in 
Gieszen  hochangesehener  Advokat,  jenen  Gedanken  wieder  auf. 
Eine  von  den  drei  ehemaligen  Gieszener  , .Schwarzen",  dem  Pfarrer 
Friedrich  IMünch,  dem  Advokaten  Ch.  von  Burig,  Paul  Folien,  sowie 
des  letzteren  Schwager,  Universitätsprofessor  Vogt  (dem  Vater 
Karl  Vogts)  unterzeichnete  Denkschrift  vom  Jahre  1833  gab  der 
Ueberzeugung  Ausdruck,  ,,dass  uns  die  Verhältnisse  in  Deutschland 
weder  jetzt  noch  für  die  Zukunft  gestatten,  die  Anforderungen,  die 
wir  als  Menschen  und  Staatsbürger  für  uns  und  unsere  Kinder  an 
das  Leben  machen  müssen,  zu  befriedigen",  und  dass  ,,nur  ein 
Leben,  wie  es  in  den  freien  Staaten  Nordamerikas  möglich  ist,  uns 
und  unseren  Kindern  genügen  könne." 

Die  geplante  „Auswanderung  im  Groszen"  sollte  die  tüchtigen 
deutschen  Elemente  zusammenhalten  und  in  Nordamerika  ein  echt 
volkstümliches  Leben,  ein  von  Kastengeist,  Standesdünkel  und  dem 
Zwange  kleinlicher  Modesucht  und  Verwöhnung  freies,  auf  den 
wahren  Geist  des  Christentums  gegründetes,  verjüngtes  Teutschland 
erstehen  lassen.  Das  Ziel  der  Auswanderung  sollte  das  damals  noch 
nicht  staatlich  organisierte  Territorium  Arkansas  sein.  An  die  erste, 
von  Münch  und  Paul  Folien  geführte  Auswanderungsgesellschaft, 
die  1834  in  einer  Stärke  von  etwa  fünfhundert  Köpfen  abging,  soll- 
ten sich  alljährlich  neue  deutsche  Kolonien  anschlieszen,  bis  diese 
endlich  als  ein  eigener  deutscher  Freistaat  an  die  Union  angegliedert 
werden  könnten.  Die  Verfassung  der  ersten  Kolonie  war  im  voraus 
bis  ins  Einzelne  festgelegt ;  namentlich  war  die  Haltung  von  Sklaven 
bei  Strafe  der  Ausschlieszung  verboten.  Der  deutschamerikanische 
Muster-Freistaat  sollte,  so  hoffte  man,  auch  auf  die  freiheitliche 
.Entwicklung  des  alten  Vaterlandes  eine  wohltätige  Rückwirkung 
ausüben. 

Das  mit  so  hochfliegendem  Idealismus  ins  Werk  gesetzte  Un- 
ternehmen schlug  infolge  unzweckmäsziger  \'orbereitung  und  un- 
glücklicher Zwischenfälle  fehl.  Paul  Folien  sah  seine  Auswanderer- 
schar, von  der  er  in  Unfrieden  geschieden,  sich  nach  allen  Rich- 
tungen hin  zerstreuen  und  hatte  eine  Reihe  weiterer  schmerzlicher 
Enttäuschungen  erlebt,  als  er  1844  auf  seiner  Farm  in  Missouri  dem 
Tropenfieber  erlag.  Friedrich  Münch,  zu  dem  sich  bald  auch  sein 
jüngerer  Bruder  Georg,  gleichfalls  ein  alter  Gieszener  „Schwarzer", 
gesellt  hatte,  kämpfte  sich  tapfer  durch.  In  hartem  Ringen  in  der 
Wildnis  von  Warren  County  am  Missouri  gelangte  er  zu  Wohl- 
stand und  Ansehen,  wurde  zum  Staatssenator  gewählt,  wirkte  in 
erfolgreicher  Weise  für  die  Sklavenemanzipation  und  entfaltete  da- 
neben eine  ungemein  rührige  literarische  Tätigkeit.  Als  einer  der 
volkstümlichsten  und  angesehensten  Vertreter  der  alten  Generation 
des  Deutschamerikanertums  hat  sich  der  tapfere  Pionier  den  Un- 
abhängigkeitssinn und  den  Idealismus  seiner  stürmischen  Jugendzeit 
bis  ins  hohe  Greisenalter  und  bis  zu  seinem  Tode  (1881)  bewahrt. 

(Quelle:    Der  Freidenker  vom  11.  August  1907.) 

27 


August  Srürkurr. 


Zu  den  Männern,  die  sich  eifrig  bemühten,  die  Cjrundsätze  der 
repubhkanischen  Partei  unter  den  Deutschen  i'hiladelphias  zu  ver- 
breiten, und  1856  und  1860  ihre  Unterstützung  Fremonts  und  Lin- 
cühis  bei  den  Präsidentenwahlen  zu  gewinnen,  gehört  auch  August 
Brückner.  Er  wurde  am  27.  Alai  1828  in  W'ürzburg  geboren.  Seine 
Familie  gehörte  dem  Judentume  an,  doch  scheint  der  freisinnige  und 
unabhängige  Geist  seines  \'aters  ihn  schon  frühzeitig  atif  die  Bahn 
der  geistigen  Freiheit  hinübergeleitet  zu  haben.  Fme  sorgfältige 
Schulerziehung,  eigener  Bildungsdrang  und  die  Erfahrung  des  Le- 
bens machten  ihn  bald,  seinen  Jahren  weit  voraus,  zum  reifen,  klaren 
und  praktisch  tüchtigen  Mann.  Er  war  Kaufmann  und  hatte  als 
solcher  durch  Fleisz  und  Eifer  sich  in  Philadelphia  bald  eine  ge- 
sicherte und  für  die  Zukunft  vielversprechende  Stellung  erworben. 
Aber  das  sonst  in  diesem  Lande  alles  verschlingende  „Geschäft"  war 
nicht  im  stände,  ihn  von  der  Teilnahme  an  den  höheren  Interessen 
des  Lebens  abzuziehen.  \'or  allen  Dingen  gab  er  sich  ganz  und  gar 
den  Bestrebungen  der  freien  (Gemeinde  zu  eigen  und  er  hat  der 
Philadelphier  Gemeinde  von  ihrer  (Gründung  an  als  einfaches  Mit- 
glied, als  Schriftführer,  als  Schatzmeister,  als  Mzepräsident  und 
Präsident  mit  einem  Eifer  und  einer  Treue  ohne  (^deichen  gedient. 
Er  wurde  auch  mehremale  zum  Präsidenten  der  Gemeinde-Lieder- 
tafel, der  jetzigen  Harmonie,  gewählt  und  war  1857  einer  ihrer 
Delegaten  beim  siebenten  allgemeinen  Sängerfeste  in  Philadelphia. 
Auch  bei  jedem  sonstigen  gemeinnützigen  Unternehmen  war  er 
stets  mit  in  den  ersten  Reihen  beteiligt,  so  dass  er  sich  die  allge- 
meinste Anerkennung  und  Achtung  erwarb. 

Als  der  Bürgerkrieg  ausbrach  und  der  Norden  sich  zum  Kampfe 
für  die  Erhaltung  der  Union  rüstete,  schloss  Brückner  sich  zunächst 
der  von  der  Liedertafel  der  freien  Gemeinde  gebildeten  Schützen- 
kompanie der  Home-Garde,  den  Freemen's  Rifles.  an  und  ward  von 
ihr  zum  Leutnant  gewählt,  trat  aber  später  als  Hauptmann  unter 
(Oberst  Koltes  in  das  y;^.  Regmient  der  Freiwilligen  Pennsylvaniens. 
Was  ihm  an  kriegerischer  Erfahrung  abging,  ersetzte  er  bald  durch 
eisernen  Fleisz  und  gewissenhafte  Berufstreue,  so  dass  er  von  seinen 
Obern  geschätzt,  von  seinen  Kameraden  geachtet,  von  seinen  Leuten 
geliebt  ward.  Es  gab  kein  braveres  Herz  in  der  deutschen  Division. 
Er  machte  mit  ihr  den  ganzen  Feldzug  mit.  und  war  eben  von  den 
Offizieren  seines  Regiments  zum  Major  gewählt  worden,  als  der 
Rückzug  von  Rappahanok  began,  der  mit  den  blutigen  Schlachten  bei 
Manassas  oder  Bull  Run  endigte.  Hier  ist  er  am  30.  Aug.  1862,  dem 
zweiten  Schlachttage,  an  der  Spitze  seines  Regiments,  fast  gleichzei- 
tig mit  seinem  Obersten  Koltes,  der  die  Brigade  befehligte,  durch 
eine  feindliche  Kugel  gefallen.  Er  starb  wie  ein  Held,  seiner  Ueber- 
zeugung  getreu,  und  selbst  im  Tode  noch  mehr  um  das  Schicksal 
seiner  Leute,  als  um  sein  eigenes  Ende  bekümmert. 

G.  F.  Huch. 

28 


(guatati  KHrnrr. 


(lustav  Körner  wurde  am  20.  November  1809  als  Sohn  eines 
wohlliabendcn  1  Buchhändlers  in  ]'"rankfurt  am  Main  geboren  und 
bezog,  nach  gründlicher  X'orbildung,  im  Jahre  1830  die  Universität 
in  Jena,  wo  er  sich  dem  Studium  der  Rechtswissenschaft  widmete 
und  es  auf  den  Universitäten  in  München  und  Heidelberg  fortsetzte. 
Zur  Zeit,  als  in  Deutschland  die  \'erfolgung  gegen  die  freiheitsbe- 
geisterten Studentenverbindungen  und  Burschenschaften  ins  Werk 
gesetzt  wurde,  ward  auch  er  in  Untersuchungshaft  gezogen  und 
erst  nach  vier  Monaten  wegen  Mangel  an  Beweisen  wieder  in  Frei- 
heit gesetzt.  Im  Jahre  1832  beendete  er  seine  Studien  und  liesz  sich 
als  Rechtsanwalt  in  seiner  ^'aterstadt  nieder.  Die  freiheitsfeindli- 
chen Maszregeln  des  deutschen  Bundestages  hatten  am  3.  April  1833 
einen  Aufstand  der  nach  Freiheit  und  Einheit  strebenden  Bürger 
Frankfurts  zur  Folge,  an  dem  auch  Körner  sich  beteiligte  und  bei 
dem  Sturm  auf  die  Haupt  wache  verwundet  wurde.  Doch  gelang 
es  ihm.  sich  durch  rechtzeitige  Flucht  der  \'erfolgung  und  langer 
schwerer  Gefangenschaft  zu  entziehen.  Fr  ging  mit  anderen  Ge- 
sinnungsgenossen nach  Amerika  und  siedelte  sich  im  Juli  1833  in 
Belleville,  111.,  an,  das  bis  zu  seinem  Tode  seine  Heimat  blieb.  Um 
sich  eine  genauere  Kenntnis  amerikanischer  Rechtsformen  zu  sichern 
und  auch  in  der  englischen  Sprache  sich  zu  vervollkommnen,  bezog 
er  die  Rechtsschule  in  Lexington.  Ky.,  wo  er  zwei  Jahre  blieb  und 
dann  die  Praxis  als  Rechtsanwalt  in  Belleville  aufnahm.  Er  erwarb 
sich  bald  ein  hohes  Ansehen  als  Rechtskundiger  und  eine  ausgedehnte 
Klientel,  deren  Interessen  er  mit  groszem  Scharfsinn  und  in  fähig- 
ster Weise  vertrat.  Im  Jahre  1838  veröfif entlichte  er  ein  wertvolles 
Handbuch  in  deutscher  Sprache,  in  w^elchem  er  die  bestehenden  Ge- 
setze mit  erläuternden  Anmerkungen  zum  Verständnis  seiner  deut- 
schen Mitbürger  brachte.  A'on  1842  bis  1843  war  er  Mitglied  der 
Staatsgesetzgebung  von  Illinois;  von  1845  '^'^  ^^S^  ^^''^''  s''  Mitglied 
des  obersten  Gerichtshofes  des  Staates,  und  von  1853  bis  1857  \"ize- 
gouverneur.  \\'ie  alle  vor  dem  Jahre  1848  in  dieses  Land  eingewan- 
derte Deutsche  schloss  auch  er  sich  der  demokratischen  Partei  an. 
Als  ausgesprochener  Gegner  der  Sklaverei  sagte  er  ihr  jedoch,  als 
sie  sich  zum  willenlosen  Werkzeug  der  südlichen  Sklavenhalter 
machte.  \^alet  und  trat  im  Jahre  1856  in  die  Reihen  der  republika- 
nischen Partei.  Als  im  Jahre  i86t  die  Rebellion  ausbrach,  organi- 
sierte er  das  43.  Freiwilligen-Regiment  von  Illinois,  das  ihm  zu 
Ehren  den  Namen  Körner-Regiment  erhielt,  und  trat  dann  mit  dem 
Range  eines  Obersten  in  den  Stab  von  General  Fremont,  als  Judge 
Advocate.  Nach  Fremonts  A^ersetzung  auf  den  östlichen  Kriegs- 
schauplatz wurde  er  dem  Stabe  Hallecks  zugeteilt,  aber  schwankende 
Gesundheit  zwang  ihn  bald  darauf,  aus  dem  Militärdienst  auszu- 
scheiden. Im  Jahre  1862  ernannte  ihn  Lincoln  zum  Gesandten  in 
S])anien.  welchen  Posten  er  zwei  und  ein  halbes  lahr  in  vorzügli- 
cher Weise  bekleidete.     Seine  Erfahrungen  und  Erlebnisse  in  Spa- 

29 


nien  schilderte  er  in  hübscher  Form  in  einem  Büchlein,  das  viele 
Leser  fand.  Im  Jahre  1870  wurde  er  zum  Präsidenten  der  ersten 
staatlichen  Eisenbahnkommission  von  Illinois  ernannt. 

Als  die  republikanische  Partei  sich  immer  mehr  als  eine  kor- 
rupte Beutepartei  entwickelte,  sagte  er  sich  auch  von  dieser  los  und 
schloss  sich  der  liberalen  Bewegung  an,  die  im  Jahre  1872  Greeley 
als  Gegenkandidat  von  Grant  für  die  Präsidentschaft  ins  Feld  stellte 
und  namentlich  unter  den  Deutschen  groszen  Anhang  fand.  Zu 
jener  Zeit  machte  Körner  einen  Ausspruch,  der  sich  bald  zum 
Schlagwort  für  die  ganze  Wahlkampagne  gestaltete.  Auf  die  Frage, 
für  wen  er  stimmen  würde,  sagte  er:  , .Zwischen  Grant  und  Greeley, 
allemal  für  Greeley."  Er  selbst  wurde  in  dieser  Kampagne  von  den 
Liberalen  zum  Gouvernenrskandidaten  ernannt,  unterlag  aber  in  der 
Wahl.  Von  der  Zeit  an  zog  er  sich  aus  dem  öffentlichen  politischen 
Leben  zurück,  lieh  aber  in  nationalen  Wahlen  der  demokratischen 
Partei  seine  Unterstützung,  obschon  auch  gegen  diese  sich  Selb- 
ständigkeit im  L'rteile  wahrend.  Er  widmete  sich  nun  wieder  der 
Rechtspflege  und  war  namentlich  in  Fragen  des  konstitutionellen 
Rechtes  eine  hervorragende  Autorität.  In  seinen  Muszestunden  wid- 
mete er  sich  schriftstellerischen  Arbeiten.  So  lieferte  er  anfangs 
der  achtziger  Jahre  einen  wertvollen  Beitrag  zur  Geschichte  des 
Deutschamerikanertums  nüt  seinem  Buche:  ,.Das  deutsche  Element 
in  den  Vereinigten  Staaten  von  1818  bis  1848."  Auch  als  ^litarbei- 
ter  an  hervorragenden  deutschen  und  englischen  Zeitschriften  war  er 
tätig,  und  alle  seine  Arbeiten  zeichneten  sich  durch  einen  klassischen 
Styl,  durch  scharfsinnige  Ausführung  und  durch  klares  objektives 
Urteil  aus.  Als  Lieblingsthema  behandelte  er  die  politischen  Vor- 
gänge in  Europa  und  Amerika  und  die  Kritik  über  diese  Fragen 
behandelnde  literarische  Erscheinungen  der  Neuzeit.  In  seinem 
Nachlass  befand  sich  das  ^Manuskript  seiner  persönlichen  Denk- 
würdigkeiten, die  vor  kurzem  in  Buchform  erschienen  sind. 

Unter  seinen  engeren  Alitbürgern  stand  er  in  höchster  Achtung. 
Diese  gab  sich  am  15.  Juni  1886,  als  er  mit  seiner  (Gattin,  die  ihm 
bald  darauf  durch  den  Tod  entrissen  wurde,  das  goldene  Hochzeits- 
fest feierte,  in  glänzenden  Ovationen  kund. 

Er  starb  am  9.  April  1896.  und  seine  Leichenfeier,  die  am  Sonn- 
tag dem  12.  April  stattfand,  war  höchst  eindrucksvoll  und  imposant. 

Mit  ihm  schied  aus  einem  an  Ehren  und  Anerkennung  reichen 
Leben  einer  der  hervorragendsten  \'ertreter  des  Deutschtums  in 
unserer  Republik,  einer  jener  kernigen  deutschen  IVIänner,  die  in 
diesem  Lande  die  schwere  Pionierarbeit  für  die  fortschrittliche  Ent- 
wickelung  des  \"olkes  übernommen  haben  und  trotz  aller  Hinder- 
nisse und  Schwierigkeiten  bis  zu  ihrem  Lebensende  fortsetzten.  Sie 
zu  ehren  und  ihr  Andenken  wach  zu  halten  und  auf  kommende 
Generationen  fortzupanzen,  ist  die  Pflicht  ihrer  Zeitgenossen.  Gustav 
Körner  war  einer  der  besten  jener  Vorkämpfer  des  Fortschritts, 
und  die  Ideale,  für  die  er  schon  in  Deutschalnd  stritt  imd  kämpfte, 
litt  und  verfolgt  wurde,  hat  er  bis  in  sein  hohes  Alter  treu  bewahrt. 
Ein   treuer   Bürger   unserer   Repifljlik   mid   Anierikaner   in    seinem 

30 


ganzen  Fühlen  und  aus  voller  Ueberzeugung.  blieb  er  doch  deutsch 
in  seinem  ganzen  Wesen.  In  allen  seinen  Handlungen  gab  sich  die 
angeborene  deutsche  Redlichkeit,  deutsche  Ueberzeugungstreue  und 
peinliche  Gewissenhaftigkeit  kund,  und  das  sicherte  ihm  die  Anhäng- 
lichkeit seiner  Stammesgenossen  und  die  hohe  Achtung  seiner  ame- 
rikanischen Mitbürger. 

(Quelle:    Der  Freidenker  vom  19.  April  1896.) 


Jrt^itrtrlt  Karl  (EaBtrll^un. 


Friedrich  Karl  Castelhun  wurde  im  Jahre  1828  am  27.  Februar 
in  Nordheim  bei  Worms  geboren,  absolvierte  mit  Glanz  das  darm- 
hessische Gymnasium  in  Bensheim  an  der  Bergstrasze  und  kam  1847 
mit  seinen  Eltern  (der  \'ater  war  Arzt)  nach  Illinois.  Er  widmete 
sich  in  Cleveland  und  Ann  Arbor  dem  Studium  der  Medizin  und  ver- 
vollständigte später  seine  Studien  durch  mehrjährigen  Aufenthalt  an 
den  Universitäten  von  Würzburg,  Wien.  Prag  und  Berlin.  Er  liesz 
sich  nach  seiner  Rückkehr  in  die  Vereinigten  Staaten  als  praktischer 
Arzt  in  St.  Louis  nieder,  wo  er  eine  segensreiche  Tätigkeit  ent- 
wickelte. 

Im  Jahre  1872  stattete  er  seinen  in  San  Francisco  lebenden  Ge- 
schwistern, dem  Rechtsanwalt  F.  J.  Castelhun  und  der  Lehrerin 
Fräulein  Marie  Castelhun  einen  Besuch  ab,  und  war  von  der  herrli- 
chen Natur  Californiens  so  bezaubert,  dass  er  im  Jahre  1875  dorthin 
übersiedelte  und  sich  der  ärztlichen  Praxis  widmete.  Im  Jahre 
darauf  starb  ihm  ein  hoffnungsvoller  Sohn,  und  dies  veranlasste  ihn, 
mit  seiner  Familie  nach  St.  Louis  zurückzukehren.  Allein  die  Sehn- 
sucht nach  dem  Lande  des  Weins  urid  der  Blumen  bestimmte  ihn, 
mit  seinen  Angehörigen  wieder  nach  San  Francisco  zu  übersiedeln, 
wo  er  bis  zu  seinem  Tode  als  Arzt  und  Schriftsteller  tätig  war. 

Zum  siebenzigsten  Geburtstage  des  Dichters,  am  27.  Februar 
1898,  wurde  ihm  von  einer  Anzahl  der  hervorragendsten  Vertreter 
des  Deutschtums  von  San  Francisco  eine  glänzende  Ehrenbezeigung 
m  der  Form  eines  feierlichen  Kommerses  dargebracht,  und  bei  dieser 
Gelegenheit  der  greise,  aber  geistig  und  körperlich  durchaus  rüstige 
Dichter  in  Poesie  und  Prosa  gefeiert. 

Er  starb  am  i.  November  1905.  In  ihm  verlor  das  fortschritt- 
lich gesinnte  Deutschtum  einen  der  offenherzigsten,  zielbewusstesten 
Kämpfer  für  Recht,  Wahrheit  und  Freiheit,  und  einen  der  begab- 
testen, feinfühligsten  und  begeistertsten  Dichter,  der  die  nachste- 
henden herrlichen  Worte  an  seine  Kinder  und  die  Kinder  aller  Deut- 
schen in  diesem  Lande  richtete : 

31 


Pflegt  die  deutsche  Sprache, 
He,^^t  das  deutsche  Wort; 
Denn  der  (jeist  der  X'äter 
Lebt  darinnen  fort. 
Der  so  viel  des  Ciroszcn 
Schon  der  Weh  j^eschenkt. 
Der  so  viel  des  Schönen 
Ihr  ins  Herz  gesenkt. 

Was  ein  Lessing  dacluc, 

\\  as  ein  (ioethe  sang. 

Immer  wird's  behalten 

Seinen  guten  Klang. 

Und  gedenk'  ich  Schillers. 
I  Wird  das  Herz  mir  warm; 

!  Schiller  zu  ersetzen. 

,  Ist  die  Welt  zu  arm. 

Teuer,  meine  Kinder, 
Sei  luis  dieses  Land  ; 
Doch  an  Deutschland  knüpfet 
Ins  der  Sprache  l'and. 
Wahrt  der  Heimat  l'Irbe, 
Wahrt  es  euch  zum   II eil; 
Xoch  den   Knkelkindern 
\\  crd'  es  ganz  zuteil. 

Wenn  dereinst  entfallen 
.Mir  der  Wanderstab, 
Wenn  ich  längst  schon  ruhe 
In  dem  kühlen  Grab. 
Was  die  (nuist  der  Muse 
Freundlich  mir  beschied. 
Ehrt  es,  meine  Kinder, 
Hhrt  das  deutsche  Lied! 

Pflegt   die  deutsche   Sprache. 
Hegt  das  deutsche  Wort ; 
Denn  der  Geist  der  \'äter 
Lebt  darinnen  fort. 
Der  so  viel  des  Groszen 
Schon  der  \\'elt  geschenkt. 
Der  so  viel  des  Schönen 
Ihr  ins  Herz  gesenkt. 

(Quelle:     Der   Freidenker   vom    u.    November    i<p5   und   vom 
22.  Oktober  191 1.) 


3  1198  05100  1944 


N/inö/G51DG/n4MX 


I 


DEMCO 
PAMPHLET  BINDER 
Gray  Pressboard 


3   1198  05100  1944 


N/lnä/05lDD/n^^x